Sozialgericht Karlsruhe Urteil, 27. Okt. 2015 - S 6 VG 4648/13

bei uns veröffentlicht am27.10.2015

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
1.
Die am XX.XX.1973 geborene Klägerin erstattete am 20.07.1995 Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern. Dabei gab die Klägerin an, M. habe sie vor sechzehn Jahren sexuell missbraucht. Sie sei seit zehn Jahren regelmäßig in psychotherapeutischer Behandlung. Bereits im Alter von sechs bis sieben Jahren habe sie psychotherapeutische Gespräche geführt. Durch die Psychotherapie in den letzten Jahren sei letztlich herausgekommen, ihre ganze seelische Verfassung basiere zum größten Teil darauf, im Alter von fünf Jahren von dem Tierarzt M. sexuell missbraucht worden zu sein. Im Alter von etwa vier Jahren seien ihre Eltern nach S. verzogen, da sie dort das Vereinsheim des Hockey- und Tennisclubs (HTC) gepachtet hätten. M. sei Gast im Vereinsheim des HTC gewesen. Dort sei es auch zu dem Übergriff gekommen. Sie mache die Anzeige erst nach sechzehn Jahren, da sie erst mit zehn oder elf Jahren die ersten Vermutungen gehegt habe und eigentlich erst seit eineinhalb Jahren sicher wisse, sexuell missbraucht worden zu sein. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren am 13.09.1995 wegen Strafverfolgungsverjährung ein.
In der Zeit vom 17.07.1996 bis 30.10.1996 befand sich die Klägerin in stationärer psychotherapeutischer Behandlung in der K-Klinik (vgl. Entlassbericht vom 08.11.1996). Dort diagnostizierten die Ärzte eine Reifungskrise bei V. a. Borderline-Persönlichkeitsstörung mit hysterischen Anteilen sowie eine Somatisierungsstörung. In dem Entlassbericht berichten die Ärzte, die Mutter sei bei Geburt der Tochter 19 Jahre alt gewesen, bei ungewollter Schwangerschaft sei ihr zur Abtreibung geraten worden. Da die Mutter selbst eine Ausbildung habe machen wollen, sei das Kind trotz heftiger Gegenwehr tagsüber durch eine Pflegefamilie betreut worden. 1976 habe der Vater einen Suizidversuch unternommen und sei von der dreijährigen Tochter gefunden worden. Schon als Kind hätten sich multiple körperliche Beschwerden wie Bauchschmerzen und Kopfschmerzen entwickelt. Ihre Mutter habe sich häufig mit der Betreuung der Tochter überfordert gefühlt. 1984 hätten sich die Eltern getrennt und zwei Jahre später scheiden lassen, als die Patientin dreizehn Jahre alt gewesen sei. Ab diesem Zeitpunkt hätten die psychogenen Anfälle begonnen. Mit acht Jahren sei sie erstmals psychotherapeutisch behandelt worden, mit neunzehn Jahren sei ein sechsmonatiger stationärer Therapieaufenthalt, ein Jahr später ein achtwöchiger erfolgt. Von 1993 bis 1994 habe sie sich in einer Einrichtung betreuten Wohnens befunden und sei dann in eine eigene Wohnung mit ihrem Freund verzogen. Auffällig sei, dass sie mehrmals erwähne, sexuell missbraucht worden zu sein.
Vom 27.01.1998 bis 24.04.1998 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in der M.-Klinik. Dort diagnostizierten die Ärzte eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Borderline-Typus mit histrionischen und aggressiven Zügen. In dem Entlassbericht wird beschrieben, die Ehe der Eltern sei von häufigen Streitereien und Handgreiflichkeiten geprägt gewesen, das Familienleben wegen des Gaststättenbetriebs sehr chaotisch. Die Klägerin habe als Mädchen immer das Gefühl gehabt, zu kurz zu kommen. Die Klägerin sei für die Mutter ein offensichtlich ungewolltes Kind gewesen. Im Alter von zwei Jahren habe die Klägerin den Nachbarn tot im Garten gefunden. Die Klägerin gab an, im Alter von fünf Jahren sei sie von einem ihr gut vertrauten Mann, einem Tierarzt, der ihr eine Katze geschenkt habe, im elterlichen Gaststättenbetrieb sexuell (oral) missbraucht worden. Da der Mann ihr gedroht habe, wenn sie über dieses Erlebnis anderen erzähle, werde seine Katze ihm das berichten, habe sie in ihrer Verzweiflung versucht, die Katze zu ertränken, was aber misslungen sei. Schon früh seien Bauchschmerzen und Kopfschmerzen bei der Klägerin aufgetreten. Als die Klägerin elf Jahre alt gewesen sei, hätten sich die Eltern getrennt, zwei Jahre später sei die Scheidung erfolgt. Anschließend erfolgten erstmals psychogene Ohnmachtsanfälle. Alpträume mit Händen, die aus der Wand kämen und Schatten, die sie verfolgten, hätten sie die ganze Kindheit und Jugend über verfolgt.
Im Juni 1997 beantragte die Klägerin bei der Staatsanwaltschaft S. die Ermittlungen wegen des sexuellen Missbrauchs unter Hinweis auf § 78b StGB wieder aufzunehmen. Die Staatsanwaltschaft lehnte die Wiederaufnahme ab, da die Verjährungsvorschrift des § 78b StGB in Kraft getreten sei, als die angezeigte Tat bereits verjährt gewesen sei.
Am 02.03.2006 fertigte die Klägerin einen Eigenbericht (Lebenslauf). Sie sei mit fünf Jahren in der Gaststätte auf der Kegelbahn von einem Gast sexuell missbraucht worden, welcher ihr eine Katze geschenkt habe und das als Gegenleistung erwartet hätte. Sie hätte versucht, die Katze in der Badewanne zu ertränken. Vermutlich sei das nicht das einzige Erlebnis dieser Art gewesen. Sie hätte oft Bauchschmerzen gehabt und habe wieder angefangen, in das Bett einzunässen. 1992 sei sie für ein halbes Jahr in eine psychotherapeutische Klinik in S. gekommen. Dort sei der Missbrauch langsam ans Tageslicht gekommen, aber wieder runtergedrückt worden. In dieser Zeit sei es auch zur Trennung des damaligen Freundes gekommen.
Die Fachärztin für psychotherapeutische Medizin Dr. L. teilte mit, die Klägerin befinde sich seit dem 19.12.2002 in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung mit den Diagnosen: Chronifizierte, komplexe posttraumatische Belastungsstörung mit dissoziativen Krampfanfällen, dissoziativer Fugue, Agoraphobie mit Panikstörung, rezidivierende depressive Störung, Asthma bronchiale (ärztliche Bescheinigung vom 03.07.2006). Die psychische Symptomatik sei auf eine schwere sexuelle Traumatisierung im Alter von fünf Jahren und wiederholt Gewalterfahrungen seit früher Kindheit im familiären Umfeld zurückzuführen.
Im Zeitraum 22.07.2008 bis zum 02.09.2008 befand sich die Klägerin in der Klinik H. in der psychosomatischen Abteilung in Behandlung. In dem ärztlichen Entlassbericht vom 12.09.2008 berichten die Ärzte u.a. folgendes (Biographische Anamnese): Der Vater sei „Quartalssäufer“ gewesen. Als die Klägerin drei Jahre alt gewesen sei, habe sich der Vater versucht das Leben zu nehmen. Die Klägerin berichte, sie habe große Angst wegen des aufbrausenden Verhaltens des Vaters in Konfliktsituationen gehabt. Die Mutter habe gemeint, sie sei hysterisch und sie solle sich nicht so anstellen. Sie habe bis zum 18. Lebensjahr anhaltende Flashbacks nach einer Vergewaltigung im fünften Lebensjahr gehabt. Weitere belastende Lebensereignisse: Der zweite Freund sei Alkoholiker gewesen, Trennung nach drei Jahren, danach Alpträume, Panikzustände und zunehmend Ganzkörperschmerzen. Im Jahr 200 habe sich der Onkel das Leben genommen. 2004 sei der Großvater verstorben. Im Jahr 2004 sei die Klägerin von einer Nachbarin tyrannisiert worden. Aus diesem Grund sei ein Umzug erfolgt.
Mit Bescheid vom 25.03.2009 stellte das Landratsamt B. einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit 17.09.2008 bei der Klägerin fest, da sie an einer Persönlichkeitsstörung, funktionellen Organbeschwerden, Fibromyalgie-Syndrom, Bronchialasthma, Allergie und chronischer Nebenhöhlenentzündung leide. Grundlage der Entscheidung war ein nervenärztliches Gutachten vom 07.11.2006 der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie E.. In ihrem Gutachten teilt die Gutachterin mit, es entstehe der Eindruck, die Klägerin wisse aufgrund ihrer jahrelangen Psychotherapeuten-Erfahrung natürlich genau, welche Argumente sie bei Untersuchungen vorbringen müsse.
2.
10 
Am 13.11.2000 stellte die Klägerin erstmals beim Landratsamt (LRA) einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Mit Bescheid vom 05.08.2002 lehnte das Versorgungsamt den Antrag ab, da ein tätlicher Angriff nicht nachgewiesen sei.
11 
Am 21.05.2010 stellte die Klägerin beim LRA erneut einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Das LRA lehnte auch diesen Antrag ab (Bescheid vom 09.06.2011). Mit dem Antrag habe die Klägerin keine neuen Gesichtspunkte oder rechtserheblichen Tatsachen vorgebracht, die nicht schon bei Erteilung des inzwischen rechtsverbindlich geworden Bescheides vom 05.08.2002 bekannt gewesen seien.
3.
12 
Am 13.06.2013 beantragte die Klägerin beim Versorgungsamt unter Hinweis auf § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) erneut die Gewährung einer Versorgung. Danach könnten Versorgungsleistungen beansprucht werden, auch wenn kein Tatzeuge vorhanden sei. Sie gab an, als Kind im Degerloch zweimal sexuell missbraucht worden zu sein. Ein Tierarzt habe sich auf der Kegelbahn zum Oralverkehr gezwungen als Gegenleistung für ein geschenktes Kätzchen. Er habe gesagt, wenn sie etwas sage, höre es die Katze und sage es ihm. Daher habe sie die Katze vermutlich ertränken wollen. Ein zweiter Missbrauch sei in einer Schrebergartensiedlung in der Nähe vom Elternhaus erfolgt. Sie sei von einem Mann mit Hund angesprochen und gefragt worden, ob sie sehen möchte, wo sein Hund schlafe. Sie sei mit ihm gegangen und wisse nur noch, in einem Gartenhäuschen etwas getrunken zu haben und sich dann an nichts mehr erinnern zu können. Mit hoher Wahrscheinlichkeit seien KO-Tropfen darin gewesen und sie sei betäubt worden. Vermutlich sei es zu einem Ritus gekommen, denn sie habe immer Erinnerungen an drei schwarzen Kapuzenmenschen. Sie habe weitere einschneidende Erlebnisse in ihrer Kindheit erfahren. Die sexuellen Übergriffe seien jedoch die schlimmsten gewesen. Ihr ganzer Alltag richte sich nach dem Trauma aus. In der Küche hätte sie keine Messer/Scheren mit schwarzen Griffen. Sie könne an manchen Tagen nicht zum Friseur, weil sie Panik vor der Schere habe. Sie könne nicht im Erdgeschoss wohnen. Durch die orale Vergewaltigung sei eine elektronische Zahnbürste stressfreier. Sie könne keine Bananen normal essen. Zahnarztbesuche seien blanker Horror und hätten früher nicht selten mit einem dissoziativen Krampfanfall geendet. Sie könne nicht arbeiten gehen und auch nicht alleine Bus oder S-Bahn fahren.
13 
Mit Bescheid vom 18.07.2013 lehnte das LRA den Antrag auf Erteilung eines Rücknahmebescheids nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ab. Der Antrag stütze sich auf dasselbe Vorbringen, welches bereits Gegenstand der Entscheidung vom 05.08.2002 gewesen sei. Die Ausführungen zum § 15 KOVVfG führten zu keiner Änderung der Rechtsauffassung.
14 
Dr. L.-K. teilte im Rahmen einer ärztlichen Bescheinigung vom 07.08.2013 ihre aktuellen Diagnosen mit. Die Klägerin leide an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung mit dissoziativen Krampfanfällen, dissoziativer Fugue, dissoziativen Lähmungen und Sensibilitätsstörungen von Extremitäten sowie Sprachverlust und außerdem rezidivierend depressiven Störungen, somatoformen Schmerzstörungen, Fibromyalgie-Syndrom, Asthma bronchiale, Lipödem und Zustand nach Schub einer rheumatoiden Arthritis. Die zeitweise gestellte Borderline-Diagnose habe bei Testung in der Borderline Spezialsprechstunde der psychiatrischen Uniklinik Tübingen am 29.05.2015 nicht vollständig erhärtet werden können. Im Vordergrund der Symptomatik stehe eine Traumafolgenstörung, zurückzuführen auf Traumatisierungen in Kindheit und Jugend und durch Vergewaltigung und weitere sexuelle Übergriffe, Ungeborgenheit in der elterlichen Gastwirtschaft und Erleben von körperlichen Gewalt.
15 
Den gegen den Bescheid vom 18.07.2013 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2013 zurück.
16 
Mit der 23.12.2013 zum Sozialgericht Karlsruhe erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung trägt sie vor, sie sei nach dem Maßstab des § 15 KOVVfG Opfer eines tätlichen Angriffs geworden. Ihre Angaben würden durch Dr. L.-K. gestützt. Der Vortrag, ein Tierarzt habe sie zu Oralverkehr gezwungen, sei glaubhaft, da sie sich detailliert daran erinnere. Der Versuch des Ertränkens der Katze und die Wut auf das Tier ließen auf einen schlimmen Vorfall schließen. Der zweite vorgetragene tägliche Angriff sei ebenfalls glaubhaft, da sich die Klägerin genauer an den Ort des Geschehens erinnere.
17 
Die Klägerin beantragt,
18 
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 18.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2015 zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz ab 13.11.2000 zu erbringen.
19 
Der Beklagte beantragt,
20 
die Klage abzuweisen.
21 
Zur Begründung trägt er vor, § 15 KOVVfG ermögliche eine Beweislasterleichterung, keine Beweislastumkehr. Der sexuelle Missbrauch durch M. sei nicht nachgewiesen. Ein vernünftiger Zweifel an den Tatgeschehnissen, wie vom Gesetz gefordert, könne somit nicht ausgeschlossen werden. Die Zeugenbefragung von M. habe keine relevanten Gesichtspunkte ergeben, ebenso wenig wie die Befragung der Eltern. Die Zeugenaussagen der Eltern hätten nur die schwierigen Sozialisationsbedingungen der Klägerin im Umfeld einer Gaststätte hervorgehoben, unter denen sie aufgewachsen sei.
22 
Das Gericht hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen schriftlich angehört. Die Eltern der Klägerin sowie M. hörte das Gericht als Zeugen persönlich an.
23 
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte des Landratsamts sowie den der Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
24 
Die zulässige Klage ist unbegründet.
25 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung. Der Beklagte hat daher ihren hierauf gerichteten Überprüfungsantrag zu Recht abgelehnt. Der Bescheid des Beklagten vom 18.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
1.
26 
Die Klägerin begehrt mit der hier statthaften kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG die Aufhebung der ihren Antrag ablehnenden Entscheidung sowie die Verurteilung des Beklagten zur Feststellung gesundheitlicher körperlicher und seelischer Schädigungen aufgrund eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs (vgl. zur Unzulässigkeit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage auf isolierte Feststellung, Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden zu sein, BSG, U.v. 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - juris und LSG Baden-Württemberg, U.v. 27.8.2015 – L 6 VG 5227/14 – juris).
2.
27 
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch -SGB X).
28 
Nach diesem Maßstab hat der Beklagte den Überprüfungsantrag der Klägerin in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgelehnt: Der Beklagte hat nämlich weder das Recht unrichtig angewandt, noch ist er von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen.
29 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person und durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.05.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.05.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S. 2 OEG i.V.m. § 10a Abs. 1 S 1 OEG erfüllt sein (BSG, U.v. 17.4.2013 – B 9 V 1/12 R – BSGE 113, 205). Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.05.1949 bis 15.05.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind und im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
30 
Als tätlicher Angriff i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist grundsätzlich ein in Feindseliger bzw. rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt. Der tätliche Angriff zeichnet sich durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Sinne von § 173 StGB versteht das Bundessozialgericht den Begriff des tätlichen Angriffs aus Gründen sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG weiter. Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (ständige Rechtsprechung, vgl. BSGE 77, 11; LSG Baden-Württemberg, U.v. 21.4.2015 - L 6 VG 2096/13 - juris).
31 
Nach § 30 Abs. 16 BVG wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 BVG maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) am 10.12.2008, in Kraft getreten am 01.01.2009, erlassen. Alle Einzelheiten werden in der Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 VersMedV geregelt. Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG, Teil A, Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG, Teil C, Nr. 1 b Satz 1).
3.
32 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt („voll bewiesen“) sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG, Teil C, Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG, Teil C, Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG, Teil C, Nr. 2 c Halbsatz 1).
33 
Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge des geschilderten sexuellen Missbrauchs auf der Kegelbahn war nur der vermeintliche Täter selbst. Dieser hat im Rahmen der Befragung jedoch den Vorfall bestritten. Zeugen für den behaupteten zweiten sexuellen Übergriffs in einem Schrebergartenhäuschen existieren nicht.
4.
34 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das KOVVfG (mit Ausnahme der §§ 3 bis 5) anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragsstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
a.
35 
Glaubhaftmachung im Sinne des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, der Vorgang hat sich so zugetragen, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (LSG Baden-Württemberg, U.v. 21.4.2015 - L 6 VG 2096/13 - juris mit Hinweis auf BSG, B.v. 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - juris; BSG, U.v. 21.9.1977 - 10 RV 15/77 - juris).
36 
Dieser Beweisstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d.h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlichen in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit der Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderung als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung (LSG Baden-Württemberg, U.v. 21.4.2015 - L 6 VG 2096/13 - juris; BSG, U.v. 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - juris).
b.
37 
Auch unter Anlegung diesen abgesenkten Beweismaßstabes hält es das erkennende Gericht nicht für gut möglich, dass die persönlich angehörte Klägerin in der Zeit von 1978 bis 1979 Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden ist.
aa.
38 
Hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs durch M. hält die erkennende Kammer das Tatgeschehen nach den Gesamtumständen, wie sie sich aus den Akten und dem Vorbringen der Klägerin sowie der gehörten Zeugen ergeben, nicht für gut möglich.
39 
Angesicht der detaillierten Schilderung des vermeintlichen sexuellen Missbrauchs von M. durch die Klägerin seit Beginn des Verwaltungsverfahrens und im gerichtlichen Verfahren ist es nicht nachvollziehbar, weshalb die Klägerin angesichts ihrer vielfältigen stationären und ambulanten psychotherapeutischen Gesprächen bzw. Behandlungen in der Zeit seit 1979 bis zu ihrer Erkenntnis im Jahr 1994, sexuell missbraucht worden zu sein, niemals eine sexuelle oder sonstige Gewalttätigkeit auch nur angedeutet hat.
40 
Die ersten Schilderungen von Übergriffen erfolgten erst im Rahmen einer mehrjährigen Psychotherapie und sind deshalb mit Vorsicht zu betrachten, weil die Aussage der Klägerin damit erst zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, zu dem sie sich wegen der streitgegenständlichen Gesundheitsstörungen bereits in Therapie befand. Insoweit ist nicht auszuschließen, dass etwa im Zusammenhang mit den therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. insoweit auch LSG Baden-Württemberg, U.v. 26.2.2015 - L 6 VG 1832/12 - juris). Die Klägerin führte erstmals im Alter von sechs bis sieben Jahren psychotherapeutische Gespräche. Seit etwa dem elften Lebensjahr befindet sie sich in psychotherapeutischer Behandlung. Die Klägerin hat im Rahmen der Anzeigenerstattung im Jahre 1995 angegeben, erst mit zehn oder elf Jahren habe sie die ersten Vermutungen gehegt und seit eineinhalb Jahren wisse sie sicher, von M. sexuell missbraucht worden zu sein. Davor, nämlich nach dem Klinikaufenthalt in S. mit ca. 17 Jahren, hat die Klägerin allerdings vermehrt Fragen zu den Gästen an ihre Eltern gerichtet. Ob es sich demnach um ihre eigene Erinnerung handelt ist für die Kammer fraglich. Darüber hinaus hat die Klägerin im Verlauf ihres Lebens trotz der immer weiter zurückliegenden Ereignissen neue Episoden, wie etwa den Vorfall im Schrebergartenhaus oder den Namen des vermeintlichen Täters, geschildert. Nach ihrer eigenen Aussage, hat sich alles nach und nach wie ein Puzzle zusammengesetzt. Als besonders problematisch sind jedoch solch vermeintlich wiederentdeckte Aussagen u. a. dann zu betrachten, wenn mit oder ohne therapeutische Unterstützung explizite Bemühungen vorgenommen wurden, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern, wenn Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind, wenn im Laufe der Zeit immer mehr Erlebnisse berichtet werden oder wenn die berichteten Erlebnisse bizarre und extreme Erfahrungen beinhalten (SG Braunschweig, U.v. 10.12.2008 – S 38 VG 40/04 – juris, m.w.N.). Das Gericht konnte sich daher nicht davon überzeugen, dass die Erinnerungen der Klägerin nicht in den Therapien erzeugt oder verändert worden sind. Bereits im Rahmen der nervenärztlichen Begutachtung 2006 beschreibt die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie E., es entstehe der Eindruck, die Klägerin wisse aufgrund ihrer jahrelangen Psychotherapeuten-Erfahrung genau, welche Argumente sie bei Untersuchungen vorbringen müsse.
41 
Auch die Aussagen der gehörten Zeugen konnten die erkennende Kammer nicht von der guten Möglichkeit des Tatgeschehens überzeugen. Die Eltern der Klägerin haben in ihren Aussagen die Erzählungen der Klägerin zwar im Wesentlichen wiederholt. (Kleinere) Widersprüche oder Abweichungen zum Vortrag der Klägerin, welche bei Schilderungen über Vorgänge nach mehreren Jahrzehnten zu erwarten sind, liegen nicht vor. Aber auch weiterführende Aussagen konnten von den Zeugen im Rahmen ihrer Befragungen nicht getroffen werden. Dies zeigt sich insbesondere im Zusammenhang mit der von der Klägerin berichteten geschenkten Katze des vermeintlichen Täters: Nach Aussagen der Klägerin habe sie von M. als eine Art Gegenleistung eine Katze geschenkt bekommen. Die Eltern der Klägerin erklärten zwar übereinstimmend, sie gehen davon aus, M. habe ihrer Tochter die Katze geschenkt. Eine echte Erinnerung an die Schenkung hatten beide jedoch nicht, was in Anbetracht der Jahre zurückliegenden Vorgänge zunächst nicht ungewöhnlich ist. Allerdings konnte sich keiner von Beiden daran erinnern, was mit der Katze - insbesondere nach dem von der Mutter der Klägerin geschilderten Vorfällen in der Badewanne - geschehen ist. Zur Überzeugung der Kammer konnten die Eltern folglich im Wesentlichen lediglich Erinnerungen, welche sie über die Jahre wiederholt von der Klägerin erzählt bekommen haben, wiedergeben.
42 
Nach alledem ist die erkennende Kammer nicht zu der Auffassung gelangt, die von der Klägerin geschilderte Vorfälle sind am relativ wahrscheinlichsten. Zwar ist die Klägerin selbst von dem von ihr geschilderten Tatgeschehen auf der Kegelbahn überzeugt. Die Klägerin hat allerdings im Laufe ihres Lebens eine Vielzahl von Schicksalsschlägen erleiden müssen. Sie ist trotz heftiger Gegenwehr zeitweise durch eine Pflegefamilie betreut worden. Die Ehe der Eltern ist von häufigen Streitereien und Handgreiflichkeiten geprägt gewesen. Im Alter von ca. elf Jahren trennten sich die Eltern und ließen sich zwei Jahre später scheiden. Als Kind hat die Klägerin nach dem Entlassbericht der M.-Klinik aus dem Jahr 1998 immer das Gefühl gehabt zu kurz zu kommen. Die ersten psychogenen Ohnmachtsanfälle erfolgten nach der Scheidung der Eltern (so auch Entlassbericht der K.-Klinik vom 08.11.1996). Zudem fand die Klägerin den Nachbar im Alter von zwei Jahren tot im Garten. 1976 unternahm der Vater der Klägerin einen Suizidversuch und wurde von der damals Dreijährigen gefunden. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass der geschilderte Missbrauch für die Klägerin lediglich eine Erklärung für die Ursache ihrer gesundheitlichen (insbesondere psychischen) Leiden darstellt, wenngleich deren Ursache möglicherweise auch auf die Vielzahl der genannten Schicksalsschläge zurückzuführen ist.
43 
Zur Überzeugung der erkennenden Kammer spricht daher nach der Gesamtwürdigung aller Umstände nicht besonders viel für die von der Klägerin behaupteten Vorgänge.
bb.
44 
Selbst wenn eine psychische Gesundheitsstörung gesichert festgestellt werden könnte, so kann diese nicht überwiegend wahrscheinlich auf die vorgetragenen Schädigungen zurückgeführt werden. Insoweit ist nämlich zu betrachten, das bei der Klägerin die oben dargestellte erhebliche familiäre Belastung besteht. Diese könnte bei der Ausprägung der psychischen Erkrankung eine maßgebende Rolle gespielt haben, was die Kammer letztlich aber dahingestellt lassen kann.
cc.
45 
Hinsichtlich eines etwaigen Missbrauchs in einem Schrebergartenhaus ist § 15 KOVVfG bereits nicht anwendbar.
46 
Die Beweiserleichterung erfordert jedoch zumindest, dass der Antragsteller Angaben aus eigenem Wissen, jedenfalls aber überhaupt Angaben machen kann (vgl. BSG, U.v. 28.6.2000 - B 9 VG 3/99 R - juris).
47 
Nach § 15 KOVVfG lässt darf die Verwaltungsbehörde bzw. Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit Tatsachen, die lediglich glaubhaft oder überwiegend wahrscheinlich sind, in seiner Entscheidung grundsätzlich nur dann zugrunde legen, wenn zugleich der Antragsteller die strafrechtliche Verantwortung dafür übernimmt, seine Angaben - zumindest subjektiv - entsprechen den Tatsachen (a.a.O.). Die Klägerin hat angeben, sie könne sich nur teilweise an den Übergriff erinnern. Sie wisse lediglich noch, sie sei mit einem Mann mit einem Hund mitgegangen zu einem Schrebergartenhäuschen. Sie habe dort etwas getrunken. Dann sei ein Blackout erfolgt und sie wisse nur noch, sie sei von ihren Eltern gefunden worden und mit nach Hause genommen worden sei. Ein tätlicher Angriff müsse vorgefallen sein, da sie Bilder aus ihrer Erinnerung male, die durch jahrelange Therapien mittlerweile ans Licht gekommen seien. An einen eigentlichen Übergriff kann sich die Klägern jedoch nicht erinnern. Auch die angehörten Zeugen haben insoweit nichts zur Sachverhaltsaufklärung beitragen können.
6.
48 
Zu weiteren - über die Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen hinausgehenden - medizinischen Ermittlungen besteht ebenfalls kein Anlass. Ein Rückschluss von einer psychiatrischen Erkrankung auf die zugrundeliegende Tat ist nicht möglich, sondern zirkelschlüssig (vgl. (Bay. LSG, U.v. 30.4.2015 – L 15 VG 24/09 – juris, m.w.N.). Auch geben die psychischen Probleme der Klägerin nicht einmal einen (brauchbaren) Hinweis auf die Möglichkeit der Faktizität des geltend gemachten Geschehens.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Die Kammer konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (LSG Baden-Württemberg, U.v. 21.4.2015 - L 6 VG 2096/13 - juris, m.w.N.). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O., m.w.N.). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, können von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung der Kammer auch aufgrund des persönlichen Eindrucks der Fall.
50 
Nach alledem ist der Nachweis für das Vorliegen eines Angriffs im Sinn des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG, nicht erbracht. Auf die gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin kommt es somit ebenso wie auf Kausalitätsfragen nicht an. Gleiches gilt für die Frage, ob ein Versagungsgrund gemäß § 2 Abs. 2 OEG gegeben ist.
51 
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
7.
52 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe

 
24 
Die zulässige Klage ist unbegründet.
25 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung. Der Beklagte hat daher ihren hierauf gerichteten Überprüfungsantrag zu Recht abgelehnt. Der Bescheid des Beklagten vom 18.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
1.
26 
Die Klägerin begehrt mit der hier statthaften kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG die Aufhebung der ihren Antrag ablehnenden Entscheidung sowie die Verurteilung des Beklagten zur Feststellung gesundheitlicher körperlicher und seelischer Schädigungen aufgrund eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs (vgl. zur Unzulässigkeit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage auf isolierte Feststellung, Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden zu sein, BSG, U.v. 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - juris und LSG Baden-Württemberg, U.v. 27.8.2015 – L 6 VG 5227/14 – juris).
2.
27 
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch -SGB X).
28 
Nach diesem Maßstab hat der Beklagte den Überprüfungsantrag der Klägerin in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgelehnt: Der Beklagte hat nämlich weder das Recht unrichtig angewandt, noch ist er von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen.
29 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person und durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.05.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.05.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S. 2 OEG i.V.m. § 10a Abs. 1 S 1 OEG erfüllt sein (BSG, U.v. 17.4.2013 – B 9 V 1/12 R – BSGE 113, 205). Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.05.1949 bis 15.05.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind und im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
30 
Als tätlicher Angriff i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist grundsätzlich ein in Feindseliger bzw. rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt. Der tätliche Angriff zeichnet sich durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Sinne von § 173 StGB versteht das Bundessozialgericht den Begriff des tätlichen Angriffs aus Gründen sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG weiter. Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (ständige Rechtsprechung, vgl. BSGE 77, 11; LSG Baden-Württemberg, U.v. 21.4.2015 - L 6 VG 2096/13 - juris).
31 
Nach § 30 Abs. 16 BVG wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 BVG maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) am 10.12.2008, in Kraft getreten am 01.01.2009, erlassen. Alle Einzelheiten werden in der Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 VersMedV geregelt. Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG, Teil A, Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG, Teil C, Nr. 1 b Satz 1).
3.
32 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt („voll bewiesen“) sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG, Teil C, Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG, Teil C, Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG, Teil C, Nr. 2 c Halbsatz 1).
33 
Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge des geschilderten sexuellen Missbrauchs auf der Kegelbahn war nur der vermeintliche Täter selbst. Dieser hat im Rahmen der Befragung jedoch den Vorfall bestritten. Zeugen für den behaupteten zweiten sexuellen Übergriffs in einem Schrebergartenhäuschen existieren nicht.
4.
34 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das KOVVfG (mit Ausnahme der §§ 3 bis 5) anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragsstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
a.
35 
Glaubhaftmachung im Sinne des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, der Vorgang hat sich so zugetragen, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (LSG Baden-Württemberg, U.v. 21.4.2015 - L 6 VG 2096/13 - juris mit Hinweis auf BSG, B.v. 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - juris; BSG, U.v. 21.9.1977 - 10 RV 15/77 - juris).
36 
Dieser Beweisstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d.h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlichen in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit der Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderung als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung (LSG Baden-Württemberg, U.v. 21.4.2015 - L 6 VG 2096/13 - juris; BSG, U.v. 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - juris).
b.
37 
Auch unter Anlegung diesen abgesenkten Beweismaßstabes hält es das erkennende Gericht nicht für gut möglich, dass die persönlich angehörte Klägerin in der Zeit von 1978 bis 1979 Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden ist.
aa.
38 
Hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs durch M. hält die erkennende Kammer das Tatgeschehen nach den Gesamtumständen, wie sie sich aus den Akten und dem Vorbringen der Klägerin sowie der gehörten Zeugen ergeben, nicht für gut möglich.
39 
Angesicht der detaillierten Schilderung des vermeintlichen sexuellen Missbrauchs von M. durch die Klägerin seit Beginn des Verwaltungsverfahrens und im gerichtlichen Verfahren ist es nicht nachvollziehbar, weshalb die Klägerin angesichts ihrer vielfältigen stationären und ambulanten psychotherapeutischen Gesprächen bzw. Behandlungen in der Zeit seit 1979 bis zu ihrer Erkenntnis im Jahr 1994, sexuell missbraucht worden zu sein, niemals eine sexuelle oder sonstige Gewalttätigkeit auch nur angedeutet hat.
40 
Die ersten Schilderungen von Übergriffen erfolgten erst im Rahmen einer mehrjährigen Psychotherapie und sind deshalb mit Vorsicht zu betrachten, weil die Aussage der Klägerin damit erst zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, zu dem sie sich wegen der streitgegenständlichen Gesundheitsstörungen bereits in Therapie befand. Insoweit ist nicht auszuschließen, dass etwa im Zusammenhang mit den therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. insoweit auch LSG Baden-Württemberg, U.v. 26.2.2015 - L 6 VG 1832/12 - juris). Die Klägerin führte erstmals im Alter von sechs bis sieben Jahren psychotherapeutische Gespräche. Seit etwa dem elften Lebensjahr befindet sie sich in psychotherapeutischer Behandlung. Die Klägerin hat im Rahmen der Anzeigenerstattung im Jahre 1995 angegeben, erst mit zehn oder elf Jahren habe sie die ersten Vermutungen gehegt und seit eineinhalb Jahren wisse sie sicher, von M. sexuell missbraucht worden zu sein. Davor, nämlich nach dem Klinikaufenthalt in S. mit ca. 17 Jahren, hat die Klägerin allerdings vermehrt Fragen zu den Gästen an ihre Eltern gerichtet. Ob es sich demnach um ihre eigene Erinnerung handelt ist für die Kammer fraglich. Darüber hinaus hat die Klägerin im Verlauf ihres Lebens trotz der immer weiter zurückliegenden Ereignissen neue Episoden, wie etwa den Vorfall im Schrebergartenhaus oder den Namen des vermeintlichen Täters, geschildert. Nach ihrer eigenen Aussage, hat sich alles nach und nach wie ein Puzzle zusammengesetzt. Als besonders problematisch sind jedoch solch vermeintlich wiederentdeckte Aussagen u. a. dann zu betrachten, wenn mit oder ohne therapeutische Unterstützung explizite Bemühungen vorgenommen wurden, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern, wenn Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind, wenn im Laufe der Zeit immer mehr Erlebnisse berichtet werden oder wenn die berichteten Erlebnisse bizarre und extreme Erfahrungen beinhalten (SG Braunschweig, U.v. 10.12.2008 – S 38 VG 40/04 – juris, m.w.N.). Das Gericht konnte sich daher nicht davon überzeugen, dass die Erinnerungen der Klägerin nicht in den Therapien erzeugt oder verändert worden sind. Bereits im Rahmen der nervenärztlichen Begutachtung 2006 beschreibt die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie E., es entstehe der Eindruck, die Klägerin wisse aufgrund ihrer jahrelangen Psychotherapeuten-Erfahrung genau, welche Argumente sie bei Untersuchungen vorbringen müsse.
41 
Auch die Aussagen der gehörten Zeugen konnten die erkennende Kammer nicht von der guten Möglichkeit des Tatgeschehens überzeugen. Die Eltern der Klägerin haben in ihren Aussagen die Erzählungen der Klägerin zwar im Wesentlichen wiederholt. (Kleinere) Widersprüche oder Abweichungen zum Vortrag der Klägerin, welche bei Schilderungen über Vorgänge nach mehreren Jahrzehnten zu erwarten sind, liegen nicht vor. Aber auch weiterführende Aussagen konnten von den Zeugen im Rahmen ihrer Befragungen nicht getroffen werden. Dies zeigt sich insbesondere im Zusammenhang mit der von der Klägerin berichteten geschenkten Katze des vermeintlichen Täters: Nach Aussagen der Klägerin habe sie von M. als eine Art Gegenleistung eine Katze geschenkt bekommen. Die Eltern der Klägerin erklärten zwar übereinstimmend, sie gehen davon aus, M. habe ihrer Tochter die Katze geschenkt. Eine echte Erinnerung an die Schenkung hatten beide jedoch nicht, was in Anbetracht der Jahre zurückliegenden Vorgänge zunächst nicht ungewöhnlich ist. Allerdings konnte sich keiner von Beiden daran erinnern, was mit der Katze - insbesondere nach dem von der Mutter der Klägerin geschilderten Vorfällen in der Badewanne - geschehen ist. Zur Überzeugung der Kammer konnten die Eltern folglich im Wesentlichen lediglich Erinnerungen, welche sie über die Jahre wiederholt von der Klägerin erzählt bekommen haben, wiedergeben.
42 
Nach alledem ist die erkennende Kammer nicht zu der Auffassung gelangt, die von der Klägerin geschilderte Vorfälle sind am relativ wahrscheinlichsten. Zwar ist die Klägerin selbst von dem von ihr geschilderten Tatgeschehen auf der Kegelbahn überzeugt. Die Klägerin hat allerdings im Laufe ihres Lebens eine Vielzahl von Schicksalsschlägen erleiden müssen. Sie ist trotz heftiger Gegenwehr zeitweise durch eine Pflegefamilie betreut worden. Die Ehe der Eltern ist von häufigen Streitereien und Handgreiflichkeiten geprägt gewesen. Im Alter von ca. elf Jahren trennten sich die Eltern und ließen sich zwei Jahre später scheiden. Als Kind hat die Klägerin nach dem Entlassbericht der M.-Klinik aus dem Jahr 1998 immer das Gefühl gehabt zu kurz zu kommen. Die ersten psychogenen Ohnmachtsanfälle erfolgten nach der Scheidung der Eltern (so auch Entlassbericht der K.-Klinik vom 08.11.1996). Zudem fand die Klägerin den Nachbar im Alter von zwei Jahren tot im Garten. 1976 unternahm der Vater der Klägerin einen Suizidversuch und wurde von der damals Dreijährigen gefunden. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass der geschilderte Missbrauch für die Klägerin lediglich eine Erklärung für die Ursache ihrer gesundheitlichen (insbesondere psychischen) Leiden darstellt, wenngleich deren Ursache möglicherweise auch auf die Vielzahl der genannten Schicksalsschläge zurückzuführen ist.
43 
Zur Überzeugung der erkennenden Kammer spricht daher nach der Gesamtwürdigung aller Umstände nicht besonders viel für die von der Klägerin behaupteten Vorgänge.
bb.
44 
Selbst wenn eine psychische Gesundheitsstörung gesichert festgestellt werden könnte, so kann diese nicht überwiegend wahrscheinlich auf die vorgetragenen Schädigungen zurückgeführt werden. Insoweit ist nämlich zu betrachten, das bei der Klägerin die oben dargestellte erhebliche familiäre Belastung besteht. Diese könnte bei der Ausprägung der psychischen Erkrankung eine maßgebende Rolle gespielt haben, was die Kammer letztlich aber dahingestellt lassen kann.
cc.
45 
Hinsichtlich eines etwaigen Missbrauchs in einem Schrebergartenhaus ist § 15 KOVVfG bereits nicht anwendbar.
46 
Die Beweiserleichterung erfordert jedoch zumindest, dass der Antragsteller Angaben aus eigenem Wissen, jedenfalls aber überhaupt Angaben machen kann (vgl. BSG, U.v. 28.6.2000 - B 9 VG 3/99 R - juris).
47 
Nach § 15 KOVVfG lässt darf die Verwaltungsbehörde bzw. Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit Tatsachen, die lediglich glaubhaft oder überwiegend wahrscheinlich sind, in seiner Entscheidung grundsätzlich nur dann zugrunde legen, wenn zugleich der Antragsteller die strafrechtliche Verantwortung dafür übernimmt, seine Angaben - zumindest subjektiv - entsprechen den Tatsachen (a.a.O.). Die Klägerin hat angeben, sie könne sich nur teilweise an den Übergriff erinnern. Sie wisse lediglich noch, sie sei mit einem Mann mit einem Hund mitgegangen zu einem Schrebergartenhäuschen. Sie habe dort etwas getrunken. Dann sei ein Blackout erfolgt und sie wisse nur noch, sie sei von ihren Eltern gefunden worden und mit nach Hause genommen worden sei. Ein tätlicher Angriff müsse vorgefallen sein, da sie Bilder aus ihrer Erinnerung male, die durch jahrelange Therapien mittlerweile ans Licht gekommen seien. An einen eigentlichen Übergriff kann sich die Klägern jedoch nicht erinnern. Auch die angehörten Zeugen haben insoweit nichts zur Sachverhaltsaufklärung beitragen können.
6.
48 
Zu weiteren - über die Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen hinausgehenden - medizinischen Ermittlungen besteht ebenfalls kein Anlass. Ein Rückschluss von einer psychiatrischen Erkrankung auf die zugrundeliegende Tat ist nicht möglich, sondern zirkelschlüssig (vgl. (Bay. LSG, U.v. 30.4.2015 – L 15 VG 24/09 – juris, m.w.N.). Auch geben die psychischen Probleme der Klägerin nicht einmal einen (brauchbaren) Hinweis auf die Möglichkeit der Faktizität des geltend gemachten Geschehens.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Die Kammer konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (LSG Baden-Württemberg, U.v. 21.4.2015 - L 6 VG 2096/13 - juris, m.w.N.). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O., m.w.N.). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, können von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung der Kammer auch aufgrund des persönlichen Eindrucks der Fall.
50 
Nach alledem ist der Nachweis für das Vorliegen eines Angriffs im Sinn des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG, nicht erbracht. Auf die gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin kommt es somit ebenso wie auf Kausalitätsfragen nicht an. Gleiches gilt für die Frage, ob ein Versagungsgrund gemäß § 2 Abs. 2 OEG gegeben ist.
51 
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
7.
52 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Sozialgericht Karlsruhe Urteil, 27. Okt. 2015 - S 6 VG 4648/13

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Sozialgericht Karlsruhe Urteil, 27. Okt. 2015 - S 6 VG 4648/13 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

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(1) Die Verjährung ruht

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bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers bei Straftaten nach den §§ 174 bis 174c, 176 bis 178, 182, 184b Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, auch in Verbindung mit Absatz 2, §§ 225, 226a und 237,
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(2) Steht der Verfolgung entgegen, daß der Täter Mitglied des Bundestages oder eines Gesetzgebungsorgans eines Landes ist, so beginnt die Verjährung erst mit Ablauf des Tages zu ruhen, an dem

1.
die Staatsanwaltschaft oder eine Behörde oder ein Beamter des Polizeidienstes von der Tat und der Person des Täters Kenntnis erlangt oder
2.
eine Strafanzeige oder ein Strafantrag gegen den Täter angebracht wird (§ 158 der Strafprozeßordnung).

(3) Ist vor Ablauf der Verjährungsfrist ein Urteil des ersten Rechtszuges ergangen, so läuft die Verjährungsfrist nicht vor dem Zeitpunkt ab, in dem das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist.

(4) Droht das Gesetz strafschärfend für besonders schwere Fälle Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren an und ist das Hauptverfahren vor dem Landgericht eröffnet worden, so ruht die Verjährung in den Fällen des § 78 Abs. 3 Nr. 4 ab Eröffnung des Hauptverfahrens, höchstens jedoch für einen Zeitraum von fünf Jahren; Absatz 3 bleibt unberührt.

(5) Hält sich der Täter in einem ausländischen Staat auf und stellt die zuständige Behörde ein förmliches Auslieferungsersuchen an diesen Staat, ruht die Verjährung ab dem Zeitpunkt des Zugangs des Ersuchens beim ausländischen Staat

1.
bis zur Übergabe des Täters an die deutschen Behörden,
2.
bis der Täter das Hoheitsgebiet des ersuchten Staates auf andere Weise verlassen hat,
3.
bis zum Eingang der Ablehnung dieses Ersuchens durch den ausländischen Staat bei den deutschen Behörden oder
4.
bis zur Rücknahme dieses Ersuchens.
Lässt sich das Datum des Zugangs des Ersuchens beim ausländischen Staat nicht ermitteln, gilt das Ersuchen nach Ablauf von einem Monat seit der Absendung oder Übergabe an den ausländischen Staat als zugegangen, sofern nicht die ersuchende Behörde Kenntnis davon erlangt, dass das Ersuchen dem ausländischen Staat tatsächlich nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Satz 1 gilt nicht für ein Auslieferungsersuchen, für das im ersuchten Staat auf Grund des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 190 S. 1) oder auf Grund völkerrechtlicher Vereinbarung eine § 83c des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vergleichbare Fristenregelung besteht.

(6) In den Fällen des § 78 Absatz 3 Nummer 1 bis 3 ruht die Verjährung ab der Übergabe der Person an den Internationalen Strafgerichtshof oder den Vollstreckungsstaat bis zu ihrer Rückgabe an die deutschen Behörden oder bis zu ihrer Freilassung durch den Internationalen Strafgerichtshof oder den Vollstreckungsstaat.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Dezember 2012 und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. April 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander in allen drei Rechtszügen keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin bei einem Banküberfall Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) geworden ist.

2

Die 1985 geborene Klägerin ist als Bankkauffrau bei einer Bank beschäftigt. Am 13.2.2009 wurde sie während ihrer Tätigkeit bei einem Banküberfall von dem Täter (S.) mit einer ungeladenen, jedoch wie eine echte Schusswaffe aussehenden Schreckschusspistole bedroht. S. richtete dabei die Waffe aus naher Entfernung deutlich sichtbar zunächst auf den Kollegen K. der Klägerin und forderte diesen auf, Bargeld in die mitgebrachte Stofftasche zu packen und ihm zu übergeben. K. und die Klägerin, die an einem Schreibtisch hinter dem Kundenschalter saß, gingen von der Echtheit der ihnen vorgehaltenen vermeintlichen Schusswaffe aus und fürchteten um ihr Leben. Nach der Tat war die Klägerin zwei Wochen arbeitsunfähig krank und wurde psychologisch behandelt. Aufgrund dieses Vorganges wurde S. vom Landgericht H. wegen schwerer räuberischer Erpressung nach §§ 253, 255, 250 Abs 1 Nr 1b Strafgesetzbuch (StGB) rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

3

Der Antrag der Klägerin auf Entschädigung nach dem OEG blieb erfolglos (Bescheid des Beklagten vom 11.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2010). Klage und Berufung sind für die Klägerin hingegen erfolgreich gewesen (Gerichtsbescheid des SG Heilbronn vom 23.4.2012 - S 2 VG 976/10 - und Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 13.12.2012 - L 6 VG 2210/12).

4

Das LSG hat die beigezogenen Überwachungsvideos vom Banküberfall in Augenschein genommen und die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen, nachdem die Beteiligten zuvor den Streitgegenstand übereinstimmend auf die Feststellung beschränkt hatten, ob die Klägerin Opfer eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 OEG geworden ist. Das SG habe der Klage zu Recht stattgegeben, weil die Klägerin am 13.2.2009 Opfer eines Banküberfalles geworden sei. Hierbei handele es sich um einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff (auch) gegenüber der Klägerin. Der Annahme eines tätlichen Angriffs stehe nicht entgegen, dass S. hierbei "nur" eine Schreckschusspistole bei sich geführt und damit beide Bankangestellten bedroht habe, weil es sich hierbei um eine täuschend echt aussehende Attrappe gehandelt habe. S. sei wegen schwerer räuberischer Erpressung verurteilt worden, dh wegen eines erschwerten Falles einer Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leben oder Leib iS des § 255 StGB. S. habe, wenn auch nicht durch unmittelbaren Körperkontakt, körperlich auf die Klägerin eingewirkt, da er sie durch die gezielte Bedrohung zur Aufgabe ihrer Bewegungsfreiheit gezwungen habe. Hierzu habe er ein physisches Mittel eingesetzt, das aus der objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten als einsatzfähige Schusswaffe angesehen worden wäre. Mit dieser Waffe habe S. ua auf die Klägerin gezielt; aus der objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten habe kein Zweifel daran bestehen können, dass S. bereit gewesen sei, mit der Waffe auf die Klägerin zu schießen. Für die Klägerin habe nicht nur aus deren Sicht, sondern auch aus der maßgeblichen objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten akute Leibes- und Lebensgefahr bestanden, die sich jederzeit hätte realisieren können. Es liege andererseits eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung vor, würde der mit einer geladenen und entsicherten Schusswaffe Bedrohte dem Schutz des OEG unterstellt, derjenige aber, der auch aus Sicht eines vernünftigen Dritten derselben Gefahrenlage ausgesetzt ist und deshalb zB beim Fluchtversuch oder einer Notwehrhandlung zu Schaden komme, vom Anwendungsbereich des OEG ausgenommen (Urteil vom 13.12.2012).

5

Mit seiner Revision rügt das beklagte Land eine Verletzung von § 1 Abs 1 S 1 OEG. Bei der Drohung mit einer ungeladenen Schreckschusspistole und somit einer lediglich vorgetäuschten, vermeintlichen Gefährdungssituation könne ein tätlicher Angriff nicht angenommen werden. Die vom Täter benutzte Waffe sei objektiv nicht geeignet gewesen, das Leben oder die körperliche Integrität der Klägerin zu gefährden. Eine intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung reiche insoweit nicht aus.

6

Das beklagte Land beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13.12.2012 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 23.4.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für rechtmäßig; die Revision schränke den Anwendungsbereich des § 1 OEG in unzulässiger Weise ein.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Das in der Berufungsinstanz reduzierte isolierte Feststellungsbegehren der Klägerin, ob sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden ist, ist bereits unzulässig(dazu unter 1.). Aber auch die vor dem SG noch zulässig erhobene Klage ist unbegründet, weil die Klägerin am 13.2.2009 nicht Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden ist(dazu unter 2.). Die bloße Bedrohung mit einer ungeladenen Schreckschusspistole erfüllt die Voraussetzungen eines tätlichen Angriffs nicht. Eine erweiternde Auslegung von § 1 Abs 1 S 1 OEG kommt nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht in Betracht. Der angefochtene Bescheid vom 11.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Entsprechend waren der Gerichtsbescheid des SG vom 23.4.2012 sowie das Urteil des LSG vom 13.12.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

1. Die Klägerin konnte ihr Begehren in der Berufungsinstanz nicht zulässig auf die isolierte Feststellung und Antwort auf die Rechtsfrage beschränken, ob sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei.

11

a) Das SG hatte im Tenor seines Gerichtsbescheids noch festgestellt, dass das bei der Klägerin vorliegende posttraumatische Belastungssyndrom Folge eines tätlichen Angriffs sei. Im Berufungsverfahren stellte das LSG fest, dass es insoweit an ausreichenden Tatsachenfeststellungen fehlte. Das LSG wies die Beteiligten hierauf hin und veranlasste sie, sich darüber zu einigen, dass streitgegenständlich lediglich die Feststellung des schädigenden Ereignisses sein solle. Auf entsprechende Frage des Gerichts verzichtete die anwaltlich vertretene Klägerin sodann insoweit auf die Rechte aus dem Gerichtsbescheid, als darin ein posttraumatisches Belastungssyndrom festgestellt war.

12

Das LSG hätte in dieser prozessualen Situation in der Sache nicht mehr entscheiden dürfen. Die Klägerin konnte ihre vor dem SG ursprünglich zulässige kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 55 Abs 1 Nr 3 SGG; vgl Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 3b und 13) im Berufungsverfahren nicht in zulässiger Weise auf die isolierte Feststellung beschränken, sie sei am 13.2.2009 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden. Ihr Feststellungsbegehren kann weder auf § 55 Abs 1 Nr 3 SGG(dazu unter b) noch auf § 55 Abs 1 Nr 1 SGG(dazu unter c) gestützt werden, weil nur eine isolierte Feststellung (Anerkennung) von Schädigungsfolgen im Sinne des OEG zulässig ist, nicht aber die Klärung einzelner Elemente als Vorfrage des Anspruchs nach § 1 Abs 1 S 1 OEG.

13

b) Nach § 55 Abs 1 Nr 3 SGG kann die Feststellung begehrt werden, ob eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die Vorschrift ist ein Sonderfall der grundsätzlich unzulässigen Elementenfeststellungsklage (vgl hierzu allgemein: Keller, aaO, RdNr 9 f und 13 mwN). Sie dient der Klärung der haftungsbegründenden Kausalität, dh ob zwischen einer Schädigung im Sinne des BVG bzw des sozialen Entschädigungsrechts und dem Eintritt eines Primär- oder Erstschadens ein hinreichender Kausal- bzw Zurechnungszusammenhang besteht (vgl BSG Urteile vom 9.12.1998 - B 9 V 46/97 R - BSGE 83, 171 = SozR 3-3100 § 7 Nr 5, RdNr 11 nach Juris und - B 9 V 45/97 R - SozR 3-1500 § 141 Nr 6, RdNr 11 nach Juris). Der Senat hat zuletzt mit Urteil vom 29.4.2010 (B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 23 mwN) klargestellt, dass dies insbesondere dann von Bedeutung sein kann, wenn die eingetretene Gesundheitsstörung aktuell keinen Leistungsanspruch auslöst. Denn die Feststellung von Schädigungsfolgen kann als eigenständiger begünstigender Verwaltungsakt Grundlage für weitere Ansprüche oder Rechtsfolgen (zB Heilbehandlung) sein (vgl auch Keller, aaO, RdNr 13, 13a mwN). Vor diesem Hintergrund hätte für die Klägerin rechtlich keine Veranlassung bestanden, ihr Klagebegehren zu reduzieren.

14

Eine isolierte Feststellungsklage kommt auf der Grundlage des § 55 Abs 1 Nr 3 SGG aber dann nicht in Betracht, wenn mit ihr nur die selbstständige Feststellung des Vorliegens anderer als in der Vorschrift genannter Tatbestandselemente des geltend gemachten Anspruchs begehrt wird(vgl BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R - SozR 3-3200 § 81 Nr 16 S 72 f mwN). Die Feststellung, ob ein bestimmtes Ereignis (hier: der Tathergang des Banküberfalls) ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG ist, kommt nur im Zusammenhang mit der Feststellung bestimmter Schädigungsfolgen in Betracht. Liegen solche erkennbar nicht vor oder werden sie - wie vorliegend nicht (mehr) geltend gemacht - könnte die isolierte Feststellungsklage nur der Beantwortung einer abstrakten Rechtsfrage dienen. Selbst wenn diese im Sinne der Klägerin zu beantworten wäre, könnte dies als bloßes Teilelement der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG ohne Schädigungsfolgen keinerlei Ansprüche auslösen. Denn ein Vorgang, der keinen Körperschaden ausgelöst hat, führt nicht zur "Haftung" des Staates (vgl BSG, aaO).

15

c) Ebenso scheidet eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 und § 55 Abs 1 Nr 1 SGG aus(aA LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 12.12.2007 - L 5 VG 15/05 - RdNr 25 Juris; vgl allgemein Keller, aaO, RdNr 13b). Nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden(vgl Keller, aaO, RdNr 4). Ein derartiges öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis entsteht aber nicht bereits durch die bloße Feststellung der Vorfrage zu § 1 Abs 1 S 1 OEG, ob ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff in diesem Sinne vorgelegen hat. Zwar hat das BSG eine "isolierte" Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG für zulässig erachtet, wenn es um die Feststellung des Eintritts des Versicherungsfalls in Fällen geht, in denen vom Versicherungsträger bereits das Vorliegen eines Arbeitsunfalls(§ 8 SGB VII) oder einer Berufskrankheit (§ 9 SGB VII) bestritten wird (vgl beispielhaft BSG Urteil vom 15.2.2005 - B 2 U 1/04 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 12 RdNr 12 f mwN; s auch Darstellung der Rechtsprechung bei Keller, aaO, RdNr 13b). Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf die hier vorliegende rechtliche Konstellation im sozialen Entschädigungsrecht scheidet aus den oben genannten Gründen aus; die bloße Feststellung des schädigenden Vorgangs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG begründet noch kein Leistungs- oder sonstiges Rechtsverhältnis nach dem BVG bzw sozialem Entschädigungsrecht.

16

Ob das LSG auf die Berufung des beklagten Landes den Gerichtsbescheid des SG aufheben und die Klage aus den genannten Gründen hätte abweisen können, nachdem es das Begehren der Klägerin selbst auf eine - im vorliegenden Fall unzulässige - isolierte Feststellungsklage beschränken ließ, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls hätte das LSG den Gerichtsbescheid aufgrund der festgestellten Tatsachen auch in der Sache aufheben und die Klage abweisen müssen. Denn die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG und damit auch für einen Anspruch auf Versorgung liegen nicht vor(dazu unter 2.).

17

2. Die vom SG noch zu Recht für zulässig erachtete Klage war in der Sache materiell-rechtlich unbegründet, weil kein tätlicher Angriff vorgelegen hat.

18

Nach § 1 Abs 1 S 1 OEG(in der Fassung vom 11.5.1976, BGBl I 1181) erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Zwar sind nicht nur physische Beeinträchtigungen, sondern auch psychische Gesundheitsschäden geeignet, einen Opferentschädigungsanspruch auszulösen. Sowohl physische als auch psychische Gesundheitsschäden müssen jedoch auf einen "tätlichen Angriff" zurückzuführen sein. Insoweit ist entscheidend, ob der Primärschaden und eventuelle Folgeschäden gerade die zurechenbare Folge einer körperlichen Gewaltanwendung gegen eine Person sind. Die bloße Drohung mit einer, wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht für einen tätlichen Angriff dagegen nicht aus, auch wenn diese Drohung beim Opfer erhebliche gesundheitliche Folgen haben sollte.

19

a) Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung als einen "tätlichen Angriff" grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung angesehen (vgl zB Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN; Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 14 mwN) und die Entwicklung der Auslegung dieses Rechtsbegriffs zuletzt im Rahmen der Beurteilung von strafbaren ärztlichen Eingriffen (vgl Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 26 ff) und hinsichtlich des gesellschaftlichen Phänomens des "Stalking" umfassend dargelegt (vgl Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 33 ff). Dabei ist der Senat immer davon ausgegangen, dass die Verletzungshandlung im OEG nach dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt ist (vgl BT-Drucks 7/2506 S 10), obwohl sich die Auslegung des Begriffs des "tätlichen Angriffs" auch an der im Strafrecht zu den §§ 113, 121 StGB gewonnenen Bedeutung orientiert(vgl BSG, aaO, RdNr 32 mwN). Der Senat ist dabei soweit gegangen, eine erhebliche Drohung gegenüber dem Opfer für einen tätlichen Angriff genügen zu lassen, als sie zumindest mit einer unmittelbaren Gewaltanwendung gegen eine Sache einherging, die als einziges Hindernis dem unmittelbaren körperlichen Zugriff auf das Opfer durch die Täter noch im Wege stand, sodass der Angriff nicht lediglich auf einer Drohung, sondern auch auf Anwendung tätlicher Gewalt basierte (BSG Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 44 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11).

20

Soweit - wie im vorliegenden Fall - eine "gewaltsame" Einwirkung in Frage steht, ist nach der Senatsrechtsprechung schon immer zu berücksichtigen gewesen, "dass der Gesetzgeber durch den Begriff des 'tätlichen Angriffs' den schädigenden Vorgang iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff eingeschränkt hat"(BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36; vgl auch: BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 279 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 73; BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9; s auch Darstellung bei Heinz, Zu neueren Entwicklungen im Bereich der Gewaltopferentschädigung anlässlich neuerer Rechtsprechung zur Anspruchsberechtigung nach dem OEG bei erlittenem "Mobbing" und "Stalking", br 2011, 125, 131 f). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB(vgl hierzu Fischer, StGB, 61. Aufl 2014, § 240 RdNr 8 ff mwN) wird der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person geprägt(vgl insbesondere Begründung des Regierungsentwurfs zum OEG, BT-Drucks 7/2506 S 10, 13 f) und wirkt damit körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dieses Verständnis der Norm entspricht am ehesten dem strafrechtlichen Begriff der Gewalt iS des § 113 Abs 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, also einem tätigen Einsatz materieller Zwangsmittel wie körperlicher Kraft(vgl Fischer, StGB, 61. Aufl 2014, § 113 RdNr 23; BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 36 mwN).

21

Der "tätliche Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG setzt trotz seiner inhaltlichen Nähe zur Gewalttätigkeit nach § 125 StGB auch nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus, sodass auch ein nicht zum (körperlichen) Widerstand fähiges Opfer von Straftaten unter dem Schutz des OEG steht(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 37 mwN).

22

Andererseits reicht die bloße Verwirklichung eines Straftatbestandes, zB eines Vermögensdelikts, allein für die Annahme eines "tätlichen Angriffs" iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG nicht aus(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97, 114 = SozR, aaO, RdNr 41 und 62 f), auch wenn das Opfer über den eingetretenen Schaden "verzweifelt" und zB seelische Gesundheitsschäden davonträgt. Demgemäß hat der Senat eine Wertung als tätlicher Angriff auch für Telefonate, SMS, Briefe, Karten und dergleichen abgelehnt, weil es insoweit bereits an einer unmittelbar drohenden Gewaltanwendung fehlte (vgl BSG, aaO, RdNr 71). Der Senat sah schon immer in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt die Grenze der Wortlautinterpretation als erreicht an, wenn sich die auf das Opfer gerichteten Einwirkungen - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellen und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielen (vgl zuletzt: Beschlüsse vom 25.2.2014 - B 9 V 65/13 B - und vom 17. bzw 22.9.2014 - B 9 V 27 bis 29/14 B -, jeweils zu RdNr 6, wo den Opfern einer Erpressung ua damit gedroht wurde, Familienangehörige umzubringen und das Haus anzuzünden). Der Senat präzisiert dies dahingehend, dass ein tätlicher Angriff dann nicht vorliegt, wenn es an einer unmittelbaren Gewaltanwendung fehlt (dazu unter b).

23

b) Soweit der Senat darüber hinaus einen "tätlichen Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG auch noch in einem Fall angenommen hat, in dem der Täter das Opfer vorsätzlich mit einer scharf geladenen und entsicherten Schusswaffe bedroht hat, weil eine derartige Bedrohung das Leben und die Unversehrtheit des Opfers objektiv hoch gefährde(vgl BSG Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6, 9 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f), hält er hieran nicht mehr fest. Dies gilt auch für die Senatsrechtsprechung, die im Umkehrschluss die bloße Drohung zu schießen, mangels einer objektiv erhöhten Gefährdung des Bedrohten nicht hat ausreichen lassen, wenn der Täter keine Schusswaffe bei sich führt (vgl Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 20).

24

Nach dieser Rechtsprechung läge im vorliegenden Fall ein tätlicher Angriff schon deshalb nicht vor, weil der Täter der Klägerin lediglich eine objektiv ungefährliche Schreckschusspistole vorhielt. Der Senat sieht sich vor dem Hintergrund der aktuell vorliegenden Konstellation im Verhältnis zu den Entscheidungen vom 24.7.2002 (B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 - "Drohung mit einer scharfgeladenen und entsicherten Schusswaffe") und vom 2.10.2008 (B 9 VG 2/07 R - "bloße Drohung zu schießen, ohne Besitz einer Schusswaffe") veranlasst, seine bisherige Rechtsprechung zu ändern: Der Senat lässt eine objektive Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person auch ohne physische Einwirkung (Schläge, Schüsse, Stiche, Berührung etc) nicht mehr bereits aufgrund der objektiven Gefährlichkeit der Situation (zB Drohung mit geladener Schusswaffe) für die Annahme eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG ausreichen. Für das Vorliegen eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs kommt es nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Situation im Nachhinein als tatsächlich objektiv (lebens-)gefährlich erweist, weil die Waffe scharf geladen und entsichert war, oder als ungefährlich, weil es sich um eine bloße - echt aussehende - Schreckschusswaffe handelte. In diesen Fällen steht die Drohwirkung der vorgehaltenen Waffe auf das Opfer und dessen psychische Belastung in der konkreten Situation im Vordergrund; diese unterscheidet sich insoweit in Fällen wie dem vorliegenden regelmäßig nicht.

25

Die psychische Wirkung (hier: Drohwirkung) einer Straftat und eine hieraus resultierende zB sogenannte posttraumatische Belastungsstörung ist im Opferentschädigungsrecht keineswegs unbeachtlich. Sie ist vielmehr insoweit von Bedeutung, als für die Frage des Vorliegens eines Gesundheitsschadens nicht nur physische, sondern auch psychische Schäden beachtlich sind. Allerdings kann die psychische Wirkung einer Straftat das Erfordernis des "tätlichen Angriffs" iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG nicht ersetzen. Der eingetretene Schaden muss gerade auf einem solchen "tätlichen Angriff" und nicht - wie vorliegend - auf einer (bloßen) Drohung mit Gewalt beruhen. Bereits in seinem Urteil vom 7.4.2011 (B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 47) hat der Senat klargestellt, dass entgegen einer im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung nicht darauf abzustellen ist, ob die Angriffshandlung "körperlich wirkt" bzw zu körperlichen Auswirkungen im Sinne eines pathologisch, somatisch, objektivierbaren Zustands führt (so beispielhaft wohl Geschwinder, Der tätliche Angriff nach dem OEG, SGb 1985, 95, 96 zu Fußnote 17 und 18 mwN) oder welches Individualgut (insbesondere körperliche Unversehrtheit und Leben) von der verletzten Strafrechtsnorm geschützt wird (vgl insgesamt: BSG, aaO, RdNr 47 mwN zur Literatur). Fehlt es allerdings an einem tätlichen - körperlichen - Angriff, ergeben sich aus § 1 Abs 1 S 1 OEG für die Opfer allein psychischer Gewalt keine Entschädigungsansprüche(vgl hierzu allgemein: BSG, aaO, RdNr 49; Doering-Striening, Altes und Neues - zur Reform des Opferentschädigungsrechts, ASR 2014, 231, 233, 235).

26

c) Entscheidend für einen Anspruch nach § 1 Abs 1 S 1 OEG ist, ob die Folgen eines bestimmten Ereignisses (Primärschaden oder eventuelle Folgeschäden) gerade die zurechenbare Folge eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind. Wie der Senat mit Beschlüssen vom 25.2.2014 (B 9 V 65/13 B) und vom 17.9.2014 bzw 22.9.2014 (B 9 V 27 bis 29/14 B, jeweils zu RdNr 6) zu schriftlichen Erpressungsversuchen bereits angedeutet hat, reicht die bloße Drohung mit einer, wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung für einen tätlichen Angriff nicht aus. Denn dieser Umstand allein stellt über die psychische Wirkung hinaus noch keinen tatsächlichen physischen "Angriff" dar. Aus der Sicht eines objektiven Dritten wie auch des unwissenden Opfers kann es keinen Unterschied machen, ob eine Schusswaffe geladen, nicht geladen oder eine echt wirkende Attrappe ist. Der tätliche Angriff in Gestalt der körperlichen Einwirkung auf den Körper eines anderen beginnt in diesen Fallkonstellationen erst mit dem Abfeuern des Schusses oder dem Aufsetzen der Waffe auf den Körper des Opfers. Maßgeblich iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG ist, ob ein tätlicher - körperlicher - Angriff tatsächlich begonnen hat.

27

Daran fehlt es hier. Die auf die Klägerin als Opfer gerichtete Einwirkung beruhte ohne den Einsatz körperlicher Mittel allein auf einer intellektuell bzw psychisch vermittelten Beeinträchtigung. Die Klägerin sollte mit einer (hier: vorgetäuschten) Bedrohung für Leib oder Leben zu bestimmten Handlungen bzw Unterlassungen genötigt werden. Eine derartige Bedrohung stellt keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 44 mwN; Dau, jurisPR-SozR 10/2013 Anm 2 zu C).

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d) Vor allem die Entwicklung der gesetzlichen Regelung des § 1 Abs 1 S 1 OEG lässt nach dem Verständnis des Senats eine Erstreckung der Opferentschädigung auf die bloße Drohung mit Gewalt ohne Vorliegen eines tätlichen Angriffs nicht zu. Bereits nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 10.5.1974 war der bestimmende Grundgedanke für die Schaffung des OEG der Umstand, dass Gewaltopfern ein Aufopferungsanspruch gegenüber der Gesellschaft und damit dem Staat zustehen sollte, weil es dieser nicht vermocht hat, die unschuldigen Opfer vor Gewalttaten zu schützen (vgl BT-Drucks 7/2506 S 10, 13). Damit sollte der Staat für die Unvollkommenheit staatlicher Verbrechensbekämpfung aus Solidarität für den von einer Gewalttat betroffenen Bürger eintreten (BT-Drucks 7/2506 S 10; s auch BSG Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98, 101 = SozR 3800 § 1 Nr 1; BSG Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 2/78 - BSGE 49, 104, 105 = SozR 3800 § 2 Nr 1 mwN zur Gesetzesentwicklung; BSG Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 4/83 - BSGE 59, 40, 44 = SozR 3800 § 1 Nr 5; Weiner in Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, 5. Aufl 2010, § 1 RdNr 1). Diese - auf Gewalt abzielende - inhaltliche Ausrichtung hat das Gesetz trotz einiger Erweiterungen seines Anwendungsbereiches (vgl dazu Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012 § 1 OEG RdNr 2 bis 6) bis heute beibehalten und wird "von dem Grundsatz der allgemeinen staatlichen Fürsorgepflicht getragen" (Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des OEG vom 17.3.2009, BT-Drucks 16/12273 S 6).

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Für das zentrale Tatbestandsmerkmal des "tätlichen Angriffs" war von Anfang an darauf verzichtet worden, auf das Strafrecht zurückzugreifen mit seinen vielfältigen und uneinheitlich weit gefassten Gewaltbegriffen (vgl zB Heinz, Zu neueren Entwicklungen im Bereich der Gewaltopferentschädigungen anlässlich neuerer Rechtsprechung zur Anspruchsberechtigung nach dem OEG bei erlittenem "Mobbing" und "Stalking", br 2011, 125, 132). Es sollten ausschließlich die Fälle der sogenannten "Gewaltkriminalität" in die Entschädigung einbezogen werden, die mit einem willentlichen Bruch der Rechtsordnung durch körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person einhergehen (BT-Drucks 7/2506 S 10). In Anlehnung an § 113 StGB hat der Gesetzgeber den "rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen eine Person" als eine unmittelbare auf den Körper eines Menschen zielende feindselige Einwirkung verstanden und beim (vorsätzlichen) Tathergang als erforderlich angesehen, dass der Täter im Rahmen des bereits begonnenen tätlichen Angriffs auf einen Menschen zumindest Leib oder Leben eines anderen Menschen wenigstens fahrlässig gefährdet hat(BT-Drucks 7/2506 S 13, 14; zu aberratio ictus vgl Rademacker, aaO, § 1 OEG RdNr 11).

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Der Gesetzgeber hat es zudem ausdrücklich vermieden, strafrechtliche Tatbestände listenmäßig, wie zB die §§ 250, 253 und 255 StGB, zu benennen, um Abgrenzungsschwierigkeiten zu der nach § 1 Abs 1 S 1 OEG allein zu berücksichtigenden körperlichen Gewaltanwendung gegen eine Person zu vermeiden(BT-Drucks 7/2506 S 10; vgl auch BSG Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 10 = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 25). Zwar kann auch Drohung mit Gewalt psychische Gesundheitsstörungen beim Betroffenen hervorrufen. Dieser ist aber nicht zu staatlicher Entschädigung berechtigtes Opfer krimineller Gewalt iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden, weil das Tatmittel nicht körperliche Gewalt ("tätlicher Angriff") gegen den Körper, sondern eine List oder Täuschung gewesen ist(zum Erfordernis "körperlicher Gewalt" vgl Rademacker, aaO, § 1 OEG RdNr 8, 32; Dau, jurisPR-SozR 10/2013 Anm 2 zu C).

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e) Auch das Europäische Übereinkommen vom 24.11.1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Zustimmungsgesetz vom 17.7.1996, BGBl II 1120; Bekanntmachung vom 24.2.1997 über das Inkrafttreten des Übereinkommens in Deutschland am 1.3.1997, BGBl II 740) gebietet keine erweiternde Auslegung des § 1 Abs 1 S 1 OEG. Gemäß Art 1 des Übereinkommens verpflichten sich die Vertragsparteien, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die in dessen Teil I enthaltenen Grundsätze zu verwirklichen. Art 2 Abs 1 Buchst a des Übereinkommens bestimmt: "Soweit eine Entschädigung nicht in vollem Umfang aus anderen Quellen erhältlich ist, trägt der Staat zur Entschädigung für Personen bei, die eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, die unmittelbar auf eine vorsätzliche Gewalttat zurückzuführen ist." Hierzu hat der Senat bereits mit Urteil vom 7.4.2011 (B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 48 f) ausgeführt, dass das Übereinkommen eine Definition des Begriffs "vorsätzliche Gewalttat" nicht enthält (vgl auch Denkschrift zum Übereinkommen, BR-Drucks 508/95 S 14 = BT-Drucks 13/2477 S 14), sodass der bundesdeutsche Gesetzgeber durch das Tatbestandsmerkmal "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" in § 1 Abs 1 S 1 OEG in zulässiger Weise von seinem durch das Übereinkommen belassenen Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht hat. Ein weitergehender Anspruch lässt sich aus dem Übereinkommen nicht ableiten. Zudem hat der Senat auch ausgeführt, dass es dem Gesetzgeber entsprechend den Zielen des Übereinkommens unbenommen sei, über die von dem Begriff des tätlichen Angriffs erfasste Fallgestaltung hinaus auch Opfer psychischer Gewalt in den Schutzbereich des OEG mit einzubeziehen (vgl BSG, aaO, RdNr 49 mwN).

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f) Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten, den Begriff des tätlichen Angriffs über den mit Bedacht gewählten und bis heute beibehaltenen engen Wortsinn des OEG auf Straftaten zu erstrecken, bei denen es an einem solchen tätlichen Angriff fehlt, weil das strafbare Verhalten zB in einer Drohung mit Gewalt, Erpressung oder einer Täuschung besteht. Soweit im Schrifttum vereinzelt vertreten wird, dass die Regelungen im OEG im Hinblick auf die Opfer von Straftaten nicht mehr zeitgemäß seien und unter Einbeziehung von Opfern psychischer Gewalt aktualisiert werden müssten (vgl hierzu insbesondere die umfassenden Ausführungen von Brettel/Bartsch, Staatliche Opferentschädigung nur bei Gewalttaten? Zum Anwendungsbereich des Opferentschädigungsgesetzes, MedSach 2014, 263 ff, 267 mwN), handelt es sich um rechtspolitische Forderungen an den Gesetzgeber. Entsprechend ersten Vorschlägen im Werkstattgespräch im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 24.6.2014 zur Reform des sozialen Entschädigungsrechts gibt es im BMAS offenbar Überlegungen, dass zukünftig psychische Schäden in größerem Umfang vom Gesetzgeber erfasst werden könnten (vgl Doering-Striening, Altes und Neues - zur Reform des Opferentschädigungsrechts, ASR 2014, 231, 235 ff mwN). Sollte der Gesetzgeber den Tatbestand des § 1 OEG im Hinblick auf solche Kritik(vgl hierzu insgesamt die Darstellung bei Doering-Striening, aaO, ASR 2014, 231; Brettel/Bartsch, aaO, MedSach 2014, 263) erweitern wollen, empfehlen sich aus der Sicht der Rechtsprechung zugleich Überlegungen, wie einer uferlosen Ausweitung von Opferentschädigungsansprüchen bei Erstreckung des OEG auf bloße Drohung mit Gewalt und psychische Einwirkungen auf das Opfer durch jedwede Straftat anderweitig als durch das Kriterium des tätlichen Angriffs entgegengewirkt werden kann.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG).
Die 1976 in Deutschland geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (Niederlassungserlaubnis). Nach einem Autounfall, bei dem sie eine leichte Schädelprellung erlitten und auch ihre Mutter verletzt wurde, woran sie sich die Schuld gab, wurde sie von Dr. N. am 01.06.2007 in das chirurgische Klinikum L. überwiesen. Aufgrund des dortigen neurologischen Konzils wurde sie wegen Verdachts auf akute Psychose bei formaler Denkstörung und paranoiden Denkinhalten stationär ins Zentrum für Psychiatrie E. (ZfP) notfallmäßig eingewiesen. Ihre Unterbringung wurde nach § 1 des Gesetzes für die Unterbringung psychisch Kranker mit Beschluss vom 06.06.2007 (Az. XIV 51/2007 L) genehmigt. Nach dem Entlassungsbericht des ZfP vom 24.06.2007 wurde eine akute schizophreniforme psychotische Störung, differentialdiagnostisch eine paranoide Schizophrenie, diagnostiziert.
Sie stellte am 18.04.2013 einen Erstantrag nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und beantragte zugleich die Gewährung von Leistungen nach dem OEG. In dem am 03.06.2013 nachgereichten Formularantrag berief sich die Klägerin auf ein schädigendes Ereignis am 01.06.2007, als sie Attentaten des Personals des ZfP ausgesetzt gewesen sei. In einem beigefügten Schreiben der Klägerin an die Deutsche Rentenversicherung Bund vom 15.03.2013 führte die Klägerin weiter aus, sie sei durch die Polizei und einen Klinikarzt des ZfP sowie durch das dortige Pflegepersonal an Arm- und Fußgelenken schwerst verletzt worden, weshalb sie nun in diesen Bereichen an Funktionsbeeinträchtigungen zu leiden habe. So fielen ihr unwillkürlich Sachen aus der Hand und sie stürze beim Treppensteigen. Die betreffenden Personen hätten durch die Fixierung auf der elektrischen Liege mit Arm- und Fußfesseln die Haut ihrer Hand- und Fußgelenke äußerst schlimm verbrannt, so dass sich die Haut erst nach Jahren wieder erneuert habe. Am schlimmsten aber habe sie seelisch an den Folgen der Attentate zu leiden, die sie ein Leben lang nicht werde verarbeiten können, insbesondere weil sich die angezeigten Personen während ihrer medikamentösen Bewusstlosigkeit sexuell an ihr vergangen hätten. Infolge der Beeinträchtigungen sei die Struktur ihrer Haare unkämmbar geworden, so dass sie keine Langhaarfrisur mehr tragen könne; auch ihr Hautbild habe sich verändert, sie leide seitdem an sehr trockener Haut. Sie sehe nun aus, als wäre sie vorzeitig in die Wechseljahre gekommen. Auch sei ihre Lebenserwartung verkürzt worden, evtl. sei sie bereits durch diese starken Strombelastungen an Krebs erkrankt.
Der Beklagte zog den Entlassbericht des ZfP vom 24.07.2007 bei. Danach befand sich die Klägerin dort vom 01.06. bis 06.07.2007 in stationärer Behandlung. Diagnostiziert wurde eine akute schizophreniforme psychotische Störung und als Differentialdiagnose eine paranoide Schizophrenie. Anlass der Aufnahme seien ein Stupor-ähnlicher Angstzustand und fehlende verbale Kommunikation gewesen. Es hätten wahnhafte Denkinhalte, z. B. ihre CT-Bilder würden veröffentlicht oder man sehe eine Magnetfeldtherapie in ihren Augen, und der Verdacht auf optische Halluzinationen bestanden. Die Nahrungsaufnahme und Flüssigkeitszufuhr sei unzureichend gewesen. Nach Angaben des Bruders der Klägerin habe diese am 19.05.2007 einen Verkehrsunfall mit Kopfprellung und Bewusstseinsverlust erlitten. Auch die mitfahrende Mutter sei bewusstlos geworden. Die Klägerin habe Angst gehabt, ihre Mutter könne gestorben und sie selbst daran schuld sein. Seither habe sie zunehmend an Angst gelitten. Nach einer Kombinationsimpfung am 26.05.2007 habe sie zuhause gezittert und gesagt, sie könne nicht mehr, habe seither auch nicht geschlafen. Am 01.06.2007 sei sie wegen zunehmender Verwirrtheit und stuporösem Zustandsbild hausärztlich in die Chirurgische Klinik L. eingewiesen worden, um ein subdurales Hämatom bzw. eine andere organische Ursache auszuschließen. Das dort durchgeführte CCT sowie der erhobene Neurostatus seien unauffällig gewesen. Die Klägerin sei unter der Verdachtsdiagnose einer akuten psychotischen Störung notfallmäßig ins ZfP verlegt worden. Zum psychischen Befund wurde ausgeführt, die Klägerin sei bei deutlich eingeengtem Bewusstsein und nicht prüfbarer Orientierung wach gewesen. Auf Handlungsebene sei sie teilkooperativ, die Auffassung sei teils erheblich eingeschränkt gewesen. Die Aufmerksamkeit und der Blickkontakt seien abschweifend, das Konzentrationsvermögen erheblich eingeschränkt, das Denken formal gesperrt gewesen. Die Klägerin habe einzelne Satzteile geäußert. Inhaltlich habe der Verdacht auf wahnhaftes Erleben bestanden, die Klägerin habe z. B. Getränke abgelehnt, die nicht aus geschlossenen Flaschen gestammt hätten. Die Stimmung sei ratlos, ängstlich, der Affekt starr, der Antrieb gehemmt, die Psychomotorik starr gewesen, teils Automatismen. Die Sprachproduktion sei weitgehend aufgehoben, soweit vorhanden leise, kaum moduliert, grammatisch und syntaktisch korrekt gewesen (Bl. 22 B-Akten).
Dem von Seiten des ZfP beim Amtsgericht E. gestellten Antrag auf Unterbringung der Klägerin gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz - UbG) war das ärztliche Zeugnis des Arztes für Psychiatrie Dr. E. (ZfP) vom 04.06.2007 beigefügt. Hierin wurde nochmals dargelegt, dass die Klägerin in der Untersuchungssituation keine Fragen beantwortet, einige abgebrochene Sätze geäußert habe und Angaben zu ihrem aktuellen Befinden bzw. Behandlungseinverständnis nicht habe machen können. Die körperliche Untersuchung habe sie aktiv abgelehnt. Es sei eine akute polymorphe psychotische Störung diagnostiziert worden. Die fürsorgliche Aufnahme/Zurückhaltung sei nach ärztlichem Ermessen erforderlich, weil die Untersuchte im Sinne des § 1 Abs. 4 UbG infolge ihrer Krankheit ihr Leben und ihre Gesundheit erheblich gefährde.
Im Beisein von Dr. E. und Dr. Sch. hörte Richter am Amtsgericht Sch. am 06.06.2007 die Klägerin im ZfP zur Zulässigkeit der Unterbringung an. Eine Verständigung mit ihr war ausweislich des Anhörungsprotokolls indes zunächst nicht möglich. Als sich die Klägerin plötzlich aufrichtete und Dr. E. fragte, ob er Arzt sei, erklärte sie auf Frage von Richter am Amtsgericht Sch. ihr Einverständnis zum weiteren Aufenthalt im ZfP. Hierin sah Richter am Amtsgericht Sch. allerdings keine wirksame Einwilligungserklärung (Bl. 30 B-Akten). Mit Beschluss vom 06.06.2007 ordnete das Amtsgericht E. die Unterbringung der Klägerin bis längstens 17.07.2007 in einer für die Unterbringung psychisch Kranker anerkannten Einrichtung gemäß §§ 1 ff. UbG an. Nach dem Ergebnis der Anhörung i. V. m. den ärztlichen Zeugnissen lägen die Voraussetzungen der Unterbringung nach §§ 1 ff. UbG vor, da ohne deren Anordnung die Klägerin infolge ihrer Krankheit ihr Leben und ihre Gesundheit erheblich gefährden und eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für Rechtsgüter anderer darstellen würde sowie die Gefährdung und die Gefahr nicht auf andere Weise abgewendet werden könne.
Gegen verschiedene Mitarbeiter des ZfP sowie gegen behandelnde Ärzte der Klägerin und Polizeibeamte waren aufgrund von entsprechenden Anzeigen der Klägerin Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, die jedoch letztlich allesamt eingestellt wurden. Der Beklagte zog die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten bei. Anlässlich ihrer Geschädigten-Vernehmung am 02.09.2011 (Bl. 13 Ermittlungsakte [E-Akte]) nahm die Klägerin Bezug auf ihr Schreiben vom 26.01.2011 an Rechtsanwalt St., mit dem sie diesen beauftragte, gegen Dr. Sch. und weiteres ZfP-Personal "wegen Misshandlung und Mißbrauchs unter Herbeiführung von medikamentöser Bewusstlosigkeit + Anbringung auf elektr. Stuhl" Anzeige zu erstatten (Bl. 3 E-Akte). Sie berichtete in dem Schreiben, mit einem Krankenwagen vom Klinikum L. zum ZfP transportiert worden zu sein. Dort angekommen, habe Dr. Sch. sie in einen Raum mit nur einer Liege bringen lassen, wo die Krankenschwester Frau Bl. sie aufgefordert habe, sich auf die Liege zu legen. Danach habe sie sie gezwungen, eine Tablette einzunehmen, und ihre Füße und Hände mit den auf der Liege befindlichen Fesseln fixiert. Dann habe der Pfleger B. den Raum betreten und ihr Spritzen in den kleinen Finger der linken Hand, ihren Bauch und danach auf die linke Seite ihrer Hüfte gegeben. Anschließend habe er ihre Unterwäsche entfernen lassen. Sodann hätten sich alle aus dem Raum entfernt und die Tür sei von außen abgeschlossen worden. Sie habe dann gespürt, dass die Fesseln immer heißer geworden seien. Es habe angefangen, sehr stark zu schmerzen und ihre Fuß- und Handgelenke hätten gebrannt. Dann sei die Pflegerin Frau K. in den Raum gekommen. Auf ihre Bitte, die Fesseln zu lösen habe Frau K. nur gesagt, sie habe Feierabend, sei einfach rausgegangen und habe wieder abgeschlossen. Sie habe schlimme Qualen aushalten müssen und irgendwann das Bewusstsein verloren. Sie wisse nicht, wie lange sie bewusstlos gewesen sei, da die Pfleger sie durch Spritzen mit Schlafmitteln in diese Dauerlage der Bewusstlosigkeit gebracht hätten. Sie wisse auch nicht, was diese mit ihr während der Zeit angestellt hätten. Nach ihrer Entlassung sei ihre Menstruation drei Monate lang ausgeblieben. Das Pflegepersonal habe zu diesem Zeitpunkt bei ihrer Familie angerufen und dort mitgeteilt, sie noch nicht zu besuchen. Sie hätten behauptet, dass sie ihre Menstruation gehabt habe und sie ihr Slipeinlagen mitbringen sollten, was aber nicht gestimmt habe, da sie ihre Menstruation regelmäßig bekommen habe und zwar nicht zu diesem Zeitpunkt. Als sie ihr Bewusstsein wieder erlangt habe, sei eine Pflegerin gekommen und habe sie laut und unfreundlich in den Duschraum gezerrt, dort eingeseift und mit der Brause nur im Unterleib bespritzt. Danach sei sie in ein anderes Z. gebracht worden. Ihre Sachen seien vom Schrank auf das Bett gelegt worden. Als sie ihre Unterhose aus dem Schrank herausgenommen habe, die sie am Tag ihrer Einweisung getragen habe, sei die voll mit eingetrocknetem Blut gewesen. Sie sei sich sicher, dass sie sich sexuell an ihr vergangen hätten. Sie sei so stark und lange unter Strom gelegt worden, dass bis heute noch die verbrannte Haut auf ihren Füßen zu sehen sei, die immer noch nicht abgeheilt sei. Dr. Sch. habe ihr angedroht, sie komme aus dem ZfP nie wieder raus, falls sie das, was ihr dort widerfahren sei, anderweitig mitteilen würde.
Ergänzend gab die Klägerin im Rahmen der Geschädigten-Vernehmung an, seit Juli 2007 seelisch und körperlich nicht mehr in der Lage zu sein, voll zu arbeiten. Sie sei zur Zeit auf Arbeitssuche. Die seelischen Erlebnisse und die noch immer anwährenden Schmerzen an den Fußgelenken machten es ihr unmöglich, einer beständigen Tätigkeit nachzugehen. Sie habe am 01.06.2007 erstmals Dr. N. aufgesucht, die sie ins Krankenhaus L. überwiesen habe. Dort sei sie nicht groß untersucht worden. Es sei veranlasst worden, dass sie noch am gleichen Tag in das ZfP komme. Dies sei gegen ihren Willen gewesen. Sie habe Dr. N. aufgesucht, weil sie sich wegen des Stresses, der durch den Unfall am 19.05.2007 verursacht worden sei, nicht wohl gefühlt habe. Sie sei dann mit Unterstützung der Polizei gegen ihren Willen ins ZfP eingeliefert worden.
Die als Zeugin vernommene Allgemeinärztin Dr. N. gab am 07.08.2012 an, die Klägerin in ihrer Praxis am 01.06.2007 um 11.00 Uhr behandelt zu haben. Zur Anamnese habe sie vermerkt, dass die Klägerin seit dem Autounfall mit Schädel-Hirn-Trauma vor zwei Wochen verwirrt sei ohne Kopfschmerz und ohne Erbrechen. Die Klägerin habe agitiert und sich nicht untersuchen lassen. Die Pupillen seien unauffällig, die Klägerin sei örtlich und zeitlich nicht orientiert gewesen. Sie habe sie ins Klinikum L. eingewiesen (Bl. 52 E-Akten).
10 
Die ebenfalls als Zeugin vernommene Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. führte am 15.08.2012 aus, die Klägerin habe sich erstmals am 24.01.2000 in ihrer Praxis vorgestellt. Sie habe eine psychotische Episode mit paranoiden Ängsten festgestellt. Die Klägerin habe darüber geklagt, dass sie während eines Praktikums in einer Möbelfirma mit unsauberen Möbeln in Kontakt gekommen sei. Diese seien mit Bakterien versetzt gewesen. Darauf seien Spuren von sexuellen Handlungen festzustellen gewesen. In der Folge sei sie bis Februar 2000 noch neunmal wegen dieser Symptomatik bei ihr Behandlung gewesen. Sie habe die üblichen neuroleptischen Medikamente verschrieben, die die Klägerin jedoch vorzeitig gegen ärztlichen Rat abgesetzt habe. Im Jahr 2006 sei die Klägerin zweimal in ihrer Praxis gewesen, habe von Ängsten bei der Arbeit berichtet, über Mobbing am Arbeitsplatz geklagt und von ihr eine Bescheinigung wegen seelischer Behinderung gewollt. Sie habe keinen Befund einer Neurose festgestellt. Am 12.07.2007 sei die Klägerin in ihre Praxis gekommen und habe nach einem Alternativmedikament verlangt, sie habe psychisch reduziert gewirkt, jedoch ohne Psychose. Am 20.08.2007 habe die Klägerin von einem Verkehrsunfall berichtet, bei dem sie durch Fremdverschulden verletzt worden sei und ein Schleudertrauma erlitten habe. Auch habe sie darüber geklagt, psychisch nach diesem Unfall zu leiden. Am 16.10.2007 habe sich die Klägerin vorgestellt, weil sie die bisher erhaltenen Medikamente abgelehnt habe. Es habe keinerlei Behandlungsaussicht, keinerlei Krankheitseinsicht, mangelnde Behandlungsmotivation und eine ungünstige Prognose bestanden. Am 20.11.2007 habe die Klägerin in ihrer Praxis wiederum über Ängste und Unruhe geklagt und erneut Medikamente erhalten. Auch diese habe sie gegen ärztlichen Rat am 17.01.2008 reduziert. Vom 09. bis 20.04.2010 sei ein weiterer stationärer Aufenthalt der Klägerin im ZfP aufgrund der Einweisung durch Dr. J./L. erfolgt. Es sei ein Rezidiv wegen paranoider Psychose befundet worden. Am 10.05.2010 habe sich die Klägerin selbst in Begleitung ihres Bruders im ZfP wegen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes vorgestellt und sei bis zum 11.05.2010 notfallmäßig aufgenommen worden. Diagnostiziert worden sei eine paranoide Schizophrenie. Am 28.05.2010 sei die Klägerin bei ihrer Vorstellung in der Praxis hochgradig psychotisch gewesen, habe ihr blaue Flecken am rechten Unterschenkel gezeigt und behauptet, diese seien ihr im ZfP zugefügt worden. Am 16.06.2010 habe die Klägerin von ihr eine Bestätigung verlangt, dass der ZfP-Aufenthalt ausschließlich aufgrund ihres Verkehrsunfalls notwendig gewesen sei. Dabei habe sie sich allerdings nicht festlegen wollen, um welchen Aufenthalt es sich im ZfP handele. Anlässlich weiterer Vorstellungen am 28.08.2010, 23.11.2010, 14.02.2011 und 06.05.2011 habe die Klägerin angegeben, dass es ihr gut gehe, dass sie nicht krank sei und dass sie nur wegen ihres Unfalls im ZfP gewesen sei. Am 06.05.2011 sei die Klägerin letztmals in ihrer Praxis vorstellig gewesen (Bl. 58 E-Akten).
11 
Der Allgemeinmediziner J. W. gab anlässlich seiner Zeugenvernehmung am 15.08.2012 zu Protokoll, zwar die Klägerin bereits in den Jahren 1998/1999 behandelt, bei seinen Einträgen aber als Ersttermin den 24.05.2007 vermerkt zu haben. Die Klägerin sei als Unfallopfer gekommen und habe über Nackenschmerzen sowie Schmerzen im Bauch- und Brustbereich geklagt. Die Klägerin sei auffällig gewesen und habe offenbar noch unter Schockwirkung bezüglich des Unfalls gestanden. Er habe eine posttraumatische Belastungsstörung und Zwanghaftigkeit vermutet. Am 10.07.2007 sei die Klägerin erneut in seine Praxis gekommen. Nach dem ZfP-Aufenthalt habe sie sich seit vier Tagen wieder zuhause befunden und eine ambulante Weiterbehandlung in der Tagesklinik in L. abgelehnt. Sie habe über sich selbst ausgesagt, keine Ängste mehr zu haben und sich wohl zu fühlen, sich aber um ihre Mutter zu sorgen, die nach dem Unfall noch immer ein Hämatom auf der Stirn habe. Außerdem habe die Klägerin über schwere Arme geklagt und dass sie sich nach einer Impfung schlapp fühle. Er selbst habe vermerkt, dass die Klägerin psychisch noch immer auffällig sei. Bei der Vorstellung am 16.11.2007 habe die Klägerin über Schmerzen im Halswirbelbereich geklagt. Er habe zu ihrem psychischen Zustand notiert, dass bezüglich ihrer psychotischen Störung keine Krankheitseinsicht bestehe, dass sie zwanghafte "klebende" Gedankengänge habe und nicht schwingungsfähig sei. Wahnhafte Vorstellungen hätten momentan nicht bestanden. Am 19.06.2008 habe er die Klägerin auf deren Wunsch an Dr. M. überwiesen. Die Klägerin habe außerdem eine Krankmeldung wegen Fußschmerzen verlangt, die aufgrund der neu erworbenen Schuhe bestanden hätten. Sie habe jedoch ihre Füße nicht zeigen wollen. Außerdem habe die Klägerin über Mobbing am Arbeitsplatz geklagt. Die nächste Vorstellung sei am 14.05.2010 erfolgt, als die Klägerin über ihre "Zwangseinweisung" für den zweiten Aufenthalt im ZfP berichtet habe. Sie habe berichtet, dort Spritzen bekommen zu haben und seither unter trockenem Mund, belegter Zunge und gasigen Gerüchen zu leiden. Sein letzter Eintrag stamme vom 21.05.2010, als die Klägerin notfallmäßig in die Praxis gekommen sei und über schwere Atemnot geklagt habe. Er habe sich beim ZfP nach einem möglichen Betreuer erkundigt, weil die Klägerin von ihm schwer zu führen sei (Bl. 62 E-Akten).
12 
Am 13.11.2012 wurde der Bruder der Klägerin, H. Ö., als Zeuge vernommen. Er führte aus, er habe die Klägerin zu Dr. N. gebracht, die sie in das Kreiskrankenhaus L. eingewiesen habe. Von dort sei sie in das ZfP überwiesen worden. Sie habe zunächst nicht in den Krankenwagen einsteigen wollen. Er habe dabei mitgeholfen und etwas Kraft aufgewandt. Im Krankenwagen sei sie mit den Sicherheitsgurten "gefesselt" worden. Er selbst sei auch im Krankenwagen mitgefahren, ein Polizist habe hinten bei seiner Schwester gesessen. In R. hätten die Polizisten erklärt, dass hier ihr Zuständigkeitsbereich ende und sie die Klägerin übergeben müssten. Seine Schwester habe in einen anderen Krankenwagen umsteigen müssen. Als die Helfer im Krankenwagen sie von den Sicherheitsgurten befreit hätten, habe sie sich losgerissen und sei aus dem Auto heraus mitten auf die Straße gesprungen. Dies sei sehr gefährlich gewesen, Gott sei Dank sei aber kein Auto gekommen. Seine Schwester habe dann weglaufen wollen. Sie hätten zehn Minuten lang versucht, sie zurück in den Krankenwagen zu bekommen. Die Polizisten hätten ihr dann Handschellen verpasst. Er habe gebeten, dass sie sich zurückhalten sollten. Er habe seine Schwester in den Krankenwagen hinein hochgehoben und sie wieder auf den Sitz gesetzt. Er habe das Verhalten asozial gefunden. Als sie beim ZfP angekommen seien, sei seine Schwester dort von den Ärzten behandelt worden. Sie habe eine Spritze in das Gesäß bekommen, hierbei sei er nicht dabei gewesen, das habe ihm der aufnehmende Arzt erzählt. Er selbst sei nicht mit im BehandlungsZ. gewesen, sondern habe sich draußen im Wartebereich aufgehalten. Der Arzt sei dann zu ihm gekommen und habe ihm gesagt, dass es seiner Schwester wieder gut gehe. Diese sei dann ruhiger geworden, gesehen habe er sie in dieser Zeit aber nicht. Er habe sich im Wartebereich ca. 3 bis 4 Stunden aufgehalten, bis die Ärzte ihm gesagt hätten, er könne jetzt gehen. Er sei dann nach Hause gegangen und habe für seine Schwester Wäsche und etwas zum Essen geholt. Seine Schwester habe das Essen in der Klinik nicht essen wollen, sie habe es nicht in Ordnung gefunden. Diese habe sich von den Ärzten gedemütigt gefühlt. Sie hätten sie nicht gut behandelt. Die Behandlung hätte nicht so grob sein sollen, sondern ein bisschen netter. Es sei keine freundliche Behandlung gewesen. Auch hätten seiner Schwester die Hände von den Handschellen der Polizisten wehgetan. Namen von behandelnden Personen wisse er nicht. Ihm habe sich Dr. Sch. als aufnehmender Arzt vorgestellt, mit dem er gesprochen habe. Auf mehrfache Frage, wodurch sich die Klägerin von den Ärzten gedemütigt gefühlt habe, erklärte der Zeuge, sie habe sich erschöpft gefühlt und gesagt, nicht gut behandelt zu werden und weg zu wollen. Auch seine Eltern hätten seine Schwester dort besucht. Sein Vater habe jedoch gesagt, sie solle dableiben, bis es ihr wieder besser gehe. Seiner Schwester habe das Umfeld nicht gefallen, es seien lauter verrückte Leute dagewesen. Seine Schwester habe nicht davon berichtet, von Ärzten oder Pflegepersonal angegriffen worden zu sein. Sie habe auch nicht erzählt, irgendwann Stromstöße bekommen zu haben. Von irgendwelchen sexuellen Übergriffen habe sie auch nicht berichtet. Nach dem Unfall im Mai 2007 sei es seiner Schwester nicht gut gegangen. Sie habe eine Woche lang nicht schlafen können. Die Ärzte im Krankenhaus in L. hätten gesagt, sie müsse in die Psychiatrie nach E.. Seine Schwester habe dies nicht gewollt und gesagt, der Arzt bräuchte eher diese Behandlung (Bl. 82 E-Akten).
13 
Das Ermittlungsverfahren gegen den angezeigten Pfleger B. wurde wegen dessen Versterbens im April 2012 mit Verfügung vom 23.10.2012 eingestellt. Nach Unterrichtung der Klägerin bedankte sich diese "für das passende Geschenk zum islamischen Opferfest" (Schreiben vom 24.12.2012). Mit Beschluss vom 20.11.2012 stellte die Staatsanwaltschaft Freiburg die Ermittlungsverfahren gegen Dr. Sch., Dr. Sch., Dr. W., G. Bl. sowie G. K. gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) ein. Die Ermittlungen hätten die erhobenen Vorwürfe nicht erhärtet. Die Ermittlungen hätten keinerlei Hinweise ergeben, dass die von der Anzeigenerstatterin vorgebrachten Misshandlungsvorwürfe durch Ärzte bzw. Pflegepersonal des ZfP einen realen Hintergrund hätten. Aus den Patientenunterlagen ergebe sich, dass die Klägerin wahnhaftem Erleben nachgehangen habe. Auch in der dritten Woche der Behandlung im ZfP seien noch wahnhafte Verkennungen aufgetreten. Diese hätten sich unter anderem dadurch geäußert, dass die Klägerin geglaubt habe, die im ZfP angetroffenen Mitpatienten seien an dem Verkehrsunfall vom 19.05.2007 in L. beteiligt gewesen. Bereits damals hätten sich rezidivierende Satz- bzw. Gedankenabbrüche gezeigt. Die Behauptung, sie habe auf einem elektrischen Stuhl Medikamente einnehmen müssen, dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit auf diese wahnhaften Vorstellungen zurückzuführen sein. Soweit die Klägerin geltend gemacht habe, sie müsse im ZfP auch sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen sein, habe sie selbst keinerlei Erinnerung daran. Sie habe ausdrücklich ausgeführt, nicht zu wissen, was ihr in der Zeit ihrer behaupteten Bewusstlosigkeit passiert sei. Die von der Klägerin beschuldigten Ärzte und pflegerischen Mitarbeiter des ZfP hätten zu den erhobenen Vorwürfen keine Angaben gemacht. Hierzu seien sie als Beschuldigte nach dem Gesetz auch nicht verpflichtet. Auch die Vernehmung der nachbehandelnden Ärzte sowie des Bruders der Klägerin habe keine Anhaltspunkte für einen realen Hintergrund der erhobenen Beschuldigungen ergeben. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Klägerin "es sei naheliegend, dass sie als Osmanin falsch eingeschätzt" werde, sie sei keine "kranke Jüdin") wies die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe mit Bescheid vom 10.12.2012 zurück.
14 
Auf die Anzeige der Klägerin gegen den Polizeibeamten M. wegen "ungerechtfertigten Anlegens von Handschellen" hat die Staatsanwaltschaft O. der Klägerin mit Schreiben vom 13.11.2012 mitgeteilt, dass von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 152 Abs. 2 StPO abgesehen werde, da bereits nach dem Vortrag der Klägerin erkennbar sei, dass unter jedem strafrechtlichen Aspekt Strafverfolgungsverjährung und damit ein Verfahrenshindernis eingetreten sei. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde mit Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 07.12.2012 zurückgewiesen. Der daraufhin gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung wurde durch Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 15.01.2013 als unzulässig verworfen.
15 
Auf die Anzeige der Klägerin gegen Dr. N. wegen Körperverletzung teilte die Staatsanwaltschaft Offenburg der Klägerin mit Verfügung vom 07.02.2013 mit, dass von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen werde, da nach dem Vortrag der Klägerin erkennbar sei, dass unter jedem strafrechtlichen Aspekt Strafverfolgungsverjährung und damit ein Verfahrenshindernis eingetreten sei. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies die Generalstaatsanwalt Karlsruhe mit Bescheid vom 21.03.2013 zurück.
16 
Der Beklagte hat des Weiteren die Behördenakte aus dem Schwerbehindertenverfahren beigezogen. In diesem Verfahren ist das von der Deutschen Rentenversicherung Bund eingeholte fachärztliche psychiatrische Gutachten von Dr. K. vom 25.05.2013 aktenkundig geworden. Nach eingehender Untersuchung der Klägerin am 24.04.2013 diagnostizierte Dr. K. eine anhaltende wahnhafte Störung. Die Klägerin sei im formalen Denken eingeengt auf die Ereignisse im ZfP, im inhaltlichen Denken bestünden wahnhafte Gedankeninhalte, dass ihr im ZfP an Fuß- und Handfesseln elektrische Stöße versetzt worden seien sowie dass sie gequält an den Fesseln verbrannt und im ZfP missbraucht worden sei.
17 
Mit Bescheid vom 29.08.2013 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung ab, da die Ermittlungen keinerlei Hinweise auf ein konkretes Fehlverhalten der beschuldigten Personen ergeben hätten und weitere erfolgversprechende Ermittlungsansätze und objektive Beweismittel, die das Vorbringen der Klägerin bestätigen könnten, nicht vorhanden seien. Es könne daher nicht zweifelsfrei festgestellt werden, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei.
18 
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2014 zurück, da eine Gewalttat nach wie vor objektiv nicht nachgewiesen sei.
19 
Hiergegen hat die Klägerin am 24.03.2014 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Mit Gerichtsbescheid vom 11.12.2014 hat das SG die Klage abgewiesen, da es sich nicht davon zu überzeugen vermochte, dass die Klägerin im Zusammenhang mit der stationären Unterbringung im ZfP vom 01.06. bis 06.07.2007 Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe im Sinne des § 1 OEG geworden sei. Solche Angriffe seien auch nicht glaubhaft gemacht. Ärztliche Eingriffe würden grundsätzlich in der Absicht durchgeführt zu heilen und nicht, um in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten einzuwirken. Für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs müssten deshalb - neben der Strafbarkeit als Vorsatztat - bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen, bei deren Vorliegen die Grenze zur Gewalttat, also zum "vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff", überschritten sei. Ein Patient werde dann unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des OEG zum Gewaltopfer, wenn ein als vorsätzliche Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff objektiv - also aus der Sicht eines verständigen Dritten - in keiner Weise dem Wohl des Patienten diene. Dass dies bei der Unterbringung im ZfP der Fall gewesen sei, sei bereits nicht glaubhaft gemacht, weil es auch nicht überwiegend wahrscheinlich sei, dass sich die Vorgänge so zugetragen hätten, wie klägerseitig dargestellt. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Unterbringung wegen Gefahr für Leib und Leben der Klägerin gerichtlich angeordnet worden sei. Es bestünden keinerlei Hinweise auf konkretes Fehlverhalten der Ärzte und/oder des Pflegepersonals des ZfP im Zusammenhang mit dem Aufenthalt der Klägerin im Juni bzw. Juli 2007. Die behaupteten Verbrennungen an Armen und Füßen durch Stromstöße seien weder von Dr. M. noch von dem Allgemeinmediziner W. noch von dem Bruder der Klägerin bestätigt worden. Zu berücksichtigen sei, dass bei der Klägerin eine akute schizophreniforme psychotische Störung diagnostiziert worden sei. Im April 2010 sei eine weitere Behandlung im ZfP wegen eines Rezidivs einer paranoiden Psychose erfolgt und im Mai 2010 habe sich die Klägerin dann selbst im ZfP vorgestellt und sei wegen paranoider Schizophrenie aufgenommen worden. Eine anhaltende wahnhafte Störung werde auch in dem Gutachten von Dr. K. vom 25.05.2013 für die Deutsche Rentenversicherung diagnostiziert.
20 
Die Klägerin hat am 18.12.2014 Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) mit der Begründung eingelegt, sie sei keine Schizophrene, nur eine Osmanin, die von Deutschen auf feige Art und Weise geschändet worden wäre.
21 
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
22 
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Dezember 2014 sowie den Bescheid vom 29. August 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr Beschädigtenversorgung zu gewähren.
23 
Der Beklagte beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Er hat sich zur Sache nicht eingelassen.
26 
Im Erörterungstermin des Berichterstatters hat die Klägerin am 30.04.2015 ergänzend vorgetragen, sie sei nach dem Vorfall 2007 nicht mehr beim Arzt gewesen und könne daher die Verletzungen im Hand- und Fußbereich auch nicht dokumentieren.
27 
Die Klägerin hat hierauf eine Bescheinigung des Facharztes für Dermatologie u. a. Dr. Z. vom 25.05.2015 vorgelegt. Hierin wird über die Untersuchung der Klägerin am 19.05.2015 berichtet, anlässlich derer sich an beiden Füßen und Unterschenkeln im Bereich der Sprunggelenke beiderseits eine normal gefärbte rosige Haut gezeigt habe. Im medialen Bereich habe jeweils eine ca. handtellergroße raue, leicht grau gefärbte hyperkeratotische Haut bestanden. Auch an beiden Fersen hätten starke Hyperkeratosen bestanden. Die Zehenzwischenräume seien mazeriert gewesen und es hätten Hautabschilferungen mit typischem Geruch im Sinne einer Keratoma sulcatum bestanden.
28 
Der Senat hat daraufhin Dr. Z. als sachverständigen Zeugen schriftlich vernommen. Er hat mit Schreiben vom 14.06.2015 unter Beifügung verschiedener Lichtbilder vorgetragen, dass sich die Klägerin am 19.05.2015 in seiner Sprechstunde vorgestellt habe. Die letzte Untersuchung und Behandlung (zuvor) sei am 30.01.2012 mit einer infizierten Wunde (anamnestisch Verbrühung) auf dem rechten Vorfuß gewesen. Bei der Vorstellung am 19.05.2015 habe die Klägerin berichtet, im Jahre 2007 einen Autounfall gehabt zu haben und ins ZfP eingewiesen worden zu sein. Dort sei sie an den Fußgelenken fixiert worden. Sie benötige jetzt eine Bescheinigung über die Narben an den Fußgelenken. Bei der Untersuchung hätten sich an beiden Sprunggelenken im medialen Bereich (Innenseite) ca. handtellergroß vermehrte Hyperkeratosen (Hornhautbildung) und eine dezente grau-weiße Verfärbung und raue Haut gezeigt. Im Außenbereich sei die Haut normal gewesen. Diese Hautveränderungen könnten nach einer mechanischen Irritation der Haut wie Fußfesselbänder entstehen, sprächen aber mehr für eine länger dauernde chronische Irritation. Es seien viele andere Ursachen möglich (trockene Haut, artefacte, Strumpfgummi, Schuhschaft, Sport). Die sichtbaren Hautveränderungen seien keinesfalls beweisend für eine Fußfixierung. Am 25.05.2015 habe die Klägerin die Bescheinigung in der Praxis abgeholt und sich am 26.05. erneut vorgestellt. Sie habe berichtet, dass damals die Hautveränderungen an den Sprunggelenken wie Verbrennungen gewesen seien und die Haut offen und blasig sowie stark schmerzend gewesen sei. Sie habe jetzt auch eine Bescheinigung für die Handgelenke gewollt. Bei deren Begutachtung habe sich beidseits eine armbandartige grau-blaue Verfärbung der Haut gezeigt, die Haut sei vergröbert und rau gewesen. Es habe sich eine vermehrte Hornhautbildung gezeigt. Diese Hautveränderungen sprächen ebenfalls für eine längere Zeit zurückliegende mechanische chronische Schädigung der Haut. Die jetzt noch sichtbaren Hautveränderungen könnten von einer mechanischen Irritation der Haut stammen. Ob es sich um Folgen einer Fixierung im ZfP handle, könne er nicht sagen, hier sollte ein Gerichtsmediziner ein Gutachten erstellen. Es hätten sich keine eindeutigen Narben im geschilderten Körperbereich gezeigt, d. h. die Verletzungen oder Verbrennungen seien nicht so stark gewesen, dass es einer ärztlichen Behandlung unbedingt bedurft hätte. Die Klägerin sei 2005 und 2012 in seiner Behandlung gewesen, wegen der Hautschädigung (2007) habe in seiner Praxis keine Behandlung stattgefunden.
29 
Außerdem hat der Senat den Chefarzt des ZfP, Dr. Sch., sowie Dr. W. als sachverständige Zeugen zum stationären Aufenthalt der Klägerin vom 01.06. bis 06.07.2007 befragt. Diese haben mit Schreiben vom 08.07.2015 angegeben, dass eine Isolierung und Fixierung der Klägerin wegen selbstgefährdendem und bedrohlichem Verhalten am 01.06.2007 von 16.30 Uhr bis 02.06.2007 um 8.30 Uhr erfolgt sei. In diesem Zeitraum sei um 21.00 Uhr eine Entfixierung versucht worden, ebenso um 23.30 Uhr. Bei noch nicht ausreichender Besserung des Gefährdungszustandes sei die Fixierung jeweils erneuert worden, bis am 02.06.2007 um 8.30 Uhr die Fixierung und Isolierung dauerhaft habe beendet werden können. Die Isolierung und Fixierung sei ärztlicherseits angeordnet und überprüft worden. Die erneute Fixierung um 23.30 Uhr sei erfolgt, nachdem es der Klägerin gelungen sei, sich zu entfixieren. Sie sei vom Nachtdienstpfleger wegen Eigengefährdung durch ihren verworrenen Unruhezustand erneuert worden. Die medizinische Anordnung sei wegen Selbstgefährdung und bedrohlichem Verhalten geschehen. Die Klägerin habe derart ausgeprägte Denkeinschränkungen gezeigt, dass eine geordnete Kommunikation nicht möglich gewesen sei. Gerichtete Handlungen seien ebenfalls nicht möglich gewesen. Es hätten sich Hinweise auf optische Halluzinationen und wahnhaftes Erleben gezeigt. Hilfsmaßnahmen seien abgelehnt worden. Insgesamt seien die Isolierung und Fixierung als Schutzmaßnahme erfolgt, da sich die Klägerin in einem psychotischen Zustand mit Realitätsverkennung, aufgehobener Kritik- und Urteilsfähigkeit befunden habe, medizinische Hilfe abgelehnt habe und vehement von der Station zu entweichen versucht habe, bei akuter Gefährdung durch die Bewusstseinsminderung und Orientierungsstörung. Da aufgrund der ausgeprägten Unruhe und Einschränkung der Steuerungsfähigkeit davon auszugehen gewesen sei, dass die Klägerin in einem nur durch eine geschlossene Tür geschützten Bereich sich in dem Erregungszustand durch impulsives Handeln selbst gefährden oder andere Personen durch versuchte Entweichung mit aggressivem Verhalten gefährden würde, sei neben der zwangsweisen Zurückhaltung eine Isolierung und Fixierung angeordnet worden. Da eine Absprachefähigkeit nicht gegeben gewesen sei und die Klägerin dauerhaft auf Verlassen der Station gedrängt habe, sei die Isolierung, Fixierung und bei akuter Behandlungsbedürftigkeit eine Medikation mit Ciatyl Accuphase intramuskulär sowie 10 mg Diazepam intramuskulär angeordnet worden. Die Fixierung und Isolierung sei am 02.06.2007 um 8.30 Uhr dauerhaft beendet worden, da sich der Zustand durch die medikamentöse Behandlung deutlich gebessert habe. In den Unterlagen seien weder durch die behandelnden Ärzte noch durch Pfleger Spuren von der Fesselung/Fixierung dokumentiert worden. Auch die Klägerin habe in dem Zeitraum der weiteren stationären Behandlung bis zum 06.07.2007 keine Angaben zu Verletzungen gemacht. Eine Behandlung mit Stromstößen sei nicht erfolgt.
30 
Des Weiteren hat der Senat Dr. Sch. als sachverständigen Zeugen schriftlich vernommen, der mit Schreiben vom 21.07.2015 vorgetragen hat, dass sich die Klägerin vom 04.06. bis 06.07.2007 in seiner Behandlung als Stationsarzt der Station 36 im ZfP befunden habe. Anordnungen zu Fixierungen und Medikationen im Zeitraum vom 01. bis 03.06.2007 seien durch die involvierten ärztlichen Kollegen getroffen worden. Am 04.06.2007 habe keine Fixierung mehr bestanden. Die Klägerin habe die körperliche Untersuchung aktiv abgelehnt. Inspektorisch, d. h. durch Augenschein, seien keine wesentlichen Auffälligkeiten erkennbar gewesen. Einmalig habe die Klägerin am 26.06.2007 über Schmerzen im linken Arm geklagt, Verletzungsspuren seien auch zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar gewesen.
31 
Die ebenfalls als Zeuginnen schriftlich vernommenen Pflegekräfte G. Bl. und G. K. haben keine Angaben zum Aufenthalt der Klägerin im ZfP im Jahr 2007 machen können (Bl. 55, 56 LSG-Akten).
32 
Die Klägerin hat hierzu mit Schreiben vom 23.07.2015 ergänzend vorgetragen, nach ihrer Ankunft am 01.06.2007 im ZfP sei sie an den Arm- und Fußgelenken auf einer Liege fixiert worden. Der Krankenpfleger B. habe ihr daraufhin befohlen, sie solle sich ganz ausziehen. Dann habe er eine Spritze genommen und habe ihr u. a. in die Rückseite der linken Hüfte, in den oberen Brustbereich, in ihren Bauch, in den kleinen linken Finger und hinter das Ohrläppchen des linken Ohrs Spritzen verabreicht. Die Fesseln hätten danach angefangen, sich zu erhitzen, folglich hätten auch ihre Arm- und Fußgelenke gebrannt. Aufgrund dieser schlimmen Einwirkungen sei sie dann dauerhaft bewusstlos gewesen, bis sie Tage später aufgewacht sei. Sie habe nur ihre erste Fixierung mitbekommen, so dass die Behauptung unverständlich sei, sie habe versucht, sich zu entfixieren. Sie habe stärkste Stromstöße und schwerste Verletzungen erhalten.
33 
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Klägerin wird auf die eingereichten Schreiben sowie die Behördenakten im OEG-Verfahren sowie die beigezogenen Verwaltungsakten aus dem Schwerbehindertenverfahren und die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
34 
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgemäß eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
35 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung. Der Beklagte hat daher ihren hierauf gerichteten Antrag zu Recht abgelehnt und das SG die Klage in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgewiesen.
36 
Die Klägerin begehrt mit der hier statthaften kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG die Aufhebung der ihren Antrag ablehnenden Entscheidung sowie die Verurteilung des Beklagten zur Feststellung gesundheitlicher körperlicher und seelischer Schädigungen aufgrund eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs (vgl. zur Unzulässigkeit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage auf isolierte Feststellung, Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden zu sein, BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 21). Ein entsprechendes Klage- bzw. Berufungsbegehren hat die Klägerin hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht. Jedenfalls mit ihrem am 03.06.2013 beim Beklagten eingegangenen Formularantrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung hat sie die in § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG genannte Rechtsfolge zum Gegenstand ihres Antrages gemacht und damit zum Ausdruck gebracht, der Beklagte möge die hierfür notwendigen Voraussetzungen feststellen. Dabei ergibt sich aus dem Sachverhaltsvortrag der Klägerin, der zur Bestimmung und Auslegung des Klagebegehrens heranzuziehen ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG-Komm., 11. Auflage 2014, § 123 Rdnr. 3), insgesamt, dass streitgegenständlich Angriffshandlungen in Form von Fesselungen/Fixierungen, Verabreichungen von Medikamenten und Stromstößen sowie sexuelle Misshandlungen durch Mitarbeiter des ZfP sowie Fesselungen durch die Polizei sind. Als Folge dieser Angriffe hat die Klägerin gesundheitliche Schädigungen an Händen und Füßen sowie seelische Beeinträchtigungen geltend gemacht (vgl. insbesondere ihr Schreiben vom 15.03.2013 an die Deutsche Rentenversicherung Bund). Nicht zum Gegenstand ihres bei dem Beklagten gestellten sowie im Klage- und Berufungsverfahren aufrecht erhaltenen Antrages hat die Klägerin den auf dem Einweisungs- und Unterbringungsbeschluss des Amtsgerichts E. vom 06.06.2007 beruhenden zwangsweisen Aufenthalt im ZfP als solchen gemacht. Ebenfalls nicht streitgegenständlich sind konkrete Leistungsansprüche, die erst dann geltend gemacht werden können, wenn die Voraussetzungen des § 1 OEG insgesamt festgestellt und das Vorliegen von Versagungsgründen nach § 2 OEG geprüft und abgelehnt worden ist. Solche, in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zu prüfenden (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i. V. m. § 9 BVG) konkreten Leistungsanträge hat die Klägerin auch zu keinem Zeitpunkt bei dem Beklagten gestellt und dieser hierüber nicht entschieden. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, sie wolle Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegenüber den von ihr benannten Mitarbeitern des ZfP durchsetzen, geht der Senat nicht davon aus, dass die Klägerin ein entsprechendes Begehren bereits zum Gegenstand ihres sozialgerichtlichen Verfahrens machen wollte, was ohnehin nicht zulässig wäre.
37 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG.
38 
Nach § 1 Abs. 4 OEG haben Ausländer einen Anspruch auf Versorgung, wenn sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften sind (Nr. 1) oder soweit Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaften, die eine Gleichbehandlung mit Deutschen erforderlich machen, auf sie anwendbar sind (Nr. 2) oder wenn die Gegenseitigkeit gewährleistet ist
(Nr. 3).
39 
Sonstige Ausländer, die sich rechtmäßig nicht nur für einen vorübergehenden Aufenthalt von längstens sechs Monaten im Bundesgebiet aufhalten, erhalten nach § 1 Abs. 5 Satz 1 OEG Versorgung nach folgenden Maßgaben:
40 
1. Leistungen wie Deutsche erhalten Ausländer, die sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten;
2. ausschließlich einkommensunabhängige Leistungen erhalten Ausländer, die sich ununterbrochen rechtmäßig noch nicht drei Jahre im Bundesgebiet aufhalten.
41 
Danach gehört die Klägerin, die sich als türkische Staatsangehörige seit ihrer Geburt in der Bundesrepublik Deutschland aufhält und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (Niederlassungserlaubnis) ist, grundsätzlich nach § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 OEG zum anspruchsberechtigten Personenkreis.
42 
§ 1 Abs. 1 OEG setzt als schädigenden Vorgang einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff voraus. Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG SozR 4-3800 § 1 Nr. 17). Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine "feindselige Willensrichtung" voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985 vgl. BSG SozR 3-3800 § 1 Nrn. 6 und 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG SozR 4-3800 § 1 Nr. 18).
43 
Nach § 30 Abs. 16 BVG wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 BVG maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) am 10.12.2008, in Kraft getreten am 01.01.2009, erlassen. Alle Einzelheiten werden in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV geregelt. Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG, Teil A, Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG, Teil C, Nr. 1 b Satz 1).
44 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG, Teil C, Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG, Teil C, Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG, Teil C, Nr. 2 c Halbsatz 1). Wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, sind nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22.09.1977 - 10 RV 15/77 - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17.12.1980 - 12 RK 42/80 - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht jedoch nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung.
45 
Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG, Teil C, Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG, Teil C, Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG, Teil C, Nr. 3 d Sätze 1 und 2).
46 
Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen steht für den Senat der folgende Sachverhalt fest: Die Klägerin wurde am 01.06.2007 vom Kreiskrankenhaus L. in das ZfP überwiesen. Nach den urkundlich verwerteten und für den Senat glaubhaften polizeilichen Zeugenangaben des Bruders der Klägerin, H. Ö., der sie auf der gesamten Fahrt von L. nach E. begleitet hat, wurde die Klägerin in einem ersten Krankenwagen bis nach R. gebracht. In R. übernahmen die für den Kreis E. örtlich zuständigen Polizeibeamten die Klägerin. Im Zuge des Fahrzeugwechsels kam es zu einem Fluchtversuch der Klägerin, die jedoch wieder zurück in das Fahrzeug verbracht werden konnte. Während der Fahrt von R. zum ZfP wurden der Klägerin dann durch die Polizeibeamten Handschellen angelegt. Wie sich aus den schriftlichen Zeugenauskünften des Chefarztes Dr. Sch. sowie des Dr. W. vom 08.07.2015 ergibt, ist die Klägerin im ZfP vom 01.06.2007 um 16.30 Uhr bis 02.06.2007 um 8.30 Uhr isoliert und fixiert worden, zudem wurden ihr in diesem Zeitraum die Medikamente Ciatyl Accuphase sowie 10 mg Diazepam intramuskulär injiziert. Nach Entfixierung am 02.06.2007 um 8.30 Uhr ist es bis zur Entlassung am 06.07.2007 zu keiner weiteren Fixierung der Klägerin im ZfP gekommen.
47 
Alle weiteren von der Klägerin erhobenen Vorwürfe haben sich hingegen nicht objektivieren lassen und sind auch nicht glaubhaft i. S. des § 15 KOVVfG. Eine Behandlung mit Stromstößen hat ausweislich der Zeugenauskünfte von Dres. Sch. und W. im ZfP nicht stattgefunden. Der Senat ist davon überzeugt, dass eine solche Maßnahme in den Krankenunterlagen ebenso dokumentiert worden wäre, wie es hinsichtlich der Isolierungen und Fixierungen sowie der Medikamentengabe tatsächlich geschehen ist, und die schriftlich vernommenen Zeugen in ihrer Auskunft vom 08.07.2015 hierüber berichtet hätten. Ganz wesentliche Bedeutung misst der Senat im Übrigen der polizeilichen Zeugenaussage des Bruders der Klägerin bei, der ausdrücklich verneint hat, dass seine Schwester ihm von einer Strombehandlung oder Angriffen durch Ärzte berichtet hat. Hiervon wäre jedoch auszugehen gewesen, wenn es eine solche Behandlung gegeben hätte, zumal wenn sie mit den körperlichen Folgen verbunden gewesen wäre, die die Klägerin jetzt geltend macht. Ihre eigenen Schilderungen hält der Senat insoweit nicht für glaubhaft. Im OEG-Verfahren hat die Klägerin keinerlei konkrete Einzelheiten zu der angeblichen Behandlung mit Stromstößen vorgetragen. Im Übrigen widersprechen sich ihre Angaben. Aus dem Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Freiburg vom 20.11.2012 ergibt sich, dass die Klägerin im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen angegeben hat, sie habe auf einem elektrischen Stuhl Medikamente einnehmen müssen. In ihrem Schreiben an die Deutsche Rentenversicherung Bund vom 15.03.2013 hat die Klägerin hingegen angegeben, sie sei auf einer elektrischen Liege fixiert worden und "mit Stromstößen der E-Liege" seien ihre Muskeln und Sehnen zerstört worden. In ihrem Schreiben vom 26.01.2011 an Rechtsanwalt St. hat die Klägerin zwar detailliert über das Geschehen nach ihrer Ankunft im ZfP berichtet und angegeben, sie sei aufgefordert worden, sich auf eine Liege zu legen, danach sei sie zur Einnahme einer Tablette gezwungen worden, anschließend seien ihre Füße und Hände auf der Liege festgebunden worden, dann seien ihr mehrere Spritzen gegeben worden, anschließend habe sie gespürt, dass die Fesseln immer heißer geworden seien und Fuß- und Handgelenke gebrannt hätten, bis sie schließlich bewusstlos geworden sei. Von Stromstößen hat die Klägerin hingegen nicht berichtet. Der Senat geht deshalb davon aus, dass die Klägerin zwar ein Brennen an den Extremitäten verspürt hat, diese Empfindung jedoch nicht auf eine Behandlung mit Stromstößen, sondern letztlich auf die Wirkung der verabreichten Medikamente oder ihren psychischen Zustand zurückzuführen ist. Wäre die Klägerin mit der Folge von Verbrennungen an Händen und Füßen unter Strom gesetzt worden, hätte sie zur Überzeugung des Senats ihren nächsten Angehörigen, insbesondere ihrem Bruder, der sie begleitet und zu späterer Zeit im ZfP besucht hat, hiervon berichtet. Der Nachweis einer Behandlung mit Stromstößen lässt sich auch nicht aufgrund entsprechender medizinischer Befunde führen. Dies steht für den Senat aufgrund der sachverständigen Zeugenauskunft des Facharztes für Dermatologie u a. Dr. Z. fest, ohne dass es einer weiteren Beweiserhebung in Form eines Sachverständigengutachtens bedurfte. Denn Dr. Z. hat als fachkundiger Mediziner die sichtbaren Hautveränderungen keinesfalls für beweisend für eine Fixierung gehalten, mehr spreche für eine längerdauernde chronische Irritation. Hinzu kommt, dass sich die Klägerin wegen der angeblichen Verbrennungen der Hände und Füße weder im ZfP noch zu einem späteren Zeitpunkt medizinisch hat behandeln lassen. Gegenüber dem Allgemeinarzt W. hat die Klägerin am 10.07.2007, also vier Tage nach ihrer Entlassung aus dem ZfP, vielmehr angegeben, sich wohl zu fühlen. Bei Dr. Z. hat sich die Klägerin erstmals 2012 wegen einer von ihr angegebenen Verbrühung des Vorfußes vorgestellt. Aus all dem muss gefolgert werden, dass es im ZfP nicht zu Verletzungen der Klägerin an Händen und Füßen gekommen ist, die die Behandlung mit Stromstößen belegen könnten.
48 
Auch soweit die Klägerin sexuelle Misshandlungen durch Mitarbeiter des ZfP behauptet hat, ist dies nicht glaubhaft gemacht und schon gar nicht erwiesen. Die Klägerin hat selbst keine konkreten Erinnerungen an ein solches Ereignis und kann daher keine Tatsachen hierzu schildern. Die Klägerin vermutet lediglich entsprechende Übergriffe und schließt dies daraus, dass ihre Unterhose Blutspuren aufwies. Zugleich hat die Klägerin aber angegeben, dass nach Aussage des Pflegepersonals ihre Monatsblutung eingesetzt habe. Wäre die Klägerin aufgrund sexueller Misshandlungen derart verletzt worden, dass es zu massiven Blutungen im Genitalbereich gekommen wäre, ist davon auszugehen, dass die Klägerin über entsprechende Verletzungsfolgen gegenüber den Ärzten des ZfP, ihren Verwandten, die sie im ZfP besucht haben, aber auch gegenüber Ärzten außerhalb des ZfP nach dem Aufenthalt dort geklagt hätte. Dies ist jedoch nicht geschehen. Der Bruder der Klägerin hat im Rahmen seiner Zeugenaussage auf mehrfache Nachfrage, weshalb sich seine Schwester im ZfP nicht gut behandelt gefühlt habe, letztlich nur noch mitgeteilt, es sei das Umfeld gewesen, das der Klägerin nicht gefallen habe, es seien dort lauter "verrückte" Leute gewesen. Auf die ausdrückliche Nachfrage, ob die Klägerin darüber berichtet habe, von Ärzten oder vom Pflegepersonal angegriffen worden zu sein, hat der Zeuge erklärt, dies sei nicht der Fall gewesen, sie habe auch nicht erzählt, Stromstöße erhalten zu haben. Von sexuellen Übergriffen habe sie ebenfalls nicht berichtet. Wie bereits dargelegt, hat sie sodann vier Tage nach ihrer Entlassung am 10.07.2007 gegenüber dem Allgemeinmediziner W. bekundet, sich wohl zu fühlen und keine Ängste mehr zu haben. Bei einer sexuellen Misshandlung mit schweren körperlichen Begleitverletzungen ca. fünf Wochen zuvor wäre eine solche Aussage nicht vorstellbar.
49 
Auf der anderen Seite ist für den Senat aufgrund der fachärztlichen Stellungnahmen von Dr. M., der behandelnden Ärzte des ZfP sowie der im Rentenverfahren beauftragten Dr. K. erwiesen, dass die Klägerin seit langem an einer psychotischen Erkrankung leidet.
50 
Dr. M. hatte bereits im Jahr 2000 eine psychotische Episode mit paranoiden Ängsten diagnostiziert und die Klägerin deshalb behandelt. Im Entlassbericht des ZfP wurde eine akute schizophreniforme psychotische Störung diagnostiziert mit wahnhaften Denkinhalten und optischen Halluzinationen. Die ambulante Anschlussbehandlung erfolgte wiederum durch Dr. M., bei der sich die Klägerin am 12.07.2007 vorstellte, die aber am 16.10.2007 eine ungünstige Prognose vermerkte, da keinerlei Behandlungsaussicht und Krankheitseinsicht bei der Klägerin bestand. Medikamentöse Behandlungsversuche brach die Klägerin gegen ärztlichen Rat ab. Ein weiterer stationärer Aufenthalt im ZfP mit der Diagnose eines Rezidivs der paranoiden Psychose erfolgte vom 09. bis 20.04.2010. Bereits am 10.05.2010 hatte sich die Klägerin selbst notfallmäßig für eine Nacht im ZfP aufnehmen lassen. Diagnostiziert wurde wiederum eine paranoide Schizophrenie. Bei der Vorstellung am 28.05.2010 bei Dr. M. war die Klägerin hochgradig psychotisch und noch am 24.04.2013 hat Dr. K. eine anhaltende wahnhafte Störung diagnostiziert. Der Senat hält diese übereinstimmenden fachärztlichen Einschätzungen für überzeugend und schließt sich der Auffassung von Dr. K. an, wonach die Misshandlungen in Form von Stromstößen und sexuellen Übergriffen ausschließlich das Produkt der wahnhaften Psychose der Klägerin sind.
51 
Weder der Transport mit Handfesseln im Krankenwagen noch die Isolierungen/Fixierungen der Klägerin im ZfP und die Verabreichung der Medikamente am 01/02.06.2007 erfüllen die Voraussetzungen des § 1 OEG.
52 
Zwar stellt die Anlegung der Handfesseln durch die Polizeibeamten gegen den Willen der Klägerin ein mit unmittelbarer körperlicher Einwirkung verbundener tätlicher Angriff dar. An der Rechtswidrigkeit eines polizeilichen Angriffs fehlt es jedoch, wenn sich der Angreifende auf Rechtfertigungsgründe stützen kann. Als ein solcher Rechtfertigungsgrund ist grundsätzlich das Handeln aufgrund von Amtsrechten und Dienstpflichten anerkannt (Kunz/Zellner/Gelnhausen/Weiner, OEG, 5. Auflage, § 1 Rdnr. 33; Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 1 OEG, Rdnr. 67). Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Handelns von Polizeibeamten gilt ein strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff, bei dem es grundsätzlich nicht auf die Richtigkeit der Amtshandlung, sondern nur auf ihre formale Rechtmäßigkeit ankommt. Daher genügt das Vorliegen einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage, die sachliche und örtliche Zuständigkeit des handelnden Beamten zum Eingreifen, die gesetzlichen Förmlichkeiten, soweit solche vorgeschrieben sind, der vom zuständigen Vorgesetzten erteilte Auftrag und, soweit der Beamte nach eigenem Ermessen handelt, die Ordnungsmäßigkeit der Ermessensausübung (Senatsurteil vom 19.04.2012 - L 6 VG 4103/11; OLG Celle, Beschluss vom 08.07.2011 - 31 Ss 28/11 - zit. nach juris).
53 
Ermächtigungsgrundlage für das Anlegen der Handfesseln als Maßnahme des unmittelbaren Zwangs ist § 52 Polizeigesetz Baden-Württemberg (PolG). Danach darf unmittelbarer Zwang nur angewandt werden, wenn der polizeiliche Zweck auf andere Weise nicht erreichbar erscheint (Abs. 1 Satz 1). Gegen Personen darf unmittelbarer Zwang nur angewandt werden, wenn der polizeiliche Zweck durch unmittelbaren Zwang gegen Sachen nicht erreichbar erscheint (Abs. 1 Satz 2). Das angewandte Mittel muss nach Art und Maß dem Verhalten, dem Alter und dem Zustand des Betroffenen angemessen sein (Abs. 1 Satz 3). Die Anwendungsvoraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage zur Abwehr von Gefahren für die Klägerin selbst, aber auch für die Allgemeinheit, waren erfüllt. Die Klägerin sollte aufgrund der Überweisung durch das Kreiskrankenhaus L. in das ZfP nach E. gebracht werden. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Überweisung gegen den Willen der Klägerin geschah, wobei einiges dafür spricht, dass infolge der Verwirrtheit der Klägerin für diese deren Bruder als Bevollmächtigter die maßgeblichen Einverständniserklärungen abgegeben hat. Auch die Tatsache, dass die Klägerin im Jahr 2010 aus eigener Veranlassung wiederum mit ihrem Bruder das ZfP aufsuchte und sich dort notfallmäßig hat aufnehmen lassen, spricht dafür, dass die Einweisung 2007 zunächst dem (mutmaßlichen) Willen der Klägerin entsprach. Bis zum Wechsel des Krankenwagens in R. bestand auch nicht die Notwendigkeit einer Fesselung der Klägerin, vielmehr wurden lediglich Sicherheitsgurte angelegt. Anlass für das Anlegen der Handfesseln im zweiten Krankenwagen war dann jedoch der mit erheblichen Leibes- und Lebensgefahren für sich selbst sowie für weitere Verkehrsteilnehmer verbundene Fluchtversuch der Klägerin beim Umsteigen. Wie sich aus der Zeugenaussage ihres Bruders ergibt, hatte sich die Klägerin in dem Moment losgerissen, als die Helfer im Krankenwagen sie von den Sicherheitsgurten befreit hatten. Sie war auf die Straße gesprungen und wollte weglaufen. Erst nach zehn Minuten gelang es, sie in den zweiten Krankenwagen zu verbringen. Bei einem solchen Sachverhalt musste damit gerechnet werden, dass die Klägerin bei nächster sich bietender Gelegenheit erneut versuchen würde zu fliehen. Zur Minimierung der Fluchtgefahr, aber auch für einen gefahrfreien Transport war die Anlegung der Handfesseln auch angemessen, nachdem sich die Klägerin vehement der erneuten Verbringung in den Krankenwagen widersetzt hatte und deshalb mit weiterem Widerstand während der Fahrt zu rechnen war. In formeller Hinsicht besteht kein Anlass, an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu zweifeln. Der Wechsel der Krankenwagen war gerade deshalb erforderlich, weil die Zuständigkeit der bis nach R. (Ortenaukreis) mitfahrenden Polizeibeamten an der Grenze zum nach R. beginnenden Landkreis E. endete.
54 
Auch die ärztlicherseits im ZfP angeordnete Fixierung der Klägerin sowie die am 01./02.06.2007 erfolgte Medikamentengabe in Form von intramuskulär verabreichten Injektionen sind tatbestandlich nicht als tätliche Angriffe i. S. des § 1 OEG zu qualifizieren. Das SG hat im angefochtenen Urteil bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der Rspr. des BSG für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs neben der Strafbarkeit der Vorsatztat bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen müssen. Denn die gesamte Tätigkeit eines Arztes wird von einem Heilauftrag i. S. des § 1 Abs. 1 Bundesärzteordnung, wonach der Arzt der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes dient, bestimmt (vgl. dazu auch § 1 Abs. 1 Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte). Ärztliche Eingriffe werden demnach grundsätzlich in der Absicht durchgeführt, zu heilen und nicht in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten einzuwirken. Der Senat hat sich dieser Rspr. des BSG angeschlossen. Danach müssen für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs - neben der Strafbarkeit als Vorsatztat - bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen, bei deren Vorliegen die Grenze zur Gewalttat, also zum "vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff", überschritten ist. Unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des OEG wird ein Patient erst dann zum Gewaltopfer, wenn ein als vorsätzliche Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff objektiv - also aus der Sicht eines verständigen Dritten - in keiner Weise dem Wohl des Patienten dient. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen finanziellen Interessen leiten lässt und die gesundheitlichen Belange des Patienten hintangestellt hat. Entsprechende Anhaltspunkte für eine derartige Motivation der behandelnden Klinikärzte des ZfP sind vorliegend in keiner Weise ersichtlich. Vielmehr ergibt sich aus den eingeholten schriftlichen Zeugenaussagen von Dres. Sch. und W., dass das Wohl der Klägerin Anlass für die Fixierung und Verabreichung der Medikamente gewesen ist. Denn aufgrund der ausgeprägten Unruhe und Einschränkung der Steuerungsfähigkeit zum Aufnahmezeitpunkt musste davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in einem nur durch eine geschlossene Tür geschützten Bereich sich in dem Erregungszustand, in dem sie sich zu Beginn der Fixierung befand und der auch bei den zwischenzeitlichen Versuchen der Aufhebung der Fixierung noch nicht hinreichend abgeklungen war, durch impulsives Handeln selbst gefährden würde. Darüber hinaus war auch eine Fremdgefährdung nicht auszuschließen, was die Isolierung der Klägerin rechtfertigte, die als solche jedoch ohnehin keinen tätlichen Angriff i. S. des § 1 OEG darstellte. Erst nachdem die verabreichten Medikamente Ciatyl Accuphase und Diazepam Wirkung gezeigt hatten und sich aufgrund dessen der Zustand der Klägerin am 02.06.2007 um 8.30 Uhr gebessert hatte, war eine Entfixierung möglich. Der Senat hat keine Veranlassung, an der Gefahreneinschätzung der behandelnden Ärzte zu zweifeln. Dass sich die Klägerin in einem erheblichen Erregungszustand befand, wird durch die Zeugenaussage des Bruders der Klägerin bestätigt, der von der Notwendigkeit erheblichen körperlichen Zwangs berichtet hat, um die Klägerin überhaupt in den Krankenwagen zurück zu bringen. Auch wenn die für Mitpatienten oder Mitarbeiter des ZfP aufgrund von möglichen Fluchtversuchen der Klägerin bestehenden Gefahren durch eine bloße Isolierung der Klägerin hätten eingeschränkt werden können, wäre eine solche Maßnahme als milderes Mittel ohne gleichzeitige Fixierung aufgrund der weiterhin bestehenden Gefahr einer Selbstverletzung nicht geeignet gewesen. Dass sich die Klägerin in einem Zustand hochgradiger Verwirrtheit befand, wird auch daran deutlich, dass selbst vier Tage nach Aufhebung der Fixierung die Klägerin anlässlich der Anhörung durch Richter am Amtsgericht Sch. am 06.06.2007 noch derart psychisch beeinträchtigt war, dass eine Verständigung mit ihr nicht möglich war und Richter am Amtsgericht Sch. ihr Einverständnis zur Fortsetzung des Aufenthaltes im ZfP nicht als wirksame Willenserklärung wertete. Die Klägerin hat selbst keinen Sachverhalt geschildert, aus dem sich Gründe für eine anderweitige Motivation der die Fixierung anordnenden Ärzte Dres. H. und D. ableiten ließen. Dass sich finanzielle Vorteile hieraus für die Ärzte bzw. die Klinik ergeben könnten, ist nicht ersichtlich; auch andere sachwidrige, nicht dem hippokratischen Eid entsprechende Absichten sind für den Senat nicht erkennbar. Das Vorbringen der Klägerin weist auch darauf hin, dass sie den maßgeblichen Sachverhalt nicht mehr vollständig in Erinnerung hat. So hat sie in ihrem Schreiben vom 23.07.2015 gegen die Zeugenaussagen von Dres. Sch. und W. eingewandt, nicht Dres. H. und D., sondern Dr. Sch. habe als Stationsarzt die Fixierung angeordnet, und es habe nur eine Fixierung gegeben. Dem stehen jedoch nicht nur die Zeugenaussagen von Dres. Sch. und W., sondern auch die des Dr. Sch. vom 21.07.2015 entgegen, der die Klägerin erst ab 04.06.2007 bis zu ihrer Entlassung am 06.07.2007 auf der Station 36 im ZfP behandelte. Die Klägerin war jedoch nicht nur in dieser Zeit im ZfP, sondern wurde dort außerdem vom 09.bis 20.04.2010 nach Einweisung durch Dr. J. stationär aufgrund einer diagnostizierten paranoiden Psychose behandelt und stellte sich selbst im ZfP am 10.05.2010 wegen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes vor und wurde bis zum 11.05.2010 mit der Diagnose einer paranoiden Schizophrenie notfallmäßig aufgenommen. Es ist offensichtlich, dass die Klägerin die verschiedenen Aufenthalte im ZfP nicht voneinander abgrenzen kann. Dies hat auch der behandelnde Allgemeinarzt W. in seiner polizeilichen Zeugenvernehmung vermutet und drängt sich durch die Zeugenaussage von Dr. M. auf, wonach die Klägerin am 16.06.2010 von ihr eine Bestätigung darüber verlangt hat, dass der Aufenthalt im ZfP ausschließlich wegen des Verkehrsunfalls am 19.05.2007 notwendig gewesen sei, auf Nachfrage, welchen Aufenthalt sie damit meine, sich aber nicht festlegen wollte. Gerade der Umstand, dass die Klägerin aus eigener Veranlassung am 10.05.2010 das ZfP aufgesucht hat, um sich dort behandeln zu lassen, legt überdies nahe, dass sie den dort tätigen Ärzten wohl eine gegen sie gerichtete feindselige Haltung nicht unterstellte. Anderenfalls wäre nicht nachzuvollziehen, weshalb sie sich im ZfP und nicht in einer anderen psychiatrischen Klinik hatte behandeln lassen.
55 
Für den Senat fehlt es daher an belastbaren Tatsachen, die begründen könnten, dass und weshalb die verantwortlichen Ärzte des ZfP die sechzehnstündige Fixierung und Medikamentengabe aus anderen als dem Wohl der Klägerin dienenden Gründen angeordnet bzw. selbst vorgenommen hatten. Auch der Umstand, dass schon relativ kurzfristig um 21.00 Uhr eine erste Entfixierung versucht worden war, belegt, dass sich die Ärzte ausschließlich dem Wohl der Klägerin verpflichtet sahen und schnellstmöglich den Zustand der Fixierung aufheben wollten. Eine dem widersprechende Motivation kann dem festgestellten Sachverhalt nicht entnommen werden und ist von der Klägerin letztlich auch zu keinem Zeitpunkt begründet worden.
56 
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.
57 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
34 
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgemäß eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
35 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung. Der Beklagte hat daher ihren hierauf gerichteten Antrag zu Recht abgelehnt und das SG die Klage in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgewiesen.
36 
Die Klägerin begehrt mit der hier statthaften kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG die Aufhebung der ihren Antrag ablehnenden Entscheidung sowie die Verurteilung des Beklagten zur Feststellung gesundheitlicher körperlicher und seelischer Schädigungen aufgrund eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs (vgl. zur Unzulässigkeit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage auf isolierte Feststellung, Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden zu sein, BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 21). Ein entsprechendes Klage- bzw. Berufungsbegehren hat die Klägerin hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht. Jedenfalls mit ihrem am 03.06.2013 beim Beklagten eingegangenen Formularantrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung hat sie die in § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG genannte Rechtsfolge zum Gegenstand ihres Antrages gemacht und damit zum Ausdruck gebracht, der Beklagte möge die hierfür notwendigen Voraussetzungen feststellen. Dabei ergibt sich aus dem Sachverhaltsvortrag der Klägerin, der zur Bestimmung und Auslegung des Klagebegehrens heranzuziehen ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG-Komm., 11. Auflage 2014, § 123 Rdnr. 3), insgesamt, dass streitgegenständlich Angriffshandlungen in Form von Fesselungen/Fixierungen, Verabreichungen von Medikamenten und Stromstößen sowie sexuelle Misshandlungen durch Mitarbeiter des ZfP sowie Fesselungen durch die Polizei sind. Als Folge dieser Angriffe hat die Klägerin gesundheitliche Schädigungen an Händen und Füßen sowie seelische Beeinträchtigungen geltend gemacht (vgl. insbesondere ihr Schreiben vom 15.03.2013 an die Deutsche Rentenversicherung Bund). Nicht zum Gegenstand ihres bei dem Beklagten gestellten sowie im Klage- und Berufungsverfahren aufrecht erhaltenen Antrages hat die Klägerin den auf dem Einweisungs- und Unterbringungsbeschluss des Amtsgerichts E. vom 06.06.2007 beruhenden zwangsweisen Aufenthalt im ZfP als solchen gemacht. Ebenfalls nicht streitgegenständlich sind konkrete Leistungsansprüche, die erst dann geltend gemacht werden können, wenn die Voraussetzungen des § 1 OEG insgesamt festgestellt und das Vorliegen von Versagungsgründen nach § 2 OEG geprüft und abgelehnt worden ist. Solche, in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zu prüfenden (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i. V. m. § 9 BVG) konkreten Leistungsanträge hat die Klägerin auch zu keinem Zeitpunkt bei dem Beklagten gestellt und dieser hierüber nicht entschieden. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, sie wolle Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegenüber den von ihr benannten Mitarbeitern des ZfP durchsetzen, geht der Senat nicht davon aus, dass die Klägerin ein entsprechendes Begehren bereits zum Gegenstand ihres sozialgerichtlichen Verfahrens machen wollte, was ohnehin nicht zulässig wäre.
37 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG.
38 
Nach § 1 Abs. 4 OEG haben Ausländer einen Anspruch auf Versorgung, wenn sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften sind (Nr. 1) oder soweit Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaften, die eine Gleichbehandlung mit Deutschen erforderlich machen, auf sie anwendbar sind (Nr. 2) oder wenn die Gegenseitigkeit gewährleistet ist
(Nr. 3).
39 
Sonstige Ausländer, die sich rechtmäßig nicht nur für einen vorübergehenden Aufenthalt von längstens sechs Monaten im Bundesgebiet aufhalten, erhalten nach § 1 Abs. 5 Satz 1 OEG Versorgung nach folgenden Maßgaben:
40 
1. Leistungen wie Deutsche erhalten Ausländer, die sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten;
2. ausschließlich einkommensunabhängige Leistungen erhalten Ausländer, die sich ununterbrochen rechtmäßig noch nicht drei Jahre im Bundesgebiet aufhalten.
41 
Danach gehört die Klägerin, die sich als türkische Staatsangehörige seit ihrer Geburt in der Bundesrepublik Deutschland aufhält und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (Niederlassungserlaubnis) ist, grundsätzlich nach § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 OEG zum anspruchsberechtigten Personenkreis.
42 
§ 1 Abs. 1 OEG setzt als schädigenden Vorgang einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff voraus. Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG SozR 4-3800 § 1 Nr. 17). Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine "feindselige Willensrichtung" voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985 vgl. BSG SozR 3-3800 § 1 Nrn. 6 und 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG SozR 4-3800 § 1 Nr. 18).
43 
Nach § 30 Abs. 16 BVG wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 BVG maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) am 10.12.2008, in Kraft getreten am 01.01.2009, erlassen. Alle Einzelheiten werden in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV geregelt. Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG, Teil A, Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG, Teil C, Nr. 1 b Satz 1).
44 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG, Teil C, Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG, Teil C, Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG, Teil C, Nr. 2 c Halbsatz 1). Wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, sind nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22.09.1977 - 10 RV 15/77 - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17.12.1980 - 12 RK 42/80 - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht jedoch nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung.
45 
Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG, Teil C, Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG, Teil C, Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG, Teil C, Nr. 3 d Sätze 1 und 2).
46 
Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen steht für den Senat der folgende Sachverhalt fest: Die Klägerin wurde am 01.06.2007 vom Kreiskrankenhaus L. in das ZfP überwiesen. Nach den urkundlich verwerteten und für den Senat glaubhaften polizeilichen Zeugenangaben des Bruders der Klägerin, H. Ö., der sie auf der gesamten Fahrt von L. nach E. begleitet hat, wurde die Klägerin in einem ersten Krankenwagen bis nach R. gebracht. In R. übernahmen die für den Kreis E. örtlich zuständigen Polizeibeamten die Klägerin. Im Zuge des Fahrzeugwechsels kam es zu einem Fluchtversuch der Klägerin, die jedoch wieder zurück in das Fahrzeug verbracht werden konnte. Während der Fahrt von R. zum ZfP wurden der Klägerin dann durch die Polizeibeamten Handschellen angelegt. Wie sich aus den schriftlichen Zeugenauskünften des Chefarztes Dr. Sch. sowie des Dr. W. vom 08.07.2015 ergibt, ist die Klägerin im ZfP vom 01.06.2007 um 16.30 Uhr bis 02.06.2007 um 8.30 Uhr isoliert und fixiert worden, zudem wurden ihr in diesem Zeitraum die Medikamente Ciatyl Accuphase sowie 10 mg Diazepam intramuskulär injiziert. Nach Entfixierung am 02.06.2007 um 8.30 Uhr ist es bis zur Entlassung am 06.07.2007 zu keiner weiteren Fixierung der Klägerin im ZfP gekommen.
47 
Alle weiteren von der Klägerin erhobenen Vorwürfe haben sich hingegen nicht objektivieren lassen und sind auch nicht glaubhaft i. S. des § 15 KOVVfG. Eine Behandlung mit Stromstößen hat ausweislich der Zeugenauskünfte von Dres. Sch. und W. im ZfP nicht stattgefunden. Der Senat ist davon überzeugt, dass eine solche Maßnahme in den Krankenunterlagen ebenso dokumentiert worden wäre, wie es hinsichtlich der Isolierungen und Fixierungen sowie der Medikamentengabe tatsächlich geschehen ist, und die schriftlich vernommenen Zeugen in ihrer Auskunft vom 08.07.2015 hierüber berichtet hätten. Ganz wesentliche Bedeutung misst der Senat im Übrigen der polizeilichen Zeugenaussage des Bruders der Klägerin bei, der ausdrücklich verneint hat, dass seine Schwester ihm von einer Strombehandlung oder Angriffen durch Ärzte berichtet hat. Hiervon wäre jedoch auszugehen gewesen, wenn es eine solche Behandlung gegeben hätte, zumal wenn sie mit den körperlichen Folgen verbunden gewesen wäre, die die Klägerin jetzt geltend macht. Ihre eigenen Schilderungen hält der Senat insoweit nicht für glaubhaft. Im OEG-Verfahren hat die Klägerin keinerlei konkrete Einzelheiten zu der angeblichen Behandlung mit Stromstößen vorgetragen. Im Übrigen widersprechen sich ihre Angaben. Aus dem Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Freiburg vom 20.11.2012 ergibt sich, dass die Klägerin im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen angegeben hat, sie habe auf einem elektrischen Stuhl Medikamente einnehmen müssen. In ihrem Schreiben an die Deutsche Rentenversicherung Bund vom 15.03.2013 hat die Klägerin hingegen angegeben, sie sei auf einer elektrischen Liege fixiert worden und "mit Stromstößen der E-Liege" seien ihre Muskeln und Sehnen zerstört worden. In ihrem Schreiben vom 26.01.2011 an Rechtsanwalt St. hat die Klägerin zwar detailliert über das Geschehen nach ihrer Ankunft im ZfP berichtet und angegeben, sie sei aufgefordert worden, sich auf eine Liege zu legen, danach sei sie zur Einnahme einer Tablette gezwungen worden, anschließend seien ihre Füße und Hände auf der Liege festgebunden worden, dann seien ihr mehrere Spritzen gegeben worden, anschließend habe sie gespürt, dass die Fesseln immer heißer geworden seien und Fuß- und Handgelenke gebrannt hätten, bis sie schließlich bewusstlos geworden sei. Von Stromstößen hat die Klägerin hingegen nicht berichtet. Der Senat geht deshalb davon aus, dass die Klägerin zwar ein Brennen an den Extremitäten verspürt hat, diese Empfindung jedoch nicht auf eine Behandlung mit Stromstößen, sondern letztlich auf die Wirkung der verabreichten Medikamente oder ihren psychischen Zustand zurückzuführen ist. Wäre die Klägerin mit der Folge von Verbrennungen an Händen und Füßen unter Strom gesetzt worden, hätte sie zur Überzeugung des Senats ihren nächsten Angehörigen, insbesondere ihrem Bruder, der sie begleitet und zu späterer Zeit im ZfP besucht hat, hiervon berichtet. Der Nachweis einer Behandlung mit Stromstößen lässt sich auch nicht aufgrund entsprechender medizinischer Befunde führen. Dies steht für den Senat aufgrund der sachverständigen Zeugenauskunft des Facharztes für Dermatologie u a. Dr. Z. fest, ohne dass es einer weiteren Beweiserhebung in Form eines Sachverständigengutachtens bedurfte. Denn Dr. Z. hat als fachkundiger Mediziner die sichtbaren Hautveränderungen keinesfalls für beweisend für eine Fixierung gehalten, mehr spreche für eine längerdauernde chronische Irritation. Hinzu kommt, dass sich die Klägerin wegen der angeblichen Verbrennungen der Hände und Füße weder im ZfP noch zu einem späteren Zeitpunkt medizinisch hat behandeln lassen. Gegenüber dem Allgemeinarzt W. hat die Klägerin am 10.07.2007, also vier Tage nach ihrer Entlassung aus dem ZfP, vielmehr angegeben, sich wohl zu fühlen. Bei Dr. Z. hat sich die Klägerin erstmals 2012 wegen einer von ihr angegebenen Verbrühung des Vorfußes vorgestellt. Aus all dem muss gefolgert werden, dass es im ZfP nicht zu Verletzungen der Klägerin an Händen und Füßen gekommen ist, die die Behandlung mit Stromstößen belegen könnten.
48 
Auch soweit die Klägerin sexuelle Misshandlungen durch Mitarbeiter des ZfP behauptet hat, ist dies nicht glaubhaft gemacht und schon gar nicht erwiesen. Die Klägerin hat selbst keine konkreten Erinnerungen an ein solches Ereignis und kann daher keine Tatsachen hierzu schildern. Die Klägerin vermutet lediglich entsprechende Übergriffe und schließt dies daraus, dass ihre Unterhose Blutspuren aufwies. Zugleich hat die Klägerin aber angegeben, dass nach Aussage des Pflegepersonals ihre Monatsblutung eingesetzt habe. Wäre die Klägerin aufgrund sexueller Misshandlungen derart verletzt worden, dass es zu massiven Blutungen im Genitalbereich gekommen wäre, ist davon auszugehen, dass die Klägerin über entsprechende Verletzungsfolgen gegenüber den Ärzten des ZfP, ihren Verwandten, die sie im ZfP besucht haben, aber auch gegenüber Ärzten außerhalb des ZfP nach dem Aufenthalt dort geklagt hätte. Dies ist jedoch nicht geschehen. Der Bruder der Klägerin hat im Rahmen seiner Zeugenaussage auf mehrfache Nachfrage, weshalb sich seine Schwester im ZfP nicht gut behandelt gefühlt habe, letztlich nur noch mitgeteilt, es sei das Umfeld gewesen, das der Klägerin nicht gefallen habe, es seien dort lauter "verrückte" Leute gewesen. Auf die ausdrückliche Nachfrage, ob die Klägerin darüber berichtet habe, von Ärzten oder vom Pflegepersonal angegriffen worden zu sein, hat der Zeuge erklärt, dies sei nicht der Fall gewesen, sie habe auch nicht erzählt, Stromstöße erhalten zu haben. Von sexuellen Übergriffen habe sie ebenfalls nicht berichtet. Wie bereits dargelegt, hat sie sodann vier Tage nach ihrer Entlassung am 10.07.2007 gegenüber dem Allgemeinmediziner W. bekundet, sich wohl zu fühlen und keine Ängste mehr zu haben. Bei einer sexuellen Misshandlung mit schweren körperlichen Begleitverletzungen ca. fünf Wochen zuvor wäre eine solche Aussage nicht vorstellbar.
49 
Auf der anderen Seite ist für den Senat aufgrund der fachärztlichen Stellungnahmen von Dr. M., der behandelnden Ärzte des ZfP sowie der im Rentenverfahren beauftragten Dr. K. erwiesen, dass die Klägerin seit langem an einer psychotischen Erkrankung leidet.
50 
Dr. M. hatte bereits im Jahr 2000 eine psychotische Episode mit paranoiden Ängsten diagnostiziert und die Klägerin deshalb behandelt. Im Entlassbericht des ZfP wurde eine akute schizophreniforme psychotische Störung diagnostiziert mit wahnhaften Denkinhalten und optischen Halluzinationen. Die ambulante Anschlussbehandlung erfolgte wiederum durch Dr. M., bei der sich die Klägerin am 12.07.2007 vorstellte, die aber am 16.10.2007 eine ungünstige Prognose vermerkte, da keinerlei Behandlungsaussicht und Krankheitseinsicht bei der Klägerin bestand. Medikamentöse Behandlungsversuche brach die Klägerin gegen ärztlichen Rat ab. Ein weiterer stationärer Aufenthalt im ZfP mit der Diagnose eines Rezidivs der paranoiden Psychose erfolgte vom 09. bis 20.04.2010. Bereits am 10.05.2010 hatte sich die Klägerin selbst notfallmäßig für eine Nacht im ZfP aufnehmen lassen. Diagnostiziert wurde wiederum eine paranoide Schizophrenie. Bei der Vorstellung am 28.05.2010 bei Dr. M. war die Klägerin hochgradig psychotisch und noch am 24.04.2013 hat Dr. K. eine anhaltende wahnhafte Störung diagnostiziert. Der Senat hält diese übereinstimmenden fachärztlichen Einschätzungen für überzeugend und schließt sich der Auffassung von Dr. K. an, wonach die Misshandlungen in Form von Stromstößen und sexuellen Übergriffen ausschließlich das Produkt der wahnhaften Psychose der Klägerin sind.
51 
Weder der Transport mit Handfesseln im Krankenwagen noch die Isolierungen/Fixierungen der Klägerin im ZfP und die Verabreichung der Medikamente am 01/02.06.2007 erfüllen die Voraussetzungen des § 1 OEG.
52 
Zwar stellt die Anlegung der Handfesseln durch die Polizeibeamten gegen den Willen der Klägerin ein mit unmittelbarer körperlicher Einwirkung verbundener tätlicher Angriff dar. An der Rechtswidrigkeit eines polizeilichen Angriffs fehlt es jedoch, wenn sich der Angreifende auf Rechtfertigungsgründe stützen kann. Als ein solcher Rechtfertigungsgrund ist grundsätzlich das Handeln aufgrund von Amtsrechten und Dienstpflichten anerkannt (Kunz/Zellner/Gelnhausen/Weiner, OEG, 5. Auflage, § 1 Rdnr. 33; Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 1 OEG, Rdnr. 67). Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Handelns von Polizeibeamten gilt ein strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff, bei dem es grundsätzlich nicht auf die Richtigkeit der Amtshandlung, sondern nur auf ihre formale Rechtmäßigkeit ankommt. Daher genügt das Vorliegen einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage, die sachliche und örtliche Zuständigkeit des handelnden Beamten zum Eingreifen, die gesetzlichen Förmlichkeiten, soweit solche vorgeschrieben sind, der vom zuständigen Vorgesetzten erteilte Auftrag und, soweit der Beamte nach eigenem Ermessen handelt, die Ordnungsmäßigkeit der Ermessensausübung (Senatsurteil vom 19.04.2012 - L 6 VG 4103/11; OLG Celle, Beschluss vom 08.07.2011 - 31 Ss 28/11 - zit. nach juris).
53 
Ermächtigungsgrundlage für das Anlegen der Handfesseln als Maßnahme des unmittelbaren Zwangs ist § 52 Polizeigesetz Baden-Württemberg (PolG). Danach darf unmittelbarer Zwang nur angewandt werden, wenn der polizeiliche Zweck auf andere Weise nicht erreichbar erscheint (Abs. 1 Satz 1). Gegen Personen darf unmittelbarer Zwang nur angewandt werden, wenn der polizeiliche Zweck durch unmittelbaren Zwang gegen Sachen nicht erreichbar erscheint (Abs. 1 Satz 2). Das angewandte Mittel muss nach Art und Maß dem Verhalten, dem Alter und dem Zustand des Betroffenen angemessen sein (Abs. 1 Satz 3). Die Anwendungsvoraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage zur Abwehr von Gefahren für die Klägerin selbst, aber auch für die Allgemeinheit, waren erfüllt. Die Klägerin sollte aufgrund der Überweisung durch das Kreiskrankenhaus L. in das ZfP nach E. gebracht werden. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Überweisung gegen den Willen der Klägerin geschah, wobei einiges dafür spricht, dass infolge der Verwirrtheit der Klägerin für diese deren Bruder als Bevollmächtigter die maßgeblichen Einverständniserklärungen abgegeben hat. Auch die Tatsache, dass die Klägerin im Jahr 2010 aus eigener Veranlassung wiederum mit ihrem Bruder das ZfP aufsuchte und sich dort notfallmäßig hat aufnehmen lassen, spricht dafür, dass die Einweisung 2007 zunächst dem (mutmaßlichen) Willen der Klägerin entsprach. Bis zum Wechsel des Krankenwagens in R. bestand auch nicht die Notwendigkeit einer Fesselung der Klägerin, vielmehr wurden lediglich Sicherheitsgurte angelegt. Anlass für das Anlegen der Handfesseln im zweiten Krankenwagen war dann jedoch der mit erheblichen Leibes- und Lebensgefahren für sich selbst sowie für weitere Verkehrsteilnehmer verbundene Fluchtversuch der Klägerin beim Umsteigen. Wie sich aus der Zeugenaussage ihres Bruders ergibt, hatte sich die Klägerin in dem Moment losgerissen, als die Helfer im Krankenwagen sie von den Sicherheitsgurten befreit hatten. Sie war auf die Straße gesprungen und wollte weglaufen. Erst nach zehn Minuten gelang es, sie in den zweiten Krankenwagen zu verbringen. Bei einem solchen Sachverhalt musste damit gerechnet werden, dass die Klägerin bei nächster sich bietender Gelegenheit erneut versuchen würde zu fliehen. Zur Minimierung der Fluchtgefahr, aber auch für einen gefahrfreien Transport war die Anlegung der Handfesseln auch angemessen, nachdem sich die Klägerin vehement der erneuten Verbringung in den Krankenwagen widersetzt hatte und deshalb mit weiterem Widerstand während der Fahrt zu rechnen war. In formeller Hinsicht besteht kein Anlass, an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu zweifeln. Der Wechsel der Krankenwagen war gerade deshalb erforderlich, weil die Zuständigkeit der bis nach R. (Ortenaukreis) mitfahrenden Polizeibeamten an der Grenze zum nach R. beginnenden Landkreis E. endete.
54 
Auch die ärztlicherseits im ZfP angeordnete Fixierung der Klägerin sowie die am 01./02.06.2007 erfolgte Medikamentengabe in Form von intramuskulär verabreichten Injektionen sind tatbestandlich nicht als tätliche Angriffe i. S. des § 1 OEG zu qualifizieren. Das SG hat im angefochtenen Urteil bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der Rspr. des BSG für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs neben der Strafbarkeit der Vorsatztat bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen müssen. Denn die gesamte Tätigkeit eines Arztes wird von einem Heilauftrag i. S. des § 1 Abs. 1 Bundesärzteordnung, wonach der Arzt der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes dient, bestimmt (vgl. dazu auch § 1 Abs. 1 Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte). Ärztliche Eingriffe werden demnach grundsätzlich in der Absicht durchgeführt, zu heilen und nicht in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten einzuwirken. Der Senat hat sich dieser Rspr. des BSG angeschlossen. Danach müssen für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs - neben der Strafbarkeit als Vorsatztat - bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen, bei deren Vorliegen die Grenze zur Gewalttat, also zum "vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff", überschritten ist. Unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des OEG wird ein Patient erst dann zum Gewaltopfer, wenn ein als vorsätzliche Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff objektiv - also aus der Sicht eines verständigen Dritten - in keiner Weise dem Wohl des Patienten dient. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen finanziellen Interessen leiten lässt und die gesundheitlichen Belange des Patienten hintangestellt hat. Entsprechende Anhaltspunkte für eine derartige Motivation der behandelnden Klinikärzte des ZfP sind vorliegend in keiner Weise ersichtlich. Vielmehr ergibt sich aus den eingeholten schriftlichen Zeugenaussagen von Dres. Sch. und W., dass das Wohl der Klägerin Anlass für die Fixierung und Verabreichung der Medikamente gewesen ist. Denn aufgrund der ausgeprägten Unruhe und Einschränkung der Steuerungsfähigkeit zum Aufnahmezeitpunkt musste davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in einem nur durch eine geschlossene Tür geschützten Bereich sich in dem Erregungszustand, in dem sie sich zu Beginn der Fixierung befand und der auch bei den zwischenzeitlichen Versuchen der Aufhebung der Fixierung noch nicht hinreichend abgeklungen war, durch impulsives Handeln selbst gefährden würde. Darüber hinaus war auch eine Fremdgefährdung nicht auszuschließen, was die Isolierung der Klägerin rechtfertigte, die als solche jedoch ohnehin keinen tätlichen Angriff i. S. des § 1 OEG darstellte. Erst nachdem die verabreichten Medikamente Ciatyl Accuphase und Diazepam Wirkung gezeigt hatten und sich aufgrund dessen der Zustand der Klägerin am 02.06.2007 um 8.30 Uhr gebessert hatte, war eine Entfixierung möglich. Der Senat hat keine Veranlassung, an der Gefahreneinschätzung der behandelnden Ärzte zu zweifeln. Dass sich die Klägerin in einem erheblichen Erregungszustand befand, wird durch die Zeugenaussage des Bruders der Klägerin bestätigt, der von der Notwendigkeit erheblichen körperlichen Zwangs berichtet hat, um die Klägerin überhaupt in den Krankenwagen zurück zu bringen. Auch wenn die für Mitpatienten oder Mitarbeiter des ZfP aufgrund von möglichen Fluchtversuchen der Klägerin bestehenden Gefahren durch eine bloße Isolierung der Klägerin hätten eingeschränkt werden können, wäre eine solche Maßnahme als milderes Mittel ohne gleichzeitige Fixierung aufgrund der weiterhin bestehenden Gefahr einer Selbstverletzung nicht geeignet gewesen. Dass sich die Klägerin in einem Zustand hochgradiger Verwirrtheit befand, wird auch daran deutlich, dass selbst vier Tage nach Aufhebung der Fixierung die Klägerin anlässlich der Anhörung durch Richter am Amtsgericht Sch. am 06.06.2007 noch derart psychisch beeinträchtigt war, dass eine Verständigung mit ihr nicht möglich war und Richter am Amtsgericht Sch. ihr Einverständnis zur Fortsetzung des Aufenthaltes im ZfP nicht als wirksame Willenserklärung wertete. Die Klägerin hat selbst keinen Sachverhalt geschildert, aus dem sich Gründe für eine anderweitige Motivation der die Fixierung anordnenden Ärzte Dres. H. und D. ableiten ließen. Dass sich finanzielle Vorteile hieraus für die Ärzte bzw. die Klinik ergeben könnten, ist nicht ersichtlich; auch andere sachwidrige, nicht dem hippokratischen Eid entsprechende Absichten sind für den Senat nicht erkennbar. Das Vorbringen der Klägerin weist auch darauf hin, dass sie den maßgeblichen Sachverhalt nicht mehr vollständig in Erinnerung hat. So hat sie in ihrem Schreiben vom 23.07.2015 gegen die Zeugenaussagen von Dres. Sch. und W. eingewandt, nicht Dres. H. und D., sondern Dr. Sch. habe als Stationsarzt die Fixierung angeordnet, und es habe nur eine Fixierung gegeben. Dem stehen jedoch nicht nur die Zeugenaussagen von Dres. Sch. und W., sondern auch die des Dr. Sch. vom 21.07.2015 entgegen, der die Klägerin erst ab 04.06.2007 bis zu ihrer Entlassung am 06.07.2007 auf der Station 36 im ZfP behandelte. Die Klägerin war jedoch nicht nur in dieser Zeit im ZfP, sondern wurde dort außerdem vom 09.bis 20.04.2010 nach Einweisung durch Dr. J. stationär aufgrund einer diagnostizierten paranoiden Psychose behandelt und stellte sich selbst im ZfP am 10.05.2010 wegen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes vor und wurde bis zum 11.05.2010 mit der Diagnose einer paranoiden Schizophrenie notfallmäßig aufgenommen. Es ist offensichtlich, dass die Klägerin die verschiedenen Aufenthalte im ZfP nicht voneinander abgrenzen kann. Dies hat auch der behandelnde Allgemeinarzt W. in seiner polizeilichen Zeugenvernehmung vermutet und drängt sich durch die Zeugenaussage von Dr. M. auf, wonach die Klägerin am 16.06.2010 von ihr eine Bestätigung darüber verlangt hat, dass der Aufenthalt im ZfP ausschließlich wegen des Verkehrsunfalls am 19.05.2007 notwendig gewesen sei, auf Nachfrage, welchen Aufenthalt sie damit meine, sich aber nicht festlegen wollte. Gerade der Umstand, dass die Klägerin aus eigener Veranlassung am 10.05.2010 das ZfP aufgesucht hat, um sich dort behandeln zu lassen, legt überdies nahe, dass sie den dort tätigen Ärzten wohl eine gegen sie gerichtete feindselige Haltung nicht unterstellte. Anderenfalls wäre nicht nachzuvollziehen, weshalb sie sich im ZfP und nicht in einer anderen psychiatrischen Klinik hatte behandeln lassen.
55 
Für den Senat fehlt es daher an belastbaren Tatsachen, die begründen könnten, dass und weshalb die verantwortlichen Ärzte des ZfP die sechzehnstündige Fixierung und Medikamentengabe aus anderen als dem Wohl der Klägerin dienenden Gründen angeordnet bzw. selbst vorgenommen hatten. Auch der Umstand, dass schon relativ kurzfristig um 21.00 Uhr eine erste Entfixierung versucht worden war, belegt, dass sich die Ärzte ausschließlich dem Wohl der Klägerin verpflichtet sahen und schnellstmöglich den Zustand der Fixierung aufheben wollten. Eine dem widersprechende Motivation kann dem festgestellten Sachverhalt nicht entnommen werden und ist von der Klägerin letztlich auch zu keinem Zeitpunkt begründet worden.
56 
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.
57 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

Dieses Gesetz gilt für Ansprüche aus Taten, die nach seinem Inkrafttreten begangen worden sind. § 1 Absatz 8 gilt für Ansprüche aus Taten, die nach dem 9. Juni 2021 begangen wurden. Darüber hinaus gelten die §§ 1 bis 7 mit Ausnahme des § 3a für Ansprüche aus Taten, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 begangen worden sind, nach Maßgabe der §§ 10a und 10c. In dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet gilt dieses Gesetz für Ansprüche aus Taten, die nach dem 2. Oktober 1990 begangen worden sind. Darüber hinaus gelten die §§ 1 bis 7 mit Ausnahme des § 3a für Ansprüche aus Taten, die in dem in Satz 4 genannten Gebiet in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 begangen worden sind, nach Maßgabe der §§ 10a und 10c. In den Fällen des § 3a gilt dieses Gesetz erst für Ansprüche aus Taten, die nach dem 30. Juni 2009 begangen worden sind.

(1) Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie

1.
allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und
2.
bedürftig sind und
3.
im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Versorgung nach Maßgabe des Satzes 1 erhalten auch Personen, die in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist. § 31 Abs. 4 Satz 2 erster Halbsatz des Bundesversorgungsgesetzes gilt.

(2) Bedürftig ist ein Anspruchsteller, wenn sein Einkommen im Sinne des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes den Betrag, von dem an die nach der Anrechnungsverordnung (§ 33 Abs. 6 Bundesversorgungsgesetz) zu berechnenden Leistungen nicht mehr zustehen, zuzüglich des Betrages der jeweiligen Grundrente, der Schwerstbeschädigtenzulage sowie der Pflegezulage nicht übersteigt.

(3) Übersteigt das Einkommen den Betrag, von dem an die vom Einkommen beeinflußten Versorgungsleistungen nicht mehr zustehen, so sind die Versorgungsbezüge in der Reihenfolge Grundrente, Schwerstbeschädigtenzulage und Pflegezulage um den übersteigenden Betrag zu mindern. Bei der Berechnung des übersteigenden Betrages sind die Einkünfte aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit vor den übrigen Einkünften zu berücksichtigen. § 33 Abs. 4, § 33a Abs. 2 und § 33b Abs. 6 des Bundesversorgungsgesetzes gelten nicht.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der §§ 38 bis 52 des Bundesversorgungsgesetzes, solange sie bedürftig sind und im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben. Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. Unabhängig vom Zeitpunkt des Todes des Beschädigten sind für die Witwenbeihilfe die Anspruchsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1, 5 und 6 des Bundesversorgungsgesetzes in der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung maßgebend.

(5) Die Versorgung umfaßt alle nach dem Bundesversorgungsgesetz vorgesehenen Leistungen mit Ausnahme von Berufsschadens- und Schadensausgleich.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 aufgehoben, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1962 geborene Klägerin beantragte am 16.9.1999 beim damals zuständigen Versorgungsamt B. Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, ihre Gesundheitsstörungen seien Folge von Gewalttaten und sexuellem Missbrauch im Elternhaus sowie von sexuellem Missbrauch durch einen Fremden. Die Taten hätten sich zwischen ihrem Geburtsjahr 1962 mit abnehmender Tendenz bis 1980 zugetragen.

3

Nachdem das Versorgungsamt die Klägerin angehört, eine Vielzahl von Arztberichten, insbesondere über psychiatrische Behandlungen der Klägerin, sowie eine schriftliche Aussage ihrer Tante eingeholt hatte, stellte die Ärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. mit Gutachten vom 26.9.2001 für das Versorgungsamt zusammenfassend fest, die Untersuchung der Klägerin habe nur in Ansätzen detaillierte Angaben zu den geltend gemachten Misshandlungen und dem sexuellen Missbrauch erbracht. Diagnostisch sei von einer Persönlichkeitsstörung auszugehen. Aufgrund der Symptomatik sei nicht zu entscheiden, ob die psychische Störung der Klägerin ein Milieuschaden im weitesten Sinne sei oder mindestens gleichwertig auf Gewalttaten im Sinne des OEG zurückzuführen sei. Das Versorgungsamt lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab: Die psychische Störung könne nicht als Folge tätlicher Gewalt anerkannt werden. Zwar seien einzelne körperliche Misshandlungen, Schläge und sexueller Missbrauch geschildert worden, insbesondere aber insgesamt zerrüttete Familienverhältnisse. Vor allem diese frühere, allgemeine familiäre Situation sei für die psychischen Probleme verantwortlich (Bescheid vom 15.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2002).

4

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die - zunächst gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) und ab 1.1.2008 gegen den jetzt beklagten Landschaftsverband gerichtete - Klage nach Anhörung der Klägerin, Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Sozialmedizin Dr. S. vom 23.6.2005 sowie eines Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin H. vom 5.4.2005 auf aussagepsychologischem Gebiet durch Urteil vom 29.8.2008 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) NRW hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16.12.2011), nachdem es ua zur Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ein auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG erstattetes Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Sp. vom 25.9.2009 sowie eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. S. vom 20.4.2011 beigezogen hatte. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

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Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach § 1 OEG iVm § 31 BVG, weil sich vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die Klägerin, die zur Verursachung der bei ihr bestehenden Gesundheitsschäden geeignet wären, nicht hätten feststellen lassen. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens sei es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß wahrscheinlich, dass die Klägerin in ihrer Kindheit und Jugend Opfer der von ihr behaupteten körperlichen und sexuellen Misshandlungen und damit von Angriffen iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Keiner der durch das SG vernommenen Zeugen habe die von der Klägerin behaupteten anhaltenden und wiederholten Gewalttätigkeiten durch ihren Vater und ihre Mutter und erst recht nicht den von ihrem Vater angeblich verübten sexuellen Missbrauch bestätigt. Das LSG folge der Beweiswürdigung des SG, das keine generellen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen dargelegt habe. Es habe daher das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, die Zeugen nicht erneut zu vernehmen. Angesichts des langen Zeitablaufs seit der Zeugenvernehmung durch das SG und mangels neuer Erkenntnisse zu den angeschuldigten Ereignissen, die noch wesentlich länger zurücklägen, gehe das LSG davon aus, dass eine erneute Zeugenvernehmung nicht ergiebig gewesen wäre und lediglich die Aussagen aus der ersten Instanz bestätigt hätte. Zudem hätten die Mutter der Klägerin sowie einer ihrer Brüder gegenüber dem LSG schriftlich angekündigt, im Fall einer Vernehmung erneut das Zeugnis aus persönlichen Gründen zu verweigern. Das LSG habe deswegen auf ihre erneute Ladung zur Vernehmung verzichtet.

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Ebenso wenig habe sich das LSG allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG bilden können, da es ihre Angaben in wesentlichen Teilen nicht als glaubhaft betrachte. Denn sie widersprächen im Kern den Aussagen ihres Vaters und ihres anderen Bruders. Die dadurch begründeten ernstlichen Zweifel am Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen habe die aussagepsychologische Begutachtung der Klägerin durch die vom SG beauftragte Sachverständige H. nicht ausgeräumt, sondern sogar bestärkt. Die vom Sachverständigen Sp. geäußerte Kritik an der aussagepsychologischen Begutachtung überzeuge das LSG nicht. Denn theoretischer Ansatz und methodische Vorgehensweise des vom SG eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Das Gutachten stütze sich insoweit zu Recht ausdrücklich auf die in der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Strafsachen (Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellten Grundsätze der aussagepsychologischen Begutachtung für Glaubhaftigkeitsgutachten, wie sie die Strafgerichte seitdem in ständiger Rechtsprechung anwendeten. Diese aussagepsychologischen Grundsätze seien auf den Sozialgerichtsprozess übertragbar. Dabei könne dahinstehen, ob im Strafprozess grundsätzlich andere Beweismaßstäbe gälten als im Sozialgerichtsprozess. Denn die genannten wissenschaftlichen Prinzipien der Glaubhaftigkeitsbegutachtung beanspruchten Allgemeingültigkeit und entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Ihre Anwendung sei der anschließenden Beweiswürdigung, die etwaigen Besonderheiten des jeweiligen Prozessrechts Rechnung tragen könne, vorgelagert und lasse sich davon trennen.

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Die nach diesen aussagepsychologischen Grundsätzen von der Sachverständigen H. gebildete Alternativhypothese, dass es sich bei den Schilderungen der Klägerin um irrtümliche, dh auf Gedächtnisfehlern beruhende Falschangaben handele, lasse sich nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nicht widerlegen, sondern gut mit den vorliegenden Daten vereinbaren. Hierfür sprächen die großen Erinnerungslücken der Klägerin hinsichtlich ihrer frühen Kindheit, wobei in der aussagepsychologischen Forschung ohnehin umstritten sei, ob es überhaupt aktuell nicht abrufbare, aber trotzdem zuverlässig gespeicherte Erinnerungen an lange zurückliegende Ereignisse gebe. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich das Gericht bei der Beurteilung "wiedergefundener" Erinnerungen sachverständiger Hilfe nicht nur bedienen könne, sondern sogar bedienen müsse, obwohl die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen sowie Beteiligten und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen grundsätzlich richterliche Aufgabe sei. Die Entscheidung des SG für eine aussagepsychologische Begutachtung sei angesichts der Besonderheiten der Aussageentstehung bei der Klägerin jedenfalls ermessensgerecht. Auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kenntnisstands habe die Sachverständige H. darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Wahrnehmung durch die jahrelange psychotherapeutisch unterstützte mentale Auseinandersetzung der Klägerin mit den fraglichen Gewalterlebnissen durch nachträgliche Bewertungen überlagert und damit unzugänglich geworden sein könne. Daher hätten die Angaben der Klägerin, um als erlebnisbegründet angesehen zu werden, wegen der Gefahr einer möglichen Verwechslung von Gedächtnisquellen besonders handlungs- und wahrnehmungsnahe, raum-zeitlich vernetzte Situationsschilderungen enthalten müssen, die konsistent in die berichtete Gesamtdynamik eingebettet und konstant wiedergegeben würden. Diese Qualitätsanforderungen erfüllten die Schilderungen der Klägerin nicht, da sie nicht das erforderliche Maß an Detailreichtum, Konkretheit und Konstanz aufwiesen und nicht ausreichend situativ eingebettet seien.

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Das Gutachten des Sachverständigen Sp. habe das Ergebnis der aussagepsychologischen Begutachtung nicht entkräften können. Da er weder eine hypothesengeleitete Analyse der Angaben der Klägerin nach den genannten wissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen noch ein Wortprotokoll seiner Exploration habe zur Verfügung stellen können, sei die objektive Überprüfbarkeit seiner Untersuchungsergebnisse stark eingeschränkt. Er habe eingeräumt, als Psychiater die aussagepsychologische Begutachtung nicht überprüfen und bewerten zu können und seinerseits durch seinen klinisch-psychiatrischen Zugang nicht zur Wahrheitsfindung in der Lage zu sein. Schließlich sei der von ihm vorgenommene Rückschluss von psychiatrischen Krankheitsanzeichen der Klägerin, konkret dem Vorliegen einer von ihm festgestellten posttraumatischen Belastungsstörung, auf konkrete schädigende Ereignisse iS des § 1 OEG in der Kindheit der Klägerin wegen der Vielzahl möglicher Ursachen einer Traumatisierung methodisch nicht haltbar.

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Der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) komme der Klägerin nicht zugute. Zwar sei diese Regelung analog anzuwenden, wenn andere Beweismittel, wie zB Zeugen, nicht vorhanden seien. Lägen dagegen - wie hier - Beweismittel vor und stützten diese das Begehren des Anspruchstellers nicht, könne die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht angewendet werden, weil diese Norm gerade das Fehlen von Beweismitteln voraussetze. Selbst bei Anwendung des Beweismaßstabs der Glaubhaftigkeit bliebe allerdings die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Denn aufgrund des methodisch einwandfreien und inhaltlich überzeugenden aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. stehe für das LSG fest, dass die Angaben der Klägerin nicht als ausreichend glaubhaft angesehen werden könnten, weil zu viele Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Erinnerungen verblieben.

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Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 15 S 1 KOVVfG, des § 128 Abs 1 S 1 SGG sowie des § 1 Abs 1 OEG. Hierzu führt sie im Wesentlichen aus: Das LSG habe seiner Entscheidung nicht die Regelung des § 15 S 1 KOVVfG zugrunde gelegt und damit den anzulegenden Beweismaßstab verkannt. Richtigerweise hätte es hinsichtlich des von ihr behaupteten sexuellen Missbrauchs der Erbringung des Vollbeweises nicht bedurft; vielmehr wäre insoweit eine Glaubhaftmachung allein aufgrund ihrer Angaben ausreichend gewesen. Denn bezüglich dieses Vorbringens seien - bis auf ihren Vater als möglichen Täter - keine Zeugen vorhanden. Die Möglichkeit, dass sich die von ihr beschriebenen Vorgänge tatsächlich so zugetragen hätten, sei nicht auszuschließen; das Verbleiben gewisser Zweifel schließe die Glaubhaftmachung nicht aus. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie sich erst durch Therapien im Laufe des Verwaltungsverfahrens an die Geschehnisse habe erinnern können.

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Das LSG habe ferner gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG verstoßen, da es ein aussagepsychologisches Gutachten berücksichtigt habe. Ein solches Gutachten habe nicht eingeholt und berücksichtigt werden dürfen, da aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen keine geeigneten Mittel der Sachverhaltsfeststellung darstellten. Die Arbeitsweise bei aussagepsychologischen Gutachten lasse sich entgegen der Auffassung des LSG nicht ohne Weiteres auf sozialrechtliche Entschädigungsprozesse übertragen, da diese nicht mit Strafverfahren vergleichbar seien. Denn in Strafverfahren sei die richterliche Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen in der Weise gefordert, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit bestehe, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht laut werden dürften. Das OEG hingegen sehe gemäß § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 S 1 KOVVfG einen herabgesetzten Beweismaßstab vor. Ein weiterer Grund, weshalb aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen nicht eingeholt werden dürften, sei die darin erfolgende Zugrundelegung der sog Nullhypothese. Diese entspreche im Strafverfahren dem Grundsatz "in dubio pro reo", sodass als Arbeitshypothese von der Unschuld des Angeklagten auszugehen sei; mit sozialgerichtlichen Verfahren sei dies jedoch nicht in Einklang zu bringen. Zudem unterscheide sich die Art der Gutachtenerstattung in den beiden Verfahrensordnungen; in sozialgerichtlichen Verfahren erstatte der Sachverständige das Gutachten aufgrund der Aktenlage und einer Untersuchung der Person, wohingegen der Sachverständige im Strafprozess während der gesamten mündlichen Verhandlung anwesend sei und dadurch weitere Eindrücke von dem Angeklagten gewinne. Schließlich könne eine aussagepsychologische Untersuchung der Aussage eines erwachsenen Zeugen zu kindlichen Traumatisierungen auf keinerlei empirisch gesicherte Datenbasis hinsichtlich der Unterscheidung zwischen auto- oder fremdsuggerierten und erlebnisbasierten Erinnerungen zurückgreifen und sei daher wissenschaftlich nicht sinnvoll.

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Ein weiterer Verstoß gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG liege in einer widersprüchlichen, mitunter nicht nachvollziehbaren und teilweise einseitigen Beweiswürdigung des LSG begründet, womit es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten habe. Das LSG habe den Aussagen ihres Bruders sowie ihres Vaters ein höheres Gewicht als ihren eigenen Angaben beigemessen und sich nicht kritisch mit den Zeugenaussagen auseinandergesetzt. Es sei einerseits von einer unberechenbaren Aggressivität des Vaters, einer aggressiven Atmosphäre und emotionalen Vernachlässigung in der Familie sowie einigen nachgewiesenen körperlichen Misshandlungen ausgegangen, halte andererseits jedoch ihre Angaben zu den Misshandlungen nicht für glaubhaft. Kaum berücksichtigt habe es zudem die Aussage ihrer Tante. Das LSG habe ferner ihre teilweise fehlenden, ungenauen oder verspäteten Erinnerungen nur einseitig zu ihrem Nachteil gewürdigt und dabei nicht in Erwägung gezogen, dass diese Erinnerungsfehler Folgen ihres Alters zum Zeitpunkt der Vorfälle, der großen Zeitspanne zwischen den Taten und dem durchgeführten Verfahren sowie ihrer Krankheit sein könnten. Im Rahmen des OEG könnten auch bruchstückhafte, lückenhafte oder voneinander abweichende Erinnerungen als Grundlage für eine Überzeugungsbildung ausreichen. Nicht umfassend gewürdigt habe das LSG schließlich das aussagepsychologische Gutachten, das selbst Anlass zur Kritik biete. Auch dieses habe nicht berücksichtigt, dass die Erinnerungslücken und Abweichungen in den Angaben eine Erscheinungsform ihrer Krankheit sein könnten. Dieses Gutachten entspreche daher nicht den erforderlichen wissenschaftlichen Standards und könne auch aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden. Zudem hätte das Gutachten von einem auf Traumatisierung spezialisierten Psychologen erstattet werden müssen.

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Das LSG habe darüber hinaus verkannt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 OEG bereits durch ihre grobe Vernachlässigung als Schutzbefohlenen erfüllt seien. Das Verhalten ihrer Eltern sei nicht durch ein Züchtigungsrecht gedeckt gewesen. Die familiäre Atmosphäre sei - wie von den Vorinstanzen festgestellt - von elterlicher Aggression, gestörten Beziehungen und emotionaler Vernachlässigung geprägt gewesen. Zudem habe das LSG einige Schläge als erwiesen erachtet. Auch die fachärztlichen Gutachten hätten ergeben, dass ihre psychische Störung jedenfalls durch die aggressive Familienatmosphäre verursacht worden sei.

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Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 sowie des Sozialgerichts Detmold vom 29. August 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2002 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen von sexuellem Missbrauch sowie körperlichen und seelischen Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

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Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

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Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom 29.1.2013). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Klägerin ist zulässig.

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Sie ist vom LSG zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten (§ 164 Abs 1 und 2 SGG). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem OEG auf eine Vielzahl von schädigenden Vorgängen stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in drei Gruppen zusammenzufassen: seelische Misshandlungen (Vernachlässigung, beeinträchtigende Familienatmosphäre), körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch.

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Soweit die Klägerin Entschädigung wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern geltend macht, hat sie einen Verstoß gegen materielles Recht hinreichend dargetan. Sie ist der Ansicht, die betreffenden Vorgänge würden von § 1 OEG erfasst. Soweit das LSG umfangreichere körperliche Misshandlungen der Klägerin im Elternhaus sowie sexuellen Missbrauch durch ihren Vater bzw einen Fremden verneint hat, rügt die Klägerin zunächst substantiiert eine Verletzung von § 15 S 1 KOVVfG, also eine unzutreffende Verneinung der Anwendbarkeit einer besonderen Beweiserleichterung(vgl dazu BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 124 f = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass insbesondere dafür, ob sie Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei, Beweismittel vorhanden seien. Im Hinblick darauf, dass die Vorinstanz hilfsweise auf § 15 S 1 KOVVfG abgestellt hat, bedarf es auch dazu einer ausreichenden Revisionsbegründung. Diese sieht der Senat vornehmlich in der Rüge der Klägerin, das LSG habe, indem es in diesem Zusammenhang auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 Bezug genommen habe, ein ungeeignetes Beweismittel verwertet (vgl allgemein dazu zB BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527; BGH Beschluss vom 15.3.2007 - 4 StR 66/07 - NStZ 2007, 476) und damit seiner Entscheidung zugleich einen falschen Beweismaßstab zugrunde gelegt. Dazu trägt die Klägerin ua vor, dass die Sachverständige H. ihr Glaubhaftigkeitsgutachen nach anderen Kriterien erstellt habe, als im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 S 1 KOVVfG maßgebend seien.

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Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft. Im Übrigen - also hinsichtlich Folgen seelischer Misshandlungen - ist die Revision unbegründet.

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1. Einer Sachentscheidung entgegenstehende, von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

23

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass bereits während des Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 20 mwN). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482) hat die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21, und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG)ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 OEG gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu richten hat. Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung klargestellt, dass sie im vorliegenden Verfahren ausschließlich einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente verfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 12).

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2. Für einen Anspruch der Klägerin auf eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

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a) Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 OEG gegeben sind(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

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In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

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b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden Senats ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 mwN).

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In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG sein(BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Eine Erstreckung dieses Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen hat das Bundessozialgericht (BSG) bislang abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

29

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

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Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen Fußtritt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

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Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der Wortlautinterpretation hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der Senat jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 44 mwN). So ist beim "Stalking" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 69 mwN).

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c) Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

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Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN).

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Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

35

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

36

3. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern.

37

Entgegen der Ansicht der Klägerin stellen die von den Vorinstanzen angenommenen allgemeinen Verhältnisse in der Familie der Klägerin keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar. Das SG hat hierzu festgestellt, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen seien mehr auf ein Zusammenwirken atmosphärisch ungünstiger Entwicklungsbedingungen (ablehnende Haltung der Mutter gegenüber der Klägerin, unberechenbare Aggressivität sowie grenzüberschreitende weinerliche Anhänglichkeit des Vaters) zurückzuführen (S 23 des Urteils). Darauf hat das LSG Bezug genommen. Die Verhaltensweise der Eltern hat danach zwar seelische Misshandlungen der Klägerin umfasst, es fehlt insoweit jedoch an dem Merkmal der Gewaltanwendung im Sinne einer gegen den Körper der Klägerin gerichteten Tätlichkeit.

38

4. Soweit die Klägerin Beschädigtenrente nach dem OEG wegen der Folgen körperlicher Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung unmöglich. Derartige schädigende Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 OEG erfasst, soweit sie nicht von dem seinerzeit noch anerkannten elterlichen Züchtigungsrecht(vgl BGH Beschluss vom 25.11.1986 - 4 StR 605/86 - JZ 1988, 617) gedeckt waren. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

39

a) Das LSG hat unterstellt, dass als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe einzelne Schläge durch die Eltern (ein heftiger Schlag durch den Vater sowie zwei "Ohrfeigen" durch die Mutter) nachgewiesen seien. Diese hätten jedoch nicht genügt, um die gravierenden seelischen Erkrankungen der Klägerin zu verursachen. Das LSG verweist hierbei auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. S. sowie auf die Ausführungen des SG, wonach diese Taten keine posttraumatische Belastungsstörung hätten auslösen können. Die hierauf gründende tatrichterliche Wertung des LSG ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Weder lässt sich feststellen, dass die Vorinstanz insoweit von unrichtigen Rechtsbegriffen ausgegangen ist, noch hat die Klägerin die betreffenden Tatsachenfeststellungen mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen.

40

b) Den überwiegenden Teil der von der Klägerin angegebenen körperlichen Misshandlungen durch deren Eltern sowie den behaupteten sexuellen Missbrauch durch deren Vater und einen Fremden hat das LSG nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 KOVVfG, die der Senat nicht teilt.

41

Nach § 15 S 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).

42

Diesen Kriterien hat das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 KOVVfG mit der pauschalen Begründung verneint hat, es lägen Beweismittel vor. Zwar hat sich das LSG hinsichtlich der Verneinung umfangreicher körperlicher Misshandlungen der Klägerin durch ihre Eltern, insbesondere durch den Vater, auch auf die Zeugenaussage des Bruders T. der Klägerin gestützt. Es hätte insoweit jedoch näher prüfen müssen, inwiefern die Klägerin Misshandlungen behauptet hat, die dieser Zeuge (insbesondere wegen Abwesenheit) nicht wahrgenommen haben kann. Soweit es den angegebenen sexuellen Missbrauch betrifft, ist nicht ersichtlich, dass diesen eine als Zeuge in Betracht kommende Person wahrgenommen haben kann.

43

c) Soweit das LSG den § 15 S 1 KOVVfG hilfsweise herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das LSG insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem Senat Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog Glaubhaftigkeitsgutachten in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem OEG einzugehen.

44

aa) Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

45

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 20, 23).

46

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des Wirklichkeitsbezuges einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

47

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergeben sich aus den Ausführungen in dem Urteil des LSG NRW vom 28.11.2007 - L 10 VG 13/06 - (Juris RdNr 25) keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das LSG NRW hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein begründbarer Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem Zeitraum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das LSG NRW zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das LSG NRW ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten (LSG NRW, aaO, Juris RdNr 25). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das LSG NRW gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

48

bb) Für die Erstattung von Glaubhaftigkeitsgutachten gelten auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der BGH in der Entscheidung vom 30.7.1999 (1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht vgl Fabian/Greuel/Stadler, StV 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl Vogl, NJ 1999, 603), die Glaubhaftigkeitsgutachten allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 48 ff; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 16 ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167 ff mwN; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/Volbert, wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog Nullhypothese (Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der Nullhypothese sowie das Ausgehen von dieser kritisierend Stanislawski/Blumer, Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw Alternativhypothesen zu bilden (vgl beispielhaft hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 52 f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw Alternativhypothesen verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

49

Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), Aussagequalität (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie Aussagevalidität (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit Schumacher, StV 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene (zB der Ebene der Aussagequalität) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen (Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 62).

50

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die Aussagequalität überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die Aussagevalidität betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw Alternativhypothesen; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

51

Diese Prüfungsschritte müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

52

cc) Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog Nullhypothese, vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu SG Fulda Urteil vom 30.6.2008 - S 6 VG 16/06 - Juris RdNr 33 aE; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.7.2010 - L 13 VG 25/07 - Juris RdNr 36; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.6.2012 - L 4 VG 13/09 - Juris RdNr 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese äußernd LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - ZFSH/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

53

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von Alternativhypothesen zur Wahrannahme zu belegen (Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 20, 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige Aussagequalität haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 22). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, StV 2004, 284, 286).

54

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 205), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu Volbert, aaO S 20). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl Volbert, aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

55

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der Vollbeweis gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des Klägers bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von Glaubhaftigkeitsgutachten ausgehend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.9.2008 - L 11 VG 33/08 - Juris RdNr 24 ff; LSG NRW Urteil vom 29.9.2010 - L 6 (7) VG 16/05 - Juris RdNr 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG Bayerisches LSG Urteil vom 30.6.2005 - L 15 VG 13/02 - Juris RdNr 40; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 5.6.2008 - L 13 VG 1/05 - Juris RdNr 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris RdNr 38 ff).

56

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog Nullhypothese - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527, 2528 f; Saarländisches OLG Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris RdNr 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris RdNr 64 ff). In diesen Verfahren ist der Vollbeweis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

57

dd) Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle Alternativhypothesen ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten den Vollbeweis ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können.

58

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die Beweisfragen entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

59

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl Lösel/Bender, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd 7, 2001, S 175, 184). Denn dem Tatsachengericht ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw Wahrscheinlichkeitsgrade für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

60

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 gestützt. Dieses Glaubhaftigkeitsgutachten ist vom SG zu den Fragen eingeholt worden:

        

Sind die Angaben der Klägerin zu den Misshandlungen durch die Eltern und zum sexuellen Missbrauch durch den Vater (…) unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlich-aussagepsychologischen Kenntnisstandes insgesamt oder in Teilen glaubhaft? Sind die Angaben insbesondere inhaltlich konsistent und konstant und sind aussagerelevante Besonderheiten der Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin zu berücksichtigen? Welche Gründe sprechen insgesamt für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben?

61

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen H. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in der Einleitung zu ihrem Gutachten ("Formaler Rahmen der Begutachtung") erklärt, dass sich das Vorgehen bei der Begutachtung und die Darstellung der Ergebnisse nach den Standards wissenschaftlich fundierter Glaubhaftigkeitsbegutachtung richte, wie sie im Grundsatzurteil des BGH vom 30.7.1999 (BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746) dargelegt seien (S 1 des Gutachtens).

62

Da das Berufungsurteil mithin - soweit es die Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG betrifft - offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende Senat die Beurteilung des LSG auch zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

63

5. Der erkennende Senat sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil die jetzt nach zutreffenden Beweismaßstäben vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG).

64

6. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

(1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen.

(3) Abkömmlinge und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt die Anerkennung, Opfer schädigender Ereignisse in Form von sexuellem Missbrauch zwischen 1966 und 1978 geworden zu sein und infolgedessen unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bzw. einer rezidivierenden depressiven Störung und schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen zu leiden.
Die am ... Januar 1962 geborene Klägerin zog im Alter von 16 Jahren aus dem Elternhaus aus, wo sie bis dahin mit zwei älteren und einem jüngeren Bruder aufgewachsen war. Sie machte den Hauptschulabschluss, danach zunächst eine Ausbildung zur Kinderpflegerin, später zur Wochenpflegerin, Arzthelferin und Krankenschwester. Im Jahr 1980 heiratete sie und bekam drei Kinder, geboren 1981, 1984 und 1988. Sie war erwerbstätig als Arzthelferin, als Nachtwache im Krankenhaus, als Kinderpflegerin und als sozialpädagogische Familienhelferin. 1985 kollabierte sie während eines Nachtdienstes, litt anschließend unter Schlafstörungen, Kraftlosigkeit, Appetitstörungen und machte eine Kur in Bad S. wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände und damals fraglicher depressiver Episode. 1992 führte sie eine Mutter-Kind-Kur in C. wegen starker Erschöpfung durch, ob eine depressive Episode vorlag, ist nicht unbekannt (GA Dr. F. Bl. 68 SG-Akte). Sie machte zahlreiche Fortbildungen: Im März 2004 bildete sie sich im Selbststudium zur beratenden Kinderpsychologin (nicht anerkannt) fort, im selben Jahr besuchte sie den Fachtag Dokumentation und Beobachtung in der offenen Kita-Arbeit, 2007 den Fachtag Suchtprobleme am Arbeitsplatz, wurde Betriebshelferin für Erste Hilfe, nahm an einer Veranstaltung zum Thema: „riskante Kinderwelten brauchen Schutz“ teil, am Fachtag Suchtprävention, am G.-V. Kinder und Jugendliche in der Schule, 2008 am Fachtag frühe Hilfen im O. sowie an der Fortbildung: „Risikoverhalten in der Pubertät“.
Im Jahr 2006 wurde die Ehe geschieden. Von 2008 bis 2013 führte die Klägerin eine Klage vor dem Amtsgericht H. (AG) wegen nachehelichen Ehegattenunterhalts, in dessen Verlauf sie zwecks Feststellung des Umfangs ihrer Erwerbsfähigkeit mehrfach u. a. von PD Dr. F. (aufgrund der partiellen Amnesie könne die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden, es spräche mehr gegen die Diagnose einer PTBS) begutachtet wurde. Seit 1. Februar 2009 bezieht sie unbefristet Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Bescheid Bl. 62 VV), zwischenzeitlich auch eine bis 2015 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung (Entlassbericht Bl. 137 Senatsakte). In seinem Gutachten für die D. R. vom 28. April 2009 stellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. die Diagnosen einer PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, eines psychophysischen Erschöpfungszustands und einer reaktiven Depression. Über die ersten 16 Jahre ihres Lebens habe die Klägerin keine Erinnerung, was sie berichte, habe sie von Angehörigen erfahren. Im Alter von drei Jahren habe sie wohl an einer Enzephalitis und Meningitis gelitten, Unterlagen gebe es in der Kinderklinik in G. nicht mehr. Anschließend seien regelmäßig Elektroenzephalogramme (EEGs) abgeleitet worden und sie habe bis etwa zum 15. Lebensjahr Mylepsinum einnehmen müssen. Ihr sei berichtet worden, sie habe von 1968 bis 1977 die Grund- und Hauptschule in D. besucht. Man habe ihr berichtet, sie habe keine Klassenarbeiten mitschreiben dürfen, da sie sich nicht aufregen oder freuen dürfe.
Nach der Geburt ihres Sohnes K. 1984 sei sie Anfang 1985 während eines Nachtdienstes zusammengebrochen. Sie sei zur Kur nach Bad S. gekommen. Darüber gebe es keine Unterlagen. Nach der Schwangerschaft mit ihrer Tochter 1988 habe sie ein „normales“ Leben gelebt. Bis 1994 sei sie psychisch relativ stabil gewesen, sie habe „funktioniert“. Im Rahmen einer schweren Erkrankung ihres Sohnes K. - schwere Operation mit protrahiertem Verlauf nach Platzen eines Meckel´schen Divertikels - sei der Verdacht entstanden, die Heilung des Sohnes verzögere sich oder werde unmöglich durch ihre eigenen Ängste. Daraufhin sei sie zu Dr. T. in Psychotherapie gegangen. Im Dezember 1995 sei ihr Vater gestorben und habe ihr zuvor am Sterbebett eröffnet, sie sei vom Liebhaber ihrer Mutter sexuell missbraucht worden. Anschließend habe sie sich in Therapie bei Psychotherapeutin (nach dem Heilpraktikergesetz - HPG) C. begeben. Im Rahmen der Therapie habe sich herausgestellt, dass sie wohl innerfamiliär in der Kindheit über Jahre hinweg sexuelle Missbrauchserfahrungen erlitten habe, in deren Folge es zu Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen gekommen sei.
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. stellte in seinem Gutachten für das AG vom 9. November 2008 die Diagnosen histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen (ICD-10 F 60.4, F 43.1), berichtete depressive Stimmungsschwankungen und zurückliegende Essstörung (derzeit nicht aktuell). Allgemeine Erschöpfungszustände, Stimmungsschwankungen und zugleich eher fahrige Schilderungen ließen sich unter einer histrionischen Strukturierung einordnen. Zwar kämen dissoziative Störungen auch bei einer PTBS vor, der anamnestische Kontext spreche aber weniger für die Zuordnung zu einer PTBS. Anhaltende Erinnerungen, eindeutiges und spezifisches Wiedererleben eines früheren Traumas, aufdringliche Nachhallerinnerungen würden nicht berichtet, auch kein Vermeidungsverhalten, etwa gegenüber Situationen, die Flashbacks hervorriefen oder mit der Belastungssituation in Zusammenhang gebracht würden. Sie berichte über gynäkologische Untersuchungen, die ganz komisch gewesen seien. Es sei ihr noch völlig unklar, was überhaupt passiert sei. Ihre Amnesie werde inzwischen nur partiell durchbrochen, sie habe viel erfahren, was für andere unvorstellbar sei. Hierbei assoziiere sie allerdings weniger eigene Missbrauchserfahrungen als vielmehr die Besonderheiten in ihrer Familienstruktur, die „Männerbeziehungen“ der Mutter, wo auch noch „der Vater gegenüber“ gesessen habe. Auffällig sei, dass sie - im Zusammenhang etwas abrupt - darauf zu sprechen gekommen sei, vom Vater nicht missbraucht worden zu sein.
Gegenüber dem Gutachter Dr. S. gab die Klägerin am 8. September 2008 an, sie habe bis zum 16. Lebensjahr überhaupt keine Erinnerung an ihr Leben. Das sei alles nur erforscht und berichtet.
PD Dr. F. stellte in seinem Gutachten vom 25. Oktober 2010 an das AG die Diagnose einer PTBS, differentialdiagnostisch einer generalisierten Angststörung. Das Trauma-A-Kriterium sei durch die psychiatrische Exploration nicht zu beweisen. Es bestünden deutliche Hinweise auf eine frühkindliche Traumatisierung. Aufgrund der Amnesie könne jedoch die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden. Ein False-memory-Syndrome liege nicht vor, denn die Symptomatik sei nicht durch genaue Befragungen und Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen, sondern durch die Berichte des sterbenden Vaters ausgelöst worden. Bis zum Alter von 16 Jahren habe sie zunächst keinerlei Erinnerungen an ihr Leben gehabt. Alles was sie heute wisse, seien Inhalte aus Erzählungen anderer und Erinnerungsbruchstücke, die sie in langen Jahren der Psychotherapie mit plötzlich einschießenden Bildern und nachfolgendem intensivem Nachforschen erfahren habe. Sie habe keinen Sport und keine Prüfungen machen dürfen, da man unter jeder Art von Stress einen epileptischen Anfall befürchtet habe. Die Kommunion habe sie allein erhalten, der Pfarrer habe die Beichte bei ihr zu Hause abgenommen. Sie habe teilweise bis zu 15 Medikamente bekommen. Mit 12 oder 13 Jahren sei sie innerhalb des Hauses zu ihren Großeltern mütterlicherseits gezogen und von diesen weiter aufgezogen worden. Mit 16 sei sie zu Hause ausgezogen, seitdem habe sie regelmäßige Erinnerungen an ihr Leben. Bis 1995 habe sie keine Alpträume und keine belastenden Bilder, die sie überfielen, gehabt. Ihr Vater habe ihr kurz vor seinem Tod viel Belastendes aus ihrer Kindheit und Jugend erzählt. Er habe berichtet, Onkel H. habe ihr etwas Schlimmes angetan, er habe ihr weh getan und etwas getan, was man Kindern nicht antun sollte. Er, der Vater, habe sie nicht schützen können, nicht den Mut gehabt und sich in seine Arbeit gestürzt. Es habe viele wechselnde Liebhaber der Mutter gegeben. Diese seien nach Vermutung der Klägerin ebenfalls fragliche Täter sexuellen Missbrauchs an ihr. Die Berichte ihres Vaters hätten einige Bilder zusammengeführt, die in ihrem Kopf gewesen seien und mit denen sie bis dahin nichts habe anfangen können. Leider erinnere sie sich heute nicht mehr genau an alles, was ihr Vater ihr erzählt habe. Nach dem Tod des Vaters seien ihr immer wieder belastende Bilder in den Kopf gedrängt. Inzwischen erinnere sie sich an mehrfachen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Sie habe eine Erinnerung an eine Vergewaltigung, gegen die sie sich gewehrt habe, als er sie im Schlafzimmer der Eltern aufs Bett gelegt und festgehalten habe. Sie habe ihn gebissen und versucht, ihn zu schlagen. Während der einschießenden Bilder höre sie oft seine Sprüche von Onkel H.. Er habe sie „Bettchen“ genannt, wenn sie zu ihm habe kommen sollen. Er habe gesagt, sie solle zu ihm kommen, um eine „Spritztour“ zu machen. Das sei ein Synonym für sexuelle Handlungen gewesen. Im Alter von 5 Jahren habe sie sich beim Arzt geweigert, sich auszuziehen. Ihre Mutter habe zu dem Arzt gesagt, er müsse sagen, sie solle „Striptease“ machen, dann würde sie sich ausziehen. Daher denke sie, dass zu diesem Zeitpunkt schon vieles vorgefallen sei, was mit sexuellem Missbrauch zu tun habe. Zur späteren Narkose bei der Tonsillektomie habe man sie festhalten müssen, weil sie getobt habe. Sie habe auch Erinnerungen an sexuelle Belästigungen der Haushälterin und der Freundin ihres Bruders durch Onkel H. sowie sexuelle Handlungen zwischen diesem und der Mutter auf der Wohnzimmercouch, während sie, ihre Geschwister und der Vater anwesend gewesen seien. 1996 habe sie Onkel H. gesucht, aber nicht gefunden. Ihre Familie sei nicht bereit gewesen, über die Vergangenheit zu sprechen, habe gesagt, dass sie verrückt sei. 2003 habe sie den Kontakt zu ihrer Primärfamilie aufgrund der immer vermehrt auftretenden Kindheitserinnerungen abgebrochen. An aktuellen Beschwerden habe sie berichtet, belastende Bilder würden einschießen. Sie sehe z. B. die Gestalt ihrer Patentante, auch Onkel H. mit dunklen Haaren, sehe seine Hände, höre seine Stimme. Sie habe auch schon die Form einer Flasche gesehen. Nachforschungen hätten ergeben, dass dies eine Whiskyflasche der Marke „Racke rauchzart“ sei. Ihre Mutter habe oft gesagt, sie müsse noch „Racke rauchzart“ kaufen. Sie sehe Bilder von sich im Kindes- und Jugendalter aus verschiedenen Perspektiven, neben sich, über sich oder aus ihren eigenen Augen, als sei sie selbst beteiligt. Sie habe sich in einer Ecke mit einer Decke über sich gesehen, so als habe sie sich schützen wollen. Sie habe auch immer wieder Bilder aus einem Behandlungszimmer in einem Krankenhaus gesehen. Wenn sie viele Bilder von sexuellem Missbrauch überfielen, hätten diese oft mit Onkel H. zu tun. Einmal habe sie während der Begutachtung berichtet, ein Bild würde immer wieder kommen und dann vor ihren Augen stehen bleiben. Es habe mit einem sexuellen Missbrauch an ihr zu tun, genauer könne sie es nicht beschreiben.
2004 nahm sie den dritten Vornamen P. an, 2007 machte sie diesen dritten Vornamen zum Rufnamen, nahm zwei weitere Vornamen an und behielt den Ehenamen als Nachnamen, heißt somit nun nicht mehr B. B., sondern P. D., geb. D..
Die Klägerin litt im Kleinkindalter an einer Meningoenzephalitis (Gehirnentzündung/Hirnhautentzündung) im Alter von drei Jahren, weshalb bis zum 16. Lebensjahr eine Therapie mit Primidon, einem Antikonvulsivum, durchgeführt wurde (Bericht Epilepsiezentrum K. vom 26. September 1993, betr. den Sohn der Klägerin K. D., Anlagenkovolut zur AG-Akte). Sie führte in den Jahren 1984 und 1992 stationäre Reha-Maßnahmen wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände durch. Vom 19. Dezember 2000 bis 4. Januar 2001 war sie in stationärer psychotherapeutischer Behandlung in der H. Bad Z., wegen eines Erschöpfungszustands infolge von „harter Arbeit in ambulanter Psychotherapie“, in der sie traumatische Erlebnisse in ihrer Kindheit bearbeitet habe. Dort wurde die Diagnose einer rezidivierenden mittelgradigen depressiven Störung und die Verdachtsdiagnose einer psychogenen Amenorrhoe seit 1998 gestellt (Bl. 14 VV). Ab Mai 1994 führte sie eine Psychotherapie bei Dr. T., Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, durch, seit August 1996 bei M. C., Psychotherapeutin nach dem HPG (ohne Kassenzulassung). Frau C. gab in einer Stellungnahme vom 15. August 2008 gegenüber dem Beklagten an, die Klägerin leide an Depressionen infolge schwerer Anpassungsstörungen, aufgrund über Jahre fortgesetzter schwerster Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, in deren Folge es zu Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen gekommen sei. Als Kind seien ihr Psychopharmaka, zeitweilig in Verbindung mit Alkohol, verabreicht worden. Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit März 2008 anerkannt (Bescheid vom 17. Dezember 2008, Bl. 23 VV).
10 
Am 4. Februar 2009 stellte sie über den Weißen Ring einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Der Weiße Ring gab darin an, die Klägerin sei in ihrer Kindheit Opfer eines schweren sexuellen Missbrauchs geworden. Dies führe dazu, dass sie an ca. 16 Lebensjahre keine Erinnerung habe. In langjährigen Therapien seien als Ursache hierfür Geschehnisse in der Kindheit ermittelt worden. In ihrem Antrag gab die Klägerin als schädigendes Ereignis an: sexueller Missbrauch, ca. 1965 – 1978, “als Gesundheitsstörung eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Amnesie von ca. 16 Lebensjahren, keine Zeugen, Namen der schädigenden Personen nicht bekannt“. Mit Bescheid vom 23. März 2009 wurde der Antrag abgelehnt (Bl. 28 VV). Es sei nicht objektiv nachgewiesen, dass die Klägerin Opfer einer Gewalttat geworden sei. Die Beweiserleichterung für den Fall, dass unverschuldet kein Nachweis erbracht und keine Zeugen benannt werden könnten, greife nicht ein, weil die Klägerin den Sachverhalt aufgrund der Amnesie nicht aus eigener Erinnerung beschreiben könne. Die ärztlichen Befundberichte reichten für eine Beweisführung nicht aus, weil aus dem vorliegenden psychiatrischen Störungsbild keine Rückschlüsse auf ein spezifisches Ereignis gezogen werden könnten und kein Profil psychiatrischer Symptome eindeutig auf eine traumatische Vergangenheit hinweise.
11 
Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. E. vor (Bl. 57 VV), der sie seit 1997 betreute. Demnach stehe im Vordergrund der zweimal monatlichen Konsultationen ein psycho-physischer Erschöpfungszustand bei posttraumatischer Belastungsstörung nach kindlicher Missbrauchserfahrung. Sie könne sich an Einzelheiten in ihrer Kindheit und Jugend nicht erinnern. Diese seien erst nach mehrjährigen mehrfachen Psychotherapien in einem extrem belastenden Prozess wieder aufgetaucht. Sie leide häufig unter ausgeprägter körperlicher Schwäche und somatischen Beschwerden ohne somatisches Korrelat, Bauchschmerzen, Leistenschmerzen, Schmerzen im linken Bein und Sensibilitätsstörungen in der linken Gesichtshälfte. 1999 habe sie bis auf 42 kg abgenommen und in den letzten Jahren bis auf 75 kg zugenommen. Beim Neurologen und Psychiater S. war sie seit 2001 nur in mehrjährigen Abständen. 2001 nahm sie an einer geleiteten Frauengruppe des Vereins „A.“ mit dem Anliegen, eigene Selbstzweifel bezüglich ihrer Gewalterfahrungen zu klären, teil (Bl. 61 VV). Weiterhin legte sie eine Stellungnahme der Frau C. vom 13. Oktober 2009 (Bl. 88 VV) vor. Darin schildert diese die „Geschichte“ der Klägerin, die nicht in der Lage sei, selbst darüber zu berichten. Seit dem Tod des Vaters, der ihr auf dem Sterbebett über Familiengeheimnisse berichtet habe, seien sie und ihr Sohn immer kränker geworden, ohne dass die Ärzte hätten sagen können, was ihr fehle. Der kleinen B. sei ein absolutes Redeverbot unter Androhung härtester Strafen auferlegt worden. „…H. ist der offizielle Liebhaber der Mutter und thront ab 1962 im Wohnzimmer auf dem Sofa neben der Mutter, vor sich eine Flasche Whisky. … Ab kleinster Kindheit (ca. 4 - 5 Jahre) wird P. vom Liebhaber H. sexuell missbraucht. Sie wird auch in fremde Häuser gebracht, man gibt ihr Alkohol und Medikamente, damit sie ruhig bleibt. … Sie wird oral und anal vergewaltigt, regelmäßig, von verschiedenen Männern, wird zeitweise währenddessen fixiert, wird eingesperrt. Andere Kinder sind auch dabei, auch manchmal ihr Bruder M., vor allem eine gleichaltrige Tochter von H.. … Eine zweite Frau scheint allgegenwärtig im System und dokumentiert alles, wie wenn es ein Experiment wäre: Tante G., Schwester des Vaters (medizintechnische Assistentin in einem Versuchslabor). Bei vielen „Experimenten“ an den Kindern waren die Männer als Arzt verkleidet (weißer Kittel und Stethoskop). Damit keine Informationen über die Familie nach außen drängen, werden Kontakte zu anderen Kindern unterbunden, B. darf nicht zum Sport, alles mit der Erklärung, das Kind sei psychisch labil, hätte epileptische Anfälle. Mit 12 Jahren wird B.-P. schwanger, unter dem Vorwand einer Blinddarmoperation wird sie nach N. zu Tante K. gebracht, wo sie „operiert“ wird, wo eine Abtreibung vorgenommen wurde…“. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 83 VV).
12 
Am 10. Juni 2010 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihre Mutter habe an den Missbrauchshandlungen mitgewirkt. Sie selbst habe an ihre ersten 15 bis 16 Lebensjahre kaum oder lediglich bruchstückhafte Erinnerungen. Im Rahmen sogenannter Flashbacks habe sie mit ihrer Therapeutin in langjähriger Therapie zahlreiche Vorfälle sexuellen Missbrauchs zusammentragen können. Ihr Bruder M., dessen Aufenthaltsort sie nicht kenne, sei bei den sexuellen Übergriffen zum Teil zugegen gewesen und habe am Sterbebett des Vaters dessen Berichte mitgehört. Sie habe alles Zumutbare zur Sachverhaltsaufklärung getan, so dass die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG eintrete. Die bei ihr vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergäben eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für sexuellen Missbrauch, auch die nur bruchstückhafte Erinnerung. Dies sei durch Gutachten belegt.
13 
Frau C. hat in ihrer Auskunft an das SG vom 7. Januar 2011 angegeben, es bestehe der Verdacht auf eine PTBS nach ICD-10 F 43.1 und der Verdacht auf dissoziative Amnesien sowie dissoziativen Stupor und dissoziative Bewegungsstörungen nach ICD-10 F 44.0, F 44.2.0 und F 44.7. Man müsse davon ausgehen, dass diese dissoziativen Zustände zur Zeit der Traumatisierung als emotional-physiologische Notlösung des Gehirns entstanden seien, das sonst keine Möglichkeit gehabt habe, die massiven, sadistisch geprägten sexuellen Übergriffe zu bearbeiten. Die ursprüngliche Symptomatik habe bereits darauf hingedeutet, dass sie an den Folgen einer langjährigen schwersten Traumatisierung leide. Zur Stabilisierungsphase habe der totale Bruch mit der Ursprungsfamilie mit Namensänderung 2007 gehört. Ab 1998 seien Erinnerungsfetzen an die Oberfläche gekommen, die allerdings nicht sprachlich, dafür aber mit nonverbalen Methoden hätten aufgedeckt werden können. Bis vor 1 – 2 Jahren habe noch das Redeverbot auf der Klägerin gelastet. Die Schaffung eines Zugangs zum Traumamaterial habe nur mit Hilfe von Psychopharmaka verkraftet werden können, jetzt sei die Klägerin teilweise abhängig von Benzodiazepinen, um sich gegen überflutende traumaartige Bilder zu wehren und schlafen zu können. Bis heute könne keine Traumaexposition durchgeführt werden, weil mit einer erneuten Destabilisierung zu rechnen sei. Die wiederholten Explorationen zur Erstellung von Gutachten hätten jeweils eine schwerwiegende Retraumatisierungssymptomatik provoziert. Die Scheidung 2005 habe neue Belastungsfaktoren in Form einer Unterhaltsklage mit sich gebracht. Im Hintergrund der vorliegenden Auseinandersetzung stehe das Bedürfnis, mit ihrer Geschichte gehört und anerkannt zu werden, damit ihr existentielles Bedürfnis nach Gerechtigkeit gestillt werden könne.
14 
Das SG hat die Klägerin in mündlicher Verhandlung am 16. September 2011 gehört (Niederschrift Bl. 88 SG-Akte). Sie hat angegeben, nach konkreten Erinnerungen an ihre Kinder- und frühe Jugendzeit befragt, könne sie sich tatsächlich nicht an Details, d. h. Gesichter oder Räumlichkeiten oder Sachverhalte erinnern. Vielmehr habe sie aus Erzählungen Dritter, z. B. zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, die sie im Kinder- und Jugendalter gehabt habe, Informationen erhalten. Diese halte sie für die Realität. Hierauf beschränkten sich letztlich ihre “Erinnerungen“ an diese Zeit. Da sie ab dem dritten Lebensjahr wegen ihrer angeblichen Erkrankungen mit Medikamenten versorgt worden sei, nehme sie an, dass die an ihr verübten Taten zu diesem Zeitpunkt begonnen haben müssten.
15 
Das SG hat den Bruder der Klägerin, den Zeugen R.-M. B., Rufname M., und die Haushälterin der Familie, die Zeugin B. S., durch einen ersuchten Richter beim Sozialgericht S. vernehmen lassen. Die Mutter der Klägerin hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Der Zeuge B. hat in seiner Vernehmung angegeben, die Klägerin habe ca. 1964 eine Hirnhautentzündung gehabt und sei dadurch sehr zurückgeworfen gewesen, in der Schule und so. Das habe sich erst in der Lehre gebessert. Sein Vater habe nach 18 Uhr ein Bier oder ein Glas Wein getrunken, er habe ihn aber nicht betrunken erlebt. Die Hausangestellte sei nur stundenweise gekommen. Onkel H., ein weitläufiger Verwandter seines Vaters, habe nicht im Haus gewohnt. Seines Wissens seien keine sexuellen Handlungen an der Klägerin vorgefallen, er habe auch nichts hierüber gehört. Von einer Schwangerschaft der Klägerin ca. 1974 wisse er nichts. Sein Vater habe vor seinem Tod eine Lebensbeichte abgelegt, alles vom Krieg bis zu seinem Sterbedatum erzählt. Über die Klägerin habe er nicht gesprochen. Onkel H. sei öfter nach Feierabend zu Besuch gewesen, allerdings habe er, der Zeuge, da nicht mehr zu Hause gelebt. Gegenstand der Lebensbeichte des Vaters sei auch gewesen, dass der jüngere Bruder M. nicht sein Sohn, sondern Onkel H. dessen Vater sei. Die Zeugin S. hat bekundet, sie habe sich meist abends stundenweise um die Klägerin gekümmert. Onkel H. sei gelegentlich dort im Haus gewesen. Zu einem sexuellen Missbrauch könne sie nichts sagen, weder aus eigenen Wahrnehmungen noch vom Hörensagen. Zu einer Schwangerschaft der Klägerin Mitte der Siebziger Jahre könne sie keine Angaben machen. Sie sei zu diesem Zeitpunkt noch regelmäßig dort gewesen. Ihr sei nichts aufgefallen. Sie habe bis heute Kontakt zur Mutter der Klägerin und dem jüngeren Bruder M..
16 
Die Klägerin hat Fotos vorgelegt (Bl. 253 SG-Akte), auf denen eine von ihr als Onkel H. bezeichnete männliche Person auf einem Sofa neben der Mutter sitzt, neben der Klägerin – beide rauchend – den Arm um sie legend, stehend neben der Zeugin S., die den Arm um ihn legt, Urlaubsbilder und Bilder ihrer Trauung, bei der sie neben Onkel H. zu sehen ist.
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Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. März 2013 abgewiesen. Ausgangspunkt für die Feststellung eines schädigenden Ereignisses sei das Vorbringen der Klägerin. Bei ihr bestünden an den fraglichen Zeitraum, mithin auch an die geltend gemachten Taten, keine konkreten Erinnerungen. Vorhanden seien lediglich die im Rahmen der Psychotherapie bei Frau C. zutage geförderten bruchstückhaften Erinnerungen, die sich als einschießende Bilder mit belastender psychischer Reaktion darstellten. Dabei sei klar, dass es sich bei den Bildern, die der Klägerin spontan vor Augen träten, nicht um Erinnerungen an konkrete Geschehensabläufe in der Vergangenheit handele, sondern um bildhaft innerpsychische Vorgänge, die einer Interpretation bzw. Deutung bedürften. Daher sei nicht die Frage, ob die Angaben der Klägerin überzeugend und glaubhaft seien, sondern ob diese den Schluss zuließen, dass sich die geltend gemachten Geschehensabläufe tatsächlich zugetragen hätten. Dies sei nach dem Beweisergebnis nicht der Fall. Es schließe sich der Beurteilung des PD Dr. F. an, der dargelegt habe, dass die einschießenden Bilder nicht den zwingenden Schluss zuließen, das sich der Missbrauch so zugetragen und daher nur die Verdachtsdiagnose einer PTBS gestellt habe. Die entgegenstehende Stellungnahme der behandelnden Psychotherapeutin, die keine Facharztausbildung habe und deren Stellungnahmen jegliche professionelle Distanz vermissen ließen, hätten dagegen nicht überzeugt. Die Angaben der Klägerin außerhalb des Kerngeschehens hätten sich ebenfalls nicht bestätigen lassen, so das Vorbringen, ihr Bruder M. sei zugegen gewesen, als ihr Vater auf dem Sterbebett Hinweise auf die Missbrauchshandlungen gegeben habe. Auch das Kerngeschehen, nämlich dass ihr Bruder M. teilweise bei den Missbrauchshandlugen zugegen gewesen sei, habe dieser nicht bestätigt. Die Zeugin S. habe das Klagevorbringen ebenfalls nicht bestätigt, wobei nichts gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben spreche. Die vorgelegten Fotos bewiesen zwar ein gewisses Näheverhältnis der abgebildeten Personen, aber nichts darüber hinaus. Die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG führe zu keinem anderen Ergebnis, da die Klägerin ausdrücklich zugebe, keine Angaben machen zu können, da sie sich nicht erinnere. Es halte die Schilderung der Klägerin hinsichtlich der einschießenden Bilder und des angegebenen Inhalts durchaus für glaubhaft. Dies ändere nichts daran, dass mit diesen Bildern nicht der Nachweis eines tatsächlichen Geschehensablaufs in der Vergangenheit geführt werden könne.
18 
Gegen das am 16. April 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Mai 2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Die Zeugen seien nicht glaubwürdig. Der Zeuge B. habe nicht bekennen wollen, selbst Missbrauchsopfer zu sein. Er habe ihr einen Brief geschrieben und erklärt, „…auch ich habe mir in den letzten Jahren die gleichen Fragen gestellt, wie du“. Die Zeugin S. habe sich in einem Interessenkonflikt befunden. Die vorgelegten Fotos belegten eindeutig einen mehr als vertrauten Umgang zwischen ihrer Mutter, Onkel H. und ihr selbst. Sie habe durchaus Erinnerungen, verspüre aber ein innerliches Redeverbot im Sinne eines Schweigegebots. Mit Schriftsatz vom Juni 2014 hat sie über ihre neue Bevollmächtigte mitgeteilt, einige Vorgänge schildern zu können. Sie erinnere sich an einen Urlaub in einem Waldgebiet, den sie gemeinsam mit ihrer Mutter und Onkel H. verbracht habe. Man habe in einer gemieteten Hütte gewohnt. Onkel H. habe sie im kindlichen Alter gebadet und danach ihre Genitalien untersucht. Sie erinnere sich an einen Übergriff im Gartenzimmer am Ende des Elternhauses. Onkel H. sie damals dort im kindlichen Alter aufgesucht, sei zu ihr ans Bett gekommen und habe ihr etwas aus einem Schnapsglas zu trinken gegeben. Er habe sich zu ihr ins Bett gelegt und sie am Körper berührt. Sie sei unbekleidet zurückgeblieben und habe in den Morgenstunden starke Übelkeit verspürt. Im Alter von 14 Jahren hätten sich die Übergriffe des Onkels gesteigert. An einem Tag habe sie sich im Schlafzimmer der Eltern befunden. Onkel H. habe das Zimmer betreten, sie gepackt, auf die Bettseite der Mutter geworfen und sich auf sie gelegt. Er habe ihr im Alter von 14 Jahren die Arme festgehalten und einen Zungenkuss gegeben. Sodann habe er sie gegen ihren erkennbaren Willen zwischen den Beinen berührt. Erst durch die massive Gegenwehr habe er von ihr abgelassen.
19 
Die Klägerin beantragt,
20 
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 aufzuheben und eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen,
21 
hilfsweise, eine rezidivierende depressive Störung bei aktuell nicht vorhandener depressiver Episode und unter schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen.
22 
Der Beklagte beantragt,
23 
die Berufung zurückzuweisen.
24 
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig. Der Rückschluss von einer Diagnose auf ein ursächliches schädigendes Ereignis sei nicht möglich. Es gebe keine Zeugenaussagen, die die behaupteten Missbrauchshandlungen bestätigten.
25 
Zuletzt hat die Klägerin einen Behandlungsbericht von Dr. E., Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über ambulante Behandlungen am 2. Oktober sowie 6. und 18. November 2014 vorgelegt. Darin wird eine stationäre Traumatherapie empfohlen, deren Voraussetzung aber eine stabile Abstinenz von Benzodiazepinen und kein laufendes Rentenverfahren sei. Die Klägerin strebe die Verlängerung der 2015 auslaufenden Rente wegen voller Erwerbsminderung an. Einen zunächst gestellten Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens hat die Klägerin zurückgenommen.
26 
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 21.04.2015 gehört. Sie hat bekundet, sie könne nunmehr Vorfälle schildern, an die sie sich erinnere. Diese habe ihr nicht ihr Vater berichtet. Der schlimmste Vorfall sei im Alter von ca. 10 Jahren gewesen. Sie habe, bekleidet mit einem Unterhemd, auf einem Tisch gekniet und ein Mann, sie wisse nicht wer, habe einen Finger in ihre Scheide eingeführt. Sie erinnere sich daran, dass Onkel H. wiederholt verlangt habe, dass sie ihre Unterhose ausziehe, um zu sehen, ob sie sauber sei. Er habe sie oft in ihrem Kinderzimmer aufgesucht, ohne dass jemand dies bemerkt habe. Sie könne sich erinnern, mehrfach in ihrem Zimmer in eine Decke gehüllt sitzend aufgewacht und nicht mehr in ihrem Bett gewesen zu sein. Onkel H. habe sein Auto hinter dem Haus geparkt. Er habe auch einen Hausschlüssel gehabt. Als sie ein anderes Zimmer näher bei ihren Großeltern bezogen habe, habe Onkel H. öfter mit ihr sog. Spritztouren gemacht, d. h., er habe sie im Auto mitgenommen. Sie sei mehrmals mit ihrer Mutter und Onkel H. ohne ihren Vater in den Urlaub gefahren. Dort habe Onkel H. sie oft gebadet und gewaschen. Als sie 12 Jahre alt gewesen sei, habe er ihr einmal auf der Strandpromenade die Schleifen der Bikinihose aufgezogen und sie habe ohne Hose dagestanden. Sie könne sich erinnern, dass sie ihn habe anfassen müssen. Er sei ausgezogen gewesen und sie habe sein Glied streicheln müssen. Er sei auch mehrfach, wohl mit den Händen, in sie eingedrungen. Er habe große, stark dunkel behaarte Hände gehabt, wie ein Affe.
27 
Bei der angeblichen Blinddarmoperation im Alter von 12 Jahren sei sie gynäkologisch untersucht worden, obwohl sie nicht weit entwickelt gewesen sei. Sie habe danach eine kleine Narbe gehabt und eine Menstruationsblutung. Man habe ihr erklärt, wie sie eine Binde verwende.
28 
Es habe ein Redeverbot gegeben. Onkel H. habe gesagt, wenn sie ihrer Mutter etwas erzähle, müsse diese sterben. Sie habe das geglaubt, weil ihre Mutter Herzanfälle gehabt habe und sie von ihr abgeschirmt worden sei. Man sei öfter über die sog. Lügenbrücke im Ort spazieren gegangen und ihr sei gesagt worden, wenn sie lüge, breche die Brücke zusammen. Im Alter von ca. 8 Jahren habe sie ihrem Kindermädchen, der Zeugin S., berichtet, dass sie Blut in der Unterhose habe. Diese habe gesagt, das müsse vom Schaukeln kommen. Sie habe auch öfter gesagt, sie wisse ja Bescheid, müsse doch aber immer wieder dorthin kommen. Mit ca. 8 Jahren habe sie bei ihrer Tante G., die sie als Vertrauensperson angesehen habe, auf eine mit PVC bezogene Kommode einen Mann gemalt, der ein Kind anfasse. Tante G. habe mit ihr geschimpft. Mit 15 Jahren habe sie ihren ersten Freund gehabt. Sie wisse nicht, ob sie mit ihm intim gewesen sei. Er sei zu ihrer Mutter gegangen und habe gesagt, mit ihr stimme etwas nicht. Danach habe sie ihn nicht mehr gesehen. Die von Frau C. beschriebenen Gruppenvergewaltigungen mehrerer Erwachsener mit mehreren kindlichen Opfern seien Flashbacks gewesen. Sie könne nicht sagen, ob es wirkliche Erinnerungen seien.
29 
Manchmal seien Erinnerungen gleich weggewesen, das könne an den Medikamenten gelegen haben. Sie wisse nicht, warum das Redeverbot bis heute noch wirke.
30 
Ihr Bruder M. sei bei der Lebensbeichte des Vaters nicht die ganze Zeit anwesend gewesen, weil er habe arbeiten müssen. Er sei selbst stark traumatisiert, sei lange untergetaucht gewesen und habe Alkoholprobleme gehabt. Die Zeugin S. sei zu ihrer Zeugenvernehmung von Onkel H. Sohn M. begleitet worden. Vielleicht habe sie deshalb nicht die Wahrheit gesagt.
31 
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ein Schreiben an den Senat vorgelegt.
32 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 21.04.2015, auf die Prozessakten beider Instanzen, den Verwaltungsvorgang des Beklagten, die Schwerbehindertenakte und die Akten des AG H. zu Az. 1 F 646/07 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

(1) Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die herbeigeführt worden sind durch

a)
eine unmittelbare Kriegseinwirkung,
b)
eine Kriegsgefangenschaft,
c)
eine Internierung im Ausland oder in den nicht unter deutscher Verwaltung stehenden deutschen Gebieten wegen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit,
d)
eine mit militärischem oder militärähnlichem Dienst oder mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Straf- oder Zwangsmaßnahme, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist,
e)
einen Unfall, den der Beschädigte auf einem Hin- oder Rückweg erleidet, der notwendig ist, um eine Maßnahme der Heilbehandlung, eine Badekur, Versehrtenleibesübungen als Gruppenbehandlung oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 26 durchzuführen oder um auf Verlangen eines zuständigen Leistungsträgers oder eines Gerichts wegen der Schädigung persönlich zu erscheinen,
f)
einen Unfall, den der Beschädigte bei der Durchführung einer der unter Buchstabe e aufgeführten Maßnahmen erleidet.

(3) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(4) Eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte Schädigung gilt nicht als Schädigung im Sinne dieses Gesetzes.

(5) Ist der Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben, so erhalten seine Hinterbliebenen auf Antrag Versorgung. Absatz 3 gilt entsprechend.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

(1) Solange Beschädigte infolge der Schädigung hilflos sind, wird eine Pflegezulage von 376 Euro (Stufe I) monatlich gezahlt. Hilflos im Sinne des Satzes 1 sind Beschädigte, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfen. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder Anleitung zu den in Satz 2 genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muß, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist. Ist die Gesundheitsstörung so schwer, daß sie dauerndes Krankenlager oder dauernd außergewöhnliche Pflege erfordert, so ist die Pflegezulage je nach Lage des Falles unter Berücksichtigung des Umfangs der notwendigen Pflege auf 642, 916, 1 174, 1 524 oder 1 876 Euro (Stufen II, III, IV, V und VI) zu erhöhen. Für die Ermittlung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage sind die in der Verordnung zu § 30 Abs. 17 aufgestellten Grundsätze maßgebend. Blinde erhalten mindestens die Pflegezulage nach Stufe III. Hirnbeschädigte mit einem Grad der Schädigungsfolgen von 100 erhalten eine Pflegezulage mindestens nach Stufe I.

(2) Wird fremde Hilfe im Sinne des Absatzes 1 von Dritten aufgrund eines Arbeitsvertrages geleistet und übersteigen die dafür aufzuwendenden angemessenen Kosten den Betrag der pauschalen Pflegezulage nach Absatz 1, wird die Pflegezulage um den übersteigenden Betrag erhöht. Leben Beschädigte mit ihren Ehegatten, Lebenspartnern oder einem Elternteil in häuslicher Gemeinschaft, ist die Pflegezulage so zu erhöhen, dass sie nur ein Viertel der von ihnen aufzuwendenden angemessenen Kosten aus der pauschalen Pflegezulage zu zahlen haben und ihnen mindestens die Hälfte der pauschalen Pflegezulage verbleibt. In Ausnahmefällen kann der verbleibende Anteil bis zum vollen Betrag der pauschalen Pflegezulage erhöht werden, wenn Ehegatten, Lebenspartner oder ein Elternteil von Pflegezulageempfängern mindestens der Stufe V neben den Dritten in außergewöhnlichem Umfang zusätzliche Hilfe leisten. Entstehen vorübergehend Kosten für fremde Hilfe, insbesondere infolge Krankheit der Pflegeperson, ist die Pflegezulage für jeweils höchstens sechs Wochen über Satz 2 hinaus so zu erhöhen, dass den Beschädigten die pauschale Pflegezulage in derselben Höhe wie vor der vorübergehenden Entstehung der Kosten verbleibt. Die Sätze 2 und 3 gelten nicht, wenn der Ehegatte, Lebenspartner oder Elternteil nicht nur vorübergehend keine Pflegeleistungen erbringt; § 40a Abs. 3 Satz 3 gilt.

(3) Während einer stationären Behandlung wird die Pflegezulage nach den Absätzen 1 und 2 Empfängern von Pflegezulage nach den Stufen I und II bis zum Ende des ersten, den übrigen Empfängern von Pflegezulage bis zum Ablauf des zwölften auf die Aufnahme folgenden Kalendermonats weitergezahlt.

(4) Über den in Absatz 3 bestimmten Zeitpunkt hinaus wird die Pflegezulage während einer stationären Behandlung bis zum Ende des Kalendermonats vor der Entlassung nur weitergezahlt, soweit dies in den folgenden Sätzen bestimmt ist. Beschädigte erhalten ein Viertel der pauschalen Pflegezulage nach Absatz 1, wenn der Ehegatte, Lebenspartner oder der Elternteil bis zum Beginn der stationären Behandlung zumindest einen Teil der Pflege wahrgenommen hat. Daneben wird die Pflegezulage in Höhe der Kosten weitergezahlt, die aufgrund eines Pflegevertrages entstehen, es sei denn, die Kosten hätten durch ein den Beschädigten bei Abwägung aller Umstände zuzumutendes Verhalten, insbesondere durch Kündigung des Pflegevertrages, vermieden werden können. Empfänger einer Pflegezulage mindestens nach Stufe III erhalten, soweit eine stärkere Beteiligung der schon bis zum Beginn der stationären Behandlung unentgeltlich tätigen Pflegeperson medizinisch erforderlich ist, abweichend von Satz 2 ausnahmsweise Pflegezulage bis zur vollen Höhe nach Absatz 1, in Fällen des Satzes 3 jedoch nicht über den nach Absatz 2 Satz 2 aus der pauschalen Pflegezulage verbleibenden Betrag hinaus.

(5) Tritt Hilflosigkeit im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 gleichzeitig mit der Notwendigkeit stationärer Behandlung oder während einer stationären Behandlung ein, besteht für die Zeit vor dem Kalendermonat der Entlassung kein Anspruch auf Pflegezulage. Für diese Zeit wird eine Pflegebeihilfe gezahlt, soweit dies in den folgenden Sätzen bestimmt ist. Beschädigte, die mit ihren Ehegatten, Lebenspartnern oder einem Elternteil in häuslicher Gemeinschaft leben, erhalten eine Pflegebeihilfe in Höhe eines Viertels der pauschalen Pflegezulage nach Stufe I. Soweit eine stärkere Beteiligung der Ehegatten, Lebenspartner oder eines Elternteils oder die Beteiligung einer Person, die den Beschädigten nahesteht, an der Pflege medizinisch erforderlich ist, kann in begründeten Ausnahmefällen eine Pflegebeihilfe bis zur Höhe der pauschalen Pflegezulage nach Stufe I gezahlt werden.

(6) Für Beschädigte, die infolge der Schädigung dauernder Pflege im Sinne des Absatzes 1 bedürfen, werden, wenn geeignete Pflege sonst nicht sichergestellt werden kann, die Kosten der nicht nur vorübergehenden Heimpflege, soweit sie Unterkunft, Verpflegung und Betreuung einschließlich notwendiger Pflege umfassen, unter Anrechnung auf die Versorgungsbezüge übernommen. Jedoch ist den Beschädigten von ihren Versorgungsbezügen zur Bestreitung der sonstigen Bedürfnisse ein Betrag in Höhe der Beschädigtengrundrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100 und den Angehörigen ein Betrag mindestens in Höhe der Hinterbliebenenbezüge zu belassen, die ihnen zustehen würden, wenn Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben wären. Bei der Berechnung der Bezüge der Angehörigen ist auch das Einkommen der Beschädigten zu berücksichtigen, soweit es nicht ausnahmsweise für andere Zwecke, insbesondere die Erfüllung anderer Unterhaltspflichten, einzusetzen ist.

Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung*als deren Bestandteil festgelegt.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

(1) Die Versorgung nach diesem Gesetz obliegt den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden. Ist der Bund Kostenträger, so sind zuständig

1.
wenn der Geschädigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem Land hat, die Behörden dieses Landes; es finden die Übergangsregelungen gemäß § 4 Absatz 2 und 3 beschränkt auf die Zuständigkeit der Behörde entsprechend Anwendung, davon ausgenommen sind Versorgungen bei Schädigungen an einem Ort im Ausland,
2.
wenn der Geschädigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes hat, die Behörden des Landes, das die Versorgung von Kriegsopfern in dem Wohnsitz- oder Aufenthaltsland durchführt.
Abweichend von Satz 2 Nummer 2 sind, wenn die Schädigung auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug eingetreten ist, die Behörden des Landes zuständig, in dem das Schiff in das Schiffsregister eingetragen ist oder in dem der Halter des Luftfahrzeugs seinen Sitz oder Wohnsitz hat.

(2) Die örtliche Zuständigkeit der Behörden bestimmt die Landesregierung durch Rechtsverordnung.

(3) Das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, mit Ausnahme der §§ 3 bis5,sowie die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes über das Vorverfahren sind anzuwenden.

(4) Absatz 3 gilt nicht, soweit die Versorgung in der Gewährung von Leistungen besteht, die den Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach den §§ 25 bis 27h des Bundesversorgungsgesetzes entsprechen.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt die Anerkennung, Opfer schädigender Ereignisse in Form von sexuellem Missbrauch zwischen 1966 und 1978 geworden zu sein und infolgedessen unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bzw. einer rezidivierenden depressiven Störung und schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen zu leiden.
Die am ... Januar 1962 geborene Klägerin zog im Alter von 16 Jahren aus dem Elternhaus aus, wo sie bis dahin mit zwei älteren und einem jüngeren Bruder aufgewachsen war. Sie machte den Hauptschulabschluss, danach zunächst eine Ausbildung zur Kinderpflegerin, später zur Wochenpflegerin, Arzthelferin und Krankenschwester. Im Jahr 1980 heiratete sie und bekam drei Kinder, geboren 1981, 1984 und 1988. Sie war erwerbstätig als Arzthelferin, als Nachtwache im Krankenhaus, als Kinderpflegerin und als sozialpädagogische Familienhelferin. 1985 kollabierte sie während eines Nachtdienstes, litt anschließend unter Schlafstörungen, Kraftlosigkeit, Appetitstörungen und machte eine Kur in Bad S. wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände und damals fraglicher depressiver Episode. 1992 führte sie eine Mutter-Kind-Kur in C. wegen starker Erschöpfung durch, ob eine depressive Episode vorlag, ist nicht unbekannt (GA Dr. F. Bl. 68 SG-Akte). Sie machte zahlreiche Fortbildungen: Im März 2004 bildete sie sich im Selbststudium zur beratenden Kinderpsychologin (nicht anerkannt) fort, im selben Jahr besuchte sie den Fachtag Dokumentation und Beobachtung in der offenen Kita-Arbeit, 2007 den Fachtag Suchtprobleme am Arbeitsplatz, wurde Betriebshelferin für Erste Hilfe, nahm an einer Veranstaltung zum Thema: „riskante Kinderwelten brauchen Schutz“ teil, am Fachtag Suchtprävention, am G.-V. Kinder und Jugendliche in der Schule, 2008 am Fachtag frühe Hilfen im O. sowie an der Fortbildung: „Risikoverhalten in der Pubertät“.
Im Jahr 2006 wurde die Ehe geschieden. Von 2008 bis 2013 führte die Klägerin eine Klage vor dem Amtsgericht H. (AG) wegen nachehelichen Ehegattenunterhalts, in dessen Verlauf sie zwecks Feststellung des Umfangs ihrer Erwerbsfähigkeit mehrfach u. a. von PD Dr. F. (aufgrund der partiellen Amnesie könne die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden, es spräche mehr gegen die Diagnose einer PTBS) begutachtet wurde. Seit 1. Februar 2009 bezieht sie unbefristet Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Bescheid Bl. 62 VV), zwischenzeitlich auch eine bis 2015 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung (Entlassbericht Bl. 137 Senatsakte). In seinem Gutachten für die D. R. vom 28. April 2009 stellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. die Diagnosen einer PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, eines psychophysischen Erschöpfungszustands und einer reaktiven Depression. Über die ersten 16 Jahre ihres Lebens habe die Klägerin keine Erinnerung, was sie berichte, habe sie von Angehörigen erfahren. Im Alter von drei Jahren habe sie wohl an einer Enzephalitis und Meningitis gelitten, Unterlagen gebe es in der Kinderklinik in G. nicht mehr. Anschließend seien regelmäßig Elektroenzephalogramme (EEGs) abgeleitet worden und sie habe bis etwa zum 15. Lebensjahr Mylepsinum einnehmen müssen. Ihr sei berichtet worden, sie habe von 1968 bis 1977 die Grund- und Hauptschule in D. besucht. Man habe ihr berichtet, sie habe keine Klassenarbeiten mitschreiben dürfen, da sie sich nicht aufregen oder freuen dürfe.
Nach der Geburt ihres Sohnes K. 1984 sei sie Anfang 1985 während eines Nachtdienstes zusammengebrochen. Sie sei zur Kur nach Bad S. gekommen. Darüber gebe es keine Unterlagen. Nach der Schwangerschaft mit ihrer Tochter 1988 habe sie ein „normales“ Leben gelebt. Bis 1994 sei sie psychisch relativ stabil gewesen, sie habe „funktioniert“. Im Rahmen einer schweren Erkrankung ihres Sohnes K. - schwere Operation mit protrahiertem Verlauf nach Platzen eines Meckel´schen Divertikels - sei der Verdacht entstanden, die Heilung des Sohnes verzögere sich oder werde unmöglich durch ihre eigenen Ängste. Daraufhin sei sie zu Dr. T. in Psychotherapie gegangen. Im Dezember 1995 sei ihr Vater gestorben und habe ihr zuvor am Sterbebett eröffnet, sie sei vom Liebhaber ihrer Mutter sexuell missbraucht worden. Anschließend habe sie sich in Therapie bei Psychotherapeutin (nach dem Heilpraktikergesetz - HPG) C. begeben. Im Rahmen der Therapie habe sich herausgestellt, dass sie wohl innerfamiliär in der Kindheit über Jahre hinweg sexuelle Missbrauchserfahrungen erlitten habe, in deren Folge es zu Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen gekommen sei.
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. stellte in seinem Gutachten für das AG vom 9. November 2008 die Diagnosen histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen (ICD-10 F 60.4, F 43.1), berichtete depressive Stimmungsschwankungen und zurückliegende Essstörung (derzeit nicht aktuell). Allgemeine Erschöpfungszustände, Stimmungsschwankungen und zugleich eher fahrige Schilderungen ließen sich unter einer histrionischen Strukturierung einordnen. Zwar kämen dissoziative Störungen auch bei einer PTBS vor, der anamnestische Kontext spreche aber weniger für die Zuordnung zu einer PTBS. Anhaltende Erinnerungen, eindeutiges und spezifisches Wiedererleben eines früheren Traumas, aufdringliche Nachhallerinnerungen würden nicht berichtet, auch kein Vermeidungsverhalten, etwa gegenüber Situationen, die Flashbacks hervorriefen oder mit der Belastungssituation in Zusammenhang gebracht würden. Sie berichte über gynäkologische Untersuchungen, die ganz komisch gewesen seien. Es sei ihr noch völlig unklar, was überhaupt passiert sei. Ihre Amnesie werde inzwischen nur partiell durchbrochen, sie habe viel erfahren, was für andere unvorstellbar sei. Hierbei assoziiere sie allerdings weniger eigene Missbrauchserfahrungen als vielmehr die Besonderheiten in ihrer Familienstruktur, die „Männerbeziehungen“ der Mutter, wo auch noch „der Vater gegenüber“ gesessen habe. Auffällig sei, dass sie - im Zusammenhang etwas abrupt - darauf zu sprechen gekommen sei, vom Vater nicht missbraucht worden zu sein.
Gegenüber dem Gutachter Dr. S. gab die Klägerin am 8. September 2008 an, sie habe bis zum 16. Lebensjahr überhaupt keine Erinnerung an ihr Leben. Das sei alles nur erforscht und berichtet.
PD Dr. F. stellte in seinem Gutachten vom 25. Oktober 2010 an das AG die Diagnose einer PTBS, differentialdiagnostisch einer generalisierten Angststörung. Das Trauma-A-Kriterium sei durch die psychiatrische Exploration nicht zu beweisen. Es bestünden deutliche Hinweise auf eine frühkindliche Traumatisierung. Aufgrund der Amnesie könne jedoch die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden. Ein False-memory-Syndrome liege nicht vor, denn die Symptomatik sei nicht durch genaue Befragungen und Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen, sondern durch die Berichte des sterbenden Vaters ausgelöst worden. Bis zum Alter von 16 Jahren habe sie zunächst keinerlei Erinnerungen an ihr Leben gehabt. Alles was sie heute wisse, seien Inhalte aus Erzählungen anderer und Erinnerungsbruchstücke, die sie in langen Jahren der Psychotherapie mit plötzlich einschießenden Bildern und nachfolgendem intensivem Nachforschen erfahren habe. Sie habe keinen Sport und keine Prüfungen machen dürfen, da man unter jeder Art von Stress einen epileptischen Anfall befürchtet habe. Die Kommunion habe sie allein erhalten, der Pfarrer habe die Beichte bei ihr zu Hause abgenommen. Sie habe teilweise bis zu 15 Medikamente bekommen. Mit 12 oder 13 Jahren sei sie innerhalb des Hauses zu ihren Großeltern mütterlicherseits gezogen und von diesen weiter aufgezogen worden. Mit 16 sei sie zu Hause ausgezogen, seitdem habe sie regelmäßige Erinnerungen an ihr Leben. Bis 1995 habe sie keine Alpträume und keine belastenden Bilder, die sie überfielen, gehabt. Ihr Vater habe ihr kurz vor seinem Tod viel Belastendes aus ihrer Kindheit und Jugend erzählt. Er habe berichtet, Onkel H. habe ihr etwas Schlimmes angetan, er habe ihr weh getan und etwas getan, was man Kindern nicht antun sollte. Er, der Vater, habe sie nicht schützen können, nicht den Mut gehabt und sich in seine Arbeit gestürzt. Es habe viele wechselnde Liebhaber der Mutter gegeben. Diese seien nach Vermutung der Klägerin ebenfalls fragliche Täter sexuellen Missbrauchs an ihr. Die Berichte ihres Vaters hätten einige Bilder zusammengeführt, die in ihrem Kopf gewesen seien und mit denen sie bis dahin nichts habe anfangen können. Leider erinnere sie sich heute nicht mehr genau an alles, was ihr Vater ihr erzählt habe. Nach dem Tod des Vaters seien ihr immer wieder belastende Bilder in den Kopf gedrängt. Inzwischen erinnere sie sich an mehrfachen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Sie habe eine Erinnerung an eine Vergewaltigung, gegen die sie sich gewehrt habe, als er sie im Schlafzimmer der Eltern aufs Bett gelegt und festgehalten habe. Sie habe ihn gebissen und versucht, ihn zu schlagen. Während der einschießenden Bilder höre sie oft seine Sprüche von Onkel H.. Er habe sie „Bettchen“ genannt, wenn sie zu ihm habe kommen sollen. Er habe gesagt, sie solle zu ihm kommen, um eine „Spritztour“ zu machen. Das sei ein Synonym für sexuelle Handlungen gewesen. Im Alter von 5 Jahren habe sie sich beim Arzt geweigert, sich auszuziehen. Ihre Mutter habe zu dem Arzt gesagt, er müsse sagen, sie solle „Striptease“ machen, dann würde sie sich ausziehen. Daher denke sie, dass zu diesem Zeitpunkt schon vieles vorgefallen sei, was mit sexuellem Missbrauch zu tun habe. Zur späteren Narkose bei der Tonsillektomie habe man sie festhalten müssen, weil sie getobt habe. Sie habe auch Erinnerungen an sexuelle Belästigungen der Haushälterin und der Freundin ihres Bruders durch Onkel H. sowie sexuelle Handlungen zwischen diesem und der Mutter auf der Wohnzimmercouch, während sie, ihre Geschwister und der Vater anwesend gewesen seien. 1996 habe sie Onkel H. gesucht, aber nicht gefunden. Ihre Familie sei nicht bereit gewesen, über die Vergangenheit zu sprechen, habe gesagt, dass sie verrückt sei. 2003 habe sie den Kontakt zu ihrer Primärfamilie aufgrund der immer vermehrt auftretenden Kindheitserinnerungen abgebrochen. An aktuellen Beschwerden habe sie berichtet, belastende Bilder würden einschießen. Sie sehe z. B. die Gestalt ihrer Patentante, auch Onkel H. mit dunklen Haaren, sehe seine Hände, höre seine Stimme. Sie habe auch schon die Form einer Flasche gesehen. Nachforschungen hätten ergeben, dass dies eine Whiskyflasche der Marke „Racke rauchzart“ sei. Ihre Mutter habe oft gesagt, sie müsse noch „Racke rauchzart“ kaufen. Sie sehe Bilder von sich im Kindes- und Jugendalter aus verschiedenen Perspektiven, neben sich, über sich oder aus ihren eigenen Augen, als sei sie selbst beteiligt. Sie habe sich in einer Ecke mit einer Decke über sich gesehen, so als habe sie sich schützen wollen. Sie habe auch immer wieder Bilder aus einem Behandlungszimmer in einem Krankenhaus gesehen. Wenn sie viele Bilder von sexuellem Missbrauch überfielen, hätten diese oft mit Onkel H. zu tun. Einmal habe sie während der Begutachtung berichtet, ein Bild würde immer wieder kommen und dann vor ihren Augen stehen bleiben. Es habe mit einem sexuellen Missbrauch an ihr zu tun, genauer könne sie es nicht beschreiben.
2004 nahm sie den dritten Vornamen P. an, 2007 machte sie diesen dritten Vornamen zum Rufnamen, nahm zwei weitere Vornamen an und behielt den Ehenamen als Nachnamen, heißt somit nun nicht mehr B. B., sondern P. D., geb. D..
Die Klägerin litt im Kleinkindalter an einer Meningoenzephalitis (Gehirnentzündung/Hirnhautentzündung) im Alter von drei Jahren, weshalb bis zum 16. Lebensjahr eine Therapie mit Primidon, einem Antikonvulsivum, durchgeführt wurde (Bericht Epilepsiezentrum K. vom 26. September 1993, betr. den Sohn der Klägerin K. D., Anlagenkovolut zur AG-Akte). Sie führte in den Jahren 1984 und 1992 stationäre Reha-Maßnahmen wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände durch. Vom 19. Dezember 2000 bis 4. Januar 2001 war sie in stationärer psychotherapeutischer Behandlung in der H. Bad Z., wegen eines Erschöpfungszustands infolge von „harter Arbeit in ambulanter Psychotherapie“, in der sie traumatische Erlebnisse in ihrer Kindheit bearbeitet habe. Dort wurde die Diagnose einer rezidivierenden mittelgradigen depressiven Störung und die Verdachtsdiagnose einer psychogenen Amenorrhoe seit 1998 gestellt (Bl. 14 VV). Ab Mai 1994 führte sie eine Psychotherapie bei Dr. T., Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, durch, seit August 1996 bei M. C., Psychotherapeutin nach dem HPG (ohne Kassenzulassung). Frau C. gab in einer Stellungnahme vom 15. August 2008 gegenüber dem Beklagten an, die Klägerin leide an Depressionen infolge schwerer Anpassungsstörungen, aufgrund über Jahre fortgesetzter schwerster Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, in deren Folge es zu Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen gekommen sei. Als Kind seien ihr Psychopharmaka, zeitweilig in Verbindung mit Alkohol, verabreicht worden. Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit März 2008 anerkannt (Bescheid vom 17. Dezember 2008, Bl. 23 VV).
10 
Am 4. Februar 2009 stellte sie über den Weißen Ring einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Der Weiße Ring gab darin an, die Klägerin sei in ihrer Kindheit Opfer eines schweren sexuellen Missbrauchs geworden. Dies führe dazu, dass sie an ca. 16 Lebensjahre keine Erinnerung habe. In langjährigen Therapien seien als Ursache hierfür Geschehnisse in der Kindheit ermittelt worden. In ihrem Antrag gab die Klägerin als schädigendes Ereignis an: sexueller Missbrauch, ca. 1965 – 1978, “als Gesundheitsstörung eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Amnesie von ca. 16 Lebensjahren, keine Zeugen, Namen der schädigenden Personen nicht bekannt“. Mit Bescheid vom 23. März 2009 wurde der Antrag abgelehnt (Bl. 28 VV). Es sei nicht objektiv nachgewiesen, dass die Klägerin Opfer einer Gewalttat geworden sei. Die Beweiserleichterung für den Fall, dass unverschuldet kein Nachweis erbracht und keine Zeugen benannt werden könnten, greife nicht ein, weil die Klägerin den Sachverhalt aufgrund der Amnesie nicht aus eigener Erinnerung beschreiben könne. Die ärztlichen Befundberichte reichten für eine Beweisführung nicht aus, weil aus dem vorliegenden psychiatrischen Störungsbild keine Rückschlüsse auf ein spezifisches Ereignis gezogen werden könnten und kein Profil psychiatrischer Symptome eindeutig auf eine traumatische Vergangenheit hinweise.
11 
Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. E. vor (Bl. 57 VV), der sie seit 1997 betreute. Demnach stehe im Vordergrund der zweimal monatlichen Konsultationen ein psycho-physischer Erschöpfungszustand bei posttraumatischer Belastungsstörung nach kindlicher Missbrauchserfahrung. Sie könne sich an Einzelheiten in ihrer Kindheit und Jugend nicht erinnern. Diese seien erst nach mehrjährigen mehrfachen Psychotherapien in einem extrem belastenden Prozess wieder aufgetaucht. Sie leide häufig unter ausgeprägter körperlicher Schwäche und somatischen Beschwerden ohne somatisches Korrelat, Bauchschmerzen, Leistenschmerzen, Schmerzen im linken Bein und Sensibilitätsstörungen in der linken Gesichtshälfte. 1999 habe sie bis auf 42 kg abgenommen und in den letzten Jahren bis auf 75 kg zugenommen. Beim Neurologen und Psychiater S. war sie seit 2001 nur in mehrjährigen Abständen. 2001 nahm sie an einer geleiteten Frauengruppe des Vereins „A.“ mit dem Anliegen, eigene Selbstzweifel bezüglich ihrer Gewalterfahrungen zu klären, teil (Bl. 61 VV). Weiterhin legte sie eine Stellungnahme der Frau C. vom 13. Oktober 2009 (Bl. 88 VV) vor. Darin schildert diese die „Geschichte“ der Klägerin, die nicht in der Lage sei, selbst darüber zu berichten. Seit dem Tod des Vaters, der ihr auf dem Sterbebett über Familiengeheimnisse berichtet habe, seien sie und ihr Sohn immer kränker geworden, ohne dass die Ärzte hätten sagen können, was ihr fehle. Der kleinen B. sei ein absolutes Redeverbot unter Androhung härtester Strafen auferlegt worden. „…H. ist der offizielle Liebhaber der Mutter und thront ab 1962 im Wohnzimmer auf dem Sofa neben der Mutter, vor sich eine Flasche Whisky. … Ab kleinster Kindheit (ca. 4 - 5 Jahre) wird P. vom Liebhaber H. sexuell missbraucht. Sie wird auch in fremde Häuser gebracht, man gibt ihr Alkohol und Medikamente, damit sie ruhig bleibt. … Sie wird oral und anal vergewaltigt, regelmäßig, von verschiedenen Männern, wird zeitweise währenddessen fixiert, wird eingesperrt. Andere Kinder sind auch dabei, auch manchmal ihr Bruder M., vor allem eine gleichaltrige Tochter von H.. … Eine zweite Frau scheint allgegenwärtig im System und dokumentiert alles, wie wenn es ein Experiment wäre: Tante G., Schwester des Vaters (medizintechnische Assistentin in einem Versuchslabor). Bei vielen „Experimenten“ an den Kindern waren die Männer als Arzt verkleidet (weißer Kittel und Stethoskop). Damit keine Informationen über die Familie nach außen drängen, werden Kontakte zu anderen Kindern unterbunden, B. darf nicht zum Sport, alles mit der Erklärung, das Kind sei psychisch labil, hätte epileptische Anfälle. Mit 12 Jahren wird B.-P. schwanger, unter dem Vorwand einer Blinddarmoperation wird sie nach N. zu Tante K. gebracht, wo sie „operiert“ wird, wo eine Abtreibung vorgenommen wurde…“. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 83 VV).
12 
Am 10. Juni 2010 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihre Mutter habe an den Missbrauchshandlungen mitgewirkt. Sie selbst habe an ihre ersten 15 bis 16 Lebensjahre kaum oder lediglich bruchstückhafte Erinnerungen. Im Rahmen sogenannter Flashbacks habe sie mit ihrer Therapeutin in langjähriger Therapie zahlreiche Vorfälle sexuellen Missbrauchs zusammentragen können. Ihr Bruder M., dessen Aufenthaltsort sie nicht kenne, sei bei den sexuellen Übergriffen zum Teil zugegen gewesen und habe am Sterbebett des Vaters dessen Berichte mitgehört. Sie habe alles Zumutbare zur Sachverhaltsaufklärung getan, so dass die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG eintrete. Die bei ihr vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergäben eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für sexuellen Missbrauch, auch die nur bruchstückhafte Erinnerung. Dies sei durch Gutachten belegt.
13 
Frau C. hat in ihrer Auskunft an das SG vom 7. Januar 2011 angegeben, es bestehe der Verdacht auf eine PTBS nach ICD-10 F 43.1 und der Verdacht auf dissoziative Amnesien sowie dissoziativen Stupor und dissoziative Bewegungsstörungen nach ICD-10 F 44.0, F 44.2.0 und F 44.7. Man müsse davon ausgehen, dass diese dissoziativen Zustände zur Zeit der Traumatisierung als emotional-physiologische Notlösung des Gehirns entstanden seien, das sonst keine Möglichkeit gehabt habe, die massiven, sadistisch geprägten sexuellen Übergriffe zu bearbeiten. Die ursprüngliche Symptomatik habe bereits darauf hingedeutet, dass sie an den Folgen einer langjährigen schwersten Traumatisierung leide. Zur Stabilisierungsphase habe der totale Bruch mit der Ursprungsfamilie mit Namensänderung 2007 gehört. Ab 1998 seien Erinnerungsfetzen an die Oberfläche gekommen, die allerdings nicht sprachlich, dafür aber mit nonverbalen Methoden hätten aufgedeckt werden können. Bis vor 1 – 2 Jahren habe noch das Redeverbot auf der Klägerin gelastet. Die Schaffung eines Zugangs zum Traumamaterial habe nur mit Hilfe von Psychopharmaka verkraftet werden können, jetzt sei die Klägerin teilweise abhängig von Benzodiazepinen, um sich gegen überflutende traumaartige Bilder zu wehren und schlafen zu können. Bis heute könne keine Traumaexposition durchgeführt werden, weil mit einer erneuten Destabilisierung zu rechnen sei. Die wiederholten Explorationen zur Erstellung von Gutachten hätten jeweils eine schwerwiegende Retraumatisierungssymptomatik provoziert. Die Scheidung 2005 habe neue Belastungsfaktoren in Form einer Unterhaltsklage mit sich gebracht. Im Hintergrund der vorliegenden Auseinandersetzung stehe das Bedürfnis, mit ihrer Geschichte gehört und anerkannt zu werden, damit ihr existentielles Bedürfnis nach Gerechtigkeit gestillt werden könne.
14 
Das SG hat die Klägerin in mündlicher Verhandlung am 16. September 2011 gehört (Niederschrift Bl. 88 SG-Akte). Sie hat angegeben, nach konkreten Erinnerungen an ihre Kinder- und frühe Jugendzeit befragt, könne sie sich tatsächlich nicht an Details, d. h. Gesichter oder Räumlichkeiten oder Sachverhalte erinnern. Vielmehr habe sie aus Erzählungen Dritter, z. B. zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, die sie im Kinder- und Jugendalter gehabt habe, Informationen erhalten. Diese halte sie für die Realität. Hierauf beschränkten sich letztlich ihre “Erinnerungen“ an diese Zeit. Da sie ab dem dritten Lebensjahr wegen ihrer angeblichen Erkrankungen mit Medikamenten versorgt worden sei, nehme sie an, dass die an ihr verübten Taten zu diesem Zeitpunkt begonnen haben müssten.
15 
Das SG hat den Bruder der Klägerin, den Zeugen R.-M. B., Rufname M., und die Haushälterin der Familie, die Zeugin B. S., durch einen ersuchten Richter beim Sozialgericht S. vernehmen lassen. Die Mutter der Klägerin hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Der Zeuge B. hat in seiner Vernehmung angegeben, die Klägerin habe ca. 1964 eine Hirnhautentzündung gehabt und sei dadurch sehr zurückgeworfen gewesen, in der Schule und so. Das habe sich erst in der Lehre gebessert. Sein Vater habe nach 18 Uhr ein Bier oder ein Glas Wein getrunken, er habe ihn aber nicht betrunken erlebt. Die Hausangestellte sei nur stundenweise gekommen. Onkel H., ein weitläufiger Verwandter seines Vaters, habe nicht im Haus gewohnt. Seines Wissens seien keine sexuellen Handlungen an der Klägerin vorgefallen, er habe auch nichts hierüber gehört. Von einer Schwangerschaft der Klägerin ca. 1974 wisse er nichts. Sein Vater habe vor seinem Tod eine Lebensbeichte abgelegt, alles vom Krieg bis zu seinem Sterbedatum erzählt. Über die Klägerin habe er nicht gesprochen. Onkel H. sei öfter nach Feierabend zu Besuch gewesen, allerdings habe er, der Zeuge, da nicht mehr zu Hause gelebt. Gegenstand der Lebensbeichte des Vaters sei auch gewesen, dass der jüngere Bruder M. nicht sein Sohn, sondern Onkel H. dessen Vater sei. Die Zeugin S. hat bekundet, sie habe sich meist abends stundenweise um die Klägerin gekümmert. Onkel H. sei gelegentlich dort im Haus gewesen. Zu einem sexuellen Missbrauch könne sie nichts sagen, weder aus eigenen Wahrnehmungen noch vom Hörensagen. Zu einer Schwangerschaft der Klägerin Mitte der Siebziger Jahre könne sie keine Angaben machen. Sie sei zu diesem Zeitpunkt noch regelmäßig dort gewesen. Ihr sei nichts aufgefallen. Sie habe bis heute Kontakt zur Mutter der Klägerin und dem jüngeren Bruder M..
16 
Die Klägerin hat Fotos vorgelegt (Bl. 253 SG-Akte), auf denen eine von ihr als Onkel H. bezeichnete männliche Person auf einem Sofa neben der Mutter sitzt, neben der Klägerin – beide rauchend – den Arm um sie legend, stehend neben der Zeugin S., die den Arm um ihn legt, Urlaubsbilder und Bilder ihrer Trauung, bei der sie neben Onkel H. zu sehen ist.
17 
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. März 2013 abgewiesen. Ausgangspunkt für die Feststellung eines schädigenden Ereignisses sei das Vorbringen der Klägerin. Bei ihr bestünden an den fraglichen Zeitraum, mithin auch an die geltend gemachten Taten, keine konkreten Erinnerungen. Vorhanden seien lediglich die im Rahmen der Psychotherapie bei Frau C. zutage geförderten bruchstückhaften Erinnerungen, die sich als einschießende Bilder mit belastender psychischer Reaktion darstellten. Dabei sei klar, dass es sich bei den Bildern, die der Klägerin spontan vor Augen träten, nicht um Erinnerungen an konkrete Geschehensabläufe in der Vergangenheit handele, sondern um bildhaft innerpsychische Vorgänge, die einer Interpretation bzw. Deutung bedürften. Daher sei nicht die Frage, ob die Angaben der Klägerin überzeugend und glaubhaft seien, sondern ob diese den Schluss zuließen, dass sich die geltend gemachten Geschehensabläufe tatsächlich zugetragen hätten. Dies sei nach dem Beweisergebnis nicht der Fall. Es schließe sich der Beurteilung des PD Dr. F. an, der dargelegt habe, dass die einschießenden Bilder nicht den zwingenden Schluss zuließen, das sich der Missbrauch so zugetragen und daher nur die Verdachtsdiagnose einer PTBS gestellt habe. Die entgegenstehende Stellungnahme der behandelnden Psychotherapeutin, die keine Facharztausbildung habe und deren Stellungnahmen jegliche professionelle Distanz vermissen ließen, hätten dagegen nicht überzeugt. Die Angaben der Klägerin außerhalb des Kerngeschehens hätten sich ebenfalls nicht bestätigen lassen, so das Vorbringen, ihr Bruder M. sei zugegen gewesen, als ihr Vater auf dem Sterbebett Hinweise auf die Missbrauchshandlungen gegeben habe. Auch das Kerngeschehen, nämlich dass ihr Bruder M. teilweise bei den Missbrauchshandlugen zugegen gewesen sei, habe dieser nicht bestätigt. Die Zeugin S. habe das Klagevorbringen ebenfalls nicht bestätigt, wobei nichts gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben spreche. Die vorgelegten Fotos bewiesen zwar ein gewisses Näheverhältnis der abgebildeten Personen, aber nichts darüber hinaus. Die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG führe zu keinem anderen Ergebnis, da die Klägerin ausdrücklich zugebe, keine Angaben machen zu können, da sie sich nicht erinnere. Es halte die Schilderung der Klägerin hinsichtlich der einschießenden Bilder und des angegebenen Inhalts durchaus für glaubhaft. Dies ändere nichts daran, dass mit diesen Bildern nicht der Nachweis eines tatsächlichen Geschehensablaufs in der Vergangenheit geführt werden könne.
18 
Gegen das am 16. April 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Mai 2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Die Zeugen seien nicht glaubwürdig. Der Zeuge B. habe nicht bekennen wollen, selbst Missbrauchsopfer zu sein. Er habe ihr einen Brief geschrieben und erklärt, „…auch ich habe mir in den letzten Jahren die gleichen Fragen gestellt, wie du“. Die Zeugin S. habe sich in einem Interessenkonflikt befunden. Die vorgelegten Fotos belegten eindeutig einen mehr als vertrauten Umgang zwischen ihrer Mutter, Onkel H. und ihr selbst. Sie habe durchaus Erinnerungen, verspüre aber ein innerliches Redeverbot im Sinne eines Schweigegebots. Mit Schriftsatz vom Juni 2014 hat sie über ihre neue Bevollmächtigte mitgeteilt, einige Vorgänge schildern zu können. Sie erinnere sich an einen Urlaub in einem Waldgebiet, den sie gemeinsam mit ihrer Mutter und Onkel H. verbracht habe. Man habe in einer gemieteten Hütte gewohnt. Onkel H. habe sie im kindlichen Alter gebadet und danach ihre Genitalien untersucht. Sie erinnere sich an einen Übergriff im Gartenzimmer am Ende des Elternhauses. Onkel H. sie damals dort im kindlichen Alter aufgesucht, sei zu ihr ans Bett gekommen und habe ihr etwas aus einem Schnapsglas zu trinken gegeben. Er habe sich zu ihr ins Bett gelegt und sie am Körper berührt. Sie sei unbekleidet zurückgeblieben und habe in den Morgenstunden starke Übelkeit verspürt. Im Alter von 14 Jahren hätten sich die Übergriffe des Onkels gesteigert. An einem Tag habe sie sich im Schlafzimmer der Eltern befunden. Onkel H. habe das Zimmer betreten, sie gepackt, auf die Bettseite der Mutter geworfen und sich auf sie gelegt. Er habe ihr im Alter von 14 Jahren die Arme festgehalten und einen Zungenkuss gegeben. Sodann habe er sie gegen ihren erkennbaren Willen zwischen den Beinen berührt. Erst durch die massive Gegenwehr habe er von ihr abgelassen.
19 
Die Klägerin beantragt,
20 
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 aufzuheben und eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen,
21 
hilfsweise, eine rezidivierende depressive Störung bei aktuell nicht vorhandener depressiver Episode und unter schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen.
22 
Der Beklagte beantragt,
23 
die Berufung zurückzuweisen.
24 
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig. Der Rückschluss von einer Diagnose auf ein ursächliches schädigendes Ereignis sei nicht möglich. Es gebe keine Zeugenaussagen, die die behaupteten Missbrauchshandlungen bestätigten.
25 
Zuletzt hat die Klägerin einen Behandlungsbericht von Dr. E., Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über ambulante Behandlungen am 2. Oktober sowie 6. und 18. November 2014 vorgelegt. Darin wird eine stationäre Traumatherapie empfohlen, deren Voraussetzung aber eine stabile Abstinenz von Benzodiazepinen und kein laufendes Rentenverfahren sei. Die Klägerin strebe die Verlängerung der 2015 auslaufenden Rente wegen voller Erwerbsminderung an. Einen zunächst gestellten Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens hat die Klägerin zurückgenommen.
26 
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 21.04.2015 gehört. Sie hat bekundet, sie könne nunmehr Vorfälle schildern, an die sie sich erinnere. Diese habe ihr nicht ihr Vater berichtet. Der schlimmste Vorfall sei im Alter von ca. 10 Jahren gewesen. Sie habe, bekleidet mit einem Unterhemd, auf einem Tisch gekniet und ein Mann, sie wisse nicht wer, habe einen Finger in ihre Scheide eingeführt. Sie erinnere sich daran, dass Onkel H. wiederholt verlangt habe, dass sie ihre Unterhose ausziehe, um zu sehen, ob sie sauber sei. Er habe sie oft in ihrem Kinderzimmer aufgesucht, ohne dass jemand dies bemerkt habe. Sie könne sich erinnern, mehrfach in ihrem Zimmer in eine Decke gehüllt sitzend aufgewacht und nicht mehr in ihrem Bett gewesen zu sein. Onkel H. habe sein Auto hinter dem Haus geparkt. Er habe auch einen Hausschlüssel gehabt. Als sie ein anderes Zimmer näher bei ihren Großeltern bezogen habe, habe Onkel H. öfter mit ihr sog. Spritztouren gemacht, d. h., er habe sie im Auto mitgenommen. Sie sei mehrmals mit ihrer Mutter und Onkel H. ohne ihren Vater in den Urlaub gefahren. Dort habe Onkel H. sie oft gebadet und gewaschen. Als sie 12 Jahre alt gewesen sei, habe er ihr einmal auf der Strandpromenade die Schleifen der Bikinihose aufgezogen und sie habe ohne Hose dagestanden. Sie könne sich erinnern, dass sie ihn habe anfassen müssen. Er sei ausgezogen gewesen und sie habe sein Glied streicheln müssen. Er sei auch mehrfach, wohl mit den Händen, in sie eingedrungen. Er habe große, stark dunkel behaarte Hände gehabt, wie ein Affe.
27 
Bei der angeblichen Blinddarmoperation im Alter von 12 Jahren sei sie gynäkologisch untersucht worden, obwohl sie nicht weit entwickelt gewesen sei. Sie habe danach eine kleine Narbe gehabt und eine Menstruationsblutung. Man habe ihr erklärt, wie sie eine Binde verwende.
28 
Es habe ein Redeverbot gegeben. Onkel H. habe gesagt, wenn sie ihrer Mutter etwas erzähle, müsse diese sterben. Sie habe das geglaubt, weil ihre Mutter Herzanfälle gehabt habe und sie von ihr abgeschirmt worden sei. Man sei öfter über die sog. Lügenbrücke im Ort spazieren gegangen und ihr sei gesagt worden, wenn sie lüge, breche die Brücke zusammen. Im Alter von ca. 8 Jahren habe sie ihrem Kindermädchen, der Zeugin S., berichtet, dass sie Blut in der Unterhose habe. Diese habe gesagt, das müsse vom Schaukeln kommen. Sie habe auch öfter gesagt, sie wisse ja Bescheid, müsse doch aber immer wieder dorthin kommen. Mit ca. 8 Jahren habe sie bei ihrer Tante G., die sie als Vertrauensperson angesehen habe, auf eine mit PVC bezogene Kommode einen Mann gemalt, der ein Kind anfasse. Tante G. habe mit ihr geschimpft. Mit 15 Jahren habe sie ihren ersten Freund gehabt. Sie wisse nicht, ob sie mit ihm intim gewesen sei. Er sei zu ihrer Mutter gegangen und habe gesagt, mit ihr stimme etwas nicht. Danach habe sie ihn nicht mehr gesehen. Die von Frau C. beschriebenen Gruppenvergewaltigungen mehrerer Erwachsener mit mehreren kindlichen Opfern seien Flashbacks gewesen. Sie könne nicht sagen, ob es wirkliche Erinnerungen seien.
29 
Manchmal seien Erinnerungen gleich weggewesen, das könne an den Medikamenten gelegen haben. Sie wisse nicht, warum das Redeverbot bis heute noch wirke.
30 
Ihr Bruder M. sei bei der Lebensbeichte des Vaters nicht die ganze Zeit anwesend gewesen, weil er habe arbeiten müssen. Er sei selbst stark traumatisiert, sei lange untergetaucht gewesen und habe Alkoholprobleme gehabt. Die Zeugin S. sei zu ihrer Zeugenvernehmung von Onkel H. Sohn M. begleitet worden. Vielleicht habe sie deshalb nicht die Wahrheit gesagt.
31 
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ein Schreiben an den Senat vorgelegt.
32 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 21.04.2015, auf die Prozessakten beider Instanzen, den Verwaltungsvorgang des Beklagten, die Schwerbehindertenakte und die Akten des AG H. zu Az. 1 F 646/07 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
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Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
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Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
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Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
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Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
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Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
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Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
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Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
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Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
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Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
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Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
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Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
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PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
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Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt die Anerkennung, Opfer schädigender Ereignisse in Form von sexuellem Missbrauch zwischen 1966 und 1978 geworden zu sein und infolgedessen unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bzw. einer rezidivierenden depressiven Störung und schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen zu leiden.
Die am ... Januar 1962 geborene Klägerin zog im Alter von 16 Jahren aus dem Elternhaus aus, wo sie bis dahin mit zwei älteren und einem jüngeren Bruder aufgewachsen war. Sie machte den Hauptschulabschluss, danach zunächst eine Ausbildung zur Kinderpflegerin, später zur Wochenpflegerin, Arzthelferin und Krankenschwester. Im Jahr 1980 heiratete sie und bekam drei Kinder, geboren 1981, 1984 und 1988. Sie war erwerbstätig als Arzthelferin, als Nachtwache im Krankenhaus, als Kinderpflegerin und als sozialpädagogische Familienhelferin. 1985 kollabierte sie während eines Nachtdienstes, litt anschließend unter Schlafstörungen, Kraftlosigkeit, Appetitstörungen und machte eine Kur in Bad S. wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände und damals fraglicher depressiver Episode. 1992 führte sie eine Mutter-Kind-Kur in C. wegen starker Erschöpfung durch, ob eine depressive Episode vorlag, ist nicht unbekannt (GA Dr. F. Bl. 68 SG-Akte). Sie machte zahlreiche Fortbildungen: Im März 2004 bildete sie sich im Selbststudium zur beratenden Kinderpsychologin (nicht anerkannt) fort, im selben Jahr besuchte sie den Fachtag Dokumentation und Beobachtung in der offenen Kita-Arbeit, 2007 den Fachtag Suchtprobleme am Arbeitsplatz, wurde Betriebshelferin für Erste Hilfe, nahm an einer Veranstaltung zum Thema: „riskante Kinderwelten brauchen Schutz“ teil, am Fachtag Suchtprävention, am G.-V. Kinder und Jugendliche in der Schule, 2008 am Fachtag frühe Hilfen im O. sowie an der Fortbildung: „Risikoverhalten in der Pubertät“.
Im Jahr 2006 wurde die Ehe geschieden. Von 2008 bis 2013 führte die Klägerin eine Klage vor dem Amtsgericht H. (AG) wegen nachehelichen Ehegattenunterhalts, in dessen Verlauf sie zwecks Feststellung des Umfangs ihrer Erwerbsfähigkeit mehrfach u. a. von PD Dr. F. (aufgrund der partiellen Amnesie könne die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden, es spräche mehr gegen die Diagnose einer PTBS) begutachtet wurde. Seit 1. Februar 2009 bezieht sie unbefristet Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Bescheid Bl. 62 VV), zwischenzeitlich auch eine bis 2015 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung (Entlassbericht Bl. 137 Senatsakte). In seinem Gutachten für die D. R. vom 28. April 2009 stellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. die Diagnosen einer PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, eines psychophysischen Erschöpfungszustands und einer reaktiven Depression. Über die ersten 16 Jahre ihres Lebens habe die Klägerin keine Erinnerung, was sie berichte, habe sie von Angehörigen erfahren. Im Alter von drei Jahren habe sie wohl an einer Enzephalitis und Meningitis gelitten, Unterlagen gebe es in der Kinderklinik in G. nicht mehr. Anschließend seien regelmäßig Elektroenzephalogramme (EEGs) abgeleitet worden und sie habe bis etwa zum 15. Lebensjahr Mylepsinum einnehmen müssen. Ihr sei berichtet worden, sie habe von 1968 bis 1977 die Grund- und Hauptschule in D. besucht. Man habe ihr berichtet, sie habe keine Klassenarbeiten mitschreiben dürfen, da sie sich nicht aufregen oder freuen dürfe.
Nach der Geburt ihres Sohnes K. 1984 sei sie Anfang 1985 während eines Nachtdienstes zusammengebrochen. Sie sei zur Kur nach Bad S. gekommen. Darüber gebe es keine Unterlagen. Nach der Schwangerschaft mit ihrer Tochter 1988 habe sie ein „normales“ Leben gelebt. Bis 1994 sei sie psychisch relativ stabil gewesen, sie habe „funktioniert“. Im Rahmen einer schweren Erkrankung ihres Sohnes K. - schwere Operation mit protrahiertem Verlauf nach Platzen eines Meckel´schen Divertikels - sei der Verdacht entstanden, die Heilung des Sohnes verzögere sich oder werde unmöglich durch ihre eigenen Ängste. Daraufhin sei sie zu Dr. T. in Psychotherapie gegangen. Im Dezember 1995 sei ihr Vater gestorben und habe ihr zuvor am Sterbebett eröffnet, sie sei vom Liebhaber ihrer Mutter sexuell missbraucht worden. Anschließend habe sie sich in Therapie bei Psychotherapeutin (nach dem Heilpraktikergesetz - HPG) C. begeben. Im Rahmen der Therapie habe sich herausgestellt, dass sie wohl innerfamiliär in der Kindheit über Jahre hinweg sexuelle Missbrauchserfahrungen erlitten habe, in deren Folge es zu Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen gekommen sei.
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. stellte in seinem Gutachten für das AG vom 9. November 2008 die Diagnosen histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen (ICD-10 F 60.4, F 43.1), berichtete depressive Stimmungsschwankungen und zurückliegende Essstörung (derzeit nicht aktuell). Allgemeine Erschöpfungszustände, Stimmungsschwankungen und zugleich eher fahrige Schilderungen ließen sich unter einer histrionischen Strukturierung einordnen. Zwar kämen dissoziative Störungen auch bei einer PTBS vor, der anamnestische Kontext spreche aber weniger für die Zuordnung zu einer PTBS. Anhaltende Erinnerungen, eindeutiges und spezifisches Wiedererleben eines früheren Traumas, aufdringliche Nachhallerinnerungen würden nicht berichtet, auch kein Vermeidungsverhalten, etwa gegenüber Situationen, die Flashbacks hervorriefen oder mit der Belastungssituation in Zusammenhang gebracht würden. Sie berichte über gynäkologische Untersuchungen, die ganz komisch gewesen seien. Es sei ihr noch völlig unklar, was überhaupt passiert sei. Ihre Amnesie werde inzwischen nur partiell durchbrochen, sie habe viel erfahren, was für andere unvorstellbar sei. Hierbei assoziiere sie allerdings weniger eigene Missbrauchserfahrungen als vielmehr die Besonderheiten in ihrer Familienstruktur, die „Männerbeziehungen“ der Mutter, wo auch noch „der Vater gegenüber“ gesessen habe. Auffällig sei, dass sie - im Zusammenhang etwas abrupt - darauf zu sprechen gekommen sei, vom Vater nicht missbraucht worden zu sein.
Gegenüber dem Gutachter Dr. S. gab die Klägerin am 8. September 2008 an, sie habe bis zum 16. Lebensjahr überhaupt keine Erinnerung an ihr Leben. Das sei alles nur erforscht und berichtet.
PD Dr. F. stellte in seinem Gutachten vom 25. Oktober 2010 an das AG die Diagnose einer PTBS, differentialdiagnostisch einer generalisierten Angststörung. Das Trauma-A-Kriterium sei durch die psychiatrische Exploration nicht zu beweisen. Es bestünden deutliche Hinweise auf eine frühkindliche Traumatisierung. Aufgrund der Amnesie könne jedoch die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden. Ein False-memory-Syndrome liege nicht vor, denn die Symptomatik sei nicht durch genaue Befragungen und Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen, sondern durch die Berichte des sterbenden Vaters ausgelöst worden. Bis zum Alter von 16 Jahren habe sie zunächst keinerlei Erinnerungen an ihr Leben gehabt. Alles was sie heute wisse, seien Inhalte aus Erzählungen anderer und Erinnerungsbruchstücke, die sie in langen Jahren der Psychotherapie mit plötzlich einschießenden Bildern und nachfolgendem intensivem Nachforschen erfahren habe. Sie habe keinen Sport und keine Prüfungen machen dürfen, da man unter jeder Art von Stress einen epileptischen Anfall befürchtet habe. Die Kommunion habe sie allein erhalten, der Pfarrer habe die Beichte bei ihr zu Hause abgenommen. Sie habe teilweise bis zu 15 Medikamente bekommen. Mit 12 oder 13 Jahren sei sie innerhalb des Hauses zu ihren Großeltern mütterlicherseits gezogen und von diesen weiter aufgezogen worden. Mit 16 sei sie zu Hause ausgezogen, seitdem habe sie regelmäßige Erinnerungen an ihr Leben. Bis 1995 habe sie keine Alpträume und keine belastenden Bilder, die sie überfielen, gehabt. Ihr Vater habe ihr kurz vor seinem Tod viel Belastendes aus ihrer Kindheit und Jugend erzählt. Er habe berichtet, Onkel H. habe ihr etwas Schlimmes angetan, er habe ihr weh getan und etwas getan, was man Kindern nicht antun sollte. Er, der Vater, habe sie nicht schützen können, nicht den Mut gehabt und sich in seine Arbeit gestürzt. Es habe viele wechselnde Liebhaber der Mutter gegeben. Diese seien nach Vermutung der Klägerin ebenfalls fragliche Täter sexuellen Missbrauchs an ihr. Die Berichte ihres Vaters hätten einige Bilder zusammengeführt, die in ihrem Kopf gewesen seien und mit denen sie bis dahin nichts habe anfangen können. Leider erinnere sie sich heute nicht mehr genau an alles, was ihr Vater ihr erzählt habe. Nach dem Tod des Vaters seien ihr immer wieder belastende Bilder in den Kopf gedrängt. Inzwischen erinnere sie sich an mehrfachen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Sie habe eine Erinnerung an eine Vergewaltigung, gegen die sie sich gewehrt habe, als er sie im Schlafzimmer der Eltern aufs Bett gelegt und festgehalten habe. Sie habe ihn gebissen und versucht, ihn zu schlagen. Während der einschießenden Bilder höre sie oft seine Sprüche von Onkel H.. Er habe sie „Bettchen“ genannt, wenn sie zu ihm habe kommen sollen. Er habe gesagt, sie solle zu ihm kommen, um eine „Spritztour“ zu machen. Das sei ein Synonym für sexuelle Handlungen gewesen. Im Alter von 5 Jahren habe sie sich beim Arzt geweigert, sich auszuziehen. Ihre Mutter habe zu dem Arzt gesagt, er müsse sagen, sie solle „Striptease“ machen, dann würde sie sich ausziehen. Daher denke sie, dass zu diesem Zeitpunkt schon vieles vorgefallen sei, was mit sexuellem Missbrauch zu tun habe. Zur späteren Narkose bei der Tonsillektomie habe man sie festhalten müssen, weil sie getobt habe. Sie habe auch Erinnerungen an sexuelle Belästigungen der Haushälterin und der Freundin ihres Bruders durch Onkel H. sowie sexuelle Handlungen zwischen diesem und der Mutter auf der Wohnzimmercouch, während sie, ihre Geschwister und der Vater anwesend gewesen seien. 1996 habe sie Onkel H. gesucht, aber nicht gefunden. Ihre Familie sei nicht bereit gewesen, über die Vergangenheit zu sprechen, habe gesagt, dass sie verrückt sei. 2003 habe sie den Kontakt zu ihrer Primärfamilie aufgrund der immer vermehrt auftretenden Kindheitserinnerungen abgebrochen. An aktuellen Beschwerden habe sie berichtet, belastende Bilder würden einschießen. Sie sehe z. B. die Gestalt ihrer Patentante, auch Onkel H. mit dunklen Haaren, sehe seine Hände, höre seine Stimme. Sie habe auch schon die Form einer Flasche gesehen. Nachforschungen hätten ergeben, dass dies eine Whiskyflasche der Marke „Racke rauchzart“ sei. Ihre Mutter habe oft gesagt, sie müsse noch „Racke rauchzart“ kaufen. Sie sehe Bilder von sich im Kindes- und Jugendalter aus verschiedenen Perspektiven, neben sich, über sich oder aus ihren eigenen Augen, als sei sie selbst beteiligt. Sie habe sich in einer Ecke mit einer Decke über sich gesehen, so als habe sie sich schützen wollen. Sie habe auch immer wieder Bilder aus einem Behandlungszimmer in einem Krankenhaus gesehen. Wenn sie viele Bilder von sexuellem Missbrauch überfielen, hätten diese oft mit Onkel H. zu tun. Einmal habe sie während der Begutachtung berichtet, ein Bild würde immer wieder kommen und dann vor ihren Augen stehen bleiben. Es habe mit einem sexuellen Missbrauch an ihr zu tun, genauer könne sie es nicht beschreiben.
2004 nahm sie den dritten Vornamen P. an, 2007 machte sie diesen dritten Vornamen zum Rufnamen, nahm zwei weitere Vornamen an und behielt den Ehenamen als Nachnamen, heißt somit nun nicht mehr B. B., sondern P. D., geb. D..
Die Klägerin litt im Kleinkindalter an einer Meningoenzephalitis (Gehirnentzündung/Hirnhautentzündung) im Alter von drei Jahren, weshalb bis zum 16. Lebensjahr eine Therapie mit Primidon, einem Antikonvulsivum, durchgeführt wurde (Bericht Epilepsiezentrum K. vom 26. September 1993, betr. den Sohn der Klägerin K. D., Anlagenkovolut zur AG-Akte). Sie führte in den Jahren 1984 und 1992 stationäre Reha-Maßnahmen wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände durch. Vom 19. Dezember 2000 bis 4. Januar 2001 war sie in stationärer psychotherapeutischer Behandlung in der H. Bad Z., wegen eines Erschöpfungszustands infolge von „harter Arbeit in ambulanter Psychotherapie“, in der sie traumatische Erlebnisse in ihrer Kindheit bearbeitet habe. Dort wurde die Diagnose einer rezidivierenden mittelgradigen depressiven Störung und die Verdachtsdiagnose einer psychogenen Amenorrhoe seit 1998 gestellt (Bl. 14 VV). Ab Mai 1994 führte sie eine Psychotherapie bei Dr. T., Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, durch, seit August 1996 bei M. C., Psychotherapeutin nach dem HPG (ohne Kassenzulassung). Frau C. gab in einer Stellungnahme vom 15. August 2008 gegenüber dem Beklagten an, die Klägerin leide an Depressionen infolge schwerer Anpassungsstörungen, aufgrund über Jahre fortgesetzter schwerster Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, in deren Folge es zu Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen gekommen sei. Als Kind seien ihr Psychopharmaka, zeitweilig in Verbindung mit Alkohol, verabreicht worden. Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit März 2008 anerkannt (Bescheid vom 17. Dezember 2008, Bl. 23 VV).
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Am 4. Februar 2009 stellte sie über den Weißen Ring einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Der Weiße Ring gab darin an, die Klägerin sei in ihrer Kindheit Opfer eines schweren sexuellen Missbrauchs geworden. Dies führe dazu, dass sie an ca. 16 Lebensjahre keine Erinnerung habe. In langjährigen Therapien seien als Ursache hierfür Geschehnisse in der Kindheit ermittelt worden. In ihrem Antrag gab die Klägerin als schädigendes Ereignis an: sexueller Missbrauch, ca. 1965 – 1978, “als Gesundheitsstörung eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Amnesie von ca. 16 Lebensjahren, keine Zeugen, Namen der schädigenden Personen nicht bekannt“. Mit Bescheid vom 23. März 2009 wurde der Antrag abgelehnt (Bl. 28 VV). Es sei nicht objektiv nachgewiesen, dass die Klägerin Opfer einer Gewalttat geworden sei. Die Beweiserleichterung für den Fall, dass unverschuldet kein Nachweis erbracht und keine Zeugen benannt werden könnten, greife nicht ein, weil die Klägerin den Sachverhalt aufgrund der Amnesie nicht aus eigener Erinnerung beschreiben könne. Die ärztlichen Befundberichte reichten für eine Beweisführung nicht aus, weil aus dem vorliegenden psychiatrischen Störungsbild keine Rückschlüsse auf ein spezifisches Ereignis gezogen werden könnten und kein Profil psychiatrischer Symptome eindeutig auf eine traumatische Vergangenheit hinweise.
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Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. E. vor (Bl. 57 VV), der sie seit 1997 betreute. Demnach stehe im Vordergrund der zweimal monatlichen Konsultationen ein psycho-physischer Erschöpfungszustand bei posttraumatischer Belastungsstörung nach kindlicher Missbrauchserfahrung. Sie könne sich an Einzelheiten in ihrer Kindheit und Jugend nicht erinnern. Diese seien erst nach mehrjährigen mehrfachen Psychotherapien in einem extrem belastenden Prozess wieder aufgetaucht. Sie leide häufig unter ausgeprägter körperlicher Schwäche und somatischen Beschwerden ohne somatisches Korrelat, Bauchschmerzen, Leistenschmerzen, Schmerzen im linken Bein und Sensibilitätsstörungen in der linken Gesichtshälfte. 1999 habe sie bis auf 42 kg abgenommen und in den letzten Jahren bis auf 75 kg zugenommen. Beim Neurologen und Psychiater S. war sie seit 2001 nur in mehrjährigen Abständen. 2001 nahm sie an einer geleiteten Frauengruppe des Vereins „A.“ mit dem Anliegen, eigene Selbstzweifel bezüglich ihrer Gewalterfahrungen zu klären, teil (Bl. 61 VV). Weiterhin legte sie eine Stellungnahme der Frau C. vom 13. Oktober 2009 (Bl. 88 VV) vor. Darin schildert diese die „Geschichte“ der Klägerin, die nicht in der Lage sei, selbst darüber zu berichten. Seit dem Tod des Vaters, der ihr auf dem Sterbebett über Familiengeheimnisse berichtet habe, seien sie und ihr Sohn immer kränker geworden, ohne dass die Ärzte hätten sagen können, was ihr fehle. Der kleinen B. sei ein absolutes Redeverbot unter Androhung härtester Strafen auferlegt worden. „…H. ist der offizielle Liebhaber der Mutter und thront ab 1962 im Wohnzimmer auf dem Sofa neben der Mutter, vor sich eine Flasche Whisky. … Ab kleinster Kindheit (ca. 4 - 5 Jahre) wird P. vom Liebhaber H. sexuell missbraucht. Sie wird auch in fremde Häuser gebracht, man gibt ihr Alkohol und Medikamente, damit sie ruhig bleibt. … Sie wird oral und anal vergewaltigt, regelmäßig, von verschiedenen Männern, wird zeitweise währenddessen fixiert, wird eingesperrt. Andere Kinder sind auch dabei, auch manchmal ihr Bruder M., vor allem eine gleichaltrige Tochter von H.. … Eine zweite Frau scheint allgegenwärtig im System und dokumentiert alles, wie wenn es ein Experiment wäre: Tante G., Schwester des Vaters (medizintechnische Assistentin in einem Versuchslabor). Bei vielen „Experimenten“ an den Kindern waren die Männer als Arzt verkleidet (weißer Kittel und Stethoskop). Damit keine Informationen über die Familie nach außen drängen, werden Kontakte zu anderen Kindern unterbunden, B. darf nicht zum Sport, alles mit der Erklärung, das Kind sei psychisch labil, hätte epileptische Anfälle. Mit 12 Jahren wird B.-P. schwanger, unter dem Vorwand einer Blinddarmoperation wird sie nach N. zu Tante K. gebracht, wo sie „operiert“ wird, wo eine Abtreibung vorgenommen wurde…“. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 83 VV).
12 
Am 10. Juni 2010 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihre Mutter habe an den Missbrauchshandlungen mitgewirkt. Sie selbst habe an ihre ersten 15 bis 16 Lebensjahre kaum oder lediglich bruchstückhafte Erinnerungen. Im Rahmen sogenannter Flashbacks habe sie mit ihrer Therapeutin in langjähriger Therapie zahlreiche Vorfälle sexuellen Missbrauchs zusammentragen können. Ihr Bruder M., dessen Aufenthaltsort sie nicht kenne, sei bei den sexuellen Übergriffen zum Teil zugegen gewesen und habe am Sterbebett des Vaters dessen Berichte mitgehört. Sie habe alles Zumutbare zur Sachverhaltsaufklärung getan, so dass die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG eintrete. Die bei ihr vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergäben eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für sexuellen Missbrauch, auch die nur bruchstückhafte Erinnerung. Dies sei durch Gutachten belegt.
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Frau C. hat in ihrer Auskunft an das SG vom 7. Januar 2011 angegeben, es bestehe der Verdacht auf eine PTBS nach ICD-10 F 43.1 und der Verdacht auf dissoziative Amnesien sowie dissoziativen Stupor und dissoziative Bewegungsstörungen nach ICD-10 F 44.0, F 44.2.0 und F 44.7. Man müsse davon ausgehen, dass diese dissoziativen Zustände zur Zeit der Traumatisierung als emotional-physiologische Notlösung des Gehirns entstanden seien, das sonst keine Möglichkeit gehabt habe, die massiven, sadistisch geprägten sexuellen Übergriffe zu bearbeiten. Die ursprüngliche Symptomatik habe bereits darauf hingedeutet, dass sie an den Folgen einer langjährigen schwersten Traumatisierung leide. Zur Stabilisierungsphase habe der totale Bruch mit der Ursprungsfamilie mit Namensänderung 2007 gehört. Ab 1998 seien Erinnerungsfetzen an die Oberfläche gekommen, die allerdings nicht sprachlich, dafür aber mit nonverbalen Methoden hätten aufgedeckt werden können. Bis vor 1 – 2 Jahren habe noch das Redeverbot auf der Klägerin gelastet. Die Schaffung eines Zugangs zum Traumamaterial habe nur mit Hilfe von Psychopharmaka verkraftet werden können, jetzt sei die Klägerin teilweise abhängig von Benzodiazepinen, um sich gegen überflutende traumaartige Bilder zu wehren und schlafen zu können. Bis heute könne keine Traumaexposition durchgeführt werden, weil mit einer erneuten Destabilisierung zu rechnen sei. Die wiederholten Explorationen zur Erstellung von Gutachten hätten jeweils eine schwerwiegende Retraumatisierungssymptomatik provoziert. Die Scheidung 2005 habe neue Belastungsfaktoren in Form einer Unterhaltsklage mit sich gebracht. Im Hintergrund der vorliegenden Auseinandersetzung stehe das Bedürfnis, mit ihrer Geschichte gehört und anerkannt zu werden, damit ihr existentielles Bedürfnis nach Gerechtigkeit gestillt werden könne.
14 
Das SG hat die Klägerin in mündlicher Verhandlung am 16. September 2011 gehört (Niederschrift Bl. 88 SG-Akte). Sie hat angegeben, nach konkreten Erinnerungen an ihre Kinder- und frühe Jugendzeit befragt, könne sie sich tatsächlich nicht an Details, d. h. Gesichter oder Räumlichkeiten oder Sachverhalte erinnern. Vielmehr habe sie aus Erzählungen Dritter, z. B. zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, die sie im Kinder- und Jugendalter gehabt habe, Informationen erhalten. Diese halte sie für die Realität. Hierauf beschränkten sich letztlich ihre “Erinnerungen“ an diese Zeit. Da sie ab dem dritten Lebensjahr wegen ihrer angeblichen Erkrankungen mit Medikamenten versorgt worden sei, nehme sie an, dass die an ihr verübten Taten zu diesem Zeitpunkt begonnen haben müssten.
15 
Das SG hat den Bruder der Klägerin, den Zeugen R.-M. B., Rufname M., und die Haushälterin der Familie, die Zeugin B. S., durch einen ersuchten Richter beim Sozialgericht S. vernehmen lassen. Die Mutter der Klägerin hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Der Zeuge B. hat in seiner Vernehmung angegeben, die Klägerin habe ca. 1964 eine Hirnhautentzündung gehabt und sei dadurch sehr zurückgeworfen gewesen, in der Schule und so. Das habe sich erst in der Lehre gebessert. Sein Vater habe nach 18 Uhr ein Bier oder ein Glas Wein getrunken, er habe ihn aber nicht betrunken erlebt. Die Hausangestellte sei nur stundenweise gekommen. Onkel H., ein weitläufiger Verwandter seines Vaters, habe nicht im Haus gewohnt. Seines Wissens seien keine sexuellen Handlungen an der Klägerin vorgefallen, er habe auch nichts hierüber gehört. Von einer Schwangerschaft der Klägerin ca. 1974 wisse er nichts. Sein Vater habe vor seinem Tod eine Lebensbeichte abgelegt, alles vom Krieg bis zu seinem Sterbedatum erzählt. Über die Klägerin habe er nicht gesprochen. Onkel H. sei öfter nach Feierabend zu Besuch gewesen, allerdings habe er, der Zeuge, da nicht mehr zu Hause gelebt. Gegenstand der Lebensbeichte des Vaters sei auch gewesen, dass der jüngere Bruder M. nicht sein Sohn, sondern Onkel H. dessen Vater sei. Die Zeugin S. hat bekundet, sie habe sich meist abends stundenweise um die Klägerin gekümmert. Onkel H. sei gelegentlich dort im Haus gewesen. Zu einem sexuellen Missbrauch könne sie nichts sagen, weder aus eigenen Wahrnehmungen noch vom Hörensagen. Zu einer Schwangerschaft der Klägerin Mitte der Siebziger Jahre könne sie keine Angaben machen. Sie sei zu diesem Zeitpunkt noch regelmäßig dort gewesen. Ihr sei nichts aufgefallen. Sie habe bis heute Kontakt zur Mutter der Klägerin und dem jüngeren Bruder M..
16 
Die Klägerin hat Fotos vorgelegt (Bl. 253 SG-Akte), auf denen eine von ihr als Onkel H. bezeichnete männliche Person auf einem Sofa neben der Mutter sitzt, neben der Klägerin – beide rauchend – den Arm um sie legend, stehend neben der Zeugin S., die den Arm um ihn legt, Urlaubsbilder und Bilder ihrer Trauung, bei der sie neben Onkel H. zu sehen ist.
17 
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. März 2013 abgewiesen. Ausgangspunkt für die Feststellung eines schädigenden Ereignisses sei das Vorbringen der Klägerin. Bei ihr bestünden an den fraglichen Zeitraum, mithin auch an die geltend gemachten Taten, keine konkreten Erinnerungen. Vorhanden seien lediglich die im Rahmen der Psychotherapie bei Frau C. zutage geförderten bruchstückhaften Erinnerungen, die sich als einschießende Bilder mit belastender psychischer Reaktion darstellten. Dabei sei klar, dass es sich bei den Bildern, die der Klägerin spontan vor Augen träten, nicht um Erinnerungen an konkrete Geschehensabläufe in der Vergangenheit handele, sondern um bildhaft innerpsychische Vorgänge, die einer Interpretation bzw. Deutung bedürften. Daher sei nicht die Frage, ob die Angaben der Klägerin überzeugend und glaubhaft seien, sondern ob diese den Schluss zuließen, dass sich die geltend gemachten Geschehensabläufe tatsächlich zugetragen hätten. Dies sei nach dem Beweisergebnis nicht der Fall. Es schließe sich der Beurteilung des PD Dr. F. an, der dargelegt habe, dass die einschießenden Bilder nicht den zwingenden Schluss zuließen, das sich der Missbrauch so zugetragen und daher nur die Verdachtsdiagnose einer PTBS gestellt habe. Die entgegenstehende Stellungnahme der behandelnden Psychotherapeutin, die keine Facharztausbildung habe und deren Stellungnahmen jegliche professionelle Distanz vermissen ließen, hätten dagegen nicht überzeugt. Die Angaben der Klägerin außerhalb des Kerngeschehens hätten sich ebenfalls nicht bestätigen lassen, so das Vorbringen, ihr Bruder M. sei zugegen gewesen, als ihr Vater auf dem Sterbebett Hinweise auf die Missbrauchshandlungen gegeben habe. Auch das Kerngeschehen, nämlich dass ihr Bruder M. teilweise bei den Missbrauchshandlugen zugegen gewesen sei, habe dieser nicht bestätigt. Die Zeugin S. habe das Klagevorbringen ebenfalls nicht bestätigt, wobei nichts gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben spreche. Die vorgelegten Fotos bewiesen zwar ein gewisses Näheverhältnis der abgebildeten Personen, aber nichts darüber hinaus. Die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG führe zu keinem anderen Ergebnis, da die Klägerin ausdrücklich zugebe, keine Angaben machen zu können, da sie sich nicht erinnere. Es halte die Schilderung der Klägerin hinsichtlich der einschießenden Bilder und des angegebenen Inhalts durchaus für glaubhaft. Dies ändere nichts daran, dass mit diesen Bildern nicht der Nachweis eines tatsächlichen Geschehensablaufs in der Vergangenheit geführt werden könne.
18 
Gegen das am 16. April 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Mai 2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Die Zeugen seien nicht glaubwürdig. Der Zeuge B. habe nicht bekennen wollen, selbst Missbrauchsopfer zu sein. Er habe ihr einen Brief geschrieben und erklärt, „…auch ich habe mir in den letzten Jahren die gleichen Fragen gestellt, wie du“. Die Zeugin S. habe sich in einem Interessenkonflikt befunden. Die vorgelegten Fotos belegten eindeutig einen mehr als vertrauten Umgang zwischen ihrer Mutter, Onkel H. und ihr selbst. Sie habe durchaus Erinnerungen, verspüre aber ein innerliches Redeverbot im Sinne eines Schweigegebots. Mit Schriftsatz vom Juni 2014 hat sie über ihre neue Bevollmächtigte mitgeteilt, einige Vorgänge schildern zu können. Sie erinnere sich an einen Urlaub in einem Waldgebiet, den sie gemeinsam mit ihrer Mutter und Onkel H. verbracht habe. Man habe in einer gemieteten Hütte gewohnt. Onkel H. habe sie im kindlichen Alter gebadet und danach ihre Genitalien untersucht. Sie erinnere sich an einen Übergriff im Gartenzimmer am Ende des Elternhauses. Onkel H. sie damals dort im kindlichen Alter aufgesucht, sei zu ihr ans Bett gekommen und habe ihr etwas aus einem Schnapsglas zu trinken gegeben. Er habe sich zu ihr ins Bett gelegt und sie am Körper berührt. Sie sei unbekleidet zurückgeblieben und habe in den Morgenstunden starke Übelkeit verspürt. Im Alter von 14 Jahren hätten sich die Übergriffe des Onkels gesteigert. An einem Tag habe sie sich im Schlafzimmer der Eltern befunden. Onkel H. habe das Zimmer betreten, sie gepackt, auf die Bettseite der Mutter geworfen und sich auf sie gelegt. Er habe ihr im Alter von 14 Jahren die Arme festgehalten und einen Zungenkuss gegeben. Sodann habe er sie gegen ihren erkennbaren Willen zwischen den Beinen berührt. Erst durch die massive Gegenwehr habe er von ihr abgelassen.
19 
Die Klägerin beantragt,
20 
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 aufzuheben und eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen,
21 
hilfsweise, eine rezidivierende depressive Störung bei aktuell nicht vorhandener depressiver Episode und unter schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen.
22 
Der Beklagte beantragt,
23 
die Berufung zurückzuweisen.
24 
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig. Der Rückschluss von einer Diagnose auf ein ursächliches schädigendes Ereignis sei nicht möglich. Es gebe keine Zeugenaussagen, die die behaupteten Missbrauchshandlungen bestätigten.
25 
Zuletzt hat die Klägerin einen Behandlungsbericht von Dr. E., Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über ambulante Behandlungen am 2. Oktober sowie 6. und 18. November 2014 vorgelegt. Darin wird eine stationäre Traumatherapie empfohlen, deren Voraussetzung aber eine stabile Abstinenz von Benzodiazepinen und kein laufendes Rentenverfahren sei. Die Klägerin strebe die Verlängerung der 2015 auslaufenden Rente wegen voller Erwerbsminderung an. Einen zunächst gestellten Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens hat die Klägerin zurückgenommen.
26 
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 21.04.2015 gehört. Sie hat bekundet, sie könne nunmehr Vorfälle schildern, an die sie sich erinnere. Diese habe ihr nicht ihr Vater berichtet. Der schlimmste Vorfall sei im Alter von ca. 10 Jahren gewesen. Sie habe, bekleidet mit einem Unterhemd, auf einem Tisch gekniet und ein Mann, sie wisse nicht wer, habe einen Finger in ihre Scheide eingeführt. Sie erinnere sich daran, dass Onkel H. wiederholt verlangt habe, dass sie ihre Unterhose ausziehe, um zu sehen, ob sie sauber sei. Er habe sie oft in ihrem Kinderzimmer aufgesucht, ohne dass jemand dies bemerkt habe. Sie könne sich erinnern, mehrfach in ihrem Zimmer in eine Decke gehüllt sitzend aufgewacht und nicht mehr in ihrem Bett gewesen zu sein. Onkel H. habe sein Auto hinter dem Haus geparkt. Er habe auch einen Hausschlüssel gehabt. Als sie ein anderes Zimmer näher bei ihren Großeltern bezogen habe, habe Onkel H. öfter mit ihr sog. Spritztouren gemacht, d. h., er habe sie im Auto mitgenommen. Sie sei mehrmals mit ihrer Mutter und Onkel H. ohne ihren Vater in den Urlaub gefahren. Dort habe Onkel H. sie oft gebadet und gewaschen. Als sie 12 Jahre alt gewesen sei, habe er ihr einmal auf der Strandpromenade die Schleifen der Bikinihose aufgezogen und sie habe ohne Hose dagestanden. Sie könne sich erinnern, dass sie ihn habe anfassen müssen. Er sei ausgezogen gewesen und sie habe sein Glied streicheln müssen. Er sei auch mehrfach, wohl mit den Händen, in sie eingedrungen. Er habe große, stark dunkel behaarte Hände gehabt, wie ein Affe.
27 
Bei der angeblichen Blinddarmoperation im Alter von 12 Jahren sei sie gynäkologisch untersucht worden, obwohl sie nicht weit entwickelt gewesen sei. Sie habe danach eine kleine Narbe gehabt und eine Menstruationsblutung. Man habe ihr erklärt, wie sie eine Binde verwende.
28 
Es habe ein Redeverbot gegeben. Onkel H. habe gesagt, wenn sie ihrer Mutter etwas erzähle, müsse diese sterben. Sie habe das geglaubt, weil ihre Mutter Herzanfälle gehabt habe und sie von ihr abgeschirmt worden sei. Man sei öfter über die sog. Lügenbrücke im Ort spazieren gegangen und ihr sei gesagt worden, wenn sie lüge, breche die Brücke zusammen. Im Alter von ca. 8 Jahren habe sie ihrem Kindermädchen, der Zeugin S., berichtet, dass sie Blut in der Unterhose habe. Diese habe gesagt, das müsse vom Schaukeln kommen. Sie habe auch öfter gesagt, sie wisse ja Bescheid, müsse doch aber immer wieder dorthin kommen. Mit ca. 8 Jahren habe sie bei ihrer Tante G., die sie als Vertrauensperson angesehen habe, auf eine mit PVC bezogene Kommode einen Mann gemalt, der ein Kind anfasse. Tante G. habe mit ihr geschimpft. Mit 15 Jahren habe sie ihren ersten Freund gehabt. Sie wisse nicht, ob sie mit ihm intim gewesen sei. Er sei zu ihrer Mutter gegangen und habe gesagt, mit ihr stimme etwas nicht. Danach habe sie ihn nicht mehr gesehen. Die von Frau C. beschriebenen Gruppenvergewaltigungen mehrerer Erwachsener mit mehreren kindlichen Opfern seien Flashbacks gewesen. Sie könne nicht sagen, ob es wirkliche Erinnerungen seien.
29 
Manchmal seien Erinnerungen gleich weggewesen, das könne an den Medikamenten gelegen haben. Sie wisse nicht, warum das Redeverbot bis heute noch wirke.
30 
Ihr Bruder M. sei bei der Lebensbeichte des Vaters nicht die ganze Zeit anwesend gewesen, weil er habe arbeiten müssen. Er sei selbst stark traumatisiert, sei lange untergetaucht gewesen und habe Alkoholprobleme gehabt. Die Zeugin S. sei zu ihrer Zeugenvernehmung von Onkel H. Sohn M. begleitet worden. Vielleicht habe sie deshalb nicht die Wahrheit gesagt.
31 
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ein Schreiben an den Senat vorgelegt.
32 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 21.04.2015, auf die Prozessakten beider Instanzen, den Verwaltungsvorgang des Beklagten, die Schwerbehindertenakte und die Akten des AG H. zu Az. 1 F 646/07 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
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Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
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Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 aufgehoben, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1962 geborene Klägerin beantragte am 16.9.1999 beim damals zuständigen Versorgungsamt B. Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, ihre Gesundheitsstörungen seien Folge von Gewalttaten und sexuellem Missbrauch im Elternhaus sowie von sexuellem Missbrauch durch einen Fremden. Die Taten hätten sich zwischen ihrem Geburtsjahr 1962 mit abnehmender Tendenz bis 1980 zugetragen.

3

Nachdem das Versorgungsamt die Klägerin angehört, eine Vielzahl von Arztberichten, insbesondere über psychiatrische Behandlungen der Klägerin, sowie eine schriftliche Aussage ihrer Tante eingeholt hatte, stellte die Ärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. mit Gutachten vom 26.9.2001 für das Versorgungsamt zusammenfassend fest, die Untersuchung der Klägerin habe nur in Ansätzen detaillierte Angaben zu den geltend gemachten Misshandlungen und dem sexuellen Missbrauch erbracht. Diagnostisch sei von einer Persönlichkeitsstörung auszugehen. Aufgrund der Symptomatik sei nicht zu entscheiden, ob die psychische Störung der Klägerin ein Milieuschaden im weitesten Sinne sei oder mindestens gleichwertig auf Gewalttaten im Sinne des OEG zurückzuführen sei. Das Versorgungsamt lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab: Die psychische Störung könne nicht als Folge tätlicher Gewalt anerkannt werden. Zwar seien einzelne körperliche Misshandlungen, Schläge und sexueller Missbrauch geschildert worden, insbesondere aber insgesamt zerrüttete Familienverhältnisse. Vor allem diese frühere, allgemeine familiäre Situation sei für die psychischen Probleme verantwortlich (Bescheid vom 15.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2002).

4

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die - zunächst gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) und ab 1.1.2008 gegen den jetzt beklagten Landschaftsverband gerichtete - Klage nach Anhörung der Klägerin, Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Sozialmedizin Dr. S. vom 23.6.2005 sowie eines Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin H. vom 5.4.2005 auf aussagepsychologischem Gebiet durch Urteil vom 29.8.2008 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) NRW hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16.12.2011), nachdem es ua zur Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ein auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG erstattetes Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Sp. vom 25.9.2009 sowie eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. S. vom 20.4.2011 beigezogen hatte. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

5

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach § 1 OEG iVm § 31 BVG, weil sich vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die Klägerin, die zur Verursachung der bei ihr bestehenden Gesundheitsschäden geeignet wären, nicht hätten feststellen lassen. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens sei es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß wahrscheinlich, dass die Klägerin in ihrer Kindheit und Jugend Opfer der von ihr behaupteten körperlichen und sexuellen Misshandlungen und damit von Angriffen iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Keiner der durch das SG vernommenen Zeugen habe die von der Klägerin behaupteten anhaltenden und wiederholten Gewalttätigkeiten durch ihren Vater und ihre Mutter und erst recht nicht den von ihrem Vater angeblich verübten sexuellen Missbrauch bestätigt. Das LSG folge der Beweiswürdigung des SG, das keine generellen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen dargelegt habe. Es habe daher das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, die Zeugen nicht erneut zu vernehmen. Angesichts des langen Zeitablaufs seit der Zeugenvernehmung durch das SG und mangels neuer Erkenntnisse zu den angeschuldigten Ereignissen, die noch wesentlich länger zurücklägen, gehe das LSG davon aus, dass eine erneute Zeugenvernehmung nicht ergiebig gewesen wäre und lediglich die Aussagen aus der ersten Instanz bestätigt hätte. Zudem hätten die Mutter der Klägerin sowie einer ihrer Brüder gegenüber dem LSG schriftlich angekündigt, im Fall einer Vernehmung erneut das Zeugnis aus persönlichen Gründen zu verweigern. Das LSG habe deswegen auf ihre erneute Ladung zur Vernehmung verzichtet.

6

Ebenso wenig habe sich das LSG allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG bilden können, da es ihre Angaben in wesentlichen Teilen nicht als glaubhaft betrachte. Denn sie widersprächen im Kern den Aussagen ihres Vaters und ihres anderen Bruders. Die dadurch begründeten ernstlichen Zweifel am Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen habe die aussagepsychologische Begutachtung der Klägerin durch die vom SG beauftragte Sachverständige H. nicht ausgeräumt, sondern sogar bestärkt. Die vom Sachverständigen Sp. geäußerte Kritik an der aussagepsychologischen Begutachtung überzeuge das LSG nicht. Denn theoretischer Ansatz und methodische Vorgehensweise des vom SG eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Das Gutachten stütze sich insoweit zu Recht ausdrücklich auf die in der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Strafsachen (Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellten Grundsätze der aussagepsychologischen Begutachtung für Glaubhaftigkeitsgutachten, wie sie die Strafgerichte seitdem in ständiger Rechtsprechung anwendeten. Diese aussagepsychologischen Grundsätze seien auf den Sozialgerichtsprozess übertragbar. Dabei könne dahinstehen, ob im Strafprozess grundsätzlich andere Beweismaßstäbe gälten als im Sozialgerichtsprozess. Denn die genannten wissenschaftlichen Prinzipien der Glaubhaftigkeitsbegutachtung beanspruchten Allgemeingültigkeit und entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Ihre Anwendung sei der anschließenden Beweiswürdigung, die etwaigen Besonderheiten des jeweiligen Prozessrechts Rechnung tragen könne, vorgelagert und lasse sich davon trennen.

7

Die nach diesen aussagepsychologischen Grundsätzen von der Sachverständigen H. gebildete Alternativhypothese, dass es sich bei den Schilderungen der Klägerin um irrtümliche, dh auf Gedächtnisfehlern beruhende Falschangaben handele, lasse sich nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nicht widerlegen, sondern gut mit den vorliegenden Daten vereinbaren. Hierfür sprächen die großen Erinnerungslücken der Klägerin hinsichtlich ihrer frühen Kindheit, wobei in der aussagepsychologischen Forschung ohnehin umstritten sei, ob es überhaupt aktuell nicht abrufbare, aber trotzdem zuverlässig gespeicherte Erinnerungen an lange zurückliegende Ereignisse gebe. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich das Gericht bei der Beurteilung "wiedergefundener" Erinnerungen sachverständiger Hilfe nicht nur bedienen könne, sondern sogar bedienen müsse, obwohl die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen sowie Beteiligten und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen grundsätzlich richterliche Aufgabe sei. Die Entscheidung des SG für eine aussagepsychologische Begutachtung sei angesichts der Besonderheiten der Aussageentstehung bei der Klägerin jedenfalls ermessensgerecht. Auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kenntnisstands habe die Sachverständige H. darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Wahrnehmung durch die jahrelange psychotherapeutisch unterstützte mentale Auseinandersetzung der Klägerin mit den fraglichen Gewalterlebnissen durch nachträgliche Bewertungen überlagert und damit unzugänglich geworden sein könne. Daher hätten die Angaben der Klägerin, um als erlebnisbegründet angesehen zu werden, wegen der Gefahr einer möglichen Verwechslung von Gedächtnisquellen besonders handlungs- und wahrnehmungsnahe, raum-zeitlich vernetzte Situationsschilderungen enthalten müssen, die konsistent in die berichtete Gesamtdynamik eingebettet und konstant wiedergegeben würden. Diese Qualitätsanforderungen erfüllten die Schilderungen der Klägerin nicht, da sie nicht das erforderliche Maß an Detailreichtum, Konkretheit und Konstanz aufwiesen und nicht ausreichend situativ eingebettet seien.

8

Das Gutachten des Sachverständigen Sp. habe das Ergebnis der aussagepsychologischen Begutachtung nicht entkräften können. Da er weder eine hypothesengeleitete Analyse der Angaben der Klägerin nach den genannten wissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen noch ein Wortprotokoll seiner Exploration habe zur Verfügung stellen können, sei die objektive Überprüfbarkeit seiner Untersuchungsergebnisse stark eingeschränkt. Er habe eingeräumt, als Psychiater die aussagepsychologische Begutachtung nicht überprüfen und bewerten zu können und seinerseits durch seinen klinisch-psychiatrischen Zugang nicht zur Wahrheitsfindung in der Lage zu sein. Schließlich sei der von ihm vorgenommene Rückschluss von psychiatrischen Krankheitsanzeichen der Klägerin, konkret dem Vorliegen einer von ihm festgestellten posttraumatischen Belastungsstörung, auf konkrete schädigende Ereignisse iS des § 1 OEG in der Kindheit der Klägerin wegen der Vielzahl möglicher Ursachen einer Traumatisierung methodisch nicht haltbar.

9

Der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) komme der Klägerin nicht zugute. Zwar sei diese Regelung analog anzuwenden, wenn andere Beweismittel, wie zB Zeugen, nicht vorhanden seien. Lägen dagegen - wie hier - Beweismittel vor und stützten diese das Begehren des Anspruchstellers nicht, könne die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht angewendet werden, weil diese Norm gerade das Fehlen von Beweismitteln voraussetze. Selbst bei Anwendung des Beweismaßstabs der Glaubhaftigkeit bliebe allerdings die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Denn aufgrund des methodisch einwandfreien und inhaltlich überzeugenden aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. stehe für das LSG fest, dass die Angaben der Klägerin nicht als ausreichend glaubhaft angesehen werden könnten, weil zu viele Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Erinnerungen verblieben.

10

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 15 S 1 KOVVfG, des § 128 Abs 1 S 1 SGG sowie des § 1 Abs 1 OEG. Hierzu führt sie im Wesentlichen aus: Das LSG habe seiner Entscheidung nicht die Regelung des § 15 S 1 KOVVfG zugrunde gelegt und damit den anzulegenden Beweismaßstab verkannt. Richtigerweise hätte es hinsichtlich des von ihr behaupteten sexuellen Missbrauchs der Erbringung des Vollbeweises nicht bedurft; vielmehr wäre insoweit eine Glaubhaftmachung allein aufgrund ihrer Angaben ausreichend gewesen. Denn bezüglich dieses Vorbringens seien - bis auf ihren Vater als möglichen Täter - keine Zeugen vorhanden. Die Möglichkeit, dass sich die von ihr beschriebenen Vorgänge tatsächlich so zugetragen hätten, sei nicht auszuschließen; das Verbleiben gewisser Zweifel schließe die Glaubhaftmachung nicht aus. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie sich erst durch Therapien im Laufe des Verwaltungsverfahrens an die Geschehnisse habe erinnern können.

11

Das LSG habe ferner gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG verstoßen, da es ein aussagepsychologisches Gutachten berücksichtigt habe. Ein solches Gutachten habe nicht eingeholt und berücksichtigt werden dürfen, da aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen keine geeigneten Mittel der Sachverhaltsfeststellung darstellten. Die Arbeitsweise bei aussagepsychologischen Gutachten lasse sich entgegen der Auffassung des LSG nicht ohne Weiteres auf sozialrechtliche Entschädigungsprozesse übertragen, da diese nicht mit Strafverfahren vergleichbar seien. Denn in Strafverfahren sei die richterliche Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen in der Weise gefordert, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit bestehe, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht laut werden dürften. Das OEG hingegen sehe gemäß § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 S 1 KOVVfG einen herabgesetzten Beweismaßstab vor. Ein weiterer Grund, weshalb aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen nicht eingeholt werden dürften, sei die darin erfolgende Zugrundelegung der sog Nullhypothese. Diese entspreche im Strafverfahren dem Grundsatz "in dubio pro reo", sodass als Arbeitshypothese von der Unschuld des Angeklagten auszugehen sei; mit sozialgerichtlichen Verfahren sei dies jedoch nicht in Einklang zu bringen. Zudem unterscheide sich die Art der Gutachtenerstattung in den beiden Verfahrensordnungen; in sozialgerichtlichen Verfahren erstatte der Sachverständige das Gutachten aufgrund der Aktenlage und einer Untersuchung der Person, wohingegen der Sachverständige im Strafprozess während der gesamten mündlichen Verhandlung anwesend sei und dadurch weitere Eindrücke von dem Angeklagten gewinne. Schließlich könne eine aussagepsychologische Untersuchung der Aussage eines erwachsenen Zeugen zu kindlichen Traumatisierungen auf keinerlei empirisch gesicherte Datenbasis hinsichtlich der Unterscheidung zwischen auto- oder fremdsuggerierten und erlebnisbasierten Erinnerungen zurückgreifen und sei daher wissenschaftlich nicht sinnvoll.

12

Ein weiterer Verstoß gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG liege in einer widersprüchlichen, mitunter nicht nachvollziehbaren und teilweise einseitigen Beweiswürdigung des LSG begründet, womit es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten habe. Das LSG habe den Aussagen ihres Bruders sowie ihres Vaters ein höheres Gewicht als ihren eigenen Angaben beigemessen und sich nicht kritisch mit den Zeugenaussagen auseinandergesetzt. Es sei einerseits von einer unberechenbaren Aggressivität des Vaters, einer aggressiven Atmosphäre und emotionalen Vernachlässigung in der Familie sowie einigen nachgewiesenen körperlichen Misshandlungen ausgegangen, halte andererseits jedoch ihre Angaben zu den Misshandlungen nicht für glaubhaft. Kaum berücksichtigt habe es zudem die Aussage ihrer Tante. Das LSG habe ferner ihre teilweise fehlenden, ungenauen oder verspäteten Erinnerungen nur einseitig zu ihrem Nachteil gewürdigt und dabei nicht in Erwägung gezogen, dass diese Erinnerungsfehler Folgen ihres Alters zum Zeitpunkt der Vorfälle, der großen Zeitspanne zwischen den Taten und dem durchgeführten Verfahren sowie ihrer Krankheit sein könnten. Im Rahmen des OEG könnten auch bruchstückhafte, lückenhafte oder voneinander abweichende Erinnerungen als Grundlage für eine Überzeugungsbildung ausreichen. Nicht umfassend gewürdigt habe das LSG schließlich das aussagepsychologische Gutachten, das selbst Anlass zur Kritik biete. Auch dieses habe nicht berücksichtigt, dass die Erinnerungslücken und Abweichungen in den Angaben eine Erscheinungsform ihrer Krankheit sein könnten. Dieses Gutachten entspreche daher nicht den erforderlichen wissenschaftlichen Standards und könne auch aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden. Zudem hätte das Gutachten von einem auf Traumatisierung spezialisierten Psychologen erstattet werden müssen.

13

Das LSG habe darüber hinaus verkannt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 OEG bereits durch ihre grobe Vernachlässigung als Schutzbefohlenen erfüllt seien. Das Verhalten ihrer Eltern sei nicht durch ein Züchtigungsrecht gedeckt gewesen. Die familiäre Atmosphäre sei - wie von den Vorinstanzen festgestellt - von elterlicher Aggression, gestörten Beziehungen und emotionaler Vernachlässigung geprägt gewesen. Zudem habe das LSG einige Schläge als erwiesen erachtet. Auch die fachärztlichen Gutachten hätten ergeben, dass ihre psychische Störung jedenfalls durch die aggressive Familienatmosphäre verursacht worden sei.

14

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 sowie des Sozialgerichts Detmold vom 29. August 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2002 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen von sexuellem Missbrauch sowie körperlichen und seelischen Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

15

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

16

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

17

Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom 29.1.2013). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

18

Die Revision der Klägerin ist zulässig.

19

Sie ist vom LSG zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten (§ 164 Abs 1 und 2 SGG). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem OEG auf eine Vielzahl von schädigenden Vorgängen stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in drei Gruppen zusammenzufassen: seelische Misshandlungen (Vernachlässigung, beeinträchtigende Familienatmosphäre), körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch.

20

Soweit die Klägerin Entschädigung wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern geltend macht, hat sie einen Verstoß gegen materielles Recht hinreichend dargetan. Sie ist der Ansicht, die betreffenden Vorgänge würden von § 1 OEG erfasst. Soweit das LSG umfangreichere körperliche Misshandlungen der Klägerin im Elternhaus sowie sexuellen Missbrauch durch ihren Vater bzw einen Fremden verneint hat, rügt die Klägerin zunächst substantiiert eine Verletzung von § 15 S 1 KOVVfG, also eine unzutreffende Verneinung der Anwendbarkeit einer besonderen Beweiserleichterung(vgl dazu BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 124 f = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass insbesondere dafür, ob sie Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei, Beweismittel vorhanden seien. Im Hinblick darauf, dass die Vorinstanz hilfsweise auf § 15 S 1 KOVVfG abgestellt hat, bedarf es auch dazu einer ausreichenden Revisionsbegründung. Diese sieht der Senat vornehmlich in der Rüge der Klägerin, das LSG habe, indem es in diesem Zusammenhang auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 Bezug genommen habe, ein ungeeignetes Beweismittel verwertet (vgl allgemein dazu zB BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527; BGH Beschluss vom 15.3.2007 - 4 StR 66/07 - NStZ 2007, 476) und damit seiner Entscheidung zugleich einen falschen Beweismaßstab zugrunde gelegt. Dazu trägt die Klägerin ua vor, dass die Sachverständige H. ihr Glaubhaftigkeitsgutachen nach anderen Kriterien erstellt habe, als im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 S 1 KOVVfG maßgebend seien.

21

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft. Im Übrigen - also hinsichtlich Folgen seelischer Misshandlungen - ist die Revision unbegründet.

22

1. Einer Sachentscheidung entgegenstehende, von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

23

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass bereits während des Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 20 mwN). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482) hat die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21, und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG)ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 OEG gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu richten hat. Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung klargestellt, dass sie im vorliegenden Verfahren ausschließlich einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente verfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 12).

24

2. Für einen Anspruch der Klägerin auf eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

25

a) Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 OEG gegeben sind(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

26

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

27

b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden Senats ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 mwN).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG sein(BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Eine Erstreckung dieses Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen hat das Bundessozialgericht (BSG) bislang abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

29

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

30

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen Fußtritt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

31

Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der Wortlautinterpretation hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der Senat jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 44 mwN). So ist beim "Stalking" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 69 mwN).

32

c) Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

33

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN).

34

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

35

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

36

3. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern.

37

Entgegen der Ansicht der Klägerin stellen die von den Vorinstanzen angenommenen allgemeinen Verhältnisse in der Familie der Klägerin keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar. Das SG hat hierzu festgestellt, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen seien mehr auf ein Zusammenwirken atmosphärisch ungünstiger Entwicklungsbedingungen (ablehnende Haltung der Mutter gegenüber der Klägerin, unberechenbare Aggressivität sowie grenzüberschreitende weinerliche Anhänglichkeit des Vaters) zurückzuführen (S 23 des Urteils). Darauf hat das LSG Bezug genommen. Die Verhaltensweise der Eltern hat danach zwar seelische Misshandlungen der Klägerin umfasst, es fehlt insoweit jedoch an dem Merkmal der Gewaltanwendung im Sinne einer gegen den Körper der Klägerin gerichteten Tätlichkeit.

38

4. Soweit die Klägerin Beschädigtenrente nach dem OEG wegen der Folgen körperlicher Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung unmöglich. Derartige schädigende Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 OEG erfasst, soweit sie nicht von dem seinerzeit noch anerkannten elterlichen Züchtigungsrecht(vgl BGH Beschluss vom 25.11.1986 - 4 StR 605/86 - JZ 1988, 617) gedeckt waren. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

39

a) Das LSG hat unterstellt, dass als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe einzelne Schläge durch die Eltern (ein heftiger Schlag durch den Vater sowie zwei "Ohrfeigen" durch die Mutter) nachgewiesen seien. Diese hätten jedoch nicht genügt, um die gravierenden seelischen Erkrankungen der Klägerin zu verursachen. Das LSG verweist hierbei auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. S. sowie auf die Ausführungen des SG, wonach diese Taten keine posttraumatische Belastungsstörung hätten auslösen können. Die hierauf gründende tatrichterliche Wertung des LSG ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Weder lässt sich feststellen, dass die Vorinstanz insoweit von unrichtigen Rechtsbegriffen ausgegangen ist, noch hat die Klägerin die betreffenden Tatsachenfeststellungen mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen.

40

b) Den überwiegenden Teil der von der Klägerin angegebenen körperlichen Misshandlungen durch deren Eltern sowie den behaupteten sexuellen Missbrauch durch deren Vater und einen Fremden hat das LSG nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 KOVVfG, die der Senat nicht teilt.

41

Nach § 15 S 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).

42

Diesen Kriterien hat das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 KOVVfG mit der pauschalen Begründung verneint hat, es lägen Beweismittel vor. Zwar hat sich das LSG hinsichtlich der Verneinung umfangreicher körperlicher Misshandlungen der Klägerin durch ihre Eltern, insbesondere durch den Vater, auch auf die Zeugenaussage des Bruders T. der Klägerin gestützt. Es hätte insoweit jedoch näher prüfen müssen, inwiefern die Klägerin Misshandlungen behauptet hat, die dieser Zeuge (insbesondere wegen Abwesenheit) nicht wahrgenommen haben kann. Soweit es den angegebenen sexuellen Missbrauch betrifft, ist nicht ersichtlich, dass diesen eine als Zeuge in Betracht kommende Person wahrgenommen haben kann.

43

c) Soweit das LSG den § 15 S 1 KOVVfG hilfsweise herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das LSG insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem Senat Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog Glaubhaftigkeitsgutachten in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem OEG einzugehen.

44

aa) Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

45

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 20, 23).

46

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des Wirklichkeitsbezuges einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

47

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergeben sich aus den Ausführungen in dem Urteil des LSG NRW vom 28.11.2007 - L 10 VG 13/06 - (Juris RdNr 25) keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das LSG NRW hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein begründbarer Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem Zeitraum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das LSG NRW zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das LSG NRW ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten (LSG NRW, aaO, Juris RdNr 25). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das LSG NRW gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

48

bb) Für die Erstattung von Glaubhaftigkeitsgutachten gelten auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der BGH in der Entscheidung vom 30.7.1999 (1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht vgl Fabian/Greuel/Stadler, StV 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl Vogl, NJ 1999, 603), die Glaubhaftigkeitsgutachten allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 48 ff; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 16 ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167 ff mwN; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/Volbert, wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog Nullhypothese (Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der Nullhypothese sowie das Ausgehen von dieser kritisierend Stanislawski/Blumer, Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw Alternativhypothesen zu bilden (vgl beispielhaft hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 52 f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw Alternativhypothesen verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

49

Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), Aussagequalität (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie Aussagevalidität (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit Schumacher, StV 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene (zB der Ebene der Aussagequalität) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen (Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 62).

50

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die Aussagequalität überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die Aussagevalidität betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw Alternativhypothesen; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

51

Diese Prüfungsschritte müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

52

cc) Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog Nullhypothese, vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu SG Fulda Urteil vom 30.6.2008 - S 6 VG 16/06 - Juris RdNr 33 aE; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.7.2010 - L 13 VG 25/07 - Juris RdNr 36; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.6.2012 - L 4 VG 13/09 - Juris RdNr 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese äußernd LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - ZFSH/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

53

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von Alternativhypothesen zur Wahrannahme zu belegen (Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 20, 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige Aussagequalität haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 22). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, StV 2004, 284, 286).

54

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 205), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu Volbert, aaO S 20). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl Volbert, aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

55

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der Vollbeweis gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des Klägers bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von Glaubhaftigkeitsgutachten ausgehend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.9.2008 - L 11 VG 33/08 - Juris RdNr 24 ff; LSG NRW Urteil vom 29.9.2010 - L 6 (7) VG 16/05 - Juris RdNr 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG Bayerisches LSG Urteil vom 30.6.2005 - L 15 VG 13/02 - Juris RdNr 40; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 5.6.2008 - L 13 VG 1/05 - Juris RdNr 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris RdNr 38 ff).

56

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog Nullhypothese - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527, 2528 f; Saarländisches OLG Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris RdNr 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris RdNr 64 ff). In diesen Verfahren ist der Vollbeweis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

57

dd) Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle Alternativhypothesen ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten den Vollbeweis ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können.

58

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die Beweisfragen entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

59

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl Lösel/Bender, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd 7, 2001, S 175, 184). Denn dem Tatsachengericht ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw Wahrscheinlichkeitsgrade für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

60

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 gestützt. Dieses Glaubhaftigkeitsgutachten ist vom SG zu den Fragen eingeholt worden:

        

Sind die Angaben der Klägerin zu den Misshandlungen durch die Eltern und zum sexuellen Missbrauch durch den Vater (…) unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlich-aussagepsychologischen Kenntnisstandes insgesamt oder in Teilen glaubhaft? Sind die Angaben insbesondere inhaltlich konsistent und konstant und sind aussagerelevante Besonderheiten der Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin zu berücksichtigen? Welche Gründe sprechen insgesamt für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben?

61

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen H. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in der Einleitung zu ihrem Gutachten ("Formaler Rahmen der Begutachtung") erklärt, dass sich das Vorgehen bei der Begutachtung und die Darstellung der Ergebnisse nach den Standards wissenschaftlich fundierter Glaubhaftigkeitsbegutachtung richte, wie sie im Grundsatzurteil des BGH vom 30.7.1999 (BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746) dargelegt seien (S 1 des Gutachtens).

62

Da das Berufungsurteil mithin - soweit es die Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG betrifft - offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende Senat die Beurteilung des LSG auch zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

63

5. Der erkennende Senat sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil die jetzt nach zutreffenden Beweismaßstäben vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG).

64

6. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

Tenor

I.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 27.05.2009 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten wegen Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Die 1975 geborene Klägerin, für die ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 (Änderungsbescheid des Beklagten vom 29.11.2012) wegen einer seelische Störung, posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), rezidivierenden depressiven Störung (Einzel-GdB 40) und einer Multiplen Sklerose (MS; Einzel-GdB 30), festgestellt wurde, stellte am 16.04.2007 beim Beklagten Antrag auf Beschädigtenversorgung. Als Gesundheitsstörungen gab sie PTBS sowie MS an. Die zugrunde liegende Gewalttat schilderte die Klägerin wie folgt: Da sie ihre damalige Beziehung beendet habe, sei ihr damaliger Freund, ein gewisser J. F. - damals wohnhaft B-Straße, B-Stadt - am 31.05.1995 ausgerastet, habe sie in die Wohnung eingesperrt und beinahe umgebracht. Sie habe J. F. nicht angezeigt, weil dessen Bruder ihr versprochen habe, mit ihm zu einer Therapie zu gehen. Sie habe auch keinen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen ihn geltend gemacht. Zeugen konnte die Klägerin nicht mehr ausfindig machen. Sie legte eine von ihren Eltern unterschriebene Erklärung vom 02.05.2007 vor, die wie folgt lautet: „Es war lautes Hupen vor dem Haus. Wir haben aus dem Fenster geschaut. S. saß in ihrem Auto und getraute sich nicht auszusteigen. Dahinter stand noch ein Auto, das von J., und er stand auf der Straße. Ich ging sofort hinunter. S. stieg aus und ging mit mir zur Hoftüre. J. wurde zudringlich und wollte auch mit auf das Grundstück. Ich musste ihn handgreiflich zurückhalten und drohte mit der Polizei. S. ging mit mir ins Haus. J. stand noch längere Zeit auf der Straße in der Nähe des Hauses. Wir beobachteten dies und hatten die Befürchtung wegen Beschädigung des Autos. Er war dann verschwunden. Er hatte unsere Spielesammlung in G. aus seinem Auto geworfen. Nachdem er weg war, warteten wir noch etwas und ich fuhr mit nach G ... Wir fanden auch die Spielesammlung. S. war sehr verängstigt, wollte aber nicht sagen, was vorgefallen war. Später erzählte sie ihrer Mutter, dass er sie in seiner Wohnung festgehalten hat, als sie gehen wollte. Sie konnte sich losreißen, das Fenster öffnen und um Hilfe rufen.“

Mit Schreiben vom 04.09.2007 erstattete die Klägerin Anzeige gegen den beschuldigten Ex-Freund bei der Staatsanwaltschaft B-Stadt, die das Ermittlungsverfahren wegen Verjährung einstellte. In dem Schreiben schilderte die Klägerin folgende Ereignisse: Vor der behaupteten Gewalttat sei die Klägerin mit J. F. und ihrer Clique in einer Disco gewesen. Bereits dort habe sie ihm gesagt, dass es mit der Beziehung aus sei. J. F. habe sich schon in der Disco unbeherrscht verhalten. Daher habe sie J. F. zunächst nicht nach Hause fahren wollen, es dann aber doch getan. Sie, die Klägerin, habe dann noch Sachen aus J. F. Wohnung holen wollen; es sei etwa ein Uhr gewesen. J. F. habe die Wohnungstür verschlossen, den Telefonstecker herausgezogen und mit der Klägerin eine Rangelei angefangen. Es habe ein langer Kampf begonnen, doch J. F. sei viel stärker gewesen. Er habe ihre Arme festgehalten, sie verdreht, so dass sie vor Schmerzen zusammengesunken sei. Er habe sie in den Schwitzkasten genommen und ins Schlafzimmer gezerrt. Er habe die Klägerin auf das Bett geworfen, sich auf sie gelegt und sie mit der rechten Hand bis kurz vor die Bewusstlosigkeit gewürgt; er hätte sie fast umgebracht. Sie habe ihm dann - auch aus Angst vor einer Vergewaltigung - zu verstehen gegeben, dass sie sich ergebe. Sie habe ihm vorgespiegelt, mit der Beziehung sei alles wieder in Ordnung. Er habe von ihr abgelassen, sei wie ausgewechselt gewesen. Daraufhin sei sie ans Fenster gestürzt und habe um Hilfe gerufen habe. Dann sei es wieder zu jeder Menge Rangelei gekommen. Endlich hätten zwei Polizisten an der Tür geklingelt, woraufhin J. F. wieder ganz brav dagestanden sei. Sie, die Klägerin, sei in Anwesenheit des J. F. nicht bereit gewesen, diesen anzuzeigen. Die Polizisten hätten ihr zugesichert, unten zu warten, bis sie weggefahren sei, und sie dann wegfahren lassen. J. F. habe die Polizisten übertölpelt, indem er zur Hintertür raus sei. Er sei der Klägerin nachgefahren. Es sei zu einer Horrorfahrt gekommen (ständiges Bedrängen mit dem Auto, kriminelles Überholen, Ausbremsen). Als er wieder einmal überholt gehabt habe, habe er im Ort G. sein Auto quer über die Straße gestellt, sich auf die Straße geworfen und die Klägerin aufgefordert, sie solle ihn doch überfahren, wenn sie ihn nicht mehr liebe. Als die Klägerin aber nicht ausgestiegen sei, habe J. F. wieder getobt. Auch eine andere Autofahrerin habe gesehen, wie dieser randaliert und einen Spielekoffer aus dem Auto geworfen habe. J. F. sei dann verschwunden und sie sei anschließend zu ihren Eltern nach D-Stadt gefahren, wo sie zu dieser Zeit gewohnt habe. Dort habe er in einer Seitenstraße gewartet. Vor dem Haus der Eltern habe J. F. wieder randaliert. Sie sei wiederum nicht ausgestiegen, sondern habe gehupt (ca. vier Uhr). Ihr Vater habe ihr dann aus dem Auto geholfen und sie beschützt.

Die Klägerin teilte dem Beklagten mit, persönlich und gesundheitlich sei sie nicht in der Lage gewesen, ihren Ex-Freund früher anzuzeigen. Dass die MS durch die Gewalttat verursacht sei, ergebe sich schon allein aus dem nahen zeitlichen Zusammenhang. Sie habe ständig auftretende Flashbacks aus den damaligen Erlebnissen.

Mit Bescheid vom 16.01.2008 lehnte der Beklagten den Antrag auf Opferentschädigung mit Verweis auf § 2 Abs. 2 OEG ab. Die Klägerin habe es unterlassen, Anzeige gegen J. F. zu erstatten und somit das ihr Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen. Durch ihr Verhalten habe die Klägerin dem Beklagten die Möglichkeit genommen, im Fall einer Leistungsbewilligung Schadensersatzansprüche gegen den Kläger durchzusetzen. Zudem mache der lange Zeitablauf die Beurteilung der medizinischen Kausalität fast gänzlich unmöglich; diese Verstärkung der Beweisnot gehe zulasten der Klägerin.

Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 06.02.2008 Widerspruch ein. Zur Begründung brachte sie im Wesentlichen vor, die Ermessensentscheidung des Beklagten beruhe nicht auf einem vollständig und richtig ermittelten Sachverhalt. Bezüglich der Möglichkeit und Zumutbarkeit einer Strafanzeige sei der Befundbericht der behandelnden Psychotherapeutin T. vom 25.09.2007 nicht beachtet worden. Ab 1996, so die Klägerin, sei der Lebensweg von der MS geprägt gewesen. Sie habe in dieser Phase keinen Zusammenhang mit dem Erlebnis von 1995 hergestellt. Einen eigenen Schaden habe die Klägerin erst 2005 realisiert, so dass für sie vorher kein Grund bestanden habe, einen solchen geltend zu machen. Zusammenfassend sei die Strafanzeige nicht aus Nachlässigkeit, sondern ausschließlich krankheitsbedingt bzw. in Unkenntnis der Zusammenhänge unterlassen worden sein. Generell hätte eine frühere Anzeige keine bessere Aufklärbarkeit bewirkt. Gerade die Schwere der Erkrankung lasse eine Entschädigung aus Steuermitteln angemessen erscheinen.

Der Beklagte schaltete sodann den ärztlichen Dienst ein, um zu ermitteln, ob ein Kausalzusammenhang zwischen der angeblichen Gewalttat und den Gesundheitsstörungen MS und PTBS herstellbar sei; es wurden zahlreiche medizinische Unterlagen ausgewertet. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.05.2008 wurde kein enger zeitlicher Zusammenhang gesehen. Neben der Belastung durch das Gewaltereignis lägen bei der Klägerin weitere Belastungen vor wie z. B. Mobbing am Arbeitsplatz. Mehrere Familienmitglieder hätten Depressionen. Von ihrer Mutter sei die Klägerin geschlagen worden. Ab 1994 habe die Klägerin in verschiedenen Berufen gearbeitet und sei ab 1995 vielfältig ehrenamtlich tätig gewesen, z. B. als Gruppenleiterin, Jugendleiterin und stellvertretende Diözesanjugendsprecherin. Sie sei also nach dem Ereignis erfolgreich tätig gewesen. Der von der Klägerin behauptete Kausalzusammenhang sei nicht herstellbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.2008 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff sei nicht nachgewiesen. Hierfür gebe es keine Zeugen. Die Eltern der Klägerin hätten lediglich angegeben, dass die Klägerin am 31.05.1995 sehr verängstigt bei ihnen eingetroffen sei und nicht erzählen habe wollen, was vorgefallen sei. Es lägen auch keine zeitnahen ärztlichen Befundberichte vor, die Verletzungsfolgen dokumentieren würden. Auch sei von der Klägerin keine Strafanzeige nach dem Vorfall erstattet worden. Ungeachtet des Fehlens des Nachweises einer Gewalttat sei nach Auswertung der vorliegenden Befunde auch kein Kausalzusammenhang zwischen der geltend gemachten Gewalttat und den vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nachgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin am 24.07.2008 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie u. a. vorgetragen, dass sie aufgrund der tatbedingten Folgen des Übergriffs nicht in der Lage gewesen sei, zeitnah eine Strafanzeige zu erstatten oder gegenüber anderen Personen von dem Vorfall zu berichten. Zudem sei sie davon abgehalten worden, da der Bruder von J. F. ihr versichert habe, mit ihm zu einer Therapie zu gehen. Auch habe ihr Vater ihr abgeraten, da sie doch keinen Arbeitskollege von ihm, dem Vater, anzeigen könne. Hierdurch sei die Klägerin völlig lahmgelegt und paralysiert worden. Die Tat sei von ihren Eltern bagatellisiert worden. Für eine PTBS sei typisch, dass diese auch erst nach langem Zeitablauf virulent werde. Die Klägerin hat die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeregt. Soweit im Widerspruchsbescheid auch noch auf schädigungsfremde Belastungsfaktoren hingewiesen werde, gehe auch dieses fehl. Ausweislich des Berichts der behandelnden Therapeutin sei eindeutig der Vorfall vom 31.05.1995 für die beiden genannten Gesundheitsstörungen verantwortlich und nicht irgendwelche sonstigen möglichen Probleme mit Eltern oder an einer Arbeitsstelle.

Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) hat das SG mit Beschluss vom 27.02.2009 mangels Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung abgelehnt. Das SG hat keine Ermittlungen durchgeführt, sondern die Beteiligten mit Schreiben vom 08.05.2009 darüber informiert, dass es eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtige. Daraufhin hat der Beklagte sein Einverständnis erteilt; die Klägerin hat darauf hingewiesen, dass die Streitsache weder im rechtlichen noch im tatsächlichen Bereich als einfach anzusehen sei und dass der Sachverhalt ebenso wenig als geklärt gelten könne. Mit der vorgeschlagenen Verfahrensweise bestehe daher kein Einverständnis.

Dessen ungeachtet hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 27.05.2009 die Klage abgewiesen. Es sei nicht mit der notwendigen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass die Klägerin einem Angriff im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG ausgesetzt gewesen sei. Die Klägerin habe keine Zeugen für den Angriff benennen können; eine Vernehmung des J. F. erscheine untunlich. Soweit vorgetragen worden sei, dass die Klägerin ihrer Mutter erzählt habe, dass sie in der Wohnung des damaligen Lebensgefährten festgehalten worden sei, stelle dies keinen Nachweis im Sinne des Vollbeweises dar. Im Übrigen wäre, so das SG, auch hierdurch ein aggressives Einwirken auf die Klägerin nicht nachgewiesen. Allein die Stellungnahmen der Klägerin im Rahmen ihrer letztlich erfolglosen Anzeige, ärztlicher Behandlungen oder der Antragstellung beim Versorgungsamt B-Stadt würden keinen Nachweis im Sinne des Vollbeweises darstellen. Es sei auch keine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Angriffs im Sinne von § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) gegeben. Dabei spreche unter anderem gegen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin nicht in zeitnahem Abstand zu dem von ihr geschilderten Ereignis eine entsprechende Anzeige erstattet habe und auch gegenüber ihrer Mutter nicht unmittelbar am selben Abend von derart dramatischen Ereignissen, sondern erst später und auch nur dahingehend berichtet habe, dass sie in der Wohnung festgehalten worden sei. Unabhängig davon habe der Beklagte zu Recht einen Versagungsgrund nach § 2 Abs. 2 OEG angenommen.

Am 08.07.2009 hat die Klägerin hiergegen Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen, dass sie zu ihren Eltern ein hochproblematisches Verhältnis habe, wobei Schläge durch die Mutter zu erwähnen seien. Daher sei es nicht zu erwarten, dass sie sich ihren Eltern gegenüber in vollem Umfang geöffnet hätte; dies habe das SG übergangen. Hinzu komme jedoch vor allem, dass die Klägerin zunächst paralysiert gewesen sei. Die Klägerin hat beantragt, die Eltern als Zeugen zu hören. Weiter hat sie darauf hingewiesen, dass von sämtlichen Behandlern ihre Angaben, die in konstanter Art und Weise erfolgt seien, als glaubhaft angesehen worden seien. Die aus dem Vorfall folgenden gesundheitlichen Schädigungen seien dem Vollbeweis bei einer Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zugänglich, „das nunmehr auf jeden Fall in der Berufungsinstanz einzuholen sein“ werde. Im Hinblick auf die Versagung der Leistung (§ 2 Abs. 2 OEG) sei an den Grundsatz zu erinnern, dass Rechtsnachteile grundsätzlich nur dann entstehen dürften, wenn eine schuldhafte Pflichtverletzung vorliege. An einer solchen fehle es jedoch, da die Klägerin nach den medizinischen Berichten zunächst gar nicht in der Lage gewesen sei, über den Angriff und das Geschehen zu berichten. Mit Schriftsatz vom 13.08.2009 hat der Beklagte einen vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff als nicht nachgewiesen erachtet. Die Einvernahme weiterer Zeugen werde nur dann für sachdienlich gehalten, wenn diese aus eigener Wahrnehmung Angaben zum Tathergang machen könnten.

Mit Beschluss vom 23.07.2010 hat der Senat den Antrag auf PKH wegen Mitgliedschaft der Klägerin beim VdK abgelehnt.

Am 21.12.2010 hat (in Nürnberg) ein Erörterungstermin des Senats stattgefunden, an dem auf Antrag der Klägerin auch die Diplom-Psychologin T. als Begleiterin teilgenommen hat. Die Klägerin hat u. a. angegeben, dass die Polizisten damals von der Polizeiinspektion B-Stadt-Stadt, B-Straße, gekommen seien. Zudem hat sie das Datum der Tat berichtigt. Der Vorfall habe sich am 31.05.1996 ereignet. Dies sei der Klägerin zunächst nicht mehr bewusst gewesen. Sie habe also bereits zwei Monate nach der Tat einen Psychiater aufgesucht.

Auf gerichtliche Anforderung hat die Klägerseite sodann mehrere mittelbare Zeugen genannt. Im Folgenden hat der Senat bei der Polizeiinspektion B-Stadt-Ost (B-Straße) nachgefragt. Mit Schreiben vom 09.08.2011 ist von dort mitgeteilt worden, dass zu dem genannten Vorfall bei der hiesigen Dienststelle keinerlei Einsatzdaten vorliegen würden. Weder zur Klägerin noch zu einem J. F. lägen Erkenntnisse vor. Weiterhin sei zu bemerken, dass es in B-Stadt keine B-Straße, jedoch eine C-Straße gebe. Im Anwesen Nr. 8 sei es zum genannten Zeitpunkt zu keinem polizeilichen Einsatz gekommen. Mit Schriftsatz vom 11.08.2011 hat der Beklagte mitgeteilt, dass, selbst wenn die angebotenen Zeugen entsprechend der Schilderung der Klägerseite aussagen würden, nach Auffassung des Beklagten ein Angriff (körperliche Misshandlung bzw. Würgen bis zur Bewusstlosigkeit) gegen die Klägerin weder nachgewiesen noch als glaubhaft im Sinne des § 15 KOV-VfG anzusehen sei. Die von den Zeugen möglicherweise bestätigten Handlungen (Stellen vor das Auto, Toben vor dem Haus der Eltern, Sachbeschädigung eines Automaten und verbale Übergriffe) könnten nach Auffassung des Beklagten - u. a. unter Berücksichtigung des „Stalking-Urteils“ des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.04.2011 (Az.: B 9 VG 2/10 R) - ebenfalls nicht als unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung angesehen werden.

Am 02.01.2014 hat die Klägerin Verzögerungsrüge erhoben.

Auf gerichtliche Nachfrage hat die Polizeiinspektion A-Stadt am 17.03.2014 mitgeteilt, dass auch über das Jahr 1996 keine Einsatz-Datenbestände mehr vorlägen.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 11.03.2014 ist die Klägerbevollmächtigte darauf hingewiesen worden, dass es entsprechend bereits einem früheren gerichtlichen Hinweis vorliegend nicht mehr um die Überprüfung einer Ermessensentscheidung gehe, da der Beklagte die Begründung seiner Ablehnungsentscheidung im Widerspruchsbescheid ausgetauscht habe. Weiter ist deutlich gemacht worden, dass keine Beweiserhebung zu der abstrakten Frage für notwendig angesehen werde, ob Traumapatienten oft erstmals Jahre oder Jahrzehnte nach dem Erlebnis über ihr Trauma sprechen könnten. Zudem hat das Gericht aktuelle Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt, nämlich vom Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Dipl.-Psych. H., vom Orthopäden Dr. I. und von der Allgemeinmedizinerin Dr. K.; zudem hat es einen Entlassungsbericht des Behandlungszentrums für MS-Patienten K. ausgewertet. Sodann hat das Gericht den Zeugen J. F. ausfindig gemacht und ihn zunächst schriftlich befragt.

In der mündlichen Verhandlung des Senats am 21.04.2015 sind dieser und die Eltern der Klägerin als Zeugen einvernommen worden.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des SG vom 27.05.2009 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.06.2008 zu verurteilen, als Schädigungsfolgen im Sinne des OEG MS sowie PTBS festzustellen und Versorgung zu gewähren

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegen-stand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff auf die Klägerin im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist, wie das SG zu Recht entschieden hat, nicht nachgewiesen.

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.

Bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette) geht der Senat von folgenden rechtlichen Maßgaben aus (vgl. z. B. Urteil v. 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09; zum Ganzen vgl. auch BSG, Urteile v. 17.04.2013, Az.: B 9 V 1/12 R sowie Az.: B 9 V 3 /12 R, und v. 16.12.2014, Az.: B 9 V 1/13 R):

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zu berücksichtigen, dass die Verletzungshandlung im OEG entsprechend dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das Strafgesetzbuch (StGB) geregelt ist (BSG, Urteil v. 07.04.2011, Az.: B 9 VG 2/10 R, m. w. N.). Gleichwohl orientiert sich die Auslegung an der im Strafrecht gewonnenen Bedeutung des auch dort verwendeten rechtstechnischen Be-griffs des „tätlichen Angriffs“ (vgl. insbesondere BSG, Urteil v. 28.03.1984, Az.: B 9a RVg 1/83, BSGE 56, 234, 235 f). Die Auslegung hat sich mit Rücksicht auf den das OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes aber weitestgehend von subjektiven Merkmalen (z. B. einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) gelöst (st. Rspr. seit 1995; vgl. BSG, Urteil v. 07.04.2011, a. a. O., m. w. N.). Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat das BSG vornehmlich aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden (z. B. Urteil v. 29.04.2010, Az.: B 9 VG 1/09 R, BSGE 106, 91).

Der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist also grundsätzlich unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, a. a. O., m. w. N.).

Die von der Klägerin geltend gemachte Handlung des Würgens und der intensiven körperlichen Bedrängung durch den Beschuldigten muss jedoch nachgewiesen sein. Wie der Senat wiederholt (vgl. z. B. Urteil vom 05.05.2015, Az.: L 15 VG 31/12) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d. h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92; Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 128, Rdnr. 3b).

Dieses Erfordernis ist vorliegend nicht erfüllt. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens hält der Senat es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß für erwiesen, dass die Klägerin am 31.05./01.06.1996 von dem Zeugen J. F. bis fast zur Bewusstlosigkeit gewürgt und massiv körperlich bedrängt worden wäre.

Im Einzelnen würdigt der Senat die vorliegenden Beweismittel wie folgt:

1. Der in der mündlichen Verhandlung vernommene Zeuge J. F. hat den von der Klägerin behaupteten Vorgang nicht bestätigt. Er hat lediglich erklärt, sich zwar an die Beziehung mit der Klägerin vor ca. zwei Jahrzehnten, nicht jedoch an ihr Ende erinnern zu können; an einen Vorfall in der genannten Diskothek hatte der Kläger nach seinen Angaben ebenfalls keine Erinnerung mehr. Der Senat sieht vor allem auch nach dem Eindruck aus der mündlichen Verhandlung keine Anhaltspunkte, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln, auch wenn dessen Interesse nicht von der Hand zu weisen ist, in keinem Fall als Täter dazustehen. Dabei ist u. a. zu beachten, dass der Zeuge im Hinblick auf Verjährung keine strafrechtlichen Sanktionen mehr zu befürchten hätte. Auch wenn der Zeuge nur sehr knappe Angaben gemacht hat, erlaubt dies nach Auffassung des Senats im Übrigen nicht den Verdacht, dass er etwas zu verbergen versucht habe. Denn seine Aussage ist generell (u. a. bereits bei den Angaben zur Person) dadurch gekennzeichnet gewesen, dass sie „mit dürren Worten“ erfolgt ist; der Zeuge ist wortkarg und wenig sprachgewandt erschienen.

2. Auch die als Zeugen vernommenen Eltern der Klägerin haben die geltend gemachten Handlungen des Würgens und der intensiven körperlichen Bedrängung nicht bestätigen können. Sie haben lediglich die von der Klägerin geschilderten Vorgänge in der angeblichen Tatnacht vor ihrem Wohnhaus in D-Stadt bestätigt. Danach steht aus Senatssicht fest, dass sich die Klägerin und der Beschuldigte in einer „emotional aufgewühlten Situation“ befunden haben. Im Einzelnen dürfte aus den Schilderungen folgen, dass die Klägerin vor J. F. Angst gehabt und dass sich dieser aggressiv verhalten hat. Der Senat geht daher davon aus, dass sich zwischen den beiden bereits vor dem Eintreffen in D-Stadt durchaus (größere) Auseinandersetzungen oder Ähnliches zugetragen haben dürften; welcher Art diese Auseinandersetzungen gewesen sind, bleibt jedoch völlig offen. Insbesondere ergibt sich aus den Vorgängen in D-Stadt in keinem Fall ein zwingender Rückschluss auf die von der Klägerin geschilderten Handlungen. Im Gegenteil ergeben sich sogar erhebliche Widersprüche zwischen der Schilderung der Klägerin einer- und den Angaben der Eltern andererseits im Hinblick auf die Uhrzeit der Vorgänge vor dem elterlichen Haus. So spricht aus Sicht des Senats - u. a. wegen der Detailliertheit der Angaben hinsichtlich der Uhrzeit - Einiges dafür, dass die Aussagen der Eltern zutreffend und die Klägerin und der Beschuldigte viel früher in D-Stadt angekommen sind, als die Klägerin angegeben hat. Daraus folgt jedoch, dass sich die Vorgänge nicht genau so zugetragen haben können, wie es die Klägerin dargestellt hat. Insbesondere war der Zeitraum, in dem der Beschuldigte bereits aggressives Verhalten gezeigt haben bzw. „ausgeflippt“ sein soll, wohl erheblich kürzer. Darüber hinaus hat die Mutter der Klägerin vor dem Senat die Schilderung ihrer Tochter berichtet, dass diese von J. F. in der Wohnung festgehalten worden sei, worauf sie um Hilfe gerufen habe und die Polizei gekommen sei. Auch diese Angabe der Zeugin lässt jedoch keine Annahme und nicht einmal eine Vermutung zu, inwieweit das geschilderte Geschehen (Würgen, massive körperliche Bedrängung der Klägerin) sich tatsächlich zugetragen hat. Vielmehr ergeben sich erhebliche Zweifel, da die Zeugin ausdrücklich erklärt hat, dass die Klägerin von einem Würgen in der Tatnacht gar nicht gesprochen und sie, die Zeugen, keinerlei Würge- oder weitere Spuren körperlicher Gewalt an der Klägerin bemerkt habe. Andererseits hat die Mutter der Klägerin erklärt, dass sie mit dieser zum Arzt gegangen wäre, wenn sie äußere Merkmale einer Gewalttat gesehen hätte. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine nachvollziehbare Erklärung dafür, weshalb die Eltern der Klägerin Würgespuren an deren Hals nicht hätten bemerken sollen.

3. Ebenso wenig vermag sich der Senat allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zu bilden. Zwar kann sich eine Entscheidung in freier Beweiswürdigung grundsätzlich jedenfalls dann allein auf den Beteiligtenvortrag stützen, wenn dieser glaubhaft ist - wobei „glaubhaft“ hier nicht im Sinn einer Herabsetzung des Überzeugungsmaßes verstanden werden darf -, der Lebenserfahrung entspricht und nicht zu anderen festgestellten Tatsachen im Widerspruch steht (vgl. Keller, a. a. O., Rdnr. 4; Gutzler, in: SGb 2/2009, S. 73 (76), jeweils m. w. N.; Urteil des Senats v. 05.02.2013, a. a. O.).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend aber nicht erfüllt. Zwar hat die Klägerin den schädigenden Vorgang und das Rahmengeschehen relativ detailreich geschildert, was durchaus für einen realen Erlebnisbezug sprechen kann (vgl. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl., Rdnr. 310 ff.). Der Senat sieht jedoch bei der Schilderung der schädigenden Handlung durch die Klägerin Defizite in der Plausibilität. Die Klägerin hat angegeben, J. F. habe sie auf das Bett geworfen, sich auf sie gelegt und sie (mit der rechten Hand) bis kurz vor die Bewusstlosigkeit gewürgt; er habe sie fast umgebracht. Sie habe ihm dann vorgespielt, mit der Beziehung sei alles wieder in Ordnung. Er habe von ihr abgelassen und sei wie ausgewechselt gewesen. Daraufhin sei sie ans Fenster gestürzt und habe um Hilfe gerufen. Aus Sicht des Senats ist es nur bedingt nachvollziehbar, dass es die Klägerin trotz Todesangst bewirkt haben soll, dass J. F. wie ausgewechselt war, um dann erneut „wie am Spieß“ um Hilfe zu schreien mit dem Risiko, dass der Beschuldigte wieder über sie herfiel, was schließlich denn auch - nach Angaben der Klägerin - geschehen sein soll. Dieses Verhalten ist wohl allenfalls durch ein Höchstmaß an Panik zu erklären. Dann aber erscheint es dem Senat doch lebensfremd, dass die Klägerin, um den Beschuldigten zu schützen, überhaupt nichts zu den herbeigerufenen Polizeibeamten sagte. Zumindest unverständlich ist weiter auch, dass diese keinerlei Spuren des massiven tätlichen Angriffs und der Auseinandersetzungen in der Wohnung bemerkt haben wie Verletzungen (Würgespuren), Verwüstung, zumindest Panik (vgl. das vorherige Schreien um Hilfe), Verstörtheit der Klägerin etc. Auch bleiben aus Sicht des Senats gewisse Widersprüche hinsichtlich der klägerischen Angaben zur Beziehung mit dem Beschuldigten. So hat die Klägerin angegeben, mit J. F. am 23.01.1995 - dieses Datum wurde später auf „Mitte Januar 1996“ korrigiert - eine anfangs harmonische (intime) Wochenendbeziehung eingegangen zu sein, die gut funktioniert habe, bis der Beschuldigte „nur noch vom Heiraten und Kinderkriegen gesprochen“ habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin dann jedoch ausgesagt, dass die „Sache mit dem Heiraten und Kinderkriegen“ bereits im Februar 1996 begonnen habe. Daraus ergibt sich, dass die Wochenendbeziehung nur sehr wenige Wochen harmonisch gewesen ist. Auf der anderen Seite ist für diese losere Bindung, die in harmonischem Rahmen nur sehr kurz angedauert haben soll, aber sogar ein Paar Ringe mit einer Gravur versehen worden. Der Senat hat daher Zweifel, ob die Beziehung von der Klägerin zutreffend geschildert worden ist. Damit bestehen jedoch auch erhebliche Zweifel an den Rahmenbedingungen für die (angebliche) Tatnacht.

Neben den geschilderten Zweifeln des Senats ergibt sich für diesen auch nicht der geringste objektive Hinweis dafür, dass die Aussagen der Klägerin zutreffend wären. Bis auf die Angaben der Klägerin sind keine objektiven Tatsachen bekannt, die zur Überzeugungsgewinnung des Senats dienen könnten. Insbesondere hat niemand einen entsprechenden Vorfall in B-Stadt bestätigt.

Vielmehr hat sich die Klägerin erst über ein Jahrzehnt später nach der behaupteten Tat auf diese berufen und Ansprüche geltend gemacht, wobei aus einer „verspäteten“ Anzeige freilich nicht ohne Weiteres darauf geschlossen werden, dass sie eher falsch ist (vgl. Bender/Nack/Treuer, a. a. O., Rdnr. 262 ff.).

Einzig die relativ konsistente Schilderung der Klägerin des von ihr angegebenen Geschehens bzw. von entsprechenden Flashbacks bei Fachärzten und die Übernahme dieser Angaben durch die Ärzte im Rahmen der Diagnosen und Therapien könnten als Hinweis auf eine Richtigkeit der Angaben der Klägerin gesehen werden. Aus Sicht des Senats ist jedoch nicht auszuschließen, dass die Ärzte die Angaben der Klägerin lediglich kritiklos übernommen bzw. nur ungenügend hinterfragt haben, zumal der konkrete Geschehensablauf des Angriffs im Rahmen der Therapie nur eine nachrangige Bedeutung haben dürfte. Auffällig ist zudem, dass sich in den ärztlichen Unterlagen teilweise voneinander abweichende und nicht schlüssige Angaben finden. So spricht z. B. der Bericht der A.-Klinik O. vom 08.05.2006 von der Erstdiagnose der MS im Jahr 1995; die Klägerin gibt aber an, erst im Januar 1996 von ihrem Ex-Freund gewürgt und massiv körperlich bedrängt worden zu sein und erst danach die MS entwickelt zu haben. Auch bezüglich des Beginns der Symptome der PTBS finden sich in den medizinischen Unterlagen verschiedene Angaben. Ob es sich um Ungenauigkeiten der Behandler bei der Anamnesedokumentation oder um teilweise unzutreffende Angaben der Klägerin handelt, muss offen bleiben. Jedenfalls kann nach Auffassung des Senats die relativ konsistente Schilderung und die Reaktion der Ärzte hierauf nicht zu der Beurteilung führen, „dass kein vernünftiger Mensch am Vorliegen des Angriffs noch zweifelt“ (Vollbeweis, s.o.).

4. Im Übrigen hält der Senat die Angaben des Vaters der Klägerin durchaus für glaubhaft, dass diese in der Zeit nach Januar 1996 in ihrem Wesen ruhiger geworden ist, sich von ihrem Freundeskreis ein bisschen zurückgezogen und großes soziales Engagement beim M. Hilfsdienst bzw. durch Gründung und Leitung einer eigenen Jugendgruppe gezeigt hat. Ein zwingender Rückschluss darauf, dass sich daher zu dem genannten Zeitpunkt der von der Klägerin geschilderte Angriff tatsächlich ereignet haben muss, ergibt sich aber gerade nicht. Aus Sicht des Senats erlauben diese von dem Zeugen geschilderten Tatsachen nicht einmal eine in diese Richtung gehende Vermutung. Zum einen erscheint es sogar eher fernliegend, dass nach einem traumatischen Ereignis gerade derartiges engagiertes Handeln gezeigt wird, auch wenn es um ein „Ablenken“ geht, worauf der Zeuge hingewiesen hat. Zum anderen kann ein Rückzug vom Freundeskreis in untergeordnetem Ausmaß ebenso gut mit einer Vielzahl von anderen Ereignissen erklärt werden, wie z. B. mit der (bloßen) Trennung der Klägerin von ihrem Freund. Im Übrigen ergibt sich nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen auch, dass bei der Klägerin unbestritten psychische Probleme bestehen, gegebenenfalls durch die Faktoren „Mobbingsituation am Arbeitsplatz“ und „genetische Disposition“ (Auftreten von Depressionen bei anderen Familienmitgliedern) bedingt; die vom Vater der Klägerin erwähnte Wesensänderung etc. kann also auch durch die psychischen Probleme verursacht sein.

5. Aus Sicht des Senats erscheint es grundsätzlich möglich, dass die Angaben der Klägerin deren psychiatrischen Erkrankungen geschuldet sind, die in den dem Senat vorliegenden Unterlagen dokumentiert sind. Der Senat kann freilich auch nicht ausschließen, dass bei der Klägerin - jenseits einer pathologischen Problematik - eine Gedächtnistäuschung, Erinnerungsfehler o.ä. gegeben sind, wobei zu beachten ist, dass das Tatgeschehen bereits weit zurückliegt. Auszuschließen ist zudem auch nicht, dass bewusstseinsnahe Vorgänge die Klägerin dazu gebracht haben, (auch erst viele Jahre später) einen unzutreffenden Vorwurf gegen ihren früheren Freund zu erheben.

Der Senat war nicht gehalten, positiv festzustellen, aus welchem Grund die Klägerin die vorliegende, den Senat nicht überzeugende Schilderung gegeben hat; daher hat es insoweit auch keines Sachverständigengutachtens bedurft. Die möglichen Erklärungen festigen lediglich den aus anderen Gründen gewonnenen Eindruck, dass der Schilderung nicht gefolgt werden kann.

Auch unter Berücksichtigung des weniger strengen Beweismaßstabs der Glaubhaftmachung ergibt sich vorliegend kein anderes Ergebnis

Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOV-VfG kann prinzipiell auch im Hinblick auf solche Tatsachen anwendbar sein, die in Zusammenhang mit einer Schädigung stehen, welche vom OEG erfasst wird. Zwar wollte der Gesetzgeber ursprünglich nur der Beweisnot entgegenwirken, in der sich Antragsteller befanden, weil sie durch Kriegsereignisse (wie Flucht, Vertreibung, Bombenangriffe etc.) die über sie geführten Krankengeschichten, Befundberichte, Urkunden etc. nicht mehr erlangen konnten. Mit der Verweisung in § 6 Abs. 3 OEG hat der Gesetzgeber jedoch der Beweisnot derjenigen Verbrechensopfer Rechnung tragen wollen, bei denen die Tat ohne Zeugen geschehen ist und bei denen sich der Täter einer Feststellung entzogen hat, mithin andere Beweismittel als die eigenen Angaben des Betroffenen nicht zur Verfügung stehen (vgl. BSG v. 31.05.1989, Az.: B 9 RVg 3/89; BSG v. 17.04.2013, a. a. O.; vgl. auch die Entscheidung des Senats v. 17.08.2011, Az.: L 15 VG 21/10). Die Beweiserleichterung gilt nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 31.05.1989, a. a. O.) - gewissermaßen in einer zweiten Stufe einer erweiterten Auslegung - zudem nicht nur für das Verwaltungsverfahren, sondern auch im gerichtlichen Verfahren, weil sie, so das BSG, nicht nur das Verfahren der Verwaltung regle, sondern „materielles Beweisrecht“ enthalte (a. a. O.). Weiter darüber hinaus (dritte Stufe) soll sie schließlich sogar mitunter in Fällen anwendbar sein, in denen Zeugen als Beweismittel vorhanden sind (BSG, Urteil vom 17.04.2013, a. a. O.): Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOV-VfG ist nach der Rechtsprechung des BSG auch dann heranzuziehen, wenn es für den schädigenden Vorgang an Tatzeugen mangelt, weitere Zeugen aber vorhanden sind, wobei der als Zeuge im sozialgerichtlichen Verfahren zu vernehmende beschuldigte Täter kein Zeuge im Sinne dieser Rechtsprechung sein soll. Das BSG hat hierzu ausgeführt (a. a. O.):

„Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind... nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl. §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind.“

Aus Sicht des Senats stößt eine solche dreifach erweiterte Auslegung des § 15 Satz 1 KOV-VfG bereits im Hinblick auf den klaren Wortlaut der Vorschrift auf Bedenken. Mag die grundsätzliche Anwendung für OEG-Verfahren im Hinblick auf die gesetzliche Anordnung in § 6 Abs. 3 OEG noch unbedenklich sein und mag die analoge Anwendung für gerichtliche Verfahren den Bereich des Zulässigen noch nicht überschritten haben, erscheint eine weitere Ausdehnung von § 15 Satz 1 KOV-VfG auf Fälle, in denen (im sozialgerichtlichen Verfahren) zwar Zeugen vorhanden sind, die eben nur nicht das Begehren des Opfers stützen (wie oftmals der Täter oder weitere Zeugen, die die Tat nicht unmittelbar beobachtet haben), problematisch. Denn die Annahme, dass die Beweisnot des Opfers identisch sei in den Fällen einerseits des leugnenden und andererseits des unerkannt gebliebenen Täters, erscheint sachlich nicht unangreifbar. Selbst der leugnende Täter wird in vielen Fällen (unbewusst) Angaben machen, die eine Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit zulassen oder die für den Anspruch der Kläger des sozialgerichtlichen Verfahrens durchaus förderlich sein können. Auch ist die Beschränkung auf „Tatzeugen“ nicht nachvollziehbar. So ist der Begriff des „Tatzeugen“ aufgrund der Vielfältigkeit der möglichen Tatumstände nicht klar definierbar. Zudem liegt zwar nahe, dass eine vergleichbare Beweisnot des Opfers besteht, wenn überhaupt kein Zeuge im Umfeld der Tat vorhanden ist. Wenn jedoch z. B. Zeugen vorhanden sind, die unmittelbar Wahrnehmungen aus eigener Anschauung bezüglich unmittelbar im Anschluss an die strafrechtliche Tatbeendigung erfolgter Geschehensabläufe wiedergeben können oder die während der Tat diese selbst zwar nicht beobachtet, jedoch entsprechende eindeutige Beobachtungen gemacht haben, kann von einer vergleichbaren Beweisnot nicht die Rede sein.

Letztlich kann hier jedoch offen bleiben, ob wegen dieser Bedenken des Senats (vgl. im Übrigen die Rechtsprechung v. 17.08.2011, a. a. O., sowie v. 05.02.2013, a. a. O.) und des Vorhandenseins der drei - in der mündlichen Verhandlung vernommenen - Zeugen § 15 KOV-VfG nicht anwendbar ist (weil nicht die Rede davon sein kann, dass andere Beweismittel als die Angaben der Klägerin objektiv nicht vorhanden wären) und ob die Beweiserleichterung deshalb nicht greift, weil die Klägerin diesen Beweisnotstand durch die späte Antragstellung verschuldet haben könnte. Denn selbst wenn man den genannten Maßstab der Glaubhaftigkeit genügen lassen wollte, würde das der Berufung der Klägerin nicht zum Erfolg verhelfen. Im Hinblick auf die obigen Darlegungen können die Aussagen der Klägerin nach Auffassung des Senats nicht als glaubhaft angesehen werden, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für die Möglichkeit des Würgens bis fast zur Bewusstlosigkeit und der massiven körperlichen Bedrängung der Klägerin sprechen würde (vgl. BSG v. 17.04.2013, a. a. O.). Von den in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten kommt der eines solchen Verhaltens des Zeugen F. nicht einmal ein gewisses Übergewicht zu. Aus Sicht des Senats besteht allenfalls eine geringe Möglichkeit für das von der Klägerin geschilderte Geschehen. Der Senat ist der Auffassung, dass besonders viel für die Möglichkeit spricht, dass es an jenem Abend in B-Stadt zu einem die Klägerin emotional belastenden Ereignis gekommen ist. Dabei ist nicht völlig auszuschließen, dass sich ein Angriff in etwa so ereignet hat, wie ihn die Klägerin schildert. Wahrscheinlicher ist unter Verweis auf die obigen Darlegungen aus Sicht des Senats jedoch, dass ein anderer Geschehensablauf gegeben war, wie etwa die Beendigung der Beziehung zwischen der Klägerin und dem Zeugen oder ein massiver Streit beider ohne Gewalttätigkeiten.

Zu weiteren Ermittlungen des Senats bestand keine Veranlassung und keine verfahrensrechtliche Pflicht. 1. Insbesondere waren keine Zeugen aus der oben genannten Diskothek zu vernehmen. Denn aus dem Geschehen in dieser lässt sich nicht auf das konkrete spätere Geschehen schließen. Der Senat hält es grundsätzlich für glaubhaft, dass sich der von der Klägerin Beschuldigte in der Diskothek (jedenfalls gewissem Umfang) aggressiv gezeigt hat. 2. Weiter ist nicht ersichtlich, wohin sonstige Anfragen gerichtet hätten werden können. 3. Zu weiteren - über die Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen hinausgehenden - medizinischen Ermittlungen besteht ebenfalls kein Anlass. Ein Rückschluss von einer psychiatrischen Erkrankung auf die zugrundeliegende Tat ist nicht möglich, sondern zirkelschlüssig (vgl. das Urteil des Senats vom 05.02.2013, a. a. O.; Rademacker, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl., § 1 OEG, Rdnr. 48; Högenauer, MedSach 2006, S. 67 (68)). Auch geben die psychischen Probleme der Klägerin nicht einmal einen (brauchbaren) Hinweis auf die Möglichkeit der Faktizität des geltend gemachten Geschehens. 4. Schließlich ist auch ein aussagepsychologisches Gutachten nicht einzuholen. Zum einen gehört die Würdigung von Aussagen nicht nur Erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut (vgl. Urteil des Senats a. a. O.). Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Beschluss vom 16.12.2002 (Az.: 2 BvR 2099/01) festgestellt hat, stellen die bei der Beweiswürdigung als einem Teil der Rechtsanwendung sich ergebenden aussagepsychologischen Fragen keine abgelegene, sondern eine für Richter ebenso wie für Anwälte zentrale, in der juristischen Fachliteratur ausführlich abgehandelte Materie dar, so dass die Auffassung nachvollziehbar ist, zur Würdigung der Zeugenaussagen sei, mangels besonderer zusätzliche psychologische Kenntnisse erfordernder Umstände, eine Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe nicht erforderlich. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt (vgl. das Urteil des Senats, a. a. O., sowie das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 15.12.2011, Az.: L 6 VG 584/11) daher nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, wenn nämlich dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens kann nach Auffassung des Senats - gerade auch unter Beachtung des o.g. Beschlusses des BVerfG - also nur geboten sein, wenn Sachverhalt oder Aussageperson solche Besonderheiten aufweisen, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Weder weisen Klägerin - mit Ausnahme der unten genannten Problematik - oder die Zeugen solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert. Für den Senat hat sich klar abgezeichnet, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die von der Klägerin dargestellte Version nicht zutrifft. Ferner hat der Senat bereits entschieden (vgl. Urteile des Senats vom 05.02.2013, a. a. O., und vom 30.06.2009, Az.: L 15 VG 17/05), dass in einem Fall, in dem die Aussageperson (unter anderem) an einer wahnhaften Störung leidet, die Durchführung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nicht sinnvoll ist. Wie in dem bereits entschiedenen Fall von dem damals beauftragten medizinischen Sachverständigen dargelegt worden ist, hat die dortige Klägerin an einer wahnhaften Störung gelitten und ist somit unverrückt von den entsprechenden Wahninhalten überzeugt gewesen. Wahninhalte können für die betreffenden Patienten - wie der medizinische Sachverständige für die dortige Klägerin festgestellt hat - reelle Tatsachen darstellen, so dass in einer weiteren Verhaltensanalyse im Rahmen einer Begutachtung keine weiteren wesentlichen Erkenntnisse zu erwarten sind (a. a. O.). Somit spricht mit Blick auf die von der Ärztin Dr. K. diagnostizierte schizoide Störung der Klägerin zumindest Einiges dafür, dass ein Glaubhaftigkeitsgutachten auch im hier vorliegenden Fall ein untaugliches Beweismittel wäre (vgl. auch Högenauer, a. a. O., S. 67 (69 a.E.)); dies kann letztlich aber offen bleiben.

Nach alledem ist der Nachweis, dass ein Angriff im Sinn des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG vorliegt, nicht erbracht, da es an der Handlung des Würgens etc. mangelt. Auf die gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin kommt es somit ebenso wie auf Kausalitätsfragen nicht an. Gleiches gilt für die Frage, ob ein Versagungsgrund gemäß § 2 Abs. 2 OEG gegeben ist.

Die Berufung kann damit keinen Erfolg haben. Sie ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt die Anerkennung, Opfer schädigender Ereignisse in Form von sexuellem Missbrauch zwischen 1966 und 1978 geworden zu sein und infolgedessen unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bzw. einer rezidivierenden depressiven Störung und schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen zu leiden.
Die am ... Januar 1962 geborene Klägerin zog im Alter von 16 Jahren aus dem Elternhaus aus, wo sie bis dahin mit zwei älteren und einem jüngeren Bruder aufgewachsen war. Sie machte den Hauptschulabschluss, danach zunächst eine Ausbildung zur Kinderpflegerin, später zur Wochenpflegerin, Arzthelferin und Krankenschwester. Im Jahr 1980 heiratete sie und bekam drei Kinder, geboren 1981, 1984 und 1988. Sie war erwerbstätig als Arzthelferin, als Nachtwache im Krankenhaus, als Kinderpflegerin und als sozialpädagogische Familienhelferin. 1985 kollabierte sie während eines Nachtdienstes, litt anschließend unter Schlafstörungen, Kraftlosigkeit, Appetitstörungen und machte eine Kur in Bad S. wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände und damals fraglicher depressiver Episode. 1992 führte sie eine Mutter-Kind-Kur in C. wegen starker Erschöpfung durch, ob eine depressive Episode vorlag, ist nicht unbekannt (GA Dr. F. Bl. 68 SG-Akte). Sie machte zahlreiche Fortbildungen: Im März 2004 bildete sie sich im Selbststudium zur beratenden Kinderpsychologin (nicht anerkannt) fort, im selben Jahr besuchte sie den Fachtag Dokumentation und Beobachtung in der offenen Kita-Arbeit, 2007 den Fachtag Suchtprobleme am Arbeitsplatz, wurde Betriebshelferin für Erste Hilfe, nahm an einer Veranstaltung zum Thema: „riskante Kinderwelten brauchen Schutz“ teil, am Fachtag Suchtprävention, am G.-V. Kinder und Jugendliche in der Schule, 2008 am Fachtag frühe Hilfen im O. sowie an der Fortbildung: „Risikoverhalten in der Pubertät“.
Im Jahr 2006 wurde die Ehe geschieden. Von 2008 bis 2013 führte die Klägerin eine Klage vor dem Amtsgericht H. (AG) wegen nachehelichen Ehegattenunterhalts, in dessen Verlauf sie zwecks Feststellung des Umfangs ihrer Erwerbsfähigkeit mehrfach u. a. von PD Dr. F. (aufgrund der partiellen Amnesie könne die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden, es spräche mehr gegen die Diagnose einer PTBS) begutachtet wurde. Seit 1. Februar 2009 bezieht sie unbefristet Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Bescheid Bl. 62 VV), zwischenzeitlich auch eine bis 2015 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung (Entlassbericht Bl. 137 Senatsakte). In seinem Gutachten für die D. R. vom 28. April 2009 stellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. die Diagnosen einer PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, eines psychophysischen Erschöpfungszustands und einer reaktiven Depression. Über die ersten 16 Jahre ihres Lebens habe die Klägerin keine Erinnerung, was sie berichte, habe sie von Angehörigen erfahren. Im Alter von drei Jahren habe sie wohl an einer Enzephalitis und Meningitis gelitten, Unterlagen gebe es in der Kinderklinik in G. nicht mehr. Anschließend seien regelmäßig Elektroenzephalogramme (EEGs) abgeleitet worden und sie habe bis etwa zum 15. Lebensjahr Mylepsinum einnehmen müssen. Ihr sei berichtet worden, sie habe von 1968 bis 1977 die Grund- und Hauptschule in D. besucht. Man habe ihr berichtet, sie habe keine Klassenarbeiten mitschreiben dürfen, da sie sich nicht aufregen oder freuen dürfe.
Nach der Geburt ihres Sohnes K. 1984 sei sie Anfang 1985 während eines Nachtdienstes zusammengebrochen. Sie sei zur Kur nach Bad S. gekommen. Darüber gebe es keine Unterlagen. Nach der Schwangerschaft mit ihrer Tochter 1988 habe sie ein „normales“ Leben gelebt. Bis 1994 sei sie psychisch relativ stabil gewesen, sie habe „funktioniert“. Im Rahmen einer schweren Erkrankung ihres Sohnes K. - schwere Operation mit protrahiertem Verlauf nach Platzen eines Meckel´schen Divertikels - sei der Verdacht entstanden, die Heilung des Sohnes verzögere sich oder werde unmöglich durch ihre eigenen Ängste. Daraufhin sei sie zu Dr. T. in Psychotherapie gegangen. Im Dezember 1995 sei ihr Vater gestorben und habe ihr zuvor am Sterbebett eröffnet, sie sei vom Liebhaber ihrer Mutter sexuell missbraucht worden. Anschließend habe sie sich in Therapie bei Psychotherapeutin (nach dem Heilpraktikergesetz - HPG) C. begeben. Im Rahmen der Therapie habe sich herausgestellt, dass sie wohl innerfamiliär in der Kindheit über Jahre hinweg sexuelle Missbrauchserfahrungen erlitten habe, in deren Folge es zu Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen gekommen sei.
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. stellte in seinem Gutachten für das AG vom 9. November 2008 die Diagnosen histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen (ICD-10 F 60.4, F 43.1), berichtete depressive Stimmungsschwankungen und zurückliegende Essstörung (derzeit nicht aktuell). Allgemeine Erschöpfungszustände, Stimmungsschwankungen und zugleich eher fahrige Schilderungen ließen sich unter einer histrionischen Strukturierung einordnen. Zwar kämen dissoziative Störungen auch bei einer PTBS vor, der anamnestische Kontext spreche aber weniger für die Zuordnung zu einer PTBS. Anhaltende Erinnerungen, eindeutiges und spezifisches Wiedererleben eines früheren Traumas, aufdringliche Nachhallerinnerungen würden nicht berichtet, auch kein Vermeidungsverhalten, etwa gegenüber Situationen, die Flashbacks hervorriefen oder mit der Belastungssituation in Zusammenhang gebracht würden. Sie berichte über gynäkologische Untersuchungen, die ganz komisch gewesen seien. Es sei ihr noch völlig unklar, was überhaupt passiert sei. Ihre Amnesie werde inzwischen nur partiell durchbrochen, sie habe viel erfahren, was für andere unvorstellbar sei. Hierbei assoziiere sie allerdings weniger eigene Missbrauchserfahrungen als vielmehr die Besonderheiten in ihrer Familienstruktur, die „Männerbeziehungen“ der Mutter, wo auch noch „der Vater gegenüber“ gesessen habe. Auffällig sei, dass sie - im Zusammenhang etwas abrupt - darauf zu sprechen gekommen sei, vom Vater nicht missbraucht worden zu sein.
Gegenüber dem Gutachter Dr. S. gab die Klägerin am 8. September 2008 an, sie habe bis zum 16. Lebensjahr überhaupt keine Erinnerung an ihr Leben. Das sei alles nur erforscht und berichtet.
PD Dr. F. stellte in seinem Gutachten vom 25. Oktober 2010 an das AG die Diagnose einer PTBS, differentialdiagnostisch einer generalisierten Angststörung. Das Trauma-A-Kriterium sei durch die psychiatrische Exploration nicht zu beweisen. Es bestünden deutliche Hinweise auf eine frühkindliche Traumatisierung. Aufgrund der Amnesie könne jedoch die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden. Ein False-memory-Syndrome liege nicht vor, denn die Symptomatik sei nicht durch genaue Befragungen und Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen, sondern durch die Berichte des sterbenden Vaters ausgelöst worden. Bis zum Alter von 16 Jahren habe sie zunächst keinerlei Erinnerungen an ihr Leben gehabt. Alles was sie heute wisse, seien Inhalte aus Erzählungen anderer und Erinnerungsbruchstücke, die sie in langen Jahren der Psychotherapie mit plötzlich einschießenden Bildern und nachfolgendem intensivem Nachforschen erfahren habe. Sie habe keinen Sport und keine Prüfungen machen dürfen, da man unter jeder Art von Stress einen epileptischen Anfall befürchtet habe. Die Kommunion habe sie allein erhalten, der Pfarrer habe die Beichte bei ihr zu Hause abgenommen. Sie habe teilweise bis zu 15 Medikamente bekommen. Mit 12 oder 13 Jahren sei sie innerhalb des Hauses zu ihren Großeltern mütterlicherseits gezogen und von diesen weiter aufgezogen worden. Mit 16 sei sie zu Hause ausgezogen, seitdem habe sie regelmäßige Erinnerungen an ihr Leben. Bis 1995 habe sie keine Alpträume und keine belastenden Bilder, die sie überfielen, gehabt. Ihr Vater habe ihr kurz vor seinem Tod viel Belastendes aus ihrer Kindheit und Jugend erzählt. Er habe berichtet, Onkel H. habe ihr etwas Schlimmes angetan, er habe ihr weh getan und etwas getan, was man Kindern nicht antun sollte. Er, der Vater, habe sie nicht schützen können, nicht den Mut gehabt und sich in seine Arbeit gestürzt. Es habe viele wechselnde Liebhaber der Mutter gegeben. Diese seien nach Vermutung der Klägerin ebenfalls fragliche Täter sexuellen Missbrauchs an ihr. Die Berichte ihres Vaters hätten einige Bilder zusammengeführt, die in ihrem Kopf gewesen seien und mit denen sie bis dahin nichts habe anfangen können. Leider erinnere sie sich heute nicht mehr genau an alles, was ihr Vater ihr erzählt habe. Nach dem Tod des Vaters seien ihr immer wieder belastende Bilder in den Kopf gedrängt. Inzwischen erinnere sie sich an mehrfachen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Sie habe eine Erinnerung an eine Vergewaltigung, gegen die sie sich gewehrt habe, als er sie im Schlafzimmer der Eltern aufs Bett gelegt und festgehalten habe. Sie habe ihn gebissen und versucht, ihn zu schlagen. Während der einschießenden Bilder höre sie oft seine Sprüche von Onkel H.. Er habe sie „Bettchen“ genannt, wenn sie zu ihm habe kommen sollen. Er habe gesagt, sie solle zu ihm kommen, um eine „Spritztour“ zu machen. Das sei ein Synonym für sexuelle Handlungen gewesen. Im Alter von 5 Jahren habe sie sich beim Arzt geweigert, sich auszuziehen. Ihre Mutter habe zu dem Arzt gesagt, er müsse sagen, sie solle „Striptease“ machen, dann würde sie sich ausziehen. Daher denke sie, dass zu diesem Zeitpunkt schon vieles vorgefallen sei, was mit sexuellem Missbrauch zu tun habe. Zur späteren Narkose bei der Tonsillektomie habe man sie festhalten müssen, weil sie getobt habe. Sie habe auch Erinnerungen an sexuelle Belästigungen der Haushälterin und der Freundin ihres Bruders durch Onkel H. sowie sexuelle Handlungen zwischen diesem und der Mutter auf der Wohnzimmercouch, während sie, ihre Geschwister und der Vater anwesend gewesen seien. 1996 habe sie Onkel H. gesucht, aber nicht gefunden. Ihre Familie sei nicht bereit gewesen, über die Vergangenheit zu sprechen, habe gesagt, dass sie verrückt sei. 2003 habe sie den Kontakt zu ihrer Primärfamilie aufgrund der immer vermehrt auftretenden Kindheitserinnerungen abgebrochen. An aktuellen Beschwerden habe sie berichtet, belastende Bilder würden einschießen. Sie sehe z. B. die Gestalt ihrer Patentante, auch Onkel H. mit dunklen Haaren, sehe seine Hände, höre seine Stimme. Sie habe auch schon die Form einer Flasche gesehen. Nachforschungen hätten ergeben, dass dies eine Whiskyflasche der Marke „Racke rauchzart“ sei. Ihre Mutter habe oft gesagt, sie müsse noch „Racke rauchzart“ kaufen. Sie sehe Bilder von sich im Kindes- und Jugendalter aus verschiedenen Perspektiven, neben sich, über sich oder aus ihren eigenen Augen, als sei sie selbst beteiligt. Sie habe sich in einer Ecke mit einer Decke über sich gesehen, so als habe sie sich schützen wollen. Sie habe auch immer wieder Bilder aus einem Behandlungszimmer in einem Krankenhaus gesehen. Wenn sie viele Bilder von sexuellem Missbrauch überfielen, hätten diese oft mit Onkel H. zu tun. Einmal habe sie während der Begutachtung berichtet, ein Bild würde immer wieder kommen und dann vor ihren Augen stehen bleiben. Es habe mit einem sexuellen Missbrauch an ihr zu tun, genauer könne sie es nicht beschreiben.
2004 nahm sie den dritten Vornamen P. an, 2007 machte sie diesen dritten Vornamen zum Rufnamen, nahm zwei weitere Vornamen an und behielt den Ehenamen als Nachnamen, heißt somit nun nicht mehr B. B., sondern P. D., geb. D..
Die Klägerin litt im Kleinkindalter an einer Meningoenzephalitis (Gehirnentzündung/Hirnhautentzündung) im Alter von drei Jahren, weshalb bis zum 16. Lebensjahr eine Therapie mit Primidon, einem Antikonvulsivum, durchgeführt wurde (Bericht Epilepsiezentrum K. vom 26. September 1993, betr. den Sohn der Klägerin K. D., Anlagenkovolut zur AG-Akte). Sie führte in den Jahren 1984 und 1992 stationäre Reha-Maßnahmen wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände durch. Vom 19. Dezember 2000 bis 4. Januar 2001 war sie in stationärer psychotherapeutischer Behandlung in der H. Bad Z., wegen eines Erschöpfungszustands infolge von „harter Arbeit in ambulanter Psychotherapie“, in der sie traumatische Erlebnisse in ihrer Kindheit bearbeitet habe. Dort wurde die Diagnose einer rezidivierenden mittelgradigen depressiven Störung und die Verdachtsdiagnose einer psychogenen Amenorrhoe seit 1998 gestellt (Bl. 14 VV). Ab Mai 1994 führte sie eine Psychotherapie bei Dr. T., Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, durch, seit August 1996 bei M. C., Psychotherapeutin nach dem HPG (ohne Kassenzulassung). Frau C. gab in einer Stellungnahme vom 15. August 2008 gegenüber dem Beklagten an, die Klägerin leide an Depressionen infolge schwerer Anpassungsstörungen, aufgrund über Jahre fortgesetzter schwerster Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, in deren Folge es zu Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen gekommen sei. Als Kind seien ihr Psychopharmaka, zeitweilig in Verbindung mit Alkohol, verabreicht worden. Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit März 2008 anerkannt (Bescheid vom 17. Dezember 2008, Bl. 23 VV).
10 
Am 4. Februar 2009 stellte sie über den Weißen Ring einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Der Weiße Ring gab darin an, die Klägerin sei in ihrer Kindheit Opfer eines schweren sexuellen Missbrauchs geworden. Dies führe dazu, dass sie an ca. 16 Lebensjahre keine Erinnerung habe. In langjährigen Therapien seien als Ursache hierfür Geschehnisse in der Kindheit ermittelt worden. In ihrem Antrag gab die Klägerin als schädigendes Ereignis an: sexueller Missbrauch, ca. 1965 – 1978, “als Gesundheitsstörung eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Amnesie von ca. 16 Lebensjahren, keine Zeugen, Namen der schädigenden Personen nicht bekannt“. Mit Bescheid vom 23. März 2009 wurde der Antrag abgelehnt (Bl. 28 VV). Es sei nicht objektiv nachgewiesen, dass die Klägerin Opfer einer Gewalttat geworden sei. Die Beweiserleichterung für den Fall, dass unverschuldet kein Nachweis erbracht und keine Zeugen benannt werden könnten, greife nicht ein, weil die Klägerin den Sachverhalt aufgrund der Amnesie nicht aus eigener Erinnerung beschreiben könne. Die ärztlichen Befundberichte reichten für eine Beweisführung nicht aus, weil aus dem vorliegenden psychiatrischen Störungsbild keine Rückschlüsse auf ein spezifisches Ereignis gezogen werden könnten und kein Profil psychiatrischer Symptome eindeutig auf eine traumatische Vergangenheit hinweise.
11 
Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. E. vor (Bl. 57 VV), der sie seit 1997 betreute. Demnach stehe im Vordergrund der zweimal monatlichen Konsultationen ein psycho-physischer Erschöpfungszustand bei posttraumatischer Belastungsstörung nach kindlicher Missbrauchserfahrung. Sie könne sich an Einzelheiten in ihrer Kindheit und Jugend nicht erinnern. Diese seien erst nach mehrjährigen mehrfachen Psychotherapien in einem extrem belastenden Prozess wieder aufgetaucht. Sie leide häufig unter ausgeprägter körperlicher Schwäche und somatischen Beschwerden ohne somatisches Korrelat, Bauchschmerzen, Leistenschmerzen, Schmerzen im linken Bein und Sensibilitätsstörungen in der linken Gesichtshälfte. 1999 habe sie bis auf 42 kg abgenommen und in den letzten Jahren bis auf 75 kg zugenommen. Beim Neurologen und Psychiater S. war sie seit 2001 nur in mehrjährigen Abständen. 2001 nahm sie an einer geleiteten Frauengruppe des Vereins „A.“ mit dem Anliegen, eigene Selbstzweifel bezüglich ihrer Gewalterfahrungen zu klären, teil (Bl. 61 VV). Weiterhin legte sie eine Stellungnahme der Frau C. vom 13. Oktober 2009 (Bl. 88 VV) vor. Darin schildert diese die „Geschichte“ der Klägerin, die nicht in der Lage sei, selbst darüber zu berichten. Seit dem Tod des Vaters, der ihr auf dem Sterbebett über Familiengeheimnisse berichtet habe, seien sie und ihr Sohn immer kränker geworden, ohne dass die Ärzte hätten sagen können, was ihr fehle. Der kleinen B. sei ein absolutes Redeverbot unter Androhung härtester Strafen auferlegt worden. „…H. ist der offizielle Liebhaber der Mutter und thront ab 1962 im Wohnzimmer auf dem Sofa neben der Mutter, vor sich eine Flasche Whisky. … Ab kleinster Kindheit (ca. 4 - 5 Jahre) wird P. vom Liebhaber H. sexuell missbraucht. Sie wird auch in fremde Häuser gebracht, man gibt ihr Alkohol und Medikamente, damit sie ruhig bleibt. … Sie wird oral und anal vergewaltigt, regelmäßig, von verschiedenen Männern, wird zeitweise währenddessen fixiert, wird eingesperrt. Andere Kinder sind auch dabei, auch manchmal ihr Bruder M., vor allem eine gleichaltrige Tochter von H.. … Eine zweite Frau scheint allgegenwärtig im System und dokumentiert alles, wie wenn es ein Experiment wäre: Tante G., Schwester des Vaters (medizintechnische Assistentin in einem Versuchslabor). Bei vielen „Experimenten“ an den Kindern waren die Männer als Arzt verkleidet (weißer Kittel und Stethoskop). Damit keine Informationen über die Familie nach außen drängen, werden Kontakte zu anderen Kindern unterbunden, B. darf nicht zum Sport, alles mit der Erklärung, das Kind sei psychisch labil, hätte epileptische Anfälle. Mit 12 Jahren wird B.-P. schwanger, unter dem Vorwand einer Blinddarmoperation wird sie nach N. zu Tante K. gebracht, wo sie „operiert“ wird, wo eine Abtreibung vorgenommen wurde…“. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 83 VV).
12 
Am 10. Juni 2010 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihre Mutter habe an den Missbrauchshandlungen mitgewirkt. Sie selbst habe an ihre ersten 15 bis 16 Lebensjahre kaum oder lediglich bruchstückhafte Erinnerungen. Im Rahmen sogenannter Flashbacks habe sie mit ihrer Therapeutin in langjähriger Therapie zahlreiche Vorfälle sexuellen Missbrauchs zusammentragen können. Ihr Bruder M., dessen Aufenthaltsort sie nicht kenne, sei bei den sexuellen Übergriffen zum Teil zugegen gewesen und habe am Sterbebett des Vaters dessen Berichte mitgehört. Sie habe alles Zumutbare zur Sachverhaltsaufklärung getan, so dass die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG eintrete. Die bei ihr vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergäben eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für sexuellen Missbrauch, auch die nur bruchstückhafte Erinnerung. Dies sei durch Gutachten belegt.
13 
Frau C. hat in ihrer Auskunft an das SG vom 7. Januar 2011 angegeben, es bestehe der Verdacht auf eine PTBS nach ICD-10 F 43.1 und der Verdacht auf dissoziative Amnesien sowie dissoziativen Stupor und dissoziative Bewegungsstörungen nach ICD-10 F 44.0, F 44.2.0 und F 44.7. Man müsse davon ausgehen, dass diese dissoziativen Zustände zur Zeit der Traumatisierung als emotional-physiologische Notlösung des Gehirns entstanden seien, das sonst keine Möglichkeit gehabt habe, die massiven, sadistisch geprägten sexuellen Übergriffe zu bearbeiten. Die ursprüngliche Symptomatik habe bereits darauf hingedeutet, dass sie an den Folgen einer langjährigen schwersten Traumatisierung leide. Zur Stabilisierungsphase habe der totale Bruch mit der Ursprungsfamilie mit Namensänderung 2007 gehört. Ab 1998 seien Erinnerungsfetzen an die Oberfläche gekommen, die allerdings nicht sprachlich, dafür aber mit nonverbalen Methoden hätten aufgedeckt werden können. Bis vor 1 – 2 Jahren habe noch das Redeverbot auf der Klägerin gelastet. Die Schaffung eines Zugangs zum Traumamaterial habe nur mit Hilfe von Psychopharmaka verkraftet werden können, jetzt sei die Klägerin teilweise abhängig von Benzodiazepinen, um sich gegen überflutende traumaartige Bilder zu wehren und schlafen zu können. Bis heute könne keine Traumaexposition durchgeführt werden, weil mit einer erneuten Destabilisierung zu rechnen sei. Die wiederholten Explorationen zur Erstellung von Gutachten hätten jeweils eine schwerwiegende Retraumatisierungssymptomatik provoziert. Die Scheidung 2005 habe neue Belastungsfaktoren in Form einer Unterhaltsklage mit sich gebracht. Im Hintergrund der vorliegenden Auseinandersetzung stehe das Bedürfnis, mit ihrer Geschichte gehört und anerkannt zu werden, damit ihr existentielles Bedürfnis nach Gerechtigkeit gestillt werden könne.
14 
Das SG hat die Klägerin in mündlicher Verhandlung am 16. September 2011 gehört (Niederschrift Bl. 88 SG-Akte). Sie hat angegeben, nach konkreten Erinnerungen an ihre Kinder- und frühe Jugendzeit befragt, könne sie sich tatsächlich nicht an Details, d. h. Gesichter oder Räumlichkeiten oder Sachverhalte erinnern. Vielmehr habe sie aus Erzählungen Dritter, z. B. zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, die sie im Kinder- und Jugendalter gehabt habe, Informationen erhalten. Diese halte sie für die Realität. Hierauf beschränkten sich letztlich ihre “Erinnerungen“ an diese Zeit. Da sie ab dem dritten Lebensjahr wegen ihrer angeblichen Erkrankungen mit Medikamenten versorgt worden sei, nehme sie an, dass die an ihr verübten Taten zu diesem Zeitpunkt begonnen haben müssten.
15 
Das SG hat den Bruder der Klägerin, den Zeugen R.-M. B., Rufname M., und die Haushälterin der Familie, die Zeugin B. S., durch einen ersuchten Richter beim Sozialgericht S. vernehmen lassen. Die Mutter der Klägerin hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Der Zeuge B. hat in seiner Vernehmung angegeben, die Klägerin habe ca. 1964 eine Hirnhautentzündung gehabt und sei dadurch sehr zurückgeworfen gewesen, in der Schule und so. Das habe sich erst in der Lehre gebessert. Sein Vater habe nach 18 Uhr ein Bier oder ein Glas Wein getrunken, er habe ihn aber nicht betrunken erlebt. Die Hausangestellte sei nur stundenweise gekommen. Onkel H., ein weitläufiger Verwandter seines Vaters, habe nicht im Haus gewohnt. Seines Wissens seien keine sexuellen Handlungen an der Klägerin vorgefallen, er habe auch nichts hierüber gehört. Von einer Schwangerschaft der Klägerin ca. 1974 wisse er nichts. Sein Vater habe vor seinem Tod eine Lebensbeichte abgelegt, alles vom Krieg bis zu seinem Sterbedatum erzählt. Über die Klägerin habe er nicht gesprochen. Onkel H. sei öfter nach Feierabend zu Besuch gewesen, allerdings habe er, der Zeuge, da nicht mehr zu Hause gelebt. Gegenstand der Lebensbeichte des Vaters sei auch gewesen, dass der jüngere Bruder M. nicht sein Sohn, sondern Onkel H. dessen Vater sei. Die Zeugin S. hat bekundet, sie habe sich meist abends stundenweise um die Klägerin gekümmert. Onkel H. sei gelegentlich dort im Haus gewesen. Zu einem sexuellen Missbrauch könne sie nichts sagen, weder aus eigenen Wahrnehmungen noch vom Hörensagen. Zu einer Schwangerschaft der Klägerin Mitte der Siebziger Jahre könne sie keine Angaben machen. Sie sei zu diesem Zeitpunkt noch regelmäßig dort gewesen. Ihr sei nichts aufgefallen. Sie habe bis heute Kontakt zur Mutter der Klägerin und dem jüngeren Bruder M..
16 
Die Klägerin hat Fotos vorgelegt (Bl. 253 SG-Akte), auf denen eine von ihr als Onkel H. bezeichnete männliche Person auf einem Sofa neben der Mutter sitzt, neben der Klägerin – beide rauchend – den Arm um sie legend, stehend neben der Zeugin S., die den Arm um ihn legt, Urlaubsbilder und Bilder ihrer Trauung, bei der sie neben Onkel H. zu sehen ist.
17 
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. März 2013 abgewiesen. Ausgangspunkt für die Feststellung eines schädigenden Ereignisses sei das Vorbringen der Klägerin. Bei ihr bestünden an den fraglichen Zeitraum, mithin auch an die geltend gemachten Taten, keine konkreten Erinnerungen. Vorhanden seien lediglich die im Rahmen der Psychotherapie bei Frau C. zutage geförderten bruchstückhaften Erinnerungen, die sich als einschießende Bilder mit belastender psychischer Reaktion darstellten. Dabei sei klar, dass es sich bei den Bildern, die der Klägerin spontan vor Augen träten, nicht um Erinnerungen an konkrete Geschehensabläufe in der Vergangenheit handele, sondern um bildhaft innerpsychische Vorgänge, die einer Interpretation bzw. Deutung bedürften. Daher sei nicht die Frage, ob die Angaben der Klägerin überzeugend und glaubhaft seien, sondern ob diese den Schluss zuließen, dass sich die geltend gemachten Geschehensabläufe tatsächlich zugetragen hätten. Dies sei nach dem Beweisergebnis nicht der Fall. Es schließe sich der Beurteilung des PD Dr. F. an, der dargelegt habe, dass die einschießenden Bilder nicht den zwingenden Schluss zuließen, das sich der Missbrauch so zugetragen und daher nur die Verdachtsdiagnose einer PTBS gestellt habe. Die entgegenstehende Stellungnahme der behandelnden Psychotherapeutin, die keine Facharztausbildung habe und deren Stellungnahmen jegliche professionelle Distanz vermissen ließen, hätten dagegen nicht überzeugt. Die Angaben der Klägerin außerhalb des Kerngeschehens hätten sich ebenfalls nicht bestätigen lassen, so das Vorbringen, ihr Bruder M. sei zugegen gewesen, als ihr Vater auf dem Sterbebett Hinweise auf die Missbrauchshandlungen gegeben habe. Auch das Kerngeschehen, nämlich dass ihr Bruder M. teilweise bei den Missbrauchshandlugen zugegen gewesen sei, habe dieser nicht bestätigt. Die Zeugin S. habe das Klagevorbringen ebenfalls nicht bestätigt, wobei nichts gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben spreche. Die vorgelegten Fotos bewiesen zwar ein gewisses Näheverhältnis der abgebildeten Personen, aber nichts darüber hinaus. Die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG führe zu keinem anderen Ergebnis, da die Klägerin ausdrücklich zugebe, keine Angaben machen zu können, da sie sich nicht erinnere. Es halte die Schilderung der Klägerin hinsichtlich der einschießenden Bilder und des angegebenen Inhalts durchaus für glaubhaft. Dies ändere nichts daran, dass mit diesen Bildern nicht der Nachweis eines tatsächlichen Geschehensablaufs in der Vergangenheit geführt werden könne.
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Gegen das am 16. April 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Mai 2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Die Zeugen seien nicht glaubwürdig. Der Zeuge B. habe nicht bekennen wollen, selbst Missbrauchsopfer zu sein. Er habe ihr einen Brief geschrieben und erklärt, „…auch ich habe mir in den letzten Jahren die gleichen Fragen gestellt, wie du“. Die Zeugin S. habe sich in einem Interessenkonflikt befunden. Die vorgelegten Fotos belegten eindeutig einen mehr als vertrauten Umgang zwischen ihrer Mutter, Onkel H. und ihr selbst. Sie habe durchaus Erinnerungen, verspüre aber ein innerliches Redeverbot im Sinne eines Schweigegebots. Mit Schriftsatz vom Juni 2014 hat sie über ihre neue Bevollmächtigte mitgeteilt, einige Vorgänge schildern zu können. Sie erinnere sich an einen Urlaub in einem Waldgebiet, den sie gemeinsam mit ihrer Mutter und Onkel H. verbracht habe. Man habe in einer gemieteten Hütte gewohnt. Onkel H. habe sie im kindlichen Alter gebadet und danach ihre Genitalien untersucht. Sie erinnere sich an einen Übergriff im Gartenzimmer am Ende des Elternhauses. Onkel H. sie damals dort im kindlichen Alter aufgesucht, sei zu ihr ans Bett gekommen und habe ihr etwas aus einem Schnapsglas zu trinken gegeben. Er habe sich zu ihr ins Bett gelegt und sie am Körper berührt. Sie sei unbekleidet zurückgeblieben und habe in den Morgenstunden starke Übelkeit verspürt. Im Alter von 14 Jahren hätten sich die Übergriffe des Onkels gesteigert. An einem Tag habe sie sich im Schlafzimmer der Eltern befunden. Onkel H. habe das Zimmer betreten, sie gepackt, auf die Bettseite der Mutter geworfen und sich auf sie gelegt. Er habe ihr im Alter von 14 Jahren die Arme festgehalten und einen Zungenkuss gegeben. Sodann habe er sie gegen ihren erkennbaren Willen zwischen den Beinen berührt. Erst durch die massive Gegenwehr habe er von ihr abgelassen.
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Die Klägerin beantragt,
20 
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 aufzuheben und eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen,
21 
hilfsweise, eine rezidivierende depressive Störung bei aktuell nicht vorhandener depressiver Episode und unter schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen.
22 
Der Beklagte beantragt,
23 
die Berufung zurückzuweisen.
24 
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig. Der Rückschluss von einer Diagnose auf ein ursächliches schädigendes Ereignis sei nicht möglich. Es gebe keine Zeugenaussagen, die die behaupteten Missbrauchshandlungen bestätigten.
25 
Zuletzt hat die Klägerin einen Behandlungsbericht von Dr. E., Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über ambulante Behandlungen am 2. Oktober sowie 6. und 18. November 2014 vorgelegt. Darin wird eine stationäre Traumatherapie empfohlen, deren Voraussetzung aber eine stabile Abstinenz von Benzodiazepinen und kein laufendes Rentenverfahren sei. Die Klägerin strebe die Verlängerung der 2015 auslaufenden Rente wegen voller Erwerbsminderung an. Einen zunächst gestellten Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens hat die Klägerin zurückgenommen.
26 
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 21.04.2015 gehört. Sie hat bekundet, sie könne nunmehr Vorfälle schildern, an die sie sich erinnere. Diese habe ihr nicht ihr Vater berichtet. Der schlimmste Vorfall sei im Alter von ca. 10 Jahren gewesen. Sie habe, bekleidet mit einem Unterhemd, auf einem Tisch gekniet und ein Mann, sie wisse nicht wer, habe einen Finger in ihre Scheide eingeführt. Sie erinnere sich daran, dass Onkel H. wiederholt verlangt habe, dass sie ihre Unterhose ausziehe, um zu sehen, ob sie sauber sei. Er habe sie oft in ihrem Kinderzimmer aufgesucht, ohne dass jemand dies bemerkt habe. Sie könne sich erinnern, mehrfach in ihrem Zimmer in eine Decke gehüllt sitzend aufgewacht und nicht mehr in ihrem Bett gewesen zu sein. Onkel H. habe sein Auto hinter dem Haus geparkt. Er habe auch einen Hausschlüssel gehabt. Als sie ein anderes Zimmer näher bei ihren Großeltern bezogen habe, habe Onkel H. öfter mit ihr sog. Spritztouren gemacht, d. h., er habe sie im Auto mitgenommen. Sie sei mehrmals mit ihrer Mutter und Onkel H. ohne ihren Vater in den Urlaub gefahren. Dort habe Onkel H. sie oft gebadet und gewaschen. Als sie 12 Jahre alt gewesen sei, habe er ihr einmal auf der Strandpromenade die Schleifen der Bikinihose aufgezogen und sie habe ohne Hose dagestanden. Sie könne sich erinnern, dass sie ihn habe anfassen müssen. Er sei ausgezogen gewesen und sie habe sein Glied streicheln müssen. Er sei auch mehrfach, wohl mit den Händen, in sie eingedrungen. Er habe große, stark dunkel behaarte Hände gehabt, wie ein Affe.
27 
Bei der angeblichen Blinddarmoperation im Alter von 12 Jahren sei sie gynäkologisch untersucht worden, obwohl sie nicht weit entwickelt gewesen sei. Sie habe danach eine kleine Narbe gehabt und eine Menstruationsblutung. Man habe ihr erklärt, wie sie eine Binde verwende.
28 
Es habe ein Redeverbot gegeben. Onkel H. habe gesagt, wenn sie ihrer Mutter etwas erzähle, müsse diese sterben. Sie habe das geglaubt, weil ihre Mutter Herzanfälle gehabt habe und sie von ihr abgeschirmt worden sei. Man sei öfter über die sog. Lügenbrücke im Ort spazieren gegangen und ihr sei gesagt worden, wenn sie lüge, breche die Brücke zusammen. Im Alter von ca. 8 Jahren habe sie ihrem Kindermädchen, der Zeugin S., berichtet, dass sie Blut in der Unterhose habe. Diese habe gesagt, das müsse vom Schaukeln kommen. Sie habe auch öfter gesagt, sie wisse ja Bescheid, müsse doch aber immer wieder dorthin kommen. Mit ca. 8 Jahren habe sie bei ihrer Tante G., die sie als Vertrauensperson angesehen habe, auf eine mit PVC bezogene Kommode einen Mann gemalt, der ein Kind anfasse. Tante G. habe mit ihr geschimpft. Mit 15 Jahren habe sie ihren ersten Freund gehabt. Sie wisse nicht, ob sie mit ihm intim gewesen sei. Er sei zu ihrer Mutter gegangen und habe gesagt, mit ihr stimme etwas nicht. Danach habe sie ihn nicht mehr gesehen. Die von Frau C. beschriebenen Gruppenvergewaltigungen mehrerer Erwachsener mit mehreren kindlichen Opfern seien Flashbacks gewesen. Sie könne nicht sagen, ob es wirkliche Erinnerungen seien.
29 
Manchmal seien Erinnerungen gleich weggewesen, das könne an den Medikamenten gelegen haben. Sie wisse nicht, warum das Redeverbot bis heute noch wirke.
30 
Ihr Bruder M. sei bei der Lebensbeichte des Vaters nicht die ganze Zeit anwesend gewesen, weil er habe arbeiten müssen. Er sei selbst stark traumatisiert, sei lange untergetaucht gewesen und habe Alkoholprobleme gehabt. Die Zeugin S. sei zu ihrer Zeugenvernehmung von Onkel H. Sohn M. begleitet worden. Vielleicht habe sie deshalb nicht die Wahrheit gesagt.
31 
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ein Schreiben an den Senat vorgelegt.
32 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 21.04.2015, auf die Prozessakten beider Instanzen, den Verwaltungsvorgang des Beklagten, die Schwerbehindertenakte und die Akten des AG H. zu Az. 1 F 646/07 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
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Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
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PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

(1) Leistungen sind zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Leistungen sind auch zu versagen, wenn der Geschädigte oder Antragsteller

1.
an politischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt ist oder war und die Schädigung darauf beruht oder
2.
an kriegerischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt ist oder war und Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß die Schädigung hiermit in Zusammenhang steht, es sei denn, er weist nach, daß dies nicht der Fall ist oder
3.
in die organisierte Kriminalität verwickelt ist oder war oder einer Organisation, die Gewalttaten begeht, angehört oder angehört hat, es sei denn, er weist nach, daß die Schädigung hiermit nicht in Zusammenhang steht.

(2) Leistungen können versagt werden, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, das ihm Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen, insbesondere unverzüglich Anzeige bei einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde zu erstatten.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Dezember 2012 und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. April 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander in allen drei Rechtszügen keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin bei einem Banküberfall Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) geworden ist.

2

Die 1985 geborene Klägerin ist als Bankkauffrau bei einer Bank beschäftigt. Am 13.2.2009 wurde sie während ihrer Tätigkeit bei einem Banküberfall von dem Täter (S.) mit einer ungeladenen, jedoch wie eine echte Schusswaffe aussehenden Schreckschusspistole bedroht. S. richtete dabei die Waffe aus naher Entfernung deutlich sichtbar zunächst auf den Kollegen K. der Klägerin und forderte diesen auf, Bargeld in die mitgebrachte Stofftasche zu packen und ihm zu übergeben. K. und die Klägerin, die an einem Schreibtisch hinter dem Kundenschalter saß, gingen von der Echtheit der ihnen vorgehaltenen vermeintlichen Schusswaffe aus und fürchteten um ihr Leben. Nach der Tat war die Klägerin zwei Wochen arbeitsunfähig krank und wurde psychologisch behandelt. Aufgrund dieses Vorganges wurde S. vom Landgericht H. wegen schwerer räuberischer Erpressung nach §§ 253, 255, 250 Abs 1 Nr 1b Strafgesetzbuch (StGB) rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

3

Der Antrag der Klägerin auf Entschädigung nach dem OEG blieb erfolglos (Bescheid des Beklagten vom 11.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2010). Klage und Berufung sind für die Klägerin hingegen erfolgreich gewesen (Gerichtsbescheid des SG Heilbronn vom 23.4.2012 - S 2 VG 976/10 - und Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 13.12.2012 - L 6 VG 2210/12).

4

Das LSG hat die beigezogenen Überwachungsvideos vom Banküberfall in Augenschein genommen und die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen, nachdem die Beteiligten zuvor den Streitgegenstand übereinstimmend auf die Feststellung beschränkt hatten, ob die Klägerin Opfer eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 OEG geworden ist. Das SG habe der Klage zu Recht stattgegeben, weil die Klägerin am 13.2.2009 Opfer eines Banküberfalles geworden sei. Hierbei handele es sich um einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff (auch) gegenüber der Klägerin. Der Annahme eines tätlichen Angriffs stehe nicht entgegen, dass S. hierbei "nur" eine Schreckschusspistole bei sich geführt und damit beide Bankangestellten bedroht habe, weil es sich hierbei um eine täuschend echt aussehende Attrappe gehandelt habe. S. sei wegen schwerer räuberischer Erpressung verurteilt worden, dh wegen eines erschwerten Falles einer Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leben oder Leib iS des § 255 StGB. S. habe, wenn auch nicht durch unmittelbaren Körperkontakt, körperlich auf die Klägerin eingewirkt, da er sie durch die gezielte Bedrohung zur Aufgabe ihrer Bewegungsfreiheit gezwungen habe. Hierzu habe er ein physisches Mittel eingesetzt, das aus der objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten als einsatzfähige Schusswaffe angesehen worden wäre. Mit dieser Waffe habe S. ua auf die Klägerin gezielt; aus der objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten habe kein Zweifel daran bestehen können, dass S. bereit gewesen sei, mit der Waffe auf die Klägerin zu schießen. Für die Klägerin habe nicht nur aus deren Sicht, sondern auch aus der maßgeblichen objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten akute Leibes- und Lebensgefahr bestanden, die sich jederzeit hätte realisieren können. Es liege andererseits eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung vor, würde der mit einer geladenen und entsicherten Schusswaffe Bedrohte dem Schutz des OEG unterstellt, derjenige aber, der auch aus Sicht eines vernünftigen Dritten derselben Gefahrenlage ausgesetzt ist und deshalb zB beim Fluchtversuch oder einer Notwehrhandlung zu Schaden komme, vom Anwendungsbereich des OEG ausgenommen (Urteil vom 13.12.2012).

5

Mit seiner Revision rügt das beklagte Land eine Verletzung von § 1 Abs 1 S 1 OEG. Bei der Drohung mit einer ungeladenen Schreckschusspistole und somit einer lediglich vorgetäuschten, vermeintlichen Gefährdungssituation könne ein tätlicher Angriff nicht angenommen werden. Die vom Täter benutzte Waffe sei objektiv nicht geeignet gewesen, das Leben oder die körperliche Integrität der Klägerin zu gefährden. Eine intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung reiche insoweit nicht aus.

6

Das beklagte Land beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13.12.2012 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 23.4.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für rechtmäßig; die Revision schränke den Anwendungsbereich des § 1 OEG in unzulässiger Weise ein.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Das in der Berufungsinstanz reduzierte isolierte Feststellungsbegehren der Klägerin, ob sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden ist, ist bereits unzulässig(dazu unter 1.). Aber auch die vor dem SG noch zulässig erhobene Klage ist unbegründet, weil die Klägerin am 13.2.2009 nicht Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden ist(dazu unter 2.). Die bloße Bedrohung mit einer ungeladenen Schreckschusspistole erfüllt die Voraussetzungen eines tätlichen Angriffs nicht. Eine erweiternde Auslegung von § 1 Abs 1 S 1 OEG kommt nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht in Betracht. Der angefochtene Bescheid vom 11.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Entsprechend waren der Gerichtsbescheid des SG vom 23.4.2012 sowie das Urteil des LSG vom 13.12.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

1. Die Klägerin konnte ihr Begehren in der Berufungsinstanz nicht zulässig auf die isolierte Feststellung und Antwort auf die Rechtsfrage beschränken, ob sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei.

11

a) Das SG hatte im Tenor seines Gerichtsbescheids noch festgestellt, dass das bei der Klägerin vorliegende posttraumatische Belastungssyndrom Folge eines tätlichen Angriffs sei. Im Berufungsverfahren stellte das LSG fest, dass es insoweit an ausreichenden Tatsachenfeststellungen fehlte. Das LSG wies die Beteiligten hierauf hin und veranlasste sie, sich darüber zu einigen, dass streitgegenständlich lediglich die Feststellung des schädigenden Ereignisses sein solle. Auf entsprechende Frage des Gerichts verzichtete die anwaltlich vertretene Klägerin sodann insoweit auf die Rechte aus dem Gerichtsbescheid, als darin ein posttraumatisches Belastungssyndrom festgestellt war.

12

Das LSG hätte in dieser prozessualen Situation in der Sache nicht mehr entscheiden dürfen. Die Klägerin konnte ihre vor dem SG ursprünglich zulässige kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 55 Abs 1 Nr 3 SGG; vgl Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 3b und 13) im Berufungsverfahren nicht in zulässiger Weise auf die isolierte Feststellung beschränken, sie sei am 13.2.2009 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden. Ihr Feststellungsbegehren kann weder auf § 55 Abs 1 Nr 3 SGG(dazu unter b) noch auf § 55 Abs 1 Nr 1 SGG(dazu unter c) gestützt werden, weil nur eine isolierte Feststellung (Anerkennung) von Schädigungsfolgen im Sinne des OEG zulässig ist, nicht aber die Klärung einzelner Elemente als Vorfrage des Anspruchs nach § 1 Abs 1 S 1 OEG.

13

b) Nach § 55 Abs 1 Nr 3 SGG kann die Feststellung begehrt werden, ob eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die Vorschrift ist ein Sonderfall der grundsätzlich unzulässigen Elementenfeststellungsklage (vgl hierzu allgemein: Keller, aaO, RdNr 9 f und 13 mwN). Sie dient der Klärung der haftungsbegründenden Kausalität, dh ob zwischen einer Schädigung im Sinne des BVG bzw des sozialen Entschädigungsrechts und dem Eintritt eines Primär- oder Erstschadens ein hinreichender Kausal- bzw Zurechnungszusammenhang besteht (vgl BSG Urteile vom 9.12.1998 - B 9 V 46/97 R - BSGE 83, 171 = SozR 3-3100 § 7 Nr 5, RdNr 11 nach Juris und - B 9 V 45/97 R - SozR 3-1500 § 141 Nr 6, RdNr 11 nach Juris). Der Senat hat zuletzt mit Urteil vom 29.4.2010 (B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 23 mwN) klargestellt, dass dies insbesondere dann von Bedeutung sein kann, wenn die eingetretene Gesundheitsstörung aktuell keinen Leistungsanspruch auslöst. Denn die Feststellung von Schädigungsfolgen kann als eigenständiger begünstigender Verwaltungsakt Grundlage für weitere Ansprüche oder Rechtsfolgen (zB Heilbehandlung) sein (vgl auch Keller, aaO, RdNr 13, 13a mwN). Vor diesem Hintergrund hätte für die Klägerin rechtlich keine Veranlassung bestanden, ihr Klagebegehren zu reduzieren.

14

Eine isolierte Feststellungsklage kommt auf der Grundlage des § 55 Abs 1 Nr 3 SGG aber dann nicht in Betracht, wenn mit ihr nur die selbstständige Feststellung des Vorliegens anderer als in der Vorschrift genannter Tatbestandselemente des geltend gemachten Anspruchs begehrt wird(vgl BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R - SozR 3-3200 § 81 Nr 16 S 72 f mwN). Die Feststellung, ob ein bestimmtes Ereignis (hier: der Tathergang des Banküberfalls) ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG ist, kommt nur im Zusammenhang mit der Feststellung bestimmter Schädigungsfolgen in Betracht. Liegen solche erkennbar nicht vor oder werden sie - wie vorliegend nicht (mehr) geltend gemacht - könnte die isolierte Feststellungsklage nur der Beantwortung einer abstrakten Rechtsfrage dienen. Selbst wenn diese im Sinne der Klägerin zu beantworten wäre, könnte dies als bloßes Teilelement der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG ohne Schädigungsfolgen keinerlei Ansprüche auslösen. Denn ein Vorgang, der keinen Körperschaden ausgelöst hat, führt nicht zur "Haftung" des Staates (vgl BSG, aaO).

15

c) Ebenso scheidet eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 und § 55 Abs 1 Nr 1 SGG aus(aA LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 12.12.2007 - L 5 VG 15/05 - RdNr 25 Juris; vgl allgemein Keller, aaO, RdNr 13b). Nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden(vgl Keller, aaO, RdNr 4). Ein derartiges öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis entsteht aber nicht bereits durch die bloße Feststellung der Vorfrage zu § 1 Abs 1 S 1 OEG, ob ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff in diesem Sinne vorgelegen hat. Zwar hat das BSG eine "isolierte" Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG für zulässig erachtet, wenn es um die Feststellung des Eintritts des Versicherungsfalls in Fällen geht, in denen vom Versicherungsträger bereits das Vorliegen eines Arbeitsunfalls(§ 8 SGB VII) oder einer Berufskrankheit (§ 9 SGB VII) bestritten wird (vgl beispielhaft BSG Urteil vom 15.2.2005 - B 2 U 1/04 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 12 RdNr 12 f mwN; s auch Darstellung der Rechtsprechung bei Keller, aaO, RdNr 13b). Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf die hier vorliegende rechtliche Konstellation im sozialen Entschädigungsrecht scheidet aus den oben genannten Gründen aus; die bloße Feststellung des schädigenden Vorgangs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG begründet noch kein Leistungs- oder sonstiges Rechtsverhältnis nach dem BVG bzw sozialem Entschädigungsrecht.

16

Ob das LSG auf die Berufung des beklagten Landes den Gerichtsbescheid des SG aufheben und die Klage aus den genannten Gründen hätte abweisen können, nachdem es das Begehren der Klägerin selbst auf eine - im vorliegenden Fall unzulässige - isolierte Feststellungsklage beschränken ließ, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls hätte das LSG den Gerichtsbescheid aufgrund der festgestellten Tatsachen auch in der Sache aufheben und die Klage abweisen müssen. Denn die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG und damit auch für einen Anspruch auf Versorgung liegen nicht vor(dazu unter 2.).

17

2. Die vom SG noch zu Recht für zulässig erachtete Klage war in der Sache materiell-rechtlich unbegründet, weil kein tätlicher Angriff vorgelegen hat.

18

Nach § 1 Abs 1 S 1 OEG(in der Fassung vom 11.5.1976, BGBl I 1181) erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Zwar sind nicht nur physische Beeinträchtigungen, sondern auch psychische Gesundheitsschäden geeignet, einen Opferentschädigungsanspruch auszulösen. Sowohl physische als auch psychische Gesundheitsschäden müssen jedoch auf einen "tätlichen Angriff" zurückzuführen sein. Insoweit ist entscheidend, ob der Primärschaden und eventuelle Folgeschäden gerade die zurechenbare Folge einer körperlichen Gewaltanwendung gegen eine Person sind. Die bloße Drohung mit einer, wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht für einen tätlichen Angriff dagegen nicht aus, auch wenn diese Drohung beim Opfer erhebliche gesundheitliche Folgen haben sollte.

19

a) Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung als einen "tätlichen Angriff" grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung angesehen (vgl zB Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN; Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 14 mwN) und die Entwicklung der Auslegung dieses Rechtsbegriffs zuletzt im Rahmen der Beurteilung von strafbaren ärztlichen Eingriffen (vgl Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 26 ff) und hinsichtlich des gesellschaftlichen Phänomens des "Stalking" umfassend dargelegt (vgl Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 33 ff). Dabei ist der Senat immer davon ausgegangen, dass die Verletzungshandlung im OEG nach dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt ist (vgl BT-Drucks 7/2506 S 10), obwohl sich die Auslegung des Begriffs des "tätlichen Angriffs" auch an der im Strafrecht zu den §§ 113, 121 StGB gewonnenen Bedeutung orientiert(vgl BSG, aaO, RdNr 32 mwN). Der Senat ist dabei soweit gegangen, eine erhebliche Drohung gegenüber dem Opfer für einen tätlichen Angriff genügen zu lassen, als sie zumindest mit einer unmittelbaren Gewaltanwendung gegen eine Sache einherging, die als einziges Hindernis dem unmittelbaren körperlichen Zugriff auf das Opfer durch die Täter noch im Wege stand, sodass der Angriff nicht lediglich auf einer Drohung, sondern auch auf Anwendung tätlicher Gewalt basierte (BSG Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 44 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11).

20

Soweit - wie im vorliegenden Fall - eine "gewaltsame" Einwirkung in Frage steht, ist nach der Senatsrechtsprechung schon immer zu berücksichtigen gewesen, "dass der Gesetzgeber durch den Begriff des 'tätlichen Angriffs' den schädigenden Vorgang iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff eingeschränkt hat"(BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36; vgl auch: BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 279 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 73; BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9; s auch Darstellung bei Heinz, Zu neueren Entwicklungen im Bereich der Gewaltopferentschädigung anlässlich neuerer Rechtsprechung zur Anspruchsberechtigung nach dem OEG bei erlittenem "Mobbing" und "Stalking", br 2011, 125, 131 f). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB(vgl hierzu Fischer, StGB, 61. Aufl 2014, § 240 RdNr 8 ff mwN) wird der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person geprägt(vgl insbesondere Begründung des Regierungsentwurfs zum OEG, BT-Drucks 7/2506 S 10, 13 f) und wirkt damit körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dieses Verständnis der Norm entspricht am ehesten dem strafrechtlichen Begriff der Gewalt iS des § 113 Abs 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, also einem tätigen Einsatz materieller Zwangsmittel wie körperlicher Kraft(vgl Fischer, StGB, 61. Aufl 2014, § 113 RdNr 23; BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 36 mwN).

21

Der "tätliche Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG setzt trotz seiner inhaltlichen Nähe zur Gewalttätigkeit nach § 125 StGB auch nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus, sodass auch ein nicht zum (körperlichen) Widerstand fähiges Opfer von Straftaten unter dem Schutz des OEG steht(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 37 mwN).

22

Andererseits reicht die bloße Verwirklichung eines Straftatbestandes, zB eines Vermögensdelikts, allein für die Annahme eines "tätlichen Angriffs" iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG nicht aus(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97, 114 = SozR, aaO, RdNr 41 und 62 f), auch wenn das Opfer über den eingetretenen Schaden "verzweifelt" und zB seelische Gesundheitsschäden davonträgt. Demgemäß hat der Senat eine Wertung als tätlicher Angriff auch für Telefonate, SMS, Briefe, Karten und dergleichen abgelehnt, weil es insoweit bereits an einer unmittelbar drohenden Gewaltanwendung fehlte (vgl BSG, aaO, RdNr 71). Der Senat sah schon immer in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt die Grenze der Wortlautinterpretation als erreicht an, wenn sich die auf das Opfer gerichteten Einwirkungen - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellen und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielen (vgl zuletzt: Beschlüsse vom 25.2.2014 - B 9 V 65/13 B - und vom 17. bzw 22.9.2014 - B 9 V 27 bis 29/14 B -, jeweils zu RdNr 6, wo den Opfern einer Erpressung ua damit gedroht wurde, Familienangehörige umzubringen und das Haus anzuzünden). Der Senat präzisiert dies dahingehend, dass ein tätlicher Angriff dann nicht vorliegt, wenn es an einer unmittelbaren Gewaltanwendung fehlt (dazu unter b).

23

b) Soweit der Senat darüber hinaus einen "tätlichen Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG auch noch in einem Fall angenommen hat, in dem der Täter das Opfer vorsätzlich mit einer scharf geladenen und entsicherten Schusswaffe bedroht hat, weil eine derartige Bedrohung das Leben und die Unversehrtheit des Opfers objektiv hoch gefährde(vgl BSG Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6, 9 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f), hält er hieran nicht mehr fest. Dies gilt auch für die Senatsrechtsprechung, die im Umkehrschluss die bloße Drohung zu schießen, mangels einer objektiv erhöhten Gefährdung des Bedrohten nicht hat ausreichen lassen, wenn der Täter keine Schusswaffe bei sich führt (vgl Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 20).

24

Nach dieser Rechtsprechung läge im vorliegenden Fall ein tätlicher Angriff schon deshalb nicht vor, weil der Täter der Klägerin lediglich eine objektiv ungefährliche Schreckschusspistole vorhielt. Der Senat sieht sich vor dem Hintergrund der aktuell vorliegenden Konstellation im Verhältnis zu den Entscheidungen vom 24.7.2002 (B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 - "Drohung mit einer scharfgeladenen und entsicherten Schusswaffe") und vom 2.10.2008 (B 9 VG 2/07 R - "bloße Drohung zu schießen, ohne Besitz einer Schusswaffe") veranlasst, seine bisherige Rechtsprechung zu ändern: Der Senat lässt eine objektive Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person auch ohne physische Einwirkung (Schläge, Schüsse, Stiche, Berührung etc) nicht mehr bereits aufgrund der objektiven Gefährlichkeit der Situation (zB Drohung mit geladener Schusswaffe) für die Annahme eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG ausreichen. Für das Vorliegen eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs kommt es nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Situation im Nachhinein als tatsächlich objektiv (lebens-)gefährlich erweist, weil die Waffe scharf geladen und entsichert war, oder als ungefährlich, weil es sich um eine bloße - echt aussehende - Schreckschusswaffe handelte. In diesen Fällen steht die Drohwirkung der vorgehaltenen Waffe auf das Opfer und dessen psychische Belastung in der konkreten Situation im Vordergrund; diese unterscheidet sich insoweit in Fällen wie dem vorliegenden regelmäßig nicht.

25

Die psychische Wirkung (hier: Drohwirkung) einer Straftat und eine hieraus resultierende zB sogenannte posttraumatische Belastungsstörung ist im Opferentschädigungsrecht keineswegs unbeachtlich. Sie ist vielmehr insoweit von Bedeutung, als für die Frage des Vorliegens eines Gesundheitsschadens nicht nur physische, sondern auch psychische Schäden beachtlich sind. Allerdings kann die psychische Wirkung einer Straftat das Erfordernis des "tätlichen Angriffs" iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG nicht ersetzen. Der eingetretene Schaden muss gerade auf einem solchen "tätlichen Angriff" und nicht - wie vorliegend - auf einer (bloßen) Drohung mit Gewalt beruhen. Bereits in seinem Urteil vom 7.4.2011 (B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 47) hat der Senat klargestellt, dass entgegen einer im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung nicht darauf abzustellen ist, ob die Angriffshandlung "körperlich wirkt" bzw zu körperlichen Auswirkungen im Sinne eines pathologisch, somatisch, objektivierbaren Zustands führt (so beispielhaft wohl Geschwinder, Der tätliche Angriff nach dem OEG, SGb 1985, 95, 96 zu Fußnote 17 und 18 mwN) oder welches Individualgut (insbesondere körperliche Unversehrtheit und Leben) von der verletzten Strafrechtsnorm geschützt wird (vgl insgesamt: BSG, aaO, RdNr 47 mwN zur Literatur). Fehlt es allerdings an einem tätlichen - körperlichen - Angriff, ergeben sich aus § 1 Abs 1 S 1 OEG für die Opfer allein psychischer Gewalt keine Entschädigungsansprüche(vgl hierzu allgemein: BSG, aaO, RdNr 49; Doering-Striening, Altes und Neues - zur Reform des Opferentschädigungsrechts, ASR 2014, 231, 233, 235).

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c) Entscheidend für einen Anspruch nach § 1 Abs 1 S 1 OEG ist, ob die Folgen eines bestimmten Ereignisses (Primärschaden oder eventuelle Folgeschäden) gerade die zurechenbare Folge eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind. Wie der Senat mit Beschlüssen vom 25.2.2014 (B 9 V 65/13 B) und vom 17.9.2014 bzw 22.9.2014 (B 9 V 27 bis 29/14 B, jeweils zu RdNr 6) zu schriftlichen Erpressungsversuchen bereits angedeutet hat, reicht die bloße Drohung mit einer, wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung für einen tätlichen Angriff nicht aus. Denn dieser Umstand allein stellt über die psychische Wirkung hinaus noch keinen tatsächlichen physischen "Angriff" dar. Aus der Sicht eines objektiven Dritten wie auch des unwissenden Opfers kann es keinen Unterschied machen, ob eine Schusswaffe geladen, nicht geladen oder eine echt wirkende Attrappe ist. Der tätliche Angriff in Gestalt der körperlichen Einwirkung auf den Körper eines anderen beginnt in diesen Fallkonstellationen erst mit dem Abfeuern des Schusses oder dem Aufsetzen der Waffe auf den Körper des Opfers. Maßgeblich iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG ist, ob ein tätlicher - körperlicher - Angriff tatsächlich begonnen hat.

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Daran fehlt es hier. Die auf die Klägerin als Opfer gerichtete Einwirkung beruhte ohne den Einsatz körperlicher Mittel allein auf einer intellektuell bzw psychisch vermittelten Beeinträchtigung. Die Klägerin sollte mit einer (hier: vorgetäuschten) Bedrohung für Leib oder Leben zu bestimmten Handlungen bzw Unterlassungen genötigt werden. Eine derartige Bedrohung stellt keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 44 mwN; Dau, jurisPR-SozR 10/2013 Anm 2 zu C).

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d) Vor allem die Entwicklung der gesetzlichen Regelung des § 1 Abs 1 S 1 OEG lässt nach dem Verständnis des Senats eine Erstreckung der Opferentschädigung auf die bloße Drohung mit Gewalt ohne Vorliegen eines tätlichen Angriffs nicht zu. Bereits nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 10.5.1974 war der bestimmende Grundgedanke für die Schaffung des OEG der Umstand, dass Gewaltopfern ein Aufopferungsanspruch gegenüber der Gesellschaft und damit dem Staat zustehen sollte, weil es dieser nicht vermocht hat, die unschuldigen Opfer vor Gewalttaten zu schützen (vgl BT-Drucks 7/2506 S 10, 13). Damit sollte der Staat für die Unvollkommenheit staatlicher Verbrechensbekämpfung aus Solidarität für den von einer Gewalttat betroffenen Bürger eintreten (BT-Drucks 7/2506 S 10; s auch BSG Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98, 101 = SozR 3800 § 1 Nr 1; BSG Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 2/78 - BSGE 49, 104, 105 = SozR 3800 § 2 Nr 1 mwN zur Gesetzesentwicklung; BSG Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 4/83 - BSGE 59, 40, 44 = SozR 3800 § 1 Nr 5; Weiner in Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, 5. Aufl 2010, § 1 RdNr 1). Diese - auf Gewalt abzielende - inhaltliche Ausrichtung hat das Gesetz trotz einiger Erweiterungen seines Anwendungsbereiches (vgl dazu Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012 § 1 OEG RdNr 2 bis 6) bis heute beibehalten und wird "von dem Grundsatz der allgemeinen staatlichen Fürsorgepflicht getragen" (Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des OEG vom 17.3.2009, BT-Drucks 16/12273 S 6).

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Für das zentrale Tatbestandsmerkmal des "tätlichen Angriffs" war von Anfang an darauf verzichtet worden, auf das Strafrecht zurückzugreifen mit seinen vielfältigen und uneinheitlich weit gefassten Gewaltbegriffen (vgl zB Heinz, Zu neueren Entwicklungen im Bereich der Gewaltopferentschädigungen anlässlich neuerer Rechtsprechung zur Anspruchsberechtigung nach dem OEG bei erlittenem "Mobbing" und "Stalking", br 2011, 125, 132). Es sollten ausschließlich die Fälle der sogenannten "Gewaltkriminalität" in die Entschädigung einbezogen werden, die mit einem willentlichen Bruch der Rechtsordnung durch körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person einhergehen (BT-Drucks 7/2506 S 10). In Anlehnung an § 113 StGB hat der Gesetzgeber den "rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen eine Person" als eine unmittelbare auf den Körper eines Menschen zielende feindselige Einwirkung verstanden und beim (vorsätzlichen) Tathergang als erforderlich angesehen, dass der Täter im Rahmen des bereits begonnenen tätlichen Angriffs auf einen Menschen zumindest Leib oder Leben eines anderen Menschen wenigstens fahrlässig gefährdet hat(BT-Drucks 7/2506 S 13, 14; zu aberratio ictus vgl Rademacker, aaO, § 1 OEG RdNr 11).

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Der Gesetzgeber hat es zudem ausdrücklich vermieden, strafrechtliche Tatbestände listenmäßig, wie zB die §§ 250, 253 und 255 StGB, zu benennen, um Abgrenzungsschwierigkeiten zu der nach § 1 Abs 1 S 1 OEG allein zu berücksichtigenden körperlichen Gewaltanwendung gegen eine Person zu vermeiden(BT-Drucks 7/2506 S 10; vgl auch BSG Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 10 = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 25). Zwar kann auch Drohung mit Gewalt psychische Gesundheitsstörungen beim Betroffenen hervorrufen. Dieser ist aber nicht zu staatlicher Entschädigung berechtigtes Opfer krimineller Gewalt iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden, weil das Tatmittel nicht körperliche Gewalt ("tätlicher Angriff") gegen den Körper, sondern eine List oder Täuschung gewesen ist(zum Erfordernis "körperlicher Gewalt" vgl Rademacker, aaO, § 1 OEG RdNr 8, 32; Dau, jurisPR-SozR 10/2013 Anm 2 zu C).

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e) Auch das Europäische Übereinkommen vom 24.11.1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Zustimmungsgesetz vom 17.7.1996, BGBl II 1120; Bekanntmachung vom 24.2.1997 über das Inkrafttreten des Übereinkommens in Deutschland am 1.3.1997, BGBl II 740) gebietet keine erweiternde Auslegung des § 1 Abs 1 S 1 OEG. Gemäß Art 1 des Übereinkommens verpflichten sich die Vertragsparteien, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die in dessen Teil I enthaltenen Grundsätze zu verwirklichen. Art 2 Abs 1 Buchst a des Übereinkommens bestimmt: "Soweit eine Entschädigung nicht in vollem Umfang aus anderen Quellen erhältlich ist, trägt der Staat zur Entschädigung für Personen bei, die eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, die unmittelbar auf eine vorsätzliche Gewalttat zurückzuführen ist." Hierzu hat der Senat bereits mit Urteil vom 7.4.2011 (B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 48 f) ausgeführt, dass das Übereinkommen eine Definition des Begriffs "vorsätzliche Gewalttat" nicht enthält (vgl auch Denkschrift zum Übereinkommen, BR-Drucks 508/95 S 14 = BT-Drucks 13/2477 S 14), sodass der bundesdeutsche Gesetzgeber durch das Tatbestandsmerkmal "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" in § 1 Abs 1 S 1 OEG in zulässiger Weise von seinem durch das Übereinkommen belassenen Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht hat. Ein weitergehender Anspruch lässt sich aus dem Übereinkommen nicht ableiten. Zudem hat der Senat auch ausgeführt, dass es dem Gesetzgeber entsprechend den Zielen des Übereinkommens unbenommen sei, über die von dem Begriff des tätlichen Angriffs erfasste Fallgestaltung hinaus auch Opfer psychischer Gewalt in den Schutzbereich des OEG mit einzubeziehen (vgl BSG, aaO, RdNr 49 mwN).

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f) Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten, den Begriff des tätlichen Angriffs über den mit Bedacht gewählten und bis heute beibehaltenen engen Wortsinn des OEG auf Straftaten zu erstrecken, bei denen es an einem solchen tätlichen Angriff fehlt, weil das strafbare Verhalten zB in einer Drohung mit Gewalt, Erpressung oder einer Täuschung besteht. Soweit im Schrifttum vereinzelt vertreten wird, dass die Regelungen im OEG im Hinblick auf die Opfer von Straftaten nicht mehr zeitgemäß seien und unter Einbeziehung von Opfern psychischer Gewalt aktualisiert werden müssten (vgl hierzu insbesondere die umfassenden Ausführungen von Brettel/Bartsch, Staatliche Opferentschädigung nur bei Gewalttaten? Zum Anwendungsbereich des Opferentschädigungsgesetzes, MedSach 2014, 263 ff, 267 mwN), handelt es sich um rechtspolitische Forderungen an den Gesetzgeber. Entsprechend ersten Vorschlägen im Werkstattgespräch im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 24.6.2014 zur Reform des sozialen Entschädigungsrechts gibt es im BMAS offenbar Überlegungen, dass zukünftig psychische Schäden in größerem Umfang vom Gesetzgeber erfasst werden könnten (vgl Doering-Striening, Altes und Neues - zur Reform des Opferentschädigungsrechts, ASR 2014, 231, 235 ff mwN). Sollte der Gesetzgeber den Tatbestand des § 1 OEG im Hinblick auf solche Kritik(vgl hierzu insgesamt die Darstellung bei Doering-Striening, aaO, ASR 2014, 231; Brettel/Bartsch, aaO, MedSach 2014, 263) erweitern wollen, empfehlen sich aus der Sicht der Rechtsprechung zugleich Überlegungen, wie einer uferlosen Ausweitung von Opferentschädigungsansprüchen bei Erstreckung des OEG auf bloße Drohung mit Gewalt und psychische Einwirkungen auf das Opfer durch jedwede Straftat anderweitig als durch das Kriterium des tätlichen Angriffs entgegengewirkt werden kann.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG).
Die 1976 in Deutschland geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (Niederlassungserlaubnis). Nach einem Autounfall, bei dem sie eine leichte Schädelprellung erlitten und auch ihre Mutter verletzt wurde, woran sie sich die Schuld gab, wurde sie von Dr. N. am 01.06.2007 in das chirurgische Klinikum L. überwiesen. Aufgrund des dortigen neurologischen Konzils wurde sie wegen Verdachts auf akute Psychose bei formaler Denkstörung und paranoiden Denkinhalten stationär ins Zentrum für Psychiatrie E. (ZfP) notfallmäßig eingewiesen. Ihre Unterbringung wurde nach § 1 des Gesetzes für die Unterbringung psychisch Kranker mit Beschluss vom 06.06.2007 (Az. XIV 51/2007 L) genehmigt. Nach dem Entlassungsbericht des ZfP vom 24.06.2007 wurde eine akute schizophreniforme psychotische Störung, differentialdiagnostisch eine paranoide Schizophrenie, diagnostiziert.
Sie stellte am 18.04.2013 einen Erstantrag nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und beantragte zugleich die Gewährung von Leistungen nach dem OEG. In dem am 03.06.2013 nachgereichten Formularantrag berief sich die Klägerin auf ein schädigendes Ereignis am 01.06.2007, als sie Attentaten des Personals des ZfP ausgesetzt gewesen sei. In einem beigefügten Schreiben der Klägerin an die Deutsche Rentenversicherung Bund vom 15.03.2013 führte die Klägerin weiter aus, sie sei durch die Polizei und einen Klinikarzt des ZfP sowie durch das dortige Pflegepersonal an Arm- und Fußgelenken schwerst verletzt worden, weshalb sie nun in diesen Bereichen an Funktionsbeeinträchtigungen zu leiden habe. So fielen ihr unwillkürlich Sachen aus der Hand und sie stürze beim Treppensteigen. Die betreffenden Personen hätten durch die Fixierung auf der elektrischen Liege mit Arm- und Fußfesseln die Haut ihrer Hand- und Fußgelenke äußerst schlimm verbrannt, so dass sich die Haut erst nach Jahren wieder erneuert habe. Am schlimmsten aber habe sie seelisch an den Folgen der Attentate zu leiden, die sie ein Leben lang nicht werde verarbeiten können, insbesondere weil sich die angezeigten Personen während ihrer medikamentösen Bewusstlosigkeit sexuell an ihr vergangen hätten. Infolge der Beeinträchtigungen sei die Struktur ihrer Haare unkämmbar geworden, so dass sie keine Langhaarfrisur mehr tragen könne; auch ihr Hautbild habe sich verändert, sie leide seitdem an sehr trockener Haut. Sie sehe nun aus, als wäre sie vorzeitig in die Wechseljahre gekommen. Auch sei ihre Lebenserwartung verkürzt worden, evtl. sei sie bereits durch diese starken Strombelastungen an Krebs erkrankt.
Der Beklagte zog den Entlassbericht des ZfP vom 24.07.2007 bei. Danach befand sich die Klägerin dort vom 01.06. bis 06.07.2007 in stationärer Behandlung. Diagnostiziert wurde eine akute schizophreniforme psychotische Störung und als Differentialdiagnose eine paranoide Schizophrenie. Anlass der Aufnahme seien ein Stupor-ähnlicher Angstzustand und fehlende verbale Kommunikation gewesen. Es hätten wahnhafte Denkinhalte, z. B. ihre CT-Bilder würden veröffentlicht oder man sehe eine Magnetfeldtherapie in ihren Augen, und der Verdacht auf optische Halluzinationen bestanden. Die Nahrungsaufnahme und Flüssigkeitszufuhr sei unzureichend gewesen. Nach Angaben des Bruders der Klägerin habe diese am 19.05.2007 einen Verkehrsunfall mit Kopfprellung und Bewusstseinsverlust erlitten. Auch die mitfahrende Mutter sei bewusstlos geworden. Die Klägerin habe Angst gehabt, ihre Mutter könne gestorben und sie selbst daran schuld sein. Seither habe sie zunehmend an Angst gelitten. Nach einer Kombinationsimpfung am 26.05.2007 habe sie zuhause gezittert und gesagt, sie könne nicht mehr, habe seither auch nicht geschlafen. Am 01.06.2007 sei sie wegen zunehmender Verwirrtheit und stuporösem Zustandsbild hausärztlich in die Chirurgische Klinik L. eingewiesen worden, um ein subdurales Hämatom bzw. eine andere organische Ursache auszuschließen. Das dort durchgeführte CCT sowie der erhobene Neurostatus seien unauffällig gewesen. Die Klägerin sei unter der Verdachtsdiagnose einer akuten psychotischen Störung notfallmäßig ins ZfP verlegt worden. Zum psychischen Befund wurde ausgeführt, die Klägerin sei bei deutlich eingeengtem Bewusstsein und nicht prüfbarer Orientierung wach gewesen. Auf Handlungsebene sei sie teilkooperativ, die Auffassung sei teils erheblich eingeschränkt gewesen. Die Aufmerksamkeit und der Blickkontakt seien abschweifend, das Konzentrationsvermögen erheblich eingeschränkt, das Denken formal gesperrt gewesen. Die Klägerin habe einzelne Satzteile geäußert. Inhaltlich habe der Verdacht auf wahnhaftes Erleben bestanden, die Klägerin habe z. B. Getränke abgelehnt, die nicht aus geschlossenen Flaschen gestammt hätten. Die Stimmung sei ratlos, ängstlich, der Affekt starr, der Antrieb gehemmt, die Psychomotorik starr gewesen, teils Automatismen. Die Sprachproduktion sei weitgehend aufgehoben, soweit vorhanden leise, kaum moduliert, grammatisch und syntaktisch korrekt gewesen (Bl. 22 B-Akten).
Dem von Seiten des ZfP beim Amtsgericht E. gestellten Antrag auf Unterbringung der Klägerin gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz - UbG) war das ärztliche Zeugnis des Arztes für Psychiatrie Dr. E. (ZfP) vom 04.06.2007 beigefügt. Hierin wurde nochmals dargelegt, dass die Klägerin in der Untersuchungssituation keine Fragen beantwortet, einige abgebrochene Sätze geäußert habe und Angaben zu ihrem aktuellen Befinden bzw. Behandlungseinverständnis nicht habe machen können. Die körperliche Untersuchung habe sie aktiv abgelehnt. Es sei eine akute polymorphe psychotische Störung diagnostiziert worden. Die fürsorgliche Aufnahme/Zurückhaltung sei nach ärztlichem Ermessen erforderlich, weil die Untersuchte im Sinne des § 1 Abs. 4 UbG infolge ihrer Krankheit ihr Leben und ihre Gesundheit erheblich gefährde.
Im Beisein von Dr. E. und Dr. Sch. hörte Richter am Amtsgericht Sch. am 06.06.2007 die Klägerin im ZfP zur Zulässigkeit der Unterbringung an. Eine Verständigung mit ihr war ausweislich des Anhörungsprotokolls indes zunächst nicht möglich. Als sich die Klägerin plötzlich aufrichtete und Dr. E. fragte, ob er Arzt sei, erklärte sie auf Frage von Richter am Amtsgericht Sch. ihr Einverständnis zum weiteren Aufenthalt im ZfP. Hierin sah Richter am Amtsgericht Sch. allerdings keine wirksame Einwilligungserklärung (Bl. 30 B-Akten). Mit Beschluss vom 06.06.2007 ordnete das Amtsgericht E. die Unterbringung der Klägerin bis längstens 17.07.2007 in einer für die Unterbringung psychisch Kranker anerkannten Einrichtung gemäß §§ 1 ff. UbG an. Nach dem Ergebnis der Anhörung i. V. m. den ärztlichen Zeugnissen lägen die Voraussetzungen der Unterbringung nach §§ 1 ff. UbG vor, da ohne deren Anordnung die Klägerin infolge ihrer Krankheit ihr Leben und ihre Gesundheit erheblich gefährden und eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für Rechtsgüter anderer darstellen würde sowie die Gefährdung und die Gefahr nicht auf andere Weise abgewendet werden könne.
Gegen verschiedene Mitarbeiter des ZfP sowie gegen behandelnde Ärzte der Klägerin und Polizeibeamte waren aufgrund von entsprechenden Anzeigen der Klägerin Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, die jedoch letztlich allesamt eingestellt wurden. Der Beklagte zog die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten bei. Anlässlich ihrer Geschädigten-Vernehmung am 02.09.2011 (Bl. 13 Ermittlungsakte [E-Akte]) nahm die Klägerin Bezug auf ihr Schreiben vom 26.01.2011 an Rechtsanwalt St., mit dem sie diesen beauftragte, gegen Dr. Sch. und weiteres ZfP-Personal "wegen Misshandlung und Mißbrauchs unter Herbeiführung von medikamentöser Bewusstlosigkeit + Anbringung auf elektr. Stuhl" Anzeige zu erstatten (Bl. 3 E-Akte). Sie berichtete in dem Schreiben, mit einem Krankenwagen vom Klinikum L. zum ZfP transportiert worden zu sein. Dort angekommen, habe Dr. Sch. sie in einen Raum mit nur einer Liege bringen lassen, wo die Krankenschwester Frau Bl. sie aufgefordert habe, sich auf die Liege zu legen. Danach habe sie sie gezwungen, eine Tablette einzunehmen, und ihre Füße und Hände mit den auf der Liege befindlichen Fesseln fixiert. Dann habe der Pfleger B. den Raum betreten und ihr Spritzen in den kleinen Finger der linken Hand, ihren Bauch und danach auf die linke Seite ihrer Hüfte gegeben. Anschließend habe er ihre Unterwäsche entfernen lassen. Sodann hätten sich alle aus dem Raum entfernt und die Tür sei von außen abgeschlossen worden. Sie habe dann gespürt, dass die Fesseln immer heißer geworden seien. Es habe angefangen, sehr stark zu schmerzen und ihre Fuß- und Handgelenke hätten gebrannt. Dann sei die Pflegerin Frau K. in den Raum gekommen. Auf ihre Bitte, die Fesseln zu lösen habe Frau K. nur gesagt, sie habe Feierabend, sei einfach rausgegangen und habe wieder abgeschlossen. Sie habe schlimme Qualen aushalten müssen und irgendwann das Bewusstsein verloren. Sie wisse nicht, wie lange sie bewusstlos gewesen sei, da die Pfleger sie durch Spritzen mit Schlafmitteln in diese Dauerlage der Bewusstlosigkeit gebracht hätten. Sie wisse auch nicht, was diese mit ihr während der Zeit angestellt hätten. Nach ihrer Entlassung sei ihre Menstruation drei Monate lang ausgeblieben. Das Pflegepersonal habe zu diesem Zeitpunkt bei ihrer Familie angerufen und dort mitgeteilt, sie noch nicht zu besuchen. Sie hätten behauptet, dass sie ihre Menstruation gehabt habe und sie ihr Slipeinlagen mitbringen sollten, was aber nicht gestimmt habe, da sie ihre Menstruation regelmäßig bekommen habe und zwar nicht zu diesem Zeitpunkt. Als sie ihr Bewusstsein wieder erlangt habe, sei eine Pflegerin gekommen und habe sie laut und unfreundlich in den Duschraum gezerrt, dort eingeseift und mit der Brause nur im Unterleib bespritzt. Danach sei sie in ein anderes Z. gebracht worden. Ihre Sachen seien vom Schrank auf das Bett gelegt worden. Als sie ihre Unterhose aus dem Schrank herausgenommen habe, die sie am Tag ihrer Einweisung getragen habe, sei die voll mit eingetrocknetem Blut gewesen. Sie sei sich sicher, dass sie sich sexuell an ihr vergangen hätten. Sie sei so stark und lange unter Strom gelegt worden, dass bis heute noch die verbrannte Haut auf ihren Füßen zu sehen sei, die immer noch nicht abgeheilt sei. Dr. Sch. habe ihr angedroht, sie komme aus dem ZfP nie wieder raus, falls sie das, was ihr dort widerfahren sei, anderweitig mitteilen würde.
Ergänzend gab die Klägerin im Rahmen der Geschädigten-Vernehmung an, seit Juli 2007 seelisch und körperlich nicht mehr in der Lage zu sein, voll zu arbeiten. Sie sei zur Zeit auf Arbeitssuche. Die seelischen Erlebnisse und die noch immer anwährenden Schmerzen an den Fußgelenken machten es ihr unmöglich, einer beständigen Tätigkeit nachzugehen. Sie habe am 01.06.2007 erstmals Dr. N. aufgesucht, die sie ins Krankenhaus L. überwiesen habe. Dort sei sie nicht groß untersucht worden. Es sei veranlasst worden, dass sie noch am gleichen Tag in das ZfP komme. Dies sei gegen ihren Willen gewesen. Sie habe Dr. N. aufgesucht, weil sie sich wegen des Stresses, der durch den Unfall am 19.05.2007 verursacht worden sei, nicht wohl gefühlt habe. Sie sei dann mit Unterstützung der Polizei gegen ihren Willen ins ZfP eingeliefert worden.
Die als Zeugin vernommene Allgemeinärztin Dr. N. gab am 07.08.2012 an, die Klägerin in ihrer Praxis am 01.06.2007 um 11.00 Uhr behandelt zu haben. Zur Anamnese habe sie vermerkt, dass die Klägerin seit dem Autounfall mit Schädel-Hirn-Trauma vor zwei Wochen verwirrt sei ohne Kopfschmerz und ohne Erbrechen. Die Klägerin habe agitiert und sich nicht untersuchen lassen. Die Pupillen seien unauffällig, die Klägerin sei örtlich und zeitlich nicht orientiert gewesen. Sie habe sie ins Klinikum L. eingewiesen (Bl. 52 E-Akten).
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Die ebenfalls als Zeugin vernommene Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. führte am 15.08.2012 aus, die Klägerin habe sich erstmals am 24.01.2000 in ihrer Praxis vorgestellt. Sie habe eine psychotische Episode mit paranoiden Ängsten festgestellt. Die Klägerin habe darüber geklagt, dass sie während eines Praktikums in einer Möbelfirma mit unsauberen Möbeln in Kontakt gekommen sei. Diese seien mit Bakterien versetzt gewesen. Darauf seien Spuren von sexuellen Handlungen festzustellen gewesen. In der Folge sei sie bis Februar 2000 noch neunmal wegen dieser Symptomatik bei ihr Behandlung gewesen. Sie habe die üblichen neuroleptischen Medikamente verschrieben, die die Klägerin jedoch vorzeitig gegen ärztlichen Rat abgesetzt habe. Im Jahr 2006 sei die Klägerin zweimal in ihrer Praxis gewesen, habe von Ängsten bei der Arbeit berichtet, über Mobbing am Arbeitsplatz geklagt und von ihr eine Bescheinigung wegen seelischer Behinderung gewollt. Sie habe keinen Befund einer Neurose festgestellt. Am 12.07.2007 sei die Klägerin in ihre Praxis gekommen und habe nach einem Alternativmedikament verlangt, sie habe psychisch reduziert gewirkt, jedoch ohne Psychose. Am 20.08.2007 habe die Klägerin von einem Verkehrsunfall berichtet, bei dem sie durch Fremdverschulden verletzt worden sei und ein Schleudertrauma erlitten habe. Auch habe sie darüber geklagt, psychisch nach diesem Unfall zu leiden. Am 16.10.2007 habe sich die Klägerin vorgestellt, weil sie die bisher erhaltenen Medikamente abgelehnt habe. Es habe keinerlei Behandlungsaussicht, keinerlei Krankheitseinsicht, mangelnde Behandlungsmotivation und eine ungünstige Prognose bestanden. Am 20.11.2007 habe die Klägerin in ihrer Praxis wiederum über Ängste und Unruhe geklagt und erneut Medikamente erhalten. Auch diese habe sie gegen ärztlichen Rat am 17.01.2008 reduziert. Vom 09. bis 20.04.2010 sei ein weiterer stationärer Aufenthalt der Klägerin im ZfP aufgrund der Einweisung durch Dr. J./L. erfolgt. Es sei ein Rezidiv wegen paranoider Psychose befundet worden. Am 10.05.2010 habe sich die Klägerin selbst in Begleitung ihres Bruders im ZfP wegen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes vorgestellt und sei bis zum 11.05.2010 notfallmäßig aufgenommen worden. Diagnostiziert worden sei eine paranoide Schizophrenie. Am 28.05.2010 sei die Klägerin bei ihrer Vorstellung in der Praxis hochgradig psychotisch gewesen, habe ihr blaue Flecken am rechten Unterschenkel gezeigt und behauptet, diese seien ihr im ZfP zugefügt worden. Am 16.06.2010 habe die Klägerin von ihr eine Bestätigung verlangt, dass der ZfP-Aufenthalt ausschließlich aufgrund ihres Verkehrsunfalls notwendig gewesen sei. Dabei habe sie sich allerdings nicht festlegen wollen, um welchen Aufenthalt es sich im ZfP handele. Anlässlich weiterer Vorstellungen am 28.08.2010, 23.11.2010, 14.02.2011 und 06.05.2011 habe die Klägerin angegeben, dass es ihr gut gehe, dass sie nicht krank sei und dass sie nur wegen ihres Unfalls im ZfP gewesen sei. Am 06.05.2011 sei die Klägerin letztmals in ihrer Praxis vorstellig gewesen (Bl. 58 E-Akten).
11 
Der Allgemeinmediziner J. W. gab anlässlich seiner Zeugenvernehmung am 15.08.2012 zu Protokoll, zwar die Klägerin bereits in den Jahren 1998/1999 behandelt, bei seinen Einträgen aber als Ersttermin den 24.05.2007 vermerkt zu haben. Die Klägerin sei als Unfallopfer gekommen und habe über Nackenschmerzen sowie Schmerzen im Bauch- und Brustbereich geklagt. Die Klägerin sei auffällig gewesen und habe offenbar noch unter Schockwirkung bezüglich des Unfalls gestanden. Er habe eine posttraumatische Belastungsstörung und Zwanghaftigkeit vermutet. Am 10.07.2007 sei die Klägerin erneut in seine Praxis gekommen. Nach dem ZfP-Aufenthalt habe sie sich seit vier Tagen wieder zuhause befunden und eine ambulante Weiterbehandlung in der Tagesklinik in L. abgelehnt. Sie habe über sich selbst ausgesagt, keine Ängste mehr zu haben und sich wohl zu fühlen, sich aber um ihre Mutter zu sorgen, die nach dem Unfall noch immer ein Hämatom auf der Stirn habe. Außerdem habe die Klägerin über schwere Arme geklagt und dass sie sich nach einer Impfung schlapp fühle. Er selbst habe vermerkt, dass die Klägerin psychisch noch immer auffällig sei. Bei der Vorstellung am 16.11.2007 habe die Klägerin über Schmerzen im Halswirbelbereich geklagt. Er habe zu ihrem psychischen Zustand notiert, dass bezüglich ihrer psychotischen Störung keine Krankheitseinsicht bestehe, dass sie zwanghafte "klebende" Gedankengänge habe und nicht schwingungsfähig sei. Wahnhafte Vorstellungen hätten momentan nicht bestanden. Am 19.06.2008 habe er die Klägerin auf deren Wunsch an Dr. M. überwiesen. Die Klägerin habe außerdem eine Krankmeldung wegen Fußschmerzen verlangt, die aufgrund der neu erworbenen Schuhe bestanden hätten. Sie habe jedoch ihre Füße nicht zeigen wollen. Außerdem habe die Klägerin über Mobbing am Arbeitsplatz geklagt. Die nächste Vorstellung sei am 14.05.2010 erfolgt, als die Klägerin über ihre "Zwangseinweisung" für den zweiten Aufenthalt im ZfP berichtet habe. Sie habe berichtet, dort Spritzen bekommen zu haben und seither unter trockenem Mund, belegter Zunge und gasigen Gerüchen zu leiden. Sein letzter Eintrag stamme vom 21.05.2010, als die Klägerin notfallmäßig in die Praxis gekommen sei und über schwere Atemnot geklagt habe. Er habe sich beim ZfP nach einem möglichen Betreuer erkundigt, weil die Klägerin von ihm schwer zu führen sei (Bl. 62 E-Akten).
12 
Am 13.11.2012 wurde der Bruder der Klägerin, H. Ö., als Zeuge vernommen. Er führte aus, er habe die Klägerin zu Dr. N. gebracht, die sie in das Kreiskrankenhaus L. eingewiesen habe. Von dort sei sie in das ZfP überwiesen worden. Sie habe zunächst nicht in den Krankenwagen einsteigen wollen. Er habe dabei mitgeholfen und etwas Kraft aufgewandt. Im Krankenwagen sei sie mit den Sicherheitsgurten "gefesselt" worden. Er selbst sei auch im Krankenwagen mitgefahren, ein Polizist habe hinten bei seiner Schwester gesessen. In R. hätten die Polizisten erklärt, dass hier ihr Zuständigkeitsbereich ende und sie die Klägerin übergeben müssten. Seine Schwester habe in einen anderen Krankenwagen umsteigen müssen. Als die Helfer im Krankenwagen sie von den Sicherheitsgurten befreit hätten, habe sie sich losgerissen und sei aus dem Auto heraus mitten auf die Straße gesprungen. Dies sei sehr gefährlich gewesen, Gott sei Dank sei aber kein Auto gekommen. Seine Schwester habe dann weglaufen wollen. Sie hätten zehn Minuten lang versucht, sie zurück in den Krankenwagen zu bekommen. Die Polizisten hätten ihr dann Handschellen verpasst. Er habe gebeten, dass sie sich zurückhalten sollten. Er habe seine Schwester in den Krankenwagen hinein hochgehoben und sie wieder auf den Sitz gesetzt. Er habe das Verhalten asozial gefunden. Als sie beim ZfP angekommen seien, sei seine Schwester dort von den Ärzten behandelt worden. Sie habe eine Spritze in das Gesäß bekommen, hierbei sei er nicht dabei gewesen, das habe ihm der aufnehmende Arzt erzählt. Er selbst sei nicht mit im BehandlungsZ. gewesen, sondern habe sich draußen im Wartebereich aufgehalten. Der Arzt sei dann zu ihm gekommen und habe ihm gesagt, dass es seiner Schwester wieder gut gehe. Diese sei dann ruhiger geworden, gesehen habe er sie in dieser Zeit aber nicht. Er habe sich im Wartebereich ca. 3 bis 4 Stunden aufgehalten, bis die Ärzte ihm gesagt hätten, er könne jetzt gehen. Er sei dann nach Hause gegangen und habe für seine Schwester Wäsche und etwas zum Essen geholt. Seine Schwester habe das Essen in der Klinik nicht essen wollen, sie habe es nicht in Ordnung gefunden. Diese habe sich von den Ärzten gedemütigt gefühlt. Sie hätten sie nicht gut behandelt. Die Behandlung hätte nicht so grob sein sollen, sondern ein bisschen netter. Es sei keine freundliche Behandlung gewesen. Auch hätten seiner Schwester die Hände von den Handschellen der Polizisten wehgetan. Namen von behandelnden Personen wisse er nicht. Ihm habe sich Dr. Sch. als aufnehmender Arzt vorgestellt, mit dem er gesprochen habe. Auf mehrfache Frage, wodurch sich die Klägerin von den Ärzten gedemütigt gefühlt habe, erklärte der Zeuge, sie habe sich erschöpft gefühlt und gesagt, nicht gut behandelt zu werden und weg zu wollen. Auch seine Eltern hätten seine Schwester dort besucht. Sein Vater habe jedoch gesagt, sie solle dableiben, bis es ihr wieder besser gehe. Seiner Schwester habe das Umfeld nicht gefallen, es seien lauter verrückte Leute dagewesen. Seine Schwester habe nicht davon berichtet, von Ärzten oder Pflegepersonal angegriffen worden zu sein. Sie habe auch nicht erzählt, irgendwann Stromstöße bekommen zu haben. Von irgendwelchen sexuellen Übergriffen habe sie auch nicht berichtet. Nach dem Unfall im Mai 2007 sei es seiner Schwester nicht gut gegangen. Sie habe eine Woche lang nicht schlafen können. Die Ärzte im Krankenhaus in L. hätten gesagt, sie müsse in die Psychiatrie nach E.. Seine Schwester habe dies nicht gewollt und gesagt, der Arzt bräuchte eher diese Behandlung (Bl. 82 E-Akten).
13 
Das Ermittlungsverfahren gegen den angezeigten Pfleger B. wurde wegen dessen Versterbens im April 2012 mit Verfügung vom 23.10.2012 eingestellt. Nach Unterrichtung der Klägerin bedankte sich diese "für das passende Geschenk zum islamischen Opferfest" (Schreiben vom 24.12.2012). Mit Beschluss vom 20.11.2012 stellte die Staatsanwaltschaft Freiburg die Ermittlungsverfahren gegen Dr. Sch., Dr. Sch., Dr. W., G. Bl. sowie G. K. gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) ein. Die Ermittlungen hätten die erhobenen Vorwürfe nicht erhärtet. Die Ermittlungen hätten keinerlei Hinweise ergeben, dass die von der Anzeigenerstatterin vorgebrachten Misshandlungsvorwürfe durch Ärzte bzw. Pflegepersonal des ZfP einen realen Hintergrund hätten. Aus den Patientenunterlagen ergebe sich, dass die Klägerin wahnhaftem Erleben nachgehangen habe. Auch in der dritten Woche der Behandlung im ZfP seien noch wahnhafte Verkennungen aufgetreten. Diese hätten sich unter anderem dadurch geäußert, dass die Klägerin geglaubt habe, die im ZfP angetroffenen Mitpatienten seien an dem Verkehrsunfall vom 19.05.2007 in L. beteiligt gewesen. Bereits damals hätten sich rezidivierende Satz- bzw. Gedankenabbrüche gezeigt. Die Behauptung, sie habe auf einem elektrischen Stuhl Medikamente einnehmen müssen, dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit auf diese wahnhaften Vorstellungen zurückzuführen sein. Soweit die Klägerin geltend gemacht habe, sie müsse im ZfP auch sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen sein, habe sie selbst keinerlei Erinnerung daran. Sie habe ausdrücklich ausgeführt, nicht zu wissen, was ihr in der Zeit ihrer behaupteten Bewusstlosigkeit passiert sei. Die von der Klägerin beschuldigten Ärzte und pflegerischen Mitarbeiter des ZfP hätten zu den erhobenen Vorwürfen keine Angaben gemacht. Hierzu seien sie als Beschuldigte nach dem Gesetz auch nicht verpflichtet. Auch die Vernehmung der nachbehandelnden Ärzte sowie des Bruders der Klägerin habe keine Anhaltspunkte für einen realen Hintergrund der erhobenen Beschuldigungen ergeben. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Klägerin "es sei naheliegend, dass sie als Osmanin falsch eingeschätzt" werde, sie sei keine "kranke Jüdin") wies die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe mit Bescheid vom 10.12.2012 zurück.
14 
Auf die Anzeige der Klägerin gegen den Polizeibeamten M. wegen "ungerechtfertigten Anlegens von Handschellen" hat die Staatsanwaltschaft O. der Klägerin mit Schreiben vom 13.11.2012 mitgeteilt, dass von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 152 Abs. 2 StPO abgesehen werde, da bereits nach dem Vortrag der Klägerin erkennbar sei, dass unter jedem strafrechtlichen Aspekt Strafverfolgungsverjährung und damit ein Verfahrenshindernis eingetreten sei. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde mit Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 07.12.2012 zurückgewiesen. Der daraufhin gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung wurde durch Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 15.01.2013 als unzulässig verworfen.
15 
Auf die Anzeige der Klägerin gegen Dr. N. wegen Körperverletzung teilte die Staatsanwaltschaft Offenburg der Klägerin mit Verfügung vom 07.02.2013 mit, dass von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen werde, da nach dem Vortrag der Klägerin erkennbar sei, dass unter jedem strafrechtlichen Aspekt Strafverfolgungsverjährung und damit ein Verfahrenshindernis eingetreten sei. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies die Generalstaatsanwalt Karlsruhe mit Bescheid vom 21.03.2013 zurück.
16 
Der Beklagte hat des Weiteren die Behördenakte aus dem Schwerbehindertenverfahren beigezogen. In diesem Verfahren ist das von der Deutschen Rentenversicherung Bund eingeholte fachärztliche psychiatrische Gutachten von Dr. K. vom 25.05.2013 aktenkundig geworden. Nach eingehender Untersuchung der Klägerin am 24.04.2013 diagnostizierte Dr. K. eine anhaltende wahnhafte Störung. Die Klägerin sei im formalen Denken eingeengt auf die Ereignisse im ZfP, im inhaltlichen Denken bestünden wahnhafte Gedankeninhalte, dass ihr im ZfP an Fuß- und Handfesseln elektrische Stöße versetzt worden seien sowie dass sie gequält an den Fesseln verbrannt und im ZfP missbraucht worden sei.
17 
Mit Bescheid vom 29.08.2013 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung ab, da die Ermittlungen keinerlei Hinweise auf ein konkretes Fehlverhalten der beschuldigten Personen ergeben hätten und weitere erfolgversprechende Ermittlungsansätze und objektive Beweismittel, die das Vorbringen der Klägerin bestätigen könnten, nicht vorhanden seien. Es könne daher nicht zweifelsfrei festgestellt werden, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei.
18 
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2014 zurück, da eine Gewalttat nach wie vor objektiv nicht nachgewiesen sei.
19 
Hiergegen hat die Klägerin am 24.03.2014 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Mit Gerichtsbescheid vom 11.12.2014 hat das SG die Klage abgewiesen, da es sich nicht davon zu überzeugen vermochte, dass die Klägerin im Zusammenhang mit der stationären Unterbringung im ZfP vom 01.06. bis 06.07.2007 Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe im Sinne des § 1 OEG geworden sei. Solche Angriffe seien auch nicht glaubhaft gemacht. Ärztliche Eingriffe würden grundsätzlich in der Absicht durchgeführt zu heilen und nicht, um in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten einzuwirken. Für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs müssten deshalb - neben der Strafbarkeit als Vorsatztat - bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen, bei deren Vorliegen die Grenze zur Gewalttat, also zum "vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff", überschritten sei. Ein Patient werde dann unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des OEG zum Gewaltopfer, wenn ein als vorsätzliche Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff objektiv - also aus der Sicht eines verständigen Dritten - in keiner Weise dem Wohl des Patienten diene. Dass dies bei der Unterbringung im ZfP der Fall gewesen sei, sei bereits nicht glaubhaft gemacht, weil es auch nicht überwiegend wahrscheinlich sei, dass sich die Vorgänge so zugetragen hätten, wie klägerseitig dargestellt. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Unterbringung wegen Gefahr für Leib und Leben der Klägerin gerichtlich angeordnet worden sei. Es bestünden keinerlei Hinweise auf konkretes Fehlverhalten der Ärzte und/oder des Pflegepersonals des ZfP im Zusammenhang mit dem Aufenthalt der Klägerin im Juni bzw. Juli 2007. Die behaupteten Verbrennungen an Armen und Füßen durch Stromstöße seien weder von Dr. M. noch von dem Allgemeinmediziner W. noch von dem Bruder der Klägerin bestätigt worden. Zu berücksichtigen sei, dass bei der Klägerin eine akute schizophreniforme psychotische Störung diagnostiziert worden sei. Im April 2010 sei eine weitere Behandlung im ZfP wegen eines Rezidivs einer paranoiden Psychose erfolgt und im Mai 2010 habe sich die Klägerin dann selbst im ZfP vorgestellt und sei wegen paranoider Schizophrenie aufgenommen worden. Eine anhaltende wahnhafte Störung werde auch in dem Gutachten von Dr. K. vom 25.05.2013 für die Deutsche Rentenversicherung diagnostiziert.
20 
Die Klägerin hat am 18.12.2014 Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) mit der Begründung eingelegt, sie sei keine Schizophrene, nur eine Osmanin, die von Deutschen auf feige Art und Weise geschändet worden wäre.
21 
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
22 
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Dezember 2014 sowie den Bescheid vom 29. August 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr Beschädigtenversorgung zu gewähren.
23 
Der Beklagte beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Er hat sich zur Sache nicht eingelassen.
26 
Im Erörterungstermin des Berichterstatters hat die Klägerin am 30.04.2015 ergänzend vorgetragen, sie sei nach dem Vorfall 2007 nicht mehr beim Arzt gewesen und könne daher die Verletzungen im Hand- und Fußbereich auch nicht dokumentieren.
27 
Die Klägerin hat hierauf eine Bescheinigung des Facharztes für Dermatologie u. a. Dr. Z. vom 25.05.2015 vorgelegt. Hierin wird über die Untersuchung der Klägerin am 19.05.2015 berichtet, anlässlich derer sich an beiden Füßen und Unterschenkeln im Bereich der Sprunggelenke beiderseits eine normal gefärbte rosige Haut gezeigt habe. Im medialen Bereich habe jeweils eine ca. handtellergroße raue, leicht grau gefärbte hyperkeratotische Haut bestanden. Auch an beiden Fersen hätten starke Hyperkeratosen bestanden. Die Zehenzwischenräume seien mazeriert gewesen und es hätten Hautabschilferungen mit typischem Geruch im Sinne einer Keratoma sulcatum bestanden.
28 
Der Senat hat daraufhin Dr. Z. als sachverständigen Zeugen schriftlich vernommen. Er hat mit Schreiben vom 14.06.2015 unter Beifügung verschiedener Lichtbilder vorgetragen, dass sich die Klägerin am 19.05.2015 in seiner Sprechstunde vorgestellt habe. Die letzte Untersuchung und Behandlung (zuvor) sei am 30.01.2012 mit einer infizierten Wunde (anamnestisch Verbrühung) auf dem rechten Vorfuß gewesen. Bei der Vorstellung am 19.05.2015 habe die Klägerin berichtet, im Jahre 2007 einen Autounfall gehabt zu haben und ins ZfP eingewiesen worden zu sein. Dort sei sie an den Fußgelenken fixiert worden. Sie benötige jetzt eine Bescheinigung über die Narben an den Fußgelenken. Bei der Untersuchung hätten sich an beiden Sprunggelenken im medialen Bereich (Innenseite) ca. handtellergroß vermehrte Hyperkeratosen (Hornhautbildung) und eine dezente grau-weiße Verfärbung und raue Haut gezeigt. Im Außenbereich sei die Haut normal gewesen. Diese Hautveränderungen könnten nach einer mechanischen Irritation der Haut wie Fußfesselbänder entstehen, sprächen aber mehr für eine länger dauernde chronische Irritation. Es seien viele andere Ursachen möglich (trockene Haut, artefacte, Strumpfgummi, Schuhschaft, Sport). Die sichtbaren Hautveränderungen seien keinesfalls beweisend für eine Fußfixierung. Am 25.05.2015 habe die Klägerin die Bescheinigung in der Praxis abgeholt und sich am 26.05. erneut vorgestellt. Sie habe berichtet, dass damals die Hautveränderungen an den Sprunggelenken wie Verbrennungen gewesen seien und die Haut offen und blasig sowie stark schmerzend gewesen sei. Sie habe jetzt auch eine Bescheinigung für die Handgelenke gewollt. Bei deren Begutachtung habe sich beidseits eine armbandartige grau-blaue Verfärbung der Haut gezeigt, die Haut sei vergröbert und rau gewesen. Es habe sich eine vermehrte Hornhautbildung gezeigt. Diese Hautveränderungen sprächen ebenfalls für eine längere Zeit zurückliegende mechanische chronische Schädigung der Haut. Die jetzt noch sichtbaren Hautveränderungen könnten von einer mechanischen Irritation der Haut stammen. Ob es sich um Folgen einer Fixierung im ZfP handle, könne er nicht sagen, hier sollte ein Gerichtsmediziner ein Gutachten erstellen. Es hätten sich keine eindeutigen Narben im geschilderten Körperbereich gezeigt, d. h. die Verletzungen oder Verbrennungen seien nicht so stark gewesen, dass es einer ärztlichen Behandlung unbedingt bedurft hätte. Die Klägerin sei 2005 und 2012 in seiner Behandlung gewesen, wegen der Hautschädigung (2007) habe in seiner Praxis keine Behandlung stattgefunden.
29 
Außerdem hat der Senat den Chefarzt des ZfP, Dr. Sch., sowie Dr. W. als sachverständige Zeugen zum stationären Aufenthalt der Klägerin vom 01.06. bis 06.07.2007 befragt. Diese haben mit Schreiben vom 08.07.2015 angegeben, dass eine Isolierung und Fixierung der Klägerin wegen selbstgefährdendem und bedrohlichem Verhalten am 01.06.2007 von 16.30 Uhr bis 02.06.2007 um 8.30 Uhr erfolgt sei. In diesem Zeitraum sei um 21.00 Uhr eine Entfixierung versucht worden, ebenso um 23.30 Uhr. Bei noch nicht ausreichender Besserung des Gefährdungszustandes sei die Fixierung jeweils erneuert worden, bis am 02.06.2007 um 8.30 Uhr die Fixierung und Isolierung dauerhaft habe beendet werden können. Die Isolierung und Fixierung sei ärztlicherseits angeordnet und überprüft worden. Die erneute Fixierung um 23.30 Uhr sei erfolgt, nachdem es der Klägerin gelungen sei, sich zu entfixieren. Sie sei vom Nachtdienstpfleger wegen Eigengefährdung durch ihren verworrenen Unruhezustand erneuert worden. Die medizinische Anordnung sei wegen Selbstgefährdung und bedrohlichem Verhalten geschehen. Die Klägerin habe derart ausgeprägte Denkeinschränkungen gezeigt, dass eine geordnete Kommunikation nicht möglich gewesen sei. Gerichtete Handlungen seien ebenfalls nicht möglich gewesen. Es hätten sich Hinweise auf optische Halluzinationen und wahnhaftes Erleben gezeigt. Hilfsmaßnahmen seien abgelehnt worden. Insgesamt seien die Isolierung und Fixierung als Schutzmaßnahme erfolgt, da sich die Klägerin in einem psychotischen Zustand mit Realitätsverkennung, aufgehobener Kritik- und Urteilsfähigkeit befunden habe, medizinische Hilfe abgelehnt habe und vehement von der Station zu entweichen versucht habe, bei akuter Gefährdung durch die Bewusstseinsminderung und Orientierungsstörung. Da aufgrund der ausgeprägten Unruhe und Einschränkung der Steuerungsfähigkeit davon auszugehen gewesen sei, dass die Klägerin in einem nur durch eine geschlossene Tür geschützten Bereich sich in dem Erregungszustand durch impulsives Handeln selbst gefährden oder andere Personen durch versuchte Entweichung mit aggressivem Verhalten gefährden würde, sei neben der zwangsweisen Zurückhaltung eine Isolierung und Fixierung angeordnet worden. Da eine Absprachefähigkeit nicht gegeben gewesen sei und die Klägerin dauerhaft auf Verlassen der Station gedrängt habe, sei die Isolierung, Fixierung und bei akuter Behandlungsbedürftigkeit eine Medikation mit Ciatyl Accuphase intramuskulär sowie 10 mg Diazepam intramuskulär angeordnet worden. Die Fixierung und Isolierung sei am 02.06.2007 um 8.30 Uhr dauerhaft beendet worden, da sich der Zustand durch die medikamentöse Behandlung deutlich gebessert habe. In den Unterlagen seien weder durch die behandelnden Ärzte noch durch Pfleger Spuren von der Fesselung/Fixierung dokumentiert worden. Auch die Klägerin habe in dem Zeitraum der weiteren stationären Behandlung bis zum 06.07.2007 keine Angaben zu Verletzungen gemacht. Eine Behandlung mit Stromstößen sei nicht erfolgt.
30 
Des Weiteren hat der Senat Dr. Sch. als sachverständigen Zeugen schriftlich vernommen, der mit Schreiben vom 21.07.2015 vorgetragen hat, dass sich die Klägerin vom 04.06. bis 06.07.2007 in seiner Behandlung als Stationsarzt der Station 36 im ZfP befunden habe. Anordnungen zu Fixierungen und Medikationen im Zeitraum vom 01. bis 03.06.2007 seien durch die involvierten ärztlichen Kollegen getroffen worden. Am 04.06.2007 habe keine Fixierung mehr bestanden. Die Klägerin habe die körperliche Untersuchung aktiv abgelehnt. Inspektorisch, d. h. durch Augenschein, seien keine wesentlichen Auffälligkeiten erkennbar gewesen. Einmalig habe die Klägerin am 26.06.2007 über Schmerzen im linken Arm geklagt, Verletzungsspuren seien auch zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar gewesen.
31 
Die ebenfalls als Zeuginnen schriftlich vernommenen Pflegekräfte G. Bl. und G. K. haben keine Angaben zum Aufenthalt der Klägerin im ZfP im Jahr 2007 machen können (Bl. 55, 56 LSG-Akten).
32 
Die Klägerin hat hierzu mit Schreiben vom 23.07.2015 ergänzend vorgetragen, nach ihrer Ankunft am 01.06.2007 im ZfP sei sie an den Arm- und Fußgelenken auf einer Liege fixiert worden. Der Krankenpfleger B. habe ihr daraufhin befohlen, sie solle sich ganz ausziehen. Dann habe er eine Spritze genommen und habe ihr u. a. in die Rückseite der linken Hüfte, in den oberen Brustbereich, in ihren Bauch, in den kleinen linken Finger und hinter das Ohrläppchen des linken Ohrs Spritzen verabreicht. Die Fesseln hätten danach angefangen, sich zu erhitzen, folglich hätten auch ihre Arm- und Fußgelenke gebrannt. Aufgrund dieser schlimmen Einwirkungen sei sie dann dauerhaft bewusstlos gewesen, bis sie Tage später aufgewacht sei. Sie habe nur ihre erste Fixierung mitbekommen, so dass die Behauptung unverständlich sei, sie habe versucht, sich zu entfixieren. Sie habe stärkste Stromstöße und schwerste Verletzungen erhalten.
33 
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Klägerin wird auf die eingereichten Schreiben sowie die Behördenakten im OEG-Verfahren sowie die beigezogenen Verwaltungsakten aus dem Schwerbehindertenverfahren und die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
34 
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgemäß eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
35 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung. Der Beklagte hat daher ihren hierauf gerichteten Antrag zu Recht abgelehnt und das SG die Klage in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgewiesen.
36 
Die Klägerin begehrt mit der hier statthaften kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG die Aufhebung der ihren Antrag ablehnenden Entscheidung sowie die Verurteilung des Beklagten zur Feststellung gesundheitlicher körperlicher und seelischer Schädigungen aufgrund eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs (vgl. zur Unzulässigkeit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage auf isolierte Feststellung, Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden zu sein, BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 21). Ein entsprechendes Klage- bzw. Berufungsbegehren hat die Klägerin hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht. Jedenfalls mit ihrem am 03.06.2013 beim Beklagten eingegangenen Formularantrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung hat sie die in § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG genannte Rechtsfolge zum Gegenstand ihres Antrages gemacht und damit zum Ausdruck gebracht, der Beklagte möge die hierfür notwendigen Voraussetzungen feststellen. Dabei ergibt sich aus dem Sachverhaltsvortrag der Klägerin, der zur Bestimmung und Auslegung des Klagebegehrens heranzuziehen ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG-Komm., 11. Auflage 2014, § 123 Rdnr. 3), insgesamt, dass streitgegenständlich Angriffshandlungen in Form von Fesselungen/Fixierungen, Verabreichungen von Medikamenten und Stromstößen sowie sexuelle Misshandlungen durch Mitarbeiter des ZfP sowie Fesselungen durch die Polizei sind. Als Folge dieser Angriffe hat die Klägerin gesundheitliche Schädigungen an Händen und Füßen sowie seelische Beeinträchtigungen geltend gemacht (vgl. insbesondere ihr Schreiben vom 15.03.2013 an die Deutsche Rentenversicherung Bund). Nicht zum Gegenstand ihres bei dem Beklagten gestellten sowie im Klage- und Berufungsverfahren aufrecht erhaltenen Antrages hat die Klägerin den auf dem Einweisungs- und Unterbringungsbeschluss des Amtsgerichts E. vom 06.06.2007 beruhenden zwangsweisen Aufenthalt im ZfP als solchen gemacht. Ebenfalls nicht streitgegenständlich sind konkrete Leistungsansprüche, die erst dann geltend gemacht werden können, wenn die Voraussetzungen des § 1 OEG insgesamt festgestellt und das Vorliegen von Versagungsgründen nach § 2 OEG geprüft und abgelehnt worden ist. Solche, in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zu prüfenden (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i. V. m. § 9 BVG) konkreten Leistungsanträge hat die Klägerin auch zu keinem Zeitpunkt bei dem Beklagten gestellt und dieser hierüber nicht entschieden. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, sie wolle Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegenüber den von ihr benannten Mitarbeitern des ZfP durchsetzen, geht der Senat nicht davon aus, dass die Klägerin ein entsprechendes Begehren bereits zum Gegenstand ihres sozialgerichtlichen Verfahrens machen wollte, was ohnehin nicht zulässig wäre.
37 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG.
38 
Nach § 1 Abs. 4 OEG haben Ausländer einen Anspruch auf Versorgung, wenn sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften sind (Nr. 1) oder soweit Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaften, die eine Gleichbehandlung mit Deutschen erforderlich machen, auf sie anwendbar sind (Nr. 2) oder wenn die Gegenseitigkeit gewährleistet ist
(Nr. 3).
39 
Sonstige Ausländer, die sich rechtmäßig nicht nur für einen vorübergehenden Aufenthalt von längstens sechs Monaten im Bundesgebiet aufhalten, erhalten nach § 1 Abs. 5 Satz 1 OEG Versorgung nach folgenden Maßgaben:
40 
1. Leistungen wie Deutsche erhalten Ausländer, die sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten;
2. ausschließlich einkommensunabhängige Leistungen erhalten Ausländer, die sich ununterbrochen rechtmäßig noch nicht drei Jahre im Bundesgebiet aufhalten.
41 
Danach gehört die Klägerin, die sich als türkische Staatsangehörige seit ihrer Geburt in der Bundesrepublik Deutschland aufhält und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (Niederlassungserlaubnis) ist, grundsätzlich nach § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 OEG zum anspruchsberechtigten Personenkreis.
42 
§ 1 Abs. 1 OEG setzt als schädigenden Vorgang einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff voraus. Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG SozR 4-3800 § 1 Nr. 17). Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine "feindselige Willensrichtung" voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985 vgl. BSG SozR 3-3800 § 1 Nrn. 6 und 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG SozR 4-3800 § 1 Nr. 18).
43 
Nach § 30 Abs. 16 BVG wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 BVG maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) am 10.12.2008, in Kraft getreten am 01.01.2009, erlassen. Alle Einzelheiten werden in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV geregelt. Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG, Teil A, Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG, Teil C, Nr. 1 b Satz 1).
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Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG, Teil C, Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG, Teil C, Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG, Teil C, Nr. 2 c Halbsatz 1). Wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, sind nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22.09.1977 - 10 RV 15/77 - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17.12.1980 - 12 RK 42/80 - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht jedoch nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung.
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Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG, Teil C, Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG, Teil C, Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG, Teil C, Nr. 3 d Sätze 1 und 2).
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Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen steht für den Senat der folgende Sachverhalt fest: Die Klägerin wurde am 01.06.2007 vom Kreiskrankenhaus L. in das ZfP überwiesen. Nach den urkundlich verwerteten und für den Senat glaubhaften polizeilichen Zeugenangaben des Bruders der Klägerin, H. Ö., der sie auf der gesamten Fahrt von L. nach E. begleitet hat, wurde die Klägerin in einem ersten Krankenwagen bis nach R. gebracht. In R. übernahmen die für den Kreis E. örtlich zuständigen Polizeibeamten die Klägerin. Im Zuge des Fahrzeugwechsels kam es zu einem Fluchtversuch der Klägerin, die jedoch wieder zurück in das Fahrzeug verbracht werden konnte. Während der Fahrt von R. zum ZfP wurden der Klägerin dann durch die Polizeibeamten Handschellen angelegt. Wie sich aus den schriftlichen Zeugenauskünften des Chefarztes Dr. Sch. sowie des Dr. W. vom 08.07.2015 ergibt, ist die Klägerin im ZfP vom 01.06.2007 um 16.30 Uhr bis 02.06.2007 um 8.30 Uhr isoliert und fixiert worden, zudem wurden ihr in diesem Zeitraum die Medikamente Ciatyl Accuphase sowie 10 mg Diazepam intramuskulär injiziert. Nach Entfixierung am 02.06.2007 um 8.30 Uhr ist es bis zur Entlassung am 06.07.2007 zu keiner weiteren Fixierung der Klägerin im ZfP gekommen.
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Alle weiteren von der Klägerin erhobenen Vorwürfe haben sich hingegen nicht objektivieren lassen und sind auch nicht glaubhaft i. S. des § 15 KOVVfG. Eine Behandlung mit Stromstößen hat ausweislich der Zeugenauskünfte von Dres. Sch. und W. im ZfP nicht stattgefunden. Der Senat ist davon überzeugt, dass eine solche Maßnahme in den Krankenunterlagen ebenso dokumentiert worden wäre, wie es hinsichtlich der Isolierungen und Fixierungen sowie der Medikamentengabe tatsächlich geschehen ist, und die schriftlich vernommenen Zeugen in ihrer Auskunft vom 08.07.2015 hierüber berichtet hätten. Ganz wesentliche Bedeutung misst der Senat im Übrigen der polizeilichen Zeugenaussage des Bruders der Klägerin bei, der ausdrücklich verneint hat, dass seine Schwester ihm von einer Strombehandlung oder Angriffen durch Ärzte berichtet hat. Hiervon wäre jedoch auszugehen gewesen, wenn es eine solche Behandlung gegeben hätte, zumal wenn sie mit den körperlichen Folgen verbunden gewesen wäre, die die Klägerin jetzt geltend macht. Ihre eigenen Schilderungen hält der Senat insoweit nicht für glaubhaft. Im OEG-Verfahren hat die Klägerin keinerlei konkrete Einzelheiten zu der angeblichen Behandlung mit Stromstößen vorgetragen. Im Übrigen widersprechen sich ihre Angaben. Aus dem Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Freiburg vom 20.11.2012 ergibt sich, dass die Klägerin im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen angegeben hat, sie habe auf einem elektrischen Stuhl Medikamente einnehmen müssen. In ihrem Schreiben an die Deutsche Rentenversicherung Bund vom 15.03.2013 hat die Klägerin hingegen angegeben, sie sei auf einer elektrischen Liege fixiert worden und "mit Stromstößen der E-Liege" seien ihre Muskeln und Sehnen zerstört worden. In ihrem Schreiben vom 26.01.2011 an Rechtsanwalt St. hat die Klägerin zwar detailliert über das Geschehen nach ihrer Ankunft im ZfP berichtet und angegeben, sie sei aufgefordert worden, sich auf eine Liege zu legen, danach sei sie zur Einnahme einer Tablette gezwungen worden, anschließend seien ihre Füße und Hände auf der Liege festgebunden worden, dann seien ihr mehrere Spritzen gegeben worden, anschließend habe sie gespürt, dass die Fesseln immer heißer geworden seien und Fuß- und Handgelenke gebrannt hätten, bis sie schließlich bewusstlos geworden sei. Von Stromstößen hat die Klägerin hingegen nicht berichtet. Der Senat geht deshalb davon aus, dass die Klägerin zwar ein Brennen an den Extremitäten verspürt hat, diese Empfindung jedoch nicht auf eine Behandlung mit Stromstößen, sondern letztlich auf die Wirkung der verabreichten Medikamente oder ihren psychischen Zustand zurückzuführen ist. Wäre die Klägerin mit der Folge von Verbrennungen an Händen und Füßen unter Strom gesetzt worden, hätte sie zur Überzeugung des Senats ihren nächsten Angehörigen, insbesondere ihrem Bruder, der sie begleitet und zu späterer Zeit im ZfP besucht hat, hiervon berichtet. Der Nachweis einer Behandlung mit Stromstößen lässt sich auch nicht aufgrund entsprechender medizinischer Befunde führen. Dies steht für den Senat aufgrund der sachverständigen Zeugenauskunft des Facharztes für Dermatologie u a. Dr. Z. fest, ohne dass es einer weiteren Beweiserhebung in Form eines Sachverständigengutachtens bedurfte. Denn Dr. Z. hat als fachkundiger Mediziner die sichtbaren Hautveränderungen keinesfalls für beweisend für eine Fixierung gehalten, mehr spreche für eine längerdauernde chronische Irritation. Hinzu kommt, dass sich die Klägerin wegen der angeblichen Verbrennungen der Hände und Füße weder im ZfP noch zu einem späteren Zeitpunkt medizinisch hat behandeln lassen. Gegenüber dem Allgemeinarzt W. hat die Klägerin am 10.07.2007, also vier Tage nach ihrer Entlassung aus dem ZfP, vielmehr angegeben, sich wohl zu fühlen. Bei Dr. Z. hat sich die Klägerin erstmals 2012 wegen einer von ihr angegebenen Verbrühung des Vorfußes vorgestellt. Aus all dem muss gefolgert werden, dass es im ZfP nicht zu Verletzungen der Klägerin an Händen und Füßen gekommen ist, die die Behandlung mit Stromstößen belegen könnten.
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Auch soweit die Klägerin sexuelle Misshandlungen durch Mitarbeiter des ZfP behauptet hat, ist dies nicht glaubhaft gemacht und schon gar nicht erwiesen. Die Klägerin hat selbst keine konkreten Erinnerungen an ein solches Ereignis und kann daher keine Tatsachen hierzu schildern. Die Klägerin vermutet lediglich entsprechende Übergriffe und schließt dies daraus, dass ihre Unterhose Blutspuren aufwies. Zugleich hat die Klägerin aber angegeben, dass nach Aussage des Pflegepersonals ihre Monatsblutung eingesetzt habe. Wäre die Klägerin aufgrund sexueller Misshandlungen derart verletzt worden, dass es zu massiven Blutungen im Genitalbereich gekommen wäre, ist davon auszugehen, dass die Klägerin über entsprechende Verletzungsfolgen gegenüber den Ärzten des ZfP, ihren Verwandten, die sie im ZfP besucht haben, aber auch gegenüber Ärzten außerhalb des ZfP nach dem Aufenthalt dort geklagt hätte. Dies ist jedoch nicht geschehen. Der Bruder der Klägerin hat im Rahmen seiner Zeugenaussage auf mehrfache Nachfrage, weshalb sich seine Schwester im ZfP nicht gut behandelt gefühlt habe, letztlich nur noch mitgeteilt, es sei das Umfeld gewesen, das der Klägerin nicht gefallen habe, es seien dort lauter "verrückte" Leute gewesen. Auf die ausdrückliche Nachfrage, ob die Klägerin darüber berichtet habe, von Ärzten oder vom Pflegepersonal angegriffen worden zu sein, hat der Zeuge erklärt, dies sei nicht der Fall gewesen, sie habe auch nicht erzählt, Stromstöße erhalten zu haben. Von sexuellen Übergriffen habe sie ebenfalls nicht berichtet. Wie bereits dargelegt, hat sie sodann vier Tage nach ihrer Entlassung am 10.07.2007 gegenüber dem Allgemeinmediziner W. bekundet, sich wohl zu fühlen und keine Ängste mehr zu haben. Bei einer sexuellen Misshandlung mit schweren körperlichen Begleitverletzungen ca. fünf Wochen zuvor wäre eine solche Aussage nicht vorstellbar.
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Auf der anderen Seite ist für den Senat aufgrund der fachärztlichen Stellungnahmen von Dr. M., der behandelnden Ärzte des ZfP sowie der im Rentenverfahren beauftragten Dr. K. erwiesen, dass die Klägerin seit langem an einer psychotischen Erkrankung leidet.
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Dr. M. hatte bereits im Jahr 2000 eine psychotische Episode mit paranoiden Ängsten diagnostiziert und die Klägerin deshalb behandelt. Im Entlassbericht des ZfP wurde eine akute schizophreniforme psychotische Störung diagnostiziert mit wahnhaften Denkinhalten und optischen Halluzinationen. Die ambulante Anschlussbehandlung erfolgte wiederum durch Dr. M., bei der sich die Klägerin am 12.07.2007 vorstellte, die aber am 16.10.2007 eine ungünstige Prognose vermerkte, da keinerlei Behandlungsaussicht und Krankheitseinsicht bei der Klägerin bestand. Medikamentöse Behandlungsversuche brach die Klägerin gegen ärztlichen Rat ab. Ein weiterer stationärer Aufenthalt im ZfP mit der Diagnose eines Rezidivs der paranoiden Psychose erfolgte vom 09. bis 20.04.2010. Bereits am 10.05.2010 hatte sich die Klägerin selbst notfallmäßig für eine Nacht im ZfP aufnehmen lassen. Diagnostiziert wurde wiederum eine paranoide Schizophrenie. Bei der Vorstellung am 28.05.2010 bei Dr. M. war die Klägerin hochgradig psychotisch und noch am 24.04.2013 hat Dr. K. eine anhaltende wahnhafte Störung diagnostiziert. Der Senat hält diese übereinstimmenden fachärztlichen Einschätzungen für überzeugend und schließt sich der Auffassung von Dr. K. an, wonach die Misshandlungen in Form von Stromstößen und sexuellen Übergriffen ausschließlich das Produkt der wahnhaften Psychose der Klägerin sind.
51 
Weder der Transport mit Handfesseln im Krankenwagen noch die Isolierungen/Fixierungen der Klägerin im ZfP und die Verabreichung der Medikamente am 01/02.06.2007 erfüllen die Voraussetzungen des § 1 OEG.
52 
Zwar stellt die Anlegung der Handfesseln durch die Polizeibeamten gegen den Willen der Klägerin ein mit unmittelbarer körperlicher Einwirkung verbundener tätlicher Angriff dar. An der Rechtswidrigkeit eines polizeilichen Angriffs fehlt es jedoch, wenn sich der Angreifende auf Rechtfertigungsgründe stützen kann. Als ein solcher Rechtfertigungsgrund ist grundsätzlich das Handeln aufgrund von Amtsrechten und Dienstpflichten anerkannt (Kunz/Zellner/Gelnhausen/Weiner, OEG, 5. Auflage, § 1 Rdnr. 33; Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 1 OEG, Rdnr. 67). Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Handelns von Polizeibeamten gilt ein strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff, bei dem es grundsätzlich nicht auf die Richtigkeit der Amtshandlung, sondern nur auf ihre formale Rechtmäßigkeit ankommt. Daher genügt das Vorliegen einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage, die sachliche und örtliche Zuständigkeit des handelnden Beamten zum Eingreifen, die gesetzlichen Förmlichkeiten, soweit solche vorgeschrieben sind, der vom zuständigen Vorgesetzten erteilte Auftrag und, soweit der Beamte nach eigenem Ermessen handelt, die Ordnungsmäßigkeit der Ermessensausübung (Senatsurteil vom 19.04.2012 - L 6 VG 4103/11; OLG Celle, Beschluss vom 08.07.2011 - 31 Ss 28/11 - zit. nach juris).
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Ermächtigungsgrundlage für das Anlegen der Handfesseln als Maßnahme des unmittelbaren Zwangs ist § 52 Polizeigesetz Baden-Württemberg (PolG). Danach darf unmittelbarer Zwang nur angewandt werden, wenn der polizeiliche Zweck auf andere Weise nicht erreichbar erscheint (Abs. 1 Satz 1). Gegen Personen darf unmittelbarer Zwang nur angewandt werden, wenn der polizeiliche Zweck durch unmittelbaren Zwang gegen Sachen nicht erreichbar erscheint (Abs. 1 Satz 2). Das angewandte Mittel muss nach Art und Maß dem Verhalten, dem Alter und dem Zustand des Betroffenen angemessen sein (Abs. 1 Satz 3). Die Anwendungsvoraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage zur Abwehr von Gefahren für die Klägerin selbst, aber auch für die Allgemeinheit, waren erfüllt. Die Klägerin sollte aufgrund der Überweisung durch das Kreiskrankenhaus L. in das ZfP nach E. gebracht werden. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Überweisung gegen den Willen der Klägerin geschah, wobei einiges dafür spricht, dass infolge der Verwirrtheit der Klägerin für diese deren Bruder als Bevollmächtigter die maßgeblichen Einverständniserklärungen abgegeben hat. Auch die Tatsache, dass die Klägerin im Jahr 2010 aus eigener Veranlassung wiederum mit ihrem Bruder das ZfP aufsuchte und sich dort notfallmäßig hat aufnehmen lassen, spricht dafür, dass die Einweisung 2007 zunächst dem (mutmaßlichen) Willen der Klägerin entsprach. Bis zum Wechsel des Krankenwagens in R. bestand auch nicht die Notwendigkeit einer Fesselung der Klägerin, vielmehr wurden lediglich Sicherheitsgurte angelegt. Anlass für das Anlegen der Handfesseln im zweiten Krankenwagen war dann jedoch der mit erheblichen Leibes- und Lebensgefahren für sich selbst sowie für weitere Verkehrsteilnehmer verbundene Fluchtversuch der Klägerin beim Umsteigen. Wie sich aus der Zeugenaussage ihres Bruders ergibt, hatte sich die Klägerin in dem Moment losgerissen, als die Helfer im Krankenwagen sie von den Sicherheitsgurten befreit hatten. Sie war auf die Straße gesprungen und wollte weglaufen. Erst nach zehn Minuten gelang es, sie in den zweiten Krankenwagen zu verbringen. Bei einem solchen Sachverhalt musste damit gerechnet werden, dass die Klägerin bei nächster sich bietender Gelegenheit erneut versuchen würde zu fliehen. Zur Minimierung der Fluchtgefahr, aber auch für einen gefahrfreien Transport war die Anlegung der Handfesseln auch angemessen, nachdem sich die Klägerin vehement der erneuten Verbringung in den Krankenwagen widersetzt hatte und deshalb mit weiterem Widerstand während der Fahrt zu rechnen war. In formeller Hinsicht besteht kein Anlass, an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu zweifeln. Der Wechsel der Krankenwagen war gerade deshalb erforderlich, weil die Zuständigkeit der bis nach R. (Ortenaukreis) mitfahrenden Polizeibeamten an der Grenze zum nach R. beginnenden Landkreis E. endete.
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Auch die ärztlicherseits im ZfP angeordnete Fixierung der Klägerin sowie die am 01./02.06.2007 erfolgte Medikamentengabe in Form von intramuskulär verabreichten Injektionen sind tatbestandlich nicht als tätliche Angriffe i. S. des § 1 OEG zu qualifizieren. Das SG hat im angefochtenen Urteil bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der Rspr. des BSG für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs neben der Strafbarkeit der Vorsatztat bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen müssen. Denn die gesamte Tätigkeit eines Arztes wird von einem Heilauftrag i. S. des § 1 Abs. 1 Bundesärzteordnung, wonach der Arzt der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes dient, bestimmt (vgl. dazu auch § 1 Abs. 1 Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte). Ärztliche Eingriffe werden demnach grundsätzlich in der Absicht durchgeführt, zu heilen und nicht in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten einzuwirken. Der Senat hat sich dieser Rspr. des BSG angeschlossen. Danach müssen für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs - neben der Strafbarkeit als Vorsatztat - bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen, bei deren Vorliegen die Grenze zur Gewalttat, also zum "vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff", überschritten ist. Unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des OEG wird ein Patient erst dann zum Gewaltopfer, wenn ein als vorsätzliche Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff objektiv - also aus der Sicht eines verständigen Dritten - in keiner Weise dem Wohl des Patienten dient. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen finanziellen Interessen leiten lässt und die gesundheitlichen Belange des Patienten hintangestellt hat. Entsprechende Anhaltspunkte für eine derartige Motivation der behandelnden Klinikärzte des ZfP sind vorliegend in keiner Weise ersichtlich. Vielmehr ergibt sich aus den eingeholten schriftlichen Zeugenaussagen von Dres. Sch. und W., dass das Wohl der Klägerin Anlass für die Fixierung und Verabreichung der Medikamente gewesen ist. Denn aufgrund der ausgeprägten Unruhe und Einschränkung der Steuerungsfähigkeit zum Aufnahmezeitpunkt musste davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in einem nur durch eine geschlossene Tür geschützten Bereich sich in dem Erregungszustand, in dem sie sich zu Beginn der Fixierung befand und der auch bei den zwischenzeitlichen Versuchen der Aufhebung der Fixierung noch nicht hinreichend abgeklungen war, durch impulsives Handeln selbst gefährden würde. Darüber hinaus war auch eine Fremdgefährdung nicht auszuschließen, was die Isolierung der Klägerin rechtfertigte, die als solche jedoch ohnehin keinen tätlichen Angriff i. S. des § 1 OEG darstellte. Erst nachdem die verabreichten Medikamente Ciatyl Accuphase und Diazepam Wirkung gezeigt hatten und sich aufgrund dessen der Zustand der Klägerin am 02.06.2007 um 8.30 Uhr gebessert hatte, war eine Entfixierung möglich. Der Senat hat keine Veranlassung, an der Gefahreneinschätzung der behandelnden Ärzte zu zweifeln. Dass sich die Klägerin in einem erheblichen Erregungszustand befand, wird durch die Zeugenaussage des Bruders der Klägerin bestätigt, der von der Notwendigkeit erheblichen körperlichen Zwangs berichtet hat, um die Klägerin überhaupt in den Krankenwagen zurück zu bringen. Auch wenn die für Mitpatienten oder Mitarbeiter des ZfP aufgrund von möglichen Fluchtversuchen der Klägerin bestehenden Gefahren durch eine bloße Isolierung der Klägerin hätten eingeschränkt werden können, wäre eine solche Maßnahme als milderes Mittel ohne gleichzeitige Fixierung aufgrund der weiterhin bestehenden Gefahr einer Selbstverletzung nicht geeignet gewesen. Dass sich die Klägerin in einem Zustand hochgradiger Verwirrtheit befand, wird auch daran deutlich, dass selbst vier Tage nach Aufhebung der Fixierung die Klägerin anlässlich der Anhörung durch Richter am Amtsgericht Sch. am 06.06.2007 noch derart psychisch beeinträchtigt war, dass eine Verständigung mit ihr nicht möglich war und Richter am Amtsgericht Sch. ihr Einverständnis zur Fortsetzung des Aufenthaltes im ZfP nicht als wirksame Willenserklärung wertete. Die Klägerin hat selbst keinen Sachverhalt geschildert, aus dem sich Gründe für eine anderweitige Motivation der die Fixierung anordnenden Ärzte Dres. H. und D. ableiten ließen. Dass sich finanzielle Vorteile hieraus für die Ärzte bzw. die Klinik ergeben könnten, ist nicht ersichtlich; auch andere sachwidrige, nicht dem hippokratischen Eid entsprechende Absichten sind für den Senat nicht erkennbar. Das Vorbringen der Klägerin weist auch darauf hin, dass sie den maßgeblichen Sachverhalt nicht mehr vollständig in Erinnerung hat. So hat sie in ihrem Schreiben vom 23.07.2015 gegen die Zeugenaussagen von Dres. Sch. und W. eingewandt, nicht Dres. H. und D., sondern Dr. Sch. habe als Stationsarzt die Fixierung angeordnet, und es habe nur eine Fixierung gegeben. Dem stehen jedoch nicht nur die Zeugenaussagen von Dres. Sch. und W., sondern auch die des Dr. Sch. vom 21.07.2015 entgegen, der die Klägerin erst ab 04.06.2007 bis zu ihrer Entlassung am 06.07.2007 auf der Station 36 im ZfP behandelte. Die Klägerin war jedoch nicht nur in dieser Zeit im ZfP, sondern wurde dort außerdem vom 09.bis 20.04.2010 nach Einweisung durch Dr. J. stationär aufgrund einer diagnostizierten paranoiden Psychose behandelt und stellte sich selbst im ZfP am 10.05.2010 wegen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes vor und wurde bis zum 11.05.2010 mit der Diagnose einer paranoiden Schizophrenie notfallmäßig aufgenommen. Es ist offensichtlich, dass die Klägerin die verschiedenen Aufenthalte im ZfP nicht voneinander abgrenzen kann. Dies hat auch der behandelnde Allgemeinarzt W. in seiner polizeilichen Zeugenvernehmung vermutet und drängt sich durch die Zeugenaussage von Dr. M. auf, wonach die Klägerin am 16.06.2010 von ihr eine Bestätigung darüber verlangt hat, dass der Aufenthalt im ZfP ausschließlich wegen des Verkehrsunfalls am 19.05.2007 notwendig gewesen sei, auf Nachfrage, welchen Aufenthalt sie damit meine, sich aber nicht festlegen wollte. Gerade der Umstand, dass die Klägerin aus eigener Veranlassung am 10.05.2010 das ZfP aufgesucht hat, um sich dort behandeln zu lassen, legt überdies nahe, dass sie den dort tätigen Ärzten wohl eine gegen sie gerichtete feindselige Haltung nicht unterstellte. Anderenfalls wäre nicht nachzuvollziehen, weshalb sie sich im ZfP und nicht in einer anderen psychiatrischen Klinik hatte behandeln lassen.
55 
Für den Senat fehlt es daher an belastbaren Tatsachen, die begründen könnten, dass und weshalb die verantwortlichen Ärzte des ZfP die sechzehnstündige Fixierung und Medikamentengabe aus anderen als dem Wohl der Klägerin dienenden Gründen angeordnet bzw. selbst vorgenommen hatten. Auch der Umstand, dass schon relativ kurzfristig um 21.00 Uhr eine erste Entfixierung versucht worden war, belegt, dass sich die Ärzte ausschließlich dem Wohl der Klägerin verpflichtet sahen und schnellstmöglich den Zustand der Fixierung aufheben wollten. Eine dem widersprechende Motivation kann dem festgestellten Sachverhalt nicht entnommen werden und ist von der Klägerin letztlich auch zu keinem Zeitpunkt begründet worden.
56 
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.
57 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
34 
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgemäß eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
35 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung. Der Beklagte hat daher ihren hierauf gerichteten Antrag zu Recht abgelehnt und das SG die Klage in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgewiesen.
36 
Die Klägerin begehrt mit der hier statthaften kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG die Aufhebung der ihren Antrag ablehnenden Entscheidung sowie die Verurteilung des Beklagten zur Feststellung gesundheitlicher körperlicher und seelischer Schädigungen aufgrund eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs (vgl. zur Unzulässigkeit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage auf isolierte Feststellung, Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden zu sein, BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 21). Ein entsprechendes Klage- bzw. Berufungsbegehren hat die Klägerin hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht. Jedenfalls mit ihrem am 03.06.2013 beim Beklagten eingegangenen Formularantrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung hat sie die in § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG genannte Rechtsfolge zum Gegenstand ihres Antrages gemacht und damit zum Ausdruck gebracht, der Beklagte möge die hierfür notwendigen Voraussetzungen feststellen. Dabei ergibt sich aus dem Sachverhaltsvortrag der Klägerin, der zur Bestimmung und Auslegung des Klagebegehrens heranzuziehen ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG-Komm., 11. Auflage 2014, § 123 Rdnr. 3), insgesamt, dass streitgegenständlich Angriffshandlungen in Form von Fesselungen/Fixierungen, Verabreichungen von Medikamenten und Stromstößen sowie sexuelle Misshandlungen durch Mitarbeiter des ZfP sowie Fesselungen durch die Polizei sind. Als Folge dieser Angriffe hat die Klägerin gesundheitliche Schädigungen an Händen und Füßen sowie seelische Beeinträchtigungen geltend gemacht (vgl. insbesondere ihr Schreiben vom 15.03.2013 an die Deutsche Rentenversicherung Bund). Nicht zum Gegenstand ihres bei dem Beklagten gestellten sowie im Klage- und Berufungsverfahren aufrecht erhaltenen Antrages hat die Klägerin den auf dem Einweisungs- und Unterbringungsbeschluss des Amtsgerichts E. vom 06.06.2007 beruhenden zwangsweisen Aufenthalt im ZfP als solchen gemacht. Ebenfalls nicht streitgegenständlich sind konkrete Leistungsansprüche, die erst dann geltend gemacht werden können, wenn die Voraussetzungen des § 1 OEG insgesamt festgestellt und das Vorliegen von Versagungsgründen nach § 2 OEG geprüft und abgelehnt worden ist. Solche, in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zu prüfenden (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i. V. m. § 9 BVG) konkreten Leistungsanträge hat die Klägerin auch zu keinem Zeitpunkt bei dem Beklagten gestellt und dieser hierüber nicht entschieden. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, sie wolle Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegenüber den von ihr benannten Mitarbeitern des ZfP durchsetzen, geht der Senat nicht davon aus, dass die Klägerin ein entsprechendes Begehren bereits zum Gegenstand ihres sozialgerichtlichen Verfahrens machen wollte, was ohnehin nicht zulässig wäre.
37 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG.
38 
Nach § 1 Abs. 4 OEG haben Ausländer einen Anspruch auf Versorgung, wenn sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften sind (Nr. 1) oder soweit Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaften, die eine Gleichbehandlung mit Deutschen erforderlich machen, auf sie anwendbar sind (Nr. 2) oder wenn die Gegenseitigkeit gewährleistet ist
(Nr. 3).
39 
Sonstige Ausländer, die sich rechtmäßig nicht nur für einen vorübergehenden Aufenthalt von längstens sechs Monaten im Bundesgebiet aufhalten, erhalten nach § 1 Abs. 5 Satz 1 OEG Versorgung nach folgenden Maßgaben:
40 
1. Leistungen wie Deutsche erhalten Ausländer, die sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten;
2. ausschließlich einkommensunabhängige Leistungen erhalten Ausländer, die sich ununterbrochen rechtmäßig noch nicht drei Jahre im Bundesgebiet aufhalten.
41 
Danach gehört die Klägerin, die sich als türkische Staatsangehörige seit ihrer Geburt in der Bundesrepublik Deutschland aufhält und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (Niederlassungserlaubnis) ist, grundsätzlich nach § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 OEG zum anspruchsberechtigten Personenkreis.
42 
§ 1 Abs. 1 OEG setzt als schädigenden Vorgang einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff voraus. Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG SozR 4-3800 § 1 Nr. 17). Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine "feindselige Willensrichtung" voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985 vgl. BSG SozR 3-3800 § 1 Nrn. 6 und 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG SozR 4-3800 § 1 Nr. 18).
43 
Nach § 30 Abs. 16 BVG wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 BVG maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) am 10.12.2008, in Kraft getreten am 01.01.2009, erlassen. Alle Einzelheiten werden in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV geregelt. Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG, Teil A, Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG, Teil C, Nr. 1 b Satz 1).
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Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG, Teil C, Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG, Teil C, Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG, Teil C, Nr. 2 c Halbsatz 1). Wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, sind nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22.09.1977 - 10 RV 15/77 - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17.12.1980 - 12 RK 42/80 - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht jedoch nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung.
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Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG, Teil C, Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG, Teil C, Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG, Teil C, Nr. 3 d Sätze 1 und 2).
46 
Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen steht für den Senat der folgende Sachverhalt fest: Die Klägerin wurde am 01.06.2007 vom Kreiskrankenhaus L. in das ZfP überwiesen. Nach den urkundlich verwerteten und für den Senat glaubhaften polizeilichen Zeugenangaben des Bruders der Klägerin, H. Ö., der sie auf der gesamten Fahrt von L. nach E. begleitet hat, wurde die Klägerin in einem ersten Krankenwagen bis nach R. gebracht. In R. übernahmen die für den Kreis E. örtlich zuständigen Polizeibeamten die Klägerin. Im Zuge des Fahrzeugwechsels kam es zu einem Fluchtversuch der Klägerin, die jedoch wieder zurück in das Fahrzeug verbracht werden konnte. Während der Fahrt von R. zum ZfP wurden der Klägerin dann durch die Polizeibeamten Handschellen angelegt. Wie sich aus den schriftlichen Zeugenauskünften des Chefarztes Dr. Sch. sowie des Dr. W. vom 08.07.2015 ergibt, ist die Klägerin im ZfP vom 01.06.2007 um 16.30 Uhr bis 02.06.2007 um 8.30 Uhr isoliert und fixiert worden, zudem wurden ihr in diesem Zeitraum die Medikamente Ciatyl Accuphase sowie 10 mg Diazepam intramuskulär injiziert. Nach Entfixierung am 02.06.2007 um 8.30 Uhr ist es bis zur Entlassung am 06.07.2007 zu keiner weiteren Fixierung der Klägerin im ZfP gekommen.
47 
Alle weiteren von der Klägerin erhobenen Vorwürfe haben sich hingegen nicht objektivieren lassen und sind auch nicht glaubhaft i. S. des § 15 KOVVfG. Eine Behandlung mit Stromstößen hat ausweislich der Zeugenauskünfte von Dres. Sch. und W. im ZfP nicht stattgefunden. Der Senat ist davon überzeugt, dass eine solche Maßnahme in den Krankenunterlagen ebenso dokumentiert worden wäre, wie es hinsichtlich der Isolierungen und Fixierungen sowie der Medikamentengabe tatsächlich geschehen ist, und die schriftlich vernommenen Zeugen in ihrer Auskunft vom 08.07.2015 hierüber berichtet hätten. Ganz wesentliche Bedeutung misst der Senat im Übrigen der polizeilichen Zeugenaussage des Bruders der Klägerin bei, der ausdrücklich verneint hat, dass seine Schwester ihm von einer Strombehandlung oder Angriffen durch Ärzte berichtet hat. Hiervon wäre jedoch auszugehen gewesen, wenn es eine solche Behandlung gegeben hätte, zumal wenn sie mit den körperlichen Folgen verbunden gewesen wäre, die die Klägerin jetzt geltend macht. Ihre eigenen Schilderungen hält der Senat insoweit nicht für glaubhaft. Im OEG-Verfahren hat die Klägerin keinerlei konkrete Einzelheiten zu der angeblichen Behandlung mit Stromstößen vorgetragen. Im Übrigen widersprechen sich ihre Angaben. Aus dem Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Freiburg vom 20.11.2012 ergibt sich, dass die Klägerin im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen angegeben hat, sie habe auf einem elektrischen Stuhl Medikamente einnehmen müssen. In ihrem Schreiben an die Deutsche Rentenversicherung Bund vom 15.03.2013 hat die Klägerin hingegen angegeben, sie sei auf einer elektrischen Liege fixiert worden und "mit Stromstößen der E-Liege" seien ihre Muskeln und Sehnen zerstört worden. In ihrem Schreiben vom 26.01.2011 an Rechtsanwalt St. hat die Klägerin zwar detailliert über das Geschehen nach ihrer Ankunft im ZfP berichtet und angegeben, sie sei aufgefordert worden, sich auf eine Liege zu legen, danach sei sie zur Einnahme einer Tablette gezwungen worden, anschließend seien ihre Füße und Hände auf der Liege festgebunden worden, dann seien ihr mehrere Spritzen gegeben worden, anschließend habe sie gespürt, dass die Fesseln immer heißer geworden seien und Fuß- und Handgelenke gebrannt hätten, bis sie schließlich bewusstlos geworden sei. Von Stromstößen hat die Klägerin hingegen nicht berichtet. Der Senat geht deshalb davon aus, dass die Klägerin zwar ein Brennen an den Extremitäten verspürt hat, diese Empfindung jedoch nicht auf eine Behandlung mit Stromstößen, sondern letztlich auf die Wirkung der verabreichten Medikamente oder ihren psychischen Zustand zurückzuführen ist. Wäre die Klägerin mit der Folge von Verbrennungen an Händen und Füßen unter Strom gesetzt worden, hätte sie zur Überzeugung des Senats ihren nächsten Angehörigen, insbesondere ihrem Bruder, der sie begleitet und zu späterer Zeit im ZfP besucht hat, hiervon berichtet. Der Nachweis einer Behandlung mit Stromstößen lässt sich auch nicht aufgrund entsprechender medizinischer Befunde führen. Dies steht für den Senat aufgrund der sachverständigen Zeugenauskunft des Facharztes für Dermatologie u a. Dr. Z. fest, ohne dass es einer weiteren Beweiserhebung in Form eines Sachverständigengutachtens bedurfte. Denn Dr. Z. hat als fachkundiger Mediziner die sichtbaren Hautveränderungen keinesfalls für beweisend für eine Fixierung gehalten, mehr spreche für eine längerdauernde chronische Irritation. Hinzu kommt, dass sich die Klägerin wegen der angeblichen Verbrennungen der Hände und Füße weder im ZfP noch zu einem späteren Zeitpunkt medizinisch hat behandeln lassen. Gegenüber dem Allgemeinarzt W. hat die Klägerin am 10.07.2007, also vier Tage nach ihrer Entlassung aus dem ZfP, vielmehr angegeben, sich wohl zu fühlen. Bei Dr. Z. hat sich die Klägerin erstmals 2012 wegen einer von ihr angegebenen Verbrühung des Vorfußes vorgestellt. Aus all dem muss gefolgert werden, dass es im ZfP nicht zu Verletzungen der Klägerin an Händen und Füßen gekommen ist, die die Behandlung mit Stromstößen belegen könnten.
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Auch soweit die Klägerin sexuelle Misshandlungen durch Mitarbeiter des ZfP behauptet hat, ist dies nicht glaubhaft gemacht und schon gar nicht erwiesen. Die Klägerin hat selbst keine konkreten Erinnerungen an ein solches Ereignis und kann daher keine Tatsachen hierzu schildern. Die Klägerin vermutet lediglich entsprechende Übergriffe und schließt dies daraus, dass ihre Unterhose Blutspuren aufwies. Zugleich hat die Klägerin aber angegeben, dass nach Aussage des Pflegepersonals ihre Monatsblutung eingesetzt habe. Wäre die Klägerin aufgrund sexueller Misshandlungen derart verletzt worden, dass es zu massiven Blutungen im Genitalbereich gekommen wäre, ist davon auszugehen, dass die Klägerin über entsprechende Verletzungsfolgen gegenüber den Ärzten des ZfP, ihren Verwandten, die sie im ZfP besucht haben, aber auch gegenüber Ärzten außerhalb des ZfP nach dem Aufenthalt dort geklagt hätte. Dies ist jedoch nicht geschehen. Der Bruder der Klägerin hat im Rahmen seiner Zeugenaussage auf mehrfache Nachfrage, weshalb sich seine Schwester im ZfP nicht gut behandelt gefühlt habe, letztlich nur noch mitgeteilt, es sei das Umfeld gewesen, das der Klägerin nicht gefallen habe, es seien dort lauter "verrückte" Leute gewesen. Auf die ausdrückliche Nachfrage, ob die Klägerin darüber berichtet habe, von Ärzten oder vom Pflegepersonal angegriffen worden zu sein, hat der Zeuge erklärt, dies sei nicht der Fall gewesen, sie habe auch nicht erzählt, Stromstöße erhalten zu haben. Von sexuellen Übergriffen habe sie ebenfalls nicht berichtet. Wie bereits dargelegt, hat sie sodann vier Tage nach ihrer Entlassung am 10.07.2007 gegenüber dem Allgemeinmediziner W. bekundet, sich wohl zu fühlen und keine Ängste mehr zu haben. Bei einer sexuellen Misshandlung mit schweren körperlichen Begleitverletzungen ca. fünf Wochen zuvor wäre eine solche Aussage nicht vorstellbar.
49 
Auf der anderen Seite ist für den Senat aufgrund der fachärztlichen Stellungnahmen von Dr. M., der behandelnden Ärzte des ZfP sowie der im Rentenverfahren beauftragten Dr. K. erwiesen, dass die Klägerin seit langem an einer psychotischen Erkrankung leidet.
50 
Dr. M. hatte bereits im Jahr 2000 eine psychotische Episode mit paranoiden Ängsten diagnostiziert und die Klägerin deshalb behandelt. Im Entlassbericht des ZfP wurde eine akute schizophreniforme psychotische Störung diagnostiziert mit wahnhaften Denkinhalten und optischen Halluzinationen. Die ambulante Anschlussbehandlung erfolgte wiederum durch Dr. M., bei der sich die Klägerin am 12.07.2007 vorstellte, die aber am 16.10.2007 eine ungünstige Prognose vermerkte, da keinerlei Behandlungsaussicht und Krankheitseinsicht bei der Klägerin bestand. Medikamentöse Behandlungsversuche brach die Klägerin gegen ärztlichen Rat ab. Ein weiterer stationärer Aufenthalt im ZfP mit der Diagnose eines Rezidivs der paranoiden Psychose erfolgte vom 09. bis 20.04.2010. Bereits am 10.05.2010 hatte sich die Klägerin selbst notfallmäßig für eine Nacht im ZfP aufnehmen lassen. Diagnostiziert wurde wiederum eine paranoide Schizophrenie. Bei der Vorstellung am 28.05.2010 bei Dr. M. war die Klägerin hochgradig psychotisch und noch am 24.04.2013 hat Dr. K. eine anhaltende wahnhafte Störung diagnostiziert. Der Senat hält diese übereinstimmenden fachärztlichen Einschätzungen für überzeugend und schließt sich der Auffassung von Dr. K. an, wonach die Misshandlungen in Form von Stromstößen und sexuellen Übergriffen ausschließlich das Produkt der wahnhaften Psychose der Klägerin sind.
51 
Weder der Transport mit Handfesseln im Krankenwagen noch die Isolierungen/Fixierungen der Klägerin im ZfP und die Verabreichung der Medikamente am 01/02.06.2007 erfüllen die Voraussetzungen des § 1 OEG.
52 
Zwar stellt die Anlegung der Handfesseln durch die Polizeibeamten gegen den Willen der Klägerin ein mit unmittelbarer körperlicher Einwirkung verbundener tätlicher Angriff dar. An der Rechtswidrigkeit eines polizeilichen Angriffs fehlt es jedoch, wenn sich der Angreifende auf Rechtfertigungsgründe stützen kann. Als ein solcher Rechtfertigungsgrund ist grundsätzlich das Handeln aufgrund von Amtsrechten und Dienstpflichten anerkannt (Kunz/Zellner/Gelnhausen/Weiner, OEG, 5. Auflage, § 1 Rdnr. 33; Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 1 OEG, Rdnr. 67). Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Handelns von Polizeibeamten gilt ein strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff, bei dem es grundsätzlich nicht auf die Richtigkeit der Amtshandlung, sondern nur auf ihre formale Rechtmäßigkeit ankommt. Daher genügt das Vorliegen einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage, die sachliche und örtliche Zuständigkeit des handelnden Beamten zum Eingreifen, die gesetzlichen Förmlichkeiten, soweit solche vorgeschrieben sind, der vom zuständigen Vorgesetzten erteilte Auftrag und, soweit der Beamte nach eigenem Ermessen handelt, die Ordnungsmäßigkeit der Ermessensausübung (Senatsurteil vom 19.04.2012 - L 6 VG 4103/11; OLG Celle, Beschluss vom 08.07.2011 - 31 Ss 28/11 - zit. nach juris).
53 
Ermächtigungsgrundlage für das Anlegen der Handfesseln als Maßnahme des unmittelbaren Zwangs ist § 52 Polizeigesetz Baden-Württemberg (PolG). Danach darf unmittelbarer Zwang nur angewandt werden, wenn der polizeiliche Zweck auf andere Weise nicht erreichbar erscheint (Abs. 1 Satz 1). Gegen Personen darf unmittelbarer Zwang nur angewandt werden, wenn der polizeiliche Zweck durch unmittelbaren Zwang gegen Sachen nicht erreichbar erscheint (Abs. 1 Satz 2). Das angewandte Mittel muss nach Art und Maß dem Verhalten, dem Alter und dem Zustand des Betroffenen angemessen sein (Abs. 1 Satz 3). Die Anwendungsvoraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage zur Abwehr von Gefahren für die Klägerin selbst, aber auch für die Allgemeinheit, waren erfüllt. Die Klägerin sollte aufgrund der Überweisung durch das Kreiskrankenhaus L. in das ZfP nach E. gebracht werden. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Überweisung gegen den Willen der Klägerin geschah, wobei einiges dafür spricht, dass infolge der Verwirrtheit der Klägerin für diese deren Bruder als Bevollmächtigter die maßgeblichen Einverständniserklärungen abgegeben hat. Auch die Tatsache, dass die Klägerin im Jahr 2010 aus eigener Veranlassung wiederum mit ihrem Bruder das ZfP aufsuchte und sich dort notfallmäßig hat aufnehmen lassen, spricht dafür, dass die Einweisung 2007 zunächst dem (mutmaßlichen) Willen der Klägerin entsprach. Bis zum Wechsel des Krankenwagens in R. bestand auch nicht die Notwendigkeit einer Fesselung der Klägerin, vielmehr wurden lediglich Sicherheitsgurte angelegt. Anlass für das Anlegen der Handfesseln im zweiten Krankenwagen war dann jedoch der mit erheblichen Leibes- und Lebensgefahren für sich selbst sowie für weitere Verkehrsteilnehmer verbundene Fluchtversuch der Klägerin beim Umsteigen. Wie sich aus der Zeugenaussage ihres Bruders ergibt, hatte sich die Klägerin in dem Moment losgerissen, als die Helfer im Krankenwagen sie von den Sicherheitsgurten befreit hatten. Sie war auf die Straße gesprungen und wollte weglaufen. Erst nach zehn Minuten gelang es, sie in den zweiten Krankenwagen zu verbringen. Bei einem solchen Sachverhalt musste damit gerechnet werden, dass die Klägerin bei nächster sich bietender Gelegenheit erneut versuchen würde zu fliehen. Zur Minimierung der Fluchtgefahr, aber auch für einen gefahrfreien Transport war die Anlegung der Handfesseln auch angemessen, nachdem sich die Klägerin vehement der erneuten Verbringung in den Krankenwagen widersetzt hatte und deshalb mit weiterem Widerstand während der Fahrt zu rechnen war. In formeller Hinsicht besteht kein Anlass, an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu zweifeln. Der Wechsel der Krankenwagen war gerade deshalb erforderlich, weil die Zuständigkeit der bis nach R. (Ortenaukreis) mitfahrenden Polizeibeamten an der Grenze zum nach R. beginnenden Landkreis E. endete.
54 
Auch die ärztlicherseits im ZfP angeordnete Fixierung der Klägerin sowie die am 01./02.06.2007 erfolgte Medikamentengabe in Form von intramuskulär verabreichten Injektionen sind tatbestandlich nicht als tätliche Angriffe i. S. des § 1 OEG zu qualifizieren. Das SG hat im angefochtenen Urteil bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der Rspr. des BSG für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs neben der Strafbarkeit der Vorsatztat bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen müssen. Denn die gesamte Tätigkeit eines Arztes wird von einem Heilauftrag i. S. des § 1 Abs. 1 Bundesärzteordnung, wonach der Arzt der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes dient, bestimmt (vgl. dazu auch § 1 Abs. 1 Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte). Ärztliche Eingriffe werden demnach grundsätzlich in der Absicht durchgeführt, zu heilen und nicht in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten einzuwirken. Der Senat hat sich dieser Rspr. des BSG angeschlossen. Danach müssen für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs - neben der Strafbarkeit als Vorsatztat - bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen, bei deren Vorliegen die Grenze zur Gewalttat, also zum "vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff", überschritten ist. Unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des OEG wird ein Patient erst dann zum Gewaltopfer, wenn ein als vorsätzliche Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff objektiv - also aus der Sicht eines verständigen Dritten - in keiner Weise dem Wohl des Patienten dient. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen finanziellen Interessen leiten lässt und die gesundheitlichen Belange des Patienten hintangestellt hat. Entsprechende Anhaltspunkte für eine derartige Motivation der behandelnden Klinikärzte des ZfP sind vorliegend in keiner Weise ersichtlich. Vielmehr ergibt sich aus den eingeholten schriftlichen Zeugenaussagen von Dres. Sch. und W., dass das Wohl der Klägerin Anlass für die Fixierung und Verabreichung der Medikamente gewesen ist. Denn aufgrund der ausgeprägten Unruhe und Einschränkung der Steuerungsfähigkeit zum Aufnahmezeitpunkt musste davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in einem nur durch eine geschlossene Tür geschützten Bereich sich in dem Erregungszustand, in dem sie sich zu Beginn der Fixierung befand und der auch bei den zwischenzeitlichen Versuchen der Aufhebung der Fixierung noch nicht hinreichend abgeklungen war, durch impulsives Handeln selbst gefährden würde. Darüber hinaus war auch eine Fremdgefährdung nicht auszuschließen, was die Isolierung der Klägerin rechtfertigte, die als solche jedoch ohnehin keinen tätlichen Angriff i. S. des § 1 OEG darstellte. Erst nachdem die verabreichten Medikamente Ciatyl Accuphase und Diazepam Wirkung gezeigt hatten und sich aufgrund dessen der Zustand der Klägerin am 02.06.2007 um 8.30 Uhr gebessert hatte, war eine Entfixierung möglich. Der Senat hat keine Veranlassung, an der Gefahreneinschätzung der behandelnden Ärzte zu zweifeln. Dass sich die Klägerin in einem erheblichen Erregungszustand befand, wird durch die Zeugenaussage des Bruders der Klägerin bestätigt, der von der Notwendigkeit erheblichen körperlichen Zwangs berichtet hat, um die Klägerin überhaupt in den Krankenwagen zurück zu bringen. Auch wenn die für Mitpatienten oder Mitarbeiter des ZfP aufgrund von möglichen Fluchtversuchen der Klägerin bestehenden Gefahren durch eine bloße Isolierung der Klägerin hätten eingeschränkt werden können, wäre eine solche Maßnahme als milderes Mittel ohne gleichzeitige Fixierung aufgrund der weiterhin bestehenden Gefahr einer Selbstverletzung nicht geeignet gewesen. Dass sich die Klägerin in einem Zustand hochgradiger Verwirrtheit befand, wird auch daran deutlich, dass selbst vier Tage nach Aufhebung der Fixierung die Klägerin anlässlich der Anhörung durch Richter am Amtsgericht Sch. am 06.06.2007 noch derart psychisch beeinträchtigt war, dass eine Verständigung mit ihr nicht möglich war und Richter am Amtsgericht Sch. ihr Einverständnis zur Fortsetzung des Aufenthaltes im ZfP nicht als wirksame Willenserklärung wertete. Die Klägerin hat selbst keinen Sachverhalt geschildert, aus dem sich Gründe für eine anderweitige Motivation der die Fixierung anordnenden Ärzte Dres. H. und D. ableiten ließen. Dass sich finanzielle Vorteile hieraus für die Ärzte bzw. die Klinik ergeben könnten, ist nicht ersichtlich; auch andere sachwidrige, nicht dem hippokratischen Eid entsprechende Absichten sind für den Senat nicht erkennbar. Das Vorbringen der Klägerin weist auch darauf hin, dass sie den maßgeblichen Sachverhalt nicht mehr vollständig in Erinnerung hat. So hat sie in ihrem Schreiben vom 23.07.2015 gegen die Zeugenaussagen von Dres. Sch. und W. eingewandt, nicht Dres. H. und D., sondern Dr. Sch. habe als Stationsarzt die Fixierung angeordnet, und es habe nur eine Fixierung gegeben. Dem stehen jedoch nicht nur die Zeugenaussagen von Dres. Sch. und W., sondern auch die des Dr. Sch. vom 21.07.2015 entgegen, der die Klägerin erst ab 04.06.2007 bis zu ihrer Entlassung am 06.07.2007 auf der Station 36 im ZfP behandelte. Die Klägerin war jedoch nicht nur in dieser Zeit im ZfP, sondern wurde dort außerdem vom 09.bis 20.04.2010 nach Einweisung durch Dr. J. stationär aufgrund einer diagnostizierten paranoiden Psychose behandelt und stellte sich selbst im ZfP am 10.05.2010 wegen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes vor und wurde bis zum 11.05.2010 mit der Diagnose einer paranoiden Schizophrenie notfallmäßig aufgenommen. Es ist offensichtlich, dass die Klägerin die verschiedenen Aufenthalte im ZfP nicht voneinander abgrenzen kann. Dies hat auch der behandelnde Allgemeinarzt W. in seiner polizeilichen Zeugenvernehmung vermutet und drängt sich durch die Zeugenaussage von Dr. M. auf, wonach die Klägerin am 16.06.2010 von ihr eine Bestätigung darüber verlangt hat, dass der Aufenthalt im ZfP ausschließlich wegen des Verkehrsunfalls am 19.05.2007 notwendig gewesen sei, auf Nachfrage, welchen Aufenthalt sie damit meine, sich aber nicht festlegen wollte. Gerade der Umstand, dass die Klägerin aus eigener Veranlassung am 10.05.2010 das ZfP aufgesucht hat, um sich dort behandeln zu lassen, legt überdies nahe, dass sie den dort tätigen Ärzten wohl eine gegen sie gerichtete feindselige Haltung nicht unterstellte. Anderenfalls wäre nicht nachzuvollziehen, weshalb sie sich im ZfP und nicht in einer anderen psychiatrischen Klinik hatte behandeln lassen.
55 
Für den Senat fehlt es daher an belastbaren Tatsachen, die begründen könnten, dass und weshalb die verantwortlichen Ärzte des ZfP die sechzehnstündige Fixierung und Medikamentengabe aus anderen als dem Wohl der Klägerin dienenden Gründen angeordnet bzw. selbst vorgenommen hatten. Auch der Umstand, dass schon relativ kurzfristig um 21.00 Uhr eine erste Entfixierung versucht worden war, belegt, dass sich die Ärzte ausschließlich dem Wohl der Klägerin verpflichtet sahen und schnellstmöglich den Zustand der Fixierung aufheben wollten. Eine dem widersprechende Motivation kann dem festgestellten Sachverhalt nicht entnommen werden und ist von der Klägerin letztlich auch zu keinem Zeitpunkt begründet worden.
56 
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.
57 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

Dieses Gesetz gilt für Ansprüche aus Taten, die nach seinem Inkrafttreten begangen worden sind. § 1 Absatz 8 gilt für Ansprüche aus Taten, die nach dem 9. Juni 2021 begangen wurden. Darüber hinaus gelten die §§ 1 bis 7 mit Ausnahme des § 3a für Ansprüche aus Taten, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 begangen worden sind, nach Maßgabe der §§ 10a und 10c. In dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet gilt dieses Gesetz für Ansprüche aus Taten, die nach dem 2. Oktober 1990 begangen worden sind. Darüber hinaus gelten die §§ 1 bis 7 mit Ausnahme des § 3a für Ansprüche aus Taten, die in dem in Satz 4 genannten Gebiet in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 begangen worden sind, nach Maßgabe der §§ 10a und 10c. In den Fällen des § 3a gilt dieses Gesetz erst für Ansprüche aus Taten, die nach dem 30. Juni 2009 begangen worden sind.

(1) Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie

1.
allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und
2.
bedürftig sind und
3.
im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Versorgung nach Maßgabe des Satzes 1 erhalten auch Personen, die in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist. § 31 Abs. 4 Satz 2 erster Halbsatz des Bundesversorgungsgesetzes gilt.

(2) Bedürftig ist ein Anspruchsteller, wenn sein Einkommen im Sinne des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes den Betrag, von dem an die nach der Anrechnungsverordnung (§ 33 Abs. 6 Bundesversorgungsgesetz) zu berechnenden Leistungen nicht mehr zustehen, zuzüglich des Betrages der jeweiligen Grundrente, der Schwerstbeschädigtenzulage sowie der Pflegezulage nicht übersteigt.

(3) Übersteigt das Einkommen den Betrag, von dem an die vom Einkommen beeinflußten Versorgungsleistungen nicht mehr zustehen, so sind die Versorgungsbezüge in der Reihenfolge Grundrente, Schwerstbeschädigtenzulage und Pflegezulage um den übersteigenden Betrag zu mindern. Bei der Berechnung des übersteigenden Betrages sind die Einkünfte aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit vor den übrigen Einkünften zu berücksichtigen. § 33 Abs. 4, § 33a Abs. 2 und § 33b Abs. 6 des Bundesversorgungsgesetzes gelten nicht.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der §§ 38 bis 52 des Bundesversorgungsgesetzes, solange sie bedürftig sind und im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben. Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. Unabhängig vom Zeitpunkt des Todes des Beschädigten sind für die Witwenbeihilfe die Anspruchsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1, 5 und 6 des Bundesversorgungsgesetzes in der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung maßgebend.

(5) Die Versorgung umfaßt alle nach dem Bundesversorgungsgesetz vorgesehenen Leistungen mit Ausnahme von Berufsschadens- und Schadensausgleich.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 aufgehoben, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1962 geborene Klägerin beantragte am 16.9.1999 beim damals zuständigen Versorgungsamt B. Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, ihre Gesundheitsstörungen seien Folge von Gewalttaten und sexuellem Missbrauch im Elternhaus sowie von sexuellem Missbrauch durch einen Fremden. Die Taten hätten sich zwischen ihrem Geburtsjahr 1962 mit abnehmender Tendenz bis 1980 zugetragen.

3

Nachdem das Versorgungsamt die Klägerin angehört, eine Vielzahl von Arztberichten, insbesondere über psychiatrische Behandlungen der Klägerin, sowie eine schriftliche Aussage ihrer Tante eingeholt hatte, stellte die Ärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. mit Gutachten vom 26.9.2001 für das Versorgungsamt zusammenfassend fest, die Untersuchung der Klägerin habe nur in Ansätzen detaillierte Angaben zu den geltend gemachten Misshandlungen und dem sexuellen Missbrauch erbracht. Diagnostisch sei von einer Persönlichkeitsstörung auszugehen. Aufgrund der Symptomatik sei nicht zu entscheiden, ob die psychische Störung der Klägerin ein Milieuschaden im weitesten Sinne sei oder mindestens gleichwertig auf Gewalttaten im Sinne des OEG zurückzuführen sei. Das Versorgungsamt lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab: Die psychische Störung könne nicht als Folge tätlicher Gewalt anerkannt werden. Zwar seien einzelne körperliche Misshandlungen, Schläge und sexueller Missbrauch geschildert worden, insbesondere aber insgesamt zerrüttete Familienverhältnisse. Vor allem diese frühere, allgemeine familiäre Situation sei für die psychischen Probleme verantwortlich (Bescheid vom 15.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2002).

4

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die - zunächst gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) und ab 1.1.2008 gegen den jetzt beklagten Landschaftsverband gerichtete - Klage nach Anhörung der Klägerin, Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Sozialmedizin Dr. S. vom 23.6.2005 sowie eines Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin H. vom 5.4.2005 auf aussagepsychologischem Gebiet durch Urteil vom 29.8.2008 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) NRW hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16.12.2011), nachdem es ua zur Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ein auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG erstattetes Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Sp. vom 25.9.2009 sowie eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. S. vom 20.4.2011 beigezogen hatte. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

5

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach § 1 OEG iVm § 31 BVG, weil sich vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die Klägerin, die zur Verursachung der bei ihr bestehenden Gesundheitsschäden geeignet wären, nicht hätten feststellen lassen. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens sei es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß wahrscheinlich, dass die Klägerin in ihrer Kindheit und Jugend Opfer der von ihr behaupteten körperlichen und sexuellen Misshandlungen und damit von Angriffen iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Keiner der durch das SG vernommenen Zeugen habe die von der Klägerin behaupteten anhaltenden und wiederholten Gewalttätigkeiten durch ihren Vater und ihre Mutter und erst recht nicht den von ihrem Vater angeblich verübten sexuellen Missbrauch bestätigt. Das LSG folge der Beweiswürdigung des SG, das keine generellen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen dargelegt habe. Es habe daher das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, die Zeugen nicht erneut zu vernehmen. Angesichts des langen Zeitablaufs seit der Zeugenvernehmung durch das SG und mangels neuer Erkenntnisse zu den angeschuldigten Ereignissen, die noch wesentlich länger zurücklägen, gehe das LSG davon aus, dass eine erneute Zeugenvernehmung nicht ergiebig gewesen wäre und lediglich die Aussagen aus der ersten Instanz bestätigt hätte. Zudem hätten die Mutter der Klägerin sowie einer ihrer Brüder gegenüber dem LSG schriftlich angekündigt, im Fall einer Vernehmung erneut das Zeugnis aus persönlichen Gründen zu verweigern. Das LSG habe deswegen auf ihre erneute Ladung zur Vernehmung verzichtet.

6

Ebenso wenig habe sich das LSG allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG bilden können, da es ihre Angaben in wesentlichen Teilen nicht als glaubhaft betrachte. Denn sie widersprächen im Kern den Aussagen ihres Vaters und ihres anderen Bruders. Die dadurch begründeten ernstlichen Zweifel am Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen habe die aussagepsychologische Begutachtung der Klägerin durch die vom SG beauftragte Sachverständige H. nicht ausgeräumt, sondern sogar bestärkt. Die vom Sachverständigen Sp. geäußerte Kritik an der aussagepsychologischen Begutachtung überzeuge das LSG nicht. Denn theoretischer Ansatz und methodische Vorgehensweise des vom SG eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Das Gutachten stütze sich insoweit zu Recht ausdrücklich auf die in der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Strafsachen (Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellten Grundsätze der aussagepsychologischen Begutachtung für Glaubhaftigkeitsgutachten, wie sie die Strafgerichte seitdem in ständiger Rechtsprechung anwendeten. Diese aussagepsychologischen Grundsätze seien auf den Sozialgerichtsprozess übertragbar. Dabei könne dahinstehen, ob im Strafprozess grundsätzlich andere Beweismaßstäbe gälten als im Sozialgerichtsprozess. Denn die genannten wissenschaftlichen Prinzipien der Glaubhaftigkeitsbegutachtung beanspruchten Allgemeingültigkeit und entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Ihre Anwendung sei der anschließenden Beweiswürdigung, die etwaigen Besonderheiten des jeweiligen Prozessrechts Rechnung tragen könne, vorgelagert und lasse sich davon trennen.

7

Die nach diesen aussagepsychologischen Grundsätzen von der Sachverständigen H. gebildete Alternativhypothese, dass es sich bei den Schilderungen der Klägerin um irrtümliche, dh auf Gedächtnisfehlern beruhende Falschangaben handele, lasse sich nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nicht widerlegen, sondern gut mit den vorliegenden Daten vereinbaren. Hierfür sprächen die großen Erinnerungslücken der Klägerin hinsichtlich ihrer frühen Kindheit, wobei in der aussagepsychologischen Forschung ohnehin umstritten sei, ob es überhaupt aktuell nicht abrufbare, aber trotzdem zuverlässig gespeicherte Erinnerungen an lange zurückliegende Ereignisse gebe. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich das Gericht bei der Beurteilung "wiedergefundener" Erinnerungen sachverständiger Hilfe nicht nur bedienen könne, sondern sogar bedienen müsse, obwohl die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen sowie Beteiligten und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen grundsätzlich richterliche Aufgabe sei. Die Entscheidung des SG für eine aussagepsychologische Begutachtung sei angesichts der Besonderheiten der Aussageentstehung bei der Klägerin jedenfalls ermessensgerecht. Auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kenntnisstands habe die Sachverständige H. darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Wahrnehmung durch die jahrelange psychotherapeutisch unterstützte mentale Auseinandersetzung der Klägerin mit den fraglichen Gewalterlebnissen durch nachträgliche Bewertungen überlagert und damit unzugänglich geworden sein könne. Daher hätten die Angaben der Klägerin, um als erlebnisbegründet angesehen zu werden, wegen der Gefahr einer möglichen Verwechslung von Gedächtnisquellen besonders handlungs- und wahrnehmungsnahe, raum-zeitlich vernetzte Situationsschilderungen enthalten müssen, die konsistent in die berichtete Gesamtdynamik eingebettet und konstant wiedergegeben würden. Diese Qualitätsanforderungen erfüllten die Schilderungen der Klägerin nicht, da sie nicht das erforderliche Maß an Detailreichtum, Konkretheit und Konstanz aufwiesen und nicht ausreichend situativ eingebettet seien.

8

Das Gutachten des Sachverständigen Sp. habe das Ergebnis der aussagepsychologischen Begutachtung nicht entkräften können. Da er weder eine hypothesengeleitete Analyse der Angaben der Klägerin nach den genannten wissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen noch ein Wortprotokoll seiner Exploration habe zur Verfügung stellen können, sei die objektive Überprüfbarkeit seiner Untersuchungsergebnisse stark eingeschränkt. Er habe eingeräumt, als Psychiater die aussagepsychologische Begutachtung nicht überprüfen und bewerten zu können und seinerseits durch seinen klinisch-psychiatrischen Zugang nicht zur Wahrheitsfindung in der Lage zu sein. Schließlich sei der von ihm vorgenommene Rückschluss von psychiatrischen Krankheitsanzeichen der Klägerin, konkret dem Vorliegen einer von ihm festgestellten posttraumatischen Belastungsstörung, auf konkrete schädigende Ereignisse iS des § 1 OEG in der Kindheit der Klägerin wegen der Vielzahl möglicher Ursachen einer Traumatisierung methodisch nicht haltbar.

9

Der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) komme der Klägerin nicht zugute. Zwar sei diese Regelung analog anzuwenden, wenn andere Beweismittel, wie zB Zeugen, nicht vorhanden seien. Lägen dagegen - wie hier - Beweismittel vor und stützten diese das Begehren des Anspruchstellers nicht, könne die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht angewendet werden, weil diese Norm gerade das Fehlen von Beweismitteln voraussetze. Selbst bei Anwendung des Beweismaßstabs der Glaubhaftigkeit bliebe allerdings die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Denn aufgrund des methodisch einwandfreien und inhaltlich überzeugenden aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. stehe für das LSG fest, dass die Angaben der Klägerin nicht als ausreichend glaubhaft angesehen werden könnten, weil zu viele Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Erinnerungen verblieben.

10

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 15 S 1 KOVVfG, des § 128 Abs 1 S 1 SGG sowie des § 1 Abs 1 OEG. Hierzu führt sie im Wesentlichen aus: Das LSG habe seiner Entscheidung nicht die Regelung des § 15 S 1 KOVVfG zugrunde gelegt und damit den anzulegenden Beweismaßstab verkannt. Richtigerweise hätte es hinsichtlich des von ihr behaupteten sexuellen Missbrauchs der Erbringung des Vollbeweises nicht bedurft; vielmehr wäre insoweit eine Glaubhaftmachung allein aufgrund ihrer Angaben ausreichend gewesen. Denn bezüglich dieses Vorbringens seien - bis auf ihren Vater als möglichen Täter - keine Zeugen vorhanden. Die Möglichkeit, dass sich die von ihr beschriebenen Vorgänge tatsächlich so zugetragen hätten, sei nicht auszuschließen; das Verbleiben gewisser Zweifel schließe die Glaubhaftmachung nicht aus. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie sich erst durch Therapien im Laufe des Verwaltungsverfahrens an die Geschehnisse habe erinnern können.

11

Das LSG habe ferner gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG verstoßen, da es ein aussagepsychologisches Gutachten berücksichtigt habe. Ein solches Gutachten habe nicht eingeholt und berücksichtigt werden dürfen, da aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen keine geeigneten Mittel der Sachverhaltsfeststellung darstellten. Die Arbeitsweise bei aussagepsychologischen Gutachten lasse sich entgegen der Auffassung des LSG nicht ohne Weiteres auf sozialrechtliche Entschädigungsprozesse übertragen, da diese nicht mit Strafverfahren vergleichbar seien. Denn in Strafverfahren sei die richterliche Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen in der Weise gefordert, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit bestehe, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht laut werden dürften. Das OEG hingegen sehe gemäß § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 S 1 KOVVfG einen herabgesetzten Beweismaßstab vor. Ein weiterer Grund, weshalb aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen nicht eingeholt werden dürften, sei die darin erfolgende Zugrundelegung der sog Nullhypothese. Diese entspreche im Strafverfahren dem Grundsatz "in dubio pro reo", sodass als Arbeitshypothese von der Unschuld des Angeklagten auszugehen sei; mit sozialgerichtlichen Verfahren sei dies jedoch nicht in Einklang zu bringen. Zudem unterscheide sich die Art der Gutachtenerstattung in den beiden Verfahrensordnungen; in sozialgerichtlichen Verfahren erstatte der Sachverständige das Gutachten aufgrund der Aktenlage und einer Untersuchung der Person, wohingegen der Sachverständige im Strafprozess während der gesamten mündlichen Verhandlung anwesend sei und dadurch weitere Eindrücke von dem Angeklagten gewinne. Schließlich könne eine aussagepsychologische Untersuchung der Aussage eines erwachsenen Zeugen zu kindlichen Traumatisierungen auf keinerlei empirisch gesicherte Datenbasis hinsichtlich der Unterscheidung zwischen auto- oder fremdsuggerierten und erlebnisbasierten Erinnerungen zurückgreifen und sei daher wissenschaftlich nicht sinnvoll.

12

Ein weiterer Verstoß gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG liege in einer widersprüchlichen, mitunter nicht nachvollziehbaren und teilweise einseitigen Beweiswürdigung des LSG begründet, womit es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten habe. Das LSG habe den Aussagen ihres Bruders sowie ihres Vaters ein höheres Gewicht als ihren eigenen Angaben beigemessen und sich nicht kritisch mit den Zeugenaussagen auseinandergesetzt. Es sei einerseits von einer unberechenbaren Aggressivität des Vaters, einer aggressiven Atmosphäre und emotionalen Vernachlässigung in der Familie sowie einigen nachgewiesenen körperlichen Misshandlungen ausgegangen, halte andererseits jedoch ihre Angaben zu den Misshandlungen nicht für glaubhaft. Kaum berücksichtigt habe es zudem die Aussage ihrer Tante. Das LSG habe ferner ihre teilweise fehlenden, ungenauen oder verspäteten Erinnerungen nur einseitig zu ihrem Nachteil gewürdigt und dabei nicht in Erwägung gezogen, dass diese Erinnerungsfehler Folgen ihres Alters zum Zeitpunkt der Vorfälle, der großen Zeitspanne zwischen den Taten und dem durchgeführten Verfahren sowie ihrer Krankheit sein könnten. Im Rahmen des OEG könnten auch bruchstückhafte, lückenhafte oder voneinander abweichende Erinnerungen als Grundlage für eine Überzeugungsbildung ausreichen. Nicht umfassend gewürdigt habe das LSG schließlich das aussagepsychologische Gutachten, das selbst Anlass zur Kritik biete. Auch dieses habe nicht berücksichtigt, dass die Erinnerungslücken und Abweichungen in den Angaben eine Erscheinungsform ihrer Krankheit sein könnten. Dieses Gutachten entspreche daher nicht den erforderlichen wissenschaftlichen Standards und könne auch aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden. Zudem hätte das Gutachten von einem auf Traumatisierung spezialisierten Psychologen erstattet werden müssen.

13

Das LSG habe darüber hinaus verkannt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 OEG bereits durch ihre grobe Vernachlässigung als Schutzbefohlenen erfüllt seien. Das Verhalten ihrer Eltern sei nicht durch ein Züchtigungsrecht gedeckt gewesen. Die familiäre Atmosphäre sei - wie von den Vorinstanzen festgestellt - von elterlicher Aggression, gestörten Beziehungen und emotionaler Vernachlässigung geprägt gewesen. Zudem habe das LSG einige Schläge als erwiesen erachtet. Auch die fachärztlichen Gutachten hätten ergeben, dass ihre psychische Störung jedenfalls durch die aggressive Familienatmosphäre verursacht worden sei.

14

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 sowie des Sozialgerichts Detmold vom 29. August 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2002 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen von sexuellem Missbrauch sowie körperlichen und seelischen Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

15

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

16

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

17

Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom 29.1.2013). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

18

Die Revision der Klägerin ist zulässig.

19

Sie ist vom LSG zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten (§ 164 Abs 1 und 2 SGG). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem OEG auf eine Vielzahl von schädigenden Vorgängen stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in drei Gruppen zusammenzufassen: seelische Misshandlungen (Vernachlässigung, beeinträchtigende Familienatmosphäre), körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch.

20

Soweit die Klägerin Entschädigung wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern geltend macht, hat sie einen Verstoß gegen materielles Recht hinreichend dargetan. Sie ist der Ansicht, die betreffenden Vorgänge würden von § 1 OEG erfasst. Soweit das LSG umfangreichere körperliche Misshandlungen der Klägerin im Elternhaus sowie sexuellen Missbrauch durch ihren Vater bzw einen Fremden verneint hat, rügt die Klägerin zunächst substantiiert eine Verletzung von § 15 S 1 KOVVfG, also eine unzutreffende Verneinung der Anwendbarkeit einer besonderen Beweiserleichterung(vgl dazu BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 124 f = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass insbesondere dafür, ob sie Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei, Beweismittel vorhanden seien. Im Hinblick darauf, dass die Vorinstanz hilfsweise auf § 15 S 1 KOVVfG abgestellt hat, bedarf es auch dazu einer ausreichenden Revisionsbegründung. Diese sieht der Senat vornehmlich in der Rüge der Klägerin, das LSG habe, indem es in diesem Zusammenhang auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 Bezug genommen habe, ein ungeeignetes Beweismittel verwertet (vgl allgemein dazu zB BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527; BGH Beschluss vom 15.3.2007 - 4 StR 66/07 - NStZ 2007, 476) und damit seiner Entscheidung zugleich einen falschen Beweismaßstab zugrunde gelegt. Dazu trägt die Klägerin ua vor, dass die Sachverständige H. ihr Glaubhaftigkeitsgutachen nach anderen Kriterien erstellt habe, als im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 S 1 KOVVfG maßgebend seien.

21

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft. Im Übrigen - also hinsichtlich Folgen seelischer Misshandlungen - ist die Revision unbegründet.

22

1. Einer Sachentscheidung entgegenstehende, von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

23

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass bereits während des Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 20 mwN). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482) hat die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21, und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG)ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 OEG gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu richten hat. Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung klargestellt, dass sie im vorliegenden Verfahren ausschließlich einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente verfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 12).

24

2. Für einen Anspruch der Klägerin auf eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

25

a) Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 OEG gegeben sind(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

26

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

27

b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden Senats ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 mwN).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG sein(BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Eine Erstreckung dieses Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen hat das Bundessozialgericht (BSG) bislang abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

29

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

30

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen Fußtritt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

31

Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der Wortlautinterpretation hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der Senat jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 44 mwN). So ist beim "Stalking" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 69 mwN).

32

c) Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

33

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN).

34

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

35

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

36

3. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern.

37

Entgegen der Ansicht der Klägerin stellen die von den Vorinstanzen angenommenen allgemeinen Verhältnisse in der Familie der Klägerin keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar. Das SG hat hierzu festgestellt, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen seien mehr auf ein Zusammenwirken atmosphärisch ungünstiger Entwicklungsbedingungen (ablehnende Haltung der Mutter gegenüber der Klägerin, unberechenbare Aggressivität sowie grenzüberschreitende weinerliche Anhänglichkeit des Vaters) zurückzuführen (S 23 des Urteils). Darauf hat das LSG Bezug genommen. Die Verhaltensweise der Eltern hat danach zwar seelische Misshandlungen der Klägerin umfasst, es fehlt insoweit jedoch an dem Merkmal der Gewaltanwendung im Sinne einer gegen den Körper der Klägerin gerichteten Tätlichkeit.

38

4. Soweit die Klägerin Beschädigtenrente nach dem OEG wegen der Folgen körperlicher Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung unmöglich. Derartige schädigende Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 OEG erfasst, soweit sie nicht von dem seinerzeit noch anerkannten elterlichen Züchtigungsrecht(vgl BGH Beschluss vom 25.11.1986 - 4 StR 605/86 - JZ 1988, 617) gedeckt waren. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

39

a) Das LSG hat unterstellt, dass als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe einzelne Schläge durch die Eltern (ein heftiger Schlag durch den Vater sowie zwei "Ohrfeigen" durch die Mutter) nachgewiesen seien. Diese hätten jedoch nicht genügt, um die gravierenden seelischen Erkrankungen der Klägerin zu verursachen. Das LSG verweist hierbei auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. S. sowie auf die Ausführungen des SG, wonach diese Taten keine posttraumatische Belastungsstörung hätten auslösen können. Die hierauf gründende tatrichterliche Wertung des LSG ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Weder lässt sich feststellen, dass die Vorinstanz insoweit von unrichtigen Rechtsbegriffen ausgegangen ist, noch hat die Klägerin die betreffenden Tatsachenfeststellungen mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen.

40

b) Den überwiegenden Teil der von der Klägerin angegebenen körperlichen Misshandlungen durch deren Eltern sowie den behaupteten sexuellen Missbrauch durch deren Vater und einen Fremden hat das LSG nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 KOVVfG, die der Senat nicht teilt.

41

Nach § 15 S 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).

42

Diesen Kriterien hat das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 KOVVfG mit der pauschalen Begründung verneint hat, es lägen Beweismittel vor. Zwar hat sich das LSG hinsichtlich der Verneinung umfangreicher körperlicher Misshandlungen der Klägerin durch ihre Eltern, insbesondere durch den Vater, auch auf die Zeugenaussage des Bruders T. der Klägerin gestützt. Es hätte insoweit jedoch näher prüfen müssen, inwiefern die Klägerin Misshandlungen behauptet hat, die dieser Zeuge (insbesondere wegen Abwesenheit) nicht wahrgenommen haben kann. Soweit es den angegebenen sexuellen Missbrauch betrifft, ist nicht ersichtlich, dass diesen eine als Zeuge in Betracht kommende Person wahrgenommen haben kann.

43

c) Soweit das LSG den § 15 S 1 KOVVfG hilfsweise herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das LSG insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem Senat Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog Glaubhaftigkeitsgutachten in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem OEG einzugehen.

44

aa) Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

45

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 20, 23).

46

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des Wirklichkeitsbezuges einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

47

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergeben sich aus den Ausführungen in dem Urteil des LSG NRW vom 28.11.2007 - L 10 VG 13/06 - (Juris RdNr 25) keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das LSG NRW hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein begründbarer Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem Zeitraum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das LSG NRW zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das LSG NRW ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten (LSG NRW, aaO, Juris RdNr 25). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das LSG NRW gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

48

bb) Für die Erstattung von Glaubhaftigkeitsgutachten gelten auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der BGH in der Entscheidung vom 30.7.1999 (1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht vgl Fabian/Greuel/Stadler, StV 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl Vogl, NJ 1999, 603), die Glaubhaftigkeitsgutachten allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 48 ff; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 16 ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167 ff mwN; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/Volbert, wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog Nullhypothese (Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der Nullhypothese sowie das Ausgehen von dieser kritisierend Stanislawski/Blumer, Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw Alternativhypothesen zu bilden (vgl beispielhaft hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 52 f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw Alternativhypothesen verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

49

Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), Aussagequalität (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie Aussagevalidität (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit Schumacher, StV 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene (zB der Ebene der Aussagequalität) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen (Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 62).

50

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die Aussagequalität überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die Aussagevalidität betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw Alternativhypothesen; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

51

Diese Prüfungsschritte müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

52

cc) Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog Nullhypothese, vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu SG Fulda Urteil vom 30.6.2008 - S 6 VG 16/06 - Juris RdNr 33 aE; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.7.2010 - L 13 VG 25/07 - Juris RdNr 36; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.6.2012 - L 4 VG 13/09 - Juris RdNr 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese äußernd LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - ZFSH/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

53

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von Alternativhypothesen zur Wahrannahme zu belegen (Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 20, 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige Aussagequalität haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 22). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, StV 2004, 284, 286).

54

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 205), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu Volbert, aaO S 20). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl Volbert, aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

55

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der Vollbeweis gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des Klägers bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von Glaubhaftigkeitsgutachten ausgehend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.9.2008 - L 11 VG 33/08 - Juris RdNr 24 ff; LSG NRW Urteil vom 29.9.2010 - L 6 (7) VG 16/05 - Juris RdNr 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG Bayerisches LSG Urteil vom 30.6.2005 - L 15 VG 13/02 - Juris RdNr 40; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 5.6.2008 - L 13 VG 1/05 - Juris RdNr 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris RdNr 38 ff).

56

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog Nullhypothese - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527, 2528 f; Saarländisches OLG Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris RdNr 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris RdNr 64 ff). In diesen Verfahren ist der Vollbeweis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

57

dd) Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle Alternativhypothesen ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten den Vollbeweis ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können.

58

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die Beweisfragen entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

59

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl Lösel/Bender, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd 7, 2001, S 175, 184). Denn dem Tatsachengericht ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw Wahrscheinlichkeitsgrade für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

60

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 gestützt. Dieses Glaubhaftigkeitsgutachten ist vom SG zu den Fragen eingeholt worden:

        

Sind die Angaben der Klägerin zu den Misshandlungen durch die Eltern und zum sexuellen Missbrauch durch den Vater (…) unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlich-aussagepsychologischen Kenntnisstandes insgesamt oder in Teilen glaubhaft? Sind die Angaben insbesondere inhaltlich konsistent und konstant und sind aussagerelevante Besonderheiten der Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin zu berücksichtigen? Welche Gründe sprechen insgesamt für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben?

61

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen H. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in der Einleitung zu ihrem Gutachten ("Formaler Rahmen der Begutachtung") erklärt, dass sich das Vorgehen bei der Begutachtung und die Darstellung der Ergebnisse nach den Standards wissenschaftlich fundierter Glaubhaftigkeitsbegutachtung richte, wie sie im Grundsatzurteil des BGH vom 30.7.1999 (BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746) dargelegt seien (S 1 des Gutachtens).

62

Da das Berufungsurteil mithin - soweit es die Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG betrifft - offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende Senat die Beurteilung des LSG auch zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

63

5. Der erkennende Senat sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil die jetzt nach zutreffenden Beweismaßstäben vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG).

64

6. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

(1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen.

(3) Abkömmlinge und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt die Anerkennung, Opfer schädigender Ereignisse in Form von sexuellem Missbrauch zwischen 1966 und 1978 geworden zu sein und infolgedessen unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bzw. einer rezidivierenden depressiven Störung und schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen zu leiden.
Die am ... Januar 1962 geborene Klägerin zog im Alter von 16 Jahren aus dem Elternhaus aus, wo sie bis dahin mit zwei älteren und einem jüngeren Bruder aufgewachsen war. Sie machte den Hauptschulabschluss, danach zunächst eine Ausbildung zur Kinderpflegerin, später zur Wochenpflegerin, Arzthelferin und Krankenschwester. Im Jahr 1980 heiratete sie und bekam drei Kinder, geboren 1981, 1984 und 1988. Sie war erwerbstätig als Arzthelferin, als Nachtwache im Krankenhaus, als Kinderpflegerin und als sozialpädagogische Familienhelferin. 1985 kollabierte sie während eines Nachtdienstes, litt anschließend unter Schlafstörungen, Kraftlosigkeit, Appetitstörungen und machte eine Kur in Bad S. wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände und damals fraglicher depressiver Episode. 1992 führte sie eine Mutter-Kind-Kur in C. wegen starker Erschöpfung durch, ob eine depressive Episode vorlag, ist nicht unbekannt (GA Dr. F. Bl. 68 SG-Akte). Sie machte zahlreiche Fortbildungen: Im März 2004 bildete sie sich im Selbststudium zur beratenden Kinderpsychologin (nicht anerkannt) fort, im selben Jahr besuchte sie den Fachtag Dokumentation und Beobachtung in der offenen Kita-Arbeit, 2007 den Fachtag Suchtprobleme am Arbeitsplatz, wurde Betriebshelferin für Erste Hilfe, nahm an einer Veranstaltung zum Thema: „riskante Kinderwelten brauchen Schutz“ teil, am Fachtag Suchtprävention, am G.-V. Kinder und Jugendliche in der Schule, 2008 am Fachtag frühe Hilfen im O. sowie an der Fortbildung: „Risikoverhalten in der Pubertät“.
Im Jahr 2006 wurde die Ehe geschieden. Von 2008 bis 2013 führte die Klägerin eine Klage vor dem Amtsgericht H. (AG) wegen nachehelichen Ehegattenunterhalts, in dessen Verlauf sie zwecks Feststellung des Umfangs ihrer Erwerbsfähigkeit mehrfach u. a. von PD Dr. F. (aufgrund der partiellen Amnesie könne die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden, es spräche mehr gegen die Diagnose einer PTBS) begutachtet wurde. Seit 1. Februar 2009 bezieht sie unbefristet Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Bescheid Bl. 62 VV), zwischenzeitlich auch eine bis 2015 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung (Entlassbericht Bl. 137 Senatsakte). In seinem Gutachten für die D. R. vom 28. April 2009 stellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. die Diagnosen einer PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, eines psychophysischen Erschöpfungszustands und einer reaktiven Depression. Über die ersten 16 Jahre ihres Lebens habe die Klägerin keine Erinnerung, was sie berichte, habe sie von Angehörigen erfahren. Im Alter von drei Jahren habe sie wohl an einer Enzephalitis und Meningitis gelitten, Unterlagen gebe es in der Kinderklinik in G. nicht mehr. Anschließend seien regelmäßig Elektroenzephalogramme (EEGs) abgeleitet worden und sie habe bis etwa zum 15. Lebensjahr Mylepsinum einnehmen müssen. Ihr sei berichtet worden, sie habe von 1968 bis 1977 die Grund- und Hauptschule in D. besucht. Man habe ihr berichtet, sie habe keine Klassenarbeiten mitschreiben dürfen, da sie sich nicht aufregen oder freuen dürfe.
Nach der Geburt ihres Sohnes K. 1984 sei sie Anfang 1985 während eines Nachtdienstes zusammengebrochen. Sie sei zur Kur nach Bad S. gekommen. Darüber gebe es keine Unterlagen. Nach der Schwangerschaft mit ihrer Tochter 1988 habe sie ein „normales“ Leben gelebt. Bis 1994 sei sie psychisch relativ stabil gewesen, sie habe „funktioniert“. Im Rahmen einer schweren Erkrankung ihres Sohnes K. - schwere Operation mit protrahiertem Verlauf nach Platzen eines Meckel´schen Divertikels - sei der Verdacht entstanden, die Heilung des Sohnes verzögere sich oder werde unmöglich durch ihre eigenen Ängste. Daraufhin sei sie zu Dr. T. in Psychotherapie gegangen. Im Dezember 1995 sei ihr Vater gestorben und habe ihr zuvor am Sterbebett eröffnet, sie sei vom Liebhaber ihrer Mutter sexuell missbraucht worden. Anschließend habe sie sich in Therapie bei Psychotherapeutin (nach dem Heilpraktikergesetz - HPG) C. begeben. Im Rahmen der Therapie habe sich herausgestellt, dass sie wohl innerfamiliär in der Kindheit über Jahre hinweg sexuelle Missbrauchserfahrungen erlitten habe, in deren Folge es zu Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen gekommen sei.
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. stellte in seinem Gutachten für das AG vom 9. November 2008 die Diagnosen histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen (ICD-10 F 60.4, F 43.1), berichtete depressive Stimmungsschwankungen und zurückliegende Essstörung (derzeit nicht aktuell). Allgemeine Erschöpfungszustände, Stimmungsschwankungen und zugleich eher fahrige Schilderungen ließen sich unter einer histrionischen Strukturierung einordnen. Zwar kämen dissoziative Störungen auch bei einer PTBS vor, der anamnestische Kontext spreche aber weniger für die Zuordnung zu einer PTBS. Anhaltende Erinnerungen, eindeutiges und spezifisches Wiedererleben eines früheren Traumas, aufdringliche Nachhallerinnerungen würden nicht berichtet, auch kein Vermeidungsverhalten, etwa gegenüber Situationen, die Flashbacks hervorriefen oder mit der Belastungssituation in Zusammenhang gebracht würden. Sie berichte über gynäkologische Untersuchungen, die ganz komisch gewesen seien. Es sei ihr noch völlig unklar, was überhaupt passiert sei. Ihre Amnesie werde inzwischen nur partiell durchbrochen, sie habe viel erfahren, was für andere unvorstellbar sei. Hierbei assoziiere sie allerdings weniger eigene Missbrauchserfahrungen als vielmehr die Besonderheiten in ihrer Familienstruktur, die „Männerbeziehungen“ der Mutter, wo auch noch „der Vater gegenüber“ gesessen habe. Auffällig sei, dass sie - im Zusammenhang etwas abrupt - darauf zu sprechen gekommen sei, vom Vater nicht missbraucht worden zu sein.
Gegenüber dem Gutachter Dr. S. gab die Klägerin am 8. September 2008 an, sie habe bis zum 16. Lebensjahr überhaupt keine Erinnerung an ihr Leben. Das sei alles nur erforscht und berichtet.
PD Dr. F. stellte in seinem Gutachten vom 25. Oktober 2010 an das AG die Diagnose einer PTBS, differentialdiagnostisch einer generalisierten Angststörung. Das Trauma-A-Kriterium sei durch die psychiatrische Exploration nicht zu beweisen. Es bestünden deutliche Hinweise auf eine frühkindliche Traumatisierung. Aufgrund der Amnesie könne jedoch die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden. Ein False-memory-Syndrome liege nicht vor, denn die Symptomatik sei nicht durch genaue Befragungen und Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen, sondern durch die Berichte des sterbenden Vaters ausgelöst worden. Bis zum Alter von 16 Jahren habe sie zunächst keinerlei Erinnerungen an ihr Leben gehabt. Alles was sie heute wisse, seien Inhalte aus Erzählungen anderer und Erinnerungsbruchstücke, die sie in langen Jahren der Psychotherapie mit plötzlich einschießenden Bildern und nachfolgendem intensivem Nachforschen erfahren habe. Sie habe keinen Sport und keine Prüfungen machen dürfen, da man unter jeder Art von Stress einen epileptischen Anfall befürchtet habe. Die Kommunion habe sie allein erhalten, der Pfarrer habe die Beichte bei ihr zu Hause abgenommen. Sie habe teilweise bis zu 15 Medikamente bekommen. Mit 12 oder 13 Jahren sei sie innerhalb des Hauses zu ihren Großeltern mütterlicherseits gezogen und von diesen weiter aufgezogen worden. Mit 16 sei sie zu Hause ausgezogen, seitdem habe sie regelmäßige Erinnerungen an ihr Leben. Bis 1995 habe sie keine Alpträume und keine belastenden Bilder, die sie überfielen, gehabt. Ihr Vater habe ihr kurz vor seinem Tod viel Belastendes aus ihrer Kindheit und Jugend erzählt. Er habe berichtet, Onkel H. habe ihr etwas Schlimmes angetan, er habe ihr weh getan und etwas getan, was man Kindern nicht antun sollte. Er, der Vater, habe sie nicht schützen können, nicht den Mut gehabt und sich in seine Arbeit gestürzt. Es habe viele wechselnde Liebhaber der Mutter gegeben. Diese seien nach Vermutung der Klägerin ebenfalls fragliche Täter sexuellen Missbrauchs an ihr. Die Berichte ihres Vaters hätten einige Bilder zusammengeführt, die in ihrem Kopf gewesen seien und mit denen sie bis dahin nichts habe anfangen können. Leider erinnere sie sich heute nicht mehr genau an alles, was ihr Vater ihr erzählt habe. Nach dem Tod des Vaters seien ihr immer wieder belastende Bilder in den Kopf gedrängt. Inzwischen erinnere sie sich an mehrfachen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Sie habe eine Erinnerung an eine Vergewaltigung, gegen die sie sich gewehrt habe, als er sie im Schlafzimmer der Eltern aufs Bett gelegt und festgehalten habe. Sie habe ihn gebissen und versucht, ihn zu schlagen. Während der einschießenden Bilder höre sie oft seine Sprüche von Onkel H.. Er habe sie „Bettchen“ genannt, wenn sie zu ihm habe kommen sollen. Er habe gesagt, sie solle zu ihm kommen, um eine „Spritztour“ zu machen. Das sei ein Synonym für sexuelle Handlungen gewesen. Im Alter von 5 Jahren habe sie sich beim Arzt geweigert, sich auszuziehen. Ihre Mutter habe zu dem Arzt gesagt, er müsse sagen, sie solle „Striptease“ machen, dann würde sie sich ausziehen. Daher denke sie, dass zu diesem Zeitpunkt schon vieles vorgefallen sei, was mit sexuellem Missbrauch zu tun habe. Zur späteren Narkose bei der Tonsillektomie habe man sie festhalten müssen, weil sie getobt habe. Sie habe auch Erinnerungen an sexuelle Belästigungen der Haushälterin und der Freundin ihres Bruders durch Onkel H. sowie sexuelle Handlungen zwischen diesem und der Mutter auf der Wohnzimmercouch, während sie, ihre Geschwister und der Vater anwesend gewesen seien. 1996 habe sie Onkel H. gesucht, aber nicht gefunden. Ihre Familie sei nicht bereit gewesen, über die Vergangenheit zu sprechen, habe gesagt, dass sie verrückt sei. 2003 habe sie den Kontakt zu ihrer Primärfamilie aufgrund der immer vermehrt auftretenden Kindheitserinnerungen abgebrochen. An aktuellen Beschwerden habe sie berichtet, belastende Bilder würden einschießen. Sie sehe z. B. die Gestalt ihrer Patentante, auch Onkel H. mit dunklen Haaren, sehe seine Hände, höre seine Stimme. Sie habe auch schon die Form einer Flasche gesehen. Nachforschungen hätten ergeben, dass dies eine Whiskyflasche der Marke „Racke rauchzart“ sei. Ihre Mutter habe oft gesagt, sie müsse noch „Racke rauchzart“ kaufen. Sie sehe Bilder von sich im Kindes- und Jugendalter aus verschiedenen Perspektiven, neben sich, über sich oder aus ihren eigenen Augen, als sei sie selbst beteiligt. Sie habe sich in einer Ecke mit einer Decke über sich gesehen, so als habe sie sich schützen wollen. Sie habe auch immer wieder Bilder aus einem Behandlungszimmer in einem Krankenhaus gesehen. Wenn sie viele Bilder von sexuellem Missbrauch überfielen, hätten diese oft mit Onkel H. zu tun. Einmal habe sie während der Begutachtung berichtet, ein Bild würde immer wieder kommen und dann vor ihren Augen stehen bleiben. Es habe mit einem sexuellen Missbrauch an ihr zu tun, genauer könne sie es nicht beschreiben.
2004 nahm sie den dritten Vornamen P. an, 2007 machte sie diesen dritten Vornamen zum Rufnamen, nahm zwei weitere Vornamen an und behielt den Ehenamen als Nachnamen, heißt somit nun nicht mehr B. B., sondern P. D., geb. D..
Die Klägerin litt im Kleinkindalter an einer Meningoenzephalitis (Gehirnentzündung/Hirnhautentzündung) im Alter von drei Jahren, weshalb bis zum 16. Lebensjahr eine Therapie mit Primidon, einem Antikonvulsivum, durchgeführt wurde (Bericht Epilepsiezentrum K. vom 26. September 1993, betr. den Sohn der Klägerin K. D., Anlagenkovolut zur AG-Akte). Sie führte in den Jahren 1984 und 1992 stationäre Reha-Maßnahmen wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände durch. Vom 19. Dezember 2000 bis 4. Januar 2001 war sie in stationärer psychotherapeutischer Behandlung in der H. Bad Z., wegen eines Erschöpfungszustands infolge von „harter Arbeit in ambulanter Psychotherapie“, in der sie traumatische Erlebnisse in ihrer Kindheit bearbeitet habe. Dort wurde die Diagnose einer rezidivierenden mittelgradigen depressiven Störung und die Verdachtsdiagnose einer psychogenen Amenorrhoe seit 1998 gestellt (Bl. 14 VV). Ab Mai 1994 führte sie eine Psychotherapie bei Dr. T., Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, durch, seit August 1996 bei M. C., Psychotherapeutin nach dem HPG (ohne Kassenzulassung). Frau C. gab in einer Stellungnahme vom 15. August 2008 gegenüber dem Beklagten an, die Klägerin leide an Depressionen infolge schwerer Anpassungsstörungen, aufgrund über Jahre fortgesetzter schwerster Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, in deren Folge es zu Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen gekommen sei. Als Kind seien ihr Psychopharmaka, zeitweilig in Verbindung mit Alkohol, verabreicht worden. Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit März 2008 anerkannt (Bescheid vom 17. Dezember 2008, Bl. 23 VV).
10 
Am 4. Februar 2009 stellte sie über den Weißen Ring einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Der Weiße Ring gab darin an, die Klägerin sei in ihrer Kindheit Opfer eines schweren sexuellen Missbrauchs geworden. Dies führe dazu, dass sie an ca. 16 Lebensjahre keine Erinnerung habe. In langjährigen Therapien seien als Ursache hierfür Geschehnisse in der Kindheit ermittelt worden. In ihrem Antrag gab die Klägerin als schädigendes Ereignis an: sexueller Missbrauch, ca. 1965 – 1978, “als Gesundheitsstörung eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Amnesie von ca. 16 Lebensjahren, keine Zeugen, Namen der schädigenden Personen nicht bekannt“. Mit Bescheid vom 23. März 2009 wurde der Antrag abgelehnt (Bl. 28 VV). Es sei nicht objektiv nachgewiesen, dass die Klägerin Opfer einer Gewalttat geworden sei. Die Beweiserleichterung für den Fall, dass unverschuldet kein Nachweis erbracht und keine Zeugen benannt werden könnten, greife nicht ein, weil die Klägerin den Sachverhalt aufgrund der Amnesie nicht aus eigener Erinnerung beschreiben könne. Die ärztlichen Befundberichte reichten für eine Beweisführung nicht aus, weil aus dem vorliegenden psychiatrischen Störungsbild keine Rückschlüsse auf ein spezifisches Ereignis gezogen werden könnten und kein Profil psychiatrischer Symptome eindeutig auf eine traumatische Vergangenheit hinweise.
11 
Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. E. vor (Bl. 57 VV), der sie seit 1997 betreute. Demnach stehe im Vordergrund der zweimal monatlichen Konsultationen ein psycho-physischer Erschöpfungszustand bei posttraumatischer Belastungsstörung nach kindlicher Missbrauchserfahrung. Sie könne sich an Einzelheiten in ihrer Kindheit und Jugend nicht erinnern. Diese seien erst nach mehrjährigen mehrfachen Psychotherapien in einem extrem belastenden Prozess wieder aufgetaucht. Sie leide häufig unter ausgeprägter körperlicher Schwäche und somatischen Beschwerden ohne somatisches Korrelat, Bauchschmerzen, Leistenschmerzen, Schmerzen im linken Bein und Sensibilitätsstörungen in der linken Gesichtshälfte. 1999 habe sie bis auf 42 kg abgenommen und in den letzten Jahren bis auf 75 kg zugenommen. Beim Neurologen und Psychiater S. war sie seit 2001 nur in mehrjährigen Abständen. 2001 nahm sie an einer geleiteten Frauengruppe des Vereins „A.“ mit dem Anliegen, eigene Selbstzweifel bezüglich ihrer Gewalterfahrungen zu klären, teil (Bl. 61 VV). Weiterhin legte sie eine Stellungnahme der Frau C. vom 13. Oktober 2009 (Bl. 88 VV) vor. Darin schildert diese die „Geschichte“ der Klägerin, die nicht in der Lage sei, selbst darüber zu berichten. Seit dem Tod des Vaters, der ihr auf dem Sterbebett über Familiengeheimnisse berichtet habe, seien sie und ihr Sohn immer kränker geworden, ohne dass die Ärzte hätten sagen können, was ihr fehle. Der kleinen B. sei ein absolutes Redeverbot unter Androhung härtester Strafen auferlegt worden. „…H. ist der offizielle Liebhaber der Mutter und thront ab 1962 im Wohnzimmer auf dem Sofa neben der Mutter, vor sich eine Flasche Whisky. … Ab kleinster Kindheit (ca. 4 - 5 Jahre) wird P. vom Liebhaber H. sexuell missbraucht. Sie wird auch in fremde Häuser gebracht, man gibt ihr Alkohol und Medikamente, damit sie ruhig bleibt. … Sie wird oral und anal vergewaltigt, regelmäßig, von verschiedenen Männern, wird zeitweise währenddessen fixiert, wird eingesperrt. Andere Kinder sind auch dabei, auch manchmal ihr Bruder M., vor allem eine gleichaltrige Tochter von H.. … Eine zweite Frau scheint allgegenwärtig im System und dokumentiert alles, wie wenn es ein Experiment wäre: Tante G., Schwester des Vaters (medizintechnische Assistentin in einem Versuchslabor). Bei vielen „Experimenten“ an den Kindern waren die Männer als Arzt verkleidet (weißer Kittel und Stethoskop). Damit keine Informationen über die Familie nach außen drängen, werden Kontakte zu anderen Kindern unterbunden, B. darf nicht zum Sport, alles mit der Erklärung, das Kind sei psychisch labil, hätte epileptische Anfälle. Mit 12 Jahren wird B.-P. schwanger, unter dem Vorwand einer Blinddarmoperation wird sie nach N. zu Tante K. gebracht, wo sie „operiert“ wird, wo eine Abtreibung vorgenommen wurde…“. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 83 VV).
12 
Am 10. Juni 2010 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihre Mutter habe an den Missbrauchshandlungen mitgewirkt. Sie selbst habe an ihre ersten 15 bis 16 Lebensjahre kaum oder lediglich bruchstückhafte Erinnerungen. Im Rahmen sogenannter Flashbacks habe sie mit ihrer Therapeutin in langjähriger Therapie zahlreiche Vorfälle sexuellen Missbrauchs zusammentragen können. Ihr Bruder M., dessen Aufenthaltsort sie nicht kenne, sei bei den sexuellen Übergriffen zum Teil zugegen gewesen und habe am Sterbebett des Vaters dessen Berichte mitgehört. Sie habe alles Zumutbare zur Sachverhaltsaufklärung getan, so dass die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG eintrete. Die bei ihr vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergäben eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für sexuellen Missbrauch, auch die nur bruchstückhafte Erinnerung. Dies sei durch Gutachten belegt.
13 
Frau C. hat in ihrer Auskunft an das SG vom 7. Januar 2011 angegeben, es bestehe der Verdacht auf eine PTBS nach ICD-10 F 43.1 und der Verdacht auf dissoziative Amnesien sowie dissoziativen Stupor und dissoziative Bewegungsstörungen nach ICD-10 F 44.0, F 44.2.0 und F 44.7. Man müsse davon ausgehen, dass diese dissoziativen Zustände zur Zeit der Traumatisierung als emotional-physiologische Notlösung des Gehirns entstanden seien, das sonst keine Möglichkeit gehabt habe, die massiven, sadistisch geprägten sexuellen Übergriffe zu bearbeiten. Die ursprüngliche Symptomatik habe bereits darauf hingedeutet, dass sie an den Folgen einer langjährigen schwersten Traumatisierung leide. Zur Stabilisierungsphase habe der totale Bruch mit der Ursprungsfamilie mit Namensänderung 2007 gehört. Ab 1998 seien Erinnerungsfetzen an die Oberfläche gekommen, die allerdings nicht sprachlich, dafür aber mit nonverbalen Methoden hätten aufgedeckt werden können. Bis vor 1 – 2 Jahren habe noch das Redeverbot auf der Klägerin gelastet. Die Schaffung eines Zugangs zum Traumamaterial habe nur mit Hilfe von Psychopharmaka verkraftet werden können, jetzt sei die Klägerin teilweise abhängig von Benzodiazepinen, um sich gegen überflutende traumaartige Bilder zu wehren und schlafen zu können. Bis heute könne keine Traumaexposition durchgeführt werden, weil mit einer erneuten Destabilisierung zu rechnen sei. Die wiederholten Explorationen zur Erstellung von Gutachten hätten jeweils eine schwerwiegende Retraumatisierungssymptomatik provoziert. Die Scheidung 2005 habe neue Belastungsfaktoren in Form einer Unterhaltsklage mit sich gebracht. Im Hintergrund der vorliegenden Auseinandersetzung stehe das Bedürfnis, mit ihrer Geschichte gehört und anerkannt zu werden, damit ihr existentielles Bedürfnis nach Gerechtigkeit gestillt werden könne.
14 
Das SG hat die Klägerin in mündlicher Verhandlung am 16. September 2011 gehört (Niederschrift Bl. 88 SG-Akte). Sie hat angegeben, nach konkreten Erinnerungen an ihre Kinder- und frühe Jugendzeit befragt, könne sie sich tatsächlich nicht an Details, d. h. Gesichter oder Räumlichkeiten oder Sachverhalte erinnern. Vielmehr habe sie aus Erzählungen Dritter, z. B. zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, die sie im Kinder- und Jugendalter gehabt habe, Informationen erhalten. Diese halte sie für die Realität. Hierauf beschränkten sich letztlich ihre “Erinnerungen“ an diese Zeit. Da sie ab dem dritten Lebensjahr wegen ihrer angeblichen Erkrankungen mit Medikamenten versorgt worden sei, nehme sie an, dass die an ihr verübten Taten zu diesem Zeitpunkt begonnen haben müssten.
15 
Das SG hat den Bruder der Klägerin, den Zeugen R.-M. B., Rufname M., und die Haushälterin der Familie, die Zeugin B. S., durch einen ersuchten Richter beim Sozialgericht S. vernehmen lassen. Die Mutter der Klägerin hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Der Zeuge B. hat in seiner Vernehmung angegeben, die Klägerin habe ca. 1964 eine Hirnhautentzündung gehabt und sei dadurch sehr zurückgeworfen gewesen, in der Schule und so. Das habe sich erst in der Lehre gebessert. Sein Vater habe nach 18 Uhr ein Bier oder ein Glas Wein getrunken, er habe ihn aber nicht betrunken erlebt. Die Hausangestellte sei nur stundenweise gekommen. Onkel H., ein weitläufiger Verwandter seines Vaters, habe nicht im Haus gewohnt. Seines Wissens seien keine sexuellen Handlungen an der Klägerin vorgefallen, er habe auch nichts hierüber gehört. Von einer Schwangerschaft der Klägerin ca. 1974 wisse er nichts. Sein Vater habe vor seinem Tod eine Lebensbeichte abgelegt, alles vom Krieg bis zu seinem Sterbedatum erzählt. Über die Klägerin habe er nicht gesprochen. Onkel H. sei öfter nach Feierabend zu Besuch gewesen, allerdings habe er, der Zeuge, da nicht mehr zu Hause gelebt. Gegenstand der Lebensbeichte des Vaters sei auch gewesen, dass der jüngere Bruder M. nicht sein Sohn, sondern Onkel H. dessen Vater sei. Die Zeugin S. hat bekundet, sie habe sich meist abends stundenweise um die Klägerin gekümmert. Onkel H. sei gelegentlich dort im Haus gewesen. Zu einem sexuellen Missbrauch könne sie nichts sagen, weder aus eigenen Wahrnehmungen noch vom Hörensagen. Zu einer Schwangerschaft der Klägerin Mitte der Siebziger Jahre könne sie keine Angaben machen. Sie sei zu diesem Zeitpunkt noch regelmäßig dort gewesen. Ihr sei nichts aufgefallen. Sie habe bis heute Kontakt zur Mutter der Klägerin und dem jüngeren Bruder M..
16 
Die Klägerin hat Fotos vorgelegt (Bl. 253 SG-Akte), auf denen eine von ihr als Onkel H. bezeichnete männliche Person auf einem Sofa neben der Mutter sitzt, neben der Klägerin – beide rauchend – den Arm um sie legend, stehend neben der Zeugin S., die den Arm um ihn legt, Urlaubsbilder und Bilder ihrer Trauung, bei der sie neben Onkel H. zu sehen ist.
17 
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. März 2013 abgewiesen. Ausgangspunkt für die Feststellung eines schädigenden Ereignisses sei das Vorbringen der Klägerin. Bei ihr bestünden an den fraglichen Zeitraum, mithin auch an die geltend gemachten Taten, keine konkreten Erinnerungen. Vorhanden seien lediglich die im Rahmen der Psychotherapie bei Frau C. zutage geförderten bruchstückhaften Erinnerungen, die sich als einschießende Bilder mit belastender psychischer Reaktion darstellten. Dabei sei klar, dass es sich bei den Bildern, die der Klägerin spontan vor Augen träten, nicht um Erinnerungen an konkrete Geschehensabläufe in der Vergangenheit handele, sondern um bildhaft innerpsychische Vorgänge, die einer Interpretation bzw. Deutung bedürften. Daher sei nicht die Frage, ob die Angaben der Klägerin überzeugend und glaubhaft seien, sondern ob diese den Schluss zuließen, dass sich die geltend gemachten Geschehensabläufe tatsächlich zugetragen hätten. Dies sei nach dem Beweisergebnis nicht der Fall. Es schließe sich der Beurteilung des PD Dr. F. an, der dargelegt habe, dass die einschießenden Bilder nicht den zwingenden Schluss zuließen, das sich der Missbrauch so zugetragen und daher nur die Verdachtsdiagnose einer PTBS gestellt habe. Die entgegenstehende Stellungnahme der behandelnden Psychotherapeutin, die keine Facharztausbildung habe und deren Stellungnahmen jegliche professionelle Distanz vermissen ließen, hätten dagegen nicht überzeugt. Die Angaben der Klägerin außerhalb des Kerngeschehens hätten sich ebenfalls nicht bestätigen lassen, so das Vorbringen, ihr Bruder M. sei zugegen gewesen, als ihr Vater auf dem Sterbebett Hinweise auf die Missbrauchshandlungen gegeben habe. Auch das Kerngeschehen, nämlich dass ihr Bruder M. teilweise bei den Missbrauchshandlugen zugegen gewesen sei, habe dieser nicht bestätigt. Die Zeugin S. habe das Klagevorbringen ebenfalls nicht bestätigt, wobei nichts gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben spreche. Die vorgelegten Fotos bewiesen zwar ein gewisses Näheverhältnis der abgebildeten Personen, aber nichts darüber hinaus. Die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG führe zu keinem anderen Ergebnis, da die Klägerin ausdrücklich zugebe, keine Angaben machen zu können, da sie sich nicht erinnere. Es halte die Schilderung der Klägerin hinsichtlich der einschießenden Bilder und des angegebenen Inhalts durchaus für glaubhaft. Dies ändere nichts daran, dass mit diesen Bildern nicht der Nachweis eines tatsächlichen Geschehensablaufs in der Vergangenheit geführt werden könne.
18 
Gegen das am 16. April 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Mai 2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Die Zeugen seien nicht glaubwürdig. Der Zeuge B. habe nicht bekennen wollen, selbst Missbrauchsopfer zu sein. Er habe ihr einen Brief geschrieben und erklärt, „…auch ich habe mir in den letzten Jahren die gleichen Fragen gestellt, wie du“. Die Zeugin S. habe sich in einem Interessenkonflikt befunden. Die vorgelegten Fotos belegten eindeutig einen mehr als vertrauten Umgang zwischen ihrer Mutter, Onkel H. und ihr selbst. Sie habe durchaus Erinnerungen, verspüre aber ein innerliches Redeverbot im Sinne eines Schweigegebots. Mit Schriftsatz vom Juni 2014 hat sie über ihre neue Bevollmächtigte mitgeteilt, einige Vorgänge schildern zu können. Sie erinnere sich an einen Urlaub in einem Waldgebiet, den sie gemeinsam mit ihrer Mutter und Onkel H. verbracht habe. Man habe in einer gemieteten Hütte gewohnt. Onkel H. habe sie im kindlichen Alter gebadet und danach ihre Genitalien untersucht. Sie erinnere sich an einen Übergriff im Gartenzimmer am Ende des Elternhauses. Onkel H. sie damals dort im kindlichen Alter aufgesucht, sei zu ihr ans Bett gekommen und habe ihr etwas aus einem Schnapsglas zu trinken gegeben. Er habe sich zu ihr ins Bett gelegt und sie am Körper berührt. Sie sei unbekleidet zurückgeblieben und habe in den Morgenstunden starke Übelkeit verspürt. Im Alter von 14 Jahren hätten sich die Übergriffe des Onkels gesteigert. An einem Tag habe sie sich im Schlafzimmer der Eltern befunden. Onkel H. habe das Zimmer betreten, sie gepackt, auf die Bettseite der Mutter geworfen und sich auf sie gelegt. Er habe ihr im Alter von 14 Jahren die Arme festgehalten und einen Zungenkuss gegeben. Sodann habe er sie gegen ihren erkennbaren Willen zwischen den Beinen berührt. Erst durch die massive Gegenwehr habe er von ihr abgelassen.
19 
Die Klägerin beantragt,
20 
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 aufzuheben und eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen,
21 
hilfsweise, eine rezidivierende depressive Störung bei aktuell nicht vorhandener depressiver Episode und unter schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen.
22 
Der Beklagte beantragt,
23 
die Berufung zurückzuweisen.
24 
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig. Der Rückschluss von einer Diagnose auf ein ursächliches schädigendes Ereignis sei nicht möglich. Es gebe keine Zeugenaussagen, die die behaupteten Missbrauchshandlungen bestätigten.
25 
Zuletzt hat die Klägerin einen Behandlungsbericht von Dr. E., Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über ambulante Behandlungen am 2. Oktober sowie 6. und 18. November 2014 vorgelegt. Darin wird eine stationäre Traumatherapie empfohlen, deren Voraussetzung aber eine stabile Abstinenz von Benzodiazepinen und kein laufendes Rentenverfahren sei. Die Klägerin strebe die Verlängerung der 2015 auslaufenden Rente wegen voller Erwerbsminderung an. Einen zunächst gestellten Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens hat die Klägerin zurückgenommen.
26 
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 21.04.2015 gehört. Sie hat bekundet, sie könne nunmehr Vorfälle schildern, an die sie sich erinnere. Diese habe ihr nicht ihr Vater berichtet. Der schlimmste Vorfall sei im Alter von ca. 10 Jahren gewesen. Sie habe, bekleidet mit einem Unterhemd, auf einem Tisch gekniet und ein Mann, sie wisse nicht wer, habe einen Finger in ihre Scheide eingeführt. Sie erinnere sich daran, dass Onkel H. wiederholt verlangt habe, dass sie ihre Unterhose ausziehe, um zu sehen, ob sie sauber sei. Er habe sie oft in ihrem Kinderzimmer aufgesucht, ohne dass jemand dies bemerkt habe. Sie könne sich erinnern, mehrfach in ihrem Zimmer in eine Decke gehüllt sitzend aufgewacht und nicht mehr in ihrem Bett gewesen zu sein. Onkel H. habe sein Auto hinter dem Haus geparkt. Er habe auch einen Hausschlüssel gehabt. Als sie ein anderes Zimmer näher bei ihren Großeltern bezogen habe, habe Onkel H. öfter mit ihr sog. Spritztouren gemacht, d. h., er habe sie im Auto mitgenommen. Sie sei mehrmals mit ihrer Mutter und Onkel H. ohne ihren Vater in den Urlaub gefahren. Dort habe Onkel H. sie oft gebadet und gewaschen. Als sie 12 Jahre alt gewesen sei, habe er ihr einmal auf der Strandpromenade die Schleifen der Bikinihose aufgezogen und sie habe ohne Hose dagestanden. Sie könne sich erinnern, dass sie ihn habe anfassen müssen. Er sei ausgezogen gewesen und sie habe sein Glied streicheln müssen. Er sei auch mehrfach, wohl mit den Händen, in sie eingedrungen. Er habe große, stark dunkel behaarte Hände gehabt, wie ein Affe.
27 
Bei der angeblichen Blinddarmoperation im Alter von 12 Jahren sei sie gynäkologisch untersucht worden, obwohl sie nicht weit entwickelt gewesen sei. Sie habe danach eine kleine Narbe gehabt und eine Menstruationsblutung. Man habe ihr erklärt, wie sie eine Binde verwende.
28 
Es habe ein Redeverbot gegeben. Onkel H. habe gesagt, wenn sie ihrer Mutter etwas erzähle, müsse diese sterben. Sie habe das geglaubt, weil ihre Mutter Herzanfälle gehabt habe und sie von ihr abgeschirmt worden sei. Man sei öfter über die sog. Lügenbrücke im Ort spazieren gegangen und ihr sei gesagt worden, wenn sie lüge, breche die Brücke zusammen. Im Alter von ca. 8 Jahren habe sie ihrem Kindermädchen, der Zeugin S., berichtet, dass sie Blut in der Unterhose habe. Diese habe gesagt, das müsse vom Schaukeln kommen. Sie habe auch öfter gesagt, sie wisse ja Bescheid, müsse doch aber immer wieder dorthin kommen. Mit ca. 8 Jahren habe sie bei ihrer Tante G., die sie als Vertrauensperson angesehen habe, auf eine mit PVC bezogene Kommode einen Mann gemalt, der ein Kind anfasse. Tante G. habe mit ihr geschimpft. Mit 15 Jahren habe sie ihren ersten Freund gehabt. Sie wisse nicht, ob sie mit ihm intim gewesen sei. Er sei zu ihrer Mutter gegangen und habe gesagt, mit ihr stimme etwas nicht. Danach habe sie ihn nicht mehr gesehen. Die von Frau C. beschriebenen Gruppenvergewaltigungen mehrerer Erwachsener mit mehreren kindlichen Opfern seien Flashbacks gewesen. Sie könne nicht sagen, ob es wirkliche Erinnerungen seien.
29 
Manchmal seien Erinnerungen gleich weggewesen, das könne an den Medikamenten gelegen haben. Sie wisse nicht, warum das Redeverbot bis heute noch wirke.
30 
Ihr Bruder M. sei bei der Lebensbeichte des Vaters nicht die ganze Zeit anwesend gewesen, weil er habe arbeiten müssen. Er sei selbst stark traumatisiert, sei lange untergetaucht gewesen und habe Alkoholprobleme gehabt. Die Zeugin S. sei zu ihrer Zeugenvernehmung von Onkel H. Sohn M. begleitet worden. Vielleicht habe sie deshalb nicht die Wahrheit gesagt.
31 
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ein Schreiben an den Senat vorgelegt.
32 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 21.04.2015, auf die Prozessakten beider Instanzen, den Verwaltungsvorgang des Beklagten, die Schwerbehindertenakte und die Akten des AG H. zu Az. 1 F 646/07 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

(1) Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die herbeigeführt worden sind durch

a)
eine unmittelbare Kriegseinwirkung,
b)
eine Kriegsgefangenschaft,
c)
eine Internierung im Ausland oder in den nicht unter deutscher Verwaltung stehenden deutschen Gebieten wegen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit,
d)
eine mit militärischem oder militärähnlichem Dienst oder mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Straf- oder Zwangsmaßnahme, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist,
e)
einen Unfall, den der Beschädigte auf einem Hin- oder Rückweg erleidet, der notwendig ist, um eine Maßnahme der Heilbehandlung, eine Badekur, Versehrtenleibesübungen als Gruppenbehandlung oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 26 durchzuführen oder um auf Verlangen eines zuständigen Leistungsträgers oder eines Gerichts wegen der Schädigung persönlich zu erscheinen,
f)
einen Unfall, den der Beschädigte bei der Durchführung einer der unter Buchstabe e aufgeführten Maßnahmen erleidet.

(3) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(4) Eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte Schädigung gilt nicht als Schädigung im Sinne dieses Gesetzes.

(5) Ist der Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben, so erhalten seine Hinterbliebenen auf Antrag Versorgung. Absatz 3 gilt entsprechend.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

(1) Solange Beschädigte infolge der Schädigung hilflos sind, wird eine Pflegezulage von 376 Euro (Stufe I) monatlich gezahlt. Hilflos im Sinne des Satzes 1 sind Beschädigte, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfen. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder Anleitung zu den in Satz 2 genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muß, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist. Ist die Gesundheitsstörung so schwer, daß sie dauerndes Krankenlager oder dauernd außergewöhnliche Pflege erfordert, so ist die Pflegezulage je nach Lage des Falles unter Berücksichtigung des Umfangs der notwendigen Pflege auf 642, 916, 1 174, 1 524 oder 1 876 Euro (Stufen II, III, IV, V und VI) zu erhöhen. Für die Ermittlung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage sind die in der Verordnung zu § 30 Abs. 17 aufgestellten Grundsätze maßgebend. Blinde erhalten mindestens die Pflegezulage nach Stufe III. Hirnbeschädigte mit einem Grad der Schädigungsfolgen von 100 erhalten eine Pflegezulage mindestens nach Stufe I.

(2) Wird fremde Hilfe im Sinne des Absatzes 1 von Dritten aufgrund eines Arbeitsvertrages geleistet und übersteigen die dafür aufzuwendenden angemessenen Kosten den Betrag der pauschalen Pflegezulage nach Absatz 1, wird die Pflegezulage um den übersteigenden Betrag erhöht. Leben Beschädigte mit ihren Ehegatten, Lebenspartnern oder einem Elternteil in häuslicher Gemeinschaft, ist die Pflegezulage so zu erhöhen, dass sie nur ein Viertel der von ihnen aufzuwendenden angemessenen Kosten aus der pauschalen Pflegezulage zu zahlen haben und ihnen mindestens die Hälfte der pauschalen Pflegezulage verbleibt. In Ausnahmefällen kann der verbleibende Anteil bis zum vollen Betrag der pauschalen Pflegezulage erhöht werden, wenn Ehegatten, Lebenspartner oder ein Elternteil von Pflegezulageempfängern mindestens der Stufe V neben den Dritten in außergewöhnlichem Umfang zusätzliche Hilfe leisten. Entstehen vorübergehend Kosten für fremde Hilfe, insbesondere infolge Krankheit der Pflegeperson, ist die Pflegezulage für jeweils höchstens sechs Wochen über Satz 2 hinaus so zu erhöhen, dass den Beschädigten die pauschale Pflegezulage in derselben Höhe wie vor der vorübergehenden Entstehung der Kosten verbleibt. Die Sätze 2 und 3 gelten nicht, wenn der Ehegatte, Lebenspartner oder Elternteil nicht nur vorübergehend keine Pflegeleistungen erbringt; § 40a Abs. 3 Satz 3 gilt.

(3) Während einer stationären Behandlung wird die Pflegezulage nach den Absätzen 1 und 2 Empfängern von Pflegezulage nach den Stufen I und II bis zum Ende des ersten, den übrigen Empfängern von Pflegezulage bis zum Ablauf des zwölften auf die Aufnahme folgenden Kalendermonats weitergezahlt.

(4) Über den in Absatz 3 bestimmten Zeitpunkt hinaus wird die Pflegezulage während einer stationären Behandlung bis zum Ende des Kalendermonats vor der Entlassung nur weitergezahlt, soweit dies in den folgenden Sätzen bestimmt ist. Beschädigte erhalten ein Viertel der pauschalen Pflegezulage nach Absatz 1, wenn der Ehegatte, Lebenspartner oder der Elternteil bis zum Beginn der stationären Behandlung zumindest einen Teil der Pflege wahrgenommen hat. Daneben wird die Pflegezulage in Höhe der Kosten weitergezahlt, die aufgrund eines Pflegevertrages entstehen, es sei denn, die Kosten hätten durch ein den Beschädigten bei Abwägung aller Umstände zuzumutendes Verhalten, insbesondere durch Kündigung des Pflegevertrages, vermieden werden können. Empfänger einer Pflegezulage mindestens nach Stufe III erhalten, soweit eine stärkere Beteiligung der schon bis zum Beginn der stationären Behandlung unentgeltlich tätigen Pflegeperson medizinisch erforderlich ist, abweichend von Satz 2 ausnahmsweise Pflegezulage bis zur vollen Höhe nach Absatz 1, in Fällen des Satzes 3 jedoch nicht über den nach Absatz 2 Satz 2 aus der pauschalen Pflegezulage verbleibenden Betrag hinaus.

(5) Tritt Hilflosigkeit im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 gleichzeitig mit der Notwendigkeit stationärer Behandlung oder während einer stationären Behandlung ein, besteht für die Zeit vor dem Kalendermonat der Entlassung kein Anspruch auf Pflegezulage. Für diese Zeit wird eine Pflegebeihilfe gezahlt, soweit dies in den folgenden Sätzen bestimmt ist. Beschädigte, die mit ihren Ehegatten, Lebenspartnern oder einem Elternteil in häuslicher Gemeinschaft leben, erhalten eine Pflegebeihilfe in Höhe eines Viertels der pauschalen Pflegezulage nach Stufe I. Soweit eine stärkere Beteiligung der Ehegatten, Lebenspartner oder eines Elternteils oder die Beteiligung einer Person, die den Beschädigten nahesteht, an der Pflege medizinisch erforderlich ist, kann in begründeten Ausnahmefällen eine Pflegebeihilfe bis zur Höhe der pauschalen Pflegezulage nach Stufe I gezahlt werden.

(6) Für Beschädigte, die infolge der Schädigung dauernder Pflege im Sinne des Absatzes 1 bedürfen, werden, wenn geeignete Pflege sonst nicht sichergestellt werden kann, die Kosten der nicht nur vorübergehenden Heimpflege, soweit sie Unterkunft, Verpflegung und Betreuung einschließlich notwendiger Pflege umfassen, unter Anrechnung auf die Versorgungsbezüge übernommen. Jedoch ist den Beschädigten von ihren Versorgungsbezügen zur Bestreitung der sonstigen Bedürfnisse ein Betrag in Höhe der Beschädigtengrundrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100 und den Angehörigen ein Betrag mindestens in Höhe der Hinterbliebenenbezüge zu belassen, die ihnen zustehen würden, wenn Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben wären. Bei der Berechnung der Bezüge der Angehörigen ist auch das Einkommen der Beschädigten zu berücksichtigen, soweit es nicht ausnahmsweise für andere Zwecke, insbesondere die Erfüllung anderer Unterhaltspflichten, einzusetzen ist.

Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung*als deren Bestandteil festgelegt.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

(1) Die Versorgung nach diesem Gesetz obliegt den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden. Ist der Bund Kostenträger, so sind zuständig

1.
wenn der Geschädigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem Land hat, die Behörden dieses Landes; es finden die Übergangsregelungen gemäß § 4 Absatz 2 und 3 beschränkt auf die Zuständigkeit der Behörde entsprechend Anwendung, davon ausgenommen sind Versorgungen bei Schädigungen an einem Ort im Ausland,
2.
wenn der Geschädigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes hat, die Behörden des Landes, das die Versorgung von Kriegsopfern in dem Wohnsitz- oder Aufenthaltsland durchführt.
Abweichend von Satz 2 Nummer 2 sind, wenn die Schädigung auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug eingetreten ist, die Behörden des Landes zuständig, in dem das Schiff in das Schiffsregister eingetragen ist oder in dem der Halter des Luftfahrzeugs seinen Sitz oder Wohnsitz hat.

(2) Die örtliche Zuständigkeit der Behörden bestimmt die Landesregierung durch Rechtsverordnung.

(3) Das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, mit Ausnahme der §§ 3 bis5,sowie die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes über das Vorverfahren sind anzuwenden.

(4) Absatz 3 gilt nicht, soweit die Versorgung in der Gewährung von Leistungen besteht, die den Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach den §§ 25 bis 27h des Bundesversorgungsgesetzes entsprechen.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt die Anerkennung, Opfer schädigender Ereignisse in Form von sexuellem Missbrauch zwischen 1966 und 1978 geworden zu sein und infolgedessen unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bzw. einer rezidivierenden depressiven Störung und schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen zu leiden.
Die am ... Januar 1962 geborene Klägerin zog im Alter von 16 Jahren aus dem Elternhaus aus, wo sie bis dahin mit zwei älteren und einem jüngeren Bruder aufgewachsen war. Sie machte den Hauptschulabschluss, danach zunächst eine Ausbildung zur Kinderpflegerin, später zur Wochenpflegerin, Arzthelferin und Krankenschwester. Im Jahr 1980 heiratete sie und bekam drei Kinder, geboren 1981, 1984 und 1988. Sie war erwerbstätig als Arzthelferin, als Nachtwache im Krankenhaus, als Kinderpflegerin und als sozialpädagogische Familienhelferin. 1985 kollabierte sie während eines Nachtdienstes, litt anschließend unter Schlafstörungen, Kraftlosigkeit, Appetitstörungen und machte eine Kur in Bad S. wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände und damals fraglicher depressiver Episode. 1992 führte sie eine Mutter-Kind-Kur in C. wegen starker Erschöpfung durch, ob eine depressive Episode vorlag, ist nicht unbekannt (GA Dr. F. Bl. 68 SG-Akte). Sie machte zahlreiche Fortbildungen: Im März 2004 bildete sie sich im Selbststudium zur beratenden Kinderpsychologin (nicht anerkannt) fort, im selben Jahr besuchte sie den Fachtag Dokumentation und Beobachtung in der offenen Kita-Arbeit, 2007 den Fachtag Suchtprobleme am Arbeitsplatz, wurde Betriebshelferin für Erste Hilfe, nahm an einer Veranstaltung zum Thema: „riskante Kinderwelten brauchen Schutz“ teil, am Fachtag Suchtprävention, am G.-V. Kinder und Jugendliche in der Schule, 2008 am Fachtag frühe Hilfen im O. sowie an der Fortbildung: „Risikoverhalten in der Pubertät“.
Im Jahr 2006 wurde die Ehe geschieden. Von 2008 bis 2013 führte die Klägerin eine Klage vor dem Amtsgericht H. (AG) wegen nachehelichen Ehegattenunterhalts, in dessen Verlauf sie zwecks Feststellung des Umfangs ihrer Erwerbsfähigkeit mehrfach u. a. von PD Dr. F. (aufgrund der partiellen Amnesie könne die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden, es spräche mehr gegen die Diagnose einer PTBS) begutachtet wurde. Seit 1. Februar 2009 bezieht sie unbefristet Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Bescheid Bl. 62 VV), zwischenzeitlich auch eine bis 2015 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung (Entlassbericht Bl. 137 Senatsakte). In seinem Gutachten für die D. R. vom 28. April 2009 stellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. die Diagnosen einer PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, eines psychophysischen Erschöpfungszustands und einer reaktiven Depression. Über die ersten 16 Jahre ihres Lebens habe die Klägerin keine Erinnerung, was sie berichte, habe sie von Angehörigen erfahren. Im Alter von drei Jahren habe sie wohl an einer Enzephalitis und Meningitis gelitten, Unterlagen gebe es in der Kinderklinik in G. nicht mehr. Anschließend seien regelmäßig Elektroenzephalogramme (EEGs) abgeleitet worden und sie habe bis etwa zum 15. Lebensjahr Mylepsinum einnehmen müssen. Ihr sei berichtet worden, sie habe von 1968 bis 1977 die Grund- und Hauptschule in D. besucht. Man habe ihr berichtet, sie habe keine Klassenarbeiten mitschreiben dürfen, da sie sich nicht aufregen oder freuen dürfe.
Nach der Geburt ihres Sohnes K. 1984 sei sie Anfang 1985 während eines Nachtdienstes zusammengebrochen. Sie sei zur Kur nach Bad S. gekommen. Darüber gebe es keine Unterlagen. Nach der Schwangerschaft mit ihrer Tochter 1988 habe sie ein „normales“ Leben gelebt. Bis 1994 sei sie psychisch relativ stabil gewesen, sie habe „funktioniert“. Im Rahmen einer schweren Erkrankung ihres Sohnes K. - schwere Operation mit protrahiertem Verlauf nach Platzen eines Meckel´schen Divertikels - sei der Verdacht entstanden, die Heilung des Sohnes verzögere sich oder werde unmöglich durch ihre eigenen Ängste. Daraufhin sei sie zu Dr. T. in Psychotherapie gegangen. Im Dezember 1995 sei ihr Vater gestorben und habe ihr zuvor am Sterbebett eröffnet, sie sei vom Liebhaber ihrer Mutter sexuell missbraucht worden. Anschließend habe sie sich in Therapie bei Psychotherapeutin (nach dem Heilpraktikergesetz - HPG) C. begeben. Im Rahmen der Therapie habe sich herausgestellt, dass sie wohl innerfamiliär in der Kindheit über Jahre hinweg sexuelle Missbrauchserfahrungen erlitten habe, in deren Folge es zu Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen gekommen sei.
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. stellte in seinem Gutachten für das AG vom 9. November 2008 die Diagnosen histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen (ICD-10 F 60.4, F 43.1), berichtete depressive Stimmungsschwankungen und zurückliegende Essstörung (derzeit nicht aktuell). Allgemeine Erschöpfungszustände, Stimmungsschwankungen und zugleich eher fahrige Schilderungen ließen sich unter einer histrionischen Strukturierung einordnen. Zwar kämen dissoziative Störungen auch bei einer PTBS vor, der anamnestische Kontext spreche aber weniger für die Zuordnung zu einer PTBS. Anhaltende Erinnerungen, eindeutiges und spezifisches Wiedererleben eines früheren Traumas, aufdringliche Nachhallerinnerungen würden nicht berichtet, auch kein Vermeidungsverhalten, etwa gegenüber Situationen, die Flashbacks hervorriefen oder mit der Belastungssituation in Zusammenhang gebracht würden. Sie berichte über gynäkologische Untersuchungen, die ganz komisch gewesen seien. Es sei ihr noch völlig unklar, was überhaupt passiert sei. Ihre Amnesie werde inzwischen nur partiell durchbrochen, sie habe viel erfahren, was für andere unvorstellbar sei. Hierbei assoziiere sie allerdings weniger eigene Missbrauchserfahrungen als vielmehr die Besonderheiten in ihrer Familienstruktur, die „Männerbeziehungen“ der Mutter, wo auch noch „der Vater gegenüber“ gesessen habe. Auffällig sei, dass sie - im Zusammenhang etwas abrupt - darauf zu sprechen gekommen sei, vom Vater nicht missbraucht worden zu sein.
Gegenüber dem Gutachter Dr. S. gab die Klägerin am 8. September 2008 an, sie habe bis zum 16. Lebensjahr überhaupt keine Erinnerung an ihr Leben. Das sei alles nur erforscht und berichtet.
PD Dr. F. stellte in seinem Gutachten vom 25. Oktober 2010 an das AG die Diagnose einer PTBS, differentialdiagnostisch einer generalisierten Angststörung. Das Trauma-A-Kriterium sei durch die psychiatrische Exploration nicht zu beweisen. Es bestünden deutliche Hinweise auf eine frühkindliche Traumatisierung. Aufgrund der Amnesie könne jedoch die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden. Ein False-memory-Syndrome liege nicht vor, denn die Symptomatik sei nicht durch genaue Befragungen und Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen, sondern durch die Berichte des sterbenden Vaters ausgelöst worden. Bis zum Alter von 16 Jahren habe sie zunächst keinerlei Erinnerungen an ihr Leben gehabt. Alles was sie heute wisse, seien Inhalte aus Erzählungen anderer und Erinnerungsbruchstücke, die sie in langen Jahren der Psychotherapie mit plötzlich einschießenden Bildern und nachfolgendem intensivem Nachforschen erfahren habe. Sie habe keinen Sport und keine Prüfungen machen dürfen, da man unter jeder Art von Stress einen epileptischen Anfall befürchtet habe. Die Kommunion habe sie allein erhalten, der Pfarrer habe die Beichte bei ihr zu Hause abgenommen. Sie habe teilweise bis zu 15 Medikamente bekommen. Mit 12 oder 13 Jahren sei sie innerhalb des Hauses zu ihren Großeltern mütterlicherseits gezogen und von diesen weiter aufgezogen worden. Mit 16 sei sie zu Hause ausgezogen, seitdem habe sie regelmäßige Erinnerungen an ihr Leben. Bis 1995 habe sie keine Alpträume und keine belastenden Bilder, die sie überfielen, gehabt. Ihr Vater habe ihr kurz vor seinem Tod viel Belastendes aus ihrer Kindheit und Jugend erzählt. Er habe berichtet, Onkel H. habe ihr etwas Schlimmes angetan, er habe ihr weh getan und etwas getan, was man Kindern nicht antun sollte. Er, der Vater, habe sie nicht schützen können, nicht den Mut gehabt und sich in seine Arbeit gestürzt. Es habe viele wechselnde Liebhaber der Mutter gegeben. Diese seien nach Vermutung der Klägerin ebenfalls fragliche Täter sexuellen Missbrauchs an ihr. Die Berichte ihres Vaters hätten einige Bilder zusammengeführt, die in ihrem Kopf gewesen seien und mit denen sie bis dahin nichts habe anfangen können. Leider erinnere sie sich heute nicht mehr genau an alles, was ihr Vater ihr erzählt habe. Nach dem Tod des Vaters seien ihr immer wieder belastende Bilder in den Kopf gedrängt. Inzwischen erinnere sie sich an mehrfachen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Sie habe eine Erinnerung an eine Vergewaltigung, gegen die sie sich gewehrt habe, als er sie im Schlafzimmer der Eltern aufs Bett gelegt und festgehalten habe. Sie habe ihn gebissen und versucht, ihn zu schlagen. Während der einschießenden Bilder höre sie oft seine Sprüche von Onkel H.. Er habe sie „Bettchen“ genannt, wenn sie zu ihm habe kommen sollen. Er habe gesagt, sie solle zu ihm kommen, um eine „Spritztour“ zu machen. Das sei ein Synonym für sexuelle Handlungen gewesen. Im Alter von 5 Jahren habe sie sich beim Arzt geweigert, sich auszuziehen. Ihre Mutter habe zu dem Arzt gesagt, er müsse sagen, sie solle „Striptease“ machen, dann würde sie sich ausziehen. Daher denke sie, dass zu diesem Zeitpunkt schon vieles vorgefallen sei, was mit sexuellem Missbrauch zu tun habe. Zur späteren Narkose bei der Tonsillektomie habe man sie festhalten müssen, weil sie getobt habe. Sie habe auch Erinnerungen an sexuelle Belästigungen der Haushälterin und der Freundin ihres Bruders durch Onkel H. sowie sexuelle Handlungen zwischen diesem und der Mutter auf der Wohnzimmercouch, während sie, ihre Geschwister und der Vater anwesend gewesen seien. 1996 habe sie Onkel H. gesucht, aber nicht gefunden. Ihre Familie sei nicht bereit gewesen, über die Vergangenheit zu sprechen, habe gesagt, dass sie verrückt sei. 2003 habe sie den Kontakt zu ihrer Primärfamilie aufgrund der immer vermehrt auftretenden Kindheitserinnerungen abgebrochen. An aktuellen Beschwerden habe sie berichtet, belastende Bilder würden einschießen. Sie sehe z. B. die Gestalt ihrer Patentante, auch Onkel H. mit dunklen Haaren, sehe seine Hände, höre seine Stimme. Sie habe auch schon die Form einer Flasche gesehen. Nachforschungen hätten ergeben, dass dies eine Whiskyflasche der Marke „Racke rauchzart“ sei. Ihre Mutter habe oft gesagt, sie müsse noch „Racke rauchzart“ kaufen. Sie sehe Bilder von sich im Kindes- und Jugendalter aus verschiedenen Perspektiven, neben sich, über sich oder aus ihren eigenen Augen, als sei sie selbst beteiligt. Sie habe sich in einer Ecke mit einer Decke über sich gesehen, so als habe sie sich schützen wollen. Sie habe auch immer wieder Bilder aus einem Behandlungszimmer in einem Krankenhaus gesehen. Wenn sie viele Bilder von sexuellem Missbrauch überfielen, hätten diese oft mit Onkel H. zu tun. Einmal habe sie während der Begutachtung berichtet, ein Bild würde immer wieder kommen und dann vor ihren Augen stehen bleiben. Es habe mit einem sexuellen Missbrauch an ihr zu tun, genauer könne sie es nicht beschreiben.
2004 nahm sie den dritten Vornamen P. an, 2007 machte sie diesen dritten Vornamen zum Rufnamen, nahm zwei weitere Vornamen an und behielt den Ehenamen als Nachnamen, heißt somit nun nicht mehr B. B., sondern P. D., geb. D..
Die Klägerin litt im Kleinkindalter an einer Meningoenzephalitis (Gehirnentzündung/Hirnhautentzündung) im Alter von drei Jahren, weshalb bis zum 16. Lebensjahr eine Therapie mit Primidon, einem Antikonvulsivum, durchgeführt wurde (Bericht Epilepsiezentrum K. vom 26. September 1993, betr. den Sohn der Klägerin K. D., Anlagenkovolut zur AG-Akte). Sie führte in den Jahren 1984 und 1992 stationäre Reha-Maßnahmen wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände durch. Vom 19. Dezember 2000 bis 4. Januar 2001 war sie in stationärer psychotherapeutischer Behandlung in der H. Bad Z., wegen eines Erschöpfungszustands infolge von „harter Arbeit in ambulanter Psychotherapie“, in der sie traumatische Erlebnisse in ihrer Kindheit bearbeitet habe. Dort wurde die Diagnose einer rezidivierenden mittelgradigen depressiven Störung und die Verdachtsdiagnose einer psychogenen Amenorrhoe seit 1998 gestellt (Bl. 14 VV). Ab Mai 1994 führte sie eine Psychotherapie bei Dr. T., Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, durch, seit August 1996 bei M. C., Psychotherapeutin nach dem HPG (ohne Kassenzulassung). Frau C. gab in einer Stellungnahme vom 15. August 2008 gegenüber dem Beklagten an, die Klägerin leide an Depressionen infolge schwerer Anpassungsstörungen, aufgrund über Jahre fortgesetzter schwerster Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, in deren Folge es zu Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen gekommen sei. Als Kind seien ihr Psychopharmaka, zeitweilig in Verbindung mit Alkohol, verabreicht worden. Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit März 2008 anerkannt (Bescheid vom 17. Dezember 2008, Bl. 23 VV).
10 
Am 4. Februar 2009 stellte sie über den Weißen Ring einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Der Weiße Ring gab darin an, die Klägerin sei in ihrer Kindheit Opfer eines schweren sexuellen Missbrauchs geworden. Dies führe dazu, dass sie an ca. 16 Lebensjahre keine Erinnerung habe. In langjährigen Therapien seien als Ursache hierfür Geschehnisse in der Kindheit ermittelt worden. In ihrem Antrag gab die Klägerin als schädigendes Ereignis an: sexueller Missbrauch, ca. 1965 – 1978, “als Gesundheitsstörung eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Amnesie von ca. 16 Lebensjahren, keine Zeugen, Namen der schädigenden Personen nicht bekannt“. Mit Bescheid vom 23. März 2009 wurde der Antrag abgelehnt (Bl. 28 VV). Es sei nicht objektiv nachgewiesen, dass die Klägerin Opfer einer Gewalttat geworden sei. Die Beweiserleichterung für den Fall, dass unverschuldet kein Nachweis erbracht und keine Zeugen benannt werden könnten, greife nicht ein, weil die Klägerin den Sachverhalt aufgrund der Amnesie nicht aus eigener Erinnerung beschreiben könne. Die ärztlichen Befundberichte reichten für eine Beweisführung nicht aus, weil aus dem vorliegenden psychiatrischen Störungsbild keine Rückschlüsse auf ein spezifisches Ereignis gezogen werden könnten und kein Profil psychiatrischer Symptome eindeutig auf eine traumatische Vergangenheit hinweise.
11 
Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. E. vor (Bl. 57 VV), der sie seit 1997 betreute. Demnach stehe im Vordergrund der zweimal monatlichen Konsultationen ein psycho-physischer Erschöpfungszustand bei posttraumatischer Belastungsstörung nach kindlicher Missbrauchserfahrung. Sie könne sich an Einzelheiten in ihrer Kindheit und Jugend nicht erinnern. Diese seien erst nach mehrjährigen mehrfachen Psychotherapien in einem extrem belastenden Prozess wieder aufgetaucht. Sie leide häufig unter ausgeprägter körperlicher Schwäche und somatischen Beschwerden ohne somatisches Korrelat, Bauchschmerzen, Leistenschmerzen, Schmerzen im linken Bein und Sensibilitätsstörungen in der linken Gesichtshälfte. 1999 habe sie bis auf 42 kg abgenommen und in den letzten Jahren bis auf 75 kg zugenommen. Beim Neurologen und Psychiater S. war sie seit 2001 nur in mehrjährigen Abständen. 2001 nahm sie an einer geleiteten Frauengruppe des Vereins „A.“ mit dem Anliegen, eigene Selbstzweifel bezüglich ihrer Gewalterfahrungen zu klären, teil (Bl. 61 VV). Weiterhin legte sie eine Stellungnahme der Frau C. vom 13. Oktober 2009 (Bl. 88 VV) vor. Darin schildert diese die „Geschichte“ der Klägerin, die nicht in der Lage sei, selbst darüber zu berichten. Seit dem Tod des Vaters, der ihr auf dem Sterbebett über Familiengeheimnisse berichtet habe, seien sie und ihr Sohn immer kränker geworden, ohne dass die Ärzte hätten sagen können, was ihr fehle. Der kleinen B. sei ein absolutes Redeverbot unter Androhung härtester Strafen auferlegt worden. „…H. ist der offizielle Liebhaber der Mutter und thront ab 1962 im Wohnzimmer auf dem Sofa neben der Mutter, vor sich eine Flasche Whisky. … Ab kleinster Kindheit (ca. 4 - 5 Jahre) wird P. vom Liebhaber H. sexuell missbraucht. Sie wird auch in fremde Häuser gebracht, man gibt ihr Alkohol und Medikamente, damit sie ruhig bleibt. … Sie wird oral und anal vergewaltigt, regelmäßig, von verschiedenen Männern, wird zeitweise währenddessen fixiert, wird eingesperrt. Andere Kinder sind auch dabei, auch manchmal ihr Bruder M., vor allem eine gleichaltrige Tochter von H.. … Eine zweite Frau scheint allgegenwärtig im System und dokumentiert alles, wie wenn es ein Experiment wäre: Tante G., Schwester des Vaters (medizintechnische Assistentin in einem Versuchslabor). Bei vielen „Experimenten“ an den Kindern waren die Männer als Arzt verkleidet (weißer Kittel und Stethoskop). Damit keine Informationen über die Familie nach außen drängen, werden Kontakte zu anderen Kindern unterbunden, B. darf nicht zum Sport, alles mit der Erklärung, das Kind sei psychisch labil, hätte epileptische Anfälle. Mit 12 Jahren wird B.-P. schwanger, unter dem Vorwand einer Blinddarmoperation wird sie nach N. zu Tante K. gebracht, wo sie „operiert“ wird, wo eine Abtreibung vorgenommen wurde…“. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 83 VV).
12 
Am 10. Juni 2010 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihre Mutter habe an den Missbrauchshandlungen mitgewirkt. Sie selbst habe an ihre ersten 15 bis 16 Lebensjahre kaum oder lediglich bruchstückhafte Erinnerungen. Im Rahmen sogenannter Flashbacks habe sie mit ihrer Therapeutin in langjähriger Therapie zahlreiche Vorfälle sexuellen Missbrauchs zusammentragen können. Ihr Bruder M., dessen Aufenthaltsort sie nicht kenne, sei bei den sexuellen Übergriffen zum Teil zugegen gewesen und habe am Sterbebett des Vaters dessen Berichte mitgehört. Sie habe alles Zumutbare zur Sachverhaltsaufklärung getan, so dass die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG eintrete. Die bei ihr vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergäben eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für sexuellen Missbrauch, auch die nur bruchstückhafte Erinnerung. Dies sei durch Gutachten belegt.
13 
Frau C. hat in ihrer Auskunft an das SG vom 7. Januar 2011 angegeben, es bestehe der Verdacht auf eine PTBS nach ICD-10 F 43.1 und der Verdacht auf dissoziative Amnesien sowie dissoziativen Stupor und dissoziative Bewegungsstörungen nach ICD-10 F 44.0, F 44.2.0 und F 44.7. Man müsse davon ausgehen, dass diese dissoziativen Zustände zur Zeit der Traumatisierung als emotional-physiologische Notlösung des Gehirns entstanden seien, das sonst keine Möglichkeit gehabt habe, die massiven, sadistisch geprägten sexuellen Übergriffe zu bearbeiten. Die ursprüngliche Symptomatik habe bereits darauf hingedeutet, dass sie an den Folgen einer langjährigen schwersten Traumatisierung leide. Zur Stabilisierungsphase habe der totale Bruch mit der Ursprungsfamilie mit Namensänderung 2007 gehört. Ab 1998 seien Erinnerungsfetzen an die Oberfläche gekommen, die allerdings nicht sprachlich, dafür aber mit nonverbalen Methoden hätten aufgedeckt werden können. Bis vor 1 – 2 Jahren habe noch das Redeverbot auf der Klägerin gelastet. Die Schaffung eines Zugangs zum Traumamaterial habe nur mit Hilfe von Psychopharmaka verkraftet werden können, jetzt sei die Klägerin teilweise abhängig von Benzodiazepinen, um sich gegen überflutende traumaartige Bilder zu wehren und schlafen zu können. Bis heute könne keine Traumaexposition durchgeführt werden, weil mit einer erneuten Destabilisierung zu rechnen sei. Die wiederholten Explorationen zur Erstellung von Gutachten hätten jeweils eine schwerwiegende Retraumatisierungssymptomatik provoziert. Die Scheidung 2005 habe neue Belastungsfaktoren in Form einer Unterhaltsklage mit sich gebracht. Im Hintergrund der vorliegenden Auseinandersetzung stehe das Bedürfnis, mit ihrer Geschichte gehört und anerkannt zu werden, damit ihr existentielles Bedürfnis nach Gerechtigkeit gestillt werden könne.
14 
Das SG hat die Klägerin in mündlicher Verhandlung am 16. September 2011 gehört (Niederschrift Bl. 88 SG-Akte). Sie hat angegeben, nach konkreten Erinnerungen an ihre Kinder- und frühe Jugendzeit befragt, könne sie sich tatsächlich nicht an Details, d. h. Gesichter oder Räumlichkeiten oder Sachverhalte erinnern. Vielmehr habe sie aus Erzählungen Dritter, z. B. zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, die sie im Kinder- und Jugendalter gehabt habe, Informationen erhalten. Diese halte sie für die Realität. Hierauf beschränkten sich letztlich ihre “Erinnerungen“ an diese Zeit. Da sie ab dem dritten Lebensjahr wegen ihrer angeblichen Erkrankungen mit Medikamenten versorgt worden sei, nehme sie an, dass die an ihr verübten Taten zu diesem Zeitpunkt begonnen haben müssten.
15 
Das SG hat den Bruder der Klägerin, den Zeugen R.-M. B., Rufname M., und die Haushälterin der Familie, die Zeugin B. S., durch einen ersuchten Richter beim Sozialgericht S. vernehmen lassen. Die Mutter der Klägerin hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Der Zeuge B. hat in seiner Vernehmung angegeben, die Klägerin habe ca. 1964 eine Hirnhautentzündung gehabt und sei dadurch sehr zurückgeworfen gewesen, in der Schule und so. Das habe sich erst in der Lehre gebessert. Sein Vater habe nach 18 Uhr ein Bier oder ein Glas Wein getrunken, er habe ihn aber nicht betrunken erlebt. Die Hausangestellte sei nur stundenweise gekommen. Onkel H., ein weitläufiger Verwandter seines Vaters, habe nicht im Haus gewohnt. Seines Wissens seien keine sexuellen Handlungen an der Klägerin vorgefallen, er habe auch nichts hierüber gehört. Von einer Schwangerschaft der Klägerin ca. 1974 wisse er nichts. Sein Vater habe vor seinem Tod eine Lebensbeichte abgelegt, alles vom Krieg bis zu seinem Sterbedatum erzählt. Über die Klägerin habe er nicht gesprochen. Onkel H. sei öfter nach Feierabend zu Besuch gewesen, allerdings habe er, der Zeuge, da nicht mehr zu Hause gelebt. Gegenstand der Lebensbeichte des Vaters sei auch gewesen, dass der jüngere Bruder M. nicht sein Sohn, sondern Onkel H. dessen Vater sei. Die Zeugin S. hat bekundet, sie habe sich meist abends stundenweise um die Klägerin gekümmert. Onkel H. sei gelegentlich dort im Haus gewesen. Zu einem sexuellen Missbrauch könne sie nichts sagen, weder aus eigenen Wahrnehmungen noch vom Hörensagen. Zu einer Schwangerschaft der Klägerin Mitte der Siebziger Jahre könne sie keine Angaben machen. Sie sei zu diesem Zeitpunkt noch regelmäßig dort gewesen. Ihr sei nichts aufgefallen. Sie habe bis heute Kontakt zur Mutter der Klägerin und dem jüngeren Bruder M..
16 
Die Klägerin hat Fotos vorgelegt (Bl. 253 SG-Akte), auf denen eine von ihr als Onkel H. bezeichnete männliche Person auf einem Sofa neben der Mutter sitzt, neben der Klägerin – beide rauchend – den Arm um sie legend, stehend neben der Zeugin S., die den Arm um ihn legt, Urlaubsbilder und Bilder ihrer Trauung, bei der sie neben Onkel H. zu sehen ist.
17 
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. März 2013 abgewiesen. Ausgangspunkt für die Feststellung eines schädigenden Ereignisses sei das Vorbringen der Klägerin. Bei ihr bestünden an den fraglichen Zeitraum, mithin auch an die geltend gemachten Taten, keine konkreten Erinnerungen. Vorhanden seien lediglich die im Rahmen der Psychotherapie bei Frau C. zutage geförderten bruchstückhaften Erinnerungen, die sich als einschießende Bilder mit belastender psychischer Reaktion darstellten. Dabei sei klar, dass es sich bei den Bildern, die der Klägerin spontan vor Augen träten, nicht um Erinnerungen an konkrete Geschehensabläufe in der Vergangenheit handele, sondern um bildhaft innerpsychische Vorgänge, die einer Interpretation bzw. Deutung bedürften. Daher sei nicht die Frage, ob die Angaben der Klägerin überzeugend und glaubhaft seien, sondern ob diese den Schluss zuließen, dass sich die geltend gemachten Geschehensabläufe tatsächlich zugetragen hätten. Dies sei nach dem Beweisergebnis nicht der Fall. Es schließe sich der Beurteilung des PD Dr. F. an, der dargelegt habe, dass die einschießenden Bilder nicht den zwingenden Schluss zuließen, das sich der Missbrauch so zugetragen und daher nur die Verdachtsdiagnose einer PTBS gestellt habe. Die entgegenstehende Stellungnahme der behandelnden Psychotherapeutin, die keine Facharztausbildung habe und deren Stellungnahmen jegliche professionelle Distanz vermissen ließen, hätten dagegen nicht überzeugt. Die Angaben der Klägerin außerhalb des Kerngeschehens hätten sich ebenfalls nicht bestätigen lassen, so das Vorbringen, ihr Bruder M. sei zugegen gewesen, als ihr Vater auf dem Sterbebett Hinweise auf die Missbrauchshandlungen gegeben habe. Auch das Kerngeschehen, nämlich dass ihr Bruder M. teilweise bei den Missbrauchshandlugen zugegen gewesen sei, habe dieser nicht bestätigt. Die Zeugin S. habe das Klagevorbringen ebenfalls nicht bestätigt, wobei nichts gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben spreche. Die vorgelegten Fotos bewiesen zwar ein gewisses Näheverhältnis der abgebildeten Personen, aber nichts darüber hinaus. Die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG führe zu keinem anderen Ergebnis, da die Klägerin ausdrücklich zugebe, keine Angaben machen zu können, da sie sich nicht erinnere. Es halte die Schilderung der Klägerin hinsichtlich der einschießenden Bilder und des angegebenen Inhalts durchaus für glaubhaft. Dies ändere nichts daran, dass mit diesen Bildern nicht der Nachweis eines tatsächlichen Geschehensablaufs in der Vergangenheit geführt werden könne.
18 
Gegen das am 16. April 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Mai 2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Die Zeugen seien nicht glaubwürdig. Der Zeuge B. habe nicht bekennen wollen, selbst Missbrauchsopfer zu sein. Er habe ihr einen Brief geschrieben und erklärt, „…auch ich habe mir in den letzten Jahren die gleichen Fragen gestellt, wie du“. Die Zeugin S. habe sich in einem Interessenkonflikt befunden. Die vorgelegten Fotos belegten eindeutig einen mehr als vertrauten Umgang zwischen ihrer Mutter, Onkel H. und ihr selbst. Sie habe durchaus Erinnerungen, verspüre aber ein innerliches Redeverbot im Sinne eines Schweigegebots. Mit Schriftsatz vom Juni 2014 hat sie über ihre neue Bevollmächtigte mitgeteilt, einige Vorgänge schildern zu können. Sie erinnere sich an einen Urlaub in einem Waldgebiet, den sie gemeinsam mit ihrer Mutter und Onkel H. verbracht habe. Man habe in einer gemieteten Hütte gewohnt. Onkel H. habe sie im kindlichen Alter gebadet und danach ihre Genitalien untersucht. Sie erinnere sich an einen Übergriff im Gartenzimmer am Ende des Elternhauses. Onkel H. sie damals dort im kindlichen Alter aufgesucht, sei zu ihr ans Bett gekommen und habe ihr etwas aus einem Schnapsglas zu trinken gegeben. Er habe sich zu ihr ins Bett gelegt und sie am Körper berührt. Sie sei unbekleidet zurückgeblieben und habe in den Morgenstunden starke Übelkeit verspürt. Im Alter von 14 Jahren hätten sich die Übergriffe des Onkels gesteigert. An einem Tag habe sie sich im Schlafzimmer der Eltern befunden. Onkel H. habe das Zimmer betreten, sie gepackt, auf die Bettseite der Mutter geworfen und sich auf sie gelegt. Er habe ihr im Alter von 14 Jahren die Arme festgehalten und einen Zungenkuss gegeben. Sodann habe er sie gegen ihren erkennbaren Willen zwischen den Beinen berührt. Erst durch die massive Gegenwehr habe er von ihr abgelassen.
19 
Die Klägerin beantragt,
20 
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 aufzuheben und eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen,
21 
hilfsweise, eine rezidivierende depressive Störung bei aktuell nicht vorhandener depressiver Episode und unter schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen.
22 
Der Beklagte beantragt,
23 
die Berufung zurückzuweisen.
24 
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig. Der Rückschluss von einer Diagnose auf ein ursächliches schädigendes Ereignis sei nicht möglich. Es gebe keine Zeugenaussagen, die die behaupteten Missbrauchshandlungen bestätigten.
25 
Zuletzt hat die Klägerin einen Behandlungsbericht von Dr. E., Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über ambulante Behandlungen am 2. Oktober sowie 6. und 18. November 2014 vorgelegt. Darin wird eine stationäre Traumatherapie empfohlen, deren Voraussetzung aber eine stabile Abstinenz von Benzodiazepinen und kein laufendes Rentenverfahren sei. Die Klägerin strebe die Verlängerung der 2015 auslaufenden Rente wegen voller Erwerbsminderung an. Einen zunächst gestellten Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens hat die Klägerin zurückgenommen.
26 
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 21.04.2015 gehört. Sie hat bekundet, sie könne nunmehr Vorfälle schildern, an die sie sich erinnere. Diese habe ihr nicht ihr Vater berichtet. Der schlimmste Vorfall sei im Alter von ca. 10 Jahren gewesen. Sie habe, bekleidet mit einem Unterhemd, auf einem Tisch gekniet und ein Mann, sie wisse nicht wer, habe einen Finger in ihre Scheide eingeführt. Sie erinnere sich daran, dass Onkel H. wiederholt verlangt habe, dass sie ihre Unterhose ausziehe, um zu sehen, ob sie sauber sei. Er habe sie oft in ihrem Kinderzimmer aufgesucht, ohne dass jemand dies bemerkt habe. Sie könne sich erinnern, mehrfach in ihrem Zimmer in eine Decke gehüllt sitzend aufgewacht und nicht mehr in ihrem Bett gewesen zu sein. Onkel H. habe sein Auto hinter dem Haus geparkt. Er habe auch einen Hausschlüssel gehabt. Als sie ein anderes Zimmer näher bei ihren Großeltern bezogen habe, habe Onkel H. öfter mit ihr sog. Spritztouren gemacht, d. h., er habe sie im Auto mitgenommen. Sie sei mehrmals mit ihrer Mutter und Onkel H. ohne ihren Vater in den Urlaub gefahren. Dort habe Onkel H. sie oft gebadet und gewaschen. Als sie 12 Jahre alt gewesen sei, habe er ihr einmal auf der Strandpromenade die Schleifen der Bikinihose aufgezogen und sie habe ohne Hose dagestanden. Sie könne sich erinnern, dass sie ihn habe anfassen müssen. Er sei ausgezogen gewesen und sie habe sein Glied streicheln müssen. Er sei auch mehrfach, wohl mit den Händen, in sie eingedrungen. Er habe große, stark dunkel behaarte Hände gehabt, wie ein Affe.
27 
Bei der angeblichen Blinddarmoperation im Alter von 12 Jahren sei sie gynäkologisch untersucht worden, obwohl sie nicht weit entwickelt gewesen sei. Sie habe danach eine kleine Narbe gehabt und eine Menstruationsblutung. Man habe ihr erklärt, wie sie eine Binde verwende.
28 
Es habe ein Redeverbot gegeben. Onkel H. habe gesagt, wenn sie ihrer Mutter etwas erzähle, müsse diese sterben. Sie habe das geglaubt, weil ihre Mutter Herzanfälle gehabt habe und sie von ihr abgeschirmt worden sei. Man sei öfter über die sog. Lügenbrücke im Ort spazieren gegangen und ihr sei gesagt worden, wenn sie lüge, breche die Brücke zusammen. Im Alter von ca. 8 Jahren habe sie ihrem Kindermädchen, der Zeugin S., berichtet, dass sie Blut in der Unterhose habe. Diese habe gesagt, das müsse vom Schaukeln kommen. Sie habe auch öfter gesagt, sie wisse ja Bescheid, müsse doch aber immer wieder dorthin kommen. Mit ca. 8 Jahren habe sie bei ihrer Tante G., die sie als Vertrauensperson angesehen habe, auf eine mit PVC bezogene Kommode einen Mann gemalt, der ein Kind anfasse. Tante G. habe mit ihr geschimpft. Mit 15 Jahren habe sie ihren ersten Freund gehabt. Sie wisse nicht, ob sie mit ihm intim gewesen sei. Er sei zu ihrer Mutter gegangen und habe gesagt, mit ihr stimme etwas nicht. Danach habe sie ihn nicht mehr gesehen. Die von Frau C. beschriebenen Gruppenvergewaltigungen mehrerer Erwachsener mit mehreren kindlichen Opfern seien Flashbacks gewesen. Sie könne nicht sagen, ob es wirkliche Erinnerungen seien.
29 
Manchmal seien Erinnerungen gleich weggewesen, das könne an den Medikamenten gelegen haben. Sie wisse nicht, warum das Redeverbot bis heute noch wirke.
30 
Ihr Bruder M. sei bei der Lebensbeichte des Vaters nicht die ganze Zeit anwesend gewesen, weil er habe arbeiten müssen. Er sei selbst stark traumatisiert, sei lange untergetaucht gewesen und habe Alkoholprobleme gehabt. Die Zeugin S. sei zu ihrer Zeugenvernehmung von Onkel H. Sohn M. begleitet worden. Vielleicht habe sie deshalb nicht die Wahrheit gesagt.
31 
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ein Schreiben an den Senat vorgelegt.
32 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 21.04.2015, auf die Prozessakten beider Instanzen, den Verwaltungsvorgang des Beklagten, die Schwerbehindertenakte und die Akten des AG H. zu Az. 1 F 646/07 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt die Anerkennung, Opfer schädigender Ereignisse in Form von sexuellem Missbrauch zwischen 1966 und 1978 geworden zu sein und infolgedessen unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bzw. einer rezidivierenden depressiven Störung und schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen zu leiden.
Die am ... Januar 1962 geborene Klägerin zog im Alter von 16 Jahren aus dem Elternhaus aus, wo sie bis dahin mit zwei älteren und einem jüngeren Bruder aufgewachsen war. Sie machte den Hauptschulabschluss, danach zunächst eine Ausbildung zur Kinderpflegerin, später zur Wochenpflegerin, Arzthelferin und Krankenschwester. Im Jahr 1980 heiratete sie und bekam drei Kinder, geboren 1981, 1984 und 1988. Sie war erwerbstätig als Arzthelferin, als Nachtwache im Krankenhaus, als Kinderpflegerin und als sozialpädagogische Familienhelferin. 1985 kollabierte sie während eines Nachtdienstes, litt anschließend unter Schlafstörungen, Kraftlosigkeit, Appetitstörungen und machte eine Kur in Bad S. wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände und damals fraglicher depressiver Episode. 1992 führte sie eine Mutter-Kind-Kur in C. wegen starker Erschöpfung durch, ob eine depressive Episode vorlag, ist nicht unbekannt (GA Dr. F. Bl. 68 SG-Akte). Sie machte zahlreiche Fortbildungen: Im März 2004 bildete sie sich im Selbststudium zur beratenden Kinderpsychologin (nicht anerkannt) fort, im selben Jahr besuchte sie den Fachtag Dokumentation und Beobachtung in der offenen Kita-Arbeit, 2007 den Fachtag Suchtprobleme am Arbeitsplatz, wurde Betriebshelferin für Erste Hilfe, nahm an einer Veranstaltung zum Thema: „riskante Kinderwelten brauchen Schutz“ teil, am Fachtag Suchtprävention, am G.-V. Kinder und Jugendliche in der Schule, 2008 am Fachtag frühe Hilfen im O. sowie an der Fortbildung: „Risikoverhalten in der Pubertät“.
Im Jahr 2006 wurde die Ehe geschieden. Von 2008 bis 2013 führte die Klägerin eine Klage vor dem Amtsgericht H. (AG) wegen nachehelichen Ehegattenunterhalts, in dessen Verlauf sie zwecks Feststellung des Umfangs ihrer Erwerbsfähigkeit mehrfach u. a. von PD Dr. F. (aufgrund der partiellen Amnesie könne die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden, es spräche mehr gegen die Diagnose einer PTBS) begutachtet wurde. Seit 1. Februar 2009 bezieht sie unbefristet Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Bescheid Bl. 62 VV), zwischenzeitlich auch eine bis 2015 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung (Entlassbericht Bl. 137 Senatsakte). In seinem Gutachten für die D. R. vom 28. April 2009 stellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. die Diagnosen einer PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, eines psychophysischen Erschöpfungszustands und einer reaktiven Depression. Über die ersten 16 Jahre ihres Lebens habe die Klägerin keine Erinnerung, was sie berichte, habe sie von Angehörigen erfahren. Im Alter von drei Jahren habe sie wohl an einer Enzephalitis und Meningitis gelitten, Unterlagen gebe es in der Kinderklinik in G. nicht mehr. Anschließend seien regelmäßig Elektroenzephalogramme (EEGs) abgeleitet worden und sie habe bis etwa zum 15. Lebensjahr Mylepsinum einnehmen müssen. Ihr sei berichtet worden, sie habe von 1968 bis 1977 die Grund- und Hauptschule in D. besucht. Man habe ihr berichtet, sie habe keine Klassenarbeiten mitschreiben dürfen, da sie sich nicht aufregen oder freuen dürfe.
Nach der Geburt ihres Sohnes K. 1984 sei sie Anfang 1985 während eines Nachtdienstes zusammengebrochen. Sie sei zur Kur nach Bad S. gekommen. Darüber gebe es keine Unterlagen. Nach der Schwangerschaft mit ihrer Tochter 1988 habe sie ein „normales“ Leben gelebt. Bis 1994 sei sie psychisch relativ stabil gewesen, sie habe „funktioniert“. Im Rahmen einer schweren Erkrankung ihres Sohnes K. - schwere Operation mit protrahiertem Verlauf nach Platzen eines Meckel´schen Divertikels - sei der Verdacht entstanden, die Heilung des Sohnes verzögere sich oder werde unmöglich durch ihre eigenen Ängste. Daraufhin sei sie zu Dr. T. in Psychotherapie gegangen. Im Dezember 1995 sei ihr Vater gestorben und habe ihr zuvor am Sterbebett eröffnet, sie sei vom Liebhaber ihrer Mutter sexuell missbraucht worden. Anschließend habe sie sich in Therapie bei Psychotherapeutin (nach dem Heilpraktikergesetz - HPG) C. begeben. Im Rahmen der Therapie habe sich herausgestellt, dass sie wohl innerfamiliär in der Kindheit über Jahre hinweg sexuelle Missbrauchserfahrungen erlitten habe, in deren Folge es zu Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen gekommen sei.
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. stellte in seinem Gutachten für das AG vom 9. November 2008 die Diagnosen histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen (ICD-10 F 60.4, F 43.1), berichtete depressive Stimmungsschwankungen und zurückliegende Essstörung (derzeit nicht aktuell). Allgemeine Erschöpfungszustände, Stimmungsschwankungen und zugleich eher fahrige Schilderungen ließen sich unter einer histrionischen Strukturierung einordnen. Zwar kämen dissoziative Störungen auch bei einer PTBS vor, der anamnestische Kontext spreche aber weniger für die Zuordnung zu einer PTBS. Anhaltende Erinnerungen, eindeutiges und spezifisches Wiedererleben eines früheren Traumas, aufdringliche Nachhallerinnerungen würden nicht berichtet, auch kein Vermeidungsverhalten, etwa gegenüber Situationen, die Flashbacks hervorriefen oder mit der Belastungssituation in Zusammenhang gebracht würden. Sie berichte über gynäkologische Untersuchungen, die ganz komisch gewesen seien. Es sei ihr noch völlig unklar, was überhaupt passiert sei. Ihre Amnesie werde inzwischen nur partiell durchbrochen, sie habe viel erfahren, was für andere unvorstellbar sei. Hierbei assoziiere sie allerdings weniger eigene Missbrauchserfahrungen als vielmehr die Besonderheiten in ihrer Familienstruktur, die „Männerbeziehungen“ der Mutter, wo auch noch „der Vater gegenüber“ gesessen habe. Auffällig sei, dass sie - im Zusammenhang etwas abrupt - darauf zu sprechen gekommen sei, vom Vater nicht missbraucht worden zu sein.
Gegenüber dem Gutachter Dr. S. gab die Klägerin am 8. September 2008 an, sie habe bis zum 16. Lebensjahr überhaupt keine Erinnerung an ihr Leben. Das sei alles nur erforscht und berichtet.
PD Dr. F. stellte in seinem Gutachten vom 25. Oktober 2010 an das AG die Diagnose einer PTBS, differentialdiagnostisch einer generalisierten Angststörung. Das Trauma-A-Kriterium sei durch die psychiatrische Exploration nicht zu beweisen. Es bestünden deutliche Hinweise auf eine frühkindliche Traumatisierung. Aufgrund der Amnesie könne jedoch die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden. Ein False-memory-Syndrome liege nicht vor, denn die Symptomatik sei nicht durch genaue Befragungen und Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen, sondern durch die Berichte des sterbenden Vaters ausgelöst worden. Bis zum Alter von 16 Jahren habe sie zunächst keinerlei Erinnerungen an ihr Leben gehabt. Alles was sie heute wisse, seien Inhalte aus Erzählungen anderer und Erinnerungsbruchstücke, die sie in langen Jahren der Psychotherapie mit plötzlich einschießenden Bildern und nachfolgendem intensivem Nachforschen erfahren habe. Sie habe keinen Sport und keine Prüfungen machen dürfen, da man unter jeder Art von Stress einen epileptischen Anfall befürchtet habe. Die Kommunion habe sie allein erhalten, der Pfarrer habe die Beichte bei ihr zu Hause abgenommen. Sie habe teilweise bis zu 15 Medikamente bekommen. Mit 12 oder 13 Jahren sei sie innerhalb des Hauses zu ihren Großeltern mütterlicherseits gezogen und von diesen weiter aufgezogen worden. Mit 16 sei sie zu Hause ausgezogen, seitdem habe sie regelmäßige Erinnerungen an ihr Leben. Bis 1995 habe sie keine Alpträume und keine belastenden Bilder, die sie überfielen, gehabt. Ihr Vater habe ihr kurz vor seinem Tod viel Belastendes aus ihrer Kindheit und Jugend erzählt. Er habe berichtet, Onkel H. habe ihr etwas Schlimmes angetan, er habe ihr weh getan und etwas getan, was man Kindern nicht antun sollte. Er, der Vater, habe sie nicht schützen können, nicht den Mut gehabt und sich in seine Arbeit gestürzt. Es habe viele wechselnde Liebhaber der Mutter gegeben. Diese seien nach Vermutung der Klägerin ebenfalls fragliche Täter sexuellen Missbrauchs an ihr. Die Berichte ihres Vaters hätten einige Bilder zusammengeführt, die in ihrem Kopf gewesen seien und mit denen sie bis dahin nichts habe anfangen können. Leider erinnere sie sich heute nicht mehr genau an alles, was ihr Vater ihr erzählt habe. Nach dem Tod des Vaters seien ihr immer wieder belastende Bilder in den Kopf gedrängt. Inzwischen erinnere sie sich an mehrfachen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Sie habe eine Erinnerung an eine Vergewaltigung, gegen die sie sich gewehrt habe, als er sie im Schlafzimmer der Eltern aufs Bett gelegt und festgehalten habe. Sie habe ihn gebissen und versucht, ihn zu schlagen. Während der einschießenden Bilder höre sie oft seine Sprüche von Onkel H.. Er habe sie „Bettchen“ genannt, wenn sie zu ihm habe kommen sollen. Er habe gesagt, sie solle zu ihm kommen, um eine „Spritztour“ zu machen. Das sei ein Synonym für sexuelle Handlungen gewesen. Im Alter von 5 Jahren habe sie sich beim Arzt geweigert, sich auszuziehen. Ihre Mutter habe zu dem Arzt gesagt, er müsse sagen, sie solle „Striptease“ machen, dann würde sie sich ausziehen. Daher denke sie, dass zu diesem Zeitpunkt schon vieles vorgefallen sei, was mit sexuellem Missbrauch zu tun habe. Zur späteren Narkose bei der Tonsillektomie habe man sie festhalten müssen, weil sie getobt habe. Sie habe auch Erinnerungen an sexuelle Belästigungen der Haushälterin und der Freundin ihres Bruders durch Onkel H. sowie sexuelle Handlungen zwischen diesem und der Mutter auf der Wohnzimmercouch, während sie, ihre Geschwister und der Vater anwesend gewesen seien. 1996 habe sie Onkel H. gesucht, aber nicht gefunden. Ihre Familie sei nicht bereit gewesen, über die Vergangenheit zu sprechen, habe gesagt, dass sie verrückt sei. 2003 habe sie den Kontakt zu ihrer Primärfamilie aufgrund der immer vermehrt auftretenden Kindheitserinnerungen abgebrochen. An aktuellen Beschwerden habe sie berichtet, belastende Bilder würden einschießen. Sie sehe z. B. die Gestalt ihrer Patentante, auch Onkel H. mit dunklen Haaren, sehe seine Hände, höre seine Stimme. Sie habe auch schon die Form einer Flasche gesehen. Nachforschungen hätten ergeben, dass dies eine Whiskyflasche der Marke „Racke rauchzart“ sei. Ihre Mutter habe oft gesagt, sie müsse noch „Racke rauchzart“ kaufen. Sie sehe Bilder von sich im Kindes- und Jugendalter aus verschiedenen Perspektiven, neben sich, über sich oder aus ihren eigenen Augen, als sei sie selbst beteiligt. Sie habe sich in einer Ecke mit einer Decke über sich gesehen, so als habe sie sich schützen wollen. Sie habe auch immer wieder Bilder aus einem Behandlungszimmer in einem Krankenhaus gesehen. Wenn sie viele Bilder von sexuellem Missbrauch überfielen, hätten diese oft mit Onkel H. zu tun. Einmal habe sie während der Begutachtung berichtet, ein Bild würde immer wieder kommen und dann vor ihren Augen stehen bleiben. Es habe mit einem sexuellen Missbrauch an ihr zu tun, genauer könne sie es nicht beschreiben.
2004 nahm sie den dritten Vornamen P. an, 2007 machte sie diesen dritten Vornamen zum Rufnamen, nahm zwei weitere Vornamen an und behielt den Ehenamen als Nachnamen, heißt somit nun nicht mehr B. B., sondern P. D., geb. D..
Die Klägerin litt im Kleinkindalter an einer Meningoenzephalitis (Gehirnentzündung/Hirnhautentzündung) im Alter von drei Jahren, weshalb bis zum 16. Lebensjahr eine Therapie mit Primidon, einem Antikonvulsivum, durchgeführt wurde (Bericht Epilepsiezentrum K. vom 26. September 1993, betr. den Sohn der Klägerin K. D., Anlagenkovolut zur AG-Akte). Sie führte in den Jahren 1984 und 1992 stationäre Reha-Maßnahmen wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände durch. Vom 19. Dezember 2000 bis 4. Januar 2001 war sie in stationärer psychotherapeutischer Behandlung in der H. Bad Z., wegen eines Erschöpfungszustands infolge von „harter Arbeit in ambulanter Psychotherapie“, in der sie traumatische Erlebnisse in ihrer Kindheit bearbeitet habe. Dort wurde die Diagnose einer rezidivierenden mittelgradigen depressiven Störung und die Verdachtsdiagnose einer psychogenen Amenorrhoe seit 1998 gestellt (Bl. 14 VV). Ab Mai 1994 führte sie eine Psychotherapie bei Dr. T., Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, durch, seit August 1996 bei M. C., Psychotherapeutin nach dem HPG (ohne Kassenzulassung). Frau C. gab in einer Stellungnahme vom 15. August 2008 gegenüber dem Beklagten an, die Klägerin leide an Depressionen infolge schwerer Anpassungsstörungen, aufgrund über Jahre fortgesetzter schwerster Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, in deren Folge es zu Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen gekommen sei. Als Kind seien ihr Psychopharmaka, zeitweilig in Verbindung mit Alkohol, verabreicht worden. Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit März 2008 anerkannt (Bescheid vom 17. Dezember 2008, Bl. 23 VV).
10 
Am 4. Februar 2009 stellte sie über den Weißen Ring einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Der Weiße Ring gab darin an, die Klägerin sei in ihrer Kindheit Opfer eines schweren sexuellen Missbrauchs geworden. Dies führe dazu, dass sie an ca. 16 Lebensjahre keine Erinnerung habe. In langjährigen Therapien seien als Ursache hierfür Geschehnisse in der Kindheit ermittelt worden. In ihrem Antrag gab die Klägerin als schädigendes Ereignis an: sexueller Missbrauch, ca. 1965 – 1978, “als Gesundheitsstörung eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Amnesie von ca. 16 Lebensjahren, keine Zeugen, Namen der schädigenden Personen nicht bekannt“. Mit Bescheid vom 23. März 2009 wurde der Antrag abgelehnt (Bl. 28 VV). Es sei nicht objektiv nachgewiesen, dass die Klägerin Opfer einer Gewalttat geworden sei. Die Beweiserleichterung für den Fall, dass unverschuldet kein Nachweis erbracht und keine Zeugen benannt werden könnten, greife nicht ein, weil die Klägerin den Sachverhalt aufgrund der Amnesie nicht aus eigener Erinnerung beschreiben könne. Die ärztlichen Befundberichte reichten für eine Beweisführung nicht aus, weil aus dem vorliegenden psychiatrischen Störungsbild keine Rückschlüsse auf ein spezifisches Ereignis gezogen werden könnten und kein Profil psychiatrischer Symptome eindeutig auf eine traumatische Vergangenheit hinweise.
11 
Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. E. vor (Bl. 57 VV), der sie seit 1997 betreute. Demnach stehe im Vordergrund der zweimal monatlichen Konsultationen ein psycho-physischer Erschöpfungszustand bei posttraumatischer Belastungsstörung nach kindlicher Missbrauchserfahrung. Sie könne sich an Einzelheiten in ihrer Kindheit und Jugend nicht erinnern. Diese seien erst nach mehrjährigen mehrfachen Psychotherapien in einem extrem belastenden Prozess wieder aufgetaucht. Sie leide häufig unter ausgeprägter körperlicher Schwäche und somatischen Beschwerden ohne somatisches Korrelat, Bauchschmerzen, Leistenschmerzen, Schmerzen im linken Bein und Sensibilitätsstörungen in der linken Gesichtshälfte. 1999 habe sie bis auf 42 kg abgenommen und in den letzten Jahren bis auf 75 kg zugenommen. Beim Neurologen und Psychiater S. war sie seit 2001 nur in mehrjährigen Abständen. 2001 nahm sie an einer geleiteten Frauengruppe des Vereins „A.“ mit dem Anliegen, eigene Selbstzweifel bezüglich ihrer Gewalterfahrungen zu klären, teil (Bl. 61 VV). Weiterhin legte sie eine Stellungnahme der Frau C. vom 13. Oktober 2009 (Bl. 88 VV) vor. Darin schildert diese die „Geschichte“ der Klägerin, die nicht in der Lage sei, selbst darüber zu berichten. Seit dem Tod des Vaters, der ihr auf dem Sterbebett über Familiengeheimnisse berichtet habe, seien sie und ihr Sohn immer kränker geworden, ohne dass die Ärzte hätten sagen können, was ihr fehle. Der kleinen B. sei ein absolutes Redeverbot unter Androhung härtester Strafen auferlegt worden. „…H. ist der offizielle Liebhaber der Mutter und thront ab 1962 im Wohnzimmer auf dem Sofa neben der Mutter, vor sich eine Flasche Whisky. … Ab kleinster Kindheit (ca. 4 - 5 Jahre) wird P. vom Liebhaber H. sexuell missbraucht. Sie wird auch in fremde Häuser gebracht, man gibt ihr Alkohol und Medikamente, damit sie ruhig bleibt. … Sie wird oral und anal vergewaltigt, regelmäßig, von verschiedenen Männern, wird zeitweise währenddessen fixiert, wird eingesperrt. Andere Kinder sind auch dabei, auch manchmal ihr Bruder M., vor allem eine gleichaltrige Tochter von H.. … Eine zweite Frau scheint allgegenwärtig im System und dokumentiert alles, wie wenn es ein Experiment wäre: Tante G., Schwester des Vaters (medizintechnische Assistentin in einem Versuchslabor). Bei vielen „Experimenten“ an den Kindern waren die Männer als Arzt verkleidet (weißer Kittel und Stethoskop). Damit keine Informationen über die Familie nach außen drängen, werden Kontakte zu anderen Kindern unterbunden, B. darf nicht zum Sport, alles mit der Erklärung, das Kind sei psychisch labil, hätte epileptische Anfälle. Mit 12 Jahren wird B.-P. schwanger, unter dem Vorwand einer Blinddarmoperation wird sie nach N. zu Tante K. gebracht, wo sie „operiert“ wird, wo eine Abtreibung vorgenommen wurde…“. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 83 VV).
12 
Am 10. Juni 2010 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihre Mutter habe an den Missbrauchshandlungen mitgewirkt. Sie selbst habe an ihre ersten 15 bis 16 Lebensjahre kaum oder lediglich bruchstückhafte Erinnerungen. Im Rahmen sogenannter Flashbacks habe sie mit ihrer Therapeutin in langjähriger Therapie zahlreiche Vorfälle sexuellen Missbrauchs zusammentragen können. Ihr Bruder M., dessen Aufenthaltsort sie nicht kenne, sei bei den sexuellen Übergriffen zum Teil zugegen gewesen und habe am Sterbebett des Vaters dessen Berichte mitgehört. Sie habe alles Zumutbare zur Sachverhaltsaufklärung getan, so dass die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG eintrete. Die bei ihr vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergäben eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für sexuellen Missbrauch, auch die nur bruchstückhafte Erinnerung. Dies sei durch Gutachten belegt.
13 
Frau C. hat in ihrer Auskunft an das SG vom 7. Januar 2011 angegeben, es bestehe der Verdacht auf eine PTBS nach ICD-10 F 43.1 und der Verdacht auf dissoziative Amnesien sowie dissoziativen Stupor und dissoziative Bewegungsstörungen nach ICD-10 F 44.0, F 44.2.0 und F 44.7. Man müsse davon ausgehen, dass diese dissoziativen Zustände zur Zeit der Traumatisierung als emotional-physiologische Notlösung des Gehirns entstanden seien, das sonst keine Möglichkeit gehabt habe, die massiven, sadistisch geprägten sexuellen Übergriffe zu bearbeiten. Die ursprüngliche Symptomatik habe bereits darauf hingedeutet, dass sie an den Folgen einer langjährigen schwersten Traumatisierung leide. Zur Stabilisierungsphase habe der totale Bruch mit der Ursprungsfamilie mit Namensänderung 2007 gehört. Ab 1998 seien Erinnerungsfetzen an die Oberfläche gekommen, die allerdings nicht sprachlich, dafür aber mit nonverbalen Methoden hätten aufgedeckt werden können. Bis vor 1 – 2 Jahren habe noch das Redeverbot auf der Klägerin gelastet. Die Schaffung eines Zugangs zum Traumamaterial habe nur mit Hilfe von Psychopharmaka verkraftet werden können, jetzt sei die Klägerin teilweise abhängig von Benzodiazepinen, um sich gegen überflutende traumaartige Bilder zu wehren und schlafen zu können. Bis heute könne keine Traumaexposition durchgeführt werden, weil mit einer erneuten Destabilisierung zu rechnen sei. Die wiederholten Explorationen zur Erstellung von Gutachten hätten jeweils eine schwerwiegende Retraumatisierungssymptomatik provoziert. Die Scheidung 2005 habe neue Belastungsfaktoren in Form einer Unterhaltsklage mit sich gebracht. Im Hintergrund der vorliegenden Auseinandersetzung stehe das Bedürfnis, mit ihrer Geschichte gehört und anerkannt zu werden, damit ihr existentielles Bedürfnis nach Gerechtigkeit gestillt werden könne.
14 
Das SG hat die Klägerin in mündlicher Verhandlung am 16. September 2011 gehört (Niederschrift Bl. 88 SG-Akte). Sie hat angegeben, nach konkreten Erinnerungen an ihre Kinder- und frühe Jugendzeit befragt, könne sie sich tatsächlich nicht an Details, d. h. Gesichter oder Räumlichkeiten oder Sachverhalte erinnern. Vielmehr habe sie aus Erzählungen Dritter, z. B. zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, die sie im Kinder- und Jugendalter gehabt habe, Informationen erhalten. Diese halte sie für die Realität. Hierauf beschränkten sich letztlich ihre “Erinnerungen“ an diese Zeit. Da sie ab dem dritten Lebensjahr wegen ihrer angeblichen Erkrankungen mit Medikamenten versorgt worden sei, nehme sie an, dass die an ihr verübten Taten zu diesem Zeitpunkt begonnen haben müssten.
15 
Das SG hat den Bruder der Klägerin, den Zeugen R.-M. B., Rufname M., und die Haushälterin der Familie, die Zeugin B. S., durch einen ersuchten Richter beim Sozialgericht S. vernehmen lassen. Die Mutter der Klägerin hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Der Zeuge B. hat in seiner Vernehmung angegeben, die Klägerin habe ca. 1964 eine Hirnhautentzündung gehabt und sei dadurch sehr zurückgeworfen gewesen, in der Schule und so. Das habe sich erst in der Lehre gebessert. Sein Vater habe nach 18 Uhr ein Bier oder ein Glas Wein getrunken, er habe ihn aber nicht betrunken erlebt. Die Hausangestellte sei nur stundenweise gekommen. Onkel H., ein weitläufiger Verwandter seines Vaters, habe nicht im Haus gewohnt. Seines Wissens seien keine sexuellen Handlungen an der Klägerin vorgefallen, er habe auch nichts hierüber gehört. Von einer Schwangerschaft der Klägerin ca. 1974 wisse er nichts. Sein Vater habe vor seinem Tod eine Lebensbeichte abgelegt, alles vom Krieg bis zu seinem Sterbedatum erzählt. Über die Klägerin habe er nicht gesprochen. Onkel H. sei öfter nach Feierabend zu Besuch gewesen, allerdings habe er, der Zeuge, da nicht mehr zu Hause gelebt. Gegenstand der Lebensbeichte des Vaters sei auch gewesen, dass der jüngere Bruder M. nicht sein Sohn, sondern Onkel H. dessen Vater sei. Die Zeugin S. hat bekundet, sie habe sich meist abends stundenweise um die Klägerin gekümmert. Onkel H. sei gelegentlich dort im Haus gewesen. Zu einem sexuellen Missbrauch könne sie nichts sagen, weder aus eigenen Wahrnehmungen noch vom Hörensagen. Zu einer Schwangerschaft der Klägerin Mitte der Siebziger Jahre könne sie keine Angaben machen. Sie sei zu diesem Zeitpunkt noch regelmäßig dort gewesen. Ihr sei nichts aufgefallen. Sie habe bis heute Kontakt zur Mutter der Klägerin und dem jüngeren Bruder M..
16 
Die Klägerin hat Fotos vorgelegt (Bl. 253 SG-Akte), auf denen eine von ihr als Onkel H. bezeichnete männliche Person auf einem Sofa neben der Mutter sitzt, neben der Klägerin – beide rauchend – den Arm um sie legend, stehend neben der Zeugin S., die den Arm um ihn legt, Urlaubsbilder und Bilder ihrer Trauung, bei der sie neben Onkel H. zu sehen ist.
17 
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. März 2013 abgewiesen. Ausgangspunkt für die Feststellung eines schädigenden Ereignisses sei das Vorbringen der Klägerin. Bei ihr bestünden an den fraglichen Zeitraum, mithin auch an die geltend gemachten Taten, keine konkreten Erinnerungen. Vorhanden seien lediglich die im Rahmen der Psychotherapie bei Frau C. zutage geförderten bruchstückhaften Erinnerungen, die sich als einschießende Bilder mit belastender psychischer Reaktion darstellten. Dabei sei klar, dass es sich bei den Bildern, die der Klägerin spontan vor Augen träten, nicht um Erinnerungen an konkrete Geschehensabläufe in der Vergangenheit handele, sondern um bildhaft innerpsychische Vorgänge, die einer Interpretation bzw. Deutung bedürften. Daher sei nicht die Frage, ob die Angaben der Klägerin überzeugend und glaubhaft seien, sondern ob diese den Schluss zuließen, dass sich die geltend gemachten Geschehensabläufe tatsächlich zugetragen hätten. Dies sei nach dem Beweisergebnis nicht der Fall. Es schließe sich der Beurteilung des PD Dr. F. an, der dargelegt habe, dass die einschießenden Bilder nicht den zwingenden Schluss zuließen, das sich der Missbrauch so zugetragen und daher nur die Verdachtsdiagnose einer PTBS gestellt habe. Die entgegenstehende Stellungnahme der behandelnden Psychotherapeutin, die keine Facharztausbildung habe und deren Stellungnahmen jegliche professionelle Distanz vermissen ließen, hätten dagegen nicht überzeugt. Die Angaben der Klägerin außerhalb des Kerngeschehens hätten sich ebenfalls nicht bestätigen lassen, so das Vorbringen, ihr Bruder M. sei zugegen gewesen, als ihr Vater auf dem Sterbebett Hinweise auf die Missbrauchshandlungen gegeben habe. Auch das Kerngeschehen, nämlich dass ihr Bruder M. teilweise bei den Missbrauchshandlugen zugegen gewesen sei, habe dieser nicht bestätigt. Die Zeugin S. habe das Klagevorbringen ebenfalls nicht bestätigt, wobei nichts gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben spreche. Die vorgelegten Fotos bewiesen zwar ein gewisses Näheverhältnis der abgebildeten Personen, aber nichts darüber hinaus. Die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG führe zu keinem anderen Ergebnis, da die Klägerin ausdrücklich zugebe, keine Angaben machen zu können, da sie sich nicht erinnere. Es halte die Schilderung der Klägerin hinsichtlich der einschießenden Bilder und des angegebenen Inhalts durchaus für glaubhaft. Dies ändere nichts daran, dass mit diesen Bildern nicht der Nachweis eines tatsächlichen Geschehensablaufs in der Vergangenheit geführt werden könne.
18 
Gegen das am 16. April 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Mai 2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Die Zeugen seien nicht glaubwürdig. Der Zeuge B. habe nicht bekennen wollen, selbst Missbrauchsopfer zu sein. Er habe ihr einen Brief geschrieben und erklärt, „…auch ich habe mir in den letzten Jahren die gleichen Fragen gestellt, wie du“. Die Zeugin S. habe sich in einem Interessenkonflikt befunden. Die vorgelegten Fotos belegten eindeutig einen mehr als vertrauten Umgang zwischen ihrer Mutter, Onkel H. und ihr selbst. Sie habe durchaus Erinnerungen, verspüre aber ein innerliches Redeverbot im Sinne eines Schweigegebots. Mit Schriftsatz vom Juni 2014 hat sie über ihre neue Bevollmächtigte mitgeteilt, einige Vorgänge schildern zu können. Sie erinnere sich an einen Urlaub in einem Waldgebiet, den sie gemeinsam mit ihrer Mutter und Onkel H. verbracht habe. Man habe in einer gemieteten Hütte gewohnt. Onkel H. habe sie im kindlichen Alter gebadet und danach ihre Genitalien untersucht. Sie erinnere sich an einen Übergriff im Gartenzimmer am Ende des Elternhauses. Onkel H. sie damals dort im kindlichen Alter aufgesucht, sei zu ihr ans Bett gekommen und habe ihr etwas aus einem Schnapsglas zu trinken gegeben. Er habe sich zu ihr ins Bett gelegt und sie am Körper berührt. Sie sei unbekleidet zurückgeblieben und habe in den Morgenstunden starke Übelkeit verspürt. Im Alter von 14 Jahren hätten sich die Übergriffe des Onkels gesteigert. An einem Tag habe sie sich im Schlafzimmer der Eltern befunden. Onkel H. habe das Zimmer betreten, sie gepackt, auf die Bettseite der Mutter geworfen und sich auf sie gelegt. Er habe ihr im Alter von 14 Jahren die Arme festgehalten und einen Zungenkuss gegeben. Sodann habe er sie gegen ihren erkennbaren Willen zwischen den Beinen berührt. Erst durch die massive Gegenwehr habe er von ihr abgelassen.
19 
Die Klägerin beantragt,
20 
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 aufzuheben und eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen,
21 
hilfsweise, eine rezidivierende depressive Störung bei aktuell nicht vorhandener depressiver Episode und unter schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen.
22 
Der Beklagte beantragt,
23 
die Berufung zurückzuweisen.
24 
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig. Der Rückschluss von einer Diagnose auf ein ursächliches schädigendes Ereignis sei nicht möglich. Es gebe keine Zeugenaussagen, die die behaupteten Missbrauchshandlungen bestätigten.
25 
Zuletzt hat die Klägerin einen Behandlungsbericht von Dr. E., Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über ambulante Behandlungen am 2. Oktober sowie 6. und 18. November 2014 vorgelegt. Darin wird eine stationäre Traumatherapie empfohlen, deren Voraussetzung aber eine stabile Abstinenz von Benzodiazepinen und kein laufendes Rentenverfahren sei. Die Klägerin strebe die Verlängerung der 2015 auslaufenden Rente wegen voller Erwerbsminderung an. Einen zunächst gestellten Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens hat die Klägerin zurückgenommen.
26 
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 21.04.2015 gehört. Sie hat bekundet, sie könne nunmehr Vorfälle schildern, an die sie sich erinnere. Diese habe ihr nicht ihr Vater berichtet. Der schlimmste Vorfall sei im Alter von ca. 10 Jahren gewesen. Sie habe, bekleidet mit einem Unterhemd, auf einem Tisch gekniet und ein Mann, sie wisse nicht wer, habe einen Finger in ihre Scheide eingeführt. Sie erinnere sich daran, dass Onkel H. wiederholt verlangt habe, dass sie ihre Unterhose ausziehe, um zu sehen, ob sie sauber sei. Er habe sie oft in ihrem Kinderzimmer aufgesucht, ohne dass jemand dies bemerkt habe. Sie könne sich erinnern, mehrfach in ihrem Zimmer in eine Decke gehüllt sitzend aufgewacht und nicht mehr in ihrem Bett gewesen zu sein. Onkel H. habe sein Auto hinter dem Haus geparkt. Er habe auch einen Hausschlüssel gehabt. Als sie ein anderes Zimmer näher bei ihren Großeltern bezogen habe, habe Onkel H. öfter mit ihr sog. Spritztouren gemacht, d. h., er habe sie im Auto mitgenommen. Sie sei mehrmals mit ihrer Mutter und Onkel H. ohne ihren Vater in den Urlaub gefahren. Dort habe Onkel H. sie oft gebadet und gewaschen. Als sie 12 Jahre alt gewesen sei, habe er ihr einmal auf der Strandpromenade die Schleifen der Bikinihose aufgezogen und sie habe ohne Hose dagestanden. Sie könne sich erinnern, dass sie ihn habe anfassen müssen. Er sei ausgezogen gewesen und sie habe sein Glied streicheln müssen. Er sei auch mehrfach, wohl mit den Händen, in sie eingedrungen. Er habe große, stark dunkel behaarte Hände gehabt, wie ein Affe.
27 
Bei der angeblichen Blinddarmoperation im Alter von 12 Jahren sei sie gynäkologisch untersucht worden, obwohl sie nicht weit entwickelt gewesen sei. Sie habe danach eine kleine Narbe gehabt und eine Menstruationsblutung. Man habe ihr erklärt, wie sie eine Binde verwende.
28 
Es habe ein Redeverbot gegeben. Onkel H. habe gesagt, wenn sie ihrer Mutter etwas erzähle, müsse diese sterben. Sie habe das geglaubt, weil ihre Mutter Herzanfälle gehabt habe und sie von ihr abgeschirmt worden sei. Man sei öfter über die sog. Lügenbrücke im Ort spazieren gegangen und ihr sei gesagt worden, wenn sie lüge, breche die Brücke zusammen. Im Alter von ca. 8 Jahren habe sie ihrem Kindermädchen, der Zeugin S., berichtet, dass sie Blut in der Unterhose habe. Diese habe gesagt, das müsse vom Schaukeln kommen. Sie habe auch öfter gesagt, sie wisse ja Bescheid, müsse doch aber immer wieder dorthin kommen. Mit ca. 8 Jahren habe sie bei ihrer Tante G., die sie als Vertrauensperson angesehen habe, auf eine mit PVC bezogene Kommode einen Mann gemalt, der ein Kind anfasse. Tante G. habe mit ihr geschimpft. Mit 15 Jahren habe sie ihren ersten Freund gehabt. Sie wisse nicht, ob sie mit ihm intim gewesen sei. Er sei zu ihrer Mutter gegangen und habe gesagt, mit ihr stimme etwas nicht. Danach habe sie ihn nicht mehr gesehen. Die von Frau C. beschriebenen Gruppenvergewaltigungen mehrerer Erwachsener mit mehreren kindlichen Opfern seien Flashbacks gewesen. Sie könne nicht sagen, ob es wirkliche Erinnerungen seien.
29 
Manchmal seien Erinnerungen gleich weggewesen, das könne an den Medikamenten gelegen haben. Sie wisse nicht, warum das Redeverbot bis heute noch wirke.
30 
Ihr Bruder M. sei bei der Lebensbeichte des Vaters nicht die ganze Zeit anwesend gewesen, weil er habe arbeiten müssen. Er sei selbst stark traumatisiert, sei lange untergetaucht gewesen und habe Alkoholprobleme gehabt. Die Zeugin S. sei zu ihrer Zeugenvernehmung von Onkel H. Sohn M. begleitet worden. Vielleicht habe sie deshalb nicht die Wahrheit gesagt.
31 
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ein Schreiben an den Senat vorgelegt.
32 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 21.04.2015, auf die Prozessakten beider Instanzen, den Verwaltungsvorgang des Beklagten, die Schwerbehindertenakte und die Akten des AG H. zu Az. 1 F 646/07 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 aufgehoben, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1962 geborene Klägerin beantragte am 16.9.1999 beim damals zuständigen Versorgungsamt B. Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, ihre Gesundheitsstörungen seien Folge von Gewalttaten und sexuellem Missbrauch im Elternhaus sowie von sexuellem Missbrauch durch einen Fremden. Die Taten hätten sich zwischen ihrem Geburtsjahr 1962 mit abnehmender Tendenz bis 1980 zugetragen.

3

Nachdem das Versorgungsamt die Klägerin angehört, eine Vielzahl von Arztberichten, insbesondere über psychiatrische Behandlungen der Klägerin, sowie eine schriftliche Aussage ihrer Tante eingeholt hatte, stellte die Ärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. mit Gutachten vom 26.9.2001 für das Versorgungsamt zusammenfassend fest, die Untersuchung der Klägerin habe nur in Ansätzen detaillierte Angaben zu den geltend gemachten Misshandlungen und dem sexuellen Missbrauch erbracht. Diagnostisch sei von einer Persönlichkeitsstörung auszugehen. Aufgrund der Symptomatik sei nicht zu entscheiden, ob die psychische Störung der Klägerin ein Milieuschaden im weitesten Sinne sei oder mindestens gleichwertig auf Gewalttaten im Sinne des OEG zurückzuführen sei. Das Versorgungsamt lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab: Die psychische Störung könne nicht als Folge tätlicher Gewalt anerkannt werden. Zwar seien einzelne körperliche Misshandlungen, Schläge und sexueller Missbrauch geschildert worden, insbesondere aber insgesamt zerrüttete Familienverhältnisse. Vor allem diese frühere, allgemeine familiäre Situation sei für die psychischen Probleme verantwortlich (Bescheid vom 15.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2002).

4

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die - zunächst gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) und ab 1.1.2008 gegen den jetzt beklagten Landschaftsverband gerichtete - Klage nach Anhörung der Klägerin, Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Sozialmedizin Dr. S. vom 23.6.2005 sowie eines Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin H. vom 5.4.2005 auf aussagepsychologischem Gebiet durch Urteil vom 29.8.2008 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) NRW hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16.12.2011), nachdem es ua zur Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ein auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG erstattetes Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Sp. vom 25.9.2009 sowie eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. S. vom 20.4.2011 beigezogen hatte. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

5

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach § 1 OEG iVm § 31 BVG, weil sich vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die Klägerin, die zur Verursachung der bei ihr bestehenden Gesundheitsschäden geeignet wären, nicht hätten feststellen lassen. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens sei es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß wahrscheinlich, dass die Klägerin in ihrer Kindheit und Jugend Opfer der von ihr behaupteten körperlichen und sexuellen Misshandlungen und damit von Angriffen iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Keiner der durch das SG vernommenen Zeugen habe die von der Klägerin behaupteten anhaltenden und wiederholten Gewalttätigkeiten durch ihren Vater und ihre Mutter und erst recht nicht den von ihrem Vater angeblich verübten sexuellen Missbrauch bestätigt. Das LSG folge der Beweiswürdigung des SG, das keine generellen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen dargelegt habe. Es habe daher das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, die Zeugen nicht erneut zu vernehmen. Angesichts des langen Zeitablaufs seit der Zeugenvernehmung durch das SG und mangels neuer Erkenntnisse zu den angeschuldigten Ereignissen, die noch wesentlich länger zurücklägen, gehe das LSG davon aus, dass eine erneute Zeugenvernehmung nicht ergiebig gewesen wäre und lediglich die Aussagen aus der ersten Instanz bestätigt hätte. Zudem hätten die Mutter der Klägerin sowie einer ihrer Brüder gegenüber dem LSG schriftlich angekündigt, im Fall einer Vernehmung erneut das Zeugnis aus persönlichen Gründen zu verweigern. Das LSG habe deswegen auf ihre erneute Ladung zur Vernehmung verzichtet.

6

Ebenso wenig habe sich das LSG allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG bilden können, da es ihre Angaben in wesentlichen Teilen nicht als glaubhaft betrachte. Denn sie widersprächen im Kern den Aussagen ihres Vaters und ihres anderen Bruders. Die dadurch begründeten ernstlichen Zweifel am Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen habe die aussagepsychologische Begutachtung der Klägerin durch die vom SG beauftragte Sachverständige H. nicht ausgeräumt, sondern sogar bestärkt. Die vom Sachverständigen Sp. geäußerte Kritik an der aussagepsychologischen Begutachtung überzeuge das LSG nicht. Denn theoretischer Ansatz und methodische Vorgehensweise des vom SG eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Das Gutachten stütze sich insoweit zu Recht ausdrücklich auf die in der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Strafsachen (Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellten Grundsätze der aussagepsychologischen Begutachtung für Glaubhaftigkeitsgutachten, wie sie die Strafgerichte seitdem in ständiger Rechtsprechung anwendeten. Diese aussagepsychologischen Grundsätze seien auf den Sozialgerichtsprozess übertragbar. Dabei könne dahinstehen, ob im Strafprozess grundsätzlich andere Beweismaßstäbe gälten als im Sozialgerichtsprozess. Denn die genannten wissenschaftlichen Prinzipien der Glaubhaftigkeitsbegutachtung beanspruchten Allgemeingültigkeit und entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Ihre Anwendung sei der anschließenden Beweiswürdigung, die etwaigen Besonderheiten des jeweiligen Prozessrechts Rechnung tragen könne, vorgelagert und lasse sich davon trennen.

7

Die nach diesen aussagepsychologischen Grundsätzen von der Sachverständigen H. gebildete Alternativhypothese, dass es sich bei den Schilderungen der Klägerin um irrtümliche, dh auf Gedächtnisfehlern beruhende Falschangaben handele, lasse sich nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nicht widerlegen, sondern gut mit den vorliegenden Daten vereinbaren. Hierfür sprächen die großen Erinnerungslücken der Klägerin hinsichtlich ihrer frühen Kindheit, wobei in der aussagepsychologischen Forschung ohnehin umstritten sei, ob es überhaupt aktuell nicht abrufbare, aber trotzdem zuverlässig gespeicherte Erinnerungen an lange zurückliegende Ereignisse gebe. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich das Gericht bei der Beurteilung "wiedergefundener" Erinnerungen sachverständiger Hilfe nicht nur bedienen könne, sondern sogar bedienen müsse, obwohl die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen sowie Beteiligten und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen grundsätzlich richterliche Aufgabe sei. Die Entscheidung des SG für eine aussagepsychologische Begutachtung sei angesichts der Besonderheiten der Aussageentstehung bei der Klägerin jedenfalls ermessensgerecht. Auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kenntnisstands habe die Sachverständige H. darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Wahrnehmung durch die jahrelange psychotherapeutisch unterstützte mentale Auseinandersetzung der Klägerin mit den fraglichen Gewalterlebnissen durch nachträgliche Bewertungen überlagert und damit unzugänglich geworden sein könne. Daher hätten die Angaben der Klägerin, um als erlebnisbegründet angesehen zu werden, wegen der Gefahr einer möglichen Verwechslung von Gedächtnisquellen besonders handlungs- und wahrnehmungsnahe, raum-zeitlich vernetzte Situationsschilderungen enthalten müssen, die konsistent in die berichtete Gesamtdynamik eingebettet und konstant wiedergegeben würden. Diese Qualitätsanforderungen erfüllten die Schilderungen der Klägerin nicht, da sie nicht das erforderliche Maß an Detailreichtum, Konkretheit und Konstanz aufwiesen und nicht ausreichend situativ eingebettet seien.

8

Das Gutachten des Sachverständigen Sp. habe das Ergebnis der aussagepsychologischen Begutachtung nicht entkräften können. Da er weder eine hypothesengeleitete Analyse der Angaben der Klägerin nach den genannten wissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen noch ein Wortprotokoll seiner Exploration habe zur Verfügung stellen können, sei die objektive Überprüfbarkeit seiner Untersuchungsergebnisse stark eingeschränkt. Er habe eingeräumt, als Psychiater die aussagepsychologische Begutachtung nicht überprüfen und bewerten zu können und seinerseits durch seinen klinisch-psychiatrischen Zugang nicht zur Wahrheitsfindung in der Lage zu sein. Schließlich sei der von ihm vorgenommene Rückschluss von psychiatrischen Krankheitsanzeichen der Klägerin, konkret dem Vorliegen einer von ihm festgestellten posttraumatischen Belastungsstörung, auf konkrete schädigende Ereignisse iS des § 1 OEG in der Kindheit der Klägerin wegen der Vielzahl möglicher Ursachen einer Traumatisierung methodisch nicht haltbar.

9

Der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) komme der Klägerin nicht zugute. Zwar sei diese Regelung analog anzuwenden, wenn andere Beweismittel, wie zB Zeugen, nicht vorhanden seien. Lägen dagegen - wie hier - Beweismittel vor und stützten diese das Begehren des Anspruchstellers nicht, könne die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht angewendet werden, weil diese Norm gerade das Fehlen von Beweismitteln voraussetze. Selbst bei Anwendung des Beweismaßstabs der Glaubhaftigkeit bliebe allerdings die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Denn aufgrund des methodisch einwandfreien und inhaltlich überzeugenden aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. stehe für das LSG fest, dass die Angaben der Klägerin nicht als ausreichend glaubhaft angesehen werden könnten, weil zu viele Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Erinnerungen verblieben.

10

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 15 S 1 KOVVfG, des § 128 Abs 1 S 1 SGG sowie des § 1 Abs 1 OEG. Hierzu führt sie im Wesentlichen aus: Das LSG habe seiner Entscheidung nicht die Regelung des § 15 S 1 KOVVfG zugrunde gelegt und damit den anzulegenden Beweismaßstab verkannt. Richtigerweise hätte es hinsichtlich des von ihr behaupteten sexuellen Missbrauchs der Erbringung des Vollbeweises nicht bedurft; vielmehr wäre insoweit eine Glaubhaftmachung allein aufgrund ihrer Angaben ausreichend gewesen. Denn bezüglich dieses Vorbringens seien - bis auf ihren Vater als möglichen Täter - keine Zeugen vorhanden. Die Möglichkeit, dass sich die von ihr beschriebenen Vorgänge tatsächlich so zugetragen hätten, sei nicht auszuschließen; das Verbleiben gewisser Zweifel schließe die Glaubhaftmachung nicht aus. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie sich erst durch Therapien im Laufe des Verwaltungsverfahrens an die Geschehnisse habe erinnern können.

11

Das LSG habe ferner gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG verstoßen, da es ein aussagepsychologisches Gutachten berücksichtigt habe. Ein solches Gutachten habe nicht eingeholt und berücksichtigt werden dürfen, da aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen keine geeigneten Mittel der Sachverhaltsfeststellung darstellten. Die Arbeitsweise bei aussagepsychologischen Gutachten lasse sich entgegen der Auffassung des LSG nicht ohne Weiteres auf sozialrechtliche Entschädigungsprozesse übertragen, da diese nicht mit Strafverfahren vergleichbar seien. Denn in Strafverfahren sei die richterliche Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen in der Weise gefordert, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit bestehe, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht laut werden dürften. Das OEG hingegen sehe gemäß § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 S 1 KOVVfG einen herabgesetzten Beweismaßstab vor. Ein weiterer Grund, weshalb aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen nicht eingeholt werden dürften, sei die darin erfolgende Zugrundelegung der sog Nullhypothese. Diese entspreche im Strafverfahren dem Grundsatz "in dubio pro reo", sodass als Arbeitshypothese von der Unschuld des Angeklagten auszugehen sei; mit sozialgerichtlichen Verfahren sei dies jedoch nicht in Einklang zu bringen. Zudem unterscheide sich die Art der Gutachtenerstattung in den beiden Verfahrensordnungen; in sozialgerichtlichen Verfahren erstatte der Sachverständige das Gutachten aufgrund der Aktenlage und einer Untersuchung der Person, wohingegen der Sachverständige im Strafprozess während der gesamten mündlichen Verhandlung anwesend sei und dadurch weitere Eindrücke von dem Angeklagten gewinne. Schließlich könne eine aussagepsychologische Untersuchung der Aussage eines erwachsenen Zeugen zu kindlichen Traumatisierungen auf keinerlei empirisch gesicherte Datenbasis hinsichtlich der Unterscheidung zwischen auto- oder fremdsuggerierten und erlebnisbasierten Erinnerungen zurückgreifen und sei daher wissenschaftlich nicht sinnvoll.

12

Ein weiterer Verstoß gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG liege in einer widersprüchlichen, mitunter nicht nachvollziehbaren und teilweise einseitigen Beweiswürdigung des LSG begründet, womit es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten habe. Das LSG habe den Aussagen ihres Bruders sowie ihres Vaters ein höheres Gewicht als ihren eigenen Angaben beigemessen und sich nicht kritisch mit den Zeugenaussagen auseinandergesetzt. Es sei einerseits von einer unberechenbaren Aggressivität des Vaters, einer aggressiven Atmosphäre und emotionalen Vernachlässigung in der Familie sowie einigen nachgewiesenen körperlichen Misshandlungen ausgegangen, halte andererseits jedoch ihre Angaben zu den Misshandlungen nicht für glaubhaft. Kaum berücksichtigt habe es zudem die Aussage ihrer Tante. Das LSG habe ferner ihre teilweise fehlenden, ungenauen oder verspäteten Erinnerungen nur einseitig zu ihrem Nachteil gewürdigt und dabei nicht in Erwägung gezogen, dass diese Erinnerungsfehler Folgen ihres Alters zum Zeitpunkt der Vorfälle, der großen Zeitspanne zwischen den Taten und dem durchgeführten Verfahren sowie ihrer Krankheit sein könnten. Im Rahmen des OEG könnten auch bruchstückhafte, lückenhafte oder voneinander abweichende Erinnerungen als Grundlage für eine Überzeugungsbildung ausreichen. Nicht umfassend gewürdigt habe das LSG schließlich das aussagepsychologische Gutachten, das selbst Anlass zur Kritik biete. Auch dieses habe nicht berücksichtigt, dass die Erinnerungslücken und Abweichungen in den Angaben eine Erscheinungsform ihrer Krankheit sein könnten. Dieses Gutachten entspreche daher nicht den erforderlichen wissenschaftlichen Standards und könne auch aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden. Zudem hätte das Gutachten von einem auf Traumatisierung spezialisierten Psychologen erstattet werden müssen.

13

Das LSG habe darüber hinaus verkannt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 OEG bereits durch ihre grobe Vernachlässigung als Schutzbefohlenen erfüllt seien. Das Verhalten ihrer Eltern sei nicht durch ein Züchtigungsrecht gedeckt gewesen. Die familiäre Atmosphäre sei - wie von den Vorinstanzen festgestellt - von elterlicher Aggression, gestörten Beziehungen und emotionaler Vernachlässigung geprägt gewesen. Zudem habe das LSG einige Schläge als erwiesen erachtet. Auch die fachärztlichen Gutachten hätten ergeben, dass ihre psychische Störung jedenfalls durch die aggressive Familienatmosphäre verursacht worden sei.

14

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 sowie des Sozialgerichts Detmold vom 29. August 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2002 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen von sexuellem Missbrauch sowie körperlichen und seelischen Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

15

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

16

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

17

Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom 29.1.2013). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

18

Die Revision der Klägerin ist zulässig.

19

Sie ist vom LSG zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten (§ 164 Abs 1 und 2 SGG). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem OEG auf eine Vielzahl von schädigenden Vorgängen stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in drei Gruppen zusammenzufassen: seelische Misshandlungen (Vernachlässigung, beeinträchtigende Familienatmosphäre), körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch.

20

Soweit die Klägerin Entschädigung wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern geltend macht, hat sie einen Verstoß gegen materielles Recht hinreichend dargetan. Sie ist der Ansicht, die betreffenden Vorgänge würden von § 1 OEG erfasst. Soweit das LSG umfangreichere körperliche Misshandlungen der Klägerin im Elternhaus sowie sexuellen Missbrauch durch ihren Vater bzw einen Fremden verneint hat, rügt die Klägerin zunächst substantiiert eine Verletzung von § 15 S 1 KOVVfG, also eine unzutreffende Verneinung der Anwendbarkeit einer besonderen Beweiserleichterung(vgl dazu BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 124 f = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass insbesondere dafür, ob sie Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei, Beweismittel vorhanden seien. Im Hinblick darauf, dass die Vorinstanz hilfsweise auf § 15 S 1 KOVVfG abgestellt hat, bedarf es auch dazu einer ausreichenden Revisionsbegründung. Diese sieht der Senat vornehmlich in der Rüge der Klägerin, das LSG habe, indem es in diesem Zusammenhang auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 Bezug genommen habe, ein ungeeignetes Beweismittel verwertet (vgl allgemein dazu zB BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527; BGH Beschluss vom 15.3.2007 - 4 StR 66/07 - NStZ 2007, 476) und damit seiner Entscheidung zugleich einen falschen Beweismaßstab zugrunde gelegt. Dazu trägt die Klägerin ua vor, dass die Sachverständige H. ihr Glaubhaftigkeitsgutachen nach anderen Kriterien erstellt habe, als im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 S 1 KOVVfG maßgebend seien.

21

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft. Im Übrigen - also hinsichtlich Folgen seelischer Misshandlungen - ist die Revision unbegründet.

22

1. Einer Sachentscheidung entgegenstehende, von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

23

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass bereits während des Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 20 mwN). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482) hat die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21, und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG)ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 OEG gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu richten hat. Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung klargestellt, dass sie im vorliegenden Verfahren ausschließlich einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente verfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 12).

24

2. Für einen Anspruch der Klägerin auf eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

25

a) Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 OEG gegeben sind(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

26

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

27

b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden Senats ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 mwN).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG sein(BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Eine Erstreckung dieses Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen hat das Bundessozialgericht (BSG) bislang abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

29

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

30

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen Fußtritt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

31

Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der Wortlautinterpretation hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der Senat jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 44 mwN). So ist beim "Stalking" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 69 mwN).

32

c) Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

33

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN).

34

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

35

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

36

3. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern.

37

Entgegen der Ansicht der Klägerin stellen die von den Vorinstanzen angenommenen allgemeinen Verhältnisse in der Familie der Klägerin keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar. Das SG hat hierzu festgestellt, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen seien mehr auf ein Zusammenwirken atmosphärisch ungünstiger Entwicklungsbedingungen (ablehnende Haltung der Mutter gegenüber der Klägerin, unberechenbare Aggressivität sowie grenzüberschreitende weinerliche Anhänglichkeit des Vaters) zurückzuführen (S 23 des Urteils). Darauf hat das LSG Bezug genommen. Die Verhaltensweise der Eltern hat danach zwar seelische Misshandlungen der Klägerin umfasst, es fehlt insoweit jedoch an dem Merkmal der Gewaltanwendung im Sinne einer gegen den Körper der Klägerin gerichteten Tätlichkeit.

38

4. Soweit die Klägerin Beschädigtenrente nach dem OEG wegen der Folgen körperlicher Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung unmöglich. Derartige schädigende Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 OEG erfasst, soweit sie nicht von dem seinerzeit noch anerkannten elterlichen Züchtigungsrecht(vgl BGH Beschluss vom 25.11.1986 - 4 StR 605/86 - JZ 1988, 617) gedeckt waren. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

39

a) Das LSG hat unterstellt, dass als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe einzelne Schläge durch die Eltern (ein heftiger Schlag durch den Vater sowie zwei "Ohrfeigen" durch die Mutter) nachgewiesen seien. Diese hätten jedoch nicht genügt, um die gravierenden seelischen Erkrankungen der Klägerin zu verursachen. Das LSG verweist hierbei auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. S. sowie auf die Ausführungen des SG, wonach diese Taten keine posttraumatische Belastungsstörung hätten auslösen können. Die hierauf gründende tatrichterliche Wertung des LSG ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Weder lässt sich feststellen, dass die Vorinstanz insoweit von unrichtigen Rechtsbegriffen ausgegangen ist, noch hat die Klägerin die betreffenden Tatsachenfeststellungen mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen.

40

b) Den überwiegenden Teil der von der Klägerin angegebenen körperlichen Misshandlungen durch deren Eltern sowie den behaupteten sexuellen Missbrauch durch deren Vater und einen Fremden hat das LSG nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 KOVVfG, die der Senat nicht teilt.

41

Nach § 15 S 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).

42

Diesen Kriterien hat das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 KOVVfG mit der pauschalen Begründung verneint hat, es lägen Beweismittel vor. Zwar hat sich das LSG hinsichtlich der Verneinung umfangreicher körperlicher Misshandlungen der Klägerin durch ihre Eltern, insbesondere durch den Vater, auch auf die Zeugenaussage des Bruders T. der Klägerin gestützt. Es hätte insoweit jedoch näher prüfen müssen, inwiefern die Klägerin Misshandlungen behauptet hat, die dieser Zeuge (insbesondere wegen Abwesenheit) nicht wahrgenommen haben kann. Soweit es den angegebenen sexuellen Missbrauch betrifft, ist nicht ersichtlich, dass diesen eine als Zeuge in Betracht kommende Person wahrgenommen haben kann.

43

c) Soweit das LSG den § 15 S 1 KOVVfG hilfsweise herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das LSG insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem Senat Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog Glaubhaftigkeitsgutachten in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem OEG einzugehen.

44

aa) Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

45

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 20, 23).

46

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des Wirklichkeitsbezuges einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

47

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergeben sich aus den Ausführungen in dem Urteil des LSG NRW vom 28.11.2007 - L 10 VG 13/06 - (Juris RdNr 25) keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das LSG NRW hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein begründbarer Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem Zeitraum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das LSG NRW zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das LSG NRW ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten (LSG NRW, aaO, Juris RdNr 25). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das LSG NRW gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

48

bb) Für die Erstattung von Glaubhaftigkeitsgutachten gelten auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der BGH in der Entscheidung vom 30.7.1999 (1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht vgl Fabian/Greuel/Stadler, StV 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl Vogl, NJ 1999, 603), die Glaubhaftigkeitsgutachten allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 48 ff; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 16 ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167 ff mwN; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/Volbert, wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog Nullhypothese (Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der Nullhypothese sowie das Ausgehen von dieser kritisierend Stanislawski/Blumer, Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw Alternativhypothesen zu bilden (vgl beispielhaft hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 52 f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw Alternativhypothesen verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

49

Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), Aussagequalität (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie Aussagevalidität (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit Schumacher, StV 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene (zB der Ebene der Aussagequalität) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen (Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 62).

50

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die Aussagequalität überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die Aussagevalidität betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw Alternativhypothesen; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

51

Diese Prüfungsschritte müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

52

cc) Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog Nullhypothese, vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu SG Fulda Urteil vom 30.6.2008 - S 6 VG 16/06 - Juris RdNr 33 aE; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.7.2010 - L 13 VG 25/07 - Juris RdNr 36; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.6.2012 - L 4 VG 13/09 - Juris RdNr 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese äußernd LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - ZFSH/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

53

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von Alternativhypothesen zur Wahrannahme zu belegen (Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 20, 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige Aussagequalität haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 22). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, StV 2004, 284, 286).

54

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 205), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu Volbert, aaO S 20). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl Volbert, aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

55

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der Vollbeweis gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des Klägers bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von Glaubhaftigkeitsgutachten ausgehend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.9.2008 - L 11 VG 33/08 - Juris RdNr 24 ff; LSG NRW Urteil vom 29.9.2010 - L 6 (7) VG 16/05 - Juris RdNr 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG Bayerisches LSG Urteil vom 30.6.2005 - L 15 VG 13/02 - Juris RdNr 40; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 5.6.2008 - L 13 VG 1/05 - Juris RdNr 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris RdNr 38 ff).

56

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog Nullhypothese - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527, 2528 f; Saarländisches OLG Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris RdNr 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris RdNr 64 ff). In diesen Verfahren ist der Vollbeweis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

57

dd) Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle Alternativhypothesen ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten den Vollbeweis ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können.

58

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die Beweisfragen entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

59

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl Lösel/Bender, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd 7, 2001, S 175, 184). Denn dem Tatsachengericht ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw Wahrscheinlichkeitsgrade für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

60

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 gestützt. Dieses Glaubhaftigkeitsgutachten ist vom SG zu den Fragen eingeholt worden:

        

Sind die Angaben der Klägerin zu den Misshandlungen durch die Eltern und zum sexuellen Missbrauch durch den Vater (…) unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlich-aussagepsychologischen Kenntnisstandes insgesamt oder in Teilen glaubhaft? Sind die Angaben insbesondere inhaltlich konsistent und konstant und sind aussagerelevante Besonderheiten der Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin zu berücksichtigen? Welche Gründe sprechen insgesamt für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben?

61

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen H. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in der Einleitung zu ihrem Gutachten ("Formaler Rahmen der Begutachtung") erklärt, dass sich das Vorgehen bei der Begutachtung und die Darstellung der Ergebnisse nach den Standards wissenschaftlich fundierter Glaubhaftigkeitsbegutachtung richte, wie sie im Grundsatzurteil des BGH vom 30.7.1999 (BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746) dargelegt seien (S 1 des Gutachtens).

62

Da das Berufungsurteil mithin - soweit es die Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG betrifft - offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende Senat die Beurteilung des LSG auch zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

63

5. Der erkennende Senat sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil die jetzt nach zutreffenden Beweismaßstäben vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG).

64

6. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

Tenor

I.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 27.05.2009 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten wegen Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Die 1975 geborene Klägerin, für die ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 (Änderungsbescheid des Beklagten vom 29.11.2012) wegen einer seelische Störung, posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), rezidivierenden depressiven Störung (Einzel-GdB 40) und einer Multiplen Sklerose (MS; Einzel-GdB 30), festgestellt wurde, stellte am 16.04.2007 beim Beklagten Antrag auf Beschädigtenversorgung. Als Gesundheitsstörungen gab sie PTBS sowie MS an. Die zugrunde liegende Gewalttat schilderte die Klägerin wie folgt: Da sie ihre damalige Beziehung beendet habe, sei ihr damaliger Freund, ein gewisser J. F. - damals wohnhaft B-Straße, B-Stadt - am 31.05.1995 ausgerastet, habe sie in die Wohnung eingesperrt und beinahe umgebracht. Sie habe J. F. nicht angezeigt, weil dessen Bruder ihr versprochen habe, mit ihm zu einer Therapie zu gehen. Sie habe auch keinen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen ihn geltend gemacht. Zeugen konnte die Klägerin nicht mehr ausfindig machen. Sie legte eine von ihren Eltern unterschriebene Erklärung vom 02.05.2007 vor, die wie folgt lautet: „Es war lautes Hupen vor dem Haus. Wir haben aus dem Fenster geschaut. S. saß in ihrem Auto und getraute sich nicht auszusteigen. Dahinter stand noch ein Auto, das von J., und er stand auf der Straße. Ich ging sofort hinunter. S. stieg aus und ging mit mir zur Hoftüre. J. wurde zudringlich und wollte auch mit auf das Grundstück. Ich musste ihn handgreiflich zurückhalten und drohte mit der Polizei. S. ging mit mir ins Haus. J. stand noch längere Zeit auf der Straße in der Nähe des Hauses. Wir beobachteten dies und hatten die Befürchtung wegen Beschädigung des Autos. Er war dann verschwunden. Er hatte unsere Spielesammlung in G. aus seinem Auto geworfen. Nachdem er weg war, warteten wir noch etwas und ich fuhr mit nach G ... Wir fanden auch die Spielesammlung. S. war sehr verängstigt, wollte aber nicht sagen, was vorgefallen war. Später erzählte sie ihrer Mutter, dass er sie in seiner Wohnung festgehalten hat, als sie gehen wollte. Sie konnte sich losreißen, das Fenster öffnen und um Hilfe rufen.“

Mit Schreiben vom 04.09.2007 erstattete die Klägerin Anzeige gegen den beschuldigten Ex-Freund bei der Staatsanwaltschaft B-Stadt, die das Ermittlungsverfahren wegen Verjährung einstellte. In dem Schreiben schilderte die Klägerin folgende Ereignisse: Vor der behaupteten Gewalttat sei die Klägerin mit J. F. und ihrer Clique in einer Disco gewesen. Bereits dort habe sie ihm gesagt, dass es mit der Beziehung aus sei. J. F. habe sich schon in der Disco unbeherrscht verhalten. Daher habe sie J. F. zunächst nicht nach Hause fahren wollen, es dann aber doch getan. Sie, die Klägerin, habe dann noch Sachen aus J. F. Wohnung holen wollen; es sei etwa ein Uhr gewesen. J. F. habe die Wohnungstür verschlossen, den Telefonstecker herausgezogen und mit der Klägerin eine Rangelei angefangen. Es habe ein langer Kampf begonnen, doch J. F. sei viel stärker gewesen. Er habe ihre Arme festgehalten, sie verdreht, so dass sie vor Schmerzen zusammengesunken sei. Er habe sie in den Schwitzkasten genommen und ins Schlafzimmer gezerrt. Er habe die Klägerin auf das Bett geworfen, sich auf sie gelegt und sie mit der rechten Hand bis kurz vor die Bewusstlosigkeit gewürgt; er hätte sie fast umgebracht. Sie habe ihm dann - auch aus Angst vor einer Vergewaltigung - zu verstehen gegeben, dass sie sich ergebe. Sie habe ihm vorgespiegelt, mit der Beziehung sei alles wieder in Ordnung. Er habe von ihr abgelassen, sei wie ausgewechselt gewesen. Daraufhin sei sie ans Fenster gestürzt und habe um Hilfe gerufen habe. Dann sei es wieder zu jeder Menge Rangelei gekommen. Endlich hätten zwei Polizisten an der Tür geklingelt, woraufhin J. F. wieder ganz brav dagestanden sei. Sie, die Klägerin, sei in Anwesenheit des J. F. nicht bereit gewesen, diesen anzuzeigen. Die Polizisten hätten ihr zugesichert, unten zu warten, bis sie weggefahren sei, und sie dann wegfahren lassen. J. F. habe die Polizisten übertölpelt, indem er zur Hintertür raus sei. Er sei der Klägerin nachgefahren. Es sei zu einer Horrorfahrt gekommen (ständiges Bedrängen mit dem Auto, kriminelles Überholen, Ausbremsen). Als er wieder einmal überholt gehabt habe, habe er im Ort G. sein Auto quer über die Straße gestellt, sich auf die Straße geworfen und die Klägerin aufgefordert, sie solle ihn doch überfahren, wenn sie ihn nicht mehr liebe. Als die Klägerin aber nicht ausgestiegen sei, habe J. F. wieder getobt. Auch eine andere Autofahrerin habe gesehen, wie dieser randaliert und einen Spielekoffer aus dem Auto geworfen habe. J. F. sei dann verschwunden und sie sei anschließend zu ihren Eltern nach D-Stadt gefahren, wo sie zu dieser Zeit gewohnt habe. Dort habe er in einer Seitenstraße gewartet. Vor dem Haus der Eltern habe J. F. wieder randaliert. Sie sei wiederum nicht ausgestiegen, sondern habe gehupt (ca. vier Uhr). Ihr Vater habe ihr dann aus dem Auto geholfen und sie beschützt.

Die Klägerin teilte dem Beklagten mit, persönlich und gesundheitlich sei sie nicht in der Lage gewesen, ihren Ex-Freund früher anzuzeigen. Dass die MS durch die Gewalttat verursacht sei, ergebe sich schon allein aus dem nahen zeitlichen Zusammenhang. Sie habe ständig auftretende Flashbacks aus den damaligen Erlebnissen.

Mit Bescheid vom 16.01.2008 lehnte der Beklagten den Antrag auf Opferentschädigung mit Verweis auf § 2 Abs. 2 OEG ab. Die Klägerin habe es unterlassen, Anzeige gegen J. F. zu erstatten und somit das ihr Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen. Durch ihr Verhalten habe die Klägerin dem Beklagten die Möglichkeit genommen, im Fall einer Leistungsbewilligung Schadensersatzansprüche gegen den Kläger durchzusetzen. Zudem mache der lange Zeitablauf die Beurteilung der medizinischen Kausalität fast gänzlich unmöglich; diese Verstärkung der Beweisnot gehe zulasten der Klägerin.

Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 06.02.2008 Widerspruch ein. Zur Begründung brachte sie im Wesentlichen vor, die Ermessensentscheidung des Beklagten beruhe nicht auf einem vollständig und richtig ermittelten Sachverhalt. Bezüglich der Möglichkeit und Zumutbarkeit einer Strafanzeige sei der Befundbericht der behandelnden Psychotherapeutin T. vom 25.09.2007 nicht beachtet worden. Ab 1996, so die Klägerin, sei der Lebensweg von der MS geprägt gewesen. Sie habe in dieser Phase keinen Zusammenhang mit dem Erlebnis von 1995 hergestellt. Einen eigenen Schaden habe die Klägerin erst 2005 realisiert, so dass für sie vorher kein Grund bestanden habe, einen solchen geltend zu machen. Zusammenfassend sei die Strafanzeige nicht aus Nachlässigkeit, sondern ausschließlich krankheitsbedingt bzw. in Unkenntnis der Zusammenhänge unterlassen worden sein. Generell hätte eine frühere Anzeige keine bessere Aufklärbarkeit bewirkt. Gerade die Schwere der Erkrankung lasse eine Entschädigung aus Steuermitteln angemessen erscheinen.

Der Beklagte schaltete sodann den ärztlichen Dienst ein, um zu ermitteln, ob ein Kausalzusammenhang zwischen der angeblichen Gewalttat und den Gesundheitsstörungen MS und PTBS herstellbar sei; es wurden zahlreiche medizinische Unterlagen ausgewertet. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.05.2008 wurde kein enger zeitlicher Zusammenhang gesehen. Neben der Belastung durch das Gewaltereignis lägen bei der Klägerin weitere Belastungen vor wie z. B. Mobbing am Arbeitsplatz. Mehrere Familienmitglieder hätten Depressionen. Von ihrer Mutter sei die Klägerin geschlagen worden. Ab 1994 habe die Klägerin in verschiedenen Berufen gearbeitet und sei ab 1995 vielfältig ehrenamtlich tätig gewesen, z. B. als Gruppenleiterin, Jugendleiterin und stellvertretende Diözesanjugendsprecherin. Sie sei also nach dem Ereignis erfolgreich tätig gewesen. Der von der Klägerin behauptete Kausalzusammenhang sei nicht herstellbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.2008 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff sei nicht nachgewiesen. Hierfür gebe es keine Zeugen. Die Eltern der Klägerin hätten lediglich angegeben, dass die Klägerin am 31.05.1995 sehr verängstigt bei ihnen eingetroffen sei und nicht erzählen habe wollen, was vorgefallen sei. Es lägen auch keine zeitnahen ärztlichen Befundberichte vor, die Verletzungsfolgen dokumentieren würden. Auch sei von der Klägerin keine Strafanzeige nach dem Vorfall erstattet worden. Ungeachtet des Fehlens des Nachweises einer Gewalttat sei nach Auswertung der vorliegenden Befunde auch kein Kausalzusammenhang zwischen der geltend gemachten Gewalttat und den vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nachgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin am 24.07.2008 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie u. a. vorgetragen, dass sie aufgrund der tatbedingten Folgen des Übergriffs nicht in der Lage gewesen sei, zeitnah eine Strafanzeige zu erstatten oder gegenüber anderen Personen von dem Vorfall zu berichten. Zudem sei sie davon abgehalten worden, da der Bruder von J. F. ihr versichert habe, mit ihm zu einer Therapie zu gehen. Auch habe ihr Vater ihr abgeraten, da sie doch keinen Arbeitskollege von ihm, dem Vater, anzeigen könne. Hierdurch sei die Klägerin völlig lahmgelegt und paralysiert worden. Die Tat sei von ihren Eltern bagatellisiert worden. Für eine PTBS sei typisch, dass diese auch erst nach langem Zeitablauf virulent werde. Die Klägerin hat die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeregt. Soweit im Widerspruchsbescheid auch noch auf schädigungsfremde Belastungsfaktoren hingewiesen werde, gehe auch dieses fehl. Ausweislich des Berichts der behandelnden Therapeutin sei eindeutig der Vorfall vom 31.05.1995 für die beiden genannten Gesundheitsstörungen verantwortlich und nicht irgendwelche sonstigen möglichen Probleme mit Eltern oder an einer Arbeitsstelle.

Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) hat das SG mit Beschluss vom 27.02.2009 mangels Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung abgelehnt. Das SG hat keine Ermittlungen durchgeführt, sondern die Beteiligten mit Schreiben vom 08.05.2009 darüber informiert, dass es eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtige. Daraufhin hat der Beklagte sein Einverständnis erteilt; die Klägerin hat darauf hingewiesen, dass die Streitsache weder im rechtlichen noch im tatsächlichen Bereich als einfach anzusehen sei und dass der Sachverhalt ebenso wenig als geklärt gelten könne. Mit der vorgeschlagenen Verfahrensweise bestehe daher kein Einverständnis.

Dessen ungeachtet hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 27.05.2009 die Klage abgewiesen. Es sei nicht mit der notwendigen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass die Klägerin einem Angriff im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG ausgesetzt gewesen sei. Die Klägerin habe keine Zeugen für den Angriff benennen können; eine Vernehmung des J. F. erscheine untunlich. Soweit vorgetragen worden sei, dass die Klägerin ihrer Mutter erzählt habe, dass sie in der Wohnung des damaligen Lebensgefährten festgehalten worden sei, stelle dies keinen Nachweis im Sinne des Vollbeweises dar. Im Übrigen wäre, so das SG, auch hierdurch ein aggressives Einwirken auf die Klägerin nicht nachgewiesen. Allein die Stellungnahmen der Klägerin im Rahmen ihrer letztlich erfolglosen Anzeige, ärztlicher Behandlungen oder der Antragstellung beim Versorgungsamt B-Stadt würden keinen Nachweis im Sinne des Vollbeweises darstellen. Es sei auch keine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Angriffs im Sinne von § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) gegeben. Dabei spreche unter anderem gegen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin nicht in zeitnahem Abstand zu dem von ihr geschilderten Ereignis eine entsprechende Anzeige erstattet habe und auch gegenüber ihrer Mutter nicht unmittelbar am selben Abend von derart dramatischen Ereignissen, sondern erst später und auch nur dahingehend berichtet habe, dass sie in der Wohnung festgehalten worden sei. Unabhängig davon habe der Beklagte zu Recht einen Versagungsgrund nach § 2 Abs. 2 OEG angenommen.

Am 08.07.2009 hat die Klägerin hiergegen Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen, dass sie zu ihren Eltern ein hochproblematisches Verhältnis habe, wobei Schläge durch die Mutter zu erwähnen seien. Daher sei es nicht zu erwarten, dass sie sich ihren Eltern gegenüber in vollem Umfang geöffnet hätte; dies habe das SG übergangen. Hinzu komme jedoch vor allem, dass die Klägerin zunächst paralysiert gewesen sei. Die Klägerin hat beantragt, die Eltern als Zeugen zu hören. Weiter hat sie darauf hingewiesen, dass von sämtlichen Behandlern ihre Angaben, die in konstanter Art und Weise erfolgt seien, als glaubhaft angesehen worden seien. Die aus dem Vorfall folgenden gesundheitlichen Schädigungen seien dem Vollbeweis bei einer Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zugänglich, „das nunmehr auf jeden Fall in der Berufungsinstanz einzuholen sein“ werde. Im Hinblick auf die Versagung der Leistung (§ 2 Abs. 2 OEG) sei an den Grundsatz zu erinnern, dass Rechtsnachteile grundsätzlich nur dann entstehen dürften, wenn eine schuldhafte Pflichtverletzung vorliege. An einer solchen fehle es jedoch, da die Klägerin nach den medizinischen Berichten zunächst gar nicht in der Lage gewesen sei, über den Angriff und das Geschehen zu berichten. Mit Schriftsatz vom 13.08.2009 hat der Beklagte einen vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff als nicht nachgewiesen erachtet. Die Einvernahme weiterer Zeugen werde nur dann für sachdienlich gehalten, wenn diese aus eigener Wahrnehmung Angaben zum Tathergang machen könnten.

Mit Beschluss vom 23.07.2010 hat der Senat den Antrag auf PKH wegen Mitgliedschaft der Klägerin beim VdK abgelehnt.

Am 21.12.2010 hat (in Nürnberg) ein Erörterungstermin des Senats stattgefunden, an dem auf Antrag der Klägerin auch die Diplom-Psychologin T. als Begleiterin teilgenommen hat. Die Klägerin hat u. a. angegeben, dass die Polizisten damals von der Polizeiinspektion B-Stadt-Stadt, B-Straße, gekommen seien. Zudem hat sie das Datum der Tat berichtigt. Der Vorfall habe sich am 31.05.1996 ereignet. Dies sei der Klägerin zunächst nicht mehr bewusst gewesen. Sie habe also bereits zwei Monate nach der Tat einen Psychiater aufgesucht.

Auf gerichtliche Anforderung hat die Klägerseite sodann mehrere mittelbare Zeugen genannt. Im Folgenden hat der Senat bei der Polizeiinspektion B-Stadt-Ost (B-Straße) nachgefragt. Mit Schreiben vom 09.08.2011 ist von dort mitgeteilt worden, dass zu dem genannten Vorfall bei der hiesigen Dienststelle keinerlei Einsatzdaten vorliegen würden. Weder zur Klägerin noch zu einem J. F. lägen Erkenntnisse vor. Weiterhin sei zu bemerken, dass es in B-Stadt keine B-Straße, jedoch eine C-Straße gebe. Im Anwesen Nr. 8 sei es zum genannten Zeitpunkt zu keinem polizeilichen Einsatz gekommen. Mit Schriftsatz vom 11.08.2011 hat der Beklagte mitgeteilt, dass, selbst wenn die angebotenen Zeugen entsprechend der Schilderung der Klägerseite aussagen würden, nach Auffassung des Beklagten ein Angriff (körperliche Misshandlung bzw. Würgen bis zur Bewusstlosigkeit) gegen die Klägerin weder nachgewiesen noch als glaubhaft im Sinne des § 15 KOV-VfG anzusehen sei. Die von den Zeugen möglicherweise bestätigten Handlungen (Stellen vor das Auto, Toben vor dem Haus der Eltern, Sachbeschädigung eines Automaten und verbale Übergriffe) könnten nach Auffassung des Beklagten - u. a. unter Berücksichtigung des „Stalking-Urteils“ des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.04.2011 (Az.: B 9 VG 2/10 R) - ebenfalls nicht als unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung angesehen werden.

Am 02.01.2014 hat die Klägerin Verzögerungsrüge erhoben.

Auf gerichtliche Nachfrage hat die Polizeiinspektion A-Stadt am 17.03.2014 mitgeteilt, dass auch über das Jahr 1996 keine Einsatz-Datenbestände mehr vorlägen.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 11.03.2014 ist die Klägerbevollmächtigte darauf hingewiesen worden, dass es entsprechend bereits einem früheren gerichtlichen Hinweis vorliegend nicht mehr um die Überprüfung einer Ermessensentscheidung gehe, da der Beklagte die Begründung seiner Ablehnungsentscheidung im Widerspruchsbescheid ausgetauscht habe. Weiter ist deutlich gemacht worden, dass keine Beweiserhebung zu der abstrakten Frage für notwendig angesehen werde, ob Traumapatienten oft erstmals Jahre oder Jahrzehnte nach dem Erlebnis über ihr Trauma sprechen könnten. Zudem hat das Gericht aktuelle Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt, nämlich vom Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Dipl.-Psych. H., vom Orthopäden Dr. I. und von der Allgemeinmedizinerin Dr. K.; zudem hat es einen Entlassungsbericht des Behandlungszentrums für MS-Patienten K. ausgewertet. Sodann hat das Gericht den Zeugen J. F. ausfindig gemacht und ihn zunächst schriftlich befragt.

In der mündlichen Verhandlung des Senats am 21.04.2015 sind dieser und die Eltern der Klägerin als Zeugen einvernommen worden.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des SG vom 27.05.2009 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.06.2008 zu verurteilen, als Schädigungsfolgen im Sinne des OEG MS sowie PTBS festzustellen und Versorgung zu gewähren

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegen-stand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff auf die Klägerin im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist, wie das SG zu Recht entschieden hat, nicht nachgewiesen.

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.

Bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette) geht der Senat von folgenden rechtlichen Maßgaben aus (vgl. z. B. Urteil v. 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09; zum Ganzen vgl. auch BSG, Urteile v. 17.04.2013, Az.: B 9 V 1/12 R sowie Az.: B 9 V 3 /12 R, und v. 16.12.2014, Az.: B 9 V 1/13 R):

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zu berücksichtigen, dass die Verletzungshandlung im OEG entsprechend dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das Strafgesetzbuch (StGB) geregelt ist (BSG, Urteil v. 07.04.2011, Az.: B 9 VG 2/10 R, m. w. N.). Gleichwohl orientiert sich die Auslegung an der im Strafrecht gewonnenen Bedeutung des auch dort verwendeten rechtstechnischen Be-griffs des „tätlichen Angriffs“ (vgl. insbesondere BSG, Urteil v. 28.03.1984, Az.: B 9a RVg 1/83, BSGE 56, 234, 235 f). Die Auslegung hat sich mit Rücksicht auf den das OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes aber weitestgehend von subjektiven Merkmalen (z. B. einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) gelöst (st. Rspr. seit 1995; vgl. BSG, Urteil v. 07.04.2011, a. a. O., m. w. N.). Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat das BSG vornehmlich aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden (z. B. Urteil v. 29.04.2010, Az.: B 9 VG 1/09 R, BSGE 106, 91).

Der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist also grundsätzlich unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, a. a. O., m. w. N.).

Die von der Klägerin geltend gemachte Handlung des Würgens und der intensiven körperlichen Bedrängung durch den Beschuldigten muss jedoch nachgewiesen sein. Wie der Senat wiederholt (vgl. z. B. Urteil vom 05.05.2015, Az.: L 15 VG 31/12) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d. h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92; Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 128, Rdnr. 3b).

Dieses Erfordernis ist vorliegend nicht erfüllt. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens hält der Senat es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß für erwiesen, dass die Klägerin am 31.05./01.06.1996 von dem Zeugen J. F. bis fast zur Bewusstlosigkeit gewürgt und massiv körperlich bedrängt worden wäre.

Im Einzelnen würdigt der Senat die vorliegenden Beweismittel wie folgt:

1. Der in der mündlichen Verhandlung vernommene Zeuge J. F. hat den von der Klägerin behaupteten Vorgang nicht bestätigt. Er hat lediglich erklärt, sich zwar an die Beziehung mit der Klägerin vor ca. zwei Jahrzehnten, nicht jedoch an ihr Ende erinnern zu können; an einen Vorfall in der genannten Diskothek hatte der Kläger nach seinen Angaben ebenfalls keine Erinnerung mehr. Der Senat sieht vor allem auch nach dem Eindruck aus der mündlichen Verhandlung keine Anhaltspunkte, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln, auch wenn dessen Interesse nicht von der Hand zu weisen ist, in keinem Fall als Täter dazustehen. Dabei ist u. a. zu beachten, dass der Zeuge im Hinblick auf Verjährung keine strafrechtlichen Sanktionen mehr zu befürchten hätte. Auch wenn der Zeuge nur sehr knappe Angaben gemacht hat, erlaubt dies nach Auffassung des Senats im Übrigen nicht den Verdacht, dass er etwas zu verbergen versucht habe. Denn seine Aussage ist generell (u. a. bereits bei den Angaben zur Person) dadurch gekennzeichnet gewesen, dass sie „mit dürren Worten“ erfolgt ist; der Zeuge ist wortkarg und wenig sprachgewandt erschienen.

2. Auch die als Zeugen vernommenen Eltern der Klägerin haben die geltend gemachten Handlungen des Würgens und der intensiven körperlichen Bedrängung nicht bestätigen können. Sie haben lediglich die von der Klägerin geschilderten Vorgänge in der angeblichen Tatnacht vor ihrem Wohnhaus in D-Stadt bestätigt. Danach steht aus Senatssicht fest, dass sich die Klägerin und der Beschuldigte in einer „emotional aufgewühlten Situation“ befunden haben. Im Einzelnen dürfte aus den Schilderungen folgen, dass die Klägerin vor J. F. Angst gehabt und dass sich dieser aggressiv verhalten hat. Der Senat geht daher davon aus, dass sich zwischen den beiden bereits vor dem Eintreffen in D-Stadt durchaus (größere) Auseinandersetzungen oder Ähnliches zugetragen haben dürften; welcher Art diese Auseinandersetzungen gewesen sind, bleibt jedoch völlig offen. Insbesondere ergibt sich aus den Vorgängen in D-Stadt in keinem Fall ein zwingender Rückschluss auf die von der Klägerin geschilderten Handlungen. Im Gegenteil ergeben sich sogar erhebliche Widersprüche zwischen der Schilderung der Klägerin einer- und den Angaben der Eltern andererseits im Hinblick auf die Uhrzeit der Vorgänge vor dem elterlichen Haus. So spricht aus Sicht des Senats - u. a. wegen der Detailliertheit der Angaben hinsichtlich der Uhrzeit - Einiges dafür, dass die Aussagen der Eltern zutreffend und die Klägerin und der Beschuldigte viel früher in D-Stadt angekommen sind, als die Klägerin angegeben hat. Daraus folgt jedoch, dass sich die Vorgänge nicht genau so zugetragen haben können, wie es die Klägerin dargestellt hat. Insbesondere war der Zeitraum, in dem der Beschuldigte bereits aggressives Verhalten gezeigt haben bzw. „ausgeflippt“ sein soll, wohl erheblich kürzer. Darüber hinaus hat die Mutter der Klägerin vor dem Senat die Schilderung ihrer Tochter berichtet, dass diese von J. F. in der Wohnung festgehalten worden sei, worauf sie um Hilfe gerufen habe und die Polizei gekommen sei. Auch diese Angabe der Zeugin lässt jedoch keine Annahme und nicht einmal eine Vermutung zu, inwieweit das geschilderte Geschehen (Würgen, massive körperliche Bedrängung der Klägerin) sich tatsächlich zugetragen hat. Vielmehr ergeben sich erhebliche Zweifel, da die Zeugin ausdrücklich erklärt hat, dass die Klägerin von einem Würgen in der Tatnacht gar nicht gesprochen und sie, die Zeugen, keinerlei Würge- oder weitere Spuren körperlicher Gewalt an der Klägerin bemerkt habe. Andererseits hat die Mutter der Klägerin erklärt, dass sie mit dieser zum Arzt gegangen wäre, wenn sie äußere Merkmale einer Gewalttat gesehen hätte. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine nachvollziehbare Erklärung dafür, weshalb die Eltern der Klägerin Würgespuren an deren Hals nicht hätten bemerken sollen.

3. Ebenso wenig vermag sich der Senat allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zu bilden. Zwar kann sich eine Entscheidung in freier Beweiswürdigung grundsätzlich jedenfalls dann allein auf den Beteiligtenvortrag stützen, wenn dieser glaubhaft ist - wobei „glaubhaft“ hier nicht im Sinn einer Herabsetzung des Überzeugungsmaßes verstanden werden darf -, der Lebenserfahrung entspricht und nicht zu anderen festgestellten Tatsachen im Widerspruch steht (vgl. Keller, a. a. O., Rdnr. 4; Gutzler, in: SGb 2/2009, S. 73 (76), jeweils m. w. N.; Urteil des Senats v. 05.02.2013, a. a. O.).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend aber nicht erfüllt. Zwar hat die Klägerin den schädigenden Vorgang und das Rahmengeschehen relativ detailreich geschildert, was durchaus für einen realen Erlebnisbezug sprechen kann (vgl. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl., Rdnr. 310 ff.). Der Senat sieht jedoch bei der Schilderung der schädigenden Handlung durch die Klägerin Defizite in der Plausibilität. Die Klägerin hat angegeben, J. F. habe sie auf das Bett geworfen, sich auf sie gelegt und sie (mit der rechten Hand) bis kurz vor die Bewusstlosigkeit gewürgt; er habe sie fast umgebracht. Sie habe ihm dann vorgespielt, mit der Beziehung sei alles wieder in Ordnung. Er habe von ihr abgelassen und sei wie ausgewechselt gewesen. Daraufhin sei sie ans Fenster gestürzt und habe um Hilfe gerufen. Aus Sicht des Senats ist es nur bedingt nachvollziehbar, dass es die Klägerin trotz Todesangst bewirkt haben soll, dass J. F. wie ausgewechselt war, um dann erneut „wie am Spieß“ um Hilfe zu schreien mit dem Risiko, dass der Beschuldigte wieder über sie herfiel, was schließlich denn auch - nach Angaben der Klägerin - geschehen sein soll. Dieses Verhalten ist wohl allenfalls durch ein Höchstmaß an Panik zu erklären. Dann aber erscheint es dem Senat doch lebensfremd, dass die Klägerin, um den Beschuldigten zu schützen, überhaupt nichts zu den herbeigerufenen Polizeibeamten sagte. Zumindest unverständlich ist weiter auch, dass diese keinerlei Spuren des massiven tätlichen Angriffs und der Auseinandersetzungen in der Wohnung bemerkt haben wie Verletzungen (Würgespuren), Verwüstung, zumindest Panik (vgl. das vorherige Schreien um Hilfe), Verstörtheit der Klägerin etc. Auch bleiben aus Sicht des Senats gewisse Widersprüche hinsichtlich der klägerischen Angaben zur Beziehung mit dem Beschuldigten. So hat die Klägerin angegeben, mit J. F. am 23.01.1995 - dieses Datum wurde später auf „Mitte Januar 1996“ korrigiert - eine anfangs harmonische (intime) Wochenendbeziehung eingegangen zu sein, die gut funktioniert habe, bis der Beschuldigte „nur noch vom Heiraten und Kinderkriegen gesprochen“ habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin dann jedoch ausgesagt, dass die „Sache mit dem Heiraten und Kinderkriegen“ bereits im Februar 1996 begonnen habe. Daraus ergibt sich, dass die Wochenendbeziehung nur sehr wenige Wochen harmonisch gewesen ist. Auf der anderen Seite ist für diese losere Bindung, die in harmonischem Rahmen nur sehr kurz angedauert haben soll, aber sogar ein Paar Ringe mit einer Gravur versehen worden. Der Senat hat daher Zweifel, ob die Beziehung von der Klägerin zutreffend geschildert worden ist. Damit bestehen jedoch auch erhebliche Zweifel an den Rahmenbedingungen für die (angebliche) Tatnacht.

Neben den geschilderten Zweifeln des Senats ergibt sich für diesen auch nicht der geringste objektive Hinweis dafür, dass die Aussagen der Klägerin zutreffend wären. Bis auf die Angaben der Klägerin sind keine objektiven Tatsachen bekannt, die zur Überzeugungsgewinnung des Senats dienen könnten. Insbesondere hat niemand einen entsprechenden Vorfall in B-Stadt bestätigt.

Vielmehr hat sich die Klägerin erst über ein Jahrzehnt später nach der behaupteten Tat auf diese berufen und Ansprüche geltend gemacht, wobei aus einer „verspäteten“ Anzeige freilich nicht ohne Weiteres darauf geschlossen werden, dass sie eher falsch ist (vgl. Bender/Nack/Treuer, a. a. O., Rdnr. 262 ff.).

Einzig die relativ konsistente Schilderung der Klägerin des von ihr angegebenen Geschehens bzw. von entsprechenden Flashbacks bei Fachärzten und die Übernahme dieser Angaben durch die Ärzte im Rahmen der Diagnosen und Therapien könnten als Hinweis auf eine Richtigkeit der Angaben der Klägerin gesehen werden. Aus Sicht des Senats ist jedoch nicht auszuschließen, dass die Ärzte die Angaben der Klägerin lediglich kritiklos übernommen bzw. nur ungenügend hinterfragt haben, zumal der konkrete Geschehensablauf des Angriffs im Rahmen der Therapie nur eine nachrangige Bedeutung haben dürfte. Auffällig ist zudem, dass sich in den ärztlichen Unterlagen teilweise voneinander abweichende und nicht schlüssige Angaben finden. So spricht z. B. der Bericht der A.-Klinik O. vom 08.05.2006 von der Erstdiagnose der MS im Jahr 1995; die Klägerin gibt aber an, erst im Januar 1996 von ihrem Ex-Freund gewürgt und massiv körperlich bedrängt worden zu sein und erst danach die MS entwickelt zu haben. Auch bezüglich des Beginns der Symptome der PTBS finden sich in den medizinischen Unterlagen verschiedene Angaben. Ob es sich um Ungenauigkeiten der Behandler bei der Anamnesedokumentation oder um teilweise unzutreffende Angaben der Klägerin handelt, muss offen bleiben. Jedenfalls kann nach Auffassung des Senats die relativ konsistente Schilderung und die Reaktion der Ärzte hierauf nicht zu der Beurteilung führen, „dass kein vernünftiger Mensch am Vorliegen des Angriffs noch zweifelt“ (Vollbeweis, s.o.).

4. Im Übrigen hält der Senat die Angaben des Vaters der Klägerin durchaus für glaubhaft, dass diese in der Zeit nach Januar 1996 in ihrem Wesen ruhiger geworden ist, sich von ihrem Freundeskreis ein bisschen zurückgezogen und großes soziales Engagement beim M. Hilfsdienst bzw. durch Gründung und Leitung einer eigenen Jugendgruppe gezeigt hat. Ein zwingender Rückschluss darauf, dass sich daher zu dem genannten Zeitpunkt der von der Klägerin geschilderte Angriff tatsächlich ereignet haben muss, ergibt sich aber gerade nicht. Aus Sicht des Senats erlauben diese von dem Zeugen geschilderten Tatsachen nicht einmal eine in diese Richtung gehende Vermutung. Zum einen erscheint es sogar eher fernliegend, dass nach einem traumatischen Ereignis gerade derartiges engagiertes Handeln gezeigt wird, auch wenn es um ein „Ablenken“ geht, worauf der Zeuge hingewiesen hat. Zum anderen kann ein Rückzug vom Freundeskreis in untergeordnetem Ausmaß ebenso gut mit einer Vielzahl von anderen Ereignissen erklärt werden, wie z. B. mit der (bloßen) Trennung der Klägerin von ihrem Freund. Im Übrigen ergibt sich nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen auch, dass bei der Klägerin unbestritten psychische Probleme bestehen, gegebenenfalls durch die Faktoren „Mobbingsituation am Arbeitsplatz“ und „genetische Disposition“ (Auftreten von Depressionen bei anderen Familienmitgliedern) bedingt; die vom Vater der Klägerin erwähnte Wesensänderung etc. kann also auch durch die psychischen Probleme verursacht sein.

5. Aus Sicht des Senats erscheint es grundsätzlich möglich, dass die Angaben der Klägerin deren psychiatrischen Erkrankungen geschuldet sind, die in den dem Senat vorliegenden Unterlagen dokumentiert sind. Der Senat kann freilich auch nicht ausschließen, dass bei der Klägerin - jenseits einer pathologischen Problematik - eine Gedächtnistäuschung, Erinnerungsfehler o.ä. gegeben sind, wobei zu beachten ist, dass das Tatgeschehen bereits weit zurückliegt. Auszuschließen ist zudem auch nicht, dass bewusstseinsnahe Vorgänge die Klägerin dazu gebracht haben, (auch erst viele Jahre später) einen unzutreffenden Vorwurf gegen ihren früheren Freund zu erheben.

Der Senat war nicht gehalten, positiv festzustellen, aus welchem Grund die Klägerin die vorliegende, den Senat nicht überzeugende Schilderung gegeben hat; daher hat es insoweit auch keines Sachverständigengutachtens bedurft. Die möglichen Erklärungen festigen lediglich den aus anderen Gründen gewonnenen Eindruck, dass der Schilderung nicht gefolgt werden kann.

Auch unter Berücksichtigung des weniger strengen Beweismaßstabs der Glaubhaftmachung ergibt sich vorliegend kein anderes Ergebnis

Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOV-VfG kann prinzipiell auch im Hinblick auf solche Tatsachen anwendbar sein, die in Zusammenhang mit einer Schädigung stehen, welche vom OEG erfasst wird. Zwar wollte der Gesetzgeber ursprünglich nur der Beweisnot entgegenwirken, in der sich Antragsteller befanden, weil sie durch Kriegsereignisse (wie Flucht, Vertreibung, Bombenangriffe etc.) die über sie geführten Krankengeschichten, Befundberichte, Urkunden etc. nicht mehr erlangen konnten. Mit der Verweisung in § 6 Abs. 3 OEG hat der Gesetzgeber jedoch der Beweisnot derjenigen Verbrechensopfer Rechnung tragen wollen, bei denen die Tat ohne Zeugen geschehen ist und bei denen sich der Täter einer Feststellung entzogen hat, mithin andere Beweismittel als die eigenen Angaben des Betroffenen nicht zur Verfügung stehen (vgl. BSG v. 31.05.1989, Az.: B 9 RVg 3/89; BSG v. 17.04.2013, a. a. O.; vgl. auch die Entscheidung des Senats v. 17.08.2011, Az.: L 15 VG 21/10). Die Beweiserleichterung gilt nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 31.05.1989, a. a. O.) - gewissermaßen in einer zweiten Stufe einer erweiterten Auslegung - zudem nicht nur für das Verwaltungsverfahren, sondern auch im gerichtlichen Verfahren, weil sie, so das BSG, nicht nur das Verfahren der Verwaltung regle, sondern „materielles Beweisrecht“ enthalte (a. a. O.). Weiter darüber hinaus (dritte Stufe) soll sie schließlich sogar mitunter in Fällen anwendbar sein, in denen Zeugen als Beweismittel vorhanden sind (BSG, Urteil vom 17.04.2013, a. a. O.): Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOV-VfG ist nach der Rechtsprechung des BSG auch dann heranzuziehen, wenn es für den schädigenden Vorgang an Tatzeugen mangelt, weitere Zeugen aber vorhanden sind, wobei der als Zeuge im sozialgerichtlichen Verfahren zu vernehmende beschuldigte Täter kein Zeuge im Sinne dieser Rechtsprechung sein soll. Das BSG hat hierzu ausgeführt (a. a. O.):

„Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind... nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl. §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind.“

Aus Sicht des Senats stößt eine solche dreifach erweiterte Auslegung des § 15 Satz 1 KOV-VfG bereits im Hinblick auf den klaren Wortlaut der Vorschrift auf Bedenken. Mag die grundsätzliche Anwendung für OEG-Verfahren im Hinblick auf die gesetzliche Anordnung in § 6 Abs. 3 OEG noch unbedenklich sein und mag die analoge Anwendung für gerichtliche Verfahren den Bereich des Zulässigen noch nicht überschritten haben, erscheint eine weitere Ausdehnung von § 15 Satz 1 KOV-VfG auf Fälle, in denen (im sozialgerichtlichen Verfahren) zwar Zeugen vorhanden sind, die eben nur nicht das Begehren des Opfers stützen (wie oftmals der Täter oder weitere Zeugen, die die Tat nicht unmittelbar beobachtet haben), problematisch. Denn die Annahme, dass die Beweisnot des Opfers identisch sei in den Fällen einerseits des leugnenden und andererseits des unerkannt gebliebenen Täters, erscheint sachlich nicht unangreifbar. Selbst der leugnende Täter wird in vielen Fällen (unbewusst) Angaben machen, die eine Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit zulassen oder die für den Anspruch der Kläger des sozialgerichtlichen Verfahrens durchaus förderlich sein können. Auch ist die Beschränkung auf „Tatzeugen“ nicht nachvollziehbar. So ist der Begriff des „Tatzeugen“ aufgrund der Vielfältigkeit der möglichen Tatumstände nicht klar definierbar. Zudem liegt zwar nahe, dass eine vergleichbare Beweisnot des Opfers besteht, wenn überhaupt kein Zeuge im Umfeld der Tat vorhanden ist. Wenn jedoch z. B. Zeugen vorhanden sind, die unmittelbar Wahrnehmungen aus eigener Anschauung bezüglich unmittelbar im Anschluss an die strafrechtliche Tatbeendigung erfolgter Geschehensabläufe wiedergeben können oder die während der Tat diese selbst zwar nicht beobachtet, jedoch entsprechende eindeutige Beobachtungen gemacht haben, kann von einer vergleichbaren Beweisnot nicht die Rede sein.

Letztlich kann hier jedoch offen bleiben, ob wegen dieser Bedenken des Senats (vgl. im Übrigen die Rechtsprechung v. 17.08.2011, a. a. O., sowie v. 05.02.2013, a. a. O.) und des Vorhandenseins der drei - in der mündlichen Verhandlung vernommenen - Zeugen § 15 KOV-VfG nicht anwendbar ist (weil nicht die Rede davon sein kann, dass andere Beweismittel als die Angaben der Klägerin objektiv nicht vorhanden wären) und ob die Beweiserleichterung deshalb nicht greift, weil die Klägerin diesen Beweisnotstand durch die späte Antragstellung verschuldet haben könnte. Denn selbst wenn man den genannten Maßstab der Glaubhaftigkeit genügen lassen wollte, würde das der Berufung der Klägerin nicht zum Erfolg verhelfen. Im Hinblick auf die obigen Darlegungen können die Aussagen der Klägerin nach Auffassung des Senats nicht als glaubhaft angesehen werden, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für die Möglichkeit des Würgens bis fast zur Bewusstlosigkeit und der massiven körperlichen Bedrängung der Klägerin sprechen würde (vgl. BSG v. 17.04.2013, a. a. O.). Von den in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten kommt der eines solchen Verhaltens des Zeugen F. nicht einmal ein gewisses Übergewicht zu. Aus Sicht des Senats besteht allenfalls eine geringe Möglichkeit für das von der Klägerin geschilderte Geschehen. Der Senat ist der Auffassung, dass besonders viel für die Möglichkeit spricht, dass es an jenem Abend in B-Stadt zu einem die Klägerin emotional belastenden Ereignis gekommen ist. Dabei ist nicht völlig auszuschließen, dass sich ein Angriff in etwa so ereignet hat, wie ihn die Klägerin schildert. Wahrscheinlicher ist unter Verweis auf die obigen Darlegungen aus Sicht des Senats jedoch, dass ein anderer Geschehensablauf gegeben war, wie etwa die Beendigung der Beziehung zwischen der Klägerin und dem Zeugen oder ein massiver Streit beider ohne Gewalttätigkeiten.

Zu weiteren Ermittlungen des Senats bestand keine Veranlassung und keine verfahrensrechtliche Pflicht. 1. Insbesondere waren keine Zeugen aus der oben genannten Diskothek zu vernehmen. Denn aus dem Geschehen in dieser lässt sich nicht auf das konkrete spätere Geschehen schließen. Der Senat hält es grundsätzlich für glaubhaft, dass sich der von der Klägerin Beschuldigte in der Diskothek (jedenfalls gewissem Umfang) aggressiv gezeigt hat. 2. Weiter ist nicht ersichtlich, wohin sonstige Anfragen gerichtet hätten werden können. 3. Zu weiteren - über die Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen hinausgehenden - medizinischen Ermittlungen besteht ebenfalls kein Anlass. Ein Rückschluss von einer psychiatrischen Erkrankung auf die zugrundeliegende Tat ist nicht möglich, sondern zirkelschlüssig (vgl. das Urteil des Senats vom 05.02.2013, a. a. O.; Rademacker, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl., § 1 OEG, Rdnr. 48; Högenauer, MedSach 2006, S. 67 (68)). Auch geben die psychischen Probleme der Klägerin nicht einmal einen (brauchbaren) Hinweis auf die Möglichkeit der Faktizität des geltend gemachten Geschehens. 4. Schließlich ist auch ein aussagepsychologisches Gutachten nicht einzuholen. Zum einen gehört die Würdigung von Aussagen nicht nur Erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut (vgl. Urteil des Senats a. a. O.). Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Beschluss vom 16.12.2002 (Az.: 2 BvR 2099/01) festgestellt hat, stellen die bei der Beweiswürdigung als einem Teil der Rechtsanwendung sich ergebenden aussagepsychologischen Fragen keine abgelegene, sondern eine für Richter ebenso wie für Anwälte zentrale, in der juristischen Fachliteratur ausführlich abgehandelte Materie dar, so dass die Auffassung nachvollziehbar ist, zur Würdigung der Zeugenaussagen sei, mangels besonderer zusätzliche psychologische Kenntnisse erfordernder Umstände, eine Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe nicht erforderlich. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt (vgl. das Urteil des Senats, a. a. O., sowie das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 15.12.2011, Az.: L 6 VG 584/11) daher nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, wenn nämlich dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens kann nach Auffassung des Senats - gerade auch unter Beachtung des o.g. Beschlusses des BVerfG - also nur geboten sein, wenn Sachverhalt oder Aussageperson solche Besonderheiten aufweisen, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Weder weisen Klägerin - mit Ausnahme der unten genannten Problematik - oder die Zeugen solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert. Für den Senat hat sich klar abgezeichnet, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die von der Klägerin dargestellte Version nicht zutrifft. Ferner hat der Senat bereits entschieden (vgl. Urteile des Senats vom 05.02.2013, a. a. O., und vom 30.06.2009, Az.: L 15 VG 17/05), dass in einem Fall, in dem die Aussageperson (unter anderem) an einer wahnhaften Störung leidet, die Durchführung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nicht sinnvoll ist. Wie in dem bereits entschiedenen Fall von dem damals beauftragten medizinischen Sachverständigen dargelegt worden ist, hat die dortige Klägerin an einer wahnhaften Störung gelitten und ist somit unverrückt von den entsprechenden Wahninhalten überzeugt gewesen. Wahninhalte können für die betreffenden Patienten - wie der medizinische Sachverständige für die dortige Klägerin festgestellt hat - reelle Tatsachen darstellen, so dass in einer weiteren Verhaltensanalyse im Rahmen einer Begutachtung keine weiteren wesentlichen Erkenntnisse zu erwarten sind (a. a. O.). Somit spricht mit Blick auf die von der Ärztin Dr. K. diagnostizierte schizoide Störung der Klägerin zumindest Einiges dafür, dass ein Glaubhaftigkeitsgutachten auch im hier vorliegenden Fall ein untaugliches Beweismittel wäre (vgl. auch Högenauer, a. a. O., S. 67 (69 a.E.)); dies kann letztlich aber offen bleiben.

Nach alledem ist der Nachweis, dass ein Angriff im Sinn des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG vorliegt, nicht erbracht, da es an der Handlung des Würgens etc. mangelt. Auf die gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin kommt es somit ebenso wie auf Kausalitätsfragen nicht an. Gleiches gilt für die Frage, ob ein Versagungsgrund gemäß § 2 Abs. 2 OEG gegeben ist.

Die Berufung kann damit keinen Erfolg haben. Sie ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt die Anerkennung, Opfer schädigender Ereignisse in Form von sexuellem Missbrauch zwischen 1966 und 1978 geworden zu sein und infolgedessen unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bzw. einer rezidivierenden depressiven Störung und schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen zu leiden.
Die am ... Januar 1962 geborene Klägerin zog im Alter von 16 Jahren aus dem Elternhaus aus, wo sie bis dahin mit zwei älteren und einem jüngeren Bruder aufgewachsen war. Sie machte den Hauptschulabschluss, danach zunächst eine Ausbildung zur Kinderpflegerin, später zur Wochenpflegerin, Arzthelferin und Krankenschwester. Im Jahr 1980 heiratete sie und bekam drei Kinder, geboren 1981, 1984 und 1988. Sie war erwerbstätig als Arzthelferin, als Nachtwache im Krankenhaus, als Kinderpflegerin und als sozialpädagogische Familienhelferin. 1985 kollabierte sie während eines Nachtdienstes, litt anschließend unter Schlafstörungen, Kraftlosigkeit, Appetitstörungen und machte eine Kur in Bad S. wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände und damals fraglicher depressiver Episode. 1992 führte sie eine Mutter-Kind-Kur in C. wegen starker Erschöpfung durch, ob eine depressive Episode vorlag, ist nicht unbekannt (GA Dr. F. Bl. 68 SG-Akte). Sie machte zahlreiche Fortbildungen: Im März 2004 bildete sie sich im Selbststudium zur beratenden Kinderpsychologin (nicht anerkannt) fort, im selben Jahr besuchte sie den Fachtag Dokumentation und Beobachtung in der offenen Kita-Arbeit, 2007 den Fachtag Suchtprobleme am Arbeitsplatz, wurde Betriebshelferin für Erste Hilfe, nahm an einer Veranstaltung zum Thema: „riskante Kinderwelten brauchen Schutz“ teil, am Fachtag Suchtprävention, am G.-V. Kinder und Jugendliche in der Schule, 2008 am Fachtag frühe Hilfen im O. sowie an der Fortbildung: „Risikoverhalten in der Pubertät“.
Im Jahr 2006 wurde die Ehe geschieden. Von 2008 bis 2013 führte die Klägerin eine Klage vor dem Amtsgericht H. (AG) wegen nachehelichen Ehegattenunterhalts, in dessen Verlauf sie zwecks Feststellung des Umfangs ihrer Erwerbsfähigkeit mehrfach u. a. von PD Dr. F. (aufgrund der partiellen Amnesie könne die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden, es spräche mehr gegen die Diagnose einer PTBS) begutachtet wurde. Seit 1. Februar 2009 bezieht sie unbefristet Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Bescheid Bl. 62 VV), zwischenzeitlich auch eine bis 2015 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung (Entlassbericht Bl. 137 Senatsakte). In seinem Gutachten für die D. R. vom 28. April 2009 stellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. die Diagnosen einer PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, eines psychophysischen Erschöpfungszustands und einer reaktiven Depression. Über die ersten 16 Jahre ihres Lebens habe die Klägerin keine Erinnerung, was sie berichte, habe sie von Angehörigen erfahren. Im Alter von drei Jahren habe sie wohl an einer Enzephalitis und Meningitis gelitten, Unterlagen gebe es in der Kinderklinik in G. nicht mehr. Anschließend seien regelmäßig Elektroenzephalogramme (EEGs) abgeleitet worden und sie habe bis etwa zum 15. Lebensjahr Mylepsinum einnehmen müssen. Ihr sei berichtet worden, sie habe von 1968 bis 1977 die Grund- und Hauptschule in D. besucht. Man habe ihr berichtet, sie habe keine Klassenarbeiten mitschreiben dürfen, da sie sich nicht aufregen oder freuen dürfe.
Nach der Geburt ihres Sohnes K. 1984 sei sie Anfang 1985 während eines Nachtdienstes zusammengebrochen. Sie sei zur Kur nach Bad S. gekommen. Darüber gebe es keine Unterlagen. Nach der Schwangerschaft mit ihrer Tochter 1988 habe sie ein „normales“ Leben gelebt. Bis 1994 sei sie psychisch relativ stabil gewesen, sie habe „funktioniert“. Im Rahmen einer schweren Erkrankung ihres Sohnes K. - schwere Operation mit protrahiertem Verlauf nach Platzen eines Meckel´schen Divertikels - sei der Verdacht entstanden, die Heilung des Sohnes verzögere sich oder werde unmöglich durch ihre eigenen Ängste. Daraufhin sei sie zu Dr. T. in Psychotherapie gegangen. Im Dezember 1995 sei ihr Vater gestorben und habe ihr zuvor am Sterbebett eröffnet, sie sei vom Liebhaber ihrer Mutter sexuell missbraucht worden. Anschließend habe sie sich in Therapie bei Psychotherapeutin (nach dem Heilpraktikergesetz - HPG) C. begeben. Im Rahmen der Therapie habe sich herausgestellt, dass sie wohl innerfamiliär in der Kindheit über Jahre hinweg sexuelle Missbrauchserfahrungen erlitten habe, in deren Folge es zu Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen gekommen sei.
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. stellte in seinem Gutachten für das AG vom 9. November 2008 die Diagnosen histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen (ICD-10 F 60.4, F 43.1), berichtete depressive Stimmungsschwankungen und zurückliegende Essstörung (derzeit nicht aktuell). Allgemeine Erschöpfungszustände, Stimmungsschwankungen und zugleich eher fahrige Schilderungen ließen sich unter einer histrionischen Strukturierung einordnen. Zwar kämen dissoziative Störungen auch bei einer PTBS vor, der anamnestische Kontext spreche aber weniger für die Zuordnung zu einer PTBS. Anhaltende Erinnerungen, eindeutiges und spezifisches Wiedererleben eines früheren Traumas, aufdringliche Nachhallerinnerungen würden nicht berichtet, auch kein Vermeidungsverhalten, etwa gegenüber Situationen, die Flashbacks hervorriefen oder mit der Belastungssituation in Zusammenhang gebracht würden. Sie berichte über gynäkologische Untersuchungen, die ganz komisch gewesen seien. Es sei ihr noch völlig unklar, was überhaupt passiert sei. Ihre Amnesie werde inzwischen nur partiell durchbrochen, sie habe viel erfahren, was für andere unvorstellbar sei. Hierbei assoziiere sie allerdings weniger eigene Missbrauchserfahrungen als vielmehr die Besonderheiten in ihrer Familienstruktur, die „Männerbeziehungen“ der Mutter, wo auch noch „der Vater gegenüber“ gesessen habe. Auffällig sei, dass sie - im Zusammenhang etwas abrupt - darauf zu sprechen gekommen sei, vom Vater nicht missbraucht worden zu sein.
Gegenüber dem Gutachter Dr. S. gab die Klägerin am 8. September 2008 an, sie habe bis zum 16. Lebensjahr überhaupt keine Erinnerung an ihr Leben. Das sei alles nur erforscht und berichtet.
PD Dr. F. stellte in seinem Gutachten vom 25. Oktober 2010 an das AG die Diagnose einer PTBS, differentialdiagnostisch einer generalisierten Angststörung. Das Trauma-A-Kriterium sei durch die psychiatrische Exploration nicht zu beweisen. Es bestünden deutliche Hinweise auf eine frühkindliche Traumatisierung. Aufgrund der Amnesie könne jedoch die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden. Ein False-memory-Syndrome liege nicht vor, denn die Symptomatik sei nicht durch genaue Befragungen und Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen, sondern durch die Berichte des sterbenden Vaters ausgelöst worden. Bis zum Alter von 16 Jahren habe sie zunächst keinerlei Erinnerungen an ihr Leben gehabt. Alles was sie heute wisse, seien Inhalte aus Erzählungen anderer und Erinnerungsbruchstücke, die sie in langen Jahren der Psychotherapie mit plötzlich einschießenden Bildern und nachfolgendem intensivem Nachforschen erfahren habe. Sie habe keinen Sport und keine Prüfungen machen dürfen, da man unter jeder Art von Stress einen epileptischen Anfall befürchtet habe. Die Kommunion habe sie allein erhalten, der Pfarrer habe die Beichte bei ihr zu Hause abgenommen. Sie habe teilweise bis zu 15 Medikamente bekommen. Mit 12 oder 13 Jahren sei sie innerhalb des Hauses zu ihren Großeltern mütterlicherseits gezogen und von diesen weiter aufgezogen worden. Mit 16 sei sie zu Hause ausgezogen, seitdem habe sie regelmäßige Erinnerungen an ihr Leben. Bis 1995 habe sie keine Alpträume und keine belastenden Bilder, die sie überfielen, gehabt. Ihr Vater habe ihr kurz vor seinem Tod viel Belastendes aus ihrer Kindheit und Jugend erzählt. Er habe berichtet, Onkel H. habe ihr etwas Schlimmes angetan, er habe ihr weh getan und etwas getan, was man Kindern nicht antun sollte. Er, der Vater, habe sie nicht schützen können, nicht den Mut gehabt und sich in seine Arbeit gestürzt. Es habe viele wechselnde Liebhaber der Mutter gegeben. Diese seien nach Vermutung der Klägerin ebenfalls fragliche Täter sexuellen Missbrauchs an ihr. Die Berichte ihres Vaters hätten einige Bilder zusammengeführt, die in ihrem Kopf gewesen seien und mit denen sie bis dahin nichts habe anfangen können. Leider erinnere sie sich heute nicht mehr genau an alles, was ihr Vater ihr erzählt habe. Nach dem Tod des Vaters seien ihr immer wieder belastende Bilder in den Kopf gedrängt. Inzwischen erinnere sie sich an mehrfachen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Sie habe eine Erinnerung an eine Vergewaltigung, gegen die sie sich gewehrt habe, als er sie im Schlafzimmer der Eltern aufs Bett gelegt und festgehalten habe. Sie habe ihn gebissen und versucht, ihn zu schlagen. Während der einschießenden Bilder höre sie oft seine Sprüche von Onkel H.. Er habe sie „Bettchen“ genannt, wenn sie zu ihm habe kommen sollen. Er habe gesagt, sie solle zu ihm kommen, um eine „Spritztour“ zu machen. Das sei ein Synonym für sexuelle Handlungen gewesen. Im Alter von 5 Jahren habe sie sich beim Arzt geweigert, sich auszuziehen. Ihre Mutter habe zu dem Arzt gesagt, er müsse sagen, sie solle „Striptease“ machen, dann würde sie sich ausziehen. Daher denke sie, dass zu diesem Zeitpunkt schon vieles vorgefallen sei, was mit sexuellem Missbrauch zu tun habe. Zur späteren Narkose bei der Tonsillektomie habe man sie festhalten müssen, weil sie getobt habe. Sie habe auch Erinnerungen an sexuelle Belästigungen der Haushälterin und der Freundin ihres Bruders durch Onkel H. sowie sexuelle Handlungen zwischen diesem und der Mutter auf der Wohnzimmercouch, während sie, ihre Geschwister und der Vater anwesend gewesen seien. 1996 habe sie Onkel H. gesucht, aber nicht gefunden. Ihre Familie sei nicht bereit gewesen, über die Vergangenheit zu sprechen, habe gesagt, dass sie verrückt sei. 2003 habe sie den Kontakt zu ihrer Primärfamilie aufgrund der immer vermehrt auftretenden Kindheitserinnerungen abgebrochen. An aktuellen Beschwerden habe sie berichtet, belastende Bilder würden einschießen. Sie sehe z. B. die Gestalt ihrer Patentante, auch Onkel H. mit dunklen Haaren, sehe seine Hände, höre seine Stimme. Sie habe auch schon die Form einer Flasche gesehen. Nachforschungen hätten ergeben, dass dies eine Whiskyflasche der Marke „Racke rauchzart“ sei. Ihre Mutter habe oft gesagt, sie müsse noch „Racke rauchzart“ kaufen. Sie sehe Bilder von sich im Kindes- und Jugendalter aus verschiedenen Perspektiven, neben sich, über sich oder aus ihren eigenen Augen, als sei sie selbst beteiligt. Sie habe sich in einer Ecke mit einer Decke über sich gesehen, so als habe sie sich schützen wollen. Sie habe auch immer wieder Bilder aus einem Behandlungszimmer in einem Krankenhaus gesehen. Wenn sie viele Bilder von sexuellem Missbrauch überfielen, hätten diese oft mit Onkel H. zu tun. Einmal habe sie während der Begutachtung berichtet, ein Bild würde immer wieder kommen und dann vor ihren Augen stehen bleiben. Es habe mit einem sexuellen Missbrauch an ihr zu tun, genauer könne sie es nicht beschreiben.
2004 nahm sie den dritten Vornamen P. an, 2007 machte sie diesen dritten Vornamen zum Rufnamen, nahm zwei weitere Vornamen an und behielt den Ehenamen als Nachnamen, heißt somit nun nicht mehr B. B., sondern P. D., geb. D..
Die Klägerin litt im Kleinkindalter an einer Meningoenzephalitis (Gehirnentzündung/Hirnhautentzündung) im Alter von drei Jahren, weshalb bis zum 16. Lebensjahr eine Therapie mit Primidon, einem Antikonvulsivum, durchgeführt wurde (Bericht Epilepsiezentrum K. vom 26. September 1993, betr. den Sohn der Klägerin K. D., Anlagenkovolut zur AG-Akte). Sie führte in den Jahren 1984 und 1992 stationäre Reha-Maßnahmen wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände durch. Vom 19. Dezember 2000 bis 4. Januar 2001 war sie in stationärer psychotherapeutischer Behandlung in der H. Bad Z., wegen eines Erschöpfungszustands infolge von „harter Arbeit in ambulanter Psychotherapie“, in der sie traumatische Erlebnisse in ihrer Kindheit bearbeitet habe. Dort wurde die Diagnose einer rezidivierenden mittelgradigen depressiven Störung und die Verdachtsdiagnose einer psychogenen Amenorrhoe seit 1998 gestellt (Bl. 14 VV). Ab Mai 1994 führte sie eine Psychotherapie bei Dr. T., Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, durch, seit August 1996 bei M. C., Psychotherapeutin nach dem HPG (ohne Kassenzulassung). Frau C. gab in einer Stellungnahme vom 15. August 2008 gegenüber dem Beklagten an, die Klägerin leide an Depressionen infolge schwerer Anpassungsstörungen, aufgrund über Jahre fortgesetzter schwerster Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, in deren Folge es zu Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen gekommen sei. Als Kind seien ihr Psychopharmaka, zeitweilig in Verbindung mit Alkohol, verabreicht worden. Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit März 2008 anerkannt (Bescheid vom 17. Dezember 2008, Bl. 23 VV).
10 
Am 4. Februar 2009 stellte sie über den Weißen Ring einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Der Weiße Ring gab darin an, die Klägerin sei in ihrer Kindheit Opfer eines schweren sexuellen Missbrauchs geworden. Dies führe dazu, dass sie an ca. 16 Lebensjahre keine Erinnerung habe. In langjährigen Therapien seien als Ursache hierfür Geschehnisse in der Kindheit ermittelt worden. In ihrem Antrag gab die Klägerin als schädigendes Ereignis an: sexueller Missbrauch, ca. 1965 – 1978, “als Gesundheitsstörung eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Amnesie von ca. 16 Lebensjahren, keine Zeugen, Namen der schädigenden Personen nicht bekannt“. Mit Bescheid vom 23. März 2009 wurde der Antrag abgelehnt (Bl. 28 VV). Es sei nicht objektiv nachgewiesen, dass die Klägerin Opfer einer Gewalttat geworden sei. Die Beweiserleichterung für den Fall, dass unverschuldet kein Nachweis erbracht und keine Zeugen benannt werden könnten, greife nicht ein, weil die Klägerin den Sachverhalt aufgrund der Amnesie nicht aus eigener Erinnerung beschreiben könne. Die ärztlichen Befundberichte reichten für eine Beweisführung nicht aus, weil aus dem vorliegenden psychiatrischen Störungsbild keine Rückschlüsse auf ein spezifisches Ereignis gezogen werden könnten und kein Profil psychiatrischer Symptome eindeutig auf eine traumatische Vergangenheit hinweise.
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Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. E. vor (Bl. 57 VV), der sie seit 1997 betreute. Demnach stehe im Vordergrund der zweimal monatlichen Konsultationen ein psycho-physischer Erschöpfungszustand bei posttraumatischer Belastungsstörung nach kindlicher Missbrauchserfahrung. Sie könne sich an Einzelheiten in ihrer Kindheit und Jugend nicht erinnern. Diese seien erst nach mehrjährigen mehrfachen Psychotherapien in einem extrem belastenden Prozess wieder aufgetaucht. Sie leide häufig unter ausgeprägter körperlicher Schwäche und somatischen Beschwerden ohne somatisches Korrelat, Bauchschmerzen, Leistenschmerzen, Schmerzen im linken Bein und Sensibilitätsstörungen in der linken Gesichtshälfte. 1999 habe sie bis auf 42 kg abgenommen und in den letzten Jahren bis auf 75 kg zugenommen. Beim Neurologen und Psychiater S. war sie seit 2001 nur in mehrjährigen Abständen. 2001 nahm sie an einer geleiteten Frauengruppe des Vereins „A.“ mit dem Anliegen, eigene Selbstzweifel bezüglich ihrer Gewalterfahrungen zu klären, teil (Bl. 61 VV). Weiterhin legte sie eine Stellungnahme der Frau C. vom 13. Oktober 2009 (Bl. 88 VV) vor. Darin schildert diese die „Geschichte“ der Klägerin, die nicht in der Lage sei, selbst darüber zu berichten. Seit dem Tod des Vaters, der ihr auf dem Sterbebett über Familiengeheimnisse berichtet habe, seien sie und ihr Sohn immer kränker geworden, ohne dass die Ärzte hätten sagen können, was ihr fehle. Der kleinen B. sei ein absolutes Redeverbot unter Androhung härtester Strafen auferlegt worden. „…H. ist der offizielle Liebhaber der Mutter und thront ab 1962 im Wohnzimmer auf dem Sofa neben der Mutter, vor sich eine Flasche Whisky. … Ab kleinster Kindheit (ca. 4 - 5 Jahre) wird P. vom Liebhaber H. sexuell missbraucht. Sie wird auch in fremde Häuser gebracht, man gibt ihr Alkohol und Medikamente, damit sie ruhig bleibt. … Sie wird oral und anal vergewaltigt, regelmäßig, von verschiedenen Männern, wird zeitweise währenddessen fixiert, wird eingesperrt. Andere Kinder sind auch dabei, auch manchmal ihr Bruder M., vor allem eine gleichaltrige Tochter von H.. … Eine zweite Frau scheint allgegenwärtig im System und dokumentiert alles, wie wenn es ein Experiment wäre: Tante G., Schwester des Vaters (medizintechnische Assistentin in einem Versuchslabor). Bei vielen „Experimenten“ an den Kindern waren die Männer als Arzt verkleidet (weißer Kittel und Stethoskop). Damit keine Informationen über die Familie nach außen drängen, werden Kontakte zu anderen Kindern unterbunden, B. darf nicht zum Sport, alles mit der Erklärung, das Kind sei psychisch labil, hätte epileptische Anfälle. Mit 12 Jahren wird B.-P. schwanger, unter dem Vorwand einer Blinddarmoperation wird sie nach N. zu Tante K. gebracht, wo sie „operiert“ wird, wo eine Abtreibung vorgenommen wurde…“. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 83 VV).
12 
Am 10. Juni 2010 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihre Mutter habe an den Missbrauchshandlungen mitgewirkt. Sie selbst habe an ihre ersten 15 bis 16 Lebensjahre kaum oder lediglich bruchstückhafte Erinnerungen. Im Rahmen sogenannter Flashbacks habe sie mit ihrer Therapeutin in langjähriger Therapie zahlreiche Vorfälle sexuellen Missbrauchs zusammentragen können. Ihr Bruder M., dessen Aufenthaltsort sie nicht kenne, sei bei den sexuellen Übergriffen zum Teil zugegen gewesen und habe am Sterbebett des Vaters dessen Berichte mitgehört. Sie habe alles Zumutbare zur Sachverhaltsaufklärung getan, so dass die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG eintrete. Die bei ihr vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergäben eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für sexuellen Missbrauch, auch die nur bruchstückhafte Erinnerung. Dies sei durch Gutachten belegt.
13 
Frau C. hat in ihrer Auskunft an das SG vom 7. Januar 2011 angegeben, es bestehe der Verdacht auf eine PTBS nach ICD-10 F 43.1 und der Verdacht auf dissoziative Amnesien sowie dissoziativen Stupor und dissoziative Bewegungsstörungen nach ICD-10 F 44.0, F 44.2.0 und F 44.7. Man müsse davon ausgehen, dass diese dissoziativen Zustände zur Zeit der Traumatisierung als emotional-physiologische Notlösung des Gehirns entstanden seien, das sonst keine Möglichkeit gehabt habe, die massiven, sadistisch geprägten sexuellen Übergriffe zu bearbeiten. Die ursprüngliche Symptomatik habe bereits darauf hingedeutet, dass sie an den Folgen einer langjährigen schwersten Traumatisierung leide. Zur Stabilisierungsphase habe der totale Bruch mit der Ursprungsfamilie mit Namensänderung 2007 gehört. Ab 1998 seien Erinnerungsfetzen an die Oberfläche gekommen, die allerdings nicht sprachlich, dafür aber mit nonverbalen Methoden hätten aufgedeckt werden können. Bis vor 1 – 2 Jahren habe noch das Redeverbot auf der Klägerin gelastet. Die Schaffung eines Zugangs zum Traumamaterial habe nur mit Hilfe von Psychopharmaka verkraftet werden können, jetzt sei die Klägerin teilweise abhängig von Benzodiazepinen, um sich gegen überflutende traumaartige Bilder zu wehren und schlafen zu können. Bis heute könne keine Traumaexposition durchgeführt werden, weil mit einer erneuten Destabilisierung zu rechnen sei. Die wiederholten Explorationen zur Erstellung von Gutachten hätten jeweils eine schwerwiegende Retraumatisierungssymptomatik provoziert. Die Scheidung 2005 habe neue Belastungsfaktoren in Form einer Unterhaltsklage mit sich gebracht. Im Hintergrund der vorliegenden Auseinandersetzung stehe das Bedürfnis, mit ihrer Geschichte gehört und anerkannt zu werden, damit ihr existentielles Bedürfnis nach Gerechtigkeit gestillt werden könne.
14 
Das SG hat die Klägerin in mündlicher Verhandlung am 16. September 2011 gehört (Niederschrift Bl. 88 SG-Akte). Sie hat angegeben, nach konkreten Erinnerungen an ihre Kinder- und frühe Jugendzeit befragt, könne sie sich tatsächlich nicht an Details, d. h. Gesichter oder Räumlichkeiten oder Sachverhalte erinnern. Vielmehr habe sie aus Erzählungen Dritter, z. B. zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, die sie im Kinder- und Jugendalter gehabt habe, Informationen erhalten. Diese halte sie für die Realität. Hierauf beschränkten sich letztlich ihre “Erinnerungen“ an diese Zeit. Da sie ab dem dritten Lebensjahr wegen ihrer angeblichen Erkrankungen mit Medikamenten versorgt worden sei, nehme sie an, dass die an ihr verübten Taten zu diesem Zeitpunkt begonnen haben müssten.
15 
Das SG hat den Bruder der Klägerin, den Zeugen R.-M. B., Rufname M., und die Haushälterin der Familie, die Zeugin B. S., durch einen ersuchten Richter beim Sozialgericht S. vernehmen lassen. Die Mutter der Klägerin hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Der Zeuge B. hat in seiner Vernehmung angegeben, die Klägerin habe ca. 1964 eine Hirnhautentzündung gehabt und sei dadurch sehr zurückgeworfen gewesen, in der Schule und so. Das habe sich erst in der Lehre gebessert. Sein Vater habe nach 18 Uhr ein Bier oder ein Glas Wein getrunken, er habe ihn aber nicht betrunken erlebt. Die Hausangestellte sei nur stundenweise gekommen. Onkel H., ein weitläufiger Verwandter seines Vaters, habe nicht im Haus gewohnt. Seines Wissens seien keine sexuellen Handlungen an der Klägerin vorgefallen, er habe auch nichts hierüber gehört. Von einer Schwangerschaft der Klägerin ca. 1974 wisse er nichts. Sein Vater habe vor seinem Tod eine Lebensbeichte abgelegt, alles vom Krieg bis zu seinem Sterbedatum erzählt. Über die Klägerin habe er nicht gesprochen. Onkel H. sei öfter nach Feierabend zu Besuch gewesen, allerdings habe er, der Zeuge, da nicht mehr zu Hause gelebt. Gegenstand der Lebensbeichte des Vaters sei auch gewesen, dass der jüngere Bruder M. nicht sein Sohn, sondern Onkel H. dessen Vater sei. Die Zeugin S. hat bekundet, sie habe sich meist abends stundenweise um die Klägerin gekümmert. Onkel H. sei gelegentlich dort im Haus gewesen. Zu einem sexuellen Missbrauch könne sie nichts sagen, weder aus eigenen Wahrnehmungen noch vom Hörensagen. Zu einer Schwangerschaft der Klägerin Mitte der Siebziger Jahre könne sie keine Angaben machen. Sie sei zu diesem Zeitpunkt noch regelmäßig dort gewesen. Ihr sei nichts aufgefallen. Sie habe bis heute Kontakt zur Mutter der Klägerin und dem jüngeren Bruder M..
16 
Die Klägerin hat Fotos vorgelegt (Bl. 253 SG-Akte), auf denen eine von ihr als Onkel H. bezeichnete männliche Person auf einem Sofa neben der Mutter sitzt, neben der Klägerin – beide rauchend – den Arm um sie legend, stehend neben der Zeugin S., die den Arm um ihn legt, Urlaubsbilder und Bilder ihrer Trauung, bei der sie neben Onkel H. zu sehen ist.
17 
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. März 2013 abgewiesen. Ausgangspunkt für die Feststellung eines schädigenden Ereignisses sei das Vorbringen der Klägerin. Bei ihr bestünden an den fraglichen Zeitraum, mithin auch an die geltend gemachten Taten, keine konkreten Erinnerungen. Vorhanden seien lediglich die im Rahmen der Psychotherapie bei Frau C. zutage geförderten bruchstückhaften Erinnerungen, die sich als einschießende Bilder mit belastender psychischer Reaktion darstellten. Dabei sei klar, dass es sich bei den Bildern, die der Klägerin spontan vor Augen träten, nicht um Erinnerungen an konkrete Geschehensabläufe in der Vergangenheit handele, sondern um bildhaft innerpsychische Vorgänge, die einer Interpretation bzw. Deutung bedürften. Daher sei nicht die Frage, ob die Angaben der Klägerin überzeugend und glaubhaft seien, sondern ob diese den Schluss zuließen, dass sich die geltend gemachten Geschehensabläufe tatsächlich zugetragen hätten. Dies sei nach dem Beweisergebnis nicht der Fall. Es schließe sich der Beurteilung des PD Dr. F. an, der dargelegt habe, dass die einschießenden Bilder nicht den zwingenden Schluss zuließen, das sich der Missbrauch so zugetragen und daher nur die Verdachtsdiagnose einer PTBS gestellt habe. Die entgegenstehende Stellungnahme der behandelnden Psychotherapeutin, die keine Facharztausbildung habe und deren Stellungnahmen jegliche professionelle Distanz vermissen ließen, hätten dagegen nicht überzeugt. Die Angaben der Klägerin außerhalb des Kerngeschehens hätten sich ebenfalls nicht bestätigen lassen, so das Vorbringen, ihr Bruder M. sei zugegen gewesen, als ihr Vater auf dem Sterbebett Hinweise auf die Missbrauchshandlungen gegeben habe. Auch das Kerngeschehen, nämlich dass ihr Bruder M. teilweise bei den Missbrauchshandlugen zugegen gewesen sei, habe dieser nicht bestätigt. Die Zeugin S. habe das Klagevorbringen ebenfalls nicht bestätigt, wobei nichts gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben spreche. Die vorgelegten Fotos bewiesen zwar ein gewisses Näheverhältnis der abgebildeten Personen, aber nichts darüber hinaus. Die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG führe zu keinem anderen Ergebnis, da die Klägerin ausdrücklich zugebe, keine Angaben machen zu können, da sie sich nicht erinnere. Es halte die Schilderung der Klägerin hinsichtlich der einschießenden Bilder und des angegebenen Inhalts durchaus für glaubhaft. Dies ändere nichts daran, dass mit diesen Bildern nicht der Nachweis eines tatsächlichen Geschehensablaufs in der Vergangenheit geführt werden könne.
18 
Gegen das am 16. April 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Mai 2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Die Zeugen seien nicht glaubwürdig. Der Zeuge B. habe nicht bekennen wollen, selbst Missbrauchsopfer zu sein. Er habe ihr einen Brief geschrieben und erklärt, „…auch ich habe mir in den letzten Jahren die gleichen Fragen gestellt, wie du“. Die Zeugin S. habe sich in einem Interessenkonflikt befunden. Die vorgelegten Fotos belegten eindeutig einen mehr als vertrauten Umgang zwischen ihrer Mutter, Onkel H. und ihr selbst. Sie habe durchaus Erinnerungen, verspüre aber ein innerliches Redeverbot im Sinne eines Schweigegebots. Mit Schriftsatz vom Juni 2014 hat sie über ihre neue Bevollmächtigte mitgeteilt, einige Vorgänge schildern zu können. Sie erinnere sich an einen Urlaub in einem Waldgebiet, den sie gemeinsam mit ihrer Mutter und Onkel H. verbracht habe. Man habe in einer gemieteten Hütte gewohnt. Onkel H. habe sie im kindlichen Alter gebadet und danach ihre Genitalien untersucht. Sie erinnere sich an einen Übergriff im Gartenzimmer am Ende des Elternhauses. Onkel H. sie damals dort im kindlichen Alter aufgesucht, sei zu ihr ans Bett gekommen und habe ihr etwas aus einem Schnapsglas zu trinken gegeben. Er habe sich zu ihr ins Bett gelegt und sie am Körper berührt. Sie sei unbekleidet zurückgeblieben und habe in den Morgenstunden starke Übelkeit verspürt. Im Alter von 14 Jahren hätten sich die Übergriffe des Onkels gesteigert. An einem Tag habe sie sich im Schlafzimmer der Eltern befunden. Onkel H. habe das Zimmer betreten, sie gepackt, auf die Bettseite der Mutter geworfen und sich auf sie gelegt. Er habe ihr im Alter von 14 Jahren die Arme festgehalten und einen Zungenkuss gegeben. Sodann habe er sie gegen ihren erkennbaren Willen zwischen den Beinen berührt. Erst durch die massive Gegenwehr habe er von ihr abgelassen.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 aufzuheben und eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen,
21 
hilfsweise, eine rezidivierende depressive Störung bei aktuell nicht vorhandener depressiver Episode und unter schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen.
22 
Der Beklagte beantragt,
23 
die Berufung zurückzuweisen.
24 
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig. Der Rückschluss von einer Diagnose auf ein ursächliches schädigendes Ereignis sei nicht möglich. Es gebe keine Zeugenaussagen, die die behaupteten Missbrauchshandlungen bestätigten.
25 
Zuletzt hat die Klägerin einen Behandlungsbericht von Dr. E., Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über ambulante Behandlungen am 2. Oktober sowie 6. und 18. November 2014 vorgelegt. Darin wird eine stationäre Traumatherapie empfohlen, deren Voraussetzung aber eine stabile Abstinenz von Benzodiazepinen und kein laufendes Rentenverfahren sei. Die Klägerin strebe die Verlängerung der 2015 auslaufenden Rente wegen voller Erwerbsminderung an. Einen zunächst gestellten Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens hat die Klägerin zurückgenommen.
26 
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 21.04.2015 gehört. Sie hat bekundet, sie könne nunmehr Vorfälle schildern, an die sie sich erinnere. Diese habe ihr nicht ihr Vater berichtet. Der schlimmste Vorfall sei im Alter von ca. 10 Jahren gewesen. Sie habe, bekleidet mit einem Unterhemd, auf einem Tisch gekniet und ein Mann, sie wisse nicht wer, habe einen Finger in ihre Scheide eingeführt. Sie erinnere sich daran, dass Onkel H. wiederholt verlangt habe, dass sie ihre Unterhose ausziehe, um zu sehen, ob sie sauber sei. Er habe sie oft in ihrem Kinderzimmer aufgesucht, ohne dass jemand dies bemerkt habe. Sie könne sich erinnern, mehrfach in ihrem Zimmer in eine Decke gehüllt sitzend aufgewacht und nicht mehr in ihrem Bett gewesen zu sein. Onkel H. habe sein Auto hinter dem Haus geparkt. Er habe auch einen Hausschlüssel gehabt. Als sie ein anderes Zimmer näher bei ihren Großeltern bezogen habe, habe Onkel H. öfter mit ihr sog. Spritztouren gemacht, d. h., er habe sie im Auto mitgenommen. Sie sei mehrmals mit ihrer Mutter und Onkel H. ohne ihren Vater in den Urlaub gefahren. Dort habe Onkel H. sie oft gebadet und gewaschen. Als sie 12 Jahre alt gewesen sei, habe er ihr einmal auf der Strandpromenade die Schleifen der Bikinihose aufgezogen und sie habe ohne Hose dagestanden. Sie könne sich erinnern, dass sie ihn habe anfassen müssen. Er sei ausgezogen gewesen und sie habe sein Glied streicheln müssen. Er sei auch mehrfach, wohl mit den Händen, in sie eingedrungen. Er habe große, stark dunkel behaarte Hände gehabt, wie ein Affe.
27 
Bei der angeblichen Blinddarmoperation im Alter von 12 Jahren sei sie gynäkologisch untersucht worden, obwohl sie nicht weit entwickelt gewesen sei. Sie habe danach eine kleine Narbe gehabt und eine Menstruationsblutung. Man habe ihr erklärt, wie sie eine Binde verwende.
28 
Es habe ein Redeverbot gegeben. Onkel H. habe gesagt, wenn sie ihrer Mutter etwas erzähle, müsse diese sterben. Sie habe das geglaubt, weil ihre Mutter Herzanfälle gehabt habe und sie von ihr abgeschirmt worden sei. Man sei öfter über die sog. Lügenbrücke im Ort spazieren gegangen und ihr sei gesagt worden, wenn sie lüge, breche die Brücke zusammen. Im Alter von ca. 8 Jahren habe sie ihrem Kindermädchen, der Zeugin S., berichtet, dass sie Blut in der Unterhose habe. Diese habe gesagt, das müsse vom Schaukeln kommen. Sie habe auch öfter gesagt, sie wisse ja Bescheid, müsse doch aber immer wieder dorthin kommen. Mit ca. 8 Jahren habe sie bei ihrer Tante G., die sie als Vertrauensperson angesehen habe, auf eine mit PVC bezogene Kommode einen Mann gemalt, der ein Kind anfasse. Tante G. habe mit ihr geschimpft. Mit 15 Jahren habe sie ihren ersten Freund gehabt. Sie wisse nicht, ob sie mit ihm intim gewesen sei. Er sei zu ihrer Mutter gegangen und habe gesagt, mit ihr stimme etwas nicht. Danach habe sie ihn nicht mehr gesehen. Die von Frau C. beschriebenen Gruppenvergewaltigungen mehrerer Erwachsener mit mehreren kindlichen Opfern seien Flashbacks gewesen. Sie könne nicht sagen, ob es wirkliche Erinnerungen seien.
29 
Manchmal seien Erinnerungen gleich weggewesen, das könne an den Medikamenten gelegen haben. Sie wisse nicht, warum das Redeverbot bis heute noch wirke.
30 
Ihr Bruder M. sei bei der Lebensbeichte des Vaters nicht die ganze Zeit anwesend gewesen, weil er habe arbeiten müssen. Er sei selbst stark traumatisiert, sei lange untergetaucht gewesen und habe Alkoholprobleme gehabt. Die Zeugin S. sei zu ihrer Zeugenvernehmung von Onkel H. Sohn M. begleitet worden. Vielleicht habe sie deshalb nicht die Wahrheit gesagt.
31 
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ein Schreiben an den Senat vorgelegt.
32 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 21.04.2015, auf die Prozessakten beider Instanzen, den Verwaltungsvorgang des Beklagten, die Schwerbehindertenakte und die Akten des AG H. zu Az. 1 F 646/07 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
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Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
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Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
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Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
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Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
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Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

(1) Leistungen sind zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Leistungen sind auch zu versagen, wenn der Geschädigte oder Antragsteller

1.
an politischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt ist oder war und die Schädigung darauf beruht oder
2.
an kriegerischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt ist oder war und Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß die Schädigung hiermit in Zusammenhang steht, es sei denn, er weist nach, daß dies nicht der Fall ist oder
3.
in die organisierte Kriminalität verwickelt ist oder war oder einer Organisation, die Gewalttaten begeht, angehört oder angehört hat, es sei denn, er weist nach, daß die Schädigung hiermit nicht in Zusammenhang steht.

(2) Leistungen können versagt werden, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, das ihm Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen, insbesondere unverzüglich Anzeige bei einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde zu erstatten.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.