Sozialgericht Freiburg Beschluss, 11. Sept. 2015 - S 19 AS 4555/15 ER

11.09.2015

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 31.08.2015 gegen den Sanktionsbescheid vom 03.08.2015 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers dem Grunde nach.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Sanktionsbescheid des Antragsgegners vom 03.08.2015, durch den eine Minderung des Arbeitslosengeldes II für den Zeitraum 01.09.2015 bis 30.11.2015 um 30 % des maßgebenden Regelbedarfs, somit um monatlich 119,70 EUR, angeordnet wurde.
Der Antragsteller steht bereits seit vielen Jahren im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bei dem Antragsgegner. Ausweislich der in der beigezogenen Verwaltungsakte befindlichen medizinischen Unterlagen leidet der Antragsteller unter anderem an einer chronischen Hepatitis-C Virusinfektion sowie an einer Leberzirrhose. Nachdem der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit geäußert hatte, erließ der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller einen eine Eingliederungsvereinbarung (im Folgenden: EGV) ersetzenden Verwaltungsakt gemäß § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II, da eine EGV mit dem Antragsteller nicht zustande gekommen sei. Als Ziel dieser EGV wurde die „Klärung der Leistungsfähigkeit“ benannt. Durch die EGV verpflichtete sich der Antragsgegner zur Unterstützung des Antragstellers durch Teilnahme am Projekt 50plus, durch Beratung und Unterstützung sowie durch Herstellens des Kontaktes zum Ärztlichen Dienst, um die Leistungsfähigkeit des Antragstellers zu klären und seine Integrationsbemühungen in Beschäftigung zu unterstützen. Dem Antragsteller wurde im Gegenzug aufgegeben, bis zum 18.05.2015 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (im Folgenden: AU-Bescheinigung) einzureichen und ebenfalls bis zum 18.05.2015 den ausgefüllten Gesundheitsfragebogen an den Antragsgegner zurückzusenden. Des Weiteren enthielt die EGV eine Rechtsbehelfs- sowie eine Rechtsfolgenbelehrung.
Der gegen die EGV vom 30.04.2015 mit anwaltlichem Schreiben vom 18.05.2015 eingelegte Widerspruch des Antragstellers wurde durch Widerspruchsbescheid vom 23.07.2015 zurückgewiesen. Hiergegen ist unter dem Aktenzeichen S 19 AS 3730/15 eine Klage vor dem Sozialgericht Freiburg anhängig.
Nachdem der Antragsteller im Folgenden weder eine AU-Bescheinigung noch einen ausgefüllten Gesundheitsfragebogen beim Antragsgegner vorlegt hatte, wurde er mit Schreiben vom 08.06.2015 zum möglichen Eintritt einer Sanktion angehört. Mit Schreiben vom 01.07.2015 machte der Antragsteller von seinem Äußerungsrecht Gebrauch und gab an, die Verpflichtung zur Vorlage des Gesundheitsfragebogens, der Schweigepflichtentbindungen sowie eventueller Atteste der behandelnden Ärzte im Rahmen einer EGV stelle einen Verstoß gegen den Datenschutz dar. Dem Antragsgegner sei seit bestimmt mehr als fünf Jahren bekannt, dass er gesundheitlich große Probleme habe. Weshalb daher nun die Vorlage einer Krankmeldung verlangt werde, sei schwer zu verstehen.
Mit Bescheid vom 03.08.2015 senkte der Antragsgegner daraufhin das Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.09.2015 bis 30.11.2015 um monatlich 30 % des maßgebenden Regelbedarfs ab und hob die vorangegangenen Bewilligungsbescheide vom 12.02.2015 und 23.07.2015 insoweit auf. Daraus ergab sich eine Minderung in Höhe von 119,70 EUR monatlich. Zur Begründung gab er an, der Antragsteller sei den in der EGV vom 30.04.2015 vereinbarten Pflichten trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht nachgekommen, indem er weder ein ärztliches Attest noch den ausgefüllten Gesundheitsfragebogen eingereicht habe. Die im Schreiben vom 01.07.2015 genannten datenschutzrechtlichen Gründe könnten nicht anerkannt werden. Mit anwaltlichem Schreiben vom 30.08.2015 erhob der Antragsteller gegen diesen Bescheid vom 03.08.2015 Widerspruch und führte zur Begründung aus, ihm obliege auf Basis der EGV vom 30.04.2015 keine Verpflichtung zur Einreichung eines ärztlichen Attestes und des ausgefüllten Gesundheitsfragebogens. Mangels Pflichtverstoßes sei die Verhängung einer Sanktion nicht begründbar. Eine Entscheidung des Antragsgegners über diesen Widerspruch ist bislang – soweit ersichtlich – nicht ergangen.
Überdies hat sich der Antragsteller am 03.09.2015 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes an das Sozialgericht Freiburg gewandt. Er ist der Auffassung, die Frage der Leistungsfähigkeit bzw. Erwerbsfähigkeit könne nicht zum Regelungsgegenstand einer EGV gemacht werden. Das Gesetz sehe zur Klärung der Frage der Erwerbsfähigkeit ein eigenes Regelwerk vor. Dieses würde ins Leere laufen, wenn die Regelungen der §§ 14 ff. SGB II dahingehend Anwendung finden könnten, dass auch für die Prüfung der Frage, ob überhaupt Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen vorliege, der Abschluss einer EGV möglich wäre. Zur weiteren Begründung verweist der Antragsteller auf seine Klagebegründung in dem Verfahren mit dem Aktenzeichen S 19 AS 3730/15. Darin führt der Antragsteller unter anderem aus, die Frage der Leistungsfähigkeit sei eine Vorfrage für den Abschluss einer EGV. Die EGV selbst setze Leistungsfähigkeit voraus.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 31.08.2015 gegen den Sanktionsbescheid vom 03.08.2015 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
11 
Er weist zunächst darauf hin, dass die anhängige Klage gegen die EGV vom 30.04.2015 keine aufschiebende Wirkung entfalte, so dass der Antragsteller weiterhin zur Erfüllung der dort festgelegten Bemühungen verpflichtet sei. Die in der EGV vom 30.04.2015 festgelegten Verpflichtungen seien rechtmäßig. Es sei keine Rechtsprechung ersichtlich, die den Inhalt der EGV einschränke. Zudem gebe es vielfältige Schritte, um erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu integrieren. Es könne nicht Sinn einer EGV sein, lediglich die letzten Schritte einer Integration zu regeln. Vorliegend solle als erster Schritt einer möglichen Integration des Antragstellers in Arbeit dessen Leistungsfähigkeit geprüft werden. Ohne diese Prüfung seien weiterführende Maßnahmen zur Eingliederung des Antragstellers in Arbeit nicht möglich. Zur weiteren Begründung verweist der Antragsgegner auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 23.07.2015 hinsichtlich der EGV vom 30.04.2015. Darin führt der Antragsgegner aus, dass die EGV vom 30.04.2015 die gesetzlichen Vorgaben der §§ 15 f. SGB II beachte.
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Auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie den geführten Schriftwechsel wird hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und den Verfahrensgang ergänzend Bezug genommen.
II.
13 
Der Antrag des Antragstellers ist nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt, keine aufschiebende Wirkung. Der streitgegenständliche Sanktionsbescheid vom 03.08.2015 ordnet die Absenkung bereits bewilligter Leistungen für die Dauer von drei Monaten an. Der dagegen eingelegte Rechtsbehelf hat daher keine aufschiebende Wirkung. Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig und begründet.
14 
Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebende Wirkung hat das Gericht eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, die Wirkung des angefochtenen Bescheides (zunächst) zu unterbinden (Aussetzungsinteresse) mit dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners vorzunehmen. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist anzuordnen, wenn das Aussetzungsinteresse das Vollzugsinteresse überwiegt. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen, weil dann ein öffentliches Interesse an der Vollziehung nicht erkennbar ist. Ist der Widerspruch aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in der vorliegenden Fallgestaltung ein Regel-/Ausnahmeverhältnis angeordnet hat. In der Regel überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners, da der Gesetzgeber die aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen ausgeschlossen hat (vgl. BSG Beschl. v. 29.08.2011 – Az. B 6 KA 18/11 R, Rdn. 12 nach Juris). Je größer jedoch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, umso geringer sind die Anforderungen an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Umgekehrt sind die Anforderungen an die Erfolgsaussichten umso geringer, je schwerer die Verwaltungsmaßnahme wirkt oder rückgängig gemacht werden kann. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung nicht erginge, die Klage bzw. der Widerspruch aber später Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erlassen würde, die Klage bzw. der Widerspruch aber erfolglos bliebe (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rdn. 12f.).
15 
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da sich der Sanktionsbescheid vom 03.08.2015 nach einer im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig erweist. Im Einzelnen:
16 
Nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II verletzten erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihrer Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis sich weigern, in der EGV oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II festgelegten Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen. Nach § 31a Abs. 1 SGB II ist das Vorliegen einer Pflichtverletzung nach § 31 SGB II Voraussetzung für eine Minderung des Arbeitslosengeld II.
17 
Der Antragsteller selbst bestreitet nicht, dass er die in der EGV vom 30.04.2015 festgelegten Pflichten nicht erfüllt hat, indem er weder eine AU-Bescheinigung noch einen ausgefüllten Gesundheitsfragebogen beim Antragsgegner vorgelegt hat. Eine Sanktionierung auf Grund dieser Nichterfüllung der im eine EGV ersetzenden Eingliederungsverwaltungsakt vom 30.04.2015 festgelegten Pflichten konnte gleichwohl nicht erfolgen, weil sich dieser Eingliederungsverwaltungsakt nach summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist. Die Rechtmäßigkeit eines zugrundeliegenden Eingliederungsverwaltungsaktes ist zur Überzeugung der Kammer aber Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Sanktion auf Grund einer Pflichtverletzung gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II. Dies gilt jedenfalls solange der Eingliederungsverwaltungsakts nicht seinerseits bestandskräftig geworden ist, da in diesem Falle die Bindungswirkung des § 77 SGG noch nicht eingetreten ist (vgl. auch Berlit in: LPK-SGB II, 5. Aufl. 2013, § 31, Rdn. 19 m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall, weil der am 30.04.2015 ergangene Eingliederungsverwaltungsakt durch Widerspruch und Klage angegriffen wurde und das entsprechende Klageverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Die bloße Wirksamkeit bzw. Vollziehbarkeit eines Eingliederungsverwaltungsaktes steht der inzidenten Prüfung seiner Rechtmäßigkeit im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung einer Sanktion dagegen nicht entgegen (so aber wohl SG Berlin, Urt. v. 09.07.2014 – Az. S 205 AS 30970/13, Rdn. 26 ff. nach Juris). Anderenfalls wäre jeder von einer auf einer EGV beruhenden Sanktion Betroffene gehalten, einstweiligen Rechtsschutz nicht nur gegen den Sanktionsbescheid selbst, sondern auch gegen den Eingliederungsverwaltungsakt in Anspruch zu nehmen, um auf diesem Wege die Vollziehbarkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes zu verhindern. Dies erscheint nicht prozessökonomisch. Überdies kann sich derjenigen, der eine rechtswidrige EGV nicht befolgt, auch auf einen wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 S. 2 SGB II berufen, der ebenfalls einer Sanktionierung im Wege steht. Spätestens bei der Prüfung, ob ein solcher wichtiger Grund vorliegt, ist demnach eine inzidente Prüfung eines – nicht bestandskräftigen – Eingliederungsverwaltungsaktes unerlässlich (ebenso: Hessisches LSG, Urt. v. 13.052015 – Az. L 6 AS 132/14, Rdn. 47 nach Juris; Sonnhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 31, Rdn. 33).
18 
Nach summarischer Prüfung erweisen sich die in der EGV vom 30.04.2015 festgelegten Pflichten des Antragstellers in Form der Vorlage einer AU-Bescheinigung sowie eines ausgefüllten Gesundheitsfragebogens als rechtwidrig.
19 
Die EGV ist in § 15 SGB II gesetzlich geregelt. Nach § 15 Abs. 1 S. 1 SGB II soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren. In der EGV soll insbesondere vereinbart werden, welche Leistungen der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält, welche Bemühungen er in welcher Häufigkeit mindestens unternehmen muss und in welcher Form er seine Bemühungen nachzuweisen hat, vgl. § 15 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 2 SGB II. Der mit der EGV verfolgte Zweck ist also immer derselbe, nämlich letztendlich die Vermittlung in Arbeit bzw. die Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit auf der Grundlage effektiver Vermittlungsbemühungen (Sonnhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 15, Rdn. 62). Dies wird im Übrigen auch durch die systematische Stellung des § 15 SGB II innerhalb des grundsicherungsrechtlichen Leistungssystems bestätigt. So findet sich § 15 SGB II im Kapitel 3, Abschnitt 1 „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“ (BSG, Urt. v. 02.04.2014 – Az. B 4 AS 26/13 R, Rdn. 37 nach Juris).
20 
Die durch EGV festgelegten Eigenbemühungen des Leistungsempfängers müssen demnach der „Eingliederung in Arbeit“ dienen. Maßgeblich für die konkret festzusetzenden Eigenbemühungen sind stets die persönlichen Verhältnisse des Leistungsempfängers, also das individuelle Leistungsvermögen, der berufliche Ausbildungsstand und allgemeine Berufserfahrung, die intellektuellen Fähigkeiten und Kenntnisse sowie die persönlichen familiären Verhältnisse jeweils in Relation zu den Verhältnissen des Arbeitsmarktes (Sonnhoff a.a.O., § 15, Rdn. 88 m.w.N.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze handelt es sich bei der Verpflichtung des Antragstellers zur Vorlage einer AU-Bescheinigung sowie eines ausgefüllten Gesundheitsfragebogens nach summarischer Prüfung nicht um einen zulässigen Regelungsinhalt einer EGV. Es ist insbesondere nicht zu erkennen, inwiefern diese auferlegten Eigenbemühungen des Antragstellers einer Eingliederung in Arbeit dienen können. Hierbei ist zunächst zu beachten, dass die Erwerbsfähigkeit als solche bereits nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 S. 1 SGB II Voraussetzung einer EGV ist, so dass die Vorfrage, ob überhaupt Erwerbsfähigkeit vorliegt sowie hierauf bezogene Obliegenheiten des Leistungsempfängers von vorneherein nicht Gegenstand einer EGV sein können (ebenso:Berlit a.a.O., § 15, Rdn. 22; LSG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 05.07.2007 – Az. L 3 ER 175/07 AS, Rdn. 19 nach Juris; Hessisches LSG, Beschl. v. 17.10.2008 – Az. L 7 AS 251/08 B ER, Rdn. 58 nach Juris). Doch selbst wenn die seitens des Antragsgegners durch Verwaltungsakt festgelegte Obliegenheit des Antragstellers zur Vorlage einer AU-Bescheinigung sowie eines ausgefüllten Gesundheitsfragebogens nicht der Klärung der Frage dienen sollte ob, sondern in welchem Umfang der Antragsteller (noch) erwerbsfähig ist, kann dies nach summarischer Prüfung nicht zur Rechtmäßigkeit dieser Regelung führen. Zunächst erscheint es fraglich, ob die festgesetzten Eigenbemühungen des Antragstellers tatsächlich lediglich der Klärung dessen Restleistungsvermögens dienen sollen. So ist das Ziel der EGV mit „Klärung der Leistungsfähigkeit“ umschrieben. Hintergrund der Regelungen war offensichtlich eine Aussage des Antragstellers gegenüber dem Antragsgegner, wonach er sich selbst für nicht mehr leistungsfähig halte. Unter diesen Umständen liegt zumindest die Vermutung nahe, dass der Antragsgegner die Frage klären wollte, ob der Antragstellers derzeit erwerbsfähig ist. Gerade dies ist aus den bereits genannten Gründen mittels EGV jedoch nicht möglich.
21 
Sofern der Antragsgegner jedoch lediglich den Umfang des Restleistungsvermögens des Antragstellers klären wollte, kann auch dies keine Maßnahme zur Eingliederung des Antragstellers in Arbeit sein. Weder durch Vorlage einer AU-Bescheinigung noch durch Vorlage eines ausgefüllten Gesundheitsfragebogens können sich die Chancen des Antragstellers auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bzw. auf Beendigung oder Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit erhöhen. Dem Antragsgegner ist zwar zu Gute zu halten, dass erst nach genauer Kenntnis der gesundheitlichen Beschwerden des Antragstellers und seines dadurch bedingten qualitativen und quantitativen Restleistungsvermögens das Unterbreiten von leidensgerechten und damit von zumutbaren bzw. geeigneten Vermittlungsvorschlägen möglich erscheint. Dies kann allerdings allenfalls eine mittelbare Verbesserung der Wiedereingliederungschancen des Antragstellers in Arbeit begründen und stellt daher nach summarischer Prüfung keine im Rahmen einer EGV zulässige Regelung dar. Im Gegensatz dazu begründen nämlich die im Rahmen einer EGV zulässig festzusetzenden Eigenbemühungen, wie etwa die Aufgabe von Stellengesuchen in Zeitungen, die regelmäßige Auswertung von Stellenanzeigen, (initiative) Bewerbungen oder auch die Teilnahme an Eingliederungsmaßnahmen, eine unmittelbare Verbesserung der Wiedereingliederungschancen des Leistungsempfängers.
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Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass jede EGV – wie bereits ausgeführt – individuell angepasste Eigenbemühungen des Leistungsempfängers festlegen soll, wobei auch und gerade das individuelle (Rest-)Leistungsvermögen zu berücksichtigen ist. Aus diesem Grunde ist die Kenntnis des (Rest-)Leistungsvermögens durch den Leistungsträger Grundvoraussetzung für den Abschluss einer zulässigen bzw. rechtmäßigen EGV. Ebenso wie die Frage, ob ein Leistungsempfänger überhaupt erwerbsfähig ist, ist mithin auch die Frage, in welchem Umfang ein Leistungsempfänger erwerbsfähig ist, eine Vorfrage, die zwingend vor Abschluss einer EGV zu klären ist.
23 
Lediglich ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass es auch kein Bedürfnis dafür gibt, Zweifel am Vorliegen bzw. am Umfang der Leistungsfähigkeit eines Leistungsempfängers mittels entsprechenden Verpflichtungen im Rahmen einer EGV zu klären. Sollte der Antragsgegner keine Zweifel an der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers haben, steht es ihm frei, den Antragsteller auch und gerade mittels einer EGV zu Eigenbemühungen zu verpflichten, die unmittelbar der Eingliederung in Arbeit dienen. Sollte sich der Antragsteller diesen Eigenbemühungen aus gesundheitlichen Gründen nicht gewachsen fühlen, wäre er verpflichtet, durch Vorlage geeigneter Unterlagen, insbesondere durch AU-Bescheinigungen, nachzuweisen, (derzeit) keine Eigenbemühungen leisten zu können. Anderenfalls – also bei fehlendem Nachweis eines wichtigen Grundes – dürfte dagegen ein sanktionsfähiges Verhalten des Antragstellers naheliegen. Sollte der Antragsgegners dagegen Zweifel haben, ob bzw. in welchem Umfang der Antragsteller erwerbsfähig ist, besteht die Möglichkeit, den Antragsteller nach § 62 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) zur Teilnahme an einer ärztlichen und/oder psychologischen Untersuchung zu verpflichten, oder aber nach § 60 SGB I zur Angabe wesentlicher Tatsachen aufzufordern. Sollte sich der Antragsteller dem verwehren, bestünde nach § 66 SGB I die Möglichkeit, die Leistungen nach dem SGB II bis zur Nachholung der Mitwirkung durch den Antragsteller ganz oder teilweise zu versagen.
24 
Nach alledem dienen die in der EGV festgesetzten Eigenbemühungen des Antragstellers weder dem gesetzlich normierten Zweck einer EGV, noch sind diese Eigenbemühungen zur Klärung des (Rest-)Leistungsvermögens des Antragstellers erforderlich. Der Eingliederungsverwaltungsakt vom 30.04.2015 und damit auch der darauf beruhende Sanktionsbescheid vom 03.08.2015 erweisen sich daher nach summarischer Prüfung als rechtswidrig. Dem Antrag war somit stattzugeben.
25 
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
26 
Da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR (Minderungsbetrag insgesamt lediglich 359,10 EUR) nicht übersteigt, ist dieser Beschluss gemäß §§ 172 Abs. 3 Nr. 1, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG unanfechtbar.

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 172


(1) Gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte findet die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist. (2) Pro

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 60 Angabe von Tatsachen


(1) Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat 1. alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen,2. Änderungen

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 77


Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 31 Pflichtverletzungen


(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis1.sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,2.sich weigern, eine zu

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 66 Folgen fehlender Mitwirkung


(1) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittl

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 15 Potenzialanalyse und Kooperationsplan


(1) Die Agentur für Arbeit soll unverzüglich zusammen mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für die Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit erforderlichen persönlichen Merkmale, die beruflichen Fähigkeiten und die Eignung feststel

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 39 Sofortige Vollziehbarkeit


Keine aufschiebende Wirkung haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt,1.der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, entzieht, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsans

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 31a Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen


(1) Bei einer Pflichtverletzung nach § 31 mindert sich das Bürgergeld um 10 Prozent des nach § 20 jeweils maßgebenden Regelbedarfs. Bei einer weiteren Pflichtverletzung nach § 31 mindert sich das Bürgergeld um 20 Prozent des nach § 20 jeweils maßgebe

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Bundessozialgericht Urteil, 02. Apr. 2014 - B 4 AS 26/13 R

bei uns veröffentlicht am 02.04.2014

Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 2. Juli 2012 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg

Bundessozialgericht Urteil, 21. März 2012 - B 6 KA 18/11 R

bei uns veröffentlicht am 21.03.2012

Tenor Die Revisionen des Klägers und der Beigeladenen zu 1. gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 31. August 2010 werden zurückgewiesen.

Referenzen

Keine aufschiebende Wirkung haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt,

1.
der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, entzieht, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt,
2.
mit dem zur Beantragung einer vorrangigen Leistung aufgefordert wird oder
3.
mit dem nach § 59 in Verbindung mit § 309 des Dritten Buches zur persönlichen Meldung bei der Agentur für Arbeit aufgefordert wird.

Tenor

Die Revisionen des Klägers und der Beigeladenen zu 1. gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 31. August 2010 werden zurückgewiesen.

Der Kläger und die Beigeladene zu 1. tragen die Kosten des Revisionsverfahrens je zur Hälfte, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 6.

Tatbestand

1

Umstritten sind Regresse wegen überdurchschnittlicher Kosten durch Verordnungen physikalisch-medizinischer Behandlungen.

2

Der Kläger, ein Orthopäde mit den Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und Chirotherapie, der seit dem Quartal IV/1997 im Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) vertragsärztlich tätig ist und seit dem Quartal IV/1999 eine Einzelpraxis betreibt, überschritt in den Quartalen II/2000 bis IV/2002 mit seinem durch Verordnungen veranlassten Heilmittelaufwand (physikalisch-medizinische Leistungen - seit dem 1.4.2005 als physikalisch-therapeutisch bezeichnet) um Werte zwischen 128 % und 177 % den Durchschnitt der Fachgruppe der Orthopäden. Demgegenüber lagen seine Fallzahlen, seine Gesamthonoraranforderungen, sein Rentneranteil, der Umfang der Überweisungs- und Auftragsleistungen sowie sein Arzneikostenaufwand und auch der Umfang der in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen jeweils unter dem Durchschnitt.

3

Der Prüfungsausschuss erließ Regressbescheide mit Belassung von Überschreitungen um 125 % bzw um 100 % über dem durchschnittlichen Heilmittelverordnungsvolumen der Fachgruppe (125 % betr Quartale II/2000 bis IV/2001 und 100 % betr Quartale I/2002 bis IV/2002). Der beklagte Beschwerdeausschuss gab den Widersprüchen des Klägers hinsichtlich der Quartale II/2000 bis IV/2001 teilweise statt, indem er die zu belassenden Überschreitungen von 125 % auf 140 % erhöhte (Bescheid vom 9.7.2004, Regressbetrag 18 932,02 Euro) . Die Widersprüche des Klägers hinsichtlich der Quartale I bis IV/2002 - belassene Überschreitungen 100 % - wies der Beklagte zurück (Bescheid vom 22.7.2005, Regressbetrag 37 879,42 Euro; - somit Gesamtregresssumme 56 811,44 Euro).

4

In den Bescheiden des Beklagten, die in ihren Grundzügen übereinstimmen, ist ausgeführt, dass mit der Belassung größerer Überschreitungen in den Quartalen der Jahre 2000 und 2001 zusätzlich berücksichtigt worden sei, dass statistisches Zahlenmaterial im Heilmittelbereich erst seit Ende 1999 verfügbar sei. Praxisbesonderheiten hätten beim Kläger weder aufgrund seiner Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und Chirotherapie noch aufgrund seines überdurchschnittlichen Operationsspektrums noch aufgrund des Zuschnitts seiner Patientenschaft mit schwer Erkrankten oder Kindern mit Missbildungen anerkannt werden können. Die Durchsicht der (Behandlungs-)Unterlagen habe nur eine leicht überdurchschnittliche Zahl an Operationsfällen - insbesondere Arthroskopien - und keine signifikante Zahl von Patienten mit schweren Erkrankungen und/oder von Kindern mit Missbildungen ergeben. Nach alledem sei von einer Vergleichbarkeit des Zuschnitts seiner Praxisklientel und der daraus erwachsenden Behandlungserfordernisse mit denen des Durchschnitts der Fachgruppe auszugehen. Da das Diagnose- und Leistungsspektrum nicht signifikant von demjenigen der Vergleichsgruppe abweiche, sei die Bildung einer engeren Vergleichsgruppe nicht notwendig; eine signifikante Abweichung ergebe sich auch nicht aus dem unterdurchschnittlichen Umfang seiner in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen und chirotherapeutischen Leistungen. Die Frage eines Ausgleichs zwischen verschiedenen Behandlungsformen sei vielmehr unter dem Gesichtspunkt kompensierende Einsparungen zu prüfen. Seine Überschreitungen des durchschnittlichen Heilmittelverordnungsvolumens der Fachgruppe um Werte zwischen 128 % und 177 % lägen im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses. Während die Fachgruppe durchschnittlich bei etwa jedem vierten Patienten eine Heilmittelverordnung ausstelle, habe der Kläger dies bei etwa jedem zweiten Patienten getan; sein Verordnungsvolumen sei mehr als doppelt so hoch wie das des Durchschnitts der Fachgruppe. Auch falle die deutlich überdurchschnittliche Zahl an Wiederholungsrezepturen und an Kombinationen von Krankengymnastik und Massagen mit Kälteanwendungen oder Wärmetherapie auf. Kompensierende Einsparungen könnten weder wegen unterdurchschnittlicher Krankenhauseinweisungen noch wegen unterdurchschnittlicher Gesamthonoraranforderungen anerkannt werden. Ein kausaler Zusammenhang sei auch nicht zwischen dem Mehraufwand des Klägers bei den verordneten physikalisch-medizinischen Behandlungen und dem unterdurchschnittlichen Umfang seiner Arzneiverordnungen feststellbar; sein Vorbringen, er halte sich bei der Rezeptur von Arzneimitteln bewusst zugunsten von Heilmittelverordnungen zurück, genüge nicht; die Therapieansätze bei Arznei- und bei Heilmittelverordnungen seien unterschiedlich. Ein Kausalzusammenhang sei auch nicht ohne Weiteres zwischen dem Mehraufwand bei den verordneten und dem Minderaufwand bei den in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen erkennbar; hiergegen spreche, dass die in eigener Praxis erbrachten und die von selbstständigen nicht-ärztlichen Leistungserbringern erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen nicht deckungsgleich seien. Zudem sei der Einspareffekt nur sehr klein: Der Minderaufwand betrage je Fall bei den in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen nur einen Bruchteil des Mehraufwands durch verordnete physikalisch-medizinische Behandlungen. Fraglich sei auch ein Kausalzusammenhang zwischen dem Mehraufwand des Klägers bei den Heilmittelverordnungen und seinen Einsparungen bei chirotherapeutischen Leistungen, die er auf seine spezielle Behandlungsart mit "sanfter Technik" zurückführe. Ungeachtet aller Zweifel würden Einsparungen bei den in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen und bei seinen chirotherapeutischen Leistungen aufgrund einer Gesamtschau im Rahmen der Belassung von Überschreitungen berücksichtigt, die auf 140 % (Quartale II/2000 bis IV/2001) bzw 100 % (Quartale I bis IV/2002) bemessen würden.

5

Die vom SG verbundenen Klagen und die Berufung des Klägers zum LSG sind erfolglos geblieben (Urteile des SG vom 22.10.2008 und des LSG vom 31.8.2010). Das LSG hat - mit weitgehender Bezugnahme auf das Urteil des SG - ausgeführt: Die Auswahl der Vergleichsgruppe sei nicht zu beanstanden. Die Bildung einer verfeinerten Vergleichsgruppe sei nicht etwa unter dem Gesichtspunkt veranlasst, dass der Kläger keine bzw kaum physikalisch-medizinische Leistungen in eigener Praxis erbringe. Dieser Gesichtspunkt könne allenfalls bei der Prüfung kompensierender Einsparungen von Bedeutung sein. Die Vergleichbarkeit mit der Fachgruppe werde nicht durch die geringere Fallzahl des Klägers in Frage gestellt. Der Beklagte habe beanstandungsfrei Praxisbesonderheiten verneint. Für deren Anerkennung genüge weder der Umfang der operativen Leistungen des Klägers noch der von ihm geltend gemachte Mehrbedarf, den er im Vergleich zur Fachgruppe aufgrund von Skoliosepatienten, multimorbiden Patienten und Kindern mit Fehlbildungen der Gliedmaßen habe. Kompensierende Einsparungen habe der Beklagte in ausreichendem Maße - pauschal - berücksichtigt. Dies betreffe die unterdurchschnittliche Erbringung eigener physikalisch-medizinischer und chirotherapeutischer Leistungen. Die Überschreitungswerte zwischen 128 % und 177 % begründeten ein offensichtliches Missverhältnis. Der Einwand des Klägers, er habe die in den Heilmittel-Richtlinien(-RL) enthaltenen Frequenzvorgaben je Patient eingehalten, schütze ihn nicht vor dem Vorhalt, in der Gesamtsumme aller Patienten zu viele Verordnungen - nämlich bei zu vielen Patienten - getätigt zu haben.

6

Sowohl der Kläger als auch die zu 1. beigeladene KÄV haben Revision eingelegt.

7

Der Kläger macht geltend, das Verfahren der Prüfgremien sowie Begründung und Inhalt der Bescheide widersprächen rechtsstaatlichen Anforderungen. Der durchgeführten Vergleichsprüfung stehe entgegen, dass seine Fallzahl und sein Honoraraufkommen erheblich unter dem Durchschnitt lägen. Die erst im Quartal IV/1999 eröffnete Einzelpraxis habe sich noch in der Aufbauphase befunden. Durch die Nähe zum dortigen Diakonissenkrankenhaus habe er viele Operationspatienten und viele Patienten mit schweren Erkrankungen sowie - wegen der Nähe zu der Geburtshilfeabteilung des Krankenhauses - viele Kinder mit Missbildungen, die chirurgischer und/oder orthopädischer Behandlung bedürften. Ein Vergleich nur mit solchen Orthopäden, die ebenfalls umfangreich operierten und - wie er - keine physikalische Therapie in eigener Praxis anböten, wäre angemessen. Gegenüber seinem hohen Aufwand bei verordneten physikalisch-medizinischen Leistungen hätte der Beklagte eine Kompensation durch seine unterdurchschnittlichen physikalisch-medizinischen Leistungen in eigener Praxis und sein unterdurchschnittliches Gesamthonorar sowie seine unterdurchschnittlichen Arzneikosten anerkennen müssen. Er hätte zu dem von ihm - dem Kläger - geltend gemachten Anteil an Patienten mit schweren Erkrankungen und dem hohen Anteil an Kindern mit Missbildungen nicht lediglich ausführen dürfen, Besonderheiten hätten sich insoweit nicht bestätigt. Der Beklagte hätte die unterdurchschnittliche Fallzahl zum Anlass nehmen müssen, das statistische Material näher zu überprüfen und dessen Aussagen ggf zu korrigieren. In Verbindung mit dem unterdurchschnittlichen Honoraraufkommen hätte sich dann der Vorwurf der Unwirtschaftlichkeit als nicht tragfähig herausgestellt. Der unterdurchschnittliche Umfang der von ihm in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen hätte schon auf der ersten Stufe einer medizinisch-intellektuellen Prüfung daraufhin unterzogen werden müssen, ob bei ihm und in der Arztgruppe die wesentlichen Leistungsbedingungen überhaupt im Sinne einer übereinstimmenden Leistungserbringungstypik vergleichbar seien. Für diese Überprüfung hätte der Beklagte die Heilmittelstatistiken beschaffen und diese arztindividuell und fachgruppenbezogen auswerten müssen, was zu entsprechender Bereinigung des zum Vergleich herangezogenen Fachgruppendurchschnitts und/oder zur Zubilligung von Mehraufwand bei ihm - dem Kläger - durch Anerkennung kompensierender Einsparungen bzw einer Praxisbesonderheit geführt haben würde. Die zugrunde gelegten Statistiken der Beigeladenen zu 1. könnten für einen fundierten Vergleich der Leistungsbedingungen der Fachgruppe mit denen des Klägers nicht ausreichen. Es spreche viel dafür, dass bei ausreichender Ermittlung schon die Grundvoraussetzung vergleichbare Leistungsbedingungen zwischen der Fachgruppe und ihm zu verneinen wäre bzw jedenfalls kein Mehraufwand im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses angenommen werden könne. Hierzu habe der Beklagte in seinen Bescheiden nichts ausgeführt, sodass den Regressbescheiden insoweit jedenfalls ein Begründungsdefizit anhafte.

8

Auch dem LSG seien in verschiedener Hinsicht Ermittlungsmängel anzulasten. Es stütze sich bei der Frage kompensierender Einsparungen ebenfalls nur auf die Heilmittelstatistik der Beigeladenen zu 1., ohne den Diskrepanzen zwischen den unterschiedlichen Statistiken und deren Berechnungen nachzugehen. Aufgrund dieses Defizits fehle es nicht nur an ausreichenden Feststellungen zur Vergleichbarkeit der Leistungsbedingungen, sondern auch an einer ausreichenden Grundlage für eine tragfähige Prüfung von Praxisbesonderheiten.

9

Schließlich sei auch unberücksichtigt geblieben, dass er - der Kläger - bei der Verordnung von Hilfsmitteln in jedem Einzelfall die Frequenzvorgaben der Heilmittel-RL eingehalten habe. Der Schutz durch die Frequenzvorgaben, den das BSG im Urteil vom 29.11.2006 herausgestellt habe (B 6 KA 7/06 R - SozR 4-2500 § 125 Nr 3) , müsse auch für die Gesamtheit seiner RL-konformen Verordnungen gelten. Diese RL seien ausgerichtet auf verbindliche äußere Rahmenbedingungen im Interesse der Vertragsärzte und ihrer Patienten. Es handele sich um leges speciales gegenüber den Grundsätzen des § 106 SGB V; sie ließen keinen Raum für ergänzende Prüfungen nach lediglich quantitativen, rein statistischen Durchschnittswerten. Andernfalls ergebe sich auch ein Widerspruch zwischen der Bewertung einer Verordnung als im Einzelfall korrekt und bei Gesamtbetrachtung aller Verordnungen als inkorrekt.

10

Die Beigeladene zu 1. macht geltend, die Fallzahlen des Klägers hätten in einigen Quartalen (I/2002 bis IV/2002) um bis zu 37 % unter dem Durchschnitt gelegen. Auch wenn eine solche Unterschreitung nicht der Durchschnittsprüfung die Grundlage entziehe - weil hierfür schon Fallzahlen von nur einem Fünftel des Durchschnitts der Vergleichsgruppe ausreichten -, so seien so große Unterschreitungen aber doch im Rahmen der sog medizinisch-intellektuellen Prüfung auf ihre Ursache hin zu überprüfen. Der Beklagte und das LSG hätten zudem die unterdurchschnittlichen Honorarwerte des Klägers bei den in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen nicht zutreffend gewürdigt. Sie hätten "nur sehr bedingt" einen Zusammenhang mit dem ihm angelasteten Mehraufwand anerkannt, weil - wie das LSG ausgeführt habe - in eigener Praxis vorwiegend Thermo- und Elektrotherapie, bei externer Verordnung hauptsächlich Krankengymnastik, Massagen und Wärmetherapie mittels Packung usw erbracht würden und sich deshalb nur in relativ geringfügigem Ausmaß Überschneidungen ergäben. Sie hätten insoweit im Rahmen kompensierender Einsparungen eine pauschale Berücksichtigung durch den Beklagten ausreichen lassen und die Unzulänglichkeiten des zugrunde liegenden Datenvergleichs nicht gewürdigt (Heilmittelstatistik einerseits und Anzahlstatistiken Praxis und Fachgruppe andererseits; keine angemessene Berücksichtigung des bei einigen Leistungen anzutreffenden Phänomens der sog Nullabrechner; Begrenzung der Zahl der einbezogenen Leistungserbringer, aber keine entsprechende Eingrenzung bei der Errechnung des Fallzahlendurchschnitts; Nichteinbeziehung einiger Leistungen auf Seiten der Fachgruppe; unzulängliche Beachtung dessen, dass der Kläger nur die zwei Leistungspositionen Nr 505 und 524 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen erbracht habe).

11

Schließlich hätte das LSG berücksichtigen müssen, dass der Kläger bei der Verordnung von Hilfsmitteln in jedem Einzelfall die Frequenzvorgaben der Heilmittel-RL eingehalten habe. Durch diese erfolge eine qualitätsorientierte Überprüfung unter Zurückdrängung rein quantitativer Betrachtung in einer Durchschnittswertprüfung; dies ergebe sich aus den RL und sei durch die Änderung des § 106 SGB V zum 1.1.2004 mit der Abschaffung der Durchschnittswertprüfung als Regelprüfmethode flankiert und so auch im BSG-Urteil vom 29.11.2006 zugrunde gelegt worden. Folgerichtig dürften Aufwand und Menge von Heilmittelverordnungen ausschließlich Einzelfallprüfungen unterzogen werden.

12

Der Kläger und die Beigeladene zu 1. beantragen,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 31.8.2010 und des Sozialgerichts Mainz vom 22.10.2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide vom 9.7.2004 und vom 22.7.2005 zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut über die Widersprüche des Klägers zu entscheiden.

13

Der Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.

14

Er verteidigt das Urteil des LSG. Dieses und das SG hätten zu Recht die angefochtenen Regressbescheide als rechtmäßig angesehen. Die Fallzahlen des Klägers reichten für die Tragfähigkeit eines Vergleichs der Fallkosten des Arztes mit den durchschnittlichen der Fachgruppe aus. Die Bewertung, dass die in eigener Praxis erbrachten und die verordneten physikalisch-medizinischen Leistungen nicht deckungsgleich seien, sich vielmehr hinsichtlich ihrer Art, Intensität und Kosten unterschieden, und die Schätzung des Kompensationsbetrags einschließlich der Berücksichtigung durch Belassung einer sog Restüberschreitung seien nicht zu beanstanden. Den Bescheiden hafte auch kein Begründungsmangel an. Die Einwendungen der Beigeladenen zu 1. gegen die den Prüfergebnissen zugrunde liegenden Werte seien überraschend, da sie selbst die Statistiken erstellt und vorgelegt habe. Auch das Vorbringen des Klägers, er habe in jedem Einzelfall die Frequenzvorgaben der Heilmittel-RL eingehalten, greife nicht durch. Deren Einhaltung schütze nur vor dem Vorhalt eines Verordnungsübermaßes bezogen auf den einzelnen Patienten, aber nicht vor dem Vorhalt, durch Verordnungen bei zu vielen Patienten unwirtschaftlich gehandelt zu haben.

15

Die zu 2. beigeladene AOK verteidigt ebenfalls - ohne einen Antrag zu stellen - das angefochtene Urteil des LSG und die Bescheide des Beklagten. Die Vergleichsprüfung sei nicht zu beanstanden. Die Mindestquote von 20 % der durchschnittlichen Fallzahl der Fachkollegen sei beim Kläger erfüllt. Der Beklagte und das LSG hätten den Ursachen weder bei der unterdurchschnittlichen Fallzahl noch bei dem Verordnungsmehraufwand weiter nachgehen müssen. Den unterdurchschnittlichen Umfang der in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen habe der Beklagte ausreichend berücksichtigt.

16

Die übrigen Beigeladenen äußern sich im Revisionsverfahren nicht.

Entscheidungsgründe

17

Die Revisionen des Klägers und der Beigeladenen zu 1. sind zulässig (zur Rechtsmittelbefugnis und Aktivlegitimation der KÄVen in Angelegenheiten der Wirtschaftlichkeitsprüfung vgl zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 28 RdNr 12 mwN; dem vergleichbar in Zulassungsangelegenheiten: BSG vom 19.10.2011, SozR 4-2500 § 103 Nr 8 RdNr 13, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen) . Die Revisionen sind aber unbegründet. Das LSG hat die angefochtenen Regressbescheide zu Recht nicht beanstandet. Diese Bescheide, die alleiniger Gegenstand des Verfahrens sind (vgl hierzu stRspr des BSG, zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 15 mwN; Nr 29 RdNr 14; zuletzt BSG vom 19.10.2011 - B 6 KA 38/10 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 33 RdNr 11 mwN), sind rechtmäßig.

18

1. Rechtsgrundlage der Verordnungsregresse ist § 106 Abs 2 SGB V(hier zugrunde zu legen idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22.12.1999, BGBl I 2626, mit weiteren - aber für den vorliegenden Rechtsstreit nicht relevanten - Änderungen, für das Jahr 2002 zuletzt noch Änderung vom 19.12.2001, BGBl I 3773). Danach wurde die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfungen der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen, entweder nach Durchschnittswerten oder am Maßstab von Richtgrößenvolumina (§ 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V) und/oder anhand von Stichproben (aaO Satz 1 Nr 2), geprüft. Nach dieser Gesetzeslage war davon auszugehen, dass die Prüfung nach Durchschnittswerten wegen ihres hohen Erkenntniswerts bei verhältnismäßig geringem Verwaltungsaufwand die Regelprüfmethode darstellte (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 13; ebenso BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 19; BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19 RdNr 14; Nr 23 RdNr 13; vgl zuletzt BSG vom 19.10.2011 - B 6 KA 38/10 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 33 RdNr 19, 27). Bei dieser Prüfmethode wird der Aufwand des geprüften Arztes je Fall mit dem durchschnittlichen Aufwand der Vergleichsgruppe - im Regelfall der Arztgruppe, der der Arzt angehört - verglichen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Vergleichsgruppe im Durchschnitt insgesamt wirtschaftlich handelt (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 54 S 303; Nr 55 S 307 f; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 2 RdNr 14, 15; Nr 3 RdNr 14; BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19 RdNr 14; Nr 23 RdNr 13). Ergibt die Prüfung, dass der Behandlungs- oder Verordnungsaufwand des geprüften Arztes - beim Gesamtfallwert, bei Sparten- oder bei Einzelleistungswerten - in offensichtlichem Missverhältnis zum durchschnittlichen Aufwand der Vergleichsgruppe steht, diesen nämlich in einem Ausmaß überschreitet, das sich nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur wie Praxisbesonderheiten und/oder sog kompensierende Einsparungen erklären lässt, so ist die Folgerung der Unwirtschaftlichkeit gerechtfertigt (stRspr, s dazu zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 57 S 319; BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 19; BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19 RdNr 14; Nr 23 RdNr 13 ). Dabei obliegt die Darlegungs- und Feststellungslast für besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände wie Praxisbesonderheiten und kompensierende Einsparungen dem Arzt (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 54 S 298 f mwN; Nr 57 S 325; BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19 RdNr 14; Nr 23 RdNr 13; Nr 29 RdNr 30 mwN). Die Prüfgremien sind allerdings zu Ermittlungen von Amts wegen hinsichtlich solcher Umstände verpflichtet, die typischerweise innerhalb der Fachgruppe unterschiedlich und daher augenfällig sind (vgl hierzu - betr in eigener Praxis oder verordneter physikalisch-medizinischer Leistungen - BSG vom 8.5.1985 - 6 RKa 24/83 - Juris RdNr 21 = USK 85190 S 1014 f; vgl zB auch BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 51 S 277; Nr 53 S 295 oben). Bei den erforderlichen Bewertungen haben die Prüfgremien einen Beurteilungsspielraum, sodass deren Einschätzungen von den Gerichten nur in begrenztem Umfang überprüft und ggf beanstandet werden können (zu Entscheidungsspielräumen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung s BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 36 mwN; BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 20; BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19 RdNr 22; BSG vom 19.10.2011 - B 6 KA 38/10 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 33 RdNr 16, 17, 19) .

19

Bei Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe und der gerichtlich nur begrenzt zulässigen Überprüfung sind die angefochtenen Regressbescheide nicht zu beanstanden.

20

2. Die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungen des Klägers durfte im Wege des Vergleichs mit den Durchschnittswerten der Fachgruppe der Orthopäden erfolgen.

21

a) Die Fallzahl des Klägers reichte als Grundlage für eine Vergleichsprüfung anhand von Durchschnittswerten der Fachgruppe aus. Die Eignung für einen solchen Vergleich ist erst dann zu verneinen, wenn die Fallzahlen des geprüften Arztes so weit unterhalb der Durchschnittswerte der Fachgruppe liegen, dass ein Vergleich nicht mehr aussagekräftig ist. Für einen aussagekräftigen Vergleich hat der Senat auf eine Fallzahl des geprüften Arztes von mindestens 20 % der Vergleichsgruppe und dabei mindestens 100 Behandlungsfälle abgestellt (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 45 S 244 ff; vgl auch zB BSG SozR 2200 § 368n Nr 44 S 149 f und Nr 50 S 171). Dieses Mindestmaß hat der Kläger nicht unterschritten. Seine Fallzahlen lagen in den kritischsten der hier streitgegenständlichen Quartale um maximal 40 % unter der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe, dh sie beliefen sich stets auf mehr als 60 % der Vergleichsgruppe.

22

Sein Einwand, das LSG habe das Ausmaß der Durchschnittsüberschreitung nicht richtig erfasst, kann seiner Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Dieser betrifft nicht die Bescheide des Beklagten, die Gegenstand der Überprüfung sind, sondern - lediglich - das Urteil des LSG. In diesem heißt es, dass "die Unterschreitung der Fallzahl, die deutlich weniger als 20 % beträgt, nicht die … Vergleichbarkeit" beeinträchtigt (LSG-Urteil S 16) . Demgegenüber ist der Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass die "Gesamtfallzahlen … mit bis zu -37 % deutlich unter dem Durchschnitt der Fachgruppe" liegen (Bescheidbegründung vom 22.7.2005 S 2). Dies allein ist maßgeblich, denn entscheidend ist die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Regressbescheide. Eine inhaltliche Fehlbeurteilung des LSG allein kann nicht einen Erfolg der Revision begründen, es sei denn, insoweit läge zugleich ein Mangel des verfahrensmäßigen Vorgehens des LSG vor und dies würde vom Kläger entsprechend den Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG gerügt. Im Übrigen spricht nichts dafür, dass das Urteil des LSG auf der Annahme einer Durchschnittsunterschreitung von weniger als 20 % "beruhen" könnte (sog tragende Gründe, vgl zB BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 1 RdNr 4 mwN). Diese Formulierung bezieht die Angabe zum Gesamthonorar im Regressbescheid betr die Quartale II/2000 bis IV/2001 (Bescheid vom 9.7.2004, Begründung S 2 unten) versehentlich auf die Fallzahlen und insoweit auf alle Quartale. Anhaltspunkte dafür, dass dieser Irrtum das Urteilsergebnis beeinflusst haben könnte, sind nicht ersichtlich; Unterschreitungen um 20 % können ebenso wie solche um bis zu 37 % gleichermaßen die Eignung einer Vergleichsprüfung anhand von Durchschnittswerten der Fachgruppe nicht in Frage stellen, weil Fallzahlen ab 20 % der Vergleichsgruppe - wie ausgeführt - für die Vergleichbarkeit ausreichen.

23

b) Die Prüfgremien sind nicht verpflichtet, den Gründen für unterdurchschnittliche Fallzahlen einer Praxis nachzugehen, soweit der Grenzwert von 20 % erreicht oder überschritten ist. Dies ist nicht Gegenstand der sog intellektuellen Betrachtung, die medizinisch-ärztliche Gesichtspunkte mitberücksichtigt (zur medizinisch-intellektuellen Prüfung vgl zB BSGE 74, 70, 72 = SozR 3-2500 § 106 Nr 23 S 125; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 12 RdNr 13; BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 19). Eine geringe Fallzahl kann vielfältige Ursachen haben; sie kann zB auf einer Minderung der Leistungsfähigkeit des Arztes beruhen oder Folge einer für die Patienten geringeren Attraktivität bzw Überzeugungskraft des Arztes und/oder seiner Praxis sein. Eine geringe Fallzahl kann dazu führen, dass der Arzt, der dadurch evtl viel Zeit für seine wenigen Patienten hat, geneigt ist, für diese besonders viele Leistungen zu erbringen, womit er uU zugleich trotz seiner geringen Patientenzahl ein auskömmliches Einkommen anstrebt (zu diesen Zusammenhängen vgl Clemens in Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl 2010, § 36 RdNr 64; zur allgemeinen Problematik anbieterinduzierter Nachfrage gerade bei Praxen mit geringer Patientenzahl siehe zB BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 12 RdNr 17 am Ende mit weiteren BSG-Angaben). Die Vielfalt möglicher Ursachen für eine geringe Fallzahl - für die auch nicht-medizinische Ursachen in Betracht kommen können, die keinen Bezug zum eigentlichen Aufgabenbereich der Prüfgremien haben - spricht gegen die Annahme einer Verpflichtung der Prüfgremien, nach deren Ursache im Rahmen der ihnen obliegenden medizinisch-intellektuellen Prüfung zu forschen. Auch erfordert die Praktikabilität - im Sinne des Gebots, effektive Wirtschaftlichkeitsprüfungen durchzuführen (vgl hierzu BSG vom 19.10.2011 - B 6 KA 38/10 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 33 RdNr 20 mwN) -, dass die Prüfgremien bei Fallzahlen von wenigstens 20 % des Fachgruppendurchschnitts im Regelfall die Vergleichbarkeit als gegeben annehmen dürfen.

24

c) Ebenso wenig sind die Prüfgremien verpflichtet, bereits im Rahmen der medizinisch-intellektuellen Prüfung - also bei der Ermittlung der richtigen Vergleichsbasis - den unterdurchschnittlichen Umfang der vom Arzt in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen zu berücksichtigen. Auf der ersten Stufe der Prüfung der Grundlagen der Vergleichbarkeit - noch vor dem Einstieg in die weiteren Prüfungsschritte wie Praxisbesonderheiten, kompensierende Einsparungen, offensichtliches Missverhältnis, unwirtschaftlicher Mehraufwand (zu den Prüfungsschritten vgl zB Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand März 2012, § 106 RdNr 290-387, und - zusammengefasst - Clemens in Laufs/Kern aaO, § 36 RdNr 44-82) - mögen atypische Praxisprägungen in die Betrachtung einzubeziehen sein; diese können sich uU aus Praxisbesonderheiten ergeben. Kompensierende Einsparungen hingegen begründen im Regelfall keine abweichende Praxisprägung: Ihr Wesen besteht darin - das ist die Voraussetzung für die Anerkennung einer "Kompensation" -, dass der vom geprüften Arzt verursachte Mehraufwand und der bei ihm gegebene Minderaufwand medizinisch gleichwertig sind; dies zugrunde gelegt, wird durch kompensierende Einsparungen - jedenfalls im Regelfall - nur die individuelle Art der Leistungserbringung und das Spektrum der erbrachten Leistungen, nicht aber die Praxisprägung berührt. Dementsprechend erörtert der Senat den unterdurchschnittlichen Umfang der in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen erst unter dem Gesichtspunkt kompensierender Einsparungen (vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 57 S 325; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 23 RdNr 29 f; ebenso BSG vom 8.5.1985 - 6 RKa 24/83 - Juris RdNr 21 iVm 25 = USK 85190 S 1014 f iVm 1016 mit erst nachrangiger Berücksichtigung; ebenso BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 43 S 238/239).

25

d) Die im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung gebotene ergänzende intellektuelle Prüfung unter medizinisch-ärztlichen Gesichtspunkten wird im Bescheid vom 9.7.2004 (S 7) ausdrücklich erwähnt. Im Übrigen muss diese Prüfung auch nicht explizit erfolgen; vielmehr reicht es aus, dass sich eine hinreichende Berücksichtigung der relevanten Gesichtspunkte aus dem Gesamtzuschnitt der Bescheide ergibt, wie das hier der Fall ist (sinngemäß ebenso zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 50 S 266; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 57 S 323 unten).

26

3. Der Beklagte durfte das Verordnungsvolumen des Klägers mit demjenigen der Orthopäden im selben KÄV-Bezirk vergleichen. Die Bildung einer engeren - verfeinerten - Vergleichsgruppe war nicht geboten.

27

Deren Bildung bedarf es nur bzw allenfalls dann, wenn die Struktur der Praxis des geprüften Arztes sowohl hinsichtlich der Zusammensetzung des Patientenklientels als auch hinsichtlich des ärztlichen Diagnose- und Behandlungsangebots von der Typik beim Durchschnitt der Fachgruppe signifikant abweicht (vgl dazu BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 50 S 264; Nr 57 S 319 ff, 322 ff; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 11; Nr 12 RdNr 16-23) . Dies kann der Fall sein, wenn ein Arzt eine Zusatz- bzw Schwerpunktbezeichnung führt, sofern diese Niederschlag im Leistungsspektrum oder in der Ausrichtung der Praxis findet (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 57 S 319-322; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 12 RdNr 17 ff; ebenso BSG vom 21.3.2012 - B 6 KA 55/11 B - RdNr 8) . Die Prüfgremien dürfen solche Abweichungen von der Durchschnittspraxis aber auch - statt durch Bildung einer engeren Vergleichsgruppe - im Rahmen eines späteren Prüfungsschritts als Praxisbesonderheit oder durch Belassung einer größeren Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts berücksichtigen (BSGE 50, 84, 87 = SozR 2200 § 368e Nr 4 S 9 f; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 36 S 202 f; BSG vom 11.12.2002 - B 6 KA 21/02 B - Juris RdNr 11; BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 30).

28

Nach diesen Grundsätzen ist es nicht zu beanstanden, dass die Prüfgremien sich weder durch die vom Kläger geführten Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und Chirotherapie noch durch den unterdurchschnittlichen Umfang der in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen veranlasst gesehen haben, eine engere Vergleichsgruppe zu bilden. Der Beklagte musste erst recht nicht in Betracht ziehen, eine noch engere Vergleichsgruppe aus solchen Orthopäden zu bilden, die sowohl in vergleichbarem Ausmaß wie der Kläger operieren als auch keine physikalische Therapie in ihrer eigenen Praxis anbieten (zur Frage von Praxisbesonderheiten vgl noch RdNr 39 f).

29

4. Die angefochtenen Bescheide lassen auch im Übrigen Fehler nicht erkennen.

30

a) Eine Unwirtschaftlichkeit kann auch dann gegeben sein, wenn ein Arzt - wie der Kläger geltend macht - bei jeder einzelnen Verordnung die Frequenzzahlen der Heilmittel-RL beachtet. Zu unterscheiden ist nämlich zwischen einerseits Einzelfallprüfungen, auf die die Heilmittel-RL ausgerichtet sind und vor denen diese den Arzt in gewissem Umfang schützen können, und andererseits Durchschnitts- und Richtgrößen-Prüfungen.

31

aa) In den Heilmittel-RL kann der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), wie der Senat in seinem Urteil vom 29.11.2006 ausgeführt hat, nähere Vorgaben zum Vorgehen des Therapeuten formulieren (BSG SozR 4-2500 § 125 Nr 3 RdNr 18 ff). Er kann die Frequenz vorgeben, mit der die einzelnen Heilmittel bei den in Betracht kommenden Indikationen angewendet werden sollen, indem er die Verordnungsmenge für den Regelfall festlegt (BSG aaO RdNr 18-20). Dies gehört zum Kernbereich von Regelungen zur Gewährleistung einer wirtschaftlichen Versorgung bei Heilmittelanwendungen (BSG aaO RdNr 20). Gerade bei Heilmittelverordnungen kann die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht ohne klare untergesetzliche Maßgaben allein über die auf den einzelnen Arzt ausgerichtete Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V realisiert werden; Vergleichsprüfungen sind hier vielfach nur schwer durchführbar. Umso wichtiger sind eindeutige Vorgaben für die im Regelfall als wirtschaftlich angesehenen Verordnungsmengen sowohl bei Erst- als auch bei Wiederholungsverordnungen (BSG aaO RdNr 22).

32

bb) Mit diesen Ausführungen hat der Senat den hohen Stellenwert von Frequenzvorgaben für die Verordnung von Heilmitteln im Einzelfall hervorgehoben, ohne aber Vergleichsprüfungen anhand von Durchschnittswerten der Fachgruppe auszuschließen. Zu den Vergleichsprüfungen hat der Senat ausgeführt, dass sie im Heilmittelbereich "vielfach nur schwer durchführbar" sind und - so der vorangehende Satz - dass "die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht ohne klare untergesetzliche Maßgaben allein über die auf den einzelnen Arzt ausgerichtete Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V realisiert werden" kann(BSG aaO RdNr 22). Aus diesen Formulierungen wird deutlich, dass Durchschnittsprüfungen nicht ausgeschlossen sind, sondern die untergesetzlichen Vorgaben (vgl heute § 7 Abs 10 iVm §§ 17 ff der Heilmittel-RL vom 20.1./19.5.2011 zur physikalischen Therapie, BAnz Nr 96 S 2247 vom 30.6.2011 = DÄ 2011, A 1500 mit Verweisung auf Internetseite) und die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V nebeneinander stehen: Für die vom Arzt im Einzelfall verordnete Leistungsmenge sind die untergesetzlichen Frequenzvorgaben maßgebend; beachtet der Arzt diese Vorgaben, kann ihm in der Regel nicht vorgehalten werden, er hätte in einem einzelnen Behandlungsfall Heilmittel nur mit geringerer Frequenz verordnen dürfen. Vergleichsprüfungen anhand von Durchschnittswerten der Fachgruppe bleiben aber möglich, soweit sie klären sollen, ob der Arzt in der Gesamtzahl seiner Patienten in zu vielen Fällen Anlass zur Verordnung der Heilmittel sah. So stellt der Beklagte beim Kläger nicht in Frage, dass er in allen einzelnen Behandlungsfällen jeweils die Frequenzvorgaben der Heilmittel-RL einhielt; die von ihm durchgeführte Prüfung hat er vielmehr darauf gegründet, dass die Anzahl der Behandlungsfälle, in denen der Kläger physikalisch-medizinische Leistungen verordnete, weit über dem Durchschnitt der Fachgruppe lag - in jedem zweiten Behandlungsfall, daher ungefähr doppelt so häufig wie die Fachgruppe - und dass dafür keine Rechtfertigung aufgrund besonderen Praxiszuschnitts erkennbar sei.

33

cc) Mit einer solchen Vergleichsprüfung wird - entgegen der Ansicht des Klägers und der Beigeladenen zu 1. - nicht die Schutzwirkung der Heilmittel-RL unterlaufen, wie auch der Senat sie im Urteil vom 29.11.2006 anerkannt hat (BSG SozR 4-2500 § 125 Nr 3 RdNr 18 ff, 22; vgl auch BSG vom 13.9.2011 - B 1 KR 23/10 R - BSGE 109, 116 = SozR 4-2500 § 125 Nr 7, RdNr 11 und 13). Die Frequenzvorgaben der Heilmittel-RL (zur physikalischen Therapie vgl die Heilmittel-RL aaO mit § 7 Abs 10: "maximale Verordnungsmenge … bis zum Erreichen der Gesamtverordnungsmenge jedes Regelfalls in der Physikalischen Therapie bis zu sechs Einheiten") sind darauf zugeschnitten, wie viele Einheiten physikalischer Therapie im einzelnen Behandlungsfall als im Regelfall sachgerecht anzusehen sind. Dabei wird vorausgesetzt, dass es sich um einen Behandlungsfall handelt, in dem überhaupt Anlass zur Verordnung physikalisch-medizinischer Leistungen besteht. Zur Frage, in welcher Art von Behandlungsfällen ein solcher Anlass überhaupt als gegeben angesehen werden kann, sagt die Heilmittel-RL nichts aus; medizinische Beurteilungskriterien hierfür sind darin nicht zu finden (vgl dazu BT-Drucks 14/6309 S 10: "mit der Umsetzung der Heilmittel-Richtlinien allein die Wirtschaftlichkeit … nicht sichergestellt werden"). Deshalb kann gegründet auf den Vorhalt, physikalisch-medizinische Leistungen in einer nicht mehr vertretbaren, zu großen Anzahl von Behandlungsfällen - ohne dass sich dies durch seinen Praxiszuschnitt rechtfertigen lasse - verordnet zu haben, das Verordnungsvolumen eines Arztes sowohl im Wege des Vergleichs mit den Durchschnittswerten der Fachgruppe als auch anhand von Richtgrößen überprüft werden (zu letzterem vgl § 84 Abs 8 iVm § 106 Abs 5a ff SGB V).

34

Die Anwendbarkeit der Durchschnitts- und Richtgrößen-Prüfungen entspricht im Übrigen auch dem umfassenden Geltungsanspruch des Wirtschaftlichkeitsgebots, wonach der Arzt nicht nur im konkreten Einzelfall, sondern unter jedem Aspekt - und deshalb auch bezogen auf die Anzahl seiner Behandlungsfälle mit Heilmittelverordnungen - wirtschaftlich handeln muss (vgl hierzu zuletzt BSG vom 19.10.2011, SozR 4-2500 § 106 Nr 33 RdNr 21 mwN).

35

b) Ohne Rechtsverstoß hat sich der Beklagte auch mit dem Umfang der in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen auseinandergesetzt. Zumindest missverständlich ist allerdings die Formulierung des LSG, die beim Kläger unterdurchschnittliche Zahl der in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen könne "allenfalls" bei der Prüfung kompensierender Einsparungen von Bedeutung sein (LSG-Urteil S 16). Dies trifft so nicht zu: Die Abfolge der Prüfungsschritte in der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten ist nicht zwingend; auf welcher Stufe Abweichungen von der Typik der Vergleichsgruppe berücksichtigt werden, ist nicht strikt vorgegeben; unbedenklich können sie auch erst auf einer nachrangigen Stufe wie zB durch Belassung großzügiger Durchschnittsüberschreitungen berücksichtigt werden, wie der Senat bereits mehrfach ausgeführt hat (betr Bildung einer engeren Vergleichsgruppe vgl zB BSGE 50, 84, 87 = SozR 2200 § 368e Nr 4 S 9 f; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 36 S 202 f; BSG vom 11.12.2002 - B 6 KA 21/02 B - Juris RdNr 11; BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 30; betr kompensierende Einsparungen und Praxisbesonderheiten vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 43 S 238 f mwN; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 23 RdNr 29 f). Ob das LSG davon hat abweichen oder nur darlegen wollen, wo typischerweise bei einem Verordnungsregress die unterdurchschnittliche Höhe des Honorars für in eigener Praxis erbrachte physikalisch-medizinische Leistungen geprüft wird, kann offenbleiben. Für die abschließende inhaltliche Bewertung kommt es nur darauf an, ob die zugrunde liegenden Bescheide des Beklagten rechtmäßig sind: Diese enthalten ausreichende Ausführungen dazu, wie der gegenüber dem Fachgruppendurchschnitt mindere Aufwand des Klägers bei den in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen zu bewerten ist (hierzu s nachfolgend c).

36

c) Entgegen der Ansicht der Revisionsführer hat der Beklagte inhaltlich in genügender Weise den Minderaufwand des Klägers bei den in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen berücksichtigt.

37

Der Beklagte hat erwogen, ob insoweit sog kompensierende Einsparungen anzuerkennen seien, dies allerdings nicht abschließend entschieden: Ein Kausalzusammenhang zwischen dem Mehraufwand bei den verordneten und dem Minderaufwand bei den in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen erscheine zweifelhaft, weil die in eigener Praxis erbrachten und die von selbstständigen nicht-ärztlichen Leistungserbringern erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen nicht deckungsgleich seien. Zudem sei der Ersparniswert gering; der Minderaufwand des Klägers bei den in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen betrage je Fall nur einen Bruchteil des Mehraufwands durch verordnete physikalisch-medizinische Leistungen (insoweit werden Beträge einerseits bis 7 Euro und andererseits ab 20 Euro genannt). Ungeachtet solcher Zweifel am Kausalzusammenhang und an bedeutsamer Ersparnis würden Einsparungen bei den in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen berücksichtigt: Sie seien mitbestimmend für die Belassung von Überschreitungen über das durchschnittliche Heilmittelverordnungsvolumen der Fachgruppe hinaus im Umfang von 140 % (Quartale II/2000 bis IV/2001) bzw 100 % (Quartale I/2002 bis IV/2002).

38

Diese Ausführungen des Beklagten genügen den rechtlichen Anforderungen. Wie ausgeführt, müssen die Prüfgremien Umstände, die von ihrer Struktur her an sich der Kategorie kompensierende Einsparungen zuzuordnen sind (so bei unterdurchschnittlichem Umfang der in eigener Praxis erbrachten physikalisch-medizinischen Leistungen: s die BSG-Angaben oben RdNr 24 am Ende), nicht notwendigerweise im Rahmen dieses Prüfungsschritts berücksichtigen. Es reicht vielmehr aus, sie in die Berechnung oder Schätzung der zu belassenden Durchschnittsüberschreitungen einzubeziehen (vgl oben RdNr 27 und RdNr 35, jeweils mit Rspr-Angaben). Bei der Quantifizierung dürfen sie sich mit pauschalierenden Schätzungen begnügen (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 23 RdNr 30 iVm 33 mwN); dies gilt zumal dann, wenn schon dem Grunde nach - das durften die Prüfgremien offenlassen - nicht ohne Weiteres von einem Kausalzusammenhang zwischen Mehr- und Minderaufwand und zudem nur von einer relativ geringen kostenmäßigen Kompensation ausgegangen werden kann. Das Ausmaß der Berücksichtigung ist hier - auch bei Einberechnung eines weiteren Anteils für unterdurchschnittlichen Aufwand bei chirotherapeutischen Leistungen - angesichts der Belassung hoher Überschreitungen über das durchschnittliche Heilmittelverordnungsvolumen der Fachgruppe hinaus - im Umfang von 140 % (Quartale II/2000 bis IV/2001) bzw 100 % (Quartale I/2002 bis IV/2002) - jedenfalls ausreichend.

39

d) Schließlich sind die Regressbescheide auch weder hinsichtlich ihrer Ausführungen zum offensichtlichen Missverhältnis noch hinsichtlich der Verneinung von Praxisbesonderheiten zu beanstanden.

40

Der Beklagte hat ohne Rechtsverstoß die Anerkennung von Praxisbesonderheiten beim Kläger abgelehnt. Er hat ausgeführt, Praxisbesonderheiten hätten weder aufgrund der Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und Chirotherapie noch aufgrund eines überdurchschnittlichen Operationsspektrums noch aufgrund des Zuschnitts der Patientenschaft mit schwer Erkrankten oder Kindern mit Missbildungen anerkannt werden können: Die Durchsicht der (Behandlungs-)Unterlagen habe nur eine leicht überdurchschnittliche Zahl an Operationsfällen - insbesondere Arthroskopien - und keine signifikante Zahl von Patienten mit schweren Erkrankungen und/oder von Kindern mit Missbildungen ergeben. Mit diesen Ausführungen hat der Beklagte die Anerkennung von Praxisbesonderheiten ohne Überschreitung des ihm insoweit eingeräumten Beurteilungsspielraums - und mit ausreichender Begründung in den Bescheiden - versagt (zu den Entscheidungsspielräumen vgl oben RdNr 18 am Ende mit BSG-Angaben). Das LSG hat sich unter Bezugnahme auf die Ausführungen des SG die Feststellung zu eigen gemacht, dass weder der Umfang der operativen Leistungen des Klägers noch der von ihm geltend gemachte Mehrbedarf im Vergleich zur Fachgruppe bei Skoliose- und multimorbiden Patienten noch bei Kindern mit Fehlbildungen der Gliedmaßen dem Umfang nach deutlich von der Typik der Fachgruppe abweicht. An diese Feststellungen ist das Revisionsgericht gebunden; keiner der Revisionsführer hat dagegen eine Verfahrensrüge entsprechend den dafür bestehenden Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG erhoben(vgl § 163 Halbsatz 2 SGG). Soweit die Revisionsführer die Berechnungen als fehlerhaft gerügt haben, handelt es sich nicht um Verfahrens-, sondern um inhaltliche Rügen; diese können ebenso wenig wie das sonstige Vorbringen, mit dem sie Feststellungen des LSG als unzutreffend beanstanden, die gemäß § 163 SGG bestehende Bindung des Revisionsgerichts aufheben.

41

Auch bei der Festlegung des offensichtlichen Missverhältnisses haben die Prüfgremien einen Beurteilungsspielraum (BSG vom 19.10.2011 - B 6 KA 38/10 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 33 RdNr 13 mwN); die Festlegungen können je nach der Art der Vergleichsprüfung und dem Maß der Homogenität auf Überschreitungen ab 30 % bis 60 % erfolgen (vgl zB BSG vom 19.10.2011 - B 6 KA 38/10 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 33 RdNr 13 mwN und BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 50 mwN) . Liegt im konkreten Fall der nicht durch Praxisbesonderheiten und kompensierende Einsparungen erklärbare Mehraufwand in jedem Fall deutlich erkennbar im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses, so dürfen die Prüfgremien auf eine ausdrückliche Festlegung verzichten (vgl BSG aaO RdNr 50). Dies war hier im Hinblick auf die Überschreitungen des Fachgruppendurchschnitts um ca 130 % bis 180 % der Fall, sodass die Regressbescheide auch insoweit nicht zu beanstanden sind.

42

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Der Kläger und die Beigeladene zu 1. tragen, da sie mit ihren Rechtsmitteln erfolglos geblieben sind, die Kosten des Revisionsverfahrens zu gleichen Teilen (§ 154 Abs 2 iVm § 159 Satz 1 VwGO). Eine Erstattung der Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 6. ist nicht veranlasst; sie haben keine Anträge gestellt (§ 162 Abs 3 VwGO, vgl dazu BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

(1) Bei einer Pflichtverletzung nach § 31 mindert sich das Bürgergeld um 10 Prozent des nach § 20 jeweils maßgebenden Regelbedarfs. Bei einer weiteren Pflichtverletzung nach § 31 mindert sich das Bürgergeld um 20 Prozent des nach § 20 jeweils maßgebenden Regelbedarfs. Bei jeder weiteren Pflichtverletzung nach § 31 mindert sich das Bürgergeld um 30 Prozent des nach § 20 jeweils maßgeblichen Regelbedarfs. Eine weitere Pflichtverletzung liegt nur vor, wenn bereits zuvor eine Minderung festgestellt wurde. Sie liegt nicht vor, wenn der Beginn des vorangegangenen Minderungszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt. Minderungen nach den Sätzen 1 bis 3 sind aufzuheben, sobald erwerbsfähige Leistungsberechtigte diese Pflichten erfüllen oder sich nachträglich ernsthaft und nachhaltig dazu bereit erklären, diesen künftig nachzukommen. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 gelten bei Pflichtverletzungen nach § 31 Absatz 2 Nummer 3 in Fällen einer Sperrzeit bei Meldeversäumnis nach § 159 Absatz 1 Satz 2 Nummer 8 des Dritten Buches die Rechtsfolgen des § 32.

(2) Vor der Feststellung der Minderung nach Absatz 1 soll auf Verlangen der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten die Anhörung nach § 24 des Zehnten Buches persönlich erfolgen. Verletzen die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten wiederholt ihre Pflichten oder versäumen wiederholt Meldetermine nach § 32, soll die Anhörung persönlich erfolgen.

(3) Eine Leistungsminderung erfolgt nicht, wenn sie im Einzelfall eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde.

(4) Leistungsminderungen bei wiederholten Pflichtverletzungen oder wiederholten Meldeversäumnissen nach § 32 sind auf insgesamt 30 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs begrenzt. Die sich rechnerisch ergebenden Zahlbeträge für die Kosten der Unterkunft und Heizung dürfen durch eine Leistungsminderung nicht verringert werden.

(5) Für nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte gelten die Absätze 1 bis 4 bei Pflichtverletzungen nach § 31 Absatz 2 Nummer 1 und 2 entsprechend.

(6) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sollen innerhalb von vier Wochen nach Feststellung einer Leistungsminderung ein Beratungsangebot erhalten, in dem die Inhalte des Kooperationsplans überprüft und bei Bedarf fortgeschrieben werden.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 2. Juli 2012 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Juli 2010 zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen für nicht gedeckte Unterkunftskosten im Zeitraum 1.11.2008 bis 31.7.2010 hat.

2

Der 1975 geborene Kläger studierte nach Mittlerer Reife und beendeter Berufsausbildung zum Versicherungskaufmann im Jahre 2002 für ein Semester an der Hochschule für Wirtschaft und Politik. In der Folgezeit bezog er zunächst Sozialhilfe und ab 2005 Alg II. In Absprache mit der Rechtsvorgängerin des Beklagten führte er das Studium ab Sommersemester 2008 an der Universität H. als Nachfolgerin der Hochschule für Wirtschaft und Politik fort. Am 10.4.2008 schlossen Kläger und Beklagter eine Eingliederungsvereinbarung (EinglVb) ab, die eine Gültigkeitsklausel "bis 10.10.2008 soweit zwischenzeitlich nichts anderes vereinbart wird" enthielt. Darin wurde unter anderem vereinbart:

"1. Leistungen Jobcenter R.

* Sonstiges

        

- Für die Dauer des geplanten Studiums von bis zu 3 Jahren wird Arbeitslosengeld II als Unterstützung zur beruflichen Integration im bisherigen Umfang weiter gezahlt. Sollte sich herausstellen, dass das Studium aus gesundheitlichen Gründen nicht wie geplant fortgesetzt werden kann, wird ein Rehaverfahren eingeleitet.

Kommt der zuständige Träger seinen in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten nicht nach, ist ihm innerhalb einer Frist von 4 Wochen das Recht der Nacherfüllung einzuräumen. Ist eine Nachbesserung tatsächlich nicht möglich, muss er folgende Ersatzmaßnahme anbieten: /.

2. Bemühungen Herr D.K.

D.K. verpflichtet sich,

* Aus-/Weiterbildung/Anpassung

        

- Nachholen des Studienabschlusses

* Sonstiges

        

- Es ist erforderlich, dass eine sofortige Mitteilung bei der Arbeitsvermittlung erfolgt, wenn sich herausstellt, dass das Studium nicht wie geplant aus gesundheitlichen Gründen fortgeführt werden kann."

        

Neben allgemeinen Verpflichtungen zur Mitteilung von Änderungen und Bestimmungen betreffend den Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches enthielt die EinglVb ferner eine formularmäßige Rechtsfolgenbelehrung.

3

Mit erneuter Aufnahme des Studiums erhielt der Kläger nach § 13 Abs 1 Nr 2 BAföG als Studierender an einer Hochschule Ausbildungsförderungsleistungen in Höhe von monatlich 333 Euro bzw später 366 Euro. Ergänzt wurde diese nach § 13 Abs 2 Nr 2 BAföG um einen Zuschuss zum Unterkunftsbedarf von 133 Euro bzw später 146 Euro und nach § 13 Abs 3 BAföG von weiteren 72 Euro monatlich.

4

Nachdem der Kläger sich am 21.4.2008 wegen der Übernahme des Semesterbeitrags an den Beklagten gewandt hatte, teilte dieser am 24.4.2008 mit, die in der EinglVb zugesagte Unterstützung für die gesamte Dauer des Studiums könne nicht aufrecht erhalten werden. Bei Aufnahme eines Studiums entfalle der Anspruch auf Alg II. Lediglich "im Härtefall" könnten auf Antragstellung "Kosten für Miete und Unterkunft" gewährt werden. Falls der Kläger sein Studium "nach der Probezeit" fortführe, erlösche der Leistungsanspruch spätestens zum Ende des Bewilligungszeitraums am 31.8.2008. Seinen Widerspruch hiergegen begründete der Kläger damit, dass die Wiederaufnahme des Studiums derzeit die einzige erfolgversprechende Eingliederungsmöglichkeit darstelle.

5

Der Beklagte bewilligte durch Bescheid vom 18.9.2008 einen Zuschuss zu den ungedeckten Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 296 Euro monatlich für die Zeit vom 1.5.2008 bis zum 31.10.2008. Deren Fortzahlung lehnte er mit der Begründung ab, der Kläger habe keinen Leistungsanspruch nach dem SGB II, denn er sei von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen. Er absolviere eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung nach dem BAföG. Die Anspruchsvoraussetzungen für einen Zuschuss zu den Unterkunftskosten nach § 22 Abs 7 SGB II(hier in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung, aF) seien nicht erfüllt. Der Kläger lebe im eigenen Haushalt und nicht in demjenigen der Eltern (Bescheid vom 12.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.2.2009).

6

Am 28.1.2010 beantragte der Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung, die die Deutsche Rentenversicherung Bund zunächst ab dem 1.8.2010 befristet und später unbefristet für die Zeit ab dem 1.1.2010 bewilligte.

7

Das SG hat die Klage auf einen Zuschuss zu den ungedeckten Unterkunftskosten abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 12.7.2010). Auf die Berufung des Klägers hat das LSG den Gerichtsbescheid aufgehoben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 12.11.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.2.2009 verurteilt, dem Kläger die nicht anderweitig gedeckten Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 1.11.2008 bis zum 31.7.2010 zu erstatten (Urteil vom 2.7.2012). Der Kläger habe einen unmittelbaren Anspruch auf Erfüllung aus der EinglVb vom 10.4.2008. Diese vertragliche Verpflichtung sei in der Folgezeit durch Bewilligungsentscheidungen umzusetzen gewesen. Das Leistungsversprechen des Beklagten sei nach dem objektiven Empfängerhorizont so auszulegen, dass es über den 10.10.2008 hinaus gültig gewesen sei. Die EinglVb sei auch wirksam zustande gekommen. Ein Nichtigkeitsgrund liege nicht vor. Eine EinglVb könne, solange sie nicht nichtig sei, grundsätzlich auch Vereinbarungen über Förderungen von Aus- und Weiterbildung enthalten, die nach dem SGB III nicht förderungsfähig seien. Der Beklagte habe die EinglVb auch nicht wirksam gekündigt.

8

Der Beklagte rügt mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision eine Verletzung von § 15 SGB II. Der Kläger könne sich für den geltend gemachten Anspruch nicht auf die EinglVb berufen, denn diese sei nichtig. Der zulässige Regelungsinhalt der EinglVb beschränke sich ausschließlich auf Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts seien kein zulässiger Regelungsgegenstand. Auch die Leistungsvoraussetzungen des § 22 Abs 7 SGB II aF hätten nicht vorgelegen. Mit der zum 1.1.2010 rückwirkend festgestellten Erwerbsminderung sei die Zuständigkeit des Beklagten zudem vollständig entfallen.

9

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 2. Juli 2012 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Juli 2010 zurückzuweisen.

10

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

11

Er führt zur Begründung aus, dass die EinglVb nach den Feststellungen des LSG nicht bis zum 10.10.2008 befristet gewesen sei, sodass sich sein Leistungsanspruch unmittelbar aus der Vereinbarung ergäbe. In einer EinglVb könnten auch Regelungen über gebundene Leistungen, etwa solche zur Sicherung des Lebensunterhaltes, getroffen werden. Die EinglVb sei ggf als Zusicherung auszulegen, sodass dem Auszubildenden im Falle der Hilfebedürftigkeit passive Leistungen nach dem SGB II zu gewähren seien. Sein Anspruch gründe im Übrigen auf § 22 Abs 7 SGB II aF. Der Ausschluss von Studierenden, die nicht bei ihren Eltern wohnten, verstoße gegen Art 3 Abs 1 GG, weil es hierfür keine tragfähige Begründung gebe. Eine Ungleichbehandlung bestehe auch gegenüber Schülern, die nicht bei ihren Eltern wohnten, die gleichwohl einen Anspruch auf Zuschuss zu den ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 7 SGB II aF hätten. Es läge auch ein Verstoß gegen Art 1 iVm Art 20 GG vor, denn die Bedarfssätze im BAföG unterschritten das Existenzminimum. Er könne im konkreten Fall zudem aufgrund seiner Erkrankung nicht selbst durch Erwerbstätigkeit für seinen Lebensunterhalt sorgen. Schlussendlich folge der geltend gemachte Anspruch aus § 7 Abs 5 S 2 SGB II aF. Es liege hier ein besonderer Härtefall vor, denn das Studium sei die einzige Möglichkeit, einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden.

12

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie führt aus, ein Anspruch des Klägers gegen sie komme bereits deswegen nicht in Betracht, weil er im streitgegenständlichen Zeitraum kein Leistungsberechtigter nach dem SGB XII gewesen sei. Ferner sei ein Anspruch nach § 22 SGB XII ausgeschlossen.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet.

14

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die streitgegenständlichen Leistungen gegen den Beklagten. Weder kann er sich mit Erfolg auf § 22 Abs 1 S 1 SGB II(3.) oder § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF(4.), noch auf die EinglVb vom 10.4.2008 oder eine hierin zu erblickende Zusicherung iS des § 34 SGB X als Anspruchsgrundlage für einen Zuschuss zu den Unterkunftskosten berufen(5.). Er hat auch keinen Erfolg mit seinem Begehren auf eine darlehensweise Übernahme der Aufwendungen für Unterkunft nach § 22 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 7 Abs 5 S 2 SGB II aF(6.). Ebenso wenig kann er Leistungen nach dem SGB XII hierfür von der Beigeladenen beanspruchen (7.).

15

1. Streitgegenstand ist ein Anspruch des Klägers auf Leistungen für ungedeckte Kosten für Unterkunft und Heizung vom 1.11.2008 bis 31.7.2010 als Zuschuss oder Darlehen. Da allein der Beklagte Revision gegen das Urteil des LSG eingelegt hat, ist der Streitgegenstand hierauf beschränkt. Bei den Leistungen für Unterkunft und Heizung handelt es sich um abtrennbare Verfügungen (vgl nur BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 18 f). An der Zulässigkeit derart beschränkter Rechtsmittel hat sich durch die Neufassung des § 19 Abs 1 SGB II aufgrund des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG vom 24.3.2011 (BGBl I 453) zumindest für laufende Verfahren über vor dem 1.1.2011 abgeschlossene Bewilligungsabschnitte nichts geändert (vgl BSG Urteil vom 13.4.2011 - B 14 AS 106/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 46, RdNr 11).

16

2. Der Kläger verfolgt sein Begehren zutreffend mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) bzw kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG), soweit der Anspruch auf § 22 Abs 1 S 1 SGB II, § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF bzw § 22 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 7 Abs 5 S 2 SGB II aF und § 22 Abs 1 S 2 SGB XII oder § 34 SGB X gründet. Im Hinblick auf die EinglVb vom 10.4.2008 als Rechtsgrundlage des von ihm geltend gemachten Anspruchs ist zulässige Klageart die allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG).

17

3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen Zuschuss zu den anderweitig nicht gedeckten Unterkunftskosten gegen den Beklagten auf Grundlage von § 22 Abs 1 S 1 SGB II. Nach § 22 Abs 1 S 1 SGB II(idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954, der insofern seit dem Inkrafttreten am 1.1.2005 bis zum Ende des hier streitigen Zeitraumes nicht geändert worden ist) werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Dem Anspruch des Klägers auf diese Leistungen steht bereits seine fehlende Leistungsberechtigung entgegen. Dahinstehen kann insoweit, dass das LSG keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Kläger im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähig iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II und hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II war. Er war von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs 5 S 1 SGB II aF ausgeschlossen.

18

Gemäß § 7 Abs 5 S 1 SGB II(idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954, der insofern seit dem Inkrafttreten am 1.1.2005 bis zum Ende des hier streitigen Zeitraumes nicht geändert worden ist) haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, einschließlich solcher zur Deckung des Bedarfs durch die Kosten für Unterkunft und Heizung(§ 19 S 1 SGB II aF). Dem Ausschluss des § 7 Abs 5 S 1 SGB II aF liegt dabei die Erwägung zugrunde, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder eine Förderung gemäß §§ 60 bis 62 SGB III auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und die Grundsicherung nach dem SGB II nicht dazu dienen soll, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. Die Ausschlussregelung im SGB II soll die nachrangige Grundsicherung (vgl § 3 Abs 3 SGB II)mithin davon befreien, eine - versteckte - Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene zu ermöglichen. Es sollen nicht mehrere Träger zur Deckung ein und desselben Bedarfs zuständig sein (BSG Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 36/06 R - BSGE 99, 67 = SozR 4-4200 § 7 Nr 6, RdNr 18; BSG Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 28/07 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 9 RdNr 14).

19

Nach den Feststellungen des LSG absolvierte der Kläger während des streitgegenständlichen Zeitraums eine Ausbildung in der Form eines Studiums iS des § 7 Abs 5 S 1 SGB II aF iVm § 2 Abs 1 S 1 Nr 6 BAföG an der Universität H., die im konkreten Fall auch durch Leistungen nach dem BAföG gefördert worden ist. Dass der Kläger bereits über einen Berufsabschluss verfügt hat, steht der Einordnung des Studiums als Ausbildung iS des § 7 Abs 5 S 1 SGB II aF nicht entgegen. Es handelte sich dabei insbesondere nicht um eine Maßnahme der Weiterbildung iS von § 77 SGB III aF(idF des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 4607), die keinen Ausschluss von SGB II-Leistungen begründet (BSG Urteil vom 30.8.2010 - B 4 AS 97/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 19 RdNr 18 ff, unter Bezugnahme auf stRspr BVerwG, etwa BVerwG Urteil vom 7.6.1989 - 5 C 3/86 - BVerwGE 82, 125).

20

Die Abgrenzung zwischen Aus- und Weiterbildung richtet sich ausschließlich nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung des Charakters der Maßnahme. Entscheidend ist insoweit der Weg, auf dem das Ziel erreicht werden soll (BSG Urteil vom 29.1.2008 - B 7/7a AL 68/06 R - BSGE 100, 6 = SozR 4-4300 § 60 Nr 1, RdNr 10). Weiterbildungsangebote sollen grundsätzlich auf dem bereits vorhandenen beruflichen Wissen aufbauen. Es handelt sich insoweit um die Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach dem Abschluss der ersten Ausbildungsphase oder sonstiger beruflicher Betätigung ohne vorherigen Berufsabschluss, das deswegen vielfach - wenn auch nicht zwingend - mit einer verkürzten Ausbildungsdauer einhergeht (vgl § 85 Abs 2 SGB III aF; BSG Urteil vom 30.8.2010, aaO, RdNr 23 mwN auf die stRspr des BSG).

21

Nach den Feststellungen des LSG war die abgeschlossene Berufsausbildung ausschließlich Zugangsvoraussetzung für den gewählten Studiengang, sowohl zur Erlangung der allgemeinen Hochschulreife, als auch eines Bachelors of Arts in Sozialökonomie. Das Studium schloss nicht insofern an die Kenntnisse aus der Berufsausbildung an, als das an der Universität vermittelte Wissen auf ihnen aufbaute oder einen unmittelbaren Bezug zu diesen Kenntnissen hatte. Der formale Ausbildungsabschluss war vielmehr nur erforderlich, um zur Aufnahmeprüfung und nach deren Bestehen zum Studium zugelassen zu werden, vergleichbar der allgemeinen Hochschulreife, erworben durch das Abitur.

22

Da der Kläger Studierender an einer Hochschule war, kann er auch die Rückausnahmen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 6 SGB II(idF des 22. Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes <22. BAföGÄndG> vom 23.12.2007, BGBl I 3254, 3258, der insofern seit dem Inkrafttreten am 1.1.2008 bis zum Ende des hier streitigen Zeitraumes nicht geändert worden ist), die Schüler betreffen, nicht für sich in Anspruch nehmen.

23

4. Ebenso wenig hat der Kläger einen Anspruch gegen den Beklagten auf Gewährung ergänzender Leistungen für ungedeckte Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF als Zuschuss. Nach § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF(eingeführt durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706, der insofern seit dem Inkrafttreten am 1.1.2007 bis zum Ende des hier streitigen Zeitraumes nicht geändert worden ist; nunmehr: § 27 Abs 3 SGB II) steht abweichend von § 7 Abs 5 S 1 SGB II aF Auszubildenden, die Berufsausbildungsbeihilfe oder Ausbildungsgeld nach dem SGB III oder Leistungen nach dem BAföG erhalten und deren Bedarf sich nach § 65 Abs 1, § 66 Abs 3, § 101 Abs 3, § 105 Abs 1 Nr 1, 4, § 106 Abs 1 Nr 2 SGB III oder nach § 12 Abs 1 Nr 2, Abs 2 und 3, § 13 Abs 1 iVm Abs 2 Nr 1 BAföG bemisst, ein Zuschuss zu ihren ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zu(§ 22 Abs 1 S 1 SGB II). Unabhängig von den mangelnden Feststellungen des LSG zum Hilfebedarf des Klägers im Hinblick auf die Unterkunftskosten dem Grunde nach und ggf dessen Höhe, erfüllt er bereits die persönlichen Voraussetzungen des § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF nicht.

24

Der Kläger bezog nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) Leistungen nach dem BAföG, wobei sich sein Bedarf nach § 13 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Nr 2 BAföG(bis zum 31.7.2008 idF des Gesetzes zur Reform und Verbesserung der Ausbildungsförderung - Ausbildungsförderungsreformgesetz vom 19.3.2001, BGBl I 390, und ab 1.8.2008 idF des 22. BAföGÄndG vom 23.12.2007, BGBl I 3254) bemaß. Damit erhielt er Leistungen als Studierender an einer Hochschule, der nicht bei seinen Eltern wohnt (§ 13 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Nr 2, Abs 3 BAföG). § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF findet jedoch nur auf Studierende Anwendung, deren Bedarf sich nach § 13 Abs 1, Abs 2 Nr 1 BAföG bemisst, also auf solche, die eine Ausbildung in einer der in § 13 Abs 1 Nr 2 BAföG genannten Einrichtungen absolvieren und bei ihren Eltern wohnen.

25

Eine Anwendung von § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF auf die vom Kläger repräsentierte Personengruppe über den Wortlaut der Norm hinaus kommt nicht in Betracht. Es handelt sich hierbei um eine abschließende Aufzählung (hiervon ist bereits der 14. Senat im Urteil vom 19.8.2010 - B 14 AS 24/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 20 RdNr 20-21 ausgegangen; ebenso BSG Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 36/06 R - BSGE 99, 67 = SozR 4-4200 § 7 Nr 6, RdNr 28) und für eine analoge Anwendung der Vorschrift auf die hier vorliegende Fallkonstellation fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke.

26

Der Gesetzgeber hat bewusst nur für den Personenkreis ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vorgesehen, der entweder während einer Berufsausbildung außerhalb des Elternhauses wohnt und nur Anspruch auf eine Förderung nach § 65 Abs 1 SGB III iVm dem niedrigeren Leistungssatz nach § 13 Abs 1 Nr 1 BAföG hat(vgl Fallkonstellation, die der Entscheidung des erkennenden Senats vom 22.3.2010 zugrunde lag - B 4 AS 69/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 32 RdNr 13)oder der als Studierender bei den Eltern lebt und nur Unterkunftsleistungen nach § 13 Abs 2 Nr 1 BAföG erhält. In beiden Fällen können typischerweise Lücken bei der Finanzierung der Unterkunftskosten entstehen. Die ergänzenden Leistungen für Studierende, die im Haushalt der Eltern wohnen, sollen zu den dort anfallenden Kosten für die Unterkunft und Heizung beitragen, weil die Eltern den auf das studierende Kind entfallenden Wohnkostenanteil mitzutragen haben. Sind die Eltern selbst hilfebedürftig, haben sie nach dem SGB II nur kopfteilig Anspruch auf Unterkunfts- und Heizkostenleistungen, sodass der auf das studierende Kind entfallende Anteil an den Wohnkosten ansonsten ungedeckt bliebe (BT-Drucks 16/1410, S 23).

27

Soweit der Kläger geltend macht, der Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art 1 iVm Art 20 GG (vgl BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, RdNr 134 - SGB II-Regelleistung; BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 7.7.2010 - 1 BvR 2556/09 - SozR 4-4200 § 11 Nr 33) erfordere seine Einbeziehung in den Kreis der nach § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF Leistungsberechtigten, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Der Kläger beruft sich darauf, aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG folge die staatliche Garantie der Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins erforderlich seien (vgl BVerfGE 82, 60 <80>; BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, RdNr 135). Insoweit übersieht er jedoch, dass er zur Finanzierung seines Lebensunterhalts staatliche Mittel in Gestalt der Leistungen nach dem BAföG erhalten hat, insbesondere erhöhte Unterkunftsleistungen. Für Studierende, die in einer Unterkunft außerhalb des Elternhauses wohnen, sah § 13 Abs 3 BAföG im hier streitigen Zeitraum(idF des Art 1 Nr 6 AföRG, Ausbildungsförderungsreformgesetz vom 19.3.2001, BGBl I 390, mWv 1.4.2001) im Fall der Unterdeckung bei den Unterkunftskosten eine pauschalierte Erhöhung der Leistungen hierfür um 72 Euro monatlich auf insgesamt 218 Euro vor. Inwieweit auch im BAföG - wie im SGB II - die Deckung der angemessenen tatsächlichen Aufwendungen gewährleistet werden müsste (vgl zur Pauschalierung und Typisierung in der Ausbildungsförderung: BVerwG Urteil vom 30.6.2010 - 5 C 3/09 - juris RdNr 32), bedurfte hier keiner Prüfung. Der Kläger begehrt vorliegend ausschließlich Leistungen nach dem SGB II. Das SGB II sah jedoch wegen der Pauschalierung bei den Unterkunftskosten im BAföG nur in genau definierten Härtefällen eine Aufstockung der Ausbildungsförderungsleistungen durch § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF vor. Soweit der Kläger - wie zuvor dargelegt - über die geregelten Ausnahmefälle des § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF hinaus einen weitergehenden gesetzlich nicht vorgesehenen Anspruch geltend macht, rügt er daher keine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung des Existenzminimums, sondern eine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG.

28

Art 3 Abs 1 GG erfordert hier jedoch keine verfassungskonforme Anwendung des § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF dergestalt, dass Studierende, die außerhalb des Elternhauses wohnen, in den Kreis der nach dieser Vorschrift Leistungsberechtigten aus Gleichheitsgründen einzubeziehen wären. Grundsätzlich verletzt eine Norm, durch welche eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten, zwar den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 7.7.2010 - 1 BvR 2556/09 - SozR 4-4200 § 11 Nr 33, juris RdNr 17 f mwN). Es mangelt hier jedoch bereits an der Vergleichbarkeit der vom Kläger benannten Personengruppen, der bei den Eltern lebenden Studierenden bzw Auszubildenden mit eigenem Haushalt und den Studierenden mit eigenem Haushalt. Es liegen derartige Unterschiede zwischen ihnen vor, dass eine Gleichbehandlung nicht geboten ist.

29

Die Bedarfslagen beider Gruppen unterscheiden sich deutlich. Den vom Kläger hier zum Vergleich herangezogenen Personengruppen von Studierenden, Schülern und Auszubildenden standen niedrigere Leistungen zur Ausbildungsförderung nach dem BAföG bzw dem SGB III iVm den Vorschriften des BAföG als Studierenden mit eigenem Haushalt zu. Studierende, die im Elternhaus lebten, erhielten nach § 13 Abs 2 Nr 1 BAföG nur einen abgesenkten Beitrag zu ihren Unterkunftskosten, zwischen dem 1.8.2008 und dem 27.10.2010 betrug dieser 48 Euro (22. BAföGÄndG vom 23.12.2007 mWv 1.8.2008, BGBl I 3254). Studierenden mit einer Unterkunft außerhalb des Elternhauses konnten hingegen in dem zuvor benannten Zeitraum nach § 13 Abs 2 Nr 2 iVm § 13 Abs 3 BAföG bis zu 218 Euro zur Finanzierung ihrer Unterkunft und insgesamt maximal 584 Euro gewährt werden. Bei Schülern, beispielsweise in einer Fachoberschulklasse, mit einem eigenen Haushalt (höchste im BAföG vorgesehene Ausbildungsförderungsleistung für Schüler), konnte der im Gesamtbedarf nach § 12 Abs 2 S 1 Nr 2 BAföG von 459 Euro im streitigen Zeitraum enthaltene Unterkunftsanteil von 57 Euro maximal um 72 Euro erhöht werden, sodass ihnen höchstens 531 Euro als Gesamtleistung zur Verfügung stand. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger sich mit einem Auszubildenden vergleichen wollte, der Leistungen zur Berufsausbildung nach dem SGB III bezieht und außerhalb des Elternhauses wohnt, gleichwohl aber einen Anspruch auf Leistungen nach § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF haben konnte. Die Berufsausbildungsbeihilfe bemaß sich für diesen Auszubildenden im hier streitigen Zeitraum (AföRG vom 19.3.2001, BGBl I 390, mWv 1.4.2001) nach § 13 Abs 1 Nr 1 BAföG, also einem niedrigeren Satz als demjenigen, der für Studierende an einer Hochschule zugrunde zu legen war(§ 13 Abs 1 Nr 2 BAföG). An diese unterschiedlichen Bedarfslagen durfte der Gesetzgeber mit § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF anknüpfen.

30

Der Kläger konnte ausschließlich aus individuellen Gründen die ihm entstehenden Unterkunftsaufwendungen nicht mit der ihm gewährten Ausbildungsförderung decken. Er erfuhr jedoch durch § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF keine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Leistungshöhe nach dem BAföG gegenüber anderen Studierenden der maßgeblichen Vergleichsgruppe, dh den Studierenden, die außerhalb des Elternhauses leben.

31

5. Dem Kläger steht schließlich auch kein Leistungsanspruch gegen den Beklagten auf Grundlage der EinglVb vom 10.4.2008 zu. Eine EinglVb scheidet zwar nicht grundsätzlich als Anspruchsgrundlage für Leistungen nach dem SGB II aus (vgl nur BSG Urteil vom 6.12.2012 - B 11 AL 15/11 R - BSGE 112, 241 = SozR 4-1300 § 59 Nr 1, RdNr 18). Vorliegend kann der Kläger sich jedoch nicht auf sie berufen. Dabei kann offenbleiben, ob der erkennende Senat an die Feststellung des LSG gebunden ist, das Leistungsversprechen des Beklagten in der EinglVb habe nach dem objektiven Empfängerhorizont die Laufzeit über den 10.10.2008 hinaus modifiziert. Denn der Beklagte konnte sich nicht bindend in Gestalt einer EinglVb nach § 15 SGB II zur Erbringung von Leistungen für Unterkunft und Heizung als Teil des Alg II verpflichten.

32

§ 15 Abs 1 S 1 SGB II(idF des Kommunalen Optionsgesetzes vom 30.7.2004, BGBl I 2014, der insofern seit dem Inkrafttreten am 1.1.2005 bis zum Ende des hier streitigen Zeitraumes nicht geändert worden ist) bestimmt: "Die Agentur für Arbeit soll im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die für seine Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren ...". Im vorliegenden Fall hat sich der Beklagte nach Ziff 1 der EinglVb verpflichtet, für die Dauer des geplanten Studiums von bis zu drei Jahren Alg II als Unterstützung zur beruflichen Integration im bisherigen Umfang zu gewähren. Der Kläger sollte im Gegenzug das Studium wieder aufnehmen und den Studienabschluss nachholen. Dass der Kläger seiner Verpflichtung insoweit nachgekommen ist, als er im streitigen Zeitraum an der Hochschule studiert hat, kann den Feststellungen des LSG mit ausreichender Sicherheit entnommen werden. Ebenso steht fest, dass der Beklagte seiner Verpflichtung nur bis zum 31.10.2008 nachgekommen ist. Die Leistungsablehnung durch den Beklagten für den hier streitigen Zeitraum ist jedoch nicht zu beanstanden. Die EinglVb vom 10.4.2008 war von Anfang an nichtig.

33

a) Es ist höchstrichterlich noch nicht entschieden, welche Rechtsqualität der EinglVb nach § 15 SGB II zukommt. Der erkennende Senat neigt jedoch in Fortführung der bislang vorliegenden Rechtsprechung des 11. und 14. Senats dazu, die EinglVb nach § 15 SGB II der Rechtsform des öffentlich-rechtlichen Vertrags zuzuordnen (vgl BSG Urteil vom 6.12.2012 - B 11 AL 15/11 R - BSGE 112, 241 = SozR 4-1300 § 59 Nr 1, RdNr 20; BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 195/11 R - BSGE 113, 70 = SozR 4-4200 § 15 Nr 2, RdNr 18; BSG Urteil vom 22.8.2013 - B 14 AS 75/12 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-4200 § 16 Nr 13 und BSGE vorgesehen, juris RdNr 19), konkret der Form eines subordinationsrechtlichen Austauschvertrags gemäß § 53 Abs 1 S 2, § 55 SGB X(vgl im Einzelnen zur hM in der Literatur, die einen öffentlich-rechtlichen Vertrag - zT unter Einordnung als sog "hinkender", "unechter" Austauschvertrag - befürwortet: Banafsche, SR 2013, 121, 126 ff; Berlit in Münder, LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 15 RdNr 8; Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 55 RdNr 4; Fuchsloch in Gagel, SGB II/SGB III, § 15 SGB II RdNr 21 f, 109 ff, Stand VI/2006; Huckenbeck in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl 2011, § 15 RdNr 5; Kador in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 15 RdNr 8; Lahne in Hohm, Gemeinschaftskomm zum SGB II, § 15 RdNr 11, Stand VII/2012; Müller in Hauck/Noftz, SGB II, K § 15 RdNr 34, 37, 59 ff, Stand VII/2012; Sonnhoff in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 15 RdNr 22 ff; Weinreich, SGb 2012, 513, 519). Hieraus folgt, dass sich die rechtliche Beurteilung vertraglicher Störungen nach § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm §§ 53 ff SGB X richtet(vgl ebenfalls unter Angabe des Meinungsstandes BSG Urteil vom 6.12.2012 - B 11 AL 15/11 R - BSGE 112, 241 = SozR 4-1300 § 59 Nr 1, RdNr 21 ff),mit der Konsequenz, dass vorliegend die gesamte EinglVb nichtig ist (§ 58 Abs 3 SGB X). Der Kläger kann daher nicht mit Erfolg einen Anspruch auf ergänzende Unterkunftsleistungen aus der EinglVb herleiten.

34

Der vereinbarten Verpflichtung des Beklagten in Ziff 1 der EinglVb, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts während der Dauer des geplanten Studiums zu zahlen, steht das Vertragsformverbot gemäß § 53 Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB X entgegen. Gemäß § 53 Abs 1 S 1 SGB X kann ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Die Verwaltung hat dabei stets den rechtsstaatlichen Vorrang des Gesetzes zu beachten (Art 20 Abs 3 GG). Sofern der Verwaltung eine bestimmte Handlungsform eindeutig durch Gesetz vorgegeben wird, hat sie dies nach Art 20 Abs 3 GG zu beachten, ihr steht vor allem unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit gegenüber den von ihrem Handeln Betroffenen insoweit keine Gestaltungsfreiheit zu.

35

Die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung als Teil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - geregelt in den §§ 19 ff SGB II - durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag in Gestalt einer EinglVb nach § 15 SGB II - gleichsam ausgehandelt zwischen den beiden an dem Vertrag beteiligten - ist rechtlich nicht zulässig(so auch die einhellige Meinung im Schrifttum: vgl Berlit in Münder, LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 15 RdNr 22; Fuchsloch in Gagel, SGB II/SGB III, § 15 SGB II RdNr 54 ff, Stand VI/2006; Huckenbeck in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl 2011, § 15 RdNr 24; Knickrehm in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Komm zum Sozialrecht, 3. Aufl 2013, § 15 RdNr 15; Lahne in Hohm, Gemeinschaftskomm zum SGB II, § 15 RdNr 25, Stand VII/2012; Müller in Hauck/Noftz, SGB II, K § 15 RdNr 41, Stand VII/2012; Pfohl in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylblG, § 15 RdNr 9, Stand VII/2011; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 15 RdNr 22; Stark in Estelmann, SGB II, § 15 RdNr 52, Stand VII/2008; Bieback, VSSR 2013, 301, 304; Weinreich, SGb 2012, 513, 517; in diese Richtung sind auch Banafsche, SR 2013, 121, 134 und Kretschmer, Das Recht der Eingliederungsvereinbarung des SGB II, 2012, 211 f zu verstehen; Kador in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 15 RdNr 22 bejaht eine mögliche Regelung mit jedoch nur klarstellender Funktion). Dies folgt aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, dem systematischen Zusammenhang, in dem § 15 SGB II steht, sowie dessen Sinn und Zweck.

36

Nach dem Wortlaut von § 15 Abs 1 S 1 SGB II soll - als Regelfall - die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die für seine Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren. Gemäß § 1 Abs 3 SGB II umfasst die Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Eingliederung in Arbeit(Nr 1 - so genannte aktive Leistungen) und zur Sicherung des Lebensunterhalts (Nr 2 - so genannte passive Leistungen, vgl auch BT-Drucks 15/1516, S 54). Beide Leistungsformen sind von einander zu unterscheiden (vgl auch § 19a Abs 1 SGB I). § 15 Abs 1 S 1 SGB II bezieht sich ausschließlich auf die aktiven Leistungen. So soll in der EinglVb insbesondere vereinbart werden, welche Leistungen der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält, welche Bemühungen er in welcher Häufigkeit mindestens unternehmen muss und in welcher Form er seine Bemühungen nachzuweisen hat (§ 15 Abs 1 S 2 Nr 1, 2 SGB II). Soweit der Kläger meint, aus § 15 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB II - die Bestimmung, welche Leistungen Dritter, insbesondere Träger anderer Sozialleistungen, der erwerbsfähige Hilfebedürftige zu beantragen hat - schließen zu können, dass auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts Regelungsgegenstand der EinglVb sein könnten, verkennt er, dass sich auch dieser Beispielsfall eines Vereinbarungsinhalts nur auf die Beantragung von Eingliederungsleistungen bezieht. Für andere Leistungen hält das SGB II die Vorschriften des § 5 Abs 3 und § 12a SGB II vor. Dies wird durch die Gesetzesbegründung bestätigt. Danach enthält die EinglVb verbindliche Aussagen zum Fördern und Fordern des Erwerbsfähigen, insbesondere zu den abgesprochenen Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und Mindestanforderungen an die eigenen Bemühungen um berufliche Eingliederung nach Art und Umfang (BT-Drucks 15/1516, S 54).

37

Dieser Befund wird durch die systematische Stellung des § 15 SGB II innerhalb des grundsicherungsrechtlichen Leistungssystems bestätigt. § 15 SGB II findet sich im Kap 3, Abschn 1 "Leistungen zur Eingliederung in Arbeit". Die Vorschrift leitet damit nach § 14 SGB II, dem vorangestellten Grundsatz des Förderns, als verfahrenssteuernde Vorschrift den Abschn 1 - "Leistungen zur Eingliederung in Arbeit" ein. Ihr folgen die Regelungen über die einzelnen Leistungen zur Eingliederung, mit dem Kernstück des § 16 SGB II. Damit hat der Gesetzgeber der Verwaltung zugleich auch systematisch einen abschließenden Katalog möglicher Inhalte einer EinglVb vorgegeben. Da die Unterkunftsleistungen als Teil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem 2. Abschn des 3. Kap ausdrücklich keine Leistungen zur Eingliederung in Arbeit darstellen, können sie damit auch nicht zulässiger Inhalt einer EinglVb sein. Der Verwaltung wird diese Handlungsform für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Gesetzgeber nicht eröffnet.

38

Die in der EinglVb vereinbarten Leistungen sollen den Leistungsberechtigten zudem unabhängig machen von den passiven Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, zumindest den Anspruch auf diese iS des § 3 Abs 1 S 1 SGB II mindern. Ihr Zweck ist es mithin - im Idealfall -, dass sich die Gewährung von passiven Leistungen erübrigt. Dem widerspräche es, wenn Alg II oder Teile dessen zugleich Gegenstand der EinglVb sein könnten. Der Leistungsberechtigte müsste sich ansonsten "vertraglich" verpflichten, Eingliederungsbemühungen zu unternehmen, um die vom Beklagten zugesagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entbehrlich zu machen. Ihn träfe die Vertragspflicht, sich darum zu bemühen, dass sein Vertragspartner von seiner zugesagten Leistungsverpflichtung frei wird. Diese Zweckrichtung liegt dem gesetzlichen Konzept der EinglVb ersichtlich nicht zugrunde. Aufgrund der von Anfang an vorliegenden Nichtigkeit der EinglVb vom 10.4.2008 kommt es nicht mehr darauf an, ob der Beklagte sich von dieser durch das Schreiben vom 24.4.2008 wirksam gelöst hat (§ 59 SGB X).

39

b) Selbst wenn man die EinglVb nicht als öffentlich-rechtlichen Vertrag bewerten wollte, ergäbe sich kein anderes Ergebnis.

40

aa) Soweit die Auffassung vertreten wird, bei der EinglVb handele es sich um einen öffentlich-rechtlichen Teilvertrag oder um eine öffentlich-rechtliche Zusatzvereinbarung (Stark in Estelmann, SGB II, § 15 RdNr 30, Stand VII/2008) oder eine normersetzende öffentlich-rechtliche Handlungsform sui generis (Spellbrink, Sozialrecht aktuell 2006, 52, 54) und die §§ 53 ff SGB X - entsprechend - herangezogen werden sollen(hierzu BSG Urteil vom 6.12.2012 - B 11 AL 15/11 R - BSGE 112, 241 = SozR 4-1300 § 59 Nr 1, RdNr 22), ergibt sich die Nichtigkeit der konkret vorliegenden EinglVb aus den genannten Gründen zum Vertragsformverbot (vgl a). Sofern das Handeln der Verwaltung durch EinglVb nach diesen Ansichten ähnlich wie ein Verwaltungsakt zu kontrollieren sein soll (vgl Spellbrink, Sozialrecht aktuell 2006, 52, 54), folgt die Unwirksamkeit direkt aus dem rechtsstaatlichen Gebot des Gesetzesvorrangs nach Art 20 Abs 3 GG. Die zum Vertragsformverbot nach § 53 Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB X gemachten Ausführungen zu Art 20 Abs 3 GG gelten für diese Ansicht unmittelbar.

41

bb) Auch soweit Ziff 1 der EinglVb der Rechtsform nach als Zusicherung iS von § 34 SGB X anzusehen sein sollte(vgl zur Einordnung von EinglVb als Zusicherungen grundsätzlich Knickrehm in Schuler-Harms, Konsensuale Handlungsformen im Sozialleistungsrecht, 2012, 43, 52), ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Eine Zusicherung, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Gegenzug zur Absolvierung eines Studiums oder dessen Abschluss zu gewähren, wäre ebenfalls nichtig. Gemäß § 34 Abs 1 S 1 SGB X ist eine Zusicherung eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen. Auf die Unwirksamkeit der Zusicherung findet nach § 34 Abs 2 SGB X ua § 40 SGB X Anwendung. Gemäß § 40 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. So liegt der Fall hier.

42

Der Kläger hat sich in Ziff 2 der EinglVb - im Gegenzug zur Zusage der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - zu Eingliederungsbemühungen verpflichtet und der Beklagte hat diese Verpflichtung zur Bedingung seiner Zusicherung gemacht. Dies wird dem Anspruch auf Gewährleistung des Existenzminimums iS des Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG nicht gerecht. Vielmehr ist Alg II bei Vorliegen der gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen als gesetzlich gebundene Leistung verpflichtend zu erbringen. Es besteht insoweit keinerlei Disponibilität, insbesondere nicht in dem Sinne, dass die Bewilligung passiver Leistungen, die im Kern zwar nicht voraussetzungslos, jedoch unverfügbar sind (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, RdNr 133), durch eine Vereinbarung zwischen dem Grundsicherungsträger und dem Leistungsberechtigten von einem bestimmten Verhalten des Letzteren abhängig gemacht wird. Damit würden diese Leistungen von vornherein und vollständig unter die "aufschiebende Bedingung" eines gewünschten Verhaltens gestellt. Dies würde zudem - ohne gesetzliche Grundlage - eine dem Verfassungsrang der passiven Leistungen widersprechende Zulassung von so genannten "Workfare-Elementen" bedeuten (vgl dazu auch BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 60/07 R - BSGE 102, 201 = SozR 4-4200 § 16 Nr 4, RdNr 20). Eingriffe in die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wegen eines "Fehlverhaltens" des Leistungsberechtigten im Rahmen der Eingliederungsbemühungen dürfen indes wegen der verfassungsrechtlich abgesicherten Gewährleistung des Existenzminimums ausschließlich auf gesetzlicher Grundlage erfolgen, also nach geltendem Recht durch die Vorschriften der §§ 31 f SGB II, welche sich ihrerseits erst nachträglich auf bereits bewilligte Leistungen auswirken.

43

Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Beklagte seine Leistungen vorliegend ohne die Gegenleistung des Klägers hätte erbringen wollen. Dies gilt auch, soweit der Kläger sich in der EinglVb nicht nur zur Durchführung des Studiums, sondern auch zu dessen Abschluss verpflichtete. Diese Verpflichtungen des Klägers stellen unzulässige Bedingungen für eine Zusicherung des Beklagten dar. Im Falle eines Abbruchs der Bildungsmaßnahme enthält § 15 Abs 3 SGB II zudem eine Sondervorschrift in Form eines Schadensersatzanspruchs.

44

Dieser Fehler einer Zusicherung war bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände auch offensichtlich. Die gesetzlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sollen die Lebensgrundlage der Leistungsempfänger sichern und gründen auf der Gewährleistung aus Art 1 iVm Art 20 GG. Sie unterliegen keinem Gestaltungsspielraum der Verwaltung. Es stellt einen von jedem Urteilsfähigen erkennbaren Fehler dar, wenn eine Zusicherung der Erbringung dieser Leistungen von der Durchführung und dem Abschluss eines Studiums abhängig gemacht werden würde (vgl Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 40 RdNr 10).

45

6. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Erstattung der ungedeckten Unterkunftsaufwendungen in Form eines Darlehens nach § 22 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 7 Abs 5 S 2 SGB II aF. Nach § 7 Abs 5 S 2 SGB II aF können Auszubildende iS des § 7 Abs 5 S 1 SGB II aF in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen erhalten. Der Senat konnte dahin stehen lassen, ob ein vormals Leistungsberechtigter nach dem Ausscheiden aus dem Leistungsbezug für die Vergangenheit noch Leistungen zur Existenzsicherung in Darlehensform beanspruchen kann. Es liegt hier bereits kein "Härtefall" iS der bisherigen Rechtsprechung des BSG vor.

46

So haben die für die Angelegenheiten der Grundsicherung zuständigen Senate in der Vergangenheit den Härtefall wie folgt umschrieben: Ein Härtefall könne insbesondere dann angenommen werden, wenn wegen einer Ausbildungssituation Hilfebedarf entstanden sei, der nicht durch BAföG oder Berufsausbildungsbeihilfe gedeckt werden könne und deswegen begründeter Anlass für die Annahme bestehe, dass die vor dem Abschluss stehende Ausbildung nicht beendet werde und damit das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit drohe. Eine weitere Ausnahme kann nach der Rechtsprechung des 14. Senats anerkannt werden, wenn die bereits weit fortgeschrittene und bisher kontinuierlich betriebene Ausbildung aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls wegen einer Behinderung oder Krankheit gefährdet ist (BSG Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 28/06 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 8 RdNr 36). Die Behinderung oder Krankheit soll dabei nur in Bezug auf die Verzögerung der Ausbildung angeführt werden können. Hinzukommen müsse auch in dieser Konstellation, dass die Ausbildung (nun) in absehbarer Zeit zu Ende gebracht werde. Schließlich ist ein besonderer Härtefall angenommen worden, wenn nur eine nach den Vorschriften des BAföG förderungsfähige Ausbildung objektiv belegbar die einzige Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt darstellt und der Berufsabschluss nicht auf andere Weise, insbesondere durch eine Maßnahme der beruflichen Weiterbildung, erreichbar ist (BSG Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 36/06 R - BSGE 99, 67 = SozR 4-4200 § 7 Nr 6, RdNr 24; BSG Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 28/06 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 8 RdNr 37; zusammenfassend s BSG Urteil vom 1.7.2009 - B 4 AS 67/08 R - unter Hinweis auf weitere Rechtsprechung, juris RdNr 19 bis 21).

47

Soweit es die beiden ersten Fallkonstellationen betrifft, war das Studium des Klägers zumindest zu Beginn des hier streitigen Zeitraumes nicht weit fortgeschritten oder stand vor dem Ende. Angesichts der vom Kläger erfolgreich absolvierten Berufsausbildung zum Versicherungskaufmann ist ferner zweifelhaft, inwieweit das Studium - prognostisch zu Beginn des streitigen Zeitraumes - die einzige Möglichkeit des Zugangs zum Arbeitsmarkt gewesen sein könnte. Allerdings mangelt es an konkreten Feststellungen des LSG zu den Studienfortschritten und zum gesundheitlichen Zustand des Klägers und dessen beruflicher Perspektive. Unabhängig hiervon kann jedoch nicht angenommen werden, dass mangelnde finanzielle Mittel die Gefahr der vorzeitigen Beendigung des Studiums - auch unter Berücksichtigung gesundheitlicher Einschränkungen - hervorgerufen haben. Der Kläger hat Ausbildungsförderung nach dem BAföG im Höchstsatz erhalten, sodass zwar möglicherweise ungedeckte "Spitzen" im Bedarf vorhanden waren. Ein "besonderer" Härtefall iS des § 7 Abs 5 S 2 SGB II aF liegt jedoch erst dann vor, wenn im Einzelfall Umstände hinzutreten, die einen Ausschluss von der Ausbildungsförderung durch Hilfe zum Lebensunterhalt auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck als übermäßig hart, dh als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig, erscheinen lassen(BSG Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 28/07 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 9 RdNr 20 mwN). Die Situation des Klägers unterscheidet sich jedoch - soweit es die hier ausschließlich geltend gemachten Unterkunftskosten betrifft - nicht von der anderer Studierender mit Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG im Höchstsatz, sodass die Annahme einer "besonderen Härte" iS des § 7 Abs 5 S 2 SGB II aF auszuschließen ist.

48

7. Dem Kläger steht auch gegen die Beigeladene kein Anspruch auf Gewährung von Leistungen für seine ungedeckten Aufwendungen durch Unterkunft und Heizung zu. Weder ist die Beigeladene im streitigen Zeitraum für die begehrten Leistungen zuständig, noch bestünde materiell-rechtlich ein Anspruch auf sie.

49

Der Senat hat nach § 44a Abs 1 S 3 SGB II(hier idF des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2.12.2006, BGBl I 2742 mWv 1.8.2006) von der Erwerbsfähigkeit des Klägers für den streitigen Zeitraum auszugehen. Danach hatten die Agentur für Arbeit und der kommunale Träger bis zu einer Entscheidung der Einigungsstelle über die Erwerbsfähigkeit Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu erbringen. § 44a Abs 1 S 3 SGB II enthielt insoweit nicht nur die Anordnung einer vorläufigen Leistung, sondern nach der Rechtsprechung des 7b Senats des BSG eine Nahtlosigkeitsregelung nach dem Vorbild des § 125 SGB III(BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 19). Der Leistungsberechtigte ist auf diese Weise nicht nur bei einem schon bestehenden Streit zwischen den Leistungsträgern bis zu einer Entscheidung der Einigungsstelle nach deren Anrufung, sondern bereits im Vorfeld so zu stellen, als wäre er erwerbsfähig. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung darf der Beklagte fehlende Erwerbsfähigkeit nicht annehmen, ohne den zuständigen Sozialhilfeträger eingeschaltet zu haben. Dies ist hier nicht der Fall gewesen (s auch BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 20).

50

Unabhängig hiervon käme als Anspruchsgrundlage im Übrigen allein § 22 Abs 1 S 2 SGB XII in Betracht. Gemäß § 22 Abs 1 S 1 SGB XII(idF des Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 2.12.2006, BGBl I 2670, der insofern seit dem Inkrafttreten am 7.12.2006 bis zum Ende des hier streitigen Zeitraumes nicht geändert worden ist) haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII. In besonderen Härtefällen können Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel als Beihilfe oder Darlehen gewährt werden (§ 22 Abs 1 S 2 SGB XII). Sofern der Kläger für den gesamten streitigen Zeitraum grundsätzlich leistungsberechtigt nach dem SGB XII gewesen sein sollte, wäre er zunächst als Ausbildungsförderung nach dem BAföG beziehender Auszubildender aufgrund des § 22 Abs 1 S 1 SGB XII von den Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung ausgeschlossen gewesen. Insoweit gelten die zu § 7 Abs 5 S 1 SGB II aF gemachten Ausführungen(s unter 3.) entsprechend. Anhaltspunkte für einen in der Person des Klägers begründeten besonderen Härtefall iS des § 22 Abs 1 S 2 SGB XII sind - ausgehend von voller Erwerbsminderung - unter Berücksichtigung der Ausführungen unter 6. ebenfalls nicht vorhanden.

51

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat

1.
alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen,
2.
Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen,
3.
Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen.
Satz 1 gilt entsprechend für denjenigen, der Leistungen zu erstatten hat.

(2) Soweit für die in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Angaben Vordrucke vorgesehen sind, sollen diese benutzt werden.

(1) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Dies gilt entsprechend, wenn der Antragsteller oder Leistungsberechtigte in anderer Weise absichtlich die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert.

(2) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung wegen Pflegebedürftigkeit, wegen Arbeitsunfähigkeit, wegen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit, anerkannten Schädigungsfolgen oder wegen Arbeitslosigkeit beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 62 bis 65 nicht nach und ist unter Würdigung aller Umstände mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß deshalb die Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung, die Arbeits-, Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit beeinträchtigt oder nicht verbessert wird, kann der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen.

(3) Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte findet die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Vertagungsbeschlüsse, Fristbestimmungen, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen und Sachverständigen können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Die Beschwerde ist ausgeschlossen

1.
in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte,
2.
gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn
a)
das Gericht die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint,
b)
in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte oder
c)
das Gericht in der Sache durch Beschluss entscheidet, gegen den die Beschwerde ausgeschlossen ist,
3.
gegen Kostengrundentscheidungen nach § 193,
4.
gegen Entscheidungen nach § 192 Abs. 4, wenn in der Hauptsache kein Rechtsmittel gegeben ist und der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro nicht übersteigt.