Sozialgericht Düsseldorf Urteil, 05. März 2015 - S 45 R 1190/14
Tenor
Es wird unter Aufhebung des Bescheids vom 12.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.05.2014 festgestellt, dass das Beschäftigungsverhältnis der Beigeladenen bei der Klägerin ab Februar 2013 nicht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt wurde und insoweit auch nicht der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterfällt. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen Kosten der Klägerin. Die Sprungrevision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Frage der Sozialversicherungspflicht der Beigeladenen.
3Die Klägerin stellte bei der Beklagten im August 2013 einen Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen. Nach Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen erließ die Beklagte am 12.12.2013 den hiesigen streitgegenständlichen Bescheid. In diesem Bescheid stellte sie fest, dass das Tätigkeitsverhältnis seit dem 01.02.2013 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und mithin eine Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis überwiegen würden. Die Beigeladene sei hinsichtlich der Ausführung der Tätigkeit bezüglich Zeit und Ort von den Weisungen der Klägerin abhängig. So existiere z.B. ein fest zugewiesenes Auftragsgebiet und die Durchführung der Arbeit würde seitens der Klägerin bzw. der "I M Gruppe" über den Scanner kontrolliert. Bei der Auslieferungstätigkeit sei die I-Kleidung zu tragen und das Auto müsse die Aufschrift von "I" tragen. Hilfskräfte seien insoweit nicht eingesetzt worden. Zwar sei der Beigeladenen zuzugeben, dass diese eigenes Kraftfahrzeug verwende und die Benzinkosten selbst trage. Im Rahmen der Abwägung sei allerdings von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen. Beim Personenkreis der Kurierfahrer könne eine selbständige Tätigkeit nicht allein am Merkmal eines eigenen Fahrzeugs festgemacht werden, weil der wirtschaftliche Aufwand für den Erwerb eines solchen Fahrzeugs nicht so hoch sei, dass ein mit einem erheblichen wirtschaftlichen Risiko verbundener Aufwand begründet werden könne. Die Beigeladene verfüge angabegemäß auch nicht über ein eigenes Depot und beschäftige keine eigenen Mitarbeiter.
4Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit streitgegenständlichem Widerspruchsbescheid vom 08.05.2014 als unbegründet zurückgewiesen.
5Dagegen hat die Klägerin vor dem erkennen Gericht Klage erhoben.
6Zur Begründung führt die Klägerin aus, dass die Beigeladene das unternehmerische Risiko im Hinblick auf ihren Verdienst zur Gänze selber trage. Sie könne sich – innerhalb der festen Abhol- und Lagerzeiten – die Zeit frei einteilen. Welchen Weg sie bestreite oder ob sie Pausen bzw. Umwege mache, entscheide die Beigeladene ganz allein. Eine Kontrolle durch die GPS oder andere Telekommunikationsmittel seitens der Klägerin finde insoweit nicht statt. Zudem sei die Beigeladene befugt, Warensendung als Auftrag anzunehmen oder abzulehnen. Damit könne sie letztlich auch ihre Fahrtroute anhand der auszuliefernden Waren bestimmen. Darüber hinaus sei die Beigeladene auch frei, Dritte mit dem Transport der Waren zu beauftragen. Zudem bestehe auch kein irgendwie geartetes Wettbewerbsverbot. Sie könne mithin ebenso für andere Auftraggeber in der Logistikbranche tätig werden. In Anbetracht der - seitens der Beklagten bereits zugestanden Tatsache -, dass die Klägerin ihr Fahrzeug selber erworben habe, müsse mithin von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen werden. Eine Einbindung in die Arbeitsabläufe der Klägerin bestehe nicht.
7Die Klägerin beantragt,
8unter Aufhebung des Bescheids vom 12.12.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.05.2014 festzustellen, dass die Tätigkeit der Beigeladenen als Kurierfahrerin bei der Klägerin seit dem 01.02.2013 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnis ausgeübt wird und mithin nicht der Sozialversicherungspflicht unterfällt.
9Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
10die Klage abzuweisen.
11Sie hält die getroffene Entscheidung weiterhin für zutreffend.
12Das Gericht hat zur Frage der Arbeitnehmereigenschaft die Beigeladene im Rahmen der mündlichen Verhandlung persönlich vernommen. Die Aussage kann der Sitzungsniederschrift vom 05.03.2015 entnommen werden.
13Im Übrigen wird wegen des weiteren Sach- und Streitstandes auf die Gerichts- und von der Beklagten beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.
14Entscheidungsgründe:
15Die Klage ist zulässig und begründet.
16Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid vom 12.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.05.2014 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz, da dieser rechtswidrig ist. Der Beigeladene war seit dem 01.02.2013 bis zur Aufgabe ihrer Tätigkeit bei der Klägerin nicht abhängig beschäftigt, sondern als Zustellerin/Kurierdienstfahrerin selbstständig erwerbstätig. Aus dieser Tätigkeit bestand. soweit es um die Beurteilung des Arbeitnehmerstatus i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV geht – keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Anderweitige Tatbestandsmerkmale des § 7 SGB VI standen vorliegend nicht im Streit.
17Nach § 7a Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) kann bei der Beklagten eine Entscheidung darüber beantragt werden, ob eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt; die Beklagte entscheidet hierüber aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles (§ 7a Abs. 2 SGB IV).
18Beschäftigung ist nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Wesentliches Merkmal eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ist die persönliche Abhängigkeit des Beschäftigten gegenüber einem Arbeitgeber. Es liegt bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb eine persönliche Abhängigkeit vor, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Die Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb äußert sich in der Regel in einem damit verbundenen Direktions- und Weisungsrecht des Arbeitgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Demgegenüber ist die selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko und das Recht bzw. die Möglichkeit gekennzeichnet, über die eigene Arbeitskraft, über Arbeitsort und Arbeitszeit frei zu verfügen. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung (LSG NRW, Urteil vom 13.09.2007 L 5 R 5/06 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 21.04.1993 11 RAr 67/92; Urteil vom 08.12.1994 11 RAr 49/94; Urteil vom 04.06.1998 B 12 KR 5/97 R; Urteil vom 12.02.2004 B 12 KR 26/02 R). Weichen die vertraglichen Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben diese den Ausschlag (BSG, Urteil vom 04.06.1998 B 12 KR 5/97 R).
19Indizien für eine Beschäftigung sind der Abschluss eines Arbeitsvertrages, Anwesenheits- und Zeitkontrollen, Arbeitsplätze in den Räumen des Arbeitgebers, Arbeitszeit nach Vorgaben des Arbeitgebers, fehlende eigene Betriebsmittel, bezahlter Urlaub, feste gleichbleibende Vergütung, Verbuchung als Lohnsteuer, wirtschaftliche Abhängigkeit und der Wille der Vertragspartner. Für eine selbstständige Tätigkeit sprechen die Vorhaltung eigenen Arbeitsmaterials, die Verbuchung der Einnahmen mit Umsatzsteuer, die Beschäftigung und Bezahlung eigenen Personals, die eigene Gewerbeanmeldung, das Unternehmerrisiko, das Vergütungsrisiko (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.01.2013 L 8 AL 3283/11 unter Hinweis auf Segebrecht, JurisPK SGB IV, 2. Auflage, § 7 Rn. 117). Der alleinige Einsatz der eigenen Arbeitskraft schließt die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit nicht von vornherein aus. Allerdings ist die alleinige "Vermietung" der eigenen Arbeitskraft als Fahrer ohne im Besitz eines Fahrzeugs zu sein, ein starkes Indiz für eine abhängige Beschäftigung. Weiterhin ist die Tätigkeit eines Kurierfahrers, der nur für einen Auftraggeber tätig war, in der Rechtsprechung wiederholt als abhängige Beschäftigung beurteilt worden (LSG Baden-Württemberg, a.a.O., unter Bezugnahme auf entsprechende Entscheidungen des BSG und verschiedener LSG`e sowie des BAG, Urteil vom 27.06.2001 5 AZR 561/99).
20Nach Auswertung und Würdigung aller ihr bekannt gewordenen Umstände der Tätigkeit der Beigeladenen für die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass diese Tätigkeit keine abhängige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, sondern eine selbstständige Tätigkeit war.
211. Der Beklagten ist zuzugeben, dass einige (wenige) Merkmale der Tätigkeit der Beigeladenen für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechen.
22Zunächst wurde die geschuldete Leistung von der Beigeladenen persönlich erbracht; sie beschäftigte keine eigenen Mitarbeiter. Insoweit ist allerdings zu beachten, dass die Beigeladene gemäß § 1 a. E. des Dienstleistungsvertrages vertraglich dazu berechtigt war, andere Personen zur Vertragserfüllung einzusetzen. Diese Befugnis stand lediglich unter dem Vorbehalt, dass die Tätigkeit "mit größter Sorgfalt ausgeübt wird". Dies entspricht auch dem Ergebnis der Vernehmung der Beigeladenen im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Hier hat die Beigeladene glaubhaft bekundet, grundsätzlich die Möglichkeit gehabt zu haben, Dritte mit der Zustellung der Sendungen zu beauftragen. Dies ist in der Praxis lediglich nicht vorgekommen.
23Zudem ist auch das Zustellgebiet von der Klägerin festgelegt worden. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die Beigeladene – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – verpflichtet war, die Warensendungen in einem Zeitraum von 08:00 bis 12:00 Uhr bei dem seitens der Klägerin verwalteten und geführten Lager abzuholen und sodann im Rahmen des Zuständigkeitsbereichs der Klägerin, welche selber ja lediglich als Subunternehmerin für den "I-Versand" arbeitet, tätig zu werden. Dabei ist jedoch wiederum zu berücksichtigen, dass die Beigeladene nach dem eigenen glaubhaften Vortrag dazu berechtigt war, bestimmte Warensendungen und die Zustellung derselben gegenüber der Klägerin abzulehnen. Dies ergibt sich auch aus der Formulierung von § 2 des Dienstleistungsvertrages, wonach der Auftrag seitens der Klägerin "weitergegeben wird", wenn es der Beigeladenen nicht möglich ist, diesen auszuführen. Eine Verpflichtung der Beigeladenen zur Benennung einer Vertretungsperson ist dort nicht festgehalten worden. Damit war es der Beigeladenen, durch Auswahl bzw. Ablehnung einzelner Warensendungen, letztlich auch möglich über das Zustellungsgebiet faktisch mitzubestimmen. Demnach beschränkt sich die örtliche Weisungsbefugnis der Klägerin gegenüber der Beigeladenen nach Auffassung der Kammer auf ein Minimum.
24Weiteres Merkmal für eine abhängige Beschäftigung ist gegebenenfalls auch die Tatsache, dass die Beigeladene feste Abholzeiten einzuhalten und im Übrigen auch Regelungen hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbilds einzuhalten hat. So war die Beigeladene nicht nur gehalten, die Ware zu einem bestimmten Zeitpunkt bei der Klägerin abzuholen, sondern es bestand auch die Pflicht zum Tragen der Dienstkleidung (Jacke, Hose, Pullover und T-Shirt) von "I" sowie Befestigung des Schildes von "I" im Fahrzeug. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme musste die Beigeladene die Kosten für den Scanner sowie die Arbeitskleidung und das Schild auch nicht aus eigenen Mitteln finanzieren. Vielmehr wurden diese Dinge von "I" selber gestellt. Die Klägerin selber hat allerdings insoweit keine finanziellen Verpflichtungen bzw. Sachausstattungen vorgenommen. Insofern stellt das Gericht klar, dass es vorliegend um eine Eingliederung in den Betrieb der Klägerin und nicht um eine Eingliederung in den Betrieb von "I" als Arbeitnehmerin geht. Eine Arbeitnehmerstellung bei "I" mit der Verpflichtung zur Abführung von Sozialversicherungsabgaben ist im vorliegenden Verfahren nicht streitgegenständlich. Darüber hinaus ist die Kammer auch der Auffassung, dass die Festlegung des Zustellgebiets durch die Klägerin, ebenso wenig eindeutig für eine abhängige Beschäftigung der Beigeladenen als Zustellerin/Kurierdienstfahrerin spricht, wie der Umstand, dass die Beigeladene die in § 1 des Dienstleistungsvertrages bezeichneten Verhaltensvorschriften bei der Auslieferung zu beachten und Kleidung zu tragen hatte, die sie als "I-Zustellerin" erkennbar machte. Denn jeder Handwerker hat seine werkvertraglich geschuldete Leistung an dem vom Auftraggeber vorgegebenen Einsatzort zu erbringen und sich dabei an die fachlichen Qualitätsstandards (z.B. DIN-Normen) zu halten, ohne dass dadurch für ihn als Werkvertragsnehmer das Merkmal der Selbstständigkeit entfiele (SG Aachen, Urteil vom 10. Juni 2014 – S 13 R 73/14 –, Rn. 30, juris).
252. Dagegen deuten eine Vielzahl von Merkmalen auf eine selbstständige Tätigkeit der Beigeladenen hin. Diese Merkmale lassen sich – anders als die unter Ziffer 1 genannten Merkmale für eine abhängige Beschäftigung – auch nicht relativieren.
26Zunächst ist zu beachten, dass die Beigeladene die Warensendungen mit ihrem eigenen selbstangeschafften Pkw transportierte und auch die Kraftstoffkosten selber zu tragen hatte. Diesbezüglich führt das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen aus:
27Wesentliches Kriterium für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit ist auch, dass der Kläger das private Kfz seiner Lebensgefährtin für die Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1) genutzt hat. Der wirtschaftliche Aufwand für den Erwerb und Betrieb dieses Fahrzeuges muss in einem Verhältnis zu den geringen Verdiensten aus der Tätigkeit als Kurierfahrer gesehen werden. Der Kläger hat mit dem Pkw seiner Lebensgefährtin für seine Tätigkeit damit ein Betriebsmittel von nicht geringem wirtschaftlichen Wert eingesetzt (vgl. auch BSG, Urteil vom 19.08.2003 - B 2 U 38/02 R - SozR 4-2700 § 2 Nr. 1) ( ) (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13. September 2007 – L 5 R 5/06 –, Rn. 18, juris).
28Diesen Ausführungen schließt sich die erkennende Kammer vollumfänglich an, womit das wirtschaftliche Risiko, welches nicht lediglich in dem Erwerb des Fahrzeugs sondern auch in dessen Unterhaltung gesehen werden muss, vorliegend entscheidendes Indiz für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit ist.
29Darüber hinaus ist die – bereits erwähnte – Befugnis der Beigeladenen zum Einsatz weiterer Mitarbeiter zur Auslieferung der Waren eindeutiges Kriterium für eine selbstständige Tätigkeit derselben. In der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Tätigkeit als Arbeitnehmer grundsätzlich eine höchstpersönliche Pflicht zur Leistungserbringung darstellt (vgl. dazu BAG, Urteil vom 20. September 2011 – 9 AZR 416/10 –, BAGE 139, 168-180, Rn. 17). Der Einsatz bzw. die rechtliche Möglichkeit des Einsatzes weiterer Arbeitnehmer widerspricht demzufolge der Natur des Arbeitsverhältnisses und ist Merkmal einer selbständigen Tätigkeit.
30. Letztlich war es der Beigeladenen auch freigestellt, ob und wie sie ihre Tätigkeiten ausführt. Zunächst einmal, und auch das ist für eine Arbeitnehmerstellung ungewöhnlich, war es der Beigeladenen möglich, bestimmte Aufträge seitens der Klägerin abzulehnen und stattdessen andere Aufträge anzunehmen bzw. zu bestimmten Zeiten gar nicht für die Klägerin tätig zu werden. Im Rahmen der Auftragsannahme war die Klägerin zwar an Lager- und Abholzeiten der Klägerin (08:00 – 12:00 Uhr) gebunden. Dies spielt aber im Rahmen der Gesamtbetrachtung eine eher untergeordnete Rolle. Denn im weiteren Verlauf des Arbeitstages war die Beigeladene – nach der Abholung der Waren – in der Durchführung ihrer Tätigkeit vollkommen frei. Die Beigeladene konnte sich insbesondere aussuchen, welche Fahrtwege sie zur Auslieferung der Waren auswählt, wann sie Pausen einlegt und wann ihr Arbeitstag im Ergebnis enden sollte. Damit ähnelt ihre Tätigkeit hinsichtlich der fachlichen Weisungen bei der Auslieferung der eines Frachtführers gem. §§ 407 ff Handelsgesetzbuch (HGB), welcher unzweifelhaft eine selbständige Tätigkeit ausübt.
31Dazu kommt die ebenfalls äußerst relevante Tatsache, dass die Beigeladene vorliegend nicht pauschal mit einem Stundensatz vergütet wurde, wie dies eher für Arbeitnehmer typisch ist, sondern gemäß Anlage 1 des Dienstvertrages ein Entgelt pro Zustellung erhielt. In dem zuvor bereits zitierten Urteil des LSG NRW war zwischen den Beteiligten ein fester Stundensatz vereinbart worden und dennoch ist das Landessozialgericht im Ergebnis zu einer selbstständigen Tätigkeit des Kurierfahrers gelangt (vgl. LSG NRW, aaO, Rz. 19). Vorliegend muss unter dem Gesichtspunkt des "unternehmerischen Risikos" besonders beachtet werden, dass die Beigeladene für die Höhe ihres Entgelts alleine verantwortlich war. Wenn die Beigeladene mithin an einem Tag nicht tätig geworden wäre, so hätte diese auch keinen Anspruch auf Vergütung gehabt. Hätte diese langsamer gearbeitet, wäre die Vergütung demnach geringer ausgefallen. Auch dies widerspricht der Natur des Arbeitsverhältnisses, da die Arbeitsleistung und deren Vergütung grundsätzlich nicht von einem Erfolg abhängen.
32Darüber hinaus spricht auch die volle Haftung der Mandantin für Sendungsverluste oder Schäden an der Ware gemäß § 1 des Vertrages für eine selbständige Tätigkeit. Im Rahmen des Arbeitsverhältnisses wäre eine derartige Klausel im vorformulierten Arbeitsvertrag wohl gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, da sie den Arbeitnehmer unzumutbar benachteiligt. Es gilt im Rahmen des Arbeitsverhältnisses nämlich der Grundsatz des "innerbetrieblichen Schadensausgleichs", wonach eine (anteilige) Haftung des Arbeitnehmers grundsätzlich erst ab "mittlerer Fahrlässigkeit" in Betracht kommt.
33Zuletzt spricht auch der übrige Vertragsinhalt für eine selbständige Tätigkeit der Beigeladenen. Im Rahmen der vertraglichen Absprache wurden vorliegend keine Regelungen zur Entgeltfortzahlung bei Erkrankung und Urlaub getroffen. Darüber hinaus gab es keine seitens der Klägerin festgelegten fixen Arbeitszeiten (vgl. hier die grundsätzliche Regelung von § 4 a. E. des Dienstleistungsvertrages). Die Auszahlung der Entgelte erfolgte über eine seitens der Klägerin durchgeführte Rechnungslegung gegenüber der Beigeladenen. Insoweit ist die Beklagte der Auffassung, dass dies ein wesentliches Indiz für eine Arbeitnehmerstellung darstellen würde. Im Rechtsverkehr sei es grundsätzlich üblich, dass der Unternehmer selber Rechnungen stelle. Dies ist vorliegend (vergleiche z.B. Bl. 27 der Verwaltungsakte) nicht erfolgt. Nach Auffassung des Gerichts stellt dies jedoch kein wesentliches Merkmal für die Beurteilung einer abhängigen Beschäftigung dar. Wer im gegenseitigen Verhältnis letztlich die Abrechnung stellt, ist für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen von untergeordneter Bedeutung. Nach Auffassung der Kammer sind für dieses Prozedere vorliegend eher tatsächliche Faktoren ausschlaggebend. Der Beigeladenen war es bei lebensnaher Auslegung wohl nur schwer möglich zu erkennen, wie sich Ihr Entgelt am Ende des Monats zusammensetzt, da die getätigten Leistungen nach Menge und Qualität über den Scanner festgehalten und mithin seitens der Klägerin ausgewertet wurden. Mithin stellt es eine deutliche Vereinfachung dar, wenn die Klägerin die Abrechnung in Form einer Gutschrift und Überweisung auf das Bankkonto der Beigeladenen durchführt. Andernfalls hätte die Beigeladenen die zugestellten Warensendungen mithalten müssen. Eine Eingliederung in den Betrieb ist hier nicht erkennbar.
34Mithin war der Klage stattzugeben.
35Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, ist über deren Kosten gemäß § 162 Abs. 3 VwGO nicht zu entscheiden, da die Erstattung derselben mangels eingegangenen Prozessrisikos der Beigeladenen nicht erstattungsfähig erscheinen.
36Die Zulassung der Sprungrevision findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 161 Abs. 1 und Abs. 2, 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Insofern liegen die Voraussetzungen für die Zulassung der Sprungrevision vor, da der hier streitigen Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt. Nach Auffassung der erkennenden Kammer, trifft die vorliegende rechtliche Problematik eine Vielzahl von Beschäftigten im Bereich der Kurierdienste. Die Fälle sind grundsätzlich gleich oder zumindest ähnlich gelagert und eine aktuelle höchstgerichtliche Entscheidung ist dem erkennenden Gericht nicht bekannt.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Sozialgericht Düsseldorf Urteil, 05. März 2015 - S 45 R 1190/14
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Sozialgericht Düsseldorf Urteil, 05. März 2015 - S 45 R 1190/14
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenSozialgericht Düsseldorf Urteil, 05. März 2015 - S 45 R 1190/14 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).
(1) Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
(1a) Eine Beschäftigung besteht auch in Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung von mehr als einem Monat, wenn
- 1.
während der Freistellung Arbeitsentgelt aus einem Wertguthaben nach § 7b fällig ist und - 2.
das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Zeit der Freistellung nicht unangemessen von dem für die vorausgegangenen zwölf Kalendermonate abweicht, in denen Arbeitsentgelt bezogen wurde.
(1b) Die Möglichkeit eines Arbeitnehmers zur Vereinbarung flexibler Arbeitszeiten gilt nicht als eine die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber begründende Tatsache im Sinne des § 1 Absatz 2 Satz 1 des Kündigungsschutzgesetzes.
(2) Als Beschäftigung gilt auch der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung.
(3) Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt gilt als fortbestehend, solange das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauert, jedoch nicht länger als einen Monat. Eine Beschäftigung gilt auch als fortbestehend, wenn Arbeitsentgelt aus einem der Deutschen Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben bezogen wird. Satz 1 gilt nicht, wenn Krankengeld, Krankentagegeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Pflegeunterstützungsgeld oder Mutterschaftsgeld oder nach gesetzlichen Vorschriften Erziehungsgeld oder Elterngeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen oder Wehrdienst oder Zivildienst geleistet wird. Satz 1 gilt auch nicht für die Freistellung nach § 3 des Pflegezeitgesetzes.
(4) Beschäftigt ein Arbeitgeber einen Ausländer ohne die nach § 284 Absatz 1 des Dritten Buches erforderliche Genehmigung oder ohne die nach § 4a Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit, wird vermutet, dass ein Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt für den Zeitraum von drei Monaten bestanden hat.
(1) Personen, die nicht versicherungspflichtig sind, können sich für Zeiten von der Vollendung des 16. Lebensjahres an freiwillig versichern. Dies gilt auch für Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben.
(2) Nach bindender Bewilligung einer Vollrente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente ist eine freiwillige Versicherung nicht zulässig, wenn der Monat abgelaufen ist, in dem die Regelaltersgrenze erreicht wurde.
(1) Die Beteiligten können bei der Deutschen Rentenversicherung Bund schriftlich oder elektronisch eine Entscheidung beantragen, ob bei einem Auftragsverhältnis eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung von Versicherungspflicht auf Grund einer Beschäftigung eingeleitet. Die Einzugsstelle hat einen Antrag nach Satz 1 zu stellen, wenn sich aus der Meldung des Arbeitgebers (§ 28a) ergibt, dass der Beschäftigte Ehegatte, Lebenspartner oder Abkömmling des Arbeitgebers oder geschäftsführender Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist.
(2) Die Deutsche Rentenversicherung Bund entscheidet auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt. Wird die vereinbarte Tätigkeit für einen Dritten erbracht und liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Auftragnehmer in dessen Arbeitsorganisation eingegliedert ist und dessen Weisungen unterliegt, stellt sie bei Vorliegen einer Beschäftigung auch fest, ob das Beschäftigungsverhältnis zu dem Dritten besteht. Der Dritte kann bei Vorliegen von Anhaltspunkten im Sinne des Satzes 2 ebenfalls eine Entscheidung nach Absatz 1 Satz 1 beantragen. Bei der Beurteilung von Versicherungspflicht auf Grund des Auftragsverhältnisses sind andere Versicherungsträger an die Entscheidungen der Deutschen Rentenversicherung Bund gebunden.
(3) Die Deutsche Rentenversicherung Bund teilt den Beteiligten schriftlich oder elektronisch mit, welche Angaben und Unterlagen sie für ihre Entscheidung benötigt. Sie setzt den Beteiligten eine angemessene Frist, innerhalb der diese die Angaben zu machen und die Unterlagen vorzulegen haben.
(4) Die Deutsche Rentenversicherung Bund teilt den Beteiligten mit, welche Entscheidung sie zu treffen beabsichtigt, bezeichnet die Tatsachen, auf die sie ihre Entscheidung stützen will, und gibt den Beteiligten Gelegenheit, sich zu der beabsichtigten Entscheidung zu äußern. Satz 1 gilt nicht, wenn die Deutsche Rentenversicherung Bund einem übereinstimmenden Antrag der Beteiligten entspricht.
(4a) Auf Antrag der Beteiligten entscheidet die Deutsche Rentenversicherung Bund bereits vor Aufnahme der Tätigkeit nach Absatz 2. Neben den schriftlichen Vereinbarungen sind die beabsichtigten Umstände der Vertragsdurchführung zu Grunde zu legen. Ändern sich die schriftlichen Vereinbarungen oder die Umstände der Vertragsdurchführung bis zu einem Monat nach der Aufnahme der Tätigkeit, haben die Beteiligten dies unverzüglich mitzuteilen. Ergibt sich eine wesentliche Änderung, hebt die Deutsche Rentenversicherung Bund die Entscheidung nach Maßgabe des § 48 des Zehnten Buches auf. Die Aufnahme der Tätigkeit gilt als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse.
(4b) Entscheidet die Deutsche Rentenversicherung Bund in einem Einzelfall über den Erwerbsstatus, äußert sie sich auf Antrag des Auftraggebers gutachterlich zu dem Erwerbsstatus von Auftragnehmern in gleichen Auftragsverhältnissen. Auftragsverhältnisse sind gleich, wenn die vereinbarten Tätigkeiten ihrer Art und den Umständen der Ausübung nach übereinstimmen und ihnen einheitliche vertragliche Vereinbarungen zu Grunde liegen. In der gutachterlichen Äußerung sind die Art der Tätigkeit, die zu Grunde gelegten vertraglichen Vereinbarungen und die Umstände der Ausübung sowie ihre Rechtswirkungen anzugeben. Bei Abschluss eines gleichen Auftragsverhältnisses hat der Auftraggeber dem Auftragnehmer eine Kopie der gutachterlichen Äußerung auszuhändigen. Der Auftragnehmer kann für gleiche Auftragsverhältnisse mit demselben Auftraggeber ebenfalls eine gutachterliche Äußerung beantragen.
(4c) Hat die Deutsche Rentenversicherung Bund in einer gutachterlichen Äußerung nach Absatz 4b das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit angenommen und stellt sie in einem Verfahren nach Absatz 1 oder ein anderer Versicherungsträger in einem Verfahren auf Feststellung von Versicherungspflicht für ein gleiches Auftragsverhältnis eine Beschäftigung fest, so tritt eine Versicherungspflicht auf Grund dieser Beschäftigung erst mit dem Tag der Bekanntgabe dieser Entscheidung ein, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 5 Satz 1 Nummer 2 erfüllt sind. Im Übrigen findet Absatz 5 Satz 1 keine Anwendung. Satz 1 gilt nur für Auftragsverhältnisse, die innerhalb von zwei Jahren seit Zugang der gutachterlichen Äußerung geschlossen werden. Stellt die Deutsche Rentenversicherung Bund die Beschäftigung in einem Verfahren nach Absatz 1 fest, so entscheidet sie auch darüber, ob die Voraussetzungen des Absatzes 5 Satz 1 Nummer 2 erfüllt sind.
(5) Wird der Antrag auf Feststellung des Erwerbsstatus innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt und stellt die Deutsche Rentenversicherung Bund eine Beschäftigung fest, gilt der Tag der Bekanntgabe der Entscheidung als Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis, wenn der Beschäftigte
- 1.
zustimmt und - 2.
er für den Zeitraum zwischen Aufnahme der Beschäftigung und der Entscheidung eine Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge vorgenommen hat, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung entspricht.
(6) Widerspruch und Klage gegen Entscheidungen nach den Absätzen 2 und 4a haben aufschiebende Wirkung. Im Widerspruchsverfahren können die Beteiligten nach Begründung des Widerspruchs eine mündliche Anhörung beantragen, die gemeinsam mit den anderen Beteiligten erfolgen soll. Eine Klage auf Erlass der Entscheidung ist abweichend von § 88 Absatz 1 des Sozialgerichtsgesetzes nach Ablauf von drei Monaten zulässig.
(7) Absatz 2 Satz 2 und 3, Absätze 4a bis 4c und Absatz 6 Satz 2 treten mit Ablauf des 30. Juni 2027 außer Kraft. Die Deutsche Rentenversicherung Bund legt dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales bis zum 31. Dezember 2025 einen Bericht über die Erfahrungen bei der Anwendung des Absatzes 2 Satz 2 und 3, der Absätze 4a bis 4c und des Absatzes 6 Satz 2 vor.
(1) Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
(1a) Eine Beschäftigung besteht auch in Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung von mehr als einem Monat, wenn
- 1.
während der Freistellung Arbeitsentgelt aus einem Wertguthaben nach § 7b fällig ist und - 2.
das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Zeit der Freistellung nicht unangemessen von dem für die vorausgegangenen zwölf Kalendermonate abweicht, in denen Arbeitsentgelt bezogen wurde.
(1b) Die Möglichkeit eines Arbeitnehmers zur Vereinbarung flexibler Arbeitszeiten gilt nicht als eine die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber begründende Tatsache im Sinne des § 1 Absatz 2 Satz 1 des Kündigungsschutzgesetzes.
(2) Als Beschäftigung gilt auch der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung.
(3) Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt gilt als fortbestehend, solange das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauert, jedoch nicht länger als einen Monat. Eine Beschäftigung gilt auch als fortbestehend, wenn Arbeitsentgelt aus einem der Deutschen Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben bezogen wird. Satz 1 gilt nicht, wenn Krankengeld, Krankentagegeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Pflegeunterstützungsgeld oder Mutterschaftsgeld oder nach gesetzlichen Vorschriften Erziehungsgeld oder Elterngeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen oder Wehrdienst oder Zivildienst geleistet wird. Satz 1 gilt auch nicht für die Freistellung nach § 3 des Pflegezeitgesetzes.
(4) Beschäftigt ein Arbeitgeber einen Ausländer ohne die nach § 284 Absatz 1 des Dritten Buches erforderliche Genehmigung oder ohne die nach § 4a Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit, wird vermutet, dass ein Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt für den Zeitraum von drei Monaten bestanden hat.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte erstattet auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
Tatbestand
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
|
Entscheidungsgründe
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
|
Gründe
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
|
Tenor
Die Bescheide der Beklagten vom 25.06.2013 und die Widerspruchsbescheide vom 08.01.2014 werden aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als Zusteller/Kurierdienstfahrer bei der Klägerin in der Zeit vom 01.07.2012 bis 31.10.2013 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden ist und aus dieser Tätigkeit keine Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden hat. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Der Streitwert wird endgültig auf 8.540,00 EUR festgesetzt.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über den sozialversicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen zu 1) in seiner Tätigkeit für die Klägerin als Zusteller/Kurierdienstfahrer in der Zeit vom 01.07.2012 bis 31.10.2013.
3Der 0000 geborene Beigeladene zu 1) meldete am 02.08.2005 ein Gewerbe (Kurierdienste für die "I. Logistik Gruppe") an. Er firmierte unter dem Namen "E.N. Express Kurier Service". Die Klägerin betreibt ein Transportserviceunternehmen; sie ist Vertragspartner der "I. Logistik Gruppe" und betreibt zwei so genannte Satelliten-Depots, eines in Düren und eines in Hückelhoven. Zur Erfüllung der gegenüber der "I. Logistik Gruppe" bestehenden vertraglichen Verpflichtungen schloss die Klägerin am 25.06.2012 mit dem Beigeladenen zu 1) einen so genannten "Subunternehmer-Vertrag", in dem der Beigeladene zu 1) als "Auftragnehmer" bezeichnet wurde. Gegenstand des Vertrages war nach dessen Ziffer 1.1 die Durchführung der Sendungszustellung und -abholung sowie alle damit verbundenen Nebenleistungen durch den Auftragnehmer in einem in einer Anlage genau definierten Zustellgebiet. Weiter heißt es in dem Vertrag (u.a.) unter Ziffer • 1.3 "f. überlässt dem Auftragnehmer die für die Abwicklung der Vertragspflichten standardisierten Formulare und Unterlagen für das Berichtswesen sowie die für die Erbringung der Vertragsleistung erforderlichen EDV-Geräte ("Sachmittel") gemäß Anlage 2/Beilage 1 gegen Entgelt zum Gebrauch. Die überlassenen Sachmittel sind einsetzbar zu halten und ausschließlich im Rahmen dieses Vertrages einzusetzen." • 2.1 "Der Auftragnehmer übt seine Tätigkeit selbstständig aus. Er handelt im eigenen Namen und auf eigene Rechnung." • 2.2 "Um die Eigenschaft des Auftragnehmers als selbstständig Tätigem verbindlich festzustellen, verpflichtet sich der Auftragnehmer vor Vertragsbeginn ein so genanntes Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRB) durchzuführen und aktiv an der Feststellung des Status mitzuwirken." • 2.3 "Der Auftragnehmer verpflichtet sich, die zur Erfüllung der Vertragspflichten notwendigen Erfüllungsgehilfen und Kommunikationsmittel bereitzustellen. Für die nach diesem Vertrag zu bewirkenden Leistungen stellt der Auftragnehmer in erforderlicher Anzahl Kraftfahrzeuge mit ausreichender Kapazität bereit. Bei fehlender oder nicht rechtzeitiger Gestellung der zur Vertragserfüllung notwendigen Kapazitäten (Kraftfahrzeuge, Personal etc.) ist f. berechtigt, die Leistungen selbst zu erbringen oder anderweitig erbringen zu lassen und den Subunternehmer mit den darauf entstandenen Mehrkosten zu belasten." Die weiteren Abschnitte 3 bis 9 des Vertrages enthalten differenzierte Regelungen zu Servicequalitäten, Sozialstandards, Vergütung, Haftung, Konkurrenzklause und Vertraulichkeit, Vertragsdauer und Kündigung sowie sonstige Bestimmungen. Der Vertrag trat am 01.07.2012 in Kraft und war unter Einhaltung einer Frist von einem Monat zum Monatsende schriftlich kündbar.
4Auf der Grundlage dieses Vertrages führte der Beigeladene zu 1) ab 01.07.2012 mit seinem eigenen Kfz – einem LKW-Kleintransporter – die Kurierdienstfahren für die Klägerin aus. Für die übernommenen Sachmittel, speziell einen Touren-Scanner, hatte er monatlich 15,00 EUR an die Klägerin zu zahlen. Allerdings lieferte der Beigeladene zu 1) keine Pakete an (private oder gewerbliche) Endkunden, sondern fuhr ausschließlich Touren zwischen der "I."-Niederlassung in F. und den Paket-Shops in seinem Zustellgebiet. Für seine Leistungen stellte der Beigeladene zu 1) der Klägerin monatliche Vergütungsrechnungen aus; in diesen war die – monatlich wechselnde – Anzahl der Paket-Shop-Touren aufgelistet, für die ein Pauschalsatz von 75,00 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer vereinbart war. Während seiner Tätigkeit für die Klägerin war der Beigeladene zu 1) bei der Beigeladenen zu 2) als freiwilliges Mitglied kranken- und bei deren Pflegekasse pflegeversichert. Zugleich war er – ausgehend von einer selbstständigen Tätigkeit – Mitglied der Beigeladenen zu 3) als beitragspflichtiger Unternehmer in der gesetzlichen Unfallversicherung.
5Bereits vor Aufnahme, aber auch während seiner Tätigkeit für die Klägerin war der Beigeladene zu 1) als Kurierdienstfahrer für die "U. GmbH Transporte & Pakete" (Inhaber/Geschäftsführer: L. X., auch firmierend unter "S. Express-Kurierservice") aufgrund eines "Subunternehmer-Vertrags" tätig; dieses Unternehmen war ebenfalls ein Vertragspartner der "I. Logistik Gruppe".
6Am 21.02.2013 stellte der Beigeladene zu 1) bei der Beklagten einen Antrag auf Feststellung seines sozialversicherungsrechtlichen Status in seiner Tätigkeit für die Klägerin.
7Auf entsprechende Anfrage der Beklagten legten die Klägerin und der Beigeladene zu 1) diverse Unterlagen (Subunternehmer-Vertrag nebst Anlagen, Gewerbeanmeldung und Kfz-Schein des Beigeladenen zu 1), Rechnungen) vor und erklärten • der Beigeladene zu 1) müsse die zu verteilenden Sendungen/Pakete morgens bei dem Auftraggeber der Klägerin, der "I. Logistik Gruppe", Niederlassung B. mit Sitz in X., selbst abholen; • der Beigeladene zu 1) müsse für sein Zustellgebiet die täglichen (Montag-Samstag) Sendungen/Pakete selbst sortieren, verladen und zustellen; • vorgesehen sei dafür ein Zeitraum zwischen 06.00 Uhr und 11.00 Uhr (flexibel); im Übrigen sei der zeitliche Rahmen und der zeitliche Umfang für die Ausübung der Tätigkeit nicht festgelegt; der Beigeladene zu 1) und gegebenenfalls seine Mitarbeiter hätten Oberkörper-Bekleidung zu tragen, aus der sie als Partner der "I. Logistik Gruppe" zu erkennen seien; diese Bekleidung werde entgeltlich von der Klägerin zur Verfügung gestellt; • Verluste und Schäden, welche die "I. Logistik Gruppe" der Klägerin in Rechnung stellten, würden 1 zu 1 an den Beigeladenen zu 1) weiterbelastet; • Transportfahrzeuge einschließlich Kommunikations- und Navigationsgeräte sowie nötige Arbeitsmittel wie z.B. Ladegurte zur Sicherung der Ladung würden vom Beigeladenen zu 1) gestellt. Der Beigeladene zu 1) teilte darüber hinaus mit, er erbringe die Leistung für die Klägerin selbst, er habe keine Mitarbeiter, auch wenn es ihm vertraglich erlaubt sei, die Arbeiten durch andere Personen durchführen zu lassen; seit 2005 sei er als selbstständiger Subunternehmer tätig und habe regelmäßig seine Beiträge zur Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Berufsgenossenschaft, (privaten) Rentenversicherung und Lebensversicherung bezahlt; er entrichte regelmäßig Einkommensteuer und Umsatzsteuer; er fahre für mehrere Firmen.
8Die Klägerin trug ergänzend vor, die Zeitvorgabe von 6.00 Uhr bis 11.00 Uhr für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) gelte nur für die Zeit der Sortierung und Verladung der Pakete in der "I."-Niederlassung in Eschweiler; bezüglich der Zustellung unterliege er keinem festen zeitlichen Rahmen, er könne sich seine Zeit, in der er fahre, selbst einteilen; es stehe ihm auch frei, noch andere Aufträge wahrzunehmen. Der Beigeladene zu 1) erhalte als Vergütung einen festen Pauschalbetrag pro Paket-Shop-Tour/Tag. Für die Paket-Shop-Touren würden grundsätzlich Subunternehmer eingesetzt. Sie habe zwar einen festangestellten Mitarbeiter, der jedoch andere Aufgaben als die Kurierdienstfahrer habe. Die Klägerin vertrat die Auffassung, der Umstand, dass der Beigeladene zu 1) seine Leistung persönlich erbringe, spreche nicht zwangsläufig für ein Angestelltenverhältnis; er habe ein Ein-Mann-Unternehmen und sei selbstständiger Unternehmer.
9Durch Bescheide vom 25.06.2013 stellte die Beklagte jeweils gegenüber der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1) fest, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als Zusteller bei der Klägerin seit dem 01.07.2012 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und in diesem Beschäftigungsverhältnis Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe. Zur Begründung führte sie aus, dass zwar der Einsatz eines eigenen Fahrzeuges für eine selbstständige Tätigkeit spreche, dagegen die Merkmale für ein abhängiges Verhältnis überwiegen, nämlich die regelmäßige persönliche Leistungserbringung, die feste gewinnunabhängige Vergütung pro Tag, der feste zeitliche Rahmen von 06.00 Uhr bis 11.00 Uhr bezüglich der Zustellung sowie der Umstand, dass das Zustellgebiet vertraglich durch die Klägerin bestimmt worden sei. Soweit vertraglich vereinbart sei, dass der Beigeladene zu 1) eine selbstständige Tätigkeit ausübe, für weitere Auftraggeber tätig werden und Erfüllungsgehilfen einsetzen könne, führe dies zu keiner anderen Entscheidung. Allein der Wille der vertragsschließenden Parteien bestimme nicht, ob eine Tätigkeit als Beschäftigung oder Selbstständigkeit definiert werde; für die Abgrenzung seien in erster Linie die tatsächlichen Umstände der Leistungserbringung von Bedeutung, nicht aber die Bezeichnung, die die Parteien ihrem Rechtsverhältnis gegeben hätten oder gar die von ihnen gewünschte Rechtsfolge. Tatsächlich sei es so, dass der Beigeladene zu 1) die Vertragsleistung höchstpersönlich ausübe; eigene Mitarbeiter würden von ihm nicht eingesetzt.
10Dagegen erhoben der Beigeladene zu 1) am 04.07.2013 und die Klägerin am 09.07.2013 Widerspruch. Sie vertraten übereinstimmend die Auffassung, die Beigeladene zu 1) stehe bei der Klägerin nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, sondern sei selbstständig tätig.
11Die Beklagte wies die Widersprüche durch zwei Widerspruchsbescheide vom 08.01.2014 jeweils gegenüber dem Beigeladenen zu 1) und der Klägerin zurück.
12Bereits am 25.09.2013 kündigte die Klägerin den mit dem Beigeladenen zu 1) geschlossenen Subunternehmer-Vertrag zum 31.10.2013. Seit dem 02.01.2014 ist der Beigeladene zu 1) sozialversicherungspflichtig abhängig beschäftigt; Arbeitgeber ist die Firma "I. Versand Service GmbH & Co. KG", Niederlassung B ...
13Gegen den ihr gegenüber erlassenen Statusfeststellungsbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides hat die Klägerin am 06.02.2014 Klage erhoben. Sie verbleibt bei ihrer Auffassung, der Beigeladene zu 1) sei im streitbefangenen Zeitraum für sie als selbstständiger Subunternehmer tätig und nicht abhängig beschäftigt gewesen. Zur Begründung weist sie (nochmals) daraufhin, dass der Beigeladene zu 1) seit mindestens 2005 für verschiedene Unternehmen – zeitweilig überschneidend – als Kurierdienstfahrer tätig gewesen sei und hierzu ein Gewerbe angemeldet habe. Der Beigeladene zu 1) sei nicht in ihr Unternehmen eingegliedert gewesen, er habe sich nie in den Betriebsräumen der Klägerin in E. oder I. aufgehalten. Wenn der Beigeladene zu 1) eine Paket-Shop-Tour für die Klägerin übernommen habe, sei es auch zu einer Unterbrechung dieser Tätigkeit gekommen, um andere Aufträge für andere Auftraggeber auszuführen. Es hätten sich dann gleichzeitig Sendungen von mindestens zwei Auftraggebern des Beigeladenen zu 1) in seinem Fahrzeug befunden. Eine zeitliche Eingrenzung, wann der Beigeladene zu 1) für welchen Auftraggeber tätig gewesen sei, sei dann nur schwer festzulegen gewesen.
14Die Klägerin beantragt,
15die Bescheide der Beklagten vom 25.06.2013 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 08.01.2014 aufzuheben und festzustellen, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als Zusteller/Kurierdienstfahrer bei ihr in der Zeit vom 01.07.2012 bis 31.10.2013 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden ist und aus dieser Tätigkeit keine Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden hat.
16Die Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung. Sie meint ergänzend, da es sich bei der Arbeit als Zusteller um eine einfachere Arbeit handele, sei eine Eingliederung in den Betrieb des Auftragsgebers eher anzunehmen als bei gehobeneren Tätigkeiten. Auch wenn eine unternehmerische Betätigung nicht notwendigerweise eine besondere berufliche Qualifikation voraussetze, stünden die Art der Arbeit und die Weisungsbefugnis des Auftraggebers doch insofern in einem Wechselverhältnis zu einander, als bei einfachen Arbeiten schon organisatorische Dinge betreffende Weisungen den Beschäftigten in der Ausübung der Arbeit festlegten und damit in den Organismus des Betriebes eingegliedert erscheinen ließen. Der Beigeladene zu1) habe einen vorgegebenen Zeitraum zu berücksichtigen und seine Arbeiten nach dem I.-Qualitätshandbuch zu erledigen gehabt; er sei damit detaillierten Vorgaben bei der Aufgabenerfüllung ausgesetzt gewesen. Der Beigeladene zu 1) habe als letztes Glied innerhalb einer Kette arbeitsteiligen Zusammenwirkens den unmittelbaren Kontakt zum Endkunden hergestellt; er sei in Struktur, Organisation und Logistik der Klägerin eingebunden gewesen; er sei den Endkunden gegenüber nicht wie ein Selbstständiger mit eigenem Firmennamen aufgetreten; die zu tragende I.-Kleidung habe auch für den Endkunden die Eingliederung in einen "übergeordneten Organismus" deutlich gemacht. Die Eingliederung des Beigeladenen zu 1) ergäbe sich auch daraus, dass er auf Material und Personal der Klägerin angewiesen gewesen sei, denn ohne Lagerung, Sortierung der Post und Pakete, der Zuteilung und der Zurverfügungstellung von Sachmitteln (Scanner, Vordrucksammlung) hätte der Beigeladene zu 1) nicht tätig werden können. Allein der Einsatz eines eigenen Fahrzeugs könne nicht zur Feststellung einer selbstständigen Tätigkeit führen, wenn – wie hier – andere Indizien gegen eine selbstständige Tätigkeit sprächen.
19Der Beigeladene zu 1) stellt keinen eigenen Antrag; er schließt sich dem Antrag der Klägerin an. Er sieht sich ebenfalls in der Tätigkeit für die Klägerin als Selbstständiger. Dies ergebe sich nicht nur aus dem zwischen ihm und der Klägerin geschlossenen Vertrag, sondern insbesondere auch aus dessen praktischer Durchführung.
20Auch die Beigeladenen zu 2) und 3) stellen keinen Antrag. Sie haben mitgeteilt, dass sie – mangels entgegen stehender Unterlagen – im streitbefangenen Zeitraum von einer selbstständigen Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) ausgegangen seien und ihn dementsprechend als Mitglied in der gesetzlichen Unfall-, Kranken- und Pflegeversicherung geführt hätten.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:
23Die Klage ist zulässig und begründet.
24Die Klägerin und der Beigeladene zu 1) werden durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz, da diese rechtswidrig sind. Der Beigeladene zu 1) war vom 01.07.2012 bis 31.10.2013 nicht bei der Klägerin abhängig beschäftigt, sondern als Zusteller/Kurierdienstfahrer selbstständig erwerbstätig. Aus dieser Tätigkeit bestand keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung.
25Nach § 7a Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) kann bei der Beklagten eine Entscheidung darüber beantragt werden, ob eine Beschäftigung vorliegt; die Beklagte entscheidet hierüber aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles (§ 7a Abs. 2 SGB IV).
26Beschäftigung ist nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Wesentliches Merkmal eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ist die persönliche Abhängigkeit des Beschäftigten gegenüber einem Arbeitgeber. Es liegt bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb eine persönliche Abhängigkeit vor, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Die Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb äußert sich in der Regel in einem damit verbundenen Direktions- und Weisungsrecht des Arbeitgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Demgegenüber ist die selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko und das Recht bzw. die Möglichkeit gekennzeichnet, über die eigene Arbeitskraft, über Arbeitsort und Arbeitszeit frei zu verfügen. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung (LSG NRW, Urteil vom 13.09.2007 – L 5 R 5/06 – unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 21.04.1993 – 11 RAr 67/92; Urteil vom 08.12.1994 – 11 RAr 49/94; Urteil vom 04.06.1998 – B 12 KR 5/97 R; Urteil vom 12.02.2004 – B 12 KR 26/02 R). Weichen die vertraglichen Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben diese den Ausschlag (BSG, Urteil vom 04.06.1998 – B 12 KR 5/97 R).
27Indizien für eine Beschäftigung sind der Abschluss eines Arbeitsvertrages, Anwesenheits- und Zeitkontrollen, Arbeitsplätze in den Räumen des Arbeitgebers, Arbeitszeit nach Vorgaben des Arbeitgebers, fehlende eigene Betriebsmittel, bezahlter Urlaub, feste gleichbleibende Vergütung, Verbuchung als Lohnsteuer, wirtschaftliche Abhängigkeit und der Wille der Vertragspartner. Für eine selbstständige Tätigkeit sprechen die Vorhaltung eigenen Arbeitsmaterials, die Verbuchung der Einnahmen mit Umsatzsteuer, die Beschäftigung und Bezahlung eigenen Personals, die eigene Gewerbeanmeldung, das Unternehmerrisiko, das Vergütungsrisiko (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.01.2013 – L 8 AL 3283/11 – unter Hinweis auf Segebrecht, JurisPK SGB IV, 2. Auflage, § 7 Rn. 117). Der alleinige Einsatz der eigenen Arbeitskraft schließt die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit nicht von vornherein aus. Allerdings ist die alleinige "Vermietung" der eigenen Arbeitskraft als Fahrer ohne im Besitz eines Fahrzeugs zu sein, ein starkes Indiz für eine abhängige Beschäftigung. Weiterhin ist die Tätigkeit eines Kurierfahrers, der nur für einen Auftraggeber tätig war, in der Rechtsprechung wiederholt als abhängige Beschäftigung beurteilt worden (LSG Baden-Württemberg, a.a.O., unter Bezugnahme auf entsprechende Entscheidungen des BSG und verschiedener LSG`e sowie des BAG, Urteil vom 27.06.2001 – 5 AZR 561/99).
28Nach Auswertung und Würdigung aller ihr bekannt gewordenen Umstände der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) für die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum – insbesondere auch unter Berücksichtigung des Unternehmenskonzeptes der "I. Logistik Gruppe" und der Einbindung sowohl der Klägerin als auch des Beigeladenen zu 1) in die Konzernstrukturen – ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass diese Tätigkeit keine abhängige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, sondern eine selbstständige Tätigkeit war.
29Die "I. Logistik Gruppe Deutschland GmbH (kurz: ILGD) ist für die Zustellung von Paketen verantwortlich. Sie betreibt ca. 60 Niederlassungen und mehr als 500 SAT-Depots/Kooperationsdepot (Quelle: Wikipedia, Stichwort "I. Europe"). Die Klägerin erbringt auf der Grundlage eines Kooperationsvertrags mit der ILGD den Umschlag, die Zwischenlagerung und die Zustellung von Sendungen in verschiedenen Zustellgebieten. Zu diesem Zweck unterhält sie in E. und I. je ein Satellitendepot. Zur Durchführung der vertraglich gegenüber der ILGD geschuldeten Leistungen nimmt die Klägerin fast ausschließlich die Dienste von Zustellern/Kurierdienstfahrern in Anspruch, mit denen sie – wie mit dem Beigeladenen zu 1) – Subunternehmer-Verträge schließt. Die von den Vertragspartner der ILGD einzuhaltenden Servicestandards sind nach dem "Qualitätshandbuch für Zusteller/Boten" und dem "Abwicklungshandbuch SAT-Depot" sicherzustellen (vgl. hierzu auch Ziffer 3.2 und 3.3 des Subunternehmer-Vertrages vom 25.06.2012).
30Der Beklagten ist zuzugeben, dass einige Merkmale der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechen: die geschuldete Leistung wurde vom Beigeladenen persönlich erbracht; er beschäftigte keine eigenen Mitarbeiter; das Zustellgebiet war von der Klägerin festgelegt worden; der Beigeladene zu 1) erhielt als Vergütung einen festen Pauschalbetrag pro Tag; die Tätigkeit war – teilweise – innerhalb eines vorgegebenen zeitlichen Rahmens zu erbringen, nämlich von 06.00 Uhr bis 11.00 Uhr. Diese Merkmale allein sind jedoch wenig aussagekräftige Indizien für eine abhängige Beschäftigung.
31Der Umstand, dass der Beigeladene zu 1) die geschuldete Leistung regelmäßig persönlich erbracht hat und sich hierzu keines Erfüllungsgehilfen bediente, ist dadurch begründet, dass die anfallenden Arbeiten von einer Person durchgeführt werden konnten. Nach dem Subunternehmer-Vertrag war es dem Beigeladenen zu 1) jedoch freigestellt, seine gegenüber der Klägerin bestehenden Verpflichtungen auch durch von ihm eingesetzte Mitarbeiter zu erfüllen (vgl. Ziffer 2.3 und 2.4 des Vertrages). Dies spricht für eine Selbstständigkeit des Beigeladenen zu 1) in seiner Tätigkeit für die Klägerin.
32Dass die Klägerin (bzw. ihr vorgeschaltet die ILGD) das Zustellgebiet festlegt, spricht ebenso wenig eindeutig für eine abhängige Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) als Zusteller/Kurierdienstfahrer wie der Umstand, dass er das "Qualitätshandbuch für Zusteller/Boten" zu beachten und Kleidung zu tragen hatte, die ihn als I.-Zusteller erkennbar machte. Jeder Handwerker hat seine werkvertraglich geschuldete Leistung an dem vom Auftraggeber vorgegebenen Einsatzort zu erbringen und sich dabei an die fachlichen Qualitätsstandards (z.B. DIN-Normen) zu halten, ohne dass dadurch für ihn als Werkvertragsnehmer das Merkmal der Selbstständigkeit entfiele.
33Auch die zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1) getroffene Vergütungsvereinbarung spricht weniger für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis, sondern mehr für eine selbstständige Tätigkeit. Der Kläger erhielt die Vergütung für seine Tätigkeit pauschal für das Anfahren der "I."-Niederlassung in F. und der stets gleichbleibenden Zahl von Paket-Shops in seinem Zustellgebiet, unabhängig davon, wie umfangreich die Arbeit am jeweiligen Tag ausfiel. Zusätzlich zu der Vergütung zahlte die Klägerin dem Beigeladenen zu 1) Mehrwertsteuer. Dieser verbuchte die Vergütung als umsatzsteuerpflichtige Einnahme.
34Soweit die Beklagte aus dem von der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1) mitgeteilten festen zeitlichen Rahmen von 06.00 Uhr bis 11.00 Uhr auf ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis schließt, verkennt sie, dass dieser Zeitrahmen nur für die Sortierung und Verladung der Pakete durch den Kläger galt, und zwar nicht in einem der Depots – den Betriebsräumen – der Klägerin in E. bzw. I., sondern unmittelbar in der "I."-Niederlassung in F ... Hinsichtlich der Zustellung bzw. Abholung der Pakete in den Paket-Shops konnte der Beigeladene zu 1) – unter Beachtung der Qualitätsvorgaben – seine Zeit selbst einteilen. Daher war es ihm möglich, parallel zu den für die Klägerin zu erfüllenden Aufträgen auch noch Leistungen für andere Auftraggeber zu erbringen. Daran war er vertraglich nicht gehindert, und dies ist auch tatsächlich so geschehen. Die Tätigkeit eines Kurierfahrers ist dann keine versicherungspflichtige Beschäftigung, wenn dieser in nicht unerheblichem Maße allein entscheiden kann, ob und in welchem Umfang er tätig werden will, insbesondere, wenn er nicht gehindert ist, neben einem bestimmten Auftraggeber noch für andere Auftraggeber tätig zu sein (LSG NRW, Urteil vom 13.09.2007 – L 5 R 5/06).
35Für eine selbstständige Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) im streitigen Zeitraum spricht zudem, dass er für die Zusteller- und Kurierdiensttätigkeit ein eigenes Fahrzeug eingesetzt hat und zwar nicht etwa einen PKW, sondern einen hierfür eigens angeschafften, geeigneten LKW-Kleintransporter (Marke: FIAT Ducato). Der Beigeladene zu 1) trug das volle Risiko eines Ausfalls des Fahrzeugs oder seiner eigenen Person (z.B. im Krankheitsfall). Der mit der Klägerin geschlossene Vertrag sah weder eine Vergütung im Krankheitsfall noch (bezahlten) Urlaub vor; tatsächlich hat der Beigeladene zu 1) in den gesamten 16 Monaten seiner Tätigkeit für die Klägerin keinen Urlaub gehabt. Dass der Kläger bereits seit 2005 und auch für die hier streitige Tätigkeit bei der Klägerin ein Gewerbe angemeldet hat, ist ebenfalls ein Indiz für Selbstständigkeit.
36Nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen überwiegen – jedenfalls im konkreten Fall des Beigeladenen zu 1) für die konkrete Tätigkeit bei der Klägerin – die Merkmale für eine selbstständige Tätigkeit. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass unter anderen Umständen und in anderer Konstellation ein Zusteller/Kurierdienstfahrer innerhalb des Systems und der Struktur der "I. Logistik Gruppe" auch abhängig beschäftigt sein kann (vgl. hierzu: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.01.2014 – L 1 KR 358/12). Für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum kann dies jedoch nicht bejaht werden; in dieser Tätigkeit war der Beigeladene zu 1) selbstständig.
37Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
38Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Eine Festsetzung nach dem Regelstreitwert von 5.000,00 EUR gem. § 52 Abs. 2 GKG, wie sie die Beklagte unter Hinweis auf Entscheidungen des BSG (z.B. vom 11.03.2009 – B 12 R 11/07 R – und vom 04.06.2009 – B 12 R 6/08 R) für zutreffend erachtet, kommt nur in Betracht, wenn Anhaltspunkte für eine konkrete Bemessung des Streitwerts nicht vorliegen. Im vorliegenden Fall aber hat die Klägerin in der Klageschrift selbst ihr Interesse an der Entscheidung mit den befürchteten nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträgen offenbart. Im Statusfeststellungs-verfahren (§ 7a SGB IV) richtet sich der Streitwert regelmäßig nach dem dreifachen Wert der jährlichen Gesamtsozialversicherungsbeiträge, die bei Bejahung der Versicherungspflicht unter Zugrundelegung der Bezugsgröße des § 18 SGB IV anfallen würden (LSG NRW, Beschluss vom 06.11.2007 – L 16 B 3/07 R). Die der Statusfeststellung zugrundeliegende Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) für die Klägerin hat jedoch nur vom 01.07.2012 bis 31.10.2013, mithin sechzehn Monate gedauert. Die Bezugsgröße lag im Jahre 2012 bei monatlich 2.625,00 EUR, im Jahre 2013 bei 2.695,00 EUR. Für die sechs Monate in 2012 und die zehn Monate in 2013 ergibt sich daraus ein Gesamtbetrag von 42.700,00 EUR. Bei einer – im Falle einer abhängigen Beschäftigung geschätzten – Beitragslast von 40 %, von der die Hälfte auf den Arbeitgeber entfällt, ergibt sich ein Wert von 8.540,00 EUR, der das Interesse der Klägerin an einer Entscheidung sachgerecht beziffert.
Tenor
-
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 22. April 2010 - 16 Sa 1502/09 - aufgehoben, soweit es der Klage stattgegeben hat.
-
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 16. Oktober 2009 - 2 Ca 1497/09 - wird insgesamt zurückgewiesen.
-
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
- 1
-
Die Klägerin und ihr Sohn sind gemeinschaftliche Erben des am 16. April 2009 verstorbenen Ehemanns der Klägerin (Erblasser).
- 2
-
Der Erblasser war seit dem 23. April 2001 bis zu seinem Tod als Kraftfahrer bei der Beklagten mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst iHv. 2.000,00 Euro in einer Fünf-Tage-Woche beschäftigt. Der jährliche Urlaubsanspruch des Erblassers betrug 28 Arbeitstage. Seit dem 14. April 2008 war er durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. In den Jahren 2008 und 2009 war ihm kein Urlaub gewährt worden.
- 3
-
Nachdem die Klägerin - unter Fristsetzung bis zum 5. Juni 2009 - von der Beklagten erfolglos die Abgeltung des Urlaubs des Erblassers verlangte, hat sie schließlich Mitte 2009 Klage vor dem Arbeitsgericht erhoben.
- 4
-
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Beklagte habe den Urlaub aus den Jahren 2008 und 2009, den sie dem Erblasser nicht gewährt habe, abzugelten. Die bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses andauernde Erkrankung des Erblassers stehe dem erhobenen Urlaubsabgeltungsanspruch nicht entgegen. Die anderslautende bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei aufgrund der Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG insoweit abzuändern. Denn Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG eröffne die finanzielle Vergütung von Mindesturlaub bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die einen nach § 1922 BGB übertragbaren Vermögensanspruch darstelle.
-
Die Klägerin hat beantragt,
-
die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.692,31 Euro brutto Urlaubsabgeltung zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. Juni 2009 zu zahlen;
hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an die Erbengemeinschaft nach Herrn H 3.692,31 Euro brutto Urlaubsabgeltung zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. Juni 2009 zu zahlen.
- 6
-
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Urlaubsanspruch sei mit dem Tod des Erblassers erloschen. Ein Abgeltungsanspruch habe deshalb nicht entstehen können.
-
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht dem Hilfsantrag teilweise stattgegeben und die Beklagte verurteilt, insgesamt 35 Urlaubstage aus den Jahren 2008 und 2009 mit einem Gesamtbetrag iHv. 3.230,50 Euro brutto nebst anteiliger Zinsen abzugelten. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Beklagte begehrt mit der Revision die Abweisung der Klage, soweit das Landesarbeitsgericht ihr stattgegeben hat.
Entscheidungsgründe
- 8
-
A. Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht ist rechtsfehlerhaft zu dem Ergebnis gelangt, die Beklagte sei verpflichtet, an die Erbengemeinschaft Urlaubsabgeltung in Höhe von 3.230,50 Euro brutto nach § 7 Abs. 4 BUrlG iVm. § 1922 Abs. 1, §§ 2032, 2039 BGB zu zahlen.
- 9
-
I. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, die Klage sei zulässig.
- 10
-
Die Klägerin ist prozessführungsbefugt, obwohl sie nur Miterbin neben ihrem Sohn ist. § 2039 Satz 1 BGB verleiht dem einzelnen Miterben die Prozessführungsbefugnis zur Durchsetzung von Ansprüchen, die der Erbengemeinschaft gegen Dritte zustehen(vgl. Palandt/Weidlich BGB 70. Aufl. § 2039 Rn. 6 ff.). Deshalb kann die Klägerin als Miterbin gemäß § 1922 Abs. 1, § 2032 Abs. 1, § 2039 Satz 1 BGB etwaige zum Nachlass gehörende Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis - wie den behaupteten Urlaubsabgeltungsanspruch - für die Erbengemeinschaft gerichtlich geltend machen. Ob das behauptete Recht tatsächlich besteht, ist eine Frage der Begründetheit der Klage.
- 11
-
II. Die Klage ist unbegründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts erwarb die Erbengemeinschaft gegen die Beklagte als ehemalige Arbeitgeberin des Erblassers keinen Anspruch auf Zahlung einer Urlaubsabgeltung in Höhe von 3.230,50 Euro brutto nach § 7 Abs. 4 BUrlG iVm. § 1922 Abs. 1 BGB.
- 12
-
1. Dabei kann dahinstehen, ob die Annahme des Landesarbeitsgerichts zutrifft, dass ein entstandener Urlaubsabgeltungsanspruch im Hinblick auf die neuere Senatsrechtsprechung zur Urlaubsabgeltung bei dauernder Arbeitsunfähigkeit (vgl. grundlegend BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 47 ff., BAGE 130, 119; fortgeführt von BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 70, AP SGB IX § 125 Nr. 3 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 16; 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 18, EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 17)als reine Geldforderung nunmehr vererbbar ist und nach § 1922 Abs. 1 BGB in den Nachlass fällt(vgl. hierzu näher AnwK-ArbR/Düwell 2. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 141). Denn vorliegend ist bereits kein Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG entstanden, der nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Erben hätte übergehen können.
- 13
-
2. Zwar traten die Klägerin und ihr Sohn als Erben mit dem Erbfall im Wege der Universalsukzession (§ 1922 Abs. 1 BGB) in sämtliche Rechtsverhältnisse des Erblassers mit der Folge ein, dass sie aus diesen Rechtsverhältnissen des Erblassers berechtigt und verpflichtet wurden. Ein Urlaubsabgeltungsanspruch des Erblassers, der Teil der Erbmasse hätte sein können, bestand jedoch nicht. Der Urlaubsanspruch des Erblassers ging mit dessen Tod unter und konnte sich nicht in einen Abgeltungsanspruch iSv. § 7 Abs. 4 BUrlG umwandeln.
- 14
-
a) Es entspricht bisheriger ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass kein Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG entsteht, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers beendet wird(vgl. zuletzt BAG 20. Januar 1998 - 9 AZR 601/96 - zu I 2 b der Gründe; 23. Juni 1992 - 9 AZR 111/91 - zu 2 der Gründe, BAGE 70, 348; 26. April 1990 - 8 AZR 517/89 - zu I 1 b der Gründe, BAGE 65, 122).
- 15
-
aa) Im Streitfall endete das Arbeitsverhältnis zwischen dem Erblasser und der Beklagten aufgrund des Todes des Erblassers. Wenn die Pflicht zur Arbeitsleistung - wie hier - nicht übertragbar ist, endet das Arbeitsverhältnis mit dem Tod des Arbeitnehmers (vgl. BAG 16. Mai 2000 - 9 AZR 277/99 - zu I 2 d der Gründe, AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 20 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 36). Dies folgt mittelbar aus § 613 Satz 2 BGB. Der Arbeitnehmer hat die von ihm geschuldete Arbeitsleistung im Regelfall in Person zu erbringen. Mangels Übertragbarkeit der Arbeitspflicht geht sie nicht gemäß § 1922 Abs. 1 BGB auf die Erben über. Der Ausnahmefall einer übertragbaren Arbeitspflicht lag hier nicht vor.
- 16
-
bb) Gleiches gilt nach bisheriger Rechtsprechung für den Urlaubsanspruch. Danach setzt der Anspruch auf Abgeltung von Urlaub nach § 7 Abs. 4 BUrlG voraus, dass der Arbeitnehmer bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses lebt(BAG 23. Juni 1992 - 9 AZR 111/91 - zu 1 und 2 der Gründe, BAGE 70, 348 ). Endet das Arbeitsverhältnis hingegen mit dem Tod des Arbeitnehmers, so erlischt mit der Beendigung zugleich der Urlaubsanspruch. Es kann deshalb kein Urlaubsabgeltungsanspruch mehr entstehen (vgl. BAG 23. Juni 1992 - 9 AZR 111/91 - zu 3 der Gründe, aaO; 26. April 1990 - 8 AZR 517/89 - zu I 1 b der Gründe, BAGE 65, 122; so auch weiterhin das überwiegende Schrifttum: ErfK/Dörner/Gallner 11. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 51; ErfK/Preis § 613 BGB Rn. 6; HWK/Schinz 4. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 118; Arnold/Tillmanns/Zimmermann BUrlG 2. Aufl. § 1 Rn. 66; Staudinger/Richardi/Fischinger (2011) § 613 BGB Rn. 15; aA Schipper/Polzer NZA 2011, 80; ArbG Potsdam 15. Februar 2011 - 3 Ca 1512/10 -).
- 17
-
Der Urlaubsabgeltungsanspruch wurde lange Zeit ebenso wie die Arbeitspflicht als höchstpersönlich und nicht übertragbar angesehen. Das mit der Surrogation begründete Merkmal der Erfüllbarkeit des Freistellungsanspruchs im fiktiv fortbestehenden Arbeitsverhältnis (Kern der sog. Surrogatstheorie; vgl. BAG 5. Dezember 1995 - 9 AZR 871/94 - BAGE 81, 339) hat der Senat jedoch in seiner reformierten Rechtsprechung zur Umsetzung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Schultz-Hoff aufgegeben (vgl. grundlegend BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 44 ff., BAGE 130, 119; fortgeführt von BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 70, AP SGB IX § 125 Nr. 3 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 16; 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 17, EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 17). Danach ist der Urlaubsabgeltungsanspruch nur noch ein reiner Geldanspruch. Davon bleibt die Rechtsnatur des Urlaubsanspruchs unberührt; denn Urlaub kann nur dem Arbeitnehmer durch Freistellung von dessen (höchstpersönlicher) Arbeitspflicht gewährt werden (vgl. BAG 28. August 2001 - 9 AZR 611/99 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 99, 5). Inhalt des Urlaubsanspruchs ist deshalb nach §§ 1, 3 BUrlG die Beseitigung der Arbeitspflicht für die Dauer der Urlaubszeit. Da die Arbeitspflicht nach § 613 BGB regelmäßig an die Person des Arbeitnehmers gebunden ist, können solche Pflichten, auf die der Urlaubsanspruch bezogen ist, nach dem Tode des Arbeitnehmers - als dem zur Arbeit Verpflichteten - nicht mehr entstehen. Ein Urlaubsanspruch entfällt daher schon deshalb, weil ein Arbeitgeber ihn nicht erfüllen könnte. Zudem endet das Arbeitsverhältnis zugleich mit dem Tod des Arbeitnehmers (arg. § 613 BGB ), sodass ein Urlaubsanspruch nach dem Bundesurlaubsgesetz nicht in Betracht kommt. Aus diesem Grunde scheidet ebenso das Entstehen eines Urlaubsabgeltungsanspruchs iSv. § 7 Abs. 4 BUrlG aus Anlass dieser Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus, weil der Arbeitnehmer als möglicher Anspruchsinhaber eines Abgeltungsanspruchs, der nur in seiner Person entstehen könnte, nicht mehr lebt(vgl. BAG 26. April 1990 - 8 AZR 517/89 - zu I 1 b der Gründe, BAGE 65, 122; fortgeführt von BAG 23. Juni 1992 - 9 AZR 111/91 - zu 2 der Gründe, BAGE 70, 348). Entsteht aber kein Abgeltungsanspruch in der Person des Arbeitnehmers, kann er auch nicht in den Nachlass fallen. Hieran hält der Senat im Ergebnis fest.
- 18
-
b) Nach Aufgabe des Merkmals der Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs (grundlegend BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 44 ff., BAGE 130, 119; fortgeführt von BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 70, AP SGB IX § 125 Nr. 3 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 16) kann das Entstehen eines Abgeltungsanspruchs nach § 7 Abs. 4 BUrlG aus folgenden Gründen nicht mehr verneint werden: Der Arbeitnehmer hätte bei(fiktivem) Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wegen Arbeitsunfähigkeit nicht freigestellt werden können und deshalb müsse der Abgeltungsanspruch als Surrogat des Urlaubsanspruchs ebenso wie der Urlaubsanspruch untergehen (vgl. BAG 20. Januar 2008 - 9 AZR 601/96 - zu I 2 b der Gründe; so auch noch Leinemann/Linck Urlaubsrecht 2. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 218). Nunmehr gilt Folgendes:
- 19
-
aa) Der für die Gesetzesauslegung maßgebliche Wortlaut des § 7 Abs. 4 BUrlG bestimmt, dass der Urlaub abzugelten ist, soweit er „wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden“ kann. Den Grund für das Entstehen des Abgeltungsanspruchs stellt demnach die Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar. Der zu diesem Zeitpunkt noch bestehende Urlaubsanspruch wird nach § 7 Abs. 4 BUrlG mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einen Abgeltungsanspruch ersetzt. Maßgeblicher Zeitpunkt für dessen Entstehen ist damit das Ende des Arbeitsverhältnisses.
- 20
-
(1) Der Abgeltungsanspruch entsteht folglich nicht bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem feststeht, dass das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Termin enden wird und eine Urlaubsnahme nicht möglich ist (so aber Compensis DB 1992, 888, 892). Vielmehr entsteht dieser nach dem insoweit klaren Wortlaut des § 7 Abs. 4 BUrlG erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
- 21
-
(2) Zudem folgt bereits aus der Formulierung des § 7 Abs. 4 BUrlG selbst, dass bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein noch offener Urlaubsanspruch bestehen muss, der sodann wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann und deshalb kraft Gesetzes abzugelten ist. So heißt es ausdrücklich in § 7 Abs. 4 BUrlG: „Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses … nicht mehr gewährt werden...“ Ein Urlaubsabgeltungsanspruch kann danach nur dann entstehen, wenn der Arbeitnehmer bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch einen Urlaubsanspruch hatte (vgl. auch ErfK/Dörner/Gallner § 7 BUrlG Rn. 51).
- 22
-
bb) Mit dem Tod des Arbeitnehmers erlischt dessen regelmäßig höchstpersönliche Leistungspflicht im Sinne des § 613 Satz 1 BGB. Hieraus folgt zugleich, dass auch alle Ansprüche auf Befreiung von dieser Arbeitspflicht untergehen (vgl. ErfK/Preis § 613 BUrlG Rn. 5). Verstirbt ein Arbeitnehmer, so erlischt bereits deshalb zugleich auch sein auf Befreiung von der Arbeitspflicht gerichteter Urlaubsanspruch. Der Urlaubsabgeltungsanspruch kann damit nicht vor dem Tod des Arbeitnehmers, der erst zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt, entstanden sein. § 7 Abs. 4 BUrlG statuiert insoweit mittelbar ein Abgeltungsverbot im bestehenden Arbeitsverhältnis. Im Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion zum BUrlG vom 23. Januar 1962 war dies noch klarer formuliert. Nach dessen § 6 Abs. 3 sollte eine Abgeltung des Urlaubs nur statthaft sein, wenn der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr als Freizeit gewährt werden kann(BT-Drucks. IV/142, abgedr. in RdA 1962, 142). Nur für den Fall, dass der Arbeitnehmer infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Urlaub ganz oder teilweise nicht mehr erhalten kann, sollte die Abgeltung erlaubt sein. Die Regelung soll eine Ausnahme vom finanziellen Abgeltungsverbot allein für den Fall der Beendigung zulassen, um den Arbeitnehmer vor völligem Anspruchsverlust wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu schützen (vgl. auch HK-ArbR/Holthaus 2. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 99). Dabei kann dahinstehen, ob sich der Urlaubsanspruch mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses oder erst danach in einen Abgeltungsanspruch umwandelt. Der mit dem Tod des Arbeitnehmers untergehende Urlaubsanspruch kann sich jedenfalls nicht zeitgleich in einen Abgeltungsanspruch umwandeln. Anspruchsuntergang und gleichzeitige Umwandlung des Anspruchs schließen sich aus.
- 23
-
cc) Schließlich spricht der systematische Kontext des § 7 Abs. 4 BUrlG dafür, dass der Tod als Auslöser für einen Abgeltungsanspruch nach dieser Norm ausscheidet. Denn § 7 Abs. 4 BUrlG stellt einen besonders geregelten Fall des Leistungsstörungsrechts dar, der die allgemeinen Regelungen des § 275 ff. BGB, die ansonsten bei Unmöglichkeit von Leistungen gelten, verdrängt (vgl. hierzu auch HWK/Schinz § 7 BUrlG Rn. 111). Die Erfüllung des eigentlichen Urlaubsanspruchs durch Freistellung ist wegen der Beendigung nicht mehr möglich. An dessen Stelle tritt sodann (als Ersatzanspruch) der Anspruch auf Urlaubsabgeltung. Stirbt der Arbeitnehmer, ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht ursächlich für die Unmöglichkeit, den Urlaubsanspruch zu erfüllen (so auch HK-ArbR/Holthaus § 7 BUrlG Rn. 102; Friese Urlaubsrecht Rn. 458, 463; aA Schipper/Polzer NZA 2011, 80, 81). Denn stirbt der Arbeitnehmer, so folgt daraus zugleich auch, dass auch der auf die Beseitigung der nach § 613 Satz 1 BGB regelmäßig höchstpersönlichen Arbeitspflicht gerichtete Urlaubsanspruch mit dem Tod untergeht. Dementsprechend führt gerade nicht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern vielmehr bereits der Tod des Arbeitnehmers zum Untergang des Urlaubsanspruchs.
- 24
-
dd) Dem steht nicht entgegen, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für das Entstehen des Urlaubsabgeltungsanspruchs nach § 7 Abs. 4 BUrlG grundsätzlich nicht auf die Art der Beendigung ankommt(vgl. etwa BAG 18. Oktober 1990 - 8 AZR 490/89 - zu 3 b der Gründe, BAGE 66, 134). So ist die Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich unerheblich. Der Urlaubsabgeltungsanspruch entsteht nicht nur bei Beendigung wegen Befristung, Kündigung oder Aufhebungsvertrag, sondern etwa auch bei Eintritt einer auflösenden Bedingung (vgl. zum Erreichen der Altersgrenze: BAG 21. April 1966 - 5 AZR 510/65 - AP BUrlG § 7 Nr. 3). Insbesondere ist es irrelevant, welche Arbeitsvertragspartei die Beendigung des Arbeitsverhältnisses veranlasst hat. Deshalb entsteht der Urlaubsabgeltungsanspruch auch, wenn der Arbeitnehmer die Beendigung verschuldet hat (vgl. BAG 18. Juni 1980 - 6 AZR 328/78 - zu 1 b der Gründe, AP BUrlG § 13 Unabdingbarkeit Nr. 6 = EzA BUrlG § 13 Nr. 14). Ebenso wenig kommt es darauf an, auf welchem rechtlichen Weg die Beendigung herbeigeführt wird.
- 25
-
Die einzige Ausnahme von diesem Grundsatz bildet nach der Rechtsprechung der Tod des Arbeitnehmers (vgl. BAG 23. Juni 1992 - 9 AZR 111/91 - zu 2 der Gründe, BAGE 70, 348; 26. April 1990 - 8 AZR 517/89 - zu I 1 b der Gründe, BAGE 65, 122).
- 26
-
c) Diese Grundsätze stehen im Einklang mit Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (sog. Arbeitszeitrichtlinie; ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9).
- 27
-
aa) Danach darf der jedem Arbeitnehmer nach Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie zustehende bezahlte Mindestjahresurlaub außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden. Damit geht auch die Richtlinie grundsätzlich von einem Abgeltungsverbot im laufenden Arbeitsverhältnis aus (vgl. so bereits zur Vorgängerrichtlinie 93/104/EG in der Fassung der Richtlinie 2000/34 /EG: EuGH 6. April 2006 - C-124/05 - [Federatie Nederlandse Vakbeweging] Rn. 29 ff., Slg. 2006, I-3423). Wenn das Arbeitsverhältnis endet, ist es nicht mehr möglich, bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Deshalb sieht die Regelung des Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie für diesen Fall einen Anspruch vor, der den bezahlten Mindesturlaub durch eine finanzielle Vergütung ersetzt. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass dem Arbeitnehmer wegen der Unmöglichkeit der Urlaubsgewährung aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses jeder Genuss des bezahlten Jahresurlaubsanspruchs, selbst in finanzieller Form, verwehrt wird (vgl. EuGH 20. Januar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 56, Slg. 2009, I-179).
- 28
-
bb) Aus diesen sowohl von § 7 Abs. 4 BUrlG als auch von Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie verfolgten Zwecken(Abgeltungsverbot des Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis einerseits sowie Schutz des Arbeitnehmers vor völligem Anspruchsverlust bei Beendigung durch eine finanzielle Vergütung anderseits) folgt zugleich, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch nur in der Person des ausgeschiedenen Arbeitnehmers entstehen kann. Denn sowohl die Normierung des Abgeltungsverbots im laufenden Arbeitsverhältnis als auch die Zuerkennung einer finanziellen Vergütung im Falle der Beendigung - anstelle des dem Arbeitnehmer sonst zustehenden Urlaubs - knüpfen an dessen Person an.
- 29
-
cc) Unerheblich ist im Streitfall der Umstand, dass der Erblasser bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt war.
- 30
-
Denn Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie steht lediglich einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegen, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums auch dann erlischt, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben war und seine Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses fortgedauert hat, weshalb er seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte(vgl. EuGH 20. Januar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 49, 52, Slg. 2009, I-179). Dies führt jedoch lediglich dazu, dass entsprechend der neueren Senatsrechtsprechung der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch bei andauernder Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht mehr nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG befristet ist.
- 31
-
Hingegen beruht das Erlöschen des Urlaubsanspruchs bei Versterben des Arbeitnehmers nicht auf einer nationalen Befristungsregelung. Vielmehr führt der Tod des Arbeitnehmers zum Untergang des Urlaubsanspruchs.
- 32
-
Zudem handelt es sich bei dem Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nach Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union um einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der Gemeinschaft. Der Arbeitnehmer muss regelmäßig über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen können, damit ein wirksamer Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit sichergestellt ist. Nur für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis beendet wird, lässt Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie zu, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub durch eine finanzielle Vergütung ersetzt wird. Mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wird das Ziel verfolgt, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen (vgl. EuGH 20. Januar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 22 ff., Slg. 2009, I-179). Dies belegt, dass die Regelung des Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie ihrem Zweck nach dem Schutz des Arbeitnehmers dient. Dieser Zweck kann jedoch nur zu Lebzeiten des Arbeitnehmers erfüllt werden. Es wird an die Person des Arbeitnehmers angeknüpft. Deshalb steht ebenso wie Art. 7 Abs. 2 auch Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie einem Erlöschen des Urlaubsanspruchs bei Tod des Arbeitnehmers mit der Folge des Nichtentstehens eines Urlaubsabgeltungsanspruchs nicht entgegen.
- 33
-
d) Dementsprechend scheidet auch eine erstmalige unmittelbare und originäre Anspruchsentstehung in der Person des Erben aus (vgl. hierzu auch Arnold/Tillmanns/Zimmermann § 1 Rn. 66; aA wohl Schipper/Polzer NZA 2011, 80, 81). Das gilt unabhängig davon, dass § 7 Abs. 4 BUrlG den Anspruchsinhaber nicht ausdrücklich benennt, zumal § 7 Abs. 4 BUrlG kein eigenes Forderungsrecht des Erben normiert, das durch den Tod des Arbeitnehmers ausgelöst wird, wie dies etwa § 844 ff. BGB bei unerlaubten Handlungen für Ersatzansprüche Dritter bei Tötung vorsehen. Selbst wenn man also mit dem Landesarbeitsgericht davon ausgeht, dass es sich beim Abgeltungsanspruch um eine Geldleistung ohne strikte Zweckbindung oder um eine Art finanzielle Abfindung (so AnwK-ArbR/Düwell § 7 BUrlG Rn. 141) handelt, ändert dies nichts daran, dass dieser zunächst eine Entstehung in der Person des Arbeitnehmers voraussetzt.
- 34
-
Ob der Urlaubsabgeltungsanspruch vererbbar ist, ist eine hiervon zu trennende Frage, die im Streitfall nicht entscheidungserheblich ist. Dies hat das Landesarbeitsgericht außer Acht gelassen.
- 35
-
3. Der Erblasser erwarb auch nicht noch zu Lebzeiten ein Anwartschaftsrecht auf Urlaubsabgeltung, das als vermögenswertes Recht nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Erben hätte, übergehen und dort zum Vollrecht erstarken können. Denn die Voraussetzungen für ein entsprechendes Anwartschaftsrecht sind nicht erfüllt.
- 36
-
a) Dies entspricht schon der bisherigen Senatsrechtsprechung. Danach besteht neben dem Urlaubsanspruch kein Anwartschaftsrecht auf Urlaubsabgeltung, das als vermögenswertes Recht nach § 1922 BGB auf die Erben übergehen und dort zum Vollrecht erstarken könnte. Dies hat der Senat allerdings damit begründet, dass der Abgeltungsanspruch unter den im Gesetz oder im Tarifvertrag genannten Voraussetzungen als Surrogat anstelle des untergehenden Urlaubsanspruchs und damit seinerseits als Vollrecht nur in der Person des Arbeitnehmers entstehe. Sterbe dieser, so entstehe der Anspruch nicht (vgl. BAG 23. Juni 1992 - 9 AZR 111/91 - zu 3 der Gründe, BAGE 70, 348).
- 37
-
b) Diese Begründung lässt sich nicht mehr aufrechterhalten. Sie beruht noch auf der Surrogatstheorie. Der Senat hat infolge der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Schultz-Hoff die Surrogatstheorie, jedenfalls für den Fall der andauernden Arbeitsunfähigkeit, aufgegeben. Danach stellt der Urlaubsabgeltungsanspruch zumindest bei andauernder Arbeitsunfähigkeit eine auf finanzielle Vergütung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie gerichtete reine Geldforderung dar(vgl. BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 17 ff., EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 17; 23. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 44 ff., BAGE 130, 119).
- 38
-
c) Ein Anwartschaftsrecht entsteht immer dann, wenn von einem mehraktigen Entstehungstatbestand eines Rechts schon so viele Erfordernisse erfüllt sind, dass von einer gesicherten Rechtsposition des Erwerbers gesprochen werden kann (vgl. Palandt/Ellenberger Einf. v. § 158 BGB Rn. 9 mwN). Eine solche gesicherte Rechtsposition besteht hinsichtlich des Urlaubsabgeltungsanspruchs im bestehenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich nicht. Denn während des laufenden Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer nur Anspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht. Dies folgt bereits aus dem sich aus § 7 Abs. 4 BUrlG ergebenden Abgeltungsverbot. Danach darf der Urlaub nur abgegolten werden, soweit er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann. Dieses Abgeltungsverbot steht der Annahme entgegen, ein Urlaubsabgeltungsanspruch entstehe im laufenden Arbeitsverhältnis. Im laufenden Arbeitsverhältnis ist der Urlaubsanspruch durch Freistellung des Arbeitnehmers zu erfüllen. Demgegenüber entsteht der Urlaubsabgeltungsanspruch erst unmittelbar mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses anstelle des noch bestehenden Urlaubsanspruchs in der Person des Arbeitnehmers. Es steht deshalb im laufenden Arbeitsverhältnis nicht fest, ob überhaupt ein Abgeltungsanspruch entstehen kann. Zunächst und vorrangig ist der Urlaub durch Freistellung zu gewähren.
- 39
-
d) Ein Anwartschaftsrecht könnte hier ohnehin nicht mit dem Tod des Arbeitnehmers zu einem Vollrecht auf Urlaubsabgeltung erstarken. Denn wie bereits unter A II 2 dargelegt, geht der Anspruch des Erblassers auf Urlaub stets mit dessen Tod unter und kann sich nicht in einen Abgeltungsanspruch umwandeln.
- 40
-
4. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts konnte ein Urlaubsabgeltungsanspruch auch nicht als werdendes Recht auf die Erben nach § 1922 Abs. 1 BGB übergehen.
- 41
-
a) Hierzu hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, der Umstand, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt seines Todes einen Geldleistungsanspruch nicht besessen habe, stehe der Vererbbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs nicht entgegen. Zwar entstehe dieser, da die Urlaubsabgeltung das Ende des Arbeitsverhältnisses voraussetze, erst mit dem Tod des Arbeitnehmers. Doch handele es sich insoweit um einen noch „nicht fertigen, im Werden begriffenen Anspruch“, dessen Vererbbarkeit bei nicht höchstpersönlichen Angelegenheiten grundsätzlich anerkannt sei.
- 42
-
b) Zutreffend ist insoweit allein, dass im Rahmen der Gesamtrechts-nachfolge nach § 1922 Abs. 1 BGB Erben grundsätzlich auch in werdende Rechte, sog. Rechtsverkehrslagen, eintreten (vgl. Palandt/Weidlich § 1922 Rn. 26; Staudinger/Marotzke (2008) § 1922 BGB Rn. 303 ff.; MünchKommBGB/Leipold 5. Aufl. § 1922 Rn. 41). Denn der Tod unterbricht die rechtlichen Beziehungen des Menschen in dem Zustand, in welchem sie sich gerade befinden. Deshalb können auf den Erben auch vorgefundene noch im Werden begriffene Rechte und Rechtsbeziehungen übergehen, zu deren vollständiger Entstehung es noch weiterer Ereignisse oder Willenserklärungen bedarf. In der Person des Erben kann sich die Entstehung eines Rechts in dieser Situation in derselben Weise vollenden, wie dies bei Fortleben des Erblassers möglich gewesen wäre (vgl. MünchKommBGB/Leipold aaO; Bamberger/Roth/Müller-Christmann BGB 2. Aufl. § 1922 Rn. 48).
- 43
-
c) Bei einem (unterstellten) Fortleben des Erblassers über den 16. April 2009 hinaus würde das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten unverändert fortbestehen. Für einen Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG wäre von vornherein überhaupt kein Raum. Vielmehr stände dem Erblasser der - wegen der seit 14. April 2008 andauernden Arbeitsunfähigkeit - nicht realisierbare gesetzliche Mindest- und vertragliche Mehrurlaub aus den Jahren 2008 und 2009 weiterhin zu. Der gesetzliche Mindesturlaub aus dem Jahr 2008 war wegen der andauernden Arbeitsunfähigkeit nach der maßgeblichen neueren Senatsrechtsprechung nicht nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG befristet(vgl. BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 18, EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 17). Entsprechendes gilt auch für den vertraglichen Mehrurlaub. Zwar können die Parteien des Einzelarbeitsvertrags Urlaubsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von § 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Mindestjahresurlaubsanspruch von vier Wochen übersteigen, frei regeln, doch müssen für einen Regelungswillen der Arbeitsvertragsparteien, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen vertraglichen Ansprüchen unterscheidet, im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB deutliche Anhaltspunkte bestehen(vgl. BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 25, aaO; 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 81 ff., BAGE 130, 119 ). Im Streitfall gibt es jedoch, wie das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, keine Anhaltspunkte, die auf eine Ausnahme von der Regel des „Gleichlaufs“ der Ansprüche hindeuten. Der Arbeitsvertrag, der den Erblasser und die Beklagte verband, enthält keine abweichende Regelung für den übergesetzlichen Mehrurlaub. Deshalb war auch dessen Abgeltung an die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 BUrlG gebunden und daher nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich.
- 44
-
Der Tod unterbricht im vorliegenden Fall gerade nicht die „Vollendung“ des Urlaubsabgeltungsanspruchs, da bei Fortleben des Ehemanns der Klägerin mangels Beendigung des Arbeitsverhältnisses schon kein Urlaubsabgeltungsanspruch entstanden wäre. Dies hat das Landesarbeitsgericht übersehen.
- 45
-
d) Darüber hinaus ist die finanzielle Abgeltung des nicht verfallenen gesetzlichen Mindesturlaubs im bestehenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich verboten. Es handelte sich unter Verstoß gegen § 1 iVm. § 13 Abs. 1 BUrlG letztlich um einen „Abkauf“ von Urlaub(vgl. HWK/Schinz § 7 BUrlG Rn. 98). Von einem Abgeltungsverbot im bestehenden Arbeitsverhältnis geht zudem auch Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie aus, wonach der bezahlte Mindestjahresurlaub außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf. Deshalb steht Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie nationalen Rechtsvorschriften entgegen, die es während der Dauer des Arbeitsverhältnisses erlauben, dass die Tage eines Jahresurlaubs, die nicht in einem bestimmten Jahr genommen werden, durch eine finanzielle Vergütung in einem späteren Jahr ersetzt werden(vgl. so bereits zur Vorgängerrichtlinie 93/104/EG in der Fassung der Richtlinie 2000/34 /EG: EuGH 6. April 2006 - C-124/05 - [Federatie Nederlandse Vakbeweging] Rn. 29 ff., Slg. 2006, I-3423 ).
- 46
-
e) Überdies ist der Ausgangspunkt der Überlegungen des Landesarbeitsgerichts unzutreffend, dass der Urlaubsanspruch mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers nicht erloschen sei und ein Urlaubsabgeltungsanspruch bestehe.
- 47
-
5. Die Klägerin beruft sich ohne Erfolg hilfsweise auf Schadensersatz.
- 48
-
Es bestand kein Anspruch des Erblassers gegenüber der Beklagten auf Schadensersatz, der nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Erben hätte übergehen können. Ein Schadensersatzanspruch nach § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1, § 249 BGB kommt allenfalls dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber sich gegenüber dem Erblasser bereits zu dessen Lebzeiten in Verzug mit der Leistung befand. Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Beklagte konnte bis zum Tod des Erblassers mit der Urlaubsgewährung schon deshalb nicht in Verzug geraten, da dessen Urlaubsanspruch aufgrund der andauernden Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllbar war. Erst recht war die Beklagte nicht mit der Urlaubsabgeltung in Verzug, da dem Erblasser ein solcher Anspruch mangels Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu Lebzeiten nicht zustand.
-
B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
-
Düwell
Suckow
Krasshöfer
Ropertz
Faltyn
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
- 1.
mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder - 2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.
(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben; die §§ 184 bis 195 finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung sind entsprechend anzuwenden. Wird die Klage zurückgenommen, findet § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung keine Anwendung.
(2) Dem Beigeladenen werden die Kosten außer in den Fällen des § 154 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung auch auferlegt, soweit er verurteilt wird (§ 75 Abs. 5). Ist eine der in § 183 genannten Personen beigeladen, können dieser Kosten nur unter den Voraussetzungen von § 192 auferlegt werden. Aufwendungen des Beigeladenen werden unter den Voraussetzungen des § 191 vergütet; sie gehören nicht zu den Gerichtskosten.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, soweit sie an Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Trägern beteiligt sind.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.
(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.
(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.
(1) Gegen das Urteil eines Sozialgerichts steht den Beteiligten die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem Sozialgericht im Urteil oder auf Antrag durch Beschluß zugelassen wird. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag oder, wenn die Revision im Urteil zugelassen ist, der Revisionsschrift beizufügen.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 vorliegen. Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden. Die Ablehnung der Zulassung ist unanfechtbar.
(3) Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluß ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist oder der Frist für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung von neuem, sofern der Antrag in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war. Läßt das Sozialgericht die Revision durch Beschluß zu, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.
(4) Die Revision kann nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden.
(5) Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf die Berufung, wenn das Sozialgericht die Revision zugelassen hat.