Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 10. Apr. 2014 - A 4 K 2202/11
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
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(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (A 4 K 2202/11) gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 25.08.2011 wird angeordnet.
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, dem Regierungspräsidium Karlsruhe mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Italien vorläufig nicht durchgeführt werden darf.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
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(1) Der Verwaltungsrechtsweg ist in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts können einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz zugewiesen werden.
(2) Für vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl und aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben; dies gilt nicht für Streitigkeiten über das Bestehen und die Höhe eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen des Artikels 14 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die besonderen Vorschriften des Beamtenrechts sowie über den Rechtsweg bei Ausgleich von Vermögensnachteilen wegen Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte bleiben unberührt.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. Die Fristsetzung nach Satz 1 kann mit der Fristsetzung nach § 82 Abs. 2 Satz 2 verbunden werden.
(2) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann einem Beteiligten unter Fristsetzung aufgeben, zu bestimmten Vorgängen
- 1.
Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen, - 2.
Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen sowie elektronische Dokumente zu übermitteln, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist.
(3) Das Gericht kann Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn
- 1.
ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und - 2.
der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und - 3.
der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
(4) Abweichend von Absatz 3 hat das Gericht in Verfahren nach § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 15 und § 50 Absatz 1 Nummer 6 Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückzuweisen und ohne weitere Ermittlungen zu entscheiden, wenn der Beteiligte
Absatz 3 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.Tatbestand
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Der Kläger, nach eigenen Angaben ein somalischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Einstellung seines Asylverfahrens nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG.
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Er beantragte am 23. August 2010 die Anerkennung als Asylberechtigter. Ihm wurden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - am gleichen Tag Fingerabdrücke abgenommen. Dabei wurde festgestellt, dass eine Auswertung zum Zwecke des erkennungsdienstlichen Abgleichs nicht möglich war. Der mit der Abnahme der Fingerabdrücke befasste Mitarbeiter des Bundesamts hielt in einem Vermerk fest, dass die Fingerkuppen des Klägers Spuren von Manipulationen aufwiesen (z.B. Verletzungen der Haut), was dieser bestritt. Daraufhin wurde der Kläger mit Schreiben vom 23. August 2010 aufgefordert, sein Asylverfahren dadurch zu betreiben, dass er zum einen binnen eines Monats in der Außenstelle des Bundesamts erscheine und sich "auswertbare Fingerabdrücke" abnehmen lasse. Zum anderen solle er schriftlich darlegen, in welchen Staaten er sich nach dem Verlassen seines Herkunftslandes aufgehalten habe, ob er dort bereits einen Asylantrag gestellt habe und dieser ggf. abgelehnt worden sei. Gleichzeitig wurde er unter Bezugnahme auf § 33 AsylVfG darauf hingewiesen, dass sein Asylantrag als zurückgenommen gelte, wenn er das Verfahren länger als einen Monat nicht betreibe und in diesem Fall über das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 AufenthG nach Aktenlage zu entscheiden sei. Ihm wurde eine Übersetzung des Schreibens in die Sprache Somali überreicht.
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Der Kläger hat sich in einem weiteren Termin - nach Angaben des Bundesamts am 8. September 2010 - erneut Fingerabdrücke abnehmen lassen, die nach Mitteilung des Bundeskriminalamts vom 8. Oktober 2010 wiederum nicht verwertbar waren.
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Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 27. Oktober 2010 fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt ist (Ziff. 1). Weiter wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2). Schließlich wurde der Kläger unter Androhung der Abschiebung in den Herkunftsstaat aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Ziff. 3). Das Bundesamt hat den Bescheid im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Kläger der Betreibensaufforderung nicht nachgekommen sei. Weder am 23. August 2010 noch beim Folgetermin hätten verwertbare Fingerabdrücke gewonnen werden können. Die angeforderten schriftlichen Erklärungen (zum Reiseweg) habe der Kläger nicht abgegeben. Die Feststellung von Abschiebungsverboten nach Abs. 2 bis scheitere bereits daran, dass für den Kläger kein Herkunftsland habe festgestellt werden können.
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Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung des Bescheids sowie hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG hinsichtlich Somalias. Zur Begründung hat er geltend gemacht, es habe kein Anlass zum Erlass einer Betreibensaufforderung vorgelegen. Zudem habe er sein Verfahren dadurch betrieben, dass er sich einer weiteren erkennungsdienstlichen Maßnahme unterzogen habe.
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Während des Klageverfahrens forderte das Bundesamt den Kläger mit einem an seine Verfahrensbevollmächtigten gerichteten Schreiben vom 26. Oktober 2011 erneut auf, das Verfahren dadurch zu betreiben, dass er beim Bundesamt erscheine und sich Fingerabdrücke abnehmen lasse. Dazu erhalte er vom Bundesamt einen Ladungstermin. Die Pflicht zur Duldung erkennungsdienstlicher Maßnahmen umfasse auch die Verpflichtung, im Vorfeld der erneuten Fingerabdrucknahme alle Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Auswertbarkeit der Fingerabdrücke beeinträchtigen oder vereiteln könnten. Das Schreiben ging den Verfahrensbevollmächtigten am 28. Oktober 2011 zu.
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Mit Schreiben vom 9. November 2011 wurde der Kläger zur erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung auf den 24. November 2011 geladen. Er erschien an diesem Termin; die abgenommenen Fingerabdrücke erwiesen sich wiederum als nicht auswertbar. Nach einem Vermerk stellte der mit der Abnahme befasste Mitarbeiter des Bundesamts an den Fingerkuppen des Klägers Abschürfungen, Vernarbungen, starke Hornhautbildung, Verhärtungen, besonders trockene Finger und äußerst schwache Papillarlinien fest. Der Kläger bestritt, seine Fingerkuppen manipuliert zu haben.
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Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Bundesamts aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten mit Urteil vom 14. Januar 2013 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass der Asylantrag nicht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG als zurückgenommen gelte. Denn der Kläger sei gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG nicht verpflichtet, Fingerabdrücke abzugeben, die im Rahmen des Eurodac-Systems verwertbar seien. Er habe vielmehr seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht genügt, indem er sämtlichen Aufforderungen der Beklagten, erkennungsdienstliche Maßnahmen nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG zu dulden, gefolgt sei und sich Fingerabdrücke habe abnehmen lassen. Beschränke der Gesetzgeber die Mitwirkung im Fall einer erkennungsdienstlichen Behandlung auf eine Duldungspflicht, sei es dem Bundesamt verwehrt, durch behördliche Verfügung darüber hinausgehende Mitwirkungshandlungen einzufordern und diese bei Unterbleiben mit einer Verfahrenseinstellung zu sanktionieren. Mangels entsprechender gesetzlicher Verpflichtung zur Abgabe verwertbarer Fingerabdrücke komme es nicht darauf an, ob der Kläger die Unverwertbarkeit seiner Fingerabdrücke zu vertreten habe. Soweit die Einstellungsverfügung auch darauf gestützt sei, dass der Kläger entgegen der Betreibensaufforderung keine Angaben zum Reiseweg und bereits gestellten Asylanträgen gemacht habe, sei er dazu vom Bundesamt nicht angehört worden. Auch insoweit lägen daher die Voraussetzungen des § 33 AsylVfG nicht vor.
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Die Beklagte rügt mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, die Auslegung des § 15 AsylVfG seitens des Berufungsgerichts verletze Bundesrecht. Aus § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG oder dem Rückgriff auf Absatz 1 der Vorschrift ergebe sich die Pflicht, alle zielgerichteten Maßnahmen zu unterlassen, die den Erfolg einer erkennungsdienstlichen Behandlung vereiteln könnten. Nach der maßgeblich unionsrechtlich beeinflussten gesetzlichen Konzeption habe das Bundesamt vorrangig die Frage der Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung des Schutzbegehrens zu klären. Selbst wenn Deutschland zuständig sei, müsse geklärt werden, ob und ggf. mit welchem Ergebnis der Asylbewerber zuvor ein Asylverfahren betrieben habe, da ein weiteres Asylbegehren sich als Zweitantrag darstelle.
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Der Kläger hält sich in Übereinstimmung mit den Urteilen der Vorinstanzen nicht für verpflichtet, verwertbare Fingerabdrücke abzugeben. Ferner rügt er, in der Betreibensaufforderung vom 23. August 2010 nur unzureichend belehrt worden, insbesondere nicht darauf hingewiesen worden zu sein, dass die Einstellung des Verfahrens unmittelbar den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylVfG zur Folge habe. Der an seine Verfahrensbevollmächtigten gerichteten Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 sei keine Übersetzung beigefügt gewesen.
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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht schließt sich weitgehend der Rechtsauffassung der Beklagten an. Nach seiner Auffassung darf das Bundesamt nicht darauf verwiesen werden, die Tatsache einer Manipulation der Fingerkuppen nur bei der Prüfung der Voraussetzungen einer Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG zu würdigen. Die Betreibensaufforderung diene gerade der Klärung, ob die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung vorlägen oder ob eine Überstellung des Ausländers in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu erfolgen habe, in dem der Kläger (bei Schutzbedürftigkeit) internationalen Schutz beanspruchen könne.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Aufhebung der angefochtenen Einstellungsverfügung durch das Verwaltungsgericht mit einer Begründung bestätigt, die Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 VwGO). Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof zutreffend entschieden, dass sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG keine Garantieverpflichtung des Asylbewerbers ableiten lässt, für die Auswertbarkeit seiner Fingerabdrücke einstehen zu müssen. Die in der Vorschrift normierte Mitwirkungspflicht umfasst aber entgegen der Auffassung der Vorinstanz die Verpflichtung, im Vorfeld der Abnahme von Fingerabdrücken deren Auswertbarkeit nicht zu vereiteln. Da das Berufungsgericht die Aufforderung zur Schilderung des Reisewegs in der Betreibensaufforderung vom 23. August 2010 zu Unrecht beanstandet und unter Verletzung von § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die zweite Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 und das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit der dritten erkennungsdienstlichen Behandlung vom 24. November 2011 nicht in den Blick genommen hat, kann der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil weder zugunsten noch zulasten des Klägers selbst abschließend entscheiden. Daher ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylverfahrensgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258).
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1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die hier erhobene Anfechtungsklage statthaft ist. Der Gesetzgeber hat mit der in §§ 32, 33 AsylVfG geregelten Verfahrenseinstellung durch Verwaltungsakt dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - eine Handlungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt, gegen die der Betroffene nur im Wege der Anfechtungsklage Rechtsschutz erlangen kann. Macht das Bundesamt von dieser gesetzlichen Ermächtigung fehlerhaft Gebrauch, darf das Gericht mit der Aufhebung der nach §§ 32, 33 AsylVfG getroffenen Entscheidung nicht zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf Gewährung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung entscheiden. Vielmehr ist die Sachentscheidung nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes zunächst dem Bundesamt vorbehalten. Der Asylsuchende muss die Aufhebung dieses Bescheides erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will (so schon Urteil vom 7. März 1995 - BVerwG 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 S. 2).
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2. Nach § 33 Abs. 1 AsylVfG gilt ein Asylantrag, der nach § 13 Abs. 1 und 2 AsylVfG auch den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfasst, als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren trotz Aufforderung des Bundesamts länger als einen Monat nicht betreibt (Satz 1). In der Aufforderung ist der Ausländer auf die nach Satz 1 eintretende Folge hinzuweisen (Satz 2). Liegen die Voraussetzungen einer (fiktiven) Antragsrücknahme vor, darf das Bundesamt keine Sachentscheidung mehr über den Asylantrag treffen. Vielmehr hat es nach § 32 AsylVfG in seiner Entscheidung festzustellen, dass das Asylverfahren eingestellt ist und ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder 7 AufenthG vorliegt (Satz 1). In den Fällen des § 33 AsylVfG ist nach Aktenlage zu entscheiden (Satz 2). Das Bundesamt erlässt ferner eine Abschiebungsandrohung; die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist beträgt nach §§ 34, 38 Abs. 2 AsylVfG eine Woche.
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Die Vorschriften über die fiktive Rücknahme des Asylantrags im Verwaltungsverfahren bei Nichtbetreiben des Verfahrens und die daran anknüpfende Einstellungsentscheidung des Bundesamts wurden durch das Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 26. Juni 1992 (BGBl I S. 1126) in das Asylverfahrensgesetz eingefügt. Die in § 33 AsylVfG getroffene Regelung ist der für das Gerichtsverfahren geltenden fiktiven Rücknahme der Klage (§ 81 AsylVfG) nachgebildet (vgl. BTDrucks 12/2062 S. 33). Durch sie soll verhindert werden, dass Ausländer das Asylverfahren durch bewusstes Nichtbetreiben verzögern. Im Hinblick auf den Ausnahmecharakter sowie die weitreichenden Konsequenzen der Vorschrift dürfen die Anforderungen an das Verhalten eines Schutzsuchenden, mit dem dieser sein fortbestehendes Interesse an einer behördlichen Sachentscheidung zum Ausdruck bringen muss, nicht überspannt werden (vgl. zur Betreibensaufforderung im gerichtlichen Verfahren: BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1998 - 2 BvR 2662/95 - DVBl 1999, 166; BVerwG, Beschluss vom 18. September 2002 - BVerwG 1 B 103.02 - Buchholz 310 § 92 VwGO Nr. 16). Diese bisher nur für die gerichtliche Betreibensaufforderung formulierten Maßstäbe sind auch auf § 33 AsylVfG übertragbar (so auch Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, Stand: Januar 2010, § 33 Rn. 6).
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Die Aufforderung im Sinne des § 33 Abs. 1 AsylVfG setzt einen bestimmten Anlass voraus, der geeignet ist, Zweifel an dem Bestehen oder Fortbestehen des Sachentscheidungsinteresses zu wecken. Solche Zweifel können sich auch aus einer Vernachlässigung verfahrensrechtlicher Mitwirkungspflichten ergeben; in diesem Fall dient die Betreibensaufforderung dazu, den Ausländer nachdrücklich auf diese Pflichten hinzuweisen (vgl. Urteil vom 23. April 1985 - BVerwG 9 C 48.84 - BVerwGE 71, 213 <219> = Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 3 S. 12; Beschluss vom 18. September 2002 a.a.O.). Berechtigte Zweifel können sich aber nur aus der Verletzung einer Mitwirkungspflicht ergeben, die eine gesetzliche Grundlage hat. Auch die Betreibensaufforderung selbst darf inhaltlich nur auf die Erfüllung einer gesetzlich begründeten Mitwirkungspflicht gerichtet sein. Das Instrument der Betreibensaufforderung stellt sich gerade auch in solchen Fällen als geeignete Reaktion auf eine Vernachlässigung gesetzlicher Mitwirkungspflichten dar, in denen der Ausländer bei der Klärung der Zuständigkeit deutscher Behörden für die Sachentscheidung über das Asylbegehren nicht hinreichend mitwirkt.
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Die allgemeinen Mitwirkungspflichten von Asylbewerbern und Ausländern, die die Anerkennung als Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG begehren, ergeben sich aus § 15 AsylVfG. Diese Vorschrift wurde ebenfalls durch das Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens 1992 in das Asylverfahrensgesetz eingefügt. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist der Ausländer persönlich verpflichtet, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. § 15 Abs. 2 AsylVfG regelt beispielhaft ("insbesondere") einzelne, besonders wichtige Mitwirkungspflichten (BTDrucks 12/2062 S. 30). Danach ist der Ausländer u.a. verpflichtet, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden die erforderlichen Angaben mündlich und nach Aufforderung auch schriftlich zu machen (Nr. 1), den gesetzlichen oder behördlichen Anordnungen, sich bei bestimmten Behörden oder Einrichtungen zu melden oder dort persönlich zu erscheinen, Folge zu leisten (Nr. 3) und die vorgeschriebenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu dulden (Nr. 7).
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3. Anlass zum Erlass einer Betreibensaufforderung kann sich folglich aus der Verletzung der dem Asylbewerber nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG auferlegten Pflicht zur Duldung der vorgeschriebenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen ergeben. Zwar lässt sich aus dieser Vorschrift keine Garantieverpflichtung für die Auswertbarkeit der Fingerabdrücke ableiten. Die in § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG normierte Mitwirkungspflicht umfasst aber auch die Verpflichtung des Asylbewerbers, im Vorfeld einer geplanten Fingerabdrucknahme alle Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Auswertbarkeit seiner Fingerabdrücke beeinträchtigen oder vereiteln könnten.
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Inhalt und Bedeutung der Mitwirkungspflicht des Ausländers bei der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG ergeben sich aus dem Sinnzusammenhang der Regelung mit § 16 AsylVfG und den unionsrechtlichen Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach der Verordnung (EG) Nr. 343 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl EU L Nr. 50 vom 25. Februar 2003 S. 1) - sog. Dublin-Verordnung - und der Verordnung vom 11. Dezember 2000 über die Einrichtung von "Eurodac" für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens (Abl EG L 316/1) - Eurodac-Verordnung. Zu dulden sind nach Art, Umfang und Zielsetzung die nach § 16 AsylVfG gebotenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen, auch wenn der Asylbewerber selbst nicht unmittelbarer Adressat dieser Regelung ist. Auch § 16 AsylVfG wurde durch das Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 26. Juni 1992 (BGBl I S. 1126) in das Asylverfahrensgesetz eingefügt. Die Vorschrift regelt, welche Mittel der Identitätsfeststellung zulässig sind, wer dafür zuständig ist, wer dabei Amtshilfe leistet, in welchem Rahmen die erhobenen Daten verwendet, gespeichert und übermittelt werden dürfen und wann sie zu löschen sind. In § 16 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG wird die Verpflichtung der zuständigen Behörde zur Sicherung der Identität eines um Asyl nachsuchenden Ausländers durch erkennungsdienstliche Maßnahmen begründet, sofern er das 14. Lebensjahr vollendet hat. Zur Identitätssicherung nach Satz 1 dürfen gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG nur Lichtbilder und Abdrücke aller zehn Finger aufgenommen werden. Nach Satz 3 darf zur Bestimmung des Herkunftsstaats oder der Herkunftsregion auch das gesprochene Wort des Ausländers auf Ton- oder Datenträger aufgezeichnet werden. Dabei ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien das Ziel des Gesetzgebers, durch eine generelle erkennungsdienstliche Behandlung der Gefahr entgegen zu wirken, dass Asylsuchende gleichzeitig oder nacheinander unter verschiedenen Namen und unter Verschweigen des anhängigen oder abgeschlossenen anderweitigen Asylverfahrens einen weiteren Asylantrag stellen (BTDrucks 12/2062 S. 30).
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Außerdem dient § 16 AsylVfG der Erfüllung der unionsrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus der Eurodac-Verordnung (BTDrucks 14/7386 S. 59; allgemein S. 36). Nach Art. 4 Abs. 1 der Eurodac-Verordnung ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, jedem Asylbewerber, der mindestens 14 Jahre alt ist, unverzüglich die Fingerabdrücke aller Finger abzunehmen und der Eurodac-Zentraleinheit zu übermitteln. Die Zentraleinheit vergleicht sie nach Art. 4 Abs. 3 der Verordnung mit den von anderen Mitgliedstaaten übermittelten und in der zentralen Datenbank bereits gespeicherten Daten, auf Wunsch auch mit früher übermittelten Fingerabdruckdaten des gleichen Mitgliedsstaats (Art. 4 Abs. 4 Verordnung). Zweck des Eurodac-Systems ist es, die Anwendung des Dubliner Übereinkommens über die Bestimmung des für die Prüfung zuständigen Mitgliedsstaats zu erleichtern (Art. 1 Abs. 1 der Eurodac-Verordnung). Um den Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus der Eurodac-Verordnung nachzukommen, muss das Bundesamt den Asylbewerbern Fingerabdrücke in einer Qualität abnehmen, die einen Datenabgleich innerhalb des Eurodac-Systems ermöglicht.
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Dient § 16 AsylVfG jedenfalls auch der Erfüllung der Verpflichtungen aus der Eurodac-Verordnung und verpflichtet § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG den Ausländer, die in § 16 AsylVfG inhaltlich näher bestimmten erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu dulden, ergibt sich daraus für die Abnahme von Fingerabdrücken Folgendes: § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG ist nur als Duldungspflicht formuliert. Diese soll der Behörde aber erkennungsdienstliche Maßnahmen im Sinne von § 16 Abs. 1 AsylVfG ermöglichen, die zur Auswertung im Eurodac-System geeignet sind. Den Asylsuchenden trifft mit der ihm obliegenden Pflicht zur Duldung dieser erkennungsdienstlichen Maßnahmen zwar nicht die Garantieverpflichtung zu gewährleisten, dass die von ihm abgegebenen Fingerabdrücke im Rahmen des Eurodac-Systems auswertbar sind. Er ist nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 16 Abs. 1 AsylVfG aber verpflichtet, alle Maßnahmen zu unterlassen, die eine Identitätsfeststellung auf Grundlage der gesetzlichen Vorschriften - einschließlich der Eurodac-Überprüfung - erschweren oder vereiteln (ähnlich Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, § 33, Stand: Mai 2011, Rn. 21.3). Dieser Inhalt der gesetzlichen Verpflichtung des Asylbewerbers ergibt sich hinreichend klar aus einer an Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung orientierten Auslegung, ohne dass es hierfür - wie das Berufungsgericht meint - einer gesetzlichen Neuregelung oder Klarstellung bedarf.
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Die dem Asylbewerber nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG auferlegte Pflicht zur Duldung der Abnahme seiner Fingerabdrücke und Unterlassung aller Maßnahmen, die eine Verwertbarkeit der Fingerabdrücke zum Zwecke der Identitätsfeststellung erschweren oder vereiteln, ist mit Art. 11 der Richtlinie 2005/85/EG vom 1. Dezember 2005 (Asylverfahrensrichtlinie) vereinbar. Diese Fassung der Verfahrensrichtlinie findet nach der Übergangsregelung in Art. 52 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 im vorliegenden Verfahren weiterhin Anwendung. Nach Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG können die Mitgliedstaaten die Asylbewerber verpflichten, mit den zuständigen Behörden zusammenzuarbeiten, sofern diese Verpflichtung für die Bearbeitung des Antrags erforderlich ist. Der Katalog der Pflichten in Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie, die Asylbewerbern auferlegt werden dürfen, enthält die Verpflichtung zur Duldung der Abnahme von Fingerabdrücken zwar nicht. Das ist aber auch nicht erforderlich, da es sich nur um Regelbeispiele handelt ("insbesondere"). Die Auferlegung einer Pflicht zur Mitwirkung bei der Abnahme von Fingerabdrücken ist jedoch durch die Generalklausel des Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie gedeckt, wonach die Asylbewerber von den Mitgliedstaaten zu den Mitwirkungshandlungen verpflichtet werden können, die für die Bearbeitung des Asylantrags erforderlich sind. Denn die Abnahme von Fingerabdrücken, die für einen Datenabgleich im Eurodac-System geeignet sind, gehört zu den für die Antragsbearbeitung erforderlichen Pflichten. Dies unterstreicht auch Art. 23 Abs. 4 Buchst. n der Richtlinie, der eine Verpflichtung der Antragsteller zur Abnahme ihrer Fingerabdrücke als nach gemeinschaftsrechtlichen oder nationalen Rechtsvorschriften zumindest möglich voraussetzt. Auch aus der Pflicht der Mitgliedstaaten zur Fingerabdrucknahme nach der Eurodac-Verordnung ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten insoweit die Antragsteller zur Duldung der Fingerabdrucknahme verpflichten dürfen.
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Eine weitergehende Pflicht zur Abgabe auch auswertbarer Fingerabdrücke kann auch nicht aus § 15 Abs. 1 AsylVfG hergeleitet werden. Die in Absatz 2 der Vorschrift speziell geregelten Pflichten sind zwar nicht abschließend ("insbesondere"). Auch soweit Pflichten in Bezug auf erkennungsdienstliche Behandlungen nicht abschließend in § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG normiert sein sollten, verlangte eine Einstandspflicht für die Auswertbarkeit abgenommener Fingerabdrücke dem Asylbewerber mehr ab, als dieser zumutbar zu leisten vermag; dies bürdete dem Asylbewerber nicht zuletzt auch das Risiko einer ihm nicht zurechenbaren Nichtauswertbarkeit auf.
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4. Mit dem Instrument der Betreibensaufforderung darf auf die Verletzung der Pflicht zur Mitwirkung an der Identitätsklärung reagiert werden. Dies schließen weder die nationalen noch die unionsrechtlichen Vorschriften über die Behandlung von Asylanträgen aus.
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§ 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG, nach dem ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, wenn der Asylbewerber über seine Identität täuscht oder diese Angaben verweigert, bildet keine abschließende Regelung. § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG setzt einen als unbegründet abzulehnenden Asylantrag und damit die Befugnis des Bundesamts für die Sachprüfung des Antrages voraus. Er tritt selbständig neben die Möglichkeit, zur Prüfung dieser Befugnis einen Asylbewerber nach § 33 AsylVfG durch entsprechende Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens durch Mitwirkung an der Identitätsfeststellung anzuhalten und im Falle des Nichtbetreibens das Verfahren ohne Sachprüfung einzustellen. Der vorliegende Fall gibt dabei keinen Anlass, das Verhältnis beider Regelungen näher zu bestimmen. Jedenfalls in der hier vorliegenden Fallkonstellation kommt ein Vorgehen nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG (Betreibensaufforderung und ggf. die Verfahrenseinstellung) dem gesetzgeberischen Ziel näher, Mehrfachanerkennungen und einander widersprechende Sachentscheidungen über Asylanträge innerhalb der EU zu vermeiden. Denn ohne die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nach §§ 32, 33 AsylVfG im Fall der unzureichenden Mitwirkung bei der Identitätsfeststellung müsste das Bundesamt eine Sachentscheidung über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft treffen, obwohl ihm dies nach § 60 Abs. 1 Satz 6 i.V.m. Satz 2 AufenthG verwehrt ist, wenn dem Betroffenen die Rechtsstellung eines Konventionsflüchtlings bereits außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zuerkannt worden ist. Demgegenüber gewährleistet die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG, dass über seinen Antrag nicht inhaltlich entschieden wird, wenn der Asylbewerber in zurechenbarer Weise die Klärung seiner Identität verhindert.
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Auch das Unionsrecht lässt für Fälle der vorliegenden Art Raum für eine Betreibensaufforderung nach § 33 AsylVfG. Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG (Asylverfahrensrichtlinie) eröffnet ausdrücklich sowohl die Einstellung des Verfahrens als auch die Ablehnung des Asylantrags als alternative Reaktionen im Falle des Nichtbetreibens des Verfahrens durch den Asylbewerber. Zwar ermöglicht Art. 28 Abs. 2 i.V.m. Art. 23 Abs. 4 Buchst. n der Asylverfahrensrichtlinie den Mitgliedstaaten auch die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet, wenn der Antragsteller sich weigert, der Verpflichtung zur Abnahme seiner Fingerabdrücke gemäß den einschlägigen Rechtsvorschriften nachzukommen. Hiermit wird jedoch nur eine von mehreren Möglichkeiten eröffnet, wie die Mitgliedstaaten auf die Verletzung der Mitwirkungspflicht reagieren können. Dass insoweit keine abschließende Regelung getroffen wurde, ergibt sich schon daraus, dass Art. 23 Abs. 4 der Asylverfahrensrichtlinie auf die Grundprinzipien nach Kapitel II der Richtlinie verweist, wozu die Möglichkeit der Einstellung der Antragsprüfung nach Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie im Fall der Nichtbetreibung des Verfahrens zählt. Wollte man dem nicht folgen, müsste auch bei ungeklärter Identität des Asylbewerbers stets eine Sachentscheidung ergehen. Dies würde aber dem unionsrechtlichen Ziel der Bestimmung eines - und nur eines - zuständigen Mitgliedstaats für die Asylentscheidung durch Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der Dublin-Verordnung widersprechen.
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Das Urteil des französischen Cour Nationale du Droit d' Asile vom 21. Februar 2012 (No. 11032252) besagt nichts anderes. Danach widerspricht es französischem Recht, den Asylantrag eines Ausländers wegen fehlender Ausweisdokumente und nicht verwertbarer Fingerabdrücke abzulehnen, ohne sich mit den individuellen Gegebenheiten des Schutzgesuchs auseinanderzusetzen. Die Begründung der Entscheidung bezieht sich nämlich nicht auf Unionsrecht, sondern ausschließlich auf die in Frankreich geltenden nationalen Rechtsvorschriften, in denen eine Verfahrenseinstellung entsprechend den §§ 32, 33 AsylVfG gerade nicht vorgesehen ist.
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5. Berechtigte Zweifel am Bestehen eines Sachentscheidungsinteresses ergeben sich allerdings nicht allein aus der Unverwertbarkeit der einem Schutzsuchenden abgenommenen Fingerabdrücke. Denn die Unverwertbarkeit von Fingerabdrücken ist nicht zwangsläufig auf eine zielgerichtete Manipulation zurückzuführen. Sie kann ihre Ursache beispielsweise auch in einer genetischen Disposition oder Erkrankung des Betroffenen haben (zur Seltenheit eines angeborenen Fehlens von Papillarleisten vgl. Bettina Burger u.a., Das "Immigrationsverzögerungs-Leiden" in: HAUT 2011 S. 25 f.) oder auf die Folgen einer Chemotherapie zurückzuführen sein. Außerdem kann sie auf einer fehlerhaften Abnahme und/oder Auswertung der Fingerabdrücke durch die Behörde beruhen. Auch eine untypische Häufung von Qualitätsmängeln bei bestimmten Herkunftsländern stellt für sich genommen keinen hinreichenden Anlass dar. Anders verhält es sich jedoch, wenn über die bloße Unverwertbarkeit der Fingerabdrücke hinaus bei der Abnahme konkrete Anhaltspunkte für eine Manipulation der Fingerkuppen bestehen, etwa wenn die Fingerkuppen sichtbare Anomalien aufweisen (z.B. Abschürfungen, Vernarbungen, Schleifspuren, Fehlen von oder auffallend geringe Höhe der Papillarleisten) und der Betroffene diese nicht schlüssig erklären kann. Gleiches gilt bei mehrfacher Unverwertbarkeit der Fingerabdrücke mit unterschiedlichen Fehlstellen. In diesen Fällen besteht der Verdacht, dass der Asylsuchende die Verwertbarkeit seiner Fingerabdrücke durch eigenes Tun vereitelt hat, um so seine wahre Identität zu verschleiern. Ein derartiges Verhalten ist geeignet, Zweifel an der Ernsthaftigkeit seines Asylbegehrens zu begründen. Das Bundesamt ist gut beraten, wenn es dann die Indizien, die auf eine Manipulation hindeuten, und die Einlassung des Betroffenen hinreichend dokumentiert, um im Streitfall das Bestehen berechtigter Zweifel am Vorliegen eines Sachentscheidungsinteresses nachweisen zu können.
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Liegt ein hinreichender Anlass für den Erlass einer Betreibensaufforderung vor, muss diese folgenden Maßgaben genügen: Eine besondere Form ist für die Betreibensaufforderung nicht vorgeschrieben. Als verfahrensleitende Verfügung braucht sie in Ermangelung einer entsprechenden Regelung nicht förmlich zugestellt zu werden, wie in § 31 Abs. 1 AsylVfG für Entscheidungen über Asylanträge vorgeschrieben (vgl. Urteil vom 7. März 1995 - BVerwG 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 S. 6). Wegen der mit ihrem Zugang in Lauf gesetzten Monatsfrist bedarf es aber eines Nachweises, dass und zu welchem Zeitpunkt die Aufforderung dem Betroffenen tatsächlich zugegangen ist. Außerdem bestehen wegen der einschneidenden Folgen der gesetzlichen Rücknahmefiktion besondere Anforderungen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmtheit einer Betreibensaufforderung. Sowohl der die Betreibensaufforderung auslösende Anlass als auch das von dem Schutzsuchenden erwartete Verhalten sind in der Aufforderung so weit zu individualisieren und zu konkretisieren, dass dieser hinreichend deutlich erkennen kann, warum das Bestehen eines Sachentscheidungsinteresses angezweifelt wird. Schließlich muss klar erkennbar sein, welche konkreten Mitwirkungshandlungen von dem Betroffenen binnen Monatsfrist verlangt werden, um so den Eintritt der gesetzlichen Rücknahmefiktion nach Ablauf eines Monats zu verhindern. Dabei gehen etwaige Unklarheiten hinsichtlich Art und Umfang des vom Ausländer zur Vermeidung der Rücknahmefiktion konkret erwarteten Verhaltens zu Lasten der Behörde.
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Außerdem ist der Schutzsuchende über die gesetzlich eintretende Rücknahmefiktion zu belehren (§ 33 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Dazu gehört, dass er zutreffend und unmissverständlich auf die Monatsfrist des § 33 AsylVfG hingewiesen wird, innerhalb derer er die geforderte Mitwirkung erbringen muss und nach deren Ablauf der Antrag als zurückgenommen gilt, wenn er der Aufforderung nicht nachkommt (Beschluss vom 1. März 2002 - BVerwG 1 B 403.01 - Buchholz 402.25 § 81 AsylVfG Nr. 1). Des Weiteren gebietet der Grundsatz des fairen Verfahrens (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. März 1994 - 2 BvR 2371/93 - DVBl 1994, 631), den Asylbewerber darüber zu belehren, dass das Bundesamt im Fall der Beendigung des Verfahrens ohne weitere Anhörung nach Aktenlage über etwaige Abschiebungsverbote entscheidet (§ 32 AsylVfG). Eines darüber hinausgehenden Hinweises auf den mit einer Einstellungsverfügung im Fall der negativen Entscheidung über Abschiebungsverbote regelmäßig verbundenen Erlass einer Abschiebungsandrohung gemäß § 34 AsylVfG bedarf es jedoch - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht. Denn selbst für einen anwaltlich nicht vertretenen Asylbewerber ist erkennbar, dass die Einstellung seines Asylverfahrens wegen Verletzung einer ihm obliegenden Mitwirkungspflicht bei gleichzeitiger negativer Entscheidung über Abschiebungsverbote die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen zur Folge haben wird. Schließlich muss das Bundesamt den Asylbewerber über den Inhalt der ergangenen Aufforderung und die erforderliche Belehrung über die Monatsfrist und die Folgen ihrer Versäumung - jedenfalls in Fällen, in denen er anwaltlich nicht vertreten ist und die Betreibensaufforderung ihm unmittelbar zugeht - in einer für ihn verständlichen Sprache unterrichten, etwa durch Übersetzung der Betreibensaufforderung (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG).
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Inhaltlich muss eine Betreibensaufforderung auf die Erfüllung einer gesetzlich begründeten Mitwirkungspflicht gerichtet sein. Weiter muss die geforderte Handlung zur weiteren Durchführung des Asylverfahrens erforderlich und dem Schutzsuchenden tatsächlich möglich und zumutbar sein. Wird vom Asylbewerber eine Mitwirkung bei der Abnahme von Fingerabdrücken verlangt, darf die Betreibensaufforderung - wie sich aus oben näher dargelegten Gründen ergibt (Rn. 22, 24) - nur auf die gesetzesunmittelbar bestehende Pflicht hinweisen, im Vorfeld alle Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Auswertbarkeit seiner Fingerabdrücke beeinträchtigen oder vereiteln könnten. Auf einen Erfolg der Auswertung der Fingerabdrücke darf sie hingegen nicht gerichtet sein.
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Auch darf vom Asylbewerber verlangt werden, schriftliche Angaben zu seinen bisherigen Voraufenthalten und zu einer eventuell bereits erfolgten Asylantragstellung zu machen. Eine solche Mitwirkungspflicht ergibt sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG, wonach der Ausländer verpflichtet ist, dem Bundesamt die erforderlichen Angaben mündlich und nach Aufforderung auch schriftlich zu machen. Zu den erforderlichen Angaben zählen nach § 25 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG (u.a.) auch solche über Reisewege, Aufenthalte in anderen Staaten und dort eingeleitete oder durchgeführte Asylverfahren. Diese Angaben benötigt das Bundesamt, um seine Zuständigkeit im Rahmen der Dublin-Verordnung feststellen zu können und um u.a. die Frage zu klären, ob der Ausländer bereits Schutz in einem sicheren Drittstaat gefunden hat oder aus einem solchen Staat eingereist ist (vgl. § 26a ff. AsylVfG).
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6. Die Prüfung der Betreibensaufforderungen vom 23. August 2010 und 26. Oktober 2011 anhand der o.g. Vorgaben als Vorfrage für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einstellungsbescheids führt zu dem Ergebnis, dass das Berufungsurteil in mehrfacher Hinsicht auf der Verletzung von Bundesrecht beruht. Der Senat vermag nicht selbst festzustellen, ob wegen Verdachts der Manipulation der Fingerkuppen des Klägers ein hinreichender Anlass für den Erlass der Betreibensaufforderungen vorlag und der Kläger das Verfahren nicht betrieben hat, weil er gegen seine Mitwirkungspflicht aus § 15 Abs. 2 Nr. 1 oder 7 AsylVfG verstoßen hat.
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6.1 Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die dem Kläger in der Betreibensaufforderung vom 23. August 2010 auferlegte Verpflichtung, sich "auswertbare Fingerabdrücke" abnehmen zu lassen, rechtswidrig und unwirksam ist. Wie oben bereits ausgeführt (Rn. 24), lässt sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG keine Garantieverpflichtung für die Auswertbarkeit der Fingerabdrücke ableiten.
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6.2 Das Berufungsurteil verletzt jedoch Bundesrecht, da es die in der Betreibensaufforderung vom 23. August 2010 enthaltene, erkennbar selbständige Verpflichtung zur schriftlichen Darlegung des Reisewegs und der Stellung von Asylanträgen mangels Anhörung durch das Bundesamt als unwirksam erachtet hat (UA Rn. 30). Die Verpflichtung beruht auf § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG und ist inhaltlich nicht zu beanstanden (s.o. Rn. 33). Die Angaben waren zur weiteren Durchführung des Asylverfahrens erforderlich, und es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, warum sie dem Kläger nicht möglich und zumutbar gewesen sein sollten. Die Aufforderung enthält auch den Hinweis auf die Rechtsfolge eines Nichtbetreibens des Verfahrens gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG, dass der Antrag als zurückgenommen gilt. Darüber hinaus weist sie darauf hin, dass in diesem Fall über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 AufenthG ohne persönliche Anhörung nach Aktenlage zu entscheiden ist. Die Betreibensaufforderung wurde für den Kläger übersetzt (§ 24 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG), und dieser hat den Empfang des Schreibens am 23. August 2010 mit seiner Unterschrift bestätigt. Er hat dieser Aufforderung jedoch keine Folge geleistet.
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Das würde aber nur dann die gesetzliche Fiktion der Rücknahme des Asylantrags gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auslösen, wenn bei der erkennungsdienstlichen Behandlung am 23. August 2010 für das Bundesamt tatsächlich ein hinreichender Anlass für ein Vorgehen gemäß § 33 AsylVfG bestand. Dieser wäre gegeben, wenn die Fingerkuppen des Klägers zu diesem Zeitpunkt tatsächlich Manipulationsspuren in Gestalt von Verletzungen der Haut sowie schlechter Erkennbarkeit und Beschädigung der Papillarlinien aufgewiesen hätten und der Kläger dies nicht schlüssig zu erklären vermochte, wie das der mit der Abnahme der Fingerabdrücke betraute Mitarbeiter des Bundesamts in einem Vermerk vom gleichen Tag festgehalten hat (BA-Akte Bl. 18). Da der Verwaltungsgerichtshof hierzu -von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, nötigt das zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
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6.3 Das Berufungsgericht hat zudem § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG verletzt, weil es die Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einstellungsbescheids nicht berücksichtigt hat. Denn für die Überprüfung des Bescheids kommt es maßgeblich darauf an, ob die Voraussetzungen der §§ 32, 33 AsylVfG im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vorlagen. Das ergibt sich aus § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylVfG, wonach das Gericht in Streitigkeiten nach diesem Gesetz auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellt. Das hat zur Folge, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Einstellungsbescheids vom 27. Oktober 2010 nicht nur die Betreibensaufforderung vom 23. August 2010, sondern auch die erst nach Bescheidserlass ergangene Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 zu berücksichtigen ist. Selbst wenn die erste Betreibensaufforderung zu Unrecht ergangen und der daraufhin ergangene Einstellungsbescheid des Bundesamts ursprünglich rechtswidrig gewesen sein sollte, könnte er durch die Nichterfüllung der in der Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 geforderten Mitwirkungspflicht nachträglich rechtmäßig geworden sein. Das Verfahren wäre dann nach Ablauf eines Monats seit Zugang der zweiten Betreibensaufforderung am 28. Oktober 2011 eingestellt.
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Die Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 entspricht - vorbehaltlich des noch aufzuklärenden berechtigten Anlasses - den gesetzlichen Anforderungen. Sie bezeichnet die vom Kläger erwartete Mitwirkungshandlung - das Erscheinen in der Außenstelle des Bundesamts zum Zwecke der erneuten Abnahme von Fingerabdrücken - hinreichend konkret. Auch wird erneut darüber belehrt, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung länger als einen Monat nicht betreibt. Der Klarheit der Belehrung über die Monatsfrist steht nicht entgegen, dass dem Kläger in der Betreibensaufforderung zugleich eine Ladung zu einem Termin zur Abnahme der Fingerabdrücke angekündigt wird. Zum einen lag der mit gesonderten Schreiben anberaumte Termin (24. November 2011) innerhalb der Monatsfrist. Zum anderen entsteht durch den Hinweis auf die Terminsladung keine Unklarheit hinsichtlich der geltenden Monatsfrist. Denn für den Empfänger wurde nicht der Eindruck erweckt, dass der Termin die gesetzliche Monatsfrist für das Betreiben des Verfahrens verkürzt. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers brauchte die Betreibensaufforderung nicht erneut übersetzt zu werden, da sie an seine Verfahrensbevollmächtigten gerichtet war. Dadurch wurden die Grundsätze des fairen Verfahrens schon deshalb nicht verletzt, weil der Kläger auf die Monatsfrist und die Folgen eines Nichtbetreibens bereits am 23. August 2010 in einer für ihn verständlichen Sprache hingewiesen worden war. Weitergehende Übersetzungspflichten ergeben sich auch nicht aus Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG. Eines nochmaligen Hinweises auf die mit einer Verfahrenseinstellung einhergehende Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder 7 AufenthG bedurfte es schon deshalb nicht, weil bei Erlass der zweiten Betreibensaufforderung insoweit bereits eine negative Entscheidung vorlag.
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Materiell war die Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 auf eine Mitwirkungshandlung gerichtet, die im Gesetz eine Stütze findet (§ 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG). Denn durch sie wurde der Kläger neben der Pflicht zur Duldung der Abnahme von Fingerabdrücken lediglich darauf hingewiesen, im Vorfeld der geplanten Fingerabdrucknahme alle Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Auswertbarkeit seiner Fingerabdrücke beeinträchtigen oder vereiteln könnten. Die Erfüllung dieser von der Kernmitwirkungspflicht umfassten, gesetzesunmittelbaren Unterlassungspflicht war zur weiteren Durchführung des Asylverfahrens erforderlich, und es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, warum sie dem Kläger nicht möglich und zumutbar sein sollte.
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Auch insoweit fehlen jedoch tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts dazu, ob für diese Betreibensaufforderung ein hinreichender Anlass bestand. Sollte sich der Manipulationsverdacht des Bundesamts vom 23. August 2010 bestätigen, wäre auch der Erlass der Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 gerechtfertigt. Denn auch die - nach Angaben des Bundesamts am 8. September 2010 erfolgte - weitere Abnahme von Fingerabdrücken führte nach Aktenlage nicht zu einem auswertbaren Ergebnis.
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7. Der Verwaltungsgerichtshof wird nunmehr aufzuklären haben, ob ein hinreichender Anlass zum Erlass der beiden Betreibensaufforderungen bestand. Dabei wird er insbesondere aufklären müssen, ob bei der Abnahme der Fingerabdrücke am 23. August 2010 tatsächlich die in dem Vermerk vom gleichen Tag dokumentierten Anhaltspunkte für eine Manipulation der Fingerkuppen vorlagen und der Kläger hierfür keine nachvollziehbaren Gründe angegeben hat. Einer hautärztlichen Untersuchung bedarf es für die Annahme eines hinreichenden Anlasses für den Erlass einer Betreibensaufforderung in derartigen Fällen grundsätzlich nicht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Asylbewerber nachvollziehbare Gründe für eine Beschädigung seiner Fingerkuppen, deren besondere Glätte oder eine besonders geringe Ausprägung der Papillarleisten vorträgt. Dabei ist auch der Regenerationszeitraum der Hautzellen zu berücksichtigen, der nach den dem Revisionsgericht vorliegenden (allgemein zugänglichen) Quellen in der Regel vier Wochen beträgt (vgl. Moll, Dermatologie, 7. Aufl. 2010, S. 6 oben - "Turn-over-Zeit" von zweimal zwei Wochen). Bestätigt sich der Manipulationsverdacht, liegen die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Betreibensaufforderung zur schriftlichen Darlegung der Voraufenthalte und eventuellen Stellung von Asylanträgen vor. Da der Kläger keine entsprechenden Angaben gemacht hat, wäre das Asylverfahren dann bereits mit Ablauf eines Monats nach Zugang der Betreibensaufforderung vom 23. August 2010 eingestellt. Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass vor Erlass der ersten Betreibensaufforderung kein hinreichender Anlass bestand, wird es weiter zu prüfen haben, ob zumindest die zweite Betreibensaufforderung zu einer Einstellung des Verfahrens geführt hat. Das würde voraussetzen, dass für den Erlass dieser Betreibensaufforderung ein hinreichender Anlass bestand und der Kläger zur vollen Überzeugung des Gerichts das Verfahren infolge Manipulation seiner Fingerkuppen nicht betrieben hat. Für den Fall, dass die Klage im Hauptantrag keinen Erfolg hat, wird es schließlich auch über den Hilfsantrag des Klägers auf Feststellung von Abschiebungsverboten zu entscheiden haben.
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 24.10.2011 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
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Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
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Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (A 12 K 331/13) geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 29. September 2009 - A 6 K 3484/08 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 22. Mai 2013 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem die Unzulässigkeit eines von ihm in Deutschland gestellten Asylantrags festgestellt und die Abschiebung nach Italien angeordnet wird. Er begehrt die Ausübung des Selbsteintrittsrechts und die sachliche Prüfung des Asylantrags in Deutschland.
- 2
Der Kläger stellte am 2. August 2012 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Trier (Bundesamt) einen Asylantrag, nachdem er am 17. Juli 2012 als Asylbewerber erfasst worden war. Bei der Antragstellung gab er an, am 5. August 1988 in Mogadischu geboren zu sein und die somalische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Er sei Mitglied der Volksgruppe der Hawadle und sunnitischer Religionszugehörigkeit.
- 3
Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 29. August 2012 trug der Kläger vor, zwei Jahre lang als Schneider ausgebildet worden zu sein und diesen Beruf ein Jahr lang selbständig ausgeübt zu haben. Seine Schneiderei habe in der Nähe einer Fabrikruine gelegen, auf deren Gelände äthiopische Soldaten campiert hätten. Immer wieder seien diese von Mitgliedern der Al Shabaab attackiert worden. Auch die äthiopischen Soldaten hätten angegriffen. Die Al Shabaab sei zu ihm gekommen und habe gesagt, sie brauche Hilfe. Er habe nicht kämpfen wollen und sei im August 2008 geflohen. Hierzu habe er Mogadischu mit einem Kraftfahrzeug verlassen und sei über Addis Abeba und Khartum nach Tripolis gelangt, wo er am 18. November 2008 angekommen sei. Von dort aus sei er mit einem Boot nach Sizilien gefahren und am 25. Mai 2009 gelandet. Auf seinen Asylantrag hin habe er in Italien den Status eines subsidiär Schutzberechtigten erhalten. Danach habe er das Flüchtlingslager verlassen müssen und sei nach Florenz gegangen. Dort habe ihm die Caritas einmal am Tag etwas zu essen gegeben. Einen Monat lang habe er in einem verlassenen Haus ohne Wasser und Strom gelebt. Dann sei er insgesamt zwei Mal in die Niederlande gefahren und habe versucht, dort Asyl zu bekommen. Er sei aber jedesmal nach Italien zurückgeflogen worden. Die Polizisten am Flughafen Rom hätten ihm gesagt, er solle zum Bahnhof gehen. Dort seien viele Somalis gewesen, die ihn zur somalischen Botschaft in Rom gebracht hätten. Die Botschaft sei aufgegeben und von Flüchtlingen zum Übernachten genutzt worden. Es sei furchtbar dreckig gewesen und man habe krank werden können. Es habe Wasser, aber keinen Strom gegeben. Schließlich habe er sich auf den Weg nach Deutschland gemacht, wo er am 14. Juli 2012 angekommen sei.
- 4
Er sei krank. Er leide an einer schiefen Wirbelsäule und könne manchmal nicht gehen, außerdem habe er einen Vitamin-D-Mangel und eine Magenerkrankung. In Italien habe man ihm im Krankenhaus nur eine Schmerzspritze gegeben, weil er keinen Gesundheitsausweis habe vorzeigen können.
- 5
Die niederländischen Behörden wiesen ein Übernahmeersuchen der Beklagten zurück und teilten mit, dass sie den Kläger ihrerseits am 23. Dezember 2010 und 10. Oktober 2011 nach Italien überstellt hätten.
- 6
Auf entsprechenden Antrag vom 17. Dezember 2012 akzeptierten die italienischen Behörden mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 - Dublin-II-VO - ihre Zuständigkeit, wobei der Kläger dort mit syrischer Staatsangehörigkeit und dem Geburtsdatum 1. Januar 1988 geführt wurde, und stimmten einer Überstellung bis zum 20. Juni 2013 zu.
- 7
Vom 14. bis 24. Oktober 2012 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung wegen Schmerzen im Hüftbereich. Entzündliche sowie autoimmune Erkrankungen konnten laborchemisch ausgeschlossen werden. In einer Magnetresonanztomographie zeigten sich arthropische Veränderungen des Hüftgelenks. Es wurden eine ausgewogene eiweißreiche Ernährung und ambulante Krankengymnastik-Maßnahmen beziehungsweise Reha-Sport sowie eine ambulante psychiatrische Betreuung empfohlen. Am 6. und 7. Januar 2013 befand sich der Kläger wegen epigastrischer Schmerzen unklarer Genese erneut in stationärer Krankenhausbehandlung. Nachdem die Laborbefunde sowie eine Gastroskopie keine Auffälligkeiten aufwiesen und der Patient sich subjektiv beschwerdegebessert zeigte, wurde er ohne weitere Medikation entlassen. In privatärztlichen Attesten einer allgemeinmedizinischen Praxis vom 7. Februar 2013 und 29. Januar 2014 werden als Diagnosen Oberbauschschmerzen bei rezidivierender Gastritis, Lws-Syndrom, Coxalgie, Vitamin-D-Mangel und Mangelernährung bei Appetitlosigkeit aufgezählt. Der Patient sei auf regelmäßige medizinische Behandlung und Medikamente angewiesen. Eine Abschiebung nach Italien wäre mit einem hohen Risiko der Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbunden.
- 8
Mit Bescheid vom 13. Februar 2013 erklärte die Beklagte den Asylantrag des Klägers gemäß § 27a AsylVfG für unzulässig. Italien sei für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig und habe seine Zuständigkeit auch anerkannt. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich. Insbesondere hinderten die vorgelegten Atteste eine Überstellung des Klägers nach Italien nicht, denn in Italien habe der Kläger wie jeder italienischer Staatsbürger Zugang zum dortigen Gesundheitssystem.
- 9
Am 19. Februar 2013 hat der Kläger Klage erhoben. Die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens sei auf die Beklagte übergegangen, da der Übernahmeantrag an Italien erst nach Ablauf der Frist des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO gestellt worden sei. Im Übrigen dürfe der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Italien überstellt werden, weil er sich in ständiger ärztlicher Behandlung befinde. Schließlich sei die Beklagte zur Prüfung des Antrags verpflichtet, weil in Italien systemische Mängel im Asylverfahren herrschten. Die Mindeststandards in Bezug auf Unterbringung, soziale und medizinische Versorgung würden erheblich unterschritten. Das gelte insbesondere für Sizilien, wohin der Kläger abgeschoben werden sollte. Ihm drohte daher nach seiner Rückführung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ohne Perspektive auf Arbeit oder Obdach.
- 10
Der Kläger hat beantragt,
- 11
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Februar 2013 zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003 Gebrauch zu machen,
- 12
hilfsweise,
- 13
die Beklagte zu verpflichten, über die Ausübung des vorgenannten Selbsteintrittsrechts erneut zu entscheiden.
- 14
Die Beklagte hat beantragt,
- 15
die Klage abzuweisen.
- 16
Sie weist darauf hin, dass Personen mit Schutzstatus hinsichtlich der Unterbringung und der medizinischen Versorgung die gleichen Rechte genössen wie italienische Staatsangehörige. Damit seien Unterkunft und Wohnung in eigener Verantwortung zu besorgen. Die entsprechenden Kosten seien selbst zu tragen. Nach Meldung bei dem „Servizio Sanitario Nazionale“ erhielten Personen mit Schutzstatus eine „Tessera Sanitaria“, mit deren Hilfe Zugang zu allen ärztlichen Leistungen erfolge. Die Kosten der Behandlungen würden vom italienischen Staat getragen. Nach Auskunft der deutschen Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom sei die Gewährung dieser medizinischen Versorgung unabhängig von einem festen Wohnsitz. Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus erhielten, hätten das Recht zu arbeiten (guida practica per i titolari di protezione internazionale). Nach Auskunft der Liaisionbeamtin sei die Arbeitserlaubnis eigentlich an eine „residenza“, also einen festen Wohnsitz geknüpft. Viele Vereinigungen böten den betroffenen Personen aber ihre Adresse als Briefkastenadresse an. Schließlich habe der Kläger auch keine Krankheit substantiiert, die ihn reiseunfähig machen beziehungsweise besondere Lebens- oder Gesundheitsgefahren begründen würde.
- 17
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Mai 2013 abgewiesen. Die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Asylantrags ergebe sich aus Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-Verordnung, da Italien dem Kläger einen Aufenthaltstitel ausgestellt habe. Die Fristvorschriften des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO begründeten keine subjektiven Rechte, so dass es auf deren Versäumung nicht ankomme. Zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts sei die Beklagte nicht verpflichtet. Es sei nach Auswertung der vorliegenden Auskünfte, Gutachten sowie Berichte und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung weder zu befürchten, dass dem Kläger keine hinreichende soziale beziehungsweise medizinische Versorgung zugute käme, noch herrschten systemische Mängel im italienischen Asylverfahren, die befürchten ließen, dass dem Kläger in Italien eine menschenunwürdige Behandlung drohte.
- 18
Auf entsprechenden Antrag ließ der Senat die Berufung zu und untersagte der Beklagten mit Beschluss vom 19. Juni 2013, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchzuführen.
- 19
Der Kläger wiederholt und vertieft zur Begründung der Berufung seinen Vortrag aus dem Klageverfahren. Als Schutzberechtigtem stünde ihm weder Anspruch auf Unterkunft, noch auf staatliche Sozialleistungen zu. Er habe auch keinen Anspruch auf Integrationsmaßnahmen und könne allenfalls in ländlichen Gebieten zeitlich befristet und schlecht bezahlt als Erntehelfer arbeiten. Außerhalb von Rom habe er keine Möglichkeit, sich eine virtuelle Adresse geben zu lassen, so dass er vermutlich auch keinen Zugang zum Gesundheitssystem habe. In Not geratene italienische Staatsangehörige könnten in der Regel auf Hilfe durch die (Groß-) Familie hoffen. Diese Möglichkeit hätten Flüchtlinge nicht.
- 20
Der Kläger beantragt,
- 21
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Februar 2013 zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003 Gebrauch zu machen,
- 22
hilfsweise,
- 23
die Beklagte zu verpflichten, über die Ausübung des vorgenannten Selbsteintrittsrechts erneut zu entscheiden.
- 24
Die Beklagte beantragt,
- 25
die Berufung zurückzuweisen.
- 26
Sie macht sich im Wesentlichen eine Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern im vorliegenden Verfahren zu Eigen. Danach liegen außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, nicht vor. Italien erfülle seine Verpflichtung nach den Artikeln 20 bis 24 Genfer Flüchtlingskonvention, Flüchtlinge im Sozial- und Arbeitsrecht ebenso zu behandeln wie eigene Staatsangehörige. Eine Besserstellung von Asylbewerbern sei danach nicht vorgesehen. Aus dem Umstand, dass Italien kein ähnliches soziales Netz biete wie Deutschland und andere Mitgliedstaaten, könne nicht geschlossen werden, dass es sich von seiner Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention gelöst habe. Die von dem Kläger zitierten Gutachten ergäben keine neuen Erkenntnisse, insbesondere kein belastbares Zahlenmaterial darüber, welcher Anteil der Schutzberechtigten für wie lange tatsächlich der Obdachlosigkeit anheimgefallen sei.
- 27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte, die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 28
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Er hat keinen Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland. Die Beklagte ist weder nach den allgemeinen Regeln zuständig (I), noch besteht ein Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts (II). Daher ist auch die Abschiebungsanordnung nach Italien rechtlich nicht zu beanstanden (III).
I.
- 29
Die Frage, welcher Staat für das Asylverfahren des Klägers zuständig ist, bestimmt sich vorliegend nach den Regeln der Dublin-II-Verordnung (1). Danach ist Italien der zuständige Mitgliedstaat (2). Die Zuständigkeit ist nachträglich weder nach der Vorschrift des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO (3), noch nach der Vorschrift des Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-VO (4) auf die Beklagte übergegangen.
- 30
1. Im vorliegenden Fall kommt unbeschadet der Vorschrift des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch die Dublin-II-Verordnung und nicht die mittlerweile in Kraft getretene Nachfolgeverordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin-III-VO) zur Anwendung. Gemäß der Übergangsvorschrift des Art. 49 Dublin-III-VO gilt diese nämlich erst für Anträge auf Internationalen Schutz sowie Anträge der Mitgliedstaaten auf Aufnahme oder Wiederaufnahme, die nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurden. Vorliegend hat der Kläger seinen Asylantrag bei der Beklagten bereits im Jahr 2012 gestellt. Auch der Antrag auf Wiederaufnahme des Klägers wurde noch im Jahr 2012 gestellt und von Italien mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 akzeptiert.
- 31
2. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass Italien nach der Vorschrift des Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Danach fallen dem Mitgliedstaat die Pflichten zur Wiederaufnahme und abschließenden Prüfung eines Asylverfahrens zu, sofern er einem Antragsteller einen Aufenthaltstitel erteilt. Italien hat dem Kläger in Folge der Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter einen Aufenthaltstitel erteilt und diesen im Jahr 2012 nochmals verlängert.
- 32
3. Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach dieser Vorschrift sind Aufnahmegesuche an andere Mitgliedstaaten spätestens innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrags zu stellen. Wird das Gesuch nicht innerhalb dieser Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung zuständig.
- 33
Zum einen vermittelt diese Vorschrift dem Asylbewerber aber keine subjektiven Rechte, sondern dient als innerstaatliche Organisationsvorschrift in erster Linie der klaren und praktikablen Bestimmung der Zuständigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten (vgl. hierzu die Erwägungsgründe 3 und 16 der Verordnung). Im Vordergrund steht daher das Interesse, die Zuständigkeit zeitnah festzustellen und den Asylantrag durch einzig den zuständigen Mitgliedstaat prüfen zu lassen, nicht aber, die Prüfung einem ganz bestimmten Mitgliedstaat zuzusprechen, in dem der Antragsteller einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat.
- 34
Zum anderen ist die Vorschrift auf den vorliegenden Fall schon nicht anwendbar. Die Beklagte hat kein Aufnahmegesuch nach Art. 17, sondern ein Wiederaufnahmegesuch nach den Art. 16. Abs. 2, Abs. 1 lit. c), 20 Abs. 1 Dublin-II-VO gestellt. Für Wiederaufnahmegesuche sieht die Dublin-II-VO aber keine Frist vor.
- 35
4. Schließlich ist die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens auch nicht deshalb nach Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen, weil die Überstellung nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten erfolgt ist. Diese Frist beginnt gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) nämlich erst nach rechtskräftigem Abschluss eines Rechtsbehelfsverfahrens zu laufen, sofern diesem aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. EuGH, Urteil vom 29.01.2009 – C 19/08 –, Juris-Rn. 44 ff.; OVG Niedersachen, Urteil vom 04.07.2012 – 2 LB 163/10 – Juris-Rn. 36 m.w.Nw.). Vorliegend hatte der Senat noch vor Ablauf der Frist der Beklagten untersagt, den Kläger nach Italien abzuschieben.
II.
- 36
Es besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO.
- 37
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die mittlerweile ihren Niederschlag in Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO gefunden hat, kann ein Mitgliedstaat unter bestimmten Umständen dazu verpflichtet sein, von der Rückführung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen. Das ihm insofern eingeräumte Ermessen ist nämlich Teil des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats und stellt ein Element des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems dar. Bei der Ermessensausübung führt der Mitgliedstaat daher Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union aus. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Europäischen Grundrechtscharta, aber auch der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Art. 18 der Charta und Art. 78 AEUV). Die Mitgliedstaaten haben bei der Ausübung ihres Ermessens diese Grundsätze daher zu beachten (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011-0000, Rn. 68 ff.).
- 38
Dabei kann jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (sogenanntes Prinzip gegenseitigen Vertrauens beziehungsweise normativer Vergewisserung, vgl. grundlegend BVerfG, Urteil vom 15.05.1996, 2 BvR 1938/93, Juris-Rn. 179 ff.). Es gilt daher die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass das System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
- 39
Allerdings berührt nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat das in der Dublin-II- bzw. Dublin-III-Verordnung niedergelegte Zuständigkeitssystem. Der Europäische Gerichtshof macht deutlich, dass nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel steht (EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn. 83). Das Zuständigkeitssystem ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs deshalb nur dann auszusetzen, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Grundrechtecharta ausgesetzt zu sein (vgl. zum Ganzen EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn. 78 bis Rn. 106).
- 40
Anhaltspunkte dafür, wann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung anzunehmen ist, lassen sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK entnehmen, der mit Art. 4 der Europäischen Grundrechtecharta übereinstimmt. In seinem Urteil vom 21. Januar 2011 hat der Gerichtshof eine Überstellung nach Griechenland als nicht mit Art. 3 EMRK vereinbar angesehen, da die systematische Unterbringung von Asylbewerbern in Haftzentren ohne Angabe von Gründen eine weit verbreitete Praxis der griechischen Behörden sei. Es gebe auch zahlreiche übereinstimmende Zeugenaussagen zu überfüllten Zellen, Schlägen durch Polizisten und unhygienischen Bedingungen in dem Haftzentrum neben dem internationalen Flughafen von Athen. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer monatelang in extremer Armut gelebt habe und außer Stande gewesen sei, für seine Grundbedürfnisse - Nahrung, Hygieneartikel und eine Unterkunft - aufzukommen. Er sei über Abhilfemöglichkeiten nicht angemessen informiert worden und habe in der ständigen Angst gelebt, angegriffen beziehungsweise überfallen zu werden (Urteil vom 21.01.2011, M.S.S. gegen Belgien und Griechenland, Beschwerde-Nr. 30696/09, Rn. 226 und Rn. 254 ff.).
- 41
Der Senat kommt nach Auswertung der vorliegenden Gutachten, Auskünfte und Berichte und unter Würdigung des Vortrags des Klägers zu dem Ergebnis, dass das italienische Asylsystem nicht an systemischen Mängeln leidet, auf Grund derer dem Antragstellers nach seiner Rückführung eine menschenunwürdige Behandlung droht (ebenso OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.11.2013 - 4 L 44/13 -, OVG Nds, Beschluss vom 30.01.2014 - 4 LA 167/13 - und vom 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.10.2013 - OVG 3 S 40.13 - und vom 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 -; VG Oldenburg, Beschluss vom 21.01.2014 - 3 B 6802/13 -; VG Regensburg, Beschluss vom 18.12.2013 - RN 6 S 13.30720 -; VG Ansbach, Beschluss vom 18.09.2013 - An 2 K 13.30675 -; VG Meiningen, Urteil vom 26.06.2013 - 5 K 20096/13 Me -; VG Lüneburg, Urteil vom 04.06.2013 - 6 A 176/11 - (n.V.); VG Augsburg, Beschluss vom 19.12.2012 - Au 6 E 12.30377 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 07.09.2012 - 6 L 1480/12.A -; VG Osnabrück, Urteil vom 02.04.2012 - 5 A 309/11 - (n.V.) a.A. OVG NRW, Beschluss vom 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -; VG Gießen, Urteil vom 25.11.2013 - 1 K 844/11.GI.A -; VG Schwerin, Beschluss vom 13.11.2013 - 3 B 315/13 As -; VG Frankfurt, Urteil vom 09.07.2013 - 7 K 560/11.F.A. -; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16.05.2013 - 5a L 547/13.A -; VG Köln, Beschluss vom 07.05.2013 - 20 L 613/13.A, soweit veröffentlicht zitiert nach Juris).
- 42
Italien verfügt über ein planvolles und ausdifferenziertes Asylsystem (a). Dieses System leidet zwar an Mängeln (b), nicht aber an systemischen Mängel (c). Das gilt auch für Personen mit Schutzstatus (d).
- 43
(a) Zunächst ist festzuhalten, dass Italien über ein planvolles und ausdifferenziertes Aufnahmesystem für Asylbewerber verfügt, das in zwei Phasen gegliedert ist. Nach Stellung des Asylantrags ist die Unterbringung in Aufnahmezentren für Asylsuchende, den sogenannten CARA (Centri di Accoglienza per Richiedenti Asilo) vorgesehen. Die maximale Aufenthaltsdauer dort soll grundsätzlich 35 Tage betragen. Daneben gibt es noch Aufnahmeeinrichtungen für Migranten, die keine Asylsuchenden sind, die so genannten CDA (Centri di Accoglienza). Diese werden in der Praxis ebenfalls für die Erstaufnahme von Asylsuchenden verwendet. In der zweiten Phase sollen die Antragsteller in einer Einrichtung des Aufnahmesystems SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati) untergebracht werden. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk von Unterkünften, das auf einer Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium, den Gemeinden und verschiedenen NGOs basiert. Die SPRAR-Projekte umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche. Die Aufenthaltsdauer im einem SPRAR beträgt normalerweise 6 Monate und kann bis zu einem Jahr verlängert werden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 22 ff.).
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Endet das Asylverfahren mit der Zuerkennung eines Schutzstatus, werden den Schutzsuchenden Aufenthaltsberechtigungen („permessi die soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien formal dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige. Sie haben freien Zugang zum Arbeitsmarkt und kostenfreien Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Freiburg vom 11.07.2012). In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden sie nicht mehr aufgenommen. In Einrichtungen des SPRAR können sie Unterkunft finden, sofern sie die vorgesehene maximale Aufenthaltsdauer noch nicht ausgeschöpft haben und ein Platz frei ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 22 und S. 25; borderline-europe e.V., Gutachten zum Beweisbeschluss des VG Braunschweig vom 28.09.2012, S. 50).
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(b) In der Praxis litt - und leidet - das italienische Aufnahmesystem an Mängeln. Die Berichtslage zeigt übereinstimmen, dass es insbesondere auf die sehr hohen Antragszahlen in den Jahren 2008 und 2011 nicht ausreichend vorbereitet war (Bethke & Bender, Zur Situation von Flüchtlingen in Italien - Bericht über die Recherchereise nach Rom und Turin im Oktober 2010 -; Schweizer Flüchtlingshilfe/Juss-Buss: Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und „Dublin-Rückkehrern“, Bericht vom Mai 2011; borderline-europe/Judith Gleitze: Zur Lage von Asylsuchenden und „Dublin-Rückkehrern“, Stellungnahme vom Dezember 2012; Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Darmstadt vom 29.11.2011 und an VG Braunschweig vom 09.12.2011). In der Folge verlängerten sich die Verfahrenszeiten deutlich über die vorgesehenen Fristen hinaus. Die zeitliche Lücke zwischen der Stellung des Asylantrags und dessen formeller Registrierung (verbalizzazione) führte zu der Gefahr der Obdachlosigkeit, da in der Praxis Zugang zu den Erstaufnahmeeinrichtungen erst ab dem Zeitpunkt der Registrierung gewährt wurde (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 12). Zudem waren die Aufnahmekapazitäten der staatlicherseits zur Verfügung gestellten Plätze überlastet. Für Personen mit Schutzstatus bedeutete dies, dass sie Schwierigkeiten hatten, im SPRAR-Aufnahmesystem unterzukommen, auch wenn sie die maximale Verweildauer noch nicht ausgeschöpft hatten. Hinzu kam die wirtschaftliche schwierige Lage, in der sich auch Italien nach der Wirtschaftskrise befand und noch befindet. Nach den Informationen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe lebt vor allem in Rom eine ganz erhebliche Zahl von Asylbewerbern und Personen mit Schutzstatus (die Schätzungen sprechen von 1.200 bis 1.700) in Slums oder besetzten Häusern (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, a.a.O., S. 36).
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(c) Diese Mängel begründen aber keine systemischen Mängel im oben dargestellten Sinne. Dabei versteht der Senat unter systemischen Mängeln solche, die entweder bereits im System selbst angelegt sind und von denen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar betroffen sind oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem faktisch in weiten Teilen funktionsunfähig wird. Nach Auswertung der vorliegenden Auskünfte kommt der Senat zu der Überzeugung, dass die systembedingten Missstände von den italienischen Behörden angegangen werden und sich die Situation deshalb verbessert hat und aller Voraussicht nach weiter verbessern wird. Außerdem ist festzustellen, dass die Zustände punktuell, aber nicht flächendeckend unzureichend sind, so dass nicht davon gesprochen werden kann, dass das Asyl- und Aufnahmesystem faktisch außer Kraft gesetzt ist.
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Ein im System angelegter Mangel ist die Tatsache, dass der Zugang zum Erstaufnahmesystem offensichtlich von der Registrierung (verbalizzazione) abhängt und dies bei einer Verzögerung des Verfahrens zur Obdachlosigkeit führen kann. Allerdings hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 eine Weisung herausgegeben, wonach die Registrierung zeitlich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Auch die Überlastung des Aufnahmesystems nimmt Italien nicht tatenlos hin. Auf die hohen Asylbewerberzahlen im Jahr 2011 reagierte das Land zunächst mit einem Notstandskonzept, bei dem unter Führung des Zivilschutzes (Protezione Civile) Aufnahmestrukturen in der Größenordnung von 26.000 Plätzen bereitgestellt wurden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013; UNHCR an VG Braunschweig, S. 3; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 9). Daneben wurden und werden die Plätze, die im SPRAR-Projekt zur Verfügung stehen, in erheblichem Umfang aufgestockt (siehe zur Bedeutung dieser Plätze für das Aufnahmesystem den Report von Nils Muižnieks, Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, 18.09.2012, Abs. 152). Standen ursprünglich 3.000 Plätze zur Verfügung, waren es Anfang Juni 2013 bereits 4.800 Plätze, wobei hierzu auch bereits vorhandene Unterkunftsplätze gezählt wurden, die um die im SPRAR-System vorgesehen Integrationsleistungen ergänzt wurden. Aufgrund eines im September 2013 erlassenen Dekrets des Innenministeriums soll die Kapazität im Zeitraum 2014 bis 2016 nochmals auf insgesamt 16.000 Plätze erhöht werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22). Außerdem wurde ein neues Informatiksystem „Vestanet“ eingeführt, das ebenfalls zu einer Verbesserung des Verfahrens beitragen soll (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). In seiner Antwort an das Verwaltungsgericht Braunschweig vom 24. April 2012 hat der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen ausdrücklich anerkannt, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben. Gleiches gilt für die Auskunft des Auswärtige Amtes vom 21. Januar 2013 an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt.
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Der Senat geht außerdem davon aus, dass die aufgezeigten Missstände in bestimmten Städten und Regionen auftreten, die Funktionsfähigkeit des Asyl- und Aufnahmesystems aber nicht insgesamt in Frage stellen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Aufklärungsreisen die Problemschwerpunkte in den Blick nehmen (so ausdrücklich der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe mit Schwerpunkt Rom und Mailand, S. 1; in der Sache nicht anders der Bericht von Maria Bethke & Dominik Bender mit Schwerpunkt Rom und Turin; Gutachten von borderline-europe e.V. mit Schwerpunkt Rom und Sizilien). Diese Situationen sind aber nicht ohne Weiteres verallgemeinerbar. So geht der UNHCR, dessen Dokumente bei der Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften von besonderer Relevanz sind (vgl. EuGH, Urteil vom 30.05.2013 - C-528/11 - Rn. 44), in seiner Antwort an das Verwaltungsgericht Braunschweig davon aus, dass die CARA, CDA und SPRAR-Projekte in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl an Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR an VG Braunschweig vom 24. April 2012, S. 3). Anders als im Falle Griechenlands oder jüngst Bulgariens (UNHCR Briefing Notes vom 03.01.2014) hat der UNHCR bislang in keiner seiner Stellungnahmen eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten ausgesprochen, Überstellungen nach Italien nicht mehr vorzunehmen (siehe zuletzt UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, July 2013). Auch die Auskünfte des Auswärtigen Amtes sprechen gegen die Annahme eines systemischen Mangels des italienischen Asylsystems. Sie basieren auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR und UNHCR in Rom, grenzpolizeilicher Verbindungsbeamter der Bundespolizei im italienischen Innenministerium, Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Landesamtes ISTAT, Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen sowie Informationen des SPRAR und sind daher geeignet, einen Überblick über die Situation im Land zu geben. Nach der Auskunft an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt konnten seinerzeit (Januar 2013) alle Asylbewerber und Flüchtlinge in öffentlichen Zentren untergebracht werden. Gegebenenfalls gebe es lokale und regionale Überbelegungen, italienweit seien aber genügen Plätze vorhanden. Insbesondere in Norditalien seien die Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Zusätzlich zu den staatlichen/öffentlichen Einrichtungen gebe es kommunale und karitative Einrichtungen, so dass meist ein Unterbringungsplatz in der Nähe gefunden werden könne. Es sei nicht davon auszugehen, dass Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz fänden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos auf der Straße oder in Elendsquartieren leben müssten.
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(d) Mit Blick auf den hier vorliegenden Fall ist weiter festzuhalten, dass sich aus der Auskunftslage auch keine systemischen Mängel für Personen ergeben, denen bereits ein Schutzstatus zugesprochen wurde. Die mit der Anerkennung verbundene Erteilung eines Aufenthaltsrechts (permession di soggiorno) bedeutet in der Praxis, dass sich die Personen mit Schutzstatus grundsätzlich selbst um eine Unterkunft und eine Arbeit kümmern müssen. Sie können nicht mehr in CARA unterkommen, da diese nur Asylbewerbern offenstehen. Sie können sich aber für Plätze im SPRAR-System bewerben, sofern sie die maximale Verweildauer noch nicht überschritten haben. Tatsächlich wird eine große Zahl der Plätze im SPRAR-System von Personen mit Schutzstatus belegt. Allerdings bestehen zum Teil lange Wartezeiten (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22). Hier dürfte die geplante Ausweitung der SPRAR-Plätze eine deutliche Entlastung bringen. Daneben bieten die Gemeinden Unterkünfte an. Jedenfalls in Rom betrug die durchschnittliche Wartezeit auf einen solchen Platz allerdings drei Monate und in Mailand einen bis drei Monate (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27 und S. 30). Schließlich können sich Personen mit Schutzstatus, die keine Unterkunft finden, an kirchliche Organisationen und Nichtregierungsorganisationen wie die Caritas oder das Consiglio Italiano per i Rifugiati wenden (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 an das OVG des Landes Sachsen-Anhalt). Verlässliche Zahlen, wie viele Schutzberechtigte von keiner dieser Möglichkeiten Gebrauch machen können und letztlich obdachlos werden, fehlen. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist im Regelfall oder gar überwiegend aber nicht davon auszugehen, dass Flüchtlinge in Italien beziehungsweise Rückkehrer nach der Dublin-II-Verordnung dort unter Verhältnissen leben müssen, welche man gemeinhin als „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums (Betteln, Leben auf der Straße etc.)“ bezeichnen könne. Hierbei handle es sich eher um Einzelfälle (Auswärtiges Amtes an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
- 50
In Italien gibt es auch für italienische Staatsangehörige kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Lebensunterhaltssicherung vor dem 65. Lebensjahr. Die Zuständigkeit für die Festsetzung von Sozialhilfeleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen wird die Höhe des Sozialgeldes durch die Kommune festgesetzt. Öffentliche Fürsorgeleistungen weisen daher deutliche Unterschiede je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft auf (Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern im vorliegenden Fall; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 48).
- 51
Auch wenn sich die Situation damit deutlich schlechter und unsicherer darstellt als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet dies für sich genommen keinen systemischen Mangel. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ausdrücklich festgehalten, dass Art. 3 EMRK die Vertragsparteien nicht verpflichte, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen. Die Norm enthalte auch keine allgemeine Pflicht, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmen Lebensstandard zu bieten. Ausländer, die von einer Ausweisung betroffen seien, gewähre die Konvention grundsätzlich keinen Anspruch mit dem Ziel, im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates zu verbleiben, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren, die vom ausweisenden Staat zur Verfügung gestellt werde. Wenn keine außergewöhnlichen zwingenden humanitären Gründe vorlägen, die gegen eine Ausweisung sprächen, sei allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse des Antragstellers bedeutend geschmälert würden, falls er oder sie ausgewiesen würde, nicht ausreichend, einen Verstoß gegen Art. 3 EMR zu begründen (Beschluss vom 02.04.2013, Mohammed Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien, a.a.O. Rn. 70 f.).
- 52
Keine systematischen Mängel bestehen schließlich auch im Hinblick auf den Zugang zum Gesundheitssystem. Personen mit Schutzstatus sind in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt. Die Anmeldung beim Nationalen Gesundheitsdienst ermöglicht die Ausstellung eines Gesundheitsausweises, der zur Behandlung bei einem praktischen Arzt, Kinderarzt, in Ambulanzen und zur Aufnahme in ein Krankenhaus berechtigt. Hierzu benötigen Schutzberechtigte den Aufenthaltstitel, die Steuernummer sowie eine feste Adresse. Personen ohne festen Wohnsitz können sich zumindest in Rom unter Sammeladressen karitativer Einrichtungen melden, die von den Behörden akzeptiert werden. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten. Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (Auswärtiges Amt an OVG des Landes Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
- 53
(e) Die Einschätzung, dass das italienische Asylsystem nicht an systemischen Mängeln leidet, wird durch die jüngere Rechtsprechung des Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigt. In seinem Beschluss vom 2. April 2013 hat er die Überstellung der dortigen Beschwerdeführerin, der - wie dem Kläger - in Italien bereits ein Schutzstatus zugesprochen worden war, mit Art. 3 EMRK für vereinbar gehalten. Dabei hat er - neben der konkreten Situation der Antragstellerin - eine Vielzahl von Stellungnahmen sowie Berichten von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen über die generelle Situation in Italien ausgewertet. Er kommt nach ausführlicher Würdigung der festzustellenden Mängel - und keineswegs nur unter Bezug auf den ihm vorgelegten konkreten Sachverhalt - zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen (Beschluss vom 02.04.2013, Mohammed Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien, Rn. 70 ff., in Teilen übersetzt von Wischrath, ZAR 2013, 336, besprochen von Thym in ZAR 2013, 331; siehe auch Hailbronner, AuslR, Dezember 2013, § 34a Rn. 29 f.; ebenso Beschluss vom 18.06.2013, Halimi gegen Österreich und Italien, Rn. 68, in Teilen übersetzt von Wischrath, ZAR 2013, 338). Diese Einschätzung hat er jüngst nochmals ausdrücklich bestätigt (Beschluss vom 10.09.2013 - Nr. 2314/10 -, Hussein Diirshi u.a. gegen Niederlande und Italien, zitiert nach HUDOC).
- 54
(f) Es sind auch keine besonderen Umstände des Einzelfalles ersichtlich, die befürchten ließen, dass gerade dem Kläger in Italien eine mit Art. 4 der Grundrechtecharta nicht vereinbare Behandlung drohen würde. Er leidet insbesondere nicht an außerordentlich schweren oder seltenen Krankheiten, deren Behandlung in Italien nicht möglich erschiene. Nach seiner Schilderung bekam er in Italien in Notfallsituationen zumindest Schmerzmittel verabreicht. Die Probleme bei einer weiterführenden Behandlung resultierten offenbar daraus, dass er mangels festen Wohnsitzes keine Gesundheitskarte beantragt hat. Dem hätte der Kläger nach der Auskunftslage aber zumindest in Rom dadurch abhelfen können, dass er sich bei einer gemeinnützigen Organisation eine fiktive Meldeadresse hätte geben lassen. Aus den Angaben des Klägers lässt sich außerdem schließen, dass er noch keinen Platz im SPRAR-System beansprucht hat. Damit steht ihm nach seiner Rückkehr die Möglichkeit offen, sich für einen solchen Platz zu bewerben. Auf die von dem Kläger zuletzt aufgeworfene Frage, ob die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013 zutrifft, nach der alle im Rahmen der Dublin-Verordnung zurückgeführten Personen von der Questura in eine Unterkunft verteilt werden, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Diese Auskunft dürfte sich auf Personen ohne Schutzstatus bezogen haben, die - wie oben dargestellt - ohnehin einem anderen Aufnahmeregime unterfallen.
III.
- 55
Die Abschiebungsanordnung ist nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies ist der Fall, nachdem Italien seine Zuständigkeit akzeptiert hat und der Abschiebung keine relevanten Hindernisgründe entgegenstehen.
IV.
- 56
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
- 57
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
- 58
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen. Streitentscheidend ist vorliegend die Würdigung der tatsächlichen Umstände in Italien.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 29. September 2009 - A 6 K 3484/08 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (A 12 K 331/13) geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 22. Mai 2013 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem die Unzulässigkeit eines von ihm in Deutschland gestellten Asylantrags festgestellt und die Abschiebung nach Italien angeordnet wird. Er begehrt die Ausübung des Selbsteintrittsrechts und die sachliche Prüfung des Asylantrags in Deutschland.
- 2
Der Kläger stellte am 2. August 2012 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Trier (Bundesamt) einen Asylantrag, nachdem er am 17. Juli 2012 als Asylbewerber erfasst worden war. Bei der Antragstellung gab er an, am 5. August 1988 in Mogadischu geboren zu sein und die somalische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Er sei Mitglied der Volksgruppe der Hawadle und sunnitischer Religionszugehörigkeit.
- 3
Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 29. August 2012 trug der Kläger vor, zwei Jahre lang als Schneider ausgebildet worden zu sein und diesen Beruf ein Jahr lang selbständig ausgeübt zu haben. Seine Schneiderei habe in der Nähe einer Fabrikruine gelegen, auf deren Gelände äthiopische Soldaten campiert hätten. Immer wieder seien diese von Mitgliedern der Al Shabaab attackiert worden. Auch die äthiopischen Soldaten hätten angegriffen. Die Al Shabaab sei zu ihm gekommen und habe gesagt, sie brauche Hilfe. Er habe nicht kämpfen wollen und sei im August 2008 geflohen. Hierzu habe er Mogadischu mit einem Kraftfahrzeug verlassen und sei über Addis Abeba und Khartum nach Tripolis gelangt, wo er am 18. November 2008 angekommen sei. Von dort aus sei er mit einem Boot nach Sizilien gefahren und am 25. Mai 2009 gelandet. Auf seinen Asylantrag hin habe er in Italien den Status eines subsidiär Schutzberechtigten erhalten. Danach habe er das Flüchtlingslager verlassen müssen und sei nach Florenz gegangen. Dort habe ihm die Caritas einmal am Tag etwas zu essen gegeben. Einen Monat lang habe er in einem verlassenen Haus ohne Wasser und Strom gelebt. Dann sei er insgesamt zwei Mal in die Niederlande gefahren und habe versucht, dort Asyl zu bekommen. Er sei aber jedesmal nach Italien zurückgeflogen worden. Die Polizisten am Flughafen Rom hätten ihm gesagt, er solle zum Bahnhof gehen. Dort seien viele Somalis gewesen, die ihn zur somalischen Botschaft in Rom gebracht hätten. Die Botschaft sei aufgegeben und von Flüchtlingen zum Übernachten genutzt worden. Es sei furchtbar dreckig gewesen und man habe krank werden können. Es habe Wasser, aber keinen Strom gegeben. Schließlich habe er sich auf den Weg nach Deutschland gemacht, wo er am 14. Juli 2012 angekommen sei.
- 4
Er sei krank. Er leide an einer schiefen Wirbelsäule und könne manchmal nicht gehen, außerdem habe er einen Vitamin-D-Mangel und eine Magenerkrankung. In Italien habe man ihm im Krankenhaus nur eine Schmerzspritze gegeben, weil er keinen Gesundheitsausweis habe vorzeigen können.
- 5
Die niederländischen Behörden wiesen ein Übernahmeersuchen der Beklagten zurück und teilten mit, dass sie den Kläger ihrerseits am 23. Dezember 2010 und 10. Oktober 2011 nach Italien überstellt hätten.
- 6
Auf entsprechenden Antrag vom 17. Dezember 2012 akzeptierten die italienischen Behörden mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 - Dublin-II-VO - ihre Zuständigkeit, wobei der Kläger dort mit syrischer Staatsangehörigkeit und dem Geburtsdatum 1. Januar 1988 geführt wurde, und stimmten einer Überstellung bis zum 20. Juni 2013 zu.
- 7
Vom 14. bis 24. Oktober 2012 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung wegen Schmerzen im Hüftbereich. Entzündliche sowie autoimmune Erkrankungen konnten laborchemisch ausgeschlossen werden. In einer Magnetresonanztomographie zeigten sich arthropische Veränderungen des Hüftgelenks. Es wurden eine ausgewogene eiweißreiche Ernährung und ambulante Krankengymnastik-Maßnahmen beziehungsweise Reha-Sport sowie eine ambulante psychiatrische Betreuung empfohlen. Am 6. und 7. Januar 2013 befand sich der Kläger wegen epigastrischer Schmerzen unklarer Genese erneut in stationärer Krankenhausbehandlung. Nachdem die Laborbefunde sowie eine Gastroskopie keine Auffälligkeiten aufwiesen und der Patient sich subjektiv beschwerdegebessert zeigte, wurde er ohne weitere Medikation entlassen. In privatärztlichen Attesten einer allgemeinmedizinischen Praxis vom 7. Februar 2013 und 29. Januar 2014 werden als Diagnosen Oberbauschschmerzen bei rezidivierender Gastritis, Lws-Syndrom, Coxalgie, Vitamin-D-Mangel und Mangelernährung bei Appetitlosigkeit aufgezählt. Der Patient sei auf regelmäßige medizinische Behandlung und Medikamente angewiesen. Eine Abschiebung nach Italien wäre mit einem hohen Risiko der Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbunden.
- 8
Mit Bescheid vom 13. Februar 2013 erklärte die Beklagte den Asylantrag des Klägers gemäß § 27a AsylVfG für unzulässig. Italien sei für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig und habe seine Zuständigkeit auch anerkannt. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich. Insbesondere hinderten die vorgelegten Atteste eine Überstellung des Klägers nach Italien nicht, denn in Italien habe der Kläger wie jeder italienischer Staatsbürger Zugang zum dortigen Gesundheitssystem.
- 9
Am 19. Februar 2013 hat der Kläger Klage erhoben. Die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens sei auf die Beklagte übergegangen, da der Übernahmeantrag an Italien erst nach Ablauf der Frist des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO gestellt worden sei. Im Übrigen dürfe der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Italien überstellt werden, weil er sich in ständiger ärztlicher Behandlung befinde. Schließlich sei die Beklagte zur Prüfung des Antrags verpflichtet, weil in Italien systemische Mängel im Asylverfahren herrschten. Die Mindeststandards in Bezug auf Unterbringung, soziale und medizinische Versorgung würden erheblich unterschritten. Das gelte insbesondere für Sizilien, wohin der Kläger abgeschoben werden sollte. Ihm drohte daher nach seiner Rückführung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ohne Perspektive auf Arbeit oder Obdach.
- 10
Der Kläger hat beantragt,
- 11
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Februar 2013 zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003 Gebrauch zu machen,
- 12
hilfsweise,
- 13
die Beklagte zu verpflichten, über die Ausübung des vorgenannten Selbsteintrittsrechts erneut zu entscheiden.
- 14
Die Beklagte hat beantragt,
- 15
die Klage abzuweisen.
- 16
Sie weist darauf hin, dass Personen mit Schutzstatus hinsichtlich der Unterbringung und der medizinischen Versorgung die gleichen Rechte genössen wie italienische Staatsangehörige. Damit seien Unterkunft und Wohnung in eigener Verantwortung zu besorgen. Die entsprechenden Kosten seien selbst zu tragen. Nach Meldung bei dem „Servizio Sanitario Nazionale“ erhielten Personen mit Schutzstatus eine „Tessera Sanitaria“, mit deren Hilfe Zugang zu allen ärztlichen Leistungen erfolge. Die Kosten der Behandlungen würden vom italienischen Staat getragen. Nach Auskunft der deutschen Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom sei die Gewährung dieser medizinischen Versorgung unabhängig von einem festen Wohnsitz. Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus erhielten, hätten das Recht zu arbeiten (guida practica per i titolari di protezione internazionale). Nach Auskunft der Liaisionbeamtin sei die Arbeitserlaubnis eigentlich an eine „residenza“, also einen festen Wohnsitz geknüpft. Viele Vereinigungen böten den betroffenen Personen aber ihre Adresse als Briefkastenadresse an. Schließlich habe der Kläger auch keine Krankheit substantiiert, die ihn reiseunfähig machen beziehungsweise besondere Lebens- oder Gesundheitsgefahren begründen würde.
- 17
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Mai 2013 abgewiesen. Die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Asylantrags ergebe sich aus Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-Verordnung, da Italien dem Kläger einen Aufenthaltstitel ausgestellt habe. Die Fristvorschriften des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO begründeten keine subjektiven Rechte, so dass es auf deren Versäumung nicht ankomme. Zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts sei die Beklagte nicht verpflichtet. Es sei nach Auswertung der vorliegenden Auskünfte, Gutachten sowie Berichte und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung weder zu befürchten, dass dem Kläger keine hinreichende soziale beziehungsweise medizinische Versorgung zugute käme, noch herrschten systemische Mängel im italienischen Asylverfahren, die befürchten ließen, dass dem Kläger in Italien eine menschenunwürdige Behandlung drohte.
- 18
Auf entsprechenden Antrag ließ der Senat die Berufung zu und untersagte der Beklagten mit Beschluss vom 19. Juni 2013, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchzuführen.
- 19
Der Kläger wiederholt und vertieft zur Begründung der Berufung seinen Vortrag aus dem Klageverfahren. Als Schutzberechtigtem stünde ihm weder Anspruch auf Unterkunft, noch auf staatliche Sozialleistungen zu. Er habe auch keinen Anspruch auf Integrationsmaßnahmen und könne allenfalls in ländlichen Gebieten zeitlich befristet und schlecht bezahlt als Erntehelfer arbeiten. Außerhalb von Rom habe er keine Möglichkeit, sich eine virtuelle Adresse geben zu lassen, so dass er vermutlich auch keinen Zugang zum Gesundheitssystem habe. In Not geratene italienische Staatsangehörige könnten in der Regel auf Hilfe durch die (Groß-) Familie hoffen. Diese Möglichkeit hätten Flüchtlinge nicht.
- 20
Der Kläger beantragt,
- 21
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Februar 2013 zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003 Gebrauch zu machen,
- 22
hilfsweise,
- 23
die Beklagte zu verpflichten, über die Ausübung des vorgenannten Selbsteintrittsrechts erneut zu entscheiden.
- 24
Die Beklagte beantragt,
- 25
die Berufung zurückzuweisen.
- 26
Sie macht sich im Wesentlichen eine Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern im vorliegenden Verfahren zu Eigen. Danach liegen außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, nicht vor. Italien erfülle seine Verpflichtung nach den Artikeln 20 bis 24 Genfer Flüchtlingskonvention, Flüchtlinge im Sozial- und Arbeitsrecht ebenso zu behandeln wie eigene Staatsangehörige. Eine Besserstellung von Asylbewerbern sei danach nicht vorgesehen. Aus dem Umstand, dass Italien kein ähnliches soziales Netz biete wie Deutschland und andere Mitgliedstaaten, könne nicht geschlossen werden, dass es sich von seiner Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention gelöst habe. Die von dem Kläger zitierten Gutachten ergäben keine neuen Erkenntnisse, insbesondere kein belastbares Zahlenmaterial darüber, welcher Anteil der Schutzberechtigten für wie lange tatsächlich der Obdachlosigkeit anheimgefallen sei.
- 27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte, die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 28
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Er hat keinen Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland. Die Beklagte ist weder nach den allgemeinen Regeln zuständig (I), noch besteht ein Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts (II). Daher ist auch die Abschiebungsanordnung nach Italien rechtlich nicht zu beanstanden (III).
I.
- 29
Die Frage, welcher Staat für das Asylverfahren des Klägers zuständig ist, bestimmt sich vorliegend nach den Regeln der Dublin-II-Verordnung (1). Danach ist Italien der zuständige Mitgliedstaat (2). Die Zuständigkeit ist nachträglich weder nach der Vorschrift des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO (3), noch nach der Vorschrift des Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-VO (4) auf die Beklagte übergegangen.
- 30
1. Im vorliegenden Fall kommt unbeschadet der Vorschrift des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch die Dublin-II-Verordnung und nicht die mittlerweile in Kraft getretene Nachfolgeverordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin-III-VO) zur Anwendung. Gemäß der Übergangsvorschrift des Art. 49 Dublin-III-VO gilt diese nämlich erst für Anträge auf Internationalen Schutz sowie Anträge der Mitgliedstaaten auf Aufnahme oder Wiederaufnahme, die nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurden. Vorliegend hat der Kläger seinen Asylantrag bei der Beklagten bereits im Jahr 2012 gestellt. Auch der Antrag auf Wiederaufnahme des Klägers wurde noch im Jahr 2012 gestellt und von Italien mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 akzeptiert.
- 31
2. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass Italien nach der Vorschrift des Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Danach fallen dem Mitgliedstaat die Pflichten zur Wiederaufnahme und abschließenden Prüfung eines Asylverfahrens zu, sofern er einem Antragsteller einen Aufenthaltstitel erteilt. Italien hat dem Kläger in Folge der Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter einen Aufenthaltstitel erteilt und diesen im Jahr 2012 nochmals verlängert.
- 32
3. Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach dieser Vorschrift sind Aufnahmegesuche an andere Mitgliedstaaten spätestens innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrags zu stellen. Wird das Gesuch nicht innerhalb dieser Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung zuständig.
- 33
Zum einen vermittelt diese Vorschrift dem Asylbewerber aber keine subjektiven Rechte, sondern dient als innerstaatliche Organisationsvorschrift in erster Linie der klaren und praktikablen Bestimmung der Zuständigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten (vgl. hierzu die Erwägungsgründe 3 und 16 der Verordnung). Im Vordergrund steht daher das Interesse, die Zuständigkeit zeitnah festzustellen und den Asylantrag durch einzig den zuständigen Mitgliedstaat prüfen zu lassen, nicht aber, die Prüfung einem ganz bestimmten Mitgliedstaat zuzusprechen, in dem der Antragsteller einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat.
- 34
Zum anderen ist die Vorschrift auf den vorliegenden Fall schon nicht anwendbar. Die Beklagte hat kein Aufnahmegesuch nach Art. 17, sondern ein Wiederaufnahmegesuch nach den Art. 16. Abs. 2, Abs. 1 lit. c), 20 Abs. 1 Dublin-II-VO gestellt. Für Wiederaufnahmegesuche sieht die Dublin-II-VO aber keine Frist vor.
- 35
4. Schließlich ist die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens auch nicht deshalb nach Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen, weil die Überstellung nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten erfolgt ist. Diese Frist beginnt gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) nämlich erst nach rechtskräftigem Abschluss eines Rechtsbehelfsverfahrens zu laufen, sofern diesem aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. EuGH, Urteil vom 29.01.2009 – C 19/08 –, Juris-Rn. 44 ff.; OVG Niedersachen, Urteil vom 04.07.2012 – 2 LB 163/10 – Juris-Rn. 36 m.w.Nw.). Vorliegend hatte der Senat noch vor Ablauf der Frist der Beklagten untersagt, den Kläger nach Italien abzuschieben.
II.
- 36
Es besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO.
- 37
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die mittlerweile ihren Niederschlag in Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO gefunden hat, kann ein Mitgliedstaat unter bestimmten Umständen dazu verpflichtet sein, von der Rückführung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen. Das ihm insofern eingeräumte Ermessen ist nämlich Teil des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats und stellt ein Element des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems dar. Bei der Ermessensausübung führt der Mitgliedstaat daher Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union aus. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Europäischen Grundrechtscharta, aber auch der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Art. 18 der Charta und Art. 78 AEUV). Die Mitgliedstaaten haben bei der Ausübung ihres Ermessens diese Grundsätze daher zu beachten (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011-0000, Rn. 68 ff.).
- 38
Dabei kann jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (sogenanntes Prinzip gegenseitigen Vertrauens beziehungsweise normativer Vergewisserung, vgl. grundlegend BVerfG, Urteil vom 15.05.1996, 2 BvR 1938/93, Juris-Rn. 179 ff.). Es gilt daher die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass das System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
- 39
Allerdings berührt nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat das in der Dublin-II- bzw. Dublin-III-Verordnung niedergelegte Zuständigkeitssystem. Der Europäische Gerichtshof macht deutlich, dass nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel steht (EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn. 83). Das Zuständigkeitssystem ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs deshalb nur dann auszusetzen, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Grundrechtecharta ausgesetzt zu sein (vgl. zum Ganzen EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn. 78 bis Rn. 106).
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Anhaltspunkte dafür, wann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung anzunehmen ist, lassen sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK entnehmen, der mit Art. 4 der Europäischen Grundrechtecharta übereinstimmt. In seinem Urteil vom 21. Januar 2011 hat der Gerichtshof eine Überstellung nach Griechenland als nicht mit Art. 3 EMRK vereinbar angesehen, da die systematische Unterbringung von Asylbewerbern in Haftzentren ohne Angabe von Gründen eine weit verbreitete Praxis der griechischen Behörden sei. Es gebe auch zahlreiche übereinstimmende Zeugenaussagen zu überfüllten Zellen, Schlägen durch Polizisten und unhygienischen Bedingungen in dem Haftzentrum neben dem internationalen Flughafen von Athen. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer monatelang in extremer Armut gelebt habe und außer Stande gewesen sei, für seine Grundbedürfnisse - Nahrung, Hygieneartikel und eine Unterkunft - aufzukommen. Er sei über Abhilfemöglichkeiten nicht angemessen informiert worden und habe in der ständigen Angst gelebt, angegriffen beziehungsweise überfallen zu werden (Urteil vom 21.01.2011, M.S.S. gegen Belgien und Griechenland, Beschwerde-Nr. 30696/09, Rn. 226 und Rn. 254 ff.).
- 41
Der Senat kommt nach Auswertung der vorliegenden Gutachten, Auskünfte und Berichte und unter Würdigung des Vortrags des Klägers zu dem Ergebnis, dass das italienische Asylsystem nicht an systemischen Mängeln leidet, auf Grund derer dem Antragstellers nach seiner Rückführung eine menschenunwürdige Behandlung droht (ebenso OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.11.2013 - 4 L 44/13 -, OVG Nds, Beschluss vom 30.01.2014 - 4 LA 167/13 - und vom 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.10.2013 - OVG 3 S 40.13 - und vom 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 -; VG Oldenburg, Beschluss vom 21.01.2014 - 3 B 6802/13 -; VG Regensburg, Beschluss vom 18.12.2013 - RN 6 S 13.30720 -; VG Ansbach, Beschluss vom 18.09.2013 - An 2 K 13.30675 -; VG Meiningen, Urteil vom 26.06.2013 - 5 K 20096/13 Me -; VG Lüneburg, Urteil vom 04.06.2013 - 6 A 176/11 - (n.V.); VG Augsburg, Beschluss vom 19.12.2012 - Au 6 E 12.30377 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 07.09.2012 - 6 L 1480/12.A -; VG Osnabrück, Urteil vom 02.04.2012 - 5 A 309/11 - (n.V.) a.A. OVG NRW, Beschluss vom 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -; VG Gießen, Urteil vom 25.11.2013 - 1 K 844/11.GI.A -; VG Schwerin, Beschluss vom 13.11.2013 - 3 B 315/13 As -; VG Frankfurt, Urteil vom 09.07.2013 - 7 K 560/11.F.A. -; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16.05.2013 - 5a L 547/13.A -; VG Köln, Beschluss vom 07.05.2013 - 20 L 613/13.A, soweit veröffentlicht zitiert nach Juris).
- 42
Italien verfügt über ein planvolles und ausdifferenziertes Asylsystem (a). Dieses System leidet zwar an Mängeln (b), nicht aber an systemischen Mängel (c). Das gilt auch für Personen mit Schutzstatus (d).
- 43
(a) Zunächst ist festzuhalten, dass Italien über ein planvolles und ausdifferenziertes Aufnahmesystem für Asylbewerber verfügt, das in zwei Phasen gegliedert ist. Nach Stellung des Asylantrags ist die Unterbringung in Aufnahmezentren für Asylsuchende, den sogenannten CARA (Centri di Accoglienza per Richiedenti Asilo) vorgesehen. Die maximale Aufenthaltsdauer dort soll grundsätzlich 35 Tage betragen. Daneben gibt es noch Aufnahmeeinrichtungen für Migranten, die keine Asylsuchenden sind, die so genannten CDA (Centri di Accoglienza). Diese werden in der Praxis ebenfalls für die Erstaufnahme von Asylsuchenden verwendet. In der zweiten Phase sollen die Antragsteller in einer Einrichtung des Aufnahmesystems SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati) untergebracht werden. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk von Unterkünften, das auf einer Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium, den Gemeinden und verschiedenen NGOs basiert. Die SPRAR-Projekte umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche. Die Aufenthaltsdauer im einem SPRAR beträgt normalerweise 6 Monate und kann bis zu einem Jahr verlängert werden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 22 ff.).
- 44
Endet das Asylverfahren mit der Zuerkennung eines Schutzstatus, werden den Schutzsuchenden Aufenthaltsberechtigungen („permessi die soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien formal dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige. Sie haben freien Zugang zum Arbeitsmarkt und kostenfreien Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Freiburg vom 11.07.2012). In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden sie nicht mehr aufgenommen. In Einrichtungen des SPRAR können sie Unterkunft finden, sofern sie die vorgesehene maximale Aufenthaltsdauer noch nicht ausgeschöpft haben und ein Platz frei ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 22 und S. 25; borderline-europe e.V., Gutachten zum Beweisbeschluss des VG Braunschweig vom 28.09.2012, S. 50).
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(b) In der Praxis litt - und leidet - das italienische Aufnahmesystem an Mängeln. Die Berichtslage zeigt übereinstimmen, dass es insbesondere auf die sehr hohen Antragszahlen in den Jahren 2008 und 2011 nicht ausreichend vorbereitet war (Bethke & Bender, Zur Situation von Flüchtlingen in Italien - Bericht über die Recherchereise nach Rom und Turin im Oktober 2010 -; Schweizer Flüchtlingshilfe/Juss-Buss: Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und „Dublin-Rückkehrern“, Bericht vom Mai 2011; borderline-europe/Judith Gleitze: Zur Lage von Asylsuchenden und „Dublin-Rückkehrern“, Stellungnahme vom Dezember 2012; Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Darmstadt vom 29.11.2011 und an VG Braunschweig vom 09.12.2011). In der Folge verlängerten sich die Verfahrenszeiten deutlich über die vorgesehenen Fristen hinaus. Die zeitliche Lücke zwischen der Stellung des Asylantrags und dessen formeller Registrierung (verbalizzazione) führte zu der Gefahr der Obdachlosigkeit, da in der Praxis Zugang zu den Erstaufnahmeeinrichtungen erst ab dem Zeitpunkt der Registrierung gewährt wurde (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 12). Zudem waren die Aufnahmekapazitäten der staatlicherseits zur Verfügung gestellten Plätze überlastet. Für Personen mit Schutzstatus bedeutete dies, dass sie Schwierigkeiten hatten, im SPRAR-Aufnahmesystem unterzukommen, auch wenn sie die maximale Verweildauer noch nicht ausgeschöpft hatten. Hinzu kam die wirtschaftliche schwierige Lage, in der sich auch Italien nach der Wirtschaftskrise befand und noch befindet. Nach den Informationen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe lebt vor allem in Rom eine ganz erhebliche Zahl von Asylbewerbern und Personen mit Schutzstatus (die Schätzungen sprechen von 1.200 bis 1.700) in Slums oder besetzten Häusern (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, a.a.O., S. 36).
- 46
(c) Diese Mängel begründen aber keine systemischen Mängel im oben dargestellten Sinne. Dabei versteht der Senat unter systemischen Mängeln solche, die entweder bereits im System selbst angelegt sind und von denen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar betroffen sind oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem faktisch in weiten Teilen funktionsunfähig wird. Nach Auswertung der vorliegenden Auskünfte kommt der Senat zu der Überzeugung, dass die systembedingten Missstände von den italienischen Behörden angegangen werden und sich die Situation deshalb verbessert hat und aller Voraussicht nach weiter verbessern wird. Außerdem ist festzustellen, dass die Zustände punktuell, aber nicht flächendeckend unzureichend sind, so dass nicht davon gesprochen werden kann, dass das Asyl- und Aufnahmesystem faktisch außer Kraft gesetzt ist.
- 47
Ein im System angelegter Mangel ist die Tatsache, dass der Zugang zum Erstaufnahmesystem offensichtlich von der Registrierung (verbalizzazione) abhängt und dies bei einer Verzögerung des Verfahrens zur Obdachlosigkeit führen kann. Allerdings hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 eine Weisung herausgegeben, wonach die Registrierung zeitlich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Auch die Überlastung des Aufnahmesystems nimmt Italien nicht tatenlos hin. Auf die hohen Asylbewerberzahlen im Jahr 2011 reagierte das Land zunächst mit einem Notstandskonzept, bei dem unter Führung des Zivilschutzes (Protezione Civile) Aufnahmestrukturen in der Größenordnung von 26.000 Plätzen bereitgestellt wurden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013; UNHCR an VG Braunschweig, S. 3; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 9). Daneben wurden und werden die Plätze, die im SPRAR-Projekt zur Verfügung stehen, in erheblichem Umfang aufgestockt (siehe zur Bedeutung dieser Plätze für das Aufnahmesystem den Report von Nils Muižnieks, Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, 18.09.2012, Abs. 152). Standen ursprünglich 3.000 Plätze zur Verfügung, waren es Anfang Juni 2013 bereits 4.800 Plätze, wobei hierzu auch bereits vorhandene Unterkunftsplätze gezählt wurden, die um die im SPRAR-System vorgesehen Integrationsleistungen ergänzt wurden. Aufgrund eines im September 2013 erlassenen Dekrets des Innenministeriums soll die Kapazität im Zeitraum 2014 bis 2016 nochmals auf insgesamt 16.000 Plätze erhöht werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22). Außerdem wurde ein neues Informatiksystem „Vestanet“ eingeführt, das ebenfalls zu einer Verbesserung des Verfahrens beitragen soll (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). In seiner Antwort an das Verwaltungsgericht Braunschweig vom 24. April 2012 hat der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen ausdrücklich anerkannt, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben. Gleiches gilt für die Auskunft des Auswärtige Amtes vom 21. Januar 2013 an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt.
- 48
Der Senat geht außerdem davon aus, dass die aufgezeigten Missstände in bestimmten Städten und Regionen auftreten, die Funktionsfähigkeit des Asyl- und Aufnahmesystems aber nicht insgesamt in Frage stellen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Aufklärungsreisen die Problemschwerpunkte in den Blick nehmen (so ausdrücklich der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe mit Schwerpunkt Rom und Mailand, S. 1; in der Sache nicht anders der Bericht von Maria Bethke & Dominik Bender mit Schwerpunkt Rom und Turin; Gutachten von borderline-europe e.V. mit Schwerpunkt Rom und Sizilien). Diese Situationen sind aber nicht ohne Weiteres verallgemeinerbar. So geht der UNHCR, dessen Dokumente bei der Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften von besonderer Relevanz sind (vgl. EuGH, Urteil vom 30.05.2013 - C-528/11 - Rn. 44), in seiner Antwort an das Verwaltungsgericht Braunschweig davon aus, dass die CARA, CDA und SPRAR-Projekte in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl an Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR an VG Braunschweig vom 24. April 2012, S. 3). Anders als im Falle Griechenlands oder jüngst Bulgariens (UNHCR Briefing Notes vom 03.01.2014) hat der UNHCR bislang in keiner seiner Stellungnahmen eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten ausgesprochen, Überstellungen nach Italien nicht mehr vorzunehmen (siehe zuletzt UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, July 2013). Auch die Auskünfte des Auswärtigen Amtes sprechen gegen die Annahme eines systemischen Mangels des italienischen Asylsystems. Sie basieren auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR und UNHCR in Rom, grenzpolizeilicher Verbindungsbeamter der Bundespolizei im italienischen Innenministerium, Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Landesamtes ISTAT, Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen sowie Informationen des SPRAR und sind daher geeignet, einen Überblick über die Situation im Land zu geben. Nach der Auskunft an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt konnten seinerzeit (Januar 2013) alle Asylbewerber und Flüchtlinge in öffentlichen Zentren untergebracht werden. Gegebenenfalls gebe es lokale und regionale Überbelegungen, italienweit seien aber genügen Plätze vorhanden. Insbesondere in Norditalien seien die Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Zusätzlich zu den staatlichen/öffentlichen Einrichtungen gebe es kommunale und karitative Einrichtungen, so dass meist ein Unterbringungsplatz in der Nähe gefunden werden könne. Es sei nicht davon auszugehen, dass Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz fänden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos auf der Straße oder in Elendsquartieren leben müssten.
- 49
(d) Mit Blick auf den hier vorliegenden Fall ist weiter festzuhalten, dass sich aus der Auskunftslage auch keine systemischen Mängel für Personen ergeben, denen bereits ein Schutzstatus zugesprochen wurde. Die mit der Anerkennung verbundene Erteilung eines Aufenthaltsrechts (permession di soggiorno) bedeutet in der Praxis, dass sich die Personen mit Schutzstatus grundsätzlich selbst um eine Unterkunft und eine Arbeit kümmern müssen. Sie können nicht mehr in CARA unterkommen, da diese nur Asylbewerbern offenstehen. Sie können sich aber für Plätze im SPRAR-System bewerben, sofern sie die maximale Verweildauer noch nicht überschritten haben. Tatsächlich wird eine große Zahl der Plätze im SPRAR-System von Personen mit Schutzstatus belegt. Allerdings bestehen zum Teil lange Wartezeiten (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22). Hier dürfte die geplante Ausweitung der SPRAR-Plätze eine deutliche Entlastung bringen. Daneben bieten die Gemeinden Unterkünfte an. Jedenfalls in Rom betrug die durchschnittliche Wartezeit auf einen solchen Platz allerdings drei Monate und in Mailand einen bis drei Monate (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27 und S. 30). Schließlich können sich Personen mit Schutzstatus, die keine Unterkunft finden, an kirchliche Organisationen und Nichtregierungsorganisationen wie die Caritas oder das Consiglio Italiano per i Rifugiati wenden (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 an das OVG des Landes Sachsen-Anhalt). Verlässliche Zahlen, wie viele Schutzberechtigte von keiner dieser Möglichkeiten Gebrauch machen können und letztlich obdachlos werden, fehlen. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist im Regelfall oder gar überwiegend aber nicht davon auszugehen, dass Flüchtlinge in Italien beziehungsweise Rückkehrer nach der Dublin-II-Verordnung dort unter Verhältnissen leben müssen, welche man gemeinhin als „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums (Betteln, Leben auf der Straße etc.)“ bezeichnen könne. Hierbei handle es sich eher um Einzelfälle (Auswärtiges Amtes an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
- 50
In Italien gibt es auch für italienische Staatsangehörige kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Lebensunterhaltssicherung vor dem 65. Lebensjahr. Die Zuständigkeit für die Festsetzung von Sozialhilfeleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen wird die Höhe des Sozialgeldes durch die Kommune festgesetzt. Öffentliche Fürsorgeleistungen weisen daher deutliche Unterschiede je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft auf (Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern im vorliegenden Fall; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 48).
- 51
Auch wenn sich die Situation damit deutlich schlechter und unsicherer darstellt als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet dies für sich genommen keinen systemischen Mangel. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ausdrücklich festgehalten, dass Art. 3 EMRK die Vertragsparteien nicht verpflichte, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen. Die Norm enthalte auch keine allgemeine Pflicht, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmen Lebensstandard zu bieten. Ausländer, die von einer Ausweisung betroffen seien, gewähre die Konvention grundsätzlich keinen Anspruch mit dem Ziel, im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates zu verbleiben, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren, die vom ausweisenden Staat zur Verfügung gestellt werde. Wenn keine außergewöhnlichen zwingenden humanitären Gründe vorlägen, die gegen eine Ausweisung sprächen, sei allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse des Antragstellers bedeutend geschmälert würden, falls er oder sie ausgewiesen würde, nicht ausreichend, einen Verstoß gegen Art. 3 EMR zu begründen (Beschluss vom 02.04.2013, Mohammed Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien, a.a.O. Rn. 70 f.).
- 52
Keine systematischen Mängel bestehen schließlich auch im Hinblick auf den Zugang zum Gesundheitssystem. Personen mit Schutzstatus sind in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt. Die Anmeldung beim Nationalen Gesundheitsdienst ermöglicht die Ausstellung eines Gesundheitsausweises, der zur Behandlung bei einem praktischen Arzt, Kinderarzt, in Ambulanzen und zur Aufnahme in ein Krankenhaus berechtigt. Hierzu benötigen Schutzberechtigte den Aufenthaltstitel, die Steuernummer sowie eine feste Adresse. Personen ohne festen Wohnsitz können sich zumindest in Rom unter Sammeladressen karitativer Einrichtungen melden, die von den Behörden akzeptiert werden. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten. Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (Auswärtiges Amt an OVG des Landes Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
- 53
(e) Die Einschätzung, dass das italienische Asylsystem nicht an systemischen Mängeln leidet, wird durch die jüngere Rechtsprechung des Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigt. In seinem Beschluss vom 2. April 2013 hat er die Überstellung der dortigen Beschwerdeführerin, der - wie dem Kläger - in Italien bereits ein Schutzstatus zugesprochen worden war, mit Art. 3 EMRK für vereinbar gehalten. Dabei hat er - neben der konkreten Situation der Antragstellerin - eine Vielzahl von Stellungnahmen sowie Berichten von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen über die generelle Situation in Italien ausgewertet. Er kommt nach ausführlicher Würdigung der festzustellenden Mängel - und keineswegs nur unter Bezug auf den ihm vorgelegten konkreten Sachverhalt - zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen (Beschluss vom 02.04.2013, Mohammed Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien, Rn. 70 ff., in Teilen übersetzt von Wischrath, ZAR 2013, 336, besprochen von Thym in ZAR 2013, 331; siehe auch Hailbronner, AuslR, Dezember 2013, § 34a Rn. 29 f.; ebenso Beschluss vom 18.06.2013, Halimi gegen Österreich und Italien, Rn. 68, in Teilen übersetzt von Wischrath, ZAR 2013, 338). Diese Einschätzung hat er jüngst nochmals ausdrücklich bestätigt (Beschluss vom 10.09.2013 - Nr. 2314/10 -, Hussein Diirshi u.a. gegen Niederlande und Italien, zitiert nach HUDOC).
- 54
(f) Es sind auch keine besonderen Umstände des Einzelfalles ersichtlich, die befürchten ließen, dass gerade dem Kläger in Italien eine mit Art. 4 der Grundrechtecharta nicht vereinbare Behandlung drohen würde. Er leidet insbesondere nicht an außerordentlich schweren oder seltenen Krankheiten, deren Behandlung in Italien nicht möglich erschiene. Nach seiner Schilderung bekam er in Italien in Notfallsituationen zumindest Schmerzmittel verabreicht. Die Probleme bei einer weiterführenden Behandlung resultierten offenbar daraus, dass er mangels festen Wohnsitzes keine Gesundheitskarte beantragt hat. Dem hätte der Kläger nach der Auskunftslage aber zumindest in Rom dadurch abhelfen können, dass er sich bei einer gemeinnützigen Organisation eine fiktive Meldeadresse hätte geben lassen. Aus den Angaben des Klägers lässt sich außerdem schließen, dass er noch keinen Platz im SPRAR-System beansprucht hat. Damit steht ihm nach seiner Rückkehr die Möglichkeit offen, sich für einen solchen Platz zu bewerben. Auf die von dem Kläger zuletzt aufgeworfene Frage, ob die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013 zutrifft, nach der alle im Rahmen der Dublin-Verordnung zurückgeführten Personen von der Questura in eine Unterkunft verteilt werden, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Diese Auskunft dürfte sich auf Personen ohne Schutzstatus bezogen haben, die - wie oben dargestellt - ohnehin einem anderen Aufnahmeregime unterfallen.
III.
- 55
Die Abschiebungsanordnung ist nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies ist der Fall, nachdem Italien seine Zuständigkeit akzeptiert hat und der Abschiebung keine relevanten Hindernisgründe entgegenstehen.
IV.
- 56
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
- 57
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
- 58
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen. Streitentscheidend ist vorliegend die Würdigung der tatsächlichen Umstände in Italien.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (A 12 K 331/13) geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (A 12 K 331/13) geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tatbestand
- 1
Die Klägerin ist am (…) 1947 in H. in Syrien geboren. Sie ist verheiratet, yezidischen Glaubens, kurdische Volkszugehörige und sie besitzt die syrische Staatsangehörigkeit. Nach eigenen Angaben reiste sie – zusammen mit ihrer Tochter (...) sowie drei weiteren Kindern – von Syrien kommend am 01. August 2011 zunächst nach Italien, wo sie erkennungsdienstlich behandelt wurde und am 21. August 2011 in B-Stadt einen Asylantrag stellte, und alsdann am 07. September 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 12. September 2011 stellte sie bei der Außenstelle des Bundesamtes in H-Stadt einen (weiteren) Asylantrag.
- 2
Die Beklagte richtete unter dem 07. Februar 2012 an Italien ein Übernahmeersuchen gem. Art. 10 Dublin-II-VO (Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 10.02.2003). Mit Schreiben vom 16. Februar 2012 erklärten die italienischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags der Klägerin.
- 3
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag der Klägerin mit Bescheid vom 13. Juni 2012 als unzulässig ab und ordnete ihre Abschiebung nach Italien an. Nach der Dublin-Verordnung sei Italien für die Bearbeitung ihres Asylantrags zuständig; außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach § 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich.
- 4
Die Klägerin hat am 29. Juni 2012 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, sie könne wegen der allgemeinen Situation von Asylbewerbern in Italien nicht darauf verwiesen werden, in Italien ein Asylverfahren durchzuführen, weil davon auszugehen sei, dass das Asylverfahren dort nicht ordnungsgemäß durchgeführt würde. Sie besitze einen Anspruch auf Asyl und Flüchtlingsschutz sowie Abschiebungsschutz; hierüber sei durch das Bundesamt zu entscheiden.
- 5
Die Klägerin hat beantragt,
- 6
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen und dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gegeben sind.
- 7
Die Beklagte hat beantragt,
- 8
die Klage abzuweisen.
- 9
Sie hat die Ansicht vertreten, Italien erfülle bei der Durchführung von Asylverfahren die Mindeststandards der Europäischen Union. In den italienischen Aufnahmeeinrichtungen seien zahlreiche humanitäre Organisationen tätig, die dies gewährleisten würden. Insbesondere hätten Asylbewerber in Italien vollen Zugang zum Gesundheitssystem. Anders als im Fall Griechenlands gebe es keine Empfehlung des UNHCR, Flüchtlinge nicht an Italien zu überstellen. Dementsprechend habe das Bundesverfassungsgericht auch Verfassungsbeschwerden gegen erstinstanzliche Entscheidungen, denen zufolge eine Abschiebung nach Italien möglich sei, nicht zur Entscheidung angenommen. Ferner sei eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen ergangen, wonach die asylrechtlichen Mindeststandards in Italien gewährleistet seien und woraus sich ergebe, dass der Bericht von Bethke und Bender zu den Problemen der Flüchtlinge in Italien kritisch zu betrachten sei.
- 10
Auf den Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 07. März 2012 – 9 B 57/12 MD – die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung der Klägerin nach Italien vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu unterlassen.
- 11
Mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 verpflichtet, über den Asylantrag der Klägerin in eigener Zuständigkeit zu entscheiden und ein Asylverfahren durchzuführen. Die Klägerin habe nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchführe; das insoweit bestehende Ermessen der Beklagten sei auf Null reduziert. Der Klägerin könne die Durchführung eines Asylverfahrens in Italien nicht zugemutet werden.
- 12
Der Senat hat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Zulassungsantrag, wonach sie an ihrer bisherigen Auffassung festhält, die Klägerin könne in Anbetracht der in Italien gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse auf die Durchführung eines Asylverfahrens dort verwiesen werden.
- 13
Die Beklagte beantragt,
- 14
die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 9. Kammer - vom 10. Juli 2012 abzuweisen.
- 15
Die Klägerin beantragt,
- 16
die Berufung zurückzuweisen.
- 17
Sie macht geltend, die Beklagte beziehe sich zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen auf bloße Vorschriften und eine nicht mehr aktuelle Rechtsprechung, während neue Berichte nicht zur Kenntnis genommen würden. Der Auffassung der Beklagten sei im Hinblick auf die humanitäre Situation in Italien entgegen zu halten, dass sich die Situation der Flüchtlinge in Italien aufgrund des anhaltenden Flüchtlingsstroms aus Tunesien und anderen nordafrikanischen Staaten dramatisch verschlechtert habe. Italien sei bereits zuvor mit der Aufnahme von Flüchtlingen und deren ordnungsgemäßer Unterbringung überfordert gewesen. Aufgrund des momentanen Flüchtlingsstroms nach Italien habe sich die Situation noch verschlechtert; es sei damit zu rechnen, dass der Klägerin bereits aus diesem Grunde ein ordnungsgemäßes Asylverfahren verwehrt werde und dass sie obdachlos würde. Im Übrigen dürfe nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs (Urteil v. 21.12.2011 - C-411/11, C-493/10 -) ein Asylbewerber bereits dann nicht an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-II-VO überstellt werden, wenn ernsthafte Hinweise auf systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat vorlägen, die eine Gefährdung des Asylbewerbers nahe legen würden. Solche ernsthaften Hinweise lägen hier vor. Die vorliegenden Berichte und sonstigen Erkenntnismittel gingen davon aus, dass das staatliche Aufnahmesystem in Italien völlig überlastet sei. Es existierten 3.000 Plätze, die eine Aufnahme von Asylbewerbern für jeweils nur sechs Monate vorsehen würden. Im Jahre 2011 hätten indessen laut Presseberichterstattung (Spiegel online v. 26.04.2011) in Italien bis Anfang Mai bereits 26.000 Flüchtlinge um Schutz nachgesucht.
- 18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten und auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten (Beiakte A) sowie auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 19
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Klägerin mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 zu Unrecht stattgegeben.
- 20
I. Die Klage ist teilweise unzulässig.
- 21
1. Die als Verpflichtungsklage erhobene Klage ist “lediglich“ als Anfechtungsklage zulässig. Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juni 2012 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag der Klägerin gem. § 27a AsylVfG (wegen fehlender Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland) unzulässig ist, ist allein die Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01. 2010 - 11 K 8136/09 -; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009,409; Urt. v. 29.09.2009 - 7 K 269/09.F.A -; Urt. v. 23.06. 2010 - 7 K 2789/09.F.A. -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11. 2011 - AN 11 S 11.30508 -; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -; Beschl. v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A. -; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, alle: Juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27a Rdnr. 18; a. A. statthaft nur die Verpflichtungsklage: OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A - Juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/ 09.WI.A -).
- 22
Im Fall der Aufhebung einer – wie hier – auf § 27a AsylVfG gestützten Entscheidung wegen Unzulässigkeit des Asylantrages ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens („in eigener Zuständigkeit“) vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch ohne ein hierauf gerichtetes Verpflichtungsbegehren eröffnet. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides bereits von Gesetzes wegen zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet (vgl. § 31 Abs. 2 AsylVfG zur Entscheidung des Bundesamtes über beachtliche Asylanträge). Da grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, bedarf es demzufolge einer Verpflichtungsklage nicht (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01.2010, a. a. O.; vgl. auch VG Frankfurt/Main, Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.).
- 23
Überdies muss bezweifelt werden, ob es sich bei der Entscheidung nach Art. 3 Abs. 2 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist – Dublin-II-VO – [z. T. auch „EG-AsylZustVO“ genannt] – (ABl. L 50 vom 25.02.2003, S. 1 -10) um einen (selbständigen) Verwaltungsakt handelt, so dass eine Verpflichtungsklage bzw. – unter Berücksichtigung des im Rahmen der genannten Vorschrift eingeräumten Ermessens – eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung in Betracht kommt, oder ob es sich bei der gem. § Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zu treffende Entscheidung nicht um eine bloß inzidente handelt, da es allein um die Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten geht.
- 24
Ebenso scheidet eine Verpflichtungsklage aus, die unmittelbar auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. § 16a GG bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG oder aber - hilfsweise - auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichtet ist. Denn eine Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht nur dann, wenn ein „mit seinem Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebener Ausländer“ den Klageweg beschreitet (BVerwG, Urt. v. 06.07.1998 - 9 C 45.97 - BVerwGE 107, 128 ff.). Hat hingegen das Bundesamt (noch) keine Sachentscheidung getroffen, so würde dem Betroffenen in dem Falle des “Durchentscheidens“ des Gerichts durch Verpflichtungs-urteil eine Tatsacheninstanz genommen, nämlich dass eine inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgt (ebenso: VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.; VG Schleswig, Urt. v. 03.08. 2011 - 1 A 46/11 - und Beschl. v. 12.09.2011 - 12 A 124/10 -; a. A. VG Braunschweig, Urt. v. 21.02.2013 - 2 A 126/11 - u. a. mit Verweis auf VGH Mannheim, Urt. v. 19.06.2012 - A 2 1355/11 -, Juris).
- 25
Im Übrigen verhält es sich bei der Entscheidung nach § 27a AsylVfG ähnlich wie in Fällen der Entscheidung des Gerichts über eine Einstellung des Asylverfahrens nach§ 32 AsylVfG wegen vermeintlicher Antragsrücknahme bzw. Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG sowie in den Fällen der gerichtlichen Entscheidung bei fiktiver Antragsrücknahme nach§ 33 AsylVfG. In den genannten Fällen ist nach der hierzu ergangenen einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94 -, NVwZ 1996, S. 80 = Juris; vgl. auch Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m. w. N.) die Verpflichtungsklage unzulässig, weil die verweigerte sachliche Prüfung des Asylantrages nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen ist.
- 26
Auch ist im Hinblick auf die mit dem angefochtenen Bescheid angeordnete Abschiebung der Klägerin nach § 34a Abs. 1 AsylVfG die Verpflichtungsklage nicht veranlasst und stattdessen eine Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO ausreichend (vgl. VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O. und Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 34a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a. a. O., § 34a Rdnr. 64). Soweit es nämlich darum geht, dass die Beklagte von einem Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02. September 2003 (Abl. L 222 S. 3) Gebrauch macht, bedarf es im Urteil über eine entsprechende inzidente Feststellung hinaus keiner ausdrücklichen Verpflichtung der Beklagten, von einer Abschiebung abzusehen.
- 27
Es ist vorliegend davon auszugehen, dass die Anfechtungsklage vom Verpflichtungsbegehren der Klägerin (mit-)umfasst ist. Gegenstand der Anfechtungsklage ist nach allem ausschließlich die Frage nach der Zuständigkeit der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens, wobei die Frage nach dem rechtlich gebotenen Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland inzident zu beantworten ist.
- 28
2) Der Klägerin steht für ihre Klage auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse zur Seite, da sie weiterhin nach Italien zurückgeführt bzw. rücküberstellt werden könnte, nachdem die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 d. Sachakte) ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung ihres Asylantrags erklärt haben, indem sie dem Übernahmeersuchen stattgegeben und damit ihrer Rücküberstellung zugestimmt haben.
- 29
II. Die Klage ist im Übrigen unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Asylantrag der Klägerin zu Recht als unzulässig abgelehnt und zugleich ihre Abschiebung nach Italien angeordnet. Es musste im vorliegenden Fall insbesondere auch nicht von der Möglichkeit des Selbsteintritts der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch machen.
- 30
1) Rechtsgrundlage des Bescheides vom 13. Juni 2012, mit dem das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin als unzulässig abgelehnt hat, ist § 27a AsylVfG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier der Fall. Zu Recht ist die Beklagte im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass die Republik Italien für die Durchführung eines Asylverfahrens der Klägerin zuständig ist.
- 31
a) Die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO, sofern nicht die nach Art. 5 Abs. 1 der genannten Verordnung vorrangig zu prüfenden Zuständigkeitskriterien nach Art. 6 bis 9 der Verordnung einschlägig sind.
- 32
Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, sofern auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 der Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III derVerordnung (EG) Nr. 2725/2000, festgestellt wird, dass der Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze des Mitgliedstaats illegal überschritten hat (vgl. auch Art. 18 Abs. 4 und 5 Dublin-II-VO).
- 33
Dies bedeutet, dass – soweit nicht die Vorschriften nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO einschlägig sind – im vorliegenden Fall Italien für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zuständig ist, da sie ihren eigenen Angaben zufolge aus Syrien kommend die Grenze nach Italien illegal überschritten hat (und dort – in B-Stadt – am 21. August 2011 zugleich einen Asylantrag gestellt hat [Bl. 108 ff. d. Sachakte]).
- 34
Die insoweit gegebene Zuständigkeit endet zwar gem. Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Die Klägerin hat jedoch am 12. September 2011 und damit noch vor Ablauf der Jahresfrist ihren Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt, so dass die Zuständigkeit Italiens nicht nach Satz 2 entfallen ist. Die Einreise der Klägerin nach Italien erfolgte am 07. September 2011; die Jahresfrist lief somit am 07. September 2012 ab. Dass die Frist nunmehr abgelaufen ist, ist unschädlich, weil für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Art. 5 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Situation in dem Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
- 35
b) Im Falle der Klägerin sind auch die Voraussetzungen nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich Art. 7 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist, wo ungeachtet dessen, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat, der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, sowie hinsichtlich Art. 8 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – dem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrages obliegt, in dem der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, über dessen Asylantrag noch keine erste Sachentscheidung getroffen wurde. Die genannten Vorschriften sind im Falle der Klägerin jedoch nicht einschlägig.
- 36
Es ist schon nicht ersichtlich, dass die nach Art. 7 und 8 der Verordnung genannten Voraussetzungen bei der Tochter der Klägerin, mit der sie zusammen in das Bundesgebiet eingereist ist, oder bei ihren in Deutschland lebenden volljährigen Kindern vorliegen. Dies kann aber auch dahin stehen. Denn jedenfalls gelten die genannten Personen nicht als „Familienangehörige“ i. S. d. Dublin-II-VO. Hierzu gehört nach Art. 1 Buchst. i) der Verordnung nur die Mitglieder der “Kernfamilie“, d. h. die Ehegatten des Asylbewerbers und unter bestimmten Voraussetzungen der nicht verheiratete Partner des Asylbewerbers, die minderjährigen Kinder der genannten Personen sowie bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern oder Flüchtlingen der Vater, die Mutter oder der Vormund. Ein solches Verwandtschaftsverhältnis der Klägerin zu den mit einreisenden bzw. in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kindern besteht jedoch nicht.
- 37
c) Ebenso sind bei der Klägerin die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Nach Art.15 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien der Verordnung nicht zuständig ist. Dass die Klägerin vorliegend aus humanitären Gründen mit ihren Familienangehörigen zusammenzuführen ist und nicht auch auf ein eigenständiges Leben in Italien verwiesen werden kann, zumal ihre Kinder teilweise in Deutschland, teilweise in Österreich leben bzw. teilweise ihr Aufenthalt unbekannt ist, lässt sich nicht feststellen. Die Klägerin befindet sich in Begleitung ihrer volljährigen Tochter; beide sind reisefähig und nach Italien zu überstellen.
- 38
Ebenso sind die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt, wonach im Regelfall von einer Trennung der Familienangehörigen abzusehen bzw. eine Zusammenführung vorzunehmen ist, wenn die betroffene Person u. a. wegen einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung durch die anderen Person(en) angewiesen ist. Diese Voraussetzungen liegen bei der 67-jährigen Klägerin nicht vor; entsprechendes ist jedenfalls nicht vorgetragen worden.
- 39
Eine andere Einschätzung ist auch nicht im Hinblick auf die einleitende Erwägung zu Nr. 6 Dublin-II-VO veranlasst, wonach die Einheit der Familie (grundsätzlich) gewahrt bleiben soll, soweit dies mit den sonstigen Zielen vereinbar ist, die mit den Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrages zuständigen Mitgliedstaats angestrebt werden. Nicht anders verhält es sich mit Blick auf die einleitende Erwägung nach Art. 7 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach die Mitgliedstaaten von den Zuständigkeitskriterien abweichen können, um eine räumliche Annäherung von den Familienmitgliedern vorzunehmen, soweit dies aus humanitären Gründen erforderlich ist. Bei den genannten Regelungen handelt es sich indes um bloße programmatische Vorgaben, aus denen sich, unabhängig davon, dass die Voraussetzungen hier nicht vorliegen dürften, für die Asylbewerber keine unmittelbaren Rechte ableiten lassen.
- 40
d) Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Zwar hat das Bundesamt nicht innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags der Klägerin vom 12. September 2011 ein Wiederaufnahme- bzw. Übernahmeersuchen an die Republik Italien gestellt; das war indes auch nicht erforderlich. Da die Klägerin bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hat, steht in ihrem Fall eine Wiederaufnahme durch Italien im Sinne des Art. 16 Abs.1 c) bis e) Dublin-II-VO in Rede, nicht hingegen eine Aufnahme seitens Italiens im Sinne des Art. 16 Abs.1 a) Dublin-II-VO. Die Dublin-II-VO unterscheidet insoweit gem. Art.16 Abs.1 lit. a) einerseits und Art. 16 Abs. 1 lit. c) bis e) andererseits zwischen der Überstellung des Asylsuchenden in einem Aufnahmeverfahren gemäß den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO und einer Überstellung im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 20 Dublin-II-VO. Das Aufnahmeverfahren findet statt, wenn der Asylsuchende im ersuchten Mitgliedstaat noch keinen Asylantrag gestellt hat, während das Wiederaufnahmeverfahren einschlägig ist, wenn dort bereits ein Asylantrag gestellt wurde. Insofern wird der Anwendungsbereich der nachfolgenden Art. 17 bis 20 Dublin-II-VO durch Art. 16 Dublin-II-VO bestimmt.
- 41
Aus der systematischen Trennung zwischen Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren folgt, dass im Wiederaufnahmeverfahren keine Frist für das Übernahmeersuchen gilt, denn die insofern allein maßgebliche Regelung des Art. 20 Dublin-II-VO normiert weder selbst eine solche Frist, noch nimmt sie auf die für das Aufnahmeverfahren geltende Regelung in Art. 17 Abs.1 Dublin-II-VO Bezug. Es verhält sich gerade nicht in der Weise, dass Art. 20 Dublin-II-VO nur spezielle Modalitäten für die Wiederaufnahme regelt und im Übrigen die Regelungen der Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO anwendbar wären. Vielmehr handelt es sich bei den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO einerseits und dem Art. 20 Dublin-II-VO andererseits um jeweils eigenständige Regelungskomplexe (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 06.02.2013 - 17 L 150/13.A -; Beschl. v. 26.04.2013 - 17 K 1777/12.A -; VG Hamburg, Beschl. v. 22.09.2005 - 13 AE 555/05 -; VG Augsburg, Gerichtsbescheid v. 09.05.2011 - Au 3 K 10.30468 - Juris; VG Regensburg, Beschl. v. 05.07.2013 - RN 5 S 13.30273 -; VG Göttingen, Beschl. v. 11.10.2013 - 2 B 805/13 -; a.A.: VG Düsseldorf, Beschl. v. 07.08. 2012 - 22 L 1158/12.A -, alle: Juris).
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Art. 17 Abs.1 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, zuständig wird, wenn das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten unterbreitet wird, findet im Fall der Klägerin folglich keine Anwendung, so dass sich hieraus auch keine Zuständigkeit der Beklagten ergibt. Dementsprechend haben die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 R, 116 d. Sachakte) auch ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme bzw. Übernahme der Klägerin erteilt.
- 43
e) Ferner ist die Zuständigkeit nicht nach Art. 19 Abs. 3 und 4 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO erfolgt die Überstellung des Schutzsuchenden von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin-II-VO i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Dabei ist unerheblich, dass die Entscheidung der Beklagten nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 der Verordnung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat; allein entscheidend ist, dass ihr eine solche durch eine entsprechende gerichtliche Entscheidung zuerkannt worden ist (vgl. Hess.VGH, Beschl. v. 23.08.2011 - 2 A 1863/10.Z.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.06.2012 - A 2 S 1355/11 -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; offengelassen: OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -, alle: Juris).
- 44
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 02. August 2012 - 4 MC 133/12 - (< Rn. 17 zitiert nach Juris >) zu § 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO und zu dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin-II-VO grundsätzlich vorgesehenen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ausgeführt:
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„Der Annahme der aufschiebenden Wirkung des hier eingelegten Rechtsbehelfs steht auch nicht die Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 Satz 4 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 entgegen. Danach hat ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nach Absatz 1 keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem inner-staatlichen Recht zulässig ist. Zwar darf nach § 34a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) nicht nach§ 80oder § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung ausgesetzt werden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass durch diese Vorschrift eine andere Entscheidung im Sinne von Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Hs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts ausgeschlossen ist und daher ein Rechtsbehelf wegen § 34a Abs. 2 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 haben kann. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr ausdrücklich entschieden, dass der Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 34a Abs. 2 AsylVfG in den Fällen, in denen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) erfolgen soll, in Ausnahmefällen, die nicht vom „normativen Vergewisserungskonzept“ des Gesetzgebers über die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in einem sog. sicheren Drittstaat erfasst sind, der Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz gegen eine sofortige Überstellung nicht entgegensteht (BVerfG, Urt. v. 14.5. 1996, a. a. O.). Diese Rechtsprechung wird - soweit ersichtlich - von den Verwaltungsgerichten auf die Abschiebung in einen anderen Staat, der nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, mit der Begründung übertragen, dass die vom Bundesverfassungsgericht angestellten Erwägungen zu § 26a AsylVfG auch auf die Vorschrift des§ 27a AsylVfG zutreffen, weil die nach europäischen Recht für die Asylentscheidung zuständigen Mitgliedstaaten zugleich sichere Drittstaaten im Sinne von § 26a AsylVfG sind (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 1.3.2012 - 1 B 234/12.A - und v. 11.10. 2011 - 14 B 1011/11.A -; ferner Nds. OVG, Beschl. v. 2.5.2012 - 13 MC 22/22 - und Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-). Unter diesen Umständen kann daher keine Rede davon sein, dass es nach der innerstaatlichen Rechtslage in Deutschland unzulässig sei, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellung auf der Grundlage der Zuständigkeitsbestimmungen in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 anzuordnen. Unabhängig davon stellt die für den Fristenbeginn der Überstellung maßgebliche Vorschrift des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 nach ihrem Wortlaut auch ausdrücklich darauf ab, dass einem eingelegten Rechtsbehelf tatsächlich aufschiebende Wirkung zukommt und nicht darauf, ob es nach dem innerstaatlichen Recht zulässig ist, die aufschiebende Wirkung anzuordnen (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-).
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Läuft danach die Frist zur Überstellung aufgrund des von dem Antragsteller eingelegten Rechtsbehelfs erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens bezüglich der Durchführung der Überstellung entschieden wird und die der Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann, kann dahinstehen, ob insoweit das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn bereits ausreichend ist oder es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf (so Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.“
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Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an und macht sie sich zu Eigen.
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Da die Klägerin – nach Erlass des angefochtenen Bescheides vom 13. Juni 2012 – gegen ihre Überstellung innerhalb der Frist, bis zu der gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin-II-VO ihre Überstellung nach Italien vorbehaltlich eventuell zu treffender weiterer Maßnahmen erfolgen konnte, einen Rechtsbehelf gegen ihre Überstellung eingelegt hat, dem mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom Beschluss vom 07. März 2012 - 9 B 56/12 MD - aufschiebende Wirkung beigemessen worden ist, beginnt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO eine (neue) sechsmonatige Frist zur Überstellung der Klägerin (erst) ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Klage. Diese Frist ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch nicht abgelaufen, denn der Senat hat dem Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 entsprochen. Nach allem kann hier dahingestellt bleiben, ob im Grundsatz das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn hinsichtlich der Überstellung bereits ausreichend ist oder ob es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf, da die Klägerin jedenfalls erstinstanzlich obsiegt hat.
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2) Die Beklagte ist für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin auch nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zuständig, denn die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, das Selbsteintrittsrecht auszuüben.
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Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-II-VO zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (a. a. O. Satz 3). Ob der Mitgliedstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht dabei grundsätzlich in seinem Ermessen, welches – weil integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen Europäischen Asylsystems (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/ 10 und C-493/10 -,
) – in Übereinstimmung mit den insoweit geltenden unionsrechtlichen Bestimmungen und von den Mitgliedstaaten verfolgten Zielen auszuüben ist.
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Art. 3 Dublin-II-VO ist auch geeignet, subjektive Rechte der Klägerin zu begründen, die von ihr gegen eine vorgesehene Überstellung (Rückführung) in den nach dieser Verordnung für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat geltend gemacht werden können (vgl. dazu den Vorlagebeschluss des Hess.VGH v. 22.12.2010 - 6 A 2717/09.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02. 08.2012 - 4 MC 133/12 - m. w. N., Juris; ferner Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 37 ff. m. w. N.). Denn auch wenn es sich bei Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO um eine Ermessensvorschrift handelt, kann sich der Betroffene – hier die Klägerin – auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gem. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung berufen. Diese Bestimmung ist – anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 25) – nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ihm ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Begünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung der Rechtsnorm besitzen (vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62 -, Slg. 1963, 1 [24] = NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04. 12.1974 - Rs. C-41/74 -, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81 -, Slg. 1982, 53 [71] = NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Dublin-II-VO dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 124 m. w. N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der Europäische Gerichtshof in dem zur Dublin-II-VO ergangenen Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 – (Rdnr. 38, 48 zur Frage des Rechtsschutzes, NVwZ 2009, S. 639 = Juris) aus.
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Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO lediglich das Recht auf eine fehlerfreie Ermessensausübung – welches gegebenenfalls aber auf Null reduziert sein kann (vgl. VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08. 30122 -; Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 134 f. und 223 m. w. N.; Marx, a. a. O. § 27a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser / Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/ Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u. a. und des Belgischen Conseil d'Etat / Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).
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Aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck in der Norm selbst nicht seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 220; Filzwieser / Liebminger, a. a. O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 EG-Vertrag in der Fassung des Amsterdamer Vertrages vom 02. Oktober 1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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Nach Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) EG-Vertrag beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie mit einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Dublin-II-VO erlassen. Im Erwägungsgrund Nr. 5 wird hierzu ausgeführt, dass bezüglich der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf längere Sicht zu einem gemeinsamen Asylverfahren und einem unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird, führen sollte, im derzeitigen Stadium die Grundsätze des am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichneten Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gestellten Asylantrags(4) (nachstehend „Dubliner Übereinkommen“ genannt), dessen Durchführung die Harmonisierung der Asylpolitik gefördert hat, mit den aufgrund der bisherigen Erfahrungen erforderlichen Änderungen beibehalten werden sollten. Weiterhin wird insbesondere im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - EuGrdRCh - anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 EuGrdRCh verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
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Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, Juris) lässt das im EU-Vertrag vorgesehene und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeitete gemeinsame Europäische Asylsystem allerdings die Annahme begründet erscheinen, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 (GFK) sowie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - (EMRK) finden. Es gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta und der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. M. a. W. ausgehend von der Annahme, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i. S. d. Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz (GG) bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden „Konzepts der normativen Vergewisserung“ (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/133 - Juris, Rn. 179 ff.) bzw. des „Prinzips des gegenseitigen Vertrauens“ (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - Rs C-411/10 und C-393/10 – Juris, Rn. 79 ff.) grundsätzlich davon auszugehen, dass die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Grundrechtscharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention in diesen Ländern sichergestellt ist. Auch die Dublin-II-Verordnung beruht wie jede andere auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK, der EMRK und der EuGrdRCh in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und Nr. 12 Dublin-II-VO und Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EG-Vertrag, - so auch VG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 02.10.2008 - 6 B 56/08-, Juris und VG Regensburg, Beschl. v. 15.09.2008 - RO 3 E 08.30124 - Juris).
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Dies bedeutet zugleich, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris) ein Ausländer, der in einen sicheren Drittstaat zurück verbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern kann, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Für ihn kommen deshalb entsprechend dem mit Art. 16a Abs. 2 GG verfolgten „Konzept normativer Vergewisserung“ über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, grundsätzlich nicht in Betracht.
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Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland dann Schutz zu gewähren, wenn ein solcher durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des „Konzepts normativer Vergewisserung“ durch Gesetz berücksichtigt werden konnten oder aber sich die für die Qualifizierung als “sicher“ maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung hierauf noch aussteht. So sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a. a. O.) Ausnahmen u. a. dann geboten, wenn der Drittstaat gegenüber dem Schutzsuchenden selbst zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird, oder wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer der Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (vgl. zur Problematik der Bestimmung des „sicheren Drittstaates“: BVerfG, Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 - DVBl. 2009, 1304; Lübbe-Wolff, Das Asylgrundrecht nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 - DVBl. 1996, 825 ff.; s. insbesondere auch zur europa-rechtlichen Dimension: Weinzierl / Hruschka, Effektiver Rechtsschutz im Lichte deutscher und europäischer Grundrechte, NVwZ 2009, 1540 ff.).
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Vergleichbares gilt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn es um die Rückführung eines Ausländers in den für seinen Asylantrag zuständigen Staat im Sinne des § 27a AsylVfG geht. Dies bedeutet, dass auch der Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO „nur“ eine Ausnahme darstellt bzw. Sonderfällen vorbehalten ist. Denn eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat oder in den nach europäischem Recht oder Völkerrecht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, ist nur dann veranlasst, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme aufdrängt, dass der Asylbewerber von einem der im normativen Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 GG und der §§ 26a, 27a, 34a AsylVfG nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind dabei auch im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris). Die Annahme eines sicheren Drittstaates ist daher nur dann widerlegt, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh bzw. der inhaltlich identischen Vorschrift des Art. 3 EMRK (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EuGRrdRCh) implizieren.
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Nach der zu Art. 3 EMRK ergangenen Rechtsprechung des EGMR, auf die zur Auslegung von Art. 4 EuGrdRCH zurückzugreifen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 21.01.2011, 2011 - No. 30696 – M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, Rn. 88 m. w. N. – Juris) ist eine Behandlung unmenschlich, wenn sie absichtlich erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Eine Behandlung ist hingegen als erniedrigend anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und dadurch fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert, oder wenn sie Angst, Furcht oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder physischen Widerstand der Person zu brechen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.01.2011, a. a. O., Rn. 220 m. w. N.).
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Die ernsthafte Befürchtung grundlegender Mängel besteht nur dann, wenn in einem Mitgliedstaat eine ständige Verletzung der Kernanforderungen des europäischen Asylrechts, wie sie in den Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union ihren Niederschlag gefunden haben, stattfindet und dadurch die Menschenwürde, das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Flüchtlings beeinträchtigt wird (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Beschl. v. 22.12.2008 - 13 L 1993/08.A - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84.11 A - Juris; VG Hannover, Beschl. v. 07.06.2011 - 1 B 2106/11 - asyl.net; VG Düsseldorf, Beschl. v. 12.09.2011 - 6 L 866/11.A - Juris; Lehnert / Pelzer, Effektiver Rechtsschutz im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin II-Verordnung, ZAR 2010, 41 ff.; Lehnert/Pelzer, Der Selbsteintritt der Mitgliedstaaten im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin-II-Verordnung, NVwZ 2010, 613 ff.). Bei der Beurteilung der Frage, ob für Asylbewerber in Italien dementsprechend ein “richtliniekonformes“ Verfahren gewährleistet ist, ist dabei zunächst das Schutzniveau in den Blick zu nehmen, das sich aus Art. 28 (Sozialleistungen) und Art. 31 (Zugang zu Wohnraum) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 – Qualifikationsrichtlinie – ergibt und sodann jenes, das sich für das Asylverfahren aus der Dublin-II-VO selbst ergibt. Zugleich ist als Maßstab die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten heranzuziehen sowie die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Danach gehören zu den Kernanforderungen des europäischen Asylrechts der Zugang zu einem geordneten Asylverfahren und die Gewährung materieller Aufnahmebedingungen, welche die Grundbedürfnisse nach Unterkunft, Nahrung und medizinischer Versorgung abdecken.
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Die vorstehend aufgezeigten Grundsätze stehen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat mit Urteil vom 21.12.2011 - C 411/10 und C-493/10 - (Juris) ausgeführt, das Gemeinsame Europäische Asylsystem sei in einem Kontext entworfen, der grundsätzlich die Vermutung rechtfertige, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Gleichwohl könne – so der Gerichtshof – nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoße, so dass die ernstzunehmende Gefahr bestehe, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt würden, die mit den Grundrechten unvereinbar sei. Dabei berühre nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Dublin-II-VO. Sei jedoch ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufwiesen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Grundrechtscharta implizierten, so sei eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar.
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Bei der Beurteilung der anstehenden Frage nach dem Vorliegen eines systemischen Versagens in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in dem Mitgliedstaat ist überdies nicht (allein) darauf abzustellen, welche (abstrakte) Rechtslage dort herrscht, mithin ob etwa die vorgenannten Richtlinien in nationales Recht umgesetzt wurden, sondern es sind (ebenfalls) die konkreten bzw. realen Verhältnisse für die Asylbewerber, mithin die bestehende tatsächliche Verwaltungs- und Rechtspraxis in den Blick zu nehmen (ebenso VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009, 406 = Juris).
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Ferner ist darauf abzustellen, ob es sich bei eventuell feststellbaren Defiziten und Mängeln, etwa in Form von Rechtsverstößen und zu erwartenden Beeinträchtigungen, nur um Einzelfälle oder – soweit es sich nicht nur um Einzelfälle handelt – um bloße vorübergehende, temporäre Erscheinungen handelt, die etwa einer überraschenden Entwicklung geschuldet sind, denen aber in naher Zukunft voraussichtlich abgeholfen wird. Anders verhält es sich indes in jenen Fällen, in denen aufgrund einer Vielzahl von Referenzfällen hinreichend belegte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die Missstände und Unzulänglichkeiten dauerhaft manifestiert haben. Die insoweit erforderliche Feststellung des Vorliegens systemischer Mängel und Missstände hat somit eine quantitative wie qualitative Komponente. Ob die desolaten Verhältnisse im Mitgliedstaat dabei darauf zurückzuführen sind, dass dieser zur Schaffung geordneter und richtlinienkonformer Verhältnisse nicht bereit oder nicht in der Lage ist, macht dabei grundsätzlich keinen Unterschied.
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3) In Anwendung der genannten Kriterien ist im Fall der Klägerin von Folgendem auszugehen:
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Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, in Ausübung des insoweit bestehenden Ermessens von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen. Auch kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, sie besitze zumindest einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO, um als Ausnahme von den sonstigen Zuständigkeitsregeln der genannten Verordnung die Prüfung ihres Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. Diesem Recht der Klägerin ist mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten entsprochen worden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte ihr Ermessen verkannt hätte; auch rechtfertigt sich nicht die Annahme des Vorliegens eines formellen Ermessensfehlers, da keinerlei Gründe vorliegen, die einen sog. Selbsteintritt zu rechtfertigen vermögen.
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Zur Überzeugung des Senats ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie von “Dublin-II-Rückkehrern“ in Italien nicht ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und / oder die Aufnahmebedingungen dort derart grundlegende Mängel aufweisen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh zu erwarten steht. Der Senat ist vielmehr unter Anlegung der zuvor genannten strengen Maßstäbe zur Überzeugung gelangt, dass für die nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. rücküberstellten Asylbewerber in der Gesamtschau ein ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren gewährleistet ist und dass für den Fall der Abschiebung bzw. Rückführung der betroffenen Asylsuchenden zwecks Durchführung eines Asylverfahrens nicht mit schwerwiegenden Rechtsverstößen und Beeinträchtigungen zu rechnen ist (ebenso oder ähnlich u. a.: OVG Lüneburg, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -; Beschl. v. 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 –; VG Bremen, Beschl. v. 15.04.2013 - 2 V 440/13.A -; VG Regensburg, Beschl. v. 05.02.2013 - RN 5 S 13.30026 -; Beschl. v. 26.02.2013 - RN 9 K 11.30445 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 17.09.2012 - 13 L 1447/12.A -; Beschl. v. 08.01.2013 - 6 L 104/13.A - und Beschl. v. 06.02. 2013 - 17 L 150/13.A -; VG Augsburg, Urt. v. 11.01.2013 - Au 6 K 12.30358 -; VG Leipzig, Urt. v. 07.12.2012 - A 1 K 973/11 -; VG München, Beschl. v. 08.11.2012 - M 15 E 12.30772 -; VG Würzburg, Beschl. v. 30.10.2012 - W 6 E 12.30288 -; VG Trier, Beschl. v. 25.10.2012 - 5 L 1146/12.TR -; VG Schwerin, Beschl. v. 27.09. 2012 - 8 B 434/12 As -; VG Bayreuth, Urt. v. 12.06.2012 - B 3 K 11.30142 - [bestätigt durch BayVGH, Beschl. v. 6.02.2013 - 20 ZB 12.302856 -]; a. A. oder eine Entscheidung in der Hauptsache vorbehaltend: VG Köln, Beschl. v. 07.05.2013 - 20 L 613/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 30.04.2013 - 10a L 484/13.A -; VG Schwerin, Beschl. v. 15.03.2013 - 3 B 111/13 As -; VG Aachen, Beschl. v. 14.03. 2013 - 9 L 53/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 19.02.2013 - 15a L 194/13.A -; Beschl. v. 27.02.2013 - 15a L 194/13.A -; VG Gießen, Urt. v. 24.01.2013 - 6 K 1329/12.Gl.A -; VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.10.2012 - A 9 K 2386/12 - und Beschl. v. 22.01.2013 - A 9 K 179/13 -; VG Stuttgart, Beschl. v. 08.01.2013 - A 7 K 3929/12 -; VG des Saarlandes, Beschl. v. 03.09.2012 - 3 L 789/12 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 29.08.2012 - 14 L 1392/12.A – alle: Juris; VG Freiburg, Beschl. v. 27.10.2011 - A 5 K 2081/11 -; VG Magdeburg, Beschl. v. 17.07.2012 – 9 B 148/12 -; Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 100/11 -; Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -; vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/ 12.A - Juris). Das Asylsystem in Italien mit dem dort geregelten und praktizierten Aufnahme- und Asylverfahren einschließlich der Unterbringungs- und Versorgungslage für die in Italien schutzsuchenden Flüchtlinge und Asylbewerber entspricht den Anforderungen des europäischen Asylsystems, selbst wenn es in Teilbereichen gewisse Mängel und Defizite aufweist. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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a) Nach dem dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterial ist davon auszugehen, dass für Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien, jedenfalls soweit es sich um Dublin-II-Rückkehrer handelt, grundsätzlich ein geordnetes Aufnahmeverfahren und auch ein ungehinderter Zugang zum Asylverfahren gewährleistet sind.
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Der Senat verkennt nicht, dass es in Italien für Asylbewerber und Flüchtlinge – und zwar bis in die jüngste Vergangenheit hinein – eine Vielzahl von Einreiseverweigerungen und Abschiebungen gegeben hat, bevor ein Asylverfahren durchgeführt werden konnte bzw. ein solches abgewartet worden wäre. Namentlich sind Fälle bekannt geworden, wonach es Zurückweisungen von Flüchtlingen auf hoher See und vor der italienischen Küste, aber auch vom italienischen Territorium gegeben hat, die offenbar darauf abzielten, den Strom von Flüchtlingen – insbesondere aus Nordafrika – abzuwehren, die in Italien Zuflucht haben suchen wollen (vgl. UNHCR, Bericht v. 16.08. 2011: „Hunderte Neuankömmlinge aus Libyen und Tunesien in Italien“, abrufbar unter: http://www.unhcr.de/print/home/artikel/042d9651d6d525aad46e97d7ee7848db/hunde).
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Trotz der bekannt gewordenen zahlreichen Verstöße gegen das Refoulement-Verbot und teilweise vorhandener unangemessener Erschwernisse beim Zugang zu einem Asylverfahren in Italien in den vergangenen Jahren lässt sich aber – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats betrifft – nicht (mehr) davon ausgehen, dass es, sieht man einmal von Einzelfällen ab, in Italien gegenwärtig noch zu derartigen gravierenden Rechtsverletzungen kommt, wie sie in der Vergangenheit zu beklagen waren.
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Vielmehr sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlingen und Asylsuchenden, die in Italien um Schutz nachsuchen wollten, bei ihrer Einreise auf dem Seeweg oder auf dem Landwege die Einreise oder der Aufenthalt in Italien verweigert worden sind (AA, Auskunft v. 21.02. 2013 an OVG LSA, Anm. 1.1.). Ebenso sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende nach ihrer Einreise nach Italien in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben worden sind, ohne dass sie in Italien den von ihnen beabsichtigten Asylantrag stellen konnten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 1.2.). Schließlich sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes in jüngster Zeit auch keine Fälle (mehr) bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende trotz eines in Italien gestellten Asylantrages in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben wurden (AA, a. a. O. Anm. 1.2.). Hiernach lässt sich zumindest gegenwärtig nicht mehr die Feststellung treffen, dass in Italien der Anspruch Schutzsuchender auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens generell oder auch nur regelmäßig vereitelt wird (bereits für die Vergangenheit verneinend u. a.: VG Hannover, Beschl. v. 07.07. 2011 - 1 B 2106/11 - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84/11 - Juris). Dies bedarf hier indes keiner Vertiefung.
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Denn jedenfalls lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen, dass für die im Rahmen des Verfahrens nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. zurückgeführten Asylbewerber regelmäßig oder sogar überwiegend ein ordnungsgemäßes Asylverfahren nicht gewährleistet ist. Aufgrund eines für diesen Personenkreis gesetzlich speziell geregelten Rückführungsverfahrens ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass diese nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren dort bereits gestellten Asylantrag weiterverfolgen bzw. erstmals einen Asylantrag stellen können und ihnen insoweit der Zugang zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren nicht versperrt wird. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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Asylbewerber, die gemäß dem Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehren bzw. zurückgeführt werden, treffen in der Regel auf dem Luftweg auf den Flughäfen Fiumicino in Rom, Malpensa in Mailand, Bergamo, Venedig, Bari, Brindisi oder Ancona ein. Dort werden sie – auch wenn es in Italien kein Flughafenverfahren wie in Deutschland gibt (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)) – von der Polizei in Empfang genommen und es wird ihnen eine Unterkunft in einer der Aufnahmeeinrichtungen zugeteilt, sofern ein Asylantrag gestellt wird bzw. ein Asylverfahren, bei dem Verfahrensstand, der bei Ausreise aus Italien vorlag, weitergeführt werden soll (zu allem: Schweizerische Flüchtlingshilfe, „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien. Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende“, Mai 2011, S. 17 und AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 1.4.). Die Polizei macht in diesen Fällen die verantwortliche Questura ausfindig und fordert die Rückkehrer auf, sich dorthin zu begeben. Dabei werden auch die Reisekosten übernommen (Schweizerischen Flüchtlingshilfe, a. a. O., S. 17) bzw. die Person bekommt, wenn die zuständige Questura weiter entfernt ist (Beispiel: Dublin-Rückkehr nach Rom, zuständige Questura in Catania), ein Zugticket ausgehändigt, um dort hinzureisen (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).
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Wenn die Dublin-Rückkehrer von deutschen Beamten /Polizisten begleitet werden, gibt es insoweit keine Unterschiede. Bei ihrer Ankunft werden alle Dublin-Rückkehrer von der Polaria (Luftpolizei) am Flughafen Fiumicino empfangen. Sie werden erneut erkennungsdienstlich behandelt und es erfolgt die Feststellung, welche Questura in Italien für die Person zuständig und wie der Stand des Verfahrens ist (AA, Auskunft v. 11. 09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).
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Bei ihrer Ankunft werden die Ausländer – so auch die Dublin-II-Rückkehrer – von der am Flughafen zuständigen Hilfsorganisation „Confederazione Nazionale delle Misericordie d’Italia“ betreut und in Anwesenheit von Dolmetschern über den weiteren Verfahrensablauf unterrichtet (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW - zu Frage a.)). Die genannte Hilfsorganisation sucht für die Dublin-II-Rückkehrer zugleich eine (vorläufige) Unterkunft in einem Aufnahmezentrum (z. B. einer Einrichtung der „Centri di accoglienza richiedenti asilo“ - CARA -), welches im Allgemeinen für die Erstaufnahme zuständig ist, bis die Zuweisung zu einer Asylunterkunft am Ort der zuständigen Questura erfolgt ist. Während die Dublin-II-Rückkehrer sofort eine Unterkunft in einem entsprechenden Erstaufnahmezentrum erhalten, kann die Zuweisung zu einer Asylunterkunft für die Dauer des Asylverfahrens einige Zeit dauern, weil es zunächst gewisser Formalien den jeweiligen Asylantrag betreffend bei der zuständigen Questura bedarf. Manchmal beträgt dieser Zeitraum nur einige Tage, manchmal aber auch Wochen, z. B. wenn es sich um große Städte und Ballungszentren handelt. Belastbares Zahlenmaterial bezogen auf die Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist mangels statistischer Erhebungen allerdings nicht verfügbar. In den Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber, den bereits erwähnten Einrichtungen der CARA, ist laut Gesetz grundsätzlich ein Verbleib von nicht länger als 20 bis 35 Tagen vorgesehen. Da die Zuweisungsverfahren aber oftmals länger dauern, bleiben die Antragsteller entsprechend länger in diesen Aufnahmezentren (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu den Fragen a.), b.) und c.)).
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Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln erhalten die Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft in Italien zudem Informationsbroschüren über ihre Rechte im Asylverfahren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 2.3.). Diese Broschüren existieren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen, so u. a. in persischer, arabischer, französischer, englischer, italienischer, somalischer, spanischer und tigrinischer Sprache (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 2.3.). Darüber hinaus befinden sich in den Aufnahmeeinrichtungen Betreuungsdienste, die den Asylantragstellern zur Unterstützung zur Verfügung stehen. Diese beschäftigen oftmals Mitarbeiter, die die Landessprache der Hauptherkunftsstaaten der Asylantragsteller beherrschen (AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 2.3.).
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Nach allem besteht für den Senat kein Grund zur Annahme, dass die in Italien Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft dort in unangemessener Weise “sich selber überlassen bleiben“ und sich im Hinblick auf das erstrebte Aufnahme- und Asylverfahren nicht zurecht finden können.
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Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass die Rücküberstellung von Asylbewerbern auf der Grundlage der Dublin-II-Verordnung seitens der italienischen Behörden auf Widerstände stößt. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es im Rahmen des Dublin-Systems vor einer Asylantragstellung oder während des Asylverfahrens zu Einreiserverweigerungen, Rücküberstellungen oder sonstigen Ausweisungen in die Herkunftsländer der Asylbewerber kommt (vgl. UNHCR, Stellungnahme v. 24.04.2012 an VG Braunschweig, S. 5).
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b) Der Senat vermag aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel auch nicht zur Einschätzung zu gelangen, dass Asylsuchende und Flüchtlinge – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts betrifft – nach ihrer Einreise und / oder während ihres Asylverfahrens mangels einer (angemessenen) Unterkunft regelmäßig oder auch nur in einer Vielzahl von Fällen in die Obdachlosigkeit geraten, mithin „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen.
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aa) Dabei ist zunächst hervorzuheben, dass Asylsuchende während des Asylverfahrens einen Rechtsanspruch auf eine Unterbringung besitzen, und zwar gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Dieser Anspruch ist grundsätzlich wohl auch behördlich bzw. gerichtlich durchsetzbar. Dies deckt sich jedenfalls mit einer Antwort der Bundesregierung vom 18. April 2011 auf eine Kleine Anfrage im Bundestag ("Lage von Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen in Italien" – BT-Drucks. 17/5579), aus der sich ergibt, dass Asylbewerber in Italien einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Unterkunft haben. Allerdings kommt es für die Beurteilung der in Rede stehenden Frage nicht in erster Linie auf die bestehende Rechtslage an; maßgeblich ist vielmehr auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen.
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Nach den aktuellen Auskünften des Auswärtigen Amtes stellt sich indes die tatsächliche Unterbringungssituation im Rahmen des italienischen Aufnahmesystems für Asylbewerber und Flüchtlinge Anfang 2013 (5. Kalenderwoche) wie folgt dar:
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Die Aufnahmezentren der CARA verfügen über 5.516 Plätze und beherbergen derzeit ca. 5.300 Personen nebst 2.710 Plätzen in den Einrichtungen der CARA von Lampedusa, so dass insgesamt mehr als 8.000 Plätze zur Verfügung stehen. Die Zahlen im Gutachten von Frau Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 11), wonach 3.163 Personen in den genannten Einrichtungen aufgenommen werden könnten, seien inzwischen überholt (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.).
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Darüber hinaus stehen den Asylbewerbern und Flüchtlingen grundsätzlich die staatlichen Aufnahmeeinrichtungen der SPRAR („Sistems di Protezione per Richiedenti Asilo e Refugiati“) zur Verfügung. Die dort vorhandenen Plätze sind laut Auskunft des Auswärtigen Amtes in der Vergangenheit deutlich angestiegen: Bisher habe es 3.000 Plätze gegeben, so dass dort (weil eine Unterbringung regelmäßig nur für 6 Monate vorgesehen sei) insgesamt 6.000 Personen hätten versorgt und untergebracht werden können (vgl. zur Aufnahmekapazität von etwa 3.000 Personen u. a. auch der Bericht der Schweizerische Flüchtlingshilfe, a. a. O. S. 5). Nunmehr aber stehen nach Auskunft des Auswärtigen Amtes - bestätigt durch Auskünfte von Mitarbeitern der SPRAR und des italienischen Innenministeriums – insgesamt 5.000 Plätze zur Verfügung, so dass 8.000 bis 10.000 Personen untergebracht werden könnten, ungeachtet der im Rahmen des EU-finanzierten FER-Projektes für vulnerable Personen und anderer Projekte vorhandenen weiteren Plätze (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.). Dies entspricht in etwa auch der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.02.2013 auf Anfrage des Senats, wonach inzwischen in ganz Italien 40 Aufnahmezentren mit rund 9.000 Plätzen zur Verfügung stehen (AA, a. a. O., Anm. 4.3.).
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Dem steht z. B. für das Jahr 2012 eine Anzahl von 1.148 Personen gegenüber, die als Rückkehrer im Rahmen der Dublin-II-Verordnung über Rom nach Italien zurückgeschickt wurden und von der Organisation Ariconfraternita am Flughafen von Rom betreut wurden (Gutachten an das VG Braunschweig von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012, S. 25 und S. 59 – in Ermangelung der erfassten Gesamtzahlen der Dublin-Rückkehrer nach Italien). Berücksichtigt man überdies, dass die Zahl der Asylbewerber seit 2012 – trotz gewisser Schwankungen – insgesamt rückläufig ist, kann zumindest gegenwärtig nicht (mehr) von unzureichenden Aufnahme- und Unterbringungskapazitäten ausgegangen werden. Zur Überzeugung des Senats dürfte sich somit die aktuelle Situation in Italien soweit entspannt haben, dass sämtliche Asylbewerber, und insbesondere Dublin-II-Rückkehrer, in den öffentlichen Aufnahmeeinrichtungen Platz finden können (ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -
).
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Die Annahme fehlender Kapazitäten für die Unterbringung von Dublin-II-Rückkehrern nach Italien ist insbesondere auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil es in der Vergangenheit zu einem massiven Zustrom von Flüchtlingen aus Nordafrika gekommen ist und dies zu (nachhaltigen) Engpässen bei der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern geführt hat.
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Der UNHCR hat in diesem Zusammenhang in seiner Stellungnahme vom 24. April 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 3) auf Folgendes hingewiesen: Im Jahre 2011 sind nach der Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika und der darauf folgenden Erklärung des „humanitären Notstandes“ die regionalen Regierungen gebeten worden, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu bestimmen, da die bestehenden Aufnahmekapazitäten als unzureichend eingeschätzt wurden. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden (Regionen, bestimmten Provinzen [„Province Autonome“] und Gemeinden) seien Vereinbarungen getroffen worden, in denen Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Die Verantwortlichkeit für den diesbezüglichen Aufnahmeplan liege beim Leiter des Zivilschutzes („Dipartimento di Protezione Civile“). Bis Anfang 2012 seien 20.000 Personen im Rahmen des Plans in den Notunterkünften, meist in Einrichtungen kleiner bis mittlerer Größe, untergebracht worden, die in ganz Italien verteilt sind.
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Dies deckt sich mit den Auskünften des Auswärtigen Amtes. Danach hätten die vorgehaltenen temporären Aufnahmestrukturen des Zivilschutzes, die anlässlich des Flüchtlingsstromes aus Nordafrika in der Größenordnung von 50.000 Plätzen in den Regionen geschaffen worden seien, die bestehenden Engpässe kompensiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.3.).
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Soweit im Gutachten von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O., S. 15) darauf verwiesen wird, dass die durch den Zivilschutz zusätzlich geschaffenen Unterkünfte nur zeitlich befristet vorgesehen gewesen seien, zunächst wohl nur bis Ende 2011 und alsdann bis Ende 2012, und dass diese inzwischen wieder geschlossen worden seien, so rechtfertigt auch dieser Einwand nach Auffassung des Senats nicht die Annahme, dass es gegenwärtig und zukünftig wieder zu fehlenden Kapazitäten in den staatlichen Einrichtungen kommen wird.
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Zwar trifft es zu, dass das Notstandsprogramm befristet war und inzwischen wohl offiziell ausgelaufen ist. Allerdings trifft es ebenfalls zu, dass die Einrichtungen derzeit faktisch zumindest in einem beschränkten Umfang fortgeführt werden. Grund für die Schließung der Notunterkünfte war der Umstand, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge gegenüber den Vorjahren, insbesondere dem Jahr 2011 und 2012, deutlich zurück gegangen war. Allerdings waren nach Auskunft des Auswärtigen Amtes Anfang des Jahres 2013 noch ca. 17.000 Personen in den temporären Einrichtungen des Zivilschutzes untergebracht (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 4.3.). Das Auswärtige Amt hat unterdessen mit seiner neuesten Auskunft – unter Berufung auf den Leiter des Italienischen Amtes für Aufnahmezentren und Betreuung, Herrn Tommaso Ricciardi vom 04. September 2013 – zum Notstandsprojekt Nordafrika mitgeteilt, dass sich derzeit nur noch etwa 1.000 Personen („vulnerable cases“ und Asylbewerber, die ein Rechtsmittel eingelegt haben) in den Notunterkünften befinden. Offiziell hätten diese nunmehr am 01. September 2013 schließen sollen. Es werde gegenwärtig überlegt, wie die Versorgung dieser Personen weiter gewährleistet werden kann (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW – zu Frage e)).
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Angesichts der aufgezeigten Entwicklung steht auch nicht zu erwarten, dass mit der Schließung der Notunterkünfte die dort untergebrachten bzw. noch verbliebenen Asylbewerber und Flüchtlinge in die staatlichen Unterkünfte drängen und es damit zu erneuten Überbelegungen kommen wird, mithin die Problematik fehlender Kapazitäten in den staatlichen Zentren erneut auftritt. Das Auswärtige Amt weist zudem ausdrücklich darauf hin, dass das Auslaufen des Nordafrika-Programms keine konkreten Auswirkungen auf die Dublin-Rückkehrer hat, da für diesen Personenkreis (der nicht in den Notunterkünften untergebracht wird) von vornherein kein unmittelbarer Zusammenhang zum Programm bestand (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW – zu Frage e)).
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Gegenteiliges dürfte zur Überzeugung des Senats auch dann nicht anzunehmen sein, wenn es zu einem erneuten Anstieg der Zahl von Asylbewerbern in Italien kommen sollte. Das ausgelaufene Notstandsprogramm belegt, dass Italien Unterbringungsplätze in erheblichen Umfang zusätzlich zur Verfügung stellen kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Das geschaffene Notstandsprogramm lässt darauf schließen, dass die verantwortlichen Stellen – selbst wenn sie auf Druck der übrigen EU-Mitgliedstaaten tätig geworden sein sollten – bemüht sind, sich dem jeweiligen unterschiedlichen Unterkunftsbedarf in der gebotenen Weise anzupassen. Dies lässt es insbesondere nicht ausgeschlossen erscheinen, dass bei einem eventuellen erneuten Anstieg der in Italien eintreffenden Flüchtlinge und Asylbewerber entsprechende Programme zur kurzfristigen Schaffung zusätzlicher Unterkünfte neu aufgelegt werden. Dies alles rechtfertigt keine grundlegenden Zweifel daran, dass ein insoweit auch nach Beendigung des Notstandsprogramms fortdauernder Bedarf oder erneute Massenanstürme von Flüchtlingen bewältigt werden können (ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O.).
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Im Übrigen erkennt auch der UNHCR an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des staatlichen Aufnahmesystems stattgefunden haben. Insgesamt seien die Einrichtungen der CARA, CDA und SPRAR (nunmehr) in der Lage, dem Aufnahmebedarf einer „signifikanten Anzahl“ von Asylsuchenden nachzukommen (Stellungnahme vom 24. April 2012 an VG Braunschweig, S. 3). Allerdings macht der UNHCR die Einschränkung, dass die Kapazitäten der genannten Einrichtungen nicht für die Unterbringung aller unterstützungsbedürftigen Asylsuchenden ausreichend sein dürften, wenn Personen in erheblicher Anzahl neu in Italien ankommen würden (UNHCR, a. a. O., S. 3). Indes bestehen z. Z. keine Anhaltspunkte dafür, dass es in Italien derzeit oder in absehbarer Zeit erneut zu einem derartigen Anstieg der Asylbewerberzahlen kommen wird, wie er etwa in den Jahren 2010 und 2011 zu verzeichnen war.
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Eine andere Bewertung der Unterkunftssituation für Asylbewerber und Flüchtlinge erscheint dem Senat schließlich auch nicht deshalb geboten, weil nach Auffassung des UNHCR (Stellungnahme v. 24.04.2012) in der gegenwärtigen Situation davon auszugehen sei, dass derzeit die überwiegende Anzahl aller Asylverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden können, und die Aufnahme in den Aufnahmezentren regelmäßig auf sechs Monate befristet sei. Abgesehen davon, dass der UNHCR selbst einräumt, dass keine konkreten Zahlen zur Dauer der Asylverfahren vorliegen, besteht nach Auskunft des Auswärtigen Amtes die Möglichkeit, dass im Einzelfall – so auch bei Einlegung von Rechtsmitteln – die Aufenthaltsdauer in der Einrichtung verlängert wird.
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Zudem ist auch dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Mai 2011 zu entnehmen, dass für die Aufnahme von Asylbewerbern eben nicht nur CARA-, CIE- und SPRAR-Zentren zur Verfügung stehen, sondern auch andere Zentren vorhanden sind basierend auf Abkommen zwischen dem Innenministerium und Gemeinden, aber auch von der Stadt – wie etwa Rom - finanzierte und von NGO’s betriebene Zentren (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende, S. 19). Nach dem vorgenannten Bericht (a. a. O. S. 19) kommen noch kirchliche und karitative Einrichtungen hinzu. Dass es unter Berücksichtigung der Aufnahmekapazität all dieser öffentlichen und privaten Einrichtungen sowie unter Nutzung des Angebotes des Wohnungsmarktes nicht möglich ist, eine Unterkunft zu finden, ist nicht ersichtlich.
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Das Auswärtige Amt weist ebenfalls darauf hin, dass neben den staatlichen Unterbringungszentren zusätzlich kommunale und karitative Einrichtungen existieren wie z. B. Caritas, Migrantes in Rom, die Schwestern des Ordens der Mutter Teresa „Suore Missionarie della Carità“ und andere Hilfsorganisationen (Comunità di Sant’Egidio, Opere Antoniane, Stranieri in Italia, Centro Astalle - Jesuiten -), welche die Antragsteller und Asylbewerber versorgen und ihnen Unterkunftsplätze besorgen (AA, Auskunft v. 21.08.2013 an OVG LSA - zur Frage 3.). Dies entspricht zugleich der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, wonach nicht davon auszugehen ist, dass jene Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz finden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen (AA, a. a. O. Anm. 4.3.).
- 95
Veranlassung zu einer anderen Einschätzung gibt dem Senat schließlich auch nicht der Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“ vom 28. Februar 2011, wonach angeblich davon auszugehen ist, dass „in der Vergangenheit 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer der Gefahr der Obdachlosigkeit überlassen worden seien“. Der Senat geht dabei davon aus, dass diese Aussage nicht bedeutet, dass etwa 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer tatsächlich in die Obdachlosigkeit geraten sind, sondern dass es sich hierbei – da der Bericht lediglich von einer „Gefahr“ einer Obdachlosigkeit spricht – um eine bloße Annahme handelt in Bezug auf das womöglich bestehende Risiko, von einer Obdachlosigkeit betroffen zu werden. Dem Senat erscheint bei dieser Sachlage allerdings nicht nachvollziehbar, wie eine (potentielle) „Gefahr“ prozentual derart exakt prognostiziert werden kann, wie dies im Bericht mit 88 vom Hundert geschehen ist, zumal die Unterbringung in staatlichen und privaten Einrichtungen und auch die Wohnungssuche im Allgemeinen mit einer Fülle von Unwägbarkeiten verbunden ist. Überdies sind die Angaben nur bedingt brauchbar, weil eben nicht erkennbar wird, auf welchen Erkenntnissen diese beruhen und welche zurückliegenden Zeiträume in Bezug genommen werden, wenn davon gesprochen wird, dass sich Aussage auf die „Vergangenheit“ beziehe.
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bb) Ebenso lässt sich nach Auffassung des Senats nicht feststellen, dass Asylbewerber infolge unzureichender und unzumutbarer Verhältnisse in den staatlichen bzw. privaten Unterkünften, namentlich etwa aufgrund unhygienischer Zustände oder Gewalttätigkeiten und krimineller Delikte wie u. a. Diebstahl, Vergewaltigung oder erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind. Dabei wird nicht verkannt, dass es in Unterkünften mit einer Vielzahl von – teilweise auch traumatisierten – Flüchtlingen unterschiedlicher Nationalität, Religion und Gebräuchen häufiger als in anderen Bereichen der Gesellschaft zu Konflikten und gelegentlich auch gewaltsamen Übergriffen kommen dürfte. Es dürfte sich dabei allerdings um ein allgemeines Phänomen in Gemeinschaftseinrichtungen handeln, dem die staatlichen Stellen nur bedingt wirksam entgegen wirken können. Auch wenn die Aufnahme-, Unterbringungs- und Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Italien regelmäßig nicht mit dem hiesigen Standard vergleichbar sein mögen, ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die Zustände in den Unterkünften im Allgemeinen jedenfalls nicht derart unzumutbar und unhaltbar sind, dass deshalb die Feststellung einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung der Asylbewerber gerechtfertigt erschiene. Dies gilt zum einen hinsichtlich der hygienischen Verhältnisse. So wird nach Auskunft des Auswärtigen Amtes von den staatlichen Aufnahmezentren und Einrichtungen Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Überdies teilt das Auswärtige Amt zur Situation in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften mit, dass die hygienischen Verhältnisse dort nicht regelmäßig oder sogar überwiegend sich in der Weise darstellen, dass man ernstlich Gefahr läuft zu erkranken. Sie seien auch nicht dergestalt, dass sie nicht den Mindestanforderungen (Kochstellen, Toiletten, Waschräume, fließendes Wasser und Elektrik) genügen würden. Vielmehr seien sie durchweg so beschaffen, dass kleinere Schlafräume in Wohnhäusern oder Containern vorhanden seien, die auch zumeist mit Klimaanlagen und Zentralheizung versehen seien. Insbesondere seien Toilettenräume in ausreichender Zahl und getrennt nach Geschlechtern vorhanden. Gleiches gelte für Waschräume. Die Verpflegung werde vielfach in einem gemeinsamen Speisesaal bereitgestellt. Vereinzelt bestünden auch zusätzliche Möglichkeiten für die eigene Zubereitung von Mahlzeiten. Ferner seien in den Einrichtungen Sozialräume sowie getrennte Räumlichkeiten für medizinische Dienste und Sonderfälle vorhanden. Zur Aufrechterhaltung der Sauberkeit der allgemeinen Räumlichkeiten würden spezielle Reinigungsdienste beschäftigt (vgl. zu allem: AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 4.5.).
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Zum anderen lässt sich aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse auch nicht feststellen, dass sich die Verhältnisse in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften in der Weise darstellen, dass die Bewohner in ständiger Angst leben müssten, „angegriffen, ausgeraubt oder gar vergewaltigt“ zu werden. Zwar gibt es Berichte, wonach es zu gewaltsamen Übergriffen von männlichen auf weibliche Bewohner gekommen sein soll; hierbei handelt es sich aber um Einzelfälle, wenngleich statistische Erhebungen zur Kriminalität speziell in den genannten Einrichtungen nicht existieren bzw. nicht bekannt sind. Darüber hinaus werden die Aufnahmeeinrichtungen zumindest durch die Polizei oder Carabinieri überwacht und geschützt; wegen auftretender Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien wurden in manchen Einrichtungen zudem zusätzliche Polizeikräfte postiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.6.).
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Im Ergebnis vermag der Senat somit nicht festzustellen, dass es – sieht man von Engpässen und Einzelschicksalen ab – mit der Durchführung von Asylverfahren in Italien generell zu Begleiterscheinungen wie etwa Obdachlosigkeit oder aufgrund der Zustände in den Unterkünften zu einer Verwahrlosung der Asylbewerber kommt.
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c) Der Senat vermag ebenfalls nicht festzustellen, dass Schutzsuchende während des Asylverfahrens in Italien unter Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh in materieller Not leben müssen, so dass von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszugehen wäre, oder mit Blick auf die Versorgungssituation und soziale Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge gemessen an den Vorgaben des unionsrechtlichen Sekundärrechts sich das Asylsystem als nicht (mehr) richtlinienkonform darstellt.
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Asylsuchende und Flüchtlinge haben nach Auskunft des Auswärtigen Amtes während des Asylverfahrens einen (Rechts-)Anspruch auf (angemessene) Verpflegung und Versorgung (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1.). Dieser Verpflichtung wird im Allgemeinen dadurch nachgekommen, dass in den staatlichen Unterkünften und Aufnahmezentren entsprechende Leistungen erbracht werden. Namentlich wird auch Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Vorgenanntes gilt gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.).
- 101
Ebenso werden Asylbewerber und Flüchtlinge, die in nichtstaatlichen, namentlich karitativen und kirchlichen Unterkünften leben, mit Nahrung und Kleidung versorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA, Auskunft v. 21. 02.2013, Anm. 5.2.). Allerdings ist für Asylbewerber und Flüchtlinge außerhalb staatlicher sowie karitativer und kirchlicher Einrichtungen eine staatliche Verpflegung und Versorgung nicht (mehr) gewährleistet. Auch existiert in Italien nur ein sehr eingeschränktes staatliches Sozialhilfesystem; danach erhalten nur Personen über dem 65. Lebensjahr Sozialhilfeleistungen. Im vorliegenden Fall würde dies sogar bedeuten, dass die 65-jährige Klägerin auch staatliche Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen könnte. Im Übrigen haben die Betroffenen auch als Asylbewerber und schutzsuchende Flüchtlinge einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 5.1.).
- 102
In der Praxis kann somit nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Asylbewerber und Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt regelmäßig nicht durch Betteln und / oder Prostitution sichern müssen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.). Vielmehr ist insgesamt eine ausreichende Versorgung vorhanden. Einzelfälle sind allenfalls auf das in der aktuellen Wirtschaftskrise insbesondere in italienischen Großstädten zunehmend auftretende Phänomen des Bettelns und die damit einhergehenden erhofften zusätzlichen Einkunftsmöglichkeiten zurückzuführen. Was die Prostitution angeht, so ist nicht völlig auszuschließen, dass weibliche Asylbewerber oder Flüchtlinge in Einzelfällen durch Angehörige der organisierten Kriminalität rekrutiert werden und dann tatsächlich der Prostitution nachgehen. Dies ist aber nicht im kausalen Zusammenhang mit Defiziten im Asylverfahren zu sehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.; Auskunft v. 24.09.2012, S. 3 - Antwort auf Frage b 2)).
- 103
Im Übrigen folgt aus Art. 3 EMRK und Art. 4 EuGrdRCh auch nicht die Verpflichtung, Asylbewerbern und Flüchtlingen eine finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihnen einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.02.2011, a. a. O.).
- 104
Ebenso ist ein Verstoß gegen die Richtlinie 2004/83/EG nicht ersichtlich. Kapitel VII der Richtlinie gestaltet den Inhalt des internationalen Flüchtlingsschutzes zwar u. a. dahin gehend aus, dass Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte grundsätzlich Zugang zu Sozialleistungen (Art. 28), medizinischer Versorgung (Art. 29) und Wohnraum (Art. 31) erhalten. Allerdings gehen die Bestimmungen über die Gebote zur Inländergleichbehandlung (Art. 28, 29) bzw. zur Ausländergleichbehandlung (Art. 31) nicht hinaus. Art. 28 und 29 der Richtlinie gewährleisten die notwendige Sozialhilfe bzw. medizinische Versorgung nur insoweit, wie die Mitgliedstaaten ihren eigenen Staatsangehörigen eine entsprechende Behandlung bzw. Versorgung gewähren; für Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte besteht zudem die Möglichkeit, den Anspruch auf Kernleistungen zu beschränken, die dann im Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige zu gewähren sind. Demzufolge muss der in Italien bestehende allgemeine Lebensstandard für andere, vergleichbare Personen mit italienischer Staatsangehörigkeit in den Blick genommen werden, die ebenfalls keine staatlichen Sozialleistungen in Anspruch nehmen können und bei denen ebenfalls nur durch die Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten oder aber vermittels von Zuwendungen karitativer oder kirchlicher Organisationen das Existenzminimum gesichert ist.
- 105
Nach allem lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh nicht daraus herleiten, dass – worauf in der Rechtsprechung einzelner Verwaltungsgerichte abgestellt wird – ein staatliches Sozialsystem, welches Flüchtlingen und Asylsuchenden zumindest ein Existenzminimum garantiert, nicht zur Verfügung steht und dass die Betroffenen deshalb darauf angewiesen seien, sich „selbst durch das Leben zu schlagen“ (vgl. VG Magdeburg, Beschl. v. 28.03.2011 - 9 B 101/11 MD - Juris; Gerichtsbescheid v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 - [S. 5 d. UA]; VG Braunschweig, Beschl. v. 31.05.2011 - 1 B 103/11 - m. w. N. - Juris).
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Im Übrigen ist in der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a. a. O. S. 22) nicht – wie gelegentlich behauptet wird – die Rede davon, dass der genannte Personenkreis „in extremer Armut lebt und dass sie ihre Lebensbedürfnisse nicht decken können“. Vielmehr ist – wohl mit Bedacht – davon die Rede, dass sie Gefahr laufen, womöglich in eine solche Situation zu geraten; dass sich indes diese Gefahr bereits in eine Vielzahl von Fällen realisiert hätte oder gleichsam regelmäßig bzw. für jeden Asylsuchenden und Flüchtling die konkrete Gefahr bestünde, dass nicht einmal das Existenzminimum gesichert ist, wird nicht behauptet. Dies schließt nicht aus, dass es in Einzelfällen auch zu besonderen Notlagen kommen mag und dass der Lebensstandard der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien im Allgemeinen sehr gering sein dürfte. Gleichwohl vermag der Senat anhand des ihm vorliegenden umfassenden Erkenntnismaterials aber nicht festzustellen, dass die Situation für Flüchtlinge und Asylsuchende in den Zentren und außerhalb derselben derart prekär wäre, dass deshalb von einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh auszugehen ist.
- 107
d) Soweit es die medizinische Versorgung betrifft, sind alle Mitgliedstaaten aufgrund der EU-Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 verpflichtet, bestimmte Mindeststandards der medizinischen Versorgung zu gewährleisten. So haben alle Mitgliedstaaten nach Art. 15 der genannten Richtlinie dafür Sorge zu tragen, dass Asylbewerber und Flüchtlinge die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung für die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst. Dabei ist auch Asylbewerbern mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische und sonstige Hilfe zu gewähren.
- 108
In Italien ist im Rahmen des nationalen Gesundheitsdienstes grundsätzlich ein medizinischer Mindestbehandlungsstandard gewährleistet. Asylbewerber und Flüchtlinge haben in Italien während des Asylverfahrens einen Anspruch auf eine „freie“ (kostenlose) medizinische Versorgung sowie auch auf psychologische Hilfe, insbesondere auch Minderjährige und traumatisierte Personen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.3.).
- 109
Dem entspricht es, wenn im Entscheiderrundbrief des Bundesamtes 7/2011 (a. a. O., S. 8) zur medizinischen Versorgung festgestellt wird, dass bei der Überstellung von kranken bzw. traumatisierten Personen – wie bei jedem italienischen Staatsbürger – die Möglichkeit der (medizinischen) Behandlung besteht. Bereits im Jahre 2009 habe es bei der SPRAR drei Zentren gegeben, in denen auch psychisch kranke Personen hätten behandelt werden können (zwei in Rom, eines in Turin). Für 2011 seien zudem 50 weitere Behandlungsplätze für psychisch kranke Personen bzw. Personen mit besonders schweren Erkrankungen geplant worden. Inzwischen würden bei Dublin-Überstellungen psychisch kranke Personen in Italien als eine besonders „vulnerable Gruppe“ angesehen.
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Voraussetzung für den Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem ist zwar grundsätzlich ein gültiger Aufenthaltstitel bzw. ein rechtmäßiger Aufenthalt; bei im italienischen Asylverfahren befindliche Personen stellt sich dieses Problem aber nicht. Der Zugang zu öffentlichen medizinischen Leistungen ist auch nicht an die Voraussetzung eines ständigen Wohnsitzes bzw. feste Adresse gekoppelt, wie gelegentlich behauptet wird. Vielmehr erhalten Asylbewerber bei Bedarf auch ohne einen solchen ständigen Wohnsitz bzw. feste Anschrift vom nationalen Gesundheitsdienst einen Gesundheitsausweis („tessera sanitara“) und eine Steuernummer („codice fiscale“) (vgl. AA, Auskunft v. 09.10.2012 an VG Minden, S. 2 - zur Frage b) 4; ebenso: AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg - S. 2 Ziffer I b)). Sollte hingegen etwas anderes gelten, ist davon auszugehen, dass aufgrund einer aktuellen Vereinbarung zwischen der Zentralregierung und den Regionen zumindest eine Not- und Grundversorgung auch für sich illegal in Italien aufhaltende Personen garantiert ist (AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 6.2.).
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Der Senat vermag angesichts dieser Situation nicht zu erkennen, dass damit den eingangs aufgezeigten Mindeststandards bzw. Kernanforderungen nicht genügt wird. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass in bestimmten Fällen womöglich einzelnen Personen eine nur unzureichende medizinische Versorgung zuteil wurde oder diese aus dem medizinischen Versorgungssystem herausgefallen sind.
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Aber selbst dann, wenn für kranke, behinderte oder sonst gesundheitlich besonders schutzbedürftige Personen die garantierte medizinische Not- und Grundversorgung nicht als ausreichend angesehen würde, ergäben sich daraus jedenfalls für die Klägerin, die keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen angeführt hat, keine Bedenken gegen ihre Überstellung nach Italien.
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e) Soweit es das Asylverfahren als solches, namentlich die Qualität und die Dauer des Verfahrens betrifft, lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 EMRK und Art. 4 EuGrdRCH sowie gegen die einschlägigen unionsrechtlichen Richtlinien ebenfalls nicht feststellen.
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Italien gewährleistet entsprechend dem (Grund-)Recht auf Asyl (gem. Art. 10 Abs. 3 der italienischen Verfassung, verschiedenen Einwanderungs- und Asylverfahrensgesetzen, insbesondere nach dem Gesetz No. 25/2008 vom 28. Januar 2008) ein Schutzverfahren, das auch für Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung greift. Besonderheiten bestehen insoweit nicht (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.1.).
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Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass es hinsichtlich der Qualität oder der Dauer der Asylverfahren einen Grund für Beanstandungen gibt. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass von einer unverhältnismäßig restriktiven Asylpraxis auszugehen ist. Gegen eine solche Annahme sprechen die Zahlen, die vom Auswärtigen Amt zum Asylverfahren benannt werden. Danach wurden im Jahre 2010 über 14.042 Asylanträge entschieden, davon wurden 2.094 Antragsteller nach der Genfer Konvention anerkannt (15 vom Hundert), 1.789 erhielten subsidiären (13 vom Hundert), 3.675 humanitären Schutz (26 vom Hundert), hingegen wurden 4.698 abgelehnt. 520 Personen waren nicht auffindbar (4 vom Hundert) und 1.266 (9 vom Hundert) sind sonstige Fälle. Dementsprechend lag die Quote der Anerkennungen bzw. der Gewährung eines Bleiberechts bei immerhin 54 vom Hundert (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 3.2.). Demgegenüber wurden im Jahre 2011 über 25.626 Asylanträge entschieden. Davon wurden 2.057 Antragsteller nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt (8 vom Hundert), 2.569 Personen erhielten subsidiären (10 vom Hundert) und 5.662 humanitären Schutz (22 vom Hundert); 11.131 Personen wurden hingegen abgelehnt (44 vom Hundert) und 2.339 Personen waren nicht auffindbar (9 vom Hundert). Die Anerkennungsquote lag 2011 somit bei 40 vom Hundert, was ebenfalls nicht die Annahme einer unverhältnismäßig restriktiven Praxis rechtfertigt (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.2.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 5 unter Hinweis auf eine entsprechende Statistik des Innenministeriums, abrufbar unter: http://www.interno.it/miniinteno/export/sites/default/it/assets/files/21/0551_statistiche_asilo.pdf).
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Es kommt hinzu, dass sich die für die Entscheidung der Asylverfahren in erster Instanz zuständigen Territorialkommissionen per Dekret des Innenministers in der Weise zusammensetzen, dass auch jeweils ein Vertreter des UNHCR beteiligt ist (Bundesamt für Migration der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Hintergrundnotiz MILA - Italien Asylverfahren, Bericht vom 23.09.2009, S.4). Dies berechtigt zur Annahme, dass der Ordnungsmäßigkeit des Asylverfahrens eine besondere Beachtung geschenkt wird.
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Hinsichtlich der Dauer des Asylverfahrens in Italien gibt es ebenfalls nichts zu beanstanden. Über den Asylantrag soll an sich innerhalb von 30 Tagen entschieden werden; zudem wird angestrebt, dass das Gesamtverfahren einschließlich gerichtlicher Überprüfung nicht länger als sechs Monaten dauert, auch wenn es immer wieder Fälle gibt, in denen diese Dauer – manchmal bis zu einem Jahr oder auch länger – überschritten wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 3.1., 3.2.; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O. Rn. 15).
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Ferner lässt sich nicht feststellen, dass es in Italien während des Asylverfahrens in nennenswerter Weise faktische Beeinträchtigungen in verfahrensrechtlicher bzw. prozessualer Hinsicht gibt. Art. 16 des italienischen Asylverfahrensgesetzes No. 25 vom 28. Januar 2008 garantiert dem Asylbewerber, dass er nach den einschlägigen Prozessvorschriften Anspruch auf eine Rechtsberatung und einen unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verfahren hat (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.4.). Zwar bestehen Zweifel, ob dies auch in der Praxis ausnahmslos Geltung besitzt, wenn man berücksichtigt, dass für die nach Rom zurückkehrenden Dublin-II-Rückkehrern (und in Rom eintreffenden Asylbewerber) die Prozesskostenhilfe davon abhängig gemacht wird, dass zum Nachweis der wirtschaftlichen Bedürftigkeit eine Bescheinigung der jeweiligen Auslandsvertretung beigebracht werden soll. Allein wegen der Tatsache, dass der Asylbewerber im Einzelfall das Verfahren ohne anwaltlichen Beistand durchzuführen hat, soweit kein Anwaltszwang besteht, kann nicht schon von einem (landesweit bestehenden) systemischen Mangel gesprochen werden, der die Annahme einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. d. Grundrechtscharta und EMRK rechtfertigt. Im Übrigen stehen dem Asylbewerber im Asylverfahren auch Übersetzungsdienste zur Verfügung (vgl. AA, Auskunft an OVG LSA v. 21.02.2013, Anm. 2.3. und 3.3.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 3).
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Insbesondere bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass – von Ausnahmen abgesehen – die für die Durchführung des Hauptsacheverfahrens erforderliche Erreichbarkeit des Asylbewerbers in Italien nicht sichergestellt wäre. Für eine solche Annahme fehlt es an hinreichend belegten Referenzfällen. Auch gibt es für Italien keine ernst zu nehmenden Quellen, wonach sich die Wahrnehmung von Verfahrensrechten (Antragstellung, Einlegung von Rechtsbehelfen etc.) regelmäßig als derart schwierig erweist, dass diese Rechte faktisch leer laufen würden.
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Soweit in der Rechtsprechung dennoch vereinzelt – so u. a. das VG Gießen (Beschl. v. 10.03.2011 - 1 L 468/11.GI.A - Juris) und ihm folgend das VG Magdeburg (Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 -) – die Auffassung vertreten wird, „es erscheine auch die Qualität der Asylverfahren bedenklich“, wird diese Kritik nicht weiter spezifiziert und auch nicht durch entsprechende Erkenntnismittel belegt.
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f) Ebenso lässt sich anhand des dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterials nicht feststellen, dass im Hinblick auf die rechtliche und soziale Situation anerkannter Asylbewerber sowie der Flüchtlinge mit einem Bleiberecht angesichts der in Italien anzutreffenden Lebens- und Versorgungssituation sowie unter Berücksichtigung der insoweit staatlicherseits unternommenen Integrationsbemühungen das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien derartige Mängel aufweist, dass es den Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht mehr entspricht.
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Schutzberechtigte, mithin anerkannte Asylbewerber (Asylberechtigte) und Personen mit subsidiärem Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten mit ihrer Anerkennung ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht; es wird ihnen eine Aufenthaltsberechtigung („permesso di soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.2.).
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Dies bedeutet in der Praxis, dass sie sich – ebenso wie italienische Staatsangehörige – grundsätzlich selbst um eine Unterkunft kümmern und auch in eigener Verantwortung einen Arbeitsplatz suchen müssen. Dafür besteht aber ein freier Zugang zum Arbeitsmarkt (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus besitzen, haben auch das Recht zu arbeiten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, a. a. O.).
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Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.). Anerkannte Asylbewerber und Personen mit einem subsidiären Schutzstatus haben Zugang zu einer Beschäftigung in Italien, wie dies durch Art. 26 und Art. 28 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) garantiert wird.
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Ein staatliches System finanzieller Hilfeleistungen bzw. ein Sozialhilfesystem existiert hingegen nicht. Denn in Italien gibt es für italienische Staatsangehörige – und somit auch für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die ihnen gleichgestellt sind – kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bzw. (sonstige) staatliche Sozialleistungen, jedenfalls soweit sie nicht das 65. Lebensjahr erreicht haben (AA, Auskunft v. 11.07.2012 an das VG Freiburg). Art. 28 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gewährt hinsichtlich der Sozialleistungen nur einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung, nicht aber einen Anspruch auf Privilegierung des anerkannten Flüchtlings.
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Zwar entspricht es der italienischen Kultur, dass es einen engen Familienzusammenhalt gibt, der im Notfall zumindest die Chance eröffnet, eine (gewisse) Unterstützung durch Familienangehörige in Anspruch nehmen zu können. Dass es eine solche vergleichbare Unterstützung unter den ausländischen Landsleuten gibt, die sich aufgrund ihres Schutzstatus dauerhaft in Italien aufhalten, erscheint nicht ausgeschlossen, dürfte aber die Ausnahme sein. Gleichwohl lässt dieser Umstand nach Auffassung des Senats für sich allein nicht schon die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass der anerkannte Flüchtling und sonstige Schutzberechtigte in Italien deshalb der konkreten Gefahr ausgesetzt wäre, „auf der Straße“ zu leben und zu verelenden.
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Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass – ebenso wie italienische Staatsangehörige in einer vergleichbaren Situation – auch anerkannte Asylbewerber und schutzberechtigte Flüchtlinge von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, wie beispielsweise durch die CARITA und CIR, Unterstützung bekommen können (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Die Zuständigkeit für die Festsetzung von derartigen öffentlichen Sozialleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen (z. B. Toskana, Emilia Romagna) wird die Höhe derartiger Leistungen durch die Kommune festgesetzt; die Leistungen weisen insoweit je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft deutliche Unterschiede auf (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Diese Erkenntnis deckt sich im Übrigen mit dem Gutachten der Flüchtlingsorganisation borderline-europe e. V. (Gutachten an das VG Braunschweig vom Dezember 2012) und der Auskunft der italienischen Vereinigung für rechtliche Untersuchungen zur Situation von Einwanderung (ASGI-Bericht vom 20. November 2011, S. 10 f.). Danach erhalten ebenfalls anerkannte Asylbewerber und Personen, denen internationaler Schutz gewährt worden ist, Unterstützungen allgemeiner Art, wie sie auch für andere mittellose Personen in Italien vorgesehen sind.
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Überdies ist für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus ein kostenfreier Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie Arzt, Zahnarzt, Krankenhaus gewährleistet (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Ein Anspruch auf Einhaltung bestimmter Mindeststandards im Hinblick auf die Gewährung von Unterkunft sowie auf eine gewisse materielle Unterstützung besteht für sie auch nach dem Unionsrecht nicht; ein solcher Anspruch besteht nur für Asylbewerber (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 - M.S.S. v. Belgium and Greece; EuGH, Urt. v. 21.12. 2011 - C-411/10 und C-493/10 - N.S. und M.E.), denn nach den Bestimmungen der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 steht Asylbewerbern und Schutzsuchenden zwar ein subjektives Recht auch auf eine angemessene Fürsorge zu. Nach Art. 3 Abs. 1 der genannten Richtlinie haben Asylbewerber jedoch nur solange Anspruch auf die in Art. 5 ff. der Richtlinie bezeichneten humanitären Leistungen, solange sie „als Asylbewerber im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen“. „Asylbewerber“ im Sinne der Richtlinie ist dabei ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde.
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Soweit anerkannten Asylbewerbern und schutzberechtigten Flüchtlingen in der Zivilbevölkerung vereinzelt Vorbehalte entgegen gebracht werden und sich diese Vorbehalte womöglich auch im Verhalten von Amtsträgern widerspiegeln sollten, lässt sich diesem Umstand keine selbständige rechtliche Bedeutung beimessen. Die gilt selbst dann, wenn der genannte Personenkreis im Alltag womöglich Benachteiligungen erfahren sollte. Denn die genannten Umstände lassen nicht den Schluss zu, dass das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien schon allein aus diesem Grunde den Regeln des europäischen Asylsystems zuwiderläuft.
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Nach allem erübrigt sich hier die Erörterung der weitergehenden Frage, ob und inwieweit auch möglicherweise jene (unionsrechtlichen) Rechtsverletzungen für die Entscheidung über den Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO relevant sind, die Personen betreffen, bei denen das Asylverfahren bereits mit einer Anerkennung bzw. mit einem subsidiären Schutzstatus abgeschlossen ist (vgl. hierzu VG Regensburg, Beschl. v. 16.08.2012 - RN 7 S 12.30273 -).
- 131
g) Zur Überzeugung des Senats steht auch bei der gebotenen Zukunftsprognose nicht zu erwarten, dass angesichts eines unvermindert anhaltenden oder wieder zunehmenden Flüchtlingsstroms nach Italien sich die dort anzutreffenden Verhältnisse (wieder) verschlechtern werden. So verhält es sich jedenfalls dann, wenn man bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats Folgendes in Rechnung stellt:
- 132
Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist in Italien gegenwärtig nicht (mehr) von einem Anstieg des Zustroms von Asylbewerbern und Flüchtlingen auszugehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013 Anm. 9.1. und 9.2.). Diese Entwicklung wird auch durch das dem Senat vorliegende Zahlenmaterial belegt. Laut Berichterstattung in der Presse (Spiegel online v. 26.04.2011) haben von Januar bis Ende April 2011 allein 26.000 Flüchtlinge in Italien um Schutz nachgesucht. Demgegenüber wurden laut Auskunft des Auswärtigen Amtes im ersten Halbjahr 2012 nur insgesamt 5.580 Asylanträge in Italien gestellt (AA, Auskunft v. 21.01.2013 Anm. 3.2.).
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Insbesondere ist auch ein deutlicher Rückgang von Anlandungen im Süden Italiens zu verzeichnen. Im Jahr 2011 waren es noch 62.692 Personen, im Jahre 2012 hingegen nur noch 13.267 Personen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1. und 9.2.). Dies ist – wie das Auswärtige Amt in nachvollziehbarer Weise feststellt – vor allem auf die Beruhigung der Lage in den Nordafrikanischen Staaten zurückzuführen (AA, a. a. O.).
- 134
Im Übrigen ist auch in der Gesamtschau des letzten Jahrzehnts nicht von einem kontinuierlichen und erheblichen Zuwachs an Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien auszugehen, so dass etwa deshalb die Annahme einer nicht (mehr) zu bewältigenden “Überlastung“ des Asylsystems in Italien begründet wäre. In der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts waren die Zahlen bis 2006 vielmehr rückläufig, die Zahl der Asylantragsteller ging insoweit von 24.000 auf 10.000 zurück. In den Jahren 2008 und 2011 gab es dann in den Spitzen über 30.000 Asylbewerber, während es im Jahre 2012 allerdings wieder weniger als 15.000 Bewerber waren. Bei den genannten Spitzen handelte es sich somit um temporäre Erscheinungen aufgrund der politischen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem “arabischen Frühling“ (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.2.). Auch ist nach aktueller Einschätzung, namentlich vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in den Mittelmeer-Anrainerstaaten, nicht damit zu rechnen, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien in absehbarer Zeit ansteigen wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.3.).
- 135
Nach allem erweist sich die in der einschlägigen Rechtsprechung vielfach angeführte Begründung, dass wegen der zu erwartenden weiteren Flüchtlingsströme von Afrika nach Italien infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen und der damit einhergehenden instabilen Verhältnisse in Nordafrika sich die Entwicklung in Italien in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern, sondern eher noch verschlechtern wird (so u. a. VG Stuttgart, Beschl. v. 02.07.2012 - A 7 K 1877/12 -
) als nicht (mehr) tragfähig.
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Insbesondere lässt sich auch der Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen – UNHCR – vom 24. April 2012 an das Verwaltungsgericht Braunschweig kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass ernsthaft zu befürchten ist, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien grundlegende Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufweisen. Nach dem Inhalt dieser Stellungnahme wurden in Italien die regionalen Regierungen im Jahr 2011 nach Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika ausdrücklich gebeten, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden wurde zudem eine Vereinbarung getroffen, in der die Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Der UNHCR erkennt vor diesem Hintergrund an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben und die CARA-, CDA- und SPRAR-Projekte insgesamt in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl von Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR, a. a. O. S. 3).
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Dass die Verhältnisse zwischen Italien und Griechenland – wie gelegentlich behauptet wird – vergleichbar sind, vermag der Senat nicht festzustellen. Dies bedarf aber auch keiner Vertiefung, weil es hierauf nicht entscheidend ankommt. Dennoch bleibt festzustellen, dass der UNHCR – anders als in Bezug auf Griechenland – für Italien jedenfalls keine Empfehlung ausgesprochen hat, von einer Überstellung bzw. Abschiebung von Dublin-II-Flüchtlingen nach Italien abzusehen. Der Senat misst diesem Umstand kein geringes Gewicht bei. Soweit vereinzelt der Einwand erhoben wird, dies sei dem Umstand geschuldet, dass der UNHCR „politische Rücksichten zu nehmen habe“, ist dies durch Nichts belegt. Zwar hat – ausweislich des Tagungsberichts von Nora Markard zum 12. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz vom 18.-19. Juni 2012 in Berlin (ZAR 10/2012 S. 380 ff. S. 381 zur Situation in Italien) – der UNHCR Senior Regional Protection Associate Jürgen Humberg im Hinblick auf die deutsche Debatte über die Zulässigkeit von Abschiebungen nach Italien angeblich betont, dass der Umstand, dass der UNHCR bisher kein Positionspapier zu Italien veröffentlicht habe, nicht bedeute, dass in Italien „alles in Ordnung sei“; eine solche Schlussfolgerung, den einige Verwaltungsgerichte zögen, sei unzulässig. Auch diese Äußerung veranlasst den Senat nicht zu einer anderen Einschätzung im Hinblick darauf, dass sich der UNHCR – anders als in anderen Fällen – einer entsprechenden offiziellen Stellungnahme bzw. Empfehlung, von einer Rückführung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen, enthalten hat. Dies bedeutet keineswegs, dass der Senat der Auffassung wäre, in Italien „sei alles in Ordnung“; hieraus aber folgt eben noch nicht, dass in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in Italien systemische Mängel feststellbar sind, die eine Verletzung der Europäischen Grundrechtscharta oder der Menschenrechtskonvention darstellen.
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Festzustellen bleibt überdies, dass der UNHCR auch in seinem jüngsten Bericht (UNHCR - Recommendations on important aspects of Refugee protection in Italy) vom Juli 2013 trotz zahlreicher kritischer Anmerkungen bei seiner Einschätzung zur aktuellen Lage der Flüchtlinge und Asylbewerber in Italien zu keinem anderen Ergebnis gekommen ist.
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Schließlich hat auch der EGMR in einer neueren Entscheidung vom 02. April 2013 (Ap-plication No. 27725/10 - Mohammed Hussein vs. the Netherlands and Italy) eine gegen die Dublin-Überstellung von den Niederlanden nach Italien gerichtete Beschwerde als offensichtlich unbegründet abgewiesen. In der Entscheidung hat sich der EGMR mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, einer nach eigenen Angaben aus Somalia stammenden Frau mit zwei kleinen Kindern, zum Asylverfahren und auch zur Unterbringungssituation in Italien auseinander gesetzt und festgestellt, dass die Situation in Italien keineswegs mit der in Griechenland vergleichbar sei (Entscheidung v. 02.04. 2013, a. a. O. Rdn. 72). Auch aus dem Umstand, dass der EGMR in einer früheren Entscheidung (Application No. 64208/11) die Abschiebung eines Asylbewerbers von Deutschland nach Italien gestoppt hat, lässt sich nicht herleiten, dass Italien generell die Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht erfüllt. Die Gründe für den mit der genannten Entscheidung verhängten Abschiebungsstopp sind letztlich nicht bekannt. Dem „Statement of Facts“ ist indes zu entnehmen, dass sich der dortige Antragsteller zwar auch auf die Lebensumstände von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Italien berufen hat, jedoch insbesondere im Raum stand, dass er durch die Abschiebung aufgrund unterschiedlicher Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Münster und Magdeburg von seiner Frau und seinen Kindern getrennt werden würde, deren Abschiebung gestoppt wurde. Weitere Fälle des EGMR (Application No. 30815/09, Application No. 37159/09, Application No. 56424/10) betrafen unbegleitete Minderjährige und die spezielle Situation einer Mutter mit einem minderjährigen Kind (Application No. 2303/10).
- 140
Im Übrigen haben sowohl der Österreichische Asylgerichtshof (Spruch v. 03.05. 2010 - S16 412.104-1/2010-4E -, veröffentlicht unter http://www.ris.bka.gv.at, dort insbes. Ziffer 2.2.2.2.1. "Kritik am italienischen Asylwesen" m. w. N.) als auch das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht (vgl. u. a. Urt. v. 15.07.2010 - D 4987/ 2010 - und Urt. v. 18.03.2010 - D-1496/2010 -, im Internet abrufbar unter: http://www.bundes verwaltungsgericht.ch/index/entscheide/Jurisdiction-datenbank/Jurisdiction-recht-urteile aza.htm) die Rückführung von Asylsuchenden nach Italien in Ansehung der dortigen Asylverfahrenspraxis grundsätzlich als zulässig angesehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der angeführten Entscheidungen Bezug genommen.
- 141
Auch der Umstand, dass zahlreiche Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien zu einer gegenteiligen Einschätzung hinsichtlich der Verhältnisse und des Asylsystems in Italien gelangt sind, veranlasst den Senat nicht zur Annahme, dass die Behandlung der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien nicht in Einklang steht mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nach Auffassung des Senats wird in der insoweit einschlägigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte häufig nicht hinreichend dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich bei den zugrunde gelegten Erkenntnismitteln nicht selten um bloße subjektive Einschätzungen handelt, die nicht in der erforderlichen Weise durch Fakten belegt sind. Auch erscheint mitunter fraglich, ob die insoweit festgestellten Mängel und Defizite verallgemeinerungsfähig sind. Nicht zuletzt haben sich die Verhältnisse in Italien – wie dargelegt – zwischenzeitlich teilweise geändert, so etwa in Bezug auf den Flüchtlingsstrom aus Nordafrika und die Anzahl der für die Asylbewerber und Flüchtlinge zur Verfügung stehenden Unterkünfte. Im Übrigen ist Gegenstand der Prüfung nach § 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) nicht die Frage, ob die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren für Flüchtling und Asylbewerber kritikwürdig sind, weil das System zahlreiche Mängel aufweist oder hinter dem Schutzniveau anderer Mitgliedstaat zurückbleibt.
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Der Senat sieht auch keine Veranlassung, weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien einzuholen. Nach anerkannter Rechtsauffassung ist die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nur dann geboten, wenn sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung aufdrängen musste, weil bereits vorliegende Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen nicht den ihnen obliegenden Zweck erfüllen (konnten), dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts notwendige Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. In diesem Sinne kann z. B. ein Sachverständigengutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet oder jedenfalls unzureichend sein, wenn es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn es von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht (BVerwG, Beschl. v. 14.04.2011 - 2 B 80/10 - m. w. N., Juris). Dies ist hier aber nicht der Fall. Zwar sind die dem Senat vorliegenden zahlreichen Gutachten, Auskünfte und Stellungnahmen nicht in allen Punkte stets konsistent und völlig frei von gewissen Widersprüchen; soweit es indes die im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Tatsachen und Erkenntnisse betrifft, sind diese aufgrund der herangezogenen Erkenntnismittel zur Überzeugung des Senats hinreichend geklärt und eindeutig und mithin für die Überzeugungsbildung ausreichend.
- 143
Der Senat sieht insbesondere auch keine Veranlassung, an der Tauglichkeit des vorhandenen Erkenntnismaterials für die hier entscheidungsrelevanten Fragen zu zweifeln. Dies gilt speziell auch hinsichtlich des Beweiswertes der Auskünfte des Auswärtigen Amtes, da sie grundsätzlich eine sich auf unterschiedliche Erkenntnisquellen stützende Gesamtbewertung vornehmen und zudem im Allgemeinen den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten kommen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.08.2006 - 1 B 24.06 - Juris; Beschl. v. 06.10.1997 - 9 B 803.97 - Juris; Beschl. v. 08.09.1997 - 9 B 401.97 -; Beschl. v. 15.10. 1985 - 9 C 3.85 - Juris sowie Beschl. v. 31.07.1998 - 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28 = Juris). Nicht anders verhält es sich hier. So beruhen die den Auskünften des Auswärtigen Amtes zugrunde liegenden Erkenntnisse auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR, UNHCR und IOM in Rom, den Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Amtes ISTAT sowie schließlich auf Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen wie Carita Migrantes, Comunità di Sant’ Egidio u. a..
- 144
Nach allem vermag der Senat nicht zur Überzeugung zu gelangen, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 21.12.2011, a. a. O.) die Annahme rechtfertigen, dass die Klägerin aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Abschiebung bzw. Überstellung dorthin Gefahr laufen wird, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 3 EMRK und § 4 EuGrdRCH ausgesetzt zu werden und dass sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig erweist.
III.
- 145
Soweit das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid zugleich die Abschiebung der Klägerin nach Italien gem. § 34 Abs. 1 AsylVfG angeordnet hat, bestehen gegen die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung keine Bedenken.
- 146
§ 34a AsylVfG überantwortet die Entscheidung über die Abschiebung dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, so dass dieses die Abschiebungsanordnung verfügt. Das Bundesamt ordnet dabei nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Abschiebungsverbote sind nicht ersichtlich.
- 147
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
- 148
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§§ 132 Abs. 2, 137 VwGO).
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger stellte am 28. Oktober 2010 einen Asylantrag. Dabei gab er an, er sei am 7. - in anderem Zusammenhang: am 1. - Januar 1990 in B. R. geboren und besitze die eritreische Staatsangehörigkeit. In den vom Bundesamt vorgelegten Verwaltungsvorgängen befindet sich ein Vermerk vom gleichen Tage, dem zufolge eine Fingerabdrucknahme per live scan nicht möglich gewesen sei. Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (künftig: Bundesamt) am 9. November 2010 führte der Kläger - in der Sprache Tigrinia - u.a. aus: Er habe sich in Eritrea vom 10. Februar bis zum 20. Dezember 2009 im Gefängnis befunden. An dem Tag sei er geflohen, und zwar in den Sudan. Dort habe er sich zehn Monate lang aufgehalten. Von Khartoum aus sei er dann nach Deutschland geflogen, und zwar nach Frankfurt/Main. Dort sei er am 18. Oktober 2010 mit dem Flugzeug angekommen.
3Der Kläger unterzog sich am 25. August 2011 einer erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung. In einem Vermerk des Bundesamtes heißt es dazu, es sei festgestellt worden, dass seine Fingerkuppen Veränderungen aufwiesen. - Verwertbare Fingerabdrucke wurden seitens der Behörde anscheinend nicht erlangt.
4Am 2. August 2012 wandte sich das Bundesamt an den Kreis I. : In dem Asylverfahren des Klägers habe bisher keine Entscheidung getroffen werden können. Es habe noch keine Klassifizierung des Antrags wegen mangelnder Auswertbarkeit der erkennungsdienstlichen Maßnahme erfolgen können. Diesseits bestehe der Verdacht auf Manipulation der Fingerkuppen. Ohne Auswertung der Fingerabdrücke könne keine Einstufung des Antrags als Asylerstantrag, Asylfolgeantrag oder evtl. DÜ-Prüffall vorgenommen werden, so dass eine materiellrechtliche Prüfung der Angaben des Klägers in der persönlichen Anhörung vom 9. November 2010 sich derzeit nicht anbiete.
5Mit Schreiben vom 8. Oktober 2012 bat das Bundesamt eine italienische Stelle um Übernahme des Klägers, nachdem die Behörde aufgrund des Ergebnisses einer (erneuten) erkennungsdienstlichen Behandlung von ihm am 6. September 2012 zu dem Ergebnis gelangt war, die Zuständigkeit Italiens sei gegeben. Eine Antwort erfolgte nicht.
6Am 16. Januar 2013 ließ der Kläger "im Hinblick auf die fiktive Zustimmung Italiens … vorsorglich" beantragen, die Bundesrepublik möge von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen: Die Situation des Asylsystems, mit der er im Falle seiner Rückkehr konfrontiert würde, stehe im Widerspruch zu Art. 3 EMRK. - Das ließ er detailliert und ausführlich begründen.
7Mit Bescheid vom 23. Januar 2013 stellte das Bundesamt gegenüber dem Kläger fest, a) der Asylantrag sei unzulässig; b) gleichzeitig ordnete es die Abschiebung nach Italien an: Der Asylantrag sei gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, da Italien gemäß Dublin II-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Am 8. Oktober 2012 sei ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Italien gerichtet worden. Die italienischen Behörden hätten dieses sowie das Verfristungsschreiben vom 12. November 2012 unbeantwortet gelassen. Ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gemäß Art. 18 Dublin II-VO bestehe somit seit dem 23. Oktober 2012. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Italien erfülle gegenüber Ausländern, die dort einen Asylantrag stellten, die Mindeststandards. Die sofort vollziehbare Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. - Ein Abdruck des Bescheides wurde der Prozessbevollmächtigten des Klägers unter dem 12. Februar 2013 übersandt mit dem Bemerken, die zuständige Ausländerbehörde werde die Zustellung an den Kläger veranlassen. Am 18. Februar 2013 wurde dem Kläger der Bescheid gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt.
8Der Kläger hat am 28. Februar 2013 Klage erhoben.
9Am 11. März 2013 sollte seine Überstellung nach Italien auf dem Luftweg erfolgen. Einen von ihm ebenfalls am 28. Februar 2013 gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat die Kammer mit Beschluss vom 7. März 2013 ‑ 10 L 124/13.A - abgelehnt, ebenso mit Beschluss vom 8. März 2013 - 10 L 140/13.A - einen Abänderungsantrag vom gleichen Tag. - Aus der für den Abänderungsantrag gegebenen Begründung folgt, dass der Kläger in Italien unter dem Namen H. A. , geb. 01.01.1987, aufgetreten war. - Zu der Überstellung am 11. März 2013 kam es nicht. Einem Vermerk des Kreises I. vom gleichen Tag ist zu entnehmen: Am Morgen sei der Flug nach Rom infolge eines Streikes (am Flughafen Düsseldorf) annulliert worden. Die Unterkunft des Klägers sei aufgesucht worden, um ihn darüber zu informieren. Die Unterkunft sei verlassen gewesen. An der Tür sei eine handschriftliche Nachricht des Klägers angebracht gewesen zur Information der Behörde. Daraus gehe hervor, dass er es vorgezogen habe unterzutauchen. - Einen weiteren Abänderungsantrag hat die Kammer mit Beschluss vom 12. April 2013 ‑ 10 L 202/13.A - abgelehnt. Im Rahmen jenes Verfahrens hat der Kläger u.a. vorgetragen, er leide an einer behandlungsbedürften posttraumatischen Belastungsstörung. Eine Abschiebung hätte massive Auswirkungen auf seinen gesundheitlichen Zustand.
10Im Rahmen des Klageverfahrens hat der Kläger vorgetragen: Er habe seine Heimat Eritrea im September 2009 Richtung Sudan verlassen. Dort sei er ca. zwei Wochen geblieben, bevor er nach Libyen ausgereist sei. Er sei am 26. Oktober 2009 in Sizilien eingereist und in ein Flüchtlingslager gekommen, das er nach ca. vier Monaten habe verlassen müssen. Anschließend habe er in Rom auf der Straße gelebt. Im Juli sei er in die Schweiz gereist. Dort sei ihm die Rückführung nach Italien angekündigt worden. Als die Polizei gekommen sei, sei er weggerannt und nach Deutschland geflohen. - Im Übrigen hat der Kläger umfassend darlegen lassen, weshalb eine Rückführung von Asylbewerbern nach Italien generell und in seinem Fall zusätzlich aus individuellen Gründen unzulässig sei. - Im Übrigen sei die Frist, in der er hätte überstellt werden können, inzwischen abgelaufen.
11Der Kläger, der sich seit März 2013 im Kirchenasyl befindet, beantragt,
12den Bescheid des Bundesamtes vom 23. Januar 2013 aufzuheben.
13Die Beklagte hat schriftlich beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie wiederholt und vertieft früheres Vorbringen.
16Weitere Anträge des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Wege der Abänderung vorangegangener Entscheidungen hat die Kammer mit Beschlüssen vom 12. April 2013 - 10 L 202/13.A - sowie 24. April 2013 - 10 L 247/13.A - abgelehnt.
17Sie hat eine Auskunft des Auswärtigen Amtes - vom 24. Mai 2013 - eingeholt und einen weiteren Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt (Beschluss vom 29. Oktober 2013 - 10 L 688/13.A -).
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verfahrensakten 10 L 688/13.A, 10 L 124/13.A, 10 L 140/13.A, 10 L 202/13.A, 10 L 247/13.A, die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge (2 Hefte) und die vom Kreis I. überreichten Ausländerakten (2 Hefte) Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20a) Die Klage ist, soweit sie sich gegen die in dem Bescheid vom 23. Januar 2013 getroffene Feststellung, der Asylantrag sei unzulässig, richtet, zulässig. Die auf § 27 a AsylVfG gestützte Entscheidung stellt einen Verwaltungsakt dar. Der Kläger hat für dessen bloße Beseitigung ein Rechtsschutzbedürfnis, ist also nicht darauf angewiesen, weitergehend eine Verpflichtungsklage zu erheben. Wird der Verwaltungsakt vom 23. Januar 2013 insoweit aufgehoben, so führt dies zur Prüfung des von dem Kläger gestellten Asylantrags durch die Beklagte. Wäre das Verwaltungsgericht statt dessen verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen und durchzuentscheiden, ginge dem Kläger eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattet ist.
21- vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 19. März 2013 - 6 K 2643/12.A -, sowie Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris -.
22Die Klage ist unbegründet.
23Die Feststellung, der Asylantrag des Klägers sei unzulässig, verletzt diesen nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ob die Feststellung außerdem rechtswidrig ist, bedarf danach keiner Klärung mehr, da sich daraus zugunsten des Klägers angesichts des Wortlauts von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nichts ergeben würde. Sie findet eine Grundlage in § 27 a AsylVfG. Der Bestimmung zufolge ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier der Fall. Zu Recht ist die Beklagte davon ausgegangen, dass die Zuständigkeit der Republik Italien gegeben ist. Das folgt für die Kammer angesichts der von dem Kläger im Rahmen des Verfahrens 10 L 140/13.A vorgelegten Unterlagen (dort Blatt 9 - 12) aus Art. 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (künftig: Dublin II-VO).
24An dieser Verordnung (und nicht der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, (Dublin III-VO)) ist in diesem Zusammenhang Maß zu nehmen. Das folgt aus Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO
25- siehe in diesem Zusammenhang VG Hannover, Beschluss vom 09. Januar 2014 - 1 B 7895/13 -; VG Oldenburg, Beschluss vom 21. Januar 2014 - 3 B 7136/13 -; VG Potsdam, Beschlüsse vom 29. Januar 2014 - 6 L 27/14.A - und 20. Dezember 2013 - VG 6 L 858/13.A -, jeweils juris -.
26Dass eine Verletzung der Rechte des Klägers durch eine nunmehr vorgenommene Überstellung von ihm nach Italien erfolgen würde, die in Rede stehende Regelung vom 23. Januar 2013 jedenfalls inzwischen eine solche Rechtsverletzung darstellt, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Die in Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO normierte Frist von drei Monaten ist gewahrt worden. Denn nachdem die (erneute) erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers vom 06. September 2012 ein positives Ergebnis erbracht hatte, hat sich das Bundesamt mit Schreiben vom 08. Oktober 2012 an eine italienische Stelle mit der Bitte um dessen Übernahme gewandt. Da darauf keine Antwort erfolgte, besteht seit dem 23. Oktober 2012 eine Zuständigkeit Italiens (Art. 20 Abs. 1 c) Dublin II-VO). Danach hätte die Überstellung des Klägers an sich gemäß Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO durchgeführt werden müssen, also bis 22. April 2013 (einschl.). Ein entsprechender Versuch am 11. März 2013 schlug fehl, weil a) der entsprechende Flug nach Rom annuliert worden und b) der Kläger "untergetaucht" war. Gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO kann die Frist auf höchstens ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung oder die Prüfung des Antrags aufgrund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf 18 Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist. Mit Blick darauf ergeben sich im vorliegenden Fall verschiedene Fragen: Kann die Frist verlängert werden, so könnte das vielleicht nur unter Mitwirkung der ausländischen (hier: italienischen) Stelle erfolgen. Für eine solche Beteiligung ist hier nichts ersichtlich. Außerdem ist der Kläger hier zwar am 11. März 2013 "untergetaucht", doch hätte er an dem Tag ohnehin nicht überstellt werden können. "Taucht" er "unter" und meldet er sich nach einiger Zeit wieder, so fragt sich, welche Auswirkungen das auf die in Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO normierten Fristen hat. Außerdem wäre zu klären, ob Bedeutung dem Umstand zukommt, dass der Kläger sich seit März 2013 gerade im Kirchenasyl befindet (worüber die evangelische Kirchengemeinde C. die Ausländerbehörde unter dem 18. März 2013 informiert hat (GA Bl. 61)). Die Kammer geht solchen Fragen nicht nach. Wäre eine sich aus Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO ergebende Frist inzwischen verstrichen, führte das dazu, dass eine gleichwohl vollzogene Überstellung des Klägers nach Italien objektiv rechtswidrig wäre (und Italien die Überstellung von vornherein nicht mehr akzeptieren müsste). Daraus würde sich aber nach Ansicht der Kammer keine Verletzung der Rechte des Klägers ergeben. Denn zu ihrer Überzeugung vermittelt Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO dem Asylbewerber keinerlei Rechte, sondern regelt allein die Beziehungen zwischen Staaten
27- vgl. VG Berlin, Beschluss vom 07. Oktober 2013 - 33 L 403.13 A -, juris ‑ dort Rdnr. 10 - (zu Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO) unter Hinweis auf EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Niilo Jääskinen vom 18. April 2013, Rs. C-4/11, Rdnr. 58 -; zum Problem siehe auch noch GK-AsylVerfG, Stand November 2013, § 27 a Rdnr. 234, und Stand Juni 2012, § 27 a Rdnrn. 211, 212, 199 -.
28Im Übrigen wäre der Kläger, hätte er - anders als hier angenommen - doch Rechte aus Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO und wäre die dort normierte im vorliegenden Fall an sich maßgebliche Frist verstrichen, nach Treu und Glauben gehindert, sich darauf zu berufen. Er hat sich in das Kirchenasyl begeben in der Erwartung, dass dies seitens der staatlichen Stellen respektiert würde. So ist es auch gekommen. Dann ist es ihm ‑ jedenfalls während der in Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO normierten Frist von 18 Monaten - verwehrt, aus einem früher eintretenden Fristablauf etwas für sich herleiten zu wollen.
29Die Beklagte ist für die Prüfung des Asylantrags des Klägers auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zuständig, denn die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, das Selbsteintrittsrecht auszuüben. Die Bestimmung ist geeignet, subjektive Rechte des Klägers zu begründen. Allerdings lässt das im EU-Vertrag vorgesehene und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeitete gemeinsame Europäische Asylsystem die Annahme begründet erscheinen, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 (GFK) sowie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - (EMRK) finden. Es gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta und der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Ausgehend von der Annahme, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i.S.d. Art. 16 a Abs. 2 GG bzw. § 26 a AsylVfG handelt, ist aufgrund des diesen Vorschriften zugrundeliegenden "Konzepts der normativen Vergewisserung"
30- vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris -
31bzw. des "Prinzips des gegenseitigen Vertrauens"
32- vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs C 411/10 und C-393/10 -, juris -
33grundsätzlich davon auszugehen, dass die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Grundrechtscharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention in diesen Ländern sichergestellt ist. Auch die Dublin II-Verordnung beruht wie jede andere auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK, der EMRK und der EuGrdRCh in allen Mitgliedstaaten gesichert ist
34- vgl. OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02. Oktober 2013, a.a.O.‑.
35Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland dann Schutz zu gewähren, wenn die Notwendigkeit eines solchen durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des "Konzepts normativer Vergewisserung" durch Gesetz berücksichtigt werden konnten, oder aber sich die für die Qualifizierung als "sicher" maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesrepublik hierauf noch aussteht. Die Annahme eines sicheren Drittstaates ist daher dann widerlegt, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der in diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh bzw. der inhaltlich identischen Vorschriften des Art. 3 EMRK implizieren.
36Eine Verletzung der EU-Richtlinien, vereinzelte Verstöße gegen sonstige Grundrechte sowie anderweitige Missstände unterhalb der Schwelle "systemischer Mängel" stehen hingegen Dublin-Überstellungen nicht entgegen
37- Thym, Zulässigkeit der Dublin-Überstellungen nach Italien, ZAR 2013, 331, 332 -.
38Zum Inhalt der angesprochenen Bestimmungen ist dabei zu bemerken: Ausländern, die von einer Rückführung betroffen sind, gewährt die Konvention grundsätzlich keinen Anspruch mit dem Ziel, im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates zu verbleiben, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren, die vom ausweisenden Staat zur Verfügung gestellt wird. Wenn keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Ausweisung sprechen, ist allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse des Betreffenden bedeutend geschmälert würden, falls er oder sie des Vertragsstaates verwiesen würde, nicht ausreichend, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen. Art. 3 EMRK kann auch nicht so ausgelegt werden, dass er die Vertragsparteien verpflichtet, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen; diese Regelung enthält keine allgemeine Pflicht, Flüchtlinge finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen
39- EGMR, Beschluss vom 02. April 2013, Nr. 27725/10, Hussein u.a. gegen die Niederlande und Italien, ZAR 2013, 336 -.
40Einzig außergewöhnlich zwingende humanitäre Gründe stehen einer Dublin-Überstellung entgegen
41- Thym, a.a.O., 332 -.
42In diesem Zusammenhang ist zunächst zu betonen: Der Kläger hat in Italien im Rahmen des von ihm betriebenen Asylverfahrens einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen erhalten. Einen (weitergehenden) Flüchtlingsstatus hat er dort nicht besessen. Das ließe ihm die Möglichkeit, in Italien einen weiteren Asylantrag zu stellen mit dem Ziel, eine "bessere" Rechtsposition zu erlangen. Er wäre dann dort (erneut) Asylbewerber. Es kommt allerdings auch in Betracht, dass er dort - eine Rückführung einmal angenommen - kein weiteres Asylverfahren betreiben, sondern aufgrund eines Aufenthaltstitels leben würde, der ihm aus humanitären Gründen erteilt worden ist.
43In diesem zweiten Fall gilt: Es lässt sich nicht feststellen, dass im Hinblick auf die rechtliche und soziale Situation anerkannter Asylbewerber sowie der Flüchtlinge mit einem Bleiberecht angesichts der in Italien anzutreffenden Lebens- und Versorgungssituation sowie unter Berücksichtigung der insoweit staatlicherseits unternommenen Integrationsbemühungen das Aufnahme- und Asylverfahren dort derartige Mängel aufweist, dass es den Anforderungen des Europäischen Asylsystems nicht mehr entspricht. Schutzberechtigte, mithin anerkannte Asylbewerber (Asylberechtigte) und Personen mit subsidiärem Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention, erhalten mit ihrer Anerkennung ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht; es wird ihnen eine Aufenthaltsberechtigung ("permesso di soggiorno") ausgestellt. Danach genießen sie in Italien dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige. Dies bedeutet in der Praxis, dass sie sich - ebenso wie italienische Staatsangehörige - grundsätzlich selbst um eine Unterkunft kümmern und auch in eigener Verantwortung einen Arbeitsplatz suchen müssen. Dafür besteht aber ein freier Zugang zum Arbeitsmarkt. Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus besitzen, haben auch das Recht zu arbeiten. Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen. Anerkannte Asylbewerber und Personen mit einem subsidiären Schutzstatus haben Zugang zu einer Beschäftigung in Italien, wie dies durch Art. 26 und Art. 28 der Qualifikationslinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) garantiert wird.
44Ein staatliches System finanzieller Hilfeleistungen bzw. ein Sozialhilfesystem existiert hingegen nicht. Denn in Italien gibt es für italienische Staatsangehörige - und somit auch für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die ihnen gleichgestellt sind - kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bzw. (sonstige) staatliche Leistungen, jedenfalls soweit sie nicht das 65. Lebensjahr erreicht haben. Art. 28 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gewährt hinsichtlich der Sozialleistungen indessen auch nur einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung, nicht aber einen Anspruch auf Privilegierung des anerkannten Flüchtlings
45- vgl. zum Ganzen OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris, m.w.N. und Belegen für die entsprechenden Angaben -.
46Zwar entspricht es der italienischen Kultur, dass es einen engen Familienzusammenhalt gibt, der im Notfall zumindest die Chance eröffnet, eine (gewisse) Unterstützung durch Familienangehörige in Anspruch nehmen zu können. Dass es eine solche vergleichbare Unterstützung unter den ausländischen Landsleuten gibt, die sich aufgrund ihres Schutzstatus dauerhaft in Italien aufhalten, erscheint nicht ausgeschlossen, dürfte aber die Ausnahme sein. Gleichwohl lässt dieser Umstand nach Auffassung der Kammer für sich allein nicht schon die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass der anerkannte Flüchtling oder sonstige Schutzberechtigte in Italien deshalb der konkreten Lebensgefahr ausgesetzt wäre, "auf der Straße" zu leben und zu verelenden
47- vgl. OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02. Oktober 2013, a.a.O. -,
48jedenfalls bestehen die beschriebenen Gefahren nicht in einem solchen Maße, dass die Annahme eines systemischen Mangels gerechtfertigt wäre
49- vgl. dazu Thym, a.a.O., 333 -.
50Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass - ebenso wie italienische Staatsangehörige in einer vergleichbaren Situation - auch anerkannte Asylbewerber und schutzberechtigte Flüchtlinge von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, wie beispielsweise durch die CARITA und CIR, Unterstützung bekommen können.
51Überdies ist für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus ein kostenfreier Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie Arzt, Zahnarzt, Krankenhaus gewährleistet. Ein Anspruch auf Einhaltung bestimmter Mindeststandards im Hinblick auf die Gewährung von Unterkunft sowie auf eine gewisse materielle Unterstützung besteht für sie auch nach dem Unionsrecht nicht - ein solcher Anspruch besteht nur für Asylbewerber -, denn nach den Bestimmungen der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 steht Asylbewerbern und Schutzsuchenden zwar ein subjektives Recht auch auf eine angemessene Fürsorge zu. Nach Art. 3 Abs. 1 der genannten Richtlinie haben Asylbewerber jedoch nur solange Anspruch auf die in Art. 5 ff. der Richtlinie bezeichneten humanitären Leistungen, solange sie "als Asylbewerber im Herkunftsgebiet verbleiben dürfen". "Asylbewerber" im Sinne der Richtlinie ist dabei ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde.
52Die Kammer vermag danach keine gegenwärtig bestehenden, strukturellen landesweiten Missstände zu erkennen, die eine individuelle Gefährdung einer nennenswerten Anzahl von Betroffenen - d.h. von nicht besonders schutzbedürftigen Personen wie dem alleinstehenden 25-jährigen Kläger ‑ im Falle der Rückführung nach Italien begründen und die von den italienischen Behörden tatenlos hingenommen würden. Dementsprechend besteht auch keine Empfehlung des UNHCR, von solchen Rückführungen abzusehen. Dessen Stellungnahmen sind angesichts der Rolle, die ihm durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant.
53Danach war auch den Beweisanträgen nicht zu entsprechen. Die Beweistatsachen sind unerheblich. Der Kläger behauptet, dass er in Italien keinen Anspruch auf eine Unterkunft in einer CARA hätte, dass für ihn nach der Ankunft auf einem Flughafen keine Betreuung vorhanden wäre usw. Darauf kommt es indessen nicht an. Wesentlich ist, ob von der Existenz systemischer Mängel in dem dargelegten Sinne auszugehen ist. Mit Blick darauf ist unerheblich, ob dem Kläger in bestimmten Situationen nicht geholfen würde. Gleiches gilt für den Fall, dass die Beweisanträge auf die Behandlung aller Personen in bestimmten Situationen zielen, die mit ihm, dem Kläger, vergleichbar sind. Denn über die Existenz/Nichtexistenz systemischer Mängel würde damit nichts gesagt.
54An dem Ergebnis ändert sich im Übrigen nichts, wenn - anders als in diesem Urteil angenommen - der Kläger in Italien - eine Rückführung von ihm unterstellt - doch einen Asylantrag stellen und damit wieder den Status eines Asylbewerbers erlangen würde. Denn dann wäre seine Rechtsstellung - verglichen mit der Situation, dass er den in Rede stehenden Antrag nicht stellt - besser
55- vgl. dazu OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02. Oktober 2013, a.a.O. -.
56Einen Anspruch auf Selbsteintritt hat der Kläger auch nicht im Hinblick auf von ihm geltend gemachte individuelle gesundheitliche Gründe.
57Allerdings hat er im Rahmen des Verfahrens 10 L 202/13.A eine fachärztliche Stellungnahme der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin Dr. med. Dipl. Psych. S. aus C. vom 28. März 2013 vorlegen lassen. In dieser heißt es u.a.:
58"Es muss also vom Vorliegen einer PTBS ausgegangen werden, deren Schweregrad allerdings durch die relativ stabile und sozial kompetente Primärpersönlichkeit noch nicht zu einer lang anhaltenden Persönlichkeitsstörung geführt hat oder Komorbiditäten wie Suchtverhalten, selbstverletzendem Verhalten, Aggressionsausbrüchen etc. Dem gut begabten, sozial kompetenten jungen Mann, der über den Wunsch und die Fähigkeiten verfügt, sich zu integrieren, war es gelungen, sich in C. zu stabilisieren und so zu relativer psychischer Gesundheit zurückzufinden. Er konnte sich am Bauhof in der Arbeit sicher fühlen und mit dem Schulbesuch in Q. integrieren und Freunde und Helfer finden, also die Dinge tun, die seine psychische Balance ganz basal ermöglichten. Aufgrund der traumatischen Erlebnisse ist Herr A. jedoch stark erhöht vulnerabel. D.h. die psychische Verletzlichkeit ist so groß, dass auch leichtere Retraumatisierungen zu einer dramatischen Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen können, z.B. schwerer Depressivität oder Persönlichkeitsstörungen. Die Androhung der Ausweisung hat Herrn A. bereits aus seinem labilen Gleichgewicht geworfen, posttraumatische Stresssymptome getriggert und eine ängstlich depressive Symptomatik ausgelöst. Eine medikamentöse Therapie der Schlafstörungen kann entweder mit niedrigpotenten Neuroleptika oder schlafanstoßenden Antidepressiva erfolgen. Zum jetzigen Zeitpunkt erscheinen soziotherapeutisch wirksame Maßnahmen, wie z.B. Fortsetzung der Beschulung oder die Integration in ein Beschäftigungsverhältnis noch ausreichend, um Herrn A. wieder zu stabilisieren und eine Verschlimmerung der psychischen Symptomatik zu verhindern. Eine Abschiebung wäre jedoch mit der Gefahr der Dekompensation und schwerwiegender psychischer Erkrankung verbunden und mit nicht absehbaren psychosozialen Folgen und somit nicht zu verantworten."
59Die Stellungnahme ist im Wesentlichen unbrauchbar.
60Sie genügt nicht den nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung erforderlichen Mindestanforderungen. Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome muss sich aus dem Attest, damit die Kammer Anlass zu weiteren Untersuchungen hat, nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt/die Fachärztin seine/ihre Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, bei der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken, die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen
61- vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 -, juris -.
62Dem genügt die Stellungnahme vom 28. März 2013 nicht. Sie weist - neben anderem ‑ vor allem den Mangel auf, dass nicht kritisch hinterfragt wird, ob die Angaben des Klägers bezüglich eines Verfolgungsschicksals den Tatsachen entsprechen oder wenigstens wahrscheinlich sind. Es heißt dort u.a.: Traumatische Bilder aus dem Gefängnis in Eritrea, der Flucht durch die Wüste, der fünftägigen Überfahrt nach Sizilien und bedrohliche Situationen in Italien drängten sich ihm immer wieder auf, er erschrecke leicht, wieder und wieder überfalle ihn die Angst, in den Schläfen poche das Blut, er schwitze und zittere, das Herz rase. Der Kläger sei etwa zehn Monate in Haft gewesen, ein Ende der Haft sei nicht absehbar gewesen.
63Indessen ist festzustellen: Der Kläger hat sich erstmals im Oktober 2010 an deutsche Behörden gewandt. Dabei hat er angegeben, er sei am 18. Oktober 2010 aus Khartoum/Sudan kommend auf dem Luftweg in das Bundesgebiet eingereist. Bis Dezember 2009 sei er in Eritrea im Gefängnis gewesen. Dann sei ihm die Flucht gelungen. Als Reiseweg hat er angegeben die Strecke Eritrea-Sudan-Bundesrepublik Deutschland. - Tatsächlich war der Kläger zeitweise in Italien. Dort ist er nach eigener Darstellung im Oktober 2009 eingetroffen. Er hat also bezüglich seines Reisewegs die Unwahrheit gesagt und den Aufenthalt in Italien zunächst verschwiegen. Grund dafür dürfte gewesen sein, dass er mit der Möglichkeit rechnete, von der Bundesrepublik Deutschland aus nach Italien zurückgeschickt zu werden. In Italien und in der Bundesrepublik Deutschland ist er unter verschiedenen Namen aufgetreten. Außerdem hat er unterschiedliche Geburtsdaten angegeben. Als er glaubte, er werde nach Italien zurückgeschickt, ist er untergetaucht. Erkennungsdienstliche Behandlungen von ihm in der Bundesrepublik Deutschland führten zunächst zu keinem Ergebnis. Es besteht die Möglichkeit, dass er seine Fingerkuppen manipuliert hat, um die Identifizierung seiner Person, die sonst hätte erfolgen können, weil ihm in Italien Abdrücke abgenommen worden waren, zu verhindern.
64Die genannten Tatsachen in Verbindung mit dem Verdacht, der sich daraus ergibt, dass Fingerabdrücke ihm zunächst nicht abgenommen werden konnten, und der Tatsache, dass der Kläger offenkundig ein großes Interesse daran hat, in der Bundesrepublik bleiben zu können, führen zu der Notwendigkeit, seinen Angaben bezüglich einer nunmehr bei ihm gegebenen Erkrankung (PTBS) kritisch zu begegnen. Dabei spielt auch eine Rolle, dass die Merkmale einer posttraumatischen Belastungsstörung im Internet ermittelt werden können und es nicht schwierig ist, ihre Existenz zu behaupten. Diese kritische Einstellung lässt die vorgelegte ärztliche Stellungnahme vollständig vermissen. Beispielhaft sei noch erwähnt: Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 09. November 2010 hat der Kläger angegeben, er habe sich in Eritrea zehn Monate im Gefängnis befunden, nämlich vom 10. Februar bis 20. Dezember 2009. Hat er hingegen, wie von ihm im Rahmen des Klageverfahrens angegeben worden ist, sein Heimatland im September 2009 Richtung Sudan verlassen, so stellt sich die Frage, ob er in Eritrea überhaupt im Gefängnis war und von wann bis wann das der Fall gewesen sein soll. Die Angabe in der fachärztlichen Stellungnahme vom 28. März 2013, "Herr A. war etwa zehn Monate in Haft", ist angesichts dessen so nicht verständlich.
65b) Die Regelung zu 2., die Abschiebung nach Italien werde angeordnet, ist rechtmäßig. Sie findet ihre Grundlage in § 34 a Abs. 1 AsylVfG.
66- vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: Juni 2012, § 27 a Rdnr. 12, unter Bezugnahme auf § 31 Abs. 4 AsylVfG -.
67Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
68Die sonstigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Tenor
1. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Verfahren 7 K 421/14.A gegen den Bescheid vom 30. Januar 2014 wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2I.
3Der aus Mali stammende Antragsteller, gibt an am 00.00.1996 in C. geboren zu sein. Er begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Italien.
4Er wurde am 31.05.2013 von der Bundespolizei in den Räumlichkeiten der Bahnhofsmission im E. Hauptbahnhof angetroffen und gab an, per Zug aus Italien eingereist zu sein und in Deutschland Asyl zu begehren. Handschriftlich gab er an, er sei am 00.00.1996 geboren und gehöre der Volksgruppe der Twi an. Aufgrund Zweifeln der Beamten der Zentralen Ausländerbehörde E. (Erstaufnahmeeinrichtung) an der Altersangabe wurde das Jugendamt der Stadt E. eingeschaltet. Im Rahmen eines dortigen weiteren Gesprächs mit dem Antragsteller ergaben sich keine neuen Erkenntnisse, die Hinweise auf eine Minderjährigkeit ergeben. Im weiteren Verfahrensablauf wurde daher ein Alter von mindestens 18 Jahren angenommen und das Geburtsdatum des Antragstellers fiktiv auf den 01.01.1995 festgelegt. Aus den Behördenakten ergibt sich ein EURODAC-Treffer in Bezug auf Italien (IT1CL00GGF); danach wurde der Antragsteller am 09.09.2011 in D. aufgegriffen und am gleichen Tag seine Fingerabdrücke erfasst.
5Bei seiner Befragung zur Vorbereitung der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 02.09.2013 gab er an, er gehöre dem Stamm der Ashanti an, könne keine Personalpapiere vorlegen und habe sich vor der Ausreise zuletzt in U. /Ghana aufgehalten, wo auch Geschwister von ihm lebten. Die Eltern seien verstorben. Er habe Mali im September 2010 Richtung Niger per Bus verlassen. Nach einem weiteren Zwischenaufenthalt in Lybien von ca. 8 Monaten sei er mit einem Boot nach Italien gereist, wo er ca. ein Jahr gelebt habe. In Italien sei sein Asylantrag abgelehnt worden. Er wolle nicht nach Italien zurück, weil er dort bedroht werde.
6Unter dem 21.11.2013 stellte das Bundesamt ein Übernahmegesuch an die italienischen Behörden, das unbeantwortet blieb. Mit weiterem Schreiben vom 09.12.2013 an das italienische Innenministerium wies das Bundesamt darauf hin, dass mangels Beantwortung der Anfrage vom 21.11.2013 von einer Annahme des Transfergesuchs gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin II VO bzw. Art. 20 Abs. 1 c Dublin II VO auszugehen sei.
7Mit Bescheid des Bundesamtes vom 30.01.2014 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Da die italienischen Behörden auf das Übernahmegesuch vom 21.11.2013 nicht geantwortet hätten, sei von ihrer Zuständigkeit zur Bearbeitung des Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 7 bzw. Art. 20 Abs. 1 c EG-VO Nr. 343/2003 (Dublin II VO) nunmehr auszugehen. Aufgrund des in Italien bereits gestellten Asylantrags sei Italien gemäß Art. 16 Abs. 1 Dublin II VO für die Behandlung des (erneuten) Asylantrags zuständig. Der Bescheid wurde am 11.02.2014 an die Ausländerbehörde des Kreises I. mit der Bitte um Amtshilfe durch Aushändigung des Bescheides an den Antragsteller abgesandt. Nach Angaben des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers erfolgte die Aushändigung erst am 25.02.2014.
8Gegen den Bescheid vom 30.01.2014 hat der Antragsteller am 04.03.2014 Klage erhoben - 7 K 421/14.A - und zugleich um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung trägt er vor, er habe Anspruch auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, der sich nach § 34 Abs. 2 AsylVfG richte. Die Prüfung sei nicht darauf beschränkt, ob die Mindeststandards des Flüchtlingsrechts aufgrund systemischer Mängel in einem Mitgliedsstaat nicht mehr gewährleistet seien. Ergänzend werde auf die Klagebegründung Bezug genommen. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-648/11 (Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV) vom 06.06.2013 sei in Fällen, in denen ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, der keinen sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates rechtmäßig aufhaltenden Familienangehörigen habe, in mehreren Mitgliedsstaaten einen Asylantrag stelle, derjenige Mitgliedsstaat zuständig, in dem sich der Minderjährige aufhalte, nachdem er dort einen Asylantrag gestellt habe. Zudem seien unbegleitete Minderjährige grundsätzlich nicht in einen anderen Mitgliedsstaat zu überstellen. Der Antragsteller sei entsprechend dem von ihm angegebenen Geburtsdatum "00.00.1996" noch minderjährig im Sinne der Legaldefinition des Art. 2 Buchst. h) Dublin II VO. Ergänzend sei davon auszugehen, dass Ungarn nach Art. 3 Dublin II VO zuständig sei. In Italien könne ein den europarechtlichen Standards genügendes Asylverfahren nicht gewährleistet werden.
9Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
10die aufschiebende Wirkung der Klage - 7 K 421/14.A - gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.01.2014 anzuordnen.
11Die Antragsgegnerin beantragt,
12den Antrag abzulehnen.
13Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
14II.
151. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg; denn die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es, wie sich aus den Ausführungen zu 2. ergibt.
162. Der Antrag ist zulässig aber unbegründet.
17Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft, da nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in seiner durch Artikel 1 Nr. 27 b) des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013, BGBl. I S. 3474, geänderten und nach § 77 Abs. 1 VwGO zu beachtenden Fassung solche Eilanträge gegen die Abschiebungsandrohung nunmehr zugelassen sind und der in der Hauptsache erhobenen Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 75 Satz 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung zukommt. Der Antragsteller hat den Eilantrag - entsprechend den Angaben in der Antragsschrift über das Zustellungsdatum - auch innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 30. Januar 2014 und damit fristgerecht im Sinne von §§ 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG/ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG gestellt.
18Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
19Das Gericht folgt der bislang zu § 34a Absatz 2 AsylVfG n.F. ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht erst bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes erfolgen darf, wie dies in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unzulässig oder unbegründet gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG vom Gesetzgeber vorgegeben ist. Eine derartige Einschränkung der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis hat der Gesetzgeber für die Fälle des § 34a Abs. 2 AsylVfG gerade nicht geregelt. Eine solche Gesetzesauslegung entspräche auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, denn eine entsprechende Initiative zur Ergänzung des § 34a Abs. 2 AsylVfG n.F. fand im Bundesrat keine Mehrheit;
20vgl. mit Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens: VG Trier, Beschluss vom 18. September 2013 - 5 L 1234/13.TR, juris, Rn. 5 m.w.N.; VG Göttingen, Beschluss vom 17. Oktober 2013 - 2 B 844/13 -, juris, Rn. 3 f. und VG Düsseldorf, Beschluss vom 07.01.2014 - 13 L 2168/13.A -, juris, Rn. 19.
21Die danach vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich - nicht ausschließlich - an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen. Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zu Lasten des Antragstellers aus, denn der angefochtene Bescheid des Bundesamtes begegnet nach diesen Maßstäben keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellung, dass der Asylantrag unzulässig ist, sowie die Abschiebungsandrohung nach Italien erweisen sich als rechtmäßig.
22Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt.Danach ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
23Für die Prüfung des vom Antragsteller am 06.06.2013 in Deutschland gestellten Asylantrags ist gemäß Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe e) sowie Art. 18 Abs. 7 in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 1 c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-Verordnung), Italien zuständig, da die italienischen Behörden nicht innerhalb der vorgesehenen Fristen auf das Wiederaufnahmegesuch Deutschlands reagiert haben (vgl. Art. 20 Abs. 1 b) Dublin II VO) und von einer vorherigen Ablehnung des Asylerstantrags des Antragstellers in Italien entsprechend dessen Angaben auszugehen ist (vgl. Art. 16 Abs. 1 Buchst. e) Dublin II VO).
24Dem steht zunächst nicht entgegen, dass die Dublin-II-Verordnung durch Artikel 48 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-Verordnung), mit deren Inkrafttreten am 19.07.2013 aufgehoben worden ist. Gemäß Artikel 49 Satz 3 Dublin III-Verordnung erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates für solche Anträge auf internationalen Schutz, die (wie der vorliegende Antrag) vor dem 01.01.2014 eingereicht wurden, weiterhin nach den Kriterien der außer Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II-Verordnung). Der am 06.06.2013 gestellte Asylantrag des Antragstellers umfasst mangels ausdrücklicher Beschränkung gemäß § 13 Abs. 2 AsylVfG zugleich den Antrag auf internationalen Schutz. Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates ist vorliegend mithin weiterhin nach den Kriterien der Dublin-II-Verordnung vorzunehmen. Dies gilt nach Artikel 49 Satz 2 im Übrigen auch für die Verfahrensanforderungen, da auch das Aufnahmeersuchen noch vor dem 01.01.2014 gestellt wurde.
25Die Zuständigkeit Italiens entfällt entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht aus anderen Gründen. Eine Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich weder aus der Regelung in Art. 6 Abs. 2 Dublin II VO (a), noch aus etwaigen systemischen Mängeln des italienischen Asylverfahrens (b) oder aus individuellen Gründen (c), die im vorliegenden Verfahren ein Abweichen von der europarechtlichen Zuständigkeitsstruktur rechtfertigen könnten.
26(a) Die Regelung des Art. 6 Dublin II VO wäre auf den Antragsteller nur dann anwendbar, wenn es sich bei ihm im Zeitpunkt der Asyl(folge)beantragung in Deutschland um einen "unbegleiteten Minderjährigen" gehandelt hätte. Mangels Angehöriger in Italien oder Deutschland wäre gemäß Art. 6 Abs. 2 Dublin II VO dann der Mitgliedsstaat zuständig, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag "gestellt hat". Der Antragsteller hat hingegen die von ihm darzulegende und zur Überzeugung des Gerichts nachzuweisende Tatbestandsvoraussetzung seiner Minderjährigkeit (im Zeitpunkt der Antragstellung) nicht glaubhaft gemacht.
27Vgl. zur Darlegungslast und Glaubhaftmachung: VG München, Urteil vom 31. Oktober 2013 - M 12 K 13.30730 - mit weiteren Nachweisen, juris, Rn. 27.
28Entgegen den völlig unbelegten Angaben des Antragstellers, er sei am "30.08.1996" geboren, ist vielmehr davon auszugehen, dass er zum Zeitpunkt der Antragstellung am 06.06.2013 jedenfalls älter als 18 Jahre war. Hierfür sprechen zunächst die aufgrund des Auftretens des Antragstellers erfolgten Ersteinschätzungen der Polizeibeamten bzw. der Mitarbeiter der Ausländerbehörde in E. . Deren Einschätzung wurde durch Mitarbeiter des Jugendamts in E. , wo ein weiteres Gespräch mit dem Antragsteller keine Anhaltspunkte für dessen Minderjährigkeit ergab, bestätigt.
29Abgesehen hiervon lassen sich den Angaben des Antragstellers im Rahmen der Vorbereitung zur Bundesamtsanhörung am 02.09.2013 weitere Anhaltspunkte entnehmen, die eher gegen das von ihm behauptete Geburtsdatum sprechen. So gab er an, eine "Senior High School in O. , Region C1. B. " zuletzt besucht zu haben. Abgesehen von der unrichtigen Schreibweise ist hiermit die "O. Senior High School in der Region C2. B1. " in Ghana gemeint. Im ghanesisichen Schulsystem durchlaufen die Schüler ab dem sechsten Lebensjahr zunächst sechs Jahre lang eine Primary School und besuchen anschließend drei Jahre lang eine "Junior High School". Erst hieran anschließend erfolgt ab dem Alter von 14/15 Jahren ein Besuch der "Senior High School".
30Vgl. Education in Ghana, ghanaembassy.org und Wikipedia "Education in Ghana".
31Den Angaben des Antragstellers zufolge verließ er hingegen "Mali" im September 2010. Ausgehend von dem behaupteten Geburtsdatum am 30.08.1996 hätte zu diesem Zeitpunkt für ihn frühestens das erste Schuljahr auf der "Senior High School" in Ghana (ab Anfang September 2010) gerade begonnen. Im Übrigen vermögen auch die Angaben des Antragstellers zu einer angeblichen Herkunft aus Mali und dortigen Abreise im Hinblick auf die Angaben zum Schulort in Ghana und der von ihm gesprochenen Sprache Twi bzw. behaupteten Volkszugehörigkeit Ashanti nicht zu überzeugen. Die Sprachen Twi bzw. Akan / Asante sind nicht in Mali gebräuchlich, sondern in Ghana verbreitet. Der Antragsteller gibt im Übrigen an englischsprachig zu sein, während in Mali Französisch als offizielle Landessprache fungiert.
32Gegen das vom Antragsteller behauptete Geburtsdatum spricht ferner, dass ausgehend von dem EURODAC-Treffer "IT1…" davon auszugehen ist, dass er in Italien (IT = Italien) einen Asylantrag (Ziffer 1) gestellt hat (was im Übrigen auch seinen eigenen Angaben entspricht),
33vgl. zu EURODAC Treffer-Kategorien: VG Stade, Beschluss vom 01.10.2012 - 6 B 2303/12 -, juris, Rn. 35; VG München, Beschluss vom 11.02.2014 - M 24 S 13.31330 -, juris, Rn. 32 unter Hinweis auf EURODAC-VO bzw. EG VO Nr. 2725/2000 vom 11. Dezember 2000 und EG-Verordnung Nr. 407/2002 vom 28. Februar 2002 (Durchführungs VO zur EURODAC-VO).
34Eine wirksame Asylbeantragung hätte in Italien hingegen nicht von einem Minderjährigen (ohne Vormund) vorgenommen werden können.
35Vgl. VG München, Beschluss vom 22. Juli 2013 - M 11 S 13.30659 -, juris, Rn. 13 (da in Italien keine Verfahrensfähigkeit im Asylverfahren ab 16 Jahren geregelt sei); VG München, Beschluss vom 21.02.2011 - M 11 E 11.30057, juris Rn. 20, 21; vgl. zur Situation unbegleiteter Minderjähriger und Vormundbestellung: auch VG Saarland, Urteil vom 07.03.2012 - 5 K 502/11 -, juris, Rn. 34 und 45 ff. unter Hinweis auf Bundesamt, Entscheiderbrief 7/2011 "Flüchtlinge in Italien" und i.RED/CIR The Reception and care of unaccompanied minors in eight countries of European Union, Okt. 2010 sowie Gespräche der Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit Vertretern des UNHCR in Rom.
36Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller angibt in Italien sei sein Asylantrag abgelehnt worden (ohne einen dortigen Vormund zu erwähnen) spricht dies für eine dortige Asylbeantragung als Volljähriger.
37Unabhängig hiervon wäre auch unter Berücksichtigung einer eventuellen Minderjährigkeit des Antragstellers trotz der Regelung des Art. 6 Abs. 2 Dublin II VO im Fall einer erneuten Asylbeantragung in Deutschland von einer fortbestehenden Zuständigkeit Italiens auszugehen; denn nach vorheriger (rechtskräftiger) Ablehnung in Italien wäre ein quasi identischer Folgeantrag in Deutschland als unzulässig abzulehnen,
38vgl. EuGH, Urteil vom 06.06.2013 - C 648/11 -, juris, Rn. 63 ff. mit einschränkenden Ausführungen zum Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 2 Dublin II VO für den Fall, dass zuvor das Asylbegehren eines unbegleiteten Minderjährigen bereits im ersten Mitgliedsstaat in der Sache zurückgewiesen wurde; VG Trier, Urteil vom 30. September 2013 - 5 K 987/13.TR -, juris, Rn. 20, wonach solange ein in einem anderen EU-Staat gestellter Asylantrag noch nicht beschieden sei, regelmäßig für unbegleitete Minderjährige der Staat zuständig sei, wo er sich tatsächlich aktuell aufhalte.
39(b) Soweit der Antragsteller unter Berufung auf systemische Mängel des Asylsystems in Italien eine Zuständigkeit Deutschlands reklamiert bzw. aufgrund Ermessensreduzierung einen Anspruch auf Selbsteintritt Deutschlands gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO geltend macht, kann sich das Gericht dem unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnisquellen nicht anschließen.
40Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände besonders zu berücksichtigen, die auf die Situation des jeweiligen Antragstellers zutreffen. Die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen spielen hingegen keine unmittelbare Rolle und können allenfalls ergänzend zur Beurteilung der Situation herangezogen werden,
41vgl. OVG NRW, Urteil vom 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, juris Rn. 130.
42Vorliegend ist danach hier besonders die Situation von Dublin-Rückkehrern in den Blick zu nehmen, die in Italien vergeblich Asyl beantragt haben ("der Asylantrag ist abgelehnt worden") und nunmehr einen Folgeantrag stellen. Für Folgeantragsteller besteht in Italien die Möglichkeit, das Folgevorbringen prüfen zu lassen durch eine sogenannte "Territorial Commission". Wenn diese Kommission zu dem Ergebnis gelangt, es seien "neue Elemente" vorgetragen, erfolgt regelmäßig eine erneute persönliche Anhörung zur Klärung eventueller Abweichungen zum bisherigen Vorbringen. Während eines Asylfolgeverfahrens haben die Antragsteller grundsätzlich dieselben gesetzlichen Garantien wie Erstantragsteller, z.B. können sie erneut in CARA-Wohnsiedlungen unterkommen.
43Vgl. aida, Asylum Information Database, National Country Report, Italy, November 2013, S. 32; VG Minden, Urteil vom 20. Januar 2014 - 10 K 1096/13.A -, juris, Rn. 40 zu auch in Italien bestehenden Möglichkeit, einen weiteren Asylantrag zu stellen.
44Im Übrigen macht sich das Gericht die Einschätzung und Ausführungen des OVG NRW in dessen Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 160 ff. zu eigen, wonach sich Italien trotz festzustellender Mängel und Defizite und unbeschadet mancherseits, auch durch den UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik im Wesentlichen (noch) so verhalten habe, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt ist, noch die aktuelle vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint. Unter Berücksichtigung des Inhalts der im Urteil des OVG NRW wiedergegebenen aktuellen Auskünfte (SFH, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013; aida-Report, November 2013, UNHCR, "UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien", Juli 2013; UNHCR, Auskunft vom Dezember 2013 zum Beweisbeschluss vom 24.04.2012 an VG Freiburg; UNHCR an OVG NRW, Ergänzende Information vom 07.03.14; Bundesamt, Stellungnahme Liaisonbeamtin vom 21.11.13 an OVG NRW zur Unterbringungsproblematik; luise-amtsberg.de, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, 16.01.2014) lässt sich für "Dublin-Rückkehrer" auch bezüglich der Unterkunftssituation und den Möglichkeiten einer medizinischer Versorgung kein Systemversagen feststellen.
45Vgl. hierzu: OVG NRW, Urteil vom 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, juris (für Asylbewerber, der zuvor in Italien keinen Asylantrag gestellt hatte); so auch: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.02.2014 - 10 A 10656/13.OVG -, juris (für in Italien Schutzberechtigte mit Bleiberecht); OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.11.2013 - 4 L 44/13 -, juris (für einen Asylbewerber, des Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen war und der Möglichkeit dort einen Folgeantrag zu stellen, S. 7 des Beschlusses); OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02.10.2013 - 3 L 643/12 -, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 18.03.2014 - 13 LA 75/13 -, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 30.01.2014 - 4 L A 167/13 -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.06.2013 - 7 S 58.13 -, juris.
46Diese Einschätzung steht im Übrigen in Einklang mit mehreren Entscheidungen des EGMR.
47vgl. EGMR, Beschluss vom 18.06.2013 - 73874/11 - (Abubeker), wo systemische Mängel verneint wurden; dies gelte auch im Falle einer psychischen Erkrankung;
48EGMR Beschluss vom 02.04.2013 - 27725/10 - (Mrs. Mohammed Hussein), einer 26-jährige Mutter mit zwei Kleinkindern im Alter von 2 und 4 Jahren;
49weitere Beschlüsse des EGMR: vom 18.06.2013 - 53852/11 - (Halimi), ZAR 2013, 338 f und vom 10.09.2013 - 2314/10 - (Hussein Diirshi);
50Aktuell steht eine Entscheidung der Großen Kammer des EGMR im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 12.02.2014 (betreffend eine afghanische Flüchtlingsfamilie) noch aus: vgl. PRO-Asyl "Sind Abschiebungen nach Italien rechtswidrig ?", 12.02.2014 sowie OVG NRW, Urteil vom 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 190.
51c) Unabhängig von der allgemeinen Situation bestehen zur Überzeugung des Gerichts auch in der Person des Antragstellers keine beachtlichen Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO vorlägen bzw. eine Ermessensreduzierung zu seinen Gunsten geboten wäre. Im Falle einer Überstellung nach Italien wäre er vielmehr gehalten, seinen dortigen Verfahrensstatus (im Hinblick auf eine wirksame Beendigung des ersten Verfahrens und seine Altersangaben) abklären zu lassen und notfalls einen Asylfolgeantrag zu stellen. Durch Kooperation des Antragstellers mit den dortigen Behörden könnte sowohl sonstige Versorgung als auch die Unterkunftsproblematik für ihn gewährleistet werden. Er hat vorliegend keine Umstände dargelegt, die eine für ihn günstigere Beurteilung gebieten würden.
52Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 a Abs. 1 AsylVfG und stellt sich im Hinblick auf die obigen Ausführungen als rechtmäßig dar.
53Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben, vgl. § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
54Der Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (A 4 K 2202/11) gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 25.08.2011 wird angeordnet.
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, dem Regierungspräsidium Karlsruhe mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Italien vorläufig nicht durchgeführt werden darf.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
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Tatbestand
- 1
Die Klägerin ist am (…) 1947 in H. in Syrien geboren. Sie ist verheiratet, yezidischen Glaubens, kurdische Volkszugehörige und sie besitzt die syrische Staatsangehörigkeit. Nach eigenen Angaben reiste sie – zusammen mit ihrer Tochter (...) sowie drei weiteren Kindern – von Syrien kommend am 01. August 2011 zunächst nach Italien, wo sie erkennungsdienstlich behandelt wurde und am 21. August 2011 in B-Stadt einen Asylantrag stellte, und alsdann am 07. September 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 12. September 2011 stellte sie bei der Außenstelle des Bundesamtes in H-Stadt einen (weiteren) Asylantrag.
- 2
Die Beklagte richtete unter dem 07. Februar 2012 an Italien ein Übernahmeersuchen gem. Art. 10 Dublin-II-VO (Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 10.02.2003). Mit Schreiben vom 16. Februar 2012 erklärten die italienischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags der Klägerin.
- 3
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag der Klägerin mit Bescheid vom 13. Juni 2012 als unzulässig ab und ordnete ihre Abschiebung nach Italien an. Nach der Dublin-Verordnung sei Italien für die Bearbeitung ihres Asylantrags zuständig; außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach § 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich.
- 4
Die Klägerin hat am 29. Juni 2012 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, sie könne wegen der allgemeinen Situation von Asylbewerbern in Italien nicht darauf verwiesen werden, in Italien ein Asylverfahren durchzuführen, weil davon auszugehen sei, dass das Asylverfahren dort nicht ordnungsgemäß durchgeführt würde. Sie besitze einen Anspruch auf Asyl und Flüchtlingsschutz sowie Abschiebungsschutz; hierüber sei durch das Bundesamt zu entscheiden.
- 5
Die Klägerin hat beantragt,
- 6
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen und dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gegeben sind.
- 7
Die Beklagte hat beantragt,
- 8
die Klage abzuweisen.
- 9
Sie hat die Ansicht vertreten, Italien erfülle bei der Durchführung von Asylverfahren die Mindeststandards der Europäischen Union. In den italienischen Aufnahmeeinrichtungen seien zahlreiche humanitäre Organisationen tätig, die dies gewährleisten würden. Insbesondere hätten Asylbewerber in Italien vollen Zugang zum Gesundheitssystem. Anders als im Fall Griechenlands gebe es keine Empfehlung des UNHCR, Flüchtlinge nicht an Italien zu überstellen. Dementsprechend habe das Bundesverfassungsgericht auch Verfassungsbeschwerden gegen erstinstanzliche Entscheidungen, denen zufolge eine Abschiebung nach Italien möglich sei, nicht zur Entscheidung angenommen. Ferner sei eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen ergangen, wonach die asylrechtlichen Mindeststandards in Italien gewährleistet seien und woraus sich ergebe, dass der Bericht von Bethke und Bender zu den Problemen der Flüchtlinge in Italien kritisch zu betrachten sei.
- 10
Auf den Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 07. März 2012 – 9 B 57/12 MD – die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung der Klägerin nach Italien vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu unterlassen.
- 11
Mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 verpflichtet, über den Asylantrag der Klägerin in eigener Zuständigkeit zu entscheiden und ein Asylverfahren durchzuführen. Die Klägerin habe nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchführe; das insoweit bestehende Ermessen der Beklagten sei auf Null reduziert. Der Klägerin könne die Durchführung eines Asylverfahrens in Italien nicht zugemutet werden.
- 12
Der Senat hat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Zulassungsantrag, wonach sie an ihrer bisherigen Auffassung festhält, die Klägerin könne in Anbetracht der in Italien gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse auf die Durchführung eines Asylverfahrens dort verwiesen werden.
- 13
Die Beklagte beantragt,
- 14
die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 9. Kammer - vom 10. Juli 2012 abzuweisen.
- 15
Die Klägerin beantragt,
- 16
die Berufung zurückzuweisen.
- 17
Sie macht geltend, die Beklagte beziehe sich zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen auf bloße Vorschriften und eine nicht mehr aktuelle Rechtsprechung, während neue Berichte nicht zur Kenntnis genommen würden. Der Auffassung der Beklagten sei im Hinblick auf die humanitäre Situation in Italien entgegen zu halten, dass sich die Situation der Flüchtlinge in Italien aufgrund des anhaltenden Flüchtlingsstroms aus Tunesien und anderen nordafrikanischen Staaten dramatisch verschlechtert habe. Italien sei bereits zuvor mit der Aufnahme von Flüchtlingen und deren ordnungsgemäßer Unterbringung überfordert gewesen. Aufgrund des momentanen Flüchtlingsstroms nach Italien habe sich die Situation noch verschlechtert; es sei damit zu rechnen, dass der Klägerin bereits aus diesem Grunde ein ordnungsgemäßes Asylverfahren verwehrt werde und dass sie obdachlos würde. Im Übrigen dürfe nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs (Urteil v. 21.12.2011 - C-411/11, C-493/10 -) ein Asylbewerber bereits dann nicht an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-II-VO überstellt werden, wenn ernsthafte Hinweise auf systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat vorlägen, die eine Gefährdung des Asylbewerbers nahe legen würden. Solche ernsthaften Hinweise lägen hier vor. Die vorliegenden Berichte und sonstigen Erkenntnismittel gingen davon aus, dass das staatliche Aufnahmesystem in Italien völlig überlastet sei. Es existierten 3.000 Plätze, die eine Aufnahme von Asylbewerbern für jeweils nur sechs Monate vorsehen würden. Im Jahre 2011 hätten indessen laut Presseberichterstattung (Spiegel online v. 26.04.2011) in Italien bis Anfang Mai bereits 26.000 Flüchtlinge um Schutz nachgesucht.
- 18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten und auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten (Beiakte A) sowie auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Klägerin mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 zu Unrecht stattgegeben.
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I. Die Klage ist teilweise unzulässig.
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1. Die als Verpflichtungsklage erhobene Klage ist “lediglich“ als Anfechtungsklage zulässig. Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juni 2012 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag der Klägerin gem. § 27a AsylVfG (wegen fehlender Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland) unzulässig ist, ist allein die Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01. 2010 - 11 K 8136/09 -; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009,409; Urt. v. 29.09.2009 - 7 K 269/09.F.A -; Urt. v. 23.06. 2010 - 7 K 2789/09.F.A. -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11. 2011 - AN 11 S 11.30508 -; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -; Beschl. v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A. -; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, alle: Juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27a Rdnr. 18; a. A. statthaft nur die Verpflichtungsklage: OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A - Juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/ 09.WI.A -).
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Im Fall der Aufhebung einer – wie hier – auf § 27a AsylVfG gestützten Entscheidung wegen Unzulässigkeit des Asylantrages ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens („in eigener Zuständigkeit“) vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch ohne ein hierauf gerichtetes Verpflichtungsbegehren eröffnet. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides bereits von Gesetzes wegen zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet (vgl. § 31 Abs. 2 AsylVfG zur Entscheidung des Bundesamtes über beachtliche Asylanträge). Da grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, bedarf es demzufolge einer Verpflichtungsklage nicht (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01.2010, a. a. O.; vgl. auch VG Frankfurt/Main, Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.).
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Überdies muss bezweifelt werden, ob es sich bei der Entscheidung nach Art. 3 Abs. 2 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist – Dublin-II-VO – [z. T. auch „EG-AsylZustVO“ genannt] – (ABl. L 50 vom 25.02.2003, S. 1 -10) um einen (selbständigen) Verwaltungsakt handelt, so dass eine Verpflichtungsklage bzw. – unter Berücksichtigung des im Rahmen der genannten Vorschrift eingeräumten Ermessens – eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung in Betracht kommt, oder ob es sich bei der gem. § Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zu treffende Entscheidung nicht um eine bloß inzidente handelt, da es allein um die Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten geht.
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Ebenso scheidet eine Verpflichtungsklage aus, die unmittelbar auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. § 16a GG bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG oder aber - hilfsweise - auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichtet ist. Denn eine Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht nur dann, wenn ein „mit seinem Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebener Ausländer“ den Klageweg beschreitet (BVerwG, Urt. v. 06.07.1998 - 9 C 45.97 - BVerwGE 107, 128 ff.). Hat hingegen das Bundesamt (noch) keine Sachentscheidung getroffen, so würde dem Betroffenen in dem Falle des “Durchentscheidens“ des Gerichts durch Verpflichtungs-urteil eine Tatsacheninstanz genommen, nämlich dass eine inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgt (ebenso: VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.; VG Schleswig, Urt. v. 03.08. 2011 - 1 A 46/11 - und Beschl. v. 12.09.2011 - 12 A 124/10 -; a. A. VG Braunschweig, Urt. v. 21.02.2013 - 2 A 126/11 - u. a. mit Verweis auf VGH Mannheim, Urt. v. 19.06.2012 - A 2 1355/11 -, Juris).
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Im Übrigen verhält es sich bei der Entscheidung nach § 27a AsylVfG ähnlich wie in Fällen der Entscheidung des Gerichts über eine Einstellung des Asylverfahrens nach§ 32 AsylVfG wegen vermeintlicher Antragsrücknahme bzw. Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG sowie in den Fällen der gerichtlichen Entscheidung bei fiktiver Antragsrücknahme nach§ 33 AsylVfG. In den genannten Fällen ist nach der hierzu ergangenen einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94 -, NVwZ 1996, S. 80 = Juris; vgl. auch Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m. w. N.) die Verpflichtungsklage unzulässig, weil die verweigerte sachliche Prüfung des Asylantrages nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen ist.
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Auch ist im Hinblick auf die mit dem angefochtenen Bescheid angeordnete Abschiebung der Klägerin nach § 34a Abs. 1 AsylVfG die Verpflichtungsklage nicht veranlasst und stattdessen eine Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO ausreichend (vgl. VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O. und Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 34a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a. a. O., § 34a Rdnr. 64). Soweit es nämlich darum geht, dass die Beklagte von einem Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02. September 2003 (Abl. L 222 S. 3) Gebrauch macht, bedarf es im Urteil über eine entsprechende inzidente Feststellung hinaus keiner ausdrücklichen Verpflichtung der Beklagten, von einer Abschiebung abzusehen.
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Es ist vorliegend davon auszugehen, dass die Anfechtungsklage vom Verpflichtungsbegehren der Klägerin (mit-)umfasst ist. Gegenstand der Anfechtungsklage ist nach allem ausschließlich die Frage nach der Zuständigkeit der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens, wobei die Frage nach dem rechtlich gebotenen Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland inzident zu beantworten ist.
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2) Der Klägerin steht für ihre Klage auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse zur Seite, da sie weiterhin nach Italien zurückgeführt bzw. rücküberstellt werden könnte, nachdem die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 d. Sachakte) ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung ihres Asylantrags erklärt haben, indem sie dem Übernahmeersuchen stattgegeben und damit ihrer Rücküberstellung zugestimmt haben.
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II. Die Klage ist im Übrigen unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Asylantrag der Klägerin zu Recht als unzulässig abgelehnt und zugleich ihre Abschiebung nach Italien angeordnet. Es musste im vorliegenden Fall insbesondere auch nicht von der Möglichkeit des Selbsteintritts der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch machen.
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1) Rechtsgrundlage des Bescheides vom 13. Juni 2012, mit dem das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin als unzulässig abgelehnt hat, ist § 27a AsylVfG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier der Fall. Zu Recht ist die Beklagte im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass die Republik Italien für die Durchführung eines Asylverfahrens der Klägerin zuständig ist.
- 31
a) Die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO, sofern nicht die nach Art. 5 Abs. 1 der genannten Verordnung vorrangig zu prüfenden Zuständigkeitskriterien nach Art. 6 bis 9 der Verordnung einschlägig sind.
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Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, sofern auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 der Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III derVerordnung (EG) Nr. 2725/2000, festgestellt wird, dass der Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze des Mitgliedstaats illegal überschritten hat (vgl. auch Art. 18 Abs. 4 und 5 Dublin-II-VO).
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Dies bedeutet, dass – soweit nicht die Vorschriften nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO einschlägig sind – im vorliegenden Fall Italien für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zuständig ist, da sie ihren eigenen Angaben zufolge aus Syrien kommend die Grenze nach Italien illegal überschritten hat (und dort – in B-Stadt – am 21. August 2011 zugleich einen Asylantrag gestellt hat [Bl. 108 ff. d. Sachakte]).
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Die insoweit gegebene Zuständigkeit endet zwar gem. Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Die Klägerin hat jedoch am 12. September 2011 und damit noch vor Ablauf der Jahresfrist ihren Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt, so dass die Zuständigkeit Italiens nicht nach Satz 2 entfallen ist. Die Einreise der Klägerin nach Italien erfolgte am 07. September 2011; die Jahresfrist lief somit am 07. September 2012 ab. Dass die Frist nunmehr abgelaufen ist, ist unschädlich, weil für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Art. 5 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Situation in dem Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
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b) Im Falle der Klägerin sind auch die Voraussetzungen nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich Art. 7 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist, wo ungeachtet dessen, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat, der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, sowie hinsichtlich Art. 8 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – dem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrages obliegt, in dem der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, über dessen Asylantrag noch keine erste Sachentscheidung getroffen wurde. Die genannten Vorschriften sind im Falle der Klägerin jedoch nicht einschlägig.
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Es ist schon nicht ersichtlich, dass die nach Art. 7 und 8 der Verordnung genannten Voraussetzungen bei der Tochter der Klägerin, mit der sie zusammen in das Bundesgebiet eingereist ist, oder bei ihren in Deutschland lebenden volljährigen Kindern vorliegen. Dies kann aber auch dahin stehen. Denn jedenfalls gelten die genannten Personen nicht als „Familienangehörige“ i. S. d. Dublin-II-VO. Hierzu gehört nach Art. 1 Buchst. i) der Verordnung nur die Mitglieder der “Kernfamilie“, d. h. die Ehegatten des Asylbewerbers und unter bestimmten Voraussetzungen der nicht verheiratete Partner des Asylbewerbers, die minderjährigen Kinder der genannten Personen sowie bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern oder Flüchtlingen der Vater, die Mutter oder der Vormund. Ein solches Verwandtschaftsverhältnis der Klägerin zu den mit einreisenden bzw. in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kindern besteht jedoch nicht.
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c) Ebenso sind bei der Klägerin die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Nach Art.15 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien der Verordnung nicht zuständig ist. Dass die Klägerin vorliegend aus humanitären Gründen mit ihren Familienangehörigen zusammenzuführen ist und nicht auch auf ein eigenständiges Leben in Italien verwiesen werden kann, zumal ihre Kinder teilweise in Deutschland, teilweise in Österreich leben bzw. teilweise ihr Aufenthalt unbekannt ist, lässt sich nicht feststellen. Die Klägerin befindet sich in Begleitung ihrer volljährigen Tochter; beide sind reisefähig und nach Italien zu überstellen.
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Ebenso sind die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt, wonach im Regelfall von einer Trennung der Familienangehörigen abzusehen bzw. eine Zusammenführung vorzunehmen ist, wenn die betroffene Person u. a. wegen einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung durch die anderen Person(en) angewiesen ist. Diese Voraussetzungen liegen bei der 67-jährigen Klägerin nicht vor; entsprechendes ist jedenfalls nicht vorgetragen worden.
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Eine andere Einschätzung ist auch nicht im Hinblick auf die einleitende Erwägung zu Nr. 6 Dublin-II-VO veranlasst, wonach die Einheit der Familie (grundsätzlich) gewahrt bleiben soll, soweit dies mit den sonstigen Zielen vereinbar ist, die mit den Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrages zuständigen Mitgliedstaats angestrebt werden. Nicht anders verhält es sich mit Blick auf die einleitende Erwägung nach Art. 7 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach die Mitgliedstaaten von den Zuständigkeitskriterien abweichen können, um eine räumliche Annäherung von den Familienmitgliedern vorzunehmen, soweit dies aus humanitären Gründen erforderlich ist. Bei den genannten Regelungen handelt es sich indes um bloße programmatische Vorgaben, aus denen sich, unabhängig davon, dass die Voraussetzungen hier nicht vorliegen dürften, für die Asylbewerber keine unmittelbaren Rechte ableiten lassen.
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d) Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Zwar hat das Bundesamt nicht innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags der Klägerin vom 12. September 2011 ein Wiederaufnahme- bzw. Übernahmeersuchen an die Republik Italien gestellt; das war indes auch nicht erforderlich. Da die Klägerin bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hat, steht in ihrem Fall eine Wiederaufnahme durch Italien im Sinne des Art. 16 Abs.1 c) bis e) Dublin-II-VO in Rede, nicht hingegen eine Aufnahme seitens Italiens im Sinne des Art. 16 Abs.1 a) Dublin-II-VO. Die Dublin-II-VO unterscheidet insoweit gem. Art.16 Abs.1 lit. a) einerseits und Art. 16 Abs. 1 lit. c) bis e) andererseits zwischen der Überstellung des Asylsuchenden in einem Aufnahmeverfahren gemäß den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO und einer Überstellung im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 20 Dublin-II-VO. Das Aufnahmeverfahren findet statt, wenn der Asylsuchende im ersuchten Mitgliedstaat noch keinen Asylantrag gestellt hat, während das Wiederaufnahmeverfahren einschlägig ist, wenn dort bereits ein Asylantrag gestellt wurde. Insofern wird der Anwendungsbereich der nachfolgenden Art. 17 bis 20 Dublin-II-VO durch Art. 16 Dublin-II-VO bestimmt.
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Aus der systematischen Trennung zwischen Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren folgt, dass im Wiederaufnahmeverfahren keine Frist für das Übernahmeersuchen gilt, denn die insofern allein maßgebliche Regelung des Art. 20 Dublin-II-VO normiert weder selbst eine solche Frist, noch nimmt sie auf die für das Aufnahmeverfahren geltende Regelung in Art. 17 Abs.1 Dublin-II-VO Bezug. Es verhält sich gerade nicht in der Weise, dass Art. 20 Dublin-II-VO nur spezielle Modalitäten für die Wiederaufnahme regelt und im Übrigen die Regelungen der Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO anwendbar wären. Vielmehr handelt es sich bei den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO einerseits und dem Art. 20 Dublin-II-VO andererseits um jeweils eigenständige Regelungskomplexe (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 06.02.2013 - 17 L 150/13.A -; Beschl. v. 26.04.2013 - 17 K 1777/12.A -; VG Hamburg, Beschl. v. 22.09.2005 - 13 AE 555/05 -; VG Augsburg, Gerichtsbescheid v. 09.05.2011 - Au 3 K 10.30468 - Juris; VG Regensburg, Beschl. v. 05.07.2013 - RN 5 S 13.30273 -; VG Göttingen, Beschl. v. 11.10.2013 - 2 B 805/13 -; a.A.: VG Düsseldorf, Beschl. v. 07.08. 2012 - 22 L 1158/12.A -, alle: Juris).
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Art. 17 Abs.1 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, zuständig wird, wenn das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten unterbreitet wird, findet im Fall der Klägerin folglich keine Anwendung, so dass sich hieraus auch keine Zuständigkeit der Beklagten ergibt. Dementsprechend haben die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 R, 116 d. Sachakte) auch ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme bzw. Übernahme der Klägerin erteilt.
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e) Ferner ist die Zuständigkeit nicht nach Art. 19 Abs. 3 und 4 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO erfolgt die Überstellung des Schutzsuchenden von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin-II-VO i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Dabei ist unerheblich, dass die Entscheidung der Beklagten nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 der Verordnung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat; allein entscheidend ist, dass ihr eine solche durch eine entsprechende gerichtliche Entscheidung zuerkannt worden ist (vgl. Hess.VGH, Beschl. v. 23.08.2011 - 2 A 1863/10.Z.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.06.2012 - A 2 S 1355/11 -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; offengelassen: OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -, alle: Juris).
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Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 02. August 2012 - 4 MC 133/12 - (< Rn. 17 zitiert nach Juris >) zu § 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO und zu dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin-II-VO grundsätzlich vorgesehenen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ausgeführt:
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„Der Annahme der aufschiebenden Wirkung des hier eingelegten Rechtsbehelfs steht auch nicht die Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 Satz 4 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 entgegen. Danach hat ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nach Absatz 1 keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem inner-staatlichen Recht zulässig ist. Zwar darf nach § 34a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) nicht nach§ 80oder § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung ausgesetzt werden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass durch diese Vorschrift eine andere Entscheidung im Sinne von Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Hs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts ausgeschlossen ist und daher ein Rechtsbehelf wegen § 34a Abs. 2 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 haben kann. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr ausdrücklich entschieden, dass der Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 34a Abs. 2 AsylVfG in den Fällen, in denen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) erfolgen soll, in Ausnahmefällen, die nicht vom „normativen Vergewisserungskonzept“ des Gesetzgebers über die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in einem sog. sicheren Drittstaat erfasst sind, der Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz gegen eine sofortige Überstellung nicht entgegensteht (BVerfG, Urt. v. 14.5. 1996, a. a. O.). Diese Rechtsprechung wird - soweit ersichtlich - von den Verwaltungsgerichten auf die Abschiebung in einen anderen Staat, der nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, mit der Begründung übertragen, dass die vom Bundesverfassungsgericht angestellten Erwägungen zu § 26a AsylVfG auch auf die Vorschrift des§ 27a AsylVfG zutreffen, weil die nach europäischen Recht für die Asylentscheidung zuständigen Mitgliedstaaten zugleich sichere Drittstaaten im Sinne von § 26a AsylVfG sind (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 1.3.2012 - 1 B 234/12.A - und v. 11.10. 2011 - 14 B 1011/11.A -; ferner Nds. OVG, Beschl. v. 2.5.2012 - 13 MC 22/22 - und Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-). Unter diesen Umständen kann daher keine Rede davon sein, dass es nach der innerstaatlichen Rechtslage in Deutschland unzulässig sei, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellung auf der Grundlage der Zuständigkeitsbestimmungen in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 anzuordnen. Unabhängig davon stellt die für den Fristenbeginn der Überstellung maßgebliche Vorschrift des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 nach ihrem Wortlaut auch ausdrücklich darauf ab, dass einem eingelegten Rechtsbehelf tatsächlich aufschiebende Wirkung zukommt und nicht darauf, ob es nach dem innerstaatlichen Recht zulässig ist, die aufschiebende Wirkung anzuordnen (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-).
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Läuft danach die Frist zur Überstellung aufgrund des von dem Antragsteller eingelegten Rechtsbehelfs erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens bezüglich der Durchführung der Überstellung entschieden wird und die der Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann, kann dahinstehen, ob insoweit das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn bereits ausreichend ist oder es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf (so Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.“
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Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an und macht sie sich zu Eigen.
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Da die Klägerin – nach Erlass des angefochtenen Bescheides vom 13. Juni 2012 – gegen ihre Überstellung innerhalb der Frist, bis zu der gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin-II-VO ihre Überstellung nach Italien vorbehaltlich eventuell zu treffender weiterer Maßnahmen erfolgen konnte, einen Rechtsbehelf gegen ihre Überstellung eingelegt hat, dem mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom Beschluss vom 07. März 2012 - 9 B 56/12 MD - aufschiebende Wirkung beigemessen worden ist, beginnt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO eine (neue) sechsmonatige Frist zur Überstellung der Klägerin (erst) ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Klage. Diese Frist ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch nicht abgelaufen, denn der Senat hat dem Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 entsprochen. Nach allem kann hier dahingestellt bleiben, ob im Grundsatz das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn hinsichtlich der Überstellung bereits ausreichend ist oder ob es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf, da die Klägerin jedenfalls erstinstanzlich obsiegt hat.
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2) Die Beklagte ist für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin auch nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zuständig, denn die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, das Selbsteintrittsrecht auszuüben.
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Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-II-VO zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (a. a. O. Satz 3). Ob der Mitgliedstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht dabei grundsätzlich in seinem Ermessen, welches – weil integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen Europäischen Asylsystems (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/ 10 und C-493/10 -,
) – in Übereinstimmung mit den insoweit geltenden unionsrechtlichen Bestimmungen und von den Mitgliedstaaten verfolgten Zielen auszuüben ist.
- 51
Art. 3 Dublin-II-VO ist auch geeignet, subjektive Rechte der Klägerin zu begründen, die von ihr gegen eine vorgesehene Überstellung (Rückführung) in den nach dieser Verordnung für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat geltend gemacht werden können (vgl. dazu den Vorlagebeschluss des Hess.VGH v. 22.12.2010 - 6 A 2717/09.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02. 08.2012 - 4 MC 133/12 - m. w. N., Juris; ferner Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 37 ff. m. w. N.). Denn auch wenn es sich bei Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO um eine Ermessensvorschrift handelt, kann sich der Betroffene – hier die Klägerin – auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gem. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung berufen. Diese Bestimmung ist – anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 25) – nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ihm ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Begünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung der Rechtsnorm besitzen (vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62 -, Slg. 1963, 1 [24] = NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04. 12.1974 - Rs. C-41/74 -, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81 -, Slg. 1982, 53 [71] = NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Dublin-II-VO dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 124 m. w. N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der Europäische Gerichtshof in dem zur Dublin-II-VO ergangenen Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 – (Rdnr. 38, 48 zur Frage des Rechtsschutzes, NVwZ 2009, S. 639 = Juris) aus.
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Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO lediglich das Recht auf eine fehlerfreie Ermessensausübung – welches gegebenenfalls aber auf Null reduziert sein kann (vgl. VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08. 30122 -; Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 134 f. und 223 m. w. N.; Marx, a. a. O. § 27a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser / Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/ Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u. a. und des Belgischen Conseil d'Etat / Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).
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Aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck in der Norm selbst nicht seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 220; Filzwieser / Liebminger, a. a. O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 EG-Vertrag in der Fassung des Amsterdamer Vertrages vom 02. Oktober 1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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Nach Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) EG-Vertrag beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie mit einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Dublin-II-VO erlassen. Im Erwägungsgrund Nr. 5 wird hierzu ausgeführt, dass bezüglich der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf längere Sicht zu einem gemeinsamen Asylverfahren und einem unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird, führen sollte, im derzeitigen Stadium die Grundsätze des am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichneten Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gestellten Asylantrags(4) (nachstehend „Dubliner Übereinkommen“ genannt), dessen Durchführung die Harmonisierung der Asylpolitik gefördert hat, mit den aufgrund der bisherigen Erfahrungen erforderlichen Änderungen beibehalten werden sollten. Weiterhin wird insbesondere im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - EuGrdRCh - anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 EuGrdRCh verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
- 55
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, Juris) lässt das im EU-Vertrag vorgesehene und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeitete gemeinsame Europäische Asylsystem allerdings die Annahme begründet erscheinen, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 (GFK) sowie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - (EMRK) finden. Es gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta und der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. M. a. W. ausgehend von der Annahme, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i. S. d. Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz (GG) bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden „Konzepts der normativen Vergewisserung“ (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/133 - Juris, Rn. 179 ff.) bzw. des „Prinzips des gegenseitigen Vertrauens“ (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - Rs C-411/10 und C-393/10 – Juris, Rn. 79 ff.) grundsätzlich davon auszugehen, dass die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Grundrechtscharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention in diesen Ländern sichergestellt ist. Auch die Dublin-II-Verordnung beruht wie jede andere auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK, der EMRK und der EuGrdRCh in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und Nr. 12 Dublin-II-VO und Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EG-Vertrag, - so auch VG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 02.10.2008 - 6 B 56/08-, Juris und VG Regensburg, Beschl. v. 15.09.2008 - RO 3 E 08.30124 - Juris).
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Dies bedeutet zugleich, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris) ein Ausländer, der in einen sicheren Drittstaat zurück verbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern kann, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Für ihn kommen deshalb entsprechend dem mit Art. 16a Abs. 2 GG verfolgten „Konzept normativer Vergewisserung“ über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, grundsätzlich nicht in Betracht.
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Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland dann Schutz zu gewähren, wenn ein solcher durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des „Konzepts normativer Vergewisserung“ durch Gesetz berücksichtigt werden konnten oder aber sich die für die Qualifizierung als “sicher“ maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung hierauf noch aussteht. So sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a. a. O.) Ausnahmen u. a. dann geboten, wenn der Drittstaat gegenüber dem Schutzsuchenden selbst zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird, oder wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer der Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (vgl. zur Problematik der Bestimmung des „sicheren Drittstaates“: BVerfG, Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 - DVBl. 2009, 1304; Lübbe-Wolff, Das Asylgrundrecht nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 - DVBl. 1996, 825 ff.; s. insbesondere auch zur europa-rechtlichen Dimension: Weinzierl / Hruschka, Effektiver Rechtsschutz im Lichte deutscher und europäischer Grundrechte, NVwZ 2009, 1540 ff.).
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Vergleichbares gilt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn es um die Rückführung eines Ausländers in den für seinen Asylantrag zuständigen Staat im Sinne des § 27a AsylVfG geht. Dies bedeutet, dass auch der Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO „nur“ eine Ausnahme darstellt bzw. Sonderfällen vorbehalten ist. Denn eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat oder in den nach europäischem Recht oder Völkerrecht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, ist nur dann veranlasst, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme aufdrängt, dass der Asylbewerber von einem der im normativen Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 GG und der §§ 26a, 27a, 34a AsylVfG nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind dabei auch im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris). Die Annahme eines sicheren Drittstaates ist daher nur dann widerlegt, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh bzw. der inhaltlich identischen Vorschrift des Art. 3 EMRK (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EuGRrdRCh) implizieren.
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Nach der zu Art. 3 EMRK ergangenen Rechtsprechung des EGMR, auf die zur Auslegung von Art. 4 EuGrdRCH zurückzugreifen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 21.01.2011, 2011 - No. 30696 – M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, Rn. 88 m. w. N. – Juris) ist eine Behandlung unmenschlich, wenn sie absichtlich erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Eine Behandlung ist hingegen als erniedrigend anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und dadurch fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert, oder wenn sie Angst, Furcht oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder physischen Widerstand der Person zu brechen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.01.2011, a. a. O., Rn. 220 m. w. N.).
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Die ernsthafte Befürchtung grundlegender Mängel besteht nur dann, wenn in einem Mitgliedstaat eine ständige Verletzung der Kernanforderungen des europäischen Asylrechts, wie sie in den Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union ihren Niederschlag gefunden haben, stattfindet und dadurch die Menschenwürde, das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Flüchtlings beeinträchtigt wird (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Beschl. v. 22.12.2008 - 13 L 1993/08.A - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84.11 A - Juris; VG Hannover, Beschl. v. 07.06.2011 - 1 B 2106/11 - asyl.net; VG Düsseldorf, Beschl. v. 12.09.2011 - 6 L 866/11.A - Juris; Lehnert / Pelzer, Effektiver Rechtsschutz im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin II-Verordnung, ZAR 2010, 41 ff.; Lehnert/Pelzer, Der Selbsteintritt der Mitgliedstaaten im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin-II-Verordnung, NVwZ 2010, 613 ff.). Bei der Beurteilung der Frage, ob für Asylbewerber in Italien dementsprechend ein “richtliniekonformes“ Verfahren gewährleistet ist, ist dabei zunächst das Schutzniveau in den Blick zu nehmen, das sich aus Art. 28 (Sozialleistungen) und Art. 31 (Zugang zu Wohnraum) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 – Qualifikationsrichtlinie – ergibt und sodann jenes, das sich für das Asylverfahren aus der Dublin-II-VO selbst ergibt. Zugleich ist als Maßstab die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten heranzuziehen sowie die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Danach gehören zu den Kernanforderungen des europäischen Asylrechts der Zugang zu einem geordneten Asylverfahren und die Gewährung materieller Aufnahmebedingungen, welche die Grundbedürfnisse nach Unterkunft, Nahrung und medizinischer Versorgung abdecken.
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Die vorstehend aufgezeigten Grundsätze stehen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat mit Urteil vom 21.12.2011 - C 411/10 und C-493/10 - (Juris) ausgeführt, das Gemeinsame Europäische Asylsystem sei in einem Kontext entworfen, der grundsätzlich die Vermutung rechtfertige, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Gleichwohl könne – so der Gerichtshof – nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoße, so dass die ernstzunehmende Gefahr bestehe, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt würden, die mit den Grundrechten unvereinbar sei. Dabei berühre nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Dublin-II-VO. Sei jedoch ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufwiesen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Grundrechtscharta implizierten, so sei eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar.
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Bei der Beurteilung der anstehenden Frage nach dem Vorliegen eines systemischen Versagens in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in dem Mitgliedstaat ist überdies nicht (allein) darauf abzustellen, welche (abstrakte) Rechtslage dort herrscht, mithin ob etwa die vorgenannten Richtlinien in nationales Recht umgesetzt wurden, sondern es sind (ebenfalls) die konkreten bzw. realen Verhältnisse für die Asylbewerber, mithin die bestehende tatsächliche Verwaltungs- und Rechtspraxis in den Blick zu nehmen (ebenso VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009, 406 = Juris).
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Ferner ist darauf abzustellen, ob es sich bei eventuell feststellbaren Defiziten und Mängeln, etwa in Form von Rechtsverstößen und zu erwartenden Beeinträchtigungen, nur um Einzelfälle oder – soweit es sich nicht nur um Einzelfälle handelt – um bloße vorübergehende, temporäre Erscheinungen handelt, die etwa einer überraschenden Entwicklung geschuldet sind, denen aber in naher Zukunft voraussichtlich abgeholfen wird. Anders verhält es sich indes in jenen Fällen, in denen aufgrund einer Vielzahl von Referenzfällen hinreichend belegte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die Missstände und Unzulänglichkeiten dauerhaft manifestiert haben. Die insoweit erforderliche Feststellung des Vorliegens systemischer Mängel und Missstände hat somit eine quantitative wie qualitative Komponente. Ob die desolaten Verhältnisse im Mitgliedstaat dabei darauf zurückzuführen sind, dass dieser zur Schaffung geordneter und richtlinienkonformer Verhältnisse nicht bereit oder nicht in der Lage ist, macht dabei grundsätzlich keinen Unterschied.
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3) In Anwendung der genannten Kriterien ist im Fall der Klägerin von Folgendem auszugehen:
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Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, in Ausübung des insoweit bestehenden Ermessens von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen. Auch kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, sie besitze zumindest einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO, um als Ausnahme von den sonstigen Zuständigkeitsregeln der genannten Verordnung die Prüfung ihres Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. Diesem Recht der Klägerin ist mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten entsprochen worden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte ihr Ermessen verkannt hätte; auch rechtfertigt sich nicht die Annahme des Vorliegens eines formellen Ermessensfehlers, da keinerlei Gründe vorliegen, die einen sog. Selbsteintritt zu rechtfertigen vermögen.
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Zur Überzeugung des Senats ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie von “Dublin-II-Rückkehrern“ in Italien nicht ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und / oder die Aufnahmebedingungen dort derart grundlegende Mängel aufweisen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh zu erwarten steht. Der Senat ist vielmehr unter Anlegung der zuvor genannten strengen Maßstäbe zur Überzeugung gelangt, dass für die nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. rücküberstellten Asylbewerber in der Gesamtschau ein ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren gewährleistet ist und dass für den Fall der Abschiebung bzw. Rückführung der betroffenen Asylsuchenden zwecks Durchführung eines Asylverfahrens nicht mit schwerwiegenden Rechtsverstößen und Beeinträchtigungen zu rechnen ist (ebenso oder ähnlich u. a.: OVG Lüneburg, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -; Beschl. v. 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 –; VG Bremen, Beschl. v. 15.04.2013 - 2 V 440/13.A -; VG Regensburg, Beschl. v. 05.02.2013 - RN 5 S 13.30026 -; Beschl. v. 26.02.2013 - RN 9 K 11.30445 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 17.09.2012 - 13 L 1447/12.A -; Beschl. v. 08.01.2013 - 6 L 104/13.A - und Beschl. v. 06.02. 2013 - 17 L 150/13.A -; VG Augsburg, Urt. v. 11.01.2013 - Au 6 K 12.30358 -; VG Leipzig, Urt. v. 07.12.2012 - A 1 K 973/11 -; VG München, Beschl. v. 08.11.2012 - M 15 E 12.30772 -; VG Würzburg, Beschl. v. 30.10.2012 - W 6 E 12.30288 -; VG Trier, Beschl. v. 25.10.2012 - 5 L 1146/12.TR -; VG Schwerin, Beschl. v. 27.09. 2012 - 8 B 434/12 As -; VG Bayreuth, Urt. v. 12.06.2012 - B 3 K 11.30142 - [bestätigt durch BayVGH, Beschl. v. 6.02.2013 - 20 ZB 12.302856 -]; a. A. oder eine Entscheidung in der Hauptsache vorbehaltend: VG Köln, Beschl. v. 07.05.2013 - 20 L 613/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 30.04.2013 - 10a L 484/13.A -; VG Schwerin, Beschl. v. 15.03.2013 - 3 B 111/13 As -; VG Aachen, Beschl. v. 14.03. 2013 - 9 L 53/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 19.02.2013 - 15a L 194/13.A -; Beschl. v. 27.02.2013 - 15a L 194/13.A -; VG Gießen, Urt. v. 24.01.2013 - 6 K 1329/12.Gl.A -; VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.10.2012 - A 9 K 2386/12 - und Beschl. v. 22.01.2013 - A 9 K 179/13 -; VG Stuttgart, Beschl. v. 08.01.2013 - A 7 K 3929/12 -; VG des Saarlandes, Beschl. v. 03.09.2012 - 3 L 789/12 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 29.08.2012 - 14 L 1392/12.A – alle: Juris; VG Freiburg, Beschl. v. 27.10.2011 - A 5 K 2081/11 -; VG Magdeburg, Beschl. v. 17.07.2012 – 9 B 148/12 -; Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 100/11 -; Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -; vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/ 12.A - Juris). Das Asylsystem in Italien mit dem dort geregelten und praktizierten Aufnahme- und Asylverfahren einschließlich der Unterbringungs- und Versorgungslage für die in Italien schutzsuchenden Flüchtlinge und Asylbewerber entspricht den Anforderungen des europäischen Asylsystems, selbst wenn es in Teilbereichen gewisse Mängel und Defizite aufweist. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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a) Nach dem dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterial ist davon auszugehen, dass für Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien, jedenfalls soweit es sich um Dublin-II-Rückkehrer handelt, grundsätzlich ein geordnetes Aufnahmeverfahren und auch ein ungehinderter Zugang zum Asylverfahren gewährleistet sind.
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Der Senat verkennt nicht, dass es in Italien für Asylbewerber und Flüchtlinge – und zwar bis in die jüngste Vergangenheit hinein – eine Vielzahl von Einreiseverweigerungen und Abschiebungen gegeben hat, bevor ein Asylverfahren durchgeführt werden konnte bzw. ein solches abgewartet worden wäre. Namentlich sind Fälle bekannt geworden, wonach es Zurückweisungen von Flüchtlingen auf hoher See und vor der italienischen Küste, aber auch vom italienischen Territorium gegeben hat, die offenbar darauf abzielten, den Strom von Flüchtlingen – insbesondere aus Nordafrika – abzuwehren, die in Italien Zuflucht haben suchen wollen (vgl. UNHCR, Bericht v. 16.08. 2011: „Hunderte Neuankömmlinge aus Libyen und Tunesien in Italien“, abrufbar unter: http://www.unhcr.de/print/home/artikel/042d9651d6d525aad46e97d7ee7848db/hunde).
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Trotz der bekannt gewordenen zahlreichen Verstöße gegen das Refoulement-Verbot und teilweise vorhandener unangemessener Erschwernisse beim Zugang zu einem Asylverfahren in Italien in den vergangenen Jahren lässt sich aber – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats betrifft – nicht (mehr) davon ausgehen, dass es, sieht man einmal von Einzelfällen ab, in Italien gegenwärtig noch zu derartigen gravierenden Rechtsverletzungen kommt, wie sie in der Vergangenheit zu beklagen waren.
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Vielmehr sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlingen und Asylsuchenden, die in Italien um Schutz nachsuchen wollten, bei ihrer Einreise auf dem Seeweg oder auf dem Landwege die Einreise oder der Aufenthalt in Italien verweigert worden sind (AA, Auskunft v. 21.02. 2013 an OVG LSA, Anm. 1.1.). Ebenso sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende nach ihrer Einreise nach Italien in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben worden sind, ohne dass sie in Italien den von ihnen beabsichtigten Asylantrag stellen konnten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 1.2.). Schließlich sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes in jüngster Zeit auch keine Fälle (mehr) bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende trotz eines in Italien gestellten Asylantrages in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben wurden (AA, a. a. O. Anm. 1.2.). Hiernach lässt sich zumindest gegenwärtig nicht mehr die Feststellung treffen, dass in Italien der Anspruch Schutzsuchender auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens generell oder auch nur regelmäßig vereitelt wird (bereits für die Vergangenheit verneinend u. a.: VG Hannover, Beschl. v. 07.07. 2011 - 1 B 2106/11 - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84/11 - Juris). Dies bedarf hier indes keiner Vertiefung.
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Denn jedenfalls lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen, dass für die im Rahmen des Verfahrens nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. zurückgeführten Asylbewerber regelmäßig oder sogar überwiegend ein ordnungsgemäßes Asylverfahren nicht gewährleistet ist. Aufgrund eines für diesen Personenkreis gesetzlich speziell geregelten Rückführungsverfahrens ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass diese nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren dort bereits gestellten Asylantrag weiterverfolgen bzw. erstmals einen Asylantrag stellen können und ihnen insoweit der Zugang zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren nicht versperrt wird. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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Asylbewerber, die gemäß dem Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehren bzw. zurückgeführt werden, treffen in der Regel auf dem Luftweg auf den Flughäfen Fiumicino in Rom, Malpensa in Mailand, Bergamo, Venedig, Bari, Brindisi oder Ancona ein. Dort werden sie – auch wenn es in Italien kein Flughafenverfahren wie in Deutschland gibt (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)) – von der Polizei in Empfang genommen und es wird ihnen eine Unterkunft in einer der Aufnahmeeinrichtungen zugeteilt, sofern ein Asylantrag gestellt wird bzw. ein Asylverfahren, bei dem Verfahrensstand, der bei Ausreise aus Italien vorlag, weitergeführt werden soll (zu allem: Schweizerische Flüchtlingshilfe, „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien. Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende“, Mai 2011, S. 17 und AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 1.4.). Die Polizei macht in diesen Fällen die verantwortliche Questura ausfindig und fordert die Rückkehrer auf, sich dorthin zu begeben. Dabei werden auch die Reisekosten übernommen (Schweizerischen Flüchtlingshilfe, a. a. O., S. 17) bzw. die Person bekommt, wenn die zuständige Questura weiter entfernt ist (Beispiel: Dublin-Rückkehr nach Rom, zuständige Questura in Catania), ein Zugticket ausgehändigt, um dort hinzureisen (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).
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Wenn die Dublin-Rückkehrer von deutschen Beamten /Polizisten begleitet werden, gibt es insoweit keine Unterschiede. Bei ihrer Ankunft werden alle Dublin-Rückkehrer von der Polaria (Luftpolizei) am Flughafen Fiumicino empfangen. Sie werden erneut erkennungsdienstlich behandelt und es erfolgt die Feststellung, welche Questura in Italien für die Person zuständig und wie der Stand des Verfahrens ist (AA, Auskunft v. 11. 09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).
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Bei ihrer Ankunft werden die Ausländer – so auch die Dublin-II-Rückkehrer – von der am Flughafen zuständigen Hilfsorganisation „Confederazione Nazionale delle Misericordie d’Italia“ betreut und in Anwesenheit von Dolmetschern über den weiteren Verfahrensablauf unterrichtet (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW - zu Frage a.)). Die genannte Hilfsorganisation sucht für die Dublin-II-Rückkehrer zugleich eine (vorläufige) Unterkunft in einem Aufnahmezentrum (z. B. einer Einrichtung der „Centri di accoglienza richiedenti asilo“ - CARA -), welches im Allgemeinen für die Erstaufnahme zuständig ist, bis die Zuweisung zu einer Asylunterkunft am Ort der zuständigen Questura erfolgt ist. Während die Dublin-II-Rückkehrer sofort eine Unterkunft in einem entsprechenden Erstaufnahmezentrum erhalten, kann die Zuweisung zu einer Asylunterkunft für die Dauer des Asylverfahrens einige Zeit dauern, weil es zunächst gewisser Formalien den jeweiligen Asylantrag betreffend bei der zuständigen Questura bedarf. Manchmal beträgt dieser Zeitraum nur einige Tage, manchmal aber auch Wochen, z. B. wenn es sich um große Städte und Ballungszentren handelt. Belastbares Zahlenmaterial bezogen auf die Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist mangels statistischer Erhebungen allerdings nicht verfügbar. In den Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber, den bereits erwähnten Einrichtungen der CARA, ist laut Gesetz grundsätzlich ein Verbleib von nicht länger als 20 bis 35 Tagen vorgesehen. Da die Zuweisungsverfahren aber oftmals länger dauern, bleiben die Antragsteller entsprechend länger in diesen Aufnahmezentren (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu den Fragen a.), b.) und c.)).
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Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln erhalten die Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft in Italien zudem Informationsbroschüren über ihre Rechte im Asylverfahren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 2.3.). Diese Broschüren existieren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen, so u. a. in persischer, arabischer, französischer, englischer, italienischer, somalischer, spanischer und tigrinischer Sprache (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 2.3.). Darüber hinaus befinden sich in den Aufnahmeeinrichtungen Betreuungsdienste, die den Asylantragstellern zur Unterstützung zur Verfügung stehen. Diese beschäftigen oftmals Mitarbeiter, die die Landessprache der Hauptherkunftsstaaten der Asylantragsteller beherrschen (AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 2.3.).
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Nach allem besteht für den Senat kein Grund zur Annahme, dass die in Italien Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft dort in unangemessener Weise “sich selber überlassen bleiben“ und sich im Hinblick auf das erstrebte Aufnahme- und Asylverfahren nicht zurecht finden können.
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Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass die Rücküberstellung von Asylbewerbern auf der Grundlage der Dublin-II-Verordnung seitens der italienischen Behörden auf Widerstände stößt. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es im Rahmen des Dublin-Systems vor einer Asylantragstellung oder während des Asylverfahrens zu Einreiserverweigerungen, Rücküberstellungen oder sonstigen Ausweisungen in die Herkunftsländer der Asylbewerber kommt (vgl. UNHCR, Stellungnahme v. 24.04.2012 an VG Braunschweig, S. 5).
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b) Der Senat vermag aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel auch nicht zur Einschätzung zu gelangen, dass Asylsuchende und Flüchtlinge – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts betrifft – nach ihrer Einreise und / oder während ihres Asylverfahrens mangels einer (angemessenen) Unterkunft regelmäßig oder auch nur in einer Vielzahl von Fällen in die Obdachlosigkeit geraten, mithin „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen.
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aa) Dabei ist zunächst hervorzuheben, dass Asylsuchende während des Asylverfahrens einen Rechtsanspruch auf eine Unterbringung besitzen, und zwar gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Dieser Anspruch ist grundsätzlich wohl auch behördlich bzw. gerichtlich durchsetzbar. Dies deckt sich jedenfalls mit einer Antwort der Bundesregierung vom 18. April 2011 auf eine Kleine Anfrage im Bundestag ("Lage von Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen in Italien" – BT-Drucks. 17/5579), aus der sich ergibt, dass Asylbewerber in Italien einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Unterkunft haben. Allerdings kommt es für die Beurteilung der in Rede stehenden Frage nicht in erster Linie auf die bestehende Rechtslage an; maßgeblich ist vielmehr auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen.
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Nach den aktuellen Auskünften des Auswärtigen Amtes stellt sich indes die tatsächliche Unterbringungssituation im Rahmen des italienischen Aufnahmesystems für Asylbewerber und Flüchtlinge Anfang 2013 (5. Kalenderwoche) wie folgt dar:
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Die Aufnahmezentren der CARA verfügen über 5.516 Plätze und beherbergen derzeit ca. 5.300 Personen nebst 2.710 Plätzen in den Einrichtungen der CARA von Lampedusa, so dass insgesamt mehr als 8.000 Plätze zur Verfügung stehen. Die Zahlen im Gutachten von Frau Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 11), wonach 3.163 Personen in den genannten Einrichtungen aufgenommen werden könnten, seien inzwischen überholt (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.).
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Darüber hinaus stehen den Asylbewerbern und Flüchtlingen grundsätzlich die staatlichen Aufnahmeeinrichtungen der SPRAR („Sistems di Protezione per Richiedenti Asilo e Refugiati“) zur Verfügung. Die dort vorhandenen Plätze sind laut Auskunft des Auswärtigen Amtes in der Vergangenheit deutlich angestiegen: Bisher habe es 3.000 Plätze gegeben, so dass dort (weil eine Unterbringung regelmäßig nur für 6 Monate vorgesehen sei) insgesamt 6.000 Personen hätten versorgt und untergebracht werden können (vgl. zur Aufnahmekapazität von etwa 3.000 Personen u. a. auch der Bericht der Schweizerische Flüchtlingshilfe, a. a. O. S. 5). Nunmehr aber stehen nach Auskunft des Auswärtigen Amtes - bestätigt durch Auskünfte von Mitarbeitern der SPRAR und des italienischen Innenministeriums – insgesamt 5.000 Plätze zur Verfügung, so dass 8.000 bis 10.000 Personen untergebracht werden könnten, ungeachtet der im Rahmen des EU-finanzierten FER-Projektes für vulnerable Personen und anderer Projekte vorhandenen weiteren Plätze (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.). Dies entspricht in etwa auch der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.02.2013 auf Anfrage des Senats, wonach inzwischen in ganz Italien 40 Aufnahmezentren mit rund 9.000 Plätzen zur Verfügung stehen (AA, a. a. O., Anm. 4.3.).
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Dem steht z. B. für das Jahr 2012 eine Anzahl von 1.148 Personen gegenüber, die als Rückkehrer im Rahmen der Dublin-II-Verordnung über Rom nach Italien zurückgeschickt wurden und von der Organisation Ariconfraternita am Flughafen von Rom betreut wurden (Gutachten an das VG Braunschweig von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012, S. 25 und S. 59 – in Ermangelung der erfassten Gesamtzahlen der Dublin-Rückkehrer nach Italien). Berücksichtigt man überdies, dass die Zahl der Asylbewerber seit 2012 – trotz gewisser Schwankungen – insgesamt rückläufig ist, kann zumindest gegenwärtig nicht (mehr) von unzureichenden Aufnahme- und Unterbringungskapazitäten ausgegangen werden. Zur Überzeugung des Senats dürfte sich somit die aktuelle Situation in Italien soweit entspannt haben, dass sämtliche Asylbewerber, und insbesondere Dublin-II-Rückkehrer, in den öffentlichen Aufnahmeeinrichtungen Platz finden können (ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -
).
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Die Annahme fehlender Kapazitäten für die Unterbringung von Dublin-II-Rückkehrern nach Italien ist insbesondere auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil es in der Vergangenheit zu einem massiven Zustrom von Flüchtlingen aus Nordafrika gekommen ist und dies zu (nachhaltigen) Engpässen bei der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern geführt hat.
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Der UNHCR hat in diesem Zusammenhang in seiner Stellungnahme vom 24. April 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 3) auf Folgendes hingewiesen: Im Jahre 2011 sind nach der Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika und der darauf folgenden Erklärung des „humanitären Notstandes“ die regionalen Regierungen gebeten worden, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu bestimmen, da die bestehenden Aufnahmekapazitäten als unzureichend eingeschätzt wurden. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden (Regionen, bestimmten Provinzen [„Province Autonome“] und Gemeinden) seien Vereinbarungen getroffen worden, in denen Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Die Verantwortlichkeit für den diesbezüglichen Aufnahmeplan liege beim Leiter des Zivilschutzes („Dipartimento di Protezione Civile“). Bis Anfang 2012 seien 20.000 Personen im Rahmen des Plans in den Notunterkünften, meist in Einrichtungen kleiner bis mittlerer Größe, untergebracht worden, die in ganz Italien verteilt sind.
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Dies deckt sich mit den Auskünften des Auswärtigen Amtes. Danach hätten die vorgehaltenen temporären Aufnahmestrukturen des Zivilschutzes, die anlässlich des Flüchtlingsstromes aus Nordafrika in der Größenordnung von 50.000 Plätzen in den Regionen geschaffen worden seien, die bestehenden Engpässe kompensiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.3.).
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Soweit im Gutachten von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O., S. 15) darauf verwiesen wird, dass die durch den Zivilschutz zusätzlich geschaffenen Unterkünfte nur zeitlich befristet vorgesehen gewesen seien, zunächst wohl nur bis Ende 2011 und alsdann bis Ende 2012, und dass diese inzwischen wieder geschlossen worden seien, so rechtfertigt auch dieser Einwand nach Auffassung des Senats nicht die Annahme, dass es gegenwärtig und zukünftig wieder zu fehlenden Kapazitäten in den staatlichen Einrichtungen kommen wird.
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Zwar trifft es zu, dass das Notstandsprogramm befristet war und inzwischen wohl offiziell ausgelaufen ist. Allerdings trifft es ebenfalls zu, dass die Einrichtungen derzeit faktisch zumindest in einem beschränkten Umfang fortgeführt werden. Grund für die Schließung der Notunterkünfte war der Umstand, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge gegenüber den Vorjahren, insbesondere dem Jahr 2011 und 2012, deutlich zurück gegangen war. Allerdings waren nach Auskunft des Auswärtigen Amtes Anfang des Jahres 2013 noch ca. 17.000 Personen in den temporären Einrichtungen des Zivilschutzes untergebracht (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 4.3.). Das Auswärtige Amt hat unterdessen mit seiner neuesten Auskunft – unter Berufung auf den Leiter des Italienischen Amtes für Aufnahmezentren und Betreuung, Herrn Tommaso Ricciardi vom 04. September 2013 – zum Notstandsprojekt Nordafrika mitgeteilt, dass sich derzeit nur noch etwa 1.000 Personen („vulnerable cases“ und Asylbewerber, die ein Rechtsmittel eingelegt haben) in den Notunterkünften befinden. Offiziell hätten diese nunmehr am 01. September 2013 schließen sollen. Es werde gegenwärtig überlegt, wie die Versorgung dieser Personen weiter gewährleistet werden kann (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW – zu Frage e)).
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Angesichts der aufgezeigten Entwicklung steht auch nicht zu erwarten, dass mit der Schließung der Notunterkünfte die dort untergebrachten bzw. noch verbliebenen Asylbewerber und Flüchtlinge in die staatlichen Unterkünfte drängen und es damit zu erneuten Überbelegungen kommen wird, mithin die Problematik fehlender Kapazitäten in den staatlichen Zentren erneut auftritt. Das Auswärtige Amt weist zudem ausdrücklich darauf hin, dass das Auslaufen des Nordafrika-Programms keine konkreten Auswirkungen auf die Dublin-Rückkehrer hat, da für diesen Personenkreis (der nicht in den Notunterkünften untergebracht wird) von vornherein kein unmittelbarer Zusammenhang zum Programm bestand (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW – zu Frage e)).
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Gegenteiliges dürfte zur Überzeugung des Senats auch dann nicht anzunehmen sein, wenn es zu einem erneuten Anstieg der Zahl von Asylbewerbern in Italien kommen sollte. Das ausgelaufene Notstandsprogramm belegt, dass Italien Unterbringungsplätze in erheblichen Umfang zusätzlich zur Verfügung stellen kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Das geschaffene Notstandsprogramm lässt darauf schließen, dass die verantwortlichen Stellen – selbst wenn sie auf Druck der übrigen EU-Mitgliedstaaten tätig geworden sein sollten – bemüht sind, sich dem jeweiligen unterschiedlichen Unterkunftsbedarf in der gebotenen Weise anzupassen. Dies lässt es insbesondere nicht ausgeschlossen erscheinen, dass bei einem eventuellen erneuten Anstieg der in Italien eintreffenden Flüchtlinge und Asylbewerber entsprechende Programme zur kurzfristigen Schaffung zusätzlicher Unterkünfte neu aufgelegt werden. Dies alles rechtfertigt keine grundlegenden Zweifel daran, dass ein insoweit auch nach Beendigung des Notstandsprogramms fortdauernder Bedarf oder erneute Massenanstürme von Flüchtlingen bewältigt werden können (ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O.).
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Im Übrigen erkennt auch der UNHCR an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des staatlichen Aufnahmesystems stattgefunden haben. Insgesamt seien die Einrichtungen der CARA, CDA und SPRAR (nunmehr) in der Lage, dem Aufnahmebedarf einer „signifikanten Anzahl“ von Asylsuchenden nachzukommen (Stellungnahme vom 24. April 2012 an VG Braunschweig, S. 3). Allerdings macht der UNHCR die Einschränkung, dass die Kapazitäten der genannten Einrichtungen nicht für die Unterbringung aller unterstützungsbedürftigen Asylsuchenden ausreichend sein dürften, wenn Personen in erheblicher Anzahl neu in Italien ankommen würden (UNHCR, a. a. O., S. 3). Indes bestehen z. Z. keine Anhaltspunkte dafür, dass es in Italien derzeit oder in absehbarer Zeit erneut zu einem derartigen Anstieg der Asylbewerberzahlen kommen wird, wie er etwa in den Jahren 2010 und 2011 zu verzeichnen war.
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Eine andere Bewertung der Unterkunftssituation für Asylbewerber und Flüchtlinge erscheint dem Senat schließlich auch nicht deshalb geboten, weil nach Auffassung des UNHCR (Stellungnahme v. 24.04.2012) in der gegenwärtigen Situation davon auszugehen sei, dass derzeit die überwiegende Anzahl aller Asylverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden können, und die Aufnahme in den Aufnahmezentren regelmäßig auf sechs Monate befristet sei. Abgesehen davon, dass der UNHCR selbst einräumt, dass keine konkreten Zahlen zur Dauer der Asylverfahren vorliegen, besteht nach Auskunft des Auswärtigen Amtes die Möglichkeit, dass im Einzelfall – so auch bei Einlegung von Rechtsmitteln – die Aufenthaltsdauer in der Einrichtung verlängert wird.
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Zudem ist auch dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Mai 2011 zu entnehmen, dass für die Aufnahme von Asylbewerbern eben nicht nur CARA-, CIE- und SPRAR-Zentren zur Verfügung stehen, sondern auch andere Zentren vorhanden sind basierend auf Abkommen zwischen dem Innenministerium und Gemeinden, aber auch von der Stadt – wie etwa Rom - finanzierte und von NGO’s betriebene Zentren (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende, S. 19). Nach dem vorgenannten Bericht (a. a. O. S. 19) kommen noch kirchliche und karitative Einrichtungen hinzu. Dass es unter Berücksichtigung der Aufnahmekapazität all dieser öffentlichen und privaten Einrichtungen sowie unter Nutzung des Angebotes des Wohnungsmarktes nicht möglich ist, eine Unterkunft zu finden, ist nicht ersichtlich.
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Das Auswärtige Amt weist ebenfalls darauf hin, dass neben den staatlichen Unterbringungszentren zusätzlich kommunale und karitative Einrichtungen existieren wie z. B. Caritas, Migrantes in Rom, die Schwestern des Ordens der Mutter Teresa „Suore Missionarie della Carità“ und andere Hilfsorganisationen (Comunità di Sant’Egidio, Opere Antoniane, Stranieri in Italia, Centro Astalle - Jesuiten -), welche die Antragsteller und Asylbewerber versorgen und ihnen Unterkunftsplätze besorgen (AA, Auskunft v. 21.08.2013 an OVG LSA - zur Frage 3.). Dies entspricht zugleich der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, wonach nicht davon auszugehen ist, dass jene Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz finden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen (AA, a. a. O. Anm. 4.3.).
- 95
Veranlassung zu einer anderen Einschätzung gibt dem Senat schließlich auch nicht der Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“ vom 28. Februar 2011, wonach angeblich davon auszugehen ist, dass „in der Vergangenheit 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer der Gefahr der Obdachlosigkeit überlassen worden seien“. Der Senat geht dabei davon aus, dass diese Aussage nicht bedeutet, dass etwa 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer tatsächlich in die Obdachlosigkeit geraten sind, sondern dass es sich hierbei – da der Bericht lediglich von einer „Gefahr“ einer Obdachlosigkeit spricht – um eine bloße Annahme handelt in Bezug auf das womöglich bestehende Risiko, von einer Obdachlosigkeit betroffen zu werden. Dem Senat erscheint bei dieser Sachlage allerdings nicht nachvollziehbar, wie eine (potentielle) „Gefahr“ prozentual derart exakt prognostiziert werden kann, wie dies im Bericht mit 88 vom Hundert geschehen ist, zumal die Unterbringung in staatlichen und privaten Einrichtungen und auch die Wohnungssuche im Allgemeinen mit einer Fülle von Unwägbarkeiten verbunden ist. Überdies sind die Angaben nur bedingt brauchbar, weil eben nicht erkennbar wird, auf welchen Erkenntnissen diese beruhen und welche zurückliegenden Zeiträume in Bezug genommen werden, wenn davon gesprochen wird, dass sich Aussage auf die „Vergangenheit“ beziehe.
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bb) Ebenso lässt sich nach Auffassung des Senats nicht feststellen, dass Asylbewerber infolge unzureichender und unzumutbarer Verhältnisse in den staatlichen bzw. privaten Unterkünften, namentlich etwa aufgrund unhygienischer Zustände oder Gewalttätigkeiten und krimineller Delikte wie u. a. Diebstahl, Vergewaltigung oder erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind. Dabei wird nicht verkannt, dass es in Unterkünften mit einer Vielzahl von – teilweise auch traumatisierten – Flüchtlingen unterschiedlicher Nationalität, Religion und Gebräuchen häufiger als in anderen Bereichen der Gesellschaft zu Konflikten und gelegentlich auch gewaltsamen Übergriffen kommen dürfte. Es dürfte sich dabei allerdings um ein allgemeines Phänomen in Gemeinschaftseinrichtungen handeln, dem die staatlichen Stellen nur bedingt wirksam entgegen wirken können. Auch wenn die Aufnahme-, Unterbringungs- und Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Italien regelmäßig nicht mit dem hiesigen Standard vergleichbar sein mögen, ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die Zustände in den Unterkünften im Allgemeinen jedenfalls nicht derart unzumutbar und unhaltbar sind, dass deshalb die Feststellung einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung der Asylbewerber gerechtfertigt erschiene. Dies gilt zum einen hinsichtlich der hygienischen Verhältnisse. So wird nach Auskunft des Auswärtigen Amtes von den staatlichen Aufnahmezentren und Einrichtungen Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Überdies teilt das Auswärtige Amt zur Situation in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften mit, dass die hygienischen Verhältnisse dort nicht regelmäßig oder sogar überwiegend sich in der Weise darstellen, dass man ernstlich Gefahr läuft zu erkranken. Sie seien auch nicht dergestalt, dass sie nicht den Mindestanforderungen (Kochstellen, Toiletten, Waschräume, fließendes Wasser und Elektrik) genügen würden. Vielmehr seien sie durchweg so beschaffen, dass kleinere Schlafräume in Wohnhäusern oder Containern vorhanden seien, die auch zumeist mit Klimaanlagen und Zentralheizung versehen seien. Insbesondere seien Toilettenräume in ausreichender Zahl und getrennt nach Geschlechtern vorhanden. Gleiches gelte für Waschräume. Die Verpflegung werde vielfach in einem gemeinsamen Speisesaal bereitgestellt. Vereinzelt bestünden auch zusätzliche Möglichkeiten für die eigene Zubereitung von Mahlzeiten. Ferner seien in den Einrichtungen Sozialräume sowie getrennte Räumlichkeiten für medizinische Dienste und Sonderfälle vorhanden. Zur Aufrechterhaltung der Sauberkeit der allgemeinen Räumlichkeiten würden spezielle Reinigungsdienste beschäftigt (vgl. zu allem: AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 4.5.).
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Zum anderen lässt sich aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse auch nicht feststellen, dass sich die Verhältnisse in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften in der Weise darstellen, dass die Bewohner in ständiger Angst leben müssten, „angegriffen, ausgeraubt oder gar vergewaltigt“ zu werden. Zwar gibt es Berichte, wonach es zu gewaltsamen Übergriffen von männlichen auf weibliche Bewohner gekommen sein soll; hierbei handelt es sich aber um Einzelfälle, wenngleich statistische Erhebungen zur Kriminalität speziell in den genannten Einrichtungen nicht existieren bzw. nicht bekannt sind. Darüber hinaus werden die Aufnahmeeinrichtungen zumindest durch die Polizei oder Carabinieri überwacht und geschützt; wegen auftretender Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien wurden in manchen Einrichtungen zudem zusätzliche Polizeikräfte postiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.6.).
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Im Ergebnis vermag der Senat somit nicht festzustellen, dass es – sieht man von Engpässen und Einzelschicksalen ab – mit der Durchführung von Asylverfahren in Italien generell zu Begleiterscheinungen wie etwa Obdachlosigkeit oder aufgrund der Zustände in den Unterkünften zu einer Verwahrlosung der Asylbewerber kommt.
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c) Der Senat vermag ebenfalls nicht festzustellen, dass Schutzsuchende während des Asylverfahrens in Italien unter Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh in materieller Not leben müssen, so dass von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszugehen wäre, oder mit Blick auf die Versorgungssituation und soziale Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge gemessen an den Vorgaben des unionsrechtlichen Sekundärrechts sich das Asylsystem als nicht (mehr) richtlinienkonform darstellt.
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Asylsuchende und Flüchtlinge haben nach Auskunft des Auswärtigen Amtes während des Asylverfahrens einen (Rechts-)Anspruch auf (angemessene) Verpflegung und Versorgung (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1.). Dieser Verpflichtung wird im Allgemeinen dadurch nachgekommen, dass in den staatlichen Unterkünften und Aufnahmezentren entsprechende Leistungen erbracht werden. Namentlich wird auch Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Vorgenanntes gilt gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.).
- 101
Ebenso werden Asylbewerber und Flüchtlinge, die in nichtstaatlichen, namentlich karitativen und kirchlichen Unterkünften leben, mit Nahrung und Kleidung versorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA, Auskunft v. 21. 02.2013, Anm. 5.2.). Allerdings ist für Asylbewerber und Flüchtlinge außerhalb staatlicher sowie karitativer und kirchlicher Einrichtungen eine staatliche Verpflegung und Versorgung nicht (mehr) gewährleistet. Auch existiert in Italien nur ein sehr eingeschränktes staatliches Sozialhilfesystem; danach erhalten nur Personen über dem 65. Lebensjahr Sozialhilfeleistungen. Im vorliegenden Fall würde dies sogar bedeuten, dass die 65-jährige Klägerin auch staatliche Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen könnte. Im Übrigen haben die Betroffenen auch als Asylbewerber und schutzsuchende Flüchtlinge einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 5.1.).
- 102
In der Praxis kann somit nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Asylbewerber und Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt regelmäßig nicht durch Betteln und / oder Prostitution sichern müssen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.). Vielmehr ist insgesamt eine ausreichende Versorgung vorhanden. Einzelfälle sind allenfalls auf das in der aktuellen Wirtschaftskrise insbesondere in italienischen Großstädten zunehmend auftretende Phänomen des Bettelns und die damit einhergehenden erhofften zusätzlichen Einkunftsmöglichkeiten zurückzuführen. Was die Prostitution angeht, so ist nicht völlig auszuschließen, dass weibliche Asylbewerber oder Flüchtlinge in Einzelfällen durch Angehörige der organisierten Kriminalität rekrutiert werden und dann tatsächlich der Prostitution nachgehen. Dies ist aber nicht im kausalen Zusammenhang mit Defiziten im Asylverfahren zu sehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.; Auskunft v. 24.09.2012, S. 3 - Antwort auf Frage b 2)).
- 103
Im Übrigen folgt aus Art. 3 EMRK und Art. 4 EuGrdRCh auch nicht die Verpflichtung, Asylbewerbern und Flüchtlingen eine finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihnen einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.02.2011, a. a. O.).
- 104
Ebenso ist ein Verstoß gegen die Richtlinie 2004/83/EG nicht ersichtlich. Kapitel VII der Richtlinie gestaltet den Inhalt des internationalen Flüchtlingsschutzes zwar u. a. dahin gehend aus, dass Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte grundsätzlich Zugang zu Sozialleistungen (Art. 28), medizinischer Versorgung (Art. 29) und Wohnraum (Art. 31) erhalten. Allerdings gehen die Bestimmungen über die Gebote zur Inländergleichbehandlung (Art. 28, 29) bzw. zur Ausländergleichbehandlung (Art. 31) nicht hinaus. Art. 28 und 29 der Richtlinie gewährleisten die notwendige Sozialhilfe bzw. medizinische Versorgung nur insoweit, wie die Mitgliedstaaten ihren eigenen Staatsangehörigen eine entsprechende Behandlung bzw. Versorgung gewähren; für Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte besteht zudem die Möglichkeit, den Anspruch auf Kernleistungen zu beschränken, die dann im Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige zu gewähren sind. Demzufolge muss der in Italien bestehende allgemeine Lebensstandard für andere, vergleichbare Personen mit italienischer Staatsangehörigkeit in den Blick genommen werden, die ebenfalls keine staatlichen Sozialleistungen in Anspruch nehmen können und bei denen ebenfalls nur durch die Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten oder aber vermittels von Zuwendungen karitativer oder kirchlicher Organisationen das Existenzminimum gesichert ist.
- 105
Nach allem lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh nicht daraus herleiten, dass – worauf in der Rechtsprechung einzelner Verwaltungsgerichte abgestellt wird – ein staatliches Sozialsystem, welches Flüchtlingen und Asylsuchenden zumindest ein Existenzminimum garantiert, nicht zur Verfügung steht und dass die Betroffenen deshalb darauf angewiesen seien, sich „selbst durch das Leben zu schlagen“ (vgl. VG Magdeburg, Beschl. v. 28.03.2011 - 9 B 101/11 MD - Juris; Gerichtsbescheid v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 - [S. 5 d. UA]; VG Braunschweig, Beschl. v. 31.05.2011 - 1 B 103/11 - m. w. N. - Juris).
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Im Übrigen ist in der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a. a. O. S. 22) nicht – wie gelegentlich behauptet wird – die Rede davon, dass der genannte Personenkreis „in extremer Armut lebt und dass sie ihre Lebensbedürfnisse nicht decken können“. Vielmehr ist – wohl mit Bedacht – davon die Rede, dass sie Gefahr laufen, womöglich in eine solche Situation zu geraten; dass sich indes diese Gefahr bereits in eine Vielzahl von Fällen realisiert hätte oder gleichsam regelmäßig bzw. für jeden Asylsuchenden und Flüchtling die konkrete Gefahr bestünde, dass nicht einmal das Existenzminimum gesichert ist, wird nicht behauptet. Dies schließt nicht aus, dass es in Einzelfällen auch zu besonderen Notlagen kommen mag und dass der Lebensstandard der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien im Allgemeinen sehr gering sein dürfte. Gleichwohl vermag der Senat anhand des ihm vorliegenden umfassenden Erkenntnismaterials aber nicht festzustellen, dass die Situation für Flüchtlinge und Asylsuchende in den Zentren und außerhalb derselben derart prekär wäre, dass deshalb von einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh auszugehen ist.
- 107
d) Soweit es die medizinische Versorgung betrifft, sind alle Mitgliedstaaten aufgrund der EU-Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 verpflichtet, bestimmte Mindeststandards der medizinischen Versorgung zu gewährleisten. So haben alle Mitgliedstaaten nach Art. 15 der genannten Richtlinie dafür Sorge zu tragen, dass Asylbewerber und Flüchtlinge die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung für die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst. Dabei ist auch Asylbewerbern mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische und sonstige Hilfe zu gewähren.
- 108
In Italien ist im Rahmen des nationalen Gesundheitsdienstes grundsätzlich ein medizinischer Mindestbehandlungsstandard gewährleistet. Asylbewerber und Flüchtlinge haben in Italien während des Asylverfahrens einen Anspruch auf eine „freie“ (kostenlose) medizinische Versorgung sowie auch auf psychologische Hilfe, insbesondere auch Minderjährige und traumatisierte Personen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.3.).
- 109
Dem entspricht es, wenn im Entscheiderrundbrief des Bundesamtes 7/2011 (a. a. O., S. 8) zur medizinischen Versorgung festgestellt wird, dass bei der Überstellung von kranken bzw. traumatisierten Personen – wie bei jedem italienischen Staatsbürger – die Möglichkeit der (medizinischen) Behandlung besteht. Bereits im Jahre 2009 habe es bei der SPRAR drei Zentren gegeben, in denen auch psychisch kranke Personen hätten behandelt werden können (zwei in Rom, eines in Turin). Für 2011 seien zudem 50 weitere Behandlungsplätze für psychisch kranke Personen bzw. Personen mit besonders schweren Erkrankungen geplant worden. Inzwischen würden bei Dublin-Überstellungen psychisch kranke Personen in Italien als eine besonders „vulnerable Gruppe“ angesehen.
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Voraussetzung für den Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem ist zwar grundsätzlich ein gültiger Aufenthaltstitel bzw. ein rechtmäßiger Aufenthalt; bei im italienischen Asylverfahren befindliche Personen stellt sich dieses Problem aber nicht. Der Zugang zu öffentlichen medizinischen Leistungen ist auch nicht an die Voraussetzung eines ständigen Wohnsitzes bzw. feste Adresse gekoppelt, wie gelegentlich behauptet wird. Vielmehr erhalten Asylbewerber bei Bedarf auch ohne einen solchen ständigen Wohnsitz bzw. feste Anschrift vom nationalen Gesundheitsdienst einen Gesundheitsausweis („tessera sanitara“) und eine Steuernummer („codice fiscale“) (vgl. AA, Auskunft v. 09.10.2012 an VG Minden, S. 2 - zur Frage b) 4; ebenso: AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg - S. 2 Ziffer I b)). Sollte hingegen etwas anderes gelten, ist davon auszugehen, dass aufgrund einer aktuellen Vereinbarung zwischen der Zentralregierung und den Regionen zumindest eine Not- und Grundversorgung auch für sich illegal in Italien aufhaltende Personen garantiert ist (AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 6.2.).
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Der Senat vermag angesichts dieser Situation nicht zu erkennen, dass damit den eingangs aufgezeigten Mindeststandards bzw. Kernanforderungen nicht genügt wird. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass in bestimmten Fällen womöglich einzelnen Personen eine nur unzureichende medizinische Versorgung zuteil wurde oder diese aus dem medizinischen Versorgungssystem herausgefallen sind.
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Aber selbst dann, wenn für kranke, behinderte oder sonst gesundheitlich besonders schutzbedürftige Personen die garantierte medizinische Not- und Grundversorgung nicht als ausreichend angesehen würde, ergäben sich daraus jedenfalls für die Klägerin, die keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen angeführt hat, keine Bedenken gegen ihre Überstellung nach Italien.
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e) Soweit es das Asylverfahren als solches, namentlich die Qualität und die Dauer des Verfahrens betrifft, lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 EMRK und Art. 4 EuGrdRCH sowie gegen die einschlägigen unionsrechtlichen Richtlinien ebenfalls nicht feststellen.
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Italien gewährleistet entsprechend dem (Grund-)Recht auf Asyl (gem. Art. 10 Abs. 3 der italienischen Verfassung, verschiedenen Einwanderungs- und Asylverfahrensgesetzen, insbesondere nach dem Gesetz No. 25/2008 vom 28. Januar 2008) ein Schutzverfahren, das auch für Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung greift. Besonderheiten bestehen insoweit nicht (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.1.).
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Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass es hinsichtlich der Qualität oder der Dauer der Asylverfahren einen Grund für Beanstandungen gibt. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass von einer unverhältnismäßig restriktiven Asylpraxis auszugehen ist. Gegen eine solche Annahme sprechen die Zahlen, die vom Auswärtigen Amt zum Asylverfahren benannt werden. Danach wurden im Jahre 2010 über 14.042 Asylanträge entschieden, davon wurden 2.094 Antragsteller nach der Genfer Konvention anerkannt (15 vom Hundert), 1.789 erhielten subsidiären (13 vom Hundert), 3.675 humanitären Schutz (26 vom Hundert), hingegen wurden 4.698 abgelehnt. 520 Personen waren nicht auffindbar (4 vom Hundert) und 1.266 (9 vom Hundert) sind sonstige Fälle. Dementsprechend lag die Quote der Anerkennungen bzw. der Gewährung eines Bleiberechts bei immerhin 54 vom Hundert (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 3.2.). Demgegenüber wurden im Jahre 2011 über 25.626 Asylanträge entschieden. Davon wurden 2.057 Antragsteller nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt (8 vom Hundert), 2.569 Personen erhielten subsidiären (10 vom Hundert) und 5.662 humanitären Schutz (22 vom Hundert); 11.131 Personen wurden hingegen abgelehnt (44 vom Hundert) und 2.339 Personen waren nicht auffindbar (9 vom Hundert). Die Anerkennungsquote lag 2011 somit bei 40 vom Hundert, was ebenfalls nicht die Annahme einer unverhältnismäßig restriktiven Praxis rechtfertigt (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.2.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 5 unter Hinweis auf eine entsprechende Statistik des Innenministeriums, abrufbar unter: http://www.interno.it/miniinteno/export/sites/default/it/assets/files/21/0551_statistiche_asilo.pdf).
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Es kommt hinzu, dass sich die für die Entscheidung der Asylverfahren in erster Instanz zuständigen Territorialkommissionen per Dekret des Innenministers in der Weise zusammensetzen, dass auch jeweils ein Vertreter des UNHCR beteiligt ist (Bundesamt für Migration der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Hintergrundnotiz MILA - Italien Asylverfahren, Bericht vom 23.09.2009, S.4). Dies berechtigt zur Annahme, dass der Ordnungsmäßigkeit des Asylverfahrens eine besondere Beachtung geschenkt wird.
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Hinsichtlich der Dauer des Asylverfahrens in Italien gibt es ebenfalls nichts zu beanstanden. Über den Asylantrag soll an sich innerhalb von 30 Tagen entschieden werden; zudem wird angestrebt, dass das Gesamtverfahren einschließlich gerichtlicher Überprüfung nicht länger als sechs Monaten dauert, auch wenn es immer wieder Fälle gibt, in denen diese Dauer – manchmal bis zu einem Jahr oder auch länger – überschritten wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 3.1., 3.2.; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O. Rn. 15).
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Ferner lässt sich nicht feststellen, dass es in Italien während des Asylverfahrens in nennenswerter Weise faktische Beeinträchtigungen in verfahrensrechtlicher bzw. prozessualer Hinsicht gibt. Art. 16 des italienischen Asylverfahrensgesetzes No. 25 vom 28. Januar 2008 garantiert dem Asylbewerber, dass er nach den einschlägigen Prozessvorschriften Anspruch auf eine Rechtsberatung und einen unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verfahren hat (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.4.). Zwar bestehen Zweifel, ob dies auch in der Praxis ausnahmslos Geltung besitzt, wenn man berücksichtigt, dass für die nach Rom zurückkehrenden Dublin-II-Rückkehrern (und in Rom eintreffenden Asylbewerber) die Prozesskostenhilfe davon abhängig gemacht wird, dass zum Nachweis der wirtschaftlichen Bedürftigkeit eine Bescheinigung der jeweiligen Auslandsvertretung beigebracht werden soll. Allein wegen der Tatsache, dass der Asylbewerber im Einzelfall das Verfahren ohne anwaltlichen Beistand durchzuführen hat, soweit kein Anwaltszwang besteht, kann nicht schon von einem (landesweit bestehenden) systemischen Mangel gesprochen werden, der die Annahme einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. d. Grundrechtscharta und EMRK rechtfertigt. Im Übrigen stehen dem Asylbewerber im Asylverfahren auch Übersetzungsdienste zur Verfügung (vgl. AA, Auskunft an OVG LSA v. 21.02.2013, Anm. 2.3. und 3.3.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 3).
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Insbesondere bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass – von Ausnahmen abgesehen – die für die Durchführung des Hauptsacheverfahrens erforderliche Erreichbarkeit des Asylbewerbers in Italien nicht sichergestellt wäre. Für eine solche Annahme fehlt es an hinreichend belegten Referenzfällen. Auch gibt es für Italien keine ernst zu nehmenden Quellen, wonach sich die Wahrnehmung von Verfahrensrechten (Antragstellung, Einlegung von Rechtsbehelfen etc.) regelmäßig als derart schwierig erweist, dass diese Rechte faktisch leer laufen würden.
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Soweit in der Rechtsprechung dennoch vereinzelt – so u. a. das VG Gießen (Beschl. v. 10.03.2011 - 1 L 468/11.GI.A - Juris) und ihm folgend das VG Magdeburg (Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 -) – die Auffassung vertreten wird, „es erscheine auch die Qualität der Asylverfahren bedenklich“, wird diese Kritik nicht weiter spezifiziert und auch nicht durch entsprechende Erkenntnismittel belegt.
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f) Ebenso lässt sich anhand des dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterials nicht feststellen, dass im Hinblick auf die rechtliche und soziale Situation anerkannter Asylbewerber sowie der Flüchtlinge mit einem Bleiberecht angesichts der in Italien anzutreffenden Lebens- und Versorgungssituation sowie unter Berücksichtigung der insoweit staatlicherseits unternommenen Integrationsbemühungen das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien derartige Mängel aufweist, dass es den Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht mehr entspricht.
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Schutzberechtigte, mithin anerkannte Asylbewerber (Asylberechtigte) und Personen mit subsidiärem Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten mit ihrer Anerkennung ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht; es wird ihnen eine Aufenthaltsberechtigung („permesso di soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.2.).
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Dies bedeutet in der Praxis, dass sie sich – ebenso wie italienische Staatsangehörige – grundsätzlich selbst um eine Unterkunft kümmern und auch in eigener Verantwortung einen Arbeitsplatz suchen müssen. Dafür besteht aber ein freier Zugang zum Arbeitsmarkt (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus besitzen, haben auch das Recht zu arbeiten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, a. a. O.).
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Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.). Anerkannte Asylbewerber und Personen mit einem subsidiären Schutzstatus haben Zugang zu einer Beschäftigung in Italien, wie dies durch Art. 26 und Art. 28 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) garantiert wird.
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Ein staatliches System finanzieller Hilfeleistungen bzw. ein Sozialhilfesystem existiert hingegen nicht. Denn in Italien gibt es für italienische Staatsangehörige – und somit auch für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die ihnen gleichgestellt sind – kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bzw. (sonstige) staatliche Sozialleistungen, jedenfalls soweit sie nicht das 65. Lebensjahr erreicht haben (AA, Auskunft v. 11.07.2012 an das VG Freiburg). Art. 28 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gewährt hinsichtlich der Sozialleistungen nur einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung, nicht aber einen Anspruch auf Privilegierung des anerkannten Flüchtlings.
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Zwar entspricht es der italienischen Kultur, dass es einen engen Familienzusammenhalt gibt, der im Notfall zumindest die Chance eröffnet, eine (gewisse) Unterstützung durch Familienangehörige in Anspruch nehmen zu können. Dass es eine solche vergleichbare Unterstützung unter den ausländischen Landsleuten gibt, die sich aufgrund ihres Schutzstatus dauerhaft in Italien aufhalten, erscheint nicht ausgeschlossen, dürfte aber die Ausnahme sein. Gleichwohl lässt dieser Umstand nach Auffassung des Senats für sich allein nicht schon die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass der anerkannte Flüchtling und sonstige Schutzberechtigte in Italien deshalb der konkreten Gefahr ausgesetzt wäre, „auf der Straße“ zu leben und zu verelenden.
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Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass – ebenso wie italienische Staatsangehörige in einer vergleichbaren Situation – auch anerkannte Asylbewerber und schutzberechtigte Flüchtlinge von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, wie beispielsweise durch die CARITA und CIR, Unterstützung bekommen können (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Die Zuständigkeit für die Festsetzung von derartigen öffentlichen Sozialleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen (z. B. Toskana, Emilia Romagna) wird die Höhe derartiger Leistungen durch die Kommune festgesetzt; die Leistungen weisen insoweit je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft deutliche Unterschiede auf (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Diese Erkenntnis deckt sich im Übrigen mit dem Gutachten der Flüchtlingsorganisation borderline-europe e. V. (Gutachten an das VG Braunschweig vom Dezember 2012) und der Auskunft der italienischen Vereinigung für rechtliche Untersuchungen zur Situation von Einwanderung (ASGI-Bericht vom 20. November 2011, S. 10 f.). Danach erhalten ebenfalls anerkannte Asylbewerber und Personen, denen internationaler Schutz gewährt worden ist, Unterstützungen allgemeiner Art, wie sie auch für andere mittellose Personen in Italien vorgesehen sind.
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Überdies ist für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus ein kostenfreier Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie Arzt, Zahnarzt, Krankenhaus gewährleistet (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Ein Anspruch auf Einhaltung bestimmter Mindeststandards im Hinblick auf die Gewährung von Unterkunft sowie auf eine gewisse materielle Unterstützung besteht für sie auch nach dem Unionsrecht nicht; ein solcher Anspruch besteht nur für Asylbewerber (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 - M.S.S. v. Belgium and Greece; EuGH, Urt. v. 21.12. 2011 - C-411/10 und C-493/10 - N.S. und M.E.), denn nach den Bestimmungen der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 steht Asylbewerbern und Schutzsuchenden zwar ein subjektives Recht auch auf eine angemessene Fürsorge zu. Nach Art. 3 Abs. 1 der genannten Richtlinie haben Asylbewerber jedoch nur solange Anspruch auf die in Art. 5 ff. der Richtlinie bezeichneten humanitären Leistungen, solange sie „als Asylbewerber im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen“. „Asylbewerber“ im Sinne der Richtlinie ist dabei ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde.
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Soweit anerkannten Asylbewerbern und schutzberechtigten Flüchtlingen in der Zivilbevölkerung vereinzelt Vorbehalte entgegen gebracht werden und sich diese Vorbehalte womöglich auch im Verhalten von Amtsträgern widerspiegeln sollten, lässt sich diesem Umstand keine selbständige rechtliche Bedeutung beimessen. Die gilt selbst dann, wenn der genannte Personenkreis im Alltag womöglich Benachteiligungen erfahren sollte. Denn die genannten Umstände lassen nicht den Schluss zu, dass das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien schon allein aus diesem Grunde den Regeln des europäischen Asylsystems zuwiderläuft.
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Nach allem erübrigt sich hier die Erörterung der weitergehenden Frage, ob und inwieweit auch möglicherweise jene (unionsrechtlichen) Rechtsverletzungen für die Entscheidung über den Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO relevant sind, die Personen betreffen, bei denen das Asylverfahren bereits mit einer Anerkennung bzw. mit einem subsidiären Schutzstatus abgeschlossen ist (vgl. hierzu VG Regensburg, Beschl. v. 16.08.2012 - RN 7 S 12.30273 -).
- 131
g) Zur Überzeugung des Senats steht auch bei der gebotenen Zukunftsprognose nicht zu erwarten, dass angesichts eines unvermindert anhaltenden oder wieder zunehmenden Flüchtlingsstroms nach Italien sich die dort anzutreffenden Verhältnisse (wieder) verschlechtern werden. So verhält es sich jedenfalls dann, wenn man bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats Folgendes in Rechnung stellt:
- 132
Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist in Italien gegenwärtig nicht (mehr) von einem Anstieg des Zustroms von Asylbewerbern und Flüchtlingen auszugehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013 Anm. 9.1. und 9.2.). Diese Entwicklung wird auch durch das dem Senat vorliegende Zahlenmaterial belegt. Laut Berichterstattung in der Presse (Spiegel online v. 26.04.2011) haben von Januar bis Ende April 2011 allein 26.000 Flüchtlinge in Italien um Schutz nachgesucht. Demgegenüber wurden laut Auskunft des Auswärtigen Amtes im ersten Halbjahr 2012 nur insgesamt 5.580 Asylanträge in Italien gestellt (AA, Auskunft v. 21.01.2013 Anm. 3.2.).
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Insbesondere ist auch ein deutlicher Rückgang von Anlandungen im Süden Italiens zu verzeichnen. Im Jahr 2011 waren es noch 62.692 Personen, im Jahre 2012 hingegen nur noch 13.267 Personen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1. und 9.2.). Dies ist – wie das Auswärtige Amt in nachvollziehbarer Weise feststellt – vor allem auf die Beruhigung der Lage in den Nordafrikanischen Staaten zurückzuführen (AA, a. a. O.).
- 134
Im Übrigen ist auch in der Gesamtschau des letzten Jahrzehnts nicht von einem kontinuierlichen und erheblichen Zuwachs an Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien auszugehen, so dass etwa deshalb die Annahme einer nicht (mehr) zu bewältigenden “Überlastung“ des Asylsystems in Italien begründet wäre. In der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts waren die Zahlen bis 2006 vielmehr rückläufig, die Zahl der Asylantragsteller ging insoweit von 24.000 auf 10.000 zurück. In den Jahren 2008 und 2011 gab es dann in den Spitzen über 30.000 Asylbewerber, während es im Jahre 2012 allerdings wieder weniger als 15.000 Bewerber waren. Bei den genannten Spitzen handelte es sich somit um temporäre Erscheinungen aufgrund der politischen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem “arabischen Frühling“ (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.2.). Auch ist nach aktueller Einschätzung, namentlich vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in den Mittelmeer-Anrainerstaaten, nicht damit zu rechnen, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien in absehbarer Zeit ansteigen wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.3.).
- 135
Nach allem erweist sich die in der einschlägigen Rechtsprechung vielfach angeführte Begründung, dass wegen der zu erwartenden weiteren Flüchtlingsströme von Afrika nach Italien infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen und der damit einhergehenden instabilen Verhältnisse in Nordafrika sich die Entwicklung in Italien in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern, sondern eher noch verschlechtern wird (so u. a. VG Stuttgart, Beschl. v. 02.07.2012 - A 7 K 1877/12 -
) als nicht (mehr) tragfähig.
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Insbesondere lässt sich auch der Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen – UNHCR – vom 24. April 2012 an das Verwaltungsgericht Braunschweig kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass ernsthaft zu befürchten ist, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien grundlegende Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufweisen. Nach dem Inhalt dieser Stellungnahme wurden in Italien die regionalen Regierungen im Jahr 2011 nach Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika ausdrücklich gebeten, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden wurde zudem eine Vereinbarung getroffen, in der die Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Der UNHCR erkennt vor diesem Hintergrund an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben und die CARA-, CDA- und SPRAR-Projekte insgesamt in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl von Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR, a. a. O. S. 3).
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Dass die Verhältnisse zwischen Italien und Griechenland – wie gelegentlich behauptet wird – vergleichbar sind, vermag der Senat nicht festzustellen. Dies bedarf aber auch keiner Vertiefung, weil es hierauf nicht entscheidend ankommt. Dennoch bleibt festzustellen, dass der UNHCR – anders als in Bezug auf Griechenland – für Italien jedenfalls keine Empfehlung ausgesprochen hat, von einer Überstellung bzw. Abschiebung von Dublin-II-Flüchtlingen nach Italien abzusehen. Der Senat misst diesem Umstand kein geringes Gewicht bei. Soweit vereinzelt der Einwand erhoben wird, dies sei dem Umstand geschuldet, dass der UNHCR „politische Rücksichten zu nehmen habe“, ist dies durch Nichts belegt. Zwar hat – ausweislich des Tagungsberichts von Nora Markard zum 12. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz vom 18.-19. Juni 2012 in Berlin (ZAR 10/2012 S. 380 ff. S. 381 zur Situation in Italien) – der UNHCR Senior Regional Protection Associate Jürgen Humberg im Hinblick auf die deutsche Debatte über die Zulässigkeit von Abschiebungen nach Italien angeblich betont, dass der Umstand, dass der UNHCR bisher kein Positionspapier zu Italien veröffentlicht habe, nicht bedeute, dass in Italien „alles in Ordnung sei“; eine solche Schlussfolgerung, den einige Verwaltungsgerichte zögen, sei unzulässig. Auch diese Äußerung veranlasst den Senat nicht zu einer anderen Einschätzung im Hinblick darauf, dass sich der UNHCR – anders als in anderen Fällen – einer entsprechenden offiziellen Stellungnahme bzw. Empfehlung, von einer Rückführung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen, enthalten hat. Dies bedeutet keineswegs, dass der Senat der Auffassung wäre, in Italien „sei alles in Ordnung“; hieraus aber folgt eben noch nicht, dass in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in Italien systemische Mängel feststellbar sind, die eine Verletzung der Europäischen Grundrechtscharta oder der Menschenrechtskonvention darstellen.
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Festzustellen bleibt überdies, dass der UNHCR auch in seinem jüngsten Bericht (UNHCR - Recommendations on important aspects of Refugee protection in Italy) vom Juli 2013 trotz zahlreicher kritischer Anmerkungen bei seiner Einschätzung zur aktuellen Lage der Flüchtlinge und Asylbewerber in Italien zu keinem anderen Ergebnis gekommen ist.
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Schließlich hat auch der EGMR in einer neueren Entscheidung vom 02. April 2013 (Ap-plication No. 27725/10 - Mohammed Hussein vs. the Netherlands and Italy) eine gegen die Dublin-Überstellung von den Niederlanden nach Italien gerichtete Beschwerde als offensichtlich unbegründet abgewiesen. In der Entscheidung hat sich der EGMR mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, einer nach eigenen Angaben aus Somalia stammenden Frau mit zwei kleinen Kindern, zum Asylverfahren und auch zur Unterbringungssituation in Italien auseinander gesetzt und festgestellt, dass die Situation in Italien keineswegs mit der in Griechenland vergleichbar sei (Entscheidung v. 02.04. 2013, a. a. O. Rdn. 72). Auch aus dem Umstand, dass der EGMR in einer früheren Entscheidung (Application No. 64208/11) die Abschiebung eines Asylbewerbers von Deutschland nach Italien gestoppt hat, lässt sich nicht herleiten, dass Italien generell die Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht erfüllt. Die Gründe für den mit der genannten Entscheidung verhängten Abschiebungsstopp sind letztlich nicht bekannt. Dem „Statement of Facts“ ist indes zu entnehmen, dass sich der dortige Antragsteller zwar auch auf die Lebensumstände von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Italien berufen hat, jedoch insbesondere im Raum stand, dass er durch die Abschiebung aufgrund unterschiedlicher Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Münster und Magdeburg von seiner Frau und seinen Kindern getrennt werden würde, deren Abschiebung gestoppt wurde. Weitere Fälle des EGMR (Application No. 30815/09, Application No. 37159/09, Application No. 56424/10) betrafen unbegleitete Minderjährige und die spezielle Situation einer Mutter mit einem minderjährigen Kind (Application No. 2303/10).
- 140
Im Übrigen haben sowohl der Österreichische Asylgerichtshof (Spruch v. 03.05. 2010 - S16 412.104-1/2010-4E -, veröffentlicht unter http://www.ris.bka.gv.at, dort insbes. Ziffer 2.2.2.2.1. "Kritik am italienischen Asylwesen" m. w. N.) als auch das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht (vgl. u. a. Urt. v. 15.07.2010 - D 4987/ 2010 - und Urt. v. 18.03.2010 - D-1496/2010 -, im Internet abrufbar unter: http://www.bundes verwaltungsgericht.ch/index/entscheide/Jurisdiction-datenbank/Jurisdiction-recht-urteile aza.htm) die Rückführung von Asylsuchenden nach Italien in Ansehung der dortigen Asylverfahrenspraxis grundsätzlich als zulässig angesehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der angeführten Entscheidungen Bezug genommen.
- 141
Auch der Umstand, dass zahlreiche Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien zu einer gegenteiligen Einschätzung hinsichtlich der Verhältnisse und des Asylsystems in Italien gelangt sind, veranlasst den Senat nicht zur Annahme, dass die Behandlung der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien nicht in Einklang steht mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nach Auffassung des Senats wird in der insoweit einschlägigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte häufig nicht hinreichend dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich bei den zugrunde gelegten Erkenntnismitteln nicht selten um bloße subjektive Einschätzungen handelt, die nicht in der erforderlichen Weise durch Fakten belegt sind. Auch erscheint mitunter fraglich, ob die insoweit festgestellten Mängel und Defizite verallgemeinerungsfähig sind. Nicht zuletzt haben sich die Verhältnisse in Italien – wie dargelegt – zwischenzeitlich teilweise geändert, so etwa in Bezug auf den Flüchtlingsstrom aus Nordafrika und die Anzahl der für die Asylbewerber und Flüchtlinge zur Verfügung stehenden Unterkünfte. Im Übrigen ist Gegenstand der Prüfung nach § 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) nicht die Frage, ob die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren für Flüchtling und Asylbewerber kritikwürdig sind, weil das System zahlreiche Mängel aufweist oder hinter dem Schutzniveau anderer Mitgliedstaat zurückbleibt.
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Der Senat sieht auch keine Veranlassung, weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien einzuholen. Nach anerkannter Rechtsauffassung ist die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nur dann geboten, wenn sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung aufdrängen musste, weil bereits vorliegende Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen nicht den ihnen obliegenden Zweck erfüllen (konnten), dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts notwendige Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. In diesem Sinne kann z. B. ein Sachverständigengutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet oder jedenfalls unzureichend sein, wenn es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn es von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht (BVerwG, Beschl. v. 14.04.2011 - 2 B 80/10 - m. w. N., Juris). Dies ist hier aber nicht der Fall. Zwar sind die dem Senat vorliegenden zahlreichen Gutachten, Auskünfte und Stellungnahmen nicht in allen Punkte stets konsistent und völlig frei von gewissen Widersprüchen; soweit es indes die im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Tatsachen und Erkenntnisse betrifft, sind diese aufgrund der herangezogenen Erkenntnismittel zur Überzeugung des Senats hinreichend geklärt und eindeutig und mithin für die Überzeugungsbildung ausreichend.
- 143
Der Senat sieht insbesondere auch keine Veranlassung, an der Tauglichkeit des vorhandenen Erkenntnismaterials für die hier entscheidungsrelevanten Fragen zu zweifeln. Dies gilt speziell auch hinsichtlich des Beweiswertes der Auskünfte des Auswärtigen Amtes, da sie grundsätzlich eine sich auf unterschiedliche Erkenntnisquellen stützende Gesamtbewertung vornehmen und zudem im Allgemeinen den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten kommen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.08.2006 - 1 B 24.06 - Juris; Beschl. v. 06.10.1997 - 9 B 803.97 - Juris; Beschl. v. 08.09.1997 - 9 B 401.97 -; Beschl. v. 15.10. 1985 - 9 C 3.85 - Juris sowie Beschl. v. 31.07.1998 - 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28 = Juris). Nicht anders verhält es sich hier. So beruhen die den Auskünften des Auswärtigen Amtes zugrunde liegenden Erkenntnisse auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR, UNHCR und IOM in Rom, den Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Amtes ISTAT sowie schließlich auf Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen wie Carita Migrantes, Comunità di Sant’ Egidio u. a..
- 144
Nach allem vermag der Senat nicht zur Überzeugung zu gelangen, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 21.12.2011, a. a. O.) die Annahme rechtfertigen, dass die Klägerin aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Abschiebung bzw. Überstellung dorthin Gefahr laufen wird, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 3 EMRK und § 4 EuGrdRCH ausgesetzt zu werden und dass sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig erweist.
III.
- 145
Soweit das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid zugleich die Abschiebung der Klägerin nach Italien gem. § 34 Abs. 1 AsylVfG angeordnet hat, bestehen gegen die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung keine Bedenken.
- 146
§ 34a AsylVfG überantwortet die Entscheidung über die Abschiebung dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, so dass dieses die Abschiebungsanordnung verfügt. Das Bundesamt ordnet dabei nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Abschiebungsverbote sind nicht ersichtlich.
- 147
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
- 148
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§§ 132 Abs. 2, 137 VwGO).
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (A 12 K 331/13) geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tatbestand
- 1
Die Klägerin ist am (…) 1947 in H. in Syrien geboren. Sie ist verheiratet, yezidischen Glaubens, kurdische Volkszugehörige und sie besitzt die syrische Staatsangehörigkeit. Nach eigenen Angaben reiste sie – zusammen mit ihrer Tochter (...) sowie drei weiteren Kindern – von Syrien kommend am 01. August 2011 zunächst nach Italien, wo sie erkennungsdienstlich behandelt wurde und am 21. August 2011 in B-Stadt einen Asylantrag stellte, und alsdann am 07. September 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 12. September 2011 stellte sie bei der Außenstelle des Bundesamtes in H-Stadt einen (weiteren) Asylantrag.
- 2
Die Beklagte richtete unter dem 07. Februar 2012 an Italien ein Übernahmeersuchen gem. Art. 10 Dublin-II-VO (Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 10.02.2003). Mit Schreiben vom 16. Februar 2012 erklärten die italienischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags der Klägerin.
- 3
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag der Klägerin mit Bescheid vom 13. Juni 2012 als unzulässig ab und ordnete ihre Abschiebung nach Italien an. Nach der Dublin-Verordnung sei Italien für die Bearbeitung ihres Asylantrags zuständig; außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach § 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich.
- 4
Die Klägerin hat am 29. Juni 2012 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, sie könne wegen der allgemeinen Situation von Asylbewerbern in Italien nicht darauf verwiesen werden, in Italien ein Asylverfahren durchzuführen, weil davon auszugehen sei, dass das Asylverfahren dort nicht ordnungsgemäß durchgeführt würde. Sie besitze einen Anspruch auf Asyl und Flüchtlingsschutz sowie Abschiebungsschutz; hierüber sei durch das Bundesamt zu entscheiden.
- 5
Die Klägerin hat beantragt,
- 6
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen und dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gegeben sind.
- 7
Die Beklagte hat beantragt,
- 8
die Klage abzuweisen.
- 9
Sie hat die Ansicht vertreten, Italien erfülle bei der Durchführung von Asylverfahren die Mindeststandards der Europäischen Union. In den italienischen Aufnahmeeinrichtungen seien zahlreiche humanitäre Organisationen tätig, die dies gewährleisten würden. Insbesondere hätten Asylbewerber in Italien vollen Zugang zum Gesundheitssystem. Anders als im Fall Griechenlands gebe es keine Empfehlung des UNHCR, Flüchtlinge nicht an Italien zu überstellen. Dementsprechend habe das Bundesverfassungsgericht auch Verfassungsbeschwerden gegen erstinstanzliche Entscheidungen, denen zufolge eine Abschiebung nach Italien möglich sei, nicht zur Entscheidung angenommen. Ferner sei eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen ergangen, wonach die asylrechtlichen Mindeststandards in Italien gewährleistet seien und woraus sich ergebe, dass der Bericht von Bethke und Bender zu den Problemen der Flüchtlinge in Italien kritisch zu betrachten sei.
- 10
Auf den Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 07. März 2012 – 9 B 57/12 MD – die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung der Klägerin nach Italien vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu unterlassen.
- 11
Mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 verpflichtet, über den Asylantrag der Klägerin in eigener Zuständigkeit zu entscheiden und ein Asylverfahren durchzuführen. Die Klägerin habe nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchführe; das insoweit bestehende Ermessen der Beklagten sei auf Null reduziert. Der Klägerin könne die Durchführung eines Asylverfahrens in Italien nicht zugemutet werden.
- 12
Der Senat hat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Zulassungsantrag, wonach sie an ihrer bisherigen Auffassung festhält, die Klägerin könne in Anbetracht der in Italien gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse auf die Durchführung eines Asylverfahrens dort verwiesen werden.
- 13
Die Beklagte beantragt,
- 14
die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 9. Kammer - vom 10. Juli 2012 abzuweisen.
- 15
Die Klägerin beantragt,
- 16
die Berufung zurückzuweisen.
- 17
Sie macht geltend, die Beklagte beziehe sich zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen auf bloße Vorschriften und eine nicht mehr aktuelle Rechtsprechung, während neue Berichte nicht zur Kenntnis genommen würden. Der Auffassung der Beklagten sei im Hinblick auf die humanitäre Situation in Italien entgegen zu halten, dass sich die Situation der Flüchtlinge in Italien aufgrund des anhaltenden Flüchtlingsstroms aus Tunesien und anderen nordafrikanischen Staaten dramatisch verschlechtert habe. Italien sei bereits zuvor mit der Aufnahme von Flüchtlingen und deren ordnungsgemäßer Unterbringung überfordert gewesen. Aufgrund des momentanen Flüchtlingsstroms nach Italien habe sich die Situation noch verschlechtert; es sei damit zu rechnen, dass der Klägerin bereits aus diesem Grunde ein ordnungsgemäßes Asylverfahren verwehrt werde und dass sie obdachlos würde. Im Übrigen dürfe nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs (Urteil v. 21.12.2011 - C-411/11, C-493/10 -) ein Asylbewerber bereits dann nicht an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-II-VO überstellt werden, wenn ernsthafte Hinweise auf systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat vorlägen, die eine Gefährdung des Asylbewerbers nahe legen würden. Solche ernsthaften Hinweise lägen hier vor. Die vorliegenden Berichte und sonstigen Erkenntnismittel gingen davon aus, dass das staatliche Aufnahmesystem in Italien völlig überlastet sei. Es existierten 3.000 Plätze, die eine Aufnahme von Asylbewerbern für jeweils nur sechs Monate vorsehen würden. Im Jahre 2011 hätten indessen laut Presseberichterstattung (Spiegel online v. 26.04.2011) in Italien bis Anfang Mai bereits 26.000 Flüchtlinge um Schutz nachgesucht.
- 18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten und auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten (Beiakte A) sowie auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 19
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Klägerin mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 zu Unrecht stattgegeben.
- 20
I. Die Klage ist teilweise unzulässig.
- 21
1. Die als Verpflichtungsklage erhobene Klage ist “lediglich“ als Anfechtungsklage zulässig. Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juni 2012 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag der Klägerin gem. § 27a AsylVfG (wegen fehlender Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland) unzulässig ist, ist allein die Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01. 2010 - 11 K 8136/09 -; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009,409; Urt. v. 29.09.2009 - 7 K 269/09.F.A -; Urt. v. 23.06. 2010 - 7 K 2789/09.F.A. -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11. 2011 - AN 11 S 11.30508 -; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -; Beschl. v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A. -; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, alle: Juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27a Rdnr. 18; a. A. statthaft nur die Verpflichtungsklage: OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A - Juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/ 09.WI.A -).
- 22
Im Fall der Aufhebung einer – wie hier – auf § 27a AsylVfG gestützten Entscheidung wegen Unzulässigkeit des Asylantrages ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens („in eigener Zuständigkeit“) vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch ohne ein hierauf gerichtetes Verpflichtungsbegehren eröffnet. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides bereits von Gesetzes wegen zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet (vgl. § 31 Abs. 2 AsylVfG zur Entscheidung des Bundesamtes über beachtliche Asylanträge). Da grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, bedarf es demzufolge einer Verpflichtungsklage nicht (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01.2010, a. a. O.; vgl. auch VG Frankfurt/Main, Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.).
- 23
Überdies muss bezweifelt werden, ob es sich bei der Entscheidung nach Art. 3 Abs. 2 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist – Dublin-II-VO – [z. T. auch „EG-AsylZustVO“ genannt] – (ABl. L 50 vom 25.02.2003, S. 1 -10) um einen (selbständigen) Verwaltungsakt handelt, so dass eine Verpflichtungsklage bzw. – unter Berücksichtigung des im Rahmen der genannten Vorschrift eingeräumten Ermessens – eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung in Betracht kommt, oder ob es sich bei der gem. § Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zu treffende Entscheidung nicht um eine bloß inzidente handelt, da es allein um die Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten geht.
- 24
Ebenso scheidet eine Verpflichtungsklage aus, die unmittelbar auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. § 16a GG bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG oder aber - hilfsweise - auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichtet ist. Denn eine Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht nur dann, wenn ein „mit seinem Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebener Ausländer“ den Klageweg beschreitet (BVerwG, Urt. v. 06.07.1998 - 9 C 45.97 - BVerwGE 107, 128 ff.). Hat hingegen das Bundesamt (noch) keine Sachentscheidung getroffen, so würde dem Betroffenen in dem Falle des “Durchentscheidens“ des Gerichts durch Verpflichtungs-urteil eine Tatsacheninstanz genommen, nämlich dass eine inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgt (ebenso: VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.; VG Schleswig, Urt. v. 03.08. 2011 - 1 A 46/11 - und Beschl. v. 12.09.2011 - 12 A 124/10 -; a. A. VG Braunschweig, Urt. v. 21.02.2013 - 2 A 126/11 - u. a. mit Verweis auf VGH Mannheim, Urt. v. 19.06.2012 - A 2 1355/11 -, Juris).
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Im Übrigen verhält es sich bei der Entscheidung nach § 27a AsylVfG ähnlich wie in Fällen der Entscheidung des Gerichts über eine Einstellung des Asylverfahrens nach§ 32 AsylVfG wegen vermeintlicher Antragsrücknahme bzw. Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG sowie in den Fällen der gerichtlichen Entscheidung bei fiktiver Antragsrücknahme nach§ 33 AsylVfG. In den genannten Fällen ist nach der hierzu ergangenen einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94 -, NVwZ 1996, S. 80 = Juris; vgl. auch Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m. w. N.) die Verpflichtungsklage unzulässig, weil die verweigerte sachliche Prüfung des Asylantrages nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen ist.
- 26
Auch ist im Hinblick auf die mit dem angefochtenen Bescheid angeordnete Abschiebung der Klägerin nach § 34a Abs. 1 AsylVfG die Verpflichtungsklage nicht veranlasst und stattdessen eine Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO ausreichend (vgl. VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O. und Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 34a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a. a. O., § 34a Rdnr. 64). Soweit es nämlich darum geht, dass die Beklagte von einem Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02. September 2003 (Abl. L 222 S. 3) Gebrauch macht, bedarf es im Urteil über eine entsprechende inzidente Feststellung hinaus keiner ausdrücklichen Verpflichtung der Beklagten, von einer Abschiebung abzusehen.
- 27
Es ist vorliegend davon auszugehen, dass die Anfechtungsklage vom Verpflichtungsbegehren der Klägerin (mit-)umfasst ist. Gegenstand der Anfechtungsklage ist nach allem ausschließlich die Frage nach der Zuständigkeit der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens, wobei die Frage nach dem rechtlich gebotenen Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland inzident zu beantworten ist.
- 28
2) Der Klägerin steht für ihre Klage auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse zur Seite, da sie weiterhin nach Italien zurückgeführt bzw. rücküberstellt werden könnte, nachdem die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 d. Sachakte) ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung ihres Asylantrags erklärt haben, indem sie dem Übernahmeersuchen stattgegeben und damit ihrer Rücküberstellung zugestimmt haben.
- 29
II. Die Klage ist im Übrigen unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Asylantrag der Klägerin zu Recht als unzulässig abgelehnt und zugleich ihre Abschiebung nach Italien angeordnet. Es musste im vorliegenden Fall insbesondere auch nicht von der Möglichkeit des Selbsteintritts der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch machen.
- 30
1) Rechtsgrundlage des Bescheides vom 13. Juni 2012, mit dem das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin als unzulässig abgelehnt hat, ist § 27a AsylVfG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier der Fall. Zu Recht ist die Beklagte im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass die Republik Italien für die Durchführung eines Asylverfahrens der Klägerin zuständig ist.
- 31
a) Die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO, sofern nicht die nach Art. 5 Abs. 1 der genannten Verordnung vorrangig zu prüfenden Zuständigkeitskriterien nach Art. 6 bis 9 der Verordnung einschlägig sind.
- 32
Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, sofern auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 der Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III derVerordnung (EG) Nr. 2725/2000, festgestellt wird, dass der Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze des Mitgliedstaats illegal überschritten hat (vgl. auch Art. 18 Abs. 4 und 5 Dublin-II-VO).
- 33
Dies bedeutet, dass – soweit nicht die Vorschriften nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO einschlägig sind – im vorliegenden Fall Italien für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zuständig ist, da sie ihren eigenen Angaben zufolge aus Syrien kommend die Grenze nach Italien illegal überschritten hat (und dort – in B-Stadt – am 21. August 2011 zugleich einen Asylantrag gestellt hat [Bl. 108 ff. d. Sachakte]).
- 34
Die insoweit gegebene Zuständigkeit endet zwar gem. Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Die Klägerin hat jedoch am 12. September 2011 und damit noch vor Ablauf der Jahresfrist ihren Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt, so dass die Zuständigkeit Italiens nicht nach Satz 2 entfallen ist. Die Einreise der Klägerin nach Italien erfolgte am 07. September 2011; die Jahresfrist lief somit am 07. September 2012 ab. Dass die Frist nunmehr abgelaufen ist, ist unschädlich, weil für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Art. 5 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Situation in dem Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
- 35
b) Im Falle der Klägerin sind auch die Voraussetzungen nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich Art. 7 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist, wo ungeachtet dessen, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat, der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, sowie hinsichtlich Art. 8 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – dem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrages obliegt, in dem der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, über dessen Asylantrag noch keine erste Sachentscheidung getroffen wurde. Die genannten Vorschriften sind im Falle der Klägerin jedoch nicht einschlägig.
- 36
Es ist schon nicht ersichtlich, dass die nach Art. 7 und 8 der Verordnung genannten Voraussetzungen bei der Tochter der Klägerin, mit der sie zusammen in das Bundesgebiet eingereist ist, oder bei ihren in Deutschland lebenden volljährigen Kindern vorliegen. Dies kann aber auch dahin stehen. Denn jedenfalls gelten die genannten Personen nicht als „Familienangehörige“ i. S. d. Dublin-II-VO. Hierzu gehört nach Art. 1 Buchst. i) der Verordnung nur die Mitglieder der “Kernfamilie“, d. h. die Ehegatten des Asylbewerbers und unter bestimmten Voraussetzungen der nicht verheiratete Partner des Asylbewerbers, die minderjährigen Kinder der genannten Personen sowie bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern oder Flüchtlingen der Vater, die Mutter oder der Vormund. Ein solches Verwandtschaftsverhältnis der Klägerin zu den mit einreisenden bzw. in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kindern besteht jedoch nicht.
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c) Ebenso sind bei der Klägerin die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Nach Art.15 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien der Verordnung nicht zuständig ist. Dass die Klägerin vorliegend aus humanitären Gründen mit ihren Familienangehörigen zusammenzuführen ist und nicht auch auf ein eigenständiges Leben in Italien verwiesen werden kann, zumal ihre Kinder teilweise in Deutschland, teilweise in Österreich leben bzw. teilweise ihr Aufenthalt unbekannt ist, lässt sich nicht feststellen. Die Klägerin befindet sich in Begleitung ihrer volljährigen Tochter; beide sind reisefähig und nach Italien zu überstellen.
- 38
Ebenso sind die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt, wonach im Regelfall von einer Trennung der Familienangehörigen abzusehen bzw. eine Zusammenführung vorzunehmen ist, wenn die betroffene Person u. a. wegen einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung durch die anderen Person(en) angewiesen ist. Diese Voraussetzungen liegen bei der 67-jährigen Klägerin nicht vor; entsprechendes ist jedenfalls nicht vorgetragen worden.
- 39
Eine andere Einschätzung ist auch nicht im Hinblick auf die einleitende Erwägung zu Nr. 6 Dublin-II-VO veranlasst, wonach die Einheit der Familie (grundsätzlich) gewahrt bleiben soll, soweit dies mit den sonstigen Zielen vereinbar ist, die mit den Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrages zuständigen Mitgliedstaats angestrebt werden. Nicht anders verhält es sich mit Blick auf die einleitende Erwägung nach Art. 7 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach die Mitgliedstaaten von den Zuständigkeitskriterien abweichen können, um eine räumliche Annäherung von den Familienmitgliedern vorzunehmen, soweit dies aus humanitären Gründen erforderlich ist. Bei den genannten Regelungen handelt es sich indes um bloße programmatische Vorgaben, aus denen sich, unabhängig davon, dass die Voraussetzungen hier nicht vorliegen dürften, für die Asylbewerber keine unmittelbaren Rechte ableiten lassen.
- 40
d) Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Zwar hat das Bundesamt nicht innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags der Klägerin vom 12. September 2011 ein Wiederaufnahme- bzw. Übernahmeersuchen an die Republik Italien gestellt; das war indes auch nicht erforderlich. Da die Klägerin bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hat, steht in ihrem Fall eine Wiederaufnahme durch Italien im Sinne des Art. 16 Abs.1 c) bis e) Dublin-II-VO in Rede, nicht hingegen eine Aufnahme seitens Italiens im Sinne des Art. 16 Abs.1 a) Dublin-II-VO. Die Dublin-II-VO unterscheidet insoweit gem. Art.16 Abs.1 lit. a) einerseits und Art. 16 Abs. 1 lit. c) bis e) andererseits zwischen der Überstellung des Asylsuchenden in einem Aufnahmeverfahren gemäß den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO und einer Überstellung im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 20 Dublin-II-VO. Das Aufnahmeverfahren findet statt, wenn der Asylsuchende im ersuchten Mitgliedstaat noch keinen Asylantrag gestellt hat, während das Wiederaufnahmeverfahren einschlägig ist, wenn dort bereits ein Asylantrag gestellt wurde. Insofern wird der Anwendungsbereich der nachfolgenden Art. 17 bis 20 Dublin-II-VO durch Art. 16 Dublin-II-VO bestimmt.
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Aus der systematischen Trennung zwischen Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren folgt, dass im Wiederaufnahmeverfahren keine Frist für das Übernahmeersuchen gilt, denn die insofern allein maßgebliche Regelung des Art. 20 Dublin-II-VO normiert weder selbst eine solche Frist, noch nimmt sie auf die für das Aufnahmeverfahren geltende Regelung in Art. 17 Abs.1 Dublin-II-VO Bezug. Es verhält sich gerade nicht in der Weise, dass Art. 20 Dublin-II-VO nur spezielle Modalitäten für die Wiederaufnahme regelt und im Übrigen die Regelungen der Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO anwendbar wären. Vielmehr handelt es sich bei den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO einerseits und dem Art. 20 Dublin-II-VO andererseits um jeweils eigenständige Regelungskomplexe (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 06.02.2013 - 17 L 150/13.A -; Beschl. v. 26.04.2013 - 17 K 1777/12.A -; VG Hamburg, Beschl. v. 22.09.2005 - 13 AE 555/05 -; VG Augsburg, Gerichtsbescheid v. 09.05.2011 - Au 3 K 10.30468 - Juris; VG Regensburg, Beschl. v. 05.07.2013 - RN 5 S 13.30273 -; VG Göttingen, Beschl. v. 11.10.2013 - 2 B 805/13 -; a.A.: VG Düsseldorf, Beschl. v. 07.08. 2012 - 22 L 1158/12.A -, alle: Juris).
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Art. 17 Abs.1 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, zuständig wird, wenn das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten unterbreitet wird, findet im Fall der Klägerin folglich keine Anwendung, so dass sich hieraus auch keine Zuständigkeit der Beklagten ergibt. Dementsprechend haben die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 R, 116 d. Sachakte) auch ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme bzw. Übernahme der Klägerin erteilt.
- 43
e) Ferner ist die Zuständigkeit nicht nach Art. 19 Abs. 3 und 4 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO erfolgt die Überstellung des Schutzsuchenden von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin-II-VO i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Dabei ist unerheblich, dass die Entscheidung der Beklagten nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 der Verordnung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat; allein entscheidend ist, dass ihr eine solche durch eine entsprechende gerichtliche Entscheidung zuerkannt worden ist (vgl. Hess.VGH, Beschl. v. 23.08.2011 - 2 A 1863/10.Z.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.06.2012 - A 2 S 1355/11 -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; offengelassen: OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -, alle: Juris).
- 44
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 02. August 2012 - 4 MC 133/12 - (< Rn. 17 zitiert nach Juris >) zu § 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO und zu dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin-II-VO grundsätzlich vorgesehenen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ausgeführt:
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„Der Annahme der aufschiebenden Wirkung des hier eingelegten Rechtsbehelfs steht auch nicht die Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 Satz 4 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 entgegen. Danach hat ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nach Absatz 1 keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem inner-staatlichen Recht zulässig ist. Zwar darf nach § 34a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) nicht nach§ 80oder § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung ausgesetzt werden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass durch diese Vorschrift eine andere Entscheidung im Sinne von Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Hs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts ausgeschlossen ist und daher ein Rechtsbehelf wegen § 34a Abs. 2 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 haben kann. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr ausdrücklich entschieden, dass der Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 34a Abs. 2 AsylVfG in den Fällen, in denen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) erfolgen soll, in Ausnahmefällen, die nicht vom „normativen Vergewisserungskonzept“ des Gesetzgebers über die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in einem sog. sicheren Drittstaat erfasst sind, der Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz gegen eine sofortige Überstellung nicht entgegensteht (BVerfG, Urt. v. 14.5. 1996, a. a. O.). Diese Rechtsprechung wird - soweit ersichtlich - von den Verwaltungsgerichten auf die Abschiebung in einen anderen Staat, der nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, mit der Begründung übertragen, dass die vom Bundesverfassungsgericht angestellten Erwägungen zu § 26a AsylVfG auch auf die Vorschrift des§ 27a AsylVfG zutreffen, weil die nach europäischen Recht für die Asylentscheidung zuständigen Mitgliedstaaten zugleich sichere Drittstaaten im Sinne von § 26a AsylVfG sind (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 1.3.2012 - 1 B 234/12.A - und v. 11.10. 2011 - 14 B 1011/11.A -; ferner Nds. OVG, Beschl. v. 2.5.2012 - 13 MC 22/22 - und Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-). Unter diesen Umständen kann daher keine Rede davon sein, dass es nach der innerstaatlichen Rechtslage in Deutschland unzulässig sei, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellung auf der Grundlage der Zuständigkeitsbestimmungen in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 anzuordnen. Unabhängig davon stellt die für den Fristenbeginn der Überstellung maßgebliche Vorschrift des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 nach ihrem Wortlaut auch ausdrücklich darauf ab, dass einem eingelegten Rechtsbehelf tatsächlich aufschiebende Wirkung zukommt und nicht darauf, ob es nach dem innerstaatlichen Recht zulässig ist, die aufschiebende Wirkung anzuordnen (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-).
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Läuft danach die Frist zur Überstellung aufgrund des von dem Antragsteller eingelegten Rechtsbehelfs erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens bezüglich der Durchführung der Überstellung entschieden wird und die der Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann, kann dahinstehen, ob insoweit das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn bereits ausreichend ist oder es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf (so Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.“
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Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an und macht sie sich zu Eigen.
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Da die Klägerin – nach Erlass des angefochtenen Bescheides vom 13. Juni 2012 – gegen ihre Überstellung innerhalb der Frist, bis zu der gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin-II-VO ihre Überstellung nach Italien vorbehaltlich eventuell zu treffender weiterer Maßnahmen erfolgen konnte, einen Rechtsbehelf gegen ihre Überstellung eingelegt hat, dem mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom Beschluss vom 07. März 2012 - 9 B 56/12 MD - aufschiebende Wirkung beigemessen worden ist, beginnt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO eine (neue) sechsmonatige Frist zur Überstellung der Klägerin (erst) ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Klage. Diese Frist ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch nicht abgelaufen, denn der Senat hat dem Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 entsprochen. Nach allem kann hier dahingestellt bleiben, ob im Grundsatz das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn hinsichtlich der Überstellung bereits ausreichend ist oder ob es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf, da die Klägerin jedenfalls erstinstanzlich obsiegt hat.
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2) Die Beklagte ist für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin auch nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zuständig, denn die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, das Selbsteintrittsrecht auszuüben.
- 50
Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-II-VO zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (a. a. O. Satz 3). Ob der Mitgliedstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht dabei grundsätzlich in seinem Ermessen, welches – weil integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen Europäischen Asylsystems (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/ 10 und C-493/10 -,
) – in Übereinstimmung mit den insoweit geltenden unionsrechtlichen Bestimmungen und von den Mitgliedstaaten verfolgten Zielen auszuüben ist.
- 51
Art. 3 Dublin-II-VO ist auch geeignet, subjektive Rechte der Klägerin zu begründen, die von ihr gegen eine vorgesehene Überstellung (Rückführung) in den nach dieser Verordnung für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat geltend gemacht werden können (vgl. dazu den Vorlagebeschluss des Hess.VGH v. 22.12.2010 - 6 A 2717/09.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02. 08.2012 - 4 MC 133/12 - m. w. N., Juris; ferner Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 37 ff. m. w. N.). Denn auch wenn es sich bei Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO um eine Ermessensvorschrift handelt, kann sich der Betroffene – hier die Klägerin – auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gem. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung berufen. Diese Bestimmung ist – anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 25) – nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ihm ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Begünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung der Rechtsnorm besitzen (vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62 -, Slg. 1963, 1 [24] = NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04. 12.1974 - Rs. C-41/74 -, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81 -, Slg. 1982, 53 [71] = NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Dublin-II-VO dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 124 m. w. N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der Europäische Gerichtshof in dem zur Dublin-II-VO ergangenen Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 – (Rdnr. 38, 48 zur Frage des Rechtsschutzes, NVwZ 2009, S. 639 = Juris) aus.
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Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO lediglich das Recht auf eine fehlerfreie Ermessensausübung – welches gegebenenfalls aber auf Null reduziert sein kann (vgl. VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08. 30122 -; Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 134 f. und 223 m. w. N.; Marx, a. a. O. § 27a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser / Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/ Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u. a. und des Belgischen Conseil d'Etat / Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).
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Aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck in der Norm selbst nicht seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 220; Filzwieser / Liebminger, a. a. O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 EG-Vertrag in der Fassung des Amsterdamer Vertrages vom 02. Oktober 1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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Nach Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) EG-Vertrag beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie mit einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Dublin-II-VO erlassen. Im Erwägungsgrund Nr. 5 wird hierzu ausgeführt, dass bezüglich der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf längere Sicht zu einem gemeinsamen Asylverfahren und einem unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird, führen sollte, im derzeitigen Stadium die Grundsätze des am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichneten Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gestellten Asylantrags(4) (nachstehend „Dubliner Übereinkommen“ genannt), dessen Durchführung die Harmonisierung der Asylpolitik gefördert hat, mit den aufgrund der bisherigen Erfahrungen erforderlichen Änderungen beibehalten werden sollten. Weiterhin wird insbesondere im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - EuGrdRCh - anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 EuGrdRCh verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
- 55
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, Juris) lässt das im EU-Vertrag vorgesehene und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeitete gemeinsame Europäische Asylsystem allerdings die Annahme begründet erscheinen, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 (GFK) sowie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - (EMRK) finden. Es gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta und der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. M. a. W. ausgehend von der Annahme, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i. S. d. Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz (GG) bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden „Konzepts der normativen Vergewisserung“ (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/133 - Juris, Rn. 179 ff.) bzw. des „Prinzips des gegenseitigen Vertrauens“ (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - Rs C-411/10 und C-393/10 – Juris, Rn. 79 ff.) grundsätzlich davon auszugehen, dass die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Grundrechtscharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention in diesen Ländern sichergestellt ist. Auch die Dublin-II-Verordnung beruht wie jede andere auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK, der EMRK und der EuGrdRCh in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und Nr. 12 Dublin-II-VO und Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EG-Vertrag, - so auch VG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 02.10.2008 - 6 B 56/08-, Juris und VG Regensburg, Beschl. v. 15.09.2008 - RO 3 E 08.30124 - Juris).
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Dies bedeutet zugleich, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris) ein Ausländer, der in einen sicheren Drittstaat zurück verbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern kann, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Für ihn kommen deshalb entsprechend dem mit Art. 16a Abs. 2 GG verfolgten „Konzept normativer Vergewisserung“ über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, grundsätzlich nicht in Betracht.
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Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland dann Schutz zu gewähren, wenn ein solcher durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des „Konzepts normativer Vergewisserung“ durch Gesetz berücksichtigt werden konnten oder aber sich die für die Qualifizierung als “sicher“ maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung hierauf noch aussteht. So sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a. a. O.) Ausnahmen u. a. dann geboten, wenn der Drittstaat gegenüber dem Schutzsuchenden selbst zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird, oder wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer der Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (vgl. zur Problematik der Bestimmung des „sicheren Drittstaates“: BVerfG, Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 - DVBl. 2009, 1304; Lübbe-Wolff, Das Asylgrundrecht nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 - DVBl. 1996, 825 ff.; s. insbesondere auch zur europa-rechtlichen Dimension: Weinzierl / Hruschka, Effektiver Rechtsschutz im Lichte deutscher und europäischer Grundrechte, NVwZ 2009, 1540 ff.).
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Vergleichbares gilt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn es um die Rückführung eines Ausländers in den für seinen Asylantrag zuständigen Staat im Sinne des § 27a AsylVfG geht. Dies bedeutet, dass auch der Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO „nur“ eine Ausnahme darstellt bzw. Sonderfällen vorbehalten ist. Denn eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat oder in den nach europäischem Recht oder Völkerrecht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, ist nur dann veranlasst, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme aufdrängt, dass der Asylbewerber von einem der im normativen Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 GG und der §§ 26a, 27a, 34a AsylVfG nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind dabei auch im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris). Die Annahme eines sicheren Drittstaates ist daher nur dann widerlegt, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh bzw. der inhaltlich identischen Vorschrift des Art. 3 EMRK (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EuGRrdRCh) implizieren.
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Nach der zu Art. 3 EMRK ergangenen Rechtsprechung des EGMR, auf die zur Auslegung von Art. 4 EuGrdRCH zurückzugreifen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 21.01.2011, 2011 - No. 30696 – M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, Rn. 88 m. w. N. – Juris) ist eine Behandlung unmenschlich, wenn sie absichtlich erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Eine Behandlung ist hingegen als erniedrigend anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und dadurch fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert, oder wenn sie Angst, Furcht oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder physischen Widerstand der Person zu brechen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.01.2011, a. a. O., Rn. 220 m. w. N.).
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Die ernsthafte Befürchtung grundlegender Mängel besteht nur dann, wenn in einem Mitgliedstaat eine ständige Verletzung der Kernanforderungen des europäischen Asylrechts, wie sie in den Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union ihren Niederschlag gefunden haben, stattfindet und dadurch die Menschenwürde, das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Flüchtlings beeinträchtigt wird (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Beschl. v. 22.12.2008 - 13 L 1993/08.A - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84.11 A - Juris; VG Hannover, Beschl. v. 07.06.2011 - 1 B 2106/11 - asyl.net; VG Düsseldorf, Beschl. v. 12.09.2011 - 6 L 866/11.A - Juris; Lehnert / Pelzer, Effektiver Rechtsschutz im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin II-Verordnung, ZAR 2010, 41 ff.; Lehnert/Pelzer, Der Selbsteintritt der Mitgliedstaaten im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin-II-Verordnung, NVwZ 2010, 613 ff.). Bei der Beurteilung der Frage, ob für Asylbewerber in Italien dementsprechend ein “richtliniekonformes“ Verfahren gewährleistet ist, ist dabei zunächst das Schutzniveau in den Blick zu nehmen, das sich aus Art. 28 (Sozialleistungen) und Art. 31 (Zugang zu Wohnraum) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 – Qualifikationsrichtlinie – ergibt und sodann jenes, das sich für das Asylverfahren aus der Dublin-II-VO selbst ergibt. Zugleich ist als Maßstab die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten heranzuziehen sowie die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Danach gehören zu den Kernanforderungen des europäischen Asylrechts der Zugang zu einem geordneten Asylverfahren und die Gewährung materieller Aufnahmebedingungen, welche die Grundbedürfnisse nach Unterkunft, Nahrung und medizinischer Versorgung abdecken.
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Die vorstehend aufgezeigten Grundsätze stehen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat mit Urteil vom 21.12.2011 - C 411/10 und C-493/10 - (Juris) ausgeführt, das Gemeinsame Europäische Asylsystem sei in einem Kontext entworfen, der grundsätzlich die Vermutung rechtfertige, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Gleichwohl könne – so der Gerichtshof – nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoße, so dass die ernstzunehmende Gefahr bestehe, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt würden, die mit den Grundrechten unvereinbar sei. Dabei berühre nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Dublin-II-VO. Sei jedoch ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufwiesen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Grundrechtscharta implizierten, so sei eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar.
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Bei der Beurteilung der anstehenden Frage nach dem Vorliegen eines systemischen Versagens in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in dem Mitgliedstaat ist überdies nicht (allein) darauf abzustellen, welche (abstrakte) Rechtslage dort herrscht, mithin ob etwa die vorgenannten Richtlinien in nationales Recht umgesetzt wurden, sondern es sind (ebenfalls) die konkreten bzw. realen Verhältnisse für die Asylbewerber, mithin die bestehende tatsächliche Verwaltungs- und Rechtspraxis in den Blick zu nehmen (ebenso VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009, 406 = Juris).
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Ferner ist darauf abzustellen, ob es sich bei eventuell feststellbaren Defiziten und Mängeln, etwa in Form von Rechtsverstößen und zu erwartenden Beeinträchtigungen, nur um Einzelfälle oder – soweit es sich nicht nur um Einzelfälle handelt – um bloße vorübergehende, temporäre Erscheinungen handelt, die etwa einer überraschenden Entwicklung geschuldet sind, denen aber in naher Zukunft voraussichtlich abgeholfen wird. Anders verhält es sich indes in jenen Fällen, in denen aufgrund einer Vielzahl von Referenzfällen hinreichend belegte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die Missstände und Unzulänglichkeiten dauerhaft manifestiert haben. Die insoweit erforderliche Feststellung des Vorliegens systemischer Mängel und Missstände hat somit eine quantitative wie qualitative Komponente. Ob die desolaten Verhältnisse im Mitgliedstaat dabei darauf zurückzuführen sind, dass dieser zur Schaffung geordneter und richtlinienkonformer Verhältnisse nicht bereit oder nicht in der Lage ist, macht dabei grundsätzlich keinen Unterschied.
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3) In Anwendung der genannten Kriterien ist im Fall der Klägerin von Folgendem auszugehen:
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Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, in Ausübung des insoweit bestehenden Ermessens von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen. Auch kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, sie besitze zumindest einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO, um als Ausnahme von den sonstigen Zuständigkeitsregeln der genannten Verordnung die Prüfung ihres Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. Diesem Recht der Klägerin ist mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten entsprochen worden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte ihr Ermessen verkannt hätte; auch rechtfertigt sich nicht die Annahme des Vorliegens eines formellen Ermessensfehlers, da keinerlei Gründe vorliegen, die einen sog. Selbsteintritt zu rechtfertigen vermögen.
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Zur Überzeugung des Senats ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie von “Dublin-II-Rückkehrern“ in Italien nicht ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und / oder die Aufnahmebedingungen dort derart grundlegende Mängel aufweisen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh zu erwarten steht. Der Senat ist vielmehr unter Anlegung der zuvor genannten strengen Maßstäbe zur Überzeugung gelangt, dass für die nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. rücküberstellten Asylbewerber in der Gesamtschau ein ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren gewährleistet ist und dass für den Fall der Abschiebung bzw. Rückführung der betroffenen Asylsuchenden zwecks Durchführung eines Asylverfahrens nicht mit schwerwiegenden Rechtsverstößen und Beeinträchtigungen zu rechnen ist (ebenso oder ähnlich u. a.: OVG Lüneburg, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -; Beschl. v. 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 –; VG Bremen, Beschl. v. 15.04.2013 - 2 V 440/13.A -; VG Regensburg, Beschl. v. 05.02.2013 - RN 5 S 13.30026 -; Beschl. v. 26.02.2013 - RN 9 K 11.30445 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 17.09.2012 - 13 L 1447/12.A -; Beschl. v. 08.01.2013 - 6 L 104/13.A - und Beschl. v. 06.02. 2013 - 17 L 150/13.A -; VG Augsburg, Urt. v. 11.01.2013 - Au 6 K 12.30358 -; VG Leipzig, Urt. v. 07.12.2012 - A 1 K 973/11 -; VG München, Beschl. v. 08.11.2012 - M 15 E 12.30772 -; VG Würzburg, Beschl. v. 30.10.2012 - W 6 E 12.30288 -; VG Trier, Beschl. v. 25.10.2012 - 5 L 1146/12.TR -; VG Schwerin, Beschl. v. 27.09. 2012 - 8 B 434/12 As -; VG Bayreuth, Urt. v. 12.06.2012 - B 3 K 11.30142 - [bestätigt durch BayVGH, Beschl. v. 6.02.2013 - 20 ZB 12.302856 -]; a. A. oder eine Entscheidung in der Hauptsache vorbehaltend: VG Köln, Beschl. v. 07.05.2013 - 20 L 613/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 30.04.2013 - 10a L 484/13.A -; VG Schwerin, Beschl. v. 15.03.2013 - 3 B 111/13 As -; VG Aachen, Beschl. v. 14.03. 2013 - 9 L 53/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 19.02.2013 - 15a L 194/13.A -; Beschl. v. 27.02.2013 - 15a L 194/13.A -; VG Gießen, Urt. v. 24.01.2013 - 6 K 1329/12.Gl.A -; VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.10.2012 - A 9 K 2386/12 - und Beschl. v. 22.01.2013 - A 9 K 179/13 -; VG Stuttgart, Beschl. v. 08.01.2013 - A 7 K 3929/12 -; VG des Saarlandes, Beschl. v. 03.09.2012 - 3 L 789/12 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 29.08.2012 - 14 L 1392/12.A – alle: Juris; VG Freiburg, Beschl. v. 27.10.2011 - A 5 K 2081/11 -; VG Magdeburg, Beschl. v. 17.07.2012 – 9 B 148/12 -; Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 100/11 -; Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -; vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/ 12.A - Juris). Das Asylsystem in Italien mit dem dort geregelten und praktizierten Aufnahme- und Asylverfahren einschließlich der Unterbringungs- und Versorgungslage für die in Italien schutzsuchenden Flüchtlinge und Asylbewerber entspricht den Anforderungen des europäischen Asylsystems, selbst wenn es in Teilbereichen gewisse Mängel und Defizite aufweist. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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a) Nach dem dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterial ist davon auszugehen, dass für Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien, jedenfalls soweit es sich um Dublin-II-Rückkehrer handelt, grundsätzlich ein geordnetes Aufnahmeverfahren und auch ein ungehinderter Zugang zum Asylverfahren gewährleistet sind.
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Der Senat verkennt nicht, dass es in Italien für Asylbewerber und Flüchtlinge – und zwar bis in die jüngste Vergangenheit hinein – eine Vielzahl von Einreiseverweigerungen und Abschiebungen gegeben hat, bevor ein Asylverfahren durchgeführt werden konnte bzw. ein solches abgewartet worden wäre. Namentlich sind Fälle bekannt geworden, wonach es Zurückweisungen von Flüchtlingen auf hoher See und vor der italienischen Küste, aber auch vom italienischen Territorium gegeben hat, die offenbar darauf abzielten, den Strom von Flüchtlingen – insbesondere aus Nordafrika – abzuwehren, die in Italien Zuflucht haben suchen wollen (vgl. UNHCR, Bericht v. 16.08. 2011: „Hunderte Neuankömmlinge aus Libyen und Tunesien in Italien“, abrufbar unter: http://www.unhcr.de/print/home/artikel/042d9651d6d525aad46e97d7ee7848db/hunde).
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Trotz der bekannt gewordenen zahlreichen Verstöße gegen das Refoulement-Verbot und teilweise vorhandener unangemessener Erschwernisse beim Zugang zu einem Asylverfahren in Italien in den vergangenen Jahren lässt sich aber – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats betrifft – nicht (mehr) davon ausgehen, dass es, sieht man einmal von Einzelfällen ab, in Italien gegenwärtig noch zu derartigen gravierenden Rechtsverletzungen kommt, wie sie in der Vergangenheit zu beklagen waren.
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Vielmehr sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlingen und Asylsuchenden, die in Italien um Schutz nachsuchen wollten, bei ihrer Einreise auf dem Seeweg oder auf dem Landwege die Einreise oder der Aufenthalt in Italien verweigert worden sind (AA, Auskunft v. 21.02. 2013 an OVG LSA, Anm. 1.1.). Ebenso sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende nach ihrer Einreise nach Italien in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben worden sind, ohne dass sie in Italien den von ihnen beabsichtigten Asylantrag stellen konnten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 1.2.). Schließlich sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes in jüngster Zeit auch keine Fälle (mehr) bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende trotz eines in Italien gestellten Asylantrages in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben wurden (AA, a. a. O. Anm. 1.2.). Hiernach lässt sich zumindest gegenwärtig nicht mehr die Feststellung treffen, dass in Italien der Anspruch Schutzsuchender auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens generell oder auch nur regelmäßig vereitelt wird (bereits für die Vergangenheit verneinend u. a.: VG Hannover, Beschl. v. 07.07. 2011 - 1 B 2106/11 - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84/11 - Juris). Dies bedarf hier indes keiner Vertiefung.
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Denn jedenfalls lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen, dass für die im Rahmen des Verfahrens nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. zurückgeführten Asylbewerber regelmäßig oder sogar überwiegend ein ordnungsgemäßes Asylverfahren nicht gewährleistet ist. Aufgrund eines für diesen Personenkreis gesetzlich speziell geregelten Rückführungsverfahrens ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass diese nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren dort bereits gestellten Asylantrag weiterverfolgen bzw. erstmals einen Asylantrag stellen können und ihnen insoweit der Zugang zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren nicht versperrt wird. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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Asylbewerber, die gemäß dem Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehren bzw. zurückgeführt werden, treffen in der Regel auf dem Luftweg auf den Flughäfen Fiumicino in Rom, Malpensa in Mailand, Bergamo, Venedig, Bari, Brindisi oder Ancona ein. Dort werden sie – auch wenn es in Italien kein Flughafenverfahren wie in Deutschland gibt (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)) – von der Polizei in Empfang genommen und es wird ihnen eine Unterkunft in einer der Aufnahmeeinrichtungen zugeteilt, sofern ein Asylantrag gestellt wird bzw. ein Asylverfahren, bei dem Verfahrensstand, der bei Ausreise aus Italien vorlag, weitergeführt werden soll (zu allem: Schweizerische Flüchtlingshilfe, „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien. Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende“, Mai 2011, S. 17 und AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 1.4.). Die Polizei macht in diesen Fällen die verantwortliche Questura ausfindig und fordert die Rückkehrer auf, sich dorthin zu begeben. Dabei werden auch die Reisekosten übernommen (Schweizerischen Flüchtlingshilfe, a. a. O., S. 17) bzw. die Person bekommt, wenn die zuständige Questura weiter entfernt ist (Beispiel: Dublin-Rückkehr nach Rom, zuständige Questura in Catania), ein Zugticket ausgehändigt, um dort hinzureisen (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).
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Wenn die Dublin-Rückkehrer von deutschen Beamten /Polizisten begleitet werden, gibt es insoweit keine Unterschiede. Bei ihrer Ankunft werden alle Dublin-Rückkehrer von der Polaria (Luftpolizei) am Flughafen Fiumicino empfangen. Sie werden erneut erkennungsdienstlich behandelt und es erfolgt die Feststellung, welche Questura in Italien für die Person zuständig und wie der Stand des Verfahrens ist (AA, Auskunft v. 11. 09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).
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Bei ihrer Ankunft werden die Ausländer – so auch die Dublin-II-Rückkehrer – von der am Flughafen zuständigen Hilfsorganisation „Confederazione Nazionale delle Misericordie d’Italia“ betreut und in Anwesenheit von Dolmetschern über den weiteren Verfahrensablauf unterrichtet (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW - zu Frage a.)). Die genannte Hilfsorganisation sucht für die Dublin-II-Rückkehrer zugleich eine (vorläufige) Unterkunft in einem Aufnahmezentrum (z. B. einer Einrichtung der „Centri di accoglienza richiedenti asilo“ - CARA -), welches im Allgemeinen für die Erstaufnahme zuständig ist, bis die Zuweisung zu einer Asylunterkunft am Ort der zuständigen Questura erfolgt ist. Während die Dublin-II-Rückkehrer sofort eine Unterkunft in einem entsprechenden Erstaufnahmezentrum erhalten, kann die Zuweisung zu einer Asylunterkunft für die Dauer des Asylverfahrens einige Zeit dauern, weil es zunächst gewisser Formalien den jeweiligen Asylantrag betreffend bei der zuständigen Questura bedarf. Manchmal beträgt dieser Zeitraum nur einige Tage, manchmal aber auch Wochen, z. B. wenn es sich um große Städte und Ballungszentren handelt. Belastbares Zahlenmaterial bezogen auf die Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist mangels statistischer Erhebungen allerdings nicht verfügbar. In den Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber, den bereits erwähnten Einrichtungen der CARA, ist laut Gesetz grundsätzlich ein Verbleib von nicht länger als 20 bis 35 Tagen vorgesehen. Da die Zuweisungsverfahren aber oftmals länger dauern, bleiben die Antragsteller entsprechend länger in diesen Aufnahmezentren (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu den Fragen a.), b.) und c.)).
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Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln erhalten die Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft in Italien zudem Informationsbroschüren über ihre Rechte im Asylverfahren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 2.3.). Diese Broschüren existieren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen, so u. a. in persischer, arabischer, französischer, englischer, italienischer, somalischer, spanischer und tigrinischer Sprache (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 2.3.). Darüber hinaus befinden sich in den Aufnahmeeinrichtungen Betreuungsdienste, die den Asylantragstellern zur Unterstützung zur Verfügung stehen. Diese beschäftigen oftmals Mitarbeiter, die die Landessprache der Hauptherkunftsstaaten der Asylantragsteller beherrschen (AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 2.3.).
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Nach allem besteht für den Senat kein Grund zur Annahme, dass die in Italien Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft dort in unangemessener Weise “sich selber überlassen bleiben“ und sich im Hinblick auf das erstrebte Aufnahme- und Asylverfahren nicht zurecht finden können.
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Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass die Rücküberstellung von Asylbewerbern auf der Grundlage der Dublin-II-Verordnung seitens der italienischen Behörden auf Widerstände stößt. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es im Rahmen des Dublin-Systems vor einer Asylantragstellung oder während des Asylverfahrens zu Einreiserverweigerungen, Rücküberstellungen oder sonstigen Ausweisungen in die Herkunftsländer der Asylbewerber kommt (vgl. UNHCR, Stellungnahme v. 24.04.2012 an VG Braunschweig, S. 5).
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b) Der Senat vermag aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel auch nicht zur Einschätzung zu gelangen, dass Asylsuchende und Flüchtlinge – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts betrifft – nach ihrer Einreise und / oder während ihres Asylverfahrens mangels einer (angemessenen) Unterkunft regelmäßig oder auch nur in einer Vielzahl von Fällen in die Obdachlosigkeit geraten, mithin „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen.
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aa) Dabei ist zunächst hervorzuheben, dass Asylsuchende während des Asylverfahrens einen Rechtsanspruch auf eine Unterbringung besitzen, und zwar gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Dieser Anspruch ist grundsätzlich wohl auch behördlich bzw. gerichtlich durchsetzbar. Dies deckt sich jedenfalls mit einer Antwort der Bundesregierung vom 18. April 2011 auf eine Kleine Anfrage im Bundestag ("Lage von Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen in Italien" – BT-Drucks. 17/5579), aus der sich ergibt, dass Asylbewerber in Italien einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Unterkunft haben. Allerdings kommt es für die Beurteilung der in Rede stehenden Frage nicht in erster Linie auf die bestehende Rechtslage an; maßgeblich ist vielmehr auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen.
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Nach den aktuellen Auskünften des Auswärtigen Amtes stellt sich indes die tatsächliche Unterbringungssituation im Rahmen des italienischen Aufnahmesystems für Asylbewerber und Flüchtlinge Anfang 2013 (5. Kalenderwoche) wie folgt dar:
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Die Aufnahmezentren der CARA verfügen über 5.516 Plätze und beherbergen derzeit ca. 5.300 Personen nebst 2.710 Plätzen in den Einrichtungen der CARA von Lampedusa, so dass insgesamt mehr als 8.000 Plätze zur Verfügung stehen. Die Zahlen im Gutachten von Frau Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 11), wonach 3.163 Personen in den genannten Einrichtungen aufgenommen werden könnten, seien inzwischen überholt (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.).
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Darüber hinaus stehen den Asylbewerbern und Flüchtlingen grundsätzlich die staatlichen Aufnahmeeinrichtungen der SPRAR („Sistems di Protezione per Richiedenti Asilo e Refugiati“) zur Verfügung. Die dort vorhandenen Plätze sind laut Auskunft des Auswärtigen Amtes in der Vergangenheit deutlich angestiegen: Bisher habe es 3.000 Plätze gegeben, so dass dort (weil eine Unterbringung regelmäßig nur für 6 Monate vorgesehen sei) insgesamt 6.000 Personen hätten versorgt und untergebracht werden können (vgl. zur Aufnahmekapazität von etwa 3.000 Personen u. a. auch der Bericht der Schweizerische Flüchtlingshilfe, a. a. O. S. 5). Nunmehr aber stehen nach Auskunft des Auswärtigen Amtes - bestätigt durch Auskünfte von Mitarbeitern der SPRAR und des italienischen Innenministeriums – insgesamt 5.000 Plätze zur Verfügung, so dass 8.000 bis 10.000 Personen untergebracht werden könnten, ungeachtet der im Rahmen des EU-finanzierten FER-Projektes für vulnerable Personen und anderer Projekte vorhandenen weiteren Plätze (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.). Dies entspricht in etwa auch der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.02.2013 auf Anfrage des Senats, wonach inzwischen in ganz Italien 40 Aufnahmezentren mit rund 9.000 Plätzen zur Verfügung stehen (AA, a. a. O., Anm. 4.3.).
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Dem steht z. B. für das Jahr 2012 eine Anzahl von 1.148 Personen gegenüber, die als Rückkehrer im Rahmen der Dublin-II-Verordnung über Rom nach Italien zurückgeschickt wurden und von der Organisation Ariconfraternita am Flughafen von Rom betreut wurden (Gutachten an das VG Braunschweig von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012, S. 25 und S. 59 – in Ermangelung der erfassten Gesamtzahlen der Dublin-Rückkehrer nach Italien). Berücksichtigt man überdies, dass die Zahl der Asylbewerber seit 2012 – trotz gewisser Schwankungen – insgesamt rückläufig ist, kann zumindest gegenwärtig nicht (mehr) von unzureichenden Aufnahme- und Unterbringungskapazitäten ausgegangen werden. Zur Überzeugung des Senats dürfte sich somit die aktuelle Situation in Italien soweit entspannt haben, dass sämtliche Asylbewerber, und insbesondere Dublin-II-Rückkehrer, in den öffentlichen Aufnahmeeinrichtungen Platz finden können (ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -
).
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Die Annahme fehlender Kapazitäten für die Unterbringung von Dublin-II-Rückkehrern nach Italien ist insbesondere auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil es in der Vergangenheit zu einem massiven Zustrom von Flüchtlingen aus Nordafrika gekommen ist und dies zu (nachhaltigen) Engpässen bei der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern geführt hat.
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Der UNHCR hat in diesem Zusammenhang in seiner Stellungnahme vom 24. April 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 3) auf Folgendes hingewiesen: Im Jahre 2011 sind nach der Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika und der darauf folgenden Erklärung des „humanitären Notstandes“ die regionalen Regierungen gebeten worden, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu bestimmen, da die bestehenden Aufnahmekapazitäten als unzureichend eingeschätzt wurden. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden (Regionen, bestimmten Provinzen [„Province Autonome“] und Gemeinden) seien Vereinbarungen getroffen worden, in denen Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Die Verantwortlichkeit für den diesbezüglichen Aufnahmeplan liege beim Leiter des Zivilschutzes („Dipartimento di Protezione Civile“). Bis Anfang 2012 seien 20.000 Personen im Rahmen des Plans in den Notunterkünften, meist in Einrichtungen kleiner bis mittlerer Größe, untergebracht worden, die in ganz Italien verteilt sind.
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Dies deckt sich mit den Auskünften des Auswärtigen Amtes. Danach hätten die vorgehaltenen temporären Aufnahmestrukturen des Zivilschutzes, die anlässlich des Flüchtlingsstromes aus Nordafrika in der Größenordnung von 50.000 Plätzen in den Regionen geschaffen worden seien, die bestehenden Engpässe kompensiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.3.).
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Soweit im Gutachten von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O., S. 15) darauf verwiesen wird, dass die durch den Zivilschutz zusätzlich geschaffenen Unterkünfte nur zeitlich befristet vorgesehen gewesen seien, zunächst wohl nur bis Ende 2011 und alsdann bis Ende 2012, und dass diese inzwischen wieder geschlossen worden seien, so rechtfertigt auch dieser Einwand nach Auffassung des Senats nicht die Annahme, dass es gegenwärtig und zukünftig wieder zu fehlenden Kapazitäten in den staatlichen Einrichtungen kommen wird.
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Zwar trifft es zu, dass das Notstandsprogramm befristet war und inzwischen wohl offiziell ausgelaufen ist. Allerdings trifft es ebenfalls zu, dass die Einrichtungen derzeit faktisch zumindest in einem beschränkten Umfang fortgeführt werden. Grund für die Schließung der Notunterkünfte war der Umstand, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge gegenüber den Vorjahren, insbesondere dem Jahr 2011 und 2012, deutlich zurück gegangen war. Allerdings waren nach Auskunft des Auswärtigen Amtes Anfang des Jahres 2013 noch ca. 17.000 Personen in den temporären Einrichtungen des Zivilschutzes untergebracht (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 4.3.). Das Auswärtige Amt hat unterdessen mit seiner neuesten Auskunft – unter Berufung auf den Leiter des Italienischen Amtes für Aufnahmezentren und Betreuung, Herrn Tommaso Ricciardi vom 04. September 2013 – zum Notstandsprojekt Nordafrika mitgeteilt, dass sich derzeit nur noch etwa 1.000 Personen („vulnerable cases“ und Asylbewerber, die ein Rechtsmittel eingelegt haben) in den Notunterkünften befinden. Offiziell hätten diese nunmehr am 01. September 2013 schließen sollen. Es werde gegenwärtig überlegt, wie die Versorgung dieser Personen weiter gewährleistet werden kann (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW – zu Frage e)).
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Angesichts der aufgezeigten Entwicklung steht auch nicht zu erwarten, dass mit der Schließung der Notunterkünfte die dort untergebrachten bzw. noch verbliebenen Asylbewerber und Flüchtlinge in die staatlichen Unterkünfte drängen und es damit zu erneuten Überbelegungen kommen wird, mithin die Problematik fehlender Kapazitäten in den staatlichen Zentren erneut auftritt. Das Auswärtige Amt weist zudem ausdrücklich darauf hin, dass das Auslaufen des Nordafrika-Programms keine konkreten Auswirkungen auf die Dublin-Rückkehrer hat, da für diesen Personenkreis (der nicht in den Notunterkünften untergebracht wird) von vornherein kein unmittelbarer Zusammenhang zum Programm bestand (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW – zu Frage e)).
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Gegenteiliges dürfte zur Überzeugung des Senats auch dann nicht anzunehmen sein, wenn es zu einem erneuten Anstieg der Zahl von Asylbewerbern in Italien kommen sollte. Das ausgelaufene Notstandsprogramm belegt, dass Italien Unterbringungsplätze in erheblichen Umfang zusätzlich zur Verfügung stellen kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Das geschaffene Notstandsprogramm lässt darauf schließen, dass die verantwortlichen Stellen – selbst wenn sie auf Druck der übrigen EU-Mitgliedstaaten tätig geworden sein sollten – bemüht sind, sich dem jeweiligen unterschiedlichen Unterkunftsbedarf in der gebotenen Weise anzupassen. Dies lässt es insbesondere nicht ausgeschlossen erscheinen, dass bei einem eventuellen erneuten Anstieg der in Italien eintreffenden Flüchtlinge und Asylbewerber entsprechende Programme zur kurzfristigen Schaffung zusätzlicher Unterkünfte neu aufgelegt werden. Dies alles rechtfertigt keine grundlegenden Zweifel daran, dass ein insoweit auch nach Beendigung des Notstandsprogramms fortdauernder Bedarf oder erneute Massenanstürme von Flüchtlingen bewältigt werden können (ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O.).
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Im Übrigen erkennt auch der UNHCR an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des staatlichen Aufnahmesystems stattgefunden haben. Insgesamt seien die Einrichtungen der CARA, CDA und SPRAR (nunmehr) in der Lage, dem Aufnahmebedarf einer „signifikanten Anzahl“ von Asylsuchenden nachzukommen (Stellungnahme vom 24. April 2012 an VG Braunschweig, S. 3). Allerdings macht der UNHCR die Einschränkung, dass die Kapazitäten der genannten Einrichtungen nicht für die Unterbringung aller unterstützungsbedürftigen Asylsuchenden ausreichend sein dürften, wenn Personen in erheblicher Anzahl neu in Italien ankommen würden (UNHCR, a. a. O., S. 3). Indes bestehen z. Z. keine Anhaltspunkte dafür, dass es in Italien derzeit oder in absehbarer Zeit erneut zu einem derartigen Anstieg der Asylbewerberzahlen kommen wird, wie er etwa in den Jahren 2010 und 2011 zu verzeichnen war.
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Eine andere Bewertung der Unterkunftssituation für Asylbewerber und Flüchtlinge erscheint dem Senat schließlich auch nicht deshalb geboten, weil nach Auffassung des UNHCR (Stellungnahme v. 24.04.2012) in der gegenwärtigen Situation davon auszugehen sei, dass derzeit die überwiegende Anzahl aller Asylverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden können, und die Aufnahme in den Aufnahmezentren regelmäßig auf sechs Monate befristet sei. Abgesehen davon, dass der UNHCR selbst einräumt, dass keine konkreten Zahlen zur Dauer der Asylverfahren vorliegen, besteht nach Auskunft des Auswärtigen Amtes die Möglichkeit, dass im Einzelfall – so auch bei Einlegung von Rechtsmitteln – die Aufenthaltsdauer in der Einrichtung verlängert wird.
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Zudem ist auch dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Mai 2011 zu entnehmen, dass für die Aufnahme von Asylbewerbern eben nicht nur CARA-, CIE- und SPRAR-Zentren zur Verfügung stehen, sondern auch andere Zentren vorhanden sind basierend auf Abkommen zwischen dem Innenministerium und Gemeinden, aber auch von der Stadt – wie etwa Rom - finanzierte und von NGO’s betriebene Zentren (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende, S. 19). Nach dem vorgenannten Bericht (a. a. O. S. 19) kommen noch kirchliche und karitative Einrichtungen hinzu. Dass es unter Berücksichtigung der Aufnahmekapazität all dieser öffentlichen und privaten Einrichtungen sowie unter Nutzung des Angebotes des Wohnungsmarktes nicht möglich ist, eine Unterkunft zu finden, ist nicht ersichtlich.
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Das Auswärtige Amt weist ebenfalls darauf hin, dass neben den staatlichen Unterbringungszentren zusätzlich kommunale und karitative Einrichtungen existieren wie z. B. Caritas, Migrantes in Rom, die Schwestern des Ordens der Mutter Teresa „Suore Missionarie della Carità“ und andere Hilfsorganisationen (Comunità di Sant’Egidio, Opere Antoniane, Stranieri in Italia, Centro Astalle - Jesuiten -), welche die Antragsteller und Asylbewerber versorgen und ihnen Unterkunftsplätze besorgen (AA, Auskunft v. 21.08.2013 an OVG LSA - zur Frage 3.). Dies entspricht zugleich der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, wonach nicht davon auszugehen ist, dass jene Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz finden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen (AA, a. a. O. Anm. 4.3.).
- 95
Veranlassung zu einer anderen Einschätzung gibt dem Senat schließlich auch nicht der Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“ vom 28. Februar 2011, wonach angeblich davon auszugehen ist, dass „in der Vergangenheit 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer der Gefahr der Obdachlosigkeit überlassen worden seien“. Der Senat geht dabei davon aus, dass diese Aussage nicht bedeutet, dass etwa 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer tatsächlich in die Obdachlosigkeit geraten sind, sondern dass es sich hierbei – da der Bericht lediglich von einer „Gefahr“ einer Obdachlosigkeit spricht – um eine bloße Annahme handelt in Bezug auf das womöglich bestehende Risiko, von einer Obdachlosigkeit betroffen zu werden. Dem Senat erscheint bei dieser Sachlage allerdings nicht nachvollziehbar, wie eine (potentielle) „Gefahr“ prozentual derart exakt prognostiziert werden kann, wie dies im Bericht mit 88 vom Hundert geschehen ist, zumal die Unterbringung in staatlichen und privaten Einrichtungen und auch die Wohnungssuche im Allgemeinen mit einer Fülle von Unwägbarkeiten verbunden ist. Überdies sind die Angaben nur bedingt brauchbar, weil eben nicht erkennbar wird, auf welchen Erkenntnissen diese beruhen und welche zurückliegenden Zeiträume in Bezug genommen werden, wenn davon gesprochen wird, dass sich Aussage auf die „Vergangenheit“ beziehe.
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bb) Ebenso lässt sich nach Auffassung des Senats nicht feststellen, dass Asylbewerber infolge unzureichender und unzumutbarer Verhältnisse in den staatlichen bzw. privaten Unterkünften, namentlich etwa aufgrund unhygienischer Zustände oder Gewalttätigkeiten und krimineller Delikte wie u. a. Diebstahl, Vergewaltigung oder erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind. Dabei wird nicht verkannt, dass es in Unterkünften mit einer Vielzahl von – teilweise auch traumatisierten – Flüchtlingen unterschiedlicher Nationalität, Religion und Gebräuchen häufiger als in anderen Bereichen der Gesellschaft zu Konflikten und gelegentlich auch gewaltsamen Übergriffen kommen dürfte. Es dürfte sich dabei allerdings um ein allgemeines Phänomen in Gemeinschaftseinrichtungen handeln, dem die staatlichen Stellen nur bedingt wirksam entgegen wirken können. Auch wenn die Aufnahme-, Unterbringungs- und Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Italien regelmäßig nicht mit dem hiesigen Standard vergleichbar sein mögen, ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die Zustände in den Unterkünften im Allgemeinen jedenfalls nicht derart unzumutbar und unhaltbar sind, dass deshalb die Feststellung einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung der Asylbewerber gerechtfertigt erschiene. Dies gilt zum einen hinsichtlich der hygienischen Verhältnisse. So wird nach Auskunft des Auswärtigen Amtes von den staatlichen Aufnahmezentren und Einrichtungen Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Überdies teilt das Auswärtige Amt zur Situation in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften mit, dass die hygienischen Verhältnisse dort nicht regelmäßig oder sogar überwiegend sich in der Weise darstellen, dass man ernstlich Gefahr läuft zu erkranken. Sie seien auch nicht dergestalt, dass sie nicht den Mindestanforderungen (Kochstellen, Toiletten, Waschräume, fließendes Wasser und Elektrik) genügen würden. Vielmehr seien sie durchweg so beschaffen, dass kleinere Schlafräume in Wohnhäusern oder Containern vorhanden seien, die auch zumeist mit Klimaanlagen und Zentralheizung versehen seien. Insbesondere seien Toilettenräume in ausreichender Zahl und getrennt nach Geschlechtern vorhanden. Gleiches gelte für Waschräume. Die Verpflegung werde vielfach in einem gemeinsamen Speisesaal bereitgestellt. Vereinzelt bestünden auch zusätzliche Möglichkeiten für die eigene Zubereitung von Mahlzeiten. Ferner seien in den Einrichtungen Sozialräume sowie getrennte Räumlichkeiten für medizinische Dienste und Sonderfälle vorhanden. Zur Aufrechterhaltung der Sauberkeit der allgemeinen Räumlichkeiten würden spezielle Reinigungsdienste beschäftigt (vgl. zu allem: AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 4.5.).
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Zum anderen lässt sich aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse auch nicht feststellen, dass sich die Verhältnisse in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften in der Weise darstellen, dass die Bewohner in ständiger Angst leben müssten, „angegriffen, ausgeraubt oder gar vergewaltigt“ zu werden. Zwar gibt es Berichte, wonach es zu gewaltsamen Übergriffen von männlichen auf weibliche Bewohner gekommen sein soll; hierbei handelt es sich aber um Einzelfälle, wenngleich statistische Erhebungen zur Kriminalität speziell in den genannten Einrichtungen nicht existieren bzw. nicht bekannt sind. Darüber hinaus werden die Aufnahmeeinrichtungen zumindest durch die Polizei oder Carabinieri überwacht und geschützt; wegen auftretender Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien wurden in manchen Einrichtungen zudem zusätzliche Polizeikräfte postiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.6.).
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Im Ergebnis vermag der Senat somit nicht festzustellen, dass es – sieht man von Engpässen und Einzelschicksalen ab – mit der Durchführung von Asylverfahren in Italien generell zu Begleiterscheinungen wie etwa Obdachlosigkeit oder aufgrund der Zustände in den Unterkünften zu einer Verwahrlosung der Asylbewerber kommt.
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c) Der Senat vermag ebenfalls nicht festzustellen, dass Schutzsuchende während des Asylverfahrens in Italien unter Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh in materieller Not leben müssen, so dass von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszugehen wäre, oder mit Blick auf die Versorgungssituation und soziale Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge gemessen an den Vorgaben des unionsrechtlichen Sekundärrechts sich das Asylsystem als nicht (mehr) richtlinienkonform darstellt.
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Asylsuchende und Flüchtlinge haben nach Auskunft des Auswärtigen Amtes während des Asylverfahrens einen (Rechts-)Anspruch auf (angemessene) Verpflegung und Versorgung (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1.). Dieser Verpflichtung wird im Allgemeinen dadurch nachgekommen, dass in den staatlichen Unterkünften und Aufnahmezentren entsprechende Leistungen erbracht werden. Namentlich wird auch Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Vorgenanntes gilt gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.).
- 101
Ebenso werden Asylbewerber und Flüchtlinge, die in nichtstaatlichen, namentlich karitativen und kirchlichen Unterkünften leben, mit Nahrung und Kleidung versorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA, Auskunft v. 21. 02.2013, Anm. 5.2.). Allerdings ist für Asylbewerber und Flüchtlinge außerhalb staatlicher sowie karitativer und kirchlicher Einrichtungen eine staatliche Verpflegung und Versorgung nicht (mehr) gewährleistet. Auch existiert in Italien nur ein sehr eingeschränktes staatliches Sozialhilfesystem; danach erhalten nur Personen über dem 65. Lebensjahr Sozialhilfeleistungen. Im vorliegenden Fall würde dies sogar bedeuten, dass die 65-jährige Klägerin auch staatliche Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen könnte. Im Übrigen haben die Betroffenen auch als Asylbewerber und schutzsuchende Flüchtlinge einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 5.1.).
- 102
In der Praxis kann somit nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Asylbewerber und Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt regelmäßig nicht durch Betteln und / oder Prostitution sichern müssen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.). Vielmehr ist insgesamt eine ausreichende Versorgung vorhanden. Einzelfälle sind allenfalls auf das in der aktuellen Wirtschaftskrise insbesondere in italienischen Großstädten zunehmend auftretende Phänomen des Bettelns und die damit einhergehenden erhofften zusätzlichen Einkunftsmöglichkeiten zurückzuführen. Was die Prostitution angeht, so ist nicht völlig auszuschließen, dass weibliche Asylbewerber oder Flüchtlinge in Einzelfällen durch Angehörige der organisierten Kriminalität rekrutiert werden und dann tatsächlich der Prostitution nachgehen. Dies ist aber nicht im kausalen Zusammenhang mit Defiziten im Asylverfahren zu sehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.; Auskunft v. 24.09.2012, S. 3 - Antwort auf Frage b 2)).
- 103
Im Übrigen folgt aus Art. 3 EMRK und Art. 4 EuGrdRCh auch nicht die Verpflichtung, Asylbewerbern und Flüchtlingen eine finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihnen einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.02.2011, a. a. O.).
- 104
Ebenso ist ein Verstoß gegen die Richtlinie 2004/83/EG nicht ersichtlich. Kapitel VII der Richtlinie gestaltet den Inhalt des internationalen Flüchtlingsschutzes zwar u. a. dahin gehend aus, dass Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte grundsätzlich Zugang zu Sozialleistungen (Art. 28), medizinischer Versorgung (Art. 29) und Wohnraum (Art. 31) erhalten. Allerdings gehen die Bestimmungen über die Gebote zur Inländergleichbehandlung (Art. 28, 29) bzw. zur Ausländergleichbehandlung (Art. 31) nicht hinaus. Art. 28 und 29 der Richtlinie gewährleisten die notwendige Sozialhilfe bzw. medizinische Versorgung nur insoweit, wie die Mitgliedstaaten ihren eigenen Staatsangehörigen eine entsprechende Behandlung bzw. Versorgung gewähren; für Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte besteht zudem die Möglichkeit, den Anspruch auf Kernleistungen zu beschränken, die dann im Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige zu gewähren sind. Demzufolge muss der in Italien bestehende allgemeine Lebensstandard für andere, vergleichbare Personen mit italienischer Staatsangehörigkeit in den Blick genommen werden, die ebenfalls keine staatlichen Sozialleistungen in Anspruch nehmen können und bei denen ebenfalls nur durch die Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten oder aber vermittels von Zuwendungen karitativer oder kirchlicher Organisationen das Existenzminimum gesichert ist.
- 105
Nach allem lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh nicht daraus herleiten, dass – worauf in der Rechtsprechung einzelner Verwaltungsgerichte abgestellt wird – ein staatliches Sozialsystem, welches Flüchtlingen und Asylsuchenden zumindest ein Existenzminimum garantiert, nicht zur Verfügung steht und dass die Betroffenen deshalb darauf angewiesen seien, sich „selbst durch das Leben zu schlagen“ (vgl. VG Magdeburg, Beschl. v. 28.03.2011 - 9 B 101/11 MD - Juris; Gerichtsbescheid v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 - [S. 5 d. UA]; VG Braunschweig, Beschl. v. 31.05.2011 - 1 B 103/11 - m. w. N. - Juris).
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Im Übrigen ist in der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a. a. O. S. 22) nicht – wie gelegentlich behauptet wird – die Rede davon, dass der genannte Personenkreis „in extremer Armut lebt und dass sie ihre Lebensbedürfnisse nicht decken können“. Vielmehr ist – wohl mit Bedacht – davon die Rede, dass sie Gefahr laufen, womöglich in eine solche Situation zu geraten; dass sich indes diese Gefahr bereits in eine Vielzahl von Fällen realisiert hätte oder gleichsam regelmäßig bzw. für jeden Asylsuchenden und Flüchtling die konkrete Gefahr bestünde, dass nicht einmal das Existenzminimum gesichert ist, wird nicht behauptet. Dies schließt nicht aus, dass es in Einzelfällen auch zu besonderen Notlagen kommen mag und dass der Lebensstandard der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien im Allgemeinen sehr gering sein dürfte. Gleichwohl vermag der Senat anhand des ihm vorliegenden umfassenden Erkenntnismaterials aber nicht festzustellen, dass die Situation für Flüchtlinge und Asylsuchende in den Zentren und außerhalb derselben derart prekär wäre, dass deshalb von einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh auszugehen ist.
- 107
d) Soweit es die medizinische Versorgung betrifft, sind alle Mitgliedstaaten aufgrund der EU-Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 verpflichtet, bestimmte Mindeststandards der medizinischen Versorgung zu gewährleisten. So haben alle Mitgliedstaaten nach Art. 15 der genannten Richtlinie dafür Sorge zu tragen, dass Asylbewerber und Flüchtlinge die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung für die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst. Dabei ist auch Asylbewerbern mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische und sonstige Hilfe zu gewähren.
- 108
In Italien ist im Rahmen des nationalen Gesundheitsdienstes grundsätzlich ein medizinischer Mindestbehandlungsstandard gewährleistet. Asylbewerber und Flüchtlinge haben in Italien während des Asylverfahrens einen Anspruch auf eine „freie“ (kostenlose) medizinische Versorgung sowie auch auf psychologische Hilfe, insbesondere auch Minderjährige und traumatisierte Personen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.3.).
- 109
Dem entspricht es, wenn im Entscheiderrundbrief des Bundesamtes 7/2011 (a. a. O., S. 8) zur medizinischen Versorgung festgestellt wird, dass bei der Überstellung von kranken bzw. traumatisierten Personen – wie bei jedem italienischen Staatsbürger – die Möglichkeit der (medizinischen) Behandlung besteht. Bereits im Jahre 2009 habe es bei der SPRAR drei Zentren gegeben, in denen auch psychisch kranke Personen hätten behandelt werden können (zwei in Rom, eines in Turin). Für 2011 seien zudem 50 weitere Behandlungsplätze für psychisch kranke Personen bzw. Personen mit besonders schweren Erkrankungen geplant worden. Inzwischen würden bei Dublin-Überstellungen psychisch kranke Personen in Italien als eine besonders „vulnerable Gruppe“ angesehen.
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Voraussetzung für den Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem ist zwar grundsätzlich ein gültiger Aufenthaltstitel bzw. ein rechtmäßiger Aufenthalt; bei im italienischen Asylverfahren befindliche Personen stellt sich dieses Problem aber nicht. Der Zugang zu öffentlichen medizinischen Leistungen ist auch nicht an die Voraussetzung eines ständigen Wohnsitzes bzw. feste Adresse gekoppelt, wie gelegentlich behauptet wird. Vielmehr erhalten Asylbewerber bei Bedarf auch ohne einen solchen ständigen Wohnsitz bzw. feste Anschrift vom nationalen Gesundheitsdienst einen Gesundheitsausweis („tessera sanitara“) und eine Steuernummer („codice fiscale“) (vgl. AA, Auskunft v. 09.10.2012 an VG Minden, S. 2 - zur Frage b) 4; ebenso: AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg - S. 2 Ziffer I b)). Sollte hingegen etwas anderes gelten, ist davon auszugehen, dass aufgrund einer aktuellen Vereinbarung zwischen der Zentralregierung und den Regionen zumindest eine Not- und Grundversorgung auch für sich illegal in Italien aufhaltende Personen garantiert ist (AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 6.2.).
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Der Senat vermag angesichts dieser Situation nicht zu erkennen, dass damit den eingangs aufgezeigten Mindeststandards bzw. Kernanforderungen nicht genügt wird. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass in bestimmten Fällen womöglich einzelnen Personen eine nur unzureichende medizinische Versorgung zuteil wurde oder diese aus dem medizinischen Versorgungssystem herausgefallen sind.
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Aber selbst dann, wenn für kranke, behinderte oder sonst gesundheitlich besonders schutzbedürftige Personen die garantierte medizinische Not- und Grundversorgung nicht als ausreichend angesehen würde, ergäben sich daraus jedenfalls für die Klägerin, die keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen angeführt hat, keine Bedenken gegen ihre Überstellung nach Italien.
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e) Soweit es das Asylverfahren als solches, namentlich die Qualität und die Dauer des Verfahrens betrifft, lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 EMRK und Art. 4 EuGrdRCH sowie gegen die einschlägigen unionsrechtlichen Richtlinien ebenfalls nicht feststellen.
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Italien gewährleistet entsprechend dem (Grund-)Recht auf Asyl (gem. Art. 10 Abs. 3 der italienischen Verfassung, verschiedenen Einwanderungs- und Asylverfahrensgesetzen, insbesondere nach dem Gesetz No. 25/2008 vom 28. Januar 2008) ein Schutzverfahren, das auch für Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung greift. Besonderheiten bestehen insoweit nicht (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.1.).
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Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass es hinsichtlich der Qualität oder der Dauer der Asylverfahren einen Grund für Beanstandungen gibt. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass von einer unverhältnismäßig restriktiven Asylpraxis auszugehen ist. Gegen eine solche Annahme sprechen die Zahlen, die vom Auswärtigen Amt zum Asylverfahren benannt werden. Danach wurden im Jahre 2010 über 14.042 Asylanträge entschieden, davon wurden 2.094 Antragsteller nach der Genfer Konvention anerkannt (15 vom Hundert), 1.789 erhielten subsidiären (13 vom Hundert), 3.675 humanitären Schutz (26 vom Hundert), hingegen wurden 4.698 abgelehnt. 520 Personen waren nicht auffindbar (4 vom Hundert) und 1.266 (9 vom Hundert) sind sonstige Fälle. Dementsprechend lag die Quote der Anerkennungen bzw. der Gewährung eines Bleiberechts bei immerhin 54 vom Hundert (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 3.2.). Demgegenüber wurden im Jahre 2011 über 25.626 Asylanträge entschieden. Davon wurden 2.057 Antragsteller nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt (8 vom Hundert), 2.569 Personen erhielten subsidiären (10 vom Hundert) und 5.662 humanitären Schutz (22 vom Hundert); 11.131 Personen wurden hingegen abgelehnt (44 vom Hundert) und 2.339 Personen waren nicht auffindbar (9 vom Hundert). Die Anerkennungsquote lag 2011 somit bei 40 vom Hundert, was ebenfalls nicht die Annahme einer unverhältnismäßig restriktiven Praxis rechtfertigt (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.2.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 5 unter Hinweis auf eine entsprechende Statistik des Innenministeriums, abrufbar unter: http://www.interno.it/miniinteno/export/sites/default/it/assets/files/21/0551_statistiche_asilo.pdf).
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Es kommt hinzu, dass sich die für die Entscheidung der Asylverfahren in erster Instanz zuständigen Territorialkommissionen per Dekret des Innenministers in der Weise zusammensetzen, dass auch jeweils ein Vertreter des UNHCR beteiligt ist (Bundesamt für Migration der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Hintergrundnotiz MILA - Italien Asylverfahren, Bericht vom 23.09.2009, S.4). Dies berechtigt zur Annahme, dass der Ordnungsmäßigkeit des Asylverfahrens eine besondere Beachtung geschenkt wird.
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Hinsichtlich der Dauer des Asylverfahrens in Italien gibt es ebenfalls nichts zu beanstanden. Über den Asylantrag soll an sich innerhalb von 30 Tagen entschieden werden; zudem wird angestrebt, dass das Gesamtverfahren einschließlich gerichtlicher Überprüfung nicht länger als sechs Monaten dauert, auch wenn es immer wieder Fälle gibt, in denen diese Dauer – manchmal bis zu einem Jahr oder auch länger – überschritten wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 3.1., 3.2.; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O. Rn. 15).
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Ferner lässt sich nicht feststellen, dass es in Italien während des Asylverfahrens in nennenswerter Weise faktische Beeinträchtigungen in verfahrensrechtlicher bzw. prozessualer Hinsicht gibt. Art. 16 des italienischen Asylverfahrensgesetzes No. 25 vom 28. Januar 2008 garantiert dem Asylbewerber, dass er nach den einschlägigen Prozessvorschriften Anspruch auf eine Rechtsberatung und einen unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verfahren hat (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.4.). Zwar bestehen Zweifel, ob dies auch in der Praxis ausnahmslos Geltung besitzt, wenn man berücksichtigt, dass für die nach Rom zurückkehrenden Dublin-II-Rückkehrern (und in Rom eintreffenden Asylbewerber) die Prozesskostenhilfe davon abhängig gemacht wird, dass zum Nachweis der wirtschaftlichen Bedürftigkeit eine Bescheinigung der jeweiligen Auslandsvertretung beigebracht werden soll. Allein wegen der Tatsache, dass der Asylbewerber im Einzelfall das Verfahren ohne anwaltlichen Beistand durchzuführen hat, soweit kein Anwaltszwang besteht, kann nicht schon von einem (landesweit bestehenden) systemischen Mangel gesprochen werden, der die Annahme einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. d. Grundrechtscharta und EMRK rechtfertigt. Im Übrigen stehen dem Asylbewerber im Asylverfahren auch Übersetzungsdienste zur Verfügung (vgl. AA, Auskunft an OVG LSA v. 21.02.2013, Anm. 2.3. und 3.3.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 3).
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Insbesondere bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass – von Ausnahmen abgesehen – die für die Durchführung des Hauptsacheverfahrens erforderliche Erreichbarkeit des Asylbewerbers in Italien nicht sichergestellt wäre. Für eine solche Annahme fehlt es an hinreichend belegten Referenzfällen. Auch gibt es für Italien keine ernst zu nehmenden Quellen, wonach sich die Wahrnehmung von Verfahrensrechten (Antragstellung, Einlegung von Rechtsbehelfen etc.) regelmäßig als derart schwierig erweist, dass diese Rechte faktisch leer laufen würden.
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Soweit in der Rechtsprechung dennoch vereinzelt – so u. a. das VG Gießen (Beschl. v. 10.03.2011 - 1 L 468/11.GI.A - Juris) und ihm folgend das VG Magdeburg (Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 -) – die Auffassung vertreten wird, „es erscheine auch die Qualität der Asylverfahren bedenklich“, wird diese Kritik nicht weiter spezifiziert und auch nicht durch entsprechende Erkenntnismittel belegt.
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f) Ebenso lässt sich anhand des dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterials nicht feststellen, dass im Hinblick auf die rechtliche und soziale Situation anerkannter Asylbewerber sowie der Flüchtlinge mit einem Bleiberecht angesichts der in Italien anzutreffenden Lebens- und Versorgungssituation sowie unter Berücksichtigung der insoweit staatlicherseits unternommenen Integrationsbemühungen das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien derartige Mängel aufweist, dass es den Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht mehr entspricht.
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Schutzberechtigte, mithin anerkannte Asylbewerber (Asylberechtigte) und Personen mit subsidiärem Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten mit ihrer Anerkennung ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht; es wird ihnen eine Aufenthaltsberechtigung („permesso di soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.2.).
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Dies bedeutet in der Praxis, dass sie sich – ebenso wie italienische Staatsangehörige – grundsätzlich selbst um eine Unterkunft kümmern und auch in eigener Verantwortung einen Arbeitsplatz suchen müssen. Dafür besteht aber ein freier Zugang zum Arbeitsmarkt (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus besitzen, haben auch das Recht zu arbeiten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, a. a. O.).
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Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.). Anerkannte Asylbewerber und Personen mit einem subsidiären Schutzstatus haben Zugang zu einer Beschäftigung in Italien, wie dies durch Art. 26 und Art. 28 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) garantiert wird.
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Ein staatliches System finanzieller Hilfeleistungen bzw. ein Sozialhilfesystem existiert hingegen nicht. Denn in Italien gibt es für italienische Staatsangehörige – und somit auch für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die ihnen gleichgestellt sind – kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bzw. (sonstige) staatliche Sozialleistungen, jedenfalls soweit sie nicht das 65. Lebensjahr erreicht haben (AA, Auskunft v. 11.07.2012 an das VG Freiburg). Art. 28 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gewährt hinsichtlich der Sozialleistungen nur einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung, nicht aber einen Anspruch auf Privilegierung des anerkannten Flüchtlings.
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Zwar entspricht es der italienischen Kultur, dass es einen engen Familienzusammenhalt gibt, der im Notfall zumindest die Chance eröffnet, eine (gewisse) Unterstützung durch Familienangehörige in Anspruch nehmen zu können. Dass es eine solche vergleichbare Unterstützung unter den ausländischen Landsleuten gibt, die sich aufgrund ihres Schutzstatus dauerhaft in Italien aufhalten, erscheint nicht ausgeschlossen, dürfte aber die Ausnahme sein. Gleichwohl lässt dieser Umstand nach Auffassung des Senats für sich allein nicht schon die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass der anerkannte Flüchtling und sonstige Schutzberechtigte in Italien deshalb der konkreten Gefahr ausgesetzt wäre, „auf der Straße“ zu leben und zu verelenden.
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Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass – ebenso wie italienische Staatsangehörige in einer vergleichbaren Situation – auch anerkannte Asylbewerber und schutzberechtigte Flüchtlinge von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, wie beispielsweise durch die CARITA und CIR, Unterstützung bekommen können (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Die Zuständigkeit für die Festsetzung von derartigen öffentlichen Sozialleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen (z. B. Toskana, Emilia Romagna) wird die Höhe derartiger Leistungen durch die Kommune festgesetzt; die Leistungen weisen insoweit je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft deutliche Unterschiede auf (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Diese Erkenntnis deckt sich im Übrigen mit dem Gutachten der Flüchtlingsorganisation borderline-europe e. V. (Gutachten an das VG Braunschweig vom Dezember 2012) und der Auskunft der italienischen Vereinigung für rechtliche Untersuchungen zur Situation von Einwanderung (ASGI-Bericht vom 20. November 2011, S. 10 f.). Danach erhalten ebenfalls anerkannte Asylbewerber und Personen, denen internationaler Schutz gewährt worden ist, Unterstützungen allgemeiner Art, wie sie auch für andere mittellose Personen in Italien vorgesehen sind.
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Überdies ist für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus ein kostenfreier Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie Arzt, Zahnarzt, Krankenhaus gewährleistet (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Ein Anspruch auf Einhaltung bestimmter Mindeststandards im Hinblick auf die Gewährung von Unterkunft sowie auf eine gewisse materielle Unterstützung besteht für sie auch nach dem Unionsrecht nicht; ein solcher Anspruch besteht nur für Asylbewerber (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 - M.S.S. v. Belgium and Greece; EuGH, Urt. v. 21.12. 2011 - C-411/10 und C-493/10 - N.S. und M.E.), denn nach den Bestimmungen der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 steht Asylbewerbern und Schutzsuchenden zwar ein subjektives Recht auch auf eine angemessene Fürsorge zu. Nach Art. 3 Abs. 1 der genannten Richtlinie haben Asylbewerber jedoch nur solange Anspruch auf die in Art. 5 ff. der Richtlinie bezeichneten humanitären Leistungen, solange sie „als Asylbewerber im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen“. „Asylbewerber“ im Sinne der Richtlinie ist dabei ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde.
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Soweit anerkannten Asylbewerbern und schutzberechtigten Flüchtlingen in der Zivilbevölkerung vereinzelt Vorbehalte entgegen gebracht werden und sich diese Vorbehalte womöglich auch im Verhalten von Amtsträgern widerspiegeln sollten, lässt sich diesem Umstand keine selbständige rechtliche Bedeutung beimessen. Die gilt selbst dann, wenn der genannte Personenkreis im Alltag womöglich Benachteiligungen erfahren sollte. Denn die genannten Umstände lassen nicht den Schluss zu, dass das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien schon allein aus diesem Grunde den Regeln des europäischen Asylsystems zuwiderläuft.
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Nach allem erübrigt sich hier die Erörterung der weitergehenden Frage, ob und inwieweit auch möglicherweise jene (unionsrechtlichen) Rechtsverletzungen für die Entscheidung über den Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO relevant sind, die Personen betreffen, bei denen das Asylverfahren bereits mit einer Anerkennung bzw. mit einem subsidiären Schutzstatus abgeschlossen ist (vgl. hierzu VG Regensburg, Beschl. v. 16.08.2012 - RN 7 S 12.30273 -).
- 131
g) Zur Überzeugung des Senats steht auch bei der gebotenen Zukunftsprognose nicht zu erwarten, dass angesichts eines unvermindert anhaltenden oder wieder zunehmenden Flüchtlingsstroms nach Italien sich die dort anzutreffenden Verhältnisse (wieder) verschlechtern werden. So verhält es sich jedenfalls dann, wenn man bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats Folgendes in Rechnung stellt:
- 132
Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist in Italien gegenwärtig nicht (mehr) von einem Anstieg des Zustroms von Asylbewerbern und Flüchtlingen auszugehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013 Anm. 9.1. und 9.2.). Diese Entwicklung wird auch durch das dem Senat vorliegende Zahlenmaterial belegt. Laut Berichterstattung in der Presse (Spiegel online v. 26.04.2011) haben von Januar bis Ende April 2011 allein 26.000 Flüchtlinge in Italien um Schutz nachgesucht. Demgegenüber wurden laut Auskunft des Auswärtigen Amtes im ersten Halbjahr 2012 nur insgesamt 5.580 Asylanträge in Italien gestellt (AA, Auskunft v. 21.01.2013 Anm. 3.2.).
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Insbesondere ist auch ein deutlicher Rückgang von Anlandungen im Süden Italiens zu verzeichnen. Im Jahr 2011 waren es noch 62.692 Personen, im Jahre 2012 hingegen nur noch 13.267 Personen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1. und 9.2.). Dies ist – wie das Auswärtige Amt in nachvollziehbarer Weise feststellt – vor allem auf die Beruhigung der Lage in den Nordafrikanischen Staaten zurückzuführen (AA, a. a. O.).
- 134
Im Übrigen ist auch in der Gesamtschau des letzten Jahrzehnts nicht von einem kontinuierlichen und erheblichen Zuwachs an Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien auszugehen, so dass etwa deshalb die Annahme einer nicht (mehr) zu bewältigenden “Überlastung“ des Asylsystems in Italien begründet wäre. In der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts waren die Zahlen bis 2006 vielmehr rückläufig, die Zahl der Asylantragsteller ging insoweit von 24.000 auf 10.000 zurück. In den Jahren 2008 und 2011 gab es dann in den Spitzen über 30.000 Asylbewerber, während es im Jahre 2012 allerdings wieder weniger als 15.000 Bewerber waren. Bei den genannten Spitzen handelte es sich somit um temporäre Erscheinungen aufgrund der politischen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem “arabischen Frühling“ (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.2.). Auch ist nach aktueller Einschätzung, namentlich vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in den Mittelmeer-Anrainerstaaten, nicht damit zu rechnen, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien in absehbarer Zeit ansteigen wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.3.).
- 135
Nach allem erweist sich die in der einschlägigen Rechtsprechung vielfach angeführte Begründung, dass wegen der zu erwartenden weiteren Flüchtlingsströme von Afrika nach Italien infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen und der damit einhergehenden instabilen Verhältnisse in Nordafrika sich die Entwicklung in Italien in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern, sondern eher noch verschlechtern wird (so u. a. VG Stuttgart, Beschl. v. 02.07.2012 - A 7 K 1877/12 -
) als nicht (mehr) tragfähig.
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Insbesondere lässt sich auch der Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen – UNHCR – vom 24. April 2012 an das Verwaltungsgericht Braunschweig kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass ernsthaft zu befürchten ist, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien grundlegende Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufweisen. Nach dem Inhalt dieser Stellungnahme wurden in Italien die regionalen Regierungen im Jahr 2011 nach Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika ausdrücklich gebeten, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden wurde zudem eine Vereinbarung getroffen, in der die Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Der UNHCR erkennt vor diesem Hintergrund an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben und die CARA-, CDA- und SPRAR-Projekte insgesamt in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl von Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR, a. a. O. S. 3).
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Dass die Verhältnisse zwischen Italien und Griechenland – wie gelegentlich behauptet wird – vergleichbar sind, vermag der Senat nicht festzustellen. Dies bedarf aber auch keiner Vertiefung, weil es hierauf nicht entscheidend ankommt. Dennoch bleibt festzustellen, dass der UNHCR – anders als in Bezug auf Griechenland – für Italien jedenfalls keine Empfehlung ausgesprochen hat, von einer Überstellung bzw. Abschiebung von Dublin-II-Flüchtlingen nach Italien abzusehen. Der Senat misst diesem Umstand kein geringes Gewicht bei. Soweit vereinzelt der Einwand erhoben wird, dies sei dem Umstand geschuldet, dass der UNHCR „politische Rücksichten zu nehmen habe“, ist dies durch Nichts belegt. Zwar hat – ausweislich des Tagungsberichts von Nora Markard zum 12. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz vom 18.-19. Juni 2012 in Berlin (ZAR 10/2012 S. 380 ff. S. 381 zur Situation in Italien) – der UNHCR Senior Regional Protection Associate Jürgen Humberg im Hinblick auf die deutsche Debatte über die Zulässigkeit von Abschiebungen nach Italien angeblich betont, dass der Umstand, dass der UNHCR bisher kein Positionspapier zu Italien veröffentlicht habe, nicht bedeute, dass in Italien „alles in Ordnung sei“; eine solche Schlussfolgerung, den einige Verwaltungsgerichte zögen, sei unzulässig. Auch diese Äußerung veranlasst den Senat nicht zu einer anderen Einschätzung im Hinblick darauf, dass sich der UNHCR – anders als in anderen Fällen – einer entsprechenden offiziellen Stellungnahme bzw. Empfehlung, von einer Rückführung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen, enthalten hat. Dies bedeutet keineswegs, dass der Senat der Auffassung wäre, in Italien „sei alles in Ordnung“; hieraus aber folgt eben noch nicht, dass in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in Italien systemische Mängel feststellbar sind, die eine Verletzung der Europäischen Grundrechtscharta oder der Menschenrechtskonvention darstellen.
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Festzustellen bleibt überdies, dass der UNHCR auch in seinem jüngsten Bericht (UNHCR - Recommendations on important aspects of Refugee protection in Italy) vom Juli 2013 trotz zahlreicher kritischer Anmerkungen bei seiner Einschätzung zur aktuellen Lage der Flüchtlinge und Asylbewerber in Italien zu keinem anderen Ergebnis gekommen ist.
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Schließlich hat auch der EGMR in einer neueren Entscheidung vom 02. April 2013 (Ap-plication No. 27725/10 - Mohammed Hussein vs. the Netherlands and Italy) eine gegen die Dublin-Überstellung von den Niederlanden nach Italien gerichtete Beschwerde als offensichtlich unbegründet abgewiesen. In der Entscheidung hat sich der EGMR mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, einer nach eigenen Angaben aus Somalia stammenden Frau mit zwei kleinen Kindern, zum Asylverfahren und auch zur Unterbringungssituation in Italien auseinander gesetzt und festgestellt, dass die Situation in Italien keineswegs mit der in Griechenland vergleichbar sei (Entscheidung v. 02.04. 2013, a. a. O. Rdn. 72). Auch aus dem Umstand, dass der EGMR in einer früheren Entscheidung (Application No. 64208/11) die Abschiebung eines Asylbewerbers von Deutschland nach Italien gestoppt hat, lässt sich nicht herleiten, dass Italien generell die Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht erfüllt. Die Gründe für den mit der genannten Entscheidung verhängten Abschiebungsstopp sind letztlich nicht bekannt. Dem „Statement of Facts“ ist indes zu entnehmen, dass sich der dortige Antragsteller zwar auch auf die Lebensumstände von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Italien berufen hat, jedoch insbesondere im Raum stand, dass er durch die Abschiebung aufgrund unterschiedlicher Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Münster und Magdeburg von seiner Frau und seinen Kindern getrennt werden würde, deren Abschiebung gestoppt wurde. Weitere Fälle des EGMR (Application No. 30815/09, Application No. 37159/09, Application No. 56424/10) betrafen unbegleitete Minderjährige und die spezielle Situation einer Mutter mit einem minderjährigen Kind (Application No. 2303/10).
- 140
Im Übrigen haben sowohl der Österreichische Asylgerichtshof (Spruch v. 03.05. 2010 - S16 412.104-1/2010-4E -, veröffentlicht unter http://www.ris.bka.gv.at, dort insbes. Ziffer 2.2.2.2.1. "Kritik am italienischen Asylwesen" m. w. N.) als auch das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht (vgl. u. a. Urt. v. 15.07.2010 - D 4987/ 2010 - und Urt. v. 18.03.2010 - D-1496/2010 -, im Internet abrufbar unter: http://www.bundes verwaltungsgericht.ch/index/entscheide/Jurisdiction-datenbank/Jurisdiction-recht-urteile aza.htm) die Rückführung von Asylsuchenden nach Italien in Ansehung der dortigen Asylverfahrenspraxis grundsätzlich als zulässig angesehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der angeführten Entscheidungen Bezug genommen.
- 141
Auch der Umstand, dass zahlreiche Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien zu einer gegenteiligen Einschätzung hinsichtlich der Verhältnisse und des Asylsystems in Italien gelangt sind, veranlasst den Senat nicht zur Annahme, dass die Behandlung der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien nicht in Einklang steht mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nach Auffassung des Senats wird in der insoweit einschlägigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte häufig nicht hinreichend dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich bei den zugrunde gelegten Erkenntnismitteln nicht selten um bloße subjektive Einschätzungen handelt, die nicht in der erforderlichen Weise durch Fakten belegt sind. Auch erscheint mitunter fraglich, ob die insoweit festgestellten Mängel und Defizite verallgemeinerungsfähig sind. Nicht zuletzt haben sich die Verhältnisse in Italien – wie dargelegt – zwischenzeitlich teilweise geändert, so etwa in Bezug auf den Flüchtlingsstrom aus Nordafrika und die Anzahl der für die Asylbewerber und Flüchtlinge zur Verfügung stehenden Unterkünfte. Im Übrigen ist Gegenstand der Prüfung nach § 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) nicht die Frage, ob die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren für Flüchtling und Asylbewerber kritikwürdig sind, weil das System zahlreiche Mängel aufweist oder hinter dem Schutzniveau anderer Mitgliedstaat zurückbleibt.
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Der Senat sieht auch keine Veranlassung, weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien einzuholen. Nach anerkannter Rechtsauffassung ist die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nur dann geboten, wenn sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung aufdrängen musste, weil bereits vorliegende Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen nicht den ihnen obliegenden Zweck erfüllen (konnten), dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts notwendige Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. In diesem Sinne kann z. B. ein Sachverständigengutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet oder jedenfalls unzureichend sein, wenn es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn es von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht (BVerwG, Beschl. v. 14.04.2011 - 2 B 80/10 - m. w. N., Juris). Dies ist hier aber nicht der Fall. Zwar sind die dem Senat vorliegenden zahlreichen Gutachten, Auskünfte und Stellungnahmen nicht in allen Punkte stets konsistent und völlig frei von gewissen Widersprüchen; soweit es indes die im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Tatsachen und Erkenntnisse betrifft, sind diese aufgrund der herangezogenen Erkenntnismittel zur Überzeugung des Senats hinreichend geklärt und eindeutig und mithin für die Überzeugungsbildung ausreichend.
- 143
Der Senat sieht insbesondere auch keine Veranlassung, an der Tauglichkeit des vorhandenen Erkenntnismaterials für die hier entscheidungsrelevanten Fragen zu zweifeln. Dies gilt speziell auch hinsichtlich des Beweiswertes der Auskünfte des Auswärtigen Amtes, da sie grundsätzlich eine sich auf unterschiedliche Erkenntnisquellen stützende Gesamtbewertung vornehmen und zudem im Allgemeinen den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten kommen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.08.2006 - 1 B 24.06 - Juris; Beschl. v. 06.10.1997 - 9 B 803.97 - Juris; Beschl. v. 08.09.1997 - 9 B 401.97 -; Beschl. v. 15.10. 1985 - 9 C 3.85 - Juris sowie Beschl. v. 31.07.1998 - 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28 = Juris). Nicht anders verhält es sich hier. So beruhen die den Auskünften des Auswärtigen Amtes zugrunde liegenden Erkenntnisse auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR, UNHCR und IOM in Rom, den Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Amtes ISTAT sowie schließlich auf Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen wie Carita Migrantes, Comunità di Sant’ Egidio u. a..
- 144
Nach allem vermag der Senat nicht zur Überzeugung zu gelangen, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 21.12.2011, a. a. O.) die Annahme rechtfertigen, dass die Klägerin aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Abschiebung bzw. Überstellung dorthin Gefahr laufen wird, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 3 EMRK und § 4 EuGrdRCH ausgesetzt zu werden und dass sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig erweist.
III.
- 145
Soweit das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid zugleich die Abschiebung der Klägerin nach Italien gem. § 34 Abs. 1 AsylVfG angeordnet hat, bestehen gegen die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung keine Bedenken.
- 146
§ 34a AsylVfG überantwortet die Entscheidung über die Abschiebung dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, so dass dieses die Abschiebungsanordnung verfügt. Das Bundesamt ordnet dabei nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Abschiebungsverbote sind nicht ersichtlich.
- 147
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
- 148
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§§ 132 Abs. 2, 137 VwGO).
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tatbestand
- 1
Die Klägerin ist am (…) 1947 in H. in Syrien geboren. Sie ist verheiratet, yezidischen Glaubens, kurdische Volkszugehörige und sie besitzt die syrische Staatsangehörigkeit. Nach eigenen Angaben reiste sie – zusammen mit ihrer Tochter (...) sowie drei weiteren Kindern – von Syrien kommend am 01. August 2011 zunächst nach Italien, wo sie erkennungsdienstlich behandelt wurde und am 21. August 2011 in B-Stadt einen Asylantrag stellte, und alsdann am 07. September 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 12. September 2011 stellte sie bei der Außenstelle des Bundesamtes in H-Stadt einen (weiteren) Asylantrag.
- 2
Die Beklagte richtete unter dem 07. Februar 2012 an Italien ein Übernahmeersuchen gem. Art. 10 Dublin-II-VO (Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 10.02.2003). Mit Schreiben vom 16. Februar 2012 erklärten die italienischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags der Klägerin.
- 3
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag der Klägerin mit Bescheid vom 13. Juni 2012 als unzulässig ab und ordnete ihre Abschiebung nach Italien an. Nach der Dublin-Verordnung sei Italien für die Bearbeitung ihres Asylantrags zuständig; außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach § 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich.
- 4
Die Klägerin hat am 29. Juni 2012 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, sie könne wegen der allgemeinen Situation von Asylbewerbern in Italien nicht darauf verwiesen werden, in Italien ein Asylverfahren durchzuführen, weil davon auszugehen sei, dass das Asylverfahren dort nicht ordnungsgemäß durchgeführt würde. Sie besitze einen Anspruch auf Asyl und Flüchtlingsschutz sowie Abschiebungsschutz; hierüber sei durch das Bundesamt zu entscheiden.
- 5
Die Klägerin hat beantragt,
- 6
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen und dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gegeben sind.
- 7
Die Beklagte hat beantragt,
- 8
die Klage abzuweisen.
- 9
Sie hat die Ansicht vertreten, Italien erfülle bei der Durchführung von Asylverfahren die Mindeststandards der Europäischen Union. In den italienischen Aufnahmeeinrichtungen seien zahlreiche humanitäre Organisationen tätig, die dies gewährleisten würden. Insbesondere hätten Asylbewerber in Italien vollen Zugang zum Gesundheitssystem. Anders als im Fall Griechenlands gebe es keine Empfehlung des UNHCR, Flüchtlinge nicht an Italien zu überstellen. Dementsprechend habe das Bundesverfassungsgericht auch Verfassungsbeschwerden gegen erstinstanzliche Entscheidungen, denen zufolge eine Abschiebung nach Italien möglich sei, nicht zur Entscheidung angenommen. Ferner sei eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen ergangen, wonach die asylrechtlichen Mindeststandards in Italien gewährleistet seien und woraus sich ergebe, dass der Bericht von Bethke und Bender zu den Problemen der Flüchtlinge in Italien kritisch zu betrachten sei.
- 10
Auf den Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 07. März 2012 – 9 B 57/12 MD – die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung der Klägerin nach Italien vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu unterlassen.
- 11
Mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 verpflichtet, über den Asylantrag der Klägerin in eigener Zuständigkeit zu entscheiden und ein Asylverfahren durchzuführen. Die Klägerin habe nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchführe; das insoweit bestehende Ermessen der Beklagten sei auf Null reduziert. Der Klägerin könne die Durchführung eines Asylverfahrens in Italien nicht zugemutet werden.
- 12
Der Senat hat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Zulassungsantrag, wonach sie an ihrer bisherigen Auffassung festhält, die Klägerin könne in Anbetracht der in Italien gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse auf die Durchführung eines Asylverfahrens dort verwiesen werden.
- 13
Die Beklagte beantragt,
- 14
die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 9. Kammer - vom 10. Juli 2012 abzuweisen.
- 15
Die Klägerin beantragt,
- 16
die Berufung zurückzuweisen.
- 17
Sie macht geltend, die Beklagte beziehe sich zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen auf bloße Vorschriften und eine nicht mehr aktuelle Rechtsprechung, während neue Berichte nicht zur Kenntnis genommen würden. Der Auffassung der Beklagten sei im Hinblick auf die humanitäre Situation in Italien entgegen zu halten, dass sich die Situation der Flüchtlinge in Italien aufgrund des anhaltenden Flüchtlingsstroms aus Tunesien und anderen nordafrikanischen Staaten dramatisch verschlechtert habe. Italien sei bereits zuvor mit der Aufnahme von Flüchtlingen und deren ordnungsgemäßer Unterbringung überfordert gewesen. Aufgrund des momentanen Flüchtlingsstroms nach Italien habe sich die Situation noch verschlechtert; es sei damit zu rechnen, dass der Klägerin bereits aus diesem Grunde ein ordnungsgemäßes Asylverfahren verwehrt werde und dass sie obdachlos würde. Im Übrigen dürfe nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs (Urteil v. 21.12.2011 - C-411/11, C-493/10 -) ein Asylbewerber bereits dann nicht an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-II-VO überstellt werden, wenn ernsthafte Hinweise auf systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat vorlägen, die eine Gefährdung des Asylbewerbers nahe legen würden. Solche ernsthaften Hinweise lägen hier vor. Die vorliegenden Berichte und sonstigen Erkenntnismittel gingen davon aus, dass das staatliche Aufnahmesystem in Italien völlig überlastet sei. Es existierten 3.000 Plätze, die eine Aufnahme von Asylbewerbern für jeweils nur sechs Monate vorsehen würden. Im Jahre 2011 hätten indessen laut Presseberichterstattung (Spiegel online v. 26.04.2011) in Italien bis Anfang Mai bereits 26.000 Flüchtlinge um Schutz nachgesucht.
- 18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten und auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten (Beiakte A) sowie auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 19
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Klägerin mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 zu Unrecht stattgegeben.
- 20
I. Die Klage ist teilweise unzulässig.
- 21
1. Die als Verpflichtungsklage erhobene Klage ist “lediglich“ als Anfechtungsklage zulässig. Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juni 2012 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag der Klägerin gem. § 27a AsylVfG (wegen fehlender Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland) unzulässig ist, ist allein die Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01. 2010 - 11 K 8136/09 -; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009,409; Urt. v. 29.09.2009 - 7 K 269/09.F.A -; Urt. v. 23.06. 2010 - 7 K 2789/09.F.A. -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11. 2011 - AN 11 S 11.30508 -; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -; Beschl. v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A. -; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, alle: Juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27a Rdnr. 18; a. A. statthaft nur die Verpflichtungsklage: OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A - Juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/ 09.WI.A -).
- 22
Im Fall der Aufhebung einer – wie hier – auf § 27a AsylVfG gestützten Entscheidung wegen Unzulässigkeit des Asylantrages ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens („in eigener Zuständigkeit“) vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch ohne ein hierauf gerichtetes Verpflichtungsbegehren eröffnet. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides bereits von Gesetzes wegen zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet (vgl. § 31 Abs. 2 AsylVfG zur Entscheidung des Bundesamtes über beachtliche Asylanträge). Da grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, bedarf es demzufolge einer Verpflichtungsklage nicht (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01.2010, a. a. O.; vgl. auch VG Frankfurt/Main, Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.).
- 23
Überdies muss bezweifelt werden, ob es sich bei der Entscheidung nach Art. 3 Abs. 2 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist – Dublin-II-VO – [z. T. auch „EG-AsylZustVO“ genannt] – (ABl. L 50 vom 25.02.2003, S. 1 -10) um einen (selbständigen) Verwaltungsakt handelt, so dass eine Verpflichtungsklage bzw. – unter Berücksichtigung des im Rahmen der genannten Vorschrift eingeräumten Ermessens – eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung in Betracht kommt, oder ob es sich bei der gem. § Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zu treffende Entscheidung nicht um eine bloß inzidente handelt, da es allein um die Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten geht.
- 24
Ebenso scheidet eine Verpflichtungsklage aus, die unmittelbar auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. § 16a GG bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG oder aber - hilfsweise - auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichtet ist. Denn eine Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht nur dann, wenn ein „mit seinem Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebener Ausländer“ den Klageweg beschreitet (BVerwG, Urt. v. 06.07.1998 - 9 C 45.97 - BVerwGE 107, 128 ff.). Hat hingegen das Bundesamt (noch) keine Sachentscheidung getroffen, so würde dem Betroffenen in dem Falle des “Durchentscheidens“ des Gerichts durch Verpflichtungs-urteil eine Tatsacheninstanz genommen, nämlich dass eine inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgt (ebenso: VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.; VG Schleswig, Urt. v. 03.08. 2011 - 1 A 46/11 - und Beschl. v. 12.09.2011 - 12 A 124/10 -; a. A. VG Braunschweig, Urt. v. 21.02.2013 - 2 A 126/11 - u. a. mit Verweis auf VGH Mannheim, Urt. v. 19.06.2012 - A 2 1355/11 -, Juris).
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Im Übrigen verhält es sich bei der Entscheidung nach § 27a AsylVfG ähnlich wie in Fällen der Entscheidung des Gerichts über eine Einstellung des Asylverfahrens nach§ 32 AsylVfG wegen vermeintlicher Antragsrücknahme bzw. Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG sowie in den Fällen der gerichtlichen Entscheidung bei fiktiver Antragsrücknahme nach§ 33 AsylVfG. In den genannten Fällen ist nach der hierzu ergangenen einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94 -, NVwZ 1996, S. 80 = Juris; vgl. auch Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m. w. N.) die Verpflichtungsklage unzulässig, weil die verweigerte sachliche Prüfung des Asylantrages nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen ist.
- 26
Auch ist im Hinblick auf die mit dem angefochtenen Bescheid angeordnete Abschiebung der Klägerin nach § 34a Abs. 1 AsylVfG die Verpflichtungsklage nicht veranlasst und stattdessen eine Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO ausreichend (vgl. VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O. und Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 34a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a. a. O., § 34a Rdnr. 64). Soweit es nämlich darum geht, dass die Beklagte von einem Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02. September 2003 (Abl. L 222 S. 3) Gebrauch macht, bedarf es im Urteil über eine entsprechende inzidente Feststellung hinaus keiner ausdrücklichen Verpflichtung der Beklagten, von einer Abschiebung abzusehen.
- 27
Es ist vorliegend davon auszugehen, dass die Anfechtungsklage vom Verpflichtungsbegehren der Klägerin (mit-)umfasst ist. Gegenstand der Anfechtungsklage ist nach allem ausschließlich die Frage nach der Zuständigkeit der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens, wobei die Frage nach dem rechtlich gebotenen Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland inzident zu beantworten ist.
- 28
2) Der Klägerin steht für ihre Klage auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse zur Seite, da sie weiterhin nach Italien zurückgeführt bzw. rücküberstellt werden könnte, nachdem die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 d. Sachakte) ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung ihres Asylantrags erklärt haben, indem sie dem Übernahmeersuchen stattgegeben und damit ihrer Rücküberstellung zugestimmt haben.
- 29
II. Die Klage ist im Übrigen unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Asylantrag der Klägerin zu Recht als unzulässig abgelehnt und zugleich ihre Abschiebung nach Italien angeordnet. Es musste im vorliegenden Fall insbesondere auch nicht von der Möglichkeit des Selbsteintritts der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch machen.
- 30
1) Rechtsgrundlage des Bescheides vom 13. Juni 2012, mit dem das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin als unzulässig abgelehnt hat, ist § 27a AsylVfG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier der Fall. Zu Recht ist die Beklagte im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass die Republik Italien für die Durchführung eines Asylverfahrens der Klägerin zuständig ist.
- 31
a) Die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO, sofern nicht die nach Art. 5 Abs. 1 der genannten Verordnung vorrangig zu prüfenden Zuständigkeitskriterien nach Art. 6 bis 9 der Verordnung einschlägig sind.
- 32
Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, sofern auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 der Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III derVerordnung (EG) Nr. 2725/2000, festgestellt wird, dass der Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze des Mitgliedstaats illegal überschritten hat (vgl. auch Art. 18 Abs. 4 und 5 Dublin-II-VO).
- 33
Dies bedeutet, dass – soweit nicht die Vorschriften nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO einschlägig sind – im vorliegenden Fall Italien für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zuständig ist, da sie ihren eigenen Angaben zufolge aus Syrien kommend die Grenze nach Italien illegal überschritten hat (und dort – in B-Stadt – am 21. August 2011 zugleich einen Asylantrag gestellt hat [Bl. 108 ff. d. Sachakte]).
- 34
Die insoweit gegebene Zuständigkeit endet zwar gem. Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Die Klägerin hat jedoch am 12. September 2011 und damit noch vor Ablauf der Jahresfrist ihren Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt, so dass die Zuständigkeit Italiens nicht nach Satz 2 entfallen ist. Die Einreise der Klägerin nach Italien erfolgte am 07. September 2011; die Jahresfrist lief somit am 07. September 2012 ab. Dass die Frist nunmehr abgelaufen ist, ist unschädlich, weil für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Art. 5 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Situation in dem Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
- 35
b) Im Falle der Klägerin sind auch die Voraussetzungen nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich Art. 7 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist, wo ungeachtet dessen, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat, der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, sowie hinsichtlich Art. 8 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – dem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrages obliegt, in dem der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, über dessen Asylantrag noch keine erste Sachentscheidung getroffen wurde. Die genannten Vorschriften sind im Falle der Klägerin jedoch nicht einschlägig.
- 36
Es ist schon nicht ersichtlich, dass die nach Art. 7 und 8 der Verordnung genannten Voraussetzungen bei der Tochter der Klägerin, mit der sie zusammen in das Bundesgebiet eingereist ist, oder bei ihren in Deutschland lebenden volljährigen Kindern vorliegen. Dies kann aber auch dahin stehen. Denn jedenfalls gelten die genannten Personen nicht als „Familienangehörige“ i. S. d. Dublin-II-VO. Hierzu gehört nach Art. 1 Buchst. i) der Verordnung nur die Mitglieder der “Kernfamilie“, d. h. die Ehegatten des Asylbewerbers und unter bestimmten Voraussetzungen der nicht verheiratete Partner des Asylbewerbers, die minderjährigen Kinder der genannten Personen sowie bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern oder Flüchtlingen der Vater, die Mutter oder der Vormund. Ein solches Verwandtschaftsverhältnis der Klägerin zu den mit einreisenden bzw. in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kindern besteht jedoch nicht.
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c) Ebenso sind bei der Klägerin die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Nach Art.15 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien der Verordnung nicht zuständig ist. Dass die Klägerin vorliegend aus humanitären Gründen mit ihren Familienangehörigen zusammenzuführen ist und nicht auch auf ein eigenständiges Leben in Italien verwiesen werden kann, zumal ihre Kinder teilweise in Deutschland, teilweise in Österreich leben bzw. teilweise ihr Aufenthalt unbekannt ist, lässt sich nicht feststellen. Die Klägerin befindet sich in Begleitung ihrer volljährigen Tochter; beide sind reisefähig und nach Italien zu überstellen.
- 38
Ebenso sind die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt, wonach im Regelfall von einer Trennung der Familienangehörigen abzusehen bzw. eine Zusammenführung vorzunehmen ist, wenn die betroffene Person u. a. wegen einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung durch die anderen Person(en) angewiesen ist. Diese Voraussetzungen liegen bei der 67-jährigen Klägerin nicht vor; entsprechendes ist jedenfalls nicht vorgetragen worden.
- 39
Eine andere Einschätzung ist auch nicht im Hinblick auf die einleitende Erwägung zu Nr. 6 Dublin-II-VO veranlasst, wonach die Einheit der Familie (grundsätzlich) gewahrt bleiben soll, soweit dies mit den sonstigen Zielen vereinbar ist, die mit den Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrages zuständigen Mitgliedstaats angestrebt werden. Nicht anders verhält es sich mit Blick auf die einleitende Erwägung nach Art. 7 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach die Mitgliedstaaten von den Zuständigkeitskriterien abweichen können, um eine räumliche Annäherung von den Familienmitgliedern vorzunehmen, soweit dies aus humanitären Gründen erforderlich ist. Bei den genannten Regelungen handelt es sich indes um bloße programmatische Vorgaben, aus denen sich, unabhängig davon, dass die Voraussetzungen hier nicht vorliegen dürften, für die Asylbewerber keine unmittelbaren Rechte ableiten lassen.
- 40
d) Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Zwar hat das Bundesamt nicht innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags der Klägerin vom 12. September 2011 ein Wiederaufnahme- bzw. Übernahmeersuchen an die Republik Italien gestellt; das war indes auch nicht erforderlich. Da die Klägerin bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hat, steht in ihrem Fall eine Wiederaufnahme durch Italien im Sinne des Art. 16 Abs.1 c) bis e) Dublin-II-VO in Rede, nicht hingegen eine Aufnahme seitens Italiens im Sinne des Art. 16 Abs.1 a) Dublin-II-VO. Die Dublin-II-VO unterscheidet insoweit gem. Art.16 Abs.1 lit. a) einerseits und Art. 16 Abs. 1 lit. c) bis e) andererseits zwischen der Überstellung des Asylsuchenden in einem Aufnahmeverfahren gemäß den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO und einer Überstellung im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 20 Dublin-II-VO. Das Aufnahmeverfahren findet statt, wenn der Asylsuchende im ersuchten Mitgliedstaat noch keinen Asylantrag gestellt hat, während das Wiederaufnahmeverfahren einschlägig ist, wenn dort bereits ein Asylantrag gestellt wurde. Insofern wird der Anwendungsbereich der nachfolgenden Art. 17 bis 20 Dublin-II-VO durch Art. 16 Dublin-II-VO bestimmt.
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Aus der systematischen Trennung zwischen Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren folgt, dass im Wiederaufnahmeverfahren keine Frist für das Übernahmeersuchen gilt, denn die insofern allein maßgebliche Regelung des Art. 20 Dublin-II-VO normiert weder selbst eine solche Frist, noch nimmt sie auf die für das Aufnahmeverfahren geltende Regelung in Art. 17 Abs.1 Dublin-II-VO Bezug. Es verhält sich gerade nicht in der Weise, dass Art. 20 Dublin-II-VO nur spezielle Modalitäten für die Wiederaufnahme regelt und im Übrigen die Regelungen der Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO anwendbar wären. Vielmehr handelt es sich bei den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO einerseits und dem Art. 20 Dublin-II-VO andererseits um jeweils eigenständige Regelungskomplexe (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 06.02.2013 - 17 L 150/13.A -; Beschl. v. 26.04.2013 - 17 K 1777/12.A -; VG Hamburg, Beschl. v. 22.09.2005 - 13 AE 555/05 -; VG Augsburg, Gerichtsbescheid v. 09.05.2011 - Au 3 K 10.30468 - Juris; VG Regensburg, Beschl. v. 05.07.2013 - RN 5 S 13.30273 -; VG Göttingen, Beschl. v. 11.10.2013 - 2 B 805/13 -; a.A.: VG Düsseldorf, Beschl. v. 07.08. 2012 - 22 L 1158/12.A -, alle: Juris).
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Art. 17 Abs.1 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, zuständig wird, wenn das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten unterbreitet wird, findet im Fall der Klägerin folglich keine Anwendung, so dass sich hieraus auch keine Zuständigkeit der Beklagten ergibt. Dementsprechend haben die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 R, 116 d. Sachakte) auch ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme bzw. Übernahme der Klägerin erteilt.
- 43
e) Ferner ist die Zuständigkeit nicht nach Art. 19 Abs. 3 und 4 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO erfolgt die Überstellung des Schutzsuchenden von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin-II-VO i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Dabei ist unerheblich, dass die Entscheidung der Beklagten nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 der Verordnung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat; allein entscheidend ist, dass ihr eine solche durch eine entsprechende gerichtliche Entscheidung zuerkannt worden ist (vgl. Hess.VGH, Beschl. v. 23.08.2011 - 2 A 1863/10.Z.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.06.2012 - A 2 S 1355/11 -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; offengelassen: OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -, alle: Juris).
- 44
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 02. August 2012 - 4 MC 133/12 - (< Rn. 17 zitiert nach Juris >) zu § 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO und zu dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin-II-VO grundsätzlich vorgesehenen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ausgeführt:
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„Der Annahme der aufschiebenden Wirkung des hier eingelegten Rechtsbehelfs steht auch nicht die Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 Satz 4 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 entgegen. Danach hat ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nach Absatz 1 keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem inner-staatlichen Recht zulässig ist. Zwar darf nach § 34a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) nicht nach§ 80oder § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung ausgesetzt werden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass durch diese Vorschrift eine andere Entscheidung im Sinne von Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Hs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts ausgeschlossen ist und daher ein Rechtsbehelf wegen § 34a Abs. 2 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 haben kann. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr ausdrücklich entschieden, dass der Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 34a Abs. 2 AsylVfG in den Fällen, in denen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) erfolgen soll, in Ausnahmefällen, die nicht vom „normativen Vergewisserungskonzept“ des Gesetzgebers über die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in einem sog. sicheren Drittstaat erfasst sind, der Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz gegen eine sofortige Überstellung nicht entgegensteht (BVerfG, Urt. v. 14.5. 1996, a. a. O.). Diese Rechtsprechung wird - soweit ersichtlich - von den Verwaltungsgerichten auf die Abschiebung in einen anderen Staat, der nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, mit der Begründung übertragen, dass die vom Bundesverfassungsgericht angestellten Erwägungen zu § 26a AsylVfG auch auf die Vorschrift des§ 27a AsylVfG zutreffen, weil die nach europäischen Recht für die Asylentscheidung zuständigen Mitgliedstaaten zugleich sichere Drittstaaten im Sinne von § 26a AsylVfG sind (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 1.3.2012 - 1 B 234/12.A - und v. 11.10. 2011 - 14 B 1011/11.A -; ferner Nds. OVG, Beschl. v. 2.5.2012 - 13 MC 22/22 - und Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-). Unter diesen Umständen kann daher keine Rede davon sein, dass es nach der innerstaatlichen Rechtslage in Deutschland unzulässig sei, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellung auf der Grundlage der Zuständigkeitsbestimmungen in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 anzuordnen. Unabhängig davon stellt die für den Fristenbeginn der Überstellung maßgebliche Vorschrift des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 nach ihrem Wortlaut auch ausdrücklich darauf ab, dass einem eingelegten Rechtsbehelf tatsächlich aufschiebende Wirkung zukommt und nicht darauf, ob es nach dem innerstaatlichen Recht zulässig ist, die aufschiebende Wirkung anzuordnen (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-).
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Läuft danach die Frist zur Überstellung aufgrund des von dem Antragsteller eingelegten Rechtsbehelfs erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens bezüglich der Durchführung der Überstellung entschieden wird und die der Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann, kann dahinstehen, ob insoweit das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn bereits ausreichend ist oder es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf (so Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.“
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Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an und macht sie sich zu Eigen.
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Da die Klägerin – nach Erlass des angefochtenen Bescheides vom 13. Juni 2012 – gegen ihre Überstellung innerhalb der Frist, bis zu der gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin-II-VO ihre Überstellung nach Italien vorbehaltlich eventuell zu treffender weiterer Maßnahmen erfolgen konnte, einen Rechtsbehelf gegen ihre Überstellung eingelegt hat, dem mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom Beschluss vom 07. März 2012 - 9 B 56/12 MD - aufschiebende Wirkung beigemessen worden ist, beginnt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO eine (neue) sechsmonatige Frist zur Überstellung der Klägerin (erst) ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Klage. Diese Frist ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch nicht abgelaufen, denn der Senat hat dem Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 entsprochen. Nach allem kann hier dahingestellt bleiben, ob im Grundsatz das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn hinsichtlich der Überstellung bereits ausreichend ist oder ob es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf, da die Klägerin jedenfalls erstinstanzlich obsiegt hat.
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2) Die Beklagte ist für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin auch nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zuständig, denn die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, das Selbsteintrittsrecht auszuüben.
- 50
Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-II-VO zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (a. a. O. Satz 3). Ob der Mitgliedstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht dabei grundsätzlich in seinem Ermessen, welches – weil integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen Europäischen Asylsystems (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/ 10 und C-493/10 -,
) – in Übereinstimmung mit den insoweit geltenden unionsrechtlichen Bestimmungen und von den Mitgliedstaaten verfolgten Zielen auszuüben ist.
- 51
Art. 3 Dublin-II-VO ist auch geeignet, subjektive Rechte der Klägerin zu begründen, die von ihr gegen eine vorgesehene Überstellung (Rückführung) in den nach dieser Verordnung für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat geltend gemacht werden können (vgl. dazu den Vorlagebeschluss des Hess.VGH v. 22.12.2010 - 6 A 2717/09.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02. 08.2012 - 4 MC 133/12 - m. w. N., Juris; ferner Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 37 ff. m. w. N.). Denn auch wenn es sich bei Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO um eine Ermessensvorschrift handelt, kann sich der Betroffene – hier die Klägerin – auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gem. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung berufen. Diese Bestimmung ist – anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 25) – nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ihm ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Begünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung der Rechtsnorm besitzen (vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62 -, Slg. 1963, 1 [24] = NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04. 12.1974 - Rs. C-41/74 -, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81 -, Slg. 1982, 53 [71] = NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Dublin-II-VO dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 124 m. w. N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der Europäische Gerichtshof in dem zur Dublin-II-VO ergangenen Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 – (Rdnr. 38, 48 zur Frage des Rechtsschutzes, NVwZ 2009, S. 639 = Juris) aus.
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Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO lediglich das Recht auf eine fehlerfreie Ermessensausübung – welches gegebenenfalls aber auf Null reduziert sein kann (vgl. VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08. 30122 -; Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 134 f. und 223 m. w. N.; Marx, a. a. O. § 27a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser / Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/ Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u. a. und des Belgischen Conseil d'Etat / Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).
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Aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck in der Norm selbst nicht seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 220; Filzwieser / Liebminger, a. a. O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 EG-Vertrag in der Fassung des Amsterdamer Vertrages vom 02. Oktober 1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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Nach Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) EG-Vertrag beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie mit einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Dublin-II-VO erlassen. Im Erwägungsgrund Nr. 5 wird hierzu ausgeführt, dass bezüglich der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf längere Sicht zu einem gemeinsamen Asylverfahren und einem unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird, führen sollte, im derzeitigen Stadium die Grundsätze des am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichneten Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gestellten Asylantrags(4) (nachstehend „Dubliner Übereinkommen“ genannt), dessen Durchführung die Harmonisierung der Asylpolitik gefördert hat, mit den aufgrund der bisherigen Erfahrungen erforderlichen Änderungen beibehalten werden sollten. Weiterhin wird insbesondere im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - EuGrdRCh - anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 EuGrdRCh verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
- 55
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, Juris) lässt das im EU-Vertrag vorgesehene und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeitete gemeinsame Europäische Asylsystem allerdings die Annahme begründet erscheinen, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 (GFK) sowie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - (EMRK) finden. Es gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta und der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. M. a. W. ausgehend von der Annahme, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i. S. d. Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz (GG) bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden „Konzepts der normativen Vergewisserung“ (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/133 - Juris, Rn. 179 ff.) bzw. des „Prinzips des gegenseitigen Vertrauens“ (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - Rs C-411/10 und C-393/10 – Juris, Rn. 79 ff.) grundsätzlich davon auszugehen, dass die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Grundrechtscharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention in diesen Ländern sichergestellt ist. Auch die Dublin-II-Verordnung beruht wie jede andere auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK, der EMRK und der EuGrdRCh in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und Nr. 12 Dublin-II-VO und Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EG-Vertrag, - so auch VG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 02.10.2008 - 6 B 56/08-, Juris und VG Regensburg, Beschl. v. 15.09.2008 - RO 3 E 08.30124 - Juris).
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Dies bedeutet zugleich, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris) ein Ausländer, der in einen sicheren Drittstaat zurück verbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern kann, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Für ihn kommen deshalb entsprechend dem mit Art. 16a Abs. 2 GG verfolgten „Konzept normativer Vergewisserung“ über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, grundsätzlich nicht in Betracht.
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Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland dann Schutz zu gewähren, wenn ein solcher durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des „Konzepts normativer Vergewisserung“ durch Gesetz berücksichtigt werden konnten oder aber sich die für die Qualifizierung als “sicher“ maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung hierauf noch aussteht. So sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a. a. O.) Ausnahmen u. a. dann geboten, wenn der Drittstaat gegenüber dem Schutzsuchenden selbst zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird, oder wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer der Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (vgl. zur Problematik der Bestimmung des „sicheren Drittstaates“: BVerfG, Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 - DVBl. 2009, 1304; Lübbe-Wolff, Das Asylgrundrecht nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 - DVBl. 1996, 825 ff.; s. insbesondere auch zur europa-rechtlichen Dimension: Weinzierl / Hruschka, Effektiver Rechtsschutz im Lichte deutscher und europäischer Grundrechte, NVwZ 2009, 1540 ff.).
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Vergleichbares gilt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn es um die Rückführung eines Ausländers in den für seinen Asylantrag zuständigen Staat im Sinne des § 27a AsylVfG geht. Dies bedeutet, dass auch der Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO „nur“ eine Ausnahme darstellt bzw. Sonderfällen vorbehalten ist. Denn eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat oder in den nach europäischem Recht oder Völkerrecht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, ist nur dann veranlasst, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme aufdrängt, dass der Asylbewerber von einem der im normativen Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 GG und der §§ 26a, 27a, 34a AsylVfG nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind dabei auch im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris). Die Annahme eines sicheren Drittstaates ist daher nur dann widerlegt, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh bzw. der inhaltlich identischen Vorschrift des Art. 3 EMRK (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EuGRrdRCh) implizieren.
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Nach der zu Art. 3 EMRK ergangenen Rechtsprechung des EGMR, auf die zur Auslegung von Art. 4 EuGrdRCH zurückzugreifen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 21.01.2011, 2011 - No. 30696 – M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, Rn. 88 m. w. N. – Juris) ist eine Behandlung unmenschlich, wenn sie absichtlich erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Eine Behandlung ist hingegen als erniedrigend anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und dadurch fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert, oder wenn sie Angst, Furcht oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder physischen Widerstand der Person zu brechen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.01.2011, a. a. O., Rn. 220 m. w. N.).
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Die ernsthafte Befürchtung grundlegender Mängel besteht nur dann, wenn in einem Mitgliedstaat eine ständige Verletzung der Kernanforderungen des europäischen Asylrechts, wie sie in den Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union ihren Niederschlag gefunden haben, stattfindet und dadurch die Menschenwürde, das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Flüchtlings beeinträchtigt wird (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Beschl. v. 22.12.2008 - 13 L 1993/08.A - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84.11 A - Juris; VG Hannover, Beschl. v. 07.06.2011 - 1 B 2106/11 - asyl.net; VG Düsseldorf, Beschl. v. 12.09.2011 - 6 L 866/11.A - Juris; Lehnert / Pelzer, Effektiver Rechtsschutz im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin II-Verordnung, ZAR 2010, 41 ff.; Lehnert/Pelzer, Der Selbsteintritt der Mitgliedstaaten im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin-II-Verordnung, NVwZ 2010, 613 ff.). Bei der Beurteilung der Frage, ob für Asylbewerber in Italien dementsprechend ein “richtliniekonformes“ Verfahren gewährleistet ist, ist dabei zunächst das Schutzniveau in den Blick zu nehmen, das sich aus Art. 28 (Sozialleistungen) und Art. 31 (Zugang zu Wohnraum) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 – Qualifikationsrichtlinie – ergibt und sodann jenes, das sich für das Asylverfahren aus der Dublin-II-VO selbst ergibt. Zugleich ist als Maßstab die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten heranzuziehen sowie die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Danach gehören zu den Kernanforderungen des europäischen Asylrechts der Zugang zu einem geordneten Asylverfahren und die Gewährung materieller Aufnahmebedingungen, welche die Grundbedürfnisse nach Unterkunft, Nahrung und medizinischer Versorgung abdecken.
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Die vorstehend aufgezeigten Grundsätze stehen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat mit Urteil vom 21.12.2011 - C 411/10 und C-493/10 - (Juris) ausgeführt, das Gemeinsame Europäische Asylsystem sei in einem Kontext entworfen, der grundsätzlich die Vermutung rechtfertige, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Gleichwohl könne – so der Gerichtshof – nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoße, so dass die ernstzunehmende Gefahr bestehe, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt würden, die mit den Grundrechten unvereinbar sei. Dabei berühre nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Dublin-II-VO. Sei jedoch ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufwiesen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Grundrechtscharta implizierten, so sei eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar.
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Bei der Beurteilung der anstehenden Frage nach dem Vorliegen eines systemischen Versagens in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in dem Mitgliedstaat ist überdies nicht (allein) darauf abzustellen, welche (abstrakte) Rechtslage dort herrscht, mithin ob etwa die vorgenannten Richtlinien in nationales Recht umgesetzt wurden, sondern es sind (ebenfalls) die konkreten bzw. realen Verhältnisse für die Asylbewerber, mithin die bestehende tatsächliche Verwaltungs- und Rechtspraxis in den Blick zu nehmen (ebenso VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009, 406 = Juris).
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Ferner ist darauf abzustellen, ob es sich bei eventuell feststellbaren Defiziten und Mängeln, etwa in Form von Rechtsverstößen und zu erwartenden Beeinträchtigungen, nur um Einzelfälle oder – soweit es sich nicht nur um Einzelfälle handelt – um bloße vorübergehende, temporäre Erscheinungen handelt, die etwa einer überraschenden Entwicklung geschuldet sind, denen aber in naher Zukunft voraussichtlich abgeholfen wird. Anders verhält es sich indes in jenen Fällen, in denen aufgrund einer Vielzahl von Referenzfällen hinreichend belegte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die Missstände und Unzulänglichkeiten dauerhaft manifestiert haben. Die insoweit erforderliche Feststellung des Vorliegens systemischer Mängel und Missstände hat somit eine quantitative wie qualitative Komponente. Ob die desolaten Verhältnisse im Mitgliedstaat dabei darauf zurückzuführen sind, dass dieser zur Schaffung geordneter und richtlinienkonformer Verhältnisse nicht bereit oder nicht in der Lage ist, macht dabei grundsätzlich keinen Unterschied.
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3) In Anwendung der genannten Kriterien ist im Fall der Klägerin von Folgendem auszugehen:
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Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, in Ausübung des insoweit bestehenden Ermessens von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen. Auch kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, sie besitze zumindest einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO, um als Ausnahme von den sonstigen Zuständigkeitsregeln der genannten Verordnung die Prüfung ihres Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. Diesem Recht der Klägerin ist mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten entsprochen worden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte ihr Ermessen verkannt hätte; auch rechtfertigt sich nicht die Annahme des Vorliegens eines formellen Ermessensfehlers, da keinerlei Gründe vorliegen, die einen sog. Selbsteintritt zu rechtfertigen vermögen.
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Zur Überzeugung des Senats ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie von “Dublin-II-Rückkehrern“ in Italien nicht ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und / oder die Aufnahmebedingungen dort derart grundlegende Mängel aufweisen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh zu erwarten steht. Der Senat ist vielmehr unter Anlegung der zuvor genannten strengen Maßstäbe zur Überzeugung gelangt, dass für die nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. rücküberstellten Asylbewerber in der Gesamtschau ein ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren gewährleistet ist und dass für den Fall der Abschiebung bzw. Rückführung der betroffenen Asylsuchenden zwecks Durchführung eines Asylverfahrens nicht mit schwerwiegenden Rechtsverstößen und Beeinträchtigungen zu rechnen ist (ebenso oder ähnlich u. a.: OVG Lüneburg, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -; Beschl. v. 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 –; VG Bremen, Beschl. v. 15.04.2013 - 2 V 440/13.A -; VG Regensburg, Beschl. v. 05.02.2013 - RN 5 S 13.30026 -; Beschl. v. 26.02.2013 - RN 9 K 11.30445 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 17.09.2012 - 13 L 1447/12.A -; Beschl. v. 08.01.2013 - 6 L 104/13.A - und Beschl. v. 06.02. 2013 - 17 L 150/13.A -; VG Augsburg, Urt. v. 11.01.2013 - Au 6 K 12.30358 -; VG Leipzig, Urt. v. 07.12.2012 - A 1 K 973/11 -; VG München, Beschl. v. 08.11.2012 - M 15 E 12.30772 -; VG Würzburg, Beschl. v. 30.10.2012 - W 6 E 12.30288 -; VG Trier, Beschl. v. 25.10.2012 - 5 L 1146/12.TR -; VG Schwerin, Beschl. v. 27.09. 2012 - 8 B 434/12 As -; VG Bayreuth, Urt. v. 12.06.2012 - B 3 K 11.30142 - [bestätigt durch BayVGH, Beschl. v. 6.02.2013 - 20 ZB 12.302856 -]; a. A. oder eine Entscheidung in der Hauptsache vorbehaltend: VG Köln, Beschl. v. 07.05.2013 - 20 L 613/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 30.04.2013 - 10a L 484/13.A -; VG Schwerin, Beschl. v. 15.03.2013 - 3 B 111/13 As -; VG Aachen, Beschl. v. 14.03. 2013 - 9 L 53/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 19.02.2013 - 15a L 194/13.A -; Beschl. v. 27.02.2013 - 15a L 194/13.A -; VG Gießen, Urt. v. 24.01.2013 - 6 K 1329/12.Gl.A -; VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.10.2012 - A 9 K 2386/12 - und Beschl. v. 22.01.2013 - A 9 K 179/13 -; VG Stuttgart, Beschl. v. 08.01.2013 - A 7 K 3929/12 -; VG des Saarlandes, Beschl. v. 03.09.2012 - 3 L 789/12 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 29.08.2012 - 14 L 1392/12.A – alle: Juris; VG Freiburg, Beschl. v. 27.10.2011 - A 5 K 2081/11 -; VG Magdeburg, Beschl. v. 17.07.2012 – 9 B 148/12 -; Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 100/11 -; Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -; vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/ 12.A - Juris). Das Asylsystem in Italien mit dem dort geregelten und praktizierten Aufnahme- und Asylverfahren einschließlich der Unterbringungs- und Versorgungslage für die in Italien schutzsuchenden Flüchtlinge und Asylbewerber entspricht den Anforderungen des europäischen Asylsystems, selbst wenn es in Teilbereichen gewisse Mängel und Defizite aufweist. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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a) Nach dem dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterial ist davon auszugehen, dass für Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien, jedenfalls soweit es sich um Dublin-II-Rückkehrer handelt, grundsätzlich ein geordnetes Aufnahmeverfahren und auch ein ungehinderter Zugang zum Asylverfahren gewährleistet sind.
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Der Senat verkennt nicht, dass es in Italien für Asylbewerber und Flüchtlinge – und zwar bis in die jüngste Vergangenheit hinein – eine Vielzahl von Einreiseverweigerungen und Abschiebungen gegeben hat, bevor ein Asylverfahren durchgeführt werden konnte bzw. ein solches abgewartet worden wäre. Namentlich sind Fälle bekannt geworden, wonach es Zurückweisungen von Flüchtlingen auf hoher See und vor der italienischen Küste, aber auch vom italienischen Territorium gegeben hat, die offenbar darauf abzielten, den Strom von Flüchtlingen – insbesondere aus Nordafrika – abzuwehren, die in Italien Zuflucht haben suchen wollen (vgl. UNHCR, Bericht v. 16.08. 2011: „Hunderte Neuankömmlinge aus Libyen und Tunesien in Italien“, abrufbar unter: http://www.unhcr.de/print/home/artikel/042d9651d6d525aad46e97d7ee7848db/hunde).
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Trotz der bekannt gewordenen zahlreichen Verstöße gegen das Refoulement-Verbot und teilweise vorhandener unangemessener Erschwernisse beim Zugang zu einem Asylverfahren in Italien in den vergangenen Jahren lässt sich aber – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats betrifft – nicht (mehr) davon ausgehen, dass es, sieht man einmal von Einzelfällen ab, in Italien gegenwärtig noch zu derartigen gravierenden Rechtsverletzungen kommt, wie sie in der Vergangenheit zu beklagen waren.
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Vielmehr sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlingen und Asylsuchenden, die in Italien um Schutz nachsuchen wollten, bei ihrer Einreise auf dem Seeweg oder auf dem Landwege die Einreise oder der Aufenthalt in Italien verweigert worden sind (AA, Auskunft v. 21.02. 2013 an OVG LSA, Anm. 1.1.). Ebenso sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende nach ihrer Einreise nach Italien in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben worden sind, ohne dass sie in Italien den von ihnen beabsichtigten Asylantrag stellen konnten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 1.2.). Schließlich sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes in jüngster Zeit auch keine Fälle (mehr) bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende trotz eines in Italien gestellten Asylantrages in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben wurden (AA, a. a. O. Anm. 1.2.). Hiernach lässt sich zumindest gegenwärtig nicht mehr die Feststellung treffen, dass in Italien der Anspruch Schutzsuchender auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens generell oder auch nur regelmäßig vereitelt wird (bereits für die Vergangenheit verneinend u. a.: VG Hannover, Beschl. v. 07.07. 2011 - 1 B 2106/11 - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84/11 - Juris). Dies bedarf hier indes keiner Vertiefung.
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Denn jedenfalls lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen, dass für die im Rahmen des Verfahrens nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. zurückgeführten Asylbewerber regelmäßig oder sogar überwiegend ein ordnungsgemäßes Asylverfahren nicht gewährleistet ist. Aufgrund eines für diesen Personenkreis gesetzlich speziell geregelten Rückführungsverfahrens ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass diese nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren dort bereits gestellten Asylantrag weiterverfolgen bzw. erstmals einen Asylantrag stellen können und ihnen insoweit der Zugang zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren nicht versperrt wird. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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Asylbewerber, die gemäß dem Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehren bzw. zurückgeführt werden, treffen in der Regel auf dem Luftweg auf den Flughäfen Fiumicino in Rom, Malpensa in Mailand, Bergamo, Venedig, Bari, Brindisi oder Ancona ein. Dort werden sie – auch wenn es in Italien kein Flughafenverfahren wie in Deutschland gibt (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)) – von der Polizei in Empfang genommen und es wird ihnen eine Unterkunft in einer der Aufnahmeeinrichtungen zugeteilt, sofern ein Asylantrag gestellt wird bzw. ein Asylverfahren, bei dem Verfahrensstand, der bei Ausreise aus Italien vorlag, weitergeführt werden soll (zu allem: Schweizerische Flüchtlingshilfe, „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien. Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende“, Mai 2011, S. 17 und AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 1.4.). Die Polizei macht in diesen Fällen die verantwortliche Questura ausfindig und fordert die Rückkehrer auf, sich dorthin zu begeben. Dabei werden auch die Reisekosten übernommen (Schweizerischen Flüchtlingshilfe, a. a. O., S. 17) bzw. die Person bekommt, wenn die zuständige Questura weiter entfernt ist (Beispiel: Dublin-Rückkehr nach Rom, zuständige Questura in Catania), ein Zugticket ausgehändigt, um dort hinzureisen (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).
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Wenn die Dublin-Rückkehrer von deutschen Beamten /Polizisten begleitet werden, gibt es insoweit keine Unterschiede. Bei ihrer Ankunft werden alle Dublin-Rückkehrer von der Polaria (Luftpolizei) am Flughafen Fiumicino empfangen. Sie werden erneut erkennungsdienstlich behandelt und es erfolgt die Feststellung, welche Questura in Italien für die Person zuständig und wie der Stand des Verfahrens ist (AA, Auskunft v. 11. 09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).
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Bei ihrer Ankunft werden die Ausländer – so auch die Dublin-II-Rückkehrer – von der am Flughafen zuständigen Hilfsorganisation „Confederazione Nazionale delle Misericordie d’Italia“ betreut und in Anwesenheit von Dolmetschern über den weiteren Verfahrensablauf unterrichtet (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW - zu Frage a.)). Die genannte Hilfsorganisation sucht für die Dublin-II-Rückkehrer zugleich eine (vorläufige) Unterkunft in einem Aufnahmezentrum (z. B. einer Einrichtung der „Centri di accoglienza richiedenti asilo“ - CARA -), welches im Allgemeinen für die Erstaufnahme zuständig ist, bis die Zuweisung zu einer Asylunterkunft am Ort der zuständigen Questura erfolgt ist. Während die Dublin-II-Rückkehrer sofort eine Unterkunft in einem entsprechenden Erstaufnahmezentrum erhalten, kann die Zuweisung zu einer Asylunterkunft für die Dauer des Asylverfahrens einige Zeit dauern, weil es zunächst gewisser Formalien den jeweiligen Asylantrag betreffend bei der zuständigen Questura bedarf. Manchmal beträgt dieser Zeitraum nur einige Tage, manchmal aber auch Wochen, z. B. wenn es sich um große Städte und Ballungszentren handelt. Belastbares Zahlenmaterial bezogen auf die Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist mangels statistischer Erhebungen allerdings nicht verfügbar. In den Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber, den bereits erwähnten Einrichtungen der CARA, ist laut Gesetz grundsätzlich ein Verbleib von nicht länger als 20 bis 35 Tagen vorgesehen. Da die Zuweisungsverfahren aber oftmals länger dauern, bleiben die Antragsteller entsprechend länger in diesen Aufnahmezentren (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu den Fragen a.), b.) und c.)).
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Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln erhalten die Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft in Italien zudem Informationsbroschüren über ihre Rechte im Asylverfahren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 2.3.). Diese Broschüren existieren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen, so u. a. in persischer, arabischer, französischer, englischer, italienischer, somalischer, spanischer und tigrinischer Sprache (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 2.3.). Darüber hinaus befinden sich in den Aufnahmeeinrichtungen Betreuungsdienste, die den Asylantragstellern zur Unterstützung zur Verfügung stehen. Diese beschäftigen oftmals Mitarbeiter, die die Landessprache der Hauptherkunftsstaaten der Asylantragsteller beherrschen (AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 2.3.).
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Nach allem besteht für den Senat kein Grund zur Annahme, dass die in Italien Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft dort in unangemessener Weise “sich selber überlassen bleiben“ und sich im Hinblick auf das erstrebte Aufnahme- und Asylverfahren nicht zurecht finden können.
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Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass die Rücküberstellung von Asylbewerbern auf der Grundlage der Dublin-II-Verordnung seitens der italienischen Behörden auf Widerstände stößt. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es im Rahmen des Dublin-Systems vor einer Asylantragstellung oder während des Asylverfahrens zu Einreiserverweigerungen, Rücküberstellungen oder sonstigen Ausweisungen in die Herkunftsländer der Asylbewerber kommt (vgl. UNHCR, Stellungnahme v. 24.04.2012 an VG Braunschweig, S. 5).
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b) Der Senat vermag aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel auch nicht zur Einschätzung zu gelangen, dass Asylsuchende und Flüchtlinge – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts betrifft – nach ihrer Einreise und / oder während ihres Asylverfahrens mangels einer (angemessenen) Unterkunft regelmäßig oder auch nur in einer Vielzahl von Fällen in die Obdachlosigkeit geraten, mithin „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen.
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aa) Dabei ist zunächst hervorzuheben, dass Asylsuchende während des Asylverfahrens einen Rechtsanspruch auf eine Unterbringung besitzen, und zwar gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Dieser Anspruch ist grundsätzlich wohl auch behördlich bzw. gerichtlich durchsetzbar. Dies deckt sich jedenfalls mit einer Antwort der Bundesregierung vom 18. April 2011 auf eine Kleine Anfrage im Bundestag ("Lage von Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen in Italien" – BT-Drucks. 17/5579), aus der sich ergibt, dass Asylbewerber in Italien einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Unterkunft haben. Allerdings kommt es für die Beurteilung der in Rede stehenden Frage nicht in erster Linie auf die bestehende Rechtslage an; maßgeblich ist vielmehr auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen.
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Nach den aktuellen Auskünften des Auswärtigen Amtes stellt sich indes die tatsächliche Unterbringungssituation im Rahmen des italienischen Aufnahmesystems für Asylbewerber und Flüchtlinge Anfang 2013 (5. Kalenderwoche) wie folgt dar:
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Die Aufnahmezentren der CARA verfügen über 5.516 Plätze und beherbergen derzeit ca. 5.300 Personen nebst 2.710 Plätzen in den Einrichtungen der CARA von Lampedusa, so dass insgesamt mehr als 8.000 Plätze zur Verfügung stehen. Die Zahlen im Gutachten von Frau Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 11), wonach 3.163 Personen in den genannten Einrichtungen aufgenommen werden könnten, seien inzwischen überholt (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.).
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Darüber hinaus stehen den Asylbewerbern und Flüchtlingen grundsätzlich die staatlichen Aufnahmeeinrichtungen der SPRAR („Sistems di Protezione per Richiedenti Asilo e Refugiati“) zur Verfügung. Die dort vorhandenen Plätze sind laut Auskunft des Auswärtigen Amtes in der Vergangenheit deutlich angestiegen: Bisher habe es 3.000 Plätze gegeben, so dass dort (weil eine Unterbringung regelmäßig nur für 6 Monate vorgesehen sei) insgesamt 6.000 Personen hätten versorgt und untergebracht werden können (vgl. zur Aufnahmekapazität von etwa 3.000 Personen u. a. auch der Bericht der Schweizerische Flüchtlingshilfe, a. a. O. S. 5). Nunmehr aber stehen nach Auskunft des Auswärtigen Amtes - bestätigt durch Auskünfte von Mitarbeitern der SPRAR und des italienischen Innenministeriums – insgesamt 5.000 Plätze zur Verfügung, so dass 8.000 bis 10.000 Personen untergebracht werden könnten, ungeachtet der im Rahmen des EU-finanzierten FER-Projektes für vulnerable Personen und anderer Projekte vorhandenen weiteren Plätze (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.). Dies entspricht in etwa auch der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.02.2013 auf Anfrage des Senats, wonach inzwischen in ganz Italien 40 Aufnahmezentren mit rund 9.000 Plätzen zur Verfügung stehen (AA, a. a. O., Anm. 4.3.).
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Dem steht z. B. für das Jahr 2012 eine Anzahl von 1.148 Personen gegenüber, die als Rückkehrer im Rahmen der Dublin-II-Verordnung über Rom nach Italien zurückgeschickt wurden und von der Organisation Ariconfraternita am Flughafen von Rom betreut wurden (Gutachten an das VG Braunschweig von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012, S. 25 und S. 59 – in Ermangelung der erfassten Gesamtzahlen der Dublin-Rückkehrer nach Italien). Berücksichtigt man überdies, dass die Zahl der Asylbewerber seit 2012 – trotz gewisser Schwankungen – insgesamt rückläufig ist, kann zumindest gegenwärtig nicht (mehr) von unzureichenden Aufnahme- und Unterbringungskapazitäten ausgegangen werden. Zur Überzeugung des Senats dürfte sich somit die aktuelle Situation in Italien soweit entspannt haben, dass sämtliche Asylbewerber, und insbesondere Dublin-II-Rückkehrer, in den öffentlichen Aufnahmeeinrichtungen Platz finden können (ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -
).
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Die Annahme fehlender Kapazitäten für die Unterbringung von Dublin-II-Rückkehrern nach Italien ist insbesondere auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil es in der Vergangenheit zu einem massiven Zustrom von Flüchtlingen aus Nordafrika gekommen ist und dies zu (nachhaltigen) Engpässen bei der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern geführt hat.
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Der UNHCR hat in diesem Zusammenhang in seiner Stellungnahme vom 24. April 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 3) auf Folgendes hingewiesen: Im Jahre 2011 sind nach der Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika und der darauf folgenden Erklärung des „humanitären Notstandes“ die regionalen Regierungen gebeten worden, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu bestimmen, da die bestehenden Aufnahmekapazitäten als unzureichend eingeschätzt wurden. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden (Regionen, bestimmten Provinzen [„Province Autonome“] und Gemeinden) seien Vereinbarungen getroffen worden, in denen Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Die Verantwortlichkeit für den diesbezüglichen Aufnahmeplan liege beim Leiter des Zivilschutzes („Dipartimento di Protezione Civile“). Bis Anfang 2012 seien 20.000 Personen im Rahmen des Plans in den Notunterkünften, meist in Einrichtungen kleiner bis mittlerer Größe, untergebracht worden, die in ganz Italien verteilt sind.
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Dies deckt sich mit den Auskünften des Auswärtigen Amtes. Danach hätten die vorgehaltenen temporären Aufnahmestrukturen des Zivilschutzes, die anlässlich des Flüchtlingsstromes aus Nordafrika in der Größenordnung von 50.000 Plätzen in den Regionen geschaffen worden seien, die bestehenden Engpässe kompensiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.3.).
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Soweit im Gutachten von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O., S. 15) darauf verwiesen wird, dass die durch den Zivilschutz zusätzlich geschaffenen Unterkünfte nur zeitlich befristet vorgesehen gewesen seien, zunächst wohl nur bis Ende 2011 und alsdann bis Ende 2012, und dass diese inzwischen wieder geschlossen worden seien, so rechtfertigt auch dieser Einwand nach Auffassung des Senats nicht die Annahme, dass es gegenwärtig und zukünftig wieder zu fehlenden Kapazitäten in den staatlichen Einrichtungen kommen wird.
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Zwar trifft es zu, dass das Notstandsprogramm befristet war und inzwischen wohl offiziell ausgelaufen ist. Allerdings trifft es ebenfalls zu, dass die Einrichtungen derzeit faktisch zumindest in einem beschränkten Umfang fortgeführt werden. Grund für die Schließung der Notunterkünfte war der Umstand, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge gegenüber den Vorjahren, insbesondere dem Jahr 2011 und 2012, deutlich zurück gegangen war. Allerdings waren nach Auskunft des Auswärtigen Amtes Anfang des Jahres 2013 noch ca. 17.000 Personen in den temporären Einrichtungen des Zivilschutzes untergebracht (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 4.3.). Das Auswärtige Amt hat unterdessen mit seiner neuesten Auskunft – unter Berufung auf den Leiter des Italienischen Amtes für Aufnahmezentren und Betreuung, Herrn Tommaso Ricciardi vom 04. September 2013 – zum Notstandsprojekt Nordafrika mitgeteilt, dass sich derzeit nur noch etwa 1.000 Personen („vulnerable cases“ und Asylbewerber, die ein Rechtsmittel eingelegt haben) in den Notunterkünften befinden. Offiziell hätten diese nunmehr am 01. September 2013 schließen sollen. Es werde gegenwärtig überlegt, wie die Versorgung dieser Personen weiter gewährleistet werden kann (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW – zu Frage e)).
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Angesichts der aufgezeigten Entwicklung steht auch nicht zu erwarten, dass mit der Schließung der Notunterkünfte die dort untergebrachten bzw. noch verbliebenen Asylbewerber und Flüchtlinge in die staatlichen Unterkünfte drängen und es damit zu erneuten Überbelegungen kommen wird, mithin die Problematik fehlender Kapazitäten in den staatlichen Zentren erneut auftritt. Das Auswärtige Amt weist zudem ausdrücklich darauf hin, dass das Auslaufen des Nordafrika-Programms keine konkreten Auswirkungen auf die Dublin-Rückkehrer hat, da für diesen Personenkreis (der nicht in den Notunterkünften untergebracht wird) von vornherein kein unmittelbarer Zusammenhang zum Programm bestand (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW – zu Frage e)).
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Gegenteiliges dürfte zur Überzeugung des Senats auch dann nicht anzunehmen sein, wenn es zu einem erneuten Anstieg der Zahl von Asylbewerbern in Italien kommen sollte. Das ausgelaufene Notstandsprogramm belegt, dass Italien Unterbringungsplätze in erheblichen Umfang zusätzlich zur Verfügung stellen kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Das geschaffene Notstandsprogramm lässt darauf schließen, dass die verantwortlichen Stellen – selbst wenn sie auf Druck der übrigen EU-Mitgliedstaaten tätig geworden sein sollten – bemüht sind, sich dem jeweiligen unterschiedlichen Unterkunftsbedarf in der gebotenen Weise anzupassen. Dies lässt es insbesondere nicht ausgeschlossen erscheinen, dass bei einem eventuellen erneuten Anstieg der in Italien eintreffenden Flüchtlinge und Asylbewerber entsprechende Programme zur kurzfristigen Schaffung zusätzlicher Unterkünfte neu aufgelegt werden. Dies alles rechtfertigt keine grundlegenden Zweifel daran, dass ein insoweit auch nach Beendigung des Notstandsprogramms fortdauernder Bedarf oder erneute Massenanstürme von Flüchtlingen bewältigt werden können (ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O.).
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Im Übrigen erkennt auch der UNHCR an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des staatlichen Aufnahmesystems stattgefunden haben. Insgesamt seien die Einrichtungen der CARA, CDA und SPRAR (nunmehr) in der Lage, dem Aufnahmebedarf einer „signifikanten Anzahl“ von Asylsuchenden nachzukommen (Stellungnahme vom 24. April 2012 an VG Braunschweig, S. 3). Allerdings macht der UNHCR die Einschränkung, dass die Kapazitäten der genannten Einrichtungen nicht für die Unterbringung aller unterstützungsbedürftigen Asylsuchenden ausreichend sein dürften, wenn Personen in erheblicher Anzahl neu in Italien ankommen würden (UNHCR, a. a. O., S. 3). Indes bestehen z. Z. keine Anhaltspunkte dafür, dass es in Italien derzeit oder in absehbarer Zeit erneut zu einem derartigen Anstieg der Asylbewerberzahlen kommen wird, wie er etwa in den Jahren 2010 und 2011 zu verzeichnen war.
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Eine andere Bewertung der Unterkunftssituation für Asylbewerber und Flüchtlinge erscheint dem Senat schließlich auch nicht deshalb geboten, weil nach Auffassung des UNHCR (Stellungnahme v. 24.04.2012) in der gegenwärtigen Situation davon auszugehen sei, dass derzeit die überwiegende Anzahl aller Asylverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden können, und die Aufnahme in den Aufnahmezentren regelmäßig auf sechs Monate befristet sei. Abgesehen davon, dass der UNHCR selbst einräumt, dass keine konkreten Zahlen zur Dauer der Asylverfahren vorliegen, besteht nach Auskunft des Auswärtigen Amtes die Möglichkeit, dass im Einzelfall – so auch bei Einlegung von Rechtsmitteln – die Aufenthaltsdauer in der Einrichtung verlängert wird.
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Zudem ist auch dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Mai 2011 zu entnehmen, dass für die Aufnahme von Asylbewerbern eben nicht nur CARA-, CIE- und SPRAR-Zentren zur Verfügung stehen, sondern auch andere Zentren vorhanden sind basierend auf Abkommen zwischen dem Innenministerium und Gemeinden, aber auch von der Stadt – wie etwa Rom - finanzierte und von NGO’s betriebene Zentren (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende, S. 19). Nach dem vorgenannten Bericht (a. a. O. S. 19) kommen noch kirchliche und karitative Einrichtungen hinzu. Dass es unter Berücksichtigung der Aufnahmekapazität all dieser öffentlichen und privaten Einrichtungen sowie unter Nutzung des Angebotes des Wohnungsmarktes nicht möglich ist, eine Unterkunft zu finden, ist nicht ersichtlich.
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Das Auswärtige Amt weist ebenfalls darauf hin, dass neben den staatlichen Unterbringungszentren zusätzlich kommunale und karitative Einrichtungen existieren wie z. B. Caritas, Migrantes in Rom, die Schwestern des Ordens der Mutter Teresa „Suore Missionarie della Carità“ und andere Hilfsorganisationen (Comunità di Sant’Egidio, Opere Antoniane, Stranieri in Italia, Centro Astalle - Jesuiten -), welche die Antragsteller und Asylbewerber versorgen und ihnen Unterkunftsplätze besorgen (AA, Auskunft v. 21.08.2013 an OVG LSA - zur Frage 3.). Dies entspricht zugleich der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, wonach nicht davon auszugehen ist, dass jene Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz finden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen (AA, a. a. O. Anm. 4.3.).
- 95
Veranlassung zu einer anderen Einschätzung gibt dem Senat schließlich auch nicht der Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“ vom 28. Februar 2011, wonach angeblich davon auszugehen ist, dass „in der Vergangenheit 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer der Gefahr der Obdachlosigkeit überlassen worden seien“. Der Senat geht dabei davon aus, dass diese Aussage nicht bedeutet, dass etwa 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer tatsächlich in die Obdachlosigkeit geraten sind, sondern dass es sich hierbei – da der Bericht lediglich von einer „Gefahr“ einer Obdachlosigkeit spricht – um eine bloße Annahme handelt in Bezug auf das womöglich bestehende Risiko, von einer Obdachlosigkeit betroffen zu werden. Dem Senat erscheint bei dieser Sachlage allerdings nicht nachvollziehbar, wie eine (potentielle) „Gefahr“ prozentual derart exakt prognostiziert werden kann, wie dies im Bericht mit 88 vom Hundert geschehen ist, zumal die Unterbringung in staatlichen und privaten Einrichtungen und auch die Wohnungssuche im Allgemeinen mit einer Fülle von Unwägbarkeiten verbunden ist. Überdies sind die Angaben nur bedingt brauchbar, weil eben nicht erkennbar wird, auf welchen Erkenntnissen diese beruhen und welche zurückliegenden Zeiträume in Bezug genommen werden, wenn davon gesprochen wird, dass sich Aussage auf die „Vergangenheit“ beziehe.
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bb) Ebenso lässt sich nach Auffassung des Senats nicht feststellen, dass Asylbewerber infolge unzureichender und unzumutbarer Verhältnisse in den staatlichen bzw. privaten Unterkünften, namentlich etwa aufgrund unhygienischer Zustände oder Gewalttätigkeiten und krimineller Delikte wie u. a. Diebstahl, Vergewaltigung oder erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind. Dabei wird nicht verkannt, dass es in Unterkünften mit einer Vielzahl von – teilweise auch traumatisierten – Flüchtlingen unterschiedlicher Nationalität, Religion und Gebräuchen häufiger als in anderen Bereichen der Gesellschaft zu Konflikten und gelegentlich auch gewaltsamen Übergriffen kommen dürfte. Es dürfte sich dabei allerdings um ein allgemeines Phänomen in Gemeinschaftseinrichtungen handeln, dem die staatlichen Stellen nur bedingt wirksam entgegen wirken können. Auch wenn die Aufnahme-, Unterbringungs- und Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Italien regelmäßig nicht mit dem hiesigen Standard vergleichbar sein mögen, ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die Zustände in den Unterkünften im Allgemeinen jedenfalls nicht derart unzumutbar und unhaltbar sind, dass deshalb die Feststellung einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung der Asylbewerber gerechtfertigt erschiene. Dies gilt zum einen hinsichtlich der hygienischen Verhältnisse. So wird nach Auskunft des Auswärtigen Amtes von den staatlichen Aufnahmezentren und Einrichtungen Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Überdies teilt das Auswärtige Amt zur Situation in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften mit, dass die hygienischen Verhältnisse dort nicht regelmäßig oder sogar überwiegend sich in der Weise darstellen, dass man ernstlich Gefahr läuft zu erkranken. Sie seien auch nicht dergestalt, dass sie nicht den Mindestanforderungen (Kochstellen, Toiletten, Waschräume, fließendes Wasser und Elektrik) genügen würden. Vielmehr seien sie durchweg so beschaffen, dass kleinere Schlafräume in Wohnhäusern oder Containern vorhanden seien, die auch zumeist mit Klimaanlagen und Zentralheizung versehen seien. Insbesondere seien Toilettenräume in ausreichender Zahl und getrennt nach Geschlechtern vorhanden. Gleiches gelte für Waschräume. Die Verpflegung werde vielfach in einem gemeinsamen Speisesaal bereitgestellt. Vereinzelt bestünden auch zusätzliche Möglichkeiten für die eigene Zubereitung von Mahlzeiten. Ferner seien in den Einrichtungen Sozialräume sowie getrennte Räumlichkeiten für medizinische Dienste und Sonderfälle vorhanden. Zur Aufrechterhaltung der Sauberkeit der allgemeinen Räumlichkeiten würden spezielle Reinigungsdienste beschäftigt (vgl. zu allem: AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 4.5.).
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Zum anderen lässt sich aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse auch nicht feststellen, dass sich die Verhältnisse in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften in der Weise darstellen, dass die Bewohner in ständiger Angst leben müssten, „angegriffen, ausgeraubt oder gar vergewaltigt“ zu werden. Zwar gibt es Berichte, wonach es zu gewaltsamen Übergriffen von männlichen auf weibliche Bewohner gekommen sein soll; hierbei handelt es sich aber um Einzelfälle, wenngleich statistische Erhebungen zur Kriminalität speziell in den genannten Einrichtungen nicht existieren bzw. nicht bekannt sind. Darüber hinaus werden die Aufnahmeeinrichtungen zumindest durch die Polizei oder Carabinieri überwacht und geschützt; wegen auftretender Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien wurden in manchen Einrichtungen zudem zusätzliche Polizeikräfte postiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.6.).
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Im Ergebnis vermag der Senat somit nicht festzustellen, dass es – sieht man von Engpässen und Einzelschicksalen ab – mit der Durchführung von Asylverfahren in Italien generell zu Begleiterscheinungen wie etwa Obdachlosigkeit oder aufgrund der Zustände in den Unterkünften zu einer Verwahrlosung der Asylbewerber kommt.
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c) Der Senat vermag ebenfalls nicht festzustellen, dass Schutzsuchende während des Asylverfahrens in Italien unter Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh in materieller Not leben müssen, so dass von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszugehen wäre, oder mit Blick auf die Versorgungssituation und soziale Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge gemessen an den Vorgaben des unionsrechtlichen Sekundärrechts sich das Asylsystem als nicht (mehr) richtlinienkonform darstellt.
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Asylsuchende und Flüchtlinge haben nach Auskunft des Auswärtigen Amtes während des Asylverfahrens einen (Rechts-)Anspruch auf (angemessene) Verpflegung und Versorgung (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1.). Dieser Verpflichtung wird im Allgemeinen dadurch nachgekommen, dass in den staatlichen Unterkünften und Aufnahmezentren entsprechende Leistungen erbracht werden. Namentlich wird auch Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Vorgenanntes gilt gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.).
- 101
Ebenso werden Asylbewerber und Flüchtlinge, die in nichtstaatlichen, namentlich karitativen und kirchlichen Unterkünften leben, mit Nahrung und Kleidung versorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA, Auskunft v. 21. 02.2013, Anm. 5.2.). Allerdings ist für Asylbewerber und Flüchtlinge außerhalb staatlicher sowie karitativer und kirchlicher Einrichtungen eine staatliche Verpflegung und Versorgung nicht (mehr) gewährleistet. Auch existiert in Italien nur ein sehr eingeschränktes staatliches Sozialhilfesystem; danach erhalten nur Personen über dem 65. Lebensjahr Sozialhilfeleistungen. Im vorliegenden Fall würde dies sogar bedeuten, dass die 65-jährige Klägerin auch staatliche Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen könnte. Im Übrigen haben die Betroffenen auch als Asylbewerber und schutzsuchende Flüchtlinge einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 5.1.).
- 102
In der Praxis kann somit nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Asylbewerber und Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt regelmäßig nicht durch Betteln und / oder Prostitution sichern müssen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.). Vielmehr ist insgesamt eine ausreichende Versorgung vorhanden. Einzelfälle sind allenfalls auf das in der aktuellen Wirtschaftskrise insbesondere in italienischen Großstädten zunehmend auftretende Phänomen des Bettelns und die damit einhergehenden erhofften zusätzlichen Einkunftsmöglichkeiten zurückzuführen. Was die Prostitution angeht, so ist nicht völlig auszuschließen, dass weibliche Asylbewerber oder Flüchtlinge in Einzelfällen durch Angehörige der organisierten Kriminalität rekrutiert werden und dann tatsächlich der Prostitution nachgehen. Dies ist aber nicht im kausalen Zusammenhang mit Defiziten im Asylverfahren zu sehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.; Auskunft v. 24.09.2012, S. 3 - Antwort auf Frage b 2)).
- 103
Im Übrigen folgt aus Art. 3 EMRK und Art. 4 EuGrdRCh auch nicht die Verpflichtung, Asylbewerbern und Flüchtlingen eine finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihnen einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.02.2011, a. a. O.).
- 104
Ebenso ist ein Verstoß gegen die Richtlinie 2004/83/EG nicht ersichtlich. Kapitel VII der Richtlinie gestaltet den Inhalt des internationalen Flüchtlingsschutzes zwar u. a. dahin gehend aus, dass Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte grundsätzlich Zugang zu Sozialleistungen (Art. 28), medizinischer Versorgung (Art. 29) und Wohnraum (Art. 31) erhalten. Allerdings gehen die Bestimmungen über die Gebote zur Inländergleichbehandlung (Art. 28, 29) bzw. zur Ausländergleichbehandlung (Art. 31) nicht hinaus. Art. 28 und 29 der Richtlinie gewährleisten die notwendige Sozialhilfe bzw. medizinische Versorgung nur insoweit, wie die Mitgliedstaaten ihren eigenen Staatsangehörigen eine entsprechende Behandlung bzw. Versorgung gewähren; für Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte besteht zudem die Möglichkeit, den Anspruch auf Kernleistungen zu beschränken, die dann im Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige zu gewähren sind. Demzufolge muss der in Italien bestehende allgemeine Lebensstandard für andere, vergleichbare Personen mit italienischer Staatsangehörigkeit in den Blick genommen werden, die ebenfalls keine staatlichen Sozialleistungen in Anspruch nehmen können und bei denen ebenfalls nur durch die Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten oder aber vermittels von Zuwendungen karitativer oder kirchlicher Organisationen das Existenzminimum gesichert ist.
- 105
Nach allem lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh nicht daraus herleiten, dass – worauf in der Rechtsprechung einzelner Verwaltungsgerichte abgestellt wird – ein staatliches Sozialsystem, welches Flüchtlingen und Asylsuchenden zumindest ein Existenzminimum garantiert, nicht zur Verfügung steht und dass die Betroffenen deshalb darauf angewiesen seien, sich „selbst durch das Leben zu schlagen“ (vgl. VG Magdeburg, Beschl. v. 28.03.2011 - 9 B 101/11 MD - Juris; Gerichtsbescheid v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 - [S. 5 d. UA]; VG Braunschweig, Beschl. v. 31.05.2011 - 1 B 103/11 - m. w. N. - Juris).
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Im Übrigen ist in der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a. a. O. S. 22) nicht – wie gelegentlich behauptet wird – die Rede davon, dass der genannte Personenkreis „in extremer Armut lebt und dass sie ihre Lebensbedürfnisse nicht decken können“. Vielmehr ist – wohl mit Bedacht – davon die Rede, dass sie Gefahr laufen, womöglich in eine solche Situation zu geraten; dass sich indes diese Gefahr bereits in eine Vielzahl von Fällen realisiert hätte oder gleichsam regelmäßig bzw. für jeden Asylsuchenden und Flüchtling die konkrete Gefahr bestünde, dass nicht einmal das Existenzminimum gesichert ist, wird nicht behauptet. Dies schließt nicht aus, dass es in Einzelfällen auch zu besonderen Notlagen kommen mag und dass der Lebensstandard der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien im Allgemeinen sehr gering sein dürfte. Gleichwohl vermag der Senat anhand des ihm vorliegenden umfassenden Erkenntnismaterials aber nicht festzustellen, dass die Situation für Flüchtlinge und Asylsuchende in den Zentren und außerhalb derselben derart prekär wäre, dass deshalb von einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh auszugehen ist.
- 107
d) Soweit es die medizinische Versorgung betrifft, sind alle Mitgliedstaaten aufgrund der EU-Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 verpflichtet, bestimmte Mindeststandards der medizinischen Versorgung zu gewährleisten. So haben alle Mitgliedstaaten nach Art. 15 der genannten Richtlinie dafür Sorge zu tragen, dass Asylbewerber und Flüchtlinge die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung für die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst. Dabei ist auch Asylbewerbern mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische und sonstige Hilfe zu gewähren.
- 108
In Italien ist im Rahmen des nationalen Gesundheitsdienstes grundsätzlich ein medizinischer Mindestbehandlungsstandard gewährleistet. Asylbewerber und Flüchtlinge haben in Italien während des Asylverfahrens einen Anspruch auf eine „freie“ (kostenlose) medizinische Versorgung sowie auch auf psychologische Hilfe, insbesondere auch Minderjährige und traumatisierte Personen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.3.).
- 109
Dem entspricht es, wenn im Entscheiderrundbrief des Bundesamtes 7/2011 (a. a. O., S. 8) zur medizinischen Versorgung festgestellt wird, dass bei der Überstellung von kranken bzw. traumatisierten Personen – wie bei jedem italienischen Staatsbürger – die Möglichkeit der (medizinischen) Behandlung besteht. Bereits im Jahre 2009 habe es bei der SPRAR drei Zentren gegeben, in denen auch psychisch kranke Personen hätten behandelt werden können (zwei in Rom, eines in Turin). Für 2011 seien zudem 50 weitere Behandlungsplätze für psychisch kranke Personen bzw. Personen mit besonders schweren Erkrankungen geplant worden. Inzwischen würden bei Dublin-Überstellungen psychisch kranke Personen in Italien als eine besonders „vulnerable Gruppe“ angesehen.
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Voraussetzung für den Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem ist zwar grundsätzlich ein gültiger Aufenthaltstitel bzw. ein rechtmäßiger Aufenthalt; bei im italienischen Asylverfahren befindliche Personen stellt sich dieses Problem aber nicht. Der Zugang zu öffentlichen medizinischen Leistungen ist auch nicht an die Voraussetzung eines ständigen Wohnsitzes bzw. feste Adresse gekoppelt, wie gelegentlich behauptet wird. Vielmehr erhalten Asylbewerber bei Bedarf auch ohne einen solchen ständigen Wohnsitz bzw. feste Anschrift vom nationalen Gesundheitsdienst einen Gesundheitsausweis („tessera sanitara“) und eine Steuernummer („codice fiscale“) (vgl. AA, Auskunft v. 09.10.2012 an VG Minden, S. 2 - zur Frage b) 4; ebenso: AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg - S. 2 Ziffer I b)). Sollte hingegen etwas anderes gelten, ist davon auszugehen, dass aufgrund einer aktuellen Vereinbarung zwischen der Zentralregierung und den Regionen zumindest eine Not- und Grundversorgung auch für sich illegal in Italien aufhaltende Personen garantiert ist (AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 6.2.).
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Der Senat vermag angesichts dieser Situation nicht zu erkennen, dass damit den eingangs aufgezeigten Mindeststandards bzw. Kernanforderungen nicht genügt wird. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass in bestimmten Fällen womöglich einzelnen Personen eine nur unzureichende medizinische Versorgung zuteil wurde oder diese aus dem medizinischen Versorgungssystem herausgefallen sind.
- 112
Aber selbst dann, wenn für kranke, behinderte oder sonst gesundheitlich besonders schutzbedürftige Personen die garantierte medizinische Not- und Grundversorgung nicht als ausreichend angesehen würde, ergäben sich daraus jedenfalls für die Klägerin, die keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen angeführt hat, keine Bedenken gegen ihre Überstellung nach Italien.
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e) Soweit es das Asylverfahren als solches, namentlich die Qualität und die Dauer des Verfahrens betrifft, lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 EMRK und Art. 4 EuGrdRCH sowie gegen die einschlägigen unionsrechtlichen Richtlinien ebenfalls nicht feststellen.
- 114
Italien gewährleistet entsprechend dem (Grund-)Recht auf Asyl (gem. Art. 10 Abs. 3 der italienischen Verfassung, verschiedenen Einwanderungs- und Asylverfahrensgesetzen, insbesondere nach dem Gesetz No. 25/2008 vom 28. Januar 2008) ein Schutzverfahren, das auch für Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung greift. Besonderheiten bestehen insoweit nicht (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.1.).
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Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass es hinsichtlich der Qualität oder der Dauer der Asylverfahren einen Grund für Beanstandungen gibt. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass von einer unverhältnismäßig restriktiven Asylpraxis auszugehen ist. Gegen eine solche Annahme sprechen die Zahlen, die vom Auswärtigen Amt zum Asylverfahren benannt werden. Danach wurden im Jahre 2010 über 14.042 Asylanträge entschieden, davon wurden 2.094 Antragsteller nach der Genfer Konvention anerkannt (15 vom Hundert), 1.789 erhielten subsidiären (13 vom Hundert), 3.675 humanitären Schutz (26 vom Hundert), hingegen wurden 4.698 abgelehnt. 520 Personen waren nicht auffindbar (4 vom Hundert) und 1.266 (9 vom Hundert) sind sonstige Fälle. Dementsprechend lag die Quote der Anerkennungen bzw. der Gewährung eines Bleiberechts bei immerhin 54 vom Hundert (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 3.2.). Demgegenüber wurden im Jahre 2011 über 25.626 Asylanträge entschieden. Davon wurden 2.057 Antragsteller nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt (8 vom Hundert), 2.569 Personen erhielten subsidiären (10 vom Hundert) und 5.662 humanitären Schutz (22 vom Hundert); 11.131 Personen wurden hingegen abgelehnt (44 vom Hundert) und 2.339 Personen waren nicht auffindbar (9 vom Hundert). Die Anerkennungsquote lag 2011 somit bei 40 vom Hundert, was ebenfalls nicht die Annahme einer unverhältnismäßig restriktiven Praxis rechtfertigt (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.2.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 5 unter Hinweis auf eine entsprechende Statistik des Innenministeriums, abrufbar unter: http://www.interno.it/miniinteno/export/sites/default/it/assets/files/21/0551_statistiche_asilo.pdf).
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Es kommt hinzu, dass sich die für die Entscheidung der Asylverfahren in erster Instanz zuständigen Territorialkommissionen per Dekret des Innenministers in der Weise zusammensetzen, dass auch jeweils ein Vertreter des UNHCR beteiligt ist (Bundesamt für Migration der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Hintergrundnotiz MILA - Italien Asylverfahren, Bericht vom 23.09.2009, S.4). Dies berechtigt zur Annahme, dass der Ordnungsmäßigkeit des Asylverfahrens eine besondere Beachtung geschenkt wird.
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Hinsichtlich der Dauer des Asylverfahrens in Italien gibt es ebenfalls nichts zu beanstanden. Über den Asylantrag soll an sich innerhalb von 30 Tagen entschieden werden; zudem wird angestrebt, dass das Gesamtverfahren einschließlich gerichtlicher Überprüfung nicht länger als sechs Monaten dauert, auch wenn es immer wieder Fälle gibt, in denen diese Dauer – manchmal bis zu einem Jahr oder auch länger – überschritten wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 3.1., 3.2.; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O. Rn. 15).
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Ferner lässt sich nicht feststellen, dass es in Italien während des Asylverfahrens in nennenswerter Weise faktische Beeinträchtigungen in verfahrensrechtlicher bzw. prozessualer Hinsicht gibt. Art. 16 des italienischen Asylverfahrensgesetzes No. 25 vom 28. Januar 2008 garantiert dem Asylbewerber, dass er nach den einschlägigen Prozessvorschriften Anspruch auf eine Rechtsberatung und einen unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verfahren hat (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.4.). Zwar bestehen Zweifel, ob dies auch in der Praxis ausnahmslos Geltung besitzt, wenn man berücksichtigt, dass für die nach Rom zurückkehrenden Dublin-II-Rückkehrern (und in Rom eintreffenden Asylbewerber) die Prozesskostenhilfe davon abhängig gemacht wird, dass zum Nachweis der wirtschaftlichen Bedürftigkeit eine Bescheinigung der jeweiligen Auslandsvertretung beigebracht werden soll. Allein wegen der Tatsache, dass der Asylbewerber im Einzelfall das Verfahren ohne anwaltlichen Beistand durchzuführen hat, soweit kein Anwaltszwang besteht, kann nicht schon von einem (landesweit bestehenden) systemischen Mangel gesprochen werden, der die Annahme einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. d. Grundrechtscharta und EMRK rechtfertigt. Im Übrigen stehen dem Asylbewerber im Asylverfahren auch Übersetzungsdienste zur Verfügung (vgl. AA, Auskunft an OVG LSA v. 21.02.2013, Anm. 2.3. und 3.3.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 3).
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Insbesondere bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass – von Ausnahmen abgesehen – die für die Durchführung des Hauptsacheverfahrens erforderliche Erreichbarkeit des Asylbewerbers in Italien nicht sichergestellt wäre. Für eine solche Annahme fehlt es an hinreichend belegten Referenzfällen. Auch gibt es für Italien keine ernst zu nehmenden Quellen, wonach sich die Wahrnehmung von Verfahrensrechten (Antragstellung, Einlegung von Rechtsbehelfen etc.) regelmäßig als derart schwierig erweist, dass diese Rechte faktisch leer laufen würden.
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Soweit in der Rechtsprechung dennoch vereinzelt – so u. a. das VG Gießen (Beschl. v. 10.03.2011 - 1 L 468/11.GI.A - Juris) und ihm folgend das VG Magdeburg (Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 -) – die Auffassung vertreten wird, „es erscheine auch die Qualität der Asylverfahren bedenklich“, wird diese Kritik nicht weiter spezifiziert und auch nicht durch entsprechende Erkenntnismittel belegt.
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f) Ebenso lässt sich anhand des dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterials nicht feststellen, dass im Hinblick auf die rechtliche und soziale Situation anerkannter Asylbewerber sowie der Flüchtlinge mit einem Bleiberecht angesichts der in Italien anzutreffenden Lebens- und Versorgungssituation sowie unter Berücksichtigung der insoweit staatlicherseits unternommenen Integrationsbemühungen das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien derartige Mängel aufweist, dass es den Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht mehr entspricht.
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Schutzberechtigte, mithin anerkannte Asylbewerber (Asylberechtigte) und Personen mit subsidiärem Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten mit ihrer Anerkennung ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht; es wird ihnen eine Aufenthaltsberechtigung („permesso di soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.2.).
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Dies bedeutet in der Praxis, dass sie sich – ebenso wie italienische Staatsangehörige – grundsätzlich selbst um eine Unterkunft kümmern und auch in eigener Verantwortung einen Arbeitsplatz suchen müssen. Dafür besteht aber ein freier Zugang zum Arbeitsmarkt (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus besitzen, haben auch das Recht zu arbeiten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, a. a. O.).
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Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.). Anerkannte Asylbewerber und Personen mit einem subsidiären Schutzstatus haben Zugang zu einer Beschäftigung in Italien, wie dies durch Art. 26 und Art. 28 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) garantiert wird.
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Ein staatliches System finanzieller Hilfeleistungen bzw. ein Sozialhilfesystem existiert hingegen nicht. Denn in Italien gibt es für italienische Staatsangehörige – und somit auch für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die ihnen gleichgestellt sind – kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bzw. (sonstige) staatliche Sozialleistungen, jedenfalls soweit sie nicht das 65. Lebensjahr erreicht haben (AA, Auskunft v. 11.07.2012 an das VG Freiburg). Art. 28 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gewährt hinsichtlich der Sozialleistungen nur einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung, nicht aber einen Anspruch auf Privilegierung des anerkannten Flüchtlings.
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Zwar entspricht es der italienischen Kultur, dass es einen engen Familienzusammenhalt gibt, der im Notfall zumindest die Chance eröffnet, eine (gewisse) Unterstützung durch Familienangehörige in Anspruch nehmen zu können. Dass es eine solche vergleichbare Unterstützung unter den ausländischen Landsleuten gibt, die sich aufgrund ihres Schutzstatus dauerhaft in Italien aufhalten, erscheint nicht ausgeschlossen, dürfte aber die Ausnahme sein. Gleichwohl lässt dieser Umstand nach Auffassung des Senats für sich allein nicht schon die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass der anerkannte Flüchtling und sonstige Schutzberechtigte in Italien deshalb der konkreten Gefahr ausgesetzt wäre, „auf der Straße“ zu leben und zu verelenden.
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Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass – ebenso wie italienische Staatsangehörige in einer vergleichbaren Situation – auch anerkannte Asylbewerber und schutzberechtigte Flüchtlinge von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, wie beispielsweise durch die CARITA und CIR, Unterstützung bekommen können (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Die Zuständigkeit für die Festsetzung von derartigen öffentlichen Sozialleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen (z. B. Toskana, Emilia Romagna) wird die Höhe derartiger Leistungen durch die Kommune festgesetzt; die Leistungen weisen insoweit je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft deutliche Unterschiede auf (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Diese Erkenntnis deckt sich im Übrigen mit dem Gutachten der Flüchtlingsorganisation borderline-europe e. V. (Gutachten an das VG Braunschweig vom Dezember 2012) und der Auskunft der italienischen Vereinigung für rechtliche Untersuchungen zur Situation von Einwanderung (ASGI-Bericht vom 20. November 2011, S. 10 f.). Danach erhalten ebenfalls anerkannte Asylbewerber und Personen, denen internationaler Schutz gewährt worden ist, Unterstützungen allgemeiner Art, wie sie auch für andere mittellose Personen in Italien vorgesehen sind.
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Überdies ist für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus ein kostenfreier Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie Arzt, Zahnarzt, Krankenhaus gewährleistet (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Ein Anspruch auf Einhaltung bestimmter Mindeststandards im Hinblick auf die Gewährung von Unterkunft sowie auf eine gewisse materielle Unterstützung besteht für sie auch nach dem Unionsrecht nicht; ein solcher Anspruch besteht nur für Asylbewerber (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 - M.S.S. v. Belgium and Greece; EuGH, Urt. v. 21.12. 2011 - C-411/10 und C-493/10 - N.S. und M.E.), denn nach den Bestimmungen der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 steht Asylbewerbern und Schutzsuchenden zwar ein subjektives Recht auch auf eine angemessene Fürsorge zu. Nach Art. 3 Abs. 1 der genannten Richtlinie haben Asylbewerber jedoch nur solange Anspruch auf die in Art. 5 ff. der Richtlinie bezeichneten humanitären Leistungen, solange sie „als Asylbewerber im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen“. „Asylbewerber“ im Sinne der Richtlinie ist dabei ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde.
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Soweit anerkannten Asylbewerbern und schutzberechtigten Flüchtlingen in der Zivilbevölkerung vereinzelt Vorbehalte entgegen gebracht werden und sich diese Vorbehalte womöglich auch im Verhalten von Amtsträgern widerspiegeln sollten, lässt sich diesem Umstand keine selbständige rechtliche Bedeutung beimessen. Die gilt selbst dann, wenn der genannte Personenkreis im Alltag womöglich Benachteiligungen erfahren sollte. Denn die genannten Umstände lassen nicht den Schluss zu, dass das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien schon allein aus diesem Grunde den Regeln des europäischen Asylsystems zuwiderläuft.
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Nach allem erübrigt sich hier die Erörterung der weitergehenden Frage, ob und inwieweit auch möglicherweise jene (unionsrechtlichen) Rechtsverletzungen für die Entscheidung über den Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO relevant sind, die Personen betreffen, bei denen das Asylverfahren bereits mit einer Anerkennung bzw. mit einem subsidiären Schutzstatus abgeschlossen ist (vgl. hierzu VG Regensburg, Beschl. v. 16.08.2012 - RN 7 S 12.30273 -).
- 131
g) Zur Überzeugung des Senats steht auch bei der gebotenen Zukunftsprognose nicht zu erwarten, dass angesichts eines unvermindert anhaltenden oder wieder zunehmenden Flüchtlingsstroms nach Italien sich die dort anzutreffenden Verhältnisse (wieder) verschlechtern werden. So verhält es sich jedenfalls dann, wenn man bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats Folgendes in Rechnung stellt:
- 132
Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist in Italien gegenwärtig nicht (mehr) von einem Anstieg des Zustroms von Asylbewerbern und Flüchtlingen auszugehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013 Anm. 9.1. und 9.2.). Diese Entwicklung wird auch durch das dem Senat vorliegende Zahlenmaterial belegt. Laut Berichterstattung in der Presse (Spiegel online v. 26.04.2011) haben von Januar bis Ende April 2011 allein 26.000 Flüchtlinge in Italien um Schutz nachgesucht. Demgegenüber wurden laut Auskunft des Auswärtigen Amtes im ersten Halbjahr 2012 nur insgesamt 5.580 Asylanträge in Italien gestellt (AA, Auskunft v. 21.01.2013 Anm. 3.2.).
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Insbesondere ist auch ein deutlicher Rückgang von Anlandungen im Süden Italiens zu verzeichnen. Im Jahr 2011 waren es noch 62.692 Personen, im Jahre 2012 hingegen nur noch 13.267 Personen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1. und 9.2.). Dies ist – wie das Auswärtige Amt in nachvollziehbarer Weise feststellt – vor allem auf die Beruhigung der Lage in den Nordafrikanischen Staaten zurückzuführen (AA, a. a. O.).
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Im Übrigen ist auch in der Gesamtschau des letzten Jahrzehnts nicht von einem kontinuierlichen und erheblichen Zuwachs an Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien auszugehen, so dass etwa deshalb die Annahme einer nicht (mehr) zu bewältigenden “Überlastung“ des Asylsystems in Italien begründet wäre. In der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts waren die Zahlen bis 2006 vielmehr rückläufig, die Zahl der Asylantragsteller ging insoweit von 24.000 auf 10.000 zurück. In den Jahren 2008 und 2011 gab es dann in den Spitzen über 30.000 Asylbewerber, während es im Jahre 2012 allerdings wieder weniger als 15.000 Bewerber waren. Bei den genannten Spitzen handelte es sich somit um temporäre Erscheinungen aufgrund der politischen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem “arabischen Frühling“ (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.2.). Auch ist nach aktueller Einschätzung, namentlich vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in den Mittelmeer-Anrainerstaaten, nicht damit zu rechnen, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien in absehbarer Zeit ansteigen wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.3.).
- 135
Nach allem erweist sich die in der einschlägigen Rechtsprechung vielfach angeführte Begründung, dass wegen der zu erwartenden weiteren Flüchtlingsströme von Afrika nach Italien infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen und der damit einhergehenden instabilen Verhältnisse in Nordafrika sich die Entwicklung in Italien in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern, sondern eher noch verschlechtern wird (so u. a. VG Stuttgart, Beschl. v. 02.07.2012 - A 7 K 1877/12 -
) als nicht (mehr) tragfähig.
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Insbesondere lässt sich auch der Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen – UNHCR – vom 24. April 2012 an das Verwaltungsgericht Braunschweig kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass ernsthaft zu befürchten ist, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien grundlegende Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufweisen. Nach dem Inhalt dieser Stellungnahme wurden in Italien die regionalen Regierungen im Jahr 2011 nach Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika ausdrücklich gebeten, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden wurde zudem eine Vereinbarung getroffen, in der die Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Der UNHCR erkennt vor diesem Hintergrund an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben und die CARA-, CDA- und SPRAR-Projekte insgesamt in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl von Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR, a. a. O. S. 3).
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Dass die Verhältnisse zwischen Italien und Griechenland – wie gelegentlich behauptet wird – vergleichbar sind, vermag der Senat nicht festzustellen. Dies bedarf aber auch keiner Vertiefung, weil es hierauf nicht entscheidend ankommt. Dennoch bleibt festzustellen, dass der UNHCR – anders als in Bezug auf Griechenland – für Italien jedenfalls keine Empfehlung ausgesprochen hat, von einer Überstellung bzw. Abschiebung von Dublin-II-Flüchtlingen nach Italien abzusehen. Der Senat misst diesem Umstand kein geringes Gewicht bei. Soweit vereinzelt der Einwand erhoben wird, dies sei dem Umstand geschuldet, dass der UNHCR „politische Rücksichten zu nehmen habe“, ist dies durch Nichts belegt. Zwar hat – ausweislich des Tagungsberichts von Nora Markard zum 12. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz vom 18.-19. Juni 2012 in Berlin (ZAR 10/2012 S. 380 ff. S. 381 zur Situation in Italien) – der UNHCR Senior Regional Protection Associate Jürgen Humberg im Hinblick auf die deutsche Debatte über die Zulässigkeit von Abschiebungen nach Italien angeblich betont, dass der Umstand, dass der UNHCR bisher kein Positionspapier zu Italien veröffentlicht habe, nicht bedeute, dass in Italien „alles in Ordnung sei“; eine solche Schlussfolgerung, den einige Verwaltungsgerichte zögen, sei unzulässig. Auch diese Äußerung veranlasst den Senat nicht zu einer anderen Einschätzung im Hinblick darauf, dass sich der UNHCR – anders als in anderen Fällen – einer entsprechenden offiziellen Stellungnahme bzw. Empfehlung, von einer Rückführung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen, enthalten hat. Dies bedeutet keineswegs, dass der Senat der Auffassung wäre, in Italien „sei alles in Ordnung“; hieraus aber folgt eben noch nicht, dass in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in Italien systemische Mängel feststellbar sind, die eine Verletzung der Europäischen Grundrechtscharta oder der Menschenrechtskonvention darstellen.
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Festzustellen bleibt überdies, dass der UNHCR auch in seinem jüngsten Bericht (UNHCR - Recommendations on important aspects of Refugee protection in Italy) vom Juli 2013 trotz zahlreicher kritischer Anmerkungen bei seiner Einschätzung zur aktuellen Lage der Flüchtlinge und Asylbewerber in Italien zu keinem anderen Ergebnis gekommen ist.
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Schließlich hat auch der EGMR in einer neueren Entscheidung vom 02. April 2013 (Ap-plication No. 27725/10 - Mohammed Hussein vs. the Netherlands and Italy) eine gegen die Dublin-Überstellung von den Niederlanden nach Italien gerichtete Beschwerde als offensichtlich unbegründet abgewiesen. In der Entscheidung hat sich der EGMR mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, einer nach eigenen Angaben aus Somalia stammenden Frau mit zwei kleinen Kindern, zum Asylverfahren und auch zur Unterbringungssituation in Italien auseinander gesetzt und festgestellt, dass die Situation in Italien keineswegs mit der in Griechenland vergleichbar sei (Entscheidung v. 02.04. 2013, a. a. O. Rdn. 72). Auch aus dem Umstand, dass der EGMR in einer früheren Entscheidung (Application No. 64208/11) die Abschiebung eines Asylbewerbers von Deutschland nach Italien gestoppt hat, lässt sich nicht herleiten, dass Italien generell die Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht erfüllt. Die Gründe für den mit der genannten Entscheidung verhängten Abschiebungsstopp sind letztlich nicht bekannt. Dem „Statement of Facts“ ist indes zu entnehmen, dass sich der dortige Antragsteller zwar auch auf die Lebensumstände von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Italien berufen hat, jedoch insbesondere im Raum stand, dass er durch die Abschiebung aufgrund unterschiedlicher Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Münster und Magdeburg von seiner Frau und seinen Kindern getrennt werden würde, deren Abschiebung gestoppt wurde. Weitere Fälle des EGMR (Application No. 30815/09, Application No. 37159/09, Application No. 56424/10) betrafen unbegleitete Minderjährige und die spezielle Situation einer Mutter mit einem minderjährigen Kind (Application No. 2303/10).
- 140
Im Übrigen haben sowohl der Österreichische Asylgerichtshof (Spruch v. 03.05. 2010 - S16 412.104-1/2010-4E -, veröffentlicht unter http://www.ris.bka.gv.at, dort insbes. Ziffer 2.2.2.2.1. "Kritik am italienischen Asylwesen" m. w. N.) als auch das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht (vgl. u. a. Urt. v. 15.07.2010 - D 4987/ 2010 - und Urt. v. 18.03.2010 - D-1496/2010 -, im Internet abrufbar unter: http://www.bundes verwaltungsgericht.ch/index/entscheide/Jurisdiction-datenbank/Jurisdiction-recht-urteile aza.htm) die Rückführung von Asylsuchenden nach Italien in Ansehung der dortigen Asylverfahrenspraxis grundsätzlich als zulässig angesehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der angeführten Entscheidungen Bezug genommen.
- 141
Auch der Umstand, dass zahlreiche Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien zu einer gegenteiligen Einschätzung hinsichtlich der Verhältnisse und des Asylsystems in Italien gelangt sind, veranlasst den Senat nicht zur Annahme, dass die Behandlung der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien nicht in Einklang steht mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nach Auffassung des Senats wird in der insoweit einschlägigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte häufig nicht hinreichend dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich bei den zugrunde gelegten Erkenntnismitteln nicht selten um bloße subjektive Einschätzungen handelt, die nicht in der erforderlichen Weise durch Fakten belegt sind. Auch erscheint mitunter fraglich, ob die insoweit festgestellten Mängel und Defizite verallgemeinerungsfähig sind. Nicht zuletzt haben sich die Verhältnisse in Italien – wie dargelegt – zwischenzeitlich teilweise geändert, so etwa in Bezug auf den Flüchtlingsstrom aus Nordafrika und die Anzahl der für die Asylbewerber und Flüchtlinge zur Verfügung stehenden Unterkünfte. Im Übrigen ist Gegenstand der Prüfung nach § 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) nicht die Frage, ob die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren für Flüchtling und Asylbewerber kritikwürdig sind, weil das System zahlreiche Mängel aufweist oder hinter dem Schutzniveau anderer Mitgliedstaat zurückbleibt.
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Der Senat sieht auch keine Veranlassung, weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien einzuholen. Nach anerkannter Rechtsauffassung ist die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nur dann geboten, wenn sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung aufdrängen musste, weil bereits vorliegende Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen nicht den ihnen obliegenden Zweck erfüllen (konnten), dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts notwendige Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. In diesem Sinne kann z. B. ein Sachverständigengutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet oder jedenfalls unzureichend sein, wenn es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn es von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht (BVerwG, Beschl. v. 14.04.2011 - 2 B 80/10 - m. w. N., Juris). Dies ist hier aber nicht der Fall. Zwar sind die dem Senat vorliegenden zahlreichen Gutachten, Auskünfte und Stellungnahmen nicht in allen Punkte stets konsistent und völlig frei von gewissen Widersprüchen; soweit es indes die im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Tatsachen und Erkenntnisse betrifft, sind diese aufgrund der herangezogenen Erkenntnismittel zur Überzeugung des Senats hinreichend geklärt und eindeutig und mithin für die Überzeugungsbildung ausreichend.
- 143
Der Senat sieht insbesondere auch keine Veranlassung, an der Tauglichkeit des vorhandenen Erkenntnismaterials für die hier entscheidungsrelevanten Fragen zu zweifeln. Dies gilt speziell auch hinsichtlich des Beweiswertes der Auskünfte des Auswärtigen Amtes, da sie grundsätzlich eine sich auf unterschiedliche Erkenntnisquellen stützende Gesamtbewertung vornehmen und zudem im Allgemeinen den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten kommen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.08.2006 - 1 B 24.06 - Juris; Beschl. v. 06.10.1997 - 9 B 803.97 - Juris; Beschl. v. 08.09.1997 - 9 B 401.97 -; Beschl. v. 15.10. 1985 - 9 C 3.85 - Juris sowie Beschl. v. 31.07.1998 - 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28 = Juris). Nicht anders verhält es sich hier. So beruhen die den Auskünften des Auswärtigen Amtes zugrunde liegenden Erkenntnisse auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR, UNHCR und IOM in Rom, den Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Amtes ISTAT sowie schließlich auf Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen wie Carita Migrantes, Comunità di Sant’ Egidio u. a..
- 144
Nach allem vermag der Senat nicht zur Überzeugung zu gelangen, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 21.12.2011, a. a. O.) die Annahme rechtfertigen, dass die Klägerin aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Abschiebung bzw. Überstellung dorthin Gefahr laufen wird, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 3 EMRK und § 4 EuGrdRCH ausgesetzt zu werden und dass sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig erweist.
III.
- 145
Soweit das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid zugleich die Abschiebung der Klägerin nach Italien gem. § 34 Abs. 1 AsylVfG angeordnet hat, bestehen gegen die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung keine Bedenken.
- 146
§ 34a AsylVfG überantwortet die Entscheidung über die Abschiebung dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, so dass dieses die Abschiebungsanordnung verfügt. Das Bundesamt ordnet dabei nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Abschiebungsverbote sind nicht ersichtlich.
- 147
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
- 148
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§§ 132 Abs. 2, 137 VwGO).
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Der Verwaltungsrechtsweg ist in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts können einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz zugewiesen werden.
(2) Für vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl und aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben; dies gilt nicht für Streitigkeiten über das Bestehen und die Höhe eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen des Artikels 14 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die besonderen Vorschriften des Beamtenrechts sowie über den Rechtsweg bei Ausgleich von Vermögensnachteilen wegen Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte bleiben unberührt.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. Die Fristsetzung nach Satz 1 kann mit der Fristsetzung nach § 82 Abs. 2 Satz 2 verbunden werden.
(2) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann einem Beteiligten unter Fristsetzung aufgeben, zu bestimmten Vorgängen
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Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen, - 2.
Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen sowie elektronische Dokumente zu übermitteln, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist.
(3) Das Gericht kann Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn
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ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und - 2.
der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und - 3.
der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
(4) Abweichend von Absatz 3 hat das Gericht in Verfahren nach § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 15 und § 50 Absatz 1 Nummer 6 Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückzuweisen und ohne weitere Ermittlungen zu entscheiden, wenn der Beteiligte
Absatz 3 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.Tatbestand
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Der Kläger, nach eigenen Angaben ein somalischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Einstellung seines Asylverfahrens nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG.
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Er beantragte am 23. August 2010 die Anerkennung als Asylberechtigter. Ihm wurden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - am gleichen Tag Fingerabdrücke abgenommen. Dabei wurde festgestellt, dass eine Auswertung zum Zwecke des erkennungsdienstlichen Abgleichs nicht möglich war. Der mit der Abnahme der Fingerabdrücke befasste Mitarbeiter des Bundesamts hielt in einem Vermerk fest, dass die Fingerkuppen des Klägers Spuren von Manipulationen aufwiesen (z.B. Verletzungen der Haut), was dieser bestritt. Daraufhin wurde der Kläger mit Schreiben vom 23. August 2010 aufgefordert, sein Asylverfahren dadurch zu betreiben, dass er zum einen binnen eines Monats in der Außenstelle des Bundesamts erscheine und sich "auswertbare Fingerabdrücke" abnehmen lasse. Zum anderen solle er schriftlich darlegen, in welchen Staaten er sich nach dem Verlassen seines Herkunftslandes aufgehalten habe, ob er dort bereits einen Asylantrag gestellt habe und dieser ggf. abgelehnt worden sei. Gleichzeitig wurde er unter Bezugnahme auf § 33 AsylVfG darauf hingewiesen, dass sein Asylantrag als zurückgenommen gelte, wenn er das Verfahren länger als einen Monat nicht betreibe und in diesem Fall über das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 AufenthG nach Aktenlage zu entscheiden sei. Ihm wurde eine Übersetzung des Schreibens in die Sprache Somali überreicht.
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Der Kläger hat sich in einem weiteren Termin - nach Angaben des Bundesamts am 8. September 2010 - erneut Fingerabdrücke abnehmen lassen, die nach Mitteilung des Bundeskriminalamts vom 8. Oktober 2010 wiederum nicht verwertbar waren.
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Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 27. Oktober 2010 fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt ist (Ziff. 1). Weiter wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2). Schließlich wurde der Kläger unter Androhung der Abschiebung in den Herkunftsstaat aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Ziff. 3). Das Bundesamt hat den Bescheid im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Kläger der Betreibensaufforderung nicht nachgekommen sei. Weder am 23. August 2010 noch beim Folgetermin hätten verwertbare Fingerabdrücke gewonnen werden können. Die angeforderten schriftlichen Erklärungen (zum Reiseweg) habe der Kläger nicht abgegeben. Die Feststellung von Abschiebungsverboten nach Abs. 2 bis scheitere bereits daran, dass für den Kläger kein Herkunftsland habe festgestellt werden können.
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Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung des Bescheids sowie hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG hinsichtlich Somalias. Zur Begründung hat er geltend gemacht, es habe kein Anlass zum Erlass einer Betreibensaufforderung vorgelegen. Zudem habe er sein Verfahren dadurch betrieben, dass er sich einer weiteren erkennungsdienstlichen Maßnahme unterzogen habe.
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Während des Klageverfahrens forderte das Bundesamt den Kläger mit einem an seine Verfahrensbevollmächtigten gerichteten Schreiben vom 26. Oktober 2011 erneut auf, das Verfahren dadurch zu betreiben, dass er beim Bundesamt erscheine und sich Fingerabdrücke abnehmen lasse. Dazu erhalte er vom Bundesamt einen Ladungstermin. Die Pflicht zur Duldung erkennungsdienstlicher Maßnahmen umfasse auch die Verpflichtung, im Vorfeld der erneuten Fingerabdrucknahme alle Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Auswertbarkeit der Fingerabdrücke beeinträchtigen oder vereiteln könnten. Das Schreiben ging den Verfahrensbevollmächtigten am 28. Oktober 2011 zu.
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Mit Schreiben vom 9. November 2011 wurde der Kläger zur erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung auf den 24. November 2011 geladen. Er erschien an diesem Termin; die abgenommenen Fingerabdrücke erwiesen sich wiederum als nicht auswertbar. Nach einem Vermerk stellte der mit der Abnahme befasste Mitarbeiter des Bundesamts an den Fingerkuppen des Klägers Abschürfungen, Vernarbungen, starke Hornhautbildung, Verhärtungen, besonders trockene Finger und äußerst schwache Papillarlinien fest. Der Kläger bestritt, seine Fingerkuppen manipuliert zu haben.
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Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Bundesamts aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten mit Urteil vom 14. Januar 2013 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass der Asylantrag nicht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG als zurückgenommen gelte. Denn der Kläger sei gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG nicht verpflichtet, Fingerabdrücke abzugeben, die im Rahmen des Eurodac-Systems verwertbar seien. Er habe vielmehr seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht genügt, indem er sämtlichen Aufforderungen der Beklagten, erkennungsdienstliche Maßnahmen nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG zu dulden, gefolgt sei und sich Fingerabdrücke habe abnehmen lassen. Beschränke der Gesetzgeber die Mitwirkung im Fall einer erkennungsdienstlichen Behandlung auf eine Duldungspflicht, sei es dem Bundesamt verwehrt, durch behördliche Verfügung darüber hinausgehende Mitwirkungshandlungen einzufordern und diese bei Unterbleiben mit einer Verfahrenseinstellung zu sanktionieren. Mangels entsprechender gesetzlicher Verpflichtung zur Abgabe verwertbarer Fingerabdrücke komme es nicht darauf an, ob der Kläger die Unverwertbarkeit seiner Fingerabdrücke zu vertreten habe. Soweit die Einstellungsverfügung auch darauf gestützt sei, dass der Kläger entgegen der Betreibensaufforderung keine Angaben zum Reiseweg und bereits gestellten Asylanträgen gemacht habe, sei er dazu vom Bundesamt nicht angehört worden. Auch insoweit lägen daher die Voraussetzungen des § 33 AsylVfG nicht vor.
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Die Beklagte rügt mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, die Auslegung des § 15 AsylVfG seitens des Berufungsgerichts verletze Bundesrecht. Aus § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG oder dem Rückgriff auf Absatz 1 der Vorschrift ergebe sich die Pflicht, alle zielgerichteten Maßnahmen zu unterlassen, die den Erfolg einer erkennungsdienstlichen Behandlung vereiteln könnten. Nach der maßgeblich unionsrechtlich beeinflussten gesetzlichen Konzeption habe das Bundesamt vorrangig die Frage der Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung des Schutzbegehrens zu klären. Selbst wenn Deutschland zuständig sei, müsse geklärt werden, ob und ggf. mit welchem Ergebnis der Asylbewerber zuvor ein Asylverfahren betrieben habe, da ein weiteres Asylbegehren sich als Zweitantrag darstelle.
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Der Kläger hält sich in Übereinstimmung mit den Urteilen der Vorinstanzen nicht für verpflichtet, verwertbare Fingerabdrücke abzugeben. Ferner rügt er, in der Betreibensaufforderung vom 23. August 2010 nur unzureichend belehrt worden, insbesondere nicht darauf hingewiesen worden zu sein, dass die Einstellung des Verfahrens unmittelbar den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylVfG zur Folge habe. Der an seine Verfahrensbevollmächtigten gerichteten Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 sei keine Übersetzung beigefügt gewesen.
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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht schließt sich weitgehend der Rechtsauffassung der Beklagten an. Nach seiner Auffassung darf das Bundesamt nicht darauf verwiesen werden, die Tatsache einer Manipulation der Fingerkuppen nur bei der Prüfung der Voraussetzungen einer Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG zu würdigen. Die Betreibensaufforderung diene gerade der Klärung, ob die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung vorlägen oder ob eine Überstellung des Ausländers in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu erfolgen habe, in dem der Kläger (bei Schutzbedürftigkeit) internationalen Schutz beanspruchen könne.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Aufhebung der angefochtenen Einstellungsverfügung durch das Verwaltungsgericht mit einer Begründung bestätigt, die Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 VwGO). Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof zutreffend entschieden, dass sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG keine Garantieverpflichtung des Asylbewerbers ableiten lässt, für die Auswertbarkeit seiner Fingerabdrücke einstehen zu müssen. Die in der Vorschrift normierte Mitwirkungspflicht umfasst aber entgegen der Auffassung der Vorinstanz die Verpflichtung, im Vorfeld der Abnahme von Fingerabdrücken deren Auswertbarkeit nicht zu vereiteln. Da das Berufungsgericht die Aufforderung zur Schilderung des Reisewegs in der Betreibensaufforderung vom 23. August 2010 zu Unrecht beanstandet und unter Verletzung von § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die zweite Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 und das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit der dritten erkennungsdienstlichen Behandlung vom 24. November 2011 nicht in den Blick genommen hat, kann der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil weder zugunsten noch zulasten des Klägers selbst abschließend entscheiden. Daher ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylverfahrensgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258).
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1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die hier erhobene Anfechtungsklage statthaft ist. Der Gesetzgeber hat mit der in §§ 32, 33 AsylVfG geregelten Verfahrenseinstellung durch Verwaltungsakt dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - eine Handlungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt, gegen die der Betroffene nur im Wege der Anfechtungsklage Rechtsschutz erlangen kann. Macht das Bundesamt von dieser gesetzlichen Ermächtigung fehlerhaft Gebrauch, darf das Gericht mit der Aufhebung der nach §§ 32, 33 AsylVfG getroffenen Entscheidung nicht zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf Gewährung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung entscheiden. Vielmehr ist die Sachentscheidung nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes zunächst dem Bundesamt vorbehalten. Der Asylsuchende muss die Aufhebung dieses Bescheides erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will (so schon Urteil vom 7. März 1995 - BVerwG 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 S. 2).
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2. Nach § 33 Abs. 1 AsylVfG gilt ein Asylantrag, der nach § 13 Abs. 1 und 2 AsylVfG auch den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfasst, als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren trotz Aufforderung des Bundesamts länger als einen Monat nicht betreibt (Satz 1). In der Aufforderung ist der Ausländer auf die nach Satz 1 eintretende Folge hinzuweisen (Satz 2). Liegen die Voraussetzungen einer (fiktiven) Antragsrücknahme vor, darf das Bundesamt keine Sachentscheidung mehr über den Asylantrag treffen. Vielmehr hat es nach § 32 AsylVfG in seiner Entscheidung festzustellen, dass das Asylverfahren eingestellt ist und ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder 7 AufenthG vorliegt (Satz 1). In den Fällen des § 33 AsylVfG ist nach Aktenlage zu entscheiden (Satz 2). Das Bundesamt erlässt ferner eine Abschiebungsandrohung; die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist beträgt nach §§ 34, 38 Abs. 2 AsylVfG eine Woche.
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Die Vorschriften über die fiktive Rücknahme des Asylantrags im Verwaltungsverfahren bei Nichtbetreiben des Verfahrens und die daran anknüpfende Einstellungsentscheidung des Bundesamts wurden durch das Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 26. Juni 1992 (BGBl I S. 1126) in das Asylverfahrensgesetz eingefügt. Die in § 33 AsylVfG getroffene Regelung ist der für das Gerichtsverfahren geltenden fiktiven Rücknahme der Klage (§ 81 AsylVfG) nachgebildet (vgl. BTDrucks 12/2062 S. 33). Durch sie soll verhindert werden, dass Ausländer das Asylverfahren durch bewusstes Nichtbetreiben verzögern. Im Hinblick auf den Ausnahmecharakter sowie die weitreichenden Konsequenzen der Vorschrift dürfen die Anforderungen an das Verhalten eines Schutzsuchenden, mit dem dieser sein fortbestehendes Interesse an einer behördlichen Sachentscheidung zum Ausdruck bringen muss, nicht überspannt werden (vgl. zur Betreibensaufforderung im gerichtlichen Verfahren: BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1998 - 2 BvR 2662/95 - DVBl 1999, 166; BVerwG, Beschluss vom 18. September 2002 - BVerwG 1 B 103.02 - Buchholz 310 § 92 VwGO Nr. 16). Diese bisher nur für die gerichtliche Betreibensaufforderung formulierten Maßstäbe sind auch auf § 33 AsylVfG übertragbar (so auch Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, Stand: Januar 2010, § 33 Rn. 6).
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Die Aufforderung im Sinne des § 33 Abs. 1 AsylVfG setzt einen bestimmten Anlass voraus, der geeignet ist, Zweifel an dem Bestehen oder Fortbestehen des Sachentscheidungsinteresses zu wecken. Solche Zweifel können sich auch aus einer Vernachlässigung verfahrensrechtlicher Mitwirkungspflichten ergeben; in diesem Fall dient die Betreibensaufforderung dazu, den Ausländer nachdrücklich auf diese Pflichten hinzuweisen (vgl. Urteil vom 23. April 1985 - BVerwG 9 C 48.84 - BVerwGE 71, 213 <219> = Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 3 S. 12; Beschluss vom 18. September 2002 a.a.O.). Berechtigte Zweifel können sich aber nur aus der Verletzung einer Mitwirkungspflicht ergeben, die eine gesetzliche Grundlage hat. Auch die Betreibensaufforderung selbst darf inhaltlich nur auf die Erfüllung einer gesetzlich begründeten Mitwirkungspflicht gerichtet sein. Das Instrument der Betreibensaufforderung stellt sich gerade auch in solchen Fällen als geeignete Reaktion auf eine Vernachlässigung gesetzlicher Mitwirkungspflichten dar, in denen der Ausländer bei der Klärung der Zuständigkeit deutscher Behörden für die Sachentscheidung über das Asylbegehren nicht hinreichend mitwirkt.
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Die allgemeinen Mitwirkungspflichten von Asylbewerbern und Ausländern, die die Anerkennung als Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG begehren, ergeben sich aus § 15 AsylVfG. Diese Vorschrift wurde ebenfalls durch das Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens 1992 in das Asylverfahrensgesetz eingefügt. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist der Ausländer persönlich verpflichtet, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. § 15 Abs. 2 AsylVfG regelt beispielhaft ("insbesondere") einzelne, besonders wichtige Mitwirkungspflichten (BTDrucks 12/2062 S. 30). Danach ist der Ausländer u.a. verpflichtet, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden die erforderlichen Angaben mündlich und nach Aufforderung auch schriftlich zu machen (Nr. 1), den gesetzlichen oder behördlichen Anordnungen, sich bei bestimmten Behörden oder Einrichtungen zu melden oder dort persönlich zu erscheinen, Folge zu leisten (Nr. 3) und die vorgeschriebenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu dulden (Nr. 7).
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3. Anlass zum Erlass einer Betreibensaufforderung kann sich folglich aus der Verletzung der dem Asylbewerber nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG auferlegten Pflicht zur Duldung der vorgeschriebenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen ergeben. Zwar lässt sich aus dieser Vorschrift keine Garantieverpflichtung für die Auswertbarkeit der Fingerabdrücke ableiten. Die in § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG normierte Mitwirkungspflicht umfasst aber auch die Verpflichtung des Asylbewerbers, im Vorfeld einer geplanten Fingerabdrucknahme alle Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Auswertbarkeit seiner Fingerabdrücke beeinträchtigen oder vereiteln könnten.
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Inhalt und Bedeutung der Mitwirkungspflicht des Ausländers bei der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG ergeben sich aus dem Sinnzusammenhang der Regelung mit § 16 AsylVfG und den unionsrechtlichen Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach der Verordnung (EG) Nr. 343 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl EU L Nr. 50 vom 25. Februar 2003 S. 1) - sog. Dublin-Verordnung - und der Verordnung vom 11. Dezember 2000 über die Einrichtung von "Eurodac" für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens (Abl EG L 316/1) - Eurodac-Verordnung. Zu dulden sind nach Art, Umfang und Zielsetzung die nach § 16 AsylVfG gebotenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen, auch wenn der Asylbewerber selbst nicht unmittelbarer Adressat dieser Regelung ist. Auch § 16 AsylVfG wurde durch das Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 26. Juni 1992 (BGBl I S. 1126) in das Asylverfahrensgesetz eingefügt. Die Vorschrift regelt, welche Mittel der Identitätsfeststellung zulässig sind, wer dafür zuständig ist, wer dabei Amtshilfe leistet, in welchem Rahmen die erhobenen Daten verwendet, gespeichert und übermittelt werden dürfen und wann sie zu löschen sind. In § 16 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG wird die Verpflichtung der zuständigen Behörde zur Sicherung der Identität eines um Asyl nachsuchenden Ausländers durch erkennungsdienstliche Maßnahmen begründet, sofern er das 14. Lebensjahr vollendet hat. Zur Identitätssicherung nach Satz 1 dürfen gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG nur Lichtbilder und Abdrücke aller zehn Finger aufgenommen werden. Nach Satz 3 darf zur Bestimmung des Herkunftsstaats oder der Herkunftsregion auch das gesprochene Wort des Ausländers auf Ton- oder Datenträger aufgezeichnet werden. Dabei ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien das Ziel des Gesetzgebers, durch eine generelle erkennungsdienstliche Behandlung der Gefahr entgegen zu wirken, dass Asylsuchende gleichzeitig oder nacheinander unter verschiedenen Namen und unter Verschweigen des anhängigen oder abgeschlossenen anderweitigen Asylverfahrens einen weiteren Asylantrag stellen (BTDrucks 12/2062 S. 30).
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Außerdem dient § 16 AsylVfG der Erfüllung der unionsrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus der Eurodac-Verordnung (BTDrucks 14/7386 S. 59; allgemein S. 36). Nach Art. 4 Abs. 1 der Eurodac-Verordnung ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, jedem Asylbewerber, der mindestens 14 Jahre alt ist, unverzüglich die Fingerabdrücke aller Finger abzunehmen und der Eurodac-Zentraleinheit zu übermitteln. Die Zentraleinheit vergleicht sie nach Art. 4 Abs. 3 der Verordnung mit den von anderen Mitgliedstaaten übermittelten und in der zentralen Datenbank bereits gespeicherten Daten, auf Wunsch auch mit früher übermittelten Fingerabdruckdaten des gleichen Mitgliedsstaats (Art. 4 Abs. 4 Verordnung). Zweck des Eurodac-Systems ist es, die Anwendung des Dubliner Übereinkommens über die Bestimmung des für die Prüfung zuständigen Mitgliedsstaats zu erleichtern (Art. 1 Abs. 1 der Eurodac-Verordnung). Um den Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus der Eurodac-Verordnung nachzukommen, muss das Bundesamt den Asylbewerbern Fingerabdrücke in einer Qualität abnehmen, die einen Datenabgleich innerhalb des Eurodac-Systems ermöglicht.
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Dient § 16 AsylVfG jedenfalls auch der Erfüllung der Verpflichtungen aus der Eurodac-Verordnung und verpflichtet § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG den Ausländer, die in § 16 AsylVfG inhaltlich näher bestimmten erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu dulden, ergibt sich daraus für die Abnahme von Fingerabdrücken Folgendes: § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG ist nur als Duldungspflicht formuliert. Diese soll der Behörde aber erkennungsdienstliche Maßnahmen im Sinne von § 16 Abs. 1 AsylVfG ermöglichen, die zur Auswertung im Eurodac-System geeignet sind. Den Asylsuchenden trifft mit der ihm obliegenden Pflicht zur Duldung dieser erkennungsdienstlichen Maßnahmen zwar nicht die Garantieverpflichtung zu gewährleisten, dass die von ihm abgegebenen Fingerabdrücke im Rahmen des Eurodac-Systems auswertbar sind. Er ist nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 16 Abs. 1 AsylVfG aber verpflichtet, alle Maßnahmen zu unterlassen, die eine Identitätsfeststellung auf Grundlage der gesetzlichen Vorschriften - einschließlich der Eurodac-Überprüfung - erschweren oder vereiteln (ähnlich Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, § 33, Stand: Mai 2011, Rn. 21.3). Dieser Inhalt der gesetzlichen Verpflichtung des Asylbewerbers ergibt sich hinreichend klar aus einer an Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung orientierten Auslegung, ohne dass es hierfür - wie das Berufungsgericht meint - einer gesetzlichen Neuregelung oder Klarstellung bedarf.
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Die dem Asylbewerber nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG auferlegte Pflicht zur Duldung der Abnahme seiner Fingerabdrücke und Unterlassung aller Maßnahmen, die eine Verwertbarkeit der Fingerabdrücke zum Zwecke der Identitätsfeststellung erschweren oder vereiteln, ist mit Art. 11 der Richtlinie 2005/85/EG vom 1. Dezember 2005 (Asylverfahrensrichtlinie) vereinbar. Diese Fassung der Verfahrensrichtlinie findet nach der Übergangsregelung in Art. 52 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 im vorliegenden Verfahren weiterhin Anwendung. Nach Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG können die Mitgliedstaaten die Asylbewerber verpflichten, mit den zuständigen Behörden zusammenzuarbeiten, sofern diese Verpflichtung für die Bearbeitung des Antrags erforderlich ist. Der Katalog der Pflichten in Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie, die Asylbewerbern auferlegt werden dürfen, enthält die Verpflichtung zur Duldung der Abnahme von Fingerabdrücken zwar nicht. Das ist aber auch nicht erforderlich, da es sich nur um Regelbeispiele handelt ("insbesondere"). Die Auferlegung einer Pflicht zur Mitwirkung bei der Abnahme von Fingerabdrücken ist jedoch durch die Generalklausel des Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie gedeckt, wonach die Asylbewerber von den Mitgliedstaaten zu den Mitwirkungshandlungen verpflichtet werden können, die für die Bearbeitung des Asylantrags erforderlich sind. Denn die Abnahme von Fingerabdrücken, die für einen Datenabgleich im Eurodac-System geeignet sind, gehört zu den für die Antragsbearbeitung erforderlichen Pflichten. Dies unterstreicht auch Art. 23 Abs. 4 Buchst. n der Richtlinie, der eine Verpflichtung der Antragsteller zur Abnahme ihrer Fingerabdrücke als nach gemeinschaftsrechtlichen oder nationalen Rechtsvorschriften zumindest möglich voraussetzt. Auch aus der Pflicht der Mitgliedstaaten zur Fingerabdrucknahme nach der Eurodac-Verordnung ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten insoweit die Antragsteller zur Duldung der Fingerabdrucknahme verpflichten dürfen.
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Eine weitergehende Pflicht zur Abgabe auch auswertbarer Fingerabdrücke kann auch nicht aus § 15 Abs. 1 AsylVfG hergeleitet werden. Die in Absatz 2 der Vorschrift speziell geregelten Pflichten sind zwar nicht abschließend ("insbesondere"). Auch soweit Pflichten in Bezug auf erkennungsdienstliche Behandlungen nicht abschließend in § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG normiert sein sollten, verlangte eine Einstandspflicht für die Auswertbarkeit abgenommener Fingerabdrücke dem Asylbewerber mehr ab, als dieser zumutbar zu leisten vermag; dies bürdete dem Asylbewerber nicht zuletzt auch das Risiko einer ihm nicht zurechenbaren Nichtauswertbarkeit auf.
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4. Mit dem Instrument der Betreibensaufforderung darf auf die Verletzung der Pflicht zur Mitwirkung an der Identitätsklärung reagiert werden. Dies schließen weder die nationalen noch die unionsrechtlichen Vorschriften über die Behandlung von Asylanträgen aus.
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§ 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG, nach dem ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, wenn der Asylbewerber über seine Identität täuscht oder diese Angaben verweigert, bildet keine abschließende Regelung. § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG setzt einen als unbegründet abzulehnenden Asylantrag und damit die Befugnis des Bundesamts für die Sachprüfung des Antrages voraus. Er tritt selbständig neben die Möglichkeit, zur Prüfung dieser Befugnis einen Asylbewerber nach § 33 AsylVfG durch entsprechende Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens durch Mitwirkung an der Identitätsfeststellung anzuhalten und im Falle des Nichtbetreibens das Verfahren ohne Sachprüfung einzustellen. Der vorliegende Fall gibt dabei keinen Anlass, das Verhältnis beider Regelungen näher zu bestimmen. Jedenfalls in der hier vorliegenden Fallkonstellation kommt ein Vorgehen nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG (Betreibensaufforderung und ggf. die Verfahrenseinstellung) dem gesetzgeberischen Ziel näher, Mehrfachanerkennungen und einander widersprechende Sachentscheidungen über Asylanträge innerhalb der EU zu vermeiden. Denn ohne die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nach §§ 32, 33 AsylVfG im Fall der unzureichenden Mitwirkung bei der Identitätsfeststellung müsste das Bundesamt eine Sachentscheidung über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft treffen, obwohl ihm dies nach § 60 Abs. 1 Satz 6 i.V.m. Satz 2 AufenthG verwehrt ist, wenn dem Betroffenen die Rechtsstellung eines Konventionsflüchtlings bereits außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zuerkannt worden ist. Demgegenüber gewährleistet die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG, dass über seinen Antrag nicht inhaltlich entschieden wird, wenn der Asylbewerber in zurechenbarer Weise die Klärung seiner Identität verhindert.
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Auch das Unionsrecht lässt für Fälle der vorliegenden Art Raum für eine Betreibensaufforderung nach § 33 AsylVfG. Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG (Asylverfahrensrichtlinie) eröffnet ausdrücklich sowohl die Einstellung des Verfahrens als auch die Ablehnung des Asylantrags als alternative Reaktionen im Falle des Nichtbetreibens des Verfahrens durch den Asylbewerber. Zwar ermöglicht Art. 28 Abs. 2 i.V.m. Art. 23 Abs. 4 Buchst. n der Asylverfahrensrichtlinie den Mitgliedstaaten auch die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet, wenn der Antragsteller sich weigert, der Verpflichtung zur Abnahme seiner Fingerabdrücke gemäß den einschlägigen Rechtsvorschriften nachzukommen. Hiermit wird jedoch nur eine von mehreren Möglichkeiten eröffnet, wie die Mitgliedstaaten auf die Verletzung der Mitwirkungspflicht reagieren können. Dass insoweit keine abschließende Regelung getroffen wurde, ergibt sich schon daraus, dass Art. 23 Abs. 4 der Asylverfahrensrichtlinie auf die Grundprinzipien nach Kapitel II der Richtlinie verweist, wozu die Möglichkeit der Einstellung der Antragsprüfung nach Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie im Fall der Nichtbetreibung des Verfahrens zählt. Wollte man dem nicht folgen, müsste auch bei ungeklärter Identität des Asylbewerbers stets eine Sachentscheidung ergehen. Dies würde aber dem unionsrechtlichen Ziel der Bestimmung eines - und nur eines - zuständigen Mitgliedstaats für die Asylentscheidung durch Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der Dublin-Verordnung widersprechen.
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Das Urteil des französischen Cour Nationale du Droit d' Asile vom 21. Februar 2012 (No. 11032252) besagt nichts anderes. Danach widerspricht es französischem Recht, den Asylantrag eines Ausländers wegen fehlender Ausweisdokumente und nicht verwertbarer Fingerabdrücke abzulehnen, ohne sich mit den individuellen Gegebenheiten des Schutzgesuchs auseinanderzusetzen. Die Begründung der Entscheidung bezieht sich nämlich nicht auf Unionsrecht, sondern ausschließlich auf die in Frankreich geltenden nationalen Rechtsvorschriften, in denen eine Verfahrenseinstellung entsprechend den §§ 32, 33 AsylVfG gerade nicht vorgesehen ist.
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5. Berechtigte Zweifel am Bestehen eines Sachentscheidungsinteresses ergeben sich allerdings nicht allein aus der Unverwertbarkeit der einem Schutzsuchenden abgenommenen Fingerabdrücke. Denn die Unverwertbarkeit von Fingerabdrücken ist nicht zwangsläufig auf eine zielgerichtete Manipulation zurückzuführen. Sie kann ihre Ursache beispielsweise auch in einer genetischen Disposition oder Erkrankung des Betroffenen haben (zur Seltenheit eines angeborenen Fehlens von Papillarleisten vgl. Bettina Burger u.a., Das "Immigrationsverzögerungs-Leiden" in: HAUT 2011 S. 25 f.) oder auf die Folgen einer Chemotherapie zurückzuführen sein. Außerdem kann sie auf einer fehlerhaften Abnahme und/oder Auswertung der Fingerabdrücke durch die Behörde beruhen. Auch eine untypische Häufung von Qualitätsmängeln bei bestimmten Herkunftsländern stellt für sich genommen keinen hinreichenden Anlass dar. Anders verhält es sich jedoch, wenn über die bloße Unverwertbarkeit der Fingerabdrücke hinaus bei der Abnahme konkrete Anhaltspunkte für eine Manipulation der Fingerkuppen bestehen, etwa wenn die Fingerkuppen sichtbare Anomalien aufweisen (z.B. Abschürfungen, Vernarbungen, Schleifspuren, Fehlen von oder auffallend geringe Höhe der Papillarleisten) und der Betroffene diese nicht schlüssig erklären kann. Gleiches gilt bei mehrfacher Unverwertbarkeit der Fingerabdrücke mit unterschiedlichen Fehlstellen. In diesen Fällen besteht der Verdacht, dass der Asylsuchende die Verwertbarkeit seiner Fingerabdrücke durch eigenes Tun vereitelt hat, um so seine wahre Identität zu verschleiern. Ein derartiges Verhalten ist geeignet, Zweifel an der Ernsthaftigkeit seines Asylbegehrens zu begründen. Das Bundesamt ist gut beraten, wenn es dann die Indizien, die auf eine Manipulation hindeuten, und die Einlassung des Betroffenen hinreichend dokumentiert, um im Streitfall das Bestehen berechtigter Zweifel am Vorliegen eines Sachentscheidungsinteresses nachweisen zu können.
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Liegt ein hinreichender Anlass für den Erlass einer Betreibensaufforderung vor, muss diese folgenden Maßgaben genügen: Eine besondere Form ist für die Betreibensaufforderung nicht vorgeschrieben. Als verfahrensleitende Verfügung braucht sie in Ermangelung einer entsprechenden Regelung nicht förmlich zugestellt zu werden, wie in § 31 Abs. 1 AsylVfG für Entscheidungen über Asylanträge vorgeschrieben (vgl. Urteil vom 7. März 1995 - BVerwG 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 S. 6). Wegen der mit ihrem Zugang in Lauf gesetzten Monatsfrist bedarf es aber eines Nachweises, dass und zu welchem Zeitpunkt die Aufforderung dem Betroffenen tatsächlich zugegangen ist. Außerdem bestehen wegen der einschneidenden Folgen der gesetzlichen Rücknahmefiktion besondere Anforderungen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmtheit einer Betreibensaufforderung. Sowohl der die Betreibensaufforderung auslösende Anlass als auch das von dem Schutzsuchenden erwartete Verhalten sind in der Aufforderung so weit zu individualisieren und zu konkretisieren, dass dieser hinreichend deutlich erkennen kann, warum das Bestehen eines Sachentscheidungsinteresses angezweifelt wird. Schließlich muss klar erkennbar sein, welche konkreten Mitwirkungshandlungen von dem Betroffenen binnen Monatsfrist verlangt werden, um so den Eintritt der gesetzlichen Rücknahmefiktion nach Ablauf eines Monats zu verhindern. Dabei gehen etwaige Unklarheiten hinsichtlich Art und Umfang des vom Ausländer zur Vermeidung der Rücknahmefiktion konkret erwarteten Verhaltens zu Lasten der Behörde.
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Außerdem ist der Schutzsuchende über die gesetzlich eintretende Rücknahmefiktion zu belehren (§ 33 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Dazu gehört, dass er zutreffend und unmissverständlich auf die Monatsfrist des § 33 AsylVfG hingewiesen wird, innerhalb derer er die geforderte Mitwirkung erbringen muss und nach deren Ablauf der Antrag als zurückgenommen gilt, wenn er der Aufforderung nicht nachkommt (Beschluss vom 1. März 2002 - BVerwG 1 B 403.01 - Buchholz 402.25 § 81 AsylVfG Nr. 1). Des Weiteren gebietet der Grundsatz des fairen Verfahrens (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. März 1994 - 2 BvR 2371/93 - DVBl 1994, 631), den Asylbewerber darüber zu belehren, dass das Bundesamt im Fall der Beendigung des Verfahrens ohne weitere Anhörung nach Aktenlage über etwaige Abschiebungsverbote entscheidet (§ 32 AsylVfG). Eines darüber hinausgehenden Hinweises auf den mit einer Einstellungsverfügung im Fall der negativen Entscheidung über Abschiebungsverbote regelmäßig verbundenen Erlass einer Abschiebungsandrohung gemäß § 34 AsylVfG bedarf es jedoch - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht. Denn selbst für einen anwaltlich nicht vertretenen Asylbewerber ist erkennbar, dass die Einstellung seines Asylverfahrens wegen Verletzung einer ihm obliegenden Mitwirkungspflicht bei gleichzeitiger negativer Entscheidung über Abschiebungsverbote die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen zur Folge haben wird. Schließlich muss das Bundesamt den Asylbewerber über den Inhalt der ergangenen Aufforderung und die erforderliche Belehrung über die Monatsfrist und die Folgen ihrer Versäumung - jedenfalls in Fällen, in denen er anwaltlich nicht vertreten ist und die Betreibensaufforderung ihm unmittelbar zugeht - in einer für ihn verständlichen Sprache unterrichten, etwa durch Übersetzung der Betreibensaufforderung (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG).
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Inhaltlich muss eine Betreibensaufforderung auf die Erfüllung einer gesetzlich begründeten Mitwirkungspflicht gerichtet sein. Weiter muss die geforderte Handlung zur weiteren Durchführung des Asylverfahrens erforderlich und dem Schutzsuchenden tatsächlich möglich und zumutbar sein. Wird vom Asylbewerber eine Mitwirkung bei der Abnahme von Fingerabdrücken verlangt, darf die Betreibensaufforderung - wie sich aus oben näher dargelegten Gründen ergibt (Rn. 22, 24) - nur auf die gesetzesunmittelbar bestehende Pflicht hinweisen, im Vorfeld alle Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Auswertbarkeit seiner Fingerabdrücke beeinträchtigen oder vereiteln könnten. Auf einen Erfolg der Auswertung der Fingerabdrücke darf sie hingegen nicht gerichtet sein.
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Auch darf vom Asylbewerber verlangt werden, schriftliche Angaben zu seinen bisherigen Voraufenthalten und zu einer eventuell bereits erfolgten Asylantragstellung zu machen. Eine solche Mitwirkungspflicht ergibt sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG, wonach der Ausländer verpflichtet ist, dem Bundesamt die erforderlichen Angaben mündlich und nach Aufforderung auch schriftlich zu machen. Zu den erforderlichen Angaben zählen nach § 25 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG (u.a.) auch solche über Reisewege, Aufenthalte in anderen Staaten und dort eingeleitete oder durchgeführte Asylverfahren. Diese Angaben benötigt das Bundesamt, um seine Zuständigkeit im Rahmen der Dublin-Verordnung feststellen zu können und um u.a. die Frage zu klären, ob der Ausländer bereits Schutz in einem sicheren Drittstaat gefunden hat oder aus einem solchen Staat eingereist ist (vgl. § 26a ff. AsylVfG).
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6. Die Prüfung der Betreibensaufforderungen vom 23. August 2010 und 26. Oktober 2011 anhand der o.g. Vorgaben als Vorfrage für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einstellungsbescheids führt zu dem Ergebnis, dass das Berufungsurteil in mehrfacher Hinsicht auf der Verletzung von Bundesrecht beruht. Der Senat vermag nicht selbst festzustellen, ob wegen Verdachts der Manipulation der Fingerkuppen des Klägers ein hinreichender Anlass für den Erlass der Betreibensaufforderungen vorlag und der Kläger das Verfahren nicht betrieben hat, weil er gegen seine Mitwirkungspflicht aus § 15 Abs. 2 Nr. 1 oder 7 AsylVfG verstoßen hat.
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6.1 Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die dem Kläger in der Betreibensaufforderung vom 23. August 2010 auferlegte Verpflichtung, sich "auswertbare Fingerabdrücke" abnehmen zu lassen, rechtswidrig und unwirksam ist. Wie oben bereits ausgeführt (Rn. 24), lässt sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG keine Garantieverpflichtung für die Auswertbarkeit der Fingerabdrücke ableiten.
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6.2 Das Berufungsurteil verletzt jedoch Bundesrecht, da es die in der Betreibensaufforderung vom 23. August 2010 enthaltene, erkennbar selbständige Verpflichtung zur schriftlichen Darlegung des Reisewegs und der Stellung von Asylanträgen mangels Anhörung durch das Bundesamt als unwirksam erachtet hat (UA Rn. 30). Die Verpflichtung beruht auf § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG und ist inhaltlich nicht zu beanstanden (s.o. Rn. 33). Die Angaben waren zur weiteren Durchführung des Asylverfahrens erforderlich, und es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, warum sie dem Kläger nicht möglich und zumutbar gewesen sein sollten. Die Aufforderung enthält auch den Hinweis auf die Rechtsfolge eines Nichtbetreibens des Verfahrens gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG, dass der Antrag als zurückgenommen gilt. Darüber hinaus weist sie darauf hin, dass in diesem Fall über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 AufenthG ohne persönliche Anhörung nach Aktenlage zu entscheiden ist. Die Betreibensaufforderung wurde für den Kläger übersetzt (§ 24 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG), und dieser hat den Empfang des Schreibens am 23. August 2010 mit seiner Unterschrift bestätigt. Er hat dieser Aufforderung jedoch keine Folge geleistet.
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Das würde aber nur dann die gesetzliche Fiktion der Rücknahme des Asylantrags gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auslösen, wenn bei der erkennungsdienstlichen Behandlung am 23. August 2010 für das Bundesamt tatsächlich ein hinreichender Anlass für ein Vorgehen gemäß § 33 AsylVfG bestand. Dieser wäre gegeben, wenn die Fingerkuppen des Klägers zu diesem Zeitpunkt tatsächlich Manipulationsspuren in Gestalt von Verletzungen der Haut sowie schlechter Erkennbarkeit und Beschädigung der Papillarlinien aufgewiesen hätten und der Kläger dies nicht schlüssig zu erklären vermochte, wie das der mit der Abnahme der Fingerabdrücke betraute Mitarbeiter des Bundesamts in einem Vermerk vom gleichen Tag festgehalten hat (BA-Akte Bl. 18). Da der Verwaltungsgerichtshof hierzu -von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, nötigt das zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
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6.3 Das Berufungsgericht hat zudem § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG verletzt, weil es die Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einstellungsbescheids nicht berücksichtigt hat. Denn für die Überprüfung des Bescheids kommt es maßgeblich darauf an, ob die Voraussetzungen der §§ 32, 33 AsylVfG im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vorlagen. Das ergibt sich aus § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylVfG, wonach das Gericht in Streitigkeiten nach diesem Gesetz auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellt. Das hat zur Folge, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Einstellungsbescheids vom 27. Oktober 2010 nicht nur die Betreibensaufforderung vom 23. August 2010, sondern auch die erst nach Bescheidserlass ergangene Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 zu berücksichtigen ist. Selbst wenn die erste Betreibensaufforderung zu Unrecht ergangen und der daraufhin ergangene Einstellungsbescheid des Bundesamts ursprünglich rechtswidrig gewesen sein sollte, könnte er durch die Nichterfüllung der in der Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 geforderten Mitwirkungspflicht nachträglich rechtmäßig geworden sein. Das Verfahren wäre dann nach Ablauf eines Monats seit Zugang der zweiten Betreibensaufforderung am 28. Oktober 2011 eingestellt.
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Die Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 entspricht - vorbehaltlich des noch aufzuklärenden berechtigten Anlasses - den gesetzlichen Anforderungen. Sie bezeichnet die vom Kläger erwartete Mitwirkungshandlung - das Erscheinen in der Außenstelle des Bundesamts zum Zwecke der erneuten Abnahme von Fingerabdrücken - hinreichend konkret. Auch wird erneut darüber belehrt, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung länger als einen Monat nicht betreibt. Der Klarheit der Belehrung über die Monatsfrist steht nicht entgegen, dass dem Kläger in der Betreibensaufforderung zugleich eine Ladung zu einem Termin zur Abnahme der Fingerabdrücke angekündigt wird. Zum einen lag der mit gesonderten Schreiben anberaumte Termin (24. November 2011) innerhalb der Monatsfrist. Zum anderen entsteht durch den Hinweis auf die Terminsladung keine Unklarheit hinsichtlich der geltenden Monatsfrist. Denn für den Empfänger wurde nicht der Eindruck erweckt, dass der Termin die gesetzliche Monatsfrist für das Betreiben des Verfahrens verkürzt. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers brauchte die Betreibensaufforderung nicht erneut übersetzt zu werden, da sie an seine Verfahrensbevollmächtigten gerichtet war. Dadurch wurden die Grundsätze des fairen Verfahrens schon deshalb nicht verletzt, weil der Kläger auf die Monatsfrist und die Folgen eines Nichtbetreibens bereits am 23. August 2010 in einer für ihn verständlichen Sprache hingewiesen worden war. Weitergehende Übersetzungspflichten ergeben sich auch nicht aus Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG. Eines nochmaligen Hinweises auf die mit einer Verfahrenseinstellung einhergehende Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder 7 AufenthG bedurfte es schon deshalb nicht, weil bei Erlass der zweiten Betreibensaufforderung insoweit bereits eine negative Entscheidung vorlag.
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Materiell war die Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 auf eine Mitwirkungshandlung gerichtet, die im Gesetz eine Stütze findet (§ 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG). Denn durch sie wurde der Kläger neben der Pflicht zur Duldung der Abnahme von Fingerabdrücken lediglich darauf hingewiesen, im Vorfeld der geplanten Fingerabdrucknahme alle Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Auswertbarkeit seiner Fingerabdrücke beeinträchtigen oder vereiteln könnten. Die Erfüllung dieser von der Kernmitwirkungspflicht umfassten, gesetzesunmittelbaren Unterlassungspflicht war zur weiteren Durchführung des Asylverfahrens erforderlich, und es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, warum sie dem Kläger nicht möglich und zumutbar sein sollte.
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Auch insoweit fehlen jedoch tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts dazu, ob für diese Betreibensaufforderung ein hinreichender Anlass bestand. Sollte sich der Manipulationsverdacht des Bundesamts vom 23. August 2010 bestätigen, wäre auch der Erlass der Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 gerechtfertigt. Denn auch die - nach Angaben des Bundesamts am 8. September 2010 erfolgte - weitere Abnahme von Fingerabdrücken führte nach Aktenlage nicht zu einem auswertbaren Ergebnis.
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7. Der Verwaltungsgerichtshof wird nunmehr aufzuklären haben, ob ein hinreichender Anlass zum Erlass der beiden Betreibensaufforderungen bestand. Dabei wird er insbesondere aufklären müssen, ob bei der Abnahme der Fingerabdrücke am 23. August 2010 tatsächlich die in dem Vermerk vom gleichen Tag dokumentierten Anhaltspunkte für eine Manipulation der Fingerkuppen vorlagen und der Kläger hierfür keine nachvollziehbaren Gründe angegeben hat. Einer hautärztlichen Untersuchung bedarf es für die Annahme eines hinreichenden Anlasses für den Erlass einer Betreibensaufforderung in derartigen Fällen grundsätzlich nicht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Asylbewerber nachvollziehbare Gründe für eine Beschädigung seiner Fingerkuppen, deren besondere Glätte oder eine besonders geringe Ausprägung der Papillarleisten vorträgt. Dabei ist auch der Regenerationszeitraum der Hautzellen zu berücksichtigen, der nach den dem Revisionsgericht vorliegenden (allgemein zugänglichen) Quellen in der Regel vier Wochen beträgt (vgl. Moll, Dermatologie, 7. Aufl. 2010, S. 6 oben - "Turn-over-Zeit" von zweimal zwei Wochen). Bestätigt sich der Manipulationsverdacht, liegen die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Betreibensaufforderung zur schriftlichen Darlegung der Voraufenthalte und eventuellen Stellung von Asylanträgen vor. Da der Kläger keine entsprechenden Angaben gemacht hat, wäre das Asylverfahren dann bereits mit Ablauf eines Monats nach Zugang der Betreibensaufforderung vom 23. August 2010 eingestellt. Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass vor Erlass der ersten Betreibensaufforderung kein hinreichender Anlass bestand, wird es weiter zu prüfen haben, ob zumindest die zweite Betreibensaufforderung zu einer Einstellung des Verfahrens geführt hat. Das würde voraussetzen, dass für den Erlass dieser Betreibensaufforderung ein hinreichender Anlass bestand und der Kläger zur vollen Überzeugung des Gerichts das Verfahren infolge Manipulation seiner Fingerkuppen nicht betrieben hat. Für den Fall, dass die Klage im Hauptantrag keinen Erfolg hat, wird es schließlich auch über den Hilfsantrag des Klägers auf Feststellung von Abschiebungsverboten zu entscheiden haben.
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 24.10.2011 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
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Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (A 12 K 331/13) geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 29. September 2009 - A 6 K 3484/08 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 22. Mai 2013 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem die Unzulässigkeit eines von ihm in Deutschland gestellten Asylantrags festgestellt und die Abschiebung nach Italien angeordnet wird. Er begehrt die Ausübung des Selbsteintrittsrechts und die sachliche Prüfung des Asylantrags in Deutschland.
- 2
Der Kläger stellte am 2. August 2012 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Trier (Bundesamt) einen Asylantrag, nachdem er am 17. Juli 2012 als Asylbewerber erfasst worden war. Bei der Antragstellung gab er an, am 5. August 1988 in Mogadischu geboren zu sein und die somalische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Er sei Mitglied der Volksgruppe der Hawadle und sunnitischer Religionszugehörigkeit.
- 3
Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 29. August 2012 trug der Kläger vor, zwei Jahre lang als Schneider ausgebildet worden zu sein und diesen Beruf ein Jahr lang selbständig ausgeübt zu haben. Seine Schneiderei habe in der Nähe einer Fabrikruine gelegen, auf deren Gelände äthiopische Soldaten campiert hätten. Immer wieder seien diese von Mitgliedern der Al Shabaab attackiert worden. Auch die äthiopischen Soldaten hätten angegriffen. Die Al Shabaab sei zu ihm gekommen und habe gesagt, sie brauche Hilfe. Er habe nicht kämpfen wollen und sei im August 2008 geflohen. Hierzu habe er Mogadischu mit einem Kraftfahrzeug verlassen und sei über Addis Abeba und Khartum nach Tripolis gelangt, wo er am 18. November 2008 angekommen sei. Von dort aus sei er mit einem Boot nach Sizilien gefahren und am 25. Mai 2009 gelandet. Auf seinen Asylantrag hin habe er in Italien den Status eines subsidiär Schutzberechtigten erhalten. Danach habe er das Flüchtlingslager verlassen müssen und sei nach Florenz gegangen. Dort habe ihm die Caritas einmal am Tag etwas zu essen gegeben. Einen Monat lang habe er in einem verlassenen Haus ohne Wasser und Strom gelebt. Dann sei er insgesamt zwei Mal in die Niederlande gefahren und habe versucht, dort Asyl zu bekommen. Er sei aber jedesmal nach Italien zurückgeflogen worden. Die Polizisten am Flughafen Rom hätten ihm gesagt, er solle zum Bahnhof gehen. Dort seien viele Somalis gewesen, die ihn zur somalischen Botschaft in Rom gebracht hätten. Die Botschaft sei aufgegeben und von Flüchtlingen zum Übernachten genutzt worden. Es sei furchtbar dreckig gewesen und man habe krank werden können. Es habe Wasser, aber keinen Strom gegeben. Schließlich habe er sich auf den Weg nach Deutschland gemacht, wo er am 14. Juli 2012 angekommen sei.
- 4
Er sei krank. Er leide an einer schiefen Wirbelsäule und könne manchmal nicht gehen, außerdem habe er einen Vitamin-D-Mangel und eine Magenerkrankung. In Italien habe man ihm im Krankenhaus nur eine Schmerzspritze gegeben, weil er keinen Gesundheitsausweis habe vorzeigen können.
- 5
Die niederländischen Behörden wiesen ein Übernahmeersuchen der Beklagten zurück und teilten mit, dass sie den Kläger ihrerseits am 23. Dezember 2010 und 10. Oktober 2011 nach Italien überstellt hätten.
- 6
Auf entsprechenden Antrag vom 17. Dezember 2012 akzeptierten die italienischen Behörden mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 - Dublin-II-VO - ihre Zuständigkeit, wobei der Kläger dort mit syrischer Staatsangehörigkeit und dem Geburtsdatum 1. Januar 1988 geführt wurde, und stimmten einer Überstellung bis zum 20. Juni 2013 zu.
- 7
Vom 14. bis 24. Oktober 2012 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung wegen Schmerzen im Hüftbereich. Entzündliche sowie autoimmune Erkrankungen konnten laborchemisch ausgeschlossen werden. In einer Magnetresonanztomographie zeigten sich arthropische Veränderungen des Hüftgelenks. Es wurden eine ausgewogene eiweißreiche Ernährung und ambulante Krankengymnastik-Maßnahmen beziehungsweise Reha-Sport sowie eine ambulante psychiatrische Betreuung empfohlen. Am 6. und 7. Januar 2013 befand sich der Kläger wegen epigastrischer Schmerzen unklarer Genese erneut in stationärer Krankenhausbehandlung. Nachdem die Laborbefunde sowie eine Gastroskopie keine Auffälligkeiten aufwiesen und der Patient sich subjektiv beschwerdegebessert zeigte, wurde er ohne weitere Medikation entlassen. In privatärztlichen Attesten einer allgemeinmedizinischen Praxis vom 7. Februar 2013 und 29. Januar 2014 werden als Diagnosen Oberbauschschmerzen bei rezidivierender Gastritis, Lws-Syndrom, Coxalgie, Vitamin-D-Mangel und Mangelernährung bei Appetitlosigkeit aufgezählt. Der Patient sei auf regelmäßige medizinische Behandlung und Medikamente angewiesen. Eine Abschiebung nach Italien wäre mit einem hohen Risiko der Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbunden.
- 8
Mit Bescheid vom 13. Februar 2013 erklärte die Beklagte den Asylantrag des Klägers gemäß § 27a AsylVfG für unzulässig. Italien sei für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig und habe seine Zuständigkeit auch anerkannt. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich. Insbesondere hinderten die vorgelegten Atteste eine Überstellung des Klägers nach Italien nicht, denn in Italien habe der Kläger wie jeder italienischer Staatsbürger Zugang zum dortigen Gesundheitssystem.
- 9
Am 19. Februar 2013 hat der Kläger Klage erhoben. Die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens sei auf die Beklagte übergegangen, da der Übernahmeantrag an Italien erst nach Ablauf der Frist des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO gestellt worden sei. Im Übrigen dürfe der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Italien überstellt werden, weil er sich in ständiger ärztlicher Behandlung befinde. Schließlich sei die Beklagte zur Prüfung des Antrags verpflichtet, weil in Italien systemische Mängel im Asylverfahren herrschten. Die Mindeststandards in Bezug auf Unterbringung, soziale und medizinische Versorgung würden erheblich unterschritten. Das gelte insbesondere für Sizilien, wohin der Kläger abgeschoben werden sollte. Ihm drohte daher nach seiner Rückführung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ohne Perspektive auf Arbeit oder Obdach.
- 10
Der Kläger hat beantragt,
- 11
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Februar 2013 zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003 Gebrauch zu machen,
- 12
hilfsweise,
- 13
die Beklagte zu verpflichten, über die Ausübung des vorgenannten Selbsteintrittsrechts erneut zu entscheiden.
- 14
Die Beklagte hat beantragt,
- 15
die Klage abzuweisen.
- 16
Sie weist darauf hin, dass Personen mit Schutzstatus hinsichtlich der Unterbringung und der medizinischen Versorgung die gleichen Rechte genössen wie italienische Staatsangehörige. Damit seien Unterkunft und Wohnung in eigener Verantwortung zu besorgen. Die entsprechenden Kosten seien selbst zu tragen. Nach Meldung bei dem „Servizio Sanitario Nazionale“ erhielten Personen mit Schutzstatus eine „Tessera Sanitaria“, mit deren Hilfe Zugang zu allen ärztlichen Leistungen erfolge. Die Kosten der Behandlungen würden vom italienischen Staat getragen. Nach Auskunft der deutschen Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom sei die Gewährung dieser medizinischen Versorgung unabhängig von einem festen Wohnsitz. Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus erhielten, hätten das Recht zu arbeiten (guida practica per i titolari di protezione internazionale). Nach Auskunft der Liaisionbeamtin sei die Arbeitserlaubnis eigentlich an eine „residenza“, also einen festen Wohnsitz geknüpft. Viele Vereinigungen böten den betroffenen Personen aber ihre Adresse als Briefkastenadresse an. Schließlich habe der Kläger auch keine Krankheit substantiiert, die ihn reiseunfähig machen beziehungsweise besondere Lebens- oder Gesundheitsgefahren begründen würde.
- 17
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Mai 2013 abgewiesen. Die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Asylantrags ergebe sich aus Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-Verordnung, da Italien dem Kläger einen Aufenthaltstitel ausgestellt habe. Die Fristvorschriften des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO begründeten keine subjektiven Rechte, so dass es auf deren Versäumung nicht ankomme. Zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts sei die Beklagte nicht verpflichtet. Es sei nach Auswertung der vorliegenden Auskünfte, Gutachten sowie Berichte und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung weder zu befürchten, dass dem Kläger keine hinreichende soziale beziehungsweise medizinische Versorgung zugute käme, noch herrschten systemische Mängel im italienischen Asylverfahren, die befürchten ließen, dass dem Kläger in Italien eine menschenunwürdige Behandlung drohte.
- 18
Auf entsprechenden Antrag ließ der Senat die Berufung zu und untersagte der Beklagten mit Beschluss vom 19. Juni 2013, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchzuführen.
- 19
Der Kläger wiederholt und vertieft zur Begründung der Berufung seinen Vortrag aus dem Klageverfahren. Als Schutzberechtigtem stünde ihm weder Anspruch auf Unterkunft, noch auf staatliche Sozialleistungen zu. Er habe auch keinen Anspruch auf Integrationsmaßnahmen und könne allenfalls in ländlichen Gebieten zeitlich befristet und schlecht bezahlt als Erntehelfer arbeiten. Außerhalb von Rom habe er keine Möglichkeit, sich eine virtuelle Adresse geben zu lassen, so dass er vermutlich auch keinen Zugang zum Gesundheitssystem habe. In Not geratene italienische Staatsangehörige könnten in der Regel auf Hilfe durch die (Groß-) Familie hoffen. Diese Möglichkeit hätten Flüchtlinge nicht.
- 20
Der Kläger beantragt,
- 21
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Februar 2013 zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003 Gebrauch zu machen,
- 22
hilfsweise,
- 23
die Beklagte zu verpflichten, über die Ausübung des vorgenannten Selbsteintrittsrechts erneut zu entscheiden.
- 24
Die Beklagte beantragt,
- 25
die Berufung zurückzuweisen.
- 26
Sie macht sich im Wesentlichen eine Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern im vorliegenden Verfahren zu Eigen. Danach liegen außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, nicht vor. Italien erfülle seine Verpflichtung nach den Artikeln 20 bis 24 Genfer Flüchtlingskonvention, Flüchtlinge im Sozial- und Arbeitsrecht ebenso zu behandeln wie eigene Staatsangehörige. Eine Besserstellung von Asylbewerbern sei danach nicht vorgesehen. Aus dem Umstand, dass Italien kein ähnliches soziales Netz biete wie Deutschland und andere Mitgliedstaaten, könne nicht geschlossen werden, dass es sich von seiner Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention gelöst habe. Die von dem Kläger zitierten Gutachten ergäben keine neuen Erkenntnisse, insbesondere kein belastbares Zahlenmaterial darüber, welcher Anteil der Schutzberechtigten für wie lange tatsächlich der Obdachlosigkeit anheimgefallen sei.
- 27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte, die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 28
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Er hat keinen Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland. Die Beklagte ist weder nach den allgemeinen Regeln zuständig (I), noch besteht ein Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts (II). Daher ist auch die Abschiebungsanordnung nach Italien rechtlich nicht zu beanstanden (III).
I.
- 29
Die Frage, welcher Staat für das Asylverfahren des Klägers zuständig ist, bestimmt sich vorliegend nach den Regeln der Dublin-II-Verordnung (1). Danach ist Italien der zuständige Mitgliedstaat (2). Die Zuständigkeit ist nachträglich weder nach der Vorschrift des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO (3), noch nach der Vorschrift des Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-VO (4) auf die Beklagte übergegangen.
- 30
1. Im vorliegenden Fall kommt unbeschadet der Vorschrift des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch die Dublin-II-Verordnung und nicht die mittlerweile in Kraft getretene Nachfolgeverordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin-III-VO) zur Anwendung. Gemäß der Übergangsvorschrift des Art. 49 Dublin-III-VO gilt diese nämlich erst für Anträge auf Internationalen Schutz sowie Anträge der Mitgliedstaaten auf Aufnahme oder Wiederaufnahme, die nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurden. Vorliegend hat der Kläger seinen Asylantrag bei der Beklagten bereits im Jahr 2012 gestellt. Auch der Antrag auf Wiederaufnahme des Klägers wurde noch im Jahr 2012 gestellt und von Italien mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 akzeptiert.
- 31
2. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass Italien nach der Vorschrift des Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Danach fallen dem Mitgliedstaat die Pflichten zur Wiederaufnahme und abschließenden Prüfung eines Asylverfahrens zu, sofern er einem Antragsteller einen Aufenthaltstitel erteilt. Italien hat dem Kläger in Folge der Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter einen Aufenthaltstitel erteilt und diesen im Jahr 2012 nochmals verlängert.
- 32
3. Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach dieser Vorschrift sind Aufnahmegesuche an andere Mitgliedstaaten spätestens innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrags zu stellen. Wird das Gesuch nicht innerhalb dieser Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung zuständig.
- 33
Zum einen vermittelt diese Vorschrift dem Asylbewerber aber keine subjektiven Rechte, sondern dient als innerstaatliche Organisationsvorschrift in erster Linie der klaren und praktikablen Bestimmung der Zuständigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten (vgl. hierzu die Erwägungsgründe 3 und 16 der Verordnung). Im Vordergrund steht daher das Interesse, die Zuständigkeit zeitnah festzustellen und den Asylantrag durch einzig den zuständigen Mitgliedstaat prüfen zu lassen, nicht aber, die Prüfung einem ganz bestimmten Mitgliedstaat zuzusprechen, in dem der Antragsteller einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat.
- 34
Zum anderen ist die Vorschrift auf den vorliegenden Fall schon nicht anwendbar. Die Beklagte hat kein Aufnahmegesuch nach Art. 17, sondern ein Wiederaufnahmegesuch nach den Art. 16. Abs. 2, Abs. 1 lit. c), 20 Abs. 1 Dublin-II-VO gestellt. Für Wiederaufnahmegesuche sieht die Dublin-II-VO aber keine Frist vor.
- 35
4. Schließlich ist die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens auch nicht deshalb nach Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen, weil die Überstellung nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten erfolgt ist. Diese Frist beginnt gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) nämlich erst nach rechtskräftigem Abschluss eines Rechtsbehelfsverfahrens zu laufen, sofern diesem aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. EuGH, Urteil vom 29.01.2009 – C 19/08 –, Juris-Rn. 44 ff.; OVG Niedersachen, Urteil vom 04.07.2012 – 2 LB 163/10 – Juris-Rn. 36 m.w.Nw.). Vorliegend hatte der Senat noch vor Ablauf der Frist der Beklagten untersagt, den Kläger nach Italien abzuschieben.
II.
- 36
Es besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO.
- 37
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die mittlerweile ihren Niederschlag in Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO gefunden hat, kann ein Mitgliedstaat unter bestimmten Umständen dazu verpflichtet sein, von der Rückführung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen. Das ihm insofern eingeräumte Ermessen ist nämlich Teil des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats und stellt ein Element des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems dar. Bei der Ermessensausübung führt der Mitgliedstaat daher Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union aus. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Europäischen Grundrechtscharta, aber auch der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Art. 18 der Charta und Art. 78 AEUV). Die Mitgliedstaaten haben bei der Ausübung ihres Ermessens diese Grundsätze daher zu beachten (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011-0000, Rn. 68 ff.).
- 38
Dabei kann jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (sogenanntes Prinzip gegenseitigen Vertrauens beziehungsweise normativer Vergewisserung, vgl. grundlegend BVerfG, Urteil vom 15.05.1996, 2 BvR 1938/93, Juris-Rn. 179 ff.). Es gilt daher die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass das System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
- 39
Allerdings berührt nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat das in der Dublin-II- bzw. Dublin-III-Verordnung niedergelegte Zuständigkeitssystem. Der Europäische Gerichtshof macht deutlich, dass nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel steht (EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn. 83). Das Zuständigkeitssystem ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs deshalb nur dann auszusetzen, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Grundrechtecharta ausgesetzt zu sein (vgl. zum Ganzen EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn. 78 bis Rn. 106).
- 40
Anhaltspunkte dafür, wann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung anzunehmen ist, lassen sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK entnehmen, der mit Art. 4 der Europäischen Grundrechtecharta übereinstimmt. In seinem Urteil vom 21. Januar 2011 hat der Gerichtshof eine Überstellung nach Griechenland als nicht mit Art. 3 EMRK vereinbar angesehen, da die systematische Unterbringung von Asylbewerbern in Haftzentren ohne Angabe von Gründen eine weit verbreitete Praxis der griechischen Behörden sei. Es gebe auch zahlreiche übereinstimmende Zeugenaussagen zu überfüllten Zellen, Schlägen durch Polizisten und unhygienischen Bedingungen in dem Haftzentrum neben dem internationalen Flughafen von Athen. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer monatelang in extremer Armut gelebt habe und außer Stande gewesen sei, für seine Grundbedürfnisse - Nahrung, Hygieneartikel und eine Unterkunft - aufzukommen. Er sei über Abhilfemöglichkeiten nicht angemessen informiert worden und habe in der ständigen Angst gelebt, angegriffen beziehungsweise überfallen zu werden (Urteil vom 21.01.2011, M.S.S. gegen Belgien und Griechenland, Beschwerde-Nr. 30696/09, Rn. 226 und Rn. 254 ff.).
- 41
Der Senat kommt nach Auswertung der vorliegenden Gutachten, Auskünfte und Berichte und unter Würdigung des Vortrags des Klägers zu dem Ergebnis, dass das italienische Asylsystem nicht an systemischen Mängeln leidet, auf Grund derer dem Antragstellers nach seiner Rückführung eine menschenunwürdige Behandlung droht (ebenso OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.11.2013 - 4 L 44/13 -, OVG Nds, Beschluss vom 30.01.2014 - 4 LA 167/13 - und vom 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.10.2013 - OVG 3 S 40.13 - und vom 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 -; VG Oldenburg, Beschluss vom 21.01.2014 - 3 B 6802/13 -; VG Regensburg, Beschluss vom 18.12.2013 - RN 6 S 13.30720 -; VG Ansbach, Beschluss vom 18.09.2013 - An 2 K 13.30675 -; VG Meiningen, Urteil vom 26.06.2013 - 5 K 20096/13 Me -; VG Lüneburg, Urteil vom 04.06.2013 - 6 A 176/11 - (n.V.); VG Augsburg, Beschluss vom 19.12.2012 - Au 6 E 12.30377 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 07.09.2012 - 6 L 1480/12.A -; VG Osnabrück, Urteil vom 02.04.2012 - 5 A 309/11 - (n.V.) a.A. OVG NRW, Beschluss vom 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -; VG Gießen, Urteil vom 25.11.2013 - 1 K 844/11.GI.A -; VG Schwerin, Beschluss vom 13.11.2013 - 3 B 315/13 As -; VG Frankfurt, Urteil vom 09.07.2013 - 7 K 560/11.F.A. -; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16.05.2013 - 5a L 547/13.A -; VG Köln, Beschluss vom 07.05.2013 - 20 L 613/13.A, soweit veröffentlicht zitiert nach Juris).
- 42
Italien verfügt über ein planvolles und ausdifferenziertes Asylsystem (a). Dieses System leidet zwar an Mängeln (b), nicht aber an systemischen Mängel (c). Das gilt auch für Personen mit Schutzstatus (d).
- 43
(a) Zunächst ist festzuhalten, dass Italien über ein planvolles und ausdifferenziertes Aufnahmesystem für Asylbewerber verfügt, das in zwei Phasen gegliedert ist. Nach Stellung des Asylantrags ist die Unterbringung in Aufnahmezentren für Asylsuchende, den sogenannten CARA (Centri di Accoglienza per Richiedenti Asilo) vorgesehen. Die maximale Aufenthaltsdauer dort soll grundsätzlich 35 Tage betragen. Daneben gibt es noch Aufnahmeeinrichtungen für Migranten, die keine Asylsuchenden sind, die so genannten CDA (Centri di Accoglienza). Diese werden in der Praxis ebenfalls für die Erstaufnahme von Asylsuchenden verwendet. In der zweiten Phase sollen die Antragsteller in einer Einrichtung des Aufnahmesystems SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati) untergebracht werden. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk von Unterkünften, das auf einer Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium, den Gemeinden und verschiedenen NGOs basiert. Die SPRAR-Projekte umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche. Die Aufenthaltsdauer im einem SPRAR beträgt normalerweise 6 Monate und kann bis zu einem Jahr verlängert werden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 22 ff.).
- 44
Endet das Asylverfahren mit der Zuerkennung eines Schutzstatus, werden den Schutzsuchenden Aufenthaltsberechtigungen („permessi die soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien formal dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige. Sie haben freien Zugang zum Arbeitsmarkt und kostenfreien Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Freiburg vom 11.07.2012). In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden sie nicht mehr aufgenommen. In Einrichtungen des SPRAR können sie Unterkunft finden, sofern sie die vorgesehene maximale Aufenthaltsdauer noch nicht ausgeschöpft haben und ein Platz frei ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 22 und S. 25; borderline-europe e.V., Gutachten zum Beweisbeschluss des VG Braunschweig vom 28.09.2012, S. 50).
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(b) In der Praxis litt - und leidet - das italienische Aufnahmesystem an Mängeln. Die Berichtslage zeigt übereinstimmen, dass es insbesondere auf die sehr hohen Antragszahlen in den Jahren 2008 und 2011 nicht ausreichend vorbereitet war (Bethke & Bender, Zur Situation von Flüchtlingen in Italien - Bericht über die Recherchereise nach Rom und Turin im Oktober 2010 -; Schweizer Flüchtlingshilfe/Juss-Buss: Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und „Dublin-Rückkehrern“, Bericht vom Mai 2011; borderline-europe/Judith Gleitze: Zur Lage von Asylsuchenden und „Dublin-Rückkehrern“, Stellungnahme vom Dezember 2012; Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Darmstadt vom 29.11.2011 und an VG Braunschweig vom 09.12.2011). In der Folge verlängerten sich die Verfahrenszeiten deutlich über die vorgesehenen Fristen hinaus. Die zeitliche Lücke zwischen der Stellung des Asylantrags und dessen formeller Registrierung (verbalizzazione) führte zu der Gefahr der Obdachlosigkeit, da in der Praxis Zugang zu den Erstaufnahmeeinrichtungen erst ab dem Zeitpunkt der Registrierung gewährt wurde (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 12). Zudem waren die Aufnahmekapazitäten der staatlicherseits zur Verfügung gestellten Plätze überlastet. Für Personen mit Schutzstatus bedeutete dies, dass sie Schwierigkeiten hatten, im SPRAR-Aufnahmesystem unterzukommen, auch wenn sie die maximale Verweildauer noch nicht ausgeschöpft hatten. Hinzu kam die wirtschaftliche schwierige Lage, in der sich auch Italien nach der Wirtschaftskrise befand und noch befindet. Nach den Informationen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe lebt vor allem in Rom eine ganz erhebliche Zahl von Asylbewerbern und Personen mit Schutzstatus (die Schätzungen sprechen von 1.200 bis 1.700) in Slums oder besetzten Häusern (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, a.a.O., S. 36).
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(c) Diese Mängel begründen aber keine systemischen Mängel im oben dargestellten Sinne. Dabei versteht der Senat unter systemischen Mängeln solche, die entweder bereits im System selbst angelegt sind und von denen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar betroffen sind oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem faktisch in weiten Teilen funktionsunfähig wird. Nach Auswertung der vorliegenden Auskünfte kommt der Senat zu der Überzeugung, dass die systembedingten Missstände von den italienischen Behörden angegangen werden und sich die Situation deshalb verbessert hat und aller Voraussicht nach weiter verbessern wird. Außerdem ist festzustellen, dass die Zustände punktuell, aber nicht flächendeckend unzureichend sind, so dass nicht davon gesprochen werden kann, dass das Asyl- und Aufnahmesystem faktisch außer Kraft gesetzt ist.
- 47
Ein im System angelegter Mangel ist die Tatsache, dass der Zugang zum Erstaufnahmesystem offensichtlich von der Registrierung (verbalizzazione) abhängt und dies bei einer Verzögerung des Verfahrens zur Obdachlosigkeit führen kann. Allerdings hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 eine Weisung herausgegeben, wonach die Registrierung zeitlich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Auch die Überlastung des Aufnahmesystems nimmt Italien nicht tatenlos hin. Auf die hohen Asylbewerberzahlen im Jahr 2011 reagierte das Land zunächst mit einem Notstandskonzept, bei dem unter Führung des Zivilschutzes (Protezione Civile) Aufnahmestrukturen in der Größenordnung von 26.000 Plätzen bereitgestellt wurden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013; UNHCR an VG Braunschweig, S. 3; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 9). Daneben wurden und werden die Plätze, die im SPRAR-Projekt zur Verfügung stehen, in erheblichem Umfang aufgestockt (siehe zur Bedeutung dieser Plätze für das Aufnahmesystem den Report von Nils Muižnieks, Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, 18.09.2012, Abs. 152). Standen ursprünglich 3.000 Plätze zur Verfügung, waren es Anfang Juni 2013 bereits 4.800 Plätze, wobei hierzu auch bereits vorhandene Unterkunftsplätze gezählt wurden, die um die im SPRAR-System vorgesehen Integrationsleistungen ergänzt wurden. Aufgrund eines im September 2013 erlassenen Dekrets des Innenministeriums soll die Kapazität im Zeitraum 2014 bis 2016 nochmals auf insgesamt 16.000 Plätze erhöht werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22). Außerdem wurde ein neues Informatiksystem „Vestanet“ eingeführt, das ebenfalls zu einer Verbesserung des Verfahrens beitragen soll (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). In seiner Antwort an das Verwaltungsgericht Braunschweig vom 24. April 2012 hat der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen ausdrücklich anerkannt, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben. Gleiches gilt für die Auskunft des Auswärtige Amtes vom 21. Januar 2013 an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt.
- 48
Der Senat geht außerdem davon aus, dass die aufgezeigten Missstände in bestimmten Städten und Regionen auftreten, die Funktionsfähigkeit des Asyl- und Aufnahmesystems aber nicht insgesamt in Frage stellen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Aufklärungsreisen die Problemschwerpunkte in den Blick nehmen (so ausdrücklich der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe mit Schwerpunkt Rom und Mailand, S. 1; in der Sache nicht anders der Bericht von Maria Bethke & Dominik Bender mit Schwerpunkt Rom und Turin; Gutachten von borderline-europe e.V. mit Schwerpunkt Rom und Sizilien). Diese Situationen sind aber nicht ohne Weiteres verallgemeinerbar. So geht der UNHCR, dessen Dokumente bei der Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften von besonderer Relevanz sind (vgl. EuGH, Urteil vom 30.05.2013 - C-528/11 - Rn. 44), in seiner Antwort an das Verwaltungsgericht Braunschweig davon aus, dass die CARA, CDA und SPRAR-Projekte in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl an Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR an VG Braunschweig vom 24. April 2012, S. 3). Anders als im Falle Griechenlands oder jüngst Bulgariens (UNHCR Briefing Notes vom 03.01.2014) hat der UNHCR bislang in keiner seiner Stellungnahmen eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten ausgesprochen, Überstellungen nach Italien nicht mehr vorzunehmen (siehe zuletzt UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, July 2013). Auch die Auskünfte des Auswärtigen Amtes sprechen gegen die Annahme eines systemischen Mangels des italienischen Asylsystems. Sie basieren auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR und UNHCR in Rom, grenzpolizeilicher Verbindungsbeamter der Bundespolizei im italienischen Innenministerium, Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Landesamtes ISTAT, Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen sowie Informationen des SPRAR und sind daher geeignet, einen Überblick über die Situation im Land zu geben. Nach der Auskunft an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt konnten seinerzeit (Januar 2013) alle Asylbewerber und Flüchtlinge in öffentlichen Zentren untergebracht werden. Gegebenenfalls gebe es lokale und regionale Überbelegungen, italienweit seien aber genügen Plätze vorhanden. Insbesondere in Norditalien seien die Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Zusätzlich zu den staatlichen/öffentlichen Einrichtungen gebe es kommunale und karitative Einrichtungen, so dass meist ein Unterbringungsplatz in der Nähe gefunden werden könne. Es sei nicht davon auszugehen, dass Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz fänden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos auf der Straße oder in Elendsquartieren leben müssten.
- 49
(d) Mit Blick auf den hier vorliegenden Fall ist weiter festzuhalten, dass sich aus der Auskunftslage auch keine systemischen Mängel für Personen ergeben, denen bereits ein Schutzstatus zugesprochen wurde. Die mit der Anerkennung verbundene Erteilung eines Aufenthaltsrechts (permession di soggiorno) bedeutet in der Praxis, dass sich die Personen mit Schutzstatus grundsätzlich selbst um eine Unterkunft und eine Arbeit kümmern müssen. Sie können nicht mehr in CARA unterkommen, da diese nur Asylbewerbern offenstehen. Sie können sich aber für Plätze im SPRAR-System bewerben, sofern sie die maximale Verweildauer noch nicht überschritten haben. Tatsächlich wird eine große Zahl der Plätze im SPRAR-System von Personen mit Schutzstatus belegt. Allerdings bestehen zum Teil lange Wartezeiten (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22). Hier dürfte die geplante Ausweitung der SPRAR-Plätze eine deutliche Entlastung bringen. Daneben bieten die Gemeinden Unterkünfte an. Jedenfalls in Rom betrug die durchschnittliche Wartezeit auf einen solchen Platz allerdings drei Monate und in Mailand einen bis drei Monate (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27 und S. 30). Schließlich können sich Personen mit Schutzstatus, die keine Unterkunft finden, an kirchliche Organisationen und Nichtregierungsorganisationen wie die Caritas oder das Consiglio Italiano per i Rifugiati wenden (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 an das OVG des Landes Sachsen-Anhalt). Verlässliche Zahlen, wie viele Schutzberechtigte von keiner dieser Möglichkeiten Gebrauch machen können und letztlich obdachlos werden, fehlen. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist im Regelfall oder gar überwiegend aber nicht davon auszugehen, dass Flüchtlinge in Italien beziehungsweise Rückkehrer nach der Dublin-II-Verordnung dort unter Verhältnissen leben müssen, welche man gemeinhin als „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums (Betteln, Leben auf der Straße etc.)“ bezeichnen könne. Hierbei handle es sich eher um Einzelfälle (Auswärtiges Amtes an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
- 50
In Italien gibt es auch für italienische Staatsangehörige kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Lebensunterhaltssicherung vor dem 65. Lebensjahr. Die Zuständigkeit für die Festsetzung von Sozialhilfeleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen wird die Höhe des Sozialgeldes durch die Kommune festgesetzt. Öffentliche Fürsorgeleistungen weisen daher deutliche Unterschiede je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft auf (Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern im vorliegenden Fall; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 48).
- 51
Auch wenn sich die Situation damit deutlich schlechter und unsicherer darstellt als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet dies für sich genommen keinen systemischen Mangel. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ausdrücklich festgehalten, dass Art. 3 EMRK die Vertragsparteien nicht verpflichte, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen. Die Norm enthalte auch keine allgemeine Pflicht, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmen Lebensstandard zu bieten. Ausländer, die von einer Ausweisung betroffen seien, gewähre die Konvention grundsätzlich keinen Anspruch mit dem Ziel, im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates zu verbleiben, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren, die vom ausweisenden Staat zur Verfügung gestellt werde. Wenn keine außergewöhnlichen zwingenden humanitären Gründe vorlägen, die gegen eine Ausweisung sprächen, sei allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse des Antragstellers bedeutend geschmälert würden, falls er oder sie ausgewiesen würde, nicht ausreichend, einen Verstoß gegen Art. 3 EMR zu begründen (Beschluss vom 02.04.2013, Mohammed Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien, a.a.O. Rn. 70 f.).
- 52
Keine systematischen Mängel bestehen schließlich auch im Hinblick auf den Zugang zum Gesundheitssystem. Personen mit Schutzstatus sind in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt. Die Anmeldung beim Nationalen Gesundheitsdienst ermöglicht die Ausstellung eines Gesundheitsausweises, der zur Behandlung bei einem praktischen Arzt, Kinderarzt, in Ambulanzen und zur Aufnahme in ein Krankenhaus berechtigt. Hierzu benötigen Schutzberechtigte den Aufenthaltstitel, die Steuernummer sowie eine feste Adresse. Personen ohne festen Wohnsitz können sich zumindest in Rom unter Sammeladressen karitativer Einrichtungen melden, die von den Behörden akzeptiert werden. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten. Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (Auswärtiges Amt an OVG des Landes Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
- 53
(e) Die Einschätzung, dass das italienische Asylsystem nicht an systemischen Mängeln leidet, wird durch die jüngere Rechtsprechung des Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigt. In seinem Beschluss vom 2. April 2013 hat er die Überstellung der dortigen Beschwerdeführerin, der - wie dem Kläger - in Italien bereits ein Schutzstatus zugesprochen worden war, mit Art. 3 EMRK für vereinbar gehalten. Dabei hat er - neben der konkreten Situation der Antragstellerin - eine Vielzahl von Stellungnahmen sowie Berichten von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen über die generelle Situation in Italien ausgewertet. Er kommt nach ausführlicher Würdigung der festzustellenden Mängel - und keineswegs nur unter Bezug auf den ihm vorgelegten konkreten Sachverhalt - zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen (Beschluss vom 02.04.2013, Mohammed Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien, Rn. 70 ff., in Teilen übersetzt von Wischrath, ZAR 2013, 336, besprochen von Thym in ZAR 2013, 331; siehe auch Hailbronner, AuslR, Dezember 2013, § 34a Rn. 29 f.; ebenso Beschluss vom 18.06.2013, Halimi gegen Österreich und Italien, Rn. 68, in Teilen übersetzt von Wischrath, ZAR 2013, 338). Diese Einschätzung hat er jüngst nochmals ausdrücklich bestätigt (Beschluss vom 10.09.2013 - Nr. 2314/10 -, Hussein Diirshi u.a. gegen Niederlande und Italien, zitiert nach HUDOC).
- 54
(f) Es sind auch keine besonderen Umstände des Einzelfalles ersichtlich, die befürchten ließen, dass gerade dem Kläger in Italien eine mit Art. 4 der Grundrechtecharta nicht vereinbare Behandlung drohen würde. Er leidet insbesondere nicht an außerordentlich schweren oder seltenen Krankheiten, deren Behandlung in Italien nicht möglich erschiene. Nach seiner Schilderung bekam er in Italien in Notfallsituationen zumindest Schmerzmittel verabreicht. Die Probleme bei einer weiterführenden Behandlung resultierten offenbar daraus, dass er mangels festen Wohnsitzes keine Gesundheitskarte beantragt hat. Dem hätte der Kläger nach der Auskunftslage aber zumindest in Rom dadurch abhelfen können, dass er sich bei einer gemeinnützigen Organisation eine fiktive Meldeadresse hätte geben lassen. Aus den Angaben des Klägers lässt sich außerdem schließen, dass er noch keinen Platz im SPRAR-System beansprucht hat. Damit steht ihm nach seiner Rückkehr die Möglichkeit offen, sich für einen solchen Platz zu bewerben. Auf die von dem Kläger zuletzt aufgeworfene Frage, ob die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013 zutrifft, nach der alle im Rahmen der Dublin-Verordnung zurückgeführten Personen von der Questura in eine Unterkunft verteilt werden, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Diese Auskunft dürfte sich auf Personen ohne Schutzstatus bezogen haben, die - wie oben dargestellt - ohnehin einem anderen Aufnahmeregime unterfallen.
III.
- 55
Die Abschiebungsanordnung ist nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies ist der Fall, nachdem Italien seine Zuständigkeit akzeptiert hat und der Abschiebung keine relevanten Hindernisgründe entgegenstehen.
IV.
- 56
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
- 57
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
- 58
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen. Streitentscheidend ist vorliegend die Würdigung der tatsächlichen Umstände in Italien.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 29. September 2009 - A 6 K 3484/08 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Entscheidungsgründe
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Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (A 12 K 331/13) geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 22. Mai 2013 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem die Unzulässigkeit eines von ihm in Deutschland gestellten Asylantrags festgestellt und die Abschiebung nach Italien angeordnet wird. Er begehrt die Ausübung des Selbsteintrittsrechts und die sachliche Prüfung des Asylantrags in Deutschland.
- 2
Der Kläger stellte am 2. August 2012 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Trier (Bundesamt) einen Asylantrag, nachdem er am 17. Juli 2012 als Asylbewerber erfasst worden war. Bei der Antragstellung gab er an, am 5. August 1988 in Mogadischu geboren zu sein und die somalische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Er sei Mitglied der Volksgruppe der Hawadle und sunnitischer Religionszugehörigkeit.
- 3
Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 29. August 2012 trug der Kläger vor, zwei Jahre lang als Schneider ausgebildet worden zu sein und diesen Beruf ein Jahr lang selbständig ausgeübt zu haben. Seine Schneiderei habe in der Nähe einer Fabrikruine gelegen, auf deren Gelände äthiopische Soldaten campiert hätten. Immer wieder seien diese von Mitgliedern der Al Shabaab attackiert worden. Auch die äthiopischen Soldaten hätten angegriffen. Die Al Shabaab sei zu ihm gekommen und habe gesagt, sie brauche Hilfe. Er habe nicht kämpfen wollen und sei im August 2008 geflohen. Hierzu habe er Mogadischu mit einem Kraftfahrzeug verlassen und sei über Addis Abeba und Khartum nach Tripolis gelangt, wo er am 18. November 2008 angekommen sei. Von dort aus sei er mit einem Boot nach Sizilien gefahren und am 25. Mai 2009 gelandet. Auf seinen Asylantrag hin habe er in Italien den Status eines subsidiär Schutzberechtigten erhalten. Danach habe er das Flüchtlingslager verlassen müssen und sei nach Florenz gegangen. Dort habe ihm die Caritas einmal am Tag etwas zu essen gegeben. Einen Monat lang habe er in einem verlassenen Haus ohne Wasser und Strom gelebt. Dann sei er insgesamt zwei Mal in die Niederlande gefahren und habe versucht, dort Asyl zu bekommen. Er sei aber jedesmal nach Italien zurückgeflogen worden. Die Polizisten am Flughafen Rom hätten ihm gesagt, er solle zum Bahnhof gehen. Dort seien viele Somalis gewesen, die ihn zur somalischen Botschaft in Rom gebracht hätten. Die Botschaft sei aufgegeben und von Flüchtlingen zum Übernachten genutzt worden. Es sei furchtbar dreckig gewesen und man habe krank werden können. Es habe Wasser, aber keinen Strom gegeben. Schließlich habe er sich auf den Weg nach Deutschland gemacht, wo er am 14. Juli 2012 angekommen sei.
- 4
Er sei krank. Er leide an einer schiefen Wirbelsäule und könne manchmal nicht gehen, außerdem habe er einen Vitamin-D-Mangel und eine Magenerkrankung. In Italien habe man ihm im Krankenhaus nur eine Schmerzspritze gegeben, weil er keinen Gesundheitsausweis habe vorzeigen können.
- 5
Die niederländischen Behörden wiesen ein Übernahmeersuchen der Beklagten zurück und teilten mit, dass sie den Kläger ihrerseits am 23. Dezember 2010 und 10. Oktober 2011 nach Italien überstellt hätten.
- 6
Auf entsprechenden Antrag vom 17. Dezember 2012 akzeptierten die italienischen Behörden mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 - Dublin-II-VO - ihre Zuständigkeit, wobei der Kläger dort mit syrischer Staatsangehörigkeit und dem Geburtsdatum 1. Januar 1988 geführt wurde, und stimmten einer Überstellung bis zum 20. Juni 2013 zu.
- 7
Vom 14. bis 24. Oktober 2012 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung wegen Schmerzen im Hüftbereich. Entzündliche sowie autoimmune Erkrankungen konnten laborchemisch ausgeschlossen werden. In einer Magnetresonanztomographie zeigten sich arthropische Veränderungen des Hüftgelenks. Es wurden eine ausgewogene eiweißreiche Ernährung und ambulante Krankengymnastik-Maßnahmen beziehungsweise Reha-Sport sowie eine ambulante psychiatrische Betreuung empfohlen. Am 6. und 7. Januar 2013 befand sich der Kläger wegen epigastrischer Schmerzen unklarer Genese erneut in stationärer Krankenhausbehandlung. Nachdem die Laborbefunde sowie eine Gastroskopie keine Auffälligkeiten aufwiesen und der Patient sich subjektiv beschwerdegebessert zeigte, wurde er ohne weitere Medikation entlassen. In privatärztlichen Attesten einer allgemeinmedizinischen Praxis vom 7. Februar 2013 und 29. Januar 2014 werden als Diagnosen Oberbauschschmerzen bei rezidivierender Gastritis, Lws-Syndrom, Coxalgie, Vitamin-D-Mangel und Mangelernährung bei Appetitlosigkeit aufgezählt. Der Patient sei auf regelmäßige medizinische Behandlung und Medikamente angewiesen. Eine Abschiebung nach Italien wäre mit einem hohen Risiko der Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbunden.
- 8
Mit Bescheid vom 13. Februar 2013 erklärte die Beklagte den Asylantrag des Klägers gemäß § 27a AsylVfG für unzulässig. Italien sei für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig und habe seine Zuständigkeit auch anerkannt. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich. Insbesondere hinderten die vorgelegten Atteste eine Überstellung des Klägers nach Italien nicht, denn in Italien habe der Kläger wie jeder italienischer Staatsbürger Zugang zum dortigen Gesundheitssystem.
- 9
Am 19. Februar 2013 hat der Kläger Klage erhoben. Die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens sei auf die Beklagte übergegangen, da der Übernahmeantrag an Italien erst nach Ablauf der Frist des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO gestellt worden sei. Im Übrigen dürfe der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Italien überstellt werden, weil er sich in ständiger ärztlicher Behandlung befinde. Schließlich sei die Beklagte zur Prüfung des Antrags verpflichtet, weil in Italien systemische Mängel im Asylverfahren herrschten. Die Mindeststandards in Bezug auf Unterbringung, soziale und medizinische Versorgung würden erheblich unterschritten. Das gelte insbesondere für Sizilien, wohin der Kläger abgeschoben werden sollte. Ihm drohte daher nach seiner Rückführung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ohne Perspektive auf Arbeit oder Obdach.
- 10
Der Kläger hat beantragt,
- 11
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Februar 2013 zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003 Gebrauch zu machen,
- 12
hilfsweise,
- 13
die Beklagte zu verpflichten, über die Ausübung des vorgenannten Selbsteintrittsrechts erneut zu entscheiden.
- 14
Die Beklagte hat beantragt,
- 15
die Klage abzuweisen.
- 16
Sie weist darauf hin, dass Personen mit Schutzstatus hinsichtlich der Unterbringung und der medizinischen Versorgung die gleichen Rechte genössen wie italienische Staatsangehörige. Damit seien Unterkunft und Wohnung in eigener Verantwortung zu besorgen. Die entsprechenden Kosten seien selbst zu tragen. Nach Meldung bei dem „Servizio Sanitario Nazionale“ erhielten Personen mit Schutzstatus eine „Tessera Sanitaria“, mit deren Hilfe Zugang zu allen ärztlichen Leistungen erfolge. Die Kosten der Behandlungen würden vom italienischen Staat getragen. Nach Auskunft der deutschen Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Rom sei die Gewährung dieser medizinischen Versorgung unabhängig von einem festen Wohnsitz. Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus erhielten, hätten das Recht zu arbeiten (guida practica per i titolari di protezione internazionale). Nach Auskunft der Liaisionbeamtin sei die Arbeitserlaubnis eigentlich an eine „residenza“, also einen festen Wohnsitz geknüpft. Viele Vereinigungen böten den betroffenen Personen aber ihre Adresse als Briefkastenadresse an. Schließlich habe der Kläger auch keine Krankheit substantiiert, die ihn reiseunfähig machen beziehungsweise besondere Lebens- oder Gesundheitsgefahren begründen würde.
- 17
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Mai 2013 abgewiesen. Die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Asylantrags ergebe sich aus Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-Verordnung, da Italien dem Kläger einen Aufenthaltstitel ausgestellt habe. Die Fristvorschriften des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO begründeten keine subjektiven Rechte, so dass es auf deren Versäumung nicht ankomme. Zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts sei die Beklagte nicht verpflichtet. Es sei nach Auswertung der vorliegenden Auskünfte, Gutachten sowie Berichte und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung weder zu befürchten, dass dem Kläger keine hinreichende soziale beziehungsweise medizinische Versorgung zugute käme, noch herrschten systemische Mängel im italienischen Asylverfahren, die befürchten ließen, dass dem Kläger in Italien eine menschenunwürdige Behandlung drohte.
- 18
Auf entsprechenden Antrag ließ der Senat die Berufung zu und untersagte der Beklagten mit Beschluss vom 19. Juni 2013, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchzuführen.
- 19
Der Kläger wiederholt und vertieft zur Begründung der Berufung seinen Vortrag aus dem Klageverfahren. Als Schutzberechtigtem stünde ihm weder Anspruch auf Unterkunft, noch auf staatliche Sozialleistungen zu. Er habe auch keinen Anspruch auf Integrationsmaßnahmen und könne allenfalls in ländlichen Gebieten zeitlich befristet und schlecht bezahlt als Erntehelfer arbeiten. Außerhalb von Rom habe er keine Möglichkeit, sich eine virtuelle Adresse geben zu lassen, so dass er vermutlich auch keinen Zugang zum Gesundheitssystem habe. In Not geratene italienische Staatsangehörige könnten in der Regel auf Hilfe durch die (Groß-) Familie hoffen. Diese Möglichkeit hätten Flüchtlinge nicht.
- 20
Der Kläger beantragt,
- 21
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Februar 2013 zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003 Gebrauch zu machen,
- 22
hilfsweise,
- 23
die Beklagte zu verpflichten, über die Ausübung des vorgenannten Selbsteintrittsrechts erneut zu entscheiden.
- 24
Die Beklagte beantragt,
- 25
die Berufung zurückzuweisen.
- 26
Sie macht sich im Wesentlichen eine Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern im vorliegenden Verfahren zu Eigen. Danach liegen außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, nicht vor. Italien erfülle seine Verpflichtung nach den Artikeln 20 bis 24 Genfer Flüchtlingskonvention, Flüchtlinge im Sozial- und Arbeitsrecht ebenso zu behandeln wie eigene Staatsangehörige. Eine Besserstellung von Asylbewerbern sei danach nicht vorgesehen. Aus dem Umstand, dass Italien kein ähnliches soziales Netz biete wie Deutschland und andere Mitgliedstaaten, könne nicht geschlossen werden, dass es sich von seiner Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention gelöst habe. Die von dem Kläger zitierten Gutachten ergäben keine neuen Erkenntnisse, insbesondere kein belastbares Zahlenmaterial darüber, welcher Anteil der Schutzberechtigten für wie lange tatsächlich der Obdachlosigkeit anheimgefallen sei.
- 27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte, die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 28
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Er hat keinen Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland. Die Beklagte ist weder nach den allgemeinen Regeln zuständig (I), noch besteht ein Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts (II). Daher ist auch die Abschiebungsanordnung nach Italien rechtlich nicht zu beanstanden (III).
I.
- 29
Die Frage, welcher Staat für das Asylverfahren des Klägers zuständig ist, bestimmt sich vorliegend nach den Regeln der Dublin-II-Verordnung (1). Danach ist Italien der zuständige Mitgliedstaat (2). Die Zuständigkeit ist nachträglich weder nach der Vorschrift des Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO (3), noch nach der Vorschrift des Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-VO (4) auf die Beklagte übergegangen.
- 30
1. Im vorliegenden Fall kommt unbeschadet der Vorschrift des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch die Dublin-II-Verordnung und nicht die mittlerweile in Kraft getretene Nachfolgeverordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin-III-VO) zur Anwendung. Gemäß der Übergangsvorschrift des Art. 49 Dublin-III-VO gilt diese nämlich erst für Anträge auf Internationalen Schutz sowie Anträge der Mitgliedstaaten auf Aufnahme oder Wiederaufnahme, die nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurden. Vorliegend hat der Kläger seinen Asylantrag bei der Beklagten bereits im Jahr 2012 gestellt. Auch der Antrag auf Wiederaufnahme des Klägers wurde noch im Jahr 2012 gestellt und von Italien mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 akzeptiert.
- 31
2. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass Italien nach der Vorschrift des Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Danach fallen dem Mitgliedstaat die Pflichten zur Wiederaufnahme und abschließenden Prüfung eines Asylverfahrens zu, sofern er einem Antragsteller einen Aufenthaltstitel erteilt. Italien hat dem Kläger in Folge der Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter einen Aufenthaltstitel erteilt und diesen im Jahr 2012 nochmals verlängert.
- 32
3. Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach dieser Vorschrift sind Aufnahmegesuche an andere Mitgliedstaaten spätestens innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrags zu stellen. Wird das Gesuch nicht innerhalb dieser Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung zuständig.
- 33
Zum einen vermittelt diese Vorschrift dem Asylbewerber aber keine subjektiven Rechte, sondern dient als innerstaatliche Organisationsvorschrift in erster Linie der klaren und praktikablen Bestimmung der Zuständigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten (vgl. hierzu die Erwägungsgründe 3 und 16 der Verordnung). Im Vordergrund steht daher das Interesse, die Zuständigkeit zeitnah festzustellen und den Asylantrag durch einzig den zuständigen Mitgliedstaat prüfen zu lassen, nicht aber, die Prüfung einem ganz bestimmten Mitgliedstaat zuzusprechen, in dem der Antragsteller einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat.
- 34
Zum anderen ist die Vorschrift auf den vorliegenden Fall schon nicht anwendbar. Die Beklagte hat kein Aufnahmegesuch nach Art. 17, sondern ein Wiederaufnahmegesuch nach den Art. 16. Abs. 2, Abs. 1 lit. c), 20 Abs. 1 Dublin-II-VO gestellt. Für Wiederaufnahmegesuche sieht die Dublin-II-VO aber keine Frist vor.
- 35
4. Schließlich ist die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens auch nicht deshalb nach Art. 20 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen, weil die Überstellung nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten erfolgt ist. Diese Frist beginnt gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d) nämlich erst nach rechtskräftigem Abschluss eines Rechtsbehelfsverfahrens zu laufen, sofern diesem aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. EuGH, Urteil vom 29.01.2009 – C 19/08 –, Juris-Rn. 44 ff.; OVG Niedersachen, Urteil vom 04.07.2012 – 2 LB 163/10 – Juris-Rn. 36 m.w.Nw.). Vorliegend hatte der Senat noch vor Ablauf der Frist der Beklagten untersagt, den Kläger nach Italien abzuschieben.
II.
- 36
Es besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO.
- 37
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die mittlerweile ihren Niederschlag in Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO gefunden hat, kann ein Mitgliedstaat unter bestimmten Umständen dazu verpflichtet sein, von der Rückführung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen. Das ihm insofern eingeräumte Ermessen ist nämlich Teil des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats und stellt ein Element des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems dar. Bei der Ermessensausübung führt der Mitgliedstaat daher Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union aus. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Europäischen Grundrechtscharta, aber auch der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Art. 18 der Charta und Art. 78 AEUV). Die Mitgliedstaaten haben bei der Ausübung ihres Ermessens diese Grundsätze daher zu beachten (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011-0000, Rn. 68 ff.).
- 38
Dabei kann jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (sogenanntes Prinzip gegenseitigen Vertrauens beziehungsweise normativer Vergewisserung, vgl. grundlegend BVerfG, Urteil vom 15.05.1996, 2 BvR 1938/93, Juris-Rn. 179 ff.). Es gilt daher die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass das System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
- 39
Allerdings berührt nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat das in der Dublin-II- bzw. Dublin-III-Verordnung niedergelegte Zuständigkeitssystem. Der Europäische Gerichtshof macht deutlich, dass nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel steht (EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn. 83). Das Zuständigkeitssystem ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs deshalb nur dann auszusetzen, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Grundrechtecharta ausgesetzt zu sein (vgl. zum Ganzen EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn. 78 bis Rn. 106).
- 40
Anhaltspunkte dafür, wann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung anzunehmen ist, lassen sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK entnehmen, der mit Art. 4 der Europäischen Grundrechtecharta übereinstimmt. In seinem Urteil vom 21. Januar 2011 hat der Gerichtshof eine Überstellung nach Griechenland als nicht mit Art. 3 EMRK vereinbar angesehen, da die systematische Unterbringung von Asylbewerbern in Haftzentren ohne Angabe von Gründen eine weit verbreitete Praxis der griechischen Behörden sei. Es gebe auch zahlreiche übereinstimmende Zeugenaussagen zu überfüllten Zellen, Schlägen durch Polizisten und unhygienischen Bedingungen in dem Haftzentrum neben dem internationalen Flughafen von Athen. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer monatelang in extremer Armut gelebt habe und außer Stande gewesen sei, für seine Grundbedürfnisse - Nahrung, Hygieneartikel und eine Unterkunft - aufzukommen. Er sei über Abhilfemöglichkeiten nicht angemessen informiert worden und habe in der ständigen Angst gelebt, angegriffen beziehungsweise überfallen zu werden (Urteil vom 21.01.2011, M.S.S. gegen Belgien und Griechenland, Beschwerde-Nr. 30696/09, Rn. 226 und Rn. 254 ff.).
- 41
Der Senat kommt nach Auswertung der vorliegenden Gutachten, Auskünfte und Berichte und unter Würdigung des Vortrags des Klägers zu dem Ergebnis, dass das italienische Asylsystem nicht an systemischen Mängeln leidet, auf Grund derer dem Antragstellers nach seiner Rückführung eine menschenunwürdige Behandlung droht (ebenso OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.11.2013 - 4 L 44/13 -, OVG Nds, Beschluss vom 30.01.2014 - 4 LA 167/13 - und vom 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.10.2013 - OVG 3 S 40.13 - und vom 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 -; VG Oldenburg, Beschluss vom 21.01.2014 - 3 B 6802/13 -; VG Regensburg, Beschluss vom 18.12.2013 - RN 6 S 13.30720 -; VG Ansbach, Beschluss vom 18.09.2013 - An 2 K 13.30675 -; VG Meiningen, Urteil vom 26.06.2013 - 5 K 20096/13 Me -; VG Lüneburg, Urteil vom 04.06.2013 - 6 A 176/11 - (n.V.); VG Augsburg, Beschluss vom 19.12.2012 - Au 6 E 12.30377 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 07.09.2012 - 6 L 1480/12.A -; VG Osnabrück, Urteil vom 02.04.2012 - 5 A 309/11 - (n.V.) a.A. OVG NRW, Beschluss vom 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -; VG Gießen, Urteil vom 25.11.2013 - 1 K 844/11.GI.A -; VG Schwerin, Beschluss vom 13.11.2013 - 3 B 315/13 As -; VG Frankfurt, Urteil vom 09.07.2013 - 7 K 560/11.F.A. -; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16.05.2013 - 5a L 547/13.A -; VG Köln, Beschluss vom 07.05.2013 - 20 L 613/13.A, soweit veröffentlicht zitiert nach Juris).
- 42
Italien verfügt über ein planvolles und ausdifferenziertes Asylsystem (a). Dieses System leidet zwar an Mängeln (b), nicht aber an systemischen Mängel (c). Das gilt auch für Personen mit Schutzstatus (d).
- 43
(a) Zunächst ist festzuhalten, dass Italien über ein planvolles und ausdifferenziertes Aufnahmesystem für Asylbewerber verfügt, das in zwei Phasen gegliedert ist. Nach Stellung des Asylantrags ist die Unterbringung in Aufnahmezentren für Asylsuchende, den sogenannten CARA (Centri di Accoglienza per Richiedenti Asilo) vorgesehen. Die maximale Aufenthaltsdauer dort soll grundsätzlich 35 Tage betragen. Daneben gibt es noch Aufnahmeeinrichtungen für Migranten, die keine Asylsuchenden sind, die so genannten CDA (Centri di Accoglienza). Diese werden in der Praxis ebenfalls für die Erstaufnahme von Asylsuchenden verwendet. In der zweiten Phase sollen die Antragsteller in einer Einrichtung des Aufnahmesystems SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati) untergebracht werden. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk von Unterkünften, das auf einer Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium, den Gemeinden und verschiedenen NGOs basiert. Die SPRAR-Projekte umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche. Die Aufenthaltsdauer im einem SPRAR beträgt normalerweise 6 Monate und kann bis zu einem Jahr verlängert werden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 22 ff.).
- 44
Endet das Asylverfahren mit der Zuerkennung eines Schutzstatus, werden den Schutzsuchenden Aufenthaltsberechtigungen („permessi die soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien formal dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige. Sie haben freien Zugang zum Arbeitsmarkt und kostenfreien Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Freiburg vom 11.07.2012). In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden sie nicht mehr aufgenommen. In Einrichtungen des SPRAR können sie Unterkunft finden, sofern sie die vorgesehene maximale Aufenthaltsdauer noch nicht ausgeschöpft haben und ein Platz frei ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 22 und S. 25; borderline-europe e.V., Gutachten zum Beweisbeschluss des VG Braunschweig vom 28.09.2012, S. 50).
- 45
(b) In der Praxis litt - und leidet - das italienische Aufnahmesystem an Mängeln. Die Berichtslage zeigt übereinstimmen, dass es insbesondere auf die sehr hohen Antragszahlen in den Jahren 2008 und 2011 nicht ausreichend vorbereitet war (Bethke & Bender, Zur Situation von Flüchtlingen in Italien - Bericht über die Recherchereise nach Rom und Turin im Oktober 2010 -; Schweizer Flüchtlingshilfe/Juss-Buss: Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und „Dublin-Rückkehrern“, Bericht vom Mai 2011; borderline-europe/Judith Gleitze: Zur Lage von Asylsuchenden und „Dublin-Rückkehrern“, Stellungnahme vom Dezember 2012; Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Darmstadt vom 29.11.2011 und an VG Braunschweig vom 09.12.2011). In der Folge verlängerten sich die Verfahrenszeiten deutlich über die vorgesehenen Fristen hinaus. Die zeitliche Lücke zwischen der Stellung des Asylantrags und dessen formeller Registrierung (verbalizzazione) führte zu der Gefahr der Obdachlosigkeit, da in der Praxis Zugang zu den Erstaufnahmeeinrichtungen erst ab dem Zeitpunkt der Registrierung gewährt wurde (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 12). Zudem waren die Aufnahmekapazitäten der staatlicherseits zur Verfügung gestellten Plätze überlastet. Für Personen mit Schutzstatus bedeutete dies, dass sie Schwierigkeiten hatten, im SPRAR-Aufnahmesystem unterzukommen, auch wenn sie die maximale Verweildauer noch nicht ausgeschöpft hatten. Hinzu kam die wirtschaftliche schwierige Lage, in der sich auch Italien nach der Wirtschaftskrise befand und noch befindet. Nach den Informationen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe lebt vor allem in Rom eine ganz erhebliche Zahl von Asylbewerbern und Personen mit Schutzstatus (die Schätzungen sprechen von 1.200 bis 1.700) in Slums oder besetzten Häusern (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, a.a.O., S. 36).
- 46
(c) Diese Mängel begründen aber keine systemischen Mängel im oben dargestellten Sinne. Dabei versteht der Senat unter systemischen Mängeln solche, die entweder bereits im System selbst angelegt sind und von denen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar betroffen sind oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem faktisch in weiten Teilen funktionsunfähig wird. Nach Auswertung der vorliegenden Auskünfte kommt der Senat zu der Überzeugung, dass die systembedingten Missstände von den italienischen Behörden angegangen werden und sich die Situation deshalb verbessert hat und aller Voraussicht nach weiter verbessern wird. Außerdem ist festzustellen, dass die Zustände punktuell, aber nicht flächendeckend unzureichend sind, so dass nicht davon gesprochen werden kann, dass das Asyl- und Aufnahmesystem faktisch außer Kraft gesetzt ist.
- 47
Ein im System angelegter Mangel ist die Tatsache, dass der Zugang zum Erstaufnahmesystem offensichtlich von der Registrierung (verbalizzazione) abhängt und dies bei einer Verzögerung des Verfahrens zur Obdachlosigkeit führen kann. Allerdings hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 eine Weisung herausgegeben, wonach die Registrierung zeitlich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Auch die Überlastung des Aufnahmesystems nimmt Italien nicht tatenlos hin. Auf die hohen Asylbewerberzahlen im Jahr 2011 reagierte das Land zunächst mit einem Notstandskonzept, bei dem unter Führung des Zivilschutzes (Protezione Civile) Aufnahmestrukturen in der Größenordnung von 26.000 Plätzen bereitgestellt wurden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013; UNHCR an VG Braunschweig, S. 3; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 9). Daneben wurden und werden die Plätze, die im SPRAR-Projekt zur Verfügung stehen, in erheblichem Umfang aufgestockt (siehe zur Bedeutung dieser Plätze für das Aufnahmesystem den Report von Nils Muižnieks, Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, 18.09.2012, Abs. 152). Standen ursprünglich 3.000 Plätze zur Verfügung, waren es Anfang Juni 2013 bereits 4.800 Plätze, wobei hierzu auch bereits vorhandene Unterkunftsplätze gezählt wurden, die um die im SPRAR-System vorgesehen Integrationsleistungen ergänzt wurden. Aufgrund eines im September 2013 erlassenen Dekrets des Innenministeriums soll die Kapazität im Zeitraum 2014 bis 2016 nochmals auf insgesamt 16.000 Plätze erhöht werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22). Außerdem wurde ein neues Informatiksystem „Vestanet“ eingeführt, das ebenfalls zu einer Verbesserung des Verfahrens beitragen soll (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). In seiner Antwort an das Verwaltungsgericht Braunschweig vom 24. April 2012 hat der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen ausdrücklich anerkannt, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben. Gleiches gilt für die Auskunft des Auswärtige Amtes vom 21. Januar 2013 an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt.
- 48
Der Senat geht außerdem davon aus, dass die aufgezeigten Missstände in bestimmten Städten und Regionen auftreten, die Funktionsfähigkeit des Asyl- und Aufnahmesystems aber nicht insgesamt in Frage stellen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Aufklärungsreisen die Problemschwerpunkte in den Blick nehmen (so ausdrücklich der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe mit Schwerpunkt Rom und Mailand, S. 1; in der Sache nicht anders der Bericht von Maria Bethke & Dominik Bender mit Schwerpunkt Rom und Turin; Gutachten von borderline-europe e.V. mit Schwerpunkt Rom und Sizilien). Diese Situationen sind aber nicht ohne Weiteres verallgemeinerbar. So geht der UNHCR, dessen Dokumente bei der Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften von besonderer Relevanz sind (vgl. EuGH, Urteil vom 30.05.2013 - C-528/11 - Rn. 44), in seiner Antwort an das Verwaltungsgericht Braunschweig davon aus, dass die CARA, CDA und SPRAR-Projekte in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl an Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR an VG Braunschweig vom 24. April 2012, S. 3). Anders als im Falle Griechenlands oder jüngst Bulgariens (UNHCR Briefing Notes vom 03.01.2014) hat der UNHCR bislang in keiner seiner Stellungnahmen eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten ausgesprochen, Überstellungen nach Italien nicht mehr vorzunehmen (siehe zuletzt UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, July 2013). Auch die Auskünfte des Auswärtigen Amtes sprechen gegen die Annahme eines systemischen Mangels des italienischen Asylsystems. Sie basieren auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR und UNHCR in Rom, grenzpolizeilicher Verbindungsbeamter der Bundespolizei im italienischen Innenministerium, Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Landesamtes ISTAT, Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen sowie Informationen des SPRAR und sind daher geeignet, einen Überblick über die Situation im Land zu geben. Nach der Auskunft an das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt konnten seinerzeit (Januar 2013) alle Asylbewerber und Flüchtlinge in öffentlichen Zentren untergebracht werden. Gegebenenfalls gebe es lokale und regionale Überbelegungen, italienweit seien aber genügen Plätze vorhanden. Insbesondere in Norditalien seien die Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Zusätzlich zu den staatlichen/öffentlichen Einrichtungen gebe es kommunale und karitative Einrichtungen, so dass meist ein Unterbringungsplatz in der Nähe gefunden werden könne. Es sei nicht davon auszugehen, dass Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz fänden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos auf der Straße oder in Elendsquartieren leben müssten.
- 49
(d) Mit Blick auf den hier vorliegenden Fall ist weiter festzuhalten, dass sich aus der Auskunftslage auch keine systemischen Mängel für Personen ergeben, denen bereits ein Schutzstatus zugesprochen wurde. Die mit der Anerkennung verbundene Erteilung eines Aufenthaltsrechts (permession di soggiorno) bedeutet in der Praxis, dass sich die Personen mit Schutzstatus grundsätzlich selbst um eine Unterkunft und eine Arbeit kümmern müssen. Sie können nicht mehr in CARA unterkommen, da diese nur Asylbewerbern offenstehen. Sie können sich aber für Plätze im SPRAR-System bewerben, sofern sie die maximale Verweildauer noch nicht überschritten haben. Tatsächlich wird eine große Zahl der Plätze im SPRAR-System von Personen mit Schutzstatus belegt. Allerdings bestehen zum Teil lange Wartezeiten (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22). Hier dürfte die geplante Ausweitung der SPRAR-Plätze eine deutliche Entlastung bringen. Daneben bieten die Gemeinden Unterkünfte an. Jedenfalls in Rom betrug die durchschnittliche Wartezeit auf einen solchen Platz allerdings drei Monate und in Mailand einen bis drei Monate (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27 und S. 30). Schließlich können sich Personen mit Schutzstatus, die keine Unterkunft finden, an kirchliche Organisationen und Nichtregierungsorganisationen wie die Caritas oder das Consiglio Italiano per i Rifugiati wenden (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.01.2013 an das OVG des Landes Sachsen-Anhalt). Verlässliche Zahlen, wie viele Schutzberechtigte von keiner dieser Möglichkeiten Gebrauch machen können und letztlich obdachlos werden, fehlen. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist im Regelfall oder gar überwiegend aber nicht davon auszugehen, dass Flüchtlinge in Italien beziehungsweise Rückkehrer nach der Dublin-II-Verordnung dort unter Verhältnissen leben müssen, welche man gemeinhin als „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums (Betteln, Leben auf der Straße etc.)“ bezeichnen könne. Hierbei handle es sich eher um Einzelfälle (Auswärtiges Amtes an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
- 50
In Italien gibt es auch für italienische Staatsangehörige kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Lebensunterhaltssicherung vor dem 65. Lebensjahr. Die Zuständigkeit für die Festsetzung von Sozialhilfeleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen wird die Höhe des Sozialgeldes durch die Kommune festgesetzt. Öffentliche Fürsorgeleistungen weisen daher deutliche Unterschiede je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft auf (Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern im vorliegenden Fall; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 48).
- 51
Auch wenn sich die Situation damit deutlich schlechter und unsicherer darstellt als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet dies für sich genommen keinen systemischen Mangel. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ausdrücklich festgehalten, dass Art. 3 EMRK die Vertragsparteien nicht verpflichte, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen. Die Norm enthalte auch keine allgemeine Pflicht, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmen Lebensstandard zu bieten. Ausländer, die von einer Ausweisung betroffen seien, gewähre die Konvention grundsätzlich keinen Anspruch mit dem Ziel, im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates zu verbleiben, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren, die vom ausweisenden Staat zur Verfügung gestellt werde. Wenn keine außergewöhnlichen zwingenden humanitären Gründe vorlägen, die gegen eine Ausweisung sprächen, sei allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse des Antragstellers bedeutend geschmälert würden, falls er oder sie ausgewiesen würde, nicht ausreichend, einen Verstoß gegen Art. 3 EMR zu begründen (Beschluss vom 02.04.2013, Mohammed Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien, a.a.O. Rn. 70 f.).
- 52
Keine systematischen Mängel bestehen schließlich auch im Hinblick auf den Zugang zum Gesundheitssystem. Personen mit Schutzstatus sind in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt. Die Anmeldung beim Nationalen Gesundheitsdienst ermöglicht die Ausstellung eines Gesundheitsausweises, der zur Behandlung bei einem praktischen Arzt, Kinderarzt, in Ambulanzen und zur Aufnahme in ein Krankenhaus berechtigt. Hierzu benötigen Schutzberechtigte den Aufenthaltstitel, die Steuernummer sowie eine feste Adresse. Personen ohne festen Wohnsitz können sich zumindest in Rom unter Sammeladressen karitativer Einrichtungen melden, die von den Behörden akzeptiert werden. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten. Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (Auswärtiges Amt an OVG des Landes Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
- 53
(e) Die Einschätzung, dass das italienische Asylsystem nicht an systemischen Mängeln leidet, wird durch die jüngere Rechtsprechung des Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigt. In seinem Beschluss vom 2. April 2013 hat er die Überstellung der dortigen Beschwerdeführerin, der - wie dem Kläger - in Italien bereits ein Schutzstatus zugesprochen worden war, mit Art. 3 EMRK für vereinbar gehalten. Dabei hat er - neben der konkreten Situation der Antragstellerin - eine Vielzahl von Stellungnahmen sowie Berichten von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen über die generelle Situation in Italien ausgewertet. Er kommt nach ausführlicher Würdigung der festzustellenden Mängel - und keineswegs nur unter Bezug auf den ihm vorgelegten konkreten Sachverhalt - zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen (Beschluss vom 02.04.2013, Mohammed Hussein u.a. gegen Niederlande und Italien, Rn. 70 ff., in Teilen übersetzt von Wischrath, ZAR 2013, 336, besprochen von Thym in ZAR 2013, 331; siehe auch Hailbronner, AuslR, Dezember 2013, § 34a Rn. 29 f.; ebenso Beschluss vom 18.06.2013, Halimi gegen Österreich und Italien, Rn. 68, in Teilen übersetzt von Wischrath, ZAR 2013, 338). Diese Einschätzung hat er jüngst nochmals ausdrücklich bestätigt (Beschluss vom 10.09.2013 - Nr. 2314/10 -, Hussein Diirshi u.a. gegen Niederlande und Italien, zitiert nach HUDOC).
- 54
(f) Es sind auch keine besonderen Umstände des Einzelfalles ersichtlich, die befürchten ließen, dass gerade dem Kläger in Italien eine mit Art. 4 der Grundrechtecharta nicht vereinbare Behandlung drohen würde. Er leidet insbesondere nicht an außerordentlich schweren oder seltenen Krankheiten, deren Behandlung in Italien nicht möglich erschiene. Nach seiner Schilderung bekam er in Italien in Notfallsituationen zumindest Schmerzmittel verabreicht. Die Probleme bei einer weiterführenden Behandlung resultierten offenbar daraus, dass er mangels festen Wohnsitzes keine Gesundheitskarte beantragt hat. Dem hätte der Kläger nach der Auskunftslage aber zumindest in Rom dadurch abhelfen können, dass er sich bei einer gemeinnützigen Organisation eine fiktive Meldeadresse hätte geben lassen. Aus den Angaben des Klägers lässt sich außerdem schließen, dass er noch keinen Platz im SPRAR-System beansprucht hat. Damit steht ihm nach seiner Rückkehr die Möglichkeit offen, sich für einen solchen Platz zu bewerben. Auf die von dem Kläger zuletzt aufgeworfene Frage, ob die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013 zutrifft, nach der alle im Rahmen der Dublin-Verordnung zurückgeführten Personen von der Questura in eine Unterkunft verteilt werden, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Diese Auskunft dürfte sich auf Personen ohne Schutzstatus bezogen haben, die - wie oben dargestellt - ohnehin einem anderen Aufnahmeregime unterfallen.
III.
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Die Abschiebungsanordnung ist nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies ist der Fall, nachdem Italien seine Zuständigkeit akzeptiert hat und der Abschiebung keine relevanten Hindernisgründe entgegenstehen.
IV.
- 56
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
- 57
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
- 58
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen. Streitentscheidend ist vorliegend die Würdigung der tatsächlichen Umstände in Italien.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (A 12 K 331/13) geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (A 12 K 331/13) geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tatbestand
- 1
Die Klägerin ist am (…) 1947 in H. in Syrien geboren. Sie ist verheiratet, yezidischen Glaubens, kurdische Volkszugehörige und sie besitzt die syrische Staatsangehörigkeit. Nach eigenen Angaben reiste sie – zusammen mit ihrer Tochter (...) sowie drei weiteren Kindern – von Syrien kommend am 01. August 2011 zunächst nach Italien, wo sie erkennungsdienstlich behandelt wurde und am 21. August 2011 in B-Stadt einen Asylantrag stellte, und alsdann am 07. September 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 12. September 2011 stellte sie bei der Außenstelle des Bundesamtes in H-Stadt einen (weiteren) Asylantrag.
- 2
Die Beklagte richtete unter dem 07. Februar 2012 an Italien ein Übernahmeersuchen gem. Art. 10 Dublin-II-VO (Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 10.02.2003). Mit Schreiben vom 16. Februar 2012 erklärten die italienischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags der Klägerin.
- 3
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag der Klägerin mit Bescheid vom 13. Juni 2012 als unzulässig ab und ordnete ihre Abschiebung nach Italien an. Nach der Dublin-Verordnung sei Italien für die Bearbeitung ihres Asylantrags zuständig; außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach § 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich.
- 4
Die Klägerin hat am 29. Juni 2012 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, sie könne wegen der allgemeinen Situation von Asylbewerbern in Italien nicht darauf verwiesen werden, in Italien ein Asylverfahren durchzuführen, weil davon auszugehen sei, dass das Asylverfahren dort nicht ordnungsgemäß durchgeführt würde. Sie besitze einen Anspruch auf Asyl und Flüchtlingsschutz sowie Abschiebungsschutz; hierüber sei durch das Bundesamt zu entscheiden.
- 5
Die Klägerin hat beantragt,
- 6
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen und dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gegeben sind.
- 7
Die Beklagte hat beantragt,
- 8
die Klage abzuweisen.
- 9
Sie hat die Ansicht vertreten, Italien erfülle bei der Durchführung von Asylverfahren die Mindeststandards der Europäischen Union. In den italienischen Aufnahmeeinrichtungen seien zahlreiche humanitäre Organisationen tätig, die dies gewährleisten würden. Insbesondere hätten Asylbewerber in Italien vollen Zugang zum Gesundheitssystem. Anders als im Fall Griechenlands gebe es keine Empfehlung des UNHCR, Flüchtlinge nicht an Italien zu überstellen. Dementsprechend habe das Bundesverfassungsgericht auch Verfassungsbeschwerden gegen erstinstanzliche Entscheidungen, denen zufolge eine Abschiebung nach Italien möglich sei, nicht zur Entscheidung angenommen. Ferner sei eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen ergangen, wonach die asylrechtlichen Mindeststandards in Italien gewährleistet seien und woraus sich ergebe, dass der Bericht von Bethke und Bender zu den Problemen der Flüchtlinge in Italien kritisch zu betrachten sei.
- 10
Auf den Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 07. März 2012 – 9 B 57/12 MD – die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung der Klägerin nach Italien vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu unterlassen.
- 11
Mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 verpflichtet, über den Asylantrag der Klägerin in eigener Zuständigkeit zu entscheiden und ein Asylverfahren durchzuführen. Die Klägerin habe nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchführe; das insoweit bestehende Ermessen der Beklagten sei auf Null reduziert. Der Klägerin könne die Durchführung eines Asylverfahrens in Italien nicht zugemutet werden.
- 12
Der Senat hat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Zulassungsantrag, wonach sie an ihrer bisherigen Auffassung festhält, die Klägerin könne in Anbetracht der in Italien gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse auf die Durchführung eines Asylverfahrens dort verwiesen werden.
- 13
Die Beklagte beantragt,
- 14
die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 9. Kammer - vom 10. Juli 2012 abzuweisen.
- 15
Die Klägerin beantragt,
- 16
die Berufung zurückzuweisen.
- 17
Sie macht geltend, die Beklagte beziehe sich zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen auf bloße Vorschriften und eine nicht mehr aktuelle Rechtsprechung, während neue Berichte nicht zur Kenntnis genommen würden. Der Auffassung der Beklagten sei im Hinblick auf die humanitäre Situation in Italien entgegen zu halten, dass sich die Situation der Flüchtlinge in Italien aufgrund des anhaltenden Flüchtlingsstroms aus Tunesien und anderen nordafrikanischen Staaten dramatisch verschlechtert habe. Italien sei bereits zuvor mit der Aufnahme von Flüchtlingen und deren ordnungsgemäßer Unterbringung überfordert gewesen. Aufgrund des momentanen Flüchtlingsstroms nach Italien habe sich die Situation noch verschlechtert; es sei damit zu rechnen, dass der Klägerin bereits aus diesem Grunde ein ordnungsgemäßes Asylverfahren verwehrt werde und dass sie obdachlos würde. Im Übrigen dürfe nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs (Urteil v. 21.12.2011 - C-411/11, C-493/10 -) ein Asylbewerber bereits dann nicht an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-II-VO überstellt werden, wenn ernsthafte Hinweise auf systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat vorlägen, die eine Gefährdung des Asylbewerbers nahe legen würden. Solche ernsthaften Hinweise lägen hier vor. Die vorliegenden Berichte und sonstigen Erkenntnismittel gingen davon aus, dass das staatliche Aufnahmesystem in Italien völlig überlastet sei. Es existierten 3.000 Plätze, die eine Aufnahme von Asylbewerbern für jeweils nur sechs Monate vorsehen würden. Im Jahre 2011 hätten indessen laut Presseberichterstattung (Spiegel online v. 26.04.2011) in Italien bis Anfang Mai bereits 26.000 Flüchtlinge um Schutz nachgesucht.
- 18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten und auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten (Beiakte A) sowie auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 19
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Klägerin mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 zu Unrecht stattgegeben.
- 20
I. Die Klage ist teilweise unzulässig.
- 21
1. Die als Verpflichtungsklage erhobene Klage ist “lediglich“ als Anfechtungsklage zulässig. Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juni 2012 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag der Klägerin gem. § 27a AsylVfG (wegen fehlender Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland) unzulässig ist, ist allein die Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01. 2010 - 11 K 8136/09 -; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009,409; Urt. v. 29.09.2009 - 7 K 269/09.F.A -; Urt. v. 23.06. 2010 - 7 K 2789/09.F.A. -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11. 2011 - AN 11 S 11.30508 -; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -; Beschl. v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A. -; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, alle: Juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27a Rdnr. 18; a. A. statthaft nur die Verpflichtungsklage: OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A - Juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/ 09.WI.A -).
- 22
Im Fall der Aufhebung einer – wie hier – auf § 27a AsylVfG gestützten Entscheidung wegen Unzulässigkeit des Asylantrages ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens („in eigener Zuständigkeit“) vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch ohne ein hierauf gerichtetes Verpflichtungsbegehren eröffnet. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides bereits von Gesetzes wegen zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet (vgl. § 31 Abs. 2 AsylVfG zur Entscheidung des Bundesamtes über beachtliche Asylanträge). Da grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, bedarf es demzufolge einer Verpflichtungsklage nicht (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01.2010, a. a. O.; vgl. auch VG Frankfurt/Main, Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.).
- 23
Überdies muss bezweifelt werden, ob es sich bei der Entscheidung nach Art. 3 Abs. 2 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist – Dublin-II-VO – [z. T. auch „EG-AsylZustVO“ genannt] – (ABl. L 50 vom 25.02.2003, S. 1 -10) um einen (selbständigen) Verwaltungsakt handelt, so dass eine Verpflichtungsklage bzw. – unter Berücksichtigung des im Rahmen der genannten Vorschrift eingeräumten Ermessens – eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung in Betracht kommt, oder ob es sich bei der gem. § Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zu treffende Entscheidung nicht um eine bloß inzidente handelt, da es allein um die Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten geht.
- 24
Ebenso scheidet eine Verpflichtungsklage aus, die unmittelbar auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. § 16a GG bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG oder aber - hilfsweise - auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichtet ist. Denn eine Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht nur dann, wenn ein „mit seinem Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebener Ausländer“ den Klageweg beschreitet (BVerwG, Urt. v. 06.07.1998 - 9 C 45.97 - BVerwGE 107, 128 ff.). Hat hingegen das Bundesamt (noch) keine Sachentscheidung getroffen, so würde dem Betroffenen in dem Falle des “Durchentscheidens“ des Gerichts durch Verpflichtungs-urteil eine Tatsacheninstanz genommen, nämlich dass eine inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgt (ebenso: VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.; VG Schleswig, Urt. v. 03.08. 2011 - 1 A 46/11 - und Beschl. v. 12.09.2011 - 12 A 124/10 -; a. A. VG Braunschweig, Urt. v. 21.02.2013 - 2 A 126/11 - u. a. mit Verweis auf VGH Mannheim, Urt. v. 19.06.2012 - A 2 1355/11 -, Juris).
- 25
Im Übrigen verhält es sich bei der Entscheidung nach § 27a AsylVfG ähnlich wie in Fällen der Entscheidung des Gerichts über eine Einstellung des Asylverfahrens nach§ 32 AsylVfG wegen vermeintlicher Antragsrücknahme bzw. Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG sowie in den Fällen der gerichtlichen Entscheidung bei fiktiver Antragsrücknahme nach§ 33 AsylVfG. In den genannten Fällen ist nach der hierzu ergangenen einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94 -, NVwZ 1996, S. 80 = Juris; vgl. auch Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m. w. N.) die Verpflichtungsklage unzulässig, weil die verweigerte sachliche Prüfung des Asylantrages nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen ist.
- 26
Auch ist im Hinblick auf die mit dem angefochtenen Bescheid angeordnete Abschiebung der Klägerin nach § 34a Abs. 1 AsylVfG die Verpflichtungsklage nicht veranlasst und stattdessen eine Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO ausreichend (vgl. VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O. und Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 34a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a. a. O., § 34a Rdnr. 64). Soweit es nämlich darum geht, dass die Beklagte von einem Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02. September 2003 (Abl. L 222 S. 3) Gebrauch macht, bedarf es im Urteil über eine entsprechende inzidente Feststellung hinaus keiner ausdrücklichen Verpflichtung der Beklagten, von einer Abschiebung abzusehen.
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Es ist vorliegend davon auszugehen, dass die Anfechtungsklage vom Verpflichtungsbegehren der Klägerin (mit-)umfasst ist. Gegenstand der Anfechtungsklage ist nach allem ausschließlich die Frage nach der Zuständigkeit der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens, wobei die Frage nach dem rechtlich gebotenen Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland inzident zu beantworten ist.
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2) Der Klägerin steht für ihre Klage auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse zur Seite, da sie weiterhin nach Italien zurückgeführt bzw. rücküberstellt werden könnte, nachdem die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 d. Sachakte) ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung ihres Asylantrags erklärt haben, indem sie dem Übernahmeersuchen stattgegeben und damit ihrer Rücküberstellung zugestimmt haben.
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II. Die Klage ist im Übrigen unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Asylantrag der Klägerin zu Recht als unzulässig abgelehnt und zugleich ihre Abschiebung nach Italien angeordnet. Es musste im vorliegenden Fall insbesondere auch nicht von der Möglichkeit des Selbsteintritts der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch machen.
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1) Rechtsgrundlage des Bescheides vom 13. Juni 2012, mit dem das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin als unzulässig abgelehnt hat, ist § 27a AsylVfG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier der Fall. Zu Recht ist die Beklagte im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass die Republik Italien für die Durchführung eines Asylverfahrens der Klägerin zuständig ist.
- 31
a) Die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO, sofern nicht die nach Art. 5 Abs. 1 der genannten Verordnung vorrangig zu prüfenden Zuständigkeitskriterien nach Art. 6 bis 9 der Verordnung einschlägig sind.
- 32
Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, sofern auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 der Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III derVerordnung (EG) Nr. 2725/2000, festgestellt wird, dass der Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze des Mitgliedstaats illegal überschritten hat (vgl. auch Art. 18 Abs. 4 und 5 Dublin-II-VO).
- 33
Dies bedeutet, dass – soweit nicht die Vorschriften nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO einschlägig sind – im vorliegenden Fall Italien für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zuständig ist, da sie ihren eigenen Angaben zufolge aus Syrien kommend die Grenze nach Italien illegal überschritten hat (und dort – in B-Stadt – am 21. August 2011 zugleich einen Asylantrag gestellt hat [Bl. 108 ff. d. Sachakte]).
- 34
Die insoweit gegebene Zuständigkeit endet zwar gem. Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Die Klägerin hat jedoch am 12. September 2011 und damit noch vor Ablauf der Jahresfrist ihren Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt, so dass die Zuständigkeit Italiens nicht nach Satz 2 entfallen ist. Die Einreise der Klägerin nach Italien erfolgte am 07. September 2011; die Jahresfrist lief somit am 07. September 2012 ab. Dass die Frist nunmehr abgelaufen ist, ist unschädlich, weil für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Art. 5 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Situation in dem Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
- 35
b) Im Falle der Klägerin sind auch die Voraussetzungen nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich Art. 7 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist, wo ungeachtet dessen, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat, der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, sowie hinsichtlich Art. 8 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – dem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrages obliegt, in dem der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, über dessen Asylantrag noch keine erste Sachentscheidung getroffen wurde. Die genannten Vorschriften sind im Falle der Klägerin jedoch nicht einschlägig.
- 36
Es ist schon nicht ersichtlich, dass die nach Art. 7 und 8 der Verordnung genannten Voraussetzungen bei der Tochter der Klägerin, mit der sie zusammen in das Bundesgebiet eingereist ist, oder bei ihren in Deutschland lebenden volljährigen Kindern vorliegen. Dies kann aber auch dahin stehen. Denn jedenfalls gelten die genannten Personen nicht als „Familienangehörige“ i. S. d. Dublin-II-VO. Hierzu gehört nach Art. 1 Buchst. i) der Verordnung nur die Mitglieder der “Kernfamilie“, d. h. die Ehegatten des Asylbewerbers und unter bestimmten Voraussetzungen der nicht verheiratete Partner des Asylbewerbers, die minderjährigen Kinder der genannten Personen sowie bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern oder Flüchtlingen der Vater, die Mutter oder der Vormund. Ein solches Verwandtschaftsverhältnis der Klägerin zu den mit einreisenden bzw. in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kindern besteht jedoch nicht.
- 37
c) Ebenso sind bei der Klägerin die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Nach Art.15 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien der Verordnung nicht zuständig ist. Dass die Klägerin vorliegend aus humanitären Gründen mit ihren Familienangehörigen zusammenzuführen ist und nicht auch auf ein eigenständiges Leben in Italien verwiesen werden kann, zumal ihre Kinder teilweise in Deutschland, teilweise in Österreich leben bzw. teilweise ihr Aufenthalt unbekannt ist, lässt sich nicht feststellen. Die Klägerin befindet sich in Begleitung ihrer volljährigen Tochter; beide sind reisefähig und nach Italien zu überstellen.
- 38
Ebenso sind die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt, wonach im Regelfall von einer Trennung der Familienangehörigen abzusehen bzw. eine Zusammenführung vorzunehmen ist, wenn die betroffene Person u. a. wegen einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung durch die anderen Person(en) angewiesen ist. Diese Voraussetzungen liegen bei der 67-jährigen Klägerin nicht vor; entsprechendes ist jedenfalls nicht vorgetragen worden.
- 39
Eine andere Einschätzung ist auch nicht im Hinblick auf die einleitende Erwägung zu Nr. 6 Dublin-II-VO veranlasst, wonach die Einheit der Familie (grundsätzlich) gewahrt bleiben soll, soweit dies mit den sonstigen Zielen vereinbar ist, die mit den Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrages zuständigen Mitgliedstaats angestrebt werden. Nicht anders verhält es sich mit Blick auf die einleitende Erwägung nach Art. 7 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach die Mitgliedstaaten von den Zuständigkeitskriterien abweichen können, um eine räumliche Annäherung von den Familienmitgliedern vorzunehmen, soweit dies aus humanitären Gründen erforderlich ist. Bei den genannten Regelungen handelt es sich indes um bloße programmatische Vorgaben, aus denen sich, unabhängig davon, dass die Voraussetzungen hier nicht vorliegen dürften, für die Asylbewerber keine unmittelbaren Rechte ableiten lassen.
- 40
d) Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Zwar hat das Bundesamt nicht innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags der Klägerin vom 12. September 2011 ein Wiederaufnahme- bzw. Übernahmeersuchen an die Republik Italien gestellt; das war indes auch nicht erforderlich. Da die Klägerin bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hat, steht in ihrem Fall eine Wiederaufnahme durch Italien im Sinne des Art. 16 Abs.1 c) bis e) Dublin-II-VO in Rede, nicht hingegen eine Aufnahme seitens Italiens im Sinne des Art. 16 Abs.1 a) Dublin-II-VO. Die Dublin-II-VO unterscheidet insoweit gem. Art.16 Abs.1 lit. a) einerseits und Art. 16 Abs. 1 lit. c) bis e) andererseits zwischen der Überstellung des Asylsuchenden in einem Aufnahmeverfahren gemäß den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO und einer Überstellung im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 20 Dublin-II-VO. Das Aufnahmeverfahren findet statt, wenn der Asylsuchende im ersuchten Mitgliedstaat noch keinen Asylantrag gestellt hat, während das Wiederaufnahmeverfahren einschlägig ist, wenn dort bereits ein Asylantrag gestellt wurde. Insofern wird der Anwendungsbereich der nachfolgenden Art. 17 bis 20 Dublin-II-VO durch Art. 16 Dublin-II-VO bestimmt.
- 41
Aus der systematischen Trennung zwischen Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren folgt, dass im Wiederaufnahmeverfahren keine Frist für das Übernahmeersuchen gilt, denn die insofern allein maßgebliche Regelung des Art. 20 Dublin-II-VO normiert weder selbst eine solche Frist, noch nimmt sie auf die für das Aufnahmeverfahren geltende Regelung in Art. 17 Abs.1 Dublin-II-VO Bezug. Es verhält sich gerade nicht in der Weise, dass Art. 20 Dublin-II-VO nur spezielle Modalitäten für die Wiederaufnahme regelt und im Übrigen die Regelungen der Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO anwendbar wären. Vielmehr handelt es sich bei den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO einerseits und dem Art. 20 Dublin-II-VO andererseits um jeweils eigenständige Regelungskomplexe (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 06.02.2013 - 17 L 150/13.A -; Beschl. v. 26.04.2013 - 17 K 1777/12.A -; VG Hamburg, Beschl. v. 22.09.2005 - 13 AE 555/05 -; VG Augsburg, Gerichtsbescheid v. 09.05.2011 - Au 3 K 10.30468 - Juris; VG Regensburg, Beschl. v. 05.07.2013 - RN 5 S 13.30273 -; VG Göttingen, Beschl. v. 11.10.2013 - 2 B 805/13 -; a.A.: VG Düsseldorf, Beschl. v. 07.08. 2012 - 22 L 1158/12.A -, alle: Juris).
- 42
Art. 17 Abs.1 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, zuständig wird, wenn das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten unterbreitet wird, findet im Fall der Klägerin folglich keine Anwendung, so dass sich hieraus auch keine Zuständigkeit der Beklagten ergibt. Dementsprechend haben die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 R, 116 d. Sachakte) auch ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme bzw. Übernahme der Klägerin erteilt.
- 43
e) Ferner ist die Zuständigkeit nicht nach Art. 19 Abs. 3 und 4 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO erfolgt die Überstellung des Schutzsuchenden von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin-II-VO i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Dabei ist unerheblich, dass die Entscheidung der Beklagten nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 der Verordnung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat; allein entscheidend ist, dass ihr eine solche durch eine entsprechende gerichtliche Entscheidung zuerkannt worden ist (vgl. Hess.VGH, Beschl. v. 23.08.2011 - 2 A 1863/10.Z.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.06.2012 - A 2 S 1355/11 -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; offengelassen: OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -, alle: Juris).
- 44
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 02. August 2012 - 4 MC 133/12 - (< Rn. 17 zitiert nach Juris >) zu § 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO und zu dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin-II-VO grundsätzlich vorgesehenen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ausgeführt:
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„Der Annahme der aufschiebenden Wirkung des hier eingelegten Rechtsbehelfs steht auch nicht die Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 Satz 4 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 entgegen. Danach hat ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nach Absatz 1 keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem inner-staatlichen Recht zulässig ist. Zwar darf nach § 34a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) nicht nach§ 80oder § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung ausgesetzt werden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass durch diese Vorschrift eine andere Entscheidung im Sinne von Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Hs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts ausgeschlossen ist und daher ein Rechtsbehelf wegen § 34a Abs. 2 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 haben kann. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr ausdrücklich entschieden, dass der Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 34a Abs. 2 AsylVfG in den Fällen, in denen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) erfolgen soll, in Ausnahmefällen, die nicht vom „normativen Vergewisserungskonzept“ des Gesetzgebers über die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in einem sog. sicheren Drittstaat erfasst sind, der Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz gegen eine sofortige Überstellung nicht entgegensteht (BVerfG, Urt. v. 14.5. 1996, a. a. O.). Diese Rechtsprechung wird - soweit ersichtlich - von den Verwaltungsgerichten auf die Abschiebung in einen anderen Staat, der nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, mit der Begründung übertragen, dass die vom Bundesverfassungsgericht angestellten Erwägungen zu § 26a AsylVfG auch auf die Vorschrift des§ 27a AsylVfG zutreffen, weil die nach europäischen Recht für die Asylentscheidung zuständigen Mitgliedstaaten zugleich sichere Drittstaaten im Sinne von § 26a AsylVfG sind (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 1.3.2012 - 1 B 234/12.A - und v. 11.10. 2011 - 14 B 1011/11.A -; ferner Nds. OVG, Beschl. v. 2.5.2012 - 13 MC 22/22 - und Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-). Unter diesen Umständen kann daher keine Rede davon sein, dass es nach der innerstaatlichen Rechtslage in Deutschland unzulässig sei, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellung auf der Grundlage der Zuständigkeitsbestimmungen in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 anzuordnen. Unabhängig davon stellt die für den Fristenbeginn der Überstellung maßgebliche Vorschrift des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 nach ihrem Wortlaut auch ausdrücklich darauf ab, dass einem eingelegten Rechtsbehelf tatsächlich aufschiebende Wirkung zukommt und nicht darauf, ob es nach dem innerstaatlichen Recht zulässig ist, die aufschiebende Wirkung anzuordnen (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-).
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Läuft danach die Frist zur Überstellung aufgrund des von dem Antragsteller eingelegten Rechtsbehelfs erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens bezüglich der Durchführung der Überstellung entschieden wird und die der Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann, kann dahinstehen, ob insoweit das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn bereits ausreichend ist oder es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf (so Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.“
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Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an und macht sie sich zu Eigen.
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Da die Klägerin – nach Erlass des angefochtenen Bescheides vom 13. Juni 2012 – gegen ihre Überstellung innerhalb der Frist, bis zu der gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin-II-VO ihre Überstellung nach Italien vorbehaltlich eventuell zu treffender weiterer Maßnahmen erfolgen konnte, einen Rechtsbehelf gegen ihre Überstellung eingelegt hat, dem mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom Beschluss vom 07. März 2012 - 9 B 56/12 MD - aufschiebende Wirkung beigemessen worden ist, beginnt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO eine (neue) sechsmonatige Frist zur Überstellung der Klägerin (erst) ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Klage. Diese Frist ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch nicht abgelaufen, denn der Senat hat dem Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 entsprochen. Nach allem kann hier dahingestellt bleiben, ob im Grundsatz das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn hinsichtlich der Überstellung bereits ausreichend ist oder ob es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf, da die Klägerin jedenfalls erstinstanzlich obsiegt hat.
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2) Die Beklagte ist für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin auch nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zuständig, denn die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, das Selbsteintrittsrecht auszuüben.
- 50
Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-II-VO zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (a. a. O. Satz 3). Ob der Mitgliedstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht dabei grundsätzlich in seinem Ermessen, welches – weil integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen Europäischen Asylsystems (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/ 10 und C-493/10 -,
) – in Übereinstimmung mit den insoweit geltenden unionsrechtlichen Bestimmungen und von den Mitgliedstaaten verfolgten Zielen auszuüben ist.
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Art. 3 Dublin-II-VO ist auch geeignet, subjektive Rechte der Klägerin zu begründen, die von ihr gegen eine vorgesehene Überstellung (Rückführung) in den nach dieser Verordnung für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat geltend gemacht werden können (vgl. dazu den Vorlagebeschluss des Hess.VGH v. 22.12.2010 - 6 A 2717/09.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02. 08.2012 - 4 MC 133/12 - m. w. N., Juris; ferner Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 37 ff. m. w. N.). Denn auch wenn es sich bei Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO um eine Ermessensvorschrift handelt, kann sich der Betroffene – hier die Klägerin – auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gem. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung berufen. Diese Bestimmung ist – anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 25) – nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ihm ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Begünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung der Rechtsnorm besitzen (vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62 -, Slg. 1963, 1 [24] = NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04. 12.1974 - Rs. C-41/74 -, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81 -, Slg. 1982, 53 [71] = NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Dublin-II-VO dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 124 m. w. N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der Europäische Gerichtshof in dem zur Dublin-II-VO ergangenen Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 – (Rdnr. 38, 48 zur Frage des Rechtsschutzes, NVwZ 2009, S. 639 = Juris) aus.
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Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO lediglich das Recht auf eine fehlerfreie Ermessensausübung – welches gegebenenfalls aber auf Null reduziert sein kann (vgl. VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08. 30122 -; Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 134 f. und 223 m. w. N.; Marx, a. a. O. § 27a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser / Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/ Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u. a. und des Belgischen Conseil d'Etat / Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).
- 53
Aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck in der Norm selbst nicht seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 220; Filzwieser / Liebminger, a. a. O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 EG-Vertrag in der Fassung des Amsterdamer Vertrages vom 02. Oktober 1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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Nach Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) EG-Vertrag beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie mit einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Dublin-II-VO erlassen. Im Erwägungsgrund Nr. 5 wird hierzu ausgeführt, dass bezüglich der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf längere Sicht zu einem gemeinsamen Asylverfahren und einem unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird, führen sollte, im derzeitigen Stadium die Grundsätze des am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichneten Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gestellten Asylantrags(4) (nachstehend „Dubliner Übereinkommen“ genannt), dessen Durchführung die Harmonisierung der Asylpolitik gefördert hat, mit den aufgrund der bisherigen Erfahrungen erforderlichen Änderungen beibehalten werden sollten. Weiterhin wird insbesondere im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - EuGrdRCh - anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 EuGrdRCh verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
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Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, Juris) lässt das im EU-Vertrag vorgesehene und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeitete gemeinsame Europäische Asylsystem allerdings die Annahme begründet erscheinen, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 (GFK) sowie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - (EMRK) finden. Es gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta und der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. M. a. W. ausgehend von der Annahme, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i. S. d. Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz (GG) bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden „Konzepts der normativen Vergewisserung“ (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/133 - Juris, Rn. 179 ff.) bzw. des „Prinzips des gegenseitigen Vertrauens“ (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - Rs C-411/10 und C-393/10 – Juris, Rn. 79 ff.) grundsätzlich davon auszugehen, dass die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Grundrechtscharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention in diesen Ländern sichergestellt ist. Auch die Dublin-II-Verordnung beruht wie jede andere auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK, der EMRK und der EuGrdRCh in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und Nr. 12 Dublin-II-VO und Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EG-Vertrag, - so auch VG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 02.10.2008 - 6 B 56/08-, Juris und VG Regensburg, Beschl. v. 15.09.2008 - RO 3 E 08.30124 - Juris).
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Dies bedeutet zugleich, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris) ein Ausländer, der in einen sicheren Drittstaat zurück verbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern kann, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Für ihn kommen deshalb entsprechend dem mit Art. 16a Abs. 2 GG verfolgten „Konzept normativer Vergewisserung“ über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, grundsätzlich nicht in Betracht.
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Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland dann Schutz zu gewähren, wenn ein solcher durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des „Konzepts normativer Vergewisserung“ durch Gesetz berücksichtigt werden konnten oder aber sich die für die Qualifizierung als “sicher“ maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung hierauf noch aussteht. So sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a. a. O.) Ausnahmen u. a. dann geboten, wenn der Drittstaat gegenüber dem Schutzsuchenden selbst zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird, oder wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer der Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (vgl. zur Problematik der Bestimmung des „sicheren Drittstaates“: BVerfG, Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 - DVBl. 2009, 1304; Lübbe-Wolff, Das Asylgrundrecht nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 - DVBl. 1996, 825 ff.; s. insbesondere auch zur europa-rechtlichen Dimension: Weinzierl / Hruschka, Effektiver Rechtsschutz im Lichte deutscher und europäischer Grundrechte, NVwZ 2009, 1540 ff.).
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Vergleichbares gilt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn es um die Rückführung eines Ausländers in den für seinen Asylantrag zuständigen Staat im Sinne des § 27a AsylVfG geht. Dies bedeutet, dass auch der Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO „nur“ eine Ausnahme darstellt bzw. Sonderfällen vorbehalten ist. Denn eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat oder in den nach europäischem Recht oder Völkerrecht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, ist nur dann veranlasst, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme aufdrängt, dass der Asylbewerber von einem der im normativen Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 GG und der §§ 26a, 27a, 34a AsylVfG nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind dabei auch im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris). Die Annahme eines sicheren Drittstaates ist daher nur dann widerlegt, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh bzw. der inhaltlich identischen Vorschrift des Art. 3 EMRK (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EuGRrdRCh) implizieren.
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Nach der zu Art. 3 EMRK ergangenen Rechtsprechung des EGMR, auf die zur Auslegung von Art. 4 EuGrdRCH zurückzugreifen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 21.01.2011, 2011 - No. 30696 – M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, Rn. 88 m. w. N. – Juris) ist eine Behandlung unmenschlich, wenn sie absichtlich erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Eine Behandlung ist hingegen als erniedrigend anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und dadurch fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert, oder wenn sie Angst, Furcht oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder physischen Widerstand der Person zu brechen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.01.2011, a. a. O., Rn. 220 m. w. N.).
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Die ernsthafte Befürchtung grundlegender Mängel besteht nur dann, wenn in einem Mitgliedstaat eine ständige Verletzung der Kernanforderungen des europäischen Asylrechts, wie sie in den Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union ihren Niederschlag gefunden haben, stattfindet und dadurch die Menschenwürde, das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Flüchtlings beeinträchtigt wird (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Beschl. v. 22.12.2008 - 13 L 1993/08.A - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84.11 A - Juris; VG Hannover, Beschl. v. 07.06.2011 - 1 B 2106/11 - asyl.net; VG Düsseldorf, Beschl. v. 12.09.2011 - 6 L 866/11.A - Juris; Lehnert / Pelzer, Effektiver Rechtsschutz im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin II-Verordnung, ZAR 2010, 41 ff.; Lehnert/Pelzer, Der Selbsteintritt der Mitgliedstaaten im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin-II-Verordnung, NVwZ 2010, 613 ff.). Bei der Beurteilung der Frage, ob für Asylbewerber in Italien dementsprechend ein “richtliniekonformes“ Verfahren gewährleistet ist, ist dabei zunächst das Schutzniveau in den Blick zu nehmen, das sich aus Art. 28 (Sozialleistungen) und Art. 31 (Zugang zu Wohnraum) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 – Qualifikationsrichtlinie – ergibt und sodann jenes, das sich für das Asylverfahren aus der Dublin-II-VO selbst ergibt. Zugleich ist als Maßstab die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten heranzuziehen sowie die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Danach gehören zu den Kernanforderungen des europäischen Asylrechts der Zugang zu einem geordneten Asylverfahren und die Gewährung materieller Aufnahmebedingungen, welche die Grundbedürfnisse nach Unterkunft, Nahrung und medizinischer Versorgung abdecken.
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Die vorstehend aufgezeigten Grundsätze stehen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat mit Urteil vom 21.12.2011 - C 411/10 und C-493/10 - (Juris) ausgeführt, das Gemeinsame Europäische Asylsystem sei in einem Kontext entworfen, der grundsätzlich die Vermutung rechtfertige, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Gleichwohl könne – so der Gerichtshof – nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoße, so dass die ernstzunehmende Gefahr bestehe, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt würden, die mit den Grundrechten unvereinbar sei. Dabei berühre nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Dublin-II-VO. Sei jedoch ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufwiesen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Grundrechtscharta implizierten, so sei eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar.
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Bei der Beurteilung der anstehenden Frage nach dem Vorliegen eines systemischen Versagens in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in dem Mitgliedstaat ist überdies nicht (allein) darauf abzustellen, welche (abstrakte) Rechtslage dort herrscht, mithin ob etwa die vorgenannten Richtlinien in nationales Recht umgesetzt wurden, sondern es sind (ebenfalls) die konkreten bzw. realen Verhältnisse für die Asylbewerber, mithin die bestehende tatsächliche Verwaltungs- und Rechtspraxis in den Blick zu nehmen (ebenso VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009, 406 = Juris).
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Ferner ist darauf abzustellen, ob es sich bei eventuell feststellbaren Defiziten und Mängeln, etwa in Form von Rechtsverstößen und zu erwartenden Beeinträchtigungen, nur um Einzelfälle oder – soweit es sich nicht nur um Einzelfälle handelt – um bloße vorübergehende, temporäre Erscheinungen handelt, die etwa einer überraschenden Entwicklung geschuldet sind, denen aber in naher Zukunft voraussichtlich abgeholfen wird. Anders verhält es sich indes in jenen Fällen, in denen aufgrund einer Vielzahl von Referenzfällen hinreichend belegte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die Missstände und Unzulänglichkeiten dauerhaft manifestiert haben. Die insoweit erforderliche Feststellung des Vorliegens systemischer Mängel und Missstände hat somit eine quantitative wie qualitative Komponente. Ob die desolaten Verhältnisse im Mitgliedstaat dabei darauf zurückzuführen sind, dass dieser zur Schaffung geordneter und richtlinienkonformer Verhältnisse nicht bereit oder nicht in der Lage ist, macht dabei grundsätzlich keinen Unterschied.
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3) In Anwendung der genannten Kriterien ist im Fall der Klägerin von Folgendem auszugehen:
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Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, in Ausübung des insoweit bestehenden Ermessens von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen. Auch kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, sie besitze zumindest einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO, um als Ausnahme von den sonstigen Zuständigkeitsregeln der genannten Verordnung die Prüfung ihres Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. Diesem Recht der Klägerin ist mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten entsprochen worden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte ihr Ermessen verkannt hätte; auch rechtfertigt sich nicht die Annahme des Vorliegens eines formellen Ermessensfehlers, da keinerlei Gründe vorliegen, die einen sog. Selbsteintritt zu rechtfertigen vermögen.
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Zur Überzeugung des Senats ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie von “Dublin-II-Rückkehrern“ in Italien nicht ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und / oder die Aufnahmebedingungen dort derart grundlegende Mängel aufweisen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh zu erwarten steht. Der Senat ist vielmehr unter Anlegung der zuvor genannten strengen Maßstäbe zur Überzeugung gelangt, dass für die nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. rücküberstellten Asylbewerber in der Gesamtschau ein ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren gewährleistet ist und dass für den Fall der Abschiebung bzw. Rückführung der betroffenen Asylsuchenden zwecks Durchführung eines Asylverfahrens nicht mit schwerwiegenden Rechtsverstößen und Beeinträchtigungen zu rechnen ist (ebenso oder ähnlich u. a.: OVG Lüneburg, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -; Beschl. v. 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 –; VG Bremen, Beschl. v. 15.04.2013 - 2 V 440/13.A -; VG Regensburg, Beschl. v. 05.02.2013 - RN 5 S 13.30026 -; Beschl. v. 26.02.2013 - RN 9 K 11.30445 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 17.09.2012 - 13 L 1447/12.A -; Beschl. v. 08.01.2013 - 6 L 104/13.A - und Beschl. v. 06.02. 2013 - 17 L 150/13.A -; VG Augsburg, Urt. v. 11.01.2013 - Au 6 K 12.30358 -; VG Leipzig, Urt. v. 07.12.2012 - A 1 K 973/11 -; VG München, Beschl. v. 08.11.2012 - M 15 E 12.30772 -; VG Würzburg, Beschl. v. 30.10.2012 - W 6 E 12.30288 -; VG Trier, Beschl. v. 25.10.2012 - 5 L 1146/12.TR -; VG Schwerin, Beschl. v. 27.09. 2012 - 8 B 434/12 As -; VG Bayreuth, Urt. v. 12.06.2012 - B 3 K 11.30142 - [bestätigt durch BayVGH, Beschl. v. 6.02.2013 - 20 ZB 12.302856 -]; a. A. oder eine Entscheidung in der Hauptsache vorbehaltend: VG Köln, Beschl. v. 07.05.2013 - 20 L 613/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 30.04.2013 - 10a L 484/13.A -; VG Schwerin, Beschl. v. 15.03.2013 - 3 B 111/13 As -; VG Aachen, Beschl. v. 14.03. 2013 - 9 L 53/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 19.02.2013 - 15a L 194/13.A -; Beschl. v. 27.02.2013 - 15a L 194/13.A -; VG Gießen, Urt. v. 24.01.2013 - 6 K 1329/12.Gl.A -; VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.10.2012 - A 9 K 2386/12 - und Beschl. v. 22.01.2013 - A 9 K 179/13 -; VG Stuttgart, Beschl. v. 08.01.2013 - A 7 K 3929/12 -; VG des Saarlandes, Beschl. v. 03.09.2012 - 3 L 789/12 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 29.08.2012 - 14 L 1392/12.A – alle: Juris; VG Freiburg, Beschl. v. 27.10.2011 - A 5 K 2081/11 -; VG Magdeburg, Beschl. v. 17.07.2012 – 9 B 148/12 -; Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 100/11 -; Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -; vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/ 12.A - Juris). Das Asylsystem in Italien mit dem dort geregelten und praktizierten Aufnahme- und Asylverfahren einschließlich der Unterbringungs- und Versorgungslage für die in Italien schutzsuchenden Flüchtlinge und Asylbewerber entspricht den Anforderungen des europäischen Asylsystems, selbst wenn es in Teilbereichen gewisse Mängel und Defizite aufweist. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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a) Nach dem dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterial ist davon auszugehen, dass für Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien, jedenfalls soweit es sich um Dublin-II-Rückkehrer handelt, grundsätzlich ein geordnetes Aufnahmeverfahren und auch ein ungehinderter Zugang zum Asylverfahren gewährleistet sind.
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Der Senat verkennt nicht, dass es in Italien für Asylbewerber und Flüchtlinge – und zwar bis in die jüngste Vergangenheit hinein – eine Vielzahl von Einreiseverweigerungen und Abschiebungen gegeben hat, bevor ein Asylverfahren durchgeführt werden konnte bzw. ein solches abgewartet worden wäre. Namentlich sind Fälle bekannt geworden, wonach es Zurückweisungen von Flüchtlingen auf hoher See und vor der italienischen Küste, aber auch vom italienischen Territorium gegeben hat, die offenbar darauf abzielten, den Strom von Flüchtlingen – insbesondere aus Nordafrika – abzuwehren, die in Italien Zuflucht haben suchen wollen (vgl. UNHCR, Bericht v. 16.08. 2011: „Hunderte Neuankömmlinge aus Libyen und Tunesien in Italien“, abrufbar unter: http://www.unhcr.de/print/home/artikel/042d9651d6d525aad46e97d7ee7848db/hunde).
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Trotz der bekannt gewordenen zahlreichen Verstöße gegen das Refoulement-Verbot und teilweise vorhandener unangemessener Erschwernisse beim Zugang zu einem Asylverfahren in Italien in den vergangenen Jahren lässt sich aber – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats betrifft – nicht (mehr) davon ausgehen, dass es, sieht man einmal von Einzelfällen ab, in Italien gegenwärtig noch zu derartigen gravierenden Rechtsverletzungen kommt, wie sie in der Vergangenheit zu beklagen waren.
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Vielmehr sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlingen und Asylsuchenden, die in Italien um Schutz nachsuchen wollten, bei ihrer Einreise auf dem Seeweg oder auf dem Landwege die Einreise oder der Aufenthalt in Italien verweigert worden sind (AA, Auskunft v. 21.02. 2013 an OVG LSA, Anm. 1.1.). Ebenso sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende nach ihrer Einreise nach Italien in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben worden sind, ohne dass sie in Italien den von ihnen beabsichtigten Asylantrag stellen konnten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 1.2.). Schließlich sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes in jüngster Zeit auch keine Fälle (mehr) bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende trotz eines in Italien gestellten Asylantrages in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben wurden (AA, a. a. O. Anm. 1.2.). Hiernach lässt sich zumindest gegenwärtig nicht mehr die Feststellung treffen, dass in Italien der Anspruch Schutzsuchender auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens generell oder auch nur regelmäßig vereitelt wird (bereits für die Vergangenheit verneinend u. a.: VG Hannover, Beschl. v. 07.07. 2011 - 1 B 2106/11 - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84/11 - Juris). Dies bedarf hier indes keiner Vertiefung.
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Denn jedenfalls lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen, dass für die im Rahmen des Verfahrens nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. zurückgeführten Asylbewerber regelmäßig oder sogar überwiegend ein ordnungsgemäßes Asylverfahren nicht gewährleistet ist. Aufgrund eines für diesen Personenkreis gesetzlich speziell geregelten Rückführungsverfahrens ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass diese nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren dort bereits gestellten Asylantrag weiterverfolgen bzw. erstmals einen Asylantrag stellen können und ihnen insoweit der Zugang zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren nicht versperrt wird. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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Asylbewerber, die gemäß dem Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehren bzw. zurückgeführt werden, treffen in der Regel auf dem Luftweg auf den Flughäfen Fiumicino in Rom, Malpensa in Mailand, Bergamo, Venedig, Bari, Brindisi oder Ancona ein. Dort werden sie – auch wenn es in Italien kein Flughafenverfahren wie in Deutschland gibt (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)) – von der Polizei in Empfang genommen und es wird ihnen eine Unterkunft in einer der Aufnahmeeinrichtungen zugeteilt, sofern ein Asylantrag gestellt wird bzw. ein Asylverfahren, bei dem Verfahrensstand, der bei Ausreise aus Italien vorlag, weitergeführt werden soll (zu allem: Schweizerische Flüchtlingshilfe, „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien. Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende“, Mai 2011, S. 17 und AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 1.4.). Die Polizei macht in diesen Fällen die verantwortliche Questura ausfindig und fordert die Rückkehrer auf, sich dorthin zu begeben. Dabei werden auch die Reisekosten übernommen (Schweizerischen Flüchtlingshilfe, a. a. O., S. 17) bzw. die Person bekommt, wenn die zuständige Questura weiter entfernt ist (Beispiel: Dublin-Rückkehr nach Rom, zuständige Questura in Catania), ein Zugticket ausgehändigt, um dort hinzureisen (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).
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Wenn die Dublin-Rückkehrer von deutschen Beamten /Polizisten begleitet werden, gibt es insoweit keine Unterschiede. Bei ihrer Ankunft werden alle Dublin-Rückkehrer von der Polaria (Luftpolizei) am Flughafen Fiumicino empfangen. Sie werden erneut erkennungsdienstlich behandelt und es erfolgt die Feststellung, welche Questura in Italien für die Person zuständig und wie der Stand des Verfahrens ist (AA, Auskunft v. 11. 09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).
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Bei ihrer Ankunft werden die Ausländer – so auch die Dublin-II-Rückkehrer – von der am Flughafen zuständigen Hilfsorganisation „Confederazione Nazionale delle Misericordie d’Italia“ betreut und in Anwesenheit von Dolmetschern über den weiteren Verfahrensablauf unterrichtet (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW - zu Frage a.)). Die genannte Hilfsorganisation sucht für die Dublin-II-Rückkehrer zugleich eine (vorläufige) Unterkunft in einem Aufnahmezentrum (z. B. einer Einrichtung der „Centri di accoglienza richiedenti asilo“ - CARA -), welches im Allgemeinen für die Erstaufnahme zuständig ist, bis die Zuweisung zu einer Asylunterkunft am Ort der zuständigen Questura erfolgt ist. Während die Dublin-II-Rückkehrer sofort eine Unterkunft in einem entsprechenden Erstaufnahmezentrum erhalten, kann die Zuweisung zu einer Asylunterkunft für die Dauer des Asylverfahrens einige Zeit dauern, weil es zunächst gewisser Formalien den jeweiligen Asylantrag betreffend bei der zuständigen Questura bedarf. Manchmal beträgt dieser Zeitraum nur einige Tage, manchmal aber auch Wochen, z. B. wenn es sich um große Städte und Ballungszentren handelt. Belastbares Zahlenmaterial bezogen auf die Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist mangels statistischer Erhebungen allerdings nicht verfügbar. In den Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber, den bereits erwähnten Einrichtungen der CARA, ist laut Gesetz grundsätzlich ein Verbleib von nicht länger als 20 bis 35 Tagen vorgesehen. Da die Zuweisungsverfahren aber oftmals länger dauern, bleiben die Antragsteller entsprechend länger in diesen Aufnahmezentren (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu den Fragen a.), b.) und c.)).
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Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln erhalten die Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft in Italien zudem Informationsbroschüren über ihre Rechte im Asylverfahren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 2.3.). Diese Broschüren existieren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen, so u. a. in persischer, arabischer, französischer, englischer, italienischer, somalischer, spanischer und tigrinischer Sprache (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 2.3.). Darüber hinaus befinden sich in den Aufnahmeeinrichtungen Betreuungsdienste, die den Asylantragstellern zur Unterstützung zur Verfügung stehen. Diese beschäftigen oftmals Mitarbeiter, die die Landessprache der Hauptherkunftsstaaten der Asylantragsteller beherrschen (AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 2.3.).
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Nach allem besteht für den Senat kein Grund zur Annahme, dass die in Italien Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft dort in unangemessener Weise “sich selber überlassen bleiben“ und sich im Hinblick auf das erstrebte Aufnahme- und Asylverfahren nicht zurecht finden können.
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Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass die Rücküberstellung von Asylbewerbern auf der Grundlage der Dublin-II-Verordnung seitens der italienischen Behörden auf Widerstände stößt. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es im Rahmen des Dublin-Systems vor einer Asylantragstellung oder während des Asylverfahrens zu Einreiserverweigerungen, Rücküberstellungen oder sonstigen Ausweisungen in die Herkunftsländer der Asylbewerber kommt (vgl. UNHCR, Stellungnahme v. 24.04.2012 an VG Braunschweig, S. 5).
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b) Der Senat vermag aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel auch nicht zur Einschätzung zu gelangen, dass Asylsuchende und Flüchtlinge – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts betrifft – nach ihrer Einreise und / oder während ihres Asylverfahrens mangels einer (angemessenen) Unterkunft regelmäßig oder auch nur in einer Vielzahl von Fällen in die Obdachlosigkeit geraten, mithin „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen.
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aa) Dabei ist zunächst hervorzuheben, dass Asylsuchende während des Asylverfahrens einen Rechtsanspruch auf eine Unterbringung besitzen, und zwar gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Dieser Anspruch ist grundsätzlich wohl auch behördlich bzw. gerichtlich durchsetzbar. Dies deckt sich jedenfalls mit einer Antwort der Bundesregierung vom 18. April 2011 auf eine Kleine Anfrage im Bundestag ("Lage von Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen in Italien" – BT-Drucks. 17/5579), aus der sich ergibt, dass Asylbewerber in Italien einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Unterkunft haben. Allerdings kommt es für die Beurteilung der in Rede stehenden Frage nicht in erster Linie auf die bestehende Rechtslage an; maßgeblich ist vielmehr auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen.
- 80
Nach den aktuellen Auskünften des Auswärtigen Amtes stellt sich indes die tatsächliche Unterbringungssituation im Rahmen des italienischen Aufnahmesystems für Asylbewerber und Flüchtlinge Anfang 2013 (5. Kalenderwoche) wie folgt dar:
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Die Aufnahmezentren der CARA verfügen über 5.516 Plätze und beherbergen derzeit ca. 5.300 Personen nebst 2.710 Plätzen in den Einrichtungen der CARA von Lampedusa, so dass insgesamt mehr als 8.000 Plätze zur Verfügung stehen. Die Zahlen im Gutachten von Frau Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 11), wonach 3.163 Personen in den genannten Einrichtungen aufgenommen werden könnten, seien inzwischen überholt (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.).
- 82
Darüber hinaus stehen den Asylbewerbern und Flüchtlingen grundsätzlich die staatlichen Aufnahmeeinrichtungen der SPRAR („Sistems di Protezione per Richiedenti Asilo e Refugiati“) zur Verfügung. Die dort vorhandenen Plätze sind laut Auskunft des Auswärtigen Amtes in der Vergangenheit deutlich angestiegen: Bisher habe es 3.000 Plätze gegeben, so dass dort (weil eine Unterbringung regelmäßig nur für 6 Monate vorgesehen sei) insgesamt 6.000 Personen hätten versorgt und untergebracht werden können (vgl. zur Aufnahmekapazität von etwa 3.000 Personen u. a. auch der Bericht der Schweizerische Flüchtlingshilfe, a. a. O. S. 5). Nunmehr aber stehen nach Auskunft des Auswärtigen Amtes - bestätigt durch Auskünfte von Mitarbeitern der SPRAR und des italienischen Innenministeriums – insgesamt 5.000 Plätze zur Verfügung, so dass 8.000 bis 10.000 Personen untergebracht werden könnten, ungeachtet der im Rahmen des EU-finanzierten FER-Projektes für vulnerable Personen und anderer Projekte vorhandenen weiteren Plätze (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.). Dies entspricht in etwa auch der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.02.2013 auf Anfrage des Senats, wonach inzwischen in ganz Italien 40 Aufnahmezentren mit rund 9.000 Plätzen zur Verfügung stehen (AA, a. a. O., Anm. 4.3.).
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Dem steht z. B. für das Jahr 2012 eine Anzahl von 1.148 Personen gegenüber, die als Rückkehrer im Rahmen der Dublin-II-Verordnung über Rom nach Italien zurückgeschickt wurden und von der Organisation Ariconfraternita am Flughafen von Rom betreut wurden (Gutachten an das VG Braunschweig von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012, S. 25 und S. 59 – in Ermangelung der erfassten Gesamtzahlen der Dublin-Rückkehrer nach Italien). Berücksichtigt man überdies, dass die Zahl der Asylbewerber seit 2012 – trotz gewisser Schwankungen – insgesamt rückläufig ist, kann zumindest gegenwärtig nicht (mehr) von unzureichenden Aufnahme- und Unterbringungskapazitäten ausgegangen werden. Zur Überzeugung des Senats dürfte sich somit die aktuelle Situation in Italien soweit entspannt haben, dass sämtliche Asylbewerber, und insbesondere Dublin-II-Rückkehrer, in den öffentlichen Aufnahmeeinrichtungen Platz finden können (ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -
).
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Die Annahme fehlender Kapazitäten für die Unterbringung von Dublin-II-Rückkehrern nach Italien ist insbesondere auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil es in der Vergangenheit zu einem massiven Zustrom von Flüchtlingen aus Nordafrika gekommen ist und dies zu (nachhaltigen) Engpässen bei der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern geführt hat.
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Der UNHCR hat in diesem Zusammenhang in seiner Stellungnahme vom 24. April 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 3) auf Folgendes hingewiesen: Im Jahre 2011 sind nach der Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika und der darauf folgenden Erklärung des „humanitären Notstandes“ die regionalen Regierungen gebeten worden, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu bestimmen, da die bestehenden Aufnahmekapazitäten als unzureichend eingeschätzt wurden. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden (Regionen, bestimmten Provinzen [„Province Autonome“] und Gemeinden) seien Vereinbarungen getroffen worden, in denen Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Die Verantwortlichkeit für den diesbezüglichen Aufnahmeplan liege beim Leiter des Zivilschutzes („Dipartimento di Protezione Civile“). Bis Anfang 2012 seien 20.000 Personen im Rahmen des Plans in den Notunterkünften, meist in Einrichtungen kleiner bis mittlerer Größe, untergebracht worden, die in ganz Italien verteilt sind.
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Dies deckt sich mit den Auskünften des Auswärtigen Amtes. Danach hätten die vorgehaltenen temporären Aufnahmestrukturen des Zivilschutzes, die anlässlich des Flüchtlingsstromes aus Nordafrika in der Größenordnung von 50.000 Plätzen in den Regionen geschaffen worden seien, die bestehenden Engpässe kompensiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.3.).
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Soweit im Gutachten von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O., S. 15) darauf verwiesen wird, dass die durch den Zivilschutz zusätzlich geschaffenen Unterkünfte nur zeitlich befristet vorgesehen gewesen seien, zunächst wohl nur bis Ende 2011 und alsdann bis Ende 2012, und dass diese inzwischen wieder geschlossen worden seien, so rechtfertigt auch dieser Einwand nach Auffassung des Senats nicht die Annahme, dass es gegenwärtig und zukünftig wieder zu fehlenden Kapazitäten in den staatlichen Einrichtungen kommen wird.
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Zwar trifft es zu, dass das Notstandsprogramm befristet war und inzwischen wohl offiziell ausgelaufen ist. Allerdings trifft es ebenfalls zu, dass die Einrichtungen derzeit faktisch zumindest in einem beschränkten Umfang fortgeführt werden. Grund für die Schließung der Notunterkünfte war der Umstand, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge gegenüber den Vorjahren, insbesondere dem Jahr 2011 und 2012, deutlich zurück gegangen war. Allerdings waren nach Auskunft des Auswärtigen Amtes Anfang des Jahres 2013 noch ca. 17.000 Personen in den temporären Einrichtungen des Zivilschutzes untergebracht (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 4.3.). Das Auswärtige Amt hat unterdessen mit seiner neuesten Auskunft – unter Berufung auf den Leiter des Italienischen Amtes für Aufnahmezentren und Betreuung, Herrn Tommaso Ricciardi vom 04. September 2013 – zum Notstandsprojekt Nordafrika mitgeteilt, dass sich derzeit nur noch etwa 1.000 Personen („vulnerable cases“ und Asylbewerber, die ein Rechtsmittel eingelegt haben) in den Notunterkünften befinden. Offiziell hätten diese nunmehr am 01. September 2013 schließen sollen. Es werde gegenwärtig überlegt, wie die Versorgung dieser Personen weiter gewährleistet werden kann (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW – zu Frage e)).
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Angesichts der aufgezeigten Entwicklung steht auch nicht zu erwarten, dass mit der Schließung der Notunterkünfte die dort untergebrachten bzw. noch verbliebenen Asylbewerber und Flüchtlinge in die staatlichen Unterkünfte drängen und es damit zu erneuten Überbelegungen kommen wird, mithin die Problematik fehlender Kapazitäten in den staatlichen Zentren erneut auftritt. Das Auswärtige Amt weist zudem ausdrücklich darauf hin, dass das Auslaufen des Nordafrika-Programms keine konkreten Auswirkungen auf die Dublin-Rückkehrer hat, da für diesen Personenkreis (der nicht in den Notunterkünften untergebracht wird) von vornherein kein unmittelbarer Zusammenhang zum Programm bestand (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW – zu Frage e)).
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Gegenteiliges dürfte zur Überzeugung des Senats auch dann nicht anzunehmen sein, wenn es zu einem erneuten Anstieg der Zahl von Asylbewerbern in Italien kommen sollte. Das ausgelaufene Notstandsprogramm belegt, dass Italien Unterbringungsplätze in erheblichen Umfang zusätzlich zur Verfügung stellen kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Das geschaffene Notstandsprogramm lässt darauf schließen, dass die verantwortlichen Stellen – selbst wenn sie auf Druck der übrigen EU-Mitgliedstaaten tätig geworden sein sollten – bemüht sind, sich dem jeweiligen unterschiedlichen Unterkunftsbedarf in der gebotenen Weise anzupassen. Dies lässt es insbesondere nicht ausgeschlossen erscheinen, dass bei einem eventuellen erneuten Anstieg der in Italien eintreffenden Flüchtlinge und Asylbewerber entsprechende Programme zur kurzfristigen Schaffung zusätzlicher Unterkünfte neu aufgelegt werden. Dies alles rechtfertigt keine grundlegenden Zweifel daran, dass ein insoweit auch nach Beendigung des Notstandsprogramms fortdauernder Bedarf oder erneute Massenanstürme von Flüchtlingen bewältigt werden können (ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O.).
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Im Übrigen erkennt auch der UNHCR an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des staatlichen Aufnahmesystems stattgefunden haben. Insgesamt seien die Einrichtungen der CARA, CDA und SPRAR (nunmehr) in der Lage, dem Aufnahmebedarf einer „signifikanten Anzahl“ von Asylsuchenden nachzukommen (Stellungnahme vom 24. April 2012 an VG Braunschweig, S. 3). Allerdings macht der UNHCR die Einschränkung, dass die Kapazitäten der genannten Einrichtungen nicht für die Unterbringung aller unterstützungsbedürftigen Asylsuchenden ausreichend sein dürften, wenn Personen in erheblicher Anzahl neu in Italien ankommen würden (UNHCR, a. a. O., S. 3). Indes bestehen z. Z. keine Anhaltspunkte dafür, dass es in Italien derzeit oder in absehbarer Zeit erneut zu einem derartigen Anstieg der Asylbewerberzahlen kommen wird, wie er etwa in den Jahren 2010 und 2011 zu verzeichnen war.
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Eine andere Bewertung der Unterkunftssituation für Asylbewerber und Flüchtlinge erscheint dem Senat schließlich auch nicht deshalb geboten, weil nach Auffassung des UNHCR (Stellungnahme v. 24.04.2012) in der gegenwärtigen Situation davon auszugehen sei, dass derzeit die überwiegende Anzahl aller Asylverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden können, und die Aufnahme in den Aufnahmezentren regelmäßig auf sechs Monate befristet sei. Abgesehen davon, dass der UNHCR selbst einräumt, dass keine konkreten Zahlen zur Dauer der Asylverfahren vorliegen, besteht nach Auskunft des Auswärtigen Amtes die Möglichkeit, dass im Einzelfall – so auch bei Einlegung von Rechtsmitteln – die Aufenthaltsdauer in der Einrichtung verlängert wird.
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Zudem ist auch dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Mai 2011 zu entnehmen, dass für die Aufnahme von Asylbewerbern eben nicht nur CARA-, CIE- und SPRAR-Zentren zur Verfügung stehen, sondern auch andere Zentren vorhanden sind basierend auf Abkommen zwischen dem Innenministerium und Gemeinden, aber auch von der Stadt – wie etwa Rom - finanzierte und von NGO’s betriebene Zentren (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende, S. 19). Nach dem vorgenannten Bericht (a. a. O. S. 19) kommen noch kirchliche und karitative Einrichtungen hinzu. Dass es unter Berücksichtigung der Aufnahmekapazität all dieser öffentlichen und privaten Einrichtungen sowie unter Nutzung des Angebotes des Wohnungsmarktes nicht möglich ist, eine Unterkunft zu finden, ist nicht ersichtlich.
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Das Auswärtige Amt weist ebenfalls darauf hin, dass neben den staatlichen Unterbringungszentren zusätzlich kommunale und karitative Einrichtungen existieren wie z. B. Caritas, Migrantes in Rom, die Schwestern des Ordens der Mutter Teresa „Suore Missionarie della Carità“ und andere Hilfsorganisationen (Comunità di Sant’Egidio, Opere Antoniane, Stranieri in Italia, Centro Astalle - Jesuiten -), welche die Antragsteller und Asylbewerber versorgen und ihnen Unterkunftsplätze besorgen (AA, Auskunft v. 21.08.2013 an OVG LSA - zur Frage 3.). Dies entspricht zugleich der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, wonach nicht davon auszugehen ist, dass jene Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz finden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen (AA, a. a. O. Anm. 4.3.).
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Veranlassung zu einer anderen Einschätzung gibt dem Senat schließlich auch nicht der Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“ vom 28. Februar 2011, wonach angeblich davon auszugehen ist, dass „in der Vergangenheit 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer der Gefahr der Obdachlosigkeit überlassen worden seien“. Der Senat geht dabei davon aus, dass diese Aussage nicht bedeutet, dass etwa 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer tatsächlich in die Obdachlosigkeit geraten sind, sondern dass es sich hierbei – da der Bericht lediglich von einer „Gefahr“ einer Obdachlosigkeit spricht – um eine bloße Annahme handelt in Bezug auf das womöglich bestehende Risiko, von einer Obdachlosigkeit betroffen zu werden. Dem Senat erscheint bei dieser Sachlage allerdings nicht nachvollziehbar, wie eine (potentielle) „Gefahr“ prozentual derart exakt prognostiziert werden kann, wie dies im Bericht mit 88 vom Hundert geschehen ist, zumal die Unterbringung in staatlichen und privaten Einrichtungen und auch die Wohnungssuche im Allgemeinen mit einer Fülle von Unwägbarkeiten verbunden ist. Überdies sind die Angaben nur bedingt brauchbar, weil eben nicht erkennbar wird, auf welchen Erkenntnissen diese beruhen und welche zurückliegenden Zeiträume in Bezug genommen werden, wenn davon gesprochen wird, dass sich Aussage auf die „Vergangenheit“ beziehe.
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bb) Ebenso lässt sich nach Auffassung des Senats nicht feststellen, dass Asylbewerber infolge unzureichender und unzumutbarer Verhältnisse in den staatlichen bzw. privaten Unterkünften, namentlich etwa aufgrund unhygienischer Zustände oder Gewalttätigkeiten und krimineller Delikte wie u. a. Diebstahl, Vergewaltigung oder erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind. Dabei wird nicht verkannt, dass es in Unterkünften mit einer Vielzahl von – teilweise auch traumatisierten – Flüchtlingen unterschiedlicher Nationalität, Religion und Gebräuchen häufiger als in anderen Bereichen der Gesellschaft zu Konflikten und gelegentlich auch gewaltsamen Übergriffen kommen dürfte. Es dürfte sich dabei allerdings um ein allgemeines Phänomen in Gemeinschaftseinrichtungen handeln, dem die staatlichen Stellen nur bedingt wirksam entgegen wirken können. Auch wenn die Aufnahme-, Unterbringungs- und Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Italien regelmäßig nicht mit dem hiesigen Standard vergleichbar sein mögen, ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die Zustände in den Unterkünften im Allgemeinen jedenfalls nicht derart unzumutbar und unhaltbar sind, dass deshalb die Feststellung einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung der Asylbewerber gerechtfertigt erschiene. Dies gilt zum einen hinsichtlich der hygienischen Verhältnisse. So wird nach Auskunft des Auswärtigen Amtes von den staatlichen Aufnahmezentren und Einrichtungen Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Überdies teilt das Auswärtige Amt zur Situation in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften mit, dass die hygienischen Verhältnisse dort nicht regelmäßig oder sogar überwiegend sich in der Weise darstellen, dass man ernstlich Gefahr läuft zu erkranken. Sie seien auch nicht dergestalt, dass sie nicht den Mindestanforderungen (Kochstellen, Toiletten, Waschräume, fließendes Wasser und Elektrik) genügen würden. Vielmehr seien sie durchweg so beschaffen, dass kleinere Schlafräume in Wohnhäusern oder Containern vorhanden seien, die auch zumeist mit Klimaanlagen und Zentralheizung versehen seien. Insbesondere seien Toilettenräume in ausreichender Zahl und getrennt nach Geschlechtern vorhanden. Gleiches gelte für Waschräume. Die Verpflegung werde vielfach in einem gemeinsamen Speisesaal bereitgestellt. Vereinzelt bestünden auch zusätzliche Möglichkeiten für die eigene Zubereitung von Mahlzeiten. Ferner seien in den Einrichtungen Sozialräume sowie getrennte Räumlichkeiten für medizinische Dienste und Sonderfälle vorhanden. Zur Aufrechterhaltung der Sauberkeit der allgemeinen Räumlichkeiten würden spezielle Reinigungsdienste beschäftigt (vgl. zu allem: AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 4.5.).
- 97
Zum anderen lässt sich aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse auch nicht feststellen, dass sich die Verhältnisse in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften in der Weise darstellen, dass die Bewohner in ständiger Angst leben müssten, „angegriffen, ausgeraubt oder gar vergewaltigt“ zu werden. Zwar gibt es Berichte, wonach es zu gewaltsamen Übergriffen von männlichen auf weibliche Bewohner gekommen sein soll; hierbei handelt es sich aber um Einzelfälle, wenngleich statistische Erhebungen zur Kriminalität speziell in den genannten Einrichtungen nicht existieren bzw. nicht bekannt sind. Darüber hinaus werden die Aufnahmeeinrichtungen zumindest durch die Polizei oder Carabinieri überwacht und geschützt; wegen auftretender Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien wurden in manchen Einrichtungen zudem zusätzliche Polizeikräfte postiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.6.).
- 98
Im Ergebnis vermag der Senat somit nicht festzustellen, dass es – sieht man von Engpässen und Einzelschicksalen ab – mit der Durchführung von Asylverfahren in Italien generell zu Begleiterscheinungen wie etwa Obdachlosigkeit oder aufgrund der Zustände in den Unterkünften zu einer Verwahrlosung der Asylbewerber kommt.
- 99
c) Der Senat vermag ebenfalls nicht festzustellen, dass Schutzsuchende während des Asylverfahrens in Italien unter Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh in materieller Not leben müssen, so dass von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszugehen wäre, oder mit Blick auf die Versorgungssituation und soziale Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge gemessen an den Vorgaben des unionsrechtlichen Sekundärrechts sich das Asylsystem als nicht (mehr) richtlinienkonform darstellt.
- 100
Asylsuchende und Flüchtlinge haben nach Auskunft des Auswärtigen Amtes während des Asylverfahrens einen (Rechts-)Anspruch auf (angemessene) Verpflegung und Versorgung (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1.). Dieser Verpflichtung wird im Allgemeinen dadurch nachgekommen, dass in den staatlichen Unterkünften und Aufnahmezentren entsprechende Leistungen erbracht werden. Namentlich wird auch Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Vorgenanntes gilt gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.).
- 101
Ebenso werden Asylbewerber und Flüchtlinge, die in nichtstaatlichen, namentlich karitativen und kirchlichen Unterkünften leben, mit Nahrung und Kleidung versorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA, Auskunft v. 21. 02.2013, Anm. 5.2.). Allerdings ist für Asylbewerber und Flüchtlinge außerhalb staatlicher sowie karitativer und kirchlicher Einrichtungen eine staatliche Verpflegung und Versorgung nicht (mehr) gewährleistet. Auch existiert in Italien nur ein sehr eingeschränktes staatliches Sozialhilfesystem; danach erhalten nur Personen über dem 65. Lebensjahr Sozialhilfeleistungen. Im vorliegenden Fall würde dies sogar bedeuten, dass die 65-jährige Klägerin auch staatliche Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen könnte. Im Übrigen haben die Betroffenen auch als Asylbewerber und schutzsuchende Flüchtlinge einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 5.1.).
- 102
In der Praxis kann somit nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Asylbewerber und Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt regelmäßig nicht durch Betteln und / oder Prostitution sichern müssen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.). Vielmehr ist insgesamt eine ausreichende Versorgung vorhanden. Einzelfälle sind allenfalls auf das in der aktuellen Wirtschaftskrise insbesondere in italienischen Großstädten zunehmend auftretende Phänomen des Bettelns und die damit einhergehenden erhofften zusätzlichen Einkunftsmöglichkeiten zurückzuführen. Was die Prostitution angeht, so ist nicht völlig auszuschließen, dass weibliche Asylbewerber oder Flüchtlinge in Einzelfällen durch Angehörige der organisierten Kriminalität rekrutiert werden und dann tatsächlich der Prostitution nachgehen. Dies ist aber nicht im kausalen Zusammenhang mit Defiziten im Asylverfahren zu sehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.; Auskunft v. 24.09.2012, S. 3 - Antwort auf Frage b 2)).
- 103
Im Übrigen folgt aus Art. 3 EMRK und Art. 4 EuGrdRCh auch nicht die Verpflichtung, Asylbewerbern und Flüchtlingen eine finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihnen einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.02.2011, a. a. O.).
- 104
Ebenso ist ein Verstoß gegen die Richtlinie 2004/83/EG nicht ersichtlich. Kapitel VII der Richtlinie gestaltet den Inhalt des internationalen Flüchtlingsschutzes zwar u. a. dahin gehend aus, dass Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte grundsätzlich Zugang zu Sozialleistungen (Art. 28), medizinischer Versorgung (Art. 29) und Wohnraum (Art. 31) erhalten. Allerdings gehen die Bestimmungen über die Gebote zur Inländergleichbehandlung (Art. 28, 29) bzw. zur Ausländergleichbehandlung (Art. 31) nicht hinaus. Art. 28 und 29 der Richtlinie gewährleisten die notwendige Sozialhilfe bzw. medizinische Versorgung nur insoweit, wie die Mitgliedstaaten ihren eigenen Staatsangehörigen eine entsprechende Behandlung bzw. Versorgung gewähren; für Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte besteht zudem die Möglichkeit, den Anspruch auf Kernleistungen zu beschränken, die dann im Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige zu gewähren sind. Demzufolge muss der in Italien bestehende allgemeine Lebensstandard für andere, vergleichbare Personen mit italienischer Staatsangehörigkeit in den Blick genommen werden, die ebenfalls keine staatlichen Sozialleistungen in Anspruch nehmen können und bei denen ebenfalls nur durch die Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten oder aber vermittels von Zuwendungen karitativer oder kirchlicher Organisationen das Existenzminimum gesichert ist.
- 105
Nach allem lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh nicht daraus herleiten, dass – worauf in der Rechtsprechung einzelner Verwaltungsgerichte abgestellt wird – ein staatliches Sozialsystem, welches Flüchtlingen und Asylsuchenden zumindest ein Existenzminimum garantiert, nicht zur Verfügung steht und dass die Betroffenen deshalb darauf angewiesen seien, sich „selbst durch das Leben zu schlagen“ (vgl. VG Magdeburg, Beschl. v. 28.03.2011 - 9 B 101/11 MD - Juris; Gerichtsbescheid v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 - [S. 5 d. UA]; VG Braunschweig, Beschl. v. 31.05.2011 - 1 B 103/11 - m. w. N. - Juris).
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Im Übrigen ist in der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a. a. O. S. 22) nicht – wie gelegentlich behauptet wird – die Rede davon, dass der genannte Personenkreis „in extremer Armut lebt und dass sie ihre Lebensbedürfnisse nicht decken können“. Vielmehr ist – wohl mit Bedacht – davon die Rede, dass sie Gefahr laufen, womöglich in eine solche Situation zu geraten; dass sich indes diese Gefahr bereits in eine Vielzahl von Fällen realisiert hätte oder gleichsam regelmäßig bzw. für jeden Asylsuchenden und Flüchtling die konkrete Gefahr bestünde, dass nicht einmal das Existenzminimum gesichert ist, wird nicht behauptet. Dies schließt nicht aus, dass es in Einzelfällen auch zu besonderen Notlagen kommen mag und dass der Lebensstandard der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien im Allgemeinen sehr gering sein dürfte. Gleichwohl vermag der Senat anhand des ihm vorliegenden umfassenden Erkenntnismaterials aber nicht festzustellen, dass die Situation für Flüchtlinge und Asylsuchende in den Zentren und außerhalb derselben derart prekär wäre, dass deshalb von einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh auszugehen ist.
- 107
d) Soweit es die medizinische Versorgung betrifft, sind alle Mitgliedstaaten aufgrund der EU-Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 verpflichtet, bestimmte Mindeststandards der medizinischen Versorgung zu gewährleisten. So haben alle Mitgliedstaaten nach Art. 15 der genannten Richtlinie dafür Sorge zu tragen, dass Asylbewerber und Flüchtlinge die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung für die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst. Dabei ist auch Asylbewerbern mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische und sonstige Hilfe zu gewähren.
- 108
In Italien ist im Rahmen des nationalen Gesundheitsdienstes grundsätzlich ein medizinischer Mindestbehandlungsstandard gewährleistet. Asylbewerber und Flüchtlinge haben in Italien während des Asylverfahrens einen Anspruch auf eine „freie“ (kostenlose) medizinische Versorgung sowie auch auf psychologische Hilfe, insbesondere auch Minderjährige und traumatisierte Personen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.3.).
- 109
Dem entspricht es, wenn im Entscheiderrundbrief des Bundesamtes 7/2011 (a. a. O., S. 8) zur medizinischen Versorgung festgestellt wird, dass bei der Überstellung von kranken bzw. traumatisierten Personen – wie bei jedem italienischen Staatsbürger – die Möglichkeit der (medizinischen) Behandlung besteht. Bereits im Jahre 2009 habe es bei der SPRAR drei Zentren gegeben, in denen auch psychisch kranke Personen hätten behandelt werden können (zwei in Rom, eines in Turin). Für 2011 seien zudem 50 weitere Behandlungsplätze für psychisch kranke Personen bzw. Personen mit besonders schweren Erkrankungen geplant worden. Inzwischen würden bei Dublin-Überstellungen psychisch kranke Personen in Italien als eine besonders „vulnerable Gruppe“ angesehen.
- 110
Voraussetzung für den Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem ist zwar grundsätzlich ein gültiger Aufenthaltstitel bzw. ein rechtmäßiger Aufenthalt; bei im italienischen Asylverfahren befindliche Personen stellt sich dieses Problem aber nicht. Der Zugang zu öffentlichen medizinischen Leistungen ist auch nicht an die Voraussetzung eines ständigen Wohnsitzes bzw. feste Adresse gekoppelt, wie gelegentlich behauptet wird. Vielmehr erhalten Asylbewerber bei Bedarf auch ohne einen solchen ständigen Wohnsitz bzw. feste Anschrift vom nationalen Gesundheitsdienst einen Gesundheitsausweis („tessera sanitara“) und eine Steuernummer („codice fiscale“) (vgl. AA, Auskunft v. 09.10.2012 an VG Minden, S. 2 - zur Frage b) 4; ebenso: AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg - S. 2 Ziffer I b)). Sollte hingegen etwas anderes gelten, ist davon auszugehen, dass aufgrund einer aktuellen Vereinbarung zwischen der Zentralregierung und den Regionen zumindest eine Not- und Grundversorgung auch für sich illegal in Italien aufhaltende Personen garantiert ist (AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 6.2.).
- 111
Der Senat vermag angesichts dieser Situation nicht zu erkennen, dass damit den eingangs aufgezeigten Mindeststandards bzw. Kernanforderungen nicht genügt wird. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass in bestimmten Fällen womöglich einzelnen Personen eine nur unzureichende medizinische Versorgung zuteil wurde oder diese aus dem medizinischen Versorgungssystem herausgefallen sind.
- 112
Aber selbst dann, wenn für kranke, behinderte oder sonst gesundheitlich besonders schutzbedürftige Personen die garantierte medizinische Not- und Grundversorgung nicht als ausreichend angesehen würde, ergäben sich daraus jedenfalls für die Klägerin, die keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen angeführt hat, keine Bedenken gegen ihre Überstellung nach Italien.
- 113
e) Soweit es das Asylverfahren als solches, namentlich die Qualität und die Dauer des Verfahrens betrifft, lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 EMRK und Art. 4 EuGrdRCH sowie gegen die einschlägigen unionsrechtlichen Richtlinien ebenfalls nicht feststellen.
- 114
Italien gewährleistet entsprechend dem (Grund-)Recht auf Asyl (gem. Art. 10 Abs. 3 der italienischen Verfassung, verschiedenen Einwanderungs- und Asylverfahrensgesetzen, insbesondere nach dem Gesetz No. 25/2008 vom 28. Januar 2008) ein Schutzverfahren, das auch für Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung greift. Besonderheiten bestehen insoweit nicht (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.1.).
- 115
Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass es hinsichtlich der Qualität oder der Dauer der Asylverfahren einen Grund für Beanstandungen gibt. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass von einer unverhältnismäßig restriktiven Asylpraxis auszugehen ist. Gegen eine solche Annahme sprechen die Zahlen, die vom Auswärtigen Amt zum Asylverfahren benannt werden. Danach wurden im Jahre 2010 über 14.042 Asylanträge entschieden, davon wurden 2.094 Antragsteller nach der Genfer Konvention anerkannt (15 vom Hundert), 1.789 erhielten subsidiären (13 vom Hundert), 3.675 humanitären Schutz (26 vom Hundert), hingegen wurden 4.698 abgelehnt. 520 Personen waren nicht auffindbar (4 vom Hundert) und 1.266 (9 vom Hundert) sind sonstige Fälle. Dementsprechend lag die Quote der Anerkennungen bzw. der Gewährung eines Bleiberechts bei immerhin 54 vom Hundert (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 3.2.). Demgegenüber wurden im Jahre 2011 über 25.626 Asylanträge entschieden. Davon wurden 2.057 Antragsteller nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt (8 vom Hundert), 2.569 Personen erhielten subsidiären (10 vom Hundert) und 5.662 humanitären Schutz (22 vom Hundert); 11.131 Personen wurden hingegen abgelehnt (44 vom Hundert) und 2.339 Personen waren nicht auffindbar (9 vom Hundert). Die Anerkennungsquote lag 2011 somit bei 40 vom Hundert, was ebenfalls nicht die Annahme einer unverhältnismäßig restriktiven Praxis rechtfertigt (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.2.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 5 unter Hinweis auf eine entsprechende Statistik des Innenministeriums, abrufbar unter: http://www.interno.it/miniinteno/export/sites/default/it/assets/files/21/0551_statistiche_asilo.pdf).
- 116
Es kommt hinzu, dass sich die für die Entscheidung der Asylverfahren in erster Instanz zuständigen Territorialkommissionen per Dekret des Innenministers in der Weise zusammensetzen, dass auch jeweils ein Vertreter des UNHCR beteiligt ist (Bundesamt für Migration der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Hintergrundnotiz MILA - Italien Asylverfahren, Bericht vom 23.09.2009, S.4). Dies berechtigt zur Annahme, dass der Ordnungsmäßigkeit des Asylverfahrens eine besondere Beachtung geschenkt wird.
- 117
Hinsichtlich der Dauer des Asylverfahrens in Italien gibt es ebenfalls nichts zu beanstanden. Über den Asylantrag soll an sich innerhalb von 30 Tagen entschieden werden; zudem wird angestrebt, dass das Gesamtverfahren einschließlich gerichtlicher Überprüfung nicht länger als sechs Monaten dauert, auch wenn es immer wieder Fälle gibt, in denen diese Dauer – manchmal bis zu einem Jahr oder auch länger – überschritten wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 3.1., 3.2.; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O. Rn. 15).
- 118
Ferner lässt sich nicht feststellen, dass es in Italien während des Asylverfahrens in nennenswerter Weise faktische Beeinträchtigungen in verfahrensrechtlicher bzw. prozessualer Hinsicht gibt. Art. 16 des italienischen Asylverfahrensgesetzes No. 25 vom 28. Januar 2008 garantiert dem Asylbewerber, dass er nach den einschlägigen Prozessvorschriften Anspruch auf eine Rechtsberatung und einen unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verfahren hat (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.4.). Zwar bestehen Zweifel, ob dies auch in der Praxis ausnahmslos Geltung besitzt, wenn man berücksichtigt, dass für die nach Rom zurückkehrenden Dublin-II-Rückkehrern (und in Rom eintreffenden Asylbewerber) die Prozesskostenhilfe davon abhängig gemacht wird, dass zum Nachweis der wirtschaftlichen Bedürftigkeit eine Bescheinigung der jeweiligen Auslandsvertretung beigebracht werden soll. Allein wegen der Tatsache, dass der Asylbewerber im Einzelfall das Verfahren ohne anwaltlichen Beistand durchzuführen hat, soweit kein Anwaltszwang besteht, kann nicht schon von einem (landesweit bestehenden) systemischen Mangel gesprochen werden, der die Annahme einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. d. Grundrechtscharta und EMRK rechtfertigt. Im Übrigen stehen dem Asylbewerber im Asylverfahren auch Übersetzungsdienste zur Verfügung (vgl. AA, Auskunft an OVG LSA v. 21.02.2013, Anm. 2.3. und 3.3.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 3).
- 119
Insbesondere bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass – von Ausnahmen abgesehen – die für die Durchführung des Hauptsacheverfahrens erforderliche Erreichbarkeit des Asylbewerbers in Italien nicht sichergestellt wäre. Für eine solche Annahme fehlt es an hinreichend belegten Referenzfällen. Auch gibt es für Italien keine ernst zu nehmenden Quellen, wonach sich die Wahrnehmung von Verfahrensrechten (Antragstellung, Einlegung von Rechtsbehelfen etc.) regelmäßig als derart schwierig erweist, dass diese Rechte faktisch leer laufen würden.
- 120
Soweit in der Rechtsprechung dennoch vereinzelt – so u. a. das VG Gießen (Beschl. v. 10.03.2011 - 1 L 468/11.GI.A - Juris) und ihm folgend das VG Magdeburg (Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 -) – die Auffassung vertreten wird, „es erscheine auch die Qualität der Asylverfahren bedenklich“, wird diese Kritik nicht weiter spezifiziert und auch nicht durch entsprechende Erkenntnismittel belegt.
- 121
f) Ebenso lässt sich anhand des dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterials nicht feststellen, dass im Hinblick auf die rechtliche und soziale Situation anerkannter Asylbewerber sowie der Flüchtlinge mit einem Bleiberecht angesichts der in Italien anzutreffenden Lebens- und Versorgungssituation sowie unter Berücksichtigung der insoweit staatlicherseits unternommenen Integrationsbemühungen das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien derartige Mängel aufweist, dass es den Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht mehr entspricht.
- 122
Schutzberechtigte, mithin anerkannte Asylbewerber (Asylberechtigte) und Personen mit subsidiärem Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten mit ihrer Anerkennung ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht; es wird ihnen eine Aufenthaltsberechtigung („permesso di soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.2.).
- 123
Dies bedeutet in der Praxis, dass sie sich – ebenso wie italienische Staatsangehörige – grundsätzlich selbst um eine Unterkunft kümmern und auch in eigener Verantwortung einen Arbeitsplatz suchen müssen. Dafür besteht aber ein freier Zugang zum Arbeitsmarkt (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus besitzen, haben auch das Recht zu arbeiten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, a. a. O.).
- 124
Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.). Anerkannte Asylbewerber und Personen mit einem subsidiären Schutzstatus haben Zugang zu einer Beschäftigung in Italien, wie dies durch Art. 26 und Art. 28 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) garantiert wird.
- 125
Ein staatliches System finanzieller Hilfeleistungen bzw. ein Sozialhilfesystem existiert hingegen nicht. Denn in Italien gibt es für italienische Staatsangehörige – und somit auch für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die ihnen gleichgestellt sind – kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bzw. (sonstige) staatliche Sozialleistungen, jedenfalls soweit sie nicht das 65. Lebensjahr erreicht haben (AA, Auskunft v. 11.07.2012 an das VG Freiburg). Art. 28 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gewährt hinsichtlich der Sozialleistungen nur einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung, nicht aber einen Anspruch auf Privilegierung des anerkannten Flüchtlings.
- 126
Zwar entspricht es der italienischen Kultur, dass es einen engen Familienzusammenhalt gibt, der im Notfall zumindest die Chance eröffnet, eine (gewisse) Unterstützung durch Familienangehörige in Anspruch nehmen zu können. Dass es eine solche vergleichbare Unterstützung unter den ausländischen Landsleuten gibt, die sich aufgrund ihres Schutzstatus dauerhaft in Italien aufhalten, erscheint nicht ausgeschlossen, dürfte aber die Ausnahme sein. Gleichwohl lässt dieser Umstand nach Auffassung des Senats für sich allein nicht schon die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass der anerkannte Flüchtling und sonstige Schutzberechtigte in Italien deshalb der konkreten Gefahr ausgesetzt wäre, „auf der Straße“ zu leben und zu verelenden.
- 127
Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass – ebenso wie italienische Staatsangehörige in einer vergleichbaren Situation – auch anerkannte Asylbewerber und schutzberechtigte Flüchtlinge von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, wie beispielsweise durch die CARITA und CIR, Unterstützung bekommen können (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Die Zuständigkeit für die Festsetzung von derartigen öffentlichen Sozialleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen (z. B. Toskana, Emilia Romagna) wird die Höhe derartiger Leistungen durch die Kommune festgesetzt; die Leistungen weisen insoweit je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft deutliche Unterschiede auf (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Diese Erkenntnis deckt sich im Übrigen mit dem Gutachten der Flüchtlingsorganisation borderline-europe e. V. (Gutachten an das VG Braunschweig vom Dezember 2012) und der Auskunft der italienischen Vereinigung für rechtliche Untersuchungen zur Situation von Einwanderung (ASGI-Bericht vom 20. November 2011, S. 10 f.). Danach erhalten ebenfalls anerkannte Asylbewerber und Personen, denen internationaler Schutz gewährt worden ist, Unterstützungen allgemeiner Art, wie sie auch für andere mittellose Personen in Italien vorgesehen sind.
- 128
Überdies ist für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus ein kostenfreier Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie Arzt, Zahnarzt, Krankenhaus gewährleistet (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Ein Anspruch auf Einhaltung bestimmter Mindeststandards im Hinblick auf die Gewährung von Unterkunft sowie auf eine gewisse materielle Unterstützung besteht für sie auch nach dem Unionsrecht nicht; ein solcher Anspruch besteht nur für Asylbewerber (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 - M.S.S. v. Belgium and Greece; EuGH, Urt. v. 21.12. 2011 - C-411/10 und C-493/10 - N.S. und M.E.), denn nach den Bestimmungen der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 steht Asylbewerbern und Schutzsuchenden zwar ein subjektives Recht auch auf eine angemessene Fürsorge zu. Nach Art. 3 Abs. 1 der genannten Richtlinie haben Asylbewerber jedoch nur solange Anspruch auf die in Art. 5 ff. der Richtlinie bezeichneten humanitären Leistungen, solange sie „als Asylbewerber im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen“. „Asylbewerber“ im Sinne der Richtlinie ist dabei ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde.
- 129
Soweit anerkannten Asylbewerbern und schutzberechtigten Flüchtlingen in der Zivilbevölkerung vereinzelt Vorbehalte entgegen gebracht werden und sich diese Vorbehalte womöglich auch im Verhalten von Amtsträgern widerspiegeln sollten, lässt sich diesem Umstand keine selbständige rechtliche Bedeutung beimessen. Die gilt selbst dann, wenn der genannte Personenkreis im Alltag womöglich Benachteiligungen erfahren sollte. Denn die genannten Umstände lassen nicht den Schluss zu, dass das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien schon allein aus diesem Grunde den Regeln des europäischen Asylsystems zuwiderläuft.
- 130
Nach allem erübrigt sich hier die Erörterung der weitergehenden Frage, ob und inwieweit auch möglicherweise jene (unionsrechtlichen) Rechtsverletzungen für die Entscheidung über den Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO relevant sind, die Personen betreffen, bei denen das Asylverfahren bereits mit einer Anerkennung bzw. mit einem subsidiären Schutzstatus abgeschlossen ist (vgl. hierzu VG Regensburg, Beschl. v. 16.08.2012 - RN 7 S 12.30273 -).
- 131
g) Zur Überzeugung des Senats steht auch bei der gebotenen Zukunftsprognose nicht zu erwarten, dass angesichts eines unvermindert anhaltenden oder wieder zunehmenden Flüchtlingsstroms nach Italien sich die dort anzutreffenden Verhältnisse (wieder) verschlechtern werden. So verhält es sich jedenfalls dann, wenn man bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats Folgendes in Rechnung stellt:
- 132
Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist in Italien gegenwärtig nicht (mehr) von einem Anstieg des Zustroms von Asylbewerbern und Flüchtlingen auszugehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013 Anm. 9.1. und 9.2.). Diese Entwicklung wird auch durch das dem Senat vorliegende Zahlenmaterial belegt. Laut Berichterstattung in der Presse (Spiegel online v. 26.04.2011) haben von Januar bis Ende April 2011 allein 26.000 Flüchtlinge in Italien um Schutz nachgesucht. Demgegenüber wurden laut Auskunft des Auswärtigen Amtes im ersten Halbjahr 2012 nur insgesamt 5.580 Asylanträge in Italien gestellt (AA, Auskunft v. 21.01.2013 Anm. 3.2.).
- 133
Insbesondere ist auch ein deutlicher Rückgang von Anlandungen im Süden Italiens zu verzeichnen. Im Jahr 2011 waren es noch 62.692 Personen, im Jahre 2012 hingegen nur noch 13.267 Personen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1. und 9.2.). Dies ist – wie das Auswärtige Amt in nachvollziehbarer Weise feststellt – vor allem auf die Beruhigung der Lage in den Nordafrikanischen Staaten zurückzuführen (AA, a. a. O.).
- 134
Im Übrigen ist auch in der Gesamtschau des letzten Jahrzehnts nicht von einem kontinuierlichen und erheblichen Zuwachs an Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien auszugehen, so dass etwa deshalb die Annahme einer nicht (mehr) zu bewältigenden “Überlastung“ des Asylsystems in Italien begründet wäre. In der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts waren die Zahlen bis 2006 vielmehr rückläufig, die Zahl der Asylantragsteller ging insoweit von 24.000 auf 10.000 zurück. In den Jahren 2008 und 2011 gab es dann in den Spitzen über 30.000 Asylbewerber, während es im Jahre 2012 allerdings wieder weniger als 15.000 Bewerber waren. Bei den genannten Spitzen handelte es sich somit um temporäre Erscheinungen aufgrund der politischen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem “arabischen Frühling“ (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.2.). Auch ist nach aktueller Einschätzung, namentlich vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in den Mittelmeer-Anrainerstaaten, nicht damit zu rechnen, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien in absehbarer Zeit ansteigen wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.3.).
- 135
Nach allem erweist sich die in der einschlägigen Rechtsprechung vielfach angeführte Begründung, dass wegen der zu erwartenden weiteren Flüchtlingsströme von Afrika nach Italien infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen und der damit einhergehenden instabilen Verhältnisse in Nordafrika sich die Entwicklung in Italien in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern, sondern eher noch verschlechtern wird (so u. a. VG Stuttgart, Beschl. v. 02.07.2012 - A 7 K 1877/12 -
) als nicht (mehr) tragfähig.
- 136
Insbesondere lässt sich auch der Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen – UNHCR – vom 24. April 2012 an das Verwaltungsgericht Braunschweig kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass ernsthaft zu befürchten ist, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien grundlegende Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufweisen. Nach dem Inhalt dieser Stellungnahme wurden in Italien die regionalen Regierungen im Jahr 2011 nach Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika ausdrücklich gebeten, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden wurde zudem eine Vereinbarung getroffen, in der die Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Der UNHCR erkennt vor diesem Hintergrund an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben und die CARA-, CDA- und SPRAR-Projekte insgesamt in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl von Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR, a. a. O. S. 3).
- 137
Dass die Verhältnisse zwischen Italien und Griechenland – wie gelegentlich behauptet wird – vergleichbar sind, vermag der Senat nicht festzustellen. Dies bedarf aber auch keiner Vertiefung, weil es hierauf nicht entscheidend ankommt. Dennoch bleibt festzustellen, dass der UNHCR – anders als in Bezug auf Griechenland – für Italien jedenfalls keine Empfehlung ausgesprochen hat, von einer Überstellung bzw. Abschiebung von Dublin-II-Flüchtlingen nach Italien abzusehen. Der Senat misst diesem Umstand kein geringes Gewicht bei. Soweit vereinzelt der Einwand erhoben wird, dies sei dem Umstand geschuldet, dass der UNHCR „politische Rücksichten zu nehmen habe“, ist dies durch Nichts belegt. Zwar hat – ausweislich des Tagungsberichts von Nora Markard zum 12. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz vom 18.-19. Juni 2012 in Berlin (ZAR 10/2012 S. 380 ff. S. 381 zur Situation in Italien) – der UNHCR Senior Regional Protection Associate Jürgen Humberg im Hinblick auf die deutsche Debatte über die Zulässigkeit von Abschiebungen nach Italien angeblich betont, dass der Umstand, dass der UNHCR bisher kein Positionspapier zu Italien veröffentlicht habe, nicht bedeute, dass in Italien „alles in Ordnung sei“; eine solche Schlussfolgerung, den einige Verwaltungsgerichte zögen, sei unzulässig. Auch diese Äußerung veranlasst den Senat nicht zu einer anderen Einschätzung im Hinblick darauf, dass sich der UNHCR – anders als in anderen Fällen – einer entsprechenden offiziellen Stellungnahme bzw. Empfehlung, von einer Rückführung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen, enthalten hat. Dies bedeutet keineswegs, dass der Senat der Auffassung wäre, in Italien „sei alles in Ordnung“; hieraus aber folgt eben noch nicht, dass in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in Italien systemische Mängel feststellbar sind, die eine Verletzung der Europäischen Grundrechtscharta oder der Menschenrechtskonvention darstellen.
- 138
Festzustellen bleibt überdies, dass der UNHCR auch in seinem jüngsten Bericht (UNHCR - Recommendations on important aspects of Refugee protection in Italy) vom Juli 2013 trotz zahlreicher kritischer Anmerkungen bei seiner Einschätzung zur aktuellen Lage der Flüchtlinge und Asylbewerber in Italien zu keinem anderen Ergebnis gekommen ist.
- 139
Schließlich hat auch der EGMR in einer neueren Entscheidung vom 02. April 2013 (Ap-plication No. 27725/10 - Mohammed Hussein vs. the Netherlands and Italy) eine gegen die Dublin-Überstellung von den Niederlanden nach Italien gerichtete Beschwerde als offensichtlich unbegründet abgewiesen. In der Entscheidung hat sich der EGMR mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, einer nach eigenen Angaben aus Somalia stammenden Frau mit zwei kleinen Kindern, zum Asylverfahren und auch zur Unterbringungssituation in Italien auseinander gesetzt und festgestellt, dass die Situation in Italien keineswegs mit der in Griechenland vergleichbar sei (Entscheidung v. 02.04. 2013, a. a. O. Rdn. 72). Auch aus dem Umstand, dass der EGMR in einer früheren Entscheidung (Application No. 64208/11) die Abschiebung eines Asylbewerbers von Deutschland nach Italien gestoppt hat, lässt sich nicht herleiten, dass Italien generell die Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht erfüllt. Die Gründe für den mit der genannten Entscheidung verhängten Abschiebungsstopp sind letztlich nicht bekannt. Dem „Statement of Facts“ ist indes zu entnehmen, dass sich der dortige Antragsteller zwar auch auf die Lebensumstände von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Italien berufen hat, jedoch insbesondere im Raum stand, dass er durch die Abschiebung aufgrund unterschiedlicher Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Münster und Magdeburg von seiner Frau und seinen Kindern getrennt werden würde, deren Abschiebung gestoppt wurde. Weitere Fälle des EGMR (Application No. 30815/09, Application No. 37159/09, Application No. 56424/10) betrafen unbegleitete Minderjährige und die spezielle Situation einer Mutter mit einem minderjährigen Kind (Application No. 2303/10).
- 140
Im Übrigen haben sowohl der Österreichische Asylgerichtshof (Spruch v. 03.05. 2010 - S16 412.104-1/2010-4E -, veröffentlicht unter http://www.ris.bka.gv.at, dort insbes. Ziffer 2.2.2.2.1. "Kritik am italienischen Asylwesen" m. w. N.) als auch das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht (vgl. u. a. Urt. v. 15.07.2010 - D 4987/ 2010 - und Urt. v. 18.03.2010 - D-1496/2010 -, im Internet abrufbar unter: http://www.bundes verwaltungsgericht.ch/index/entscheide/Jurisdiction-datenbank/Jurisdiction-recht-urteile aza.htm) die Rückführung von Asylsuchenden nach Italien in Ansehung der dortigen Asylverfahrenspraxis grundsätzlich als zulässig angesehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der angeführten Entscheidungen Bezug genommen.
- 141
Auch der Umstand, dass zahlreiche Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien zu einer gegenteiligen Einschätzung hinsichtlich der Verhältnisse und des Asylsystems in Italien gelangt sind, veranlasst den Senat nicht zur Annahme, dass die Behandlung der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien nicht in Einklang steht mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nach Auffassung des Senats wird in der insoweit einschlägigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte häufig nicht hinreichend dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich bei den zugrunde gelegten Erkenntnismitteln nicht selten um bloße subjektive Einschätzungen handelt, die nicht in der erforderlichen Weise durch Fakten belegt sind. Auch erscheint mitunter fraglich, ob die insoweit festgestellten Mängel und Defizite verallgemeinerungsfähig sind. Nicht zuletzt haben sich die Verhältnisse in Italien – wie dargelegt – zwischenzeitlich teilweise geändert, so etwa in Bezug auf den Flüchtlingsstrom aus Nordafrika und die Anzahl der für die Asylbewerber und Flüchtlinge zur Verfügung stehenden Unterkünfte. Im Übrigen ist Gegenstand der Prüfung nach § 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) nicht die Frage, ob die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren für Flüchtling und Asylbewerber kritikwürdig sind, weil das System zahlreiche Mängel aufweist oder hinter dem Schutzniveau anderer Mitgliedstaat zurückbleibt.
- 142
Der Senat sieht auch keine Veranlassung, weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien einzuholen. Nach anerkannter Rechtsauffassung ist die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nur dann geboten, wenn sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung aufdrängen musste, weil bereits vorliegende Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen nicht den ihnen obliegenden Zweck erfüllen (konnten), dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts notwendige Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. In diesem Sinne kann z. B. ein Sachverständigengutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet oder jedenfalls unzureichend sein, wenn es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn es von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht (BVerwG, Beschl. v. 14.04.2011 - 2 B 80/10 - m. w. N., Juris). Dies ist hier aber nicht der Fall. Zwar sind die dem Senat vorliegenden zahlreichen Gutachten, Auskünfte und Stellungnahmen nicht in allen Punkte stets konsistent und völlig frei von gewissen Widersprüchen; soweit es indes die im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Tatsachen und Erkenntnisse betrifft, sind diese aufgrund der herangezogenen Erkenntnismittel zur Überzeugung des Senats hinreichend geklärt und eindeutig und mithin für die Überzeugungsbildung ausreichend.
- 143
Der Senat sieht insbesondere auch keine Veranlassung, an der Tauglichkeit des vorhandenen Erkenntnismaterials für die hier entscheidungsrelevanten Fragen zu zweifeln. Dies gilt speziell auch hinsichtlich des Beweiswertes der Auskünfte des Auswärtigen Amtes, da sie grundsätzlich eine sich auf unterschiedliche Erkenntnisquellen stützende Gesamtbewertung vornehmen und zudem im Allgemeinen den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten kommen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.08.2006 - 1 B 24.06 - Juris; Beschl. v. 06.10.1997 - 9 B 803.97 - Juris; Beschl. v. 08.09.1997 - 9 B 401.97 -; Beschl. v. 15.10. 1985 - 9 C 3.85 - Juris sowie Beschl. v. 31.07.1998 - 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28 = Juris). Nicht anders verhält es sich hier. So beruhen die den Auskünften des Auswärtigen Amtes zugrunde liegenden Erkenntnisse auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR, UNHCR und IOM in Rom, den Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Amtes ISTAT sowie schließlich auf Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen wie Carita Migrantes, Comunità di Sant’ Egidio u. a..
- 144
Nach allem vermag der Senat nicht zur Überzeugung zu gelangen, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 21.12.2011, a. a. O.) die Annahme rechtfertigen, dass die Klägerin aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Abschiebung bzw. Überstellung dorthin Gefahr laufen wird, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 3 EMRK und § 4 EuGrdRCH ausgesetzt zu werden und dass sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig erweist.
III.
- 145
Soweit das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid zugleich die Abschiebung der Klägerin nach Italien gem. § 34 Abs. 1 AsylVfG angeordnet hat, bestehen gegen die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung keine Bedenken.
- 146
§ 34a AsylVfG überantwortet die Entscheidung über die Abschiebung dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, so dass dieses die Abschiebungsanordnung verfügt. Das Bundesamt ordnet dabei nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Abschiebungsverbote sind nicht ersichtlich.
- 147
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
- 148
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§§ 132 Abs. 2, 137 VwGO).
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger stellte am 28. Oktober 2010 einen Asylantrag. Dabei gab er an, er sei am 7. - in anderem Zusammenhang: am 1. - Januar 1990 in B. R. geboren und besitze die eritreische Staatsangehörigkeit. In den vom Bundesamt vorgelegten Verwaltungsvorgängen befindet sich ein Vermerk vom gleichen Tage, dem zufolge eine Fingerabdrucknahme per live scan nicht möglich gewesen sei. Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (künftig: Bundesamt) am 9. November 2010 führte der Kläger - in der Sprache Tigrinia - u.a. aus: Er habe sich in Eritrea vom 10. Februar bis zum 20. Dezember 2009 im Gefängnis befunden. An dem Tag sei er geflohen, und zwar in den Sudan. Dort habe er sich zehn Monate lang aufgehalten. Von Khartoum aus sei er dann nach Deutschland geflogen, und zwar nach Frankfurt/Main. Dort sei er am 18. Oktober 2010 mit dem Flugzeug angekommen.
3Der Kläger unterzog sich am 25. August 2011 einer erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung. In einem Vermerk des Bundesamtes heißt es dazu, es sei festgestellt worden, dass seine Fingerkuppen Veränderungen aufwiesen. - Verwertbare Fingerabdrucke wurden seitens der Behörde anscheinend nicht erlangt.
4Am 2. August 2012 wandte sich das Bundesamt an den Kreis I. : In dem Asylverfahren des Klägers habe bisher keine Entscheidung getroffen werden können. Es habe noch keine Klassifizierung des Antrags wegen mangelnder Auswertbarkeit der erkennungsdienstlichen Maßnahme erfolgen können. Diesseits bestehe der Verdacht auf Manipulation der Fingerkuppen. Ohne Auswertung der Fingerabdrücke könne keine Einstufung des Antrags als Asylerstantrag, Asylfolgeantrag oder evtl. DÜ-Prüffall vorgenommen werden, so dass eine materiellrechtliche Prüfung der Angaben des Klägers in der persönlichen Anhörung vom 9. November 2010 sich derzeit nicht anbiete.
5Mit Schreiben vom 8. Oktober 2012 bat das Bundesamt eine italienische Stelle um Übernahme des Klägers, nachdem die Behörde aufgrund des Ergebnisses einer (erneuten) erkennungsdienstlichen Behandlung von ihm am 6. September 2012 zu dem Ergebnis gelangt war, die Zuständigkeit Italiens sei gegeben. Eine Antwort erfolgte nicht.
6Am 16. Januar 2013 ließ der Kläger "im Hinblick auf die fiktive Zustimmung Italiens … vorsorglich" beantragen, die Bundesrepublik möge von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen: Die Situation des Asylsystems, mit der er im Falle seiner Rückkehr konfrontiert würde, stehe im Widerspruch zu Art. 3 EMRK. - Das ließ er detailliert und ausführlich begründen.
7Mit Bescheid vom 23. Januar 2013 stellte das Bundesamt gegenüber dem Kläger fest, a) der Asylantrag sei unzulässig; b) gleichzeitig ordnete es die Abschiebung nach Italien an: Der Asylantrag sei gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, da Italien gemäß Dublin II-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Am 8. Oktober 2012 sei ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Italien gerichtet worden. Die italienischen Behörden hätten dieses sowie das Verfristungsschreiben vom 12. November 2012 unbeantwortet gelassen. Ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gemäß Art. 18 Dublin II-VO bestehe somit seit dem 23. Oktober 2012. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Italien erfülle gegenüber Ausländern, die dort einen Asylantrag stellten, die Mindeststandards. Die sofort vollziehbare Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. - Ein Abdruck des Bescheides wurde der Prozessbevollmächtigten des Klägers unter dem 12. Februar 2013 übersandt mit dem Bemerken, die zuständige Ausländerbehörde werde die Zustellung an den Kläger veranlassen. Am 18. Februar 2013 wurde dem Kläger der Bescheid gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt.
8Der Kläger hat am 28. Februar 2013 Klage erhoben.
9Am 11. März 2013 sollte seine Überstellung nach Italien auf dem Luftweg erfolgen. Einen von ihm ebenfalls am 28. Februar 2013 gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat die Kammer mit Beschluss vom 7. März 2013 ‑ 10 L 124/13.A - abgelehnt, ebenso mit Beschluss vom 8. März 2013 - 10 L 140/13.A - einen Abänderungsantrag vom gleichen Tag. - Aus der für den Abänderungsantrag gegebenen Begründung folgt, dass der Kläger in Italien unter dem Namen H. A. , geb. 01.01.1987, aufgetreten war. - Zu der Überstellung am 11. März 2013 kam es nicht. Einem Vermerk des Kreises I. vom gleichen Tag ist zu entnehmen: Am Morgen sei der Flug nach Rom infolge eines Streikes (am Flughafen Düsseldorf) annulliert worden. Die Unterkunft des Klägers sei aufgesucht worden, um ihn darüber zu informieren. Die Unterkunft sei verlassen gewesen. An der Tür sei eine handschriftliche Nachricht des Klägers angebracht gewesen zur Information der Behörde. Daraus gehe hervor, dass er es vorgezogen habe unterzutauchen. - Einen weiteren Abänderungsantrag hat die Kammer mit Beschluss vom 12. April 2013 ‑ 10 L 202/13.A - abgelehnt. Im Rahmen jenes Verfahrens hat der Kläger u.a. vorgetragen, er leide an einer behandlungsbedürften posttraumatischen Belastungsstörung. Eine Abschiebung hätte massive Auswirkungen auf seinen gesundheitlichen Zustand.
10Im Rahmen des Klageverfahrens hat der Kläger vorgetragen: Er habe seine Heimat Eritrea im September 2009 Richtung Sudan verlassen. Dort sei er ca. zwei Wochen geblieben, bevor er nach Libyen ausgereist sei. Er sei am 26. Oktober 2009 in Sizilien eingereist und in ein Flüchtlingslager gekommen, das er nach ca. vier Monaten habe verlassen müssen. Anschließend habe er in Rom auf der Straße gelebt. Im Juli sei er in die Schweiz gereist. Dort sei ihm die Rückführung nach Italien angekündigt worden. Als die Polizei gekommen sei, sei er weggerannt und nach Deutschland geflohen. - Im Übrigen hat der Kläger umfassend darlegen lassen, weshalb eine Rückführung von Asylbewerbern nach Italien generell und in seinem Fall zusätzlich aus individuellen Gründen unzulässig sei. - Im Übrigen sei die Frist, in der er hätte überstellt werden können, inzwischen abgelaufen.
11Der Kläger, der sich seit März 2013 im Kirchenasyl befindet, beantragt,
12den Bescheid des Bundesamtes vom 23. Januar 2013 aufzuheben.
13Die Beklagte hat schriftlich beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie wiederholt und vertieft früheres Vorbringen.
16Weitere Anträge des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Wege der Abänderung vorangegangener Entscheidungen hat die Kammer mit Beschlüssen vom 12. April 2013 - 10 L 202/13.A - sowie 24. April 2013 - 10 L 247/13.A - abgelehnt.
17Sie hat eine Auskunft des Auswärtigen Amtes - vom 24. Mai 2013 - eingeholt und einen weiteren Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt (Beschluss vom 29. Oktober 2013 - 10 L 688/13.A -).
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verfahrensakten 10 L 688/13.A, 10 L 124/13.A, 10 L 140/13.A, 10 L 202/13.A, 10 L 247/13.A, die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge (2 Hefte) und die vom Kreis I. überreichten Ausländerakten (2 Hefte) Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20a) Die Klage ist, soweit sie sich gegen die in dem Bescheid vom 23. Januar 2013 getroffene Feststellung, der Asylantrag sei unzulässig, richtet, zulässig. Die auf § 27 a AsylVfG gestützte Entscheidung stellt einen Verwaltungsakt dar. Der Kläger hat für dessen bloße Beseitigung ein Rechtsschutzbedürfnis, ist also nicht darauf angewiesen, weitergehend eine Verpflichtungsklage zu erheben. Wird der Verwaltungsakt vom 23. Januar 2013 insoweit aufgehoben, so führt dies zur Prüfung des von dem Kläger gestellten Asylantrags durch die Beklagte. Wäre das Verwaltungsgericht statt dessen verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen und durchzuentscheiden, ginge dem Kläger eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattet ist.
21- vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 19. März 2013 - 6 K 2643/12.A -, sowie Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris -.
22Die Klage ist unbegründet.
23Die Feststellung, der Asylantrag des Klägers sei unzulässig, verletzt diesen nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ob die Feststellung außerdem rechtswidrig ist, bedarf danach keiner Klärung mehr, da sich daraus zugunsten des Klägers angesichts des Wortlauts von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nichts ergeben würde. Sie findet eine Grundlage in § 27 a AsylVfG. Der Bestimmung zufolge ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier der Fall. Zu Recht ist die Beklagte davon ausgegangen, dass die Zuständigkeit der Republik Italien gegeben ist. Das folgt für die Kammer angesichts der von dem Kläger im Rahmen des Verfahrens 10 L 140/13.A vorgelegten Unterlagen (dort Blatt 9 - 12) aus Art. 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (künftig: Dublin II-VO).
24An dieser Verordnung (und nicht der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, (Dublin III-VO)) ist in diesem Zusammenhang Maß zu nehmen. Das folgt aus Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO
25- siehe in diesem Zusammenhang VG Hannover, Beschluss vom 09. Januar 2014 - 1 B 7895/13 -; VG Oldenburg, Beschluss vom 21. Januar 2014 - 3 B 7136/13 -; VG Potsdam, Beschlüsse vom 29. Januar 2014 - 6 L 27/14.A - und 20. Dezember 2013 - VG 6 L 858/13.A -, jeweils juris -.
26Dass eine Verletzung der Rechte des Klägers durch eine nunmehr vorgenommene Überstellung von ihm nach Italien erfolgen würde, die in Rede stehende Regelung vom 23. Januar 2013 jedenfalls inzwischen eine solche Rechtsverletzung darstellt, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Die in Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO normierte Frist von drei Monaten ist gewahrt worden. Denn nachdem die (erneute) erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers vom 06. September 2012 ein positives Ergebnis erbracht hatte, hat sich das Bundesamt mit Schreiben vom 08. Oktober 2012 an eine italienische Stelle mit der Bitte um dessen Übernahme gewandt. Da darauf keine Antwort erfolgte, besteht seit dem 23. Oktober 2012 eine Zuständigkeit Italiens (Art. 20 Abs. 1 c) Dublin II-VO). Danach hätte die Überstellung des Klägers an sich gemäß Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO durchgeführt werden müssen, also bis 22. April 2013 (einschl.). Ein entsprechender Versuch am 11. März 2013 schlug fehl, weil a) der entsprechende Flug nach Rom annuliert worden und b) der Kläger "untergetaucht" war. Gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO kann die Frist auf höchstens ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung oder die Prüfung des Antrags aufgrund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf 18 Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist. Mit Blick darauf ergeben sich im vorliegenden Fall verschiedene Fragen: Kann die Frist verlängert werden, so könnte das vielleicht nur unter Mitwirkung der ausländischen (hier: italienischen) Stelle erfolgen. Für eine solche Beteiligung ist hier nichts ersichtlich. Außerdem ist der Kläger hier zwar am 11. März 2013 "untergetaucht", doch hätte er an dem Tag ohnehin nicht überstellt werden können. "Taucht" er "unter" und meldet er sich nach einiger Zeit wieder, so fragt sich, welche Auswirkungen das auf die in Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO normierten Fristen hat. Außerdem wäre zu klären, ob Bedeutung dem Umstand zukommt, dass der Kläger sich seit März 2013 gerade im Kirchenasyl befindet (worüber die evangelische Kirchengemeinde C. die Ausländerbehörde unter dem 18. März 2013 informiert hat (GA Bl. 61)). Die Kammer geht solchen Fragen nicht nach. Wäre eine sich aus Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO ergebende Frist inzwischen verstrichen, führte das dazu, dass eine gleichwohl vollzogene Überstellung des Klägers nach Italien objektiv rechtswidrig wäre (und Italien die Überstellung von vornherein nicht mehr akzeptieren müsste). Daraus würde sich aber nach Ansicht der Kammer keine Verletzung der Rechte des Klägers ergeben. Denn zu ihrer Überzeugung vermittelt Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO dem Asylbewerber keinerlei Rechte, sondern regelt allein die Beziehungen zwischen Staaten
27- vgl. VG Berlin, Beschluss vom 07. Oktober 2013 - 33 L 403.13 A -, juris ‑ dort Rdnr. 10 - (zu Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO) unter Hinweis auf EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Niilo Jääskinen vom 18. April 2013, Rs. C-4/11, Rdnr. 58 -; zum Problem siehe auch noch GK-AsylVerfG, Stand November 2013, § 27 a Rdnr. 234, und Stand Juni 2012, § 27 a Rdnrn. 211, 212, 199 -.
28Im Übrigen wäre der Kläger, hätte er - anders als hier angenommen - doch Rechte aus Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO und wäre die dort normierte im vorliegenden Fall an sich maßgebliche Frist verstrichen, nach Treu und Glauben gehindert, sich darauf zu berufen. Er hat sich in das Kirchenasyl begeben in der Erwartung, dass dies seitens der staatlichen Stellen respektiert würde. So ist es auch gekommen. Dann ist es ihm ‑ jedenfalls während der in Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO normierten Frist von 18 Monaten - verwehrt, aus einem früher eintretenden Fristablauf etwas für sich herleiten zu wollen.
29Die Beklagte ist für die Prüfung des Asylantrags des Klägers auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zuständig, denn die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, das Selbsteintrittsrecht auszuüben. Die Bestimmung ist geeignet, subjektive Rechte des Klägers zu begründen. Allerdings lässt das im EU-Vertrag vorgesehene und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeitete gemeinsame Europäische Asylsystem die Annahme begründet erscheinen, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 (GFK) sowie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - (EMRK) finden. Es gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta und der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Ausgehend von der Annahme, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i.S.d. Art. 16 a Abs. 2 GG bzw. § 26 a AsylVfG handelt, ist aufgrund des diesen Vorschriften zugrundeliegenden "Konzepts der normativen Vergewisserung"
30- vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris -
31bzw. des "Prinzips des gegenseitigen Vertrauens"
32- vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs C 411/10 und C-393/10 -, juris -
33grundsätzlich davon auszugehen, dass die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Grundrechtscharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention in diesen Ländern sichergestellt ist. Auch die Dublin II-Verordnung beruht wie jede andere auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK, der EMRK und der EuGrdRCh in allen Mitgliedstaaten gesichert ist
34- vgl. OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02. Oktober 2013, a.a.O.‑.
35Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland dann Schutz zu gewähren, wenn die Notwendigkeit eines solchen durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des "Konzepts normativer Vergewisserung" durch Gesetz berücksichtigt werden konnten, oder aber sich die für die Qualifizierung als "sicher" maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesrepublik hierauf noch aussteht. Die Annahme eines sicheren Drittstaates ist daher dann widerlegt, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der in diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh bzw. der inhaltlich identischen Vorschriften des Art. 3 EMRK implizieren.
36Eine Verletzung der EU-Richtlinien, vereinzelte Verstöße gegen sonstige Grundrechte sowie anderweitige Missstände unterhalb der Schwelle "systemischer Mängel" stehen hingegen Dublin-Überstellungen nicht entgegen
37- Thym, Zulässigkeit der Dublin-Überstellungen nach Italien, ZAR 2013, 331, 332 -.
38Zum Inhalt der angesprochenen Bestimmungen ist dabei zu bemerken: Ausländern, die von einer Rückführung betroffen sind, gewährt die Konvention grundsätzlich keinen Anspruch mit dem Ziel, im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates zu verbleiben, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren, die vom ausweisenden Staat zur Verfügung gestellt wird. Wenn keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Ausweisung sprechen, ist allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse des Betreffenden bedeutend geschmälert würden, falls er oder sie des Vertragsstaates verwiesen würde, nicht ausreichend, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen. Art. 3 EMRK kann auch nicht so ausgelegt werden, dass er die Vertragsparteien verpflichtet, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen; diese Regelung enthält keine allgemeine Pflicht, Flüchtlinge finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen
39- EGMR, Beschluss vom 02. April 2013, Nr. 27725/10, Hussein u.a. gegen die Niederlande und Italien, ZAR 2013, 336 -.
40Einzig außergewöhnlich zwingende humanitäre Gründe stehen einer Dublin-Überstellung entgegen
41- Thym, a.a.O., 332 -.
42In diesem Zusammenhang ist zunächst zu betonen: Der Kläger hat in Italien im Rahmen des von ihm betriebenen Asylverfahrens einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen erhalten. Einen (weitergehenden) Flüchtlingsstatus hat er dort nicht besessen. Das ließe ihm die Möglichkeit, in Italien einen weiteren Asylantrag zu stellen mit dem Ziel, eine "bessere" Rechtsposition zu erlangen. Er wäre dann dort (erneut) Asylbewerber. Es kommt allerdings auch in Betracht, dass er dort - eine Rückführung einmal angenommen - kein weiteres Asylverfahren betreiben, sondern aufgrund eines Aufenthaltstitels leben würde, der ihm aus humanitären Gründen erteilt worden ist.
43In diesem zweiten Fall gilt: Es lässt sich nicht feststellen, dass im Hinblick auf die rechtliche und soziale Situation anerkannter Asylbewerber sowie der Flüchtlinge mit einem Bleiberecht angesichts der in Italien anzutreffenden Lebens- und Versorgungssituation sowie unter Berücksichtigung der insoweit staatlicherseits unternommenen Integrationsbemühungen das Aufnahme- und Asylverfahren dort derartige Mängel aufweist, dass es den Anforderungen des Europäischen Asylsystems nicht mehr entspricht. Schutzberechtigte, mithin anerkannte Asylbewerber (Asylberechtigte) und Personen mit subsidiärem Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention, erhalten mit ihrer Anerkennung ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht; es wird ihnen eine Aufenthaltsberechtigung ("permesso di soggiorno") ausgestellt. Danach genießen sie in Italien dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige. Dies bedeutet in der Praxis, dass sie sich - ebenso wie italienische Staatsangehörige - grundsätzlich selbst um eine Unterkunft kümmern und auch in eigener Verantwortung einen Arbeitsplatz suchen müssen. Dafür besteht aber ein freier Zugang zum Arbeitsmarkt. Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus besitzen, haben auch das Recht zu arbeiten. Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen. Anerkannte Asylbewerber und Personen mit einem subsidiären Schutzstatus haben Zugang zu einer Beschäftigung in Italien, wie dies durch Art. 26 und Art. 28 der Qualifikationslinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) garantiert wird.
44Ein staatliches System finanzieller Hilfeleistungen bzw. ein Sozialhilfesystem existiert hingegen nicht. Denn in Italien gibt es für italienische Staatsangehörige - und somit auch für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die ihnen gleichgestellt sind - kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bzw. (sonstige) staatliche Leistungen, jedenfalls soweit sie nicht das 65. Lebensjahr erreicht haben. Art. 28 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gewährt hinsichtlich der Sozialleistungen indessen auch nur einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung, nicht aber einen Anspruch auf Privilegierung des anerkannten Flüchtlings
45- vgl. zum Ganzen OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris, m.w.N. und Belegen für die entsprechenden Angaben -.
46Zwar entspricht es der italienischen Kultur, dass es einen engen Familienzusammenhalt gibt, der im Notfall zumindest die Chance eröffnet, eine (gewisse) Unterstützung durch Familienangehörige in Anspruch nehmen zu können. Dass es eine solche vergleichbare Unterstützung unter den ausländischen Landsleuten gibt, die sich aufgrund ihres Schutzstatus dauerhaft in Italien aufhalten, erscheint nicht ausgeschlossen, dürfte aber die Ausnahme sein. Gleichwohl lässt dieser Umstand nach Auffassung der Kammer für sich allein nicht schon die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass der anerkannte Flüchtling oder sonstige Schutzberechtigte in Italien deshalb der konkreten Lebensgefahr ausgesetzt wäre, "auf der Straße" zu leben und zu verelenden
47- vgl. OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02. Oktober 2013, a.a.O. -,
48jedenfalls bestehen die beschriebenen Gefahren nicht in einem solchen Maße, dass die Annahme eines systemischen Mangels gerechtfertigt wäre
49- vgl. dazu Thym, a.a.O., 333 -.
50Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass - ebenso wie italienische Staatsangehörige in einer vergleichbaren Situation - auch anerkannte Asylbewerber und schutzberechtigte Flüchtlinge von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, wie beispielsweise durch die CARITA und CIR, Unterstützung bekommen können.
51Überdies ist für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus ein kostenfreier Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie Arzt, Zahnarzt, Krankenhaus gewährleistet. Ein Anspruch auf Einhaltung bestimmter Mindeststandards im Hinblick auf die Gewährung von Unterkunft sowie auf eine gewisse materielle Unterstützung besteht für sie auch nach dem Unionsrecht nicht - ein solcher Anspruch besteht nur für Asylbewerber -, denn nach den Bestimmungen der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 steht Asylbewerbern und Schutzsuchenden zwar ein subjektives Recht auch auf eine angemessene Fürsorge zu. Nach Art. 3 Abs. 1 der genannten Richtlinie haben Asylbewerber jedoch nur solange Anspruch auf die in Art. 5 ff. der Richtlinie bezeichneten humanitären Leistungen, solange sie "als Asylbewerber im Herkunftsgebiet verbleiben dürfen". "Asylbewerber" im Sinne der Richtlinie ist dabei ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde.
52Die Kammer vermag danach keine gegenwärtig bestehenden, strukturellen landesweiten Missstände zu erkennen, die eine individuelle Gefährdung einer nennenswerten Anzahl von Betroffenen - d.h. von nicht besonders schutzbedürftigen Personen wie dem alleinstehenden 25-jährigen Kläger ‑ im Falle der Rückführung nach Italien begründen und die von den italienischen Behörden tatenlos hingenommen würden. Dementsprechend besteht auch keine Empfehlung des UNHCR, von solchen Rückführungen abzusehen. Dessen Stellungnahmen sind angesichts der Rolle, die ihm durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant.
53Danach war auch den Beweisanträgen nicht zu entsprechen. Die Beweistatsachen sind unerheblich. Der Kläger behauptet, dass er in Italien keinen Anspruch auf eine Unterkunft in einer CARA hätte, dass für ihn nach der Ankunft auf einem Flughafen keine Betreuung vorhanden wäre usw. Darauf kommt es indessen nicht an. Wesentlich ist, ob von der Existenz systemischer Mängel in dem dargelegten Sinne auszugehen ist. Mit Blick darauf ist unerheblich, ob dem Kläger in bestimmten Situationen nicht geholfen würde. Gleiches gilt für den Fall, dass die Beweisanträge auf die Behandlung aller Personen in bestimmten Situationen zielen, die mit ihm, dem Kläger, vergleichbar sind. Denn über die Existenz/Nichtexistenz systemischer Mängel würde damit nichts gesagt.
54An dem Ergebnis ändert sich im Übrigen nichts, wenn - anders als in diesem Urteil angenommen - der Kläger in Italien - eine Rückführung von ihm unterstellt - doch einen Asylantrag stellen und damit wieder den Status eines Asylbewerbers erlangen würde. Denn dann wäre seine Rechtsstellung - verglichen mit der Situation, dass er den in Rede stehenden Antrag nicht stellt - besser
55- vgl. dazu OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02. Oktober 2013, a.a.O. -.
56Einen Anspruch auf Selbsteintritt hat der Kläger auch nicht im Hinblick auf von ihm geltend gemachte individuelle gesundheitliche Gründe.
57Allerdings hat er im Rahmen des Verfahrens 10 L 202/13.A eine fachärztliche Stellungnahme der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin Dr. med. Dipl. Psych. S. aus C. vom 28. März 2013 vorlegen lassen. In dieser heißt es u.a.:
58"Es muss also vom Vorliegen einer PTBS ausgegangen werden, deren Schweregrad allerdings durch die relativ stabile und sozial kompetente Primärpersönlichkeit noch nicht zu einer lang anhaltenden Persönlichkeitsstörung geführt hat oder Komorbiditäten wie Suchtverhalten, selbstverletzendem Verhalten, Aggressionsausbrüchen etc. Dem gut begabten, sozial kompetenten jungen Mann, der über den Wunsch und die Fähigkeiten verfügt, sich zu integrieren, war es gelungen, sich in C. zu stabilisieren und so zu relativer psychischer Gesundheit zurückzufinden. Er konnte sich am Bauhof in der Arbeit sicher fühlen und mit dem Schulbesuch in Q. integrieren und Freunde und Helfer finden, also die Dinge tun, die seine psychische Balance ganz basal ermöglichten. Aufgrund der traumatischen Erlebnisse ist Herr A. jedoch stark erhöht vulnerabel. D.h. die psychische Verletzlichkeit ist so groß, dass auch leichtere Retraumatisierungen zu einer dramatischen Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen können, z.B. schwerer Depressivität oder Persönlichkeitsstörungen. Die Androhung der Ausweisung hat Herrn A. bereits aus seinem labilen Gleichgewicht geworfen, posttraumatische Stresssymptome getriggert und eine ängstlich depressive Symptomatik ausgelöst. Eine medikamentöse Therapie der Schlafstörungen kann entweder mit niedrigpotenten Neuroleptika oder schlafanstoßenden Antidepressiva erfolgen. Zum jetzigen Zeitpunkt erscheinen soziotherapeutisch wirksame Maßnahmen, wie z.B. Fortsetzung der Beschulung oder die Integration in ein Beschäftigungsverhältnis noch ausreichend, um Herrn A. wieder zu stabilisieren und eine Verschlimmerung der psychischen Symptomatik zu verhindern. Eine Abschiebung wäre jedoch mit der Gefahr der Dekompensation und schwerwiegender psychischer Erkrankung verbunden und mit nicht absehbaren psychosozialen Folgen und somit nicht zu verantworten."
59Die Stellungnahme ist im Wesentlichen unbrauchbar.
60Sie genügt nicht den nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung erforderlichen Mindestanforderungen. Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome muss sich aus dem Attest, damit die Kammer Anlass zu weiteren Untersuchungen hat, nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt/die Fachärztin seine/ihre Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, bei der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken, die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen
61- vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 -, juris -.
62Dem genügt die Stellungnahme vom 28. März 2013 nicht. Sie weist - neben anderem ‑ vor allem den Mangel auf, dass nicht kritisch hinterfragt wird, ob die Angaben des Klägers bezüglich eines Verfolgungsschicksals den Tatsachen entsprechen oder wenigstens wahrscheinlich sind. Es heißt dort u.a.: Traumatische Bilder aus dem Gefängnis in Eritrea, der Flucht durch die Wüste, der fünftägigen Überfahrt nach Sizilien und bedrohliche Situationen in Italien drängten sich ihm immer wieder auf, er erschrecke leicht, wieder und wieder überfalle ihn die Angst, in den Schläfen poche das Blut, er schwitze und zittere, das Herz rase. Der Kläger sei etwa zehn Monate in Haft gewesen, ein Ende der Haft sei nicht absehbar gewesen.
63Indessen ist festzustellen: Der Kläger hat sich erstmals im Oktober 2010 an deutsche Behörden gewandt. Dabei hat er angegeben, er sei am 18. Oktober 2010 aus Khartoum/Sudan kommend auf dem Luftweg in das Bundesgebiet eingereist. Bis Dezember 2009 sei er in Eritrea im Gefängnis gewesen. Dann sei ihm die Flucht gelungen. Als Reiseweg hat er angegeben die Strecke Eritrea-Sudan-Bundesrepublik Deutschland. - Tatsächlich war der Kläger zeitweise in Italien. Dort ist er nach eigener Darstellung im Oktober 2009 eingetroffen. Er hat also bezüglich seines Reisewegs die Unwahrheit gesagt und den Aufenthalt in Italien zunächst verschwiegen. Grund dafür dürfte gewesen sein, dass er mit der Möglichkeit rechnete, von der Bundesrepublik Deutschland aus nach Italien zurückgeschickt zu werden. In Italien und in der Bundesrepublik Deutschland ist er unter verschiedenen Namen aufgetreten. Außerdem hat er unterschiedliche Geburtsdaten angegeben. Als er glaubte, er werde nach Italien zurückgeschickt, ist er untergetaucht. Erkennungsdienstliche Behandlungen von ihm in der Bundesrepublik Deutschland führten zunächst zu keinem Ergebnis. Es besteht die Möglichkeit, dass er seine Fingerkuppen manipuliert hat, um die Identifizierung seiner Person, die sonst hätte erfolgen können, weil ihm in Italien Abdrücke abgenommen worden waren, zu verhindern.
64Die genannten Tatsachen in Verbindung mit dem Verdacht, der sich daraus ergibt, dass Fingerabdrücke ihm zunächst nicht abgenommen werden konnten, und der Tatsache, dass der Kläger offenkundig ein großes Interesse daran hat, in der Bundesrepublik bleiben zu können, führen zu der Notwendigkeit, seinen Angaben bezüglich einer nunmehr bei ihm gegebenen Erkrankung (PTBS) kritisch zu begegnen. Dabei spielt auch eine Rolle, dass die Merkmale einer posttraumatischen Belastungsstörung im Internet ermittelt werden können und es nicht schwierig ist, ihre Existenz zu behaupten. Diese kritische Einstellung lässt die vorgelegte ärztliche Stellungnahme vollständig vermissen. Beispielhaft sei noch erwähnt: Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 09. November 2010 hat der Kläger angegeben, er habe sich in Eritrea zehn Monate im Gefängnis befunden, nämlich vom 10. Februar bis 20. Dezember 2009. Hat er hingegen, wie von ihm im Rahmen des Klageverfahrens angegeben worden ist, sein Heimatland im September 2009 Richtung Sudan verlassen, so stellt sich die Frage, ob er in Eritrea überhaupt im Gefängnis war und von wann bis wann das der Fall gewesen sein soll. Die Angabe in der fachärztlichen Stellungnahme vom 28. März 2013, "Herr A. war etwa zehn Monate in Haft", ist angesichts dessen so nicht verständlich.
65b) Die Regelung zu 2., die Abschiebung nach Italien werde angeordnet, ist rechtmäßig. Sie findet ihre Grundlage in § 34 a Abs. 1 AsylVfG.
66- vgl. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: Juni 2012, § 27 a Rdnr. 12, unter Bezugnahme auf § 31 Abs. 4 AsylVfG -.
67Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
68Die sonstigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Tenor
1. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Verfahren 7 K 421/14.A gegen den Bescheid vom 30. Januar 2014 wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2I.
3Der aus Mali stammende Antragsteller, gibt an am 00.00.1996 in C. geboren zu sein. Er begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Italien.
4Er wurde am 31.05.2013 von der Bundespolizei in den Räumlichkeiten der Bahnhofsmission im E. Hauptbahnhof angetroffen und gab an, per Zug aus Italien eingereist zu sein und in Deutschland Asyl zu begehren. Handschriftlich gab er an, er sei am 00.00.1996 geboren und gehöre der Volksgruppe der Twi an. Aufgrund Zweifeln der Beamten der Zentralen Ausländerbehörde E. (Erstaufnahmeeinrichtung) an der Altersangabe wurde das Jugendamt der Stadt E. eingeschaltet. Im Rahmen eines dortigen weiteren Gesprächs mit dem Antragsteller ergaben sich keine neuen Erkenntnisse, die Hinweise auf eine Minderjährigkeit ergeben. Im weiteren Verfahrensablauf wurde daher ein Alter von mindestens 18 Jahren angenommen und das Geburtsdatum des Antragstellers fiktiv auf den 01.01.1995 festgelegt. Aus den Behördenakten ergibt sich ein EURODAC-Treffer in Bezug auf Italien (IT1CL00GGF); danach wurde der Antragsteller am 09.09.2011 in D. aufgegriffen und am gleichen Tag seine Fingerabdrücke erfasst.
5Bei seiner Befragung zur Vorbereitung der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 02.09.2013 gab er an, er gehöre dem Stamm der Ashanti an, könne keine Personalpapiere vorlegen und habe sich vor der Ausreise zuletzt in U. /Ghana aufgehalten, wo auch Geschwister von ihm lebten. Die Eltern seien verstorben. Er habe Mali im September 2010 Richtung Niger per Bus verlassen. Nach einem weiteren Zwischenaufenthalt in Lybien von ca. 8 Monaten sei er mit einem Boot nach Italien gereist, wo er ca. ein Jahr gelebt habe. In Italien sei sein Asylantrag abgelehnt worden. Er wolle nicht nach Italien zurück, weil er dort bedroht werde.
6Unter dem 21.11.2013 stellte das Bundesamt ein Übernahmegesuch an die italienischen Behörden, das unbeantwortet blieb. Mit weiterem Schreiben vom 09.12.2013 an das italienische Innenministerium wies das Bundesamt darauf hin, dass mangels Beantwortung der Anfrage vom 21.11.2013 von einer Annahme des Transfergesuchs gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin II VO bzw. Art. 20 Abs. 1 c Dublin II VO auszugehen sei.
7Mit Bescheid des Bundesamtes vom 30.01.2014 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Da die italienischen Behörden auf das Übernahmegesuch vom 21.11.2013 nicht geantwortet hätten, sei von ihrer Zuständigkeit zur Bearbeitung des Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 7 bzw. Art. 20 Abs. 1 c EG-VO Nr. 343/2003 (Dublin II VO) nunmehr auszugehen. Aufgrund des in Italien bereits gestellten Asylantrags sei Italien gemäß Art. 16 Abs. 1 Dublin II VO für die Behandlung des (erneuten) Asylantrags zuständig. Der Bescheid wurde am 11.02.2014 an die Ausländerbehörde des Kreises I. mit der Bitte um Amtshilfe durch Aushändigung des Bescheides an den Antragsteller abgesandt. Nach Angaben des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers erfolgte die Aushändigung erst am 25.02.2014.
8Gegen den Bescheid vom 30.01.2014 hat der Antragsteller am 04.03.2014 Klage erhoben - 7 K 421/14.A - und zugleich um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung trägt er vor, er habe Anspruch auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, der sich nach § 34 Abs. 2 AsylVfG richte. Die Prüfung sei nicht darauf beschränkt, ob die Mindeststandards des Flüchtlingsrechts aufgrund systemischer Mängel in einem Mitgliedsstaat nicht mehr gewährleistet seien. Ergänzend werde auf die Klagebegründung Bezug genommen. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-648/11 (Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV) vom 06.06.2013 sei in Fällen, in denen ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, der keinen sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates rechtmäßig aufhaltenden Familienangehörigen habe, in mehreren Mitgliedsstaaten einen Asylantrag stelle, derjenige Mitgliedsstaat zuständig, in dem sich der Minderjährige aufhalte, nachdem er dort einen Asylantrag gestellt habe. Zudem seien unbegleitete Minderjährige grundsätzlich nicht in einen anderen Mitgliedsstaat zu überstellen. Der Antragsteller sei entsprechend dem von ihm angegebenen Geburtsdatum "00.00.1996" noch minderjährig im Sinne der Legaldefinition des Art. 2 Buchst. h) Dublin II VO. Ergänzend sei davon auszugehen, dass Ungarn nach Art. 3 Dublin II VO zuständig sei. In Italien könne ein den europarechtlichen Standards genügendes Asylverfahren nicht gewährleistet werden.
9Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
10die aufschiebende Wirkung der Klage - 7 K 421/14.A - gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.01.2014 anzuordnen.
11Die Antragsgegnerin beantragt,
12den Antrag abzulehnen.
13Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
14II.
151. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg; denn die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es, wie sich aus den Ausführungen zu 2. ergibt.
162. Der Antrag ist zulässig aber unbegründet.
17Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft, da nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in seiner durch Artikel 1 Nr. 27 b) des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013, BGBl. I S. 3474, geänderten und nach § 77 Abs. 1 VwGO zu beachtenden Fassung solche Eilanträge gegen die Abschiebungsandrohung nunmehr zugelassen sind und der in der Hauptsache erhobenen Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 75 Satz 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung zukommt. Der Antragsteller hat den Eilantrag - entsprechend den Angaben in der Antragsschrift über das Zustellungsdatum - auch innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 30. Januar 2014 und damit fristgerecht im Sinne von §§ 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG/ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG gestellt.
18Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
19Das Gericht folgt der bislang zu § 34a Absatz 2 AsylVfG n.F. ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht erst bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes erfolgen darf, wie dies in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unzulässig oder unbegründet gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG vom Gesetzgeber vorgegeben ist. Eine derartige Einschränkung der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis hat der Gesetzgeber für die Fälle des § 34a Abs. 2 AsylVfG gerade nicht geregelt. Eine solche Gesetzesauslegung entspräche auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, denn eine entsprechende Initiative zur Ergänzung des § 34a Abs. 2 AsylVfG n.F. fand im Bundesrat keine Mehrheit;
20vgl. mit Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens: VG Trier, Beschluss vom 18. September 2013 - 5 L 1234/13.TR, juris, Rn. 5 m.w.N.; VG Göttingen, Beschluss vom 17. Oktober 2013 - 2 B 844/13 -, juris, Rn. 3 f. und VG Düsseldorf, Beschluss vom 07.01.2014 - 13 L 2168/13.A -, juris, Rn. 19.
21Die danach vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich - nicht ausschließlich - an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen. Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zu Lasten des Antragstellers aus, denn der angefochtene Bescheid des Bundesamtes begegnet nach diesen Maßstäben keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellung, dass der Asylantrag unzulässig ist, sowie die Abschiebungsandrohung nach Italien erweisen sich als rechtmäßig.
22Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt.Danach ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
23Für die Prüfung des vom Antragsteller am 06.06.2013 in Deutschland gestellten Asylantrags ist gemäß Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe e) sowie Art. 18 Abs. 7 in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 1 c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-Verordnung), Italien zuständig, da die italienischen Behörden nicht innerhalb der vorgesehenen Fristen auf das Wiederaufnahmegesuch Deutschlands reagiert haben (vgl. Art. 20 Abs. 1 b) Dublin II VO) und von einer vorherigen Ablehnung des Asylerstantrags des Antragstellers in Italien entsprechend dessen Angaben auszugehen ist (vgl. Art. 16 Abs. 1 Buchst. e) Dublin II VO).
24Dem steht zunächst nicht entgegen, dass die Dublin-II-Verordnung durch Artikel 48 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-Verordnung), mit deren Inkrafttreten am 19.07.2013 aufgehoben worden ist. Gemäß Artikel 49 Satz 3 Dublin III-Verordnung erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates für solche Anträge auf internationalen Schutz, die (wie der vorliegende Antrag) vor dem 01.01.2014 eingereicht wurden, weiterhin nach den Kriterien der außer Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II-Verordnung). Der am 06.06.2013 gestellte Asylantrag des Antragstellers umfasst mangels ausdrücklicher Beschränkung gemäß § 13 Abs. 2 AsylVfG zugleich den Antrag auf internationalen Schutz. Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates ist vorliegend mithin weiterhin nach den Kriterien der Dublin-II-Verordnung vorzunehmen. Dies gilt nach Artikel 49 Satz 2 im Übrigen auch für die Verfahrensanforderungen, da auch das Aufnahmeersuchen noch vor dem 01.01.2014 gestellt wurde.
25Die Zuständigkeit Italiens entfällt entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht aus anderen Gründen. Eine Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich weder aus der Regelung in Art. 6 Abs. 2 Dublin II VO (a), noch aus etwaigen systemischen Mängeln des italienischen Asylverfahrens (b) oder aus individuellen Gründen (c), die im vorliegenden Verfahren ein Abweichen von der europarechtlichen Zuständigkeitsstruktur rechtfertigen könnten.
26(a) Die Regelung des Art. 6 Dublin II VO wäre auf den Antragsteller nur dann anwendbar, wenn es sich bei ihm im Zeitpunkt der Asyl(folge)beantragung in Deutschland um einen "unbegleiteten Minderjährigen" gehandelt hätte. Mangels Angehöriger in Italien oder Deutschland wäre gemäß Art. 6 Abs. 2 Dublin II VO dann der Mitgliedsstaat zuständig, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag "gestellt hat". Der Antragsteller hat hingegen die von ihm darzulegende und zur Überzeugung des Gerichts nachzuweisende Tatbestandsvoraussetzung seiner Minderjährigkeit (im Zeitpunkt der Antragstellung) nicht glaubhaft gemacht.
27Vgl. zur Darlegungslast und Glaubhaftmachung: VG München, Urteil vom 31. Oktober 2013 - M 12 K 13.30730 - mit weiteren Nachweisen, juris, Rn. 27.
28Entgegen den völlig unbelegten Angaben des Antragstellers, er sei am "30.08.1996" geboren, ist vielmehr davon auszugehen, dass er zum Zeitpunkt der Antragstellung am 06.06.2013 jedenfalls älter als 18 Jahre war. Hierfür sprechen zunächst die aufgrund des Auftretens des Antragstellers erfolgten Ersteinschätzungen der Polizeibeamten bzw. der Mitarbeiter der Ausländerbehörde in E. . Deren Einschätzung wurde durch Mitarbeiter des Jugendamts in E. , wo ein weiteres Gespräch mit dem Antragsteller keine Anhaltspunkte für dessen Minderjährigkeit ergab, bestätigt.
29Abgesehen hiervon lassen sich den Angaben des Antragstellers im Rahmen der Vorbereitung zur Bundesamtsanhörung am 02.09.2013 weitere Anhaltspunkte entnehmen, die eher gegen das von ihm behauptete Geburtsdatum sprechen. So gab er an, eine "Senior High School in O. , Region C1. B. " zuletzt besucht zu haben. Abgesehen von der unrichtigen Schreibweise ist hiermit die "O. Senior High School in der Region C2. B1. " in Ghana gemeint. Im ghanesisichen Schulsystem durchlaufen die Schüler ab dem sechsten Lebensjahr zunächst sechs Jahre lang eine Primary School und besuchen anschließend drei Jahre lang eine "Junior High School". Erst hieran anschließend erfolgt ab dem Alter von 14/15 Jahren ein Besuch der "Senior High School".
30Vgl. Education in Ghana, ghanaembassy.org und Wikipedia "Education in Ghana".
31Den Angaben des Antragstellers zufolge verließ er hingegen "Mali" im September 2010. Ausgehend von dem behaupteten Geburtsdatum am 30.08.1996 hätte zu diesem Zeitpunkt für ihn frühestens das erste Schuljahr auf der "Senior High School" in Ghana (ab Anfang September 2010) gerade begonnen. Im Übrigen vermögen auch die Angaben des Antragstellers zu einer angeblichen Herkunft aus Mali und dortigen Abreise im Hinblick auf die Angaben zum Schulort in Ghana und der von ihm gesprochenen Sprache Twi bzw. behaupteten Volkszugehörigkeit Ashanti nicht zu überzeugen. Die Sprachen Twi bzw. Akan / Asante sind nicht in Mali gebräuchlich, sondern in Ghana verbreitet. Der Antragsteller gibt im Übrigen an englischsprachig zu sein, während in Mali Französisch als offizielle Landessprache fungiert.
32Gegen das vom Antragsteller behauptete Geburtsdatum spricht ferner, dass ausgehend von dem EURODAC-Treffer "IT1…" davon auszugehen ist, dass er in Italien (IT = Italien) einen Asylantrag (Ziffer 1) gestellt hat (was im Übrigen auch seinen eigenen Angaben entspricht),
33vgl. zu EURODAC Treffer-Kategorien: VG Stade, Beschluss vom 01.10.2012 - 6 B 2303/12 -, juris, Rn. 35; VG München, Beschluss vom 11.02.2014 - M 24 S 13.31330 -, juris, Rn. 32 unter Hinweis auf EURODAC-VO bzw. EG VO Nr. 2725/2000 vom 11. Dezember 2000 und EG-Verordnung Nr. 407/2002 vom 28. Februar 2002 (Durchführungs VO zur EURODAC-VO).
34Eine wirksame Asylbeantragung hätte in Italien hingegen nicht von einem Minderjährigen (ohne Vormund) vorgenommen werden können.
35Vgl. VG München, Beschluss vom 22. Juli 2013 - M 11 S 13.30659 -, juris, Rn. 13 (da in Italien keine Verfahrensfähigkeit im Asylverfahren ab 16 Jahren geregelt sei); VG München, Beschluss vom 21.02.2011 - M 11 E 11.30057, juris Rn. 20, 21; vgl. zur Situation unbegleiteter Minderjähriger und Vormundbestellung: auch VG Saarland, Urteil vom 07.03.2012 - 5 K 502/11 -, juris, Rn. 34 und 45 ff. unter Hinweis auf Bundesamt, Entscheiderbrief 7/2011 "Flüchtlinge in Italien" und i.RED/CIR The Reception and care of unaccompanied minors in eight countries of European Union, Okt. 2010 sowie Gespräche der Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit Vertretern des UNHCR in Rom.
36Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller angibt in Italien sei sein Asylantrag abgelehnt worden (ohne einen dortigen Vormund zu erwähnen) spricht dies für eine dortige Asylbeantragung als Volljähriger.
37Unabhängig hiervon wäre auch unter Berücksichtigung einer eventuellen Minderjährigkeit des Antragstellers trotz der Regelung des Art. 6 Abs. 2 Dublin II VO im Fall einer erneuten Asylbeantragung in Deutschland von einer fortbestehenden Zuständigkeit Italiens auszugehen; denn nach vorheriger (rechtskräftiger) Ablehnung in Italien wäre ein quasi identischer Folgeantrag in Deutschland als unzulässig abzulehnen,
38vgl. EuGH, Urteil vom 06.06.2013 - C 648/11 -, juris, Rn. 63 ff. mit einschränkenden Ausführungen zum Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 2 Dublin II VO für den Fall, dass zuvor das Asylbegehren eines unbegleiteten Minderjährigen bereits im ersten Mitgliedsstaat in der Sache zurückgewiesen wurde; VG Trier, Urteil vom 30. September 2013 - 5 K 987/13.TR -, juris, Rn. 20, wonach solange ein in einem anderen EU-Staat gestellter Asylantrag noch nicht beschieden sei, regelmäßig für unbegleitete Minderjährige der Staat zuständig sei, wo er sich tatsächlich aktuell aufhalte.
39(b) Soweit der Antragsteller unter Berufung auf systemische Mängel des Asylsystems in Italien eine Zuständigkeit Deutschlands reklamiert bzw. aufgrund Ermessensreduzierung einen Anspruch auf Selbsteintritt Deutschlands gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO geltend macht, kann sich das Gericht dem unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnisquellen nicht anschließen.
40Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände besonders zu berücksichtigen, die auf die Situation des jeweiligen Antragstellers zutreffen. Die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen spielen hingegen keine unmittelbare Rolle und können allenfalls ergänzend zur Beurteilung der Situation herangezogen werden,
41vgl. OVG NRW, Urteil vom 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, juris Rn. 130.
42Vorliegend ist danach hier besonders die Situation von Dublin-Rückkehrern in den Blick zu nehmen, die in Italien vergeblich Asyl beantragt haben ("der Asylantrag ist abgelehnt worden") und nunmehr einen Folgeantrag stellen. Für Folgeantragsteller besteht in Italien die Möglichkeit, das Folgevorbringen prüfen zu lassen durch eine sogenannte "Territorial Commission". Wenn diese Kommission zu dem Ergebnis gelangt, es seien "neue Elemente" vorgetragen, erfolgt regelmäßig eine erneute persönliche Anhörung zur Klärung eventueller Abweichungen zum bisherigen Vorbringen. Während eines Asylfolgeverfahrens haben die Antragsteller grundsätzlich dieselben gesetzlichen Garantien wie Erstantragsteller, z.B. können sie erneut in CARA-Wohnsiedlungen unterkommen.
43Vgl. aida, Asylum Information Database, National Country Report, Italy, November 2013, S. 32; VG Minden, Urteil vom 20. Januar 2014 - 10 K 1096/13.A -, juris, Rn. 40 zu auch in Italien bestehenden Möglichkeit, einen weiteren Asylantrag zu stellen.
44Im Übrigen macht sich das Gericht die Einschätzung und Ausführungen des OVG NRW in dessen Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 160 ff. zu eigen, wonach sich Italien trotz festzustellender Mängel und Defizite und unbeschadet mancherseits, auch durch den UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik im Wesentlichen (noch) so verhalten habe, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt ist, noch die aktuelle vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint. Unter Berücksichtigung des Inhalts der im Urteil des OVG NRW wiedergegebenen aktuellen Auskünfte (SFH, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013; aida-Report, November 2013, UNHCR, "UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien", Juli 2013; UNHCR, Auskunft vom Dezember 2013 zum Beweisbeschluss vom 24.04.2012 an VG Freiburg; UNHCR an OVG NRW, Ergänzende Information vom 07.03.14; Bundesamt, Stellungnahme Liaisonbeamtin vom 21.11.13 an OVG NRW zur Unterbringungsproblematik; luise-amtsberg.de, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, 16.01.2014) lässt sich für "Dublin-Rückkehrer" auch bezüglich der Unterkunftssituation und den Möglichkeiten einer medizinischer Versorgung kein Systemversagen feststellen.
45Vgl. hierzu: OVG NRW, Urteil vom 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, juris (für Asylbewerber, der zuvor in Italien keinen Asylantrag gestellt hatte); so auch: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.02.2014 - 10 A 10656/13.OVG -, juris (für in Italien Schutzberechtigte mit Bleiberecht); OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.11.2013 - 4 L 44/13 -, juris (für einen Asylbewerber, des Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen war und der Möglichkeit dort einen Folgeantrag zu stellen, S. 7 des Beschlusses); OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02.10.2013 - 3 L 643/12 -, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 18.03.2014 - 13 LA 75/13 -, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 30.01.2014 - 4 L A 167/13 -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.06.2013 - 7 S 58.13 -, juris.
46Diese Einschätzung steht im Übrigen in Einklang mit mehreren Entscheidungen des EGMR.
47vgl. EGMR, Beschluss vom 18.06.2013 - 73874/11 - (Abubeker), wo systemische Mängel verneint wurden; dies gelte auch im Falle einer psychischen Erkrankung;
48EGMR Beschluss vom 02.04.2013 - 27725/10 - (Mrs. Mohammed Hussein), einer 26-jährige Mutter mit zwei Kleinkindern im Alter von 2 und 4 Jahren;
49weitere Beschlüsse des EGMR: vom 18.06.2013 - 53852/11 - (Halimi), ZAR 2013, 338 f und vom 10.09.2013 - 2314/10 - (Hussein Diirshi);
50Aktuell steht eine Entscheidung der Großen Kammer des EGMR im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 12.02.2014 (betreffend eine afghanische Flüchtlingsfamilie) noch aus: vgl. PRO-Asyl "Sind Abschiebungen nach Italien rechtswidrig ?", 12.02.2014 sowie OVG NRW, Urteil vom 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 190.
51c) Unabhängig von der allgemeinen Situation bestehen zur Überzeugung des Gerichts auch in der Person des Antragstellers keine beachtlichen Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO vorlägen bzw. eine Ermessensreduzierung zu seinen Gunsten geboten wäre. Im Falle einer Überstellung nach Italien wäre er vielmehr gehalten, seinen dortigen Verfahrensstatus (im Hinblick auf eine wirksame Beendigung des ersten Verfahrens und seine Altersangaben) abklären zu lassen und notfalls einen Asylfolgeantrag zu stellen. Durch Kooperation des Antragstellers mit den dortigen Behörden könnte sowohl sonstige Versorgung als auch die Unterkunftsproblematik für ihn gewährleistet werden. Er hat vorliegend keine Umstände dargelegt, die eine für ihn günstigere Beurteilung gebieten würden.
52Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 a Abs. 1 AsylVfG und stellt sich im Hinblick auf die obigen Ausführungen als rechtmäßig dar.
53Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben, vgl. § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
54Der Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (A 4 K 2202/11) gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 25.08.2011 wird angeordnet.
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, dem Regierungspräsidium Karlsruhe mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Italien vorläufig nicht durchgeführt werden darf.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
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Tatbestand
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Die Klägerin ist am (…) 1947 in H. in Syrien geboren. Sie ist verheiratet, yezidischen Glaubens, kurdische Volkszugehörige und sie besitzt die syrische Staatsangehörigkeit. Nach eigenen Angaben reiste sie – zusammen mit ihrer Tochter (...) sowie drei weiteren Kindern – von Syrien kommend am 01. August 2011 zunächst nach Italien, wo sie erkennungsdienstlich behandelt wurde und am 21. August 2011 in B-Stadt einen Asylantrag stellte, und alsdann am 07. September 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 12. September 2011 stellte sie bei der Außenstelle des Bundesamtes in H-Stadt einen (weiteren) Asylantrag.
- 2
Die Beklagte richtete unter dem 07. Februar 2012 an Italien ein Übernahmeersuchen gem. Art. 10 Dublin-II-VO (Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 10.02.2003). Mit Schreiben vom 16. Februar 2012 erklärten die italienischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags der Klägerin.
- 3
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag der Klägerin mit Bescheid vom 13. Juni 2012 als unzulässig ab und ordnete ihre Abschiebung nach Italien an. Nach der Dublin-Verordnung sei Italien für die Bearbeitung ihres Asylantrags zuständig; außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach § 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich.
- 4
Die Klägerin hat am 29. Juni 2012 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, sie könne wegen der allgemeinen Situation von Asylbewerbern in Italien nicht darauf verwiesen werden, in Italien ein Asylverfahren durchzuführen, weil davon auszugehen sei, dass das Asylverfahren dort nicht ordnungsgemäß durchgeführt würde. Sie besitze einen Anspruch auf Asyl und Flüchtlingsschutz sowie Abschiebungsschutz; hierüber sei durch das Bundesamt zu entscheiden.
- 5
Die Klägerin hat beantragt,
- 6
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen und dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gegeben sind.
- 7
Die Beklagte hat beantragt,
- 8
die Klage abzuweisen.
- 9
Sie hat die Ansicht vertreten, Italien erfülle bei der Durchführung von Asylverfahren die Mindeststandards der Europäischen Union. In den italienischen Aufnahmeeinrichtungen seien zahlreiche humanitäre Organisationen tätig, die dies gewährleisten würden. Insbesondere hätten Asylbewerber in Italien vollen Zugang zum Gesundheitssystem. Anders als im Fall Griechenlands gebe es keine Empfehlung des UNHCR, Flüchtlinge nicht an Italien zu überstellen. Dementsprechend habe das Bundesverfassungsgericht auch Verfassungsbeschwerden gegen erstinstanzliche Entscheidungen, denen zufolge eine Abschiebung nach Italien möglich sei, nicht zur Entscheidung angenommen. Ferner sei eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen ergangen, wonach die asylrechtlichen Mindeststandards in Italien gewährleistet seien und woraus sich ergebe, dass der Bericht von Bethke und Bender zu den Problemen der Flüchtlinge in Italien kritisch zu betrachten sei.
- 10
Auf den Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 07. März 2012 – 9 B 57/12 MD – die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung der Klägerin nach Italien vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu unterlassen.
- 11
Mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 verpflichtet, über den Asylantrag der Klägerin in eigener Zuständigkeit zu entscheiden und ein Asylverfahren durchzuführen. Die Klägerin habe nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchführe; das insoweit bestehende Ermessen der Beklagten sei auf Null reduziert. Der Klägerin könne die Durchführung eines Asylverfahrens in Italien nicht zugemutet werden.
- 12
Der Senat hat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Zulassungsantrag, wonach sie an ihrer bisherigen Auffassung festhält, die Klägerin könne in Anbetracht der in Italien gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse auf die Durchführung eines Asylverfahrens dort verwiesen werden.
- 13
Die Beklagte beantragt,
- 14
die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 9. Kammer - vom 10. Juli 2012 abzuweisen.
- 15
Die Klägerin beantragt,
- 16
die Berufung zurückzuweisen.
- 17
Sie macht geltend, die Beklagte beziehe sich zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen auf bloße Vorschriften und eine nicht mehr aktuelle Rechtsprechung, während neue Berichte nicht zur Kenntnis genommen würden. Der Auffassung der Beklagten sei im Hinblick auf die humanitäre Situation in Italien entgegen zu halten, dass sich die Situation der Flüchtlinge in Italien aufgrund des anhaltenden Flüchtlingsstroms aus Tunesien und anderen nordafrikanischen Staaten dramatisch verschlechtert habe. Italien sei bereits zuvor mit der Aufnahme von Flüchtlingen und deren ordnungsgemäßer Unterbringung überfordert gewesen. Aufgrund des momentanen Flüchtlingsstroms nach Italien habe sich die Situation noch verschlechtert; es sei damit zu rechnen, dass der Klägerin bereits aus diesem Grunde ein ordnungsgemäßes Asylverfahren verwehrt werde und dass sie obdachlos würde. Im Übrigen dürfe nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs (Urteil v. 21.12.2011 - C-411/11, C-493/10 -) ein Asylbewerber bereits dann nicht an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-II-VO überstellt werden, wenn ernsthafte Hinweise auf systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat vorlägen, die eine Gefährdung des Asylbewerbers nahe legen würden. Solche ernsthaften Hinweise lägen hier vor. Die vorliegenden Berichte und sonstigen Erkenntnismittel gingen davon aus, dass das staatliche Aufnahmesystem in Italien völlig überlastet sei. Es existierten 3.000 Plätze, die eine Aufnahme von Asylbewerbern für jeweils nur sechs Monate vorsehen würden. Im Jahre 2011 hätten indessen laut Presseberichterstattung (Spiegel online v. 26.04.2011) in Italien bis Anfang Mai bereits 26.000 Flüchtlinge um Schutz nachgesucht.
- 18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten und auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten (Beiakte A) sowie auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 19
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Klägerin mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 zu Unrecht stattgegeben.
- 20
I. Die Klage ist teilweise unzulässig.
- 21
1. Die als Verpflichtungsklage erhobene Klage ist “lediglich“ als Anfechtungsklage zulässig. Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juni 2012 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag der Klägerin gem. § 27a AsylVfG (wegen fehlender Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland) unzulässig ist, ist allein die Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01. 2010 - 11 K 8136/09 -; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009,409; Urt. v. 29.09.2009 - 7 K 269/09.F.A -; Urt. v. 23.06. 2010 - 7 K 2789/09.F.A. -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11. 2011 - AN 11 S 11.30508 -; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -; Beschl. v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A. -; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, alle: Juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27a Rdnr. 18; a. A. statthaft nur die Verpflichtungsklage: OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A - Juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/ 09.WI.A -).
- 22
Im Fall der Aufhebung einer – wie hier – auf § 27a AsylVfG gestützten Entscheidung wegen Unzulässigkeit des Asylantrages ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens („in eigener Zuständigkeit“) vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch ohne ein hierauf gerichtetes Verpflichtungsbegehren eröffnet. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides bereits von Gesetzes wegen zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet (vgl. § 31 Abs. 2 AsylVfG zur Entscheidung des Bundesamtes über beachtliche Asylanträge). Da grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, bedarf es demzufolge einer Verpflichtungsklage nicht (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01.2010, a. a. O.; vgl. auch VG Frankfurt/Main, Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.).
- 23
Überdies muss bezweifelt werden, ob es sich bei der Entscheidung nach Art. 3 Abs. 2 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist – Dublin-II-VO – [z. T. auch „EG-AsylZustVO“ genannt] – (ABl. L 50 vom 25.02.2003, S. 1 -10) um einen (selbständigen) Verwaltungsakt handelt, so dass eine Verpflichtungsklage bzw. – unter Berücksichtigung des im Rahmen der genannten Vorschrift eingeräumten Ermessens – eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung in Betracht kommt, oder ob es sich bei der gem. § Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zu treffende Entscheidung nicht um eine bloß inzidente handelt, da es allein um die Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten geht.
- 24
Ebenso scheidet eine Verpflichtungsklage aus, die unmittelbar auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. § 16a GG bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG oder aber - hilfsweise - auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichtet ist. Denn eine Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht nur dann, wenn ein „mit seinem Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebener Ausländer“ den Klageweg beschreitet (BVerwG, Urt. v. 06.07.1998 - 9 C 45.97 - BVerwGE 107, 128 ff.). Hat hingegen das Bundesamt (noch) keine Sachentscheidung getroffen, so würde dem Betroffenen in dem Falle des “Durchentscheidens“ des Gerichts durch Verpflichtungs-urteil eine Tatsacheninstanz genommen, nämlich dass eine inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgt (ebenso: VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.; VG Schleswig, Urt. v. 03.08. 2011 - 1 A 46/11 - und Beschl. v. 12.09.2011 - 12 A 124/10 -; a. A. VG Braunschweig, Urt. v. 21.02.2013 - 2 A 126/11 - u. a. mit Verweis auf VGH Mannheim, Urt. v. 19.06.2012 - A 2 1355/11 -, Juris).
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Im Übrigen verhält es sich bei der Entscheidung nach § 27a AsylVfG ähnlich wie in Fällen der Entscheidung des Gerichts über eine Einstellung des Asylverfahrens nach§ 32 AsylVfG wegen vermeintlicher Antragsrücknahme bzw. Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG sowie in den Fällen der gerichtlichen Entscheidung bei fiktiver Antragsrücknahme nach§ 33 AsylVfG. In den genannten Fällen ist nach der hierzu ergangenen einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94 -, NVwZ 1996, S. 80 = Juris; vgl. auch Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m. w. N.) die Verpflichtungsklage unzulässig, weil die verweigerte sachliche Prüfung des Asylantrages nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen ist.
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Auch ist im Hinblick auf die mit dem angefochtenen Bescheid angeordnete Abschiebung der Klägerin nach § 34a Abs. 1 AsylVfG die Verpflichtungsklage nicht veranlasst und stattdessen eine Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO ausreichend (vgl. VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O. und Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 34a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a. a. O., § 34a Rdnr. 64). Soweit es nämlich darum geht, dass die Beklagte von einem Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02. September 2003 (Abl. L 222 S. 3) Gebrauch macht, bedarf es im Urteil über eine entsprechende inzidente Feststellung hinaus keiner ausdrücklichen Verpflichtung der Beklagten, von einer Abschiebung abzusehen.
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Es ist vorliegend davon auszugehen, dass die Anfechtungsklage vom Verpflichtungsbegehren der Klägerin (mit-)umfasst ist. Gegenstand der Anfechtungsklage ist nach allem ausschließlich die Frage nach der Zuständigkeit der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens, wobei die Frage nach dem rechtlich gebotenen Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland inzident zu beantworten ist.
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2) Der Klägerin steht für ihre Klage auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse zur Seite, da sie weiterhin nach Italien zurückgeführt bzw. rücküberstellt werden könnte, nachdem die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 d. Sachakte) ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung ihres Asylantrags erklärt haben, indem sie dem Übernahmeersuchen stattgegeben und damit ihrer Rücküberstellung zugestimmt haben.
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II. Die Klage ist im Übrigen unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Asylantrag der Klägerin zu Recht als unzulässig abgelehnt und zugleich ihre Abschiebung nach Italien angeordnet. Es musste im vorliegenden Fall insbesondere auch nicht von der Möglichkeit des Selbsteintritts der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch machen.
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1) Rechtsgrundlage des Bescheides vom 13. Juni 2012, mit dem das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin als unzulässig abgelehnt hat, ist § 27a AsylVfG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier der Fall. Zu Recht ist die Beklagte im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass die Republik Italien für die Durchführung eines Asylverfahrens der Klägerin zuständig ist.
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a) Die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO, sofern nicht die nach Art. 5 Abs. 1 der genannten Verordnung vorrangig zu prüfenden Zuständigkeitskriterien nach Art. 6 bis 9 der Verordnung einschlägig sind.
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Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, sofern auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 der Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III derVerordnung (EG) Nr. 2725/2000, festgestellt wird, dass der Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze des Mitgliedstaats illegal überschritten hat (vgl. auch Art. 18 Abs. 4 und 5 Dublin-II-VO).
- 33
Dies bedeutet, dass – soweit nicht die Vorschriften nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO einschlägig sind – im vorliegenden Fall Italien für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zuständig ist, da sie ihren eigenen Angaben zufolge aus Syrien kommend die Grenze nach Italien illegal überschritten hat (und dort – in B-Stadt – am 21. August 2011 zugleich einen Asylantrag gestellt hat [Bl. 108 ff. d. Sachakte]).
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Die insoweit gegebene Zuständigkeit endet zwar gem. Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Die Klägerin hat jedoch am 12. September 2011 und damit noch vor Ablauf der Jahresfrist ihren Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt, so dass die Zuständigkeit Italiens nicht nach Satz 2 entfallen ist. Die Einreise der Klägerin nach Italien erfolgte am 07. September 2011; die Jahresfrist lief somit am 07. September 2012 ab. Dass die Frist nunmehr abgelaufen ist, ist unschädlich, weil für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Art. 5 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Situation in dem Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
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b) Im Falle der Klägerin sind auch die Voraussetzungen nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich Art. 7 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist, wo ungeachtet dessen, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat, der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, sowie hinsichtlich Art. 8 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – dem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrages obliegt, in dem der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, über dessen Asylantrag noch keine erste Sachentscheidung getroffen wurde. Die genannten Vorschriften sind im Falle der Klägerin jedoch nicht einschlägig.
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Es ist schon nicht ersichtlich, dass die nach Art. 7 und 8 der Verordnung genannten Voraussetzungen bei der Tochter der Klägerin, mit der sie zusammen in das Bundesgebiet eingereist ist, oder bei ihren in Deutschland lebenden volljährigen Kindern vorliegen. Dies kann aber auch dahin stehen. Denn jedenfalls gelten die genannten Personen nicht als „Familienangehörige“ i. S. d. Dublin-II-VO. Hierzu gehört nach Art. 1 Buchst. i) der Verordnung nur die Mitglieder der “Kernfamilie“, d. h. die Ehegatten des Asylbewerbers und unter bestimmten Voraussetzungen der nicht verheiratete Partner des Asylbewerbers, die minderjährigen Kinder der genannten Personen sowie bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern oder Flüchtlingen der Vater, die Mutter oder der Vormund. Ein solches Verwandtschaftsverhältnis der Klägerin zu den mit einreisenden bzw. in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kindern besteht jedoch nicht.
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c) Ebenso sind bei der Klägerin die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Nach Art.15 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien der Verordnung nicht zuständig ist. Dass die Klägerin vorliegend aus humanitären Gründen mit ihren Familienangehörigen zusammenzuführen ist und nicht auch auf ein eigenständiges Leben in Italien verwiesen werden kann, zumal ihre Kinder teilweise in Deutschland, teilweise in Österreich leben bzw. teilweise ihr Aufenthalt unbekannt ist, lässt sich nicht feststellen. Die Klägerin befindet sich in Begleitung ihrer volljährigen Tochter; beide sind reisefähig und nach Italien zu überstellen.
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Ebenso sind die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt, wonach im Regelfall von einer Trennung der Familienangehörigen abzusehen bzw. eine Zusammenführung vorzunehmen ist, wenn die betroffene Person u. a. wegen einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung durch die anderen Person(en) angewiesen ist. Diese Voraussetzungen liegen bei der 67-jährigen Klägerin nicht vor; entsprechendes ist jedenfalls nicht vorgetragen worden.
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Eine andere Einschätzung ist auch nicht im Hinblick auf die einleitende Erwägung zu Nr. 6 Dublin-II-VO veranlasst, wonach die Einheit der Familie (grundsätzlich) gewahrt bleiben soll, soweit dies mit den sonstigen Zielen vereinbar ist, die mit den Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrages zuständigen Mitgliedstaats angestrebt werden. Nicht anders verhält es sich mit Blick auf die einleitende Erwägung nach Art. 7 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach die Mitgliedstaaten von den Zuständigkeitskriterien abweichen können, um eine räumliche Annäherung von den Familienmitgliedern vorzunehmen, soweit dies aus humanitären Gründen erforderlich ist. Bei den genannten Regelungen handelt es sich indes um bloße programmatische Vorgaben, aus denen sich, unabhängig davon, dass die Voraussetzungen hier nicht vorliegen dürften, für die Asylbewerber keine unmittelbaren Rechte ableiten lassen.
- 40
d) Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Zwar hat das Bundesamt nicht innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags der Klägerin vom 12. September 2011 ein Wiederaufnahme- bzw. Übernahmeersuchen an die Republik Italien gestellt; das war indes auch nicht erforderlich. Da die Klägerin bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hat, steht in ihrem Fall eine Wiederaufnahme durch Italien im Sinne des Art. 16 Abs.1 c) bis e) Dublin-II-VO in Rede, nicht hingegen eine Aufnahme seitens Italiens im Sinne des Art. 16 Abs.1 a) Dublin-II-VO. Die Dublin-II-VO unterscheidet insoweit gem. Art.16 Abs.1 lit. a) einerseits und Art. 16 Abs. 1 lit. c) bis e) andererseits zwischen der Überstellung des Asylsuchenden in einem Aufnahmeverfahren gemäß den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO und einer Überstellung im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 20 Dublin-II-VO. Das Aufnahmeverfahren findet statt, wenn der Asylsuchende im ersuchten Mitgliedstaat noch keinen Asylantrag gestellt hat, während das Wiederaufnahmeverfahren einschlägig ist, wenn dort bereits ein Asylantrag gestellt wurde. Insofern wird der Anwendungsbereich der nachfolgenden Art. 17 bis 20 Dublin-II-VO durch Art. 16 Dublin-II-VO bestimmt.
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Aus der systematischen Trennung zwischen Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren folgt, dass im Wiederaufnahmeverfahren keine Frist für das Übernahmeersuchen gilt, denn die insofern allein maßgebliche Regelung des Art. 20 Dublin-II-VO normiert weder selbst eine solche Frist, noch nimmt sie auf die für das Aufnahmeverfahren geltende Regelung in Art. 17 Abs.1 Dublin-II-VO Bezug. Es verhält sich gerade nicht in der Weise, dass Art. 20 Dublin-II-VO nur spezielle Modalitäten für die Wiederaufnahme regelt und im Übrigen die Regelungen der Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO anwendbar wären. Vielmehr handelt es sich bei den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO einerseits und dem Art. 20 Dublin-II-VO andererseits um jeweils eigenständige Regelungskomplexe (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 06.02.2013 - 17 L 150/13.A -; Beschl. v. 26.04.2013 - 17 K 1777/12.A -; VG Hamburg, Beschl. v. 22.09.2005 - 13 AE 555/05 -; VG Augsburg, Gerichtsbescheid v. 09.05.2011 - Au 3 K 10.30468 - Juris; VG Regensburg, Beschl. v. 05.07.2013 - RN 5 S 13.30273 -; VG Göttingen, Beschl. v. 11.10.2013 - 2 B 805/13 -; a.A.: VG Düsseldorf, Beschl. v. 07.08. 2012 - 22 L 1158/12.A -, alle: Juris).
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Art. 17 Abs.1 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, zuständig wird, wenn das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten unterbreitet wird, findet im Fall der Klägerin folglich keine Anwendung, so dass sich hieraus auch keine Zuständigkeit der Beklagten ergibt. Dementsprechend haben die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 R, 116 d. Sachakte) auch ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme bzw. Übernahme der Klägerin erteilt.
- 43
e) Ferner ist die Zuständigkeit nicht nach Art. 19 Abs. 3 und 4 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO erfolgt die Überstellung des Schutzsuchenden von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin-II-VO i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Dabei ist unerheblich, dass die Entscheidung der Beklagten nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 der Verordnung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat; allein entscheidend ist, dass ihr eine solche durch eine entsprechende gerichtliche Entscheidung zuerkannt worden ist (vgl. Hess.VGH, Beschl. v. 23.08.2011 - 2 A 1863/10.Z.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.06.2012 - A 2 S 1355/11 -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; offengelassen: OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -, alle: Juris).
- 44
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 02. August 2012 - 4 MC 133/12 - (< Rn. 17 zitiert nach Juris >) zu § 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO und zu dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin-II-VO grundsätzlich vorgesehenen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ausgeführt:
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„Der Annahme der aufschiebenden Wirkung des hier eingelegten Rechtsbehelfs steht auch nicht die Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 Satz 4 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 entgegen. Danach hat ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nach Absatz 1 keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem inner-staatlichen Recht zulässig ist. Zwar darf nach § 34a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) nicht nach§ 80oder § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung ausgesetzt werden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass durch diese Vorschrift eine andere Entscheidung im Sinne von Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Hs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts ausgeschlossen ist und daher ein Rechtsbehelf wegen § 34a Abs. 2 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 haben kann. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr ausdrücklich entschieden, dass der Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 34a Abs. 2 AsylVfG in den Fällen, in denen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) erfolgen soll, in Ausnahmefällen, die nicht vom „normativen Vergewisserungskonzept“ des Gesetzgebers über die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in einem sog. sicheren Drittstaat erfasst sind, der Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz gegen eine sofortige Überstellung nicht entgegensteht (BVerfG, Urt. v. 14.5. 1996, a. a. O.). Diese Rechtsprechung wird - soweit ersichtlich - von den Verwaltungsgerichten auf die Abschiebung in einen anderen Staat, der nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, mit der Begründung übertragen, dass die vom Bundesverfassungsgericht angestellten Erwägungen zu § 26a AsylVfG auch auf die Vorschrift des§ 27a AsylVfG zutreffen, weil die nach europäischen Recht für die Asylentscheidung zuständigen Mitgliedstaaten zugleich sichere Drittstaaten im Sinne von § 26a AsylVfG sind (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 1.3.2012 - 1 B 234/12.A - und v. 11.10. 2011 - 14 B 1011/11.A -; ferner Nds. OVG, Beschl. v. 2.5.2012 - 13 MC 22/22 - und Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-). Unter diesen Umständen kann daher keine Rede davon sein, dass es nach der innerstaatlichen Rechtslage in Deutschland unzulässig sei, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellung auf der Grundlage der Zuständigkeitsbestimmungen in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 anzuordnen. Unabhängig davon stellt die für den Fristenbeginn der Überstellung maßgebliche Vorschrift des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 nach ihrem Wortlaut auch ausdrücklich darauf ab, dass einem eingelegten Rechtsbehelf tatsächlich aufschiebende Wirkung zukommt und nicht darauf, ob es nach dem innerstaatlichen Recht zulässig ist, die aufschiebende Wirkung anzuordnen (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-).
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Läuft danach die Frist zur Überstellung aufgrund des von dem Antragsteller eingelegten Rechtsbehelfs erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens bezüglich der Durchführung der Überstellung entschieden wird und die der Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann, kann dahinstehen, ob insoweit das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn bereits ausreichend ist oder es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf (so Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.“
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Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an und macht sie sich zu Eigen.
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Da die Klägerin – nach Erlass des angefochtenen Bescheides vom 13. Juni 2012 – gegen ihre Überstellung innerhalb der Frist, bis zu der gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin-II-VO ihre Überstellung nach Italien vorbehaltlich eventuell zu treffender weiterer Maßnahmen erfolgen konnte, einen Rechtsbehelf gegen ihre Überstellung eingelegt hat, dem mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom Beschluss vom 07. März 2012 - 9 B 56/12 MD - aufschiebende Wirkung beigemessen worden ist, beginnt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO eine (neue) sechsmonatige Frist zur Überstellung der Klägerin (erst) ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Klage. Diese Frist ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch nicht abgelaufen, denn der Senat hat dem Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 entsprochen. Nach allem kann hier dahingestellt bleiben, ob im Grundsatz das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn hinsichtlich der Überstellung bereits ausreichend ist oder ob es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf, da die Klägerin jedenfalls erstinstanzlich obsiegt hat.
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2) Die Beklagte ist für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin auch nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zuständig, denn die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, das Selbsteintrittsrecht auszuüben.
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Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-II-VO zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (a. a. O. Satz 3). Ob der Mitgliedstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht dabei grundsätzlich in seinem Ermessen, welches – weil integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen Europäischen Asylsystems (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/ 10 und C-493/10 -,
) – in Übereinstimmung mit den insoweit geltenden unionsrechtlichen Bestimmungen und von den Mitgliedstaaten verfolgten Zielen auszuüben ist.
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Art. 3 Dublin-II-VO ist auch geeignet, subjektive Rechte der Klägerin zu begründen, die von ihr gegen eine vorgesehene Überstellung (Rückführung) in den nach dieser Verordnung für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat geltend gemacht werden können (vgl. dazu den Vorlagebeschluss des Hess.VGH v. 22.12.2010 - 6 A 2717/09.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02. 08.2012 - 4 MC 133/12 - m. w. N., Juris; ferner Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 37 ff. m. w. N.). Denn auch wenn es sich bei Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO um eine Ermessensvorschrift handelt, kann sich der Betroffene – hier die Klägerin – auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gem. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung berufen. Diese Bestimmung ist – anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 25) – nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ihm ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Begünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung der Rechtsnorm besitzen (vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62 -, Slg. 1963, 1 [24] = NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04. 12.1974 - Rs. C-41/74 -, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81 -, Slg. 1982, 53 [71] = NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Dublin-II-VO dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 124 m. w. N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der Europäische Gerichtshof in dem zur Dublin-II-VO ergangenen Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 – (Rdnr. 38, 48 zur Frage des Rechtsschutzes, NVwZ 2009, S. 639 = Juris) aus.
- 52
Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO lediglich das Recht auf eine fehlerfreie Ermessensausübung – welches gegebenenfalls aber auf Null reduziert sein kann (vgl. VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08. 30122 -; Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 134 f. und 223 m. w. N.; Marx, a. a. O. § 27a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser / Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/ Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u. a. und des Belgischen Conseil d'Etat / Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).
- 53
Aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck in der Norm selbst nicht seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 220; Filzwieser / Liebminger, a. a. O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 EG-Vertrag in der Fassung des Amsterdamer Vertrages vom 02. Oktober 1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
- 54
Nach Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) EG-Vertrag beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie mit einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Dublin-II-VO erlassen. Im Erwägungsgrund Nr. 5 wird hierzu ausgeführt, dass bezüglich der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf längere Sicht zu einem gemeinsamen Asylverfahren und einem unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird, führen sollte, im derzeitigen Stadium die Grundsätze des am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichneten Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gestellten Asylantrags(4) (nachstehend „Dubliner Übereinkommen“ genannt), dessen Durchführung die Harmonisierung der Asylpolitik gefördert hat, mit den aufgrund der bisherigen Erfahrungen erforderlichen Änderungen beibehalten werden sollten. Weiterhin wird insbesondere im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - EuGrdRCh - anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 EuGrdRCh verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
- 55
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, Juris) lässt das im EU-Vertrag vorgesehene und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeitete gemeinsame Europäische Asylsystem allerdings die Annahme begründet erscheinen, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 (GFK) sowie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - (EMRK) finden. Es gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta und der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. M. a. W. ausgehend von der Annahme, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i. S. d. Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz (GG) bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden „Konzepts der normativen Vergewisserung“ (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/133 - Juris, Rn. 179 ff.) bzw. des „Prinzips des gegenseitigen Vertrauens“ (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - Rs C-411/10 und C-393/10 – Juris, Rn. 79 ff.) grundsätzlich davon auszugehen, dass die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Grundrechtscharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention in diesen Ländern sichergestellt ist. Auch die Dublin-II-Verordnung beruht wie jede andere auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK, der EMRK und der EuGrdRCh in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und Nr. 12 Dublin-II-VO und Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EG-Vertrag, - so auch VG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 02.10.2008 - 6 B 56/08-, Juris und VG Regensburg, Beschl. v. 15.09.2008 - RO 3 E 08.30124 - Juris).
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Dies bedeutet zugleich, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris) ein Ausländer, der in einen sicheren Drittstaat zurück verbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern kann, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Für ihn kommen deshalb entsprechend dem mit Art. 16a Abs. 2 GG verfolgten „Konzept normativer Vergewisserung“ über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, grundsätzlich nicht in Betracht.
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Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland dann Schutz zu gewähren, wenn ein solcher durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des „Konzepts normativer Vergewisserung“ durch Gesetz berücksichtigt werden konnten oder aber sich die für die Qualifizierung als “sicher“ maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung hierauf noch aussteht. So sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a. a. O.) Ausnahmen u. a. dann geboten, wenn der Drittstaat gegenüber dem Schutzsuchenden selbst zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird, oder wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer der Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (vgl. zur Problematik der Bestimmung des „sicheren Drittstaates“: BVerfG, Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 - DVBl. 2009, 1304; Lübbe-Wolff, Das Asylgrundrecht nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 - DVBl. 1996, 825 ff.; s. insbesondere auch zur europa-rechtlichen Dimension: Weinzierl / Hruschka, Effektiver Rechtsschutz im Lichte deutscher und europäischer Grundrechte, NVwZ 2009, 1540 ff.).
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Vergleichbares gilt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn es um die Rückführung eines Ausländers in den für seinen Asylantrag zuständigen Staat im Sinne des § 27a AsylVfG geht. Dies bedeutet, dass auch der Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO „nur“ eine Ausnahme darstellt bzw. Sonderfällen vorbehalten ist. Denn eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat oder in den nach europäischem Recht oder Völkerrecht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, ist nur dann veranlasst, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme aufdrängt, dass der Asylbewerber von einem der im normativen Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 GG und der §§ 26a, 27a, 34a AsylVfG nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind dabei auch im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris). Die Annahme eines sicheren Drittstaates ist daher nur dann widerlegt, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh bzw. der inhaltlich identischen Vorschrift des Art. 3 EMRK (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EuGRrdRCh) implizieren.
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Nach der zu Art. 3 EMRK ergangenen Rechtsprechung des EGMR, auf die zur Auslegung von Art. 4 EuGrdRCH zurückzugreifen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 21.01.2011, 2011 - No. 30696 – M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, Rn. 88 m. w. N. – Juris) ist eine Behandlung unmenschlich, wenn sie absichtlich erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Eine Behandlung ist hingegen als erniedrigend anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und dadurch fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert, oder wenn sie Angst, Furcht oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder physischen Widerstand der Person zu brechen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.01.2011, a. a. O., Rn. 220 m. w. N.).
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Die ernsthafte Befürchtung grundlegender Mängel besteht nur dann, wenn in einem Mitgliedstaat eine ständige Verletzung der Kernanforderungen des europäischen Asylrechts, wie sie in den Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union ihren Niederschlag gefunden haben, stattfindet und dadurch die Menschenwürde, das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Flüchtlings beeinträchtigt wird (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Beschl. v. 22.12.2008 - 13 L 1993/08.A - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84.11 A - Juris; VG Hannover, Beschl. v. 07.06.2011 - 1 B 2106/11 - asyl.net; VG Düsseldorf, Beschl. v. 12.09.2011 - 6 L 866/11.A - Juris; Lehnert / Pelzer, Effektiver Rechtsschutz im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin II-Verordnung, ZAR 2010, 41 ff.; Lehnert/Pelzer, Der Selbsteintritt der Mitgliedstaaten im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin-II-Verordnung, NVwZ 2010, 613 ff.). Bei der Beurteilung der Frage, ob für Asylbewerber in Italien dementsprechend ein “richtliniekonformes“ Verfahren gewährleistet ist, ist dabei zunächst das Schutzniveau in den Blick zu nehmen, das sich aus Art. 28 (Sozialleistungen) und Art. 31 (Zugang zu Wohnraum) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 – Qualifikationsrichtlinie – ergibt und sodann jenes, das sich für das Asylverfahren aus der Dublin-II-VO selbst ergibt. Zugleich ist als Maßstab die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten heranzuziehen sowie die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Danach gehören zu den Kernanforderungen des europäischen Asylrechts der Zugang zu einem geordneten Asylverfahren und die Gewährung materieller Aufnahmebedingungen, welche die Grundbedürfnisse nach Unterkunft, Nahrung und medizinischer Versorgung abdecken.
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Die vorstehend aufgezeigten Grundsätze stehen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat mit Urteil vom 21.12.2011 - C 411/10 und C-493/10 - (Juris) ausgeführt, das Gemeinsame Europäische Asylsystem sei in einem Kontext entworfen, der grundsätzlich die Vermutung rechtfertige, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Gleichwohl könne – so der Gerichtshof – nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoße, so dass die ernstzunehmende Gefahr bestehe, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt würden, die mit den Grundrechten unvereinbar sei. Dabei berühre nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Dublin-II-VO. Sei jedoch ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufwiesen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Grundrechtscharta implizierten, so sei eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar.
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Bei der Beurteilung der anstehenden Frage nach dem Vorliegen eines systemischen Versagens in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in dem Mitgliedstaat ist überdies nicht (allein) darauf abzustellen, welche (abstrakte) Rechtslage dort herrscht, mithin ob etwa die vorgenannten Richtlinien in nationales Recht umgesetzt wurden, sondern es sind (ebenfalls) die konkreten bzw. realen Verhältnisse für die Asylbewerber, mithin die bestehende tatsächliche Verwaltungs- und Rechtspraxis in den Blick zu nehmen (ebenso VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009, 406 = Juris).
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Ferner ist darauf abzustellen, ob es sich bei eventuell feststellbaren Defiziten und Mängeln, etwa in Form von Rechtsverstößen und zu erwartenden Beeinträchtigungen, nur um Einzelfälle oder – soweit es sich nicht nur um Einzelfälle handelt – um bloße vorübergehende, temporäre Erscheinungen handelt, die etwa einer überraschenden Entwicklung geschuldet sind, denen aber in naher Zukunft voraussichtlich abgeholfen wird. Anders verhält es sich indes in jenen Fällen, in denen aufgrund einer Vielzahl von Referenzfällen hinreichend belegte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die Missstände und Unzulänglichkeiten dauerhaft manifestiert haben. Die insoweit erforderliche Feststellung des Vorliegens systemischer Mängel und Missstände hat somit eine quantitative wie qualitative Komponente. Ob die desolaten Verhältnisse im Mitgliedstaat dabei darauf zurückzuführen sind, dass dieser zur Schaffung geordneter und richtlinienkonformer Verhältnisse nicht bereit oder nicht in der Lage ist, macht dabei grundsätzlich keinen Unterschied.
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3) In Anwendung der genannten Kriterien ist im Fall der Klägerin von Folgendem auszugehen:
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Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, in Ausübung des insoweit bestehenden Ermessens von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen. Auch kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, sie besitze zumindest einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO, um als Ausnahme von den sonstigen Zuständigkeitsregeln der genannten Verordnung die Prüfung ihres Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. Diesem Recht der Klägerin ist mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten entsprochen worden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte ihr Ermessen verkannt hätte; auch rechtfertigt sich nicht die Annahme des Vorliegens eines formellen Ermessensfehlers, da keinerlei Gründe vorliegen, die einen sog. Selbsteintritt zu rechtfertigen vermögen.
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Zur Überzeugung des Senats ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie von “Dublin-II-Rückkehrern“ in Italien nicht ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und / oder die Aufnahmebedingungen dort derart grundlegende Mängel aufweisen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh zu erwarten steht. Der Senat ist vielmehr unter Anlegung der zuvor genannten strengen Maßstäbe zur Überzeugung gelangt, dass für die nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. rücküberstellten Asylbewerber in der Gesamtschau ein ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren gewährleistet ist und dass für den Fall der Abschiebung bzw. Rückführung der betroffenen Asylsuchenden zwecks Durchführung eines Asylverfahrens nicht mit schwerwiegenden Rechtsverstößen und Beeinträchtigungen zu rechnen ist (ebenso oder ähnlich u. a.: OVG Lüneburg, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -; Beschl. v. 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 –; VG Bremen, Beschl. v. 15.04.2013 - 2 V 440/13.A -; VG Regensburg, Beschl. v. 05.02.2013 - RN 5 S 13.30026 -; Beschl. v. 26.02.2013 - RN 9 K 11.30445 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 17.09.2012 - 13 L 1447/12.A -; Beschl. v. 08.01.2013 - 6 L 104/13.A - und Beschl. v. 06.02. 2013 - 17 L 150/13.A -; VG Augsburg, Urt. v. 11.01.2013 - Au 6 K 12.30358 -; VG Leipzig, Urt. v. 07.12.2012 - A 1 K 973/11 -; VG München, Beschl. v. 08.11.2012 - M 15 E 12.30772 -; VG Würzburg, Beschl. v. 30.10.2012 - W 6 E 12.30288 -; VG Trier, Beschl. v. 25.10.2012 - 5 L 1146/12.TR -; VG Schwerin, Beschl. v. 27.09. 2012 - 8 B 434/12 As -; VG Bayreuth, Urt. v. 12.06.2012 - B 3 K 11.30142 - [bestätigt durch BayVGH, Beschl. v. 6.02.2013 - 20 ZB 12.302856 -]; a. A. oder eine Entscheidung in der Hauptsache vorbehaltend: VG Köln, Beschl. v. 07.05.2013 - 20 L 613/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 30.04.2013 - 10a L 484/13.A -; VG Schwerin, Beschl. v. 15.03.2013 - 3 B 111/13 As -; VG Aachen, Beschl. v. 14.03. 2013 - 9 L 53/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 19.02.2013 - 15a L 194/13.A -; Beschl. v. 27.02.2013 - 15a L 194/13.A -; VG Gießen, Urt. v. 24.01.2013 - 6 K 1329/12.Gl.A -; VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.10.2012 - A 9 K 2386/12 - und Beschl. v. 22.01.2013 - A 9 K 179/13 -; VG Stuttgart, Beschl. v. 08.01.2013 - A 7 K 3929/12 -; VG des Saarlandes, Beschl. v. 03.09.2012 - 3 L 789/12 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 29.08.2012 - 14 L 1392/12.A – alle: Juris; VG Freiburg, Beschl. v. 27.10.2011 - A 5 K 2081/11 -; VG Magdeburg, Beschl. v. 17.07.2012 – 9 B 148/12 -; Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 100/11 -; Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -; vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/ 12.A - Juris). Das Asylsystem in Italien mit dem dort geregelten und praktizierten Aufnahme- und Asylverfahren einschließlich der Unterbringungs- und Versorgungslage für die in Italien schutzsuchenden Flüchtlinge und Asylbewerber entspricht den Anforderungen des europäischen Asylsystems, selbst wenn es in Teilbereichen gewisse Mängel und Defizite aufweist. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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a) Nach dem dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterial ist davon auszugehen, dass für Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien, jedenfalls soweit es sich um Dublin-II-Rückkehrer handelt, grundsätzlich ein geordnetes Aufnahmeverfahren und auch ein ungehinderter Zugang zum Asylverfahren gewährleistet sind.
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Der Senat verkennt nicht, dass es in Italien für Asylbewerber und Flüchtlinge – und zwar bis in die jüngste Vergangenheit hinein – eine Vielzahl von Einreiseverweigerungen und Abschiebungen gegeben hat, bevor ein Asylverfahren durchgeführt werden konnte bzw. ein solches abgewartet worden wäre. Namentlich sind Fälle bekannt geworden, wonach es Zurückweisungen von Flüchtlingen auf hoher See und vor der italienischen Küste, aber auch vom italienischen Territorium gegeben hat, die offenbar darauf abzielten, den Strom von Flüchtlingen – insbesondere aus Nordafrika – abzuwehren, die in Italien Zuflucht haben suchen wollen (vgl. UNHCR, Bericht v. 16.08. 2011: „Hunderte Neuankömmlinge aus Libyen und Tunesien in Italien“, abrufbar unter: http://www.unhcr.de/print/home/artikel/042d9651d6d525aad46e97d7ee7848db/hunde).
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Trotz der bekannt gewordenen zahlreichen Verstöße gegen das Refoulement-Verbot und teilweise vorhandener unangemessener Erschwernisse beim Zugang zu einem Asylverfahren in Italien in den vergangenen Jahren lässt sich aber – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats betrifft – nicht (mehr) davon ausgehen, dass es, sieht man einmal von Einzelfällen ab, in Italien gegenwärtig noch zu derartigen gravierenden Rechtsverletzungen kommt, wie sie in der Vergangenheit zu beklagen waren.
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Vielmehr sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlingen und Asylsuchenden, die in Italien um Schutz nachsuchen wollten, bei ihrer Einreise auf dem Seeweg oder auf dem Landwege die Einreise oder der Aufenthalt in Italien verweigert worden sind (AA, Auskunft v. 21.02. 2013 an OVG LSA, Anm. 1.1.). Ebenso sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende nach ihrer Einreise nach Italien in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben worden sind, ohne dass sie in Italien den von ihnen beabsichtigten Asylantrag stellen konnten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 1.2.). Schließlich sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes in jüngster Zeit auch keine Fälle (mehr) bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende trotz eines in Italien gestellten Asylantrages in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben wurden (AA, a. a. O. Anm. 1.2.). Hiernach lässt sich zumindest gegenwärtig nicht mehr die Feststellung treffen, dass in Italien der Anspruch Schutzsuchender auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens generell oder auch nur regelmäßig vereitelt wird (bereits für die Vergangenheit verneinend u. a.: VG Hannover, Beschl. v. 07.07. 2011 - 1 B 2106/11 - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84/11 - Juris). Dies bedarf hier indes keiner Vertiefung.
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Denn jedenfalls lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen, dass für die im Rahmen des Verfahrens nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. zurückgeführten Asylbewerber regelmäßig oder sogar überwiegend ein ordnungsgemäßes Asylverfahren nicht gewährleistet ist. Aufgrund eines für diesen Personenkreis gesetzlich speziell geregelten Rückführungsverfahrens ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass diese nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren dort bereits gestellten Asylantrag weiterverfolgen bzw. erstmals einen Asylantrag stellen können und ihnen insoweit der Zugang zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren nicht versperrt wird. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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Asylbewerber, die gemäß dem Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehren bzw. zurückgeführt werden, treffen in der Regel auf dem Luftweg auf den Flughäfen Fiumicino in Rom, Malpensa in Mailand, Bergamo, Venedig, Bari, Brindisi oder Ancona ein. Dort werden sie – auch wenn es in Italien kein Flughafenverfahren wie in Deutschland gibt (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)) – von der Polizei in Empfang genommen und es wird ihnen eine Unterkunft in einer der Aufnahmeeinrichtungen zugeteilt, sofern ein Asylantrag gestellt wird bzw. ein Asylverfahren, bei dem Verfahrensstand, der bei Ausreise aus Italien vorlag, weitergeführt werden soll (zu allem: Schweizerische Flüchtlingshilfe, „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien. Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende“, Mai 2011, S. 17 und AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 1.4.). Die Polizei macht in diesen Fällen die verantwortliche Questura ausfindig und fordert die Rückkehrer auf, sich dorthin zu begeben. Dabei werden auch die Reisekosten übernommen (Schweizerischen Flüchtlingshilfe, a. a. O., S. 17) bzw. die Person bekommt, wenn die zuständige Questura weiter entfernt ist (Beispiel: Dublin-Rückkehr nach Rom, zuständige Questura in Catania), ein Zugticket ausgehändigt, um dort hinzureisen (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).
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Wenn die Dublin-Rückkehrer von deutschen Beamten /Polizisten begleitet werden, gibt es insoweit keine Unterschiede. Bei ihrer Ankunft werden alle Dublin-Rückkehrer von der Polaria (Luftpolizei) am Flughafen Fiumicino empfangen. Sie werden erneut erkennungsdienstlich behandelt und es erfolgt die Feststellung, welche Questura in Italien für die Person zuständig und wie der Stand des Verfahrens ist (AA, Auskunft v. 11. 09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).
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Bei ihrer Ankunft werden die Ausländer – so auch die Dublin-II-Rückkehrer – von der am Flughafen zuständigen Hilfsorganisation „Confederazione Nazionale delle Misericordie d’Italia“ betreut und in Anwesenheit von Dolmetschern über den weiteren Verfahrensablauf unterrichtet (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW - zu Frage a.)). Die genannte Hilfsorganisation sucht für die Dublin-II-Rückkehrer zugleich eine (vorläufige) Unterkunft in einem Aufnahmezentrum (z. B. einer Einrichtung der „Centri di accoglienza richiedenti asilo“ - CARA -), welches im Allgemeinen für die Erstaufnahme zuständig ist, bis die Zuweisung zu einer Asylunterkunft am Ort der zuständigen Questura erfolgt ist. Während die Dublin-II-Rückkehrer sofort eine Unterkunft in einem entsprechenden Erstaufnahmezentrum erhalten, kann die Zuweisung zu einer Asylunterkunft für die Dauer des Asylverfahrens einige Zeit dauern, weil es zunächst gewisser Formalien den jeweiligen Asylantrag betreffend bei der zuständigen Questura bedarf. Manchmal beträgt dieser Zeitraum nur einige Tage, manchmal aber auch Wochen, z. B. wenn es sich um große Städte und Ballungszentren handelt. Belastbares Zahlenmaterial bezogen auf die Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist mangels statistischer Erhebungen allerdings nicht verfügbar. In den Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber, den bereits erwähnten Einrichtungen der CARA, ist laut Gesetz grundsätzlich ein Verbleib von nicht länger als 20 bis 35 Tagen vorgesehen. Da die Zuweisungsverfahren aber oftmals länger dauern, bleiben die Antragsteller entsprechend länger in diesen Aufnahmezentren (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu den Fragen a.), b.) und c.)).
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Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln erhalten die Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft in Italien zudem Informationsbroschüren über ihre Rechte im Asylverfahren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 2.3.). Diese Broschüren existieren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen, so u. a. in persischer, arabischer, französischer, englischer, italienischer, somalischer, spanischer und tigrinischer Sprache (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 2.3.). Darüber hinaus befinden sich in den Aufnahmeeinrichtungen Betreuungsdienste, die den Asylantragstellern zur Unterstützung zur Verfügung stehen. Diese beschäftigen oftmals Mitarbeiter, die die Landessprache der Hauptherkunftsstaaten der Asylantragsteller beherrschen (AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 2.3.).
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Nach allem besteht für den Senat kein Grund zur Annahme, dass die in Italien Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft dort in unangemessener Weise “sich selber überlassen bleiben“ und sich im Hinblick auf das erstrebte Aufnahme- und Asylverfahren nicht zurecht finden können.
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Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass die Rücküberstellung von Asylbewerbern auf der Grundlage der Dublin-II-Verordnung seitens der italienischen Behörden auf Widerstände stößt. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es im Rahmen des Dublin-Systems vor einer Asylantragstellung oder während des Asylverfahrens zu Einreiserverweigerungen, Rücküberstellungen oder sonstigen Ausweisungen in die Herkunftsländer der Asylbewerber kommt (vgl. UNHCR, Stellungnahme v. 24.04.2012 an VG Braunschweig, S. 5).
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b) Der Senat vermag aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel auch nicht zur Einschätzung zu gelangen, dass Asylsuchende und Flüchtlinge – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts betrifft – nach ihrer Einreise und / oder während ihres Asylverfahrens mangels einer (angemessenen) Unterkunft regelmäßig oder auch nur in einer Vielzahl von Fällen in die Obdachlosigkeit geraten, mithin „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen.
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aa) Dabei ist zunächst hervorzuheben, dass Asylsuchende während des Asylverfahrens einen Rechtsanspruch auf eine Unterbringung besitzen, und zwar gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Dieser Anspruch ist grundsätzlich wohl auch behördlich bzw. gerichtlich durchsetzbar. Dies deckt sich jedenfalls mit einer Antwort der Bundesregierung vom 18. April 2011 auf eine Kleine Anfrage im Bundestag ("Lage von Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen in Italien" – BT-Drucks. 17/5579), aus der sich ergibt, dass Asylbewerber in Italien einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Unterkunft haben. Allerdings kommt es für die Beurteilung der in Rede stehenden Frage nicht in erster Linie auf die bestehende Rechtslage an; maßgeblich ist vielmehr auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen.
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Nach den aktuellen Auskünften des Auswärtigen Amtes stellt sich indes die tatsächliche Unterbringungssituation im Rahmen des italienischen Aufnahmesystems für Asylbewerber und Flüchtlinge Anfang 2013 (5. Kalenderwoche) wie folgt dar:
- 81
Die Aufnahmezentren der CARA verfügen über 5.516 Plätze und beherbergen derzeit ca. 5.300 Personen nebst 2.710 Plätzen in den Einrichtungen der CARA von Lampedusa, so dass insgesamt mehr als 8.000 Plätze zur Verfügung stehen. Die Zahlen im Gutachten von Frau Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 11), wonach 3.163 Personen in den genannten Einrichtungen aufgenommen werden könnten, seien inzwischen überholt (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.).
- 82
Darüber hinaus stehen den Asylbewerbern und Flüchtlingen grundsätzlich die staatlichen Aufnahmeeinrichtungen der SPRAR („Sistems di Protezione per Richiedenti Asilo e Refugiati“) zur Verfügung. Die dort vorhandenen Plätze sind laut Auskunft des Auswärtigen Amtes in der Vergangenheit deutlich angestiegen: Bisher habe es 3.000 Plätze gegeben, so dass dort (weil eine Unterbringung regelmäßig nur für 6 Monate vorgesehen sei) insgesamt 6.000 Personen hätten versorgt und untergebracht werden können (vgl. zur Aufnahmekapazität von etwa 3.000 Personen u. a. auch der Bericht der Schweizerische Flüchtlingshilfe, a. a. O. S. 5). Nunmehr aber stehen nach Auskunft des Auswärtigen Amtes - bestätigt durch Auskünfte von Mitarbeitern der SPRAR und des italienischen Innenministeriums – insgesamt 5.000 Plätze zur Verfügung, so dass 8.000 bis 10.000 Personen untergebracht werden könnten, ungeachtet der im Rahmen des EU-finanzierten FER-Projektes für vulnerable Personen und anderer Projekte vorhandenen weiteren Plätze (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.). Dies entspricht in etwa auch der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.02.2013 auf Anfrage des Senats, wonach inzwischen in ganz Italien 40 Aufnahmezentren mit rund 9.000 Plätzen zur Verfügung stehen (AA, a. a. O., Anm. 4.3.).
- 83
Dem steht z. B. für das Jahr 2012 eine Anzahl von 1.148 Personen gegenüber, die als Rückkehrer im Rahmen der Dublin-II-Verordnung über Rom nach Italien zurückgeschickt wurden und von der Organisation Ariconfraternita am Flughafen von Rom betreut wurden (Gutachten an das VG Braunschweig von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012, S. 25 und S. 59 – in Ermangelung der erfassten Gesamtzahlen der Dublin-Rückkehrer nach Italien). Berücksichtigt man überdies, dass die Zahl der Asylbewerber seit 2012 – trotz gewisser Schwankungen – insgesamt rückläufig ist, kann zumindest gegenwärtig nicht (mehr) von unzureichenden Aufnahme- und Unterbringungskapazitäten ausgegangen werden. Zur Überzeugung des Senats dürfte sich somit die aktuelle Situation in Italien soweit entspannt haben, dass sämtliche Asylbewerber, und insbesondere Dublin-II-Rückkehrer, in den öffentlichen Aufnahmeeinrichtungen Platz finden können (ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -
).
- 84
Die Annahme fehlender Kapazitäten für die Unterbringung von Dublin-II-Rückkehrern nach Italien ist insbesondere auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil es in der Vergangenheit zu einem massiven Zustrom von Flüchtlingen aus Nordafrika gekommen ist und dies zu (nachhaltigen) Engpässen bei der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern geführt hat.
- 85
Der UNHCR hat in diesem Zusammenhang in seiner Stellungnahme vom 24. April 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 3) auf Folgendes hingewiesen: Im Jahre 2011 sind nach der Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika und der darauf folgenden Erklärung des „humanitären Notstandes“ die regionalen Regierungen gebeten worden, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu bestimmen, da die bestehenden Aufnahmekapazitäten als unzureichend eingeschätzt wurden. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden (Regionen, bestimmten Provinzen [„Province Autonome“] und Gemeinden) seien Vereinbarungen getroffen worden, in denen Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Die Verantwortlichkeit für den diesbezüglichen Aufnahmeplan liege beim Leiter des Zivilschutzes („Dipartimento di Protezione Civile“). Bis Anfang 2012 seien 20.000 Personen im Rahmen des Plans in den Notunterkünften, meist in Einrichtungen kleiner bis mittlerer Größe, untergebracht worden, die in ganz Italien verteilt sind.
- 86
Dies deckt sich mit den Auskünften des Auswärtigen Amtes. Danach hätten die vorgehaltenen temporären Aufnahmestrukturen des Zivilschutzes, die anlässlich des Flüchtlingsstromes aus Nordafrika in der Größenordnung von 50.000 Plätzen in den Regionen geschaffen worden seien, die bestehenden Engpässe kompensiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.3.).
- 87
Soweit im Gutachten von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O., S. 15) darauf verwiesen wird, dass die durch den Zivilschutz zusätzlich geschaffenen Unterkünfte nur zeitlich befristet vorgesehen gewesen seien, zunächst wohl nur bis Ende 2011 und alsdann bis Ende 2012, und dass diese inzwischen wieder geschlossen worden seien, so rechtfertigt auch dieser Einwand nach Auffassung des Senats nicht die Annahme, dass es gegenwärtig und zukünftig wieder zu fehlenden Kapazitäten in den staatlichen Einrichtungen kommen wird.
- 88
Zwar trifft es zu, dass das Notstandsprogramm befristet war und inzwischen wohl offiziell ausgelaufen ist. Allerdings trifft es ebenfalls zu, dass die Einrichtungen derzeit faktisch zumindest in einem beschränkten Umfang fortgeführt werden. Grund für die Schließung der Notunterkünfte war der Umstand, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge gegenüber den Vorjahren, insbesondere dem Jahr 2011 und 2012, deutlich zurück gegangen war. Allerdings waren nach Auskunft des Auswärtigen Amtes Anfang des Jahres 2013 noch ca. 17.000 Personen in den temporären Einrichtungen des Zivilschutzes untergebracht (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 4.3.). Das Auswärtige Amt hat unterdessen mit seiner neuesten Auskunft – unter Berufung auf den Leiter des Italienischen Amtes für Aufnahmezentren und Betreuung, Herrn Tommaso Ricciardi vom 04. September 2013 – zum Notstandsprojekt Nordafrika mitgeteilt, dass sich derzeit nur noch etwa 1.000 Personen („vulnerable cases“ und Asylbewerber, die ein Rechtsmittel eingelegt haben) in den Notunterkünften befinden. Offiziell hätten diese nunmehr am 01. September 2013 schließen sollen. Es werde gegenwärtig überlegt, wie die Versorgung dieser Personen weiter gewährleistet werden kann (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW – zu Frage e)).
- 89
Angesichts der aufgezeigten Entwicklung steht auch nicht zu erwarten, dass mit der Schließung der Notunterkünfte die dort untergebrachten bzw. noch verbliebenen Asylbewerber und Flüchtlinge in die staatlichen Unterkünfte drängen und es damit zu erneuten Überbelegungen kommen wird, mithin die Problematik fehlender Kapazitäten in den staatlichen Zentren erneut auftritt. Das Auswärtige Amt weist zudem ausdrücklich darauf hin, dass das Auslaufen des Nordafrika-Programms keine konkreten Auswirkungen auf die Dublin-Rückkehrer hat, da für diesen Personenkreis (der nicht in den Notunterkünften untergebracht wird) von vornherein kein unmittelbarer Zusammenhang zum Programm bestand (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW – zu Frage e)).
- 90
Gegenteiliges dürfte zur Überzeugung des Senats auch dann nicht anzunehmen sein, wenn es zu einem erneuten Anstieg der Zahl von Asylbewerbern in Italien kommen sollte. Das ausgelaufene Notstandsprogramm belegt, dass Italien Unterbringungsplätze in erheblichen Umfang zusätzlich zur Verfügung stellen kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Das geschaffene Notstandsprogramm lässt darauf schließen, dass die verantwortlichen Stellen – selbst wenn sie auf Druck der übrigen EU-Mitgliedstaaten tätig geworden sein sollten – bemüht sind, sich dem jeweiligen unterschiedlichen Unterkunftsbedarf in der gebotenen Weise anzupassen. Dies lässt es insbesondere nicht ausgeschlossen erscheinen, dass bei einem eventuellen erneuten Anstieg der in Italien eintreffenden Flüchtlinge und Asylbewerber entsprechende Programme zur kurzfristigen Schaffung zusätzlicher Unterkünfte neu aufgelegt werden. Dies alles rechtfertigt keine grundlegenden Zweifel daran, dass ein insoweit auch nach Beendigung des Notstandsprogramms fortdauernder Bedarf oder erneute Massenanstürme von Flüchtlingen bewältigt werden können (ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O.).
- 91
Im Übrigen erkennt auch der UNHCR an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des staatlichen Aufnahmesystems stattgefunden haben. Insgesamt seien die Einrichtungen der CARA, CDA und SPRAR (nunmehr) in der Lage, dem Aufnahmebedarf einer „signifikanten Anzahl“ von Asylsuchenden nachzukommen (Stellungnahme vom 24. April 2012 an VG Braunschweig, S. 3). Allerdings macht der UNHCR die Einschränkung, dass die Kapazitäten der genannten Einrichtungen nicht für die Unterbringung aller unterstützungsbedürftigen Asylsuchenden ausreichend sein dürften, wenn Personen in erheblicher Anzahl neu in Italien ankommen würden (UNHCR, a. a. O., S. 3). Indes bestehen z. Z. keine Anhaltspunkte dafür, dass es in Italien derzeit oder in absehbarer Zeit erneut zu einem derartigen Anstieg der Asylbewerberzahlen kommen wird, wie er etwa in den Jahren 2010 und 2011 zu verzeichnen war.
- 92
Eine andere Bewertung der Unterkunftssituation für Asylbewerber und Flüchtlinge erscheint dem Senat schließlich auch nicht deshalb geboten, weil nach Auffassung des UNHCR (Stellungnahme v. 24.04.2012) in der gegenwärtigen Situation davon auszugehen sei, dass derzeit die überwiegende Anzahl aller Asylverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden können, und die Aufnahme in den Aufnahmezentren regelmäßig auf sechs Monate befristet sei. Abgesehen davon, dass der UNHCR selbst einräumt, dass keine konkreten Zahlen zur Dauer der Asylverfahren vorliegen, besteht nach Auskunft des Auswärtigen Amtes die Möglichkeit, dass im Einzelfall – so auch bei Einlegung von Rechtsmitteln – die Aufenthaltsdauer in der Einrichtung verlängert wird.
- 93
Zudem ist auch dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Mai 2011 zu entnehmen, dass für die Aufnahme von Asylbewerbern eben nicht nur CARA-, CIE- und SPRAR-Zentren zur Verfügung stehen, sondern auch andere Zentren vorhanden sind basierend auf Abkommen zwischen dem Innenministerium und Gemeinden, aber auch von der Stadt – wie etwa Rom - finanzierte und von NGO’s betriebene Zentren (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende, S. 19). Nach dem vorgenannten Bericht (a. a. O. S. 19) kommen noch kirchliche und karitative Einrichtungen hinzu. Dass es unter Berücksichtigung der Aufnahmekapazität all dieser öffentlichen und privaten Einrichtungen sowie unter Nutzung des Angebotes des Wohnungsmarktes nicht möglich ist, eine Unterkunft zu finden, ist nicht ersichtlich.
- 94
Das Auswärtige Amt weist ebenfalls darauf hin, dass neben den staatlichen Unterbringungszentren zusätzlich kommunale und karitative Einrichtungen existieren wie z. B. Caritas, Migrantes in Rom, die Schwestern des Ordens der Mutter Teresa „Suore Missionarie della Carità“ und andere Hilfsorganisationen (Comunità di Sant’Egidio, Opere Antoniane, Stranieri in Italia, Centro Astalle - Jesuiten -), welche die Antragsteller und Asylbewerber versorgen und ihnen Unterkunftsplätze besorgen (AA, Auskunft v. 21.08.2013 an OVG LSA - zur Frage 3.). Dies entspricht zugleich der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, wonach nicht davon auszugehen ist, dass jene Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz finden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen (AA, a. a. O. Anm. 4.3.).
- 95
Veranlassung zu einer anderen Einschätzung gibt dem Senat schließlich auch nicht der Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“ vom 28. Februar 2011, wonach angeblich davon auszugehen ist, dass „in der Vergangenheit 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer der Gefahr der Obdachlosigkeit überlassen worden seien“. Der Senat geht dabei davon aus, dass diese Aussage nicht bedeutet, dass etwa 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer tatsächlich in die Obdachlosigkeit geraten sind, sondern dass es sich hierbei – da der Bericht lediglich von einer „Gefahr“ einer Obdachlosigkeit spricht – um eine bloße Annahme handelt in Bezug auf das womöglich bestehende Risiko, von einer Obdachlosigkeit betroffen zu werden. Dem Senat erscheint bei dieser Sachlage allerdings nicht nachvollziehbar, wie eine (potentielle) „Gefahr“ prozentual derart exakt prognostiziert werden kann, wie dies im Bericht mit 88 vom Hundert geschehen ist, zumal die Unterbringung in staatlichen und privaten Einrichtungen und auch die Wohnungssuche im Allgemeinen mit einer Fülle von Unwägbarkeiten verbunden ist. Überdies sind die Angaben nur bedingt brauchbar, weil eben nicht erkennbar wird, auf welchen Erkenntnissen diese beruhen und welche zurückliegenden Zeiträume in Bezug genommen werden, wenn davon gesprochen wird, dass sich Aussage auf die „Vergangenheit“ beziehe.
- 96
bb) Ebenso lässt sich nach Auffassung des Senats nicht feststellen, dass Asylbewerber infolge unzureichender und unzumutbarer Verhältnisse in den staatlichen bzw. privaten Unterkünften, namentlich etwa aufgrund unhygienischer Zustände oder Gewalttätigkeiten und krimineller Delikte wie u. a. Diebstahl, Vergewaltigung oder erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind. Dabei wird nicht verkannt, dass es in Unterkünften mit einer Vielzahl von – teilweise auch traumatisierten – Flüchtlingen unterschiedlicher Nationalität, Religion und Gebräuchen häufiger als in anderen Bereichen der Gesellschaft zu Konflikten und gelegentlich auch gewaltsamen Übergriffen kommen dürfte. Es dürfte sich dabei allerdings um ein allgemeines Phänomen in Gemeinschaftseinrichtungen handeln, dem die staatlichen Stellen nur bedingt wirksam entgegen wirken können. Auch wenn die Aufnahme-, Unterbringungs- und Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Italien regelmäßig nicht mit dem hiesigen Standard vergleichbar sein mögen, ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die Zustände in den Unterkünften im Allgemeinen jedenfalls nicht derart unzumutbar und unhaltbar sind, dass deshalb die Feststellung einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung der Asylbewerber gerechtfertigt erschiene. Dies gilt zum einen hinsichtlich der hygienischen Verhältnisse. So wird nach Auskunft des Auswärtigen Amtes von den staatlichen Aufnahmezentren und Einrichtungen Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Überdies teilt das Auswärtige Amt zur Situation in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften mit, dass die hygienischen Verhältnisse dort nicht regelmäßig oder sogar überwiegend sich in der Weise darstellen, dass man ernstlich Gefahr läuft zu erkranken. Sie seien auch nicht dergestalt, dass sie nicht den Mindestanforderungen (Kochstellen, Toiletten, Waschräume, fließendes Wasser und Elektrik) genügen würden. Vielmehr seien sie durchweg so beschaffen, dass kleinere Schlafräume in Wohnhäusern oder Containern vorhanden seien, die auch zumeist mit Klimaanlagen und Zentralheizung versehen seien. Insbesondere seien Toilettenräume in ausreichender Zahl und getrennt nach Geschlechtern vorhanden. Gleiches gelte für Waschräume. Die Verpflegung werde vielfach in einem gemeinsamen Speisesaal bereitgestellt. Vereinzelt bestünden auch zusätzliche Möglichkeiten für die eigene Zubereitung von Mahlzeiten. Ferner seien in den Einrichtungen Sozialräume sowie getrennte Räumlichkeiten für medizinische Dienste und Sonderfälle vorhanden. Zur Aufrechterhaltung der Sauberkeit der allgemeinen Räumlichkeiten würden spezielle Reinigungsdienste beschäftigt (vgl. zu allem: AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 4.5.).
- 97
Zum anderen lässt sich aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse auch nicht feststellen, dass sich die Verhältnisse in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften in der Weise darstellen, dass die Bewohner in ständiger Angst leben müssten, „angegriffen, ausgeraubt oder gar vergewaltigt“ zu werden. Zwar gibt es Berichte, wonach es zu gewaltsamen Übergriffen von männlichen auf weibliche Bewohner gekommen sein soll; hierbei handelt es sich aber um Einzelfälle, wenngleich statistische Erhebungen zur Kriminalität speziell in den genannten Einrichtungen nicht existieren bzw. nicht bekannt sind. Darüber hinaus werden die Aufnahmeeinrichtungen zumindest durch die Polizei oder Carabinieri überwacht und geschützt; wegen auftretender Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien wurden in manchen Einrichtungen zudem zusätzliche Polizeikräfte postiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.6.).
- 98
Im Ergebnis vermag der Senat somit nicht festzustellen, dass es – sieht man von Engpässen und Einzelschicksalen ab – mit der Durchführung von Asylverfahren in Italien generell zu Begleiterscheinungen wie etwa Obdachlosigkeit oder aufgrund der Zustände in den Unterkünften zu einer Verwahrlosung der Asylbewerber kommt.
- 99
c) Der Senat vermag ebenfalls nicht festzustellen, dass Schutzsuchende während des Asylverfahrens in Italien unter Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh in materieller Not leben müssen, so dass von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszugehen wäre, oder mit Blick auf die Versorgungssituation und soziale Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge gemessen an den Vorgaben des unionsrechtlichen Sekundärrechts sich das Asylsystem als nicht (mehr) richtlinienkonform darstellt.
- 100
Asylsuchende und Flüchtlinge haben nach Auskunft des Auswärtigen Amtes während des Asylverfahrens einen (Rechts-)Anspruch auf (angemessene) Verpflegung und Versorgung (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1.). Dieser Verpflichtung wird im Allgemeinen dadurch nachgekommen, dass in den staatlichen Unterkünften und Aufnahmezentren entsprechende Leistungen erbracht werden. Namentlich wird auch Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Vorgenanntes gilt gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.).
- 101
Ebenso werden Asylbewerber und Flüchtlinge, die in nichtstaatlichen, namentlich karitativen und kirchlichen Unterkünften leben, mit Nahrung und Kleidung versorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA, Auskunft v. 21. 02.2013, Anm. 5.2.). Allerdings ist für Asylbewerber und Flüchtlinge außerhalb staatlicher sowie karitativer und kirchlicher Einrichtungen eine staatliche Verpflegung und Versorgung nicht (mehr) gewährleistet. Auch existiert in Italien nur ein sehr eingeschränktes staatliches Sozialhilfesystem; danach erhalten nur Personen über dem 65. Lebensjahr Sozialhilfeleistungen. Im vorliegenden Fall würde dies sogar bedeuten, dass die 65-jährige Klägerin auch staatliche Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen könnte. Im Übrigen haben die Betroffenen auch als Asylbewerber und schutzsuchende Flüchtlinge einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 5.1.).
- 102
In der Praxis kann somit nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Asylbewerber und Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt regelmäßig nicht durch Betteln und / oder Prostitution sichern müssen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.). Vielmehr ist insgesamt eine ausreichende Versorgung vorhanden. Einzelfälle sind allenfalls auf das in der aktuellen Wirtschaftskrise insbesondere in italienischen Großstädten zunehmend auftretende Phänomen des Bettelns und die damit einhergehenden erhofften zusätzlichen Einkunftsmöglichkeiten zurückzuführen. Was die Prostitution angeht, so ist nicht völlig auszuschließen, dass weibliche Asylbewerber oder Flüchtlinge in Einzelfällen durch Angehörige der organisierten Kriminalität rekrutiert werden und dann tatsächlich der Prostitution nachgehen. Dies ist aber nicht im kausalen Zusammenhang mit Defiziten im Asylverfahren zu sehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.; Auskunft v. 24.09.2012, S. 3 - Antwort auf Frage b 2)).
- 103
Im Übrigen folgt aus Art. 3 EMRK und Art. 4 EuGrdRCh auch nicht die Verpflichtung, Asylbewerbern und Flüchtlingen eine finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihnen einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.02.2011, a. a. O.).
- 104
Ebenso ist ein Verstoß gegen die Richtlinie 2004/83/EG nicht ersichtlich. Kapitel VII der Richtlinie gestaltet den Inhalt des internationalen Flüchtlingsschutzes zwar u. a. dahin gehend aus, dass Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte grundsätzlich Zugang zu Sozialleistungen (Art. 28), medizinischer Versorgung (Art. 29) und Wohnraum (Art. 31) erhalten. Allerdings gehen die Bestimmungen über die Gebote zur Inländergleichbehandlung (Art. 28, 29) bzw. zur Ausländergleichbehandlung (Art. 31) nicht hinaus. Art. 28 und 29 der Richtlinie gewährleisten die notwendige Sozialhilfe bzw. medizinische Versorgung nur insoweit, wie die Mitgliedstaaten ihren eigenen Staatsangehörigen eine entsprechende Behandlung bzw. Versorgung gewähren; für Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte besteht zudem die Möglichkeit, den Anspruch auf Kernleistungen zu beschränken, die dann im Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige zu gewähren sind. Demzufolge muss der in Italien bestehende allgemeine Lebensstandard für andere, vergleichbare Personen mit italienischer Staatsangehörigkeit in den Blick genommen werden, die ebenfalls keine staatlichen Sozialleistungen in Anspruch nehmen können und bei denen ebenfalls nur durch die Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten oder aber vermittels von Zuwendungen karitativer oder kirchlicher Organisationen das Existenzminimum gesichert ist.
- 105
Nach allem lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh nicht daraus herleiten, dass – worauf in der Rechtsprechung einzelner Verwaltungsgerichte abgestellt wird – ein staatliches Sozialsystem, welches Flüchtlingen und Asylsuchenden zumindest ein Existenzminimum garantiert, nicht zur Verfügung steht und dass die Betroffenen deshalb darauf angewiesen seien, sich „selbst durch das Leben zu schlagen“ (vgl. VG Magdeburg, Beschl. v. 28.03.2011 - 9 B 101/11 MD - Juris; Gerichtsbescheid v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 - [S. 5 d. UA]; VG Braunschweig, Beschl. v. 31.05.2011 - 1 B 103/11 - m. w. N. - Juris).
- 106
Im Übrigen ist in der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a. a. O. S. 22) nicht – wie gelegentlich behauptet wird – die Rede davon, dass der genannte Personenkreis „in extremer Armut lebt und dass sie ihre Lebensbedürfnisse nicht decken können“. Vielmehr ist – wohl mit Bedacht – davon die Rede, dass sie Gefahr laufen, womöglich in eine solche Situation zu geraten; dass sich indes diese Gefahr bereits in eine Vielzahl von Fällen realisiert hätte oder gleichsam regelmäßig bzw. für jeden Asylsuchenden und Flüchtling die konkrete Gefahr bestünde, dass nicht einmal das Existenzminimum gesichert ist, wird nicht behauptet. Dies schließt nicht aus, dass es in Einzelfällen auch zu besonderen Notlagen kommen mag und dass der Lebensstandard der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien im Allgemeinen sehr gering sein dürfte. Gleichwohl vermag der Senat anhand des ihm vorliegenden umfassenden Erkenntnismaterials aber nicht festzustellen, dass die Situation für Flüchtlinge und Asylsuchende in den Zentren und außerhalb derselben derart prekär wäre, dass deshalb von einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh auszugehen ist.
- 107
d) Soweit es die medizinische Versorgung betrifft, sind alle Mitgliedstaaten aufgrund der EU-Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 verpflichtet, bestimmte Mindeststandards der medizinischen Versorgung zu gewährleisten. So haben alle Mitgliedstaaten nach Art. 15 der genannten Richtlinie dafür Sorge zu tragen, dass Asylbewerber und Flüchtlinge die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung für die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst. Dabei ist auch Asylbewerbern mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische und sonstige Hilfe zu gewähren.
- 108
In Italien ist im Rahmen des nationalen Gesundheitsdienstes grundsätzlich ein medizinischer Mindestbehandlungsstandard gewährleistet. Asylbewerber und Flüchtlinge haben in Italien während des Asylverfahrens einen Anspruch auf eine „freie“ (kostenlose) medizinische Versorgung sowie auch auf psychologische Hilfe, insbesondere auch Minderjährige und traumatisierte Personen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.3.).
- 109
Dem entspricht es, wenn im Entscheiderrundbrief des Bundesamtes 7/2011 (a. a. O., S. 8) zur medizinischen Versorgung festgestellt wird, dass bei der Überstellung von kranken bzw. traumatisierten Personen – wie bei jedem italienischen Staatsbürger – die Möglichkeit der (medizinischen) Behandlung besteht. Bereits im Jahre 2009 habe es bei der SPRAR drei Zentren gegeben, in denen auch psychisch kranke Personen hätten behandelt werden können (zwei in Rom, eines in Turin). Für 2011 seien zudem 50 weitere Behandlungsplätze für psychisch kranke Personen bzw. Personen mit besonders schweren Erkrankungen geplant worden. Inzwischen würden bei Dublin-Überstellungen psychisch kranke Personen in Italien als eine besonders „vulnerable Gruppe“ angesehen.
- 110
Voraussetzung für den Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem ist zwar grundsätzlich ein gültiger Aufenthaltstitel bzw. ein rechtmäßiger Aufenthalt; bei im italienischen Asylverfahren befindliche Personen stellt sich dieses Problem aber nicht. Der Zugang zu öffentlichen medizinischen Leistungen ist auch nicht an die Voraussetzung eines ständigen Wohnsitzes bzw. feste Adresse gekoppelt, wie gelegentlich behauptet wird. Vielmehr erhalten Asylbewerber bei Bedarf auch ohne einen solchen ständigen Wohnsitz bzw. feste Anschrift vom nationalen Gesundheitsdienst einen Gesundheitsausweis („tessera sanitara“) und eine Steuernummer („codice fiscale“) (vgl. AA, Auskunft v. 09.10.2012 an VG Minden, S. 2 - zur Frage b) 4; ebenso: AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg - S. 2 Ziffer I b)). Sollte hingegen etwas anderes gelten, ist davon auszugehen, dass aufgrund einer aktuellen Vereinbarung zwischen der Zentralregierung und den Regionen zumindest eine Not- und Grundversorgung auch für sich illegal in Italien aufhaltende Personen garantiert ist (AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 6.2.).
- 111
Der Senat vermag angesichts dieser Situation nicht zu erkennen, dass damit den eingangs aufgezeigten Mindeststandards bzw. Kernanforderungen nicht genügt wird. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass in bestimmten Fällen womöglich einzelnen Personen eine nur unzureichende medizinische Versorgung zuteil wurde oder diese aus dem medizinischen Versorgungssystem herausgefallen sind.
- 112
Aber selbst dann, wenn für kranke, behinderte oder sonst gesundheitlich besonders schutzbedürftige Personen die garantierte medizinische Not- und Grundversorgung nicht als ausreichend angesehen würde, ergäben sich daraus jedenfalls für die Klägerin, die keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen angeführt hat, keine Bedenken gegen ihre Überstellung nach Italien.
- 113
e) Soweit es das Asylverfahren als solches, namentlich die Qualität und die Dauer des Verfahrens betrifft, lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 EMRK und Art. 4 EuGrdRCH sowie gegen die einschlägigen unionsrechtlichen Richtlinien ebenfalls nicht feststellen.
- 114
Italien gewährleistet entsprechend dem (Grund-)Recht auf Asyl (gem. Art. 10 Abs. 3 der italienischen Verfassung, verschiedenen Einwanderungs- und Asylverfahrensgesetzen, insbesondere nach dem Gesetz No. 25/2008 vom 28. Januar 2008) ein Schutzverfahren, das auch für Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung greift. Besonderheiten bestehen insoweit nicht (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.1.).
- 115
Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass es hinsichtlich der Qualität oder der Dauer der Asylverfahren einen Grund für Beanstandungen gibt. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass von einer unverhältnismäßig restriktiven Asylpraxis auszugehen ist. Gegen eine solche Annahme sprechen die Zahlen, die vom Auswärtigen Amt zum Asylverfahren benannt werden. Danach wurden im Jahre 2010 über 14.042 Asylanträge entschieden, davon wurden 2.094 Antragsteller nach der Genfer Konvention anerkannt (15 vom Hundert), 1.789 erhielten subsidiären (13 vom Hundert), 3.675 humanitären Schutz (26 vom Hundert), hingegen wurden 4.698 abgelehnt. 520 Personen waren nicht auffindbar (4 vom Hundert) und 1.266 (9 vom Hundert) sind sonstige Fälle. Dementsprechend lag die Quote der Anerkennungen bzw. der Gewährung eines Bleiberechts bei immerhin 54 vom Hundert (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 3.2.). Demgegenüber wurden im Jahre 2011 über 25.626 Asylanträge entschieden. Davon wurden 2.057 Antragsteller nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt (8 vom Hundert), 2.569 Personen erhielten subsidiären (10 vom Hundert) und 5.662 humanitären Schutz (22 vom Hundert); 11.131 Personen wurden hingegen abgelehnt (44 vom Hundert) und 2.339 Personen waren nicht auffindbar (9 vom Hundert). Die Anerkennungsquote lag 2011 somit bei 40 vom Hundert, was ebenfalls nicht die Annahme einer unverhältnismäßig restriktiven Praxis rechtfertigt (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.2.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 5 unter Hinweis auf eine entsprechende Statistik des Innenministeriums, abrufbar unter: http://www.interno.it/miniinteno/export/sites/default/it/assets/files/21/0551_statistiche_asilo.pdf).
- 116
Es kommt hinzu, dass sich die für die Entscheidung der Asylverfahren in erster Instanz zuständigen Territorialkommissionen per Dekret des Innenministers in der Weise zusammensetzen, dass auch jeweils ein Vertreter des UNHCR beteiligt ist (Bundesamt für Migration der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Hintergrundnotiz MILA - Italien Asylverfahren, Bericht vom 23.09.2009, S.4). Dies berechtigt zur Annahme, dass der Ordnungsmäßigkeit des Asylverfahrens eine besondere Beachtung geschenkt wird.
- 117
Hinsichtlich der Dauer des Asylverfahrens in Italien gibt es ebenfalls nichts zu beanstanden. Über den Asylantrag soll an sich innerhalb von 30 Tagen entschieden werden; zudem wird angestrebt, dass das Gesamtverfahren einschließlich gerichtlicher Überprüfung nicht länger als sechs Monaten dauert, auch wenn es immer wieder Fälle gibt, in denen diese Dauer – manchmal bis zu einem Jahr oder auch länger – überschritten wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 3.1., 3.2.; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O. Rn. 15).
- 118
Ferner lässt sich nicht feststellen, dass es in Italien während des Asylverfahrens in nennenswerter Weise faktische Beeinträchtigungen in verfahrensrechtlicher bzw. prozessualer Hinsicht gibt. Art. 16 des italienischen Asylverfahrensgesetzes No. 25 vom 28. Januar 2008 garantiert dem Asylbewerber, dass er nach den einschlägigen Prozessvorschriften Anspruch auf eine Rechtsberatung und einen unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verfahren hat (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.4.). Zwar bestehen Zweifel, ob dies auch in der Praxis ausnahmslos Geltung besitzt, wenn man berücksichtigt, dass für die nach Rom zurückkehrenden Dublin-II-Rückkehrern (und in Rom eintreffenden Asylbewerber) die Prozesskostenhilfe davon abhängig gemacht wird, dass zum Nachweis der wirtschaftlichen Bedürftigkeit eine Bescheinigung der jeweiligen Auslandsvertretung beigebracht werden soll. Allein wegen der Tatsache, dass der Asylbewerber im Einzelfall das Verfahren ohne anwaltlichen Beistand durchzuführen hat, soweit kein Anwaltszwang besteht, kann nicht schon von einem (landesweit bestehenden) systemischen Mangel gesprochen werden, der die Annahme einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. d. Grundrechtscharta und EMRK rechtfertigt. Im Übrigen stehen dem Asylbewerber im Asylverfahren auch Übersetzungsdienste zur Verfügung (vgl. AA, Auskunft an OVG LSA v. 21.02.2013, Anm. 2.3. und 3.3.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 3).
- 119
Insbesondere bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass – von Ausnahmen abgesehen – die für die Durchführung des Hauptsacheverfahrens erforderliche Erreichbarkeit des Asylbewerbers in Italien nicht sichergestellt wäre. Für eine solche Annahme fehlt es an hinreichend belegten Referenzfällen. Auch gibt es für Italien keine ernst zu nehmenden Quellen, wonach sich die Wahrnehmung von Verfahrensrechten (Antragstellung, Einlegung von Rechtsbehelfen etc.) regelmäßig als derart schwierig erweist, dass diese Rechte faktisch leer laufen würden.
- 120
Soweit in der Rechtsprechung dennoch vereinzelt – so u. a. das VG Gießen (Beschl. v. 10.03.2011 - 1 L 468/11.GI.A - Juris) und ihm folgend das VG Magdeburg (Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 -) – die Auffassung vertreten wird, „es erscheine auch die Qualität der Asylverfahren bedenklich“, wird diese Kritik nicht weiter spezifiziert und auch nicht durch entsprechende Erkenntnismittel belegt.
- 121
f) Ebenso lässt sich anhand des dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterials nicht feststellen, dass im Hinblick auf die rechtliche und soziale Situation anerkannter Asylbewerber sowie der Flüchtlinge mit einem Bleiberecht angesichts der in Italien anzutreffenden Lebens- und Versorgungssituation sowie unter Berücksichtigung der insoweit staatlicherseits unternommenen Integrationsbemühungen das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien derartige Mängel aufweist, dass es den Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht mehr entspricht.
- 122
Schutzberechtigte, mithin anerkannte Asylbewerber (Asylberechtigte) und Personen mit subsidiärem Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten mit ihrer Anerkennung ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht; es wird ihnen eine Aufenthaltsberechtigung („permesso di soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.2.).
- 123
Dies bedeutet in der Praxis, dass sie sich – ebenso wie italienische Staatsangehörige – grundsätzlich selbst um eine Unterkunft kümmern und auch in eigener Verantwortung einen Arbeitsplatz suchen müssen. Dafür besteht aber ein freier Zugang zum Arbeitsmarkt (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus besitzen, haben auch das Recht zu arbeiten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, a. a. O.).
- 124
Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.). Anerkannte Asylbewerber und Personen mit einem subsidiären Schutzstatus haben Zugang zu einer Beschäftigung in Italien, wie dies durch Art. 26 und Art. 28 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) garantiert wird.
- 125
Ein staatliches System finanzieller Hilfeleistungen bzw. ein Sozialhilfesystem existiert hingegen nicht. Denn in Italien gibt es für italienische Staatsangehörige – und somit auch für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die ihnen gleichgestellt sind – kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bzw. (sonstige) staatliche Sozialleistungen, jedenfalls soweit sie nicht das 65. Lebensjahr erreicht haben (AA, Auskunft v. 11.07.2012 an das VG Freiburg). Art. 28 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gewährt hinsichtlich der Sozialleistungen nur einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung, nicht aber einen Anspruch auf Privilegierung des anerkannten Flüchtlings.
- 126
Zwar entspricht es der italienischen Kultur, dass es einen engen Familienzusammenhalt gibt, der im Notfall zumindest die Chance eröffnet, eine (gewisse) Unterstützung durch Familienangehörige in Anspruch nehmen zu können. Dass es eine solche vergleichbare Unterstützung unter den ausländischen Landsleuten gibt, die sich aufgrund ihres Schutzstatus dauerhaft in Italien aufhalten, erscheint nicht ausgeschlossen, dürfte aber die Ausnahme sein. Gleichwohl lässt dieser Umstand nach Auffassung des Senats für sich allein nicht schon die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass der anerkannte Flüchtling und sonstige Schutzberechtigte in Italien deshalb der konkreten Gefahr ausgesetzt wäre, „auf der Straße“ zu leben und zu verelenden.
- 127
Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass – ebenso wie italienische Staatsangehörige in einer vergleichbaren Situation – auch anerkannte Asylbewerber und schutzberechtigte Flüchtlinge von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, wie beispielsweise durch die CARITA und CIR, Unterstützung bekommen können (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Die Zuständigkeit für die Festsetzung von derartigen öffentlichen Sozialleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen (z. B. Toskana, Emilia Romagna) wird die Höhe derartiger Leistungen durch die Kommune festgesetzt; die Leistungen weisen insoweit je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft deutliche Unterschiede auf (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Diese Erkenntnis deckt sich im Übrigen mit dem Gutachten der Flüchtlingsorganisation borderline-europe e. V. (Gutachten an das VG Braunschweig vom Dezember 2012) und der Auskunft der italienischen Vereinigung für rechtliche Untersuchungen zur Situation von Einwanderung (ASGI-Bericht vom 20. November 2011, S. 10 f.). Danach erhalten ebenfalls anerkannte Asylbewerber und Personen, denen internationaler Schutz gewährt worden ist, Unterstützungen allgemeiner Art, wie sie auch für andere mittellose Personen in Italien vorgesehen sind.
- 128
Überdies ist für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus ein kostenfreier Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie Arzt, Zahnarzt, Krankenhaus gewährleistet (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Ein Anspruch auf Einhaltung bestimmter Mindeststandards im Hinblick auf die Gewährung von Unterkunft sowie auf eine gewisse materielle Unterstützung besteht für sie auch nach dem Unionsrecht nicht; ein solcher Anspruch besteht nur für Asylbewerber (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 - M.S.S. v. Belgium and Greece; EuGH, Urt. v. 21.12. 2011 - C-411/10 und C-493/10 - N.S. und M.E.), denn nach den Bestimmungen der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 steht Asylbewerbern und Schutzsuchenden zwar ein subjektives Recht auch auf eine angemessene Fürsorge zu. Nach Art. 3 Abs. 1 der genannten Richtlinie haben Asylbewerber jedoch nur solange Anspruch auf die in Art. 5 ff. der Richtlinie bezeichneten humanitären Leistungen, solange sie „als Asylbewerber im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen“. „Asylbewerber“ im Sinne der Richtlinie ist dabei ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde.
- 129
Soweit anerkannten Asylbewerbern und schutzberechtigten Flüchtlingen in der Zivilbevölkerung vereinzelt Vorbehalte entgegen gebracht werden und sich diese Vorbehalte womöglich auch im Verhalten von Amtsträgern widerspiegeln sollten, lässt sich diesem Umstand keine selbständige rechtliche Bedeutung beimessen. Die gilt selbst dann, wenn der genannte Personenkreis im Alltag womöglich Benachteiligungen erfahren sollte. Denn die genannten Umstände lassen nicht den Schluss zu, dass das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien schon allein aus diesem Grunde den Regeln des europäischen Asylsystems zuwiderläuft.
- 130
Nach allem erübrigt sich hier die Erörterung der weitergehenden Frage, ob und inwieweit auch möglicherweise jene (unionsrechtlichen) Rechtsverletzungen für die Entscheidung über den Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO relevant sind, die Personen betreffen, bei denen das Asylverfahren bereits mit einer Anerkennung bzw. mit einem subsidiären Schutzstatus abgeschlossen ist (vgl. hierzu VG Regensburg, Beschl. v. 16.08.2012 - RN 7 S 12.30273 -).
- 131
g) Zur Überzeugung des Senats steht auch bei der gebotenen Zukunftsprognose nicht zu erwarten, dass angesichts eines unvermindert anhaltenden oder wieder zunehmenden Flüchtlingsstroms nach Italien sich die dort anzutreffenden Verhältnisse (wieder) verschlechtern werden. So verhält es sich jedenfalls dann, wenn man bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats Folgendes in Rechnung stellt:
- 132
Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist in Italien gegenwärtig nicht (mehr) von einem Anstieg des Zustroms von Asylbewerbern und Flüchtlingen auszugehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013 Anm. 9.1. und 9.2.). Diese Entwicklung wird auch durch das dem Senat vorliegende Zahlenmaterial belegt. Laut Berichterstattung in der Presse (Spiegel online v. 26.04.2011) haben von Januar bis Ende April 2011 allein 26.000 Flüchtlinge in Italien um Schutz nachgesucht. Demgegenüber wurden laut Auskunft des Auswärtigen Amtes im ersten Halbjahr 2012 nur insgesamt 5.580 Asylanträge in Italien gestellt (AA, Auskunft v. 21.01.2013 Anm. 3.2.).
- 133
Insbesondere ist auch ein deutlicher Rückgang von Anlandungen im Süden Italiens zu verzeichnen. Im Jahr 2011 waren es noch 62.692 Personen, im Jahre 2012 hingegen nur noch 13.267 Personen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1. und 9.2.). Dies ist – wie das Auswärtige Amt in nachvollziehbarer Weise feststellt – vor allem auf die Beruhigung der Lage in den Nordafrikanischen Staaten zurückzuführen (AA, a. a. O.).
- 134
Im Übrigen ist auch in der Gesamtschau des letzten Jahrzehnts nicht von einem kontinuierlichen und erheblichen Zuwachs an Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien auszugehen, so dass etwa deshalb die Annahme einer nicht (mehr) zu bewältigenden “Überlastung“ des Asylsystems in Italien begründet wäre. In der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts waren die Zahlen bis 2006 vielmehr rückläufig, die Zahl der Asylantragsteller ging insoweit von 24.000 auf 10.000 zurück. In den Jahren 2008 und 2011 gab es dann in den Spitzen über 30.000 Asylbewerber, während es im Jahre 2012 allerdings wieder weniger als 15.000 Bewerber waren. Bei den genannten Spitzen handelte es sich somit um temporäre Erscheinungen aufgrund der politischen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem “arabischen Frühling“ (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.2.). Auch ist nach aktueller Einschätzung, namentlich vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in den Mittelmeer-Anrainerstaaten, nicht damit zu rechnen, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien in absehbarer Zeit ansteigen wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.3.).
- 135
Nach allem erweist sich die in der einschlägigen Rechtsprechung vielfach angeführte Begründung, dass wegen der zu erwartenden weiteren Flüchtlingsströme von Afrika nach Italien infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen und der damit einhergehenden instabilen Verhältnisse in Nordafrika sich die Entwicklung in Italien in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern, sondern eher noch verschlechtern wird (so u. a. VG Stuttgart, Beschl. v. 02.07.2012 - A 7 K 1877/12 -
) als nicht (mehr) tragfähig.
- 136
Insbesondere lässt sich auch der Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen – UNHCR – vom 24. April 2012 an das Verwaltungsgericht Braunschweig kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass ernsthaft zu befürchten ist, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien grundlegende Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufweisen. Nach dem Inhalt dieser Stellungnahme wurden in Italien die regionalen Regierungen im Jahr 2011 nach Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika ausdrücklich gebeten, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden wurde zudem eine Vereinbarung getroffen, in der die Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Der UNHCR erkennt vor diesem Hintergrund an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben und die CARA-, CDA- und SPRAR-Projekte insgesamt in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl von Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR, a. a. O. S. 3).
- 137
Dass die Verhältnisse zwischen Italien und Griechenland – wie gelegentlich behauptet wird – vergleichbar sind, vermag der Senat nicht festzustellen. Dies bedarf aber auch keiner Vertiefung, weil es hierauf nicht entscheidend ankommt. Dennoch bleibt festzustellen, dass der UNHCR – anders als in Bezug auf Griechenland – für Italien jedenfalls keine Empfehlung ausgesprochen hat, von einer Überstellung bzw. Abschiebung von Dublin-II-Flüchtlingen nach Italien abzusehen. Der Senat misst diesem Umstand kein geringes Gewicht bei. Soweit vereinzelt der Einwand erhoben wird, dies sei dem Umstand geschuldet, dass der UNHCR „politische Rücksichten zu nehmen habe“, ist dies durch Nichts belegt. Zwar hat – ausweislich des Tagungsberichts von Nora Markard zum 12. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz vom 18.-19. Juni 2012 in Berlin (ZAR 10/2012 S. 380 ff. S. 381 zur Situation in Italien) – der UNHCR Senior Regional Protection Associate Jürgen Humberg im Hinblick auf die deutsche Debatte über die Zulässigkeit von Abschiebungen nach Italien angeblich betont, dass der Umstand, dass der UNHCR bisher kein Positionspapier zu Italien veröffentlicht habe, nicht bedeute, dass in Italien „alles in Ordnung sei“; eine solche Schlussfolgerung, den einige Verwaltungsgerichte zögen, sei unzulässig. Auch diese Äußerung veranlasst den Senat nicht zu einer anderen Einschätzung im Hinblick darauf, dass sich der UNHCR – anders als in anderen Fällen – einer entsprechenden offiziellen Stellungnahme bzw. Empfehlung, von einer Rückführung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen, enthalten hat. Dies bedeutet keineswegs, dass der Senat der Auffassung wäre, in Italien „sei alles in Ordnung“; hieraus aber folgt eben noch nicht, dass in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in Italien systemische Mängel feststellbar sind, die eine Verletzung der Europäischen Grundrechtscharta oder der Menschenrechtskonvention darstellen.
- 138
Festzustellen bleibt überdies, dass der UNHCR auch in seinem jüngsten Bericht (UNHCR - Recommendations on important aspects of Refugee protection in Italy) vom Juli 2013 trotz zahlreicher kritischer Anmerkungen bei seiner Einschätzung zur aktuellen Lage der Flüchtlinge und Asylbewerber in Italien zu keinem anderen Ergebnis gekommen ist.
- 139
Schließlich hat auch der EGMR in einer neueren Entscheidung vom 02. April 2013 (Ap-plication No. 27725/10 - Mohammed Hussein vs. the Netherlands and Italy) eine gegen die Dublin-Überstellung von den Niederlanden nach Italien gerichtete Beschwerde als offensichtlich unbegründet abgewiesen. In der Entscheidung hat sich der EGMR mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, einer nach eigenen Angaben aus Somalia stammenden Frau mit zwei kleinen Kindern, zum Asylverfahren und auch zur Unterbringungssituation in Italien auseinander gesetzt und festgestellt, dass die Situation in Italien keineswegs mit der in Griechenland vergleichbar sei (Entscheidung v. 02.04. 2013, a. a. O. Rdn. 72). Auch aus dem Umstand, dass der EGMR in einer früheren Entscheidung (Application No. 64208/11) die Abschiebung eines Asylbewerbers von Deutschland nach Italien gestoppt hat, lässt sich nicht herleiten, dass Italien generell die Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht erfüllt. Die Gründe für den mit der genannten Entscheidung verhängten Abschiebungsstopp sind letztlich nicht bekannt. Dem „Statement of Facts“ ist indes zu entnehmen, dass sich der dortige Antragsteller zwar auch auf die Lebensumstände von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Italien berufen hat, jedoch insbesondere im Raum stand, dass er durch die Abschiebung aufgrund unterschiedlicher Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Münster und Magdeburg von seiner Frau und seinen Kindern getrennt werden würde, deren Abschiebung gestoppt wurde. Weitere Fälle des EGMR (Application No. 30815/09, Application No. 37159/09, Application No. 56424/10) betrafen unbegleitete Minderjährige und die spezielle Situation einer Mutter mit einem minderjährigen Kind (Application No. 2303/10).
- 140
Im Übrigen haben sowohl der Österreichische Asylgerichtshof (Spruch v. 03.05. 2010 - S16 412.104-1/2010-4E -, veröffentlicht unter http://www.ris.bka.gv.at, dort insbes. Ziffer 2.2.2.2.1. "Kritik am italienischen Asylwesen" m. w. N.) als auch das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht (vgl. u. a. Urt. v. 15.07.2010 - D 4987/ 2010 - und Urt. v. 18.03.2010 - D-1496/2010 -, im Internet abrufbar unter: http://www.bundes verwaltungsgericht.ch/index/entscheide/Jurisdiction-datenbank/Jurisdiction-recht-urteile aza.htm) die Rückführung von Asylsuchenden nach Italien in Ansehung der dortigen Asylverfahrenspraxis grundsätzlich als zulässig angesehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der angeführten Entscheidungen Bezug genommen.
- 141
Auch der Umstand, dass zahlreiche Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien zu einer gegenteiligen Einschätzung hinsichtlich der Verhältnisse und des Asylsystems in Italien gelangt sind, veranlasst den Senat nicht zur Annahme, dass die Behandlung der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien nicht in Einklang steht mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nach Auffassung des Senats wird in der insoweit einschlägigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte häufig nicht hinreichend dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich bei den zugrunde gelegten Erkenntnismitteln nicht selten um bloße subjektive Einschätzungen handelt, die nicht in der erforderlichen Weise durch Fakten belegt sind. Auch erscheint mitunter fraglich, ob die insoweit festgestellten Mängel und Defizite verallgemeinerungsfähig sind. Nicht zuletzt haben sich die Verhältnisse in Italien – wie dargelegt – zwischenzeitlich teilweise geändert, so etwa in Bezug auf den Flüchtlingsstrom aus Nordafrika und die Anzahl der für die Asylbewerber und Flüchtlinge zur Verfügung stehenden Unterkünfte. Im Übrigen ist Gegenstand der Prüfung nach § 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) nicht die Frage, ob die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren für Flüchtling und Asylbewerber kritikwürdig sind, weil das System zahlreiche Mängel aufweist oder hinter dem Schutzniveau anderer Mitgliedstaat zurückbleibt.
- 142
Der Senat sieht auch keine Veranlassung, weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien einzuholen. Nach anerkannter Rechtsauffassung ist die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nur dann geboten, wenn sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung aufdrängen musste, weil bereits vorliegende Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen nicht den ihnen obliegenden Zweck erfüllen (konnten), dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts notwendige Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. In diesem Sinne kann z. B. ein Sachverständigengutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet oder jedenfalls unzureichend sein, wenn es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn es von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht (BVerwG, Beschl. v. 14.04.2011 - 2 B 80/10 - m. w. N., Juris). Dies ist hier aber nicht der Fall. Zwar sind die dem Senat vorliegenden zahlreichen Gutachten, Auskünfte und Stellungnahmen nicht in allen Punkte stets konsistent und völlig frei von gewissen Widersprüchen; soweit es indes die im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Tatsachen und Erkenntnisse betrifft, sind diese aufgrund der herangezogenen Erkenntnismittel zur Überzeugung des Senats hinreichend geklärt und eindeutig und mithin für die Überzeugungsbildung ausreichend.
- 143
Der Senat sieht insbesondere auch keine Veranlassung, an der Tauglichkeit des vorhandenen Erkenntnismaterials für die hier entscheidungsrelevanten Fragen zu zweifeln. Dies gilt speziell auch hinsichtlich des Beweiswertes der Auskünfte des Auswärtigen Amtes, da sie grundsätzlich eine sich auf unterschiedliche Erkenntnisquellen stützende Gesamtbewertung vornehmen und zudem im Allgemeinen den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten kommen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.08.2006 - 1 B 24.06 - Juris; Beschl. v. 06.10.1997 - 9 B 803.97 - Juris; Beschl. v. 08.09.1997 - 9 B 401.97 -; Beschl. v. 15.10. 1985 - 9 C 3.85 - Juris sowie Beschl. v. 31.07.1998 - 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28 = Juris). Nicht anders verhält es sich hier. So beruhen die den Auskünften des Auswärtigen Amtes zugrunde liegenden Erkenntnisse auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR, UNHCR und IOM in Rom, den Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Amtes ISTAT sowie schließlich auf Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen wie Carita Migrantes, Comunità di Sant’ Egidio u. a..
- 144
Nach allem vermag der Senat nicht zur Überzeugung zu gelangen, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 21.12.2011, a. a. O.) die Annahme rechtfertigen, dass die Klägerin aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Abschiebung bzw. Überstellung dorthin Gefahr laufen wird, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 3 EMRK und § 4 EuGrdRCH ausgesetzt zu werden und dass sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig erweist.
III.
- 145
Soweit das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid zugleich die Abschiebung der Klägerin nach Italien gem. § 34 Abs. 1 AsylVfG angeordnet hat, bestehen gegen die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung keine Bedenken.
- 146
§ 34a AsylVfG überantwortet die Entscheidung über die Abschiebung dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, so dass dieses die Abschiebungsanordnung verfügt. Das Bundesamt ordnet dabei nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Abschiebungsverbote sind nicht ersichtlich.
- 147
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
- 148
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§§ 132 Abs. 2, 137 VwGO).
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (A 12 K 331/13) geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tatbestand
- 1
Die Klägerin ist am (…) 1947 in H. in Syrien geboren. Sie ist verheiratet, yezidischen Glaubens, kurdische Volkszugehörige und sie besitzt die syrische Staatsangehörigkeit. Nach eigenen Angaben reiste sie – zusammen mit ihrer Tochter (...) sowie drei weiteren Kindern – von Syrien kommend am 01. August 2011 zunächst nach Italien, wo sie erkennungsdienstlich behandelt wurde und am 21. August 2011 in B-Stadt einen Asylantrag stellte, und alsdann am 07. September 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 12. September 2011 stellte sie bei der Außenstelle des Bundesamtes in H-Stadt einen (weiteren) Asylantrag.
- 2
Die Beklagte richtete unter dem 07. Februar 2012 an Italien ein Übernahmeersuchen gem. Art. 10 Dublin-II-VO (Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 10.02.2003). Mit Schreiben vom 16. Februar 2012 erklärten die italienischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags der Klägerin.
- 3
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag der Klägerin mit Bescheid vom 13. Juni 2012 als unzulässig ab und ordnete ihre Abschiebung nach Italien an. Nach der Dublin-Verordnung sei Italien für die Bearbeitung ihres Asylantrags zuständig; außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach § 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich.
- 4
Die Klägerin hat am 29. Juni 2012 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, sie könne wegen der allgemeinen Situation von Asylbewerbern in Italien nicht darauf verwiesen werden, in Italien ein Asylverfahren durchzuführen, weil davon auszugehen sei, dass das Asylverfahren dort nicht ordnungsgemäß durchgeführt würde. Sie besitze einen Anspruch auf Asyl und Flüchtlingsschutz sowie Abschiebungsschutz; hierüber sei durch das Bundesamt zu entscheiden.
- 5
Die Klägerin hat beantragt,
- 6
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen und dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gegeben sind.
- 7
Die Beklagte hat beantragt,
- 8
die Klage abzuweisen.
- 9
Sie hat die Ansicht vertreten, Italien erfülle bei der Durchführung von Asylverfahren die Mindeststandards der Europäischen Union. In den italienischen Aufnahmeeinrichtungen seien zahlreiche humanitäre Organisationen tätig, die dies gewährleisten würden. Insbesondere hätten Asylbewerber in Italien vollen Zugang zum Gesundheitssystem. Anders als im Fall Griechenlands gebe es keine Empfehlung des UNHCR, Flüchtlinge nicht an Italien zu überstellen. Dementsprechend habe das Bundesverfassungsgericht auch Verfassungsbeschwerden gegen erstinstanzliche Entscheidungen, denen zufolge eine Abschiebung nach Italien möglich sei, nicht zur Entscheidung angenommen. Ferner sei eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen ergangen, wonach die asylrechtlichen Mindeststandards in Italien gewährleistet seien und woraus sich ergebe, dass der Bericht von Bethke und Bender zu den Problemen der Flüchtlinge in Italien kritisch zu betrachten sei.
- 10
Auf den Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 07. März 2012 – 9 B 57/12 MD – die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung der Klägerin nach Italien vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu unterlassen.
- 11
Mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 verpflichtet, über den Asylantrag der Klägerin in eigener Zuständigkeit zu entscheiden und ein Asylverfahren durchzuführen. Die Klägerin habe nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchführe; das insoweit bestehende Ermessen der Beklagten sei auf Null reduziert. Der Klägerin könne die Durchführung eines Asylverfahrens in Italien nicht zugemutet werden.
- 12
Der Senat hat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Zulassungsantrag, wonach sie an ihrer bisherigen Auffassung festhält, die Klägerin könne in Anbetracht der in Italien gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse auf die Durchführung eines Asylverfahrens dort verwiesen werden.
- 13
Die Beklagte beantragt,
- 14
die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 9. Kammer - vom 10. Juli 2012 abzuweisen.
- 15
Die Klägerin beantragt,
- 16
die Berufung zurückzuweisen.
- 17
Sie macht geltend, die Beklagte beziehe sich zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen auf bloße Vorschriften und eine nicht mehr aktuelle Rechtsprechung, während neue Berichte nicht zur Kenntnis genommen würden. Der Auffassung der Beklagten sei im Hinblick auf die humanitäre Situation in Italien entgegen zu halten, dass sich die Situation der Flüchtlinge in Italien aufgrund des anhaltenden Flüchtlingsstroms aus Tunesien und anderen nordafrikanischen Staaten dramatisch verschlechtert habe. Italien sei bereits zuvor mit der Aufnahme von Flüchtlingen und deren ordnungsgemäßer Unterbringung überfordert gewesen. Aufgrund des momentanen Flüchtlingsstroms nach Italien habe sich die Situation noch verschlechtert; es sei damit zu rechnen, dass der Klägerin bereits aus diesem Grunde ein ordnungsgemäßes Asylverfahren verwehrt werde und dass sie obdachlos würde. Im Übrigen dürfe nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs (Urteil v. 21.12.2011 - C-411/11, C-493/10 -) ein Asylbewerber bereits dann nicht an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-II-VO überstellt werden, wenn ernsthafte Hinweise auf systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat vorlägen, die eine Gefährdung des Asylbewerbers nahe legen würden. Solche ernsthaften Hinweise lägen hier vor. Die vorliegenden Berichte und sonstigen Erkenntnismittel gingen davon aus, dass das staatliche Aufnahmesystem in Italien völlig überlastet sei. Es existierten 3.000 Plätze, die eine Aufnahme von Asylbewerbern für jeweils nur sechs Monate vorsehen würden. Im Jahre 2011 hätten indessen laut Presseberichterstattung (Spiegel online v. 26.04.2011) in Italien bis Anfang Mai bereits 26.000 Flüchtlinge um Schutz nachgesucht.
- 18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten und auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten (Beiakte A) sowie auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 19
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Klägerin mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 zu Unrecht stattgegeben.
- 20
I. Die Klage ist teilweise unzulässig.
- 21
1. Die als Verpflichtungsklage erhobene Klage ist “lediglich“ als Anfechtungsklage zulässig. Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juni 2012 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag der Klägerin gem. § 27a AsylVfG (wegen fehlender Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland) unzulässig ist, ist allein die Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01. 2010 - 11 K 8136/09 -; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009,409; Urt. v. 29.09.2009 - 7 K 269/09.F.A -; Urt. v. 23.06. 2010 - 7 K 2789/09.F.A. -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11. 2011 - AN 11 S 11.30508 -; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -; Beschl. v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A. -; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, alle: Juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27a Rdnr. 18; a. A. statthaft nur die Verpflichtungsklage: OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A - Juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/ 09.WI.A -).
- 22
Im Fall der Aufhebung einer – wie hier – auf § 27a AsylVfG gestützten Entscheidung wegen Unzulässigkeit des Asylantrages ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens („in eigener Zuständigkeit“) vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch ohne ein hierauf gerichtetes Verpflichtungsbegehren eröffnet. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides bereits von Gesetzes wegen zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet (vgl. § 31 Abs. 2 AsylVfG zur Entscheidung des Bundesamtes über beachtliche Asylanträge). Da grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, bedarf es demzufolge einer Verpflichtungsklage nicht (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01.2010, a. a. O.; vgl. auch VG Frankfurt/Main, Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.).
- 23
Überdies muss bezweifelt werden, ob es sich bei der Entscheidung nach Art. 3 Abs. 2 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist – Dublin-II-VO – [z. T. auch „EG-AsylZustVO“ genannt] – (ABl. L 50 vom 25.02.2003, S. 1 -10) um einen (selbständigen) Verwaltungsakt handelt, so dass eine Verpflichtungsklage bzw. – unter Berücksichtigung des im Rahmen der genannten Vorschrift eingeräumten Ermessens – eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung in Betracht kommt, oder ob es sich bei der gem. § Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zu treffende Entscheidung nicht um eine bloß inzidente handelt, da es allein um die Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten geht.
- 24
Ebenso scheidet eine Verpflichtungsklage aus, die unmittelbar auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. § 16a GG bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG oder aber - hilfsweise - auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichtet ist. Denn eine Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht nur dann, wenn ein „mit seinem Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebener Ausländer“ den Klageweg beschreitet (BVerwG, Urt. v. 06.07.1998 - 9 C 45.97 - BVerwGE 107, 128 ff.). Hat hingegen das Bundesamt (noch) keine Sachentscheidung getroffen, so würde dem Betroffenen in dem Falle des “Durchentscheidens“ des Gerichts durch Verpflichtungs-urteil eine Tatsacheninstanz genommen, nämlich dass eine inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgt (ebenso: VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.; VG Schleswig, Urt. v. 03.08. 2011 - 1 A 46/11 - und Beschl. v. 12.09.2011 - 12 A 124/10 -; a. A. VG Braunschweig, Urt. v. 21.02.2013 - 2 A 126/11 - u. a. mit Verweis auf VGH Mannheim, Urt. v. 19.06.2012 - A 2 1355/11 -, Juris).
- 25
Im Übrigen verhält es sich bei der Entscheidung nach § 27a AsylVfG ähnlich wie in Fällen der Entscheidung des Gerichts über eine Einstellung des Asylverfahrens nach§ 32 AsylVfG wegen vermeintlicher Antragsrücknahme bzw. Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG sowie in den Fällen der gerichtlichen Entscheidung bei fiktiver Antragsrücknahme nach§ 33 AsylVfG. In den genannten Fällen ist nach der hierzu ergangenen einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94 -, NVwZ 1996, S. 80 = Juris; vgl. auch Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m. w. N.) die Verpflichtungsklage unzulässig, weil die verweigerte sachliche Prüfung des Asylantrages nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen ist.
- 26
Auch ist im Hinblick auf die mit dem angefochtenen Bescheid angeordnete Abschiebung der Klägerin nach § 34a Abs. 1 AsylVfG die Verpflichtungsklage nicht veranlasst und stattdessen eine Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO ausreichend (vgl. VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O. und Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 34a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a. a. O., § 34a Rdnr. 64). Soweit es nämlich darum geht, dass die Beklagte von einem Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02. September 2003 (Abl. L 222 S. 3) Gebrauch macht, bedarf es im Urteil über eine entsprechende inzidente Feststellung hinaus keiner ausdrücklichen Verpflichtung der Beklagten, von einer Abschiebung abzusehen.
- 27
Es ist vorliegend davon auszugehen, dass die Anfechtungsklage vom Verpflichtungsbegehren der Klägerin (mit-)umfasst ist. Gegenstand der Anfechtungsklage ist nach allem ausschließlich die Frage nach der Zuständigkeit der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens, wobei die Frage nach dem rechtlich gebotenen Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland inzident zu beantworten ist.
- 28
2) Der Klägerin steht für ihre Klage auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse zur Seite, da sie weiterhin nach Italien zurückgeführt bzw. rücküberstellt werden könnte, nachdem die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 d. Sachakte) ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung ihres Asylantrags erklärt haben, indem sie dem Übernahmeersuchen stattgegeben und damit ihrer Rücküberstellung zugestimmt haben.
- 29
II. Die Klage ist im Übrigen unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Asylantrag der Klägerin zu Recht als unzulässig abgelehnt und zugleich ihre Abschiebung nach Italien angeordnet. Es musste im vorliegenden Fall insbesondere auch nicht von der Möglichkeit des Selbsteintritts der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch machen.
- 30
1) Rechtsgrundlage des Bescheides vom 13. Juni 2012, mit dem das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin als unzulässig abgelehnt hat, ist § 27a AsylVfG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier der Fall. Zu Recht ist die Beklagte im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass die Republik Italien für die Durchführung eines Asylverfahrens der Klägerin zuständig ist.
- 31
a) Die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO, sofern nicht die nach Art. 5 Abs. 1 der genannten Verordnung vorrangig zu prüfenden Zuständigkeitskriterien nach Art. 6 bis 9 der Verordnung einschlägig sind.
- 32
Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, sofern auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 der Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III derVerordnung (EG) Nr. 2725/2000, festgestellt wird, dass der Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze des Mitgliedstaats illegal überschritten hat (vgl. auch Art. 18 Abs. 4 und 5 Dublin-II-VO).
- 33
Dies bedeutet, dass – soweit nicht die Vorschriften nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO einschlägig sind – im vorliegenden Fall Italien für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zuständig ist, da sie ihren eigenen Angaben zufolge aus Syrien kommend die Grenze nach Italien illegal überschritten hat (und dort – in B-Stadt – am 21. August 2011 zugleich einen Asylantrag gestellt hat [Bl. 108 ff. d. Sachakte]).
- 34
Die insoweit gegebene Zuständigkeit endet zwar gem. Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Die Klägerin hat jedoch am 12. September 2011 und damit noch vor Ablauf der Jahresfrist ihren Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt, so dass die Zuständigkeit Italiens nicht nach Satz 2 entfallen ist. Die Einreise der Klägerin nach Italien erfolgte am 07. September 2011; die Jahresfrist lief somit am 07. September 2012 ab. Dass die Frist nunmehr abgelaufen ist, ist unschädlich, weil für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Art. 5 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Situation in dem Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
- 35
b) Im Falle der Klägerin sind auch die Voraussetzungen nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich Art. 7 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist, wo ungeachtet dessen, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat, der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, sowie hinsichtlich Art. 8 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – dem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrages obliegt, in dem der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, über dessen Asylantrag noch keine erste Sachentscheidung getroffen wurde. Die genannten Vorschriften sind im Falle der Klägerin jedoch nicht einschlägig.
- 36
Es ist schon nicht ersichtlich, dass die nach Art. 7 und 8 der Verordnung genannten Voraussetzungen bei der Tochter der Klägerin, mit der sie zusammen in das Bundesgebiet eingereist ist, oder bei ihren in Deutschland lebenden volljährigen Kindern vorliegen. Dies kann aber auch dahin stehen. Denn jedenfalls gelten die genannten Personen nicht als „Familienangehörige“ i. S. d. Dublin-II-VO. Hierzu gehört nach Art. 1 Buchst. i) der Verordnung nur die Mitglieder der “Kernfamilie“, d. h. die Ehegatten des Asylbewerbers und unter bestimmten Voraussetzungen der nicht verheiratete Partner des Asylbewerbers, die minderjährigen Kinder der genannten Personen sowie bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern oder Flüchtlingen der Vater, die Mutter oder der Vormund. Ein solches Verwandtschaftsverhältnis der Klägerin zu den mit einreisenden bzw. in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kindern besteht jedoch nicht.
- 37
c) Ebenso sind bei der Klägerin die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Nach Art.15 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien der Verordnung nicht zuständig ist. Dass die Klägerin vorliegend aus humanitären Gründen mit ihren Familienangehörigen zusammenzuführen ist und nicht auch auf ein eigenständiges Leben in Italien verwiesen werden kann, zumal ihre Kinder teilweise in Deutschland, teilweise in Österreich leben bzw. teilweise ihr Aufenthalt unbekannt ist, lässt sich nicht feststellen. Die Klägerin befindet sich in Begleitung ihrer volljährigen Tochter; beide sind reisefähig und nach Italien zu überstellen.
- 38
Ebenso sind die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt, wonach im Regelfall von einer Trennung der Familienangehörigen abzusehen bzw. eine Zusammenführung vorzunehmen ist, wenn die betroffene Person u. a. wegen einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung durch die anderen Person(en) angewiesen ist. Diese Voraussetzungen liegen bei der 67-jährigen Klägerin nicht vor; entsprechendes ist jedenfalls nicht vorgetragen worden.
- 39
Eine andere Einschätzung ist auch nicht im Hinblick auf die einleitende Erwägung zu Nr. 6 Dublin-II-VO veranlasst, wonach die Einheit der Familie (grundsätzlich) gewahrt bleiben soll, soweit dies mit den sonstigen Zielen vereinbar ist, die mit den Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrages zuständigen Mitgliedstaats angestrebt werden. Nicht anders verhält es sich mit Blick auf die einleitende Erwägung nach Art. 7 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach die Mitgliedstaaten von den Zuständigkeitskriterien abweichen können, um eine räumliche Annäherung von den Familienmitgliedern vorzunehmen, soweit dies aus humanitären Gründen erforderlich ist. Bei den genannten Regelungen handelt es sich indes um bloße programmatische Vorgaben, aus denen sich, unabhängig davon, dass die Voraussetzungen hier nicht vorliegen dürften, für die Asylbewerber keine unmittelbaren Rechte ableiten lassen.
- 40
d) Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Zwar hat das Bundesamt nicht innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags der Klägerin vom 12. September 2011 ein Wiederaufnahme- bzw. Übernahmeersuchen an die Republik Italien gestellt; das war indes auch nicht erforderlich. Da die Klägerin bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hat, steht in ihrem Fall eine Wiederaufnahme durch Italien im Sinne des Art. 16 Abs.1 c) bis e) Dublin-II-VO in Rede, nicht hingegen eine Aufnahme seitens Italiens im Sinne des Art. 16 Abs.1 a) Dublin-II-VO. Die Dublin-II-VO unterscheidet insoweit gem. Art.16 Abs.1 lit. a) einerseits und Art. 16 Abs. 1 lit. c) bis e) andererseits zwischen der Überstellung des Asylsuchenden in einem Aufnahmeverfahren gemäß den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO und einer Überstellung im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 20 Dublin-II-VO. Das Aufnahmeverfahren findet statt, wenn der Asylsuchende im ersuchten Mitgliedstaat noch keinen Asylantrag gestellt hat, während das Wiederaufnahmeverfahren einschlägig ist, wenn dort bereits ein Asylantrag gestellt wurde. Insofern wird der Anwendungsbereich der nachfolgenden Art. 17 bis 20 Dublin-II-VO durch Art. 16 Dublin-II-VO bestimmt.
- 41
Aus der systematischen Trennung zwischen Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren folgt, dass im Wiederaufnahmeverfahren keine Frist für das Übernahmeersuchen gilt, denn die insofern allein maßgebliche Regelung des Art. 20 Dublin-II-VO normiert weder selbst eine solche Frist, noch nimmt sie auf die für das Aufnahmeverfahren geltende Regelung in Art. 17 Abs.1 Dublin-II-VO Bezug. Es verhält sich gerade nicht in der Weise, dass Art. 20 Dublin-II-VO nur spezielle Modalitäten für die Wiederaufnahme regelt und im Übrigen die Regelungen der Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO anwendbar wären. Vielmehr handelt es sich bei den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO einerseits und dem Art. 20 Dublin-II-VO andererseits um jeweils eigenständige Regelungskomplexe (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 06.02.2013 - 17 L 150/13.A -; Beschl. v. 26.04.2013 - 17 K 1777/12.A -; VG Hamburg, Beschl. v. 22.09.2005 - 13 AE 555/05 -; VG Augsburg, Gerichtsbescheid v. 09.05.2011 - Au 3 K 10.30468 - Juris; VG Regensburg, Beschl. v. 05.07.2013 - RN 5 S 13.30273 -; VG Göttingen, Beschl. v. 11.10.2013 - 2 B 805/13 -; a.A.: VG Düsseldorf, Beschl. v. 07.08. 2012 - 22 L 1158/12.A -, alle: Juris).
- 42
Art. 17 Abs.1 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, zuständig wird, wenn das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten unterbreitet wird, findet im Fall der Klägerin folglich keine Anwendung, so dass sich hieraus auch keine Zuständigkeit der Beklagten ergibt. Dementsprechend haben die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 R, 116 d. Sachakte) auch ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme bzw. Übernahme der Klägerin erteilt.
- 43
e) Ferner ist die Zuständigkeit nicht nach Art. 19 Abs. 3 und 4 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO erfolgt die Überstellung des Schutzsuchenden von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin-II-VO i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Dabei ist unerheblich, dass die Entscheidung der Beklagten nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 der Verordnung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat; allein entscheidend ist, dass ihr eine solche durch eine entsprechende gerichtliche Entscheidung zuerkannt worden ist (vgl. Hess.VGH, Beschl. v. 23.08.2011 - 2 A 1863/10.Z.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.06.2012 - A 2 S 1355/11 -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; offengelassen: OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -, alle: Juris).
- 44
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 02. August 2012 - 4 MC 133/12 - (< Rn. 17 zitiert nach Juris >) zu § 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO und zu dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin-II-VO grundsätzlich vorgesehenen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ausgeführt:
- 45
„Der Annahme der aufschiebenden Wirkung des hier eingelegten Rechtsbehelfs steht auch nicht die Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 Satz 4 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 entgegen. Danach hat ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nach Absatz 1 keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem inner-staatlichen Recht zulässig ist. Zwar darf nach § 34a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) nicht nach§ 80oder § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung ausgesetzt werden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass durch diese Vorschrift eine andere Entscheidung im Sinne von Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Hs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts ausgeschlossen ist und daher ein Rechtsbehelf wegen § 34a Abs. 2 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 haben kann. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr ausdrücklich entschieden, dass der Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 34a Abs. 2 AsylVfG in den Fällen, in denen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) erfolgen soll, in Ausnahmefällen, die nicht vom „normativen Vergewisserungskonzept“ des Gesetzgebers über die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in einem sog. sicheren Drittstaat erfasst sind, der Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz gegen eine sofortige Überstellung nicht entgegensteht (BVerfG, Urt. v. 14.5. 1996, a. a. O.). Diese Rechtsprechung wird - soweit ersichtlich - von den Verwaltungsgerichten auf die Abschiebung in einen anderen Staat, der nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, mit der Begründung übertragen, dass die vom Bundesverfassungsgericht angestellten Erwägungen zu § 26a AsylVfG auch auf die Vorschrift des§ 27a AsylVfG zutreffen, weil die nach europäischen Recht für die Asylentscheidung zuständigen Mitgliedstaaten zugleich sichere Drittstaaten im Sinne von § 26a AsylVfG sind (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 1.3.2012 - 1 B 234/12.A - und v. 11.10. 2011 - 14 B 1011/11.A -; ferner Nds. OVG, Beschl. v. 2.5.2012 - 13 MC 22/22 - und Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-). Unter diesen Umständen kann daher keine Rede davon sein, dass es nach der innerstaatlichen Rechtslage in Deutschland unzulässig sei, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellung auf der Grundlage der Zuständigkeitsbestimmungen in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 anzuordnen. Unabhängig davon stellt die für den Fristenbeginn der Überstellung maßgebliche Vorschrift des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 nach ihrem Wortlaut auch ausdrücklich darauf ab, dass einem eingelegten Rechtsbehelf tatsächlich aufschiebende Wirkung zukommt und nicht darauf, ob es nach dem innerstaatlichen Recht zulässig ist, die aufschiebende Wirkung anzuordnen (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-).
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Läuft danach die Frist zur Überstellung aufgrund des von dem Antragsteller eingelegten Rechtsbehelfs erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens bezüglich der Durchführung der Überstellung entschieden wird und die der Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann, kann dahinstehen, ob insoweit das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn bereits ausreichend ist oder es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf (so Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.“
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Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an und macht sie sich zu Eigen.
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Da die Klägerin – nach Erlass des angefochtenen Bescheides vom 13. Juni 2012 – gegen ihre Überstellung innerhalb der Frist, bis zu der gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin-II-VO ihre Überstellung nach Italien vorbehaltlich eventuell zu treffender weiterer Maßnahmen erfolgen konnte, einen Rechtsbehelf gegen ihre Überstellung eingelegt hat, dem mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom Beschluss vom 07. März 2012 - 9 B 56/12 MD - aufschiebende Wirkung beigemessen worden ist, beginnt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO eine (neue) sechsmonatige Frist zur Überstellung der Klägerin (erst) ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Klage. Diese Frist ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch nicht abgelaufen, denn der Senat hat dem Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 entsprochen. Nach allem kann hier dahingestellt bleiben, ob im Grundsatz das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn hinsichtlich der Überstellung bereits ausreichend ist oder ob es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf, da die Klägerin jedenfalls erstinstanzlich obsiegt hat.
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2) Die Beklagte ist für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin auch nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zuständig, denn die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, das Selbsteintrittsrecht auszuüben.
- 50
Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-II-VO zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (a. a. O. Satz 3). Ob der Mitgliedstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht dabei grundsätzlich in seinem Ermessen, welches – weil integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen Europäischen Asylsystems (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/ 10 und C-493/10 -,
) – in Übereinstimmung mit den insoweit geltenden unionsrechtlichen Bestimmungen und von den Mitgliedstaaten verfolgten Zielen auszuüben ist.
- 51
Art. 3 Dublin-II-VO ist auch geeignet, subjektive Rechte der Klägerin zu begründen, die von ihr gegen eine vorgesehene Überstellung (Rückführung) in den nach dieser Verordnung für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat geltend gemacht werden können (vgl. dazu den Vorlagebeschluss des Hess.VGH v. 22.12.2010 - 6 A 2717/09.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02. 08.2012 - 4 MC 133/12 - m. w. N., Juris; ferner Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 37 ff. m. w. N.). Denn auch wenn es sich bei Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO um eine Ermessensvorschrift handelt, kann sich der Betroffene – hier die Klägerin – auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gem. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung berufen. Diese Bestimmung ist – anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 25) – nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ihm ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Begünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung der Rechtsnorm besitzen (vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62 -, Slg. 1963, 1 [24] = NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04. 12.1974 - Rs. C-41/74 -, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81 -, Slg. 1982, 53 [71] = NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Dublin-II-VO dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 124 m. w. N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der Europäische Gerichtshof in dem zur Dublin-II-VO ergangenen Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 – (Rdnr. 38, 48 zur Frage des Rechtsschutzes, NVwZ 2009, S. 639 = Juris) aus.
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Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO lediglich das Recht auf eine fehlerfreie Ermessensausübung – welches gegebenenfalls aber auf Null reduziert sein kann (vgl. VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08. 30122 -; Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 134 f. und 223 m. w. N.; Marx, a. a. O. § 27a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser / Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/ Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u. a. und des Belgischen Conseil d'Etat / Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).
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Aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck in der Norm selbst nicht seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 220; Filzwieser / Liebminger, a. a. O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 EG-Vertrag in der Fassung des Amsterdamer Vertrages vom 02. Oktober 1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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Nach Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) EG-Vertrag beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie mit einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Dublin-II-VO erlassen. Im Erwägungsgrund Nr. 5 wird hierzu ausgeführt, dass bezüglich der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf längere Sicht zu einem gemeinsamen Asylverfahren und einem unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird, führen sollte, im derzeitigen Stadium die Grundsätze des am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichneten Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gestellten Asylantrags(4) (nachstehend „Dubliner Übereinkommen“ genannt), dessen Durchführung die Harmonisierung der Asylpolitik gefördert hat, mit den aufgrund der bisherigen Erfahrungen erforderlichen Änderungen beibehalten werden sollten. Weiterhin wird insbesondere im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - EuGrdRCh - anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 EuGrdRCh verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
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Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, Juris) lässt das im EU-Vertrag vorgesehene und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeitete gemeinsame Europäische Asylsystem allerdings die Annahme begründet erscheinen, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 (GFK) sowie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - (EMRK) finden. Es gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta und der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. M. a. W. ausgehend von der Annahme, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i. S. d. Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz (GG) bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden „Konzepts der normativen Vergewisserung“ (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/133 - Juris, Rn. 179 ff.) bzw. des „Prinzips des gegenseitigen Vertrauens“ (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - Rs C-411/10 und C-393/10 – Juris, Rn. 79 ff.) grundsätzlich davon auszugehen, dass die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Grundrechtscharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention in diesen Ländern sichergestellt ist. Auch die Dublin-II-Verordnung beruht wie jede andere auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK, der EMRK und der EuGrdRCh in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und Nr. 12 Dublin-II-VO und Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EG-Vertrag, - so auch VG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 02.10.2008 - 6 B 56/08-, Juris und VG Regensburg, Beschl. v. 15.09.2008 - RO 3 E 08.30124 - Juris).
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Dies bedeutet zugleich, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris) ein Ausländer, der in einen sicheren Drittstaat zurück verbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern kann, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Für ihn kommen deshalb entsprechend dem mit Art. 16a Abs. 2 GG verfolgten „Konzept normativer Vergewisserung“ über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, grundsätzlich nicht in Betracht.
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Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland dann Schutz zu gewähren, wenn ein solcher durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des „Konzepts normativer Vergewisserung“ durch Gesetz berücksichtigt werden konnten oder aber sich die für die Qualifizierung als “sicher“ maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung hierauf noch aussteht. So sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a. a. O.) Ausnahmen u. a. dann geboten, wenn der Drittstaat gegenüber dem Schutzsuchenden selbst zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird, oder wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer der Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (vgl. zur Problematik der Bestimmung des „sicheren Drittstaates“: BVerfG, Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 - DVBl. 2009, 1304; Lübbe-Wolff, Das Asylgrundrecht nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 - DVBl. 1996, 825 ff.; s. insbesondere auch zur europa-rechtlichen Dimension: Weinzierl / Hruschka, Effektiver Rechtsschutz im Lichte deutscher und europäischer Grundrechte, NVwZ 2009, 1540 ff.).
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Vergleichbares gilt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn es um die Rückführung eines Ausländers in den für seinen Asylantrag zuständigen Staat im Sinne des § 27a AsylVfG geht. Dies bedeutet, dass auch der Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO „nur“ eine Ausnahme darstellt bzw. Sonderfällen vorbehalten ist. Denn eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat oder in den nach europäischem Recht oder Völkerrecht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, ist nur dann veranlasst, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme aufdrängt, dass der Asylbewerber von einem der im normativen Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 GG und der §§ 26a, 27a, 34a AsylVfG nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind dabei auch im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris). Die Annahme eines sicheren Drittstaates ist daher nur dann widerlegt, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh bzw. der inhaltlich identischen Vorschrift des Art. 3 EMRK (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EuGRrdRCh) implizieren.
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Nach der zu Art. 3 EMRK ergangenen Rechtsprechung des EGMR, auf die zur Auslegung von Art. 4 EuGrdRCH zurückzugreifen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 21.01.2011, 2011 - No. 30696 – M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, Rn. 88 m. w. N. – Juris) ist eine Behandlung unmenschlich, wenn sie absichtlich erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Eine Behandlung ist hingegen als erniedrigend anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und dadurch fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert, oder wenn sie Angst, Furcht oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder physischen Widerstand der Person zu brechen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.01.2011, a. a. O., Rn. 220 m. w. N.).
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Die ernsthafte Befürchtung grundlegender Mängel besteht nur dann, wenn in einem Mitgliedstaat eine ständige Verletzung der Kernanforderungen des europäischen Asylrechts, wie sie in den Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union ihren Niederschlag gefunden haben, stattfindet und dadurch die Menschenwürde, das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Flüchtlings beeinträchtigt wird (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Beschl. v. 22.12.2008 - 13 L 1993/08.A - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84.11 A - Juris; VG Hannover, Beschl. v. 07.06.2011 - 1 B 2106/11 - asyl.net; VG Düsseldorf, Beschl. v. 12.09.2011 - 6 L 866/11.A - Juris; Lehnert / Pelzer, Effektiver Rechtsschutz im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin II-Verordnung, ZAR 2010, 41 ff.; Lehnert/Pelzer, Der Selbsteintritt der Mitgliedstaaten im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin-II-Verordnung, NVwZ 2010, 613 ff.). Bei der Beurteilung der Frage, ob für Asylbewerber in Italien dementsprechend ein “richtliniekonformes“ Verfahren gewährleistet ist, ist dabei zunächst das Schutzniveau in den Blick zu nehmen, das sich aus Art. 28 (Sozialleistungen) und Art. 31 (Zugang zu Wohnraum) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 – Qualifikationsrichtlinie – ergibt und sodann jenes, das sich für das Asylverfahren aus der Dublin-II-VO selbst ergibt. Zugleich ist als Maßstab die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten heranzuziehen sowie die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Danach gehören zu den Kernanforderungen des europäischen Asylrechts der Zugang zu einem geordneten Asylverfahren und die Gewährung materieller Aufnahmebedingungen, welche die Grundbedürfnisse nach Unterkunft, Nahrung und medizinischer Versorgung abdecken.
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Die vorstehend aufgezeigten Grundsätze stehen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat mit Urteil vom 21.12.2011 - C 411/10 und C-493/10 - (Juris) ausgeführt, das Gemeinsame Europäische Asylsystem sei in einem Kontext entworfen, der grundsätzlich die Vermutung rechtfertige, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Gleichwohl könne – so der Gerichtshof – nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoße, so dass die ernstzunehmende Gefahr bestehe, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt würden, die mit den Grundrechten unvereinbar sei. Dabei berühre nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Dublin-II-VO. Sei jedoch ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufwiesen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Grundrechtscharta implizierten, so sei eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar.
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Bei der Beurteilung der anstehenden Frage nach dem Vorliegen eines systemischen Versagens in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in dem Mitgliedstaat ist überdies nicht (allein) darauf abzustellen, welche (abstrakte) Rechtslage dort herrscht, mithin ob etwa die vorgenannten Richtlinien in nationales Recht umgesetzt wurden, sondern es sind (ebenfalls) die konkreten bzw. realen Verhältnisse für die Asylbewerber, mithin die bestehende tatsächliche Verwaltungs- und Rechtspraxis in den Blick zu nehmen (ebenso VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009, 406 = Juris).
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Ferner ist darauf abzustellen, ob es sich bei eventuell feststellbaren Defiziten und Mängeln, etwa in Form von Rechtsverstößen und zu erwartenden Beeinträchtigungen, nur um Einzelfälle oder – soweit es sich nicht nur um Einzelfälle handelt – um bloße vorübergehende, temporäre Erscheinungen handelt, die etwa einer überraschenden Entwicklung geschuldet sind, denen aber in naher Zukunft voraussichtlich abgeholfen wird. Anders verhält es sich indes in jenen Fällen, in denen aufgrund einer Vielzahl von Referenzfällen hinreichend belegte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die Missstände und Unzulänglichkeiten dauerhaft manifestiert haben. Die insoweit erforderliche Feststellung des Vorliegens systemischer Mängel und Missstände hat somit eine quantitative wie qualitative Komponente. Ob die desolaten Verhältnisse im Mitgliedstaat dabei darauf zurückzuführen sind, dass dieser zur Schaffung geordneter und richtlinienkonformer Verhältnisse nicht bereit oder nicht in der Lage ist, macht dabei grundsätzlich keinen Unterschied.
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3) In Anwendung der genannten Kriterien ist im Fall der Klägerin von Folgendem auszugehen:
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Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, in Ausübung des insoweit bestehenden Ermessens von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen. Auch kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, sie besitze zumindest einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO, um als Ausnahme von den sonstigen Zuständigkeitsregeln der genannten Verordnung die Prüfung ihres Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. Diesem Recht der Klägerin ist mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten entsprochen worden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte ihr Ermessen verkannt hätte; auch rechtfertigt sich nicht die Annahme des Vorliegens eines formellen Ermessensfehlers, da keinerlei Gründe vorliegen, die einen sog. Selbsteintritt zu rechtfertigen vermögen.
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Zur Überzeugung des Senats ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie von “Dublin-II-Rückkehrern“ in Italien nicht ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und / oder die Aufnahmebedingungen dort derart grundlegende Mängel aufweisen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh zu erwarten steht. Der Senat ist vielmehr unter Anlegung der zuvor genannten strengen Maßstäbe zur Überzeugung gelangt, dass für die nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. rücküberstellten Asylbewerber in der Gesamtschau ein ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren gewährleistet ist und dass für den Fall der Abschiebung bzw. Rückführung der betroffenen Asylsuchenden zwecks Durchführung eines Asylverfahrens nicht mit schwerwiegenden Rechtsverstößen und Beeinträchtigungen zu rechnen ist (ebenso oder ähnlich u. a.: OVG Lüneburg, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -; Beschl. v. 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 –; VG Bremen, Beschl. v. 15.04.2013 - 2 V 440/13.A -; VG Regensburg, Beschl. v. 05.02.2013 - RN 5 S 13.30026 -; Beschl. v. 26.02.2013 - RN 9 K 11.30445 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 17.09.2012 - 13 L 1447/12.A -; Beschl. v. 08.01.2013 - 6 L 104/13.A - und Beschl. v. 06.02. 2013 - 17 L 150/13.A -; VG Augsburg, Urt. v. 11.01.2013 - Au 6 K 12.30358 -; VG Leipzig, Urt. v. 07.12.2012 - A 1 K 973/11 -; VG München, Beschl. v. 08.11.2012 - M 15 E 12.30772 -; VG Würzburg, Beschl. v. 30.10.2012 - W 6 E 12.30288 -; VG Trier, Beschl. v. 25.10.2012 - 5 L 1146/12.TR -; VG Schwerin, Beschl. v. 27.09. 2012 - 8 B 434/12 As -; VG Bayreuth, Urt. v. 12.06.2012 - B 3 K 11.30142 - [bestätigt durch BayVGH, Beschl. v. 6.02.2013 - 20 ZB 12.302856 -]; a. A. oder eine Entscheidung in der Hauptsache vorbehaltend: VG Köln, Beschl. v. 07.05.2013 - 20 L 613/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 30.04.2013 - 10a L 484/13.A -; VG Schwerin, Beschl. v. 15.03.2013 - 3 B 111/13 As -; VG Aachen, Beschl. v. 14.03. 2013 - 9 L 53/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 19.02.2013 - 15a L 194/13.A -; Beschl. v. 27.02.2013 - 15a L 194/13.A -; VG Gießen, Urt. v. 24.01.2013 - 6 K 1329/12.Gl.A -; VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.10.2012 - A 9 K 2386/12 - und Beschl. v. 22.01.2013 - A 9 K 179/13 -; VG Stuttgart, Beschl. v. 08.01.2013 - A 7 K 3929/12 -; VG des Saarlandes, Beschl. v. 03.09.2012 - 3 L 789/12 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 29.08.2012 - 14 L 1392/12.A – alle: Juris; VG Freiburg, Beschl. v. 27.10.2011 - A 5 K 2081/11 -; VG Magdeburg, Beschl. v. 17.07.2012 – 9 B 148/12 -; Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 100/11 -; Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -; vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/ 12.A - Juris). Das Asylsystem in Italien mit dem dort geregelten und praktizierten Aufnahme- und Asylverfahren einschließlich der Unterbringungs- und Versorgungslage für die in Italien schutzsuchenden Flüchtlinge und Asylbewerber entspricht den Anforderungen des europäischen Asylsystems, selbst wenn es in Teilbereichen gewisse Mängel und Defizite aufweist. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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a) Nach dem dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterial ist davon auszugehen, dass für Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien, jedenfalls soweit es sich um Dublin-II-Rückkehrer handelt, grundsätzlich ein geordnetes Aufnahmeverfahren und auch ein ungehinderter Zugang zum Asylverfahren gewährleistet sind.
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Der Senat verkennt nicht, dass es in Italien für Asylbewerber und Flüchtlinge – und zwar bis in die jüngste Vergangenheit hinein – eine Vielzahl von Einreiseverweigerungen und Abschiebungen gegeben hat, bevor ein Asylverfahren durchgeführt werden konnte bzw. ein solches abgewartet worden wäre. Namentlich sind Fälle bekannt geworden, wonach es Zurückweisungen von Flüchtlingen auf hoher See und vor der italienischen Küste, aber auch vom italienischen Territorium gegeben hat, die offenbar darauf abzielten, den Strom von Flüchtlingen – insbesondere aus Nordafrika – abzuwehren, die in Italien Zuflucht haben suchen wollen (vgl. UNHCR, Bericht v. 16.08. 2011: „Hunderte Neuankömmlinge aus Libyen und Tunesien in Italien“, abrufbar unter: http://www.unhcr.de/print/home/artikel/042d9651d6d525aad46e97d7ee7848db/hunde).
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Trotz der bekannt gewordenen zahlreichen Verstöße gegen das Refoulement-Verbot und teilweise vorhandener unangemessener Erschwernisse beim Zugang zu einem Asylverfahren in Italien in den vergangenen Jahren lässt sich aber – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats betrifft – nicht (mehr) davon ausgehen, dass es, sieht man einmal von Einzelfällen ab, in Italien gegenwärtig noch zu derartigen gravierenden Rechtsverletzungen kommt, wie sie in der Vergangenheit zu beklagen waren.
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Vielmehr sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlingen und Asylsuchenden, die in Italien um Schutz nachsuchen wollten, bei ihrer Einreise auf dem Seeweg oder auf dem Landwege die Einreise oder der Aufenthalt in Italien verweigert worden sind (AA, Auskunft v. 21.02. 2013 an OVG LSA, Anm. 1.1.). Ebenso sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende nach ihrer Einreise nach Italien in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben worden sind, ohne dass sie in Italien den von ihnen beabsichtigten Asylantrag stellen konnten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 1.2.). Schließlich sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes in jüngster Zeit auch keine Fälle (mehr) bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende trotz eines in Italien gestellten Asylantrages in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben wurden (AA, a. a. O. Anm. 1.2.). Hiernach lässt sich zumindest gegenwärtig nicht mehr die Feststellung treffen, dass in Italien der Anspruch Schutzsuchender auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens generell oder auch nur regelmäßig vereitelt wird (bereits für die Vergangenheit verneinend u. a.: VG Hannover, Beschl. v. 07.07. 2011 - 1 B 2106/11 - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84/11 - Juris). Dies bedarf hier indes keiner Vertiefung.
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Denn jedenfalls lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen, dass für die im Rahmen des Verfahrens nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. zurückgeführten Asylbewerber regelmäßig oder sogar überwiegend ein ordnungsgemäßes Asylverfahren nicht gewährleistet ist. Aufgrund eines für diesen Personenkreis gesetzlich speziell geregelten Rückführungsverfahrens ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass diese nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren dort bereits gestellten Asylantrag weiterverfolgen bzw. erstmals einen Asylantrag stellen können und ihnen insoweit der Zugang zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren nicht versperrt wird. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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Asylbewerber, die gemäß dem Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehren bzw. zurückgeführt werden, treffen in der Regel auf dem Luftweg auf den Flughäfen Fiumicino in Rom, Malpensa in Mailand, Bergamo, Venedig, Bari, Brindisi oder Ancona ein. Dort werden sie – auch wenn es in Italien kein Flughafenverfahren wie in Deutschland gibt (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)) – von der Polizei in Empfang genommen und es wird ihnen eine Unterkunft in einer der Aufnahmeeinrichtungen zugeteilt, sofern ein Asylantrag gestellt wird bzw. ein Asylverfahren, bei dem Verfahrensstand, der bei Ausreise aus Italien vorlag, weitergeführt werden soll (zu allem: Schweizerische Flüchtlingshilfe, „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien. Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende“, Mai 2011, S. 17 und AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 1.4.). Die Polizei macht in diesen Fällen die verantwortliche Questura ausfindig und fordert die Rückkehrer auf, sich dorthin zu begeben. Dabei werden auch die Reisekosten übernommen (Schweizerischen Flüchtlingshilfe, a. a. O., S. 17) bzw. die Person bekommt, wenn die zuständige Questura weiter entfernt ist (Beispiel: Dublin-Rückkehr nach Rom, zuständige Questura in Catania), ein Zugticket ausgehändigt, um dort hinzureisen (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).
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Wenn die Dublin-Rückkehrer von deutschen Beamten /Polizisten begleitet werden, gibt es insoweit keine Unterschiede. Bei ihrer Ankunft werden alle Dublin-Rückkehrer von der Polaria (Luftpolizei) am Flughafen Fiumicino empfangen. Sie werden erneut erkennungsdienstlich behandelt und es erfolgt die Feststellung, welche Questura in Italien für die Person zuständig und wie der Stand des Verfahrens ist (AA, Auskunft v. 11. 09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).
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Bei ihrer Ankunft werden die Ausländer – so auch die Dublin-II-Rückkehrer – von der am Flughafen zuständigen Hilfsorganisation „Confederazione Nazionale delle Misericordie d’Italia“ betreut und in Anwesenheit von Dolmetschern über den weiteren Verfahrensablauf unterrichtet (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW - zu Frage a.)). Die genannte Hilfsorganisation sucht für die Dublin-II-Rückkehrer zugleich eine (vorläufige) Unterkunft in einem Aufnahmezentrum (z. B. einer Einrichtung der „Centri di accoglienza richiedenti asilo“ - CARA -), welches im Allgemeinen für die Erstaufnahme zuständig ist, bis die Zuweisung zu einer Asylunterkunft am Ort der zuständigen Questura erfolgt ist. Während die Dublin-II-Rückkehrer sofort eine Unterkunft in einem entsprechenden Erstaufnahmezentrum erhalten, kann die Zuweisung zu einer Asylunterkunft für die Dauer des Asylverfahrens einige Zeit dauern, weil es zunächst gewisser Formalien den jeweiligen Asylantrag betreffend bei der zuständigen Questura bedarf. Manchmal beträgt dieser Zeitraum nur einige Tage, manchmal aber auch Wochen, z. B. wenn es sich um große Städte und Ballungszentren handelt. Belastbares Zahlenmaterial bezogen auf die Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist mangels statistischer Erhebungen allerdings nicht verfügbar. In den Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber, den bereits erwähnten Einrichtungen der CARA, ist laut Gesetz grundsätzlich ein Verbleib von nicht länger als 20 bis 35 Tagen vorgesehen. Da die Zuweisungsverfahren aber oftmals länger dauern, bleiben die Antragsteller entsprechend länger in diesen Aufnahmezentren (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu den Fragen a.), b.) und c.)).
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Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln erhalten die Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft in Italien zudem Informationsbroschüren über ihre Rechte im Asylverfahren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 2.3.). Diese Broschüren existieren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen, so u. a. in persischer, arabischer, französischer, englischer, italienischer, somalischer, spanischer und tigrinischer Sprache (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 2.3.). Darüber hinaus befinden sich in den Aufnahmeeinrichtungen Betreuungsdienste, die den Asylantragstellern zur Unterstützung zur Verfügung stehen. Diese beschäftigen oftmals Mitarbeiter, die die Landessprache der Hauptherkunftsstaaten der Asylantragsteller beherrschen (AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 2.3.).
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Nach allem besteht für den Senat kein Grund zur Annahme, dass die in Italien Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft dort in unangemessener Weise “sich selber überlassen bleiben“ und sich im Hinblick auf das erstrebte Aufnahme- und Asylverfahren nicht zurecht finden können.
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Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass die Rücküberstellung von Asylbewerbern auf der Grundlage der Dublin-II-Verordnung seitens der italienischen Behörden auf Widerstände stößt. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es im Rahmen des Dublin-Systems vor einer Asylantragstellung oder während des Asylverfahrens zu Einreiserverweigerungen, Rücküberstellungen oder sonstigen Ausweisungen in die Herkunftsländer der Asylbewerber kommt (vgl. UNHCR, Stellungnahme v. 24.04.2012 an VG Braunschweig, S. 5).
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b) Der Senat vermag aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel auch nicht zur Einschätzung zu gelangen, dass Asylsuchende und Flüchtlinge – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts betrifft – nach ihrer Einreise und / oder während ihres Asylverfahrens mangels einer (angemessenen) Unterkunft regelmäßig oder auch nur in einer Vielzahl von Fällen in die Obdachlosigkeit geraten, mithin „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen.
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aa) Dabei ist zunächst hervorzuheben, dass Asylsuchende während des Asylverfahrens einen Rechtsanspruch auf eine Unterbringung besitzen, und zwar gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Dieser Anspruch ist grundsätzlich wohl auch behördlich bzw. gerichtlich durchsetzbar. Dies deckt sich jedenfalls mit einer Antwort der Bundesregierung vom 18. April 2011 auf eine Kleine Anfrage im Bundestag ("Lage von Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen in Italien" – BT-Drucks. 17/5579), aus der sich ergibt, dass Asylbewerber in Italien einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Unterkunft haben. Allerdings kommt es für die Beurteilung der in Rede stehenden Frage nicht in erster Linie auf die bestehende Rechtslage an; maßgeblich ist vielmehr auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen.
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Nach den aktuellen Auskünften des Auswärtigen Amtes stellt sich indes die tatsächliche Unterbringungssituation im Rahmen des italienischen Aufnahmesystems für Asylbewerber und Flüchtlinge Anfang 2013 (5. Kalenderwoche) wie folgt dar:
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Die Aufnahmezentren der CARA verfügen über 5.516 Plätze und beherbergen derzeit ca. 5.300 Personen nebst 2.710 Plätzen in den Einrichtungen der CARA von Lampedusa, so dass insgesamt mehr als 8.000 Plätze zur Verfügung stehen. Die Zahlen im Gutachten von Frau Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 11), wonach 3.163 Personen in den genannten Einrichtungen aufgenommen werden könnten, seien inzwischen überholt (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.).
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Darüber hinaus stehen den Asylbewerbern und Flüchtlingen grundsätzlich die staatlichen Aufnahmeeinrichtungen der SPRAR („Sistems di Protezione per Richiedenti Asilo e Refugiati“) zur Verfügung. Die dort vorhandenen Plätze sind laut Auskunft des Auswärtigen Amtes in der Vergangenheit deutlich angestiegen: Bisher habe es 3.000 Plätze gegeben, so dass dort (weil eine Unterbringung regelmäßig nur für 6 Monate vorgesehen sei) insgesamt 6.000 Personen hätten versorgt und untergebracht werden können (vgl. zur Aufnahmekapazität von etwa 3.000 Personen u. a. auch der Bericht der Schweizerische Flüchtlingshilfe, a. a. O. S. 5). Nunmehr aber stehen nach Auskunft des Auswärtigen Amtes - bestätigt durch Auskünfte von Mitarbeitern der SPRAR und des italienischen Innenministeriums – insgesamt 5.000 Plätze zur Verfügung, so dass 8.000 bis 10.000 Personen untergebracht werden könnten, ungeachtet der im Rahmen des EU-finanzierten FER-Projektes für vulnerable Personen und anderer Projekte vorhandenen weiteren Plätze (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.). Dies entspricht in etwa auch der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.02.2013 auf Anfrage des Senats, wonach inzwischen in ganz Italien 40 Aufnahmezentren mit rund 9.000 Plätzen zur Verfügung stehen (AA, a. a. O., Anm. 4.3.).
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Dem steht z. B. für das Jahr 2012 eine Anzahl von 1.148 Personen gegenüber, die als Rückkehrer im Rahmen der Dublin-II-Verordnung über Rom nach Italien zurückgeschickt wurden und von der Organisation Ariconfraternita am Flughafen von Rom betreut wurden (Gutachten an das VG Braunschweig von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012, S. 25 und S. 59 – in Ermangelung der erfassten Gesamtzahlen der Dublin-Rückkehrer nach Italien). Berücksichtigt man überdies, dass die Zahl der Asylbewerber seit 2012 – trotz gewisser Schwankungen – insgesamt rückläufig ist, kann zumindest gegenwärtig nicht (mehr) von unzureichenden Aufnahme- und Unterbringungskapazitäten ausgegangen werden. Zur Überzeugung des Senats dürfte sich somit die aktuelle Situation in Italien soweit entspannt haben, dass sämtliche Asylbewerber, und insbesondere Dublin-II-Rückkehrer, in den öffentlichen Aufnahmeeinrichtungen Platz finden können (ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -
).
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Die Annahme fehlender Kapazitäten für die Unterbringung von Dublin-II-Rückkehrern nach Italien ist insbesondere auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil es in der Vergangenheit zu einem massiven Zustrom von Flüchtlingen aus Nordafrika gekommen ist und dies zu (nachhaltigen) Engpässen bei der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern geführt hat.
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Der UNHCR hat in diesem Zusammenhang in seiner Stellungnahme vom 24. April 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 3) auf Folgendes hingewiesen: Im Jahre 2011 sind nach der Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika und der darauf folgenden Erklärung des „humanitären Notstandes“ die regionalen Regierungen gebeten worden, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu bestimmen, da die bestehenden Aufnahmekapazitäten als unzureichend eingeschätzt wurden. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden (Regionen, bestimmten Provinzen [„Province Autonome“] und Gemeinden) seien Vereinbarungen getroffen worden, in denen Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Die Verantwortlichkeit für den diesbezüglichen Aufnahmeplan liege beim Leiter des Zivilschutzes („Dipartimento di Protezione Civile“). Bis Anfang 2012 seien 20.000 Personen im Rahmen des Plans in den Notunterkünften, meist in Einrichtungen kleiner bis mittlerer Größe, untergebracht worden, die in ganz Italien verteilt sind.
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Dies deckt sich mit den Auskünften des Auswärtigen Amtes. Danach hätten die vorgehaltenen temporären Aufnahmestrukturen des Zivilschutzes, die anlässlich des Flüchtlingsstromes aus Nordafrika in der Größenordnung von 50.000 Plätzen in den Regionen geschaffen worden seien, die bestehenden Engpässe kompensiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.3.).
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Soweit im Gutachten von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O., S. 15) darauf verwiesen wird, dass die durch den Zivilschutz zusätzlich geschaffenen Unterkünfte nur zeitlich befristet vorgesehen gewesen seien, zunächst wohl nur bis Ende 2011 und alsdann bis Ende 2012, und dass diese inzwischen wieder geschlossen worden seien, so rechtfertigt auch dieser Einwand nach Auffassung des Senats nicht die Annahme, dass es gegenwärtig und zukünftig wieder zu fehlenden Kapazitäten in den staatlichen Einrichtungen kommen wird.
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Zwar trifft es zu, dass das Notstandsprogramm befristet war und inzwischen wohl offiziell ausgelaufen ist. Allerdings trifft es ebenfalls zu, dass die Einrichtungen derzeit faktisch zumindest in einem beschränkten Umfang fortgeführt werden. Grund für die Schließung der Notunterkünfte war der Umstand, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge gegenüber den Vorjahren, insbesondere dem Jahr 2011 und 2012, deutlich zurück gegangen war. Allerdings waren nach Auskunft des Auswärtigen Amtes Anfang des Jahres 2013 noch ca. 17.000 Personen in den temporären Einrichtungen des Zivilschutzes untergebracht (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 4.3.). Das Auswärtige Amt hat unterdessen mit seiner neuesten Auskunft – unter Berufung auf den Leiter des Italienischen Amtes für Aufnahmezentren und Betreuung, Herrn Tommaso Ricciardi vom 04. September 2013 – zum Notstandsprojekt Nordafrika mitgeteilt, dass sich derzeit nur noch etwa 1.000 Personen („vulnerable cases“ und Asylbewerber, die ein Rechtsmittel eingelegt haben) in den Notunterkünften befinden. Offiziell hätten diese nunmehr am 01. September 2013 schließen sollen. Es werde gegenwärtig überlegt, wie die Versorgung dieser Personen weiter gewährleistet werden kann (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW – zu Frage e)).
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Angesichts der aufgezeigten Entwicklung steht auch nicht zu erwarten, dass mit der Schließung der Notunterkünfte die dort untergebrachten bzw. noch verbliebenen Asylbewerber und Flüchtlinge in die staatlichen Unterkünfte drängen und es damit zu erneuten Überbelegungen kommen wird, mithin die Problematik fehlender Kapazitäten in den staatlichen Zentren erneut auftritt. Das Auswärtige Amt weist zudem ausdrücklich darauf hin, dass das Auslaufen des Nordafrika-Programms keine konkreten Auswirkungen auf die Dublin-Rückkehrer hat, da für diesen Personenkreis (der nicht in den Notunterkünften untergebracht wird) von vornherein kein unmittelbarer Zusammenhang zum Programm bestand (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW – zu Frage e)).
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Gegenteiliges dürfte zur Überzeugung des Senats auch dann nicht anzunehmen sein, wenn es zu einem erneuten Anstieg der Zahl von Asylbewerbern in Italien kommen sollte. Das ausgelaufene Notstandsprogramm belegt, dass Italien Unterbringungsplätze in erheblichen Umfang zusätzlich zur Verfügung stellen kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Das geschaffene Notstandsprogramm lässt darauf schließen, dass die verantwortlichen Stellen – selbst wenn sie auf Druck der übrigen EU-Mitgliedstaaten tätig geworden sein sollten – bemüht sind, sich dem jeweiligen unterschiedlichen Unterkunftsbedarf in der gebotenen Weise anzupassen. Dies lässt es insbesondere nicht ausgeschlossen erscheinen, dass bei einem eventuellen erneuten Anstieg der in Italien eintreffenden Flüchtlinge und Asylbewerber entsprechende Programme zur kurzfristigen Schaffung zusätzlicher Unterkünfte neu aufgelegt werden. Dies alles rechtfertigt keine grundlegenden Zweifel daran, dass ein insoweit auch nach Beendigung des Notstandsprogramms fortdauernder Bedarf oder erneute Massenanstürme von Flüchtlingen bewältigt werden können (ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O.).
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Im Übrigen erkennt auch der UNHCR an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des staatlichen Aufnahmesystems stattgefunden haben. Insgesamt seien die Einrichtungen der CARA, CDA und SPRAR (nunmehr) in der Lage, dem Aufnahmebedarf einer „signifikanten Anzahl“ von Asylsuchenden nachzukommen (Stellungnahme vom 24. April 2012 an VG Braunschweig, S. 3). Allerdings macht der UNHCR die Einschränkung, dass die Kapazitäten der genannten Einrichtungen nicht für die Unterbringung aller unterstützungsbedürftigen Asylsuchenden ausreichend sein dürften, wenn Personen in erheblicher Anzahl neu in Italien ankommen würden (UNHCR, a. a. O., S. 3). Indes bestehen z. Z. keine Anhaltspunkte dafür, dass es in Italien derzeit oder in absehbarer Zeit erneut zu einem derartigen Anstieg der Asylbewerberzahlen kommen wird, wie er etwa in den Jahren 2010 und 2011 zu verzeichnen war.
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Eine andere Bewertung der Unterkunftssituation für Asylbewerber und Flüchtlinge erscheint dem Senat schließlich auch nicht deshalb geboten, weil nach Auffassung des UNHCR (Stellungnahme v. 24.04.2012) in der gegenwärtigen Situation davon auszugehen sei, dass derzeit die überwiegende Anzahl aller Asylverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden können, und die Aufnahme in den Aufnahmezentren regelmäßig auf sechs Monate befristet sei. Abgesehen davon, dass der UNHCR selbst einräumt, dass keine konkreten Zahlen zur Dauer der Asylverfahren vorliegen, besteht nach Auskunft des Auswärtigen Amtes die Möglichkeit, dass im Einzelfall – so auch bei Einlegung von Rechtsmitteln – die Aufenthaltsdauer in der Einrichtung verlängert wird.
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Zudem ist auch dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Mai 2011 zu entnehmen, dass für die Aufnahme von Asylbewerbern eben nicht nur CARA-, CIE- und SPRAR-Zentren zur Verfügung stehen, sondern auch andere Zentren vorhanden sind basierend auf Abkommen zwischen dem Innenministerium und Gemeinden, aber auch von der Stadt – wie etwa Rom - finanzierte und von NGO’s betriebene Zentren (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende, S. 19). Nach dem vorgenannten Bericht (a. a. O. S. 19) kommen noch kirchliche und karitative Einrichtungen hinzu. Dass es unter Berücksichtigung der Aufnahmekapazität all dieser öffentlichen und privaten Einrichtungen sowie unter Nutzung des Angebotes des Wohnungsmarktes nicht möglich ist, eine Unterkunft zu finden, ist nicht ersichtlich.
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Das Auswärtige Amt weist ebenfalls darauf hin, dass neben den staatlichen Unterbringungszentren zusätzlich kommunale und karitative Einrichtungen existieren wie z. B. Caritas, Migrantes in Rom, die Schwestern des Ordens der Mutter Teresa „Suore Missionarie della Carità“ und andere Hilfsorganisationen (Comunità di Sant’Egidio, Opere Antoniane, Stranieri in Italia, Centro Astalle - Jesuiten -), welche die Antragsteller und Asylbewerber versorgen und ihnen Unterkunftsplätze besorgen (AA, Auskunft v. 21.08.2013 an OVG LSA - zur Frage 3.). Dies entspricht zugleich der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, wonach nicht davon auszugehen ist, dass jene Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz finden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen (AA, a. a. O. Anm. 4.3.).
- 95
Veranlassung zu einer anderen Einschätzung gibt dem Senat schließlich auch nicht der Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“ vom 28. Februar 2011, wonach angeblich davon auszugehen ist, dass „in der Vergangenheit 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer der Gefahr der Obdachlosigkeit überlassen worden seien“. Der Senat geht dabei davon aus, dass diese Aussage nicht bedeutet, dass etwa 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer tatsächlich in die Obdachlosigkeit geraten sind, sondern dass es sich hierbei – da der Bericht lediglich von einer „Gefahr“ einer Obdachlosigkeit spricht – um eine bloße Annahme handelt in Bezug auf das womöglich bestehende Risiko, von einer Obdachlosigkeit betroffen zu werden. Dem Senat erscheint bei dieser Sachlage allerdings nicht nachvollziehbar, wie eine (potentielle) „Gefahr“ prozentual derart exakt prognostiziert werden kann, wie dies im Bericht mit 88 vom Hundert geschehen ist, zumal die Unterbringung in staatlichen und privaten Einrichtungen und auch die Wohnungssuche im Allgemeinen mit einer Fülle von Unwägbarkeiten verbunden ist. Überdies sind die Angaben nur bedingt brauchbar, weil eben nicht erkennbar wird, auf welchen Erkenntnissen diese beruhen und welche zurückliegenden Zeiträume in Bezug genommen werden, wenn davon gesprochen wird, dass sich Aussage auf die „Vergangenheit“ beziehe.
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bb) Ebenso lässt sich nach Auffassung des Senats nicht feststellen, dass Asylbewerber infolge unzureichender und unzumutbarer Verhältnisse in den staatlichen bzw. privaten Unterkünften, namentlich etwa aufgrund unhygienischer Zustände oder Gewalttätigkeiten und krimineller Delikte wie u. a. Diebstahl, Vergewaltigung oder erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind. Dabei wird nicht verkannt, dass es in Unterkünften mit einer Vielzahl von – teilweise auch traumatisierten – Flüchtlingen unterschiedlicher Nationalität, Religion und Gebräuchen häufiger als in anderen Bereichen der Gesellschaft zu Konflikten und gelegentlich auch gewaltsamen Übergriffen kommen dürfte. Es dürfte sich dabei allerdings um ein allgemeines Phänomen in Gemeinschaftseinrichtungen handeln, dem die staatlichen Stellen nur bedingt wirksam entgegen wirken können. Auch wenn die Aufnahme-, Unterbringungs- und Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Italien regelmäßig nicht mit dem hiesigen Standard vergleichbar sein mögen, ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die Zustände in den Unterkünften im Allgemeinen jedenfalls nicht derart unzumutbar und unhaltbar sind, dass deshalb die Feststellung einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung der Asylbewerber gerechtfertigt erschiene. Dies gilt zum einen hinsichtlich der hygienischen Verhältnisse. So wird nach Auskunft des Auswärtigen Amtes von den staatlichen Aufnahmezentren und Einrichtungen Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Überdies teilt das Auswärtige Amt zur Situation in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften mit, dass die hygienischen Verhältnisse dort nicht regelmäßig oder sogar überwiegend sich in der Weise darstellen, dass man ernstlich Gefahr läuft zu erkranken. Sie seien auch nicht dergestalt, dass sie nicht den Mindestanforderungen (Kochstellen, Toiletten, Waschräume, fließendes Wasser und Elektrik) genügen würden. Vielmehr seien sie durchweg so beschaffen, dass kleinere Schlafräume in Wohnhäusern oder Containern vorhanden seien, die auch zumeist mit Klimaanlagen und Zentralheizung versehen seien. Insbesondere seien Toilettenräume in ausreichender Zahl und getrennt nach Geschlechtern vorhanden. Gleiches gelte für Waschräume. Die Verpflegung werde vielfach in einem gemeinsamen Speisesaal bereitgestellt. Vereinzelt bestünden auch zusätzliche Möglichkeiten für die eigene Zubereitung von Mahlzeiten. Ferner seien in den Einrichtungen Sozialräume sowie getrennte Räumlichkeiten für medizinische Dienste und Sonderfälle vorhanden. Zur Aufrechterhaltung der Sauberkeit der allgemeinen Räumlichkeiten würden spezielle Reinigungsdienste beschäftigt (vgl. zu allem: AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 4.5.).
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Zum anderen lässt sich aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse auch nicht feststellen, dass sich die Verhältnisse in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften in der Weise darstellen, dass die Bewohner in ständiger Angst leben müssten, „angegriffen, ausgeraubt oder gar vergewaltigt“ zu werden. Zwar gibt es Berichte, wonach es zu gewaltsamen Übergriffen von männlichen auf weibliche Bewohner gekommen sein soll; hierbei handelt es sich aber um Einzelfälle, wenngleich statistische Erhebungen zur Kriminalität speziell in den genannten Einrichtungen nicht existieren bzw. nicht bekannt sind. Darüber hinaus werden die Aufnahmeeinrichtungen zumindest durch die Polizei oder Carabinieri überwacht und geschützt; wegen auftretender Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien wurden in manchen Einrichtungen zudem zusätzliche Polizeikräfte postiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.6.).
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Im Ergebnis vermag der Senat somit nicht festzustellen, dass es – sieht man von Engpässen und Einzelschicksalen ab – mit der Durchführung von Asylverfahren in Italien generell zu Begleiterscheinungen wie etwa Obdachlosigkeit oder aufgrund der Zustände in den Unterkünften zu einer Verwahrlosung der Asylbewerber kommt.
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c) Der Senat vermag ebenfalls nicht festzustellen, dass Schutzsuchende während des Asylverfahrens in Italien unter Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh in materieller Not leben müssen, so dass von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszugehen wäre, oder mit Blick auf die Versorgungssituation und soziale Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge gemessen an den Vorgaben des unionsrechtlichen Sekundärrechts sich das Asylsystem als nicht (mehr) richtlinienkonform darstellt.
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Asylsuchende und Flüchtlinge haben nach Auskunft des Auswärtigen Amtes während des Asylverfahrens einen (Rechts-)Anspruch auf (angemessene) Verpflegung und Versorgung (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1.). Dieser Verpflichtung wird im Allgemeinen dadurch nachgekommen, dass in den staatlichen Unterkünften und Aufnahmezentren entsprechende Leistungen erbracht werden. Namentlich wird auch Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Vorgenanntes gilt gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.).
- 101
Ebenso werden Asylbewerber und Flüchtlinge, die in nichtstaatlichen, namentlich karitativen und kirchlichen Unterkünften leben, mit Nahrung und Kleidung versorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA, Auskunft v. 21. 02.2013, Anm. 5.2.). Allerdings ist für Asylbewerber und Flüchtlinge außerhalb staatlicher sowie karitativer und kirchlicher Einrichtungen eine staatliche Verpflegung und Versorgung nicht (mehr) gewährleistet. Auch existiert in Italien nur ein sehr eingeschränktes staatliches Sozialhilfesystem; danach erhalten nur Personen über dem 65. Lebensjahr Sozialhilfeleistungen. Im vorliegenden Fall würde dies sogar bedeuten, dass die 65-jährige Klägerin auch staatliche Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen könnte. Im Übrigen haben die Betroffenen auch als Asylbewerber und schutzsuchende Flüchtlinge einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 5.1.).
- 102
In der Praxis kann somit nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Asylbewerber und Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt regelmäßig nicht durch Betteln und / oder Prostitution sichern müssen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.). Vielmehr ist insgesamt eine ausreichende Versorgung vorhanden. Einzelfälle sind allenfalls auf das in der aktuellen Wirtschaftskrise insbesondere in italienischen Großstädten zunehmend auftretende Phänomen des Bettelns und die damit einhergehenden erhofften zusätzlichen Einkunftsmöglichkeiten zurückzuführen. Was die Prostitution angeht, so ist nicht völlig auszuschließen, dass weibliche Asylbewerber oder Flüchtlinge in Einzelfällen durch Angehörige der organisierten Kriminalität rekrutiert werden und dann tatsächlich der Prostitution nachgehen. Dies ist aber nicht im kausalen Zusammenhang mit Defiziten im Asylverfahren zu sehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.; Auskunft v. 24.09.2012, S. 3 - Antwort auf Frage b 2)).
- 103
Im Übrigen folgt aus Art. 3 EMRK und Art. 4 EuGrdRCh auch nicht die Verpflichtung, Asylbewerbern und Flüchtlingen eine finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihnen einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.02.2011, a. a. O.).
- 104
Ebenso ist ein Verstoß gegen die Richtlinie 2004/83/EG nicht ersichtlich. Kapitel VII der Richtlinie gestaltet den Inhalt des internationalen Flüchtlingsschutzes zwar u. a. dahin gehend aus, dass Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte grundsätzlich Zugang zu Sozialleistungen (Art. 28), medizinischer Versorgung (Art. 29) und Wohnraum (Art. 31) erhalten. Allerdings gehen die Bestimmungen über die Gebote zur Inländergleichbehandlung (Art. 28, 29) bzw. zur Ausländergleichbehandlung (Art. 31) nicht hinaus. Art. 28 und 29 der Richtlinie gewährleisten die notwendige Sozialhilfe bzw. medizinische Versorgung nur insoweit, wie die Mitgliedstaaten ihren eigenen Staatsangehörigen eine entsprechende Behandlung bzw. Versorgung gewähren; für Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte besteht zudem die Möglichkeit, den Anspruch auf Kernleistungen zu beschränken, die dann im Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige zu gewähren sind. Demzufolge muss der in Italien bestehende allgemeine Lebensstandard für andere, vergleichbare Personen mit italienischer Staatsangehörigkeit in den Blick genommen werden, die ebenfalls keine staatlichen Sozialleistungen in Anspruch nehmen können und bei denen ebenfalls nur durch die Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten oder aber vermittels von Zuwendungen karitativer oder kirchlicher Organisationen das Existenzminimum gesichert ist.
- 105
Nach allem lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh nicht daraus herleiten, dass – worauf in der Rechtsprechung einzelner Verwaltungsgerichte abgestellt wird – ein staatliches Sozialsystem, welches Flüchtlingen und Asylsuchenden zumindest ein Existenzminimum garantiert, nicht zur Verfügung steht und dass die Betroffenen deshalb darauf angewiesen seien, sich „selbst durch das Leben zu schlagen“ (vgl. VG Magdeburg, Beschl. v. 28.03.2011 - 9 B 101/11 MD - Juris; Gerichtsbescheid v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 - [S. 5 d. UA]; VG Braunschweig, Beschl. v. 31.05.2011 - 1 B 103/11 - m. w. N. - Juris).
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Im Übrigen ist in der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a. a. O. S. 22) nicht – wie gelegentlich behauptet wird – die Rede davon, dass der genannte Personenkreis „in extremer Armut lebt und dass sie ihre Lebensbedürfnisse nicht decken können“. Vielmehr ist – wohl mit Bedacht – davon die Rede, dass sie Gefahr laufen, womöglich in eine solche Situation zu geraten; dass sich indes diese Gefahr bereits in eine Vielzahl von Fällen realisiert hätte oder gleichsam regelmäßig bzw. für jeden Asylsuchenden und Flüchtling die konkrete Gefahr bestünde, dass nicht einmal das Existenzminimum gesichert ist, wird nicht behauptet. Dies schließt nicht aus, dass es in Einzelfällen auch zu besonderen Notlagen kommen mag und dass der Lebensstandard der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien im Allgemeinen sehr gering sein dürfte. Gleichwohl vermag der Senat anhand des ihm vorliegenden umfassenden Erkenntnismaterials aber nicht festzustellen, dass die Situation für Flüchtlinge und Asylsuchende in den Zentren und außerhalb derselben derart prekär wäre, dass deshalb von einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh auszugehen ist.
- 107
d) Soweit es die medizinische Versorgung betrifft, sind alle Mitgliedstaaten aufgrund der EU-Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 verpflichtet, bestimmte Mindeststandards der medizinischen Versorgung zu gewährleisten. So haben alle Mitgliedstaaten nach Art. 15 der genannten Richtlinie dafür Sorge zu tragen, dass Asylbewerber und Flüchtlinge die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung für die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst. Dabei ist auch Asylbewerbern mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische und sonstige Hilfe zu gewähren.
- 108
In Italien ist im Rahmen des nationalen Gesundheitsdienstes grundsätzlich ein medizinischer Mindestbehandlungsstandard gewährleistet. Asylbewerber und Flüchtlinge haben in Italien während des Asylverfahrens einen Anspruch auf eine „freie“ (kostenlose) medizinische Versorgung sowie auch auf psychologische Hilfe, insbesondere auch Minderjährige und traumatisierte Personen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.3.).
- 109
Dem entspricht es, wenn im Entscheiderrundbrief des Bundesamtes 7/2011 (a. a. O., S. 8) zur medizinischen Versorgung festgestellt wird, dass bei der Überstellung von kranken bzw. traumatisierten Personen – wie bei jedem italienischen Staatsbürger – die Möglichkeit der (medizinischen) Behandlung besteht. Bereits im Jahre 2009 habe es bei der SPRAR drei Zentren gegeben, in denen auch psychisch kranke Personen hätten behandelt werden können (zwei in Rom, eines in Turin). Für 2011 seien zudem 50 weitere Behandlungsplätze für psychisch kranke Personen bzw. Personen mit besonders schweren Erkrankungen geplant worden. Inzwischen würden bei Dublin-Überstellungen psychisch kranke Personen in Italien als eine besonders „vulnerable Gruppe“ angesehen.
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Voraussetzung für den Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem ist zwar grundsätzlich ein gültiger Aufenthaltstitel bzw. ein rechtmäßiger Aufenthalt; bei im italienischen Asylverfahren befindliche Personen stellt sich dieses Problem aber nicht. Der Zugang zu öffentlichen medizinischen Leistungen ist auch nicht an die Voraussetzung eines ständigen Wohnsitzes bzw. feste Adresse gekoppelt, wie gelegentlich behauptet wird. Vielmehr erhalten Asylbewerber bei Bedarf auch ohne einen solchen ständigen Wohnsitz bzw. feste Anschrift vom nationalen Gesundheitsdienst einen Gesundheitsausweis („tessera sanitara“) und eine Steuernummer („codice fiscale“) (vgl. AA, Auskunft v. 09.10.2012 an VG Minden, S. 2 - zur Frage b) 4; ebenso: AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg - S. 2 Ziffer I b)). Sollte hingegen etwas anderes gelten, ist davon auszugehen, dass aufgrund einer aktuellen Vereinbarung zwischen der Zentralregierung und den Regionen zumindest eine Not- und Grundversorgung auch für sich illegal in Italien aufhaltende Personen garantiert ist (AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 6.2.).
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Der Senat vermag angesichts dieser Situation nicht zu erkennen, dass damit den eingangs aufgezeigten Mindeststandards bzw. Kernanforderungen nicht genügt wird. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass in bestimmten Fällen womöglich einzelnen Personen eine nur unzureichende medizinische Versorgung zuteil wurde oder diese aus dem medizinischen Versorgungssystem herausgefallen sind.
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Aber selbst dann, wenn für kranke, behinderte oder sonst gesundheitlich besonders schutzbedürftige Personen die garantierte medizinische Not- und Grundversorgung nicht als ausreichend angesehen würde, ergäben sich daraus jedenfalls für die Klägerin, die keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen angeführt hat, keine Bedenken gegen ihre Überstellung nach Italien.
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e) Soweit es das Asylverfahren als solches, namentlich die Qualität und die Dauer des Verfahrens betrifft, lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 EMRK und Art. 4 EuGrdRCH sowie gegen die einschlägigen unionsrechtlichen Richtlinien ebenfalls nicht feststellen.
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Italien gewährleistet entsprechend dem (Grund-)Recht auf Asyl (gem. Art. 10 Abs. 3 der italienischen Verfassung, verschiedenen Einwanderungs- und Asylverfahrensgesetzen, insbesondere nach dem Gesetz No. 25/2008 vom 28. Januar 2008) ein Schutzverfahren, das auch für Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung greift. Besonderheiten bestehen insoweit nicht (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.1.).
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Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass es hinsichtlich der Qualität oder der Dauer der Asylverfahren einen Grund für Beanstandungen gibt. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass von einer unverhältnismäßig restriktiven Asylpraxis auszugehen ist. Gegen eine solche Annahme sprechen die Zahlen, die vom Auswärtigen Amt zum Asylverfahren benannt werden. Danach wurden im Jahre 2010 über 14.042 Asylanträge entschieden, davon wurden 2.094 Antragsteller nach der Genfer Konvention anerkannt (15 vom Hundert), 1.789 erhielten subsidiären (13 vom Hundert), 3.675 humanitären Schutz (26 vom Hundert), hingegen wurden 4.698 abgelehnt. 520 Personen waren nicht auffindbar (4 vom Hundert) und 1.266 (9 vom Hundert) sind sonstige Fälle. Dementsprechend lag die Quote der Anerkennungen bzw. der Gewährung eines Bleiberechts bei immerhin 54 vom Hundert (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 3.2.). Demgegenüber wurden im Jahre 2011 über 25.626 Asylanträge entschieden. Davon wurden 2.057 Antragsteller nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt (8 vom Hundert), 2.569 Personen erhielten subsidiären (10 vom Hundert) und 5.662 humanitären Schutz (22 vom Hundert); 11.131 Personen wurden hingegen abgelehnt (44 vom Hundert) und 2.339 Personen waren nicht auffindbar (9 vom Hundert). Die Anerkennungsquote lag 2011 somit bei 40 vom Hundert, was ebenfalls nicht die Annahme einer unverhältnismäßig restriktiven Praxis rechtfertigt (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.2.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 5 unter Hinweis auf eine entsprechende Statistik des Innenministeriums, abrufbar unter: http://www.interno.it/miniinteno/export/sites/default/it/assets/files/21/0551_statistiche_asilo.pdf).
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Es kommt hinzu, dass sich die für die Entscheidung der Asylverfahren in erster Instanz zuständigen Territorialkommissionen per Dekret des Innenministers in der Weise zusammensetzen, dass auch jeweils ein Vertreter des UNHCR beteiligt ist (Bundesamt für Migration der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Hintergrundnotiz MILA - Italien Asylverfahren, Bericht vom 23.09.2009, S.4). Dies berechtigt zur Annahme, dass der Ordnungsmäßigkeit des Asylverfahrens eine besondere Beachtung geschenkt wird.
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Hinsichtlich der Dauer des Asylverfahrens in Italien gibt es ebenfalls nichts zu beanstanden. Über den Asylantrag soll an sich innerhalb von 30 Tagen entschieden werden; zudem wird angestrebt, dass das Gesamtverfahren einschließlich gerichtlicher Überprüfung nicht länger als sechs Monaten dauert, auch wenn es immer wieder Fälle gibt, in denen diese Dauer – manchmal bis zu einem Jahr oder auch länger – überschritten wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 3.1., 3.2.; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O. Rn. 15).
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Ferner lässt sich nicht feststellen, dass es in Italien während des Asylverfahrens in nennenswerter Weise faktische Beeinträchtigungen in verfahrensrechtlicher bzw. prozessualer Hinsicht gibt. Art. 16 des italienischen Asylverfahrensgesetzes No. 25 vom 28. Januar 2008 garantiert dem Asylbewerber, dass er nach den einschlägigen Prozessvorschriften Anspruch auf eine Rechtsberatung und einen unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verfahren hat (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.4.). Zwar bestehen Zweifel, ob dies auch in der Praxis ausnahmslos Geltung besitzt, wenn man berücksichtigt, dass für die nach Rom zurückkehrenden Dublin-II-Rückkehrern (und in Rom eintreffenden Asylbewerber) die Prozesskostenhilfe davon abhängig gemacht wird, dass zum Nachweis der wirtschaftlichen Bedürftigkeit eine Bescheinigung der jeweiligen Auslandsvertretung beigebracht werden soll. Allein wegen der Tatsache, dass der Asylbewerber im Einzelfall das Verfahren ohne anwaltlichen Beistand durchzuführen hat, soweit kein Anwaltszwang besteht, kann nicht schon von einem (landesweit bestehenden) systemischen Mangel gesprochen werden, der die Annahme einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. d. Grundrechtscharta und EMRK rechtfertigt. Im Übrigen stehen dem Asylbewerber im Asylverfahren auch Übersetzungsdienste zur Verfügung (vgl. AA, Auskunft an OVG LSA v. 21.02.2013, Anm. 2.3. und 3.3.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 3).
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Insbesondere bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass – von Ausnahmen abgesehen – die für die Durchführung des Hauptsacheverfahrens erforderliche Erreichbarkeit des Asylbewerbers in Italien nicht sichergestellt wäre. Für eine solche Annahme fehlt es an hinreichend belegten Referenzfällen. Auch gibt es für Italien keine ernst zu nehmenden Quellen, wonach sich die Wahrnehmung von Verfahrensrechten (Antragstellung, Einlegung von Rechtsbehelfen etc.) regelmäßig als derart schwierig erweist, dass diese Rechte faktisch leer laufen würden.
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Soweit in der Rechtsprechung dennoch vereinzelt – so u. a. das VG Gießen (Beschl. v. 10.03.2011 - 1 L 468/11.GI.A - Juris) und ihm folgend das VG Magdeburg (Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 -) – die Auffassung vertreten wird, „es erscheine auch die Qualität der Asylverfahren bedenklich“, wird diese Kritik nicht weiter spezifiziert und auch nicht durch entsprechende Erkenntnismittel belegt.
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f) Ebenso lässt sich anhand des dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterials nicht feststellen, dass im Hinblick auf die rechtliche und soziale Situation anerkannter Asylbewerber sowie der Flüchtlinge mit einem Bleiberecht angesichts der in Italien anzutreffenden Lebens- und Versorgungssituation sowie unter Berücksichtigung der insoweit staatlicherseits unternommenen Integrationsbemühungen das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien derartige Mängel aufweist, dass es den Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht mehr entspricht.
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Schutzberechtigte, mithin anerkannte Asylbewerber (Asylberechtigte) und Personen mit subsidiärem Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten mit ihrer Anerkennung ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht; es wird ihnen eine Aufenthaltsberechtigung („permesso di soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.2.).
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Dies bedeutet in der Praxis, dass sie sich – ebenso wie italienische Staatsangehörige – grundsätzlich selbst um eine Unterkunft kümmern und auch in eigener Verantwortung einen Arbeitsplatz suchen müssen. Dafür besteht aber ein freier Zugang zum Arbeitsmarkt (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus besitzen, haben auch das Recht zu arbeiten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, a. a. O.).
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Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.). Anerkannte Asylbewerber und Personen mit einem subsidiären Schutzstatus haben Zugang zu einer Beschäftigung in Italien, wie dies durch Art. 26 und Art. 28 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) garantiert wird.
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Ein staatliches System finanzieller Hilfeleistungen bzw. ein Sozialhilfesystem existiert hingegen nicht. Denn in Italien gibt es für italienische Staatsangehörige – und somit auch für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die ihnen gleichgestellt sind – kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bzw. (sonstige) staatliche Sozialleistungen, jedenfalls soweit sie nicht das 65. Lebensjahr erreicht haben (AA, Auskunft v. 11.07.2012 an das VG Freiburg). Art. 28 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gewährt hinsichtlich der Sozialleistungen nur einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung, nicht aber einen Anspruch auf Privilegierung des anerkannten Flüchtlings.
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Zwar entspricht es der italienischen Kultur, dass es einen engen Familienzusammenhalt gibt, der im Notfall zumindest die Chance eröffnet, eine (gewisse) Unterstützung durch Familienangehörige in Anspruch nehmen zu können. Dass es eine solche vergleichbare Unterstützung unter den ausländischen Landsleuten gibt, die sich aufgrund ihres Schutzstatus dauerhaft in Italien aufhalten, erscheint nicht ausgeschlossen, dürfte aber die Ausnahme sein. Gleichwohl lässt dieser Umstand nach Auffassung des Senats für sich allein nicht schon die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass der anerkannte Flüchtling und sonstige Schutzberechtigte in Italien deshalb der konkreten Gefahr ausgesetzt wäre, „auf der Straße“ zu leben und zu verelenden.
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Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass – ebenso wie italienische Staatsangehörige in einer vergleichbaren Situation – auch anerkannte Asylbewerber und schutzberechtigte Flüchtlinge von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, wie beispielsweise durch die CARITA und CIR, Unterstützung bekommen können (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Die Zuständigkeit für die Festsetzung von derartigen öffentlichen Sozialleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen (z. B. Toskana, Emilia Romagna) wird die Höhe derartiger Leistungen durch die Kommune festgesetzt; die Leistungen weisen insoweit je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft deutliche Unterschiede auf (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Diese Erkenntnis deckt sich im Übrigen mit dem Gutachten der Flüchtlingsorganisation borderline-europe e. V. (Gutachten an das VG Braunschweig vom Dezember 2012) und der Auskunft der italienischen Vereinigung für rechtliche Untersuchungen zur Situation von Einwanderung (ASGI-Bericht vom 20. November 2011, S. 10 f.). Danach erhalten ebenfalls anerkannte Asylbewerber und Personen, denen internationaler Schutz gewährt worden ist, Unterstützungen allgemeiner Art, wie sie auch für andere mittellose Personen in Italien vorgesehen sind.
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Überdies ist für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus ein kostenfreier Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie Arzt, Zahnarzt, Krankenhaus gewährleistet (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Ein Anspruch auf Einhaltung bestimmter Mindeststandards im Hinblick auf die Gewährung von Unterkunft sowie auf eine gewisse materielle Unterstützung besteht für sie auch nach dem Unionsrecht nicht; ein solcher Anspruch besteht nur für Asylbewerber (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 - M.S.S. v. Belgium and Greece; EuGH, Urt. v. 21.12. 2011 - C-411/10 und C-493/10 - N.S. und M.E.), denn nach den Bestimmungen der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 steht Asylbewerbern und Schutzsuchenden zwar ein subjektives Recht auch auf eine angemessene Fürsorge zu. Nach Art. 3 Abs. 1 der genannten Richtlinie haben Asylbewerber jedoch nur solange Anspruch auf die in Art. 5 ff. der Richtlinie bezeichneten humanitären Leistungen, solange sie „als Asylbewerber im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen“. „Asylbewerber“ im Sinne der Richtlinie ist dabei ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde.
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Soweit anerkannten Asylbewerbern und schutzberechtigten Flüchtlingen in der Zivilbevölkerung vereinzelt Vorbehalte entgegen gebracht werden und sich diese Vorbehalte womöglich auch im Verhalten von Amtsträgern widerspiegeln sollten, lässt sich diesem Umstand keine selbständige rechtliche Bedeutung beimessen. Die gilt selbst dann, wenn der genannte Personenkreis im Alltag womöglich Benachteiligungen erfahren sollte. Denn die genannten Umstände lassen nicht den Schluss zu, dass das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien schon allein aus diesem Grunde den Regeln des europäischen Asylsystems zuwiderläuft.
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Nach allem erübrigt sich hier die Erörterung der weitergehenden Frage, ob und inwieweit auch möglicherweise jene (unionsrechtlichen) Rechtsverletzungen für die Entscheidung über den Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO relevant sind, die Personen betreffen, bei denen das Asylverfahren bereits mit einer Anerkennung bzw. mit einem subsidiären Schutzstatus abgeschlossen ist (vgl. hierzu VG Regensburg, Beschl. v. 16.08.2012 - RN 7 S 12.30273 -).
- 131
g) Zur Überzeugung des Senats steht auch bei der gebotenen Zukunftsprognose nicht zu erwarten, dass angesichts eines unvermindert anhaltenden oder wieder zunehmenden Flüchtlingsstroms nach Italien sich die dort anzutreffenden Verhältnisse (wieder) verschlechtern werden. So verhält es sich jedenfalls dann, wenn man bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats Folgendes in Rechnung stellt:
- 132
Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist in Italien gegenwärtig nicht (mehr) von einem Anstieg des Zustroms von Asylbewerbern und Flüchtlingen auszugehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013 Anm. 9.1. und 9.2.). Diese Entwicklung wird auch durch das dem Senat vorliegende Zahlenmaterial belegt. Laut Berichterstattung in der Presse (Spiegel online v. 26.04.2011) haben von Januar bis Ende April 2011 allein 26.000 Flüchtlinge in Italien um Schutz nachgesucht. Demgegenüber wurden laut Auskunft des Auswärtigen Amtes im ersten Halbjahr 2012 nur insgesamt 5.580 Asylanträge in Italien gestellt (AA, Auskunft v. 21.01.2013 Anm. 3.2.).
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Insbesondere ist auch ein deutlicher Rückgang von Anlandungen im Süden Italiens zu verzeichnen. Im Jahr 2011 waren es noch 62.692 Personen, im Jahre 2012 hingegen nur noch 13.267 Personen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1. und 9.2.). Dies ist – wie das Auswärtige Amt in nachvollziehbarer Weise feststellt – vor allem auf die Beruhigung der Lage in den Nordafrikanischen Staaten zurückzuführen (AA, a. a. O.).
- 134
Im Übrigen ist auch in der Gesamtschau des letzten Jahrzehnts nicht von einem kontinuierlichen und erheblichen Zuwachs an Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien auszugehen, so dass etwa deshalb die Annahme einer nicht (mehr) zu bewältigenden “Überlastung“ des Asylsystems in Italien begründet wäre. In der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts waren die Zahlen bis 2006 vielmehr rückläufig, die Zahl der Asylantragsteller ging insoweit von 24.000 auf 10.000 zurück. In den Jahren 2008 und 2011 gab es dann in den Spitzen über 30.000 Asylbewerber, während es im Jahre 2012 allerdings wieder weniger als 15.000 Bewerber waren. Bei den genannten Spitzen handelte es sich somit um temporäre Erscheinungen aufgrund der politischen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem “arabischen Frühling“ (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.2.). Auch ist nach aktueller Einschätzung, namentlich vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in den Mittelmeer-Anrainerstaaten, nicht damit zu rechnen, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien in absehbarer Zeit ansteigen wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.3.).
- 135
Nach allem erweist sich die in der einschlägigen Rechtsprechung vielfach angeführte Begründung, dass wegen der zu erwartenden weiteren Flüchtlingsströme von Afrika nach Italien infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen und der damit einhergehenden instabilen Verhältnisse in Nordafrika sich die Entwicklung in Italien in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern, sondern eher noch verschlechtern wird (so u. a. VG Stuttgart, Beschl. v. 02.07.2012 - A 7 K 1877/12 -
) als nicht (mehr) tragfähig.
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Insbesondere lässt sich auch der Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen – UNHCR – vom 24. April 2012 an das Verwaltungsgericht Braunschweig kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass ernsthaft zu befürchten ist, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien grundlegende Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufweisen. Nach dem Inhalt dieser Stellungnahme wurden in Italien die regionalen Regierungen im Jahr 2011 nach Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika ausdrücklich gebeten, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden wurde zudem eine Vereinbarung getroffen, in der die Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Der UNHCR erkennt vor diesem Hintergrund an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben und die CARA-, CDA- und SPRAR-Projekte insgesamt in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl von Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR, a. a. O. S. 3).
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Dass die Verhältnisse zwischen Italien und Griechenland – wie gelegentlich behauptet wird – vergleichbar sind, vermag der Senat nicht festzustellen. Dies bedarf aber auch keiner Vertiefung, weil es hierauf nicht entscheidend ankommt. Dennoch bleibt festzustellen, dass der UNHCR – anders als in Bezug auf Griechenland – für Italien jedenfalls keine Empfehlung ausgesprochen hat, von einer Überstellung bzw. Abschiebung von Dublin-II-Flüchtlingen nach Italien abzusehen. Der Senat misst diesem Umstand kein geringes Gewicht bei. Soweit vereinzelt der Einwand erhoben wird, dies sei dem Umstand geschuldet, dass der UNHCR „politische Rücksichten zu nehmen habe“, ist dies durch Nichts belegt. Zwar hat – ausweislich des Tagungsberichts von Nora Markard zum 12. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz vom 18.-19. Juni 2012 in Berlin (ZAR 10/2012 S. 380 ff. S. 381 zur Situation in Italien) – der UNHCR Senior Regional Protection Associate Jürgen Humberg im Hinblick auf die deutsche Debatte über die Zulässigkeit von Abschiebungen nach Italien angeblich betont, dass der Umstand, dass der UNHCR bisher kein Positionspapier zu Italien veröffentlicht habe, nicht bedeute, dass in Italien „alles in Ordnung sei“; eine solche Schlussfolgerung, den einige Verwaltungsgerichte zögen, sei unzulässig. Auch diese Äußerung veranlasst den Senat nicht zu einer anderen Einschätzung im Hinblick darauf, dass sich der UNHCR – anders als in anderen Fällen – einer entsprechenden offiziellen Stellungnahme bzw. Empfehlung, von einer Rückführung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen, enthalten hat. Dies bedeutet keineswegs, dass der Senat der Auffassung wäre, in Italien „sei alles in Ordnung“; hieraus aber folgt eben noch nicht, dass in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in Italien systemische Mängel feststellbar sind, die eine Verletzung der Europäischen Grundrechtscharta oder der Menschenrechtskonvention darstellen.
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Festzustellen bleibt überdies, dass der UNHCR auch in seinem jüngsten Bericht (UNHCR - Recommendations on important aspects of Refugee protection in Italy) vom Juli 2013 trotz zahlreicher kritischer Anmerkungen bei seiner Einschätzung zur aktuellen Lage der Flüchtlinge und Asylbewerber in Italien zu keinem anderen Ergebnis gekommen ist.
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Schließlich hat auch der EGMR in einer neueren Entscheidung vom 02. April 2013 (Ap-plication No. 27725/10 - Mohammed Hussein vs. the Netherlands and Italy) eine gegen die Dublin-Überstellung von den Niederlanden nach Italien gerichtete Beschwerde als offensichtlich unbegründet abgewiesen. In der Entscheidung hat sich der EGMR mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, einer nach eigenen Angaben aus Somalia stammenden Frau mit zwei kleinen Kindern, zum Asylverfahren und auch zur Unterbringungssituation in Italien auseinander gesetzt und festgestellt, dass die Situation in Italien keineswegs mit der in Griechenland vergleichbar sei (Entscheidung v. 02.04. 2013, a. a. O. Rdn. 72). Auch aus dem Umstand, dass der EGMR in einer früheren Entscheidung (Application No. 64208/11) die Abschiebung eines Asylbewerbers von Deutschland nach Italien gestoppt hat, lässt sich nicht herleiten, dass Italien generell die Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht erfüllt. Die Gründe für den mit der genannten Entscheidung verhängten Abschiebungsstopp sind letztlich nicht bekannt. Dem „Statement of Facts“ ist indes zu entnehmen, dass sich der dortige Antragsteller zwar auch auf die Lebensumstände von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Italien berufen hat, jedoch insbesondere im Raum stand, dass er durch die Abschiebung aufgrund unterschiedlicher Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Münster und Magdeburg von seiner Frau und seinen Kindern getrennt werden würde, deren Abschiebung gestoppt wurde. Weitere Fälle des EGMR (Application No. 30815/09, Application No. 37159/09, Application No. 56424/10) betrafen unbegleitete Minderjährige und die spezielle Situation einer Mutter mit einem minderjährigen Kind (Application No. 2303/10).
- 140
Im Übrigen haben sowohl der Österreichische Asylgerichtshof (Spruch v. 03.05. 2010 - S16 412.104-1/2010-4E -, veröffentlicht unter http://www.ris.bka.gv.at, dort insbes. Ziffer 2.2.2.2.1. "Kritik am italienischen Asylwesen" m. w. N.) als auch das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht (vgl. u. a. Urt. v. 15.07.2010 - D 4987/ 2010 - und Urt. v. 18.03.2010 - D-1496/2010 -, im Internet abrufbar unter: http://www.bundes verwaltungsgericht.ch/index/entscheide/Jurisdiction-datenbank/Jurisdiction-recht-urteile aza.htm) die Rückführung von Asylsuchenden nach Italien in Ansehung der dortigen Asylverfahrenspraxis grundsätzlich als zulässig angesehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der angeführten Entscheidungen Bezug genommen.
- 141
Auch der Umstand, dass zahlreiche Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien zu einer gegenteiligen Einschätzung hinsichtlich der Verhältnisse und des Asylsystems in Italien gelangt sind, veranlasst den Senat nicht zur Annahme, dass die Behandlung der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien nicht in Einklang steht mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nach Auffassung des Senats wird in der insoweit einschlägigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte häufig nicht hinreichend dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich bei den zugrunde gelegten Erkenntnismitteln nicht selten um bloße subjektive Einschätzungen handelt, die nicht in der erforderlichen Weise durch Fakten belegt sind. Auch erscheint mitunter fraglich, ob die insoweit festgestellten Mängel und Defizite verallgemeinerungsfähig sind. Nicht zuletzt haben sich die Verhältnisse in Italien – wie dargelegt – zwischenzeitlich teilweise geändert, so etwa in Bezug auf den Flüchtlingsstrom aus Nordafrika und die Anzahl der für die Asylbewerber und Flüchtlinge zur Verfügung stehenden Unterkünfte. Im Übrigen ist Gegenstand der Prüfung nach § 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) nicht die Frage, ob die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren für Flüchtling und Asylbewerber kritikwürdig sind, weil das System zahlreiche Mängel aufweist oder hinter dem Schutzniveau anderer Mitgliedstaat zurückbleibt.
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Der Senat sieht auch keine Veranlassung, weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien einzuholen. Nach anerkannter Rechtsauffassung ist die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nur dann geboten, wenn sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung aufdrängen musste, weil bereits vorliegende Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen nicht den ihnen obliegenden Zweck erfüllen (konnten), dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts notwendige Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. In diesem Sinne kann z. B. ein Sachverständigengutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet oder jedenfalls unzureichend sein, wenn es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn es von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht (BVerwG, Beschl. v. 14.04.2011 - 2 B 80/10 - m. w. N., Juris). Dies ist hier aber nicht der Fall. Zwar sind die dem Senat vorliegenden zahlreichen Gutachten, Auskünfte und Stellungnahmen nicht in allen Punkte stets konsistent und völlig frei von gewissen Widersprüchen; soweit es indes die im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Tatsachen und Erkenntnisse betrifft, sind diese aufgrund der herangezogenen Erkenntnismittel zur Überzeugung des Senats hinreichend geklärt und eindeutig und mithin für die Überzeugungsbildung ausreichend.
- 143
Der Senat sieht insbesondere auch keine Veranlassung, an der Tauglichkeit des vorhandenen Erkenntnismaterials für die hier entscheidungsrelevanten Fragen zu zweifeln. Dies gilt speziell auch hinsichtlich des Beweiswertes der Auskünfte des Auswärtigen Amtes, da sie grundsätzlich eine sich auf unterschiedliche Erkenntnisquellen stützende Gesamtbewertung vornehmen und zudem im Allgemeinen den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten kommen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.08.2006 - 1 B 24.06 - Juris; Beschl. v. 06.10.1997 - 9 B 803.97 - Juris; Beschl. v. 08.09.1997 - 9 B 401.97 -; Beschl. v. 15.10. 1985 - 9 C 3.85 - Juris sowie Beschl. v. 31.07.1998 - 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28 = Juris). Nicht anders verhält es sich hier. So beruhen die den Auskünften des Auswärtigen Amtes zugrunde liegenden Erkenntnisse auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR, UNHCR und IOM in Rom, den Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Amtes ISTAT sowie schließlich auf Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen wie Carita Migrantes, Comunità di Sant’ Egidio u. a..
- 144
Nach allem vermag der Senat nicht zur Überzeugung zu gelangen, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 21.12.2011, a. a. O.) die Annahme rechtfertigen, dass die Klägerin aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Abschiebung bzw. Überstellung dorthin Gefahr laufen wird, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 3 EMRK und § 4 EuGrdRCH ausgesetzt zu werden und dass sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig erweist.
III.
- 145
Soweit das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid zugleich die Abschiebung der Klägerin nach Italien gem. § 34 Abs. 1 AsylVfG angeordnet hat, bestehen gegen die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung keine Bedenken.
- 146
§ 34a AsylVfG überantwortet die Entscheidung über die Abschiebung dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, so dass dieses die Abschiebungsanordnung verfügt. Das Bundesamt ordnet dabei nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Abschiebungsverbote sind nicht ersichtlich.
- 147
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
- 148
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§§ 132 Abs. 2, 137 VwGO).
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tatbestand
- 1
Die Klägerin ist am (…) 1947 in H. in Syrien geboren. Sie ist verheiratet, yezidischen Glaubens, kurdische Volkszugehörige und sie besitzt die syrische Staatsangehörigkeit. Nach eigenen Angaben reiste sie – zusammen mit ihrer Tochter (...) sowie drei weiteren Kindern – von Syrien kommend am 01. August 2011 zunächst nach Italien, wo sie erkennungsdienstlich behandelt wurde und am 21. August 2011 in B-Stadt einen Asylantrag stellte, und alsdann am 07. September 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 12. September 2011 stellte sie bei der Außenstelle des Bundesamtes in H-Stadt einen (weiteren) Asylantrag.
- 2
Die Beklagte richtete unter dem 07. Februar 2012 an Italien ein Übernahmeersuchen gem. Art. 10 Dublin-II-VO (Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 10.02.2003). Mit Schreiben vom 16. Februar 2012 erklärten die italienischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags der Klägerin.
- 3
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag der Klägerin mit Bescheid vom 13. Juni 2012 als unzulässig ab und ordnete ihre Abschiebung nach Italien an. Nach der Dublin-Verordnung sei Italien für die Bearbeitung ihres Asylantrags zuständig; außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach § 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich.
- 4
Die Klägerin hat am 29. Juni 2012 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, sie könne wegen der allgemeinen Situation von Asylbewerbern in Italien nicht darauf verwiesen werden, in Italien ein Asylverfahren durchzuführen, weil davon auszugehen sei, dass das Asylverfahren dort nicht ordnungsgemäß durchgeführt würde. Sie besitze einen Anspruch auf Asyl und Flüchtlingsschutz sowie Abschiebungsschutz; hierüber sei durch das Bundesamt zu entscheiden.
- 5
Die Klägerin hat beantragt,
- 6
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen und dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gegeben sind.
- 7
Die Beklagte hat beantragt,
- 8
die Klage abzuweisen.
- 9
Sie hat die Ansicht vertreten, Italien erfülle bei der Durchführung von Asylverfahren die Mindeststandards der Europäischen Union. In den italienischen Aufnahmeeinrichtungen seien zahlreiche humanitäre Organisationen tätig, die dies gewährleisten würden. Insbesondere hätten Asylbewerber in Italien vollen Zugang zum Gesundheitssystem. Anders als im Fall Griechenlands gebe es keine Empfehlung des UNHCR, Flüchtlinge nicht an Italien zu überstellen. Dementsprechend habe das Bundesverfassungsgericht auch Verfassungsbeschwerden gegen erstinstanzliche Entscheidungen, denen zufolge eine Abschiebung nach Italien möglich sei, nicht zur Entscheidung angenommen. Ferner sei eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen ergangen, wonach die asylrechtlichen Mindeststandards in Italien gewährleistet seien und woraus sich ergebe, dass der Bericht von Bethke und Bender zu den Problemen der Flüchtlinge in Italien kritisch zu betrachten sei.
- 10
Auf den Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 07. März 2012 – 9 B 57/12 MD – die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung der Klägerin nach Italien vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu unterlassen.
- 11
Mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 verpflichtet, über den Asylantrag der Klägerin in eigener Zuständigkeit zu entscheiden und ein Asylverfahren durchzuführen. Die Klägerin habe nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchführe; das insoweit bestehende Ermessen der Beklagten sei auf Null reduziert. Der Klägerin könne die Durchführung eines Asylverfahrens in Italien nicht zugemutet werden.
- 12
Der Senat hat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Zulassungsantrag, wonach sie an ihrer bisherigen Auffassung festhält, die Klägerin könne in Anbetracht der in Italien gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse auf die Durchführung eines Asylverfahrens dort verwiesen werden.
- 13
Die Beklagte beantragt,
- 14
die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 9. Kammer - vom 10. Juli 2012 abzuweisen.
- 15
Die Klägerin beantragt,
- 16
die Berufung zurückzuweisen.
- 17
Sie macht geltend, die Beklagte beziehe sich zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen auf bloße Vorschriften und eine nicht mehr aktuelle Rechtsprechung, während neue Berichte nicht zur Kenntnis genommen würden. Der Auffassung der Beklagten sei im Hinblick auf die humanitäre Situation in Italien entgegen zu halten, dass sich die Situation der Flüchtlinge in Italien aufgrund des anhaltenden Flüchtlingsstroms aus Tunesien und anderen nordafrikanischen Staaten dramatisch verschlechtert habe. Italien sei bereits zuvor mit der Aufnahme von Flüchtlingen und deren ordnungsgemäßer Unterbringung überfordert gewesen. Aufgrund des momentanen Flüchtlingsstroms nach Italien habe sich die Situation noch verschlechtert; es sei damit zu rechnen, dass der Klägerin bereits aus diesem Grunde ein ordnungsgemäßes Asylverfahren verwehrt werde und dass sie obdachlos würde. Im Übrigen dürfe nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs (Urteil v. 21.12.2011 - C-411/11, C-493/10 -) ein Asylbewerber bereits dann nicht an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-II-VO überstellt werden, wenn ernsthafte Hinweise auf systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat vorlägen, die eine Gefährdung des Asylbewerbers nahe legen würden. Solche ernsthaften Hinweise lägen hier vor. Die vorliegenden Berichte und sonstigen Erkenntnismittel gingen davon aus, dass das staatliche Aufnahmesystem in Italien völlig überlastet sei. Es existierten 3.000 Plätze, die eine Aufnahme von Asylbewerbern für jeweils nur sechs Monate vorsehen würden. Im Jahre 2011 hätten indessen laut Presseberichterstattung (Spiegel online v. 26.04.2011) in Italien bis Anfang Mai bereits 26.000 Flüchtlinge um Schutz nachgesucht.
- 18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten und auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten (Beiakte A) sowie auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 19
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Klägerin mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 zu Unrecht stattgegeben.
- 20
I. Die Klage ist teilweise unzulässig.
- 21
1. Die als Verpflichtungsklage erhobene Klage ist “lediglich“ als Anfechtungsklage zulässig. Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juni 2012 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag der Klägerin gem. § 27a AsylVfG (wegen fehlender Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland) unzulässig ist, ist allein die Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01. 2010 - 11 K 8136/09 -; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009,409; Urt. v. 29.09.2009 - 7 K 269/09.F.A -; Urt. v. 23.06. 2010 - 7 K 2789/09.F.A. -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11. 2011 - AN 11 S 11.30508 -; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -; Beschl. v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A. -; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, alle: Juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27a Rdnr. 18; a. A. statthaft nur die Verpflichtungsklage: OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A - Juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/ 09.WI.A -).
- 22
Im Fall der Aufhebung einer – wie hier – auf § 27a AsylVfG gestützten Entscheidung wegen Unzulässigkeit des Asylantrages ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens („in eigener Zuständigkeit“) vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch ohne ein hierauf gerichtetes Verpflichtungsbegehren eröffnet. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides bereits von Gesetzes wegen zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet (vgl. § 31 Abs. 2 AsylVfG zur Entscheidung des Bundesamtes über beachtliche Asylanträge). Da grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, bedarf es demzufolge einer Verpflichtungsklage nicht (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01.2010, a. a. O.; vgl. auch VG Frankfurt/Main, Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.).
- 23
Überdies muss bezweifelt werden, ob es sich bei der Entscheidung nach Art. 3 Abs. 2 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist – Dublin-II-VO – [z. T. auch „EG-AsylZustVO“ genannt] – (ABl. L 50 vom 25.02.2003, S. 1 -10) um einen (selbständigen) Verwaltungsakt handelt, so dass eine Verpflichtungsklage bzw. – unter Berücksichtigung des im Rahmen der genannten Vorschrift eingeräumten Ermessens – eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung in Betracht kommt, oder ob es sich bei der gem. § Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zu treffende Entscheidung nicht um eine bloß inzidente handelt, da es allein um die Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten geht.
- 24
Ebenso scheidet eine Verpflichtungsklage aus, die unmittelbar auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. § 16a GG bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG oder aber - hilfsweise - auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichtet ist. Denn eine Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht nur dann, wenn ein „mit seinem Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebener Ausländer“ den Klageweg beschreitet (BVerwG, Urt. v. 06.07.1998 - 9 C 45.97 - BVerwGE 107, 128 ff.). Hat hingegen das Bundesamt (noch) keine Sachentscheidung getroffen, so würde dem Betroffenen in dem Falle des “Durchentscheidens“ des Gerichts durch Verpflichtungs-urteil eine Tatsacheninstanz genommen, nämlich dass eine inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgt (ebenso: VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.; VG Schleswig, Urt. v. 03.08. 2011 - 1 A 46/11 - und Beschl. v. 12.09.2011 - 12 A 124/10 -; a. A. VG Braunschweig, Urt. v. 21.02.2013 - 2 A 126/11 - u. a. mit Verweis auf VGH Mannheim, Urt. v. 19.06.2012 - A 2 1355/11 -, Juris).
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Im Übrigen verhält es sich bei der Entscheidung nach § 27a AsylVfG ähnlich wie in Fällen der Entscheidung des Gerichts über eine Einstellung des Asylverfahrens nach§ 32 AsylVfG wegen vermeintlicher Antragsrücknahme bzw. Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG sowie in den Fällen der gerichtlichen Entscheidung bei fiktiver Antragsrücknahme nach§ 33 AsylVfG. In den genannten Fällen ist nach der hierzu ergangenen einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94 -, NVwZ 1996, S. 80 = Juris; vgl. auch Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m. w. N.) die Verpflichtungsklage unzulässig, weil die verweigerte sachliche Prüfung des Asylantrages nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen ist.
- 26
Auch ist im Hinblick auf die mit dem angefochtenen Bescheid angeordnete Abschiebung der Klägerin nach § 34a Abs. 1 AsylVfG die Verpflichtungsklage nicht veranlasst und stattdessen eine Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO ausreichend (vgl. VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O. und Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 34a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a. a. O., § 34a Rdnr. 64). Soweit es nämlich darum geht, dass die Beklagte von einem Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02. September 2003 (Abl. L 222 S. 3) Gebrauch macht, bedarf es im Urteil über eine entsprechende inzidente Feststellung hinaus keiner ausdrücklichen Verpflichtung der Beklagten, von einer Abschiebung abzusehen.
- 27
Es ist vorliegend davon auszugehen, dass die Anfechtungsklage vom Verpflichtungsbegehren der Klägerin (mit-)umfasst ist. Gegenstand der Anfechtungsklage ist nach allem ausschließlich die Frage nach der Zuständigkeit der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens, wobei die Frage nach dem rechtlich gebotenen Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland inzident zu beantworten ist.
- 28
2) Der Klägerin steht für ihre Klage auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse zur Seite, da sie weiterhin nach Italien zurückgeführt bzw. rücküberstellt werden könnte, nachdem die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 d. Sachakte) ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung ihres Asylantrags erklärt haben, indem sie dem Übernahmeersuchen stattgegeben und damit ihrer Rücküberstellung zugestimmt haben.
- 29
II. Die Klage ist im Übrigen unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Asylantrag der Klägerin zu Recht als unzulässig abgelehnt und zugleich ihre Abschiebung nach Italien angeordnet. Es musste im vorliegenden Fall insbesondere auch nicht von der Möglichkeit des Selbsteintritts der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch machen.
- 30
1) Rechtsgrundlage des Bescheides vom 13. Juni 2012, mit dem das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin als unzulässig abgelehnt hat, ist § 27a AsylVfG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier der Fall. Zu Recht ist die Beklagte im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass die Republik Italien für die Durchführung eines Asylverfahrens der Klägerin zuständig ist.
- 31
a) Die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO, sofern nicht die nach Art. 5 Abs. 1 der genannten Verordnung vorrangig zu prüfenden Zuständigkeitskriterien nach Art. 6 bis 9 der Verordnung einschlägig sind.
- 32
Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, sofern auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 der Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III derVerordnung (EG) Nr. 2725/2000, festgestellt wird, dass der Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze des Mitgliedstaats illegal überschritten hat (vgl. auch Art. 18 Abs. 4 und 5 Dublin-II-VO).
- 33
Dies bedeutet, dass – soweit nicht die Vorschriften nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO einschlägig sind – im vorliegenden Fall Italien für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zuständig ist, da sie ihren eigenen Angaben zufolge aus Syrien kommend die Grenze nach Italien illegal überschritten hat (und dort – in B-Stadt – am 21. August 2011 zugleich einen Asylantrag gestellt hat [Bl. 108 ff. d. Sachakte]).
- 34
Die insoweit gegebene Zuständigkeit endet zwar gem. Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Die Klägerin hat jedoch am 12. September 2011 und damit noch vor Ablauf der Jahresfrist ihren Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt, so dass die Zuständigkeit Italiens nicht nach Satz 2 entfallen ist. Die Einreise der Klägerin nach Italien erfolgte am 07. September 2011; die Jahresfrist lief somit am 07. September 2012 ab. Dass die Frist nunmehr abgelaufen ist, ist unschädlich, weil für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Art. 5 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Situation in dem Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
- 35
b) Im Falle der Klägerin sind auch die Voraussetzungen nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich Art. 7 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist, wo ungeachtet dessen, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat, der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, sowie hinsichtlich Art. 8 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – dem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrages obliegt, in dem der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, über dessen Asylantrag noch keine erste Sachentscheidung getroffen wurde. Die genannten Vorschriften sind im Falle der Klägerin jedoch nicht einschlägig.
- 36
Es ist schon nicht ersichtlich, dass die nach Art. 7 und 8 der Verordnung genannten Voraussetzungen bei der Tochter der Klägerin, mit der sie zusammen in das Bundesgebiet eingereist ist, oder bei ihren in Deutschland lebenden volljährigen Kindern vorliegen. Dies kann aber auch dahin stehen. Denn jedenfalls gelten die genannten Personen nicht als „Familienangehörige“ i. S. d. Dublin-II-VO. Hierzu gehört nach Art. 1 Buchst. i) der Verordnung nur die Mitglieder der “Kernfamilie“, d. h. die Ehegatten des Asylbewerbers und unter bestimmten Voraussetzungen der nicht verheiratete Partner des Asylbewerbers, die minderjährigen Kinder der genannten Personen sowie bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern oder Flüchtlingen der Vater, die Mutter oder der Vormund. Ein solches Verwandtschaftsverhältnis der Klägerin zu den mit einreisenden bzw. in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kindern besteht jedoch nicht.
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c) Ebenso sind bei der Klägerin die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Nach Art.15 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien der Verordnung nicht zuständig ist. Dass die Klägerin vorliegend aus humanitären Gründen mit ihren Familienangehörigen zusammenzuführen ist und nicht auch auf ein eigenständiges Leben in Italien verwiesen werden kann, zumal ihre Kinder teilweise in Deutschland, teilweise in Österreich leben bzw. teilweise ihr Aufenthalt unbekannt ist, lässt sich nicht feststellen. Die Klägerin befindet sich in Begleitung ihrer volljährigen Tochter; beide sind reisefähig und nach Italien zu überstellen.
- 38
Ebenso sind die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt, wonach im Regelfall von einer Trennung der Familienangehörigen abzusehen bzw. eine Zusammenführung vorzunehmen ist, wenn die betroffene Person u. a. wegen einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung durch die anderen Person(en) angewiesen ist. Diese Voraussetzungen liegen bei der 67-jährigen Klägerin nicht vor; entsprechendes ist jedenfalls nicht vorgetragen worden.
- 39
Eine andere Einschätzung ist auch nicht im Hinblick auf die einleitende Erwägung zu Nr. 6 Dublin-II-VO veranlasst, wonach die Einheit der Familie (grundsätzlich) gewahrt bleiben soll, soweit dies mit den sonstigen Zielen vereinbar ist, die mit den Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrages zuständigen Mitgliedstaats angestrebt werden. Nicht anders verhält es sich mit Blick auf die einleitende Erwägung nach Art. 7 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach die Mitgliedstaaten von den Zuständigkeitskriterien abweichen können, um eine räumliche Annäherung von den Familienmitgliedern vorzunehmen, soweit dies aus humanitären Gründen erforderlich ist. Bei den genannten Regelungen handelt es sich indes um bloße programmatische Vorgaben, aus denen sich, unabhängig davon, dass die Voraussetzungen hier nicht vorliegen dürften, für die Asylbewerber keine unmittelbaren Rechte ableiten lassen.
- 40
d) Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Zwar hat das Bundesamt nicht innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags der Klägerin vom 12. September 2011 ein Wiederaufnahme- bzw. Übernahmeersuchen an die Republik Italien gestellt; das war indes auch nicht erforderlich. Da die Klägerin bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hat, steht in ihrem Fall eine Wiederaufnahme durch Italien im Sinne des Art. 16 Abs.1 c) bis e) Dublin-II-VO in Rede, nicht hingegen eine Aufnahme seitens Italiens im Sinne des Art. 16 Abs.1 a) Dublin-II-VO. Die Dublin-II-VO unterscheidet insoweit gem. Art.16 Abs.1 lit. a) einerseits und Art. 16 Abs. 1 lit. c) bis e) andererseits zwischen der Überstellung des Asylsuchenden in einem Aufnahmeverfahren gemäß den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO und einer Überstellung im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 20 Dublin-II-VO. Das Aufnahmeverfahren findet statt, wenn der Asylsuchende im ersuchten Mitgliedstaat noch keinen Asylantrag gestellt hat, während das Wiederaufnahmeverfahren einschlägig ist, wenn dort bereits ein Asylantrag gestellt wurde. Insofern wird der Anwendungsbereich der nachfolgenden Art. 17 bis 20 Dublin-II-VO durch Art. 16 Dublin-II-VO bestimmt.
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Aus der systematischen Trennung zwischen Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren folgt, dass im Wiederaufnahmeverfahren keine Frist für das Übernahmeersuchen gilt, denn die insofern allein maßgebliche Regelung des Art. 20 Dublin-II-VO normiert weder selbst eine solche Frist, noch nimmt sie auf die für das Aufnahmeverfahren geltende Regelung in Art. 17 Abs.1 Dublin-II-VO Bezug. Es verhält sich gerade nicht in der Weise, dass Art. 20 Dublin-II-VO nur spezielle Modalitäten für die Wiederaufnahme regelt und im Übrigen die Regelungen der Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO anwendbar wären. Vielmehr handelt es sich bei den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO einerseits und dem Art. 20 Dublin-II-VO andererseits um jeweils eigenständige Regelungskomplexe (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 06.02.2013 - 17 L 150/13.A -; Beschl. v. 26.04.2013 - 17 K 1777/12.A -; VG Hamburg, Beschl. v. 22.09.2005 - 13 AE 555/05 -; VG Augsburg, Gerichtsbescheid v. 09.05.2011 - Au 3 K 10.30468 - Juris; VG Regensburg, Beschl. v. 05.07.2013 - RN 5 S 13.30273 -; VG Göttingen, Beschl. v. 11.10.2013 - 2 B 805/13 -; a.A.: VG Düsseldorf, Beschl. v. 07.08. 2012 - 22 L 1158/12.A -, alle: Juris).
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Art. 17 Abs.1 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, zuständig wird, wenn das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten unterbreitet wird, findet im Fall der Klägerin folglich keine Anwendung, so dass sich hieraus auch keine Zuständigkeit der Beklagten ergibt. Dementsprechend haben die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 R, 116 d. Sachakte) auch ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme bzw. Übernahme der Klägerin erteilt.
- 43
e) Ferner ist die Zuständigkeit nicht nach Art. 19 Abs. 3 und 4 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO erfolgt die Überstellung des Schutzsuchenden von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin-II-VO i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Dabei ist unerheblich, dass die Entscheidung der Beklagten nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 der Verordnung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat; allein entscheidend ist, dass ihr eine solche durch eine entsprechende gerichtliche Entscheidung zuerkannt worden ist (vgl. Hess.VGH, Beschl. v. 23.08.2011 - 2 A 1863/10.Z.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.06.2012 - A 2 S 1355/11 -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; offengelassen: OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -, alle: Juris).
- 44
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 02. August 2012 - 4 MC 133/12 - (< Rn. 17 zitiert nach Juris >) zu § 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO und zu dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin-II-VO grundsätzlich vorgesehenen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ausgeführt:
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„Der Annahme der aufschiebenden Wirkung des hier eingelegten Rechtsbehelfs steht auch nicht die Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 Satz 4 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 entgegen. Danach hat ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nach Absatz 1 keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem inner-staatlichen Recht zulässig ist. Zwar darf nach § 34a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) nicht nach§ 80oder § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung ausgesetzt werden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass durch diese Vorschrift eine andere Entscheidung im Sinne von Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Hs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts ausgeschlossen ist und daher ein Rechtsbehelf wegen § 34a Abs. 2 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 haben kann. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr ausdrücklich entschieden, dass der Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 34a Abs. 2 AsylVfG in den Fällen, in denen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) erfolgen soll, in Ausnahmefällen, die nicht vom „normativen Vergewisserungskonzept“ des Gesetzgebers über die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in einem sog. sicheren Drittstaat erfasst sind, der Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz gegen eine sofortige Überstellung nicht entgegensteht (BVerfG, Urt. v. 14.5. 1996, a. a. O.). Diese Rechtsprechung wird - soweit ersichtlich - von den Verwaltungsgerichten auf die Abschiebung in einen anderen Staat, der nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, mit der Begründung übertragen, dass die vom Bundesverfassungsgericht angestellten Erwägungen zu § 26a AsylVfG auch auf die Vorschrift des§ 27a AsylVfG zutreffen, weil die nach europäischen Recht für die Asylentscheidung zuständigen Mitgliedstaaten zugleich sichere Drittstaaten im Sinne von § 26a AsylVfG sind (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 1.3.2012 - 1 B 234/12.A - und v. 11.10. 2011 - 14 B 1011/11.A -; ferner Nds. OVG, Beschl. v. 2.5.2012 - 13 MC 22/22 - und Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-). Unter diesen Umständen kann daher keine Rede davon sein, dass es nach der innerstaatlichen Rechtslage in Deutschland unzulässig sei, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellung auf der Grundlage der Zuständigkeitsbestimmungen in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 anzuordnen. Unabhängig davon stellt die für den Fristenbeginn der Überstellung maßgebliche Vorschrift des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 nach ihrem Wortlaut auch ausdrücklich darauf ab, dass einem eingelegten Rechtsbehelf tatsächlich aufschiebende Wirkung zukommt und nicht darauf, ob es nach dem innerstaatlichen Recht zulässig ist, die aufschiebende Wirkung anzuordnen (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-).
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Läuft danach die Frist zur Überstellung aufgrund des von dem Antragsteller eingelegten Rechtsbehelfs erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens bezüglich der Durchführung der Überstellung entschieden wird und die der Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann, kann dahinstehen, ob insoweit das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn bereits ausreichend ist oder es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf (so Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.“
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Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an und macht sie sich zu Eigen.
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Da die Klägerin – nach Erlass des angefochtenen Bescheides vom 13. Juni 2012 – gegen ihre Überstellung innerhalb der Frist, bis zu der gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin-II-VO ihre Überstellung nach Italien vorbehaltlich eventuell zu treffender weiterer Maßnahmen erfolgen konnte, einen Rechtsbehelf gegen ihre Überstellung eingelegt hat, dem mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom Beschluss vom 07. März 2012 - 9 B 56/12 MD - aufschiebende Wirkung beigemessen worden ist, beginnt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO eine (neue) sechsmonatige Frist zur Überstellung der Klägerin (erst) ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Klage. Diese Frist ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch nicht abgelaufen, denn der Senat hat dem Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 entsprochen. Nach allem kann hier dahingestellt bleiben, ob im Grundsatz das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn hinsichtlich der Überstellung bereits ausreichend ist oder ob es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf, da die Klägerin jedenfalls erstinstanzlich obsiegt hat.
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2) Die Beklagte ist für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin auch nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zuständig, denn die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, das Selbsteintrittsrecht auszuüben.
- 50
Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-II-VO zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (a. a. O. Satz 3). Ob der Mitgliedstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht dabei grundsätzlich in seinem Ermessen, welches – weil integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen Europäischen Asylsystems (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/ 10 und C-493/10 -,
) – in Übereinstimmung mit den insoweit geltenden unionsrechtlichen Bestimmungen und von den Mitgliedstaaten verfolgten Zielen auszuüben ist.
- 51
Art. 3 Dublin-II-VO ist auch geeignet, subjektive Rechte der Klägerin zu begründen, die von ihr gegen eine vorgesehene Überstellung (Rückführung) in den nach dieser Verordnung für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat geltend gemacht werden können (vgl. dazu den Vorlagebeschluss des Hess.VGH v. 22.12.2010 - 6 A 2717/09.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02. 08.2012 - 4 MC 133/12 - m. w. N., Juris; ferner Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 37 ff. m. w. N.). Denn auch wenn es sich bei Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO um eine Ermessensvorschrift handelt, kann sich der Betroffene – hier die Klägerin – auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gem. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung berufen. Diese Bestimmung ist – anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 25) – nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ihm ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Begünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung der Rechtsnorm besitzen (vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62 -, Slg. 1963, 1 [24] = NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04. 12.1974 - Rs. C-41/74 -, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81 -, Slg. 1982, 53 [71] = NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Dublin-II-VO dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 124 m. w. N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der Europäische Gerichtshof in dem zur Dublin-II-VO ergangenen Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 – (Rdnr. 38, 48 zur Frage des Rechtsschutzes, NVwZ 2009, S. 639 = Juris) aus.
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Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO lediglich das Recht auf eine fehlerfreie Ermessensausübung – welches gegebenenfalls aber auf Null reduziert sein kann (vgl. VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08. 30122 -; Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 134 f. und 223 m. w. N.; Marx, a. a. O. § 27a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser / Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/ Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u. a. und des Belgischen Conseil d'Etat / Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).
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Aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck in der Norm selbst nicht seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 220; Filzwieser / Liebminger, a. a. O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 EG-Vertrag in der Fassung des Amsterdamer Vertrages vom 02. Oktober 1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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Nach Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) EG-Vertrag beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie mit einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Dublin-II-VO erlassen. Im Erwägungsgrund Nr. 5 wird hierzu ausgeführt, dass bezüglich der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf längere Sicht zu einem gemeinsamen Asylverfahren und einem unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird, führen sollte, im derzeitigen Stadium die Grundsätze des am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichneten Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gestellten Asylantrags(4) (nachstehend „Dubliner Übereinkommen“ genannt), dessen Durchführung die Harmonisierung der Asylpolitik gefördert hat, mit den aufgrund der bisherigen Erfahrungen erforderlichen Änderungen beibehalten werden sollten. Weiterhin wird insbesondere im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - EuGrdRCh - anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 EuGrdRCh verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
- 55
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, Juris) lässt das im EU-Vertrag vorgesehene und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeitete gemeinsame Europäische Asylsystem allerdings die Annahme begründet erscheinen, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 (GFK) sowie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - (EMRK) finden. Es gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta und der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. M. a. W. ausgehend von der Annahme, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i. S. d. Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz (GG) bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden „Konzepts der normativen Vergewisserung“ (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/133 - Juris, Rn. 179 ff.) bzw. des „Prinzips des gegenseitigen Vertrauens“ (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - Rs C-411/10 und C-393/10 – Juris, Rn. 79 ff.) grundsätzlich davon auszugehen, dass die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Grundrechtscharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention in diesen Ländern sichergestellt ist. Auch die Dublin-II-Verordnung beruht wie jede andere auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK, der EMRK und der EuGrdRCh in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und Nr. 12 Dublin-II-VO und Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EG-Vertrag, - so auch VG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 02.10.2008 - 6 B 56/08-, Juris und VG Regensburg, Beschl. v. 15.09.2008 - RO 3 E 08.30124 - Juris).
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Dies bedeutet zugleich, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris) ein Ausländer, der in einen sicheren Drittstaat zurück verbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern kann, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Für ihn kommen deshalb entsprechend dem mit Art. 16a Abs. 2 GG verfolgten „Konzept normativer Vergewisserung“ über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, grundsätzlich nicht in Betracht.
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Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland dann Schutz zu gewähren, wenn ein solcher durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des „Konzepts normativer Vergewisserung“ durch Gesetz berücksichtigt werden konnten oder aber sich die für die Qualifizierung als “sicher“ maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung hierauf noch aussteht. So sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a. a. O.) Ausnahmen u. a. dann geboten, wenn der Drittstaat gegenüber dem Schutzsuchenden selbst zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird, oder wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer der Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (vgl. zur Problematik der Bestimmung des „sicheren Drittstaates“: BVerfG, Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 - DVBl. 2009, 1304; Lübbe-Wolff, Das Asylgrundrecht nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 - DVBl. 1996, 825 ff.; s. insbesondere auch zur europa-rechtlichen Dimension: Weinzierl / Hruschka, Effektiver Rechtsschutz im Lichte deutscher und europäischer Grundrechte, NVwZ 2009, 1540 ff.).
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Vergleichbares gilt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn es um die Rückführung eines Ausländers in den für seinen Asylantrag zuständigen Staat im Sinne des § 27a AsylVfG geht. Dies bedeutet, dass auch der Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO „nur“ eine Ausnahme darstellt bzw. Sonderfällen vorbehalten ist. Denn eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat oder in den nach europäischem Recht oder Völkerrecht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, ist nur dann veranlasst, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme aufdrängt, dass der Asylbewerber von einem der im normativen Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 GG und der §§ 26a, 27a, 34a AsylVfG nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind dabei auch im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris). Die Annahme eines sicheren Drittstaates ist daher nur dann widerlegt, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh bzw. der inhaltlich identischen Vorschrift des Art. 3 EMRK (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EuGRrdRCh) implizieren.
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Nach der zu Art. 3 EMRK ergangenen Rechtsprechung des EGMR, auf die zur Auslegung von Art. 4 EuGrdRCH zurückzugreifen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 21.01.2011, 2011 - No. 30696 – M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, Rn. 88 m. w. N. – Juris) ist eine Behandlung unmenschlich, wenn sie absichtlich erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Eine Behandlung ist hingegen als erniedrigend anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und dadurch fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert, oder wenn sie Angst, Furcht oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder physischen Widerstand der Person zu brechen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.01.2011, a. a. O., Rn. 220 m. w. N.).
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Die ernsthafte Befürchtung grundlegender Mängel besteht nur dann, wenn in einem Mitgliedstaat eine ständige Verletzung der Kernanforderungen des europäischen Asylrechts, wie sie in den Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union ihren Niederschlag gefunden haben, stattfindet und dadurch die Menschenwürde, das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Flüchtlings beeinträchtigt wird (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Beschl. v. 22.12.2008 - 13 L 1993/08.A - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84.11 A - Juris; VG Hannover, Beschl. v. 07.06.2011 - 1 B 2106/11 - asyl.net; VG Düsseldorf, Beschl. v. 12.09.2011 - 6 L 866/11.A - Juris; Lehnert / Pelzer, Effektiver Rechtsschutz im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin II-Verordnung, ZAR 2010, 41 ff.; Lehnert/Pelzer, Der Selbsteintritt der Mitgliedstaaten im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin-II-Verordnung, NVwZ 2010, 613 ff.). Bei der Beurteilung der Frage, ob für Asylbewerber in Italien dementsprechend ein “richtliniekonformes“ Verfahren gewährleistet ist, ist dabei zunächst das Schutzniveau in den Blick zu nehmen, das sich aus Art. 28 (Sozialleistungen) und Art. 31 (Zugang zu Wohnraum) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 – Qualifikationsrichtlinie – ergibt und sodann jenes, das sich für das Asylverfahren aus der Dublin-II-VO selbst ergibt. Zugleich ist als Maßstab die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten heranzuziehen sowie die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Danach gehören zu den Kernanforderungen des europäischen Asylrechts der Zugang zu einem geordneten Asylverfahren und die Gewährung materieller Aufnahmebedingungen, welche die Grundbedürfnisse nach Unterkunft, Nahrung und medizinischer Versorgung abdecken.
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Die vorstehend aufgezeigten Grundsätze stehen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat mit Urteil vom 21.12.2011 - C 411/10 und C-493/10 - (Juris) ausgeführt, das Gemeinsame Europäische Asylsystem sei in einem Kontext entworfen, der grundsätzlich die Vermutung rechtfertige, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Gleichwohl könne – so der Gerichtshof – nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoße, so dass die ernstzunehmende Gefahr bestehe, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt würden, die mit den Grundrechten unvereinbar sei. Dabei berühre nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Dublin-II-VO. Sei jedoch ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufwiesen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Grundrechtscharta implizierten, so sei eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar.
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Bei der Beurteilung der anstehenden Frage nach dem Vorliegen eines systemischen Versagens in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in dem Mitgliedstaat ist überdies nicht (allein) darauf abzustellen, welche (abstrakte) Rechtslage dort herrscht, mithin ob etwa die vorgenannten Richtlinien in nationales Recht umgesetzt wurden, sondern es sind (ebenfalls) die konkreten bzw. realen Verhältnisse für die Asylbewerber, mithin die bestehende tatsächliche Verwaltungs- und Rechtspraxis in den Blick zu nehmen (ebenso VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009, 406 = Juris).
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Ferner ist darauf abzustellen, ob es sich bei eventuell feststellbaren Defiziten und Mängeln, etwa in Form von Rechtsverstößen und zu erwartenden Beeinträchtigungen, nur um Einzelfälle oder – soweit es sich nicht nur um Einzelfälle handelt – um bloße vorübergehende, temporäre Erscheinungen handelt, die etwa einer überraschenden Entwicklung geschuldet sind, denen aber in naher Zukunft voraussichtlich abgeholfen wird. Anders verhält es sich indes in jenen Fällen, in denen aufgrund einer Vielzahl von Referenzfällen hinreichend belegte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die Missstände und Unzulänglichkeiten dauerhaft manifestiert haben. Die insoweit erforderliche Feststellung des Vorliegens systemischer Mängel und Missstände hat somit eine quantitative wie qualitative Komponente. Ob die desolaten Verhältnisse im Mitgliedstaat dabei darauf zurückzuführen sind, dass dieser zur Schaffung geordneter und richtlinienkonformer Verhältnisse nicht bereit oder nicht in der Lage ist, macht dabei grundsätzlich keinen Unterschied.
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3) In Anwendung der genannten Kriterien ist im Fall der Klägerin von Folgendem auszugehen:
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Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, in Ausübung des insoweit bestehenden Ermessens von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen. Auch kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, sie besitze zumindest einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO, um als Ausnahme von den sonstigen Zuständigkeitsregeln der genannten Verordnung die Prüfung ihres Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. Diesem Recht der Klägerin ist mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten entsprochen worden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte ihr Ermessen verkannt hätte; auch rechtfertigt sich nicht die Annahme des Vorliegens eines formellen Ermessensfehlers, da keinerlei Gründe vorliegen, die einen sog. Selbsteintritt zu rechtfertigen vermögen.
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Zur Überzeugung des Senats ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie von “Dublin-II-Rückkehrern“ in Italien nicht ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und / oder die Aufnahmebedingungen dort derart grundlegende Mängel aufweisen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh zu erwarten steht. Der Senat ist vielmehr unter Anlegung der zuvor genannten strengen Maßstäbe zur Überzeugung gelangt, dass für die nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. rücküberstellten Asylbewerber in der Gesamtschau ein ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren gewährleistet ist und dass für den Fall der Abschiebung bzw. Rückführung der betroffenen Asylsuchenden zwecks Durchführung eines Asylverfahrens nicht mit schwerwiegenden Rechtsverstößen und Beeinträchtigungen zu rechnen ist (ebenso oder ähnlich u. a.: OVG Lüneburg, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -; Beschl. v. 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 –; VG Bremen, Beschl. v. 15.04.2013 - 2 V 440/13.A -; VG Regensburg, Beschl. v. 05.02.2013 - RN 5 S 13.30026 -; Beschl. v. 26.02.2013 - RN 9 K 11.30445 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 17.09.2012 - 13 L 1447/12.A -; Beschl. v. 08.01.2013 - 6 L 104/13.A - und Beschl. v. 06.02. 2013 - 17 L 150/13.A -; VG Augsburg, Urt. v. 11.01.2013 - Au 6 K 12.30358 -; VG Leipzig, Urt. v. 07.12.2012 - A 1 K 973/11 -; VG München, Beschl. v. 08.11.2012 - M 15 E 12.30772 -; VG Würzburg, Beschl. v. 30.10.2012 - W 6 E 12.30288 -; VG Trier, Beschl. v. 25.10.2012 - 5 L 1146/12.TR -; VG Schwerin, Beschl. v. 27.09. 2012 - 8 B 434/12 As -; VG Bayreuth, Urt. v. 12.06.2012 - B 3 K 11.30142 - [bestätigt durch BayVGH, Beschl. v. 6.02.2013 - 20 ZB 12.302856 -]; a. A. oder eine Entscheidung in der Hauptsache vorbehaltend: VG Köln, Beschl. v. 07.05.2013 - 20 L 613/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 30.04.2013 - 10a L 484/13.A -; VG Schwerin, Beschl. v. 15.03.2013 - 3 B 111/13 As -; VG Aachen, Beschl. v. 14.03. 2013 - 9 L 53/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 19.02.2013 - 15a L 194/13.A -; Beschl. v. 27.02.2013 - 15a L 194/13.A -; VG Gießen, Urt. v. 24.01.2013 - 6 K 1329/12.Gl.A -; VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.10.2012 - A 9 K 2386/12 - und Beschl. v. 22.01.2013 - A 9 K 179/13 -; VG Stuttgart, Beschl. v. 08.01.2013 - A 7 K 3929/12 -; VG des Saarlandes, Beschl. v. 03.09.2012 - 3 L 789/12 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 29.08.2012 - 14 L 1392/12.A – alle: Juris; VG Freiburg, Beschl. v. 27.10.2011 - A 5 K 2081/11 -; VG Magdeburg, Beschl. v. 17.07.2012 – 9 B 148/12 -; Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 100/11 -; Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -; vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/ 12.A - Juris). Das Asylsystem in Italien mit dem dort geregelten und praktizierten Aufnahme- und Asylverfahren einschließlich der Unterbringungs- und Versorgungslage für die in Italien schutzsuchenden Flüchtlinge und Asylbewerber entspricht den Anforderungen des europäischen Asylsystems, selbst wenn es in Teilbereichen gewisse Mängel und Defizite aufweist. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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a) Nach dem dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterial ist davon auszugehen, dass für Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien, jedenfalls soweit es sich um Dublin-II-Rückkehrer handelt, grundsätzlich ein geordnetes Aufnahmeverfahren und auch ein ungehinderter Zugang zum Asylverfahren gewährleistet sind.
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Der Senat verkennt nicht, dass es in Italien für Asylbewerber und Flüchtlinge – und zwar bis in die jüngste Vergangenheit hinein – eine Vielzahl von Einreiseverweigerungen und Abschiebungen gegeben hat, bevor ein Asylverfahren durchgeführt werden konnte bzw. ein solches abgewartet worden wäre. Namentlich sind Fälle bekannt geworden, wonach es Zurückweisungen von Flüchtlingen auf hoher See und vor der italienischen Küste, aber auch vom italienischen Territorium gegeben hat, die offenbar darauf abzielten, den Strom von Flüchtlingen – insbesondere aus Nordafrika – abzuwehren, die in Italien Zuflucht haben suchen wollen (vgl. UNHCR, Bericht v. 16.08. 2011: „Hunderte Neuankömmlinge aus Libyen und Tunesien in Italien“, abrufbar unter: http://www.unhcr.de/print/home/artikel/042d9651d6d525aad46e97d7ee7848db/hunde).
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Trotz der bekannt gewordenen zahlreichen Verstöße gegen das Refoulement-Verbot und teilweise vorhandener unangemessener Erschwernisse beim Zugang zu einem Asylverfahren in Italien in den vergangenen Jahren lässt sich aber – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats betrifft – nicht (mehr) davon ausgehen, dass es, sieht man einmal von Einzelfällen ab, in Italien gegenwärtig noch zu derartigen gravierenden Rechtsverletzungen kommt, wie sie in der Vergangenheit zu beklagen waren.
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Vielmehr sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlingen und Asylsuchenden, die in Italien um Schutz nachsuchen wollten, bei ihrer Einreise auf dem Seeweg oder auf dem Landwege die Einreise oder der Aufenthalt in Italien verweigert worden sind (AA, Auskunft v. 21.02. 2013 an OVG LSA, Anm. 1.1.). Ebenso sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende nach ihrer Einreise nach Italien in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben worden sind, ohne dass sie in Italien den von ihnen beabsichtigten Asylantrag stellen konnten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 1.2.). Schließlich sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes in jüngster Zeit auch keine Fälle (mehr) bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende trotz eines in Italien gestellten Asylantrages in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben wurden (AA, a. a. O. Anm. 1.2.). Hiernach lässt sich zumindest gegenwärtig nicht mehr die Feststellung treffen, dass in Italien der Anspruch Schutzsuchender auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens generell oder auch nur regelmäßig vereitelt wird (bereits für die Vergangenheit verneinend u. a.: VG Hannover, Beschl. v. 07.07. 2011 - 1 B 2106/11 - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84/11 - Juris). Dies bedarf hier indes keiner Vertiefung.
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Denn jedenfalls lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen, dass für die im Rahmen des Verfahrens nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. zurückgeführten Asylbewerber regelmäßig oder sogar überwiegend ein ordnungsgemäßes Asylverfahren nicht gewährleistet ist. Aufgrund eines für diesen Personenkreis gesetzlich speziell geregelten Rückführungsverfahrens ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass diese nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren dort bereits gestellten Asylantrag weiterverfolgen bzw. erstmals einen Asylantrag stellen können und ihnen insoweit der Zugang zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren nicht versperrt wird. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:
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Asylbewerber, die gemäß dem Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehren bzw. zurückgeführt werden, treffen in der Regel auf dem Luftweg auf den Flughäfen Fiumicino in Rom, Malpensa in Mailand, Bergamo, Venedig, Bari, Brindisi oder Ancona ein. Dort werden sie – auch wenn es in Italien kein Flughafenverfahren wie in Deutschland gibt (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)) – von der Polizei in Empfang genommen und es wird ihnen eine Unterkunft in einer der Aufnahmeeinrichtungen zugeteilt, sofern ein Asylantrag gestellt wird bzw. ein Asylverfahren, bei dem Verfahrensstand, der bei Ausreise aus Italien vorlag, weitergeführt werden soll (zu allem: Schweizerische Flüchtlingshilfe, „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien. Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende“, Mai 2011, S. 17 und AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 1.4.). Die Polizei macht in diesen Fällen die verantwortliche Questura ausfindig und fordert die Rückkehrer auf, sich dorthin zu begeben. Dabei werden auch die Reisekosten übernommen (Schweizerischen Flüchtlingshilfe, a. a. O., S. 17) bzw. die Person bekommt, wenn die zuständige Questura weiter entfernt ist (Beispiel: Dublin-Rückkehr nach Rom, zuständige Questura in Catania), ein Zugticket ausgehändigt, um dort hinzureisen (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).
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Wenn die Dublin-Rückkehrer von deutschen Beamten /Polizisten begleitet werden, gibt es insoweit keine Unterschiede. Bei ihrer Ankunft werden alle Dublin-Rückkehrer von der Polaria (Luftpolizei) am Flughafen Fiumicino empfangen. Sie werden erneut erkennungsdienstlich behandelt und es erfolgt die Feststellung, welche Questura in Italien für die Person zuständig und wie der Stand des Verfahrens ist (AA, Auskunft v. 11. 09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).
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Bei ihrer Ankunft werden die Ausländer – so auch die Dublin-II-Rückkehrer – von der am Flughafen zuständigen Hilfsorganisation „Confederazione Nazionale delle Misericordie d’Italia“ betreut und in Anwesenheit von Dolmetschern über den weiteren Verfahrensablauf unterrichtet (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW - zu Frage a.)). Die genannte Hilfsorganisation sucht für die Dublin-II-Rückkehrer zugleich eine (vorläufige) Unterkunft in einem Aufnahmezentrum (z. B. einer Einrichtung der „Centri di accoglienza richiedenti asilo“ - CARA -), welches im Allgemeinen für die Erstaufnahme zuständig ist, bis die Zuweisung zu einer Asylunterkunft am Ort der zuständigen Questura erfolgt ist. Während die Dublin-II-Rückkehrer sofort eine Unterkunft in einem entsprechenden Erstaufnahmezentrum erhalten, kann die Zuweisung zu einer Asylunterkunft für die Dauer des Asylverfahrens einige Zeit dauern, weil es zunächst gewisser Formalien den jeweiligen Asylantrag betreffend bei der zuständigen Questura bedarf. Manchmal beträgt dieser Zeitraum nur einige Tage, manchmal aber auch Wochen, z. B. wenn es sich um große Städte und Ballungszentren handelt. Belastbares Zahlenmaterial bezogen auf die Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist mangels statistischer Erhebungen allerdings nicht verfügbar. In den Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber, den bereits erwähnten Einrichtungen der CARA, ist laut Gesetz grundsätzlich ein Verbleib von nicht länger als 20 bis 35 Tagen vorgesehen. Da die Zuweisungsverfahren aber oftmals länger dauern, bleiben die Antragsteller entsprechend länger in diesen Aufnahmezentren (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu den Fragen a.), b.) und c.)).
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Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln erhalten die Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft in Italien zudem Informationsbroschüren über ihre Rechte im Asylverfahren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 2.3.). Diese Broschüren existieren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen, so u. a. in persischer, arabischer, französischer, englischer, italienischer, somalischer, spanischer und tigrinischer Sprache (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 2.3.). Darüber hinaus befinden sich in den Aufnahmeeinrichtungen Betreuungsdienste, die den Asylantragstellern zur Unterstützung zur Verfügung stehen. Diese beschäftigen oftmals Mitarbeiter, die die Landessprache der Hauptherkunftsstaaten der Asylantragsteller beherrschen (AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 2.3.).
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Nach allem besteht für den Senat kein Grund zur Annahme, dass die in Italien Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft dort in unangemessener Weise “sich selber überlassen bleiben“ und sich im Hinblick auf das erstrebte Aufnahme- und Asylverfahren nicht zurecht finden können.
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Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass die Rücküberstellung von Asylbewerbern auf der Grundlage der Dublin-II-Verordnung seitens der italienischen Behörden auf Widerstände stößt. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es im Rahmen des Dublin-Systems vor einer Asylantragstellung oder während des Asylverfahrens zu Einreiserverweigerungen, Rücküberstellungen oder sonstigen Ausweisungen in die Herkunftsländer der Asylbewerber kommt (vgl. UNHCR, Stellungnahme v. 24.04.2012 an VG Braunschweig, S. 5).
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b) Der Senat vermag aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel auch nicht zur Einschätzung zu gelangen, dass Asylsuchende und Flüchtlinge – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts betrifft – nach ihrer Einreise und / oder während ihres Asylverfahrens mangels einer (angemessenen) Unterkunft regelmäßig oder auch nur in einer Vielzahl von Fällen in die Obdachlosigkeit geraten, mithin „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen.
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aa) Dabei ist zunächst hervorzuheben, dass Asylsuchende während des Asylverfahrens einen Rechtsanspruch auf eine Unterbringung besitzen, und zwar gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Dieser Anspruch ist grundsätzlich wohl auch behördlich bzw. gerichtlich durchsetzbar. Dies deckt sich jedenfalls mit einer Antwort der Bundesregierung vom 18. April 2011 auf eine Kleine Anfrage im Bundestag ("Lage von Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen in Italien" – BT-Drucks. 17/5579), aus der sich ergibt, dass Asylbewerber in Italien einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Unterkunft haben. Allerdings kommt es für die Beurteilung der in Rede stehenden Frage nicht in erster Linie auf die bestehende Rechtslage an; maßgeblich ist vielmehr auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen.
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Nach den aktuellen Auskünften des Auswärtigen Amtes stellt sich indes die tatsächliche Unterbringungssituation im Rahmen des italienischen Aufnahmesystems für Asylbewerber und Flüchtlinge Anfang 2013 (5. Kalenderwoche) wie folgt dar:
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Die Aufnahmezentren der CARA verfügen über 5.516 Plätze und beherbergen derzeit ca. 5.300 Personen nebst 2.710 Plätzen in den Einrichtungen der CARA von Lampedusa, so dass insgesamt mehr als 8.000 Plätze zur Verfügung stehen. Die Zahlen im Gutachten von Frau Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 11), wonach 3.163 Personen in den genannten Einrichtungen aufgenommen werden könnten, seien inzwischen überholt (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.).
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Darüber hinaus stehen den Asylbewerbern und Flüchtlingen grundsätzlich die staatlichen Aufnahmeeinrichtungen der SPRAR („Sistems di Protezione per Richiedenti Asilo e Refugiati“) zur Verfügung. Die dort vorhandenen Plätze sind laut Auskunft des Auswärtigen Amtes in der Vergangenheit deutlich angestiegen: Bisher habe es 3.000 Plätze gegeben, so dass dort (weil eine Unterbringung regelmäßig nur für 6 Monate vorgesehen sei) insgesamt 6.000 Personen hätten versorgt und untergebracht werden können (vgl. zur Aufnahmekapazität von etwa 3.000 Personen u. a. auch der Bericht der Schweizerische Flüchtlingshilfe, a. a. O. S. 5). Nunmehr aber stehen nach Auskunft des Auswärtigen Amtes - bestätigt durch Auskünfte von Mitarbeitern der SPRAR und des italienischen Innenministeriums – insgesamt 5.000 Plätze zur Verfügung, so dass 8.000 bis 10.000 Personen untergebracht werden könnten, ungeachtet der im Rahmen des EU-finanzierten FER-Projektes für vulnerable Personen und anderer Projekte vorhandenen weiteren Plätze (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.). Dies entspricht in etwa auch der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.02.2013 auf Anfrage des Senats, wonach inzwischen in ganz Italien 40 Aufnahmezentren mit rund 9.000 Plätzen zur Verfügung stehen (AA, a. a. O., Anm. 4.3.).
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Dem steht z. B. für das Jahr 2012 eine Anzahl von 1.148 Personen gegenüber, die als Rückkehrer im Rahmen der Dublin-II-Verordnung über Rom nach Italien zurückgeschickt wurden und von der Organisation Ariconfraternita am Flughafen von Rom betreut wurden (Gutachten an das VG Braunschweig von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012, S. 25 und S. 59 – in Ermangelung der erfassten Gesamtzahlen der Dublin-Rückkehrer nach Italien). Berücksichtigt man überdies, dass die Zahl der Asylbewerber seit 2012 – trotz gewisser Schwankungen – insgesamt rückläufig ist, kann zumindest gegenwärtig nicht (mehr) von unzureichenden Aufnahme- und Unterbringungskapazitäten ausgegangen werden. Zur Überzeugung des Senats dürfte sich somit die aktuelle Situation in Italien soweit entspannt haben, dass sämtliche Asylbewerber, und insbesondere Dublin-II-Rückkehrer, in den öffentlichen Aufnahmeeinrichtungen Platz finden können (ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -
).
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Die Annahme fehlender Kapazitäten für die Unterbringung von Dublin-II-Rückkehrern nach Italien ist insbesondere auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil es in der Vergangenheit zu einem massiven Zustrom von Flüchtlingen aus Nordafrika gekommen ist und dies zu (nachhaltigen) Engpässen bei der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern geführt hat.
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Der UNHCR hat in diesem Zusammenhang in seiner Stellungnahme vom 24. April 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 3) auf Folgendes hingewiesen: Im Jahre 2011 sind nach der Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika und der darauf folgenden Erklärung des „humanitären Notstandes“ die regionalen Regierungen gebeten worden, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu bestimmen, da die bestehenden Aufnahmekapazitäten als unzureichend eingeschätzt wurden. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden (Regionen, bestimmten Provinzen [„Province Autonome“] und Gemeinden) seien Vereinbarungen getroffen worden, in denen Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Die Verantwortlichkeit für den diesbezüglichen Aufnahmeplan liege beim Leiter des Zivilschutzes („Dipartimento di Protezione Civile“). Bis Anfang 2012 seien 20.000 Personen im Rahmen des Plans in den Notunterkünften, meist in Einrichtungen kleiner bis mittlerer Größe, untergebracht worden, die in ganz Italien verteilt sind.
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Dies deckt sich mit den Auskünften des Auswärtigen Amtes. Danach hätten die vorgehaltenen temporären Aufnahmestrukturen des Zivilschutzes, die anlässlich des Flüchtlingsstromes aus Nordafrika in der Größenordnung von 50.000 Plätzen in den Regionen geschaffen worden seien, die bestehenden Engpässe kompensiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.3.).
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Soweit im Gutachten von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O., S. 15) darauf verwiesen wird, dass die durch den Zivilschutz zusätzlich geschaffenen Unterkünfte nur zeitlich befristet vorgesehen gewesen seien, zunächst wohl nur bis Ende 2011 und alsdann bis Ende 2012, und dass diese inzwischen wieder geschlossen worden seien, so rechtfertigt auch dieser Einwand nach Auffassung des Senats nicht die Annahme, dass es gegenwärtig und zukünftig wieder zu fehlenden Kapazitäten in den staatlichen Einrichtungen kommen wird.
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Zwar trifft es zu, dass das Notstandsprogramm befristet war und inzwischen wohl offiziell ausgelaufen ist. Allerdings trifft es ebenfalls zu, dass die Einrichtungen derzeit faktisch zumindest in einem beschränkten Umfang fortgeführt werden. Grund für die Schließung der Notunterkünfte war der Umstand, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge gegenüber den Vorjahren, insbesondere dem Jahr 2011 und 2012, deutlich zurück gegangen war. Allerdings waren nach Auskunft des Auswärtigen Amtes Anfang des Jahres 2013 noch ca. 17.000 Personen in den temporären Einrichtungen des Zivilschutzes untergebracht (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 4.3.). Das Auswärtige Amt hat unterdessen mit seiner neuesten Auskunft – unter Berufung auf den Leiter des Italienischen Amtes für Aufnahmezentren und Betreuung, Herrn Tommaso Ricciardi vom 04. September 2013 – zum Notstandsprojekt Nordafrika mitgeteilt, dass sich derzeit nur noch etwa 1.000 Personen („vulnerable cases“ und Asylbewerber, die ein Rechtsmittel eingelegt haben) in den Notunterkünften befinden. Offiziell hätten diese nunmehr am 01. September 2013 schließen sollen. Es werde gegenwärtig überlegt, wie die Versorgung dieser Personen weiter gewährleistet werden kann (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW – zu Frage e)).
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Angesichts der aufgezeigten Entwicklung steht auch nicht zu erwarten, dass mit der Schließung der Notunterkünfte die dort untergebrachten bzw. noch verbliebenen Asylbewerber und Flüchtlinge in die staatlichen Unterkünfte drängen und es damit zu erneuten Überbelegungen kommen wird, mithin die Problematik fehlender Kapazitäten in den staatlichen Zentren erneut auftritt. Das Auswärtige Amt weist zudem ausdrücklich darauf hin, dass das Auslaufen des Nordafrika-Programms keine konkreten Auswirkungen auf die Dublin-Rückkehrer hat, da für diesen Personenkreis (der nicht in den Notunterkünften untergebracht wird) von vornherein kein unmittelbarer Zusammenhang zum Programm bestand (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW – zu Frage e)).
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Gegenteiliges dürfte zur Überzeugung des Senats auch dann nicht anzunehmen sein, wenn es zu einem erneuten Anstieg der Zahl von Asylbewerbern in Italien kommen sollte. Das ausgelaufene Notstandsprogramm belegt, dass Italien Unterbringungsplätze in erheblichen Umfang zusätzlich zur Verfügung stellen kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Das geschaffene Notstandsprogramm lässt darauf schließen, dass die verantwortlichen Stellen – selbst wenn sie auf Druck der übrigen EU-Mitgliedstaaten tätig geworden sein sollten – bemüht sind, sich dem jeweiligen unterschiedlichen Unterkunftsbedarf in der gebotenen Weise anzupassen. Dies lässt es insbesondere nicht ausgeschlossen erscheinen, dass bei einem eventuellen erneuten Anstieg der in Italien eintreffenden Flüchtlinge und Asylbewerber entsprechende Programme zur kurzfristigen Schaffung zusätzlicher Unterkünfte neu aufgelegt werden. Dies alles rechtfertigt keine grundlegenden Zweifel daran, dass ein insoweit auch nach Beendigung des Notstandsprogramms fortdauernder Bedarf oder erneute Massenanstürme von Flüchtlingen bewältigt werden können (ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O.).
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Im Übrigen erkennt auch der UNHCR an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des staatlichen Aufnahmesystems stattgefunden haben. Insgesamt seien die Einrichtungen der CARA, CDA und SPRAR (nunmehr) in der Lage, dem Aufnahmebedarf einer „signifikanten Anzahl“ von Asylsuchenden nachzukommen (Stellungnahme vom 24. April 2012 an VG Braunschweig, S. 3). Allerdings macht der UNHCR die Einschränkung, dass die Kapazitäten der genannten Einrichtungen nicht für die Unterbringung aller unterstützungsbedürftigen Asylsuchenden ausreichend sein dürften, wenn Personen in erheblicher Anzahl neu in Italien ankommen würden (UNHCR, a. a. O., S. 3). Indes bestehen z. Z. keine Anhaltspunkte dafür, dass es in Italien derzeit oder in absehbarer Zeit erneut zu einem derartigen Anstieg der Asylbewerberzahlen kommen wird, wie er etwa in den Jahren 2010 und 2011 zu verzeichnen war.
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Eine andere Bewertung der Unterkunftssituation für Asylbewerber und Flüchtlinge erscheint dem Senat schließlich auch nicht deshalb geboten, weil nach Auffassung des UNHCR (Stellungnahme v. 24.04.2012) in der gegenwärtigen Situation davon auszugehen sei, dass derzeit die überwiegende Anzahl aller Asylverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden können, und die Aufnahme in den Aufnahmezentren regelmäßig auf sechs Monate befristet sei. Abgesehen davon, dass der UNHCR selbst einräumt, dass keine konkreten Zahlen zur Dauer der Asylverfahren vorliegen, besteht nach Auskunft des Auswärtigen Amtes die Möglichkeit, dass im Einzelfall – so auch bei Einlegung von Rechtsmitteln – die Aufenthaltsdauer in der Einrichtung verlängert wird.
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Zudem ist auch dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Mai 2011 zu entnehmen, dass für die Aufnahme von Asylbewerbern eben nicht nur CARA-, CIE- und SPRAR-Zentren zur Verfügung stehen, sondern auch andere Zentren vorhanden sind basierend auf Abkommen zwischen dem Innenministerium und Gemeinden, aber auch von der Stadt – wie etwa Rom - finanzierte und von NGO’s betriebene Zentren (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende, S. 19). Nach dem vorgenannten Bericht (a. a. O. S. 19) kommen noch kirchliche und karitative Einrichtungen hinzu. Dass es unter Berücksichtigung der Aufnahmekapazität all dieser öffentlichen und privaten Einrichtungen sowie unter Nutzung des Angebotes des Wohnungsmarktes nicht möglich ist, eine Unterkunft zu finden, ist nicht ersichtlich.
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Das Auswärtige Amt weist ebenfalls darauf hin, dass neben den staatlichen Unterbringungszentren zusätzlich kommunale und karitative Einrichtungen existieren wie z. B. Caritas, Migrantes in Rom, die Schwestern des Ordens der Mutter Teresa „Suore Missionarie della Carità“ und andere Hilfsorganisationen (Comunità di Sant’Egidio, Opere Antoniane, Stranieri in Italia, Centro Astalle - Jesuiten -), welche die Antragsteller und Asylbewerber versorgen und ihnen Unterkunftsplätze besorgen (AA, Auskunft v. 21.08.2013 an OVG LSA - zur Frage 3.). Dies entspricht zugleich der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, wonach nicht davon auszugehen ist, dass jene Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz finden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen (AA, a. a. O. Anm. 4.3.).
- 95
Veranlassung zu einer anderen Einschätzung gibt dem Senat schließlich auch nicht der Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“ vom 28. Februar 2011, wonach angeblich davon auszugehen ist, dass „in der Vergangenheit 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer der Gefahr der Obdachlosigkeit überlassen worden seien“. Der Senat geht dabei davon aus, dass diese Aussage nicht bedeutet, dass etwa 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer tatsächlich in die Obdachlosigkeit geraten sind, sondern dass es sich hierbei – da der Bericht lediglich von einer „Gefahr“ einer Obdachlosigkeit spricht – um eine bloße Annahme handelt in Bezug auf das womöglich bestehende Risiko, von einer Obdachlosigkeit betroffen zu werden. Dem Senat erscheint bei dieser Sachlage allerdings nicht nachvollziehbar, wie eine (potentielle) „Gefahr“ prozentual derart exakt prognostiziert werden kann, wie dies im Bericht mit 88 vom Hundert geschehen ist, zumal die Unterbringung in staatlichen und privaten Einrichtungen und auch die Wohnungssuche im Allgemeinen mit einer Fülle von Unwägbarkeiten verbunden ist. Überdies sind die Angaben nur bedingt brauchbar, weil eben nicht erkennbar wird, auf welchen Erkenntnissen diese beruhen und welche zurückliegenden Zeiträume in Bezug genommen werden, wenn davon gesprochen wird, dass sich Aussage auf die „Vergangenheit“ beziehe.
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bb) Ebenso lässt sich nach Auffassung des Senats nicht feststellen, dass Asylbewerber infolge unzureichender und unzumutbarer Verhältnisse in den staatlichen bzw. privaten Unterkünften, namentlich etwa aufgrund unhygienischer Zustände oder Gewalttätigkeiten und krimineller Delikte wie u. a. Diebstahl, Vergewaltigung oder erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind. Dabei wird nicht verkannt, dass es in Unterkünften mit einer Vielzahl von – teilweise auch traumatisierten – Flüchtlingen unterschiedlicher Nationalität, Religion und Gebräuchen häufiger als in anderen Bereichen der Gesellschaft zu Konflikten und gelegentlich auch gewaltsamen Übergriffen kommen dürfte. Es dürfte sich dabei allerdings um ein allgemeines Phänomen in Gemeinschaftseinrichtungen handeln, dem die staatlichen Stellen nur bedingt wirksam entgegen wirken können. Auch wenn die Aufnahme-, Unterbringungs- und Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Italien regelmäßig nicht mit dem hiesigen Standard vergleichbar sein mögen, ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die Zustände in den Unterkünften im Allgemeinen jedenfalls nicht derart unzumutbar und unhaltbar sind, dass deshalb die Feststellung einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung der Asylbewerber gerechtfertigt erschiene. Dies gilt zum einen hinsichtlich der hygienischen Verhältnisse. So wird nach Auskunft des Auswärtigen Amtes von den staatlichen Aufnahmezentren und Einrichtungen Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Überdies teilt das Auswärtige Amt zur Situation in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften mit, dass die hygienischen Verhältnisse dort nicht regelmäßig oder sogar überwiegend sich in der Weise darstellen, dass man ernstlich Gefahr läuft zu erkranken. Sie seien auch nicht dergestalt, dass sie nicht den Mindestanforderungen (Kochstellen, Toiletten, Waschräume, fließendes Wasser und Elektrik) genügen würden. Vielmehr seien sie durchweg so beschaffen, dass kleinere Schlafräume in Wohnhäusern oder Containern vorhanden seien, die auch zumeist mit Klimaanlagen und Zentralheizung versehen seien. Insbesondere seien Toilettenräume in ausreichender Zahl und getrennt nach Geschlechtern vorhanden. Gleiches gelte für Waschräume. Die Verpflegung werde vielfach in einem gemeinsamen Speisesaal bereitgestellt. Vereinzelt bestünden auch zusätzliche Möglichkeiten für die eigene Zubereitung von Mahlzeiten. Ferner seien in den Einrichtungen Sozialräume sowie getrennte Räumlichkeiten für medizinische Dienste und Sonderfälle vorhanden. Zur Aufrechterhaltung der Sauberkeit der allgemeinen Räumlichkeiten würden spezielle Reinigungsdienste beschäftigt (vgl. zu allem: AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 4.5.).
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Zum anderen lässt sich aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse auch nicht feststellen, dass sich die Verhältnisse in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften in der Weise darstellen, dass die Bewohner in ständiger Angst leben müssten, „angegriffen, ausgeraubt oder gar vergewaltigt“ zu werden. Zwar gibt es Berichte, wonach es zu gewaltsamen Übergriffen von männlichen auf weibliche Bewohner gekommen sein soll; hierbei handelt es sich aber um Einzelfälle, wenngleich statistische Erhebungen zur Kriminalität speziell in den genannten Einrichtungen nicht existieren bzw. nicht bekannt sind. Darüber hinaus werden die Aufnahmeeinrichtungen zumindest durch die Polizei oder Carabinieri überwacht und geschützt; wegen auftretender Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien wurden in manchen Einrichtungen zudem zusätzliche Polizeikräfte postiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.6.).
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Im Ergebnis vermag der Senat somit nicht festzustellen, dass es – sieht man von Engpässen und Einzelschicksalen ab – mit der Durchführung von Asylverfahren in Italien generell zu Begleiterscheinungen wie etwa Obdachlosigkeit oder aufgrund der Zustände in den Unterkünften zu einer Verwahrlosung der Asylbewerber kommt.
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c) Der Senat vermag ebenfalls nicht festzustellen, dass Schutzsuchende während des Asylverfahrens in Italien unter Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh in materieller Not leben müssen, so dass von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszugehen wäre, oder mit Blick auf die Versorgungssituation und soziale Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge gemessen an den Vorgaben des unionsrechtlichen Sekundärrechts sich das Asylsystem als nicht (mehr) richtlinienkonform darstellt.
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Asylsuchende und Flüchtlinge haben nach Auskunft des Auswärtigen Amtes während des Asylverfahrens einen (Rechts-)Anspruch auf (angemessene) Verpflegung und Versorgung (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1.). Dieser Verpflichtung wird im Allgemeinen dadurch nachgekommen, dass in den staatlichen Unterkünften und Aufnahmezentren entsprechende Leistungen erbracht werden. Namentlich wird auch Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Vorgenanntes gilt gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.).
- 101
Ebenso werden Asylbewerber und Flüchtlinge, die in nichtstaatlichen, namentlich karitativen und kirchlichen Unterkünften leben, mit Nahrung und Kleidung versorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA, Auskunft v. 21. 02.2013, Anm. 5.2.). Allerdings ist für Asylbewerber und Flüchtlinge außerhalb staatlicher sowie karitativer und kirchlicher Einrichtungen eine staatliche Verpflegung und Versorgung nicht (mehr) gewährleistet. Auch existiert in Italien nur ein sehr eingeschränktes staatliches Sozialhilfesystem; danach erhalten nur Personen über dem 65. Lebensjahr Sozialhilfeleistungen. Im vorliegenden Fall würde dies sogar bedeuten, dass die 65-jährige Klägerin auch staatliche Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen könnte. Im Übrigen haben die Betroffenen auch als Asylbewerber und schutzsuchende Flüchtlinge einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 5.1.).
- 102
In der Praxis kann somit nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Asylbewerber und Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt regelmäßig nicht durch Betteln und / oder Prostitution sichern müssen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.). Vielmehr ist insgesamt eine ausreichende Versorgung vorhanden. Einzelfälle sind allenfalls auf das in der aktuellen Wirtschaftskrise insbesondere in italienischen Großstädten zunehmend auftretende Phänomen des Bettelns und die damit einhergehenden erhofften zusätzlichen Einkunftsmöglichkeiten zurückzuführen. Was die Prostitution angeht, so ist nicht völlig auszuschließen, dass weibliche Asylbewerber oder Flüchtlinge in Einzelfällen durch Angehörige der organisierten Kriminalität rekrutiert werden und dann tatsächlich der Prostitution nachgehen. Dies ist aber nicht im kausalen Zusammenhang mit Defiziten im Asylverfahren zu sehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.; Auskunft v. 24.09.2012, S. 3 - Antwort auf Frage b 2)).
- 103
Im Übrigen folgt aus Art. 3 EMRK und Art. 4 EuGrdRCh auch nicht die Verpflichtung, Asylbewerbern und Flüchtlingen eine finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihnen einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.02.2011, a. a. O.).
- 104
Ebenso ist ein Verstoß gegen die Richtlinie 2004/83/EG nicht ersichtlich. Kapitel VII der Richtlinie gestaltet den Inhalt des internationalen Flüchtlingsschutzes zwar u. a. dahin gehend aus, dass Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte grundsätzlich Zugang zu Sozialleistungen (Art. 28), medizinischer Versorgung (Art. 29) und Wohnraum (Art. 31) erhalten. Allerdings gehen die Bestimmungen über die Gebote zur Inländergleichbehandlung (Art. 28, 29) bzw. zur Ausländergleichbehandlung (Art. 31) nicht hinaus. Art. 28 und 29 der Richtlinie gewährleisten die notwendige Sozialhilfe bzw. medizinische Versorgung nur insoweit, wie die Mitgliedstaaten ihren eigenen Staatsangehörigen eine entsprechende Behandlung bzw. Versorgung gewähren; für Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte besteht zudem die Möglichkeit, den Anspruch auf Kernleistungen zu beschränken, die dann im Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige zu gewähren sind. Demzufolge muss der in Italien bestehende allgemeine Lebensstandard für andere, vergleichbare Personen mit italienischer Staatsangehörigkeit in den Blick genommen werden, die ebenfalls keine staatlichen Sozialleistungen in Anspruch nehmen können und bei denen ebenfalls nur durch die Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten oder aber vermittels von Zuwendungen karitativer oder kirchlicher Organisationen das Existenzminimum gesichert ist.
- 105
Nach allem lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh nicht daraus herleiten, dass – worauf in der Rechtsprechung einzelner Verwaltungsgerichte abgestellt wird – ein staatliches Sozialsystem, welches Flüchtlingen und Asylsuchenden zumindest ein Existenzminimum garantiert, nicht zur Verfügung steht und dass die Betroffenen deshalb darauf angewiesen seien, sich „selbst durch das Leben zu schlagen“ (vgl. VG Magdeburg, Beschl. v. 28.03.2011 - 9 B 101/11 MD - Juris; Gerichtsbescheid v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 - [S. 5 d. UA]; VG Braunschweig, Beschl. v. 31.05.2011 - 1 B 103/11 - m. w. N. - Juris).
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Im Übrigen ist in der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a. a. O. S. 22) nicht – wie gelegentlich behauptet wird – die Rede davon, dass der genannte Personenkreis „in extremer Armut lebt und dass sie ihre Lebensbedürfnisse nicht decken können“. Vielmehr ist – wohl mit Bedacht – davon die Rede, dass sie Gefahr laufen, womöglich in eine solche Situation zu geraten; dass sich indes diese Gefahr bereits in eine Vielzahl von Fällen realisiert hätte oder gleichsam regelmäßig bzw. für jeden Asylsuchenden und Flüchtling die konkrete Gefahr bestünde, dass nicht einmal das Existenzminimum gesichert ist, wird nicht behauptet. Dies schließt nicht aus, dass es in Einzelfällen auch zu besonderen Notlagen kommen mag und dass der Lebensstandard der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien im Allgemeinen sehr gering sein dürfte. Gleichwohl vermag der Senat anhand des ihm vorliegenden umfassenden Erkenntnismaterials aber nicht festzustellen, dass die Situation für Flüchtlinge und Asylsuchende in den Zentren und außerhalb derselben derart prekär wäre, dass deshalb von einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh auszugehen ist.
- 107
d) Soweit es die medizinische Versorgung betrifft, sind alle Mitgliedstaaten aufgrund der EU-Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 verpflichtet, bestimmte Mindeststandards der medizinischen Versorgung zu gewährleisten. So haben alle Mitgliedstaaten nach Art. 15 der genannten Richtlinie dafür Sorge zu tragen, dass Asylbewerber und Flüchtlinge die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung für die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst. Dabei ist auch Asylbewerbern mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische und sonstige Hilfe zu gewähren.
- 108
In Italien ist im Rahmen des nationalen Gesundheitsdienstes grundsätzlich ein medizinischer Mindestbehandlungsstandard gewährleistet. Asylbewerber und Flüchtlinge haben in Italien während des Asylverfahrens einen Anspruch auf eine „freie“ (kostenlose) medizinische Versorgung sowie auch auf psychologische Hilfe, insbesondere auch Minderjährige und traumatisierte Personen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.3.).
- 109
Dem entspricht es, wenn im Entscheiderrundbrief des Bundesamtes 7/2011 (a. a. O., S. 8) zur medizinischen Versorgung festgestellt wird, dass bei der Überstellung von kranken bzw. traumatisierten Personen – wie bei jedem italienischen Staatsbürger – die Möglichkeit der (medizinischen) Behandlung besteht. Bereits im Jahre 2009 habe es bei der SPRAR drei Zentren gegeben, in denen auch psychisch kranke Personen hätten behandelt werden können (zwei in Rom, eines in Turin). Für 2011 seien zudem 50 weitere Behandlungsplätze für psychisch kranke Personen bzw. Personen mit besonders schweren Erkrankungen geplant worden. Inzwischen würden bei Dublin-Überstellungen psychisch kranke Personen in Italien als eine besonders „vulnerable Gruppe“ angesehen.
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Voraussetzung für den Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem ist zwar grundsätzlich ein gültiger Aufenthaltstitel bzw. ein rechtmäßiger Aufenthalt; bei im italienischen Asylverfahren befindliche Personen stellt sich dieses Problem aber nicht. Der Zugang zu öffentlichen medizinischen Leistungen ist auch nicht an die Voraussetzung eines ständigen Wohnsitzes bzw. feste Adresse gekoppelt, wie gelegentlich behauptet wird. Vielmehr erhalten Asylbewerber bei Bedarf auch ohne einen solchen ständigen Wohnsitz bzw. feste Anschrift vom nationalen Gesundheitsdienst einen Gesundheitsausweis („tessera sanitara“) und eine Steuernummer („codice fiscale“) (vgl. AA, Auskunft v. 09.10.2012 an VG Minden, S. 2 - zur Frage b) 4; ebenso: AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg - S. 2 Ziffer I b)). Sollte hingegen etwas anderes gelten, ist davon auszugehen, dass aufgrund einer aktuellen Vereinbarung zwischen der Zentralregierung und den Regionen zumindest eine Not- und Grundversorgung auch für sich illegal in Italien aufhaltende Personen garantiert ist (AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 6.2.).
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Der Senat vermag angesichts dieser Situation nicht zu erkennen, dass damit den eingangs aufgezeigten Mindeststandards bzw. Kernanforderungen nicht genügt wird. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass in bestimmten Fällen womöglich einzelnen Personen eine nur unzureichende medizinische Versorgung zuteil wurde oder diese aus dem medizinischen Versorgungssystem herausgefallen sind.
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Aber selbst dann, wenn für kranke, behinderte oder sonst gesundheitlich besonders schutzbedürftige Personen die garantierte medizinische Not- und Grundversorgung nicht als ausreichend angesehen würde, ergäben sich daraus jedenfalls für die Klägerin, die keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen angeführt hat, keine Bedenken gegen ihre Überstellung nach Italien.
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e) Soweit es das Asylverfahren als solches, namentlich die Qualität und die Dauer des Verfahrens betrifft, lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 EMRK und Art. 4 EuGrdRCH sowie gegen die einschlägigen unionsrechtlichen Richtlinien ebenfalls nicht feststellen.
- 114
Italien gewährleistet entsprechend dem (Grund-)Recht auf Asyl (gem. Art. 10 Abs. 3 der italienischen Verfassung, verschiedenen Einwanderungs- und Asylverfahrensgesetzen, insbesondere nach dem Gesetz No. 25/2008 vom 28. Januar 2008) ein Schutzverfahren, das auch für Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung greift. Besonderheiten bestehen insoweit nicht (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.1.).
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Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass es hinsichtlich der Qualität oder der Dauer der Asylverfahren einen Grund für Beanstandungen gibt. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass von einer unverhältnismäßig restriktiven Asylpraxis auszugehen ist. Gegen eine solche Annahme sprechen die Zahlen, die vom Auswärtigen Amt zum Asylverfahren benannt werden. Danach wurden im Jahre 2010 über 14.042 Asylanträge entschieden, davon wurden 2.094 Antragsteller nach der Genfer Konvention anerkannt (15 vom Hundert), 1.789 erhielten subsidiären (13 vom Hundert), 3.675 humanitären Schutz (26 vom Hundert), hingegen wurden 4.698 abgelehnt. 520 Personen waren nicht auffindbar (4 vom Hundert) und 1.266 (9 vom Hundert) sind sonstige Fälle. Dementsprechend lag die Quote der Anerkennungen bzw. der Gewährung eines Bleiberechts bei immerhin 54 vom Hundert (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 3.2.). Demgegenüber wurden im Jahre 2011 über 25.626 Asylanträge entschieden. Davon wurden 2.057 Antragsteller nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt (8 vom Hundert), 2.569 Personen erhielten subsidiären (10 vom Hundert) und 5.662 humanitären Schutz (22 vom Hundert); 11.131 Personen wurden hingegen abgelehnt (44 vom Hundert) und 2.339 Personen waren nicht auffindbar (9 vom Hundert). Die Anerkennungsquote lag 2011 somit bei 40 vom Hundert, was ebenfalls nicht die Annahme einer unverhältnismäßig restriktiven Praxis rechtfertigt (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.2.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 5 unter Hinweis auf eine entsprechende Statistik des Innenministeriums, abrufbar unter: http://www.interno.it/miniinteno/export/sites/default/it/assets/files/21/0551_statistiche_asilo.pdf).
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Es kommt hinzu, dass sich die für die Entscheidung der Asylverfahren in erster Instanz zuständigen Territorialkommissionen per Dekret des Innenministers in der Weise zusammensetzen, dass auch jeweils ein Vertreter des UNHCR beteiligt ist (Bundesamt für Migration der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Hintergrundnotiz MILA - Italien Asylverfahren, Bericht vom 23.09.2009, S.4). Dies berechtigt zur Annahme, dass der Ordnungsmäßigkeit des Asylverfahrens eine besondere Beachtung geschenkt wird.
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Hinsichtlich der Dauer des Asylverfahrens in Italien gibt es ebenfalls nichts zu beanstanden. Über den Asylantrag soll an sich innerhalb von 30 Tagen entschieden werden; zudem wird angestrebt, dass das Gesamtverfahren einschließlich gerichtlicher Überprüfung nicht länger als sechs Monaten dauert, auch wenn es immer wieder Fälle gibt, in denen diese Dauer – manchmal bis zu einem Jahr oder auch länger – überschritten wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 3.1., 3.2.; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O. Rn. 15).
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Ferner lässt sich nicht feststellen, dass es in Italien während des Asylverfahrens in nennenswerter Weise faktische Beeinträchtigungen in verfahrensrechtlicher bzw. prozessualer Hinsicht gibt. Art. 16 des italienischen Asylverfahrensgesetzes No. 25 vom 28. Januar 2008 garantiert dem Asylbewerber, dass er nach den einschlägigen Prozessvorschriften Anspruch auf eine Rechtsberatung und einen unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verfahren hat (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.4.). Zwar bestehen Zweifel, ob dies auch in der Praxis ausnahmslos Geltung besitzt, wenn man berücksichtigt, dass für die nach Rom zurückkehrenden Dublin-II-Rückkehrern (und in Rom eintreffenden Asylbewerber) die Prozesskostenhilfe davon abhängig gemacht wird, dass zum Nachweis der wirtschaftlichen Bedürftigkeit eine Bescheinigung der jeweiligen Auslandsvertretung beigebracht werden soll. Allein wegen der Tatsache, dass der Asylbewerber im Einzelfall das Verfahren ohne anwaltlichen Beistand durchzuführen hat, soweit kein Anwaltszwang besteht, kann nicht schon von einem (landesweit bestehenden) systemischen Mangel gesprochen werden, der die Annahme einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. d. Grundrechtscharta und EMRK rechtfertigt. Im Übrigen stehen dem Asylbewerber im Asylverfahren auch Übersetzungsdienste zur Verfügung (vgl. AA, Auskunft an OVG LSA v. 21.02.2013, Anm. 2.3. und 3.3.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 3).
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Insbesondere bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass – von Ausnahmen abgesehen – die für die Durchführung des Hauptsacheverfahrens erforderliche Erreichbarkeit des Asylbewerbers in Italien nicht sichergestellt wäre. Für eine solche Annahme fehlt es an hinreichend belegten Referenzfällen. Auch gibt es für Italien keine ernst zu nehmenden Quellen, wonach sich die Wahrnehmung von Verfahrensrechten (Antragstellung, Einlegung von Rechtsbehelfen etc.) regelmäßig als derart schwierig erweist, dass diese Rechte faktisch leer laufen würden.
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Soweit in der Rechtsprechung dennoch vereinzelt – so u. a. das VG Gießen (Beschl. v. 10.03.2011 - 1 L 468/11.GI.A - Juris) und ihm folgend das VG Magdeburg (Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 -) – die Auffassung vertreten wird, „es erscheine auch die Qualität der Asylverfahren bedenklich“, wird diese Kritik nicht weiter spezifiziert und auch nicht durch entsprechende Erkenntnismittel belegt.
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f) Ebenso lässt sich anhand des dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterials nicht feststellen, dass im Hinblick auf die rechtliche und soziale Situation anerkannter Asylbewerber sowie der Flüchtlinge mit einem Bleiberecht angesichts der in Italien anzutreffenden Lebens- und Versorgungssituation sowie unter Berücksichtigung der insoweit staatlicherseits unternommenen Integrationsbemühungen das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien derartige Mängel aufweist, dass es den Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht mehr entspricht.
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Schutzberechtigte, mithin anerkannte Asylbewerber (Asylberechtigte) und Personen mit subsidiärem Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten mit ihrer Anerkennung ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht; es wird ihnen eine Aufenthaltsberechtigung („permesso di soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.2.).
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Dies bedeutet in der Praxis, dass sie sich – ebenso wie italienische Staatsangehörige – grundsätzlich selbst um eine Unterkunft kümmern und auch in eigener Verantwortung einen Arbeitsplatz suchen müssen. Dafür besteht aber ein freier Zugang zum Arbeitsmarkt (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus besitzen, haben auch das Recht zu arbeiten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, a. a. O.).
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Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.). Anerkannte Asylbewerber und Personen mit einem subsidiären Schutzstatus haben Zugang zu einer Beschäftigung in Italien, wie dies durch Art. 26 und Art. 28 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) garantiert wird.
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Ein staatliches System finanzieller Hilfeleistungen bzw. ein Sozialhilfesystem existiert hingegen nicht. Denn in Italien gibt es für italienische Staatsangehörige – und somit auch für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die ihnen gleichgestellt sind – kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bzw. (sonstige) staatliche Sozialleistungen, jedenfalls soweit sie nicht das 65. Lebensjahr erreicht haben (AA, Auskunft v. 11.07.2012 an das VG Freiburg). Art. 28 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gewährt hinsichtlich der Sozialleistungen nur einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung, nicht aber einen Anspruch auf Privilegierung des anerkannten Flüchtlings.
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Zwar entspricht es der italienischen Kultur, dass es einen engen Familienzusammenhalt gibt, der im Notfall zumindest die Chance eröffnet, eine (gewisse) Unterstützung durch Familienangehörige in Anspruch nehmen zu können. Dass es eine solche vergleichbare Unterstützung unter den ausländischen Landsleuten gibt, die sich aufgrund ihres Schutzstatus dauerhaft in Italien aufhalten, erscheint nicht ausgeschlossen, dürfte aber die Ausnahme sein. Gleichwohl lässt dieser Umstand nach Auffassung des Senats für sich allein nicht schon die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass der anerkannte Flüchtling und sonstige Schutzberechtigte in Italien deshalb der konkreten Gefahr ausgesetzt wäre, „auf der Straße“ zu leben und zu verelenden.
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Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass – ebenso wie italienische Staatsangehörige in einer vergleichbaren Situation – auch anerkannte Asylbewerber und schutzberechtigte Flüchtlinge von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, wie beispielsweise durch die CARITA und CIR, Unterstützung bekommen können (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Die Zuständigkeit für die Festsetzung von derartigen öffentlichen Sozialleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen (z. B. Toskana, Emilia Romagna) wird die Höhe derartiger Leistungen durch die Kommune festgesetzt; die Leistungen weisen insoweit je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft deutliche Unterschiede auf (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Diese Erkenntnis deckt sich im Übrigen mit dem Gutachten der Flüchtlingsorganisation borderline-europe e. V. (Gutachten an das VG Braunschweig vom Dezember 2012) und der Auskunft der italienischen Vereinigung für rechtliche Untersuchungen zur Situation von Einwanderung (ASGI-Bericht vom 20. November 2011, S. 10 f.). Danach erhalten ebenfalls anerkannte Asylbewerber und Personen, denen internationaler Schutz gewährt worden ist, Unterstützungen allgemeiner Art, wie sie auch für andere mittellose Personen in Italien vorgesehen sind.
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Überdies ist für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus ein kostenfreier Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie Arzt, Zahnarzt, Krankenhaus gewährleistet (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Ein Anspruch auf Einhaltung bestimmter Mindeststandards im Hinblick auf die Gewährung von Unterkunft sowie auf eine gewisse materielle Unterstützung besteht für sie auch nach dem Unionsrecht nicht; ein solcher Anspruch besteht nur für Asylbewerber (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 - M.S.S. v. Belgium and Greece; EuGH, Urt. v. 21.12. 2011 - C-411/10 und C-493/10 - N.S. und M.E.), denn nach den Bestimmungen der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 steht Asylbewerbern und Schutzsuchenden zwar ein subjektives Recht auch auf eine angemessene Fürsorge zu. Nach Art. 3 Abs. 1 der genannten Richtlinie haben Asylbewerber jedoch nur solange Anspruch auf die in Art. 5 ff. der Richtlinie bezeichneten humanitären Leistungen, solange sie „als Asylbewerber im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen“. „Asylbewerber“ im Sinne der Richtlinie ist dabei ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde.
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Soweit anerkannten Asylbewerbern und schutzberechtigten Flüchtlingen in der Zivilbevölkerung vereinzelt Vorbehalte entgegen gebracht werden und sich diese Vorbehalte womöglich auch im Verhalten von Amtsträgern widerspiegeln sollten, lässt sich diesem Umstand keine selbständige rechtliche Bedeutung beimessen. Die gilt selbst dann, wenn der genannte Personenkreis im Alltag womöglich Benachteiligungen erfahren sollte. Denn die genannten Umstände lassen nicht den Schluss zu, dass das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien schon allein aus diesem Grunde den Regeln des europäischen Asylsystems zuwiderläuft.
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Nach allem erübrigt sich hier die Erörterung der weitergehenden Frage, ob und inwieweit auch möglicherweise jene (unionsrechtlichen) Rechtsverletzungen für die Entscheidung über den Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO relevant sind, die Personen betreffen, bei denen das Asylverfahren bereits mit einer Anerkennung bzw. mit einem subsidiären Schutzstatus abgeschlossen ist (vgl. hierzu VG Regensburg, Beschl. v. 16.08.2012 - RN 7 S 12.30273 -).
- 131
g) Zur Überzeugung des Senats steht auch bei der gebotenen Zukunftsprognose nicht zu erwarten, dass angesichts eines unvermindert anhaltenden oder wieder zunehmenden Flüchtlingsstroms nach Italien sich die dort anzutreffenden Verhältnisse (wieder) verschlechtern werden. So verhält es sich jedenfalls dann, wenn man bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats Folgendes in Rechnung stellt:
- 132
Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist in Italien gegenwärtig nicht (mehr) von einem Anstieg des Zustroms von Asylbewerbern und Flüchtlingen auszugehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013 Anm. 9.1. und 9.2.). Diese Entwicklung wird auch durch das dem Senat vorliegende Zahlenmaterial belegt. Laut Berichterstattung in der Presse (Spiegel online v. 26.04.2011) haben von Januar bis Ende April 2011 allein 26.000 Flüchtlinge in Italien um Schutz nachgesucht. Demgegenüber wurden laut Auskunft des Auswärtigen Amtes im ersten Halbjahr 2012 nur insgesamt 5.580 Asylanträge in Italien gestellt (AA, Auskunft v. 21.01.2013 Anm. 3.2.).
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Insbesondere ist auch ein deutlicher Rückgang von Anlandungen im Süden Italiens zu verzeichnen. Im Jahr 2011 waren es noch 62.692 Personen, im Jahre 2012 hingegen nur noch 13.267 Personen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1. und 9.2.). Dies ist – wie das Auswärtige Amt in nachvollziehbarer Weise feststellt – vor allem auf die Beruhigung der Lage in den Nordafrikanischen Staaten zurückzuführen (AA, a. a. O.).
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Im Übrigen ist auch in der Gesamtschau des letzten Jahrzehnts nicht von einem kontinuierlichen und erheblichen Zuwachs an Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien auszugehen, so dass etwa deshalb die Annahme einer nicht (mehr) zu bewältigenden “Überlastung“ des Asylsystems in Italien begründet wäre. In der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts waren die Zahlen bis 2006 vielmehr rückläufig, die Zahl der Asylantragsteller ging insoweit von 24.000 auf 10.000 zurück. In den Jahren 2008 und 2011 gab es dann in den Spitzen über 30.000 Asylbewerber, während es im Jahre 2012 allerdings wieder weniger als 15.000 Bewerber waren. Bei den genannten Spitzen handelte es sich somit um temporäre Erscheinungen aufgrund der politischen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem “arabischen Frühling“ (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.2.). Auch ist nach aktueller Einschätzung, namentlich vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in den Mittelmeer-Anrainerstaaten, nicht damit zu rechnen, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien in absehbarer Zeit ansteigen wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.3.).
- 135
Nach allem erweist sich die in der einschlägigen Rechtsprechung vielfach angeführte Begründung, dass wegen der zu erwartenden weiteren Flüchtlingsströme von Afrika nach Italien infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen und der damit einhergehenden instabilen Verhältnisse in Nordafrika sich die Entwicklung in Italien in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern, sondern eher noch verschlechtern wird (so u. a. VG Stuttgart, Beschl. v. 02.07.2012 - A 7 K 1877/12 -
) als nicht (mehr) tragfähig.
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Insbesondere lässt sich auch der Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen – UNHCR – vom 24. April 2012 an das Verwaltungsgericht Braunschweig kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass ernsthaft zu befürchten ist, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien grundlegende Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufweisen. Nach dem Inhalt dieser Stellungnahme wurden in Italien die regionalen Regierungen im Jahr 2011 nach Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika ausdrücklich gebeten, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden wurde zudem eine Vereinbarung getroffen, in der die Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Der UNHCR erkennt vor diesem Hintergrund an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben und die CARA-, CDA- und SPRAR-Projekte insgesamt in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl von Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR, a. a. O. S. 3).
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Dass die Verhältnisse zwischen Italien und Griechenland – wie gelegentlich behauptet wird – vergleichbar sind, vermag der Senat nicht festzustellen. Dies bedarf aber auch keiner Vertiefung, weil es hierauf nicht entscheidend ankommt. Dennoch bleibt festzustellen, dass der UNHCR – anders als in Bezug auf Griechenland – für Italien jedenfalls keine Empfehlung ausgesprochen hat, von einer Überstellung bzw. Abschiebung von Dublin-II-Flüchtlingen nach Italien abzusehen. Der Senat misst diesem Umstand kein geringes Gewicht bei. Soweit vereinzelt der Einwand erhoben wird, dies sei dem Umstand geschuldet, dass der UNHCR „politische Rücksichten zu nehmen habe“, ist dies durch Nichts belegt. Zwar hat – ausweislich des Tagungsberichts von Nora Markard zum 12. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz vom 18.-19. Juni 2012 in Berlin (ZAR 10/2012 S. 380 ff. S. 381 zur Situation in Italien) – der UNHCR Senior Regional Protection Associate Jürgen Humberg im Hinblick auf die deutsche Debatte über die Zulässigkeit von Abschiebungen nach Italien angeblich betont, dass der Umstand, dass der UNHCR bisher kein Positionspapier zu Italien veröffentlicht habe, nicht bedeute, dass in Italien „alles in Ordnung sei“; eine solche Schlussfolgerung, den einige Verwaltungsgerichte zögen, sei unzulässig. Auch diese Äußerung veranlasst den Senat nicht zu einer anderen Einschätzung im Hinblick darauf, dass sich der UNHCR – anders als in anderen Fällen – einer entsprechenden offiziellen Stellungnahme bzw. Empfehlung, von einer Rückführung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen, enthalten hat. Dies bedeutet keineswegs, dass der Senat der Auffassung wäre, in Italien „sei alles in Ordnung“; hieraus aber folgt eben noch nicht, dass in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in Italien systemische Mängel feststellbar sind, die eine Verletzung der Europäischen Grundrechtscharta oder der Menschenrechtskonvention darstellen.
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Festzustellen bleibt überdies, dass der UNHCR auch in seinem jüngsten Bericht (UNHCR - Recommendations on important aspects of Refugee protection in Italy) vom Juli 2013 trotz zahlreicher kritischer Anmerkungen bei seiner Einschätzung zur aktuellen Lage der Flüchtlinge und Asylbewerber in Italien zu keinem anderen Ergebnis gekommen ist.
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Schließlich hat auch der EGMR in einer neueren Entscheidung vom 02. April 2013 (Ap-plication No. 27725/10 - Mohammed Hussein vs. the Netherlands and Italy) eine gegen die Dublin-Überstellung von den Niederlanden nach Italien gerichtete Beschwerde als offensichtlich unbegründet abgewiesen. In der Entscheidung hat sich der EGMR mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, einer nach eigenen Angaben aus Somalia stammenden Frau mit zwei kleinen Kindern, zum Asylverfahren und auch zur Unterbringungssituation in Italien auseinander gesetzt und festgestellt, dass die Situation in Italien keineswegs mit der in Griechenland vergleichbar sei (Entscheidung v. 02.04. 2013, a. a. O. Rdn. 72). Auch aus dem Umstand, dass der EGMR in einer früheren Entscheidung (Application No. 64208/11) die Abschiebung eines Asylbewerbers von Deutschland nach Italien gestoppt hat, lässt sich nicht herleiten, dass Italien generell die Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht erfüllt. Die Gründe für den mit der genannten Entscheidung verhängten Abschiebungsstopp sind letztlich nicht bekannt. Dem „Statement of Facts“ ist indes zu entnehmen, dass sich der dortige Antragsteller zwar auch auf die Lebensumstände von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Italien berufen hat, jedoch insbesondere im Raum stand, dass er durch die Abschiebung aufgrund unterschiedlicher Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Münster und Magdeburg von seiner Frau und seinen Kindern getrennt werden würde, deren Abschiebung gestoppt wurde. Weitere Fälle des EGMR (Application No. 30815/09, Application No. 37159/09, Application No. 56424/10) betrafen unbegleitete Minderjährige und die spezielle Situation einer Mutter mit einem minderjährigen Kind (Application No. 2303/10).
- 140
Im Übrigen haben sowohl der Österreichische Asylgerichtshof (Spruch v. 03.05. 2010 - S16 412.104-1/2010-4E -, veröffentlicht unter http://www.ris.bka.gv.at, dort insbes. Ziffer 2.2.2.2.1. "Kritik am italienischen Asylwesen" m. w. N.) als auch das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht (vgl. u. a. Urt. v. 15.07.2010 - D 4987/ 2010 - und Urt. v. 18.03.2010 - D-1496/2010 -, im Internet abrufbar unter: http://www.bundes verwaltungsgericht.ch/index/entscheide/Jurisdiction-datenbank/Jurisdiction-recht-urteile aza.htm) die Rückführung von Asylsuchenden nach Italien in Ansehung der dortigen Asylverfahrenspraxis grundsätzlich als zulässig angesehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der angeführten Entscheidungen Bezug genommen.
- 141
Auch der Umstand, dass zahlreiche Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien zu einer gegenteiligen Einschätzung hinsichtlich der Verhältnisse und des Asylsystems in Italien gelangt sind, veranlasst den Senat nicht zur Annahme, dass die Behandlung der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien nicht in Einklang steht mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nach Auffassung des Senats wird in der insoweit einschlägigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte häufig nicht hinreichend dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich bei den zugrunde gelegten Erkenntnismitteln nicht selten um bloße subjektive Einschätzungen handelt, die nicht in der erforderlichen Weise durch Fakten belegt sind. Auch erscheint mitunter fraglich, ob die insoweit festgestellten Mängel und Defizite verallgemeinerungsfähig sind. Nicht zuletzt haben sich die Verhältnisse in Italien – wie dargelegt – zwischenzeitlich teilweise geändert, so etwa in Bezug auf den Flüchtlingsstrom aus Nordafrika und die Anzahl der für die Asylbewerber und Flüchtlinge zur Verfügung stehenden Unterkünfte. Im Übrigen ist Gegenstand der Prüfung nach § 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) nicht die Frage, ob die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren für Flüchtling und Asylbewerber kritikwürdig sind, weil das System zahlreiche Mängel aufweist oder hinter dem Schutzniveau anderer Mitgliedstaat zurückbleibt.
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Der Senat sieht auch keine Veranlassung, weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien einzuholen. Nach anerkannter Rechtsauffassung ist die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nur dann geboten, wenn sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung aufdrängen musste, weil bereits vorliegende Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen nicht den ihnen obliegenden Zweck erfüllen (konnten), dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts notwendige Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. In diesem Sinne kann z. B. ein Sachverständigengutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet oder jedenfalls unzureichend sein, wenn es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn es von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht (BVerwG, Beschl. v. 14.04.2011 - 2 B 80/10 - m. w. N., Juris). Dies ist hier aber nicht der Fall. Zwar sind die dem Senat vorliegenden zahlreichen Gutachten, Auskünfte und Stellungnahmen nicht in allen Punkte stets konsistent und völlig frei von gewissen Widersprüchen; soweit es indes die im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Tatsachen und Erkenntnisse betrifft, sind diese aufgrund der herangezogenen Erkenntnismittel zur Überzeugung des Senats hinreichend geklärt und eindeutig und mithin für die Überzeugungsbildung ausreichend.
- 143
Der Senat sieht insbesondere auch keine Veranlassung, an der Tauglichkeit des vorhandenen Erkenntnismaterials für die hier entscheidungsrelevanten Fragen zu zweifeln. Dies gilt speziell auch hinsichtlich des Beweiswertes der Auskünfte des Auswärtigen Amtes, da sie grundsätzlich eine sich auf unterschiedliche Erkenntnisquellen stützende Gesamtbewertung vornehmen und zudem im Allgemeinen den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten kommen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.08.2006 - 1 B 24.06 - Juris; Beschl. v. 06.10.1997 - 9 B 803.97 - Juris; Beschl. v. 08.09.1997 - 9 B 401.97 -; Beschl. v. 15.10. 1985 - 9 C 3.85 - Juris sowie Beschl. v. 31.07.1998 - 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28 = Juris). Nicht anders verhält es sich hier. So beruhen die den Auskünften des Auswärtigen Amtes zugrunde liegenden Erkenntnisse auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR, UNHCR und IOM in Rom, den Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Amtes ISTAT sowie schließlich auf Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen wie Carita Migrantes, Comunità di Sant’ Egidio u. a..
- 144
Nach allem vermag der Senat nicht zur Überzeugung zu gelangen, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 21.12.2011, a. a. O.) die Annahme rechtfertigen, dass die Klägerin aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Abschiebung bzw. Überstellung dorthin Gefahr laufen wird, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 3 EMRK und § 4 EuGrdRCH ausgesetzt zu werden und dass sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig erweist.
III.
- 145
Soweit das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid zugleich die Abschiebung der Klägerin nach Italien gem. § 34 Abs. 1 AsylVfG angeordnet hat, bestehen gegen die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung keine Bedenken.
- 146
§ 34a AsylVfG überantwortet die Entscheidung über die Abschiebung dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, so dass dieses die Abschiebungsanordnung verfügt. Das Bundesamt ordnet dabei nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Abschiebungsverbote sind nicht ersichtlich.
- 147
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
- 148
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§§ 132 Abs. 2, 137 VwGO).
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.