Sozialgericht Düsseldorf Urteil, 23. Dez. 2015 - S 2 KA 148/14

ECLI:ECLI:DE:SGD:2015:1223.S2KA148.14.00
bei uns veröffentlicht am23.12.2015

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.


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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. (2) Die Gebühren und Auslage

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 197a


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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. November 2013 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 9. November 2011 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 6., die diese selbst tragen.

Tatbestand

1

Die Klägerin, ein in der Rechtsform einer GmbH betriebenes medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), wendet sich gegen die Feststellung, dass ihre Zulassung geendet habe sowie gegen die vorsorglich erklärte Entziehung der Zulassung.

2

Mit Bescheid des Zulassungsausschusses (ZA) vom 5.9.2008, zur Post gegeben am 8.12.2008 wurde die Klägerin mit Wirkung vom 1.10.2008 mit Sitz in T., . zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Gleichzeitig wurde ihr die Genehmigung zur Anstellung des Arztes für Nervenheilkunde Dr. B., des Arztes für Innere Medizin Dr. A. und des Arztes für Kinderheilkunde Dr. M. erteilt. Für die Arztgruppen, denen die Ärzte angehören, bestanden im maßgebenden Planungsbereich (B.) Zulassungsbeschränkungen wegen Überversorgung. In dem Bescheid wurde verfügt, dass die vertragsärztliche Tätigkeit innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Bescheides aufzunehmen sei. Ferner wurde das Ende der Zulassung von Dr. B., Dr. A. und Dr. M. zum 30.9.2008 festgestellt. Diese hatten auf ihre Zulassung verzichtet, um in dem MVZ als angestellte Ärzte tätig zu werden.

3

Als Betriebsstätte beabsichtigte die Klägerin ein Ärztehaus zu errichten, das zum Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung noch nicht existierte. Auch die erforderliche Baugenehmigung lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor; sie wurde am 22.1.2009 durch die Stadt T. erteilt. Im September 2008 und im Mai 2009 zeigte die Klägerin gegenüber der zu 1 beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) die Aufnahme der Tätigkeit des MVZ an. Als Anschrift des MVZ wurde die B. straße in T. angegeben. Unter dieser Hausnummer existierte eine alte Backsteinvilla, die sich im Eigentum der Gründer des MVZ befand und die bis zum 31.8.2009 an die Stiftung L. vermietet war. Die Stiftung nutzte das Gebäude ua für die Betreuung behinderter Menschen in Form einer Wohngruppe. Die Ärzte Dr. B., Dr. A. und Dr. M. führten ihre ärztliche Tätigkeit nach dem Ende ihrer Zulassung an ihren bisherigen Praxisstandorten fort, die sich in einer Entfernung von etwa 200 bis 450 Metern von der angegebenen Anschrift des zugelassenen MVZ befanden. Die Abrechnung der Leistungen erfolgte unter Angabe der Betriebsstättennummer des MVZ.

4

Nachdem der ZA darauf hingewiesen worden war, dass die angestellten Ärzte des MVZ ihre Tätigkeit weiterhin in ihren Arztpraxen und nicht am Sitz des MVZ ausübten, hörte er die Klägerin am 12.2.2010 dazu an. Darauf teilte die Geschäftsführerin der Klägerin dem Beklagten mit, dass Dr. B. und Dr. M. ihre vertragsärztliche Tätigkeit am Sitz des MVZ in der B. straße ausüben würden. Die Telefonnummern ihrer vormaligen Praxen seien beibehalten worden, um die Erreichbarkeit für langjährige Patienten zu gewährleisten. Ferner legte die Mitgründerin und Geschäftsführerin der Klägerin einen Vertrag vom 15.9.2008 über die Anmietung der Räume der "Backsteinvilla" (B. straße) durch das MVZ vor; der Beginn des Mietverhältnisses war in dem Vertrag mit dem 1.10.2008 angegeben. Die Geschäftsführerin der Klägerin ließ in der Folge Räume der Backsteinvilla, die hinsichtlich Größe und Ausstattung zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit kaum geeignet waren, notdürftig und zum Schein als Arztpraxis herrichten. Bei einer Inaugenscheinnahme durch Mitarbeiter des ZA am 11.3.2010 wurde in dem Gebäude, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Grundstück befindet, auf dem das Gebäude für das MVZ errichtet wurde, eine Arzthelferin in einem provisorisch eingerichteten Empfang, jedoch keine Ärzte oder Patienten angetroffen. Praxisschilder wiesen auf Dr. B. und Dr. A. hin, die jedoch nicht anwesend waren und die fünf Tage später telefonisch mitteilten, dass sie von der Geschäftsführung unter Androhung einer Kündigung gezwungen würden, ihre Tätigkeit in für die Ausübung ärztlicher Tätigkeit nicht geeigneten Räumen der "Backsteinvilla" auszuüben.

5

Daraufhin beantragte die Beigeladene zu 1 beim ZA, der Klägerin die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zu entziehen und bezog sich zur Begründung neben der Nichtaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit unter der angegebenen Anschrift auf Hinweise zu Verstößen gegen den Datenschutz sowie auf Abrechnungsmanipulationen.

6

Ab etwa Mai 2010 nahmen die bei der Klägerin angestellten Ärzte ihre Tätigkeit in den Räumen des inzwischen weitgehend fertiggestellten Neubaus (Ärztehaus) auf. Auf Antrag der Geschäftsführung des MVZ wurde für die "Backsteinvilla" anstelle der Hausnummer 14 die Hausnummer 16 vergeben, während der Neubau die Hausnummer 14 erhielt. Damit entsprach die Anschrift des MVZ dem im Zulassungsbescheid vom 5.9.2008 angegebenen Sitz.

7

Mit Bescheid vom 10.5.2010 entzog der ZA der Klägerin die Zulassung "mit sofortiger Wirkung" und stellte das Ende der erteilten Anstellungsgenehmigungen fest. Zur Begründung führte er aus, dass die Klägerin ihre Tätigkeit am Sitz des MVZ in der B. straße , T., nicht aufgenommen habe. Auf gröbliche Pflichtverletzungen, etwa wegen Abrechnungsbetruges sowie Verletzung des Datenschutzes komme es unter diesen Umständen nicht mehr an.

8

Den dagegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Bescheid vom 26.7.2010 zurück, stellte unter Hinweis auf § 19 Abs 3 ÄrzteZV das Ende der Zulassung der Klägerin bereits zum 11.3.2009, 24:00 Uhr, sowie das Ende der Genehmigungen zur Beschäftigung der angestellten Ärzte fest und bestätigte hilfsweise die Entscheidung des ZA zur Entziehung der Zulassung der Klägerin. Sowohl bezogen auf die Feststellung des Endes der Zulassung zum 11.3.2009, 24:00 Uhr, als auch bezogen auf die Entziehung der Zulassung ordnete er außerdem die sofortige Vollziehung an. Auf Antrag der Klägerin ordnete das SG Freiburg mit Beschluss vom 19.8.2010 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 26.7.2010 an. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das LSG Baden-Württemberg mit Beschluss vom 11.1.2011 zurück.

9

Die gegen den Bescheid vom 26.7.2010 gerichtete Klage hat das SG Freiburg mit Urteil vom 9.11.2011 abgewiesen. Auf die dagegen eingelegte Berufung hat das LSG Baden-Württemberg das Urteil des SG Freiburg sowie den Bescheid des Beklagten vom 26.7.2010 aufgehoben. Sowohl die Feststellung des Endes der Zulassung zum 11.3.2009 als auch die hilfsweise ausgesprochene Entziehung der Zulassung seien rechtswidrig. Das Ende der Zulassung wegen Nichtaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit nach § 19 Abs 3 Ärzte-ZV greife nur ein, wenn es an der Ausübung jeglicher vertragsärztlicher Tätigkeit fehle, nicht jedoch, wenn die vertragsärztliche Tätigkeit - wie vorliegend - lediglich am falschen Ort ausgeübt werde. Aus dem Umstand, dass diese Tätigkeit als vertragsärztliche Tätigkeit des MVZ von der Klägerin gegenüber der zu 1 beigeladenen KÄV abgerechnet wurde, folge auch, dass es sich um vertragsärztliche Leistungen des MVZ gehandelt habe. Die Entziehung der Zulassung sei ebenfalls rechtswidrig, weil sich der Pflichtverstoß des MVZ zwar als gröblich, in seiner Schwere jedoch nicht als so erheblich erweise, dass die Entziehung der Zulassung als Eingriff in das Recht der Berufsfreiheit nach Art 12 GG gerechtfertigt wäre. Die vertragsärztliche Tätigkeit des MVZ sei ab Mai 2010 tatsächlich am Vertragsarztsitz ausgeübt worden. Im Hinblick auf diese zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten bestehende Situation erweise sich die Entziehung der Zulassung als unverhältnismäßig. Bei der verspäteten Errichtung des MVZ und dem verzögerten Einzug habe es sich um einen in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Sachverhalt gehandelt, der sich nach Fertigstellung und Bezug des Ärztehauses so nicht wiederholen könne. Die Unverhältnismäßigkeit einer Zulassungsentziehung folge auch aus dem in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Rechtsgedanken zum Wohlverhalten im laufenden Zulassungsentziehungsverfahren. Zwar habe das BSG diese Rechtsprechung mit Urteil vom 17.10.2012 (B 6 KA 49/11 R) aufgegeben. Dies gelte jedoch erst für Verfahren, in denen die Entscheidung des Berufungsausschusses nach der Veröffentlichung des Urteils ergehe. Mithin verbleibe es für das vorliegende Verfahren dabei, dass Verhaltensänderungen des Betroffenen bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz zu berücksichtigen seien. Die Missstände hinsichtlich der zunächst pflichtwidrig "dezentral durchgeführten vertragsärztlichen Tätigkeit" seien endgültig abgestellt. Weitere Pflichtverletzungen würden der Klägerin nicht vorgehalten werden können.

10

Mit seiner Revision macht der Beklagte geltend, dass die Zulassung nach § 19 Abs 3 Ärzte-ZV kraft Gesetzes ende, wenn die vertragsärztliche Tätigkeit nicht innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung aufgenommen werde. Bei der Fortführung der Tätigkeit durch die angestellten Ärzte des MVZ am Ort ihres früheren Praxissitzes handele es sich nicht um eine Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit im Sinne dieser Vorschrift. Der Sinn des § 19 Abs 3 Ärzte-ZV erschöpfe sich nicht in der Vermeidung von Verwerfungen im Rahmen der Bedarfsplanung. Vielmehr sollten in zulassungsbeschränkten Gebieten nur solche Ärzte eine Zulassung erhalten, die auch eine Niederlassungsabsicht hegen. Maßgebend für die Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit sei der konkrete Ort mit konkreter Adresse, auf den sich die Zulassung beziehe. Ferner sei zu berücksichtigen, dass MVZ fachübergreifende ärztlich geleitete Einrichtungen seien und dass der ärztliche Leiter in dem MVZ selbst ärztlich tätig sein müsse. Auch dagegen werde mit der dezentralen Tätigkeit der angestellten Ärzte an unterschiedlichen Orten verstoßen. § 19 Abs 3 Ärzte-ZV verstoße als Regelung zur Berufsausübung nicht gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art 12 GG. Auch soweit die hilfsweise verfügte Entziehung der Zulassung aufgehoben werde, verletze das Urteil des LSG Bundesrecht. Das LSG habe in seiner Entscheidung nicht gewürdigt, dass die Klägerin durch wahrheitswidrige Angaben zur Tätigkeit am Sitz des MVZ in Praxisaufnahmebögen, Arbeitsverträgen, Genehmigungsanträgen und Abrechnungssammelerklärung arglistig und absichtlich getäuscht und damit ihre vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt habe.

11

Der Beklagte und die Beigeladene zu 1. beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20.11.2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 9.11.2011 zurückzuweisen.

12

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

13

Das Urteil des LSG sei nicht zu beanstanden. Unter "Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit" iS des § 19 Abs 3 Ärzte-ZV sei die tatsächliche ärztliche Versorgung der GKV-Patienten im betreffenden Planungsbereich zu verstehen. § 19 Abs 3 Ärzte-ZV sei im Zuge der Bedarfsplanung eingeführt worden. Ziel der Vorschrift sei es zu gewährleisten, dass der festzustellende Versorgungsgrad der Versorgungsrealität entspreche. Unter Berücksichtigung des Sinngehalts und der hohen Eingriffsintensität sei die Regelung dahin auszulegen, dass die Tätigkeit auch dann aufgenommen werden könne, wenn sie nicht ausschließlich am Vertragsarztsitz stattgefunden habe. Bei verfassungskonformer Auslegung könne die Ausübung der Tätigkeit an einem anderen Ort als dem Ort der Zulassung jedenfalls nicht automatisch zur Beendigung der Zulassung nach Ablauf von drei Monaten führen. Wegen der durch den Beklagten hilfsweise verfügten Entziehung der Zulassung bezieht sich die Klägerin auf die Gründe des Urteils des LSG. Entgegen der Auffassung des Beklagten habe sich das LSG in seiner Entscheidung auch mit den wahrheitswidrigen Dokumenten, der Täuschung über die Aufnahme der Tätigkeit des MVZ am Vertragsarztsitz und der Gründung des MVZ zu einem erheblich verfrühten Zeitpunkt befasst.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision des Beklagten gegen das Urteil des LSG ist begründet. Das LSG hat die klagabweisende Entscheidung des SG zu Unrecht aufgehoben.

15

A. Einer Sachentscheidung steht nicht entgegen, dass die bei der Klägerin angestellten Ärzte nicht zum Verfahren beigeladen worden sind. Die Entscheidung über das Ende der Zulassung des MVZ hat für die angestellten Ärzte, die zugunsten der Anstellung durch das MVZ auf ihre Zulassung verzichtet haben (vgl § 103 Abs 4a Satz 1 SGB V), zwar erhebliche praktische Bedeutung. Das ändert aber nichts daran, dass die Zulassung der bei der Klägerin angestellten Ärzte aufgrund ihres Verzichts auf die Zulassung mWv 30.9.2008 geendet hat. Die entsprechende Feststellung des ZA aus dem Bescheid vom 5.9.2008 ist bestandskräftig geworden. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein die Frage des Endes der Zulassung des MVZ. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der Berufungsausschuss auch das Ende der Genehmigung der Anstellung festgestellt hat. Dabei handelt es sich nicht um eine von dem Ende der Zulassung des MVZ isoliert zu betrachtende Entscheidung, sondern um eine Folge des Endes der Zulassung. Der Status der angestellten Ärzte im MVZ ist stets von dem des zugelassenen MVZ abgeleitet (BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 27 RdNr 21; BSG Urteil vom 17.10.2012 - B 6 KA 39/11 R - Juris RdNr 22; BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 14 RdNr 16). Die Anstellungsmöglichkeit ist nicht als Recht des anzustellenden Arztes, sondern als ausschließliches Recht des MVZ bzw des zugelassenen Praxisinhabers ausgestaltet (zur Anstellung bei einem Vertragsarzt vgl BSGE 78, 291, 293 = SozR 3-5520 § 32b Nr 2 S 3). Adressat der Anstellungsgenehmigung ist also das MVZ, das durch diese zur Anstellung eines Arztes in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis berechtigt wird - nicht der angestellte Arzt (BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 27 RdNr 21; BSG Urteil vom 17.10.2012 - B 6 KA 39/11 R - Juris RdNr 22; BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 14 RdNr 16; entsprechend bezogen auf die Anstellung bei einem Vertragsarzt: BSGE 78, 291, 292 f = SozR 3-5520 § 32b Nr 2 S 3 mwN). Aus diesem Grund ist der anzustellende oder bereits angestellte Arzt auch in einem Rechtsstreit über die Anstellungsgenehmigung nicht notwendig beizuladen (BSG Urteil vom 23.3.2011 - B 6 KA 8/10 R - Juris RdNr 11 = SozR 4-2500 § 103 Nr 7, jedoch insoweit nicht abgedruckt; vgl auch BSG SozR 3-5525 § 32b Nr 1 S 3; BSG SozR 3-5520 § 32b Nr 3 S 9 f). Etwas anderes folgt auch nicht aus der mittelbaren Betroffenheit der angestellten Ärzte in ihrem Grundrecht aus Art 12 Abs 1 GG. Allerdings wird ihnen ggf die Möglichkeit einzuräumen sein, nach der Entziehung der Zulassung "ihres" MVZ weiterhin im bisherigen Planungsbereich vertragsärztlich tätig zu sein, wenn ihnen nicht selbst eine gröbliche Pflichtverletzung zur Last fällt (vgl BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 30 mwN).

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B. In der Sache kann der Entscheidung des LSG nicht gefolgt werden. Die Feststellung im angefochtenen Bescheid des Beklagten, nach der die Zulassung der Klägerin beendet ist, ist ebenso wenig zu beanstanden wie die hilfsweise Entziehung der Zulassung.

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1. Die Klägerin hat ihre Tätigkeit als zugelassenes MVZ nicht innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Zustellung aufgenommen. Für diesen Fall ordnet § 19 Abs 3 Ärzte-ZV das Ende der Zulassung mit Ablauf der Frist an.

18

a) Der Senat billigt den Zulassungsgremien in ständiger Rechtsprechung die Befugnis zu, deklaratorische Entscheidungen über das Ende der Zulassung zu treffen, um Rechtssicherheit herzustellen und für alle an der vertragsärztlichen Versorgung Beteiligten Klarheit darüber zu schaffen, ob ein Arzt berechtigt ist, vertragsärztlich tätig zu werden (BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 2 RdNr 12; vgl auch BSGE 100, 43 = SozR 4-2500 § 95 Nr 14, RdNr 9; BSGE 83, 135, 138 = SozR 3-2500 § 95 Nr 18 S 65; BSGE 78, 175, 183 = SozR 3-5407 Art 33 § 3a Nr 1 S 10).

19

Grundlage der Feststellung des Beklagten, nach der die Zulassung der Klägerin mit Ablauf des 11.3.2009 endet, ist § 19 Abs 3 Ärzte-ZV(in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung - GSG) vom 21.12.1992 (BGBl I 2266). Nach dieser Vorschrift endet die Zulassung, wenn die vertragsärztliche Tätigkeit in einem von Zulassungsbeschränkungen betroffenen Planungsbereich nicht innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung aufgenommen wird. Die Zulassung endet nach § 19 Abs 3 Ärzte-ZV kraft Gesetzes und ohne dass es einer Umsetzung durch VA bedürfte, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen(vgl BSG Beschluss vom 29.11.2006 - B 6 KA 35/06 B - RdNr 9; zur ehemals geltenden Altersgrenze für Vertragsärzte vgl BSGE 83, 135, 138 f = SozR 3-2500 § 95 Nr 18 S 66; BSG SozR 3-2500 § 95 Nr 32 S 154; BSG Beschluss vom 5.11.2003 - B 6 KA 56/03 B - Juris RdNr 8; vgl auch SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 8.10.2008 - S 12 KA 284/08, Juris RdNr 35; Dahm in FS 10 Jahre AG Medizinrecht, 2008, 343, 345 f). Die Klägerin hat ihre Tätigkeit als zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenes MVZ nicht innerhalb dieser Frist aufgenommen. Vielmehr haben die Ärzte, die auf ihre Zulassung verzichtet hatten, um bei der Klägerin tätig zu werden, auch noch weit über den Ablauf der Frist hinaus für mehr als ein Jahr ihre ärztliche Tätigkeit weiterhin jeweils am Ort ihrer bisherigen Praxissitze ausgeübt.

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b) Die Vorschrift des § 19 Abs 3 Ärzte-ZV ist wirksam. Insbesondere beruht die Vorschrift auf einer rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage und hält sich im Rahmen der Ermächtigung (ebenso: Bäune in Bäune/Meschke/Rothfuß, Ärzte-ZV, Zahnärzte-ZV, 2007, § 19 RdNr 17; Dahm, FS 10 Jahre AG Medizinrecht im DAV, 2008, S 343, 344 f; Großbölting/Jaklin, NZS 2002, 525, 527; Kremer/Wittmann, Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, 2. Aufl 2014, RdNr 1397; Schiller in Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, 2. Aufl 2006, § 5 D RdNr 12; Sodan, Handbuch des Krankenversicherungsrechts, 2. Aufl 2014, § 15 RdNr 46; aA, jedoch ohne nähere Begründung: Bedei/Zalewski in Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, § 19 Ärzte-ZV, RdNr E 19-4; vgl auch Schallen, Zulassungsverordnung, 8. Aufl 2012, § 19 RdNr 22). Sie steht auch nicht im Widerspruch zu höherrangigem Gesetzesrecht.

21

aa) § 19 Abs 3 Ärzte-ZV ist mit der Vierten Verordnung zur Änderung der Zulassungsordnung für Kassenärzte vom 20.7.1987 (BGBl I 1679 f) eingeführt und mit dem GSG durch den parlamentarischen Gesetzgeber - allerdings nur redaktionell (Ersetzung des Wortes "kassenärztliche" durch "vertragsärztliche") - geändert worden. Der Senat war in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die durch den Gesetzgeber geänderten Bestimmungen der Ärzte-ZV im Rang eines formellen Gesetzes stünden und deshalb keiner gesetzlichen Ermächtigung bedürften (BSGE 91, 164 RdNr 8 ff = SozR 4-5520 § 33 Nr 1, RdNr 7 ff; BSGE 76, 59, 61 = SozR 3-5520 § 20 Nr 1 S 4; BSGE 70, 167, 172 = SozR 3-2500 § 116 Nr 2 S 13 f). Diese Rechtsprechung ist jedoch durch die Entscheidung des BVerfG vom 13.9.2005 (2 BvF 2/03 = BVerfGE 114, 196, 234 ff = SozR 4-2500 § 266 Nr 9 RdNr 93 ff; vgl auch BVerfGE 114, 303, 311 ff; BSGE 108, 35 = SozR 4-2500 § 115b Nr 3, RdNr 65; BSGE 116, 31 = SozR 4-2500 § 272 Nr 1, RdNr 30 mwN; Pawlita in JurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 98 RdNr 12) überholt.

22

Das BVerfG hat in der genannten Entscheidung vom 13.9.2005 die Änderung von Rechtsverordnungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber ausdrücklich gebilligt. Aus Gründen der Normklarheit seien die Regelungen jedoch insgesamt auch hinsichtlich der durch den Gesetzgeber geänderten Teile als Rechtsverordnung zu qualifizieren. Die Änderung von Rechtsverordnungen sei zudem nur unter bestimmten Voraussetzungen und Maßgaben mit dem Grundgesetz vereinbar. Dazu gehöre, dass der parlamentarische Gesetzgeber an die Grenzen der Ermächtigungsgrundlage (Art 80 Abs 1 Satz 2 GG) gebunden sei (BVerfGE 114, 196, 239 f = SozR 4-2500 § 266 Nr 9 RdNr 109).

23

Auch unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist § 19 Abs 3 Ärzte-ZV nicht zu beanstanden. Die Vorschrift fällt allerdings nicht unter eine der Gegenstände, die nach dem Katalog des § 98 Abs 2 Nr 1 bis 15 SGB V in den Zulassungsverordnungen zwingend zu regeln sind. So müssen die Zulassungsverordnungen nach § 98 Abs 2 Nr 10 SGB V Vorschriften über "die Voraussetzungen der Zulassungen" enthalten. Dies gilt jedoch nur "hinsichtlich der Vorbereitung und der Eignung zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit sowie die nähere Bestimmung des zeitlichen Umfangs des Versorgungsauftrags aus der Zulassung". Die in § 19 Abs 3 Ärzte-ZV getroffene Regelung zum Ende der Zulassung bei Nichtaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit kann nicht unter diesen Wortlaut subsumiert werden.

24

Daraus folgt indes nicht, dass die erforderliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage fehlen würde. § 98 Abs 2 Ärzte-ZV zählt lediglich bestimmte spezifische Bereiche auf, zu denen in den Zulassungsverordnungen Regelungen zu treffen sind, beschränkt die Zulassungsverordnungen jedoch nicht darauf. Vielmehr ist ergänzend § 98 Abs 1 Satz 1 SGB V als Ermächtigungsgrundlage heranzuziehen(vgl Bäune in Bäune/Meschke/Rothfuß, Ärzte-ZV, Zahnärzte-ZV, 2008, § 19 RdNr 17; Dahm, FS 10 Jahre AG Medizinrecht im DAV, 2008, S 343, 345). Danach regeln die Zulassungsordnungen das Nähere über die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung sowie die zu ihrer Sicherstellung erforderliche Bedarfsplanung (§ 99 SGB V) und die Beschränkung von Zulassungen. Dass die Aufzählung in Abs 2 lediglich der Konkretisierung bezogen auf bestimmte, nicht abschließend aufgezählte Punkte dient, die zwingend zu regeln sind und dass damit ein eigenständiger Anwendungsbereich des § 98 Abs 1 SGB V als Ermächtigungsgrundlage verbleibt, wird auch durch die Entstehungsgeschichte der Regelung bestätigt: § 98 Abs 1 Satz 1 SGB V geht auf den mit dem Gesetz über Änderungen von Vorschriften des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung und zur Ergänzung des Sozialgerichtsgesetzes(Gesetz über Kassenarztrecht - GKAR) vom 17.8.1955 (BGBl I 513) eingeführten § 368c Abs 1 Satz 1 RVO zurück, der zunächst folgenden Wortlaut hatte: "Die Zulassungsordnungen regeln das Nähere über die Zulassung". Die dem heute geltenden § 98 Abs 1 Satz 1 SGB V im Wesentlichen entsprechende Fassung erhielt die Regelung mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts(Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz - KVWG) vom 28.12.1976 (BGBl I 3871), mit dem die Wendung "die sonstige Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung sowie die zu ihrer Sicherstellung erforderliche Bedarfsplanung und Beschränkung von Zulassungen" eingefügt wurde. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 7/3336 S 23) sollte der Regelungsbereich der Zulassungsordnungen mit dieser Änderung des Abs 1 erweitert werden. Dies spricht für einen eigenständigen Anwendungsbereich des Abs 1 als Ermächtigungsgrundlage. Auch der Umstand, dass die Verordnungsermächtigung gleichzeitig durch Änderungen der Aufzählung des Abs 2 "konkretisiert" (BT-Drucks 7/3336 S 23) wurde, kann nach Auffassung des Senats nicht dahin verstanden werden, dass der Umfang der Ermächtigung allein durch Abs 2 definiert würde.

25

bb) § 98 Abs 1 Satz 1 SGB V genügt dem Bestimmtheitsgebot aus Art 80 Abs 1 Satz 2 GG. Danach müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Der Gesetzgeber muss also selbst die Grenzen einer solchen Regelung festsetzen und angeben, welchem Ziel sie dienen soll (BVerfGE 2, 307, 334 f; BVerfGE 23, 62, 72). Zur Klärung von Zweck, Inhalt und Ausmaß der Ermächtigung können - wie auch sonst bei der Auslegung von Normen - neben dem Wortlaut die Entstehungsgeschichte, der Sinnzusammenhang und das Ziel der gesetzlichen Regelung berücksichtigt werden (BVerfGE 19, 354, 361 f). Welche Anforderungen an die Bestimmtheit im Einzelnen zu stellen sind, ist vom Regelungsgegenstand und der Eingriffsintensität abhängig. An Regelungen, die erheblich in die Rechtsstellung des Betroffenen eingreifen sind höhere Anforderungen zu stellen, als wenn es sich um Regelungsbereiche handelt, die die Grundrechtsausübung weniger tangieren (vgl BVerfGE 58, 257, 277 f; BVerfGE 62, 203, 210; BVerfGE 113, 167, 269).

26

Bezogen auf die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung und zur Bedarfsplanung hat der Gesetzgeber die wesentlichen Bestimmungen in §§ 95 ff und §§ 99 ff SGB V selbst getroffen und dem Verordnungsgeber mit § 98 Abs 1 Satz 1 SGB V lediglich die nähere Ausgestaltung bezogen auf die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung, die zu ihrer Sicherstellung erforderliche Bedarfsplanung(§ 99 SGB V) und die Beschränkung von Zulassungen übertragen. Der gesetzlich vorgegebenen Zielsetzung entspricht § 19 Abs 3 Ärzte-ZV. Die Vorschrift ist durch die Vierte Verordnung zur Änderung der Zulassungsordnung für Kassenärzte vom 20.7.1987 (BGBl I 1679) im Zusammenhang mit weiteren Regelungen zur Bedarfsplanung eingeführt worden und regelt das Ende der Zulassung bei Nichtaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit allein für von Zulassungsbeschränkungen betroffene Planungsbereiche. Nach der Begründung des für den Erlass der Zulassungsverordnungen damals zuständigen Bundesministeriums zur Einführung des § 19 Abs 3 Ärzte-ZV soll die Regelung sicherstellen, "daß nur der Antragsteller die Zulassung erhält, der eine konkrete Niederlassungsabsicht in einem von Zulassungsbeschränkungen betroffenen Planungsbereich hat. Dabei wird davon ausgegangen, daß die Aufnahme der kassenärztlichen Tätigkeit innerhalb einer Frist von drei Monaten zumutbar ist" (BR-Drucks 230/87 S 8). § 19 Abs 3 SGB V regelt damit Näheres zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung iS des § 98 Abs 1 Satz 1 SGB V. Gleichzeitig besteht ein enger Zusammenhang mit der in § 98 Abs 1 Satz 1 SGB V ebenfalls angesprochenen Bedarfsplanung und der Beschränkung von Zulassungen. Dies wird auch daran deutlich, dass die § 19 Abs 3 Ärzte-ZV entsprechende Vorschrift für den vertragszahnärztlichen Bereich zusammen mit Regelungen zur Bedarfsplanung bei Überversorgung aufgehoben worden ist(vgl Art 22 Nr 9 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378, 458).

27

Bezogen auf die Eingriffsintensität des § 19 Abs 3 Ärzte-ZV ist zu berücksichtigen, dass der als Rechtsfolge vorgesehene Verlust der Zulassung zwar schwerwiegend ist. Andererseits sind zugelassene Ärzte und zugelassene medizinische Versorgungszentren gemäß § 95 Abs 3 Satz 1 und 2 SGB V zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung nicht nur berechtigt, sondern im Interesse der Sicherstellung der Versorgung im Umfang des aus der Zulassung folgenden Versorgungsauftrags auch verpflichtet. Für den Fall der Nichtaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit hat bereits der Gesetzgeber in § 95 Abs 6 Satz 1 SGB V die Entziehung der Zulassung verbindlich vorgeschrieben. Die darüber hinausgehenden Rechtsfolgen, die § 19 Abs 3 Ärzte-ZV speziell für Planungsbereiche mit Zulassungsbeschränkungen vorsieht, sind nicht als besonders gravierend zu bewerten. Unter diesen Umständen begegnet es keinen Bedenken, dass das Nähere zur Beendigung der Zulassung speziell für den Fall der Nichtaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit in einem von Zulassungsbeschränkungen betroffenen Planungsbereich auf der Grundlage des § 98 Abs 1 Satz 1 SGB V durch Rechtsverordnung geregelt wurde.

28

cc) § 19 Abs 3 Ärzte-ZV steht auch nicht im Widerspruch zu anderen die Beendigung der Zulassung regelnden Bestimmungen des SGB V(aA Bedei/Zalewski in Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, § 19 Ärzte-ZV, S E 19-5; ähnlich: Schallen, Zulassungsverordnung, 8. Aufl 2012, § 19 RdNr 22). Zwar trifft auch § 95 Abs 7 SGB V Regelungen zu den Voraussetzungen, unter denen die Zulassung eines Vertragsarztes(Satz 1) oder eines MVZ (Satz 2) endet, wie zB bei Ablauf eines Befristungszeitraums oder dem Wirksamwerden eines Verzichts. Es handelt sich dabei aber nicht um eine abschließende Regelung von Beendigungsgründen (Schiller in Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, 2. Aufl 2006, § 5 D RdNr 12). Von § 19 Abs 3 Ärzte-ZV abweichende Bestimmungen enthält die Vorschrift daher nicht. Entsprechendes gilt für § 95 Abs 6 Satz 1 SGB V, der bestimmt, dass die Zulassung zu entziehen ist, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Damit erstreckt sich § 95 Abs 6 Satz 1 SGB V zwar auch auf den Fall der Nichtaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit. § 19 Abs 3 Ärzte-ZV trifft dazu jedoch eine spezielle Regelung, die allein für die Nichtaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit in von Zulassungsbeschränkungen getroffenen Planungsbereichen gilt und die in den Rechtsfolgen über die allgemeine Regelung des § 95 Abs 6 Satz 1 SGB V insofern hinausgeht, als die Zulassung gemäß § 19 Abs 3 Ärzte-ZV nach Ablauf einer bestimmten Frist kraft Gesetzes endet, ohne dass es einer Entziehung durch VA bedarf. Beide Vorschriften widersprechen einander nicht. Auch wird das Recht der Zulassungsgremien, die Zulassung nach § 95 Abs 6 Satz 1 SGB V (vorsorglich) zu entziehen, durch § 19 Abs 3 Ärzte-ZV nicht eingeschränkt(zu einer bedingt erteilten Zulassung bei Nichteintritt der Bedingung vgl BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 2 RdNr 13).

29

c) Die Beendigung der Zulassung bei Nichtaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit in einem wegen Überversorgung gesperrten Planungsbereich verstößt auch nicht gegen die in Art 12 Abs 1 GG geregelte Berufsfreiheit. Grundsätzlich ist es einem Arzt zuzumuten, seine vertragsärztliche Tätigkeit innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung aufzunehmen. Allerdings ist die Vorschrift unter Berücksichtigung von Art 12 Abs 1 GG einschränkend auszulegen. Einschränkungen im Anwendungsbereich sind geboten, wenn der Arzt die Frist von drei Monaten ohne eigenes Verschulden nicht einhalten kann. Davon ist der Senat im Ergebnis bereits in Fallgestaltungen ausgegangen, in denen die erteilte Zulassung von einem Dritten angefochten worden war und hat im Interesse des effektiven Rechtsschutzes darüber hinaus bei der Praxisnachfolge ausdrücklich auf das Erfordernis der Existenz einer fortführungsfähigen Praxis zum Zeitpunkt der letzten Tatsacheninstanz verzichtet (vgl BSGE 115, 57 = SozR 4-2500 § 103 Nr 13, RdNr 39 f; vgl auch Schiller in Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, 2. Aufl 2006, § 5 D RdNr 13). Dass die Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit innerhalb von drei Monaten im Falle der Anfechtung durch einen Konkurrenten nicht verlangt werden kann, folgt aus dem Umstand, dass der zugelassene Arzt von der durch einen Dritten angefochtenen Zulassung - jedenfalls sobald ihm die Anfechtung bekannt ist - noch keinen Gebrauch machen darf, solange die sofortige Vollziehung der Zulassung nicht angeordnet worden ist (vgl BSG SozR 4-2500 § 96 Nr 1 RdNr 13, 21 mwN).

30

Nach Auffassung des Senats kann bei verfassungskonformer Auslegung des § 19 Abs 3 Ärzte-ZV die Möglichkeit einer Verlängerung der Frist von drei Monaten auch für andere Fälle einer unverschuldeten Verzögerung der Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht gänzlich ausgeschlossen werden(im Ergebnis ebenso: LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.3.2006 - L 5 KA 3995/04 - Juris RdNr 24, 29; Schroeder-Printzen in Ratzel/Luxenburg, Handbuch Medizinrecht, 2. Aufl 2011, § 7 RdNr 399; einschränkend, aber ausdrücklich offen gelassen bezogen auf die Möglichkeit, die Frist durch einen rechtzeitigen Ruhensantrag zu verlängern: LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.6.2007 - L 7 KA 7/04 - MedR 2008, 393, 395; gegen eine Verlängerungsmöglichkeit dagegen: Dahm in FS 10 Jahre AG Medizinrecht, 2008, 343, 348). Davon ist der Senat bereits in einem unveröffentlichten Beschluss vom 29.11.2006 (B 6 KA 35/06 B - RdNr 9) ausgegangen und hat einem Psychotherapeuten, der geltend gemacht hat, die Tätigkeit wegen einer schweren Erkrankung nicht aufgenommen zu haben, im Grundsatz die Möglichkeit eingeräumt, zur Vermeidung einer Beendigung der Zulassung nach § 19 Abs 3 Ärzte-ZV das Ruhen der Zulassung nach § 95 Abs 5 Satz 1 SGB V iVm § 26 Ärzte-ZV zu beantragen. Unter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung zur ehemals geltenden 55-Jahres-Zugangsgrenze (vgl BSG SozR 3-5520 § 25 Nr 5 S 39) hat der Senat eine Verlängerung der Drei-Monats-Frist des § 19 Abs 3 Ärzte-ZV allerdings davon abhängig gemacht, dass der Ruhensantrag bis zum letzten Tag der Frist gestellt worden ist. Daran hält der Senat fest und geht davon aus, dass die Drei-Monats-Frist nach § 19 Abs 3 Ärzte-ZV bei rechtzeitiger Antragstellung verlängert werden kann, jedenfalls wenn sich die Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit aus einem wichtigen, zum Zeitpunkt der Beantragung der Zulassung noch nicht absehbaren Grund ohne eigenes Verschulden verzögert und wenn die Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit außerdem in angemessener Frist zu erwarten ist.

31

Danach kann eine Verlängerung der Frist zur Aufnahme der Tätigkeit des MVZ vorliegend nicht in Betracht kommen. Von einer unverschuldeten Versäumung der Frist von drei Monaten kann keine Rede sein, weil zum Zeitpunkt der Beantragung der Zulassung und deren Erteilung mindestens absehbar war, dass die vertragsärztliche Tätigkeit nicht innerhalb der gesetzlichen Frist aufgenommen werden kann. Die "Backsteinvilla", die sich am Sitz des zugelassenen MVZ in der B. straße befand und deren Eigentümer die Gründer des MVZ waren, war auch zum Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung noch an die Stiftung L. vermietet, die dort behinderte Menschen in einer Wohngruppe betreute. Räume, in denen das MVZ ohne weiteres hätte betrieben werden können, existierten dort nach den Feststellungen des LSG nicht. Für das "Ärztehaus" in unmittelbarer Nachbarschaft zur "Backsteinvilla", in der das MVZ betrieben werden sollte, war zum Zeitpunkt der Antragstellung und auch zum Zeitpunkt der Zustellung des Zulassungsbescheides im Dezember 2008 noch nicht einmal die Baugenehmigung erteilt worden. Zudem hat die Klägerin nicht nur versäumt, rechtzeitig eine Verlängerung der Frist zur Aufnahme der Tätigkeit des MVZ zu beantragen, sondern im Gegenteil gegenüber dem Zulassungsausschuss und gegenüber der zu 1. beigeladenen KÄV die Existenz eines MVZ an dem Ort, für den die Zulassung erteilt worden war, vorgetäuscht, indem sie im September 2008 und im Mai 2009 wahrheitswidrig die Aufnahme der Tätigkeit des MVZ angezeigt und Abrechnungen unter der Betriebsnummer des MVZ erstellt hat. Nachdem beim ZA Anfang des Jahres 2010 Zweifel an der Existenz des MVZ aufgekommen waren, hat die Klägerin versucht, die Täuschung aufrechtzuerhalten, indem sie noch einmal schriftlich erklärt hat, dass die angestellten Ärzte am Sitz des MVZ in der B. straße tätig seien, zum Beleg ua einen Mietvertrag vorgelegt hat, ausweislich dessen die Räume der "Backsteinvilla" ab dem 1.10.2008 an das MVZ vermietet worden sein sollen und schließlich Räume der "Backsteinvilla" zum Schein als Arztpraxis hergerichtet hat.

32

d) Über § 1 Abs 3 Nr 2 Ärzte-ZV gilt § 19 Abs 3 Ärzte-ZV für MVZ entsprechend. Auf die Frage, ob die Regelung bereits zur Anwendung kommt, wenn für eine der im MVZ vertretenen Arztgruppen Zulassungsbeschränkungen gelten, oder ob auf die Aufnahme der Tätigkeit der von Zulassungsbeschränkungen betroffenen Arztgruppen abzustellen ist, kommt es vorliegend nicht an, weil für alle drei im MVZ vertretenen Arztgruppen (Nervenheilkunde, Innere Medizin, Kinder- und Jugendmedizin) im Zeitraum der Zulassung der Klägerin und auch noch drei Monate nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung im betroffenen Planungsbereich Zulassungsbeschränkungen galten.

33

e) Das MVZ hat seine Tätigkeit nicht innerhalb von drei Monaten nach der Zustellung des Bescheides über die Zulassung im Dezember 2008 aufgenommen. Vielmehr haben die bei der Klägerin angestellten Ärzte ihre Tätigkeit ohne eine vertragsärztliche Zulassung bis etwa Mai 2010 und damit weit über drei Monate hinaus in den jeweiligen Räumen ihrer Arztpraxen fortgeführt, anstatt gemeinsam am Sitz des MVZ tätig zu werden. Der Bescheid des ZA vom 5.9.2008 ist am 8.12.2008 zur Post gegeben und der Klägerin in einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Weise (vgl § 65 Abs 2 SGB X iVm § 4 Abs 1 Verwaltungszustellungsgesetz für Baden-Württemberg vom 3.7.2007, GBl 2007, 293) mittels Einschreiben durch Übergabe zugestellt worden, sodass die Klägerin ihre Tätigkeit jedenfalls im Laufe des März 2009 hätte aufnehmen müssen. Entgegen der Auffassung des LSG kann in dem Umstand, dass die bei der Klägerin angestellten Ärzte, die zuvor auf ihre Zulassung verzichtet hatten, ihre Tätigkeit am Ort ihrer ehemaligen Praxissitze fortgesetzt haben, nicht die Aufnahme der Tätigkeit des MVZ gesehen werden.

34

aa) Zwar spricht aus Sicht des Senats - auch unter Berücksichtigung der einschneidenden Rechtsfolgen, die § 19 Abs 3 Ärzte-ZV anordnet - einiges dafür, dass nicht jede von der erteilten Zulassung abweichende Form der Leistungserbringung zur Folge hat, dass von einer fehlenden Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit ausgegangen werden könnte. Grundsätzlich ist aber für eine Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit iS des § 19 Abs 3 Ärzte-ZV zu fordern, dass diese am Vertragsarztsitz bzw - bei der Zulassung eines MVZ - am Sitz des MVZ ausgeübt wird. Die Zulassung ist nach § 18 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV für einen konkreten Sitz zu beantragen und die Zulassung erfolgt gemäß § 95 Abs 1 Satz 7 SGB V, § 24 Abs 1 Ärzte-ZV für diesen Ort(vgl BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 6 KA 7/14 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 19 mwN). Zulassung und Vertragsarztsitz sind rechtlich so eng miteinander verknüpft, dass der Vertragsarztsitz in seiner rechtlichen Wirkung an dem Statuscharakter der Zulassung teilnimmt (BSG SozR 4-5520 § 24 Nr 2 RdNr 13). Der Umstand, dass der Vertragsarztsitz in § 95 Abs 1 Satz 7 SGB V als "Ort der Niederlassung" definiert wird, bedeutet nach ständiger Rechtsprechung (vgl BSG SozR 3-5520 § 24 Nr 4 S 15 mwN) nicht, dass auf die Ortschaft iS einer Verwaltungseinheit abzustellen wäre. Vielmehr ist die konkrete Praxisanschrift gemeint. Sowohl Vertragsärzte wie MVZ sind gemäß § 17 Abs 1a BMV-Ä verpflichtet, am Vertragsarztsitz in Form von Sprechstunden zur Verfügung zu stehen. Das MVZ kann diese Verpflichtung nur durch seine angestellten Ärzte bzw seine Vertragsärzte erfüllen.

35

Ob gleichwohl mit dem LSG davon auszugehen ist, dass auch die Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit unter einer anderen Anschrift als dem Vertragsarztsitz als Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit iS des § 19 Abs 3 Ärzte-ZV angesehen werden kann, sodass die Zulassung in einem solchen Fall jedenfalls nicht kraft Gesetzes nach Ablauf von drei Monaten endet(gegen eine solche einschränkende Auslegung des § 19 Abs 3 Ärzte-ZV zB Hesral in Ehlers, Fortführung von Arztpraxen, 3. Aufl 2009, RdNr 422), lässt der Senat dahingestellt. Für die vorliegende Entscheidung kommt es darauf im Ergebnis nicht an, weil das MVZ seine Tätigkeit nicht nur "am falschen Ort", sondern innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten nach Zustellung des Bescheides über die Zulassung überhaupt nicht aufgenommen hat.

36

bb) Anders als bei einer Berufsausübungsgemeinschaft sind bei einem MVZ nicht die dort tätigen Ärzte Träger der Zulassung, sondern das MVZ selbst (vgl § 95 Abs 1 SGB V). Dem entsprechend richten sich Rechte und Pflichten bezogen auf die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 72 Abs 1, § 95 Abs 3 SGB V in erster Linie unmittelbar an das zugelassene MVZ(BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 14 RdNr 15 f mwN). Insbesondere für den Einsatz der Ärzte und für die Korrektheit der Abrechnung ist das MVZ selbst verantwortlich (BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 21). Dieser Struktur entsprechend ist bei der gemäß § 1 Abs 3 Nr 2 Ärzte-ZV gebotenen Anwendung des § 19 Abs 3 Ärzte-ZV auf MVZ nicht die Aufnahme (oder Fortführung) der Tätigkeit durch einzelne Ärzte maßgebend, sondern allein die Frage, ob das MVZ als Einrichtung, der die Zulassung erteilt worden ist, seine Tätigkeit innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung aufgenommen hat. Daran fehlt es hier.

37

Nach § 95 Abs 1 Satz 2 SGB V sind MVZ fachübergreifende ärztlich geleitete Einrichtungen in denen Ärzte, die in das Arztregister nach § 95 Abs 2 Satz 3 SGB V eingetragen sind, als Angestellte oder Vertragsärzte tätig sind. Der Begriff der Einrichtung wird im SGB V an verschiedenen Stellen verwendet aber nicht definiert. Zu fordern ist jedenfalls eine räumlich und sachlich abgrenzbare Einheit (so auch: Quaas in Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, 3. Aufl 2014, § 17 RdNr 11; Kaya, Rechtsfragen medizinischer Versorgungszentren, 2012, S 92; Konerding, Der Vertragsarztsitz im MVZ, 2009, 48; Dahm, in Dahm/Möller/Ratzel, Rechtshandbuch MVZ, 2005, Kap III RdNr 3). In dieser Einheit müssen nach § 95 Abs 1 Satz 2 SGB V Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen vertreten sein(zu der vorgesehenen, hier noch nicht maßgebenden gesetzlichen Änderung, nach der auf das Merkmal "fachübergreifend" verzichtet werden soll, vgl Art 1 Nr 41 Buchstabe a) aa) des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-VSG, BT-Drucks 18/4095). Ferner muss der ärztliche Leiter selbst in der Einrichtung tätig sein. Letzteres galt nach der Rechtsprechung des Senats (BSG Urteil vom 14.12.2011 - B 6 KA 33/10 R - MedR 2012, 695) bereits vor der ausdrücklichen Regelung in § 95 Abs 1 Satz 3 SGB V zum 1.1.2012 durch das Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG) vom 22.12.2011 (BGBl I 2983).

38

Eine Einrichtung, die dieser Definition auch nur in Ansätzen entsprechen würde, hat jedenfalls innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung des MVZ nicht existiert. Die Ärzte, die auf ihre Zulassung verzichtet hatten, um bei der Klägerin als angestellte Ärzte tätig zu werden, haben ihre Tätigkeit am Ort ihrer ursprünglichen Arztpraxen fortgesetzt. Weder unter der Anschrift, die mit der Zulassung als Sitz des MVZ bestimmt worden ist, noch an einem anderen Ort sind mehrere Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen im Rahmen einer räumlich und sachlich abgrenzbaren Einheit vertragsärztlich tätig geworden. Bereits weil es an einer Einrichtung im Sinne einer organisatorischen Einheit gefehlt hat, konnte ein ärztlicher Leiter nicht "in der Einrichtung" tätig sein. Der Umstand, dass die erbrachten ärztlichen Leistungen als solche des MVZ abgerechnet wurden und dass die Klägerin nach außen zB bei Überweisungen als MVZ aufgetreten sein mag, hat nicht zur Folge, dass von der Existenz eines MVZ ausgegangen werden könnte. Vielmehr hat die Klägerin die Existenz des MVZ auf diese Weise lediglich vorgetäuscht. Gerade solche bloß "virtuellen" Erscheinungsformen, die "bloß auf dem Papier" existieren, können nicht als Einrichtungen, iS des § 95 Abs 1 Satz 2 SGB V qualifiziert werden(vgl Dahm in Dahm/Möller/Ratzel, Rechtshandbuch MVZ, 2005, Kap III RdNr 4; Quaas in Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, 3. Aufl 2014, § 17 RdNr 11 mwN).

39

Damit steht fest, dass das MVZ seine Tätigkeit nicht innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Zustellung aufgenommen hat. Folge ist nach der insoweit eindeutigen Regelung des § 19 Abs 3 Ärzte-ZV, dass die Zulassung kraft Gesetzes geendet hat.

40

cc) Dagegen kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg einwenden, dass § 19 Abs 3 Ärzte-ZV im Zuge der Einführung der Bedarfsplanung als notwendige Regelung zur Feststellung des Versorgungsgrades eingeführt worden sei und deshalb nicht eingreifen könne, wenn die in dem MVZ angestellten Ärzte zwar nicht am Sitz des MVZ tätig geworden sind, aber die in der Bedarfsplanung zugrunde gelegte vertragsärztliche Versorgung tatsächlich gewährleistet haben. Zwar trifft es zu, dass die Regelung des § 19 Abs 3 Ärzte-ZV in einem Zusammenhang mit der Bedarfsplanung steht. Das wird bereits daran deutlich, dass die Vorschrift durch die Vierte Verordnung zur Änderung der Zulassungsordnung für Kassenärzte vom 20.7.1987 (BGBl I 1679) im Zusammenhang mit weiteren Regelungen zur Bedarfsplanung eingeführt worden ist und auch nur in den von Zulassungsbeschränkungen betroffenen Planungsbereichen Anwendung findet (vgl B 1.b bb, RdNr 26). Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass eine Beendigung der Zulassung nach § 19 Abs 3 Ärzte-ZV ausgeschlossen wäre, wenn innerhalb von drei Monaten nach Erteilung der Zulassung irgend eine ärztliche Tätigkeit ausgeübt wird, die tatsächlich zur Deckung des Behandlungsbedarfs auch von gesetzlich Versicherten beiträgt. Ausschlaggebend ist allein, ob gerade das MVZ, dem die Zulassung erteilt worden ist, seine Tätigkeit aufgenommen und damit von der ihm erteilten Zulassung Gebrauch gemacht hat. Das war hier aus den dargestellten Gründen nicht der Fall.

41

f) Der Bescheid des Beklagten war auch nicht deshalb teilweise aufzuheben, weil mit der Feststellung des Endes der Zulassung bereits auf den 11.3.2009, 24:00 Uhr, gegen das Verbot der reformatio in peius verstoßen würde. Zwar hat der ZA der Klägerin die Zulassung erst mit Bescheid vom 10.5.2010 "mit sofortiger Wirkung" entzogen und keine Feststellung zu einem bereits zuvor eingetretenen Ende der Zulassung getroffen. Die davon abweichende Entscheidung des Beklagten verstößt jedoch nicht gegen das Verbot der reformatio in peius.

42

aa) Das Verbot der reformatio in peius ist ein im Rechtsstaatsprinzip verankerter Grundsatz (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 37 RdNr 34), der auch im Verfahren vor den Zulassungsgremien gilt (vgl BSG SozR 3-2500 § 96 Nr 1 S 4; BSGE 71, 274 = SozR 3-1500 § 85 Nr 1). Der Begriff beschreibt die Veränderung der mit dem Widerspruch angegriffenen Verwaltungsentscheidung im Widerspruchsverfahren zuungunsten des Widerspruchsführers (BSGE 71, 274, 275 = SozR 3-1500 § 85 Nr 1 S 2). Der Umstand, dass der Berufungsausschuss mit dessen Anrufung funktionell ausschließlich zuständig wird (vgl BSG SozR 3-2500 § 96 Nr 1), begründet entgegen der Auffassung des Beklagten (S 17 f des Bescheides) keine Abweichung von diesem Grundsatz (zur entsprechenden Fragestellung in den Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 37 RdNr 34).

43

bb) Zur Begründung der Entscheidung, der Klägerin die Zulassung „mit sofortiger Wirkung“ zu entziehen, hat der ZA ua ausgeführt, dass ein Ende der Zulassung nach § 19 Abs 3 Ärzte-ZV nicht festgestellt worden sei, nachdem die Klägerin die Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit zum 1.10.2008 angezeigt habe. Die Zulassung eines MVZ erfolge für einen konkreten Vertragsarztsitz. Werde die Tätigkeit an diesem Vertragsarztsitz nicht aufgenommen, ende die Zulassung nach § 19 Abs 3 Ärzte-ZV. Isoliert betrachtet stelle § 19 Abs 3 Ärzte-ZV damit bereits einen Tatbestand für das gesetzliche Ende der Zulassung dar. Unter Bezugnahme auf ein Urteil des Senats vom 5.2.2003 (B 6 KA 22/02 R - SozR 4-2500 § 95 Nr 2) hat der ZA weiter ausgeführt, dass die Möglichkeit bestehe, die Zulassung nach § 95 Abs 6 SGB V zu entziehen, obgleich diese rechtlich nie wirksam geworden sei. Zu der Frage, ob die Zulassung zum Zeitpunkt der Entscheidung über deren Entziehung überhaupt noch bestanden hat oder ob diese bereits zuvor kraft Gesetzes endete, wird in dem Bescheid des ZA danach keine Regelung getroffen. Eine verbindliche, die Klägerin begünstigende Entscheidung dahin, dass er sich auf ein bereits vor dem Zeitpunkt der Entziehung eingetretenes Ende der Zulassung nicht berufen werde, kann der Entscheidung des ZA zur Entziehung der Zulassung "mit sofortiger Wirkung" nicht entnommen werden. Der ZA wäre daher auch für den Fall, dass der Bescheid über die Entziehung der Zulassung bestandskräftig geworden wäre, etwa im Zusammenhang mit einem späteren Streit um Honorarrückforderungen, nicht gehindert gewesen festzustellen, dass das Ende der Zulassung bereits vor der Entziehung kraft Gesetzes eingetreten ist (zum Ende der Zulassung wegen Erreichens der ehemals geltenden Altersgrenze für Vertragsärzte vgl den Beschluss des Senats vom 5.11.2003 - B 6 KA 56/03 B, Juris). Damit war auch der beklagte Berufungsausschuss durch die Entscheidung des ZA zur Zulassungsentziehung nicht gehindert festzustellen, dass die Zulassung bereits vor deren Entziehung gemäß § 19 Abs 3 Ärzte-ZV kraft Gesetzes geendet hat. Denn der Grundsatz der reformatio in peius steht nur einer Änderung des VA im Widerspruchsverfahren zu Lasten des Widerspruchsführers entgegen, die die Ausgangsbehörde aufgrund der Bindung des bereits erlassenen VA nicht mehr hätte vornehmen dürfen (vgl BSG Urteil vom 25.3.2015 - B 6 KA 22/14 R, RdNr 27 mwN, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen; BSGE 53, 284, 287 f = SozR 5550 § 15 Nr 1 S 4 f; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 85 RdNr 5). Der Vertrauensschutz darf also durch die Einlegung des Widerspruchs nicht eingeschränkt werden. Soweit dagegen die Behörde, die einen VA erlassen hat, auch nach dessen Bestandskraft berechtigt ist, ändernde Regelungen oder - wie hier - Feststellungen zu treffen, können diese ebenso im Widerspruchsverfahren getroffen werden (vgl BSGE 71, 274, 276 f = SozR 3-1500 § 85 Nr 1 S 3 f mwN). Für das Verfahren vor dem Berufungsausschuss gilt insofern nichts Anderes.

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cc) Im Ergebnis war der Beklagte an der im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellung zum eingetretenen Ende der Zulassung auch unter dem Gesichtspunkt der reformatio in peius nicht gehindert. Im Übrigen wirkt sich die Beantwortung der Frage, ob die Zulassung kraft Gesetzes entfallen oder aber entzogen worden ist, jedenfalls für die Zeit vor der Aufnahme der Tätigkeit des MVZ etwa im Mai 2010 sowie für die Zeit seit der gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht zum Nachteil der Klägerin aus.

45

(1) Soweit die Klägerin gegenüber der Beigeladenen zu 1. Leistungen abgerechnet hat, die tatsächlich nicht durch das MVZ erbracht worden sind, schützt die streitgegenständliche Zulassung die Klägerin ohnehin nicht vor Honorarrückforderungen: Ein die Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllendes MVZ, das sich die Zulassung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen verschafft hat, kann grundsätzlich nicht unter Berufung auf den dadurch erworbenen formalrechtlichen Status vertragsärztliche Leistungen erbringen und abrechnen (zur entsprechenden Fragestellung bei der Zulassung als Vertragsarzt: BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4, RdNr 23; BSGE 76, 153, 155 = SozR 3-2500 § 95 Nr 5 S 22 unter Hinweis auf BSG SozR 2200 § 368f Nr 1). Voraussetzung eines Anspruchs des MVZ auf Honorar ist unabhängig von der Zulassung, dass die abzurechnenden Leistungen im Übrigen in Übereinstimmung mit den rechtlichen Vorgaben erbracht wurden. Ein zugelassener Leistungserbringer kann grundsätzlich nur Leistungen abrechnen, die er selbst erbracht hat. Zwar kann das MVZ Leistungen nicht unmittelbar, sondern nur durch die dort tätigen angestellten Ärzte/Vertragsärzte erbringen. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Existenz des MVZ als ärztlich geleitete Einrichtung iS des § 95 Abs 1 Satz 2 SGB V grundlegende Voraussetzung für die Abrechnung erbrachter Leistungen durch das MVZ ist. Bereits für Leistungen, die ein Arzt nicht an dem Vertragsarztsitz (§ 24 Abs 1 Ärzte-ZV) erbracht hat, weil er seine Praxis ohne die erforderliche vorherige Genehmigung verlegt hat, steht ihm grundsätzlich kein Anspruch auf Vergütung zu (vgl BSG SozR 4-5520 § 24 Nr 2). Erst Recht können Leistungen eines MVZ, das zur Zeit der Erbringung der Leistung noch nicht existierte, nicht vergütet werden. In Betracht käme allenfalls eine Abrechnung durch die einzelnen Ärzte, die die Leistung erbracht haben. Voraussetzung wäre aber, dass diese über die erforderliche Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung verfügen. Im Ergebnis kann die im Bescheid des Beklagten getroffene Feststellung zum Ende der Zulassung daher keinen Einfluss auf den Vergütungsanspruch für Leistungen haben, die vor der Aufnahme des Betriebs des MVZ durch Angestellte der Klägerin erbracht worden sind.

46

(2) Auf der anderen Seite kann Vergütungsansprüchen der Klägerin - jedenfalls für die Zeit seit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage durch die ergangenen gerichtlichen Entscheidungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl BSG Beschluss vom 5.6.2013 - B 6 KA 4/13 B, MedR 2013, 826) - die Beendigung der Zulassung nicht entgegengehalten werden:

47

Der Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid die sofortige Wirkung nicht nur der (hilfsweisen) Entziehung der Zulassung, sondern auch der Feststellung des Endes der Zulassung mit Ablauf der Frist des § 19 Abs 3 Ärzte-ZV zum 11.3.2009, 24:00 Uhr, angeordnet. Bezogen auf die getroffene Feststellung zum Ende der Zulassung ist der Regelungsgehalt der Anordnung insofern zweifelhaft, als Rechtsbehelfe im Falle eines Verwaltungsakts, der eine durch Gesetz eingetretene Rechtsfolge lediglich deklaratorisch feststellt, ohnehin keinen Einfluss auf das Eintreten der Rechtsfolge haben können. Dies hat der Senat bereits bezogen auf das Ende der Zulassung wegen Erreichens der ehemals geltenden Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte entschieden (vgl BSGE 100, 43 = SozR 4-2500 § 95 Nr 14, RdNr 26 mwN). Für die deklaratorische Feststellung des Endes der Zulassung wegen Nichtaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit nach § 19 Abs 3 Ärzte-ZV kann insofern nichts anderes gelten als für die deklaratorische Feststellung des Endes der Zulassung wegen Erreichens einer Altersgrenze.

48

Vorliegend hat das SG gleichwohl im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entscheidung des Beklagten angeordnet. Das LSG hat die dagegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen und in der Begründung ua ausgeführt, dass die strengen Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des BVerfG zu Art 12 Abs 1 GG an den Sofortvollzug statusbeendender Entscheidungen im Vertragsarztrecht gestellt werden müssten, auch für die deklaratorische Feststellung des Endes der Zulassung nach § 19 Abs 3 Ärzte-ZV entsprechend gelten müssten. Dem ist nach Auffassung des Senats im Grundsatz zuzustimmen. Allerdings hätte dann nicht lediglich die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet werden dürfen, sondern zumindest auch eine einstweilige Anordnung nach § 86b Abs 2 SGG des Inhalts erlassen müssen, dass die Zulassung vorläufig zu verlängern bzw zu erteilen ist(so auch zu der entsprechenden Konstellation in Streitigkeiten um das gesetzliche Ende der Zulassung wegen Eintritts der ehemals geltenden Altersgrenze für Vertragsärzte: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss 28.11.2007 - L 7 B 153/07 KA ER - Juris RdNr 23; LSG Bayern Beschluss vom 11.7.2008 - L 12 B 1113/07 KA ER - Juris RdNr 15 f; Hessisches LSG Beschluss vom 25.6.2008 - L 4 KA 48/08 B ER - Juris RdNr 15; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 17.5.2005 - L 10 B 10/04 KA ER - GesR 2005, 378 und Beschluss vom 18.9.2007 - L 11 B 17/07 KA ER, Breith 2008, 81; Meschke in Bäune/Meschke/Rothfuß, Ärzte-ZV, Zahnärzte-ZV, 2007, § 28 RdNr 3; aA Kremer/Wittmann, Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, 2. Aufl 2015 RdNr 266).

49

Auch wenn das LSG im Tenor der Entscheidung den Beschluss des SG zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bestätigt hat, hat es in den Entscheidungsgründen eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass der Klägerin die Möglichkeit gegeben werden soll, bis zum Abschluss des Klageverfahrens von der ihr ursprünglich erteilten Zulassung Gebrauch zu machen und vertragsärztlich tätig zu sein. So haben soweit ersichtlich auch die Beteiligten die Entscheidung des LSG verstanden. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Gebots des effektiven Rechtsschutzes aus Art 19 Abs 4 GG muss die Entscheidung des LSG daher (auch) im Sinne einer Regelungsanordnung ausgelegt werden. Das aber hat zur Konsequenz, dass Vergütungsansprüchen der Klägerin jedenfalls für die Zeit seit dem Ergehen der gerichtlichen Anordnung und bis zum Abschluss des Revisionsverfahrens nicht entgegengehalten werden kann, dass sie nicht über eine Zulassung verfüge.

50

2. Da die der Klägerin erteilte Zulassung bereits gemäß § 19 Abs 3 Ärzte-ZV kraft Gesetzes geendet hat, kommt es nicht mehr darauf an, ob die Voraussetzungen der - von dem Beklagten hilfsweise verfügten - Entziehung der Zulassung vorgelegen haben. Wenn die Zulassung nicht bereits kraft Gesetzes entfallen wäre, wäre sie jedoch auch aufgrund der Entziehung beendet. Der Bescheid des Beklagten ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch insoweit nicht zu beanstanden.

51

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Zulassung ist § 95 Abs 6 Satz 1 SGB V, wonach diese unter anderem dann zu entziehen ist, wenn der Vertragsarzt seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Dieser Tatbestand gilt gleichermaßen für alle zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer; er gilt auch für ein MVZ, wie sich generell aus der Verweisung des § 72 Abs 1 Satz 2 SGB V und speziell aus dem Verhältnis des § 95 Abs 6 zu dessen Abs 1 SGB V ergibt(BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 22). Eine gröbliche Pflichtverletzung liegt nach der Rechtsprechung des Senats vor, wenn die Verletzung ein Ausmaß erreicht, dass das Vertrauen der vertragsärztlichen Institutionen in die ordnungsgemäße Behandlung des Versicherten und/oder in die Richtigkeit der Leistungsabrechnung so gestört ist, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zugemutet werden kann (stRspr, vgl BSGE 73, 234, 237 = SozR 3-2500 § 95 Nr 4 S 12 f; BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9, RdNr 10; BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 23 mwN). Dabei kommt es nicht darauf an, ob den Leistungserbringer ein Verschulden an der Zerstörung des Vertrauens trifft (vgl hierzu BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9, RdNr 10; BSGE 103, 243 = SozR 4-2500 § 95b Nr 2, RdNr 36; vgl auch BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 28 aE). Wenn das Vertrauensverhältnis zerstört ist, kann dies grundsätzlich nicht durch eine spätere gewissenhafte Pflichterfüllung kompensiert werden, sondern nur die Basis für den Aufbau einer neuen Vertrauensbeziehung bilden und so - im Wege eines neuen Zulassungsantrags und dessen Stattgabe - zur Wiederzulassung führen (BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 23).

52

Unter welchen Voraussetzungen bei einem MVZ von einer gröblichen Pflichtverletzung auszugehen ist, die die Entziehung der Zulassung rechtfertigt, hat der Senat in seiner Entscheidung vom 21.3.2012 (BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 24 ff; vgl dazu auch BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 22.3.2013 - 1 BvR 791/12, NZS 2013, 355) im Einzelnen dargelegt. Danach ist bei Pflichtverstößen zu unterscheiden, ob sie vorrangig oder ausschließlich in den Verantwortungsbereich des MVZ selbst fallen oder aber vorrangig in den Verantwortungsbereich der dort beschäftigten Ärzte. Das Fehlverhalten einzelner Ärzte im Bereich ihres Pflichtenkreises (zB Fehlverhalten gegenüber Patienten) muss nicht zwangsläufig die Entziehung der Zulassung zur Folge haben, wenn das MVZ glaubhaft machen kann, solche Verstöße weder gekannt noch geduldet zu haben. Dagegen trifft das MVZ die volle Verantwortung für die korrekte Organisation der Abläufe und für die Leistungsabrechnung.

53

Die hier in Rede stehenden Pflichtverletzungen betreffen den Pflichtenkreis der Klägerin und nicht den der einzelnen angestellten Ärzte. Der Betrieb des MVZ, der die Existenz dafür geeigneter Räume voraussetzt, fällt in die alleinige Verantwortung des MVZ selbst. Die der Klägerin vorzuwerfenden Pflichtverletzungen sind auch als gröblich zu bewerten. Entgegen der Auffassung des LSG ist der Klägerin nicht "allein der formelle Verstoß hinsichtlich des Ortes der Ausübung der ärztlichen Behandlung im Rahmen der Errichtungsphase des MVZ“ entgegenzuhalten. Vielmehr hat die Klägerin über einen Zeitraum von etwa 1 ½ Jahren Leistungen unter der Betriebsstättennummer einer Einrichtung abgerechnet, die tatsächlich nicht existierte. Darüber hinaus hat der Beklagte zutreffend dem Umstand besonderes Gewicht beigemessen, dass die Geschäftsführerin der Klägerin versucht hat, die Täuschung des ZA sowie der zu 1 beigeladenen KÄV auf konkrete Nachfrage durch wahrheitswidrige Angabe zur Existenz des MVZ und zum Ort der Leistungserbringung aufrechtzuerhalten. Dieses Verhalten ist ohne jeden Zweifel geeignet, das Vertrauen der KÄV in die korrekte Organisation der Leistungserbringung und -abrechnung der Klägerin so nachhaltig zu zerstören, dass ihr eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der Klägerin nicht mehr zuzumuten ist.

54

Entgegen der Auffassung des LSG rechtfertigt der Umstand, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten ihre Tätigkeit als MVZ in den Räumen des Ärztehauses aufgenommen hatte und dass sich der Sachverhalt so nicht mehr wiederholen kann, keine andere Bewertung. Die Entziehung der Zulassung erfordert keine Negativprognose für das künftige Verhalten des Leistungserbringers im Sinne einer Wiederholungsgefahr. § 95 Abs 6 Satz 1 SGB V ist nicht auf die Steuerung künftigen Verhaltens ausgerichtet, sondern regelt eine nachträgliche Reaktion auf ein in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten(BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 57). Die Klägerin hat im Übrigen deutlich erkennen lassen, dass sie in einer für sie schwierigen Situation - Zulassung ohne die Möglichkeit zu einer regelkonformen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit - nicht den Kontakt mit den Trägern der vertragsärztlichen Versorgung sucht, um mögliche Lösungen abzustimmen. Sie hat vielmehr gezielt und mit großer Energie den wirklichen Sachverhalt verschleiert und ZA sowie KÄV immer wieder getäuscht. Diese Ausrichtung des Verhaltens hat Wirkung über den Kontext der Zulassungssituation 2008/2009 hinaus, weil es nachhaltige Zweifel daran begründet, ob sich die Klägerin in Situationen, in denen die korrekte Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in Frage steht, kooperativ um eine Lösung bemühen würde. Die Klägerin hat deutlich gemacht, dass sie zur Sicherung ihrer wirtschaftlichen Interessen die von ihr tendenziell banalisierten Vorschriften über die vertragsärztliche Versorgung nicht beachtet. Damit ist auch zukunftsbezogen keine Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Trägern der vertragsärztlichen Versorgung gesichert.

55

Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats zum sog Wohlverhalten ist die Entscheidung des Beklagten entgegen der Auffassung des LSG nicht zu beanstanden. Das LSG hat nicht übersehen, dass der Senat seine Rechtsprechung aufgegeben hat, nach der zu prüfen war, ob der Arzt bzw das MVZ im Laufe des - der Entscheidung des Berufungsausschuss folgenden - gerichtlichen Verfahrens seine Eignung für die vertragsärztliche Tätigkeit durch sog "Wohlverhalten" zurückgewonnen hat (BSGE 112, 90 = SozR 4-2500 § 95 Nr 26).

56

Das LSG hat allerdings angenommen, dass die Maßstäbe aus der Rechtsprechung zum Wohlverhalten übergangsweise weiterhin anzuwenden seien, weil das BSG die Wirkung der Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung auf die Verfahren beschränkt habe, in denen die Entscheidung des Berufungsausschusses nach der Veröffentlichung des Urteils vom 17.10.2012 ergehe. Dies trifft indes nicht zu. Vielmehr hat der Senat den Vertrauensschutz weitergehend auf solche Fälle begrenzt, in denen die vom Senat für ein Wohlverhalten vorausgesetzte "Bewährungszeit" von im Regelfall fünf Jahren (vgl BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 55 mwN) seit der Entscheidung des Berufungsausschusses bereits verstrichen war (BSGE 112, 90 = SozR 4-2500 § 95 Nr 26, RdNr 56). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil der Zeitraum zwischen der Entscheidung des Beklagten (Beschluss/Bescheid vom 26.7.2010) und der Entscheidung des Senats vom 17.10.2012 fünf Jahre nicht erreicht. Selbst der Zeitraum zwischen der Entscheidung des Beklagten vom 26.7.2010 und der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht als letzter Tatsacheninstanz am 20.11.2013 (zur Bemessung des Zeitraums nur zwischen der Entscheidung des Berufungsausschusses bis zur Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz s BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9, RdNr 15 am Ende; BSGE 112, 90 = SozR 4-2500 § 95 Nr 26, RdNr 47; BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 55) betrug deutlich weniger als fünf Jahre, sodass bereits nach den Maßstäben, die der Senat in seiner - inzwischen aufgegebenen - Rechtsprechung zum Wohlverhalten entwickelt hatte, eine Wiederherstellung der Vertrauensbasis durch eine nachhaltige Verhaltensänderung nicht in Betracht gekommen wäre.

57

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die unterliegende Klägerin die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs 1 VwGO). Eine Erstattung der Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 6. ist nicht veranlasst; sie haben im gesamten Verfahren keine Anträge gestellt (§ 162 Abs 3 VwGO, vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 22. Februar 2012 und des Sozialgerichts Marburg vom 6. Oktober 2010 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens für alle Rechtszüge.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt höheres Honorar für ihre Leistungen im Quartal III/2009.

2

Die Klägerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) aus Fachärzten für Radiologie; sie hält einen Computertomographen (CT) und einen Magnetresonanztomographen (MRT) vor. Die BAG war zunächst seit April 2001 vertragsärztlich tätig; nachdem den ihr angehörenden Ärzten ab dem 16.12.2003 die Zulassung wegen Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit entzogen worden war, ist sie seit Ende Juni 2004 wieder vertragsärztlich tätig. Ihr gehörten seit 2001 und gehören auch wieder seit Ende Juni 2004 Dr. R. und Dr. O. an. Die BAG hatte ihren Standort stets im Landkreis D.-D., bis 2003 in O. und D., ab Mitte 2004 zunächst in G., ab Mai 2008 in M. und ab dem 28.7.2009 in W. Zum 1.1.2008 trat Frau Dr. J. als weitere Partnerin in die BAG ein; sie war bereits von 2005 an bis zum 30.6.2007 mit Praxissitz in Einzelpraxis in G.-U. ebenfalls im Landkreis D.-D. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen; diese Zulassung hatte vom 1.7. bis 31.12.2007 geruht. Mit Bescheiden vom September 2009 erteilte die Beklagte den Mitgliedern der Klägerin jeweils mit (Rück-)Wirkung zum 29.7.2009 die Genehmigung zur Abrechnung von CT- bzw MRT-Leistungen bzw für Frau Dr. J. auch von Leistungen der diagnostischen Radiologie und der MR-Angiographie. Die Ärzte der BAG waren vielfach außer in der vertragsärztlichen Versorgung auch für Krankenhäuser tätig.

3

Im Vorfeld der Verlegung des Standorts nach W. hatte die BAG eine Korrespondenz mit der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV). Diese teilte ihr mit Schreiben vom 2.10.2007 unter anderem mit, dass eine verbindliche Aussage zur Honorarverteilung im Folgejahr 2008 nicht möglich sei; sie könne Angaben nur insoweit machen, als sich an den jetzigen Bedingungen nichts grundlegend ändern würde. Die Klägerin werde an ihren Fallzahlen aus Vorquartalen gemessen; letztendlich habe sie jedoch immer Anspruch auf die durchschnittliche Fallzahl ihrer Fachgruppe; wenn sie diese Grenze nicht überschreite, werde im Rahmen der Fallzahlbegrenzungsregelung keine Kürzung vorgenommen.

4

Die Beklagte wies der Klägerin mit Schreiben vom 27.5.2009 für das Quartal III/2009 ein Regelleistungsvolumen (RLV) von 3700,09 Euro zu. Dem lag die Multiplikation der RLV-relevanten Fallzahl aus dem Quartal III/2008 - 90 Behandlungsfälle - mit dem arztgruppenspezifischen Fallwert zugrunde, zuzüglich eines 10 %igen BAG-Aufschlags. Mit Bescheiden vom 7.9.2009 und vom 8.10.2009 korrigierte sie das RLV auf schließlich 5860,69 Euro; sie führte dazu aus, dass sich diese Erhöhung aus der Anpassung der Fallwerte von Frau Dr. J., Herrn Dr. O. und Herrn Dr. R. entsprechend ihrer neuen Einstufung - in die Gruppe der Radiologen mit Vorhaltung von CT und MRT - ergebe. Das Honorar für das Quartal III/2009 belief sich auf 9244,12 Euro; der Berechnung lag die vorjährige Zahl von 90 Fällen zugrunde; die Fallzahl der Klägerin im Quartal III/2009 belief sich indessen auf 371 Fälle.

5

Die Klägerin beanstandete mit ihrem Widerspruch, dass ihr Honorar unter Zugrundelegung eines RLV nach der vorjährigen Zahl von nur 90 Behandlungsfällen bemessen werde, statt nach der in Wahrheit geleisteten Zahl von 371 Behandlungsfällen, was nach ihren Berechnungen einen Betrag von 40 600 Euro ergäbe. Nach Zurückweisung ihres Widerspruchs hat sie Klage erhoben. Das SG hat die Beklagte verurteilt, ihr RLV für das Quartal III/2009 neu zu bemessen: Wegen des Hinzutritts von Frau Dr. J. zum 1.1.2008 sei die von der Klägerin geführte Praxis als sog Aufbaupraxis mit Anspruch auf die Möglichkeit sofortigen Wachstums bis zum Fachgruppendurchschnitt anzusehen; damit sei es unvereinbar, ihre steigenden Fallzahlen erst mit einjähriger Verzögerung zu berücksichtigen (Urteil vom 6.10.2010).

6

Gegen dieses Urteil haben sowohl die Klägerin als auch die Beklagte Berufung eingelegt. Vor dem LSG haben sie am 22.2.2012 einen Teilvergleich geschlossen und die Berufung der Klägerin übereinstimmend für erledigt erklärt ( diese hatte sich gegen Vorgaben des Bewertungsausschusses und deren Umsetzung im Honorarverteilungsvertrag gewandt, die später vom BSG mit Urteil vom 21.3.2012, BSGE 110, 258 = SozR 4-2500 § 87a Nr 1 für rechtmäßig erklärt worden sind ). Die Beklagte, die ihre Berufung weitergeführt hat, hat beim LSG insoweit Erfolg gehabt, als dieses die Vorgaben für die Neubescheidung der Klägerin anders gefasst hat; im Übrigen hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das LSG hat die von der Klägerin geführte Praxis - anders als das SG - nicht als Aufbaupraxis angesehen; der Hinzutritt von Frau Dr. J. begründe keine neue Praxis. Die von der Klägerin geführte Praxis sei als (sonstige) unterdurchschnittlich abrechnende Praxis anzusehen, die die Möglichkeit haben müsse, binnen fünf Jahren durch Fallzahlerhöhungen den durchschnittlichen Umsatz der Fachgruppe zu erreichen. Dieser Wachstumsanspruch dürfe nicht unverhältnismäßig und unvertretbar eingeschränkt werden. Dies sei aber der Fall, wenn eine Fallzahlerhöhung erst mit einjähriger Verzögerung zur dementsprechenden Erhöhung des RLV führe. Dadurch erhalte eine Praxis bzw ein Arzt für ihre/seine Fälle zunächst nahezu keine Vergütung, weil für die Fälle über das RLV hinaus nur eine abgestaffelte Vergütung gezahlt werde. Dies genüge nicht dem vom BSG herausgestellten Erfordernis, dass unterdurchschnittlich abrechnende Praxen die Möglichkeit zu "effektiver Fallzahlerhöhung" haben müssten. Die Beklagte müsse unter Beachtung dieser Vorgaben ihren Honorarverteilungsvertrag (HVV) durch Regelungen für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen ergänzen und auf dieser Grundlage das Begehren der Klägerin nach höherem Honorar neu bescheiden (Urteil vom 22.2.2012).

7

Gegen dieses Urteil haben sowohl die Klägerin als auch die Beklagte Revision eingelegt.

8

Die Klägerin macht geltend, die von ihr geführte Praxis müsse entgegen dem Berufungsurteil als Aufbaupraxis anerkannt werden, wie das SG zutreffend ausgeführt habe. Sie habe ab dem 1.1.2008 eine neue Gestalt durch den Neueintritt von Frau Dr. J. bekommen, zumal diese ihre Qualifikationen für MRT, CT und MR-Angiographie in die Praxis eingebracht habe, was dem Übergang von einer Einzelpraxis in eine BAG ähnele. Die Eigenschaft einer Aufbaupraxis ergebe sich zudem aus der Verlegung ihres Standorts nach W. und ferner daraus, dass ihr erst dann - mit Bescheiden vom 7., 9. und 19.9.2009 - die CT- und MRT-Abrechnungsgenehmigungen ( für Frau Dr. J. auch die MR-Angiographie-Abrechnungsgenehmigung) erteilt worden seien. Jedenfalls müsse die Kumulation der genannten Faktoren zur Anerkennung als Aufbaupraxis führen. Zu den Aufbaupraxen im Sinne der Rechtsprechung des BSG gehörten nicht nur Anfängerpraxen, sondern auch solche, die sich neu formiert hätten. Angesichts der gravierenden Änderungen in der Praxis liege - in Anlehnung an den Tatbestand der Nr 3.5 im Abschnitt II des HVV - eine "Umwandlung der Kooperationsform" vor; überdies lägen - im Sinne der Nr 3.4 aaO HVV - wegen der von ihr nicht zu vertretenden baulichen Verzögerungen "unverschuldete" Umstände vor. Die Gleichstellung sei schließlich auch deshalb geboten, weil sie ohne Weiteres alternativ den Weg eines Zulassungsverzichts und einer Praxisnachfolge gemäß § 103 Abs 4 iVm Abs 6 Satz 2 SGB V( hier und im Folgenden jeweils in der im Quartal III/2009 geltenden Fassung ) hätte wählen können, dann wäre sie als Neupraxis behandelt worden.

9

Werde sie nicht als Aufbaupraxis anerkannt, so sei sie aber jedenfalls eine unterdurchschnittlich abrechnende Praxis; auch dann müssten die tatsächlichen Fallzahlen im hier betroffenen Quartal III/2009 ihrer Honorierung zugrunde gelegt werden. Zwar könne der Anspruch, das Honorar durch Fallzahlerhöhungen bis zum Durchschnitt der Fachgruppe steigern zu können, für die unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen, die keine Aufbaupraxen seien, auf fünf Jahre gestreckt werden; eine solche Regelung müsse aber normativ erfolgen, dazu gebe es im HVV der beklagten KÄV bisher keine Bestimmung. Der Wachstumsanspruch bestehe originär; solange er nicht ausgestaltet sei, bestehe er auch für die unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen ohne Beschränkung, dh im Sinne eines Anspruchs auf die Möglichkeit sofortiger Steigerung bis zum Durchschnitt der Fachgruppe. Mit diesem Anspruch sei die Regelung, dass Fallzahlerhöhungen sich erst nach einem Jahr für den Arzt honorarerhöhend auswirkten, nicht vereinbar. Eine Neubescheidung könne nicht damit begründet werden, dass der Anspruch auf die sofortige Wachstumsmöglichkeit durch nachträgliche Regelungen auf fünf Jahre gestreckt werden könne; eine solche rückwirkende Streckung wäre unzulässig.
Die Regelung, dass eine Fallzahlerhöhung erst mit einjähriger Verzögerung zur dementsprechenden Erhöhung des RLV führe, halte sich zudem nicht im Rahmen der gesetzlichen Regelungen über zulässige Zielsetzungen. Wie sich aus §§ 85 Abs 4 Satz 6 bis 8, 87b Abs 2 Satz 1, 87b Abs 3 Satz 2 Nr 4 SGB V ergebe und auch in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck komme, müssten die Regelungen darauf gerichtet sein, eine übermäßige Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit zu verhindern. Eine solche Ausrichtung liege dem sog einjährigen Moratorium nicht zugrunde.
Das Ergebnis, dass die Klägerin Anspruch darauf habe, sogleich durch Fallzahlerhöhungen ihr Honorar bis zum Durchschnitt der Fachgruppe steigern zu können, folge ferner aus dem Schreiben der Beklagten vom 2.10.2007. Diesem Schreiben sei eine Zusicherung im Sinne der Zuerkennung eines unbeschränkten Wachstumsanspruchs zu entnehmen, wie dessen Schlusssatz ( "Letztendlich haben Sie jedoch immer Anspruch auf die durchschnittliche Fallzahl") klarstelle. Mit der Wendung "immer Anspruch" habe die Beklagte zum Ausdruck gebracht, dass sie ihr die Wachstumsmöglichkeit unabhängig von der künftigen Gestaltung der Honorarverteilung und ohne Einschränkung in zeitlicher oder mengenmäßiger Hinsicht garantiere. Der KÄV sei bei Abfassung des Schreibens klar gewesen, dass ihr Schreiben eine wesentliche Grundlage für die Investitionsentscheidung sein werde, die sie - die Klägerin - dann im Umfang von mehr als 5 Mio Euro ins Werk gesetzt habe.
Für das Ergebnis, ihr für alle Behandlungsfälle des Quartals III/2009 angemessenes Honorar zu gewähren - und nicht nur nach Maßgabe der Fallzahl im entsprechenden Vorjahresquartal -, spreche auch, dass dies bei überschlägiger Betrachtung die Gesamtvergütung nicht zusätzlich belaste, vielmehr "vergütungsneutral" sei. Der Vergütung dieser Behandlungsfälle bei ihr stünden entsprechende Einsparungen bei anderen Ärzten, deren Patienten zu ihr gewechselt hätten, gegenüber. Honorarzahlungen an sie könnten auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit problematisch sein, weil Radiologen ohnehin nur jeweils auf Überweisung handelten.
Ferner sei auf § 87b Abs 2 Satz 3 Halbsatz 2 SGB V hinzuweisen, wonach bei "außergewöhnlicher Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten" - wie dies bei ihr der Fall gewesen sei - von der Abstaffelung der Vergütung für die das RLV übersteigende Leistungsmenge abgesehen werden könne.
Schließlich sei jedenfalls ein Härtefall im Sinne der Rechtsprechung des BSG gegeben. Die Voraussetzungen der Existenzgefährdung und des Sicherstellungsbedarfs lägen vor. Sie sei die einzige Praxis innerhalb des Planungsbereichs mit dem Angebot von CT- und MRT-Leistungen - zudem einschließlich Angio-MRT -. Die drohende Existenzgefährdung sei durch die von ihr erwirkten sozialgerichtlichen einstweiligen Anordnungen belegt. Sie - die Klägerin - darauf zu verweisen, sich mit einer Vergütung von weniger als 10 % für diejenigen Leistungsmengen zu begnügen, die über das RLV hinausgingen, sei unzumutbar; Härte-Ausgleichszahlungen seien nicht erfolgt. Schließlich liege eine Härte auch deshalb vor, weil sie aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 2.10.2007 die Berücksichtigung der Besonderheiten ihrer Neugründung habe erwarten können.

10

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 22.2.2012 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 6.10.2010 zurückzuweisen
sowie die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

11

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 22.2.2012 und des Sozialgerichts Marburg vom 6.10.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

12

Die Beklagte sieht ebenso wie das LSG die von der Klägerin geführten Praxis nicht als Aufbaupraxis. Diese ergebe sich weder aus dem Hinzutritt von Frau Dr. J. zum 1.1.2008 noch aus der Verlegung des Standorts der Praxis, der innerhalb desselben Planungsbereichs verblieben sei. Auch liege keine Praxisneugründung im Sinne der Regelungen des HVV vor. Die von der Klägerin geführte Praxis stelle eine unterdurchschnittlich abrechnende Praxis dar, die Anspruch auf Wachstum bis zum Fachgruppendurchschnitt nur binnen fünf Jahren habe. Dieser Anspruch könne ausgestaltet werden, und zwar auch mit einer Regelung, dass eine Fallzahlerhöhung erst mit einjähriger Verzögerung zur dementsprechenden Erhöhung des RLV führe. Die Steigerungsmöglichkeit müsse zwar effektiv und realistisch, aber nicht kontinuierlich sein; sie dürfe während eines gewissen Zeitraums vollständig ausbleiben, solange das Wachstum bis zum Fachgruppendurchschnitt binnen fünf Jahren möglich bleibe. Dies sei hier der Fall gewesen. Die Klägerin habe ihre Fallzahl bereits zum Quartal IV/2010 um ca 2300 Fälle erhöht, also bereits innerhalb von fünf Quartalen. Deshalb bestehe kein Regelungsdefizit und keine Grundlage für eine Verurteilung zur Neubescheidung. Auch nach den Regelungen des HVV könne die Klägerin kein höheres Honorar beanspruchen; Nr 3.4 und Nr 3.5 des Teils II des HVV griffen nicht ein. Ferner habe keine Zusicherung vorgelegen, wie das SG und das LSG zutreffend ausgeführt hätten. Schließlich sei auch kein Härtefall gegeben: Gravierende Verwerfungen der regionalen Versorgungsstruktur seien nicht ersichtlich. Auch eine Existenzgefährdung dürfte zu verneinen sein; der Hinweis der Klägerin auf die sozialgerichtlichen einstweiligen Anordnungen verfange nicht; das LSG habe keine Existenzgefährdung angenommen, sondern lediglich eine Güterabwägung vorgenommen.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Auf die Revision der Beklagten sind die Urteile des LSG und des SG aufzuheben, und die Klage ist abzuweisen. Der angefochtene Bescheid über das RLV der Klägerin im Quartal III/2009 ist rechtmäßig.

14

Rechtsgrundlage sind Regelungen, die der BewA auf der Grundlage des § 87b Abs 2 und 3 iVm Abs 4 Sätze 1 und 2 SGB V(in der Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007, BGBl I 378) normierte. Nach § 87b Abs 4 Sätze 1 und 2 SGB V hatte der BewA das Verfahren zur Berechnung und zur Anpassung der RLV nach den Abs 2 und 3 sowie Vorgaben zur Umsetzung von Abs 2 Satz 3 zu bestimmen. Nach dem Scheitern einer Einigung im BewA schuf der erweiterte Bewertungsausschuss - EBewA - (§ 87 Abs 4 SGB V) durch Beschluss vom 27./28.8.2008 (DÄ 2008, A 1988 - insoweit nicht geändert durch die nachfolgenden Änderungsbeschlüsse vom 17.9.2008, DÄ 2008, A 2604 iVm 2607, und vom 23.10.2008, DÄ 2008, A 2602, sowie nur redaktionell überarbeitet durch Änderungsbeschluss vom 20.4.2009, DÄ 2009, A 942) im Teil F Nr 3.2.1, 3.4 und 3.5 sog Basisregelungen: Diese sahen vor, dass für die Bemessung des RLV die Fallzahl im Vorjahresquartal maßgebend war (Nr 3.2.1 Satz 2), weiterhin, dass bei Überschreitung der fachgruppendurchschnittlichen Fallzahl um mehr als 50 % eine Abstaffelung des Fallwerts stattzufinden hat (aaO Satz 3) und dass Ausnahmen hiervon bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen geregelt werden können (aaO Nr 3.4). Ferner war geregelt, dass die KÄVen zusammen mit den Krankenkassen im Gesamtvertrag ergänzende Regelungen für Neuzulassungen und Kooperationsumwandlungen "zur Sicherung einer angemessenen Vergütung" gesamtvertraglich beschließen können (aaO Teil H Nr 5). Die Gesamtvertragspartner im Bezirk der beklagten KÄV konzentrierten sich bei der Ausformung des HVV darauf, in dessen Abschnitt II in Nr 3.2.1, 3.4 und 3.5 die zwingenden Bundesregelungen des dortigen Teils F Nr 3.2.1, 3.4 und 3.5 zu wiederholen. Sie trafen nur wenige ergänzende Regelungen im Sinne von Teil H Nr 5 (vgl dazu unten RdNr 57 ff); sie schufen keine ergänzenden Regelungen, die speziell auf Aufbau- und/oder sonstige unterdurchschnittlich abrechnende Praxen ausgerichtet waren.

15

Diese Regelungen des EBewA, deren wortlautgerechte Umsetzung in den angefochtenen Bescheiden der Beklagten von der Klägerin nicht in Frage gestellt wird, waren nicht zu beanstanden und unterlagen auch keinen Anwendungseinschränkungen im vorliegenden Fall. Die Ansicht der Klägerin, die von ihr geführte Praxis sei für das Quartal III/2009 noch als Aufbaupraxis zu behandeln und habe demgemäß Anspruch darauf, sogleich durch Fallzahlerhöhungen Honorar bis zum Durchschnitt der Fachgruppe zu erhalten, ist unzutreffend (unten 1.). Sie war vielmehr nur eine (sonstige) unterdurchschnittlich abrechnende Praxis, deren sog Anspruch auf Honorarsteigerung bis zum Fachgruppendurchschnitt dem Vorbehalt unterliegt, dass dies binnen fünf Jahren möglich sein muss; dabei darf ein Moratorium von einem Jahr für Fallzahlerhöhungen festgelegt werden, wie dies nach den RLV-Regelungen der Fall war (unten 2.). Das "Zusicherungs"-Schreiben der Beklagten vom 2.10.2007 kann das Begehren der Klägerin nicht stützen (unten 3.). Nach alledem könnte ein Anspruch auf höheres Honorar nur nach Maßgabe von Härtefall-Regelungen in Betracht kommen, deren Voraussetzungen aber nicht gegeben sind (unten 4.).

16

1. Die von der Klägerin geführte Praxis erfüllte im Quartal III/2009 nicht die Voraussetzungen einer Aufbaupraxis und hatte daher keinen Anspruch darauf, sogleich durch Fallzahlerhöhungen ihr Honorar bis zum Durchschnitt der Fachgruppe steigern zu können.

17

a) Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen die Möglichkeit haben müssen, zumindest den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen (stRspr, zusammenfassend BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 45 RdNr 23-33 und Nr 50 RdNr 14-16, jeweils mwN; vgl auch Senatsurteil vom 5.6.2013 - B 6 KA 32/12 R - RdNr 49, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Dem Vertragsarzt muss - wegen seines Rechts auf berufliche Entfaltung unter Berücksichtigung der sog Honorarverteilungsgerechtigkeit - die Chance bleiben, durch Qualität und Attraktivität seiner Behandlung oder auch durch eine bessere Organisation seiner Praxis neue Patienten für sich zu gewinnen und so legitimerweise seine Position im Wettbewerb mit den Berufskollegen zu verbessern. Daher ist allen Praxen mit unterdurchschnittlichen Umsätzen die Möglichkeit einzuräumen, durch Umsatzsteigerung jedenfalls bis zum Durchschnittsumsatz der Fachgruppe aufzuschließen und damit ihre Praxis zu einer mit typischen Umsätzen auszubauen (stRspr, zB BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 50 RdNr 14; BSG vom 5.6.2013, aaO RdNr 49).

18

Dies hat der Senat in zeitlicher Hinsicht dahingehend konkretisiert, dass Praxen in der Aufbauphase - die auf einen Zeitraum von drei, vier oder fünf Jahren bemessen werden kann - die Steigerung ihres Honorars auf den Durchschnittsumsatz sofort möglich sein muss, während dies anderen, noch nach der Aufbauphase unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen jedenfalls innerhalb von fünf Jahren ermöglicht werden muss (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 50 RdNr 15 mwN). Die Bemessung des Zeitraums der Aufbauphase erfolgt im HVV durch dessen Vertragspartner bzw in der Satzung über die Honorarverteilung durch die KÄV (vgl hierzu BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr 5, RdNr 23 mwN).

19

Zu diesen Grundsätzen hat der Senat weiterhin darauf hingewiesen, dass solche Honorarsteigerungen jedenfalls durch Fallzahlerhöhungen möglich sein müssen, während er dies für Honorarsteigerungen durch Fallwerterhöhungen offengelassen hat (vgl BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 45 RdNr 27; ebenso BSG vom 5.6.2013, aaO RdNr 52).

20

Die Weitergeltung dieser Grundsätze ist durch das Inkrafttreten der verpflichtenden Vorgabe, Regelleistungsvolumina vorzusehen (§ 85 Abs 4 Sätze 6 und 7 SGB V iVm der Übergangsregelung des BewA vom 29.10.2004 ), nicht in Frage gestellt worden. Dies hat der Senat in seinem Urteil vom 5.6.2013 - B 6 KA 32/12 R - klargestellt (RdNr 50 f ). Schon im Senatsurteil vom 3.2.2010 ( BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 50 ) ist angelegt, dass die genannten Grundsätze unabhängig von der Art der Honorarverteilungsregelungen gelten (aaO RdNr 16: "… zielt nicht auf bestimmte Honorarverteilungsregelungen, sondern auf das Ergebnis der Honorarverteilung"). Im Urteil vom 5.6.2013 ist weiterhin ausgeführt, dass die Schutzbedürftigkeit der unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen unabhängig von der Art der Honorarverteilungsregelungen besteht (aaO RdNr 50 ).

21

Die dargestellten Grundsätze haben auch im Zeitraum 2009-2011, in dem die Honorarverteilung durch die Regelungen des § 87b SGB V iVm den Vorgaben des BewA geprägt war(vgl oben RdNr 14), weiterhin Geltung ( so zB auch Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, K § 87b - Stand Oktober 2009 - RdNr 96-98). Dies folgt insbesondere daraus, dass sich der sog Wachstumsanspruch für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen - vor allem - auf den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit und damit auf Art 3 Abs 1 und 12 Abs 1 GG stützt; dadurch kommt ihm sowohl gegenüber Landes- als auch gegenüber Bundesrecht Geltungskraft zu, sodass er auch gegenüber der Rechtssetzung des BewA Wirkung entfaltet und bei der Auslegung der von diesem geschaffenen Rechtsnormen zu beachten ist. Dieses Ergebnis stimmt auch mit der Aussage im Senatsurteil vom 3.2.2010 ( SozR 4-2500 § 85 Nr 50 ) überein, dass Beschlüsse des BewA für sich genommen keine Benachteiligung von unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen bzw von Aufbaupraxen rechtfertigen können (aaO RdNr 25).

22

b) Eine Aufbaupraxis im Sinne dieser Grundsätze - mit dem Anspruch, sogleich durch Fallzahlerhöhungen ihr Honorar bis zum Durchschnitt der Fachgruppe steigern zu können - ist die von der Klägerin geführte Praxis im Quartal III/2009 nicht mehr gewesen.

23

Die genaue Bestimmung des Zeitraums des Aufbaus einer Praxis, bei der es sich um eine Erstzulassung - sog Anfängerpraxis - oder um eine Neuzulassung nach vorheriger vertragsärztlicher Tätigkeit in einem anderen Planungsbereich handeln kann, ist der Regelung im Honorarverteilungsmaßstab der KÄV - bzw im HVV zwischen der KÄV und den Krankenkassen - vorbehalten. Es kann festgelegt werden, ob der Anspruch auf sofortige Honorarsteigerung bis zum Durchschnittsumsatz der Arztgruppe für einen Zeitraum von drei, vier oder fünf Jahren bestehen soll.

24

Ob eine solche Regelung im vorliegenden Fall bestanden hat, ist nicht entscheidungsrelevant; denn die Klägerin war im Quartal III/2009 auch bei Zugrundelegung des maximal möglichen Zeitraums von fünf Jahren keine Aufbaupraxis mehr: Die Klägerin nimmt seit Ende Juni 2004 (nachdem Dr. R. und Dr. O ab dem 16.12.2003 wegen Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht mehr zugelassen waren) mit erneuter Genehmigung durch den Zulassungsausschuss als Gemeinschaftspraxis an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Damit war die Klägerin im Quartal III/2009 bereits mehr als fünf Jahre lang vertragsärztlich tätig, sodass die von ihr geführte Praxis in diesem Quartal nicht mehr als Aufbaupraxis angesehen werden kann.

25

c) Für den unter dem Gesichtspunkt der Aufbaupraxis maßgeblichen Zeitpunkt kann nicht auf einen späteren Zeitpunkt als Mitte 2004 abgestellt werden. Hierfür kommen weder (aa) der Eintritt von Frau Dr. J. in die BAG (1.1.2008) noch (bb) die Verlegung des Standorts mit Neuformierung der Praxis (Ende Juli 2009) noch (cc) die Erteilung der Abrechnungsgenehmigungen (vom September 2009 mit Wirkung ab dem 29.7.2009) in Betracht.

26

aa) Der Eintritt eines weiteren Arztes in eine BAG stellt keine Neuaufnahme vertragsärztlicher Tätigkeit dar.

27

(1) Bei der Neuformierung einer BAG durch Austritt oder Neueintritt eines Partners geht der Senat entsprechend der Rechtsprechung des BGH davon aus, dass die Gesellschaft bürgerlichen Rechts und die Partnerschaftsgesellschaft und gleichermaßen auch die BAG unverändert fortbesteht (BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 17; BSG vom 17.10.2012 - B 6 KA 39/11 R - RdNr 19; BSG vom 17.10.2012 - B 6 KA 41/11 R - RdNr 18; BSG vom 17.10.2012 - B 6 KA 42/11 R - RdNr 17; BSG vom 17.10.2012 - B 6 KA 44/11 R - RdNr 14; entsprechend der BGH-Rspr, vgl zB BGH vom 2.12.2010 - V ZB 84/10 - BGHZ 187, 344 = NJW 2011, 615, RdNr 13: "Der Wechsel der Gesellschafter der GbR ist … kein Fall einer Rechtsnachfolge, weil Schuldnerin … die GbR ist und ihre Stellung als Schuldnerin durch den Wechsel der Gesellschafter keine Änderung erfährt"; ebenso ferner BGH vom 24.2.2011 - V ZB 253/10 - NJW 2011, 1449 RdNr 16 ff). Dies gilt beim Eintritt eines neuen Partners unabhängig davon, wie lange dieser schon praktiziert hat. Eine BAG kann sich nicht durch Aufnahme eines jungen Partners "verjüngen" und so die Eigenschaft als Aufbaupraxis länger als fünf Jahre - oder gar durch regelmäßige Neueintritte junger Partner fortwährend - behalten. Vielmehr müssen sich auf der Grundlage der zitierten Rechtsprechung des Senats und des BGH die BAG und der Neueintretende darüber im Klaren sein, dass dieser sich durch den Eintritt in die BAG in diese einbindet. Damit kann der Verlust von bestimmten Vorteilen verbunden sein, wie etwa der bisherigen Position seiner Einzelpraxis als Aufbaupraxis, wenn nämlich die BAG, in die er eintritt, keine Aufbaupraxis mehr ist.

28

(2) Nach diesen Grundsätzen bewirkte der Eintritt von Frau Dr. J. in die von der Klägerin geführte Praxis keine Neugründung im Sinne einer Aufbaupraxis. Daran ändert das von der Klägerin vorgebrachte Argument nichts, sie hätte ohne Weiteres alternativ den Weg eines Zulassungsverzichts und einer Praxisnachfolge gemäß § 103 Abs 4 iVm Abs 6 Satz 2 SGB V wählen können, wonach das Vorliegen einer Neuzulassung - und damit einer Aufbaupraxis - unzweifelhaft gewesen wäre. Ein solcher nur hypothetisch möglicher Geschehensablauf, der nicht real beschritten wurde, kommt als Basis für eine Ausnahme vom Grundsatz der Kontinuität der BAG nicht in Betracht.

29

(3) Der Eintritt einer Ärztin in eine BAG gibt keinen Anlass zur Erörterung anders gelagerter Konstellationen, wie zB, ob die Rechte des Eintretenden aus der Eigenschaft seiner bisherigen Einzelpraxis als Aufbaupraxis dann weiter wirken könnten, wenn er - indem er sich mit anderen Einzelpraxisinhabern zusammenschließt - erst die BAG zur Entstehung bringt, oder, ob bei Austritt aller bisherigen Partner - und dadurch Umwandlung der BAG in Einzelpraxen - neue Aufbaupraxen entstehen können, oder, ob bei Ein- oder Austritt iVm der förmlichen Auflösung und Neuschaffung der BAG eine Aufbaupraxis anzunehmen wäre.

30

(4) Die Frage, ob bzw in welcher Weise bei Eintritt eines Arztes in eine BAG die ihr zuzurechnende, für das RLV maßgebende Fallzahl zu berechnen ist, bedarf hier - für das Quartal III/2009 nach dem Neueintritt zum 1.1.2008 - keiner näheren Erörterung. Die KÄV wird allerdings im ersten Jahr nach dem Eintritt eines Arztes in eine BAG das RLV für die BAG nicht allein nach deren Fallzahl im jeweiligen Vorjahresquartal berechnen dürfen, sondern eine zusätzliche Fallzahl für das neu eintretende Mitglied berücksichtigen müssen - was zB entweder durch eine Erhöhung der Fallzahl der BAG entsprechend dem Personenzuwachs in der BAG oder durch Hinzurechnung der vom Eintretenden zuvor erbrachten Fallzahlen erfolgen kann und was evtl normativ-schematisch durch die KÄV vorgegeben oder an der Gestaltung des konkreten Falles ausgerichtet werden kann -. Das bedarf jedoch keiner Vertiefung, weil Frau Dr. J. bereits am 1.1.2008 in die BAG eingetreten war und damals - da noch keine Fallzahlbegrenzungen wie ab dem 1.1.2009 in Kraft waren - die Fallzahl der BAG sogleich vergütungswirksam steigern konnte. Die von ihr erarbeiteten Fallzahlen flossen auch in die Vergütungsberechnungen ab dem Quartal I/2009 ein, ab dem die Fallzahlen des jeweiligen Vorjahresquartals maßgebend wurden. Ein Defizit bei der Berücksichtigung der von ihr erarbeiteten Fallzahl bestand also nicht. Daher waren keine Sonderregelungen zur Berücksichtigung zusätzlich von ihr geleisteter Behandlungsfälle erforderlich.

31

bb) Auch die Verlegung des Standorts der von der Klägerin geführten Praxis und deren grundlegend neue Ausstattung - Ende Juli 2009 - hat nicht zur Folge, dass die Klägerin erneut als Aufbaupraxis zu behandeln war. Denn Standortverlegungen innerhalb desselben Planungsbereichs lassen den Zulassungsstatus unberührt (vgl zB BSG SozR 3-2500 § 103 Nr 3 S 25 oben; BSGE 99, 218 = SozR 4-2500 § 103 Nr 3, RdNr 17 mwN).

32

Die Verlegung des Praxisstandorts erfolgte hier innerhalb desselben Planungsbereichs. Alle Praxissitze der Klägerin - O., D., G., M., W. liegen im Planungsbereich D.-D. Der Verlegung eines Praxisstandorts kommt auch nicht dann eine andere Qualität zu, wenn für die Neueinrichtung der Praxis erhebliche Investitionen vorgenommen werden (zum Investitionsvolumen von 6,5 Mio Euro vgl die Darstellung des SG Marburg im Urteil vom 6.10.2010 - S 11 KA 189/10 - S 6).

33

cc) Schließlich kann die Klägerin die Eigenschaft einer Aufbaupraxis auch nicht damit begründen, dass den für sie tätigen Ärzten mit Wirkung ab dem 29.7.2013 (neue) Abrechnungsgenehmigungen erteilt wurden. Zwar erlangt eine radiologische Praxis, deren Ärzte Genehmigungen zB zur Abrechnung von CT- bzw MRT-Leistungen und evtl zudem für Leistungen der diagnostischen Radiologie und der MR-Angiographie erhalten - wie bei der Klägerin geschehen -, dadurch zusätzliche Attraktivität (was die Zuerkennung höherer Fallwerte nach sich ziehen kann, vgl dazu Bescheid der Beklagten vom 8.10.2009). Rechtlich indessen ändert sich ihre Gestalt aber nicht. Sie bleibt rechtlich dieselbe BAG wie zuvor ( vgl oben aa = RdNr 27); der von der Klägerin gezogene Vergleich mit dem Übergang von einer Einzelpraxis zu einer BAG ist nicht zutreffend. Mithin ist ein rechtlicher Ansatzpunkt für eine Bewertung als Aufbaupraxis nicht gegeben.

34

2. Da die von der Klägerin geführte Praxis im Quartal III/2009 mithin keine Aufbaupraxis war, war sie nur eine (sonstige) unterdurchschnittlich abrechnende Praxis, die gemäß der unter 1.a) dargestellten Rechtsprechung ebenfalls Anspruch auf die Möglichkeit des Wachstums bis zum Fachgruppendurchschnitt hat, aber unter dem Vorbehalt, dass dafür ein Zeitraum von fünf Jahren zur Verfügung steht.

35

a) Wie oben dargestellt (vgl oben RdNr 14), war Bestandteil der Regelungen des EBewA - und inhaltsgleich auch Bestandteil der Vorschriften des HVV - die Bestimmung, dass für die Bemessung des RLV die Fallzahl im Vorjahresquartal maßgebend war (Nr 3.2.1 Satz 2 - hier und im Folgenden ohne Zusatz-Angabe, weil mit gleicher Nummerierung in den Regelungen des BewA und im HVV enthalten), weiterhin, dass bei Überschreitung der fachgruppendurchschnittlichen Fallzahl um mehr als 50 % eine Abstaffelung des Fallwerts stattzufinden hat (aaO Satz 3) und dass Ausnahmen hiervon bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen geregelt werden können (aaO Nr 3.4).

36

Das in Nr 3.2.1 Satz 2 normierte sog einjährige Moratorium ( zu diesem Begriff vgl BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 45 RdNr 33) hat seine Grundlage in der Sonderregelung des § 87b Abs 4 Satz 1 iVm Abs 2 Satz 2 SGB V, wonach der BewA zu Vorgaben für den Inhalt der RLV und zur Bestimmung des Verfahrens für deren Berechnung ermächtigt ist. Der BewA hat dabei ein gewisses Maß an Gestaltungsfreiheit, wie der Senat mehrfach im Zusammenhang mit anderen ihm eingeräumten Rechtssetzungsbefugnissen ausgesprochen hat ( stRspr, vgl zB BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53, RdNr 21 ff, 26, 29; BSGE 106, 56 = SozR 4-2500 § 85 Nr 54, RdNr 20 f; vgl auch BSG vom 9.5.2012 - B 6 KA 30/11 R - Juris RdNr 23 f und BSGE 111, 114 = SozR 4-2500 § 87 Nr 26, RdNr 28; vgl ferner BSG vom 6.2.2013 - B 6 KA 13/12 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2500 § 85 Nr 73 vorgesehen = RdNr 29).

37

§ 87b Abs 4 Satz 1 iVm Abs 2 Satz 2 SGB V scheidet als Rechtsgrundlage für die Regelung der Nr 3.2.1 Satz 2 über das einjährige Moratorium nicht etwa deshalb aus, weil das Moratorium mit diversen Vorgaben der §§ 85 ff SGB V nicht vereinbar sei bzw jedenfalls einschränkend ausgelegt werden müsse: Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Ausgestaltung der Regelungen für die RLV nicht auf die Zielsetzung der Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Arztes beschränkt, wie sie unter Anführung von § 85 Abs 4 Satz 6 und § 87b Abs 2 Satz 1 SGB V geltend macht. Der Benennung dieses Normzwecks in diesen Regelungen kommt kein Ausschließlichkeitscharakter in dem Sinne zu, dass allein diese Zielsetzung bei der Ausgestaltung der Regelungen für die RLV verfolgt werden dürfte. Eine solche Eingrenzung kann den Gesetzesvorschriften nicht entnommen werden und würde diese im Übrigen wegen der strengen Anforderungen an das Vorliegen einer übermäßigen Ausdehnung auch weitgehend funktionslos machen ( zu diesen Anforderungen vgl die Rspr-Zusammenfassung bei Clemens in Wenzel, Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, 3. Aufl 2013, Kap 13 RdNr 312 ff, 314). Vielmehr ist der BewA frei, bei der Ausgestaltung der Regelungen für die RLV auch andere legitime Ziele zu verfolgen, wie zB die Anreize für Fallzahlvermehrungen zur Honorarsteigerung zu mindern und dadurch die Gesamthonorarsituation zu stabilisieren sowie die Kalkulierbarkeit der Einnahmen aus vertragsärztlicher Tätigkeit zu verbessern ( vgl hierzu die BSG-Rspr zu den Individualbudgets, zB BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr 5, RdNr 10 mwN; ebenso zu den RLV BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 68 RdNr 37 und Nr 70 RdNr 29; vgl auch BSG vom 5.6.2013 - B 6 KA 32/12 R - RdNr 19 am Ende betr ergänzende Regelungen).

38

b) Unter Berücksichtigung dieser zulässigen Ziele darf der Anspruch der unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen auf Wachstum binnen fünf Jahren näher ausgestaltet werden. Dies schließt auch die Befugnis ein, das RLV nach der vorjährigen geringeren Fallzahl zu bemessen und somit den Wachstumsanspruch einem einjährigen Moratorium zu unterwerfen, wie dies der EBewA und die beklagte KÄV im Zusammenwirken mit ihren Vertragspartnern vorgesehen haben. Dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des Senats zu dem sog Wachstumsanspruch unterdurchschnittlich abrechnender Praxen, denen die Steigerung ihres Honorars bis zum Durchschnittsumsatz der Fachgruppe binnen fünf Jahren möglich sein muss.

39

Der Senat hat ausgeführt, dass es für diesen Wachstumsanspruch nicht ausreicht, den Fachgruppendurchschnitt irgendwie und irgendwann erreichen zu können, sondern dass es ihnen vielmehr möglich sein muss, die Steigerung bis zum Durchschnitt "in effektiver Weise" und in "realistischer Weise" zu erreichen ( BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 45 RdNr 32 und 33 am Ende; vgl auch BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 50 RdNr 18). Dies erfordert allerdings nicht die Möglichkeit kontinuierlicher Steigerung, sondern es kommt lediglich auf das Ergebnis - die Möglichkeit, den Durchschnittsumsatz zu erreichen - an ( BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 45 RdNr 32; SozR 4-2500 § 85 Nr 50 RdNr 16). Praxen mit unterdurchschnittlichem Umsatz müssen nicht von jeder Begrenzung des Honorarwachstums verschont werden ( BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr 5, RdNr 20 = Juris RdNr 27). Ein Anspruch darauf, dass die Gesamtzahl der in einem Quartal behandelten Fälle jeweils sogleich dem RLV für dieses Quartal zugrunde gelegt wird, besteht nicht. Bestimmungen, die ein Honorarwachstum innerhalb eines gewissen Zeitraums unterbinden, sind nicht ausgeschlossen ( BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 45 RdNr 32), sofern die Praxen in der nach Ablauf des Moratoriums verbleibenden Zeit noch die "effektive, dh realistische, Möglichkeit" haben, den Durchschnittsumsatz zu erreichen ( BSG aaO RdNr 33).

40

Bei Zugrundelegung dieses Maßstabs ist die Regelung der Nr 3.2.1 Satz 2 (inhaltsgleich in der Übergangsregelung des EBewA wie im HVV) nicht zu beanstanden. Die Bestimmung, dass für die Bemessung des RLV die Fallzahl im Vorjahresquartal maßgebend ist, hält sich in dem beschriebenen zulässigen Rahmen.

41

aa) Die Wirkungsweise dieser Regelung ist dadurch gekennzeichnet, dass Behandlungsfälle, die über die dem RLV zugrunde liegende vorjährige Fallzahl hinausgehen, eine "das RLV überschreitende Leistungsmenge" darstellen und nur "mit abgestaffelten Preisen zu vergüten" sind (Zitat aus § 87b Abs 2 Satz 3 Halbsatz 1, inhaltsgleich mit § 85 Abs 4 Satz 8 SGB V). Diese Behandlungsfälle führen gemäß Nr 3.2.1 Satz 2 erst im Folgejahr zur Vergrößerung des RLV und verzögern somit die Möglichkeit einer Praxis, durch Fallzahlerhöhungen den Durchschnittsumsatz der Fachgruppe zu erreichen. Da sie dies aber nur verzögern und, auf die Gesamtzeit der fünf Jahre gesehen, weder rechtlich noch faktisch verhindern, stellen sie im Sinne der Terminologie des BSG (SozR 4-2500 § 85 Nr 45 RdNr 32 f) ein nur vorübergehend wirkendes Moratorium dar, das insgesamt gesehen die Möglichkeit, den Durchschnittsumsatz der Fachgruppe zu erreichen, nicht in Frage stellt und deshalb rechtlich nicht beanstandet werden kann.

42

bb) Die Regelung, die eine Steigerung des vertragsärztlichen Umsatzes durch Fallzahlerhöhungen für ein ganzes Jahr weitgehend ausschließt, kann nicht als "unvertretbare und unverhältnismäßige" Beschränkung des Wachstumsanspruch der unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen - oder gar generell der Honoraransprüche der Ärzte - bewertet werden, wie das LSG meint. Diese Bewertung des LSG berücksichtigt nicht die Senatsrechtsprechung, die - beginnend im Jahr 1998 - es grundsätzlich gebilligt hat, bei langjährig betriebenen und etablierten Praxen davon auszugehen, dass Behandlungsumfang und Behandlungsweise nach Abschluss der Aufbauphase über einen längeren Zeitraum konstant bleiben und sich Schwankungen im Leistungsverhalten nur in begrenztem Ausmaß ergeben (vgl zB BSGE 83, 52, 57 = SozR 3-2500 § 85 Nr 28 S 206; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 44 S 364 f; BSGE 89, 173, 180 = SozR 3-2500 § 85 Nr 45 S 375 f).

43

Davon ausgehend, dass eine Praxis grundsätzlich eine Zeit lang an ihrem Praxis- und Honorierungsumfang festgehalten werden darf, ist das Moratorium von einem Jahr, soweit es nach Abschluss der Aufbauphase greift, nicht zu beanstanden. Durchgreifende Bedenken ergeben sich auch nicht bei Berücksichtigung des Wachstumsanspruchs unterdurchschnittlich abrechnender Praxen. Dem Arzt bleibt es unbenommen, mit seiner Praxis durch eine Fallzahlsteigerung ein höheres RLV für das Folgejahr zu erzielen und so - wie es den unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen möglich sein muss - im Gesamtzeitraum von fünf Jahren den Durchschnittsumsatz der Fachgruppe zu erreichen. Im Übrigen teilt der Senat die Bewertung der Regelungen durch das LSG als unvertretbar und unverhältnismäßig auch deshalb nicht, weil das Berufungsgericht dabei nur eine isolierte Betrachtung des Instruments des RLV und seiner Wirkungen vorgenommen hat und nicht, wie es erforderlich wäre, auch die weiteren Honorarregelungen für Sonderfälle in den Blick genommen hat. So ist zu beachten, dass im Allgemeinen auch Honorarregelungen für den Umgang mit sog Härtefällen bestehen, bzw, dass bei Fehlen einer ausdrücklichen Härteklausel diese in die Honorarbestimmungen hineinzuinterpretieren ist (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 66 RdNr 28-30; BSG MedR 2012, 413 RdNr 19). Bei Mitberücksichtigung der Härteklausel (zu dieser vgl unten RdNr 51 ff) kann die Bestimmung, die einen Mehrverdienst durch Fallzahlerhöhungen für ein ganzes Jahr weitgehend ausschließt, zumal deshalb nicht als "unvertretbar und unverhältnismäßig" bewertet werden, weil die Härteklausel gerade die Funktion hat, unverhältnismäßigen Nachteilen vorzubeugen, was insbesondere für atypische Konstellationen von Bedeutung ist.

44

cc) Die Entwicklung der Praxis der Klägerin belegt, dass trotz des einjährigen Moratoriums das Erreichen des Durchschnitts durchaus innerhalb von fünf Jahren möglich war. Sie hatte ihre Fallzahl, wie sie selbst angibt, innerhalb der recht kurzen Zeitspanne vom Quartal III/2009 (real 371 und für das RLV anerkannt 90 Fälle) bis zum Quartal IV/2010 (real 2827 und anerkannt 2427 Fälle) um 2450 bzw 2300 Fälle steigern und zugleich ihre Honorareinnahmen von ca 9600 auf ca 111 500 Euro im Quartal erhöhen können. Damit war sie ausgehend von einer Fallzahl, die weniger als 10 % des Fachgruppendurchschnitts betragen hatte (371 bzw 90 Fälle im Vergleich zum Durchschnitt mit 1242 Fällen je Arzt, was für eine BAG aus drei Ärzten 3726 Fälle ergibt), in dem kurzen Zeitraum von eineinviertel Jahren schon recht nahe an die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe der Radiologen herangekommen (zur Zahl von 1242 Fällen je Arzt in Hessen im Zeitraum der Quartale I/2009 bis I/2012 vgl KÄBV, Honorarbericht im Internet mit dem Link http://www.radiologen-foren.de/rwf/node/863).

45

c) Die Regelung der Nr 3.2.1 Satz 2 über das einjährige Moratorium für die Vergütung erhöhter Fallzahlen ist entgegen der Ansicht der Klägerin ferner nicht mit den gesetzlichen Bestimmungen unvereinbar, wonach bei der Bestimmung der RLV der Leistungsumfang des Vertragsarztes zugrunde zu legen (so § 85 Abs 4 Satz 3 SGB V) bzw sein Tätigkeitsumfang zu berücksichtigen (so § 87b Abs 3 Satz 2 Nr 4 SGB V) ist. Beide Regelungen enthalten keine strikten Vorgaben; sie lassen vielmehr mit ihren Begriffen (zugrundelegen bzw berücksichtigen) Raum für Modifizierungen (vgl dazu die Rspr zu den vielfältigen Vorgaben in § 85 Abs 4 SGB V, zB BSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr 22, RdNr 28; BSGE 96, 53 = SozR 4-2500 § 85 Nr 23, RdNr 24; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 28 RdNr 12 am Ende) .

46

d) Erfolglos ist schließlich der Einwand der Klägerin, dass insofern ein Normwiderspruch bestehe, als unterschiedliche Abstaffelungsregelungen bestünden. Während Nr 3.2.1 Satz 3 (der BewA-Regelung) bzw Satz 4 (des HVV) eine Abstaffelung des Fallwerts erst bei Überschreitung der fachgruppendurchschnittlichen Fallzahl um mehr als 50 % vorsah, normierten §§ 85 Abs 4 Satz 8 und 87b Abs 2 Satz 3 Halbsatz 1 SGB V eine Abstaffelung bei Überschreitung der durch das RLV abgedeckten Leistungsmenge, und Nr 3.2.1 Satz 2 sah ein einjähriges Moratorium schon bei Überschreitung der vorjährigen Fallzahl vor. Ein Normwiderspruch steht indessen nicht in Frage; die Regelungen stehen vielmehr nebeneinander. Die erstgenannte betrifft die Konstellation der Überschreitung der fachgruppendurchschnittlichen Fallzahl um mehr als 50 %, die zweitgenannten Bestimmungen betreffen die Überschreitung der durch das RLV abgedeckten Leistungsmenge, und die letztgenannte Regelung bewirkt ein einjähriges Moratorium bei Überschreitung der vorjährigen Fallzahl. Ob das Nebeneinander dieser verschiedenen Regelungen sinnvoll und zweckmäßig ist, kann offenbleiben; die Gerichte haben nicht zu überprüfen, ob der Normsetzer die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Regelung getroffen hat (stRspr, vgl zB BVerfGE 83, 111, 117; 130, 263, 294; 131, 239, 258; BSGE 86, 242, 248 = SozR 3-2500 § 101 Nr 5 S 31). Rechtswidrig ist das Nebeneinander der verschiedenen Regelungen jedenfalls nicht. Im Fall der Klägerin stehen im Übrigen nur die zwei letztgenannten Regelungen in Rede (zu diesen vgl oben RdNr 41). Der erstgenannte Tatbestand einer Überschreitung der fachgruppendurchschnittlichen Fallzahl um mehr als 50 % kann bei einer unterdurchschnittlich abrechnenden Praxis wie derjenigen der Klägerin ersichtlich nicht betroffen sein.

47

3. Auch das von der Klägerin angeführte Schreiben der Beklagten vom 2.10.2007 kann ihr Begehren nach höherer Vergütung für das Quartal III/2009 nicht stützen. Diesem Schreiben lässt sich entgegen der Ansicht der Klägerin keine "Zusicherung" im Sinne des § 34 SGB X bezogen auf die Honorierung im Quartal III/2009 entnehmen. Das Schreiben vom 2.10.2007 auszulegen, steht in der Kompetenz des Senats (unstreitig, vgl zur Auslegung von Verwaltungsakten zB BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 11 RdNr 20 mwN und BVerwGE 142, 179 RdNr 24; vgl auch BVerwGE 126, 149 RdNr 52; 126, 254 RdNr 79). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Schreiben nur eine schlichte Mitteilung darstellt oder ob es als Verwaltungsakt im Sinne einer Zusicherung angesehen werden kann. Jedenfalls können ihm nur Aussagen bezogen auf das Jahr 2007 entnommen werden.

48

Der Wendung "Somit kann ich nur Angaben machen, wie die Honorarverteilung aussehen würde, wenn sich an den jetzigen Bedingungen nichts grundlegend ändern würde", kommt zentrale Bedeutung zu. Mit diesem Satz, der den ersten Absatz abschließt und dem weitere Detailausführungen nachfolgen, wird klargestellt, dass diese weiteren Ausführungen nur auf der Grundlage des damals bestehenden Rechtszustands Geltung beanspruchen; ihm können keine bindenden Aussagen für spätere geänderte Rechtslagen entnommen werden. In dem ersten Absatz ist bereits ausdrücklich gesagt, dass eine verbindliche Aussage schon nicht für das Folgejahr 2008 möglich ist, sodass der Schluss zwingend ist, dass dem Schreiben erst recht keine verbindliche Aussage für das hier betroffene Jahr 2009 entnommen werden kann. Diese einschränkende Auslegung im Sinne einer Verbindlichkeit nur für die im Zeitpunkt des Schreibens geltende Honorierungssystematik gilt auch für den von der Klägerin angeführten Satz, der sinngemäß besagt, dass sie als unterdurchschnittlich abrechnende Praxis immer Anspruch auf die Möglichkeit des Wachstums bis zur durchschnittlichen Fallzahl ihrer Fachgruppe habe. Auch dieser Satz steht unter dem Vorbehalt des Satzes, der den ersten Absatz abschließt und betont, dass alle nachfolgenden Aussagen nur für den damals - im Oktober 2007 - bestehenden Rechtszustand Geltung beanspruchen.

49

Der Annahme einer Bindungswirkung für das hier betroffene Quartal III/2009 steht im Übrigen auch die in § 34 Abs 3 SGB X normierte "clausula rebus sic stantibus" entgegen; denn zum 1.1.2009 erfolgten gravierende Änderungen im Honorarsystem.

50

Auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes könnte sich nichts anderes ergeben, denn die Klägerin hätte sich auf diese Änderungen in ihren Grundzügen einstellen können und müssen: Diese waren schon bekannt, als die Klägerin ihre Praxis neu formierte (mit ihren erheblichen Investitionen für den neuen Standort ab Juli 2009). Die Grundlagen waren nämlich schon im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26.3.2007 (BGBl I 378) geregelt worden, und die maßgeblichen Detailregelungen, insbesondere das einjährige Moratorium für die Bewirkung einer Erhöhung des RLV durch Fallzahlerhöhungen, waren im Beschluss des EBewA vom 27./28.8.2008 enthalten (veröffentlicht im DÄ vom 19.9.2008, A 1988 - Teil F Nr 3.2.1).

51

4. Die Klägerin kann schließlich auch nicht aufgrund einer sog Härteklausel höheres Honorar beanspruchen. Das Vorliegen eines Härtefalls ist unabhängig davon zu prüfen, ob die Honorarbestimmungen eine solche Klausel ausdrücklich enthalten oder nicht. Soweit eine Härteklausel fehlt oder zwar besteht, aber eng gefasst ist, ist eine umfassende Härteklausel in die Honorarbestimmungen hineinzuinterpretieren (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 66 RdNr 28; BSG MedR 2012, 413 RdNr 19). Indessen ist in einer Konstellation wie hier kein Härtefall gegeben.

52

a) Eine Härte kann nur aus Umständen hergeleitet werden, die der Betroffene nicht zu vertreten hat. Indessen hätte die Klägerin um die ab dem 1.1.2009 geltende neue Honorierungssystematik wissen können bzw müssen, wie vorstehend ausgeführt ist. Ebenso wenig kann eine Härte wegen des Schreibens der KÄV vom 2.10.2007 angenommen werden; denn diesem kann eine günstige Aussage, bezogen auf das Quartal III/2009, nicht entnommen werden, wie oben dargelegt worden ist (vgl oben RdNr 47 ff).

53

Ein von der Klägerin nicht zu vertretender, als Härte in Betracht kommender Umstand ergibt sich auch nicht bei Einbeziehung des Umstandes, dass die spätere geringe Honorierung im Quartal III/2009 ihren Ursprung schon vorher, nämlich in der geringen Fallzahl im Quartal III/2008 - iVm dem einjährigen Moratorium für die Bewirkung einer Erhöhung des RLV durch Fallzahlerhöhungen -, hatte. Zwar konnte die Klägerin während ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit im Quartal III/2008 noch nicht wissen, dass sich die dabei erzielte Fallzahl begrenzend auf ihr Honorar für das Quartal III/2009 auswirken würde (der Beschluss des EBewA vom 27./28.8.2008 wurde erst gegen Ende des Quartals bekannt gemacht, siehe DÄ vom 19.9.2008, A 1988 - Teil F Nr 3.2.1). Dieses Nichtwissen ist aber nicht schutzwürdig. Vielmehr ist es dem unternehmerischen Risiko des Vertragsarztes zuzurechnen, wie er seine Praxistätigkeit gestaltet, insbesondere auch, in welchem Umfang er vertragsärztlich tätig werden will. Wenn die Klägerin bzw die ihr angehörenden Ärzte nur in geringem Umfang vertragsärztlich tätig geworden sind (vgl oben RdNr 44 mit Hinweis auf die Quote von weniger als 10 % der durchschnittlichen Fallzahl) - aus welchen Gründen auch immer: sei es, dass ihnen der Patientenzulauf fehlte, dass ihnen die Zuweisungen von Patienten durch andere Ärzte fehlten, dass sie sich auf Privatpatienten konzentrierten, dass sie insgesamt nur geringfügig ärztlich tätig werden wollten oder dass sie ihren Schwerpunkt in Tätigkeiten für Krankenhäuser sahen -, so ist dies ihrem Verantwortungs- und Risikobereich zuzuordnen. Ihrem Risikobereich ist es auch zuzurechnen, wenn sich daraus aufgrund zwischenzeitlicher Neugestaltung der Honorierungssystematik honorarbegrenzende Auswirkungen für das Folgejahr ergaben.

54

b) Zudem waren auch die in der Senatsrechtsprechung für Härtefälle herausgestellten Voraussetzungen, Existenzgefährdung und Sicherstellungsbedarf (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 66 RdNr 29 f), nicht gegeben. In der vorliegenden Konstellation bestanden weder für eine Existenzgefährdung noch für einen Sicherstellungsbedarf ausreichende Anhaltspunkte.

55

Das Vorliegen einer Existenzgefährdung ist von der Klägerin nicht substantiiert dargelegt worden. Sie führt dafür als Beleg vor allem den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Hessische LSG an (Beschluss des LSG vom 21.12.2009 - L 4 KA 77/09 B ER -). Hier hat das LSG indessen auf eine Diskrepanz zwischen der Zahl anerkannter RLV-relevanter Fälle und der tatsächlichen Zahl der Behandlungsfälle abgestellt, nicht aber auf den umfassenderen Gesichtspunkt einer Existenzgefährdung. Hinreichende Anhaltspunkte hierfür haben auch weder die Vorinstanzen festgestellt noch die Klägerin vorgetragen.

56

Auch für einen Sicherstellungsbedarf liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte vor. Das Vorbringen der Klägerin, die von ihr geführte radiologische Praxis sei die einzige im Planungsbereich Landkreis D.-D., die mit einem CT und einem MRT ausgestattet sei, reicht nicht aus. Die Praxis liegt in der Stadt W. in unmittelbarer Nachbarschaft von Da., wo sich mehrere radiologischen Praxen, auch mit Großgeräten, befinden (vgl auch BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 69 RdNr 25 zum Kriterium gravierende Verwerfungen der regionalen Versorgungstruktur).

57

c) Auch die Sondertatbestände, die über regelhafte Härtetatbestände hinausgehen - die zu normieren bzw zu ergänzen, den dafür zuständigen Rechtssetzungsinstanzen unbenommen ist (so die ausdrückliche Klarstellung in Teil H Nr 5 der EBewA-Regelung) -, können das Begehren der Klägerin nicht stützen.

58

Der Tatbestand der Nr 3.4 (der EBewA-Regelung und des HVV) sieht Ausnahmen von der Regelung der Nr 3.2.1 Satz 3 bzw 4 vor, nach der der Fallwert bei Überschreitung der fachgruppendurchschnittlichen Fallzahl um mehr als 50 % abgestaffelt wird. Durch diese Anknüpfung ist kein Raum für die Anwendung der Nr 3.4 im Fall der Klägerin, denn bei dieser als einer unterdurchschnittlich abrechnenden Praxis steht eine Überschreitung der fachgruppendurchschnittlichen Fallzahl um mehr als 50 % nicht in Rede.

59

Auch die Regelung der Nr 3.5, die Ausnahmen von der Regelbemessung der RLV in den Fällen von Neuzulassungen und Umwandlungen der Kooperationsform ermöglicht, ist nicht anwendbar. Wie auch die Vorinstanzen ausgeführt haben, liegt keiner dieser Fälle vor. Die BAG ist gerade kontinuierlich erhalten geblieben, wie ausgeführt worden ist (vgl oben RdNr 26 ff).

60

Ohne Erfolg bleibt die Klägerin schließlich auch mit ihrem Hinweis auf § 87b Abs 2 Satz 3 Halbsatz 2 SGB V, wonach bei "außergewöhnlicher Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten" - wie dies bei ihr der Fall gewesen sei - von der Abstaffelung der Vergütung für die das RLV übersteigende Leistungsmenge abgesehen werden könne. Ob für die Bestimmung des § 87b Abs 2 Satz 3 Halbsatz 2 SGB V überhaupt noch Anwendungsraum neben den vorgenannten Tatbeständen der Nr 3.4 und Nr 3.5 ist - oder ob diese eine abschließende Konkretisierung jener Bestimmung darstellen -, kann offenbleiben. Denn der Tatbestand des § 87b Abs 2 Satz 3 Halbsatz 2 SGB V ist ohnehin nicht erfüllt. Er ist nach seinem Sinn und Zweck darauf zugeschnitten, dass ein Arzt, der aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen eine außergewöhnlich stark erhöhte Fallzahl hat - entweder starker Patientenzulauf im neuen oder aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen geringe Fallzahl im Vorjahresquartal -, nicht mit nur abgestaffelten Preisen abgefunden werden soll (Vießmann in Spickhoff, Medizinrecht, 2011, Ordnungsnr 500, SGB V § 87a-87c RdNr 48; vgl auch Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, K § 87b - Stand Oktober 2009 - RdNr 24 f; Freudenberg in Schlegel/Voelzke/Engelmann, JurisPK SGB V, 2008, § 87b RdNr 29 f; ausführlich - mit Hinweis auf die spätere konkretisierende Regelung des BewA vom 22.9.2009 - Rompf in Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, SGB V § 87b - Stand April 2010 - Anm C 87b-6; ferner Hencke in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, SGB V § 87b - Stand Juli 2010 - RdNr 5). Ein solcher Fall liegt bei der Klägerin nicht vor. Außergewöhnlich ist im Fall der Klägerin nicht die Erhöhung ihrer Fallzahl zum Quartal III/2009, sondern außergewöhnlich war ihre geringe Fallzahl im Quartal III/2008 (BAG aus drei Radiologen mit nur 90 Behandlungsfällen im Quartal), ohne dass auch nur ansatzweise erkennbar ist, dass hierfür Umstände maßgeblich gewesen sein könnten, die von der Klägerin nicht zu vertreten sind. Die damals atypisch geringe Fallzahl ist ihrer eigenen unternehmerischen Entscheidung zuzurechnen, nur in geringem Umfang vertragsärztlich tätig zu werden.

61

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Klägerin als der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens für alle Rechtszüge (§ 154 Abs 1 VwGO).

(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben; die §§ 184 bis 195 finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung sind entsprechend anzuwenden. Wird die Klage zurückgenommen, findet § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung keine Anwendung.

(2) Dem Beigeladenen werden die Kosten außer in den Fällen des § 154 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung auch auferlegt, soweit er verurteilt wird (§ 75 Abs. 5). Ist eine der in § 183 genannten Personen beigeladen, können dieser Kosten nur unter den Voraussetzungen von § 192 auferlegt werden. Aufwendungen des Beigeladenen werden unter den Voraussetzungen des § 191 vergütet; sie gehören nicht zu den Gerichtskosten.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, soweit sie an Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Trägern beteiligt sind.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

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Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheids zur Errichtung einer Lagerhalle.

2

Die Klägerin ist eine GmbH und seit 1960 Betreiberin der Hafenbetriebe Ludwigshafen am Rhein. Der Hafen, der im Staatsanzeiger Rheinland-Pfalz als Hafengebiet ausgewiesen ist, besteht aus mehreren Hafenteilen: Nordhafen, oberer und unterer Stromhafen, Mundenheimer Altrheinhafen (Ölhafen), Luitpoldhafen und Kaiserwörthhafen.

3

Auf der zum Luitpoldhafen gehörenden Parkinsel hat die Klägerin das 246.159 m² große Grundstück in der Hafenstraße, Flurstück-Nr. ..., vom Land Rheinland-Pfalz gepachtet. Das Grundstück befindet sich am Rheinufer westlich der Hafenstraße und liegt bisher im unbeplanten Innenbereich. Allerdings hat der Stadtrat der Beklagten in seiner Sitzung vom 7. April 2014 einen Aufstellungsbeschluss gefasst. Nach dem Bebauungsplanverfahren 644 „Luitpoldhafen Süd“ soll u.a. auf dem streitgegenständlichen Gelände eine Misch- bzw. gewerbliche Bebauung zulässig sein. Eingeschränkt wird danach die gewerbliche Nutzung auf nicht wesentlich störende gewerbliche Nutzung (wie etwa Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude).

4

Auf dem genannten Grundstück befand sich eine Lagerhalle, die bei einem Großbrand am 22. Juni 2013 zerstört wurde. Für das Gebäude war am 12. Mai 1969 die Genehmigung erteilt worden, eine Lagerhalle für die Lagerung von herab getrocknetem Getreide in loser Schüttung zu errichten. Am 26. November 1971 hatte die Klägerin eine Änderungsgenehmigung u.a. für die Lagerung von Kunststoffen erhalten.

5

Bei dem Großbrand 2013 brannte die Lagerhalle, in der von einer Spedition im Auftrag der BASF SE 4.800 Tonnen Kunststoffgranulat gelagert wurde, bis auf wenige Stellen vollständig ab. Brandursache war vermutlich ein technischer Defekt an der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. Nahezu alle tragenden Teile des Gebäudes verloren infolge der Temperatureinwirkungen ihre Tragfähigkeit und Stabilität und stürzten größtenteils ein. Das Grundstück wurde inzwischen vollständig abgeräumt. Ausschließlich die Bodenplatte der ehemaligen Lagerhalle besteht noch.

6

Nördlich an das Gelände mit der ehemaligen Lagerhalle schließt der C + C Edeka Großmarkt an (Hafenstraße ...), der im Norden an die Schwanthaler Allee angrenzt. Südlich des streitgegenständlichen Geländes befinden sich Bürogebäude und zahlreiche Gewerbebetriebe, die zum Teil in der Logistikbranche tätig sind. Westlich der Hafenstraße stehen zweigeschossige Wohngebäude mit ausgebauten Dachgeschossen, und zwar in Form von Häusergruppen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Lagepläne und Lichtbilder in den Verwaltungs- und der Gerichtsakte verwiesen.

7

Am 23. Dezember 2013 stellte die Klägerin eine Bauvoranfrage zum Wiederaufbau der durch das Brandereignis zerstörten Halle mit erdgeschossiger Lagerfläche und integrierten Büroflächen im Erdgeschoss und Obergeschoss mit den Maßen 170 x 56 x 7,45 m und einer Gesamtnutzfläche von 9.485,20 m². Zur Nutzung wurde im Antrag angegeben: „Die gelagerten Güter in der Lagerhalle werden, wie bisher genehmigt, in erster Linie aus Kunststoffen der BASF SE bestehen. [...] Auf der Dachfläche wird die genehmigte Photovoltaikanlage wiederinstalliert. Ausführung, Material, Brandschutz und Abstandsflächen sollen nicht geändert werden.“

8

Mit Schreiben vom 3. Februar 2014 bat die Beklagte die Klägerin um Vervollständigung der Antragsunterlagen. Insbesondere wurde dazu aufgefordert, eine Betriebsbeschreibung zur Vorlage bei der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd, eine Darstellung der beabsichtigten zu lagernden Stoffe mit Mengenangaben und Angaben zur beabsichtigten LKW-Frequentierung einzureichen.

9

Am 7. März 2014 teilte die Klägerin mit, dass bezüglich der Nutzung von 8.000 - 10.000 Tonnen geplant sei, übliche Handels- und Kaufmannsgüter sowie folgende Kunststoffe zu lagern: Styropor, Neopor, Lignatec-Beads, E-Por, Luwax EVA, Vorprodukte für Farbe- und Lackherstellung. Weiter sei voraussichtlich mit ca. 30 LKW Fahrzeugbewegungen pro Tag zu rechnen, wobei der Lieferverkehr zu schutzwürdigen Zeiten nicht beabsichtigt sei.

10

In einer hausinternen gefahrenschutztechnischen Stellungnahme vom 10. April 2014 wurde ausgeführt, gegen den Wiederaufbau der Lagerhalle bestünden aus brandschutztechnischer Sicht keine Bedenken, wenn mehrere Punkte erfüllt würden. Aufgrund des Brandereignisses im Juni 2013 sei es aber bedenklich, das Lagergut mit einer hohen Brandgefährdung (z.B. Lagerung mit einem hohen Anteil von brennenden Stoffen) oder mit einer hohen Gesundheitsgefährdung (z.B. Lagerung von Gefahrstoffen) in der zu beurteilenden Halle zu lagern.

11

Mit Verfügung vom 6. August 2014 lehnte die Beklagte die Erteilung eines Bauvorbescheids für das beantragte Bauvorhaben mit der Begründung ab, das Vorhaben füge sich nicht in die nähere Umgebung ein. Das östlich der Hafenstraße gelegene Gebiet sei geprägt durch kleinteilige Wohnhäuser als zweigeschossige Reihenhausbebauung, entsprechend einem Allgemeinen Wohngebiet nach § 4 BaunutzungsverordnungBauNVO –. Dagegen sei das Gebiet westlich der Hafenstraße, ursprünglich als Sondergebiet Hafen gestaltet, geprägt durch Nutzungen, die in einem Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO zulässig seien. Demnach läge eine Großgemengelage vor und durch das Aufeinandertreffen der unvereinbaren Nutzungen sei ein Konfliktpotential gegeben, welches ein erhöhtes Maß an gegenseitiger Rücksichtnahme erfordere. Die geplante Nutzung sei geeignet, bodenrechtliche Spannungen auszulösen. Die Lagerung von bis zu 10.000 Tonnen und der dadurch entstehende LKW-Verkehr von ca. 30 Frequentierungen pro Tag seien mit der Wohnnutzung unverträglich. Das Lagergut könne zudem zu einer Gefährdung der Anwohner führen, wie sie sich beim Großbrand im vergangen Jahr realisiert habe. Damit seien die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse aufgrund der Immissionen nicht gegeben. Auch das Gebot der Rücksichtnahme sei verletzt.

12

Die Klägerin legte dagegen am 4. September 2014 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, der Flächennutzungsplan weise das Gebiet als Hafengebiet aus. Die tatsächliche Nutzung entspräche westlich der Hafenstraße einem Gewerbe- bzw. Industriegebiet. Weiter komme der Hafenstraße eine trennende Funktion zu, die Wohn- und Gewerbegebiet trenne. Aufgrund dessen sei maßgeblich auf die prägende Wirkung des Altbestands abzustellen. Die geplante Lagerhalle würde genauso aufgebaut wie die abgebrannte Halle, die sich auch in die nähere Umgebung eingefügt habe. Die prägende Wirkung des Altbestandes würde dadurch entsprechend fortwirken. Gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse seien gegeben.

13

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. März 2015 wies der Stadtrechtsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin mit der Begründung zurück, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erteilung eines positiven Bauvorbescheids. Für die begehrte Neuerrichtung der abgebrannten Lagerhalle bedürfe es einer neuen Baugenehmigung, denn durch die Zerstörung der Halle sei die Baugenehmigung von 1969/1971 weggefallen. Die Klägerin könne sich auch nicht auf nachwirkenden Bestandschutz berufen.

14

Das Vorhaben sei nicht nach § 34 BaugesetzbuchBauGB – genehmigungsfähig. Die Vorschrift des § 34 Abs. 2 BauGB sei nicht einschlägig, da die Hafenpolizeiverordnung aus dem Jahre 1974 keine Festsetzungen bauplanungsrechtlicher Art treffe. Ungeachtet dessen sei ein Rückgriff auf § 11 BauNVO im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art der baulichen Nutzung richte sich daher nach § 34 Abs. 1 BauGB. Bei der näheren Umgebung handele es sich um eine Gemengelage, da die Eigenart der näheren Umgebung keinem der Gebiete der BauNVO entspreche. Dafür spreche, dass Nutzungen auf der Westseite der Hafenstraße vorhanden seien, die eben nichthafenaffine Nutzungen seien. Der Stadtrechtsausschuss könne offen lassen, ob lediglich die Bebauung westlich der Hafenstraße, oder auch die Wohnbebauung östlich der Hafenstraße zu berücksichtigen sei. Jedenfalls verstoße das Vorhaben gegen das Rücksichtnahmegebot. Auf die damalige Zulässigkeit der alten Halle könne nicht abgestellt werden, da bei der Neuerteilung einer Baugenehmigung bzw. eines Bauvorbescheids stets das konkrete, funktionsbezogene Vorhaben im Genehmigungsverfahren zu beurteilen und entsprechend auch die Verträglichkeit der Nutzung neu zu bewerten sei. Bereits vor dem Brandereignis habe es Beschwerden von Anwohnern der Hafenstraße bezüglich des An- und Abfahrtsverkehrs der gewerblichen Anlieger der Hafenstraße gegeben. Bei den Angaben der Klägerin bezüglich des An- und Abfahrtsverkehrs handele es sich lediglich um circa Angaben. Danach sei mit circa 30 LKW Fahrzeugbewegungen pro Tag, im Wesentlichen beschränkt auf die Tagesstunden und Wochentage, zu rechnen. Konkrete Angaben habe die Klägerin nicht gemacht. Entsprechende Fachgutachten bezüglich der zu erwartenden Lärmimmissionen lägen ebenfalls nicht vor.

15

Die von dem Vorhaben ausgehenden Auswirkungen auf die unmittelbare Umgebung, hier das Aufeinandertreffen von Wohnbebauung und Gewerbe, stellten sich als unverträglich dar. Weiter seien die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse aufgrund der zu erwartenden Immissionen nicht gewahrt.

16

Die Klägerin hat am 23. März 2015 Klage erhoben. Sie führt aus, sie habe einen Anspruch auf Erteilung des Bauvorbescheids aus den Grundsätzen der „eigentumskräftig verfestigten Anspruchsposition“. Demgemäß sei eine Wiedererrichtung eines Gebäudes selbst bei aktuell fehlender Bauplanungskonformität zulässig, sofern das entsprechende Grundstück eine bestimmte Bebaubarkeit „quasi in sich trage“ sowie zu einem früheren Zeitpunkt ein Anspruch auf Zulassung der Bebaubarkeit bestanden habe, welcher durch entschädigungslose Entziehung geschützt, d.h. zum „Eigentum“ geworden sei.

17

Das fragliche Gebäude sei bereits seit mehreren Jahrzehnten rechtmäßig vorhanden gewesen und habe nicht zuletzt im Hinblick auf Dimension und örtliche Lage die Umgebung maßgeblich mitgeprägt. Somit fehle nach einer „gewachsenen“ Verkehrsauffassung das Gebäude an dieser Stelle geradezu, weshalb sich eine Neuerrichtung regelrecht aufdränge. Zudem sei erst von 2007 bis 2009 eine umfassende Modernisierung und Sanierung des Gebäudes erfolgt.

18

Vor diesem Hintergrund gelange zudem § 34 Abs. 3a Satz 1 BauGB zur Anwendung. Danach sei das Einfügenserfordernis entbehrlich bei der Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbebetriebes. Unter einer Erneuerung sei dabei die Beseitigung der Anlage mit anschließender Neuerrichtung an gleicher Stelle zu verstehen.

19

Jedenfalls aber sei das Vorhaben nach § 34 Abs. 2 BauGB genehmigungsfähig. Die Eigenart der näheren Umgebung entspreche aufgrund der vorrangig vorzufindenden Hafennutzung einem Baugebiet nach § 11 BauNVO (Sonderbaufläche Hafen). Selbst wenn man – entgegen der hier vertretenen Ansicht – die Anwendbarkeit des § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 11 BauNVO verneine, so wäre das so umrissene Gebiet aufgrund der tatsächlich vorhandenen Bebauung jedenfalls als Gebiet mit vorrangiger Gewerbe- und Industrienutzung zu qualifizieren. In die dergestalt umrissene nähere Umgebung füge sich das Vorhaben nach seiner Art wie seinem Maße ein. Das Vorhaben erweise sich entgegen der Ansicht der Beklagten im Einzelfall auch nicht als rücksichtslos im Sinne von § 15 Abs. 1 BauNVO. Bei der Bestimmung der Zumutbarkeit sei maßgeblich auf den vorgefundenen Bestand zu rekurrieren. Dieser sei jedoch durch eine jahrzehntelange Nutzung der fraglichen Halle mit entsprechenden Immissionen geprägt. Diesen Umstand lasse die Beklagte bei ihrer Wertung zu Unrecht unberücksichtigt. Im Übrigen könne die Beklagte den Bauvorbescheid mit immissionsschützenden Auflagen verbinden, was eine Rücksichtslosigkeit entfallen lassen würde.

20

Die Klägerin beantragt,

21

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 6. August 2014 und des Widerspruchsbescheids des Stadtrechtsausschusses Ludwigshafen am Rhein vom 4. März 2015 zu verpflichten, den beantragten Bauvorbescheid zu erlassen

22

sowie

23

die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

24

Die Beklagte beantragt,

25

die Klage abzuweisen

26

sowie

27

die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

28

Sie führt aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erteilung des Vorbescheids aus Bestandsschutzerwägungen. Die 1969/1971 erteilten Baugenehmigungen deckten eine Wiedererrichtung nicht ab, weil Baugenehmigungen nur die Ersterrichtung und den Bestandserhalt zum Gegenstand hätten. Der Bestandsschutz für die Halle sei mit deren Zerstörung erloschen.

29

Die öffentlich-rechtliche Ausweisung als Hafengebiet im Staatsanzeiger führe nur zur Anwendung der Hafenverordnung für die betreffende Fläche, vermöge jedoch nichts zur Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens beizutragen.

30

Entgegen der Auffassung der Klägerin sei das Vorhaben nicht nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 11 BauNVO, sondern allein nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen. Denn für Sondergebiete sei die Anwendbarkeit des § 34 Abs. 2 BauGB ausgeschlossen. Vorliegend sei eine Gemengelage anzutreffen: Auf der einen Seite der Hafenstraße fänden sich gewerbliche Bauten, auf der gegenüberliegenden Seite der Hafenstraße finde sich nahezu ausschließlich Wohnbebauung in Form von Reihenhäusern. Die geplante Lagerhalle wäre erheblich großvolumiger, als die in südwestlicher Richtung vorhandene gewerblich genutzte Bebauung. Auch östlich schlössen sich nur deutlich kleinvolumigere Gebäude an. In nordwestlicher Richtung grenze das Grundstück an den Rhein und in südöstlicher Richtung befinde sich kleinparzellige Wohnbebauung. In diese Umgebung füge sich das geplante Bauvorhaben nicht ein. Ferner verstoße es gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Die Annahme der Klägerin, es sei ausgeschlossen, dass das geplante Vorhaben rücksichtslos sei, weil ein der vorherigen Nutzung entsprechendes Gebäude errichtet werden solle, gehe fehl. Durch das unmittelbare Nebeneinander von Wohnnutzung und gewerblicher Nutzung sei eine städtebaulich unbefriedigende Gemengelage entstanden. Es habe vor dem Brand wegen des bestandskräftig genehmigten Bestandes keine Möglichkeit gegeben, die wünschenswerte Rücksichtnahme von Seiten der Beklagten durchzusetzen. Zwar sei zutreffend, dass eine Vorbelastung das Maß der Rücksichtnahme reduzieren könne. Vorliegend gebe es aber seit dem Brand keine Vorbelastung mehr. Diese sei schlicht entfallen. Vorliegend bedürfe es einer planerischen Konfliktbewältigung. Auch die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse seien nicht gewahrt.

31

Entgegen der Ansicht der Klägerin sei auch nicht § 34 Abs. 3a BauGB anwendbar, denn diese Vorschrift knüpfe an einen vorhandenen Bestand an und finde auf Vorhaben Anwendung, die eine vorhandene Situation erhielten oder weiterentwickelten. Die vorliegend in Rede stehende Lagerhalle sei aber seit dem Brandereignis im Jahr 2013 nicht mehr vorhanden.

32

Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für das Vorverfahren sei vorliegend notwendig gewesen. Zwar könne von einer Gemeinde regelmäßig erwartet werden, dass diese in der Lage sei, ihre eigenen Verwaltungsaufgaben wegen der Sach- und Fachkunde ihrer Bediensteten ohne fremde Unterstützung auszuführen. Etwas anderes gelte aber, wenn sich in einem Vorverfahren komplexe Rechtsfragen stellten, die nicht mehr sachgerecht bewältigt werden könnten. Ein solcher Ausnahmefall habe hier vorgelegen. Gegenstand des Vorverfahrens sei die Frage gewesen, ob die Beklagte verpflichtet gewesen sei, einen Bauvorbescheid für die Wiedererrichtung eines in der Bevölkerung äußerst umstrittenen Bauwerks zu erteilen, dessen Altbestand durch ein sehr schwerwiegendes Brandereignis unter Gefährdung der Wohnbevölkerung niedergebrannt sei. Die damit verbundenen Rechtsfragen hätten eine erhebliche rechtliche Komplexität aufgewiesen, die von einer auch größeren Stadt nicht mehr sachgerecht hätten bewältigt werden können.

33

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vornahme einer Ortsbesichtigung. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Niederschrift vom 16. September 2015.

34

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 16. September 2015.

Entscheidungsgründe

35

Die zulässige Verpflichtungsklage ist gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VerwaltungsgerichtsordnungVwGO – unbegründet. Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf Erteilung des beantragten Bauvorbescheids für den Wiederaufbau der durch das Brandereignis im Jahre 2013 zerstörten Halle mit erdgeschossiger Lagerfläche und integrierten Büroflächen im Erdgeschoss und Obergeschoss und einer Gesamtnutzfläche von 9.485,20 m² auf dem Grundstück Flurstück-Nr. ... in Ludwigshafen unter dem Gesichtspunkt des Bestandsschutzes zu (1.) noch hat die Klägerin einen Anspruch aus einfach-gesetzlichen Vorschriften auf Erlass des Vorbescheids (2.). Der Bescheid der Beklagten vom 6. August 2014 und der Widerspruchsbescheid des Stadtrechtsausschusses Ludwigshafen am Rhein vom 4. März 2015 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

36

1. Der Kläger kann entgegen seiner Ansicht die Zulässigkeit des Wiederaufbaus der im Juni 2013 abgebrannten Lagerhalle nicht aus Bestandschutzerwägungen herleiten.

37

Der eigentumsrechtliche, aus Art. 14 Grundgesetz – GG – abgeleitete Bestandsschutz gewährt das Recht, eine rechtmäßig errichtete bauliche Anlage wie bisher zu nutzen und auch durch Modernisierung zu erhalten, selbst wenn sie geltendem Recht widerspricht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 1988 – 4 C 21.85 –, NVwZ 1989, 667). Geschützt wird das Gebäude im Umfang seines vorhandenen baulichen Bestandes und in seiner Funktion. Vorausgesetzt wird somit eine im Wesentlichen vorhandene Bausubstanz, die funktionsgerecht genutzt wird (BVerwG, Urteil vom 15. November 1974 – IV C 32.71 –, BVerwGE 47, 185). Grundlage des Bestandsschutzes ist eine tatsächlich vorhandene, materiell oder formell rechtmäßig errichtete bauliche Anlage. Mit der Beseitigung des Gebäudes erlischt der Bestandsschutz. Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob das Gebäude durch Maßnahmen des Eigentümers oder anderer Personen bewusst oder – wie hier – durch zufällige Ereignisse, wie Brand und Naturkatastrophen, beseitigt wird (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand Februar 2015, § 35 Rn. 179 m.w.N.). Das gilt auch, wenn das Gebäude von den Eigentümern beseitigt wird, um an seiner Stelle einen Ersatzbau zu errichten (BVerwG, Urteil vom 16. Februar 1973 – IV C 61.70 –, DVBl 1973, 451). Der Bestandsschutz umfasst nicht die Errichtung eines Neubaus anstelle eines Bestandsschutz genießenden alten Bauwerks (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 14. August 2013 – 3 L 4/08 –, juris). Jenseits der einfach-gesetzlichen Regelungen – wie z.B. dem unter 2.5. erörterten § 34 Abs. 3 a BauGB – gibt es keinen aktiven Bestandschutz, der aus Art. 14 GG hergeleitet werden könnte (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. März 1998 – 4 C 10/97 –, NVwZ 1998, 842 und vom 27. August 1998 – 4 C 5/98 –, NVwZ 1999, 523; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. April 2015 – 7 A 1237/13 –, juris). Hiernach entfiel der Bestandsschutz der ursprünglich am 12. Mai 1969 genehmigten Lagerhalle auf dem Grundstück Flurstück-Nr. ... spätestens nach Durchführung des vollständigen Abbruchs der Halle bis auf das Bodenfundament.

38

2. Der Klägerin steht auch aus einfach-gesetzlichen Vorschriften kein Anspruch auf Erlass des Vorbescheids zu.

39

Bei der beantragten Halle handelt es sich um ein nach § 61 Landesbauordnung – LBauO – genehmigungsbedürftiges Vorhaben. Ein Bauvorbescheid ist gemäß §§ 72 Satz 1, 70 Abs. 1 LBauO zu erteilen, wenn dem genannten Bauvorhaben baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Dies ist vorliegend indessen der Fall.

40

Die Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens beurteilt sich in bauplanungsrechtlicher Hinsicht nach § 34 BauGB (2.1.). Die Klägerin kann nicht mit Erfolg geltend machen, ihr Vorhaben sei nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 11 BauNVO zulässig (2.2.). Das Bauvorhaben fügt sich zwar nach der Art der baulichen Nutzung (2.3.), nicht aber nach dem Maß der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung ein (2.4.). Eine Zulässigkeit ergibt sich auch nicht aus § 34 Abs. 3a BauGB (2.5.).

41

2.1. Da das Grundstück Flurstück-Nr. ... nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans liegt – die Beklagte hat bisher lediglich im April 2014 einen Aufstellungsbeschluss gefasst –, scheidet eine Zulässigkeit nach § 30 Abs. 2 Baugesetzbuch aus. Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 16. September 2015 (erstmals) vertretenen Auffassung stellt das Gelände, auf dem die durch das Brandereignis 2013 zerstörte Halle wiedererrichtet werden soll, keine sog. „Außenbereichsinsel“ dar, so dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens nicht nach der Vorschrift des § 35 BauGB, sondern nach § 34 BauGB richtet.

42

Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.

43

2.1.1. Ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein „Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist“ (BVerwG, Urteil vom 6. November 1968 – IV C 31.66 –, BVerwGE 31, 22). Für die Ausdehnung eines Bebauungszusammenhanges kommt es auf die Grundstücksgrenzen nicht entscheidend an (BVerwG, Urteil vom 6. November 1968 – IV C 47.68 –, BRS 20 Nr. 38). Als Bebauungszusammenhang kennzeichnet die Rechtsprechung eine aufeinander folgende Bebauung, die trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche selbst diesem Zusammenhang (noch) angehört (s. z.B. BVerwG, Beschluss vom 2. April 2007 – 4 B 7.07 –, BauR 2007, 1383; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. November 2011 – 8 A 11101/11.OVG –, juris und Beschluss vom 29. Januar 2013 – 8 A 11093/12.OVG –). Der innere Grund für die Zulässigkeit eines Bauvorhabens nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB liegt darin, dass die nach der Siedlungsstruktur angemessene Fortentwicklung der Bebauung eines Bereichs zugelassen werden soll. Dies setzt eine Bebauung voraus, die maßstabsbildend ist. Dies trifft ausschließlich für Anlagen zu, die optisch wahrnehmbar und nach Art und Gewicht geeignet sind, ein Gebiet zu prägen. Ob eine Unterbrechung des Bebauungszusammenhangs vorliegt oder nicht, lässt sich nicht unter Anwendung von geografisch-mathematischen Maßstäben bestimmen (BVerwG, Urteil vom 6. November 1968 – IV C 31.66 –, BVerwGE 31, 22), sondern bedarf einer Beurteilung aufgrund einer echten Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts. Dabei kann nur eine komplexe, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigende Betrachtungsweise im Einzelfall zu einer sachgerechten Entscheidung führen (s. BVerwG, Urteil vom 14. November 1991 – 4 C 1.91 –, NVwZ-RR 1992, 227).

44

2.1.2. In Anwendung dieser Grundsätze ist die Ortsteilqualität der Bebauung, innerhalb derer das streitgegenständliche Grundstück liegt, angesichts der Innenstadtlage außer Zweifel.

45

2.1.3. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch davon auszugehen, dass der von der Klägerin zur (erneuten) Bebauung vorgesehene Bereich des Grundstücks Flurstück-Nr. ... trotz seiner Ausmaße von rund 170 x 56 m dem Bebauungszusammenhang der näheren Umgebung zuzurechnen ist. Zur Beurteilung der Frage, ob ein Grundstück innerhalb eines Bebauungszusammenhangs liegt und sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, ist zunächst zu ermitteln, welche Bebauung den Zusammenhang darstellen kann. Im Regelfall ist es die im Zeitpunkt der Entscheidung über den Bauantrag – bei Erhebung einer Verpflichtungsklage die im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts – vorhandene Bebauung. Eine Bebauung, die in früherer Zeit zwar genehmigt worden ist, die in den tatsächlichen Gegebenheiten aber deshalb keinen sichtbaren Niederschlag mehr findet, weil sie später – wie hier – wieder beseitigt worden ist, hat bei der Qualifizierung der „Eigenart der näheren Umgebung“ im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich außer Betracht zu bleiben (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 1998 – 4 C 5.98 –, juris m.w.N.). Es ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung aber anerkannt, dass auch eine früher vorhanden gewesene Bebauung noch fortwirken kann und zwar derart, dass ein Grundstück nach Abriss der Bebauung seine Innenbereichsqualität noch behält (vgl. BVerwG, Urteile vom 19. September 1986 – 4 C 15.84 –, NVwZ 1987, 406 und vom 27. August 1998 – 4 C 5.98 –, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2. Dezember 2014 – 2 A 1675/13 –, juris). Der Altbestand, der vernichtet worden ist, verliert nicht automatisch die prägende Kraft, von der § 34 Abs. 1 BauGB es abhängen lässt, wie weit der Bezugsrahmen reicht. Die Prägung dauert fort, solange mit einer Wiederbebauung oder einer Wiederaufnahme der Nutzung zu rechnen ist. Innerhalb welcher zeitlichen Grenzen Gelegenheit besteht, an die früheren Verhältnisse wieder anzuknüpfen, richtet sich nach der Verkehrsauffassung (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. Februar 1984 – BVerwG 4 C 25.82 –, NJW 1984, 1771 und vom 19. September 1986 – BVerwG 4 C 15.84 –, NVwZ 1987, 406).

46

Die baurechtliche Qualität des Grundstücks der Klägerin hängt hiernach – erstens – davon ab, ob es zum Innenbereich gehörte, solange es mit einer 170 x 56 m großen Lagerhalle bebaut war, und – zweitens –, ob es trotz Beseitigung dieser Bausubstanz nach dem Abbrennen der Halle seine Innenbereichsqualität behalten hat.

47

Mit seiner früheren Bebauung lag das Grundstück unzweifelhaft innerhalb des Bebauungszusammenhangs, da die Hafenstraße in dem betreffenden Bereich sowohl westlich als auch östlich ohne (größere) Baulücken bebaut war. Der Umstand, dass einzelne Baubereiche unterschiedlich bebaut waren (östlich der Hafenstraße nahe ausschließlich mit zweigeschossigen Wohngebäuden, westlich der Hafenstraße mit gewerblich genutzten Gebäuden mit unterschiedlich hohen Geschoßflächen-, Geschoßzahlen und Grundflächenzahlen) änderte daran nichts, dass ein Bebauungszusammenhang im Sinne einer aufeinanderfolgenden, ununterbrochenen Bebauung bestand.

48

Die Innenbereichsqualität ist durch die kurze Zeitdauer, die nach dem Brand im Juni 2013 und vollständigem Abriss der Altbebauung bis zur Stellung der Bauvoranfrage im Dezember 2013 verstrichen ist, nicht verlorengegangen. Zu den konkreten Umständen des hier zu entscheidenden Einzelfalls gehört, dass es sich um ein in diesem Bereich inzwischen teilweise unbebautes Grundstück in der Innenstadtlage handelt, das aufgrund seiner Größe durch Zeitablauf allenfalls zu einer „Außenbereichsinsel“ im Innenbereich werden könnte (vgl. zum „Außenbereich im Innenbereich“ BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1984 – 4 C 55.81 –, NJW 1984, 1576). Die Verkehrsauffassung nimmt bei einer solchen Lage einen längeren Zeitraum zwischen Abriss und Neubebauung hin, bevor sie eine Wiederbebauung nicht mehr erwartet, als dies bei einem Grundstück in der Randlage zum Außenbereich der Fall ist. Hinzu kommt, dass Planung und Vorbereitung der Bebauung eines solch großen Grundstücks mehr Zeit in Anspruch nehmen, als dies bei einem ehemals etwa mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstück der Fall ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 1986 – 4 C 15.84 –, NVwZ 1987, 406). Vorliegend kann die Kammer offen lassen, wie lange nach der Verkehrsauffassung ein als Außenbereichsinsel in Betracht kommendes nach Abriss unbebautes Grundstück im unbeplanten Innenbereich weiterhin zur Bebauung ansteht. Denn die Klägerin hat sich bereits Monate nach dem Brandereignis um eine Bebauung bemüht.

49

2.2. Das Vorhaben ist nicht nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 2 BauNVO zulässig.

50

Für den Fall, dass die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB einem der Baugebiete entspricht, die in der Baunutzungsverordnung bezeichnet sind, ordnet § 34 Abs. 2 BauGB an, dass sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach beurteilt, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet (allgemein oder ausnahmsweise) zulässig wäre.

51

Zwar bestimmt § 11 Abs. 2 Satz 2 BauNVO, dass Hafengebiete zu den sonstigen Sondergebieten zählen. Die Klägerin kann aber mit ihrem Einwand, die Eigenart der näheren Umgebung entspreche aufgrund der vorrangig vorzufindenden Hafennutzung einem Baugebiet nach § 11 BauNVO als Sonderbaufläche Hafen, nicht gehört werden. Denn ein „faktisches Hafengebiet“ nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 11 Abs. 2 BauNVO ist aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Die Frage, was unter einem „Hafengebiet“ zu verstehen ist, und welche Anlagen in einem solchen allgemein zulässig, unzulässig oder ausnahmsweise zulassungsfähig sind, regelt nicht das Gesetz, sondern hängt von einer Entscheidung des zuständigen Planungsträgers ab (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 2010 – 4 C 7.10 –, NVwZ 2011, 436; Bay. VGH, Beschluss vom 24. April 2014 – 15 ZB 13.1167 –, juris). Bei einem „Hafengebiet“ als sonstigem Sondergebiet verlangt § 11 Abs. 2 Satz 1 BauNVO ausdrücklich, dass die Zweckbestimmung und die Art der Nutzung (im Bebauungsplan) darzustellen und festzusetzen sind. Hierzu gehört die Entscheidung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, welche Anlagen allgemein zulässig, unzulässig oder ausnahmsweise zulassungsfähig sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. April 1989 – 4 C 52.87 –, NVwZ 1990, 257).

52

2.3. Das Vorhaben der Klägerin fügt sich nach Auffassung der Kammer allerdings der „Art der baulichen Nutzung“ nach in die nähere Umgebung ein. Dabei geht das Gericht aufgrund der Ortsbesichtigung vom 16. September 2015 davon aus, dass es sich bei der näheren Umgebung um ein „faktisches Gewerbegebiet“ im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO handelt.

53

Als „nähere Umgebung“ im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist der Bereich zu berücksichtigen, auf den sich die Ausführung des Vorhabens auswirken kann und der seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder beeinflusst. Die Umgebung kann so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen ist, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. August 2003 – 4 B 74.03 –, juris). Der Grenzverlauf der näheren Umgebung ist nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenstrang, Gewässerlauf, Geländekante etc.) entkoppelt ist. Eine solche Linie hat bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion; umgekehrt führt ihr Fehlen nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. April 2010 – 1 A 11294/09.OVG –, juris m.w.N.). Die Betrachtung muss auf das Wesentliche zurückgeführt und alles außer Acht gelassen werden, was die Umgebung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper scheint. Ferner darf nicht nur diejenige Bebauung als erheblich angesehen werden, die gerade auf dem vorhandenen Baugrundstück oder nur auf ganz wenigen Grundstücken in der unmittelbaren Nachbarschaft des Baugrundstücks überwiegt, vielmehr ist die Bebauung auch in der weiteren Umgebung des Grundstückes insoweit zu berücksichtigen, als auch sie noch prägend auf dasselbe einwirkt (BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 – IV C 9.77 –, NJW 1978, 2564). Die Grenzen der näheren Umgebung im Sinne des § 34 BauGB lassen sich demnach nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (BVerwG, Beschluss vom 16. Juni 2009 – 4 B 50/08 –, BauR 2009, 1564; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. April 2010 – 1 A 11294/09.OVG –, ESOVGRP).

54

Nach diesen Grundsätzen bestimmt die Kammer nach Durchführung der Ortsbesichtigung am 16. September 2015 sowie unter Heranziehung der in den Verwaltungsakten enthaltenen Lagepläne und Luftbildern (Quelle: http://map1.naturschutz.rlp.de/mapserver_lanis/ und google.maps) den maßgebli-chen Umgriff auf die gesamte Bebauung westlich der Hafenstraße bis zum Rhein in dem Bereich zwischen der Schwanthaler Allee im Norden und den Anwesen Hafenstraße … und … im Süden etwa auf der Höhe der Einmündung der Schwindstraße. Dieser Bereich, der den bodenrechtlichen Charakter des Baugeländes prägt bzw. beeinflusst, ist etwa 500 m lang und 100 m breit und umfasst zahlreiche bis zu dreigeschossige Haupt- und Nebengebäude in erster und zweiter Baureihe entlang der Straße sowie Lagerflächen im Freien. In den Gebäuden und auf den Freiflächen findet nahezu ausschließlich gewerbliche sowie Büronutzung statt (s. im Einzelnen dazu die Feststellungen im Protokoll über die Ortsbesichtigung vom 16. September 2015). Im Norden stellt die Schwanthaler Allee optisch eine markante Zäsur im baulichen Erscheinungsbild dar, denn nördlich dieser Straße stehen auf beiden Seiten der Straße ausschließlich Wohnhäuser. Ebenso entfaltet die Hafenstraße selbst eine Zäsurwirkung, denn östlich der Hafenstraße befinden sich ebenfalls nur Wohngebäude.

55

Die Kammer qualifiziert das so umrandete Geviert als faktisches Gewerbegebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO, da sich dort nach § 8 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BauNVO allgemein zulässige „Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser und Lagerplätze sowie Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude befinden. Darunter fällt auch das Bauvorhaben der Klägerin, denn die geplante Halle soll nach dem Antrag vom 23. Dezember 2013 im Erdgeschoss als Lagerfläche und zu Bürozwecken im Erd- und Obergeschoss genutzt werden.

56

2.4. Jedoch fügt sich das Bauvorhaben der Klägerin nach Ansicht der Kammer hinsichtlich des Maßes der Nutzung nicht in die nähere Umgebung ein.

57

Ein Vorhaben fügt sich diesbezüglich im Allgemeinen ein, wenn es sich innerhalb des Rahmens hält, der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird. Ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben ist ausnahmsweise zulässig, wenn es keine „städtebaulichen Spannungen“ hervorruft (z.B. Bay. VGH, Urteil vom 18. Juli 2013 – 14 B 11.1238 –, juris). Bei der Bestimmung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung ist der Umkreis der zu beachtenden vorhandenen Bebauung in der Regel enger zu begrenzen als bei der Ermittlung der Art der baulichen Nutzung (BVerwG, Urteil vom 19. September 1969 – IV C 18.67 –, NJW 1970, 263; Bay. VGH, Urteil vom 18. Juli 2013 – 14 B 11.1238 –, juris). Maßgebend für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung ist die von außen wahrnehmbare Erscheinung des Bauvorhabens im Verhältnis zu seiner Umgebungsbebauung; vorrangig ist auf diejenigen Maßkriterien abzustellen, in denen die prägende Wirkung besonders zum Ausdruck kommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 2007 – 4 B 8.07 –, BauR 2007, 1691). Als solche Faktoren können die flächenmäßige Ausdehnung, die Geschosszahl und die Höhe baulicher Anlagen der den Rahmen bildenden Gebäude angesehen werden (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB a.a.O., § 34 Rn. 40 m.w.N.); auf die Feinheiten der Berechnungsregeln der BauNVO z.B. für die Geschossfläche kommt es für das Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht an (BVerwG, Urteil vom 23. März 1994 – 4 C 18.92 –, NVwZ 1994, 1006). Ebenso wenig kommt es bei Anwendung des § 34 Abs. 1 BauGB auf die Grundstücksgrenzen und die Größe der Grundstücke an (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. September 1988 – 4 B 175.88 –, NVwZ 1989, 354).

58

Hiervon ausgehend ist die Kammer der Meinung, dass sich die geplante Halle der Klägerin nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung einfügt. Dabei kann offen bleiben, ob der Umkreis der zu beachtenden vorhandenen Bebauung ebenso wie bei der Ermittlung der Art der baulichen Nutzung auf den Bereich zwischen Schwanthaler Allee im Norden und den Anwesen Hafenstraße ... und ... im Süden oder „nur“ auf den Bereich zwischen Schwanthaler Allee und dem Anwesen Hafenstraße ... zu begrenzen ist. Sämtliche Gebäude in diesem Bereich erreichen nicht annähernd die flächenmäßige Ausdehnung des geplanten Vorhabens der Klägerin. Deren Halle würde im Falle des Wiederaufbaus der durch den Großbrand im Juni 2013 zerstörten Lagerhalle über eine flächenmäßige Ausdehnung von 9.405,34 m² verfügen. Demgegenüber haben die anderen in dem genannten Bereich vorhandenen Gebäude nur folgende flächenmäßige Ausdehnungen:

59

- Hafenstraße ..: ca. 2.860 m²
- Hafenstraße ..: ca. 790 (vorderes Gebäude) und 560 m² (hinteres Gebäude)
- Hafenstraße ..: ca. 350 m²
- Hafenstraße ..: ca. 511 und 440 m²
- Hafenstraße ..: ca. 2.820 m²
- Hafenstraße ..: ca. 490 m²
- Hafenstraße ..: ca. 145 m² und 53 m².

60

Die flächenmäßige Ausdehnung des geplanten Baukörpers überschreitet daher den aus der prägenden Umgebungsbebauung zu entnehmenden Rahmen selbst im Verhältnis zu den Gebäuden Hafenstraße ... und ... um mehr als das Dreifache und würde im Falle seiner Realisierung bodenrechtlich bewältigungsbedürftige Spannungen auslösen beziehungsweise erhöhen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 2007 – 4 B 8.07 –, BauR 2007, 1691; OVG Saarland, Urteil vom 24. November 2005 – 2 R 6/05 –, BauR 2006, 660). Ein Vorhaben führt zu solchen Spannungen, wenn es die vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet. Stiftet es in diesem Sinne Unruhe, so lassen sich die Voraussetzungen für seine Zulassung nur unter Einsatz der Mittel der Bauleitplanung schaffen. Ein Planungsbedürfnis besteht, wenn durch das Vorhaben schutzwürdige Belange Dritter mehr als geringfügig beeinträchtigt werden. Wann insoweit die bauplanungsrechtliche Relevanzschwelle im Einzelnen erreicht ist, lässt sich nicht anhand von verallgemeinerungsfähigen Maßstäben feststellen, sondern hängt von den jeweiligen konkreten Gegebenheiten ab (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 1999 – 4 B 15.99 –, BauR 2000, 245). Da die obergerichtliche Rechtsprechung das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal „städtebauliche Spannungen“ innerhalb des § 34 BauGB quasi als Ersatztatbestand für die in § 31 Abs. 2 BauGB beschriebenen Grundzüge der Planung eingeführt hat, die nur für Planfestsetzungen gelten, lassen sich auch dessen Tatbestandsvoraussetzungen im Regelfall zumindest grob für die Beurteilung „der städtebaulichen Spannungen“ innerhalb des § 34 BauGB transferieren. Deshalb werden sich im Regelfall städtebauliche Spannungen durch eine Rahmenüberschreitung durch die Bebauung im unbeplanten Innenbereich desto eher bejahen lassen, je homogener die Bebauung sich darstellt, weshalb auch umso unmittelbarer die zu § 31 Abs. 2 BauGB entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze vergleichend angewandt werden können (VG München, Urteil vom 16. März 2015 – M 8 K 13.4257 –, juris).

61

Hiernach hätte die Klägerin nach gegenwärtiger Rechtslage nach Ansicht der Kammer zwar einen Anspruch darauf, nach entsprechender Genehmigung auf dem streitgegenständlichen Gelände mehrere kleinere Lagerhallen bzw. Bürogebäude errichten zu dürfen. Das konkret geplante Bauvorhaben überschreitet jedoch den aus der prägenden Umgebungsbebauung zu entnehmenden Rahmen, ohne dass dies durch irgendeine Besonderheit begründet wäre, durch die sich der betreffende Bereich des Baugrundstücks von den Gebäuden in der näheren Umgebung unterscheidet. Eine solche Besonderheit stellt insbesondere nicht das Abbrennen der Lagerhalle im Juni 2013 dar, denn – wie oben ausgeführt – mit der endgültigen Beseitigung der alten Lagerhalle war der Bestandschutz entfallen. Löst damit das Vorhaben aufgrund seiner flächenmäßigen Ausdehnung ein Planungsbedürfnis aus, fügt es sich nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung ein.

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2.5. Das Bauvorhaben der Klägerin kann schließlich nicht nach § 34 Abs. 3a Satz 1 BauGB zugelassen werden. Danach kann im Einzelfall vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 abgewichen werden, wenn die Abweichung u.a. der Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbebetriebs dient, städtebaulich vertretbar ist und auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

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2.5.1. Zwar ist § 34 Abs. 3a Satz 1 BauGB auf Vorhaben nicht anwendbar, wenn – wie hier – die nähere Umgebung, in dem das streitbefangene Grundstück belegen ist, einem faktischen Baugebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. der Baunutzungsverordnung entspricht; § 34 Abs. 3a BauGB setzt vielmehr einen Fall des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB voraus (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 8. Februar 2011 – 1 LA 109/08 – juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. März 2012 – OVG 10 N 34.10 –, juris; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, a.a.O., § 34 Rn 87b; Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 12. Auflage 2014, § 34 Rn. 77; Dürr, in: Brügelmann, Baugesetzbuch, Stand Februar 2015, § 34 Rn. 107a).

64

Hieraus folgt aber nicht, dass § 34 Abs. 3a BauGB auf Vorhaben, die sich in einem faktischen Baugebiet befinden und die hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung gemäß § 34 Abs. 2 BauGB allein nach der BauNVO zu beurteilen sind, auch hinsichtlich der übrigen Einfügenskriterien nicht anwendbar ist (s. auch VG München, Beschluss vom 18. August 2014 – M 8 SN 14.3226 –, juris). Zwar enthielt der der heutigen Regelung vergleichbare § 34 Abs. 3 BauGB 1987 die Formulierung „Nach den Absätzen 1 und 2 unzulässige Erweiterungen …“, bezog also ausdrücklich Vorhaben nach § 34 Abs. 2 BauGB in den Anwendungsbereich der abweichungsfähigen Vorhaben mit ein. Allein aufgrund der Formulierung die in einem faktischen Baugebiet gelegenen Vorhaben auch hinsichtlich der Kriterien Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und überbaubare Grundstücksfläche vom Anwendungsbereich des § 34 Abs. 3a BauGB auszunehmen, würde aber übersehen, dass auch die in einem faktischen Baugebiet gelegenen Vorhaben zunächst Vorhaben im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB sind, und ausschließlich hinsichtlich ihrer Art der baulichen Nutzung nach § 34 Abs. 2 BauGB nach den Sonderregerlungen der BauNVO zu beurteilen sind. Hinsichtlich der übrigen Einfügenskriterien sind und bleiben sie weiterhin Vorhaben im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.

65

Von daher ist die Anwendbarkeit des § 34 Abs. 3a BauGB hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung vorliegend nicht deswegen ausgeschlossen, dass es sich bei der näheren Umgebung um ein faktisches Gewerbegebiet handelt.

66

2.5.2. Die Kammer teilt nicht die Auffassung der Beklagten, dass § 34 Abs. 3a BauGB hier deshalb nicht einschlägig sei, weil die genannte Bestimmung an einen vorhandenen Bestand anknüpfe und nur auf Vorhaben Anwendung finde, die eine vorhandene Situation erhalte oder weiterentwickele (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, a.a.O., § 34 Rn 87), die Lagerhalle hier aber nicht mehr vorhanden sei. Allerdings setzt § 34 Abs. 3a BauGB einen bestehenden Gewerbebetrieb voraus, so dass die Vorschrift nicht für eine Neugründung eines Betriebes herangezogen werden kann (Dürr, in: Brügelmann, Baugesetzbuch, a.a.O., § 34 Rn. 107a). § 34 Abs. 3a BauGB erfasst nach seinem Wortlaut aber nicht nur bauliche Maßnahmen an vorhandenen Gebäuden („Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung“), sondern auch die „Erneuerung“, d.h. die Beseitigung einer vorhandenen Anlage mit anschließender Neuerrichtung an gleicher Stelle (vgl. Dürr, in: Brügelmann, Baugesetzbuch, a.a.O., § 34 Rn. 107a; Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, a.a.O., § 34 Rn. 76; Spannowsky, in: Spannowsky/Uechtritz , Beck'scher Online-Kommentar BauGB, Stand Juli 2015, § 34 Rn. 65.6). Um eine solche Erneuerung geht es der Klägerin.

67

2.5.3. Nach Ansicht der Kammer liegen aber die Voraussetzungen einer Zulassung nach § 34 Abs. 3a BauGB nicht vor. Denn der Wiederaufbau der abgebrannten Lagerhalle ist nicht städtebaulich vertretbar (§ 34 Abs. 3 a Satz 1 Nr. 2 BauGB).

68

Städtebaulich vertretbar sind wie in § 31 Abs. 2 BauGB nur Vorhaben, die aufgrund des Abwägungsgebots und der Planinhalte des § 9 BauGB auch den Gegenstand eines Bebauungsplans bilden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 – 4 C 23.86 -, NVwZ 1990, 755). Die städtebauliche Vertretbarkeit ist nicht nur eine Voraussetzung für die Abweichung, sondern bildet vielmehr eine Grenze für die Abweichung von der Notwendigkeit des Einfügens (Spannowsky, in: Spannowsky/Uechtritz, Beck'scher Online-Kommentar BauGB, a.a.O., § 34 Rn. 66). Aus dem Erfordernis der städtebaulichen Vertretbarkeit folgt für das Verhältnis von emittierendem Gewerbebetrieb und benachbarter Wohnbebauung, dass auch die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse (s. § 1 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 BauGB) gewahrt werden müssen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 – 4 C 23.86 –, NVwZ 1990, 755). Daraus können sich im Einzelfall Erfordernisse zu einer Minderung oder einem Ausgleich vorhandener Belastungen und die Vermeidung zusätzlicher Belastungen ergeben. So kann z.B. eine Verminderung von Belastungen durch eine Gestaltung der Bauvorhaben erreicht werden. Je nach Sachlage kann aber auch ein Ausgleich von vorhandenen und nicht verminderbaren Belastungen in Betracht kommen, z.B. Maßnahmen zugunsten der Wohnverhältnisse in der Umgebung des Standortes. Werden durch das Vorhaben Belange berührt, die nach dem Abwägungsgebot ausgleichsbedürftig sind, aber im Rahmen der Baugenehmigung und auf sonstige Weise nicht ausgeglichen werden können, kann nach § 34 Abs. 3 a BauGB nicht genehmigt werden (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, a.a.O., § 34 Rn 88c).

69

Hiervon ausgehend scheidet vorliegend eine Abweichung nach § 34 Abs. 3 a BauGB aus. Die Neuerrichtung einer im Vergleich zur gewerblichen Umgebungsbebauung mehr als dreimal so großen Halle zur Lagerung von Gütern mit einer hohen Brandgefährdung unmittelbar gegenüber einer Wohnbebauung hält die Kammer nicht für städtebaulich vertretbar.

70

Das Gericht legt seiner Würdigung den Antrag der Klägerin vom 23. Dezember 2013 zugrunde, in dem diese in der Betriebsbeschreibung zur Nutzung u.a. Folgendes angegeben hatte: „Die gelagerten Güter in der Lagerhalle werden, wie bisher genehmigt, in erster Linie aus Kunststoffen der BASF SE bestehen.“ Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 16. September unter Bezugnahme auf zwei Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urteil vom 27. Oktober 2000 – 8 S 445/00 –, NVwZ-RR 2001, 576 und Beschluss vom 13. April 2015 – 3 S 328/15 –, NVwZ-RR 2015, 646) eingewandt hat, es müsse nicht zwangsläufig in einem Verfahren sowohl über die Zulässigkeit der Errichtung einer baulichen Anlage als auch deren Nutzung entschieden werden, kann die Klägerin damit schon deshalb nicht durchdringen, weil sie in ihrem Antrag vom 23. Dezember 2013 ausdrücklich die Nutzung der Lagerhalle („Die gelagerten Güter … werden, wie bisher genehmigt, in erster Linie aus Kunststoffen der BASF SE bestehen“) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat und dabei auch im Klageverfahren geblieben ist.

71

Durch das sich nicht in die nähere Umgebung einfügende Vorhaben der Klägerin werden vorliegend Belange berührt, die ausgleichsbedürftig sind, aber im Rahmen eines Bauvorbescheids oder einer Baugenehmigung nicht ausgeglichen werden können. Östlich der Hafenstraße befinden sich in dem betreffenden Bereich nahezu ausschließlich Wohngebäude. Der Abstand zwischen den Wohnhäusern, die bereits vor Errichtung der abgebrannten Halle gebaut worden waren, und der geplanten 170 m langen Lagerhalle beträgt nur ca. 26 m. Nördlich der Schwanthaler Allee sind in den letzten zehn Jahren aufgrund des Bebauungsplans 580 „Parkinsel“ mit Änderungen ausschließlich Wohngebäude errichtet worden. Der Brand im Juni 2013, der vermutlich durch einen technischen Defekt an der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach der Lagerhalle verursacht worden war, löste einen Großeinsatz der umliegenden Feuerwehren und Rettungskräfte aus. 2300 Menschen mussten ihre Häuser verlassen (s. Süddeutsche Zeitung vom 22. Juni 2013, http://www.sueddeutsche.de/panorama/feuer-in-ludwigshafen-menschen-muessen-haeuser-wegen-brand-in-einer-lagerhalle-verlassen-1.1703206). Dass an den Nachbargebäuden keine größeren Schäden entstanden, war auch der günstigen Wetterlage zu verdanken (http://www.morgenweb.de/region/ mannheimer-morgen/metropolregion/uberall-blitzten-lichtbogen-auf-1.1090415). Denn der Rauch des mit sehr hoher Temperatur verbrannten Kunststoffs stieg wie in einem Zylinder nach oben. Dort vermischte sich der schwarze Qualm nach und nach mit frischer Luft.

72

Der Vorfall im Juni 2013 offenbarte den bestehenden städtebaulichen Missstand des Nebeneinanders von gewerblicher Nutzung mit der Lagerung von Gütern mit hoher Brandgefährdung bzw. Gesundheitsgefährdung und Wohnnutzung. Insbesondere die Größe der Lagerhalle mit ihrer im Verhältnis zu den benachbarten Gewerbebetrieben vielfach höherer Lagerkapazität stellte auch bei angenommener Einhaltung der Brandschutzvorschriften der §§ 15, 50 LBauO ein unkalkulierbares Risiko für die umgebende Wohnbebauung dar, da technische Defekte ebenso wie z.B. Blitzeinschläge nicht ausgeschlossen werden können. Die Risiken im Falle eines Brandes sind bei einem so großen Gebäude mit solch gefährlichen Gütern ungleich höher als einem deutlich kleineren Gebäude mit weniger gefährlichen Gütern. Die genannte Gefahr bestünde im Falle des Wiederaufbaus der Halle mit anschließender Nutzung wie zuvor. Die Kammer hält daher die Wiedererrichtung der Lagerhalle in den Ausmaßen der 1969 genehmigten Halle und der 1971 genehmigten Nutzung zur Lagerung von Gütern mit einer hohen Brandgefährdung für mit den Belangen der Umgebungsbebauung nicht für ausgleichsfähig und daher nicht für städtebaulich vertretbar.

73

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

74

Das Begehren der Klägerin, die Hinzuziehung ihres Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren im Verständnis von § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären, kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil ihre Klage erfolglos geblieben ist.

75

Aber auch der Antrag der Beklagten auf Hinzuziehung ihres Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren bleibt erfolglos.

76

Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten ist nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nur anzuerkennen, wenn sie vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei für erforderlich gehalten werden durfte, also nicht willkürlich und überflüssig, sondern zweckdienlich erscheint (s. z.B. BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2014 – 6 B 21/14 –, juris). Eine solche Notwendigkeit ist indessen bei einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, deren Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, grundsätzlich zu verneinen. Maßgeblich ist dabei die Überlegung, dass eine sachkundige Behörde, zu deren Aufgaben es gehört, einen Verwaltungsakt – wie hier eine Entscheidung über eine Bauvoranfrage – zu erlassen, in der Regel auch in der Lage sein muss, dies ohne anwaltlichen Rat zu tun. Folglich wird sie auch in der Lage sein, den von ihr erlassenen Verwaltungsakt ohne Zuziehung eines Bevollmächtigten in dem von einem betroffenen Bürger in Gang gesetzten Widerspruchsverfahren zu verteidigen (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21. Januar 2011 – 1 E 11379/10 –, NVwZ-RR 2011, 455; VG Neustadt, Beschluss vom 16. Juli 2015 – 4 K 1025/13.NW –, juris). Dies gilt nach der rheinland-pfälzischen Kommunalverfassung grundsätzlich sogar bei kleinen Gemeinden, deren Verwaltungsgeschäfte gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 Gemeindeordnung – GemO – nach Nr. 4 dieser Vorschrift unter Einschluss der Vertretung in gerichtlichen Verfahren durch die Verbandsgemeindeverwaltung und damit durch fachlich geschulte und erfahrene Bedienstete geführt werden. Zudem haben gerade die Gemeinden die Möglichkeit, sich in schwierigen Verfahren durch die kommunalen Spitzenverbände, vorliegend durch den Gemeinde- und Städtebund, rechtlich beraten zu lassen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13. Juli 1999 – 6 E 11158/99.OVG – und Beschluss vom 16. November 1987 – 12 E 54/87.OVG –).

77

Dementsprechend war auch vorliegend die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Beklagte, einer kreisfreien Stadt mit über 160.000 Einwohnern, nicht notwendig im Sinne des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Ein besonders gelagerter Einzelfall, in dem außergewöhnliche Rechtskenntnisse erforderlich gewesen wären, lag nicht vor.

78

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZivilprozessordnungZPO –.

79

Beschluss

80

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 252.376,28 €. festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).

81

In Verfahren vor den Verwaltungsgerichten ist der Wert des Streitgegenstandes nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen des Gerichts zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG –). Hierbei orientiert sich die Kammer im Interesse der Einheitlichkeit und Vorhersehbarkeit der Streitwertfestsetzung grundsätzlich an dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom Juli 2013 (LKRZ 2014, 169). Danach ist für die Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für sonstige gewerbliche Bauten nach Nr. 9.1.2.6 ein Bruchteil der geschätzten Rohbaukosten oder der Bodenwertsteigerung in Ansatz zu bringen. Gemäß Nr. 9.2 reduziert sich dieser Streitwert bei der Klage auf Erteilung eines Bauvorbescheides auf einen Bruchteil des Streitwerts für eine Baugenehmigung, sofern nicht Anhaltspunkte für eine Bodenwertsteigerung bestehen. Bei diesen Werten handelt es sich um Pauschalierungen, die unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des jeweiligen Bauvorhabens und der Bodenwertsteigerung des Baugrundstücks das Prozesskostenrisiko kalkulierbar machen.

82

Sind die Fragen, die in einem Bauantragsverfahren ernsthaft streitig sein können, bereits Gegenstand des Bauvorbescheidsverfahrens – wie hier die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens –, hält die Kammer es in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 12. April 2001 – 4 KSt 2/01 –, NVwZ-RR 2001, 802) und des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 16. September 2008 – 8 E 10988/08.OVG –, ESOVG RP) für angemessen, den Streitwert auf 75 % des Werts einer auf die Erteilung einer Baugenehmigung gerichteten Klage festzusetzen.

83

Im vorliegenden Fall erscheint es sachgerecht, den Streitwert aus einem Bruchteil der geschätzten Rohbaukosten zu ermitteln. Diesbezüglich orientiert sich die Kammer an der Anlage 2 zur Landesverordnung über Gebühren und Vergütungen für Amtshandlungen und Leistungen nach dem Bauordnungsrecht (Besonderes Gebührenverzeichnis – BS –). Der Rohbauwert ist gemäß § 2 Abs. 1 BS für die in der Anlage 2 aufgeführten oder vergleichbare Gebäude aus dem Brutto-Rauminhalt, vervielfältigt mit dem jeweils angegebenen durchschnittlichen Rohbauwert je Kubikmeter umbauten Raums (Bezugsjahr 1980 = 100) und einer Indexzahl, zu berechnen. Die Indexzahl wird jährlich von dem für die Bauangelegenheiten zuständigen Ministerium im Staatsanzeiger für Rheinland-Pfalz bekannt gemacht. Nach Nr. 11.1. der Anlage 2 betragen bei eingeschossigen hallenartigen Fabrikgebäuden, Werkstattgebäuden, Lagergebäuden, Verkaufsstätten und ähnlichen Gebäuden die durchschnittlichen Rohbauwerte je Kubikmeter Brutto-Rauminhalt für Bauten bei schwerer Bauart, d.h. Gebäuden mit Tragwerken, die überwiegend in Massivbauart (Beton - einschließlich Leicht- oder Gasbeton - oder Mauerwerk) errichtet werden, bis 2.500 m³ Brutto-Rauminhalt 29 €/m³ (Nr. 11.1.1), für den 2.500 m³ übersteigenden Brutto-Rauminhalt bis 7.500 m³ 25 €/m³ (Nr. 11.1.2.), für den 7.500 m³ übersteigenden Brutto-Rauminhalt bis 50.000 m³ 20 €/m³ (Nr. 11.1.3.) und für den 50.000 m³ übersteigenden Brutto-Rauminhalt 16 €/m³ (Nr. 11.1.4.). Die aktuelle Indexzahl beträgt nach dem Schreiben des rheinland-pfälzischen Ministeriums der Finanzen vom 23. Februar 2015 (s. https://www.bvs-hrs.info/cms/upload/oeffentlicher_teil/gebuehrenordnung/rheinland-pfalz/rlp-index-2015.pdf) 209,1.

84

Es ergibt sich in Bezug auf die geplante Lagerhalle der Klägerin mit einem Brutto-Rauminhalt von 85.115,44 m³ somit folgende Berechnung:

85

bis 2.500 m³ Brutto-Rauminhalt x 29 €/m³ =

72.500 €

2.500 m³ übersteigender Brutto-Rauminhalt bis 7.500 m³ x 25 €/m³ =

124.975 €

7.500 m³ übersteigender Brutto-Rauminhalt bis 50.000 m³ x 20 €/m³ =

849.980 €

50.000 m³ übersteigender Brutto-Rauminhalt x 16 €/m³ =

561.831,04 €

-       

-----------------

Zusammen

1.609.286,04 €

Vervielfältigt mit der Indexzahl 2015 in Höhe von 209,1: 3.365.017,11 €

86

Die Kammer hält vorliegend ein Zehntel der geschätzten Rohbaukosten für angemessen, so dass sich ein Betrag in Höhe von 336.501,71 € errechnet. Hiervon sind bei der Klage auf Erteilung eines Bauvorbescheids 75 % in Ansatz zu bringen, also ein Betrag von 252.376,28 €.

87

Gegen die Festsetzung des Streitwertes steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG dieBeschwerde an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 € übersteigt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat.

88

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung zur Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

89

Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße, Robert-Stolz-Str. 20, 67433 Neustadt, schriftlich, in elektronischer Form oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen.

90

Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in Rheinland-Pfalz (ERVLVO) vom 10. Juli 2015 (GVBl. S. 175) in der jeweils geltenden Fassung zu übermitteln ist.