Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 10. Sept. 2015 - 4 LB 39/14

ECLI:ECLI:DE:OVGSH:2015:0910.4LB39.14.0A
bei uns veröffentlicht am10.09.2015

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 30. Januar 2014 geändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 3. Februar 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2011 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit von Abfallgebühren für das Erhebungsjahr 2011.

2

Der Kläger ist Eigentümer eines im Entsorgungsgebiet des Beklagten belegenen Wohngrundstückes, welches im Jahr 2011 - ebenso wie im Jahr 2010 - mit einem 80 l Restmüllbehälter bei einem zweiwöchentlichen Abholrhythmus ausgestattet war.

3

Mit Bescheid vom 03.02.2011 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger für die Entsorgung von Abfällen im Zeitraum Januar bis Dezember 2011 Abfallgebühren in Höhe von 149,88 € fest. Den hiergegen mit Schreiben vom 12.02.2011 erhobenen Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2011 als unbegründet zurück.

4

Zur Begründung seiner bereits am 29.07.2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, er habe die begründete Annahme, dass der Beklagte Abfallgebühren nicht zur Deckung seiner Kosten, sondern mit Gewinnerzielungsabsicht erhebe.

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Der Kläger hat beantragt,

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den Bescheid vom 03.02.2011 und den Widerspruchsbescheid vom 03.08.2011 aufzuheben.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

9

Er hat den streitgegenständlichen Bescheid verteidigt.

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Mit Urteil vom 30.01.2014 hat das Verwaltungsgericht - ohne mündliche Verhandlung - die Klage durch den Einzelrichter abgewiesen.

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Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht zunächst auf die Gründe des Parallelverfahrens - 4 A 517/11 - Bezug genommen. Dort hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, in der Kalkulation dürften weder unzulässige oder überhöhte Kostenansätze noch eine zu geringe Zahl von Maßstabs- bzw. Leistungseinheiten angesetzt werden. Unerheblich seien jedoch Abweichungen von bis zu 5 %, wenn die Abweichungen nicht auf bewusst oder offenkundig fehlerhaften Kostenansätzen beruhen. Diesen Anforderungen genüge die vom Beklagten erläuterte Gebührenkalkulation. Der Beklagte habe u. a. überzeugend dargelegt, dass seine Prognose, wonach sich die Nichtberücksichtigung von Zinsaufwendungen - im Zusammenhang mit Zahlungen an die ZVO Entsorgung GmbH, deren Leistungen der Beklagte zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgabe in Anspruch nimmt - einerseits und von Zinserträgen - im Zusammenhang mit Zahlungen der Gebührenzahler - andererseits nicht zu Lasten der Gebührenzahler auswirke, stichhaltig sei. Deshalb sei es unschädlich, dass Zinserträge aufgrund von Zahlungen der Gebührenzahler bei der Kalkulation nicht als Einnahme verbucht worden seien. Bei dem Ansatz von Personalkosten der Serviceabteilung „Zentrales Recht" habe der Beklagte bei der Zuordnung der Kostenanteile auf Erfahrungswerte zurückgreifen dürfen. Ob der insoweit verwandte Verteilungsschlüssel in jeder Hinsicht überzeugend sei, könne dahinstehen, weil hierdurch nicht etwa bewusst oder offenkundig fehlerhafte Kostenansätze bezeichnet worden seien und eine etwaige Fehlerhaftigkeit innerhalb der 5-%-Toleranzgrenze läge. Die gegenüber dem Jahr 2010 erfolgte Gebührenerhöhung resultiere im Wesentlichen aus dem Wegfall der bislang gewährten Ermäßigung für Zwei-Personen-Grundstücke verbunden mit der Nichtinanspruchnahme der vierwöchigen Leerung. Die hieraus resultierende Gebührenerhöhung begründe nicht die Annahme, dass der Beklagte Abfallgebühren mit Gewinnerzielungsabsicht erhebe. Der Wegfall der Privilegierung sei auch nicht willkürlich. Er fuße auf einer im Auftrag des Beklagten erfolgten Untersuchung des tatsächlichen, ortsspezifischen und aktuellen Nutzungsverhaltens im Entsorgungsgebiet. Der Untersuchung sei zu entnehmen, dass die auf 80-l-Behälter entfallende Ermäßigung zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung geführt habe, weil bei gleichem Nutzungsvolumen unterschiedliche Gebührenbelastungen anfielen.

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Ebenfalls nicht zu beanstanden sei, dass der Beklagte neben den als Jahresleistungsgebühren (§ 4 Abs. 3 Gebührensatzung) bezeichneten Abfallgebühren auch als Jahresmindestgebühren (§ 4 Abs. 2 Gebührensatzung) bezeichnete Behältergebühren erhebt. Zwar sehe § 6 Abs. 4 KAG die Möglichkeit der Erhebung von Mindestgebühren nicht ausdrücklich vor. Gleichwohl dürften Benutzungsgebühren auch als Mindestgebühren ausgestaltet werden. Diese Möglichkeit sei auch unter der Geltung des Preußischen Kommunalabgabengesetzes vom 14.07.1893 anerkannt gewesen, ohne dass eine spezielle gesetzliche Ermächtigung vorhanden war. Eine Einschränkung der ortsgesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit lasse sich weder dem Wortlaut des Gesetzes noch seinen Motiven oder dem Begriff der Benutzungsgebühren selbst entnehmen. Die in § 6 Abs. 4 KAG enthaltene Aufzählung sei daher nur beispielhaft und schließe die Erhebung von Mindestgebühren nicht aus. Allerdings müsse die Höhe der Mindestgebühr am Maß der tatsächlichen Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung ausgerichtet werden. Sie müsse der angenommenen durchschnittlichen Mindestinanspruchnahme entsprechen. Orientiere sie sich an einem auf dem Grundstück befindlichen Ein-Personen-Haushalt und bewege sie sich in einer Größenordnung, die der angenommenen Menge entspricht, die durchschnittlich durch einen solchen Ein-Personen-Haushalt mindestens in Anspruch genommen wird, sei sie rechtlich nicht zu beanstanden. Diesen Anforderungen sei vorliegend genüge getan worden. Die Regelungen in § 4 Gebührensatzung führten bei einem Ein-Personen- Haushalt im Ergebnis zu einer Mindestgebühr von jährlich (50,04 + 39,94) 89,98 €. Dies bedeute auf das Behältervolumen bezogen eine rechnerische Verringerung. Unter Zugrundelegung der im Auftrag des Beklagten erfolgten Untersuchung des tatsächlichen, ortsspezifischen und aktuellen Nutzungsverhaltens im Entsorgungsgebiet könne von einer Überversorgung mit Behältervolumen nicht ausgegangen werden. Bei dieser Sachlage sei nichts dafür erkennbar, dass die Höhe der Mindestgebühr in einem offensichtlichen Missverhältnis zum Maß der tatsächlichen Inanspruchnahme stehe. Der Beklagte sei bei dieser Sachlage auch nicht gehalten, 40-l-Behälter zur Verfügung zu stellen.

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Dass die Abfallentsorgung in Ostholstein teurer sei als anderenorts, sei irrelevant. Das Kostenüberschreitungsverbot beziehe sich auf die konkret zu beurteilende öffentliche Einrichtung und die ihr eigentümlichen Verhältnisse. Dies gelte auch im Hinblick auf das Gleichheitsprinzip. Die nach Art. 3 Abs. 1 GG anzustrebende Belastungsgleichheit greife stets nur innerhalb des jeweils einschlägigen Ortsrechts Platz. Eine Ausweitung des Vergleichsmaßstabes auf Verhältnisse außerhalb der Zuständigkeit des jeweiligen Ortsgesetzgebers würde zwangsläufig dessen örtliche Gesetzgebungskompetenz unterlaufen.

14

Der Umstand, dass die ZVO Entsorgung GmbH Gewinne erwirtschaftet habe, sei unergiebig. Die Gewinne seien ebenso wenig wie die Erträge des Beklagten aus dem Geschäftsanteil an der ZVO Entsorgung GmbH Einnahmen aus dem Betrieb der gebührenfinanzierten Abfallbeseitigungseinrichtung.

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Die Abfallgebühren seien auch nicht deshalb vorteilswidrig, weil sich die Gebühren des Beklagten nicht streng an der Kostenstruktur des mit der ZVO Entsorgung GmbH geschlossenen Versorgungsvertrages orientierten. Abfallgebühren würden den Vorteil abgelten, der daraus resultiere, dass die Nutzer die Möglichkeit hätten, sich des anfallenden Abfalles in unschädlicher Weise zu entledigen. Dieser Vorteil werde durch die Einschaltung Dritter, deren Leistungen der Beklagte zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgabe in Anspruch nehme, ebenso wenig verändert wie durch den Inhalt des vom Beklagten mit dem Dritten geschlossenen Vertrages.

16

Die Kritik an der Höhe der aufgrund des Entsorgungsvertrages mit der ZVO Entsorgung GmbH zu leistenden Entgelte sei angesichts der Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 KAG unberechtigt. Hiernach zählten zu den erforderlichen Kosten für die laufende Verwaltung und Unterhaltung der öffentlichen Einrichtung auch die Entgelte für die zur Erfüllung der öffentlichen Aufgabe in Anspruch genommenen Leistungen Dritter, soweit die Beauftragung Dritter unter Beachtung der Vorschriften des Vergaberechts erfolgt sei. Hieran bestünden vorliegend keine Zweifel. Der Beschluss der Vergabekammer vom 17.08.2004 (VK - SH 20/04 -) habe zwar das Vergabeverfahren in den früheren Stand zurückgesetzt und ein Nachprüfungsverfahren beendet, nicht jedoch das Vergabeverfahren. Das Vergabeverfahren sei vielmehr - unter Beachtung der Vorgaben der Vergabekammer - beendet worden. Gegen den schlussendlich erteilten Zuschlag sei kein erneutes Nachprüfungsverfahren angestrengt worden. Im Übrigen bezwecke § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 KAG keine Sanktionierung von Verstößen gegen vergaberechtliche Bestimmungen, sondern den Schutz der Gebührenzahler davor, aufgrund der Veranschlagung von nicht erforderlichen Kosten überhöhte Gebühren zu zahlen. Aus dem Beschluss der Vergabekammer lasse sich kein fortwirkender Verstoß gegen das Vergaberecht ableiten.

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Die angefochtenen Bescheide fänden daher in der am 24.06.2010 beschlossenen und zum 01.01.2011 in Kraft getretenen Gebührensatzung zur Satzung über die Entsorgung von Abfällen im Kreis Ostholstein (Abfallwirtschaftssatzung) vom 17.03.2005 in der Fassung des 3. Nachtrags zur Abfallwirtschaftssatzung vom 24.06.2010 eine hinreichende Rechtsgrundlage.

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Mit Beschluss vom 02.07.2014 hat der Senat die vom Kläger beantragte Berufung zugelassen.

19

Die Berufung wird vom Kläger wie folgt begründet:

20

Der Beklagte habe bei der Kalkulation der Abfallgebühren einen gegenüber 2010 überhöhten Gebührenbedarf angesetzt. In der Vergangenheit hätten stets Gebührenüberschüsse bestanden. Trotzdem sei für den Zeitraum 2011 bis 2013 ein um 8 % erhöhter Gebührenbedarf kalkuliert worden. Dies führe zu einem falsch kalkulierten Gebührensatz. Bei erheblichen Gewinnen der ZVO Entsorgung GmbH pro Jahr seien die Gebühren die höchsten im Lande. Aufgrund der erfolgten Privatisierung fiele seit dem 01.01.2006 die erhöhte Mehrwertsteuer von 19 % auf die Entgelte an, was zu einer Verteuerung führe. Bis Ende 2004 sei die Hausmüllentsorgung durch den Beklagten selbst durchgeführt worden. Ab dem 01.01.2005 erledige dies die ZVO Entsorgung GmbH, an der der Beklagte Geschäftsanteile von 51 % und die NAD GmbH & Co. KG als Holding 49 % halte. Der neu gegründeten ZVO Entsorgung GmbH sei unzulässigerweise das bestehende Anlagen- und Betriebsvermögen überlassen worden. Es habe seinerzeit ein Betriebsvermögen in Form von Kontoguthaben und Forderungen an Kunden in Höhe von annähernd 2,5 Mio. Euro gegeben. Bei rechtmäßiger Verfahrensweise hätten sich Leasing- oder Verkaufseinnahmen gebührenmindernd bei der Gebührenkalkulation ausgewirkt. Die negativen Folgen der entschädigungslosen Überlassung des Anlage- und Betriebsvermögens wirke sich bis heute auf die Höhe der Abfallgebühren aus. Zudem hätten seinerzeit unklare Ausschreibungsbedingungen geherrscht. Es sei unklar gewesen, wem beispielsweise die Erträge aus Wertstoffen wie Altpapier, Glas usw. zustehen sollten. Die Erträge aus der Verwertung von Abfallstoffen würden die anfallenden Kosten übersteigen und langfristig Gewinne sichern. Zudem wirke sich eine unternehmerische Fehlentscheidung des Beklagten bei einem Grunderwerb 1994 für die Deponie Schashagen bis heute kostenerhöhend aus, da dieses Grundstück später mit einem Verlust von ca. 4 Mio. habe verkauft werden müssen. Die Finanzierung dieser Fehlentscheidung aus Gebühreneinnahmen sei nicht zulässig. Der seinerzeitige Grunderwerb sei nicht erforderlich gewesen.

21

Bei der Kalkulation hätten Stundungszinsen und die Einnahmen aus Mahngebühren und Festgeldzinsen zugunsten der Gebührenzahler eingestellt werden müssen. Eine „Aufrechnung“ mit Kassenkreditzinsen sei nicht nachvollziehbar. Leistungen anderer Betriebsbereiche des Beklagten für die Abfallsparte seien Aufwendungen. Leistungen der Abfallsparte der ZVO Entsorgung GmbH für andere Bereiche seien Erträge. Die sich hierauf beziehenden kalkulierten inneren Verrechnungen von 590.163,-- € seien zu hoch und nicht nachvollziehbar. Da bei der Abfallsparte des Beklagten lediglich die Aufgabe der Gebührenerhebung verblieben sei, müsse die hohe Summe erklärt werden. Die kalkulatorische Verzinsung des Eigenkapitals sowie die angesetzte Höhe der Abschreibungen in der Kalkulation seien nicht nachvollziehbar.

22

87 % der Gesamtkosten würden als privatrechtliches umsatzsteuerpflichtiges Entgelt abgerechnet und seien dadurch den Kalkulationsregeln des Abgabenrechts entzogen. Ungeachtet der tatsächlichen Kostenentwicklung erfolge die Anpassung der Entgelte über den Lebenshaltungskostenindex. Die Notwendigkeit der Kosten sei nicht schon dadurch belegt, dass seinerzeit eine europaweite Ausschreibung erfolgt sei. Erstens datiere die Ausschreibung aus 2004; seitdem habe sich die Kosten- und Ertragssituation geändert. Zweitens habe die Vergabekammer die Ausschreibung seinerzeit als rechtswidrig und intransparent eingestuft. Seit Jahren würden von der ZVO Entsorgung GmbH Gewinne in Millionenhöhe generiert und an die privaten Anteilseigner abgeführt.

23

Die Festsetzung von behälterbezogenen Mindestgebühren in der Satzung sowie das Vorsehen linearer Leistungspreise seien rechtswidrig.

24

Der demografische Wandel könne nicht als Rechtfertigung für die Veränderung der Gebührenstruktur herangezogen werden. Laut Angaben des Statistischen Landesamtes werde sich die Bevölkerung in den nächsten neun Jahren ohnehin nur um 1,2 % verringern. Zwar nehme die Zahl der Ein-Personen-Haushalte zu. Diese Annahme sei für den Beklagten aber eher wirtschaftlich nachteilig. Obwohl durchschnittlich 40 l Restabfall in vier Wochen anfielen - wie das vom Beklagten erstellte Gutachten belege -, werde als kleinstes Gefäß lediglich die 80 l Restmülltonne angeboten. Hierdurch werde der Grundsatz der Maßstabsgerechtigkeit verletzt.

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Der Kläger beantragt,

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das angefochtene Urteil zu ändern und den Bescheid vom 03.02.2011 und den Widerspruchsbescheid vom 03.8.2011 aufzuheben.

27

Der Beklagte beantragt,

28

die Berufung zurückzuweisen.

29

Der Beklagte ist der Auffassung, die Gebührenkalkulation sei nicht zu beanstanden. Diese sei erstinstanzlich ausführlich erläutert und vom Verwaltungsgericht gebilligt worden. Die vom Kläger behauptete Gebührensteigerung um 8 % gegenüber der vorangegangenen Kalkulationsperiode treffe nicht zu. Gemäß der Nachkalkulation für das Jahr 2010 habe der Gebührenbedarf für die Restmüllabfuhr bei 14.196.010,-- Euro gelegen. Demgegenüber habe der gemittelte Wert des Gebührenbedarfes für den Zeitraum 2011 - 2013 bei 13.686.465,-- Euro gelegen.

30

Die Entgelte, welche der ZVO Entsorgung GmbH zustünden, seien aufgrund klarer gesetzlicher Regelung gebührenfähig.

31

Die seinerzeitige Übertragung von Vermögenswerten sei nicht entschädigungslos erfolgt. Der Beklagte habe vielmehr durch die Übertragung des Anlagevermögens aus der Abfallsparte seine Stammeinlage geleistet. Im Gegenzug habe er entsprechend werthaltige Geschäftsanteile an der gegründeten GmbH erworben. Hätte die GmbH für erforderliche Vermögenswerte Geld aufwenden müssen, so hätten entsprechende Aufwendungen als Anschaffungskosten im Rahmen des Entsorgungsvertrages dem Beklagten von der GmbH in Rechnung gestellt werden müssen, was höhere Gebühren ausgelöst hätte. Die Erforderlichkeit der an die GmbH zu zahlenden Kosten ergebe sich aus § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 KAG, da der Entsorgungsvertrag aufgrund einer öffentlichen Ausschreibung geschlossen worden sei. Aus der seinerzeit im Nachprüfungsverfahren verfügten Zurückversetzung in den vorigen Stand lasse sich kein Verstoß gegen das anschließend durchgeführte Vergabeverfahren herleiten.

32

Auf den Umstand, dass die Abfallentsorgung in Ostholstein teurer sei als anderswo, komme es nicht an. Das Überschreitungsgebot und das Gleichheitsgebot bezögen sich auf die konkret zu beurteilende öffentliche Einrichtung. Ob die ZVO Entsorgung GmbH Gewinne erwirtschafte, sei unerheblich, weil es sich insofern nicht um Einnahmen aus dem Betrieb der gebührenfinanzierten Abfallbeseitigungseinrichtung handele. Dies entspreche der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts. Heute seien die Gebührensätze im Übrigen auch nicht mehr die höchsten in Schleswig-Holstein, sondern lägen in einem guten Mittelfeld. Das seinerzeitige Vergabeverfahren sei nach Maßgabe der Rechtsgrundsätze des Oberverwaltungsgerichts, wie sie im Urteil vom 24. Juni 1998 aufgestellt worden seien, durchgeführt worden. Den Bietern sei mitgeteilt worden, zu welchen Kosten der Verband selbst - ohne Privatisierung - bei fortgeführten Planansätzen die Leistung der Abfallwirtschaft erbringen kann. Das Angebot der Bieter habe - unter Berücksichtigung der anfallenden Umsatzsteuer - nicht über dieser Höchstpreisgrenze liegen dürfen. Es sei mithin nicht zu einer Mehrbelastung der Gebührenschuldner durch die Privatisierung gekommen.

33

Der Erwerb landwirtschaftlicher Flächen für die Deponie Schashagen im Jahre 1994 sei entgegen der Annahme des Klägers nicht aus dem Gebührenhaushalt finanziert worden. Die Mittel hierfür stammten nicht aus der Sparte der Abfallbeseitigung, sondern aus dem sonstigen Verbandsvermögen des Beklagten. Dementsprechend seien diese Kosten auch nicht in die Kalkulation eingestellt worden. Gleichwohl sei der spätere Verkaufserlös im Jahre 2006 aufgrund eines Beschlusses der Verbandsversammlung dem Abfallbereich gutgeschrieben worden und dies, obwohl dieser die Anschaffungskosten nicht zu tragen gehabt hatte. Hierdurch sei eine bestehende Unterdeckung für das Jahr 2006 verringert worden, was für das Folgejahr den Gebührenbedarf entsprechend gemindert habe.

34

Die vom Kläger im Hinblick auf geltend gemachte Vertragsverletzungen insbesondere bezüglich geschuldeter Informations- und Mitspracherechte gemäß §2 Abs. 2 und §2 Abs. 6 des Übertragungsvertrages vom 30. Juni 2004 erhobenen Bedenken gegen die Wirksamkeit der Gebührensatzung seien nicht nachvollziehbar. Selbst bei einer - nicht vorliegenden - Verletzung vertraglicher Informationspflichten gebe der Übertragungsvertrag nichts für einen automatischen Rückfall des Satzungsrechtes her.

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Der Kläger liefere keine Begründung, warum der Erlös aus Wertstoffen dem Gebührenhaushalt gutgeschrieben werde müsse. Im Übrigen seien die Kosten der Sammlung von Wertstoffen immer noch höher als die Verwertungserlöse. Auch hätten die Preise für Wertstoffe - so etwa die für Altpapier - in der Vergangenheit extrem geschwankt.

36

Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf einen kleineren Abfallbehälter. Die Festlegung des 80 l Abfallbehälters als kleinsten Abfallbehälter stehe im abfallwirtschaftlichen Ermessen des Beklagten.

37

Anlässlich der Ausgliederung der Abfallsparte in die heutige ZVO Entsorgung GmbH (vormals „ZAG“) sei eine Spartenbilanz erstellt worden, der zufolge die übertragenen Anlagengüter einen Restbuchwert von 15.527.647,03 Euro hatten. Hierbei habe es sich um Buchwerte gehandelt. Die in der Kalkulation eingestellten Abschreibungen hätten sich auf die Deponien des Beklagten, im Wesentlichen auf Messtechnik und Sickerwasserreinigungsanlagen bezogen. Die Berechtigung hierzu ergebe sich aus § 5 Abs. 2 Ziffer 4 Buchstabe d LAbfWG. Rechte des Klägers würden durch die Vorgehensweise nicht verletzt.

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Die kalkulatorischen Zinsen seien allerdings fehlerhaft nicht auf das Anlagevermögen, sondern auf das höhere Eigenkapital berechnet worden. Es sei von kalkulatorischen Zinsen in Höhe von 294.290,-- Euro ausgegangen worden, wobei von einem Zinsfuß von 4 % berechnet auf den anteiligen Wert des Eigenkapitals in Höhe von 7.357.000,-- Euro ausgegangen wurde. Eine Nachberechnung habe diesen Fehler korrigiert, wobei nunmehr vom Anlagevermögen in Höhe von 1.991.000,-- Euro ausgegangen worden sei. Zugegebenermaßen sei im Streitjahr die kalkulatorische Verzinsung in Höhe von 214.669,-- Euro zu hoch angesetzt gewesen. Damit liege zwar eine im Ergebnis fehlerhafte Prognose für den Gebührenbedarf des Streitjahres vor, was jedoch wegen der sogenannten Geringfügigkeitsgrenze keine Konsequenzen für die Rechtmäßigkeit des Gebührensatzes habe. Der fehlerhafte Betrag liege deutlich unter der Geringfügigkeitsgrenze von 3 %.

39

Der in die Kalkulation eingestellte Personalaufwand sei genauso wenig zu beanstanden wie die Position „interne Leistungsverrechnungen“. Letztere enthalte alle diejenigen Kosten, welche nicht unmittelbar über eine der zuvor aufgestellten Positionen in den Gebührenbedarf eingestellt werden konnten. Hierzu gehörten neben den Abschreibungen und den Zinsen auch Sachanlagen, insbesondere das zentrale Verwaltungsgebäude des Beklagten, sämtliche Materialaufwendungen sowie sonstige betriebliche Aufwendungen sowie der nur anteilig zuzuordnende Personalaufwand. Dabei sei die anhand der Planung für das Jahr 2006 festgestellte Summe bis zum Streitjahr 2011 entsprechend der Tarifsteigerungen nach T-VÖD um 9,9 % hochgerechnet worden. Damit habe sich ein Umlagebetrag für die interne Leistungsverrechnung von 578.000,-- Euro ergeben, der in die Gebührenkalkulation einbezogen wurde.

40

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten und die Gerichtsakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist begründet.

42

Der Abfallgebührenbescheid des Beklagten vom 3. Februar 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2011 ist rechtswidrig, weil der Beklagte eine sogenannte „Jahresmindestgebühr“ erhebt und die Gebührensätze des § 4 Abs. 2 und 3 der Abfallgebührensatzung des Beklagten (AGS) vom 24. Juni 2010 in der für das Streitjahr 2011 geltenden Fassung überhöht und damit nichtig sind.

43

Der Senat hat hierzu im zeitgleich verhandelten Verfahren 4 LB 45/14 folgendes entschieden:

44

„Rechtsgrundlage des streitgegenständlichen Gebührenbescheides für das Erhebungsjahr 2011 ist § 5 Abs. 2 LAbfWG (in der bis zum 24.04.2014 geltenden Fassung) i.V.m. § 6 KAG und der maßgeblichen Gebührensatzung des Beklagten.

45

Maßgeblich für das Erhebungsjahr 2011 ist die von der Verbandsversammlung des Beklagten am 24. Juni 2010 beschlossene und gemäß § 13 AGS am 1. Januar 2011 in Kraft getretene Satzung. Die zeitgleich am 24. Juni 2010 ebenfalls beschlossenen Abfallgebührensatzungen, die sich von der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen insbesondere im Hinblick auf die Gebührensätze unterscheiden, sind zu verschiedenen Zeitpunkten rückwirkend in Kraft getreten. Dies zwingt zu dem Schluss, dass diese weiteren Satzungen jeweils nur eine zeitlich begrenzte Geltungsdauer haben (sollten) und mit Ablauf des Jahres 2010 nur noch die ab dem 1. Januar 2011 in Kraft getretene Satzung Geltung beanspruchen kann. Dass der Satzungsgeber nur das Inkrafttreten der Satzungen der für vergangene Zeiträume geltenden Satzungen und nicht deren Außerkrafttreten geregelt hat, was wünschenswert gewesen wäre, führt zu keinen Unklarheiten. Eine zu einem früheren Zeitpunkt in Kraft getretene Satzung verliert ihre

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Gültigkeit ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens einer zeitlich nachfolgenden Satzung, die die Erhebung einer gleichen oder gleichartigen Abgabe regelt. § 2 KAG erfordert nicht, dass eine Satzung, die sich keine Rückwirkung beimisst, das Außerkrafttreten einer „Vorgängersatzung“ ausdrücklich regelt. Der Beklagte hat allerdings in der Folgezeit am 11. Dezember 2013 eine weitere Gebührensatzung beschlossen, die rückwirkend zum 1. Januar 2010 in Kraft getreten ist. Diese später beschlossene rückwirkende Satzung wäre im vorliegenden Fall maßgeblich, wenn sie sich auch auf das Erhebungsjahr 2011 bezöge. Das ist jedoch nicht der Fall. Mit dem Inkrafttreten dieser Satzung sollte gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 nur die Gebührensatzung für das Abrechnungsjahr 2010 außer Kraft treten, nicht dagegen die hier für das streitgegenständliche Erhebungsjahr 2011 geltende Satzung. Auch trifft § 13 Abs. 2 dieser Satzung im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot des § 2 Abs. 2 KAG nur eine Regelung für das Erhebungsjahr 2010. Den Klägern ist einzuräumen, dass infolge des rückwirkenden Erlasses mehrerer Satzungen nicht auf Anhieb erkennbar ist, welche Satzung für welches Erhebungsjahr gilt, Zweifel lassen sich jedoch bei näherer Betrachtung ausräumen, sodass der Grundsatz der Rechtsklarheit (noch) nicht verletzt ist. Der Beklagte hat auf Anfrage des Gerichts mitgeteilt, dass nach Erlass der ab dem 1. Januar 2011 geltenden Satzung vom 24. Juni 2010 zwar noch später rückwirkende Satzungen beschlossen worden seien, die allerdings ausdrücklich nur den Zeitraum 2007 bis 2010 betroffen hätten. Gegenteiliges ist für den Senat nicht ersichtlich.

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Formelle Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der danach maßgeblichen Satzung erheben die Kläger nicht. Für den Senat sind solche auch nicht ersichtlich. Insbesondere bestehen für den Senat keine Zweifel, dass die Verbandsversammlung zum Erlass der Satzung berechtigt war. Der Kreis Ostholstein als gemäß § 3 Abs. 1 LAbfWG zuständiger Entsorgungsträger hat die Aufgabe der Abfallentsorgung bereits 1994, erneuert durch Vertrag vom 23./30. Juni 2004, nunmehr einschließlich der Satzungsbefugnis mit Wirkung zum 1. Januar 2005 auf den Beklagten übertragen.

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Die Erhebung sogenannter „Jahresmindestgebühren“ gemäß § 4 Abs. 2 AGS verstößt gegen höherrangiges Recht. Die Satzungsregelung ist daher insoweit nichtig und die darauf beruhende Veranlagung rechtswidrig.

49

Der Senat teilt die Auffassung des Beklagten, dass es sich bei der „Jahresmindestgebühr“ gemäß § 4 Abs. 2 AGS nicht um eine Mindestgebühr im Rechtssinne handelt. Die Mindestgebühr ist eine Benutzungsgebühr, die sich - anders als die Grundgebühr- jeweils insoweit am Maß der Inanspruchnahme orientiert, als bis zu einer bestimmten Grenze, die nach der (durchschnittlichen) Mindestinanspruchnahme zu bemessen ist, eine Pauschalgebühr erhoben wird, die dem Abgabengläubiger die Feststellung der Verbrauchs- oder Leistungsmenge in den betroffenen Fällen und insoweit die Berechnung der Gebühr erspart (BVerwG, Urt. v. 01.08.1986 - 8 C 120.84 -, NVwZ 1987, 79, s. auch Urt. v. 01.12.2005 - 10 C 4.04 -, NVwZ 2006, 589). Eine solche, nur für Kleinsthaushalte geltende Mindestgebühr erhebt der Beklagte nicht, sondern eine Teil-Behältergebühr, gestaffelt nach dem Behältervolumen. Da es auf die Bezeichnung nach dem Wortlaut der Gebührensatzung nicht ankommt, kann dahinstehen, ob Mindestgebühren nach dem Abfallgebührenrecht des Landes Schleswig-Holstein erhoben werden dürfen. Der Senat merkt gleichwohl an, dass schon § 5 Abs. 2 Nr. 2 LAbfWG der Erhebung von Mindestgebühren entgegenstehen dürfte.

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Nach § 5 Abs. 2 LAbfWG richtet sich die Erhebung von Abfallgebühren nach dem KAG Schleswig-Holstein mit verschiedenen Maßgaben. Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 2 LAbfWG können im Rahmen des Äquivalenz- und Kostendeckungsprinzips entsprechend den Abfallmengen gestaffelte Gebühren erhoben werden. Diese Maßgabe wäre überflüssig, wenn damit nur das Äquivalenz- und Kostendeckungsprinzip als maßgeblich für das Abfallgebührenrecht bestimmt werden sollte. Das Äquivalenzprinzip ist als Ausprägung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dem Begriff der Gebühr immanent (BVerfG, Beschl. v. 11.10.1966 - 2 BvR 179/64 u.a. -, BVerfGE 20, 247, 270 u. Beschl. v. 07.02.1991 - 2 BvR 24/84 -, BVerfGE 83, 363, 392). Das Kostendeckungsprinzip ist ausdrücklich in § 6 Abs. 2 Satz 1 KAG als Bemessungsgrundlage für die Benutzungsgebühr festgelegt. Demnach bleibt als Maßgabe nur die Erhebung entsprechend den Abfallmengen gestaffelter Gebühren. Da die Mindestgebühr sich an der durchschnittlichen Mindestinanspruchnahme der Einrichtung zu orientieren hat (BVerwG, Urt. v. 01.08.1986 - 8 C 112.84 -, KStZ 1987, 11), mithin eine Pauschalgebühr ist, ist sie jedenfalls als solche keine nach Abfallmengen gestaffelte Gebühr. Dem Wortlaut der Maßgabe des § 5 Abs. 2 Nr. 2 LAbfWG kann nicht entnommen werden, dass - abweichend von § 6 KAG - im Abfallgebührenrecht die Erhebung einer Mindestgebühr zulässig sein soll. Die Maßgabe war bereits in der Ursprungsfassung des § 5 Abs. 2 (seinerzeit Nr. 1) des LAbfWG von 1991 enthalten. In der Begründung (LT-Drs. 12/1432 S. 39 f.) heißt es, Nr. 1 stelle klar, dass zur Schaffung von Anreizen zur dringend gebotenen Abfallvermeidung eine Staffelung der Benutzungsgebühren in Abhängigkeit zur Menge der der entsorgungspflichtigen Körperschaft jeweils überlassenen Abfälle zulässig ist. Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze seien so zu staffeln, dass sie den unterschiedlichen Ausmaßen der erbrachten Leistung Rechnung tragen. Von der Zulässigkeit einer Mindestgebühr, die der Abfallvermeidung entgegenwirkt, ist nicht die Rede.

51

Aus der Maßgabe des § 5 Abs. 2 Nr. 3 LAbfWG lässt sich Gegenteiliges nicht entnehmen. Danach können u.a. benutzungsunabhängige Betriebskosten (Fixkosten) der vorgehaltenen Bioabfallentsorgung in die Bemessung von Abfallentsorgungsgebühren einbezogen werden. Können danach - ohne tatsächliche Inanspruchnahme der Bioabfallentsorgung - die Fixkosten in die Bemessung der (allgemeinen) Abfallgebühr einbezogen werden, lässt sich daraus nur der Schluss ziehen, dass nach der später in das Gesetz aufgenommenen Maßgabe Nr. 3 im Rahmen der Bioabfallentsorgung neben der Einbeziehung von Fixkosten der Bioabfallentsorgung in die allgemeine Gebühr noch eine Zusatzgebühr (Leistungsgebühr) im Fall der tatsächlichen Inanspruchnahme erhoben werden kann (muss).

52

Selbst wenn man die Auffassung, dass schon gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 LAbfWG die Erhebung einer Mindestgebühr ausgeschlossen ist, nicht teilt, weil die Mindestgebühr nicht isoliert zu betrachten sei, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Dann findet gemäß § 5 Abs. 2 LAbfWG § 6 KAG - insoweit ohne Maßgabe - Anwendung. Nach § 6 Abs. 4 Satz 2 KAG sind Benutzungsgebühren grundsätzlich nach dem Umfang und der Art der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung zu erheben. Abweichend von diesem Grundsatz können gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 KAG Benutzungsgebühren (auch) als Grundgebühren und Zusatzgebühren erhoben werden. Die Mindestgebühr findet auch hier keine Erwähnung. Richtig ist, dass die Mindestgebühr eine Leistungsgebühr ist. Sie ist aber eine Pauschalgebühr, die sich als solche nicht nach dem Umfang der Inanspruchnahme richtet. Soweit der früher für das Gebührenrecht zuständige 2. Senat des OVG Schleswig die Auffassung vertreten hat, dass Benutzungsgebühren auch in Gestalt von Mindestgebühren erhoben werden können (vgl. Urt. v. 02.09.2010 - 2 LB 8/10 - zur Schmutzwassergebühr unter Bezugnahme auf eine ältere Entscheidung des OVG Lüneburg, Urt. v. 17.08.1977 - III C 4/77 -, Die Gemeinde 1977, 401 zur Abfallgebühr), vermag der erkennende Senat dem nicht zu folgen. Die dafür gegebene Begründung, auch unter der Geltung des Preußischen KAG seien Gemeinden zur Erhebung von Grund-, Zusatz- und Mindestgebühren ohne spezielle gesetzliche Ermächtigung befugt gewesen, überzeugt nicht. Gesetzesänderungen bringen Rechtsänderungen mit sich. Der Landesgesetzgeber hat für die Erhebung von Benutzungsgebühren eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage geschaffen und speziell geregelt, in welcher Form Benutzungsgebühren erhoben werden dürfen, für die Erhebung einer Mindestgebühr aber - anders als andere Landesgesetzgeber - keine Ermächtigungsgrundlage geschaffen, obwohl ihm die Rechtslage nach dem Preußischen KAG bekannt gewesen sein dürfte. In der Gesetzesbegründung (LT-Drs. VI/920 S. 25) wird zwar nicht ausdrücklich ausgeführt, dass neben der sogenannten Anschlussgebühr auch die Möglichkeit der Erhebung der Mindestgebühr entfällt. Zur Grundgebühr wird aber ausführlich Stellung genommen, während die Mindestgebühr, die ebenfalls der Rechtfertigung und der Erörterung bedurft hätte, auch in der Gesetzesbegründung keine Erwähnung findet. Auch die Behauptung, die Aufzählung in § 6 Abs. 4 KAG sei lediglich beispielhaft, steht weder mit dem Wortlaut des Gesetzes noch mit der Begründung im Einklang. Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 KAG können in Abweichung von dem Grundsatz der Bemessung der Gebühr nach Umfang und Art der Inanspruchnahme Benutzungsgebühren als Grund- und Zusatzgebühren erhoben werden. Dem Wortlaut fehlt jeder Zusatz, der eine erweiternde Auslegung eröffnen und Anhaltspunkte für eine nur beispielhafte Aufzählung sein könnte. Der Wortlaut ist vielmehr abschließend. Auch die Gesetzesbegründung spricht nur davon, dass Satz 1 die Erhebung von Benutzungsgebühren in Form von Grundgebühren und Zusatzgebühren gestatte.

53

Im Übrigen besteht für die Erhebung von Mindestgebühren regelmäßig kein Bedürfnis. Mindestgebühren ersparen dem Abgabengläubiger bei geringfügiger Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung die Messung der Verbrauchs- und Leistungsmenge. Für die Erhebung einer Mindestgebühr ist kein Raum, wenn auch geringe Verbrauchsmengen - wie zum Beispiel bei der Wasserversorgung - gemessen werden oder wenn - wie bei der Abwasserbeseitigung - Maßstab die bezogene Frischwassermenge ist. Im Abfallgebührenrecht findet regelmäßig der Behältermaßstab Anwendung. Insoweit wirkt sich die Bemessung der Gebühr nach dem geringsten Behältervolumen im Zusammenhang mit dem längsten Abfuhrrhythmus wie eine Mindestgebühr aus (siehe OVG Schleswig, Urt. v. 09.11.1991 - 2 L 149/91 -, Die Gemeinde 1992, 160). Eine solche „faktische Mindestgebühr“ ist unvermeidliche Folge der Wahl eines zulässigen Maßstabes und deshalb auch nicht zu beanstanden, wenn das Landesrecht die Erhebung einer Mindestgebühr nicht vorsieht.

54

Die sogenannte „Jahresmindestgebühr“ des § 4 Abs. 2 AGS ist keine Grundgebühr. Der Beklagte führt selbst aus, dass der Begriff „Jahresmindestgebühr“ vom Satzungsgeber in Abgrenzung zur Grundgebühr gewählt wurde. Die Erhebung einer Grundgebühr wäre auch deshalb rechtswidrig, weil die Grundgebühr eine spezielle Gebühr für die Inanspruchnahme der Vorhalteleistung ist (OVG Schleswig, Beschl. v. 24.08.2001 - 2 M 65/01 -, NordÖR 2001, 403 u. Urt. v. 17.01.2001 - 2 L 9/00 -, NordÖR 2001, 307), die der Abdeckung nicht variabler Kosten dient. Die „Jahresmindestgebühr“ des § 4 Abs. 2 AGS soll dagegen einen bestimmten Prozentsatz (ca. 30 %) der Gesamtkosten abdecken, die wesentlich durch Fremdleistungskosten bestimmt werden, die keine variablen Kosten sind (siehe OVG Schleswig, Urt. v. 15.03.2006 - 2 LB 9/05 -, NordÖR 2006, 263).

55

Die vom Beklagten nach § 4 Abs. 2 AGS erhobene „Jahresmindestgebühr“ ist eine Teil-Behältergebühr, die - wie der Beklagte in der Berufungserwiderung zutreffend ausgeführt hat - schlicht der Deckung eines Teils (ca. 30 %) des Gebührenbedarfs dient, bemessen nach dem Nennvolumen des zur Verfügung gestellten Behälters. Es handelt sich mithin um eine Art „Sockelgebühr“, für die die vorstehenden Ausführungen zur Mindestgebühr erst recht gelten und die weder im LAbfWG noch im KAG eine Grundlage findet.

56

Soweit das Verwaltungsgericht ausführt, dass nach den Regelungen der Gebührensatzung bei einem Ein-Personen-Haushalt im Ergebnis (gemeint ist die Gesamtbelastung durch die Jahresmindestgebühr und die Zusatzgebühr bei vierwöchentlicher Abfuhr) zu einer (faktischen) Mindestgebühr in Höhe von jährlich 89,98 Euro führe, die nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zum Maßstab der tatsächlichen Inanspruchnahme stehe, spricht es nur das Äquivalenzprinzip an, dem jede Gebührenbelastung genügen muss. Auch die (faktische) Mindestgebühr muss aber der anzunehmenden durchschnittlichen Mindestinanspruchnahme entsprechen. Dem steht die Erhebung einer Einheitsgebühr für das 80-Liter-Gefäß für Ein- bis Vier-Personenhaushalte entgegen (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 09.11.1991, a.a.O.), auch wenn damit nur ein prozentualer Anteil des Gesamtgebührenbedarfs gedeckt werden soll (siehe hierzu auch die nachfolgenden Ausführungen).

57

Der Entsorgungsträger ist allerdings nicht gehindert, den zulässigen Behältermaßstab zu modifizieren. Es trifft nicht zu, dass die Gebührensatzung grundsätzlich keine kleinere Leistungseinheit als Maßstab für die Gebührenbemessung wählen kann als den kleinsten zur Verfügung gestellten Behälter. Der Beklagte selbst hat in der Vergangenheit bei Zurverfügungstellung eines 80-Liter-Gefäßes als kleinsten Behälter eine (weitere) Differenzierung der Gebühr nach der Anzahl der auf dem Grundstück lebenden Personen durch Satzung geregelt. Dagegen lassen sich Bedenken nicht erheben. Ob die seinerzeitigen Abschläge nach dem alten Gebührensystem für Ein- bis Dreipersonenhaushalte den überlassenen Abfallmengen entsprochen haben, ist eine andere Frage, die hier keiner Erörterung bedarf. Der Entsorgungsträger wäre auch nicht gehindert, Einheitsbehälter für Haushalte zur Verfügung zu stellen und die Gebühr nach der „gebuchten“ beziehungsweise der unter Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten anfallenden Abfallmenge zu bemessen, wobei durch Markierung am Gefäß deutlich gemacht wird, bis zu welchem Verfüllungsgrad die Abfallentsorgung (ohne Gebührenmehrbelastung) in Anspruch genommen werden kann. In dieser Weise wird von anderen Entsorgungsträgern (z.B. dem Kreis Rendsburg-Eckernförde) verfahren. Die Frage nach der Zurverfügungstellung eines 40-Liter-Behälters stellt sich daher nicht. Dem Entsorgungsträger ist auch nicht verwehrt, die Gebühr kostenorientiert zu bemessen, das heißt nach Leistungsbereichen (Entleerung, Transport und Beseitigung) zu unterscheiden, um so dem Umfang und der Art der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung bei der Gebührenbemessung in besonderer Weise Rechnung zu tragen. Allerdings kommt eine solche differenzierte kostenorientierte Gebührenbemessung nur in Betracht, soweit dem Entsorgungsträger nach Leistungsbereichen zu unterscheidende Kosten entstehen, die eine Zuordnung allein nach dem Behältervolumen nicht als verursachungsgerecht erscheinen lassen.

58

Der Beklagte hat mehr oder weniger willkürlich die „Jahresmindestgebühr“ auf der Grundlage eines Anteils am Gesamtaufwand in Höhe von ca. 30 % kalkuliert. Für den Senat ist nicht ersichtlich, wie der Beklagte den Prozentsatz ermittelt hat. In der Sitzungsvorlage der Verbandsversammlung vom 24. Juni 2010 (zum Tagesordnungspunkt 7 b, S. 4) heißt es dazu: Die Mindestgebühr richte sich nicht an dem absoluten Minimum einer Inanspruchnahme der Einrichtung, sondern an der durchschnittlichen Mindestinanspruchnahme aus. Sie finanziere demgemäß ca. 30 % der Gesamtkosten der Einrichtung. Letzteres macht nur das Fehlverständnis des Beklagten vom Wesen der Mindestgebühr deutlich. Die nach § 4 Abs. 2 AGS von allen Benutzern der Restabfallentsorgung zu erhebende „Sockelgebühr“ steht mit der durchschnittlichen Mindestinanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung durch Kleinsthaushalte in keinem sachlichen Zusammenhang.

59

Den jährlichen Gebührenbedarf für die Entsorgung des Restabfalls (ohne Bedarfsund Mehrfachabfuhr) in Höhe von ca. 13,7 Mio Euro hat der Beklagte nach einem Durchschnitt für drei Jahre abzüglich einer Dividende in Höhe von 400.000,-- Euro errechnet. Der danach durch die „Jahresmindestgebühr“ zu deckende Kostenanteil beträgt 4.092.253,-- Euro. Dieser Betrag wird durch sogenannte Mindestgebühreneinheiten geteilt. Die Mindestgebühreneinheiten (65.386) errechnen sich aus einem Faktor (0,8 für 80-Liter-Gefäße bzw. 1,0 - 5,0 für die 120-Liter-Gefäße bis 1. 100-Liter- Gefäße) multipliziert mit der Anzahl der Behälter. Ergebnis ist ein Betrag in Höhe von 62,59 Euro pro Mindestgebühreneinheit. Dieser Betrag wird in einem 2. Schritt wieder mit dem Faktor der jeweiligen Behältergröße multipliziert, sodass sich (in etwa) die in der Gebührensatzung festgelegten „Jahresmindestgebühren“ errechnen. Danach wird der durch die „Mindestgebühr“ zu deckende Gebührenbedarf von den Grundstückseigentümern, denen ein 80-Liter-Gefäß zur Verfügung gestellt wird, in Höhe eines Betrages von 2.720.975,04 Euro (54.376 Behälter x 50,04 Euro) gedeckt. Dies sind ca. 66,5 % des durch die Mindestgebühr zu deckenden Gebührenbedarfs, während die Behälterkapazität der 80-Liter-Gefäße nur bei 53,41 % der gesamten Behälterkapazitäten liegt.

60

Die Anwendung von Faktoren zur Ermittlung der Mindestgebühreneinheit und die damit verbundende degressive Steigerung der „Mindestgebühr“ begründet der Beklagte damit, dass der spezifische Aufwand, zum Beispiel die in etwa gleich hohen Anfahrkosten unabhängig von der Behältergröße, pro entsorgtem Liter abnehme. Die vorgenommene Behältergrößenfaktorisierung erfolge gemäß anerkannter Literatur- und Branchenwerte. Nach überschlägigen Überprüfungen lägen auch keine Erkenntnisse vor, die ein Abweichen von diesen Werten in Ostholstein begründen würden (S. 3 der Sitzungsvorlage zur Verbandsversammlung zum Tagesordnungspunkt Nr. 7 b). Erstinstanzlich hat der Beklagte ergänzend vorgetragen, ein 80-Liter-Gefäß sei nicht für 2/3 des Anschaffungsaufwandes eines 120-Liter-Gefäßes zu erwerben. Der zeitliche Aufwand für eine Leerung und die Anschaffung entspreche vielmehr dem typischen Verhältnis von 80 % im Vergleich zu einem 120-Liter-Gefäß. Für den Senat ist ohne Weiteres nachvollziehbar, dass aus den vorgenannten Gründen der Entsorgungsaufwand der ZVO Entsorgung GmbH pro Liter überlassenen Abfalls mit zunehmender Behältergröße abnimmt, dies hat jedoch keine entsprechende Auswirkung auf die Fremdleistungskosten, die der Beklagte pro Liter zu tragen hat und die anteilig durch die „Mindestgebühr“ gedeckt werden sollen, weil nach dem Entsorgungsvertrag pro Liter gleich hohe Beträge in Rechnung gestellt werden (im Kalkulationsjahr 2010 ca. 1,51 Euro pro Liter sowohl für das 80-Liter-Gefäß als auch für das 120-Liter-Gefäß). Entstehen beim Entsorgungsträger gleich hohe Kosten pro Liter des zur Verfügung gestellten Behälters, kann der unterschiedliche Entsorgungsaufwand des Fremdleisters pro Liter eine Gebührendifferenzierung aus Kostengründen nicht rechtfertigen. Die Anschaffungskosten für Behälter dürften kaum ins Gewicht fallen, sie sind zudem entsprechend ihrer Lebensdauer kalkulatorisch auf mehrere Jahre zu verteilen.

61

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts lässt sich die relative Mehrbelastung der Benutzer, denen ein 80-Liter-Gefäß zur Verfügung gestellt wird, auch nicht mit unterschiedlichen Vorteilen begründen. Richtig ist, dass die Gebühr ein Vorteilsentgelt ist. Die Bemessung der Gebühr hat sich aber gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 2 LAbfWG nach der überlassenen Abfallmenge beziehungsweise gemäß § 6 Abs. 4 Satz 2 KAG grundsätzlich nach dem Umfang und der Art der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung zu richten. Führt die Inanspruchnahme der Einrichtung über ein 80-Liter- Gefäß beim Entsorgungsträger nicht zu höheren Kosten pro Liter, besteht auch kein Grund für eine weitere Gebührendifferenzierung.

62

Die Mehrbelastung der Nutzer von 80-Liter-Gefäßen kann auch nicht mit dem Füllgrad gerechtfertigt werden. Vielmehr liegt der Füllgrad nach der vom Beklagten in Auftrag gegebenen Untersuchung bei den 120-Liter- und 240-Liter-Behältern über dem der 80-Liter-Gefäße (eine Ausnahme besteht bei Grundstücken, die von mehr als 3 Personen bewohnt werden und denen nur ein 80-Liter-Gefäß zur Verfügung gestellt wird). Etwas anders stellt sich die Sachlage beim Vergleich der Schütt- und Raumdichte dar. Jedenfalls dann, wenn auch eine Biotonne vorhanden ist, ist die Schütt- und Raumdichte bei den 120-Liter- und 240-Liter-Behältern regelmäßig geringer als bei den Haushalten, die über einen 80-Liter-Behälter verfügen. Die Füllgrade und die Schüttdichte beziehungsweise Raumdichte bei Verwendung von 770-Liter- und 1. 100-Liter- Behältern wurden von dem Beklagten nicht untersucht, sodass sich insoweit keine Aussage treffen lässt, ob insbesondere im Hinblick auf die Menge des überlassenen Abfalls pro Liter Gefäßinhalt wesentliche Abweichungen bestehen.

63

Die relative Mehrbelastung der Grundstückseigentümer, denen ein 80-Liter-Gefäß zur Verfügung gestellt wird, findet demnach weder aus Kostengründen noch wegen des Umfangs und der Art der überlassenen Abfallmenge eine Rechtfertigung. Entscheidend kommt hinzu, dass die Mindestgebühr für die 80-Liter-Gefäße unterschiedslos erhoben wird, unabhängig davon, welcher Abfuhrrhythmus gewählt wird und wie viele Personen auf dem Grundstück wohnen. Füllgrade, Schütt- und Raumdichte liegen bei vierwöchiger Leerung häufig sogar unter den Werten der zweiwöchigen Leerung. Schließlich steigt der Abfall mit der zunehmenden Zahl der auf dem Grundstück lebenden Personen. Insoweit ist allerdings keine lineare Steigerung festzustellen, gleichwohl wirkt sich die undifferenzierte „Mindestgebühr“ für Grundstücke mit 80- Liter-Gefäßen zum Nachteil der Ein- und Zwei-Personen-Haushalte aus (insbesondere bei Wahl des vierwöchentlichen Abfuhrrhythmus). Eine Ermäßigung der „Mindestgebühr“ für Grundstücke, auf denen nur eine Person wohnt, sieht die Satzung nicht vor. Gemäß § 4 Abs. 3 letzter Absatz wird nur die Leistungsgebühr bei vierwöchiger Leerung bei einem Ein-Personen-Haushalt um 20 % ermäßigt. Nach § 18 Abs. 6 Satz 1 der Abfallwirtschaftssatzung des Beklagten in der Fassung der 3. Nachtragssatzung können für maximal zwei benachbarte anschlusspflichtige Grundstücke auf schriftlichen Antrag ein oder mehrere gemeinsame Abfallbehälter (Nachbarschaftstonne) mit ausreichenden Kapazitäten gemäß Abs. 4 und 5 zugelassen werden. Diese Ausnahmeregelung auf Antrag und im Einvernehmen mit einem Nachbarn ändert aber nichts an der unverhältnismäßigen Mehrbelastung der übrigen mit 80-Liter-Gefäßen ausgestatteten Grundstücken, deren Eigentümer zu einer Einheitsgebühr für die Inanspruchnahme von 80-Liter-Gefäßen zur Finanzierung des 30%igen Gebührenbedarfs herangezogen werden.

64

Als Grund für die Einführung des neuen Gebührensystems ab 2011 wird in der Sitzungsvorlage für die Verbandsversammlung am 24. Juni 2010 die demographische Entwicklung angeführt. Die Anzahl kleiner Haushalte werde stark zunehmen, während die Anzahl der großen Haushalte abnehme. Bereits heute (Stand: 2010) seien 78,46 % aller Restabfallbehälter 80-Liter-Behälter. Auf die Gruppe der Ein- bis Zwei- Personen-Haushalte entfielen 44,5 %. Verändere der Kunde sein Leistungsintervall von zweiwöchiger auf vierwöchentliche Abfuhr oder reduziere sich die Zahl der auf dem Grundstück angeschlossenen Personen, führe dieser Umstand (nach dem alten Gebührensystem) zu einer Gebührenreduzierung bei dem Kunden, der ZVO zahle aber trotzdem weiterhin den gleichen Preis nach dem Entsorgungsvertrag an die ZVO Entsorgung GmbH, weil danach unabhängig vom Leerungsintervall und den angeschlossenen Personen ein Entgelt lediglich abhängig vom bereitgestellten Volumen (80- oder 120-Liter) zu zahlen sei. Dies macht deutlich, dass der wesentliche Grund für die befürchtete zukünftige Unterdeckung der Fremdleistungskosten nicht das Gebührensystem als solches ist, sondern die Entgeltregelung des Entsorgungsvertrages. Der Entsorgungsvertrag ist allein maßgeblich für die Bemessung der (erforderlichen) Fremdleistungen und vermag die Einführung einer „Sockelgebühr“ nicht zu begründen. Die Bemessung der Gebühr hat sich nach dem Gesetz zu richten. § 5 Abs. 2 Nr. 2 LAbfWG schreibt in Verbindung mit dem KAG - wie ausgeführt - die Erhebung gestaffelter Gebühren entsprechend den Abfallmengen beziehungsweise nach Umfang und Art der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung vor. Dem entsprach das alte Gebührensystem, nachdem die Gebühr nach der Größe des Behälters mit Abschlägen für Ein- bis Drei-Personen-Haushalte bei Verwendung eines 80- Liter-Gefäßes zu bemessen war. Der Umstand, dass nach der vom Beklagten in Auftrag gegebenen Untersuchung die Abschläge nicht den überlassenen Abfallmengen entsprochen haben dürften, rechtfertigt nicht die (teilweise) Abkehr von einem nach Abfallmengen gestaffelten Gebührenmaßstab und die Einführung von (Teil-)Einheitsgebühren, je nach Behältergröße.

65

Neben der „Jahresmindestgebühr“ wird in dem streitgegenständlichen Gebührenbescheid eine Zusatzgebühr (Leistungsgebühr) für den Restabfall sowie eine Gebühr für die Entsorgung von Bioabfällen festgesetzt. Insoweit ist zu unterscheiden.

66

Die Unzulässigkeit der Erhebung der „Jahresmindestgebühr“ wirkt sich auch auf die Rechtmäßigkeit der Zusatzgebühr für Restabfall aus. Zwar könnte dem entgegengehalten werden, die Zusatzgebühr, mit der nur 70 % der Gesamtkosten abgedeckt werden sollen, sei nicht überhöht, sodass der Gebührenschuldner durch die Erhebung nur der Zusatzgebühr nicht in seinen Rechten verletzt werde. Auch lässt sich im vorliegenden Fall die Rechtswidrigkeit der Zusatzgebühr nicht damit begründen, dass es dem Satzungsgeber überlassen bleiben müsse, ob er künftig eine einheitliche Benutzungsgebühr erhebt oder welchen Deckungsgrad er gegebenenfalls für die „Sockelgebühr“ vorsehen will (siehe hierzu OVG Schleswig, Urt. v. 24.11.1999 - 2 K 19/97 -, Die Gemeinde 2000, 46 zum Verhältnis von Grund- und Zusatzgebühr), weil die Erhebung der Sockelgebühr unzulässig ist. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Entsorgungsträger die Gesamtkosten kumulativ durch „Mindestgebühren“ und Leistungsgebühren decken wollte. Nach dem entsprechend anzuwendenden § 139 BGB ist die Gesamtnichtigkeit des Maßstabes anzunehmen, weil ohne die „Sockelgebühr“ die Zusatzgebühr ihren Sinn verliert. Ist der fehlerbehaftete Teil einer Maßstabsregelung mit dem übrigen Normgefüge - beziehungsweise einem wiederum abtrennbaren Teil davon - so verflochten, dass die Restbestimmung ohne den nichtigen Teil nicht sinnvoll bestehen bleiben kann, führt dies zur Gesamtnichtigkeit einer Maßstabsregelung.

67

Die Gebühr für die Entsorgung von Bioabfällen ist dagegen eine selbstständige Gebühr gemäß § 4 Abs. 3 Buchstabe c AGS. Eine Mindestgebühr wird insoweit nicht erhoben. Die Erhebung dieser Gebühr ist daher nur rechtswidrig, wenn der Gebührensatz fehlerhaft kalkuliert wurde.

68

Die Gebührensätze des § 4 Abs. 2 und 3 AGS sind überhöht. Sie beruhen auf einer fehlerhaften Kalkulation.

69

Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 KAG sollen Benutzungsgebühren so bemessen werden, dass sie die erforderlichen Kosten der öffentlichen Einrichtung decken (Kostendeckungsprinzip). Das Kostendeckungsprinzip beinhaltet einerseits das Kostendeckungsgebot und andererseits das Kostenüberschreitungsverbot. Ein Verstoß gegen das Kostenüberschreitungsverbot führt nach ständiger Rechtsprechung zur Nichtigkeit des Gebührensatzes (siehe nur OVG Schleswig, Urt. v. 24.06.1998 - 2 L 113/97 -, NordÖR 1998, 135).

70

Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 KAG gehören zu den erforderlichen Kosten auch Entgelte für die zur Erfüllung der öffentlichen Aufgabe in Anspruch genommenen Leistungen Dritter, soweit die Beauftragung Dritter unter Beachtung der Vorschriften des Vergaberechts erfolgt ist. Die ZVO Entsorgung GmbH ist Dritter in diesem Sinne.

71

Zu der in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltenen Befugnis der eigenverantwortlichen Führung kommunaler Geschäfte gehört auch die Organisationshoheit. Diese umfasst die Befugnis, die Art und Weise der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zu organisieren. Dabei verpflichtet der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit die Kommune, ihre Aufgaben grundsätzlich durch eigene Verwaltungseinrichtungen also mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation wahrzunehmen (BVerfG, Urt. v. 20.02.2007 - 2 BvR 2433/04 u.a. -, BVerfGE 119, 331, 367; BVerwG, Urt. v. 23.08.2011 - 9 C 2.11 -, BVerwGE 140, 245, 249; OVG Weimar, Beschl. v. 23.02.2012 - 4 ZKO 711/11 -, ThürVBl. 2012, 279; VGH Mannheim, Urt. v. 16.02.2009 - 1 S 3263/08 -, ESVGH 60, 160). Hinsichtlich der Reichweite und Modalitäten der Einschaltung privater Dritter Näheres zu bestimmen, unterliegt (regelmäßig) der Regelung durch den Landesgesetzgeber. Das lässt indes die Aufgabenträgerschaft der Kommune als solche grundsätzlich unberührt. Die in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgte Organisationshoheit erlaubt der Kommune jedenfalls nicht, sich einer ihr gesetzlich zugewiesenen öffentlichen Aufgabe ohne gleichermaßen gesetzliche Ermächtigung mit „schuldbefreiender“ - besser pflichtenbefreiender - Wirkung zu entledigen (BVerwG, Beschl. v. 28.02.2013 - 8 B 60.12 -, Juris). Entsprechendes gilt für den Beklagten, dem der Kreis Ostholstein die Aufgabe der Abfallbeseitigung übertragen hat.

72

Nach § 22 KrWG (früher § 16 KrW/AbfG) darf der Entsorgungsträger Dritte mit der Erfüllung seiner Pflichten beauftragen. Weder das Bundes- noch das Landesrecht enthalten oder enthielten Einschränkungen hinsichtlich des Umfangs der Beauftragung.

73

Deshalb hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig (Urt. v. 24.06.1998, a.a.O.) auch die umfängliche Übertragung der Aufgabenerfüllung der Abfallentsorgung auf einen privaten Dritten als zulässig erachtet. Es hat aber im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Kosten bei umfänglicher Beauftragung Dritter gefordert, dass die entsorgungspflichtige Körperschaft, bevor sie Dritte mit der Erfüllung der Aufgabe der Abfallbeseitigung beauftragt, grundsätzlich prüft, ob sie ihre Aufgabe nicht in eigener Regie kostengünstiger erfüllen könnte (sog. Regiekostenvergleich) und entschieden, dass eine Auftragsvergabe unter Verstoß gegen das Ausschreibungsgebot des §29 GemHVO a.F. dann das Kostenüberschreitungsverbot verletzt, wenn dadurch Mehrkosten (z.B. schon wegen des vom Dritten einkalkulierten Gewinns oder anfallender Steuern, die bei Wahrnehmung der Aufgabe in Eigenregie nicht anfallen) entstehen. Der Entsorgungsträger könne (im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Entsorgungskosten) nur so gestellt werden, als erfülle er die Aufgabe ohne die (umfängliche) Inanspruchnahme eines Dritten.

74

Der Gesetzgeber hat in Reaktion auf diese Entscheidung den § 6 KAG geändert und eine der heutigen Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 KAG entsprechende Regelung (§ 6 Abs. 2 Satz 4 KAG a.F.) in das Gesetz eingefügt (GVOBl. 1998, 345). Die Rechtsprechung zum sogenannten Regiekostenvergleich hat sich durch diese Gesetzesänderung erledigt (OVG Schleswig, Urt. v. 16.02.2005 - 2 LB 109/03 -, Juris). Der Gesetzgeber hat billigend in Kauf genommen, dass insbesondere bei umfänglicher Vergabe der Entsorgungsleistungen an private Dritte schon deshalb, weil diese im Gegensatz zur öffentlichen Hand nicht steuerbegünstigt sind, die Gebührenbelastung der Gebührenschuldner erheblich steigen kann, weil nunmehr Entgelte für in Anspruch genommene Leistungen Dritter - wenn die Vorschriften des Vergaberechts beachtet werden - kraft gesetzlicher Regelung erforderliche Kosten im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 KAG sind. Auf die von den Klägern angesprochenen Mehrkosten der sogenannten „Privatisierung“ der Abfallentsorgung wegen anfallender Mehrwertsteuer und Mehrwertsteuererhöhungen kommt es daher nicht entscheidungserheblich an.

75

Die Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 KAG kann nicht dahingehend verstanden werden, dass - im Umkehrschluss - bei Missachtung von Vergabevorschriften die infolge der Vergabe an private Dritte entstandenen Fremdleistungskosten keine erforderlichen Kosten sind. Der früher für das Gebührenrecht zuständige 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Schleswig hat hierzu bereits ausgeführt, dass eine derartige Rechtsfolge nicht mit dem Selbstfinanzierungsprinzip vollkostenrechnender Einrichtungen und dem Entgeltcharakter der Benutzungsgebühren als adäquater Gegenleistung für in Anspruch genommene Leistungen einer öffentlichen Einrichtung vereinbar wären (Urt. v. 13.02.2008 - 2 KN 3/06 -, NordÖR 2008, 236). Daran hält der erkennende Senat mit der klarstellenden Ergänzung fest, dass sowohl die Fremdleistungen als auch die Fremdleistungskosten zur Erfüllung der Aufgabe erforderlich sein müssen. Die Missachtung von Vergabevorschriften ist nur dann unbeachtlich, wenn auszuschließen ist, dass auch bei Einhaltung der Vorschriften Leistungen nicht kostengünstiger hätten erbracht werden können. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

76

Die Kläger machen geltend, die Vergabekammer habe in ihrem Beschluss vom 17. August 2004 (VK-SH 20/04) eine Reihe gravierender Verstöße gegen Vorschriften des Vergaberechts festgestellt, die nicht durch die Vergabekammer geheilt worden seien. Dies trifft zu, denn die Vergabekammer hat ungeachtet der auch nach ihrer Auffassung dem Grunde nach gebotenen Rückversetzung des Verfahrens (s. S. 31 des Umdrucks des Beschlusses) von einer Rückversetzung abgesehen, weil nach Einlassung des Beklagten die nach der Zulassung zum Verhandlungsverfahren freiwillig ausgeschiedenen fünf Bewerber aufgrund anderer als kalkulatorischer Erwägungen auf eine weitere Teilnahme am Verhandlungsverfahren verzichtet hätten und Gegenteiliges aus den Vergabeakten nicht zu entnehmen sei. Eingedenk dessen wäre es unter Berücksichtigung des berechtigten Interesses der Beteiligten an einem zügigen Fortgang des Verfahrens wohl unverhältnismäßig, alle für das Verhandlungsverfahren qualifizierten Bieter am weiteren Verfahren zu beteiligen. Die Einzelheiten der Gründe des Ausscheidens der fünf Bieter hatte der Beklagte wegen des noch laufenden Verhandlungsverfahrens nicht offenbart. Das Vergabeverfahren ist dann unter Beteiligung der Antragstellerin des Nachprüfungsverfahrens entsprechend der Entscheidung der Kammer fortgesetzt worden, weil der Beklagte jedenfalls den Ausschluss der Antragstellerin vom weiteren Verfahren - falls ein solcher überhaupt vorgelegen habe - aufgehoben hat. Der Umstand, dass ein weiteres Nachprüfungsverfahren nicht stattgefunden hat, macht die objektiv gegebenen Verfahrensverstöße nicht ungeschehen. Die Vergabekammer hat vielmehr allein im Hinblick auf die Antragstellerin des Nachprüfungsverfahrens keinen Verfahrensverstoß mehr gesehen, weil das Verfahren unter ihrer Beteiligung weiterzuführen war.

77

Gleichwohl sind die von der Vergabekammer festgestellten Verfahrensverstöße nur von sekundärer Bedeutung (siehe dazu unten), weil Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens die Ausschreibung des Erwerbs von Geschäftsanteilen an einer noch zu gründenden ZVO Abfallwirtschafts-GmbH (ZAG) war und nicht die Vergabe eines öffentlichen Auftrags, für den Beklagten die Abfallentsorgung durchzuführen.

78

Die Vergabe des Dienstleistungsauftrags nicht an die Bieter des durchgeführten Vergabeverfahrens, sondern an die zu gründende oder in Gründung befindliche Eigengesellschaft des Beklagten (ZAG) stand von vornherein fest. Zwar heißt es in der Vergabebekanntmachung vom 20. Februar 2004 unter Bezeichnung des Auftrags durch den Auftraggeber (Abschnitt II, 1.5): „Erwerb von 49,9 % der Geschäftsanteile an einer Eigengesellschaft des Auftragsgebers in Verbindung mit Abfallentsorgungsdienstleistungen“, unter 1.6 wird aber der Gegenstand des Auftrags näher beschrieben. Danach sollte mit der Anteilsveräußerung die Eigengesellschaft mit bestimmten Entsorgungsleistungen beauftragt werden. Die Anteilsveräußerung und die Auftragsvergabe sind insoweit verschiedene Vorgänge. Die Gesellschaftsanteile sollte einer der Bieter erwerben, während der Entsorgungsvertrag mit der ZAG ohne Beteiligung anderer Unternehmen an einem Vergabeverfahren geschlossen werden sollte. So ist auch verfahren worden. Der Beklagte hat durch Vertrag vom 15. Oktober 2004 seine Eigengesellschaft (ZAG) mit der Abfallentsorgung beauftragt. Der Vertrag trat gemäß § 15 am 1. Januar 2005 in Kraft. Daneben ist wie in der Präambel des Entsorgungsvertrages vorgesehen, in einem 2. Schritt die NAD-GmbH & Co. KG durch Veräußerung von Geschäftsanteilen auf der Grundlage des im Nachprüfungsverfahren streitgegenständlichen Vergabeverfahrens mit 49,9% ab dem 1. Januar 2005 an der ZAG beteiligt worden.

79

Die Vergabe des Dienstleistungsauftrags an die seinerzeitige 100%ige Tochter des Beklagten ist eine sogenannte de-facto-Vergabe. Nach der Richtlinie 92/50/EWG ist eine europaweite Ausschreibung eines öffentlichen Dienstleistungsvertrages grundsätzlich immer erforderlich, wenn der Schwellenwert - wie hier - überschritten ist. Demgegenüber kann der Beklagte nicht mit Erfolg geltend machen, dass der Abschluss eines Entsorgungsvertrages mit der ZAG zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, als deren Geschäftsanteile noch vollständig vom Beklagten gehalten wurden, die Vergabe mithin ein zulässiges „In-house-Geschäft“ gewesen sei. Zwar ist die Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, eine Ausschreibung vorzunehmen, aus Gründen der Rechtssicherheit normalerweise anhand der Bedingungen zu prüfen, die zum Zeitpunkt der Vergabe des fraglichen öffentlichen Auftrags vorlagen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Auftrag - wie hier - über eine mehrere gesonderte Schritte umfassende künstliche Konstruktion, nämlich die Gründung zunächst einer Eigengesellschaft, den Abschluss des Entsorgungsvertrages mit ihr und die Veräußerung von 49,9 % ihrer Anteile an die NAD GmbH, letztlich an ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen vergeben wurde; denn mit dem operativen Geschäft sollte erst am 1. Januar begonnen werden, d.h. zu dem Zeitpunkt, zu dem die NAD GmbH in die ZAG eingetreten ist. Die Vergabe eines solchen Auftrags ist dann unter Berücksichtigung der Gesamtheit dieser Schritte sowie ihrer Zielsetzung zu prüfen (EuGH, Urt. v. 10.11.2005 - RS C-29/04 -, Juris).

80

Die Ausschreibung der Veräußerung der Geschäftsanteile vermag die Ausschreibung des Dienstleistungsauftrags nicht zu ersetzen, auch wenn bei der Vergabe maßgeblich auf ein sogenanntes verbindliches Angebot zum Abschluss eines Entsorgungsvertrages auf der Basis eines nicht disponiblen Vertragsentwurfs abgestellt worden sein sollte. Abgesehen davon, dass die Bieter nicht Vertragspartei des Entsorgungsvertrages werden sollten, sondern nach Abschluss des Entsorgungsvertrages mit der ZAG zu einem späteren Zeitpunkt nur Minderheitsgesellschafter werden konnten, ist die Veräußerung von Geschäftsanteilen eines öffentlichen Auftragsgebers an privatrechtlich organisierte Gesellschaften (materielle Privatisierung) grundsätzlich vergaberechtsneutral. Etwas anderes kann nur in Ausnahmefällen - wie etwa bei Manipulation zur Umgehung vergaberechtlicher Gemeinschaftsvorschriften gelten (OLG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 29.04.2010 - 1 Verg 3/10 -, VergabeR 2010, 979 unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 19.06.2008, C-454/06, NJW2008, 3341 ff.). Demnach kann die Veräußerung von Geschäftsanteilen, wenn es sich um eine tatsächliche Änderung des Vertragspartners handelt, eine neue Auftragsvergabe bedeuten, mit der Folge, dass eine erneute Ausschreibung des Dienstleistungsvertrages erforderlich wird (siehe hierzu auch OLG Düsseldorf, Beschl. vom 28.07.2011- VII-Verg 20/11 -, KommJur 2012, 143).

81

Die Ausschreibung von Geschäftsanteilen statt der Ausschreibung des öffentlichen Dienstleistungsauftrags stellt sich demzufolge als eine versuchte Umgehung der Regelungen der Richtlinie 92/50/EWG dar.

82

Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen hat der erkennende Senat nach Landesrecht zu prüfen, ob die Ausschreibung und Veräußerung von Geschäftsanteilen in Verbindung mit dem Abschluss eines Entsorgungsvertrages, dessen Kriterien für die Vergabe ausschlaggebend sind, der Regelung des § 6 Abs. 2 Nr. 2 S. 3 KAG unterfällt. Dies ist zu verneinen.

83

Schon der Wortlaut der Regelung stellt darauf ab, dass die Beauftragung des Dritten (hier der ZAG) mit Leistungen zur Erbringung öffentlicher Aufgaben unter Beachtung des Vergaberechts erfolgt sein muss. Dass der Landesgesetzgeber nur die Ausschreibung und Vergabe von Aufträgen im Blick hatte, macht auch die Historie der Einführung der Regelung deutlich. Daraus folgt aber nicht ohne Weiteres, dass die der ZVO für Fremdleistungen der ZVO Entsorgung GmbH in Rechnung gestellten Entgelte nicht erforderlich sind. Wie ausgeführt, können Entgelte für Leistungen Dritter selbst dann erforderlich sein, wenn keine Ausschreibung stattgefunden hat.

84

Die Ausschreibung von Geschäftsanteilen bietet keine Gewähr dafür, dass Fremdleistungskosten erforderlich sind, selbst wenn bei der Vergabe maßgeblich auf ein sogenanntes „verbindliches“ Angebot zum Abschluss eines Entsorgungsvertrages abgestellt wird.

85

Schon die Bekanntgabe der Ausschreibung von Geschäftsanteilen in Verbindung mit Abfallentsorgungsdienstleistungen schließt potentielle Bieter aus, die nur an der Erbringung der Dienstleistung als solcher, nicht aber am Erwerb von Geschäftsanteilen interessiert sind. Der Beklagte hat zutreffend dargestellt, dass eine Wechselwirkung zwischen der Bereitschaft des Dritten, einen hohen Kaufpreis für vom öffentlichen Auftraggeber zu übernehmende Anlagegüter zu zahlen und dem Entsorgungsentgelt besteht. Entsprechendes gilt für die Bereitschaft, auf Geschäftsanteile zu bieten, wenn der Gewinn nach dem Entsorgungsvertrag entsprechend hoch ist. Jedenfalls ist das für den Geschäftsanteil zu leistende Entgelt eine zusätzliche finanzielle Belastung neben den Selbstkosten der Leistungserbringung. Hinzu kommt, dass der erwirtschaftete Gewinn der Gesellschaft bei einer 50%igen Beteiligung mit dem ZVO zu teilen ist. Desweiteren wechselte bisheriges Personal des ZVO zur ZAG. Im Rahmen der Wahrung der Arbeitnehmerinteressen sollte der zukünftige strategische Partner unter anderem dazu beitragen, dass die zusätzliche Altersvorsorge der derzeit beschäftigten Mitglieder mindestens gleichwertig und ohne Belastung des Beklagten gewährleistet ist (Bekanntmachung vom 28.02.2004 Abs. 4 des Abschnittes VI). Das sogenannte „erste Angebot“ sollte unter anderem eine verbindliche Erklärung beinhalten, dass die Regelung von Mindestbedingungen des Schutzes der Arbeitnehmer des Beklagten anlässlich der Umstrukturierung von Betriebsteilen der AG (sog. „Mindestkatalog") als verbindlich anerkannt wird. Schließlich hat sich einer der fünf Bieter, die nach Zulassung zum Verhandlungsverfahren vor Erhöhung des ursprünglichen, angeblich verbindlichen Höchstpreises um ca. 1,35 Millionen Euro, das heißt um mehr als 10%, ausgeschieden sind, deshalb nicht mehr am weiteren Vergabeverfahren beteiligt, weil durch die im Grundsatz bindend vorgegebene Transaktionsstruktur mit dem im Wesentlichen verbindlichen Vertragswerk und den vorgeschriebenen institutionellen Bindungen keine Wirtschaftlichkeit zu erwarten sei. Insbesondere die beim ZVO künftig verbleibenden enormen Personalanteile und Servicefunktionen, die zudem durch den noch zu schließenden Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen ZVO und ZAG mitfinanziert werden müssten, seien ein entscheidendes Argument. Die Annahme der Vergabekammer, dass die freiwillig ausgeschiedenen Bieter aus anderen als kalkulatorischen Gründen nicht weiter am Vergabeverfahren teilgenommen haben, trifft daher jedenfalls im Hinblick auf einen der ausgeschiedenen Bieter nicht zu. Welche Gründe die übrigen Bieter bewogen haben, am Verhandlungsverfahren nicht mehr teilzunehmen, kann dem im vorliegenden Verfahren vorgelegten Schriftverkehr nicht entnommen werden. Es bleibt aber die Frage, ob jedenfalls ein Bieter, wenn ihm nach Erhöhung des angeblich verbindlichen Höchstpreises die Abgabe eines ersten Angebotes (wieder) ermöglicht worden wäre, sich nicht doch am weiteren Verfahren beteiligt hätte.

86

Der Beklagte hat seine während des Vergabeverfahrens getroffene Entscheidung, den „verbindlichen“ Höchstpreis zu erhöhen, damit begründet, dass sich eine Planungsannahme als unzutreffend erwiesen habe und die ursprünglich vereinbarten Höchstpreise nicht auskömmlich gewesen seien. Daher stellt sich die Wirtschaftlichkeit der Beteiligung an der Entsorgungsgesellschaft nach der Korrektur des Höchstpreises entscheidend anders dar.

87

Nach alledem steht für den Senat außer Zweifel, dass der letztlich im Entsorgungsvertrag vereinbarte Preis (99 % des korrigierten Höchstpreises) überhöht ist. Jedenfalls hätte ein Dienstanbieter, der nur mit Entsorgungsleistungen beauftragt wird, ein deutlich günstigeres Angebot abgeben können.

88

Die Richtigkeit der Annahme, dass die Fremdleistungen nicht im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 KAG erforderlich sind, wird bestätigt durch einen Vergleich der Entsorgungskosten im Entsorgungsbereich des ZVO mit denen in anderen Kreisen und die Höhe der von diesen Kreisen beziehungsweise Abfallwirtschaftsgesellschaften verlangten Entgelte. Entsorgungsleistungen sind im Wesentlichen marktgängige Leistungen, so- dass grundsätzlich eine Vergleichbarkeit besteht.

89

In seiner Entscheidung vom 13. Februar 2008 (a.a.O.) hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Schleswig die Erforderlichkeit der Fremdleistungskosten mit Preisvergleichen begründet. Angesprochen wurden auch die Entsorgungskosten im Gebiet des Beklagten, die mit 192,00 Euro pro Mg um 90 % über den der seinerzeitigen Antragsgegnerin lagen. Richtig ist, dass maßgeblich für die Erforderlichkeit der Kosten die tatsächlichen Verhältnisse im Entsorgungsgebiet sind. Einem Preisvergleich kommt daher nur indizielle Bedeutung zu. Anhaltspunkte dafür, dass der Entsorgungspreis pro Mg aufgrund besonderer Verhältnisse im Kreis Ostholstein im vorgenannten Ausmaß gerechtfertigt ist, hat der Senat nicht. Vielmehr rechtfertigt der Beklagte in seinem „Faktenheft Abfallgebühren“, das in der mündlichen Verhandlung eingeführt wurde, auf Seite 6 die Ostholsteinische Abfallgebühr, die der Höhe nach im Landesvergleich relativ weit oben rangiere, vor allem unter anderem mit der Bewahrung der Unabhängigkeit von großen Müllkonzernen. Dies macht deutlich, dass auch er davon ausgeht, dass bei Beauftragung anderer Dienstleister die Entsorgungskosten geringer wären. Die Ausschreibung dient dem Wettbewerb und soll gebührenrechtlich gewährleisten, dass keine vermeidbaren Mehrkosten entstehen. Das Bestreben des Beklagten, den Dienstleistungsauftrag - ungeachtet möglicherweise entstehender Mehrkosten - nur an einen Anbieter zu vergeben, der mehrheitlich von ihm beherrscht wird, steht dazu im Widerspruch. Auch die übrigen, zur Rechtfertigung der Gebührenhöhe angegebenen Gründe, wie Betrieb eines Müllheizkraftwerkes, Angebot eines alle Abfallarten umfassenden Sammelsystems, Gewährleistung qualifizierter und auskömmlicher Arbeit (Zahlung von Tariflöhnen) sowie Einhaltung hoher technischer und ökologischer Standards, betreffen ebenfalls keine besonderen Verhältnisse im Kreis Ostholstein. Angemerkt sei insoweit nur, dass das Müllheizkraftwerk als Anlagegut dem Dritten (der ZAG) übertragen wurde und damit kein eigenes des ZVO (mehr) ist. Sollte es unrentabel sein, wie es in der mündlichen Verhandlung angeklungen ist, ist der Weiterbetrieb im Kosteninteresse einzustellen. Auch andere Anbieter müssen gemäß § 22 Satz 3 KrWG über die erforderliche Zuverlässigkeit verfügen. Auch bei ihrer Beauftragung hätte das TarifTreueG SH Anwendung finden müssen.

90

Der Höchstpreis, der nach wie vor - abzüglich eines Prozentsatzes von einem Prozent - Grundlage der Berechnung der Fremdleistungen der ZVO Entsorgung GmbH ist, wurde im Jahre 2004 kalkuliert. Die Umfrage des Schleswig-Holsteinischen Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, auf die der 2. Senat seine Entscheidung gestützt hat, datiert von Dezember 2005. Auch gegenwärtig liegen die Entsorgungspreise in anderen Kreisen deutlich niedriger. Nach dem abfallwirtschaftlichen Preis-/Leistungsvergleich Schleswig-Holstein/Hamburg für das Gebühren-/Entgeltjahr 2014 (Informationsmaterial des Kreises Rendsburg-Eckernförde), der ebenfalls in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde, rangiert der Kreis Ostholstein an letzter Stelle. Inwieweit es sich insoweit nur um einen „Daumenvergleich“ handelt, mag dahinstehen. Der Senat hat selbst Vergleiche vorgenommen. Die für den Kreis Rendsburg-Eckernförde tätige Abfallwirtschaftgesellschaft (AWR) hat zum Beispiel im Streitjahr 2011 für die Entsorgung des Restabfalls über ein 80-Liter-Gefäß, bei 14tägiger Leerung, einen Betrag von jährlich 110,40 Euro in Rechnung gestellt. Die von den Klägern verlangte Gebühr beträgt demgegenüber 149,88 Euro. Ab 2015 hat die AWR die Entsorgungskosten für Bioabfall bis zu 120 Liter in das sogenannte „Grundentgelt Haushalte“ eingepreist und dieses Grundentgelt gegenüber 2011 um 30,-- Euro erhöht, während von den Klägern für 2011 für die Entsorgung von Bioabfall über ein 80-Liter- Gefäß ein Betrag von 63,96 Euro gefordert wird. Auch die übrigen Entsorgungspreise für 120-Liter bis 1.100-Liter-Behälter lagen bei dem Beklagten im Jahre 2011 um 90 % über denen der AWR im Jahr 2015 (einschließlich Bioabfall). Im Kreis Plön sind die Gebühren ebenfalls erheblich niedriger. Für die 14-tägliche Leerung der Restmülltonne (80 l) werden 99,60 Euro erhoben. Auch die Gebühren für die Leerung der Biotonne (120 l; 14-tägliche Leerung) sind - wenn auch geringfügig - niedriger; sie betragen 55,20 Euro im Jahr. Ebenso verhält es sich im Kreis Schleswig-Flensburg (54,-- Euro).

91

Dies lässt den Rückschluss zu, dass auch in dem Kalkulationszeitraum 2011 bis 2013 die kalkulierten Entsorgungskosten des ZVO allein im Hinblick auf Fremdleistungen der ZVO Entsorgung GmbH deutlich über den Entsorgungskosten anderer Kreise lagen. Dafür spricht auch, dass nach den Angaben des Beklagten (Sitzungsvorlage zum Tagesordnungspunkt 7) 2004 das jährliche Abfallaufkommen für den Restabfall bei ca. 42.400 Mg lag. Die Restabfallmenge dürfte sich in den Folgejahren - wenn überhaupt - nicht wesentlich erhöht haben. In der Kalkulation für das Jahr 2011 werden die Fremdleistungskosten allein aus dem Entsorgungsvertrag mit der ZVO Entsorgung GmbH mit 12.984.510,-- Euro angegeben. Daraus errechnet sich ein Preis von über 305,-- Euro pro Mg, der noch einmal um mehr als 110,-- Euro über dem der Preisumfrage vom Dezember 2005 liegt.

92

Auf weitere Kalkulationsmängel kommt es nach dem vorher Gesagten nicht mehr an. Gleichwohl sei hierzu folgendes kurz ausgeführt:

93

Der Beklagte hat eingeräumt, dass im Streitjahr die kalkulatorische Verzinsung in Höhe von 214.696,-- Euro zu hoch angesetzt war. Dieser fehlerhafte Kalkulationsansatz fällt nicht unter die sogenannte Toleranz- oder Bagatellgrenze. Zwar führt nicht jede geringfügige Kostenüberdeckung, die aus der Einbeziehung nicht gebührenfähiger Kosten resultiert, zur Nichtigkeit des Gebührensatzes (OVG Schleswig, Urt. v. 24.06.1998 - 2 L 22/96 -, NordÖR 1998, 351). Etwas anderes gilt allerdings bei Überschüssen (Gewinn) oder bei der Einbeziehung von Kosten, die offenkundig weder leis- tungs- noch einrichtungsbezogen sind (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 24.06.1998, a.a.O.). Bei einem Fall wie dem vorliegenden, in dem rechtsirrig nicht einrichtungsbezogene Kosten in die Kalkulation eingeflossen sind, führen daher auch geringfügige Auswirkungen auf den Gebührensatz zu dessen Unwirksamkeit (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 04.09.2014 - 4 KN 1/13 -, Juris). Daran ändert auch der Ausgleich von Überund Unterdeckungen in nachfolgenden Kalkulationsperioden gemäß § 6 Abs. 2 Satz 9 KAG nichts.

94

Der Wert des Betriebs- und Anlagevermögens, das der ZVO in die ZAG eingebracht hat, ist nicht als Ertrag in die Gebührenkalkulation einzustellen. Die Einrichtung der Abfallbeseitigung ist nicht beitragsfinanziert. Der Gebührenschuldner wird nur über die Gebühr in Höhe der Abschreibungen wegen des Werteverzehrs und die Einstellung kalkulatorischer Zinsen in die Gebührenbedarfsberechnung belastet. Die Veräußerung oder die Übertragung eines noch nicht abgeschriebenen Anlagegutes auf eine Gesellschaft wirkt sich daher bei Abschreibung vom Anschaffungs- oder Herstellungswert regelmäßig nicht gebührenmindernd aus. Ist dagegen in der Vergangenheit vom Wiederbeschaffungszeitwert abgeschrieben worden, hätten nach Ablauf der Nutzungsdauer Gebührenmehreinnahmen zur Finanzierung der Re-Investition zur Verfügung gestanden. Diese Mehreinnahmen dürfen dem Gebührenhaushalt nicht entzogen werden, wenn der Vermögensgegenstand der Einrichtung veräußert wird und eine Re-Investition nicht mehr beabsichtigt ist. Entsprechendes mag gelten, wenn vor Ablauf der tatsächlichen Nutzungsdauer der Vermögensgegenstand vollständig abgeschrieben ist oder der tatsächliche Wert den Restbuchwert zum Zeitpunkt der Veräußerung übersteigt. In diesem Fall wird der Vermögensgegenstand der (unmittelbaren) Nutzung durch die Einrichtung entzogen, obwohl der Gebührenzahler für die Restnutzungsdauer bereits durch Gebührenzahlungen in Vorlage getreten ist. Dies rechtfertigt die Forderung, den Restbuchwert des Vermögensgegenstandes, soweit er den buchmäßigen Restwert übersteigt, dem Gebührenhaushalt gutzubringen (OVG Schleswig, Urt. v. 16.02.2005- 2 LB 109/03 -, Juris).

95

Ob Letzteres auch für den Fall der umfänglichen Beauftragung eines Dritten, verbunden mit Veräußerung beziehungsweise Übertragung von Anlagegütern auf diesen Dritten, gilt, erscheint fraglich. Denn in diesem Fall ist der Gebührenschuldner dadurch geschützt, dass der Entsorgungsvertrag mit dem Dritten wegen des Ausschreibungsgebots nur geschlossen werden kann, wenn er das günstigste Angebot abgegeben hat. Im Übrigen ist für den Senat nicht ersichtlich, dass vorliegend nach Wiederbeschaffungszeitwerten abgeschrieben wurde, Verkaufserlöse über dem Restbuchwert erzielt wurden oder vollständig abgeschriebene Anlagegüter in die ZAG eingebracht wurden, die noch zur Leistungserbringung zur Verfügung standen.

96

Die in die Kalkulation eingestellten Personalkosten in Höhe von 694.290,-- Euro (für 2011) sind nach den Angaben des Beklagten Personalkosten die unmittelbar der Abfallentsorgung zuzurechnen sind. Insoweit stellt sich nur die Frage nach der Zuordnung dieser Kosten zu den einzelnen Kostenträgern (Rest-, Bio-Abfall usw.). Der Beklagte hat die Zuordnung nach der Anzahl der Bescheide vorgenommen, was - gegenüber einer Erfassung von Beschäftigungszeiten - ein grober Zuordnungsschlüssel ist, in Anbetracht der Höhe der Kosten und der nur geringfügigen Auswirkung auf die Gebührensätze aber akzeptabel erscheint.

97

Querschnittskosten, darunter fällt auch die von den Klägern wiederholt angesprochene 0,7 Juristenstelle, sind in der Kalkulationsposition „Interne Leistungsverrechnungen“ enthalten. Welchen Verteilungsschlüssel der Beklagte insoweit gewählt hat, ist für den Senat nicht ersichtlich, mag aber dahinstehen, denn der Beklagte hat bereits 2006 selbst Zweifel an der Richtigkeit der Zuordnung von Personalkosten zur Einrichtung Abfallbeseitigung gehabt und deshalb den ermittelten Gesamtbetrag der Querschnittskosten in Höhe von 1.177.000,-- Euro (davon 682.000,-- Euro Personalkosten) auf 526.000,-- Euro gekürzt. Nach der hier maßgeblichen Kalkulation sind 335.000,-- Personalkosten als Querschnittskosten in Ansatz gebracht worden. Den Gesamtbetrag von 732.000,-- Euro hat der Beklagte auf den 2006 in Ansatz gebrachten Betrag von 526.000,-- Euro gekürzt, Tarifsteigerungen in Höhe von 9,9 % berücksichtigt und so einen Gesamtbetrag in Höhe von 584.570.-- Euro (für 2011) errechnet und in die Kalkulation eingestellt. In welcher Höhe Personalkosten als Querschnittskosten in die Kalkulation eingestellt worden sind, ist demzufolge nicht exakt nachzuvollziehen. Da die übrigen Querschnittskosten aber (wohl) nicht zu beanstanden sein dürften, dürfte die Kürzung um ca. 150.000,-- Euro im Wesentlichen auf Personalkosten entfallen und deshalb dieser Ansatz nicht überhöht sein.

98

Schließlich ist auch nicht zu beanstanden, dass der Beklagte keine Zinserträge in die Kalkulation eingestellt hat. Bei rechtmäßiger Handhabung der Veranlagung dürfen Zinserträge in Folge von Gebührenzahlungen und Zahlungen an Fremddienstleister nicht entstehen. Die Gebühr entsteht mit der Verwirklichung des Gebührentatbestandes. Der Beklagte erhebt eine Jahresgebühr, die regelmäßig (Ausnahme siehe § 12 KAG) erst nach Ablauf des Erhebungsjahres festgesetzt, jedenfalls aber nicht vor Ablauf des Erhebungsjahres erhoben werden kann (siehe zur Abwassergebühr: OVG Schleswig, Urt. v. 22.02.2003 - 2 K 1/01 -, SchlHA 2003, 255). Das KAG kennt keine sogenannte „antizipierte“ Benutzungsgebühr, vielmehr können gemäß § 6 Abs. 4 Satz 4 KAG auf Benutzungsgebühren (nur) vom Beginn des Erhebungszeitraums an (angemessene) Vorauszahlungen bis zur Höhe der voraussichtlich entstehenden Gebühr gefordert werden. Etwaige Zinserträge, die der Beklagte erzielt, weil er nach § 11 AGS - entgegen § 6 Abs. 4 Satz 4 KAG - die Zahlung der noch nicht entstandenen Jahresgebühr schon während des Erhebungsjahres in halbjährlichen Teilbeträgen am 15. März und 15. September verlangt, sind deshalb nur im Rahmen des Ausgleichs von Über- und Unterdeckungen gemäß § 6 Abs. 2 Satz 9 KAG zu berücksichtigen.“

99

Diese Ausführungen gelten im vorliegenden Verfahren ebenso.

100

Soweit der Kläger darüber hinaus Angriffe gegen die Gebührenkalkulation vorgebracht hat, sind diese nicht mehr entscheidungserheblich. Lediglich ergänzend sei noch kurz angemerkt:

101

Der Kläger macht geltend, die Privatisierung habe zur Folge gehabt, dass sich die Kosten um die MwSt erhöht hätten. Obwohl die GmbH Gewinne gemacht habe, seien die Gebühren gegenüber der vorangegangenen Kalkulationsperiode erheblich gestiegen. Die Gebühren seien teurer als andernorts. Hierzu ist zu entgegnen:

102

Dass die Berücksichtigungsfähigkeit der MwST gesetzlich gewollt ist, ist bereits oben ausgeführt worden.

103

Darauf, ob die GmbH Gewinne macht, kommt es für sich genommen nicht an, weil es sich nicht um Gewinne der gebührenfinanzierten Einrichtung handelt, sondern um Gewinne des Dritten, dessen sich der Beklagte bedient.

104

Zur Intransparenz des Vergabeverfahrens und der Unklarheit der Vergabebedingungen ist oben bereits das Erforderliche gesagt worden. Darauf ob die GmbH mit der Verwertung von Wertstoffen, sei es in der Sparte der öffentlich-rechtlichen Abfallentsorgung, sei es außerhalb, Gewinn macht, kommt es für sich genommen nicht an. Erträge aus dem Geschäftsanteil an dem beauftragten Dritten - hier der ZVO Entsorgung GmbH - sind keine Einnahmen aus dem Betrieb der gebührenfinanzierten Abfallbeseitigung, sondern aus einer davon zu unterscheidenden wirtschaftlichen Betätigung. Daher kann dahinstehen, in welchem Umfang die ZVO Entsorgung GmbH Gewinne an den Beklagten abführt und auf welchen Geschäftsfeldern diese Gewinne gegebenenfalls erzielt werden (OVG Schleswig, Urt. v. 13.02.2008 - 2 KN 3/06 -, Die Gemeinde 2008, 136 = NordÖR 2008, 236 = SchlHA 2008, 325; Beschl. v. 24.11.2008 - 2 MB 14/08 -).

105

Mahngebühren, Stundungszinsen und Erträge aus Festgeldkonten sind entgegen der Auffassung des Klägers als Einnahmen für den allgemeinen Haushalt, nicht im Rahmen der Kalkulation der jeweiligen Abfallbeseitigungsgebühr als Ertrag einzustellen.

106

Soweit der Kläger hinsichtlich der Deponie Schashagen meint, der seinerzeitige Grunderwerb für die Flächen der geplanten Deponie sei nicht erforderlich gewesen, die seinerzeitige Fehlentscheidung hätte in der Folgezeit bis heute die Gebührenzahler belastet, zumal die entsprechenden Flächen nur mit großem Verlust hätten verkauft werden können, gilt Folgendes:

107

Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Beklagten ist der Erwerb seinerzeit nicht mit Mitteln des Gebührenhaushaltes finanziert worden. Gleichwohl ist der spätere Erlös bei Verkauf dem Gebührenhaushalt gutgeschrieben worden. Von einer Einstellung nicht erforderlicher Kosten in eine frühere Kalkulation kann deshalb nicht die Rede sein.

108

Soweit schließlich der Kläger die Rechtswidrigkeit von Mindestgebühren und linearen Leistungsgebühren rügt, hat er in ersterem (s.o) recht, in letzterem nicht, weil nach dem Maß der Inanspruchnahme ausgerichtete lineare Leistungsgebühren gerade der Regelung des § 5 Abs. 2 Nr. 2 LAbfWG Rechnung tragen.

109

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

110

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe hierfür im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.


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Ist ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig, so ist das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde.

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(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 9. September 2008 - 3 K 571/08 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu den Kosten eines abgebrochenen Abschleppvorgangs.
Die Firma ... ... ... führte am Dienstag, den 24.04.2007, einen Umzug in der ... ... in Karlsruhe durch. Sie verfügte zum damaligen Zeitpunkt über eine von der Beklagten am 12.07.2006 erteilte und bis zum 31.07.2007 gültige Erlaubnis, „bei durchzuführenden Umzügen Halteverbote nach Zeichen 283 StVO im Stadtkreis Karlsruhe aufzustellen“. Diese sogenannte Jahresdauergenehmigung war auf § 45 StVO gestützt. Unter den ihr beigefügten Bedingungen und Auflagen war unter anderem vermerkt, dass der Anfang und das Ende der Halteverbotszone durch Zeichen 283-10 und 283-20 StVO anzuzeigen sei. Die Halteverbotszone sei auf die Länge des Umzugswagens mit entsprechendem Arbeits- und Rangierabstand einzurichten. Die Verkehrszeichen seien in der Regel an drei aufeinander folgenden Tagen vor dem Geltungszeitraum aufzustellen. Tag und Uhrzeit der Aufstellung der Verkehrszeichen und die Kennzeichen der Fahrzeuge, die bei Aufstellung der Verkehrszeichen bereits geparkt gewesen seien, seien schriftlich festzuhalten. Diese Aufzeichnungen seien sechs Monate lang aufzubewahren und bei Abschleppmaßnahmen der Polizei zur Verfügung zu stellen.
Dementsprechend fertigte ein Mitarbeiter der Firma ... am Freitag, den 20.04.2007, ein Protokoll, wonach er an diesem Tag zwischen 11:00 Uhr 12:45 Uhr Schilder zur Errichtung einer am 24.04.2007 gültigen Halteverbotszone vor dem Anwesen ... ... aufgestellt habe. In dem Protokoll sind die amtlichen Kennzeichen der zu diesem Zeitpunkt dort parkenden Kraftfahrzeuge notiert. Am Vormittag des 24.04.2007 verständigte ein Mitarbeiter des Umzugsunternehmens die Polizei darüber, dass der auf den Kläger zugelassene Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen ... ... in der Halteverbotszone abgestellt war. Nachdem die Polizei nach einer Halterfeststellung vergeblich versucht hatte, den Kläger telefonisch zu erreichen, ordnete die Beklagte das Abschleppen des Fahrzeugs an. Zum Abschleppen kam es dann aber nicht, da der Kläger sein Fahrzeug vorher weggefahren hatte.
Mit Bescheid vom 31.05.2007 setzte die Beklagte die für den begonnenen Abschleppvorgang entstandenen Kosten nebst Gebühren in Höhe von 154,57 EUR gegenüber dem Kläger fest. Der Kläger erhob Widerspruch und machte insbesondere unter Verweis auf das Zeugnis seiner Ehefrau geltend, dass diese den Pkw am Vortag des Umzugs gegen 18:30 Uhr abgestellt habe; zu diesem Zeitpunkt habe dort ein Halteverbotsschild nicht gestanden. Das Regierungspräsidium Karlsruhe wies den Widerspruch mit Bescheid vom 25.02.2008 zurück.
Mit seiner zum Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobenen Klage hat der Kläger des Weiteren geltend gemacht, dass das vom Umzugsunternehmen aufgrund der rechtswidrigen Jahresdauergenehmigung aufgestellte Halteverbotsschild offensichtlich rechtswidrig und damit nichtig gewesen sei. Nach Beweisaufnahme durch Vernehmung eines Mitarbeiters der Firma ..., des beim Abschleppen anwesenden Polizeibeamten und der Ehefrau des Klägers als Zeugen hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 09.09.2008 der Klage stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Abschleppanordnung sei zwar rechtmäßig gewesen. Ihr habe am Tag des Abschleppversuchs ein wirksamer und vollstreckbarer Verwaltungsakt zugrunde gelegen. Das Halteverbot, das zugleich ein Wegfahrgebot anordne, sei infolge der Bekanntgabe wirksam geworden; die Wirksamkeit hänge nicht von der subjektiven Kenntnisnahme des Verkehrsteilnehmers ab. Anhaltspunkte für die Nichtigkeit der Verkehrsschilder als Verwaltungsakte bestünden nicht. Sie seien nicht ohne Anordnung der Straßenverkehrsbehörde aufgestellt worden; vielmehr beruhten sie auf der von der Beklagten erteilten Jahresgenehmigung. Eine wesentliche Abweichung von der behördlichen Anordnung liege nicht vor; die Aufstellung der Verkehrsschilder parallel zur Fahrbahn führe nicht zu ihrer Nichtigkeit. Das Abschleppen sei auch frei von Ermessensfehlern angeordnet worden. Hinsichtlich der Kostenanforderung sei das Ermessen aber nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden. Es könne nicht festgestellt werden, dass das Halteverbot gegenüber dem Kläger gegolten habe, als der Pkw abgestellt worden sei. Aufgrund der Zeugenaussagen sei davon auszugehen, dass die Halteverbotsschilder am 20.04.2007 aufgestellt worden seien und dort am 24.07.2007 gestanden hätten. Der daraus folgende Anscheinsbeweis, dass die Schilder sich auch in der Zwischenzeit am Aufstellort befunden hätten, sei jedoch durch die Aussagen des Klägers und seiner als Zeugin vernommenen Ehefrau erschüttert worden. Die Zeugin habe ausgeführt, dass sie bei der Suche nach einem Parkplatz ein Halteverbotsschild nicht gesehen habe. Auch beim Entladen des PKW sei ihr ein Schild nicht aufgefallen, obwohl sie mehrmals die Stelle habe passieren müssen, an der am nächsten Tag das Verbotsschild gestanden habe. Das Gericht sei zwar nicht davon überzeugt, dass am Parkplatz des Klägers beim Abstellen des Pkw kein Halteverbotsschild gestanden habe. Das sei für die Erschütterung des Anscheinsbeweises nicht erforderlich. Den Beweis, dass die Halteverbotsschilder ununterbrochen am Aufstellort gestanden hätten, habe die Beklagte nicht führen können. Denn weder sie noch das Umzugsunternehmen hätten Kontrollen durchgeführt. Das Gericht müsse deshalb davon ausgehen, dass die Halteverbotsschilder zu einem Zeitpunkt zwischen dem Abend des 23.04.2007 und dem Morgen des 24.04.2007 (wieder) angebracht worden seien. Die damit für den Kläger gegebene „Vorlaufzeit“ von allenfalls einem halben Tag rechtfertige seine Heranziehung zu den Kosten der Ersatzvornahme nicht.
Zur Begründung ihrer Berufung, die der Senat mit Beschluss vom 16.12.2008 - 1 S 2795/08 - wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zugelassen hat, trägt die Beklagte vor: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei davon auszugehen, dass das Halteverbotsschild zum Zeitpunkt des Abstellens des Pkw vorhanden gewesen sei. Es habe auch beachtet werden müssen. Die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts sei nicht nachvollziehbar. Sie sei widersprüchlich. Der Anscheinsbeweis sei aufgrund eines rein subjektiven Zeugnisses nicht erschüttert, wenn das Gericht nicht zur Überzeugung gelange, dass das Schild zum fraglichen Zeitpunkt nicht dort gestanden habe. Für die Annahme eines atypischen Ablaufs, nämlich dass das Schild nach dem 20.04.2007 entfernt, danach aber wieder zum selben Standort zurückgebracht worden sei, spreche gar nichts. Schließlich stehe diese Beweiswürdigung auch im Widerspruch zur Auffassung des Gerichts, dass die Wirksamkeit eines Verkehrsschildes nicht von der subjektiven Kenntnisnahme des Verkehrsteilnehmers abhänge. Die Jahresdauergenehmigung, aufgrund derer die Unternehmen ein Halteverbotsschild aufstellten, sei rechtmäßig. Denn sie unterwerfe die Firmen genauen Auflagen; sie sei befristet und stets widerruflich, so dass der Einfluss der Straßenverkehrsbehörde gesichert sei. Eine andere Praxis, die eine dauernde Einbindung der Straßenverkehrsbehörde voraussetze, sei mit einem unrealistischen Aufwand verbunden. Schließlich seien auch rechtswidrig aufgestellte Verkehrsschilder aufgrund der sofortigen Vollziehbarkeit zu befolgen. Das Halteverbotsschild sei auch nicht nichtig gewesen, denn es sei für jedermann als ein solches zu erkennen gewesen. Eine abweichende Rechtsauffassung, die die Befolgung von Verkehrsschildern letztlich dem Gutdünken der Verkehrsteilnehmer anheimstelle, hätte gravierende Auswirkungen auf die allgemeine Verkehrssicherheit.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 9. September 2008 - 3 K 571/08 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil im Ergebnis und führt aus: Die von der Beklagten erteilte Jahresdauergenehmigung sei rechtswidrig und nichtig. Die StVO enthalte keine Ermächtigung, nach der der Erlass von straßenverkehrsrechtlichen Allgemeinverfügungen auf einen Privaten übertragen werden dürfe. Die zuständige Behörde dürfe sich lediglich der Hilfe von Privaten bedienen. Aus der Nichtigkeit der Jahresdauergenehmigung folge die Nichtigkeit der von der Umzugsfirma eingerichteten Halteverbotszone. Darüber hinaus seien jedenfalls die Auflagen und Bedingungen der Jahresdauergenehmigung angesichts der Größe der eingerichteten Halteverbotszone nicht beachtet worden. Auch seien die Schilder bereits am 20.04.2007 nicht den rechtlichen Vorgaben entsprechend, sondern parallel zur Fahrbahn aufgestellt worden; am 24.04.2007 sei das in Fahrtrichtung erste Schild um 180° gedreht gewesen. Die Regeln des Anscheinsbeweises könnten hier nicht gelten. Weder seien die Schilder zwischenzeitlich kontrolliert worden, noch sei durch Sicherheitsbolzen o.ä. ein Verstellen durch Dritte verhindert oder zumindest erschwert worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Dem Senat liegen die Behörden- und die Gerichtsakten aus dem Klageverfahren vor. Sie waren Gegen- stand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
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Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Denn der angefochtene Bescheid sowie der Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
14 
Der Kostenbescheid ist durch die Ermächtigungsgrundlage des § 49 Abs. 1 PolG i.V.m. § 31 Abs. 1, § 25 LVwVG nicht gedeckt. Die Kosten, die bei einer Ersatzvornahme angefallen sind, können nur dann gegenüber dem Polizeipflichtigen geltend gemacht werden, wenn diese Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung rechtmäßig war (vgl. Urteil des erk. Senats vom 20.03.1986 - 1 S 2654/85 -, VBlBW 1986, 299 <302>). Das ist hier nicht der Fall. Denn der abgebrochene Abschleppvorgang als Teil einer Ersatzvornahme erweist sich als rechtswidrig. Ihr liegt ein vollstreckbarer Verwaltungsakt (§ 2 LVwVG) als Voraussetzung jeglicher Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung nicht zugrunde.
15 
Eine Halteverbotszone mit dem damit verbundenen – sofort vollziehbaren (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO; § 2 Nr. 2 LVwVG) - Wegfahrgebot (vgl. Urteil des erk. Senats vom 27.06.2002 - 1 S 1531/01 -, ESVGH 52, 232 m.N.) ist durch das Aufstellen der entsprechenden Verkehrszeichen nicht wirksam eingerichtet worden. Dem Vorgehen des Umzugsunternehmens lag eine verkehrsrechtliche Anordnung, die die Merkmale eines Verwaltungsakts in Gestalt einer Allgemeinverfügung nach § 35 Satz 2 LVwVfG erfüllt (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.1979 - 7 C 46.78 -, BVerwGE 59, 221), nicht zugrunde. Es fehlt bereits am Handeln einer Behörde (§ 1 Abs. 4 LVwVfG). Die Verkehrszeichen sind deswegen als bloße Schein-Verwaltungsakte (Nichtakte) einzustufen, die jedenfalls insoweit rechtliche Wirkungen nicht entfalten (vgl. etwa Bettermann in: Bachof u.a. , Festgabe BVerwG, 1978, S. 61 <69>; v. Mutius, VerwArch 62 <1971> 300 <304>; U. Stelkens in: Stelkens u.a. , VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 35 Rn. 62; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16.03.1976 – Ss 53/76 -, VerkMitt 1977, Nr. 5). Auf die im erstinstanzlichen Verfahren aufgeworfenen Fragen, wann und wie im Einzelnen die Verkehrszeichen aufgestellt worden sind und ob sie als nichtig i.S.v. § 44 LVwVfG einzustufen wären (siehe dazu Janker in: Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl. 2008, § 39 StVO Rn. 10 f.; König in: ders./Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 39 StVO Rn. 31, § 41 Rn. 246 , jeweils m.N.), kommt es demnach nicht an.
16 
Für den Erlass verkehrsregelnder Anordnungen sind nach § 45 Abs. 1 bis Abs. 1 e StVO in erster Linie die Straßenverkehrsbehörden, daneben auch die Straßenbaubehörden (§ 45 Abs. 2 StVO), zuständig. Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden zur Durchführung von Arbeiten im Straßenraum die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken beschränken oder verbieten. Nach dem Grundsatz der Selbstorganschaft muss die zuständige Behörde die ihr zugewiesenen Aufgaben grundsätzlich durch eigene Bedienstete erfüllen (vgl. U. Stelkens in: Stelkens u.a. , VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 35 Rn. 60 m.w.N.). Dieser Vorgabe entspricht das auf einer offenbar langjährigen Praxis beruhende Vorgehen der Beklagten als der gemäß § 44 Abs. 1 StVO i.V.m. § 1 StVOZuG, § 13 Abs. 1 Nr. 2 LVG a.F. (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 LVG n.F.) zuständigen Straßenverkehrsbehörde nicht. Denn der Einrichtung der Halteverbotszone im Interesse der Ermöglichung reibungsloser Be- und Entladungsarbeiten beim Umzug lag eine nach Ort und Zeit individualisierte und konkretisierte Anordnung der Beklagten nicht zugrunde. Vielmehr hat darüber allein - und ohne jegliche vorherige Ab- oder Rücksprache mit der Beklagten - das Umzugsunternehmen gemäß seinen betrieblichen Erfordernissen, wenn auch in dem durch die Jahresdauergenehmigung gesetzten allgemeinen Rechtsrahmen, entschieden.
17 
Dieses Vorgehen ist nicht etwa durch § 45 Abs. 6 StVO gedeckt. Danach müssen die Unternehmer vor dem Beginn von Arbeiten, die sich auf den Straßenverkehr auswirken von der zuständigen Behörde Anordnungen nach Absatz 1 bis 3 u.a. darüber einholen, wie ihre Arbeitsstellen abzusperren und zu kennzeichnen sind. Denn diese Bestimmung, die zwar grundsätzlich für alle Arbeiten anwendbar ist, die den Straßenraum in Anspruch nehmen (vgl. König, a.a.O., § 45 StVO, Rn. 45), verlagert nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht etwa die Entscheidungskompetenz auf den privaten Unternehmer. Der Private wird nicht aufgrund ihm übertragener hoheitlicher Befugnisse eigenständig regelnd tätig. Vielmehr obliegt ihm - insoweit als einem bloßen Verwaltungshelfer – lediglich die tatsächliche Umsetzung der zuvor von der zuständigen Behörde getroffenen Entscheidung, indem er deren Anordnungen mittels der Verkehrszeichen gemäß § 39 Abs. 2, § 45 Abs. 4 StVO bekanntgibt (vgl. bereits zur Vorgängervorschrift des § 3 Abs. 3a StVO a.F. BVerwG, Urteil vom 26.06.1970 - VII C 10.70 -; BVerwGE 35, 334 <336 ff.>; zu § 45 Abs. 6 etwa BayObLG, Beschluss vom 23.03.1977 - 1 Ob OWi 64/77 -, BayObLGSt 1977, 47 ; König, a.a.O., § 45 StVO, Rn. 45).
18 
Aus der dem Umzugsunternehmen erteilten Jahresdauergenehmigung folgt keine andere rechtliche Bewertung. Sie hat nicht zur Folge, dass das Unternehmen selbst als Behörde im Sinne von § 1 Abs. 4 LVwVfG anzusehen ist, deren Handeln der Beklagten zuzurechnen wäre, oder doch jedenfalls rechtliche Wirksamkeit zukommt.
19 
Die Jahresdauergenehmigung zielt der Sache nach darauf ab, dem Umzugsunternehmen im Interesse der Verwaltungsvereinfachung die Entscheidung über die Einrichtung von Halteverbotszonen zu überlassen. Damit sollen ihm öffentlich-rechtliche Befugnisse zur eigenverantwortlichen Ausübung übertragen werden. Dies kennzeichnet das Rechtsinstitut der Beleihung. Infolge der Beleihung wird der Beliehene aber nicht zum Organ des beleihenden Verwaltungsträgers, so dass diesem die vom beliehenen Privaten entfaltete (Verwaltungs-)Tätigkeit nicht unmittelbar zugerechnet wird (siehe Burgi in: Erichsen/Ehlers , AllgVerwR, 13. Aufl. 2006, § 9 Rn. 24, 29 f.; Jestaedt in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle , GVwR I, 2006, § 14 Rn. 31, jeweils m.N.; a.A. Stelkens, NVwZ 2004, 304 <307 f.>). Vielmehr wird mit der Beleihung ein eigenständiger Verwaltungsträger geschaffen, dessen Entscheidungen als Verwaltungsakte - nach Einordnung als rechtmäßig oder (bloß) rechtswidrig, nicht aber nichtig - im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt werden können.
20 
Durch die Jahresdauergenehmigung sind dem Umzugsunternehmen indessen hoheitliche Befugnisse nicht wirksam übertragen worden. Denn die Beleihung ist rechtswidrig, weil sie sich nicht auf eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage stützen kann, die nach den Grundsätzen des institutionellen Gesetzesvorbehalts erforderlich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.1989 – 7 C 31.87 -, BVerwGE 81, 185 <188>; Burgi, a.a.O., § 7 Rn. 4, Jestaedt, a.a.O., § 14 Rn. 30; F. Reimer in: GVwR I, 2006, § 9 Rn. 37). Eine rechtsfehlerhafte Beleihung kann zwar grundsätzlich Grundlage für den Erlass von - rechtswidrigen oder auch nichtigen - Verwaltungsakten durch den rechtswidrig Beliehenen sein (vgl. Stelkens, NVwZ 2004, 305 <308>; ders. in: Stelkens u.a. , VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 35 Rn. 65 m.w.N.). Im vorliegenden Falle erweist sich die völlig gesetzlose Beleihung jedoch gem. § 44 Abs. 1 LVwVfG als nichtig, so dass - in Ermangelung einer Sonderregelung wie in § 15 Satz 3 BBG - kein Anlass besteht, das Umzugsunternehmen zumindest bis zur abschließenden Klärung der Rechtslage als Behörde im Sinne von § 1 Abs. 4 LVwVfG anzusehen. Nach § 44 Abs. 1 LVwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Hiernach ist zwar davon auszugehen, dass die mangelnde Übereinstimmung eines Bescheids mit der anzuwendenden Rechtsgrundlage regelmäßig nur seine Rechtswidrigkeit, nicht aber seine Nichtigkeit nach sich zieht (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.04.1997 – 3 C 3.95 -, BVerwGE 104, 289 <296>; Beschluss vom 28.02.2000 – 1 B 78.99 -, Buchholz 316 § 44 VwVfG Nr. 11). Hier fehlt es aber an jeglicher Rechtsgrundlage für das Vorgehen der Beklagten, die ohne normativen Ansatzpunkt die Zuständigkeitsordnung ändern will. Sie setzt sich damit in einen unübersehbaren Widerspruch zu § 45 Abs. 6 StVO, der das Zusammenwirken von Behörden und Privaten auf dem Gebiet straßenverkehrsrechtlicher Anordnungen gerade in einem anderen Sinn regelt. Auch deswegen ist der der Beleihung anhaftende Rechtsfehler offensichtlich; ihr steht die Rechtswidrigkeit auf die Stirn geschrieben.
21 
Ob das Handeln des Unternehmens der Straßenverkehrsbehörde jedenfalls dann zuzurechnen ist, wenn die Behörde diesem Vorgehen - gegebenenfalls konkludent durch widerspruchslose Hinnahme nach einer Anzeige seitens des Privaten - zugestimmt hat, kann dahinstehen (vgl. etwa VG Köln, Urteil vom 05.02.2009 – 20 K 3610/07 - , im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 26.06.1970 - VII C 10.70 -; BVerwGE 35, 334 <343 f.>; sowie VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 30.11.1989 – 18 A 105.87 -, NZV 1990, 248; BayVGH, Beschluss vom 17.12.1991 – 11 B 91.2603 -, NZV 1992, 382 <383>; OVG SH, Urteil vom 15.03.2008 – 2 LB 8/05 -, NordÖR 2006, 263 <265>; a.A. Bettermann, a.a.O., S.69 f.). Denn eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Das Unternehmen war hier nach den Auflagen und Bedingungen zur Jahresdauergenehmigung nicht zur Anzeige der von ihr eingerichteten Halteverbotszonen gegenüber der Behörde verpflichtet und hat dies auch nicht getan. In der Anordnung des Abschleppens seitens eines Behördenmitarbeiters kann eine - nachträgliche - Zustimmung zur Errichtung der Halteverbotszone nicht gesehen werden. Eine diesbezügliche Überprüfung wurde hier nämlich ersichtlich nicht vorgenommen; vielmehr ging es hier nur um eine Vollstreckungsmaßnahme.
22 
Die mit dieser Rechtsansicht verbundene zurückhaltende Bewertung allein des Rechtsscheins eines Verkehrsschildes führt nicht zu dem von der Beklagten befürchteten unzuträglichen Folgen für die Sicherheit des Straßenverkehrs. Zum einen ist hier nur der ruhende Verkehr betroffen. Zum anderen sind alle Verkehrsteilnehmer an die allgemeine Rücksichtnahmepflicht nach § 1 Abs. 2 StVO gebunden. Somit muss jeder Verkehrsteilnehmer davon ausgehen, dass andere Verkehrsteilnehmer ein als solches Geltung beanspruchendes Verkehrsschild als verbindlich beachtet; darauf muss sich der Verkehrsteilnehmer einstellen, wenn ansonsten eine Gefahrensituation droht (so schon BayObLG, Urteil vom 30.03.1965 – RReg. 2b St 224/64 a-c – NJW 1965, 1973 <1977>). Der Verkehrsteilnehmer, der meint, ein Verkehrsschild bewusst missachten zu können, handelt dabei letztlich immer auf eigenes Risiko, soweit es - wie letztlich zumeist - um kostenrechtliche Folgen geht.
23 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
24 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zugelassen.
25 
Beschluss vom 16. Dezember 2009
26 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 154,47 EUR festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 3 und § 63 Abs. 2 GKG).
27 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
13 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Denn der angefochtene Bescheid sowie der Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
14 
Der Kostenbescheid ist durch die Ermächtigungsgrundlage des § 49 Abs. 1 PolG i.V.m. § 31 Abs. 1, § 25 LVwVG nicht gedeckt. Die Kosten, die bei einer Ersatzvornahme angefallen sind, können nur dann gegenüber dem Polizeipflichtigen geltend gemacht werden, wenn diese Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung rechtmäßig war (vgl. Urteil des erk. Senats vom 20.03.1986 - 1 S 2654/85 -, VBlBW 1986, 299 <302>). Das ist hier nicht der Fall. Denn der abgebrochene Abschleppvorgang als Teil einer Ersatzvornahme erweist sich als rechtswidrig. Ihr liegt ein vollstreckbarer Verwaltungsakt (§ 2 LVwVG) als Voraussetzung jeglicher Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung nicht zugrunde.
15 
Eine Halteverbotszone mit dem damit verbundenen – sofort vollziehbaren (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO; § 2 Nr. 2 LVwVG) - Wegfahrgebot (vgl. Urteil des erk. Senats vom 27.06.2002 - 1 S 1531/01 -, ESVGH 52, 232 m.N.) ist durch das Aufstellen der entsprechenden Verkehrszeichen nicht wirksam eingerichtet worden. Dem Vorgehen des Umzugsunternehmens lag eine verkehrsrechtliche Anordnung, die die Merkmale eines Verwaltungsakts in Gestalt einer Allgemeinverfügung nach § 35 Satz 2 LVwVfG erfüllt (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.1979 - 7 C 46.78 -, BVerwGE 59, 221), nicht zugrunde. Es fehlt bereits am Handeln einer Behörde (§ 1 Abs. 4 LVwVfG). Die Verkehrszeichen sind deswegen als bloße Schein-Verwaltungsakte (Nichtakte) einzustufen, die jedenfalls insoweit rechtliche Wirkungen nicht entfalten (vgl. etwa Bettermann in: Bachof u.a. , Festgabe BVerwG, 1978, S. 61 <69>; v. Mutius, VerwArch 62 <1971> 300 <304>; U. Stelkens in: Stelkens u.a. , VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 35 Rn. 62; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16.03.1976 – Ss 53/76 -, VerkMitt 1977, Nr. 5). Auf die im erstinstanzlichen Verfahren aufgeworfenen Fragen, wann und wie im Einzelnen die Verkehrszeichen aufgestellt worden sind und ob sie als nichtig i.S.v. § 44 LVwVfG einzustufen wären (siehe dazu Janker in: Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl. 2008, § 39 StVO Rn. 10 f.; König in: ders./Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 39 StVO Rn. 31, § 41 Rn. 246 , jeweils m.N.), kommt es demnach nicht an.
16 
Für den Erlass verkehrsregelnder Anordnungen sind nach § 45 Abs. 1 bis Abs. 1 e StVO in erster Linie die Straßenverkehrsbehörden, daneben auch die Straßenbaubehörden (§ 45 Abs. 2 StVO), zuständig. Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden zur Durchführung von Arbeiten im Straßenraum die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken beschränken oder verbieten. Nach dem Grundsatz der Selbstorganschaft muss die zuständige Behörde die ihr zugewiesenen Aufgaben grundsätzlich durch eigene Bedienstete erfüllen (vgl. U. Stelkens in: Stelkens u.a. , VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 35 Rn. 60 m.w.N.). Dieser Vorgabe entspricht das auf einer offenbar langjährigen Praxis beruhende Vorgehen der Beklagten als der gemäß § 44 Abs. 1 StVO i.V.m. § 1 StVOZuG, § 13 Abs. 1 Nr. 2 LVG a.F. (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 LVG n.F.) zuständigen Straßenverkehrsbehörde nicht. Denn der Einrichtung der Halteverbotszone im Interesse der Ermöglichung reibungsloser Be- und Entladungsarbeiten beim Umzug lag eine nach Ort und Zeit individualisierte und konkretisierte Anordnung der Beklagten nicht zugrunde. Vielmehr hat darüber allein - und ohne jegliche vorherige Ab- oder Rücksprache mit der Beklagten - das Umzugsunternehmen gemäß seinen betrieblichen Erfordernissen, wenn auch in dem durch die Jahresdauergenehmigung gesetzten allgemeinen Rechtsrahmen, entschieden.
17 
Dieses Vorgehen ist nicht etwa durch § 45 Abs. 6 StVO gedeckt. Danach müssen die Unternehmer vor dem Beginn von Arbeiten, die sich auf den Straßenverkehr auswirken von der zuständigen Behörde Anordnungen nach Absatz 1 bis 3 u.a. darüber einholen, wie ihre Arbeitsstellen abzusperren und zu kennzeichnen sind. Denn diese Bestimmung, die zwar grundsätzlich für alle Arbeiten anwendbar ist, die den Straßenraum in Anspruch nehmen (vgl. König, a.a.O., § 45 StVO, Rn. 45), verlagert nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht etwa die Entscheidungskompetenz auf den privaten Unternehmer. Der Private wird nicht aufgrund ihm übertragener hoheitlicher Befugnisse eigenständig regelnd tätig. Vielmehr obliegt ihm - insoweit als einem bloßen Verwaltungshelfer – lediglich die tatsächliche Umsetzung der zuvor von der zuständigen Behörde getroffenen Entscheidung, indem er deren Anordnungen mittels der Verkehrszeichen gemäß § 39 Abs. 2, § 45 Abs. 4 StVO bekanntgibt (vgl. bereits zur Vorgängervorschrift des § 3 Abs. 3a StVO a.F. BVerwG, Urteil vom 26.06.1970 - VII C 10.70 -; BVerwGE 35, 334 <336 ff.>; zu § 45 Abs. 6 etwa BayObLG, Beschluss vom 23.03.1977 - 1 Ob OWi 64/77 -, BayObLGSt 1977, 47 ; König, a.a.O., § 45 StVO, Rn. 45).
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Aus der dem Umzugsunternehmen erteilten Jahresdauergenehmigung folgt keine andere rechtliche Bewertung. Sie hat nicht zur Folge, dass das Unternehmen selbst als Behörde im Sinne von § 1 Abs. 4 LVwVfG anzusehen ist, deren Handeln der Beklagten zuzurechnen wäre, oder doch jedenfalls rechtliche Wirksamkeit zukommt.
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Die Jahresdauergenehmigung zielt der Sache nach darauf ab, dem Umzugsunternehmen im Interesse der Verwaltungsvereinfachung die Entscheidung über die Einrichtung von Halteverbotszonen zu überlassen. Damit sollen ihm öffentlich-rechtliche Befugnisse zur eigenverantwortlichen Ausübung übertragen werden. Dies kennzeichnet das Rechtsinstitut der Beleihung. Infolge der Beleihung wird der Beliehene aber nicht zum Organ des beleihenden Verwaltungsträgers, so dass diesem die vom beliehenen Privaten entfaltete (Verwaltungs-)Tätigkeit nicht unmittelbar zugerechnet wird (siehe Burgi in: Erichsen/Ehlers , AllgVerwR, 13. Aufl. 2006, § 9 Rn. 24, 29 f.; Jestaedt in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle , GVwR I, 2006, § 14 Rn. 31, jeweils m.N.; a.A. Stelkens, NVwZ 2004, 304 <307 f.>). Vielmehr wird mit der Beleihung ein eigenständiger Verwaltungsträger geschaffen, dessen Entscheidungen als Verwaltungsakte - nach Einordnung als rechtmäßig oder (bloß) rechtswidrig, nicht aber nichtig - im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt werden können.
20 
Durch die Jahresdauergenehmigung sind dem Umzugsunternehmen indessen hoheitliche Befugnisse nicht wirksam übertragen worden. Denn die Beleihung ist rechtswidrig, weil sie sich nicht auf eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage stützen kann, die nach den Grundsätzen des institutionellen Gesetzesvorbehalts erforderlich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.1989 – 7 C 31.87 -, BVerwGE 81, 185 <188>; Burgi, a.a.O., § 7 Rn. 4, Jestaedt, a.a.O., § 14 Rn. 30; F. Reimer in: GVwR I, 2006, § 9 Rn. 37). Eine rechtsfehlerhafte Beleihung kann zwar grundsätzlich Grundlage für den Erlass von - rechtswidrigen oder auch nichtigen - Verwaltungsakten durch den rechtswidrig Beliehenen sein (vgl. Stelkens, NVwZ 2004, 305 <308>; ders. in: Stelkens u.a. , VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 35 Rn. 65 m.w.N.). Im vorliegenden Falle erweist sich die völlig gesetzlose Beleihung jedoch gem. § 44 Abs. 1 LVwVfG als nichtig, so dass - in Ermangelung einer Sonderregelung wie in § 15 Satz 3 BBG - kein Anlass besteht, das Umzugsunternehmen zumindest bis zur abschließenden Klärung der Rechtslage als Behörde im Sinne von § 1 Abs. 4 LVwVfG anzusehen. Nach § 44 Abs. 1 LVwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Hiernach ist zwar davon auszugehen, dass die mangelnde Übereinstimmung eines Bescheids mit der anzuwendenden Rechtsgrundlage regelmäßig nur seine Rechtswidrigkeit, nicht aber seine Nichtigkeit nach sich zieht (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.04.1997 – 3 C 3.95 -, BVerwGE 104, 289 <296>; Beschluss vom 28.02.2000 – 1 B 78.99 -, Buchholz 316 § 44 VwVfG Nr. 11). Hier fehlt es aber an jeglicher Rechtsgrundlage für das Vorgehen der Beklagten, die ohne normativen Ansatzpunkt die Zuständigkeitsordnung ändern will. Sie setzt sich damit in einen unübersehbaren Widerspruch zu § 45 Abs. 6 StVO, der das Zusammenwirken von Behörden und Privaten auf dem Gebiet straßenverkehrsrechtlicher Anordnungen gerade in einem anderen Sinn regelt. Auch deswegen ist der der Beleihung anhaftende Rechtsfehler offensichtlich; ihr steht die Rechtswidrigkeit auf die Stirn geschrieben.
21 
Ob das Handeln des Unternehmens der Straßenverkehrsbehörde jedenfalls dann zuzurechnen ist, wenn die Behörde diesem Vorgehen - gegebenenfalls konkludent durch widerspruchslose Hinnahme nach einer Anzeige seitens des Privaten - zugestimmt hat, kann dahinstehen (vgl. etwa VG Köln, Urteil vom 05.02.2009 – 20 K 3610/07 - , im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 26.06.1970 - VII C 10.70 -; BVerwGE 35, 334 <343 f.>; sowie VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 30.11.1989 – 18 A 105.87 -, NZV 1990, 248; BayVGH, Beschluss vom 17.12.1991 – 11 B 91.2603 -, NZV 1992, 382 <383>; OVG SH, Urteil vom 15.03.2008 – 2 LB 8/05 -, NordÖR 2006, 263 <265>; a.A. Bettermann, a.a.O., S.69 f.). Denn eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Das Unternehmen war hier nach den Auflagen und Bedingungen zur Jahresdauergenehmigung nicht zur Anzeige der von ihr eingerichteten Halteverbotszonen gegenüber der Behörde verpflichtet und hat dies auch nicht getan. In der Anordnung des Abschleppens seitens eines Behördenmitarbeiters kann eine - nachträgliche - Zustimmung zur Errichtung der Halteverbotszone nicht gesehen werden. Eine diesbezügliche Überprüfung wurde hier nämlich ersichtlich nicht vorgenommen; vielmehr ging es hier nur um eine Vollstreckungsmaßnahme.
22 
Die mit dieser Rechtsansicht verbundene zurückhaltende Bewertung allein des Rechtsscheins eines Verkehrsschildes führt nicht zu dem von der Beklagten befürchteten unzuträglichen Folgen für die Sicherheit des Straßenverkehrs. Zum einen ist hier nur der ruhende Verkehr betroffen. Zum anderen sind alle Verkehrsteilnehmer an die allgemeine Rücksichtnahmepflicht nach § 1 Abs. 2 StVO gebunden. Somit muss jeder Verkehrsteilnehmer davon ausgehen, dass andere Verkehrsteilnehmer ein als solches Geltung beanspruchendes Verkehrsschild als verbindlich beachtet; darauf muss sich der Verkehrsteilnehmer einstellen, wenn ansonsten eine Gefahrensituation droht (so schon BayObLG, Urteil vom 30.03.1965 – RReg. 2b St 224/64 a-c – NJW 1965, 1973 <1977>). Der Verkehrsteilnehmer, der meint, ein Verkehrsschild bewusst missachten zu können, handelt dabei letztlich immer auf eigenes Risiko, soweit es - wie letztlich zumeist - um kostenrechtliche Folgen geht.
23 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
24 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zugelassen.
25 
Beschluss vom 16. Dezember 2009
26 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 154,47 EUR festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 3 und § 63 Abs. 2 GKG).
27 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

Die zur Verwertung und Beseitigung Verpflichteten können Dritte mit der Erfüllung ihrer Pflichten beauftragen. Ihre Verantwortlichkeit für die Erfüllung der Pflichten bleibt hiervon unberührt und so lange bestehen, bis die Entsorgung endgültig und ordnungsgemäß abgeschlossen ist. Die beauftragten Dritten müssen über die erforderliche Zuverlässigkeit verfügen.

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 23. Dezember 2009, Geschäftszeichen 1 VK LVwA 54/09, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Antragsgegnerin hat die Antragstellerin zu tragen.

Gründe

A.

1

Die Antragstellerin, ein Unternehmen der privaten Entsorgungswirtschaft, das einem bundesweit agierenden Entsorgungskonzern angehört, begehrt im Wege des Nachprüfungsverfahrens die Feststellung der Nichtigkeit des zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen am 29. November 2002 abgeschlossenen Entsorgungsvertrages.

2

Der Antragsgegner ist eine entsorgungspflichtige kommunale Körperschaft für die in ihrem Gebiet anfallenden, überlassungspflichtigen Abfälle. Er ist gemäß § 4 Abs. 2 des Gesetzes zur Kreisgebietsneuregelung im Zuge der Kreisgebietsreform vom 01. Juli 2007 aus der Zusammenlegung der Landkreise M. L. und S. hervor gegangen und nach § 9 des Gesetzes zur Kreisgebietsneuregelung Rechtsnachfolger dieser Altkreise geworden.

3

Mit Vertrag über die Teilübertragung der Abfallentsorgung vom 29. November 2002 hatte der Altkreis S. die Verwertung und Beseitigung der in seinem Gebiet anfallenden Abfälle ohne vorherige Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens der Beigeladenen (W. GmbH , im Folgenden: W.) übertragen. Gemäß § 5 Abs. 1 des Vertrages ist eine Vertragslaufzeit bis zum 31. Dezember 2015 vorgesehen mit einer Verlängerungsoption um fünf Jahre.

4

Die Beigeladene war durch Gesellschaftsvertrag vom 29. Mai 2002 von der E. GmbH S. (im Folgenden: E.), einer 100%-gen Tochtergesellschaft des Antragsgegners, und der N. GmbH (im Folgenden: N. gegründet worden. Während die E. als Mehrheitsgesellschafterin 51 % der Geschäftsanteile am Stammkapital hielt, hatte die N. 49 % der Anteile inne. An der Mitgesellschafterin N. waren neben der E. , die 51 % der Geschäftsanteile hielt, als weitere Gesellschafterin die Rn. GmbH und Co KG, eine Rechtsvorgängerin der Antragstellerin, mit einem Anteil von 49 % an dem Gesellschaftskapital beteiligt. Mit Vertrag vom 31. Dezember 2006 übertrug die Antragstellerin die von ihr bis dahin gehaltenen Geschäftsanteile an der N. innerhalb des eigenen Konzerns an die K. GmbH (im Folgenden: K.), deren alleinige Gesellschafterin wiederum die Antragstellerin ist. Über das Vermögen der N. hat das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – Halle mit Beschluss vom 04. Juni 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die E. befindet sich seit 27.10.2009 in Insolvenz.

5

Gegenstand des Unternehmens der Beigeladenen ist die Erfüllung von Entsorgungsaufgaben in Bezug auf andienungspflichtige Haus- und Gewerbeabfälle, deren Aufbereitung durch mechanische Behandlung zu Ersatzbrennstoffen und die anschließende Zuführung zur Verbrennung in Kraftwerken. Der mit dem Antragsgegner abgeschlossene Entsorgungsvertrag macht dabei einen allenfalls untergeordneten Teil der Entsorgungstätigkeit der W. aus. Rund 21 % der Gesamtkapazität der Beigeladenen entfallen auf die für den Antragsgegner auf der Grundlage der Kommunalaufträge vom 29. November 2002 (Altkreis S.) und vom 25. Mai 2005 (Altkreis M. L.) entsorgten Abfallmengen. Im übrigen erzielt die Beigeladene ihre Umsatzerlöse durch Drittaufträge.

6

In der Sitzung des Kreistages vom 24. Juni 2009 beschloss der Antragsgegner die Veräußerung der über seine Tochtergesellschaft E. gehaltenen Geschäftsanteile von 51 % an der Beigeladenen. Die E. übertrug darauf hin mit dem vor dem Notar U. B. zur Urkundenrollennummer 900/2009 am 04.Juli 2009 beurkundeten Anteilskauf- und –Abtretungsvertrag ihre Anteile an der Beigeladenen auf die R. - GmbH (i. F. R.) als Käuferin.

7

Da die Antragstellerin die Ansicht vertrat, dass die Anteilsveräußerung an die R. - GmbH dem Vergaberechtsregime nach §§ 97 ff GWB unterliegt, rügte sie das beabsichtigte Vorgehen des Antragsgegners mit Schreiben vom 23. Juni 2009 als vergaberechtswidrig und bekundete zugleich Interesse an dem Erwerb der Beteiligung sowie an einem Auftrag über die Erbringung von Entsorgungsleistungen.

8

Unter dem 10. Juli 2009 strengte die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren (Geschäftszeichen 1 VK LVwA 48/09) gegen die E. vor der Vergabekammer an, das darauf abzielte, die E. zu verpflichten, die von ihr gehaltenen Geschäftsanteile an der W. nur nach Durchführung eines vorherigen förmlichen Vergabeverfahrens zu verkaufen und hilfsweise festzustellen, dass der zwischen der E. und der R. am 04. Juli 2009 geschlossene Geschäftsanteilskauf-und Abtretungsvertrag unwirksam sei.

9

Mit Anwaltsschriftsatz vom 29. September 2009 erweiterte die Antragstellerin das Nachprüfungsverfahren auf den Antragsgegner und hat wegen des zwischenzeitlich bei der W. eingetretenen Gesellschafterwechsels nunmehr auch die Nichtigkeit des Entsorgungsvertrages vom 29. November 2002 geltend gemacht.

10

Sie hat die Ansicht vertreten, dass der zwischen der W. und dem Antragsgegner am 29. November 2002 zustande gekommenen Entsorgungsvertrag aufgrund des notariell- beurkundeten Geschäftsanteilskaufs- und Übertragungsvertrages vom 04. Juli 2009 und des damit bei der W. einher gehenden Gesellschafterwechsels hätte neu ausgeschrieben werden müssen. Denn die Tatsache, dass innerhalb der Geltungsdauer des ursprünglichen Entsorgungsvertrages privates Kapital, nämlich hier die R. , zur Beteiligung am gemischtwirtschaftlichen Grundkapital der W. zugelassen worden sei, sei als eine eine Neuausschreibung gebietende wesentliche Änderung einer grundlegenden Bedingung des Auftrages zu werten. Auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Auftragsvergabe und der Anteilsveräußerung komme es dabei nicht an. Alleinige Voraussetzung für das Entstehen einer Ausschreibungspflicht sei vielmehr die innerhalb der Vertragslaufzeit vorgenommene Öffnung des vornehmlich von der öffentlichen Hand gehaltenen Gesellschaftskapitals für privates Vermögen. Denn dies sei einem Vertragspartnerwechsel und insoweit einer Neuvergabe des Auftrages gleich zu erachten. Der Antragsgegner habe hier jedoch gleichwohl von der Einleitung eines offenen Vergabeverfahrens abgesehen. Die Fortsetzung des Entsorgungsverhältnisses zwischen der Beigeladenen und dem Antragsgegner ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens sei daher als unzulässige de facto - Vergabe anzusehen, deren Unwirksamkeit nach § 101 b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GWB festzustellen sei.

11

Von dem Vergaberechtsverstoß habe die Antragstellerin erstmals aufgrund des am 10. September 2009 verkündeten Urteils des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache „Sea Srl“ (Geschäftszeichen C-573/07) Kenntnis erlangt. Bis zu diesem Urteil des EuGH habe nämlich in der vergaberechtlichen Rechtsprechung und Rechtsliteratur die allgemeine Auffassung vorgeherrscht, dass Änderungen in der Gesellschafterzusammensetzung des Auftragnehmers während der Vertragslaufzeit keine vergaberechtlich relevante Leistungsänderung darstellen könnten. In Abweichung von der bislang herrschenden Meinung habe der EuGH in seiner Entscheidung vom 10. September 2009 nunmehr jedoch klargestellt, dass im Falle der Vergabe eines Auftrages ohne Ausschreibung an eine Gesellschaft, bei der das Grundkapital ausschließlich aus öffentlichen Kapital bestehe und kein konkreter Hinweis auf eine baldige Öffnung für private Teilnehmer vorliege (sog. In-house-Vergabe), die eine Ausschreibung erfordernde Änderung der grundlegenden Bedingungen des Auftrages anzunehmen sei, wenn innerhalb der Geltungsdauer des Vertrages privates Kapital zugelassen würde. Erst auf der Grundlage des Urteils des EuGH sei die bislang unsichere Rechtslage für die Antragstellerin so eindeutig geklärt worden, dass sie von einem Vergaberechtsverstoß des Antragsgegners habe ausgehen müssen und deshalb binnen der 30 Tage – Frist des § 101 b Abs.2 GWB den Nachprüfungsantrag angebracht habe.

12

Die Antragstellerin hat beantragt,

13

festzustellen, dass der zwischen dem Antragsgegner und der W. GmbH (W.) abgeschlossene Entsorgungsvertrag vom 29. November 2002 betreffend die Entsorgung der im Altkreis S. anfallenden Abfälle nichtig ist.

14

Der Antragsgegner ist dem Nachprüfungsantrag entgegen getreten.

15

Er ist der Meinung gewesen, dass der am 29. September 2009 anhängig gemachte Nachprüfungsantrag verfristet sei, weil die Antragstellerin versäumt habe, den Antrag binnen der 30-Tage-Frist des § 101 b Abs. 2 GWB bei der Vergabekammer anzubringen. Insoweit hat er vorgetragen, dass die Antragstellerin spätestens mit Zustellung des Erwiderungsschriftsatzes der E. vom 21. Juli 2009 in dem Parallelverfahren 1 VK LVwA 48/09 von der Beurkundung des Anteilskaufvertrages vom 04. Juli 2009 Kenntnis erlangt habe. Sie hätte daher bis spätestens 20. August 2009 in einem Nachprüfungsverfahren geltend machen müssen, dass sie hierin eine vergaberechtswidrige Änderung des Vertrages erblicke. Der Nachprüfungsantrag entbehre aber auch deshalb der Zulässigkeit, weil der bei der W. eingetretene Gesellschafterwechsel schon keinen vergaberechtsrelevanten Beschaffungsvorgang darstellen würde, der das Vergaberechtsregime der §§ 97 ff GWB eröffnen könnte. Denn im Unterschied zu dem vom EuGH in der Rechtssache SEA Srl entschiedenen Sachverhalt hätten die Voraussetzungen einer In-house-Vergabe im Streitfall von Anfang an wegen der Minderheitenbeteiligung der Antragstellerin bzw. deren Rechtsvorgängerin an der Beigeladenen nicht vorgelegen. Dementsprechend könne aber von einer wesentlichen Änderung einer grundlegenden Bedingung des zugrunde liegenden Auftrages im Sinne der zitierten Rechtsprechung des EuGH zur Rechtssache „Sea Srl“ nicht ausgegangen werden.

16

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag von dem Verfahren 1 VK LVwA 48/09 abgetrennt, unter dem Aktenzeichen 1 VK LVwA 54/09 geführt und mit Beschluss vom 23. Dezember 2009 als unzulässig verworfen.

17

Zur Begründung hat sie im wesentlichen ausgeführt, dass der Antrag verspätet, nämlich nicht innerhalb der Frist von 30 Tagen nach § 101 b Abs. 2 S. 1, Abs. 1 Nr. 2 GWB angebracht worden sei. Der Entsorgungsvertrag vom 29. November 2002 habe zwar aufgrund des bei der W. eingetretenen Gesellschafterwechsels seine Wirksamkeit verloren. Denn die Privilegierung eines „In-house-Geschäfts“ sei mit dem teilweisen Wechsel der an der W. beteiligten Anteilseigner entfallen. Auch wenn die privilegierenden Voraussetzungen eines In-house-Geschäftes bei Vertragsabschluss am 29. November 2002 tatsächlich nicht vorgelegen hätten, müsse sich der Antragsgegner aber gleichwohl so behandeln lassen mit der Folge einer Neuausschreibungspflicht des Entsorgungsvertrages. Die Nichtigkeitsfolge aufgrund des Wegfalls der dem Vertragsabschluss zugrunde gelegten Privilegierung müsse nämlich erst Recht auch dann gelten, wenn sich der Auftraggeber seinerzeit lediglich rechtsirrig eines privilegierten Eingeschäfts berühmt habe. Der ursprünglich fälschlich eine Privilegierung annehmende öffentliche Auftraggeber dürfe nicht besser gestellt werden als derjenige, der sich mit Recht auf die Privilegierung eines In-house-Geschäftes berufen habe, die erst während der Vertragslaufzeit aufgrund eines Anteilsverkaufs entfallen sei. Im Fortgang des Leistungsaustausches über den 04. Juli 2009 hinaus liege daher hier eine im Wege eines Nachprüfungsverfahrens angreifbare de facto Vergabe. Spätestens mit Zugang des Schriftsatzes der Antragsgegnerseite (E.) vom 21. Juli 2009 am 23. Juli 2009 in dem Parallelverfahren 1 VK LVwA 48/09 habe die Antragstellerin von der Anteilsübertragung Kenntnis erlangt und zugleich über ein hinreichend gesichertes Wissen zu dem gerügten Vergaberechtsverstoß verfügt. Dass die Antragstellerin die Schlussfolgerung, dass eine vergaberechtskonforme Leistungserbringung nach dem Gesellschafterwechsel nicht mehr möglich sei, bereits vor Verkündung des Urteils des EuGH vom 10. September 2009 gezogen habe, gehe auch aus dem weiteren Schriftverkehr der Antragstellerin bzw. deren Tochtergesellschaft K. ohne weiteres hervor.

18

Gegen diesen, der Antragstellerin am 28. Dezember 2009 zugestellten Beschluss richtet sich ihre bei dem Oberlandesgericht am 30. Dezember 2009 eingegangene sofortige Beschwerde, mit der sie – unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens – ihren erstinstanzlichen Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Entsorgungsvertrages vom 29. November 2002 weiter verfolgt.

19

Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass der angefochtene Beschluss der Vergabekammer mit einem wesentlichen Verfahrensfehler behaftet sei, denn die Vergabekammer habe das hier streitgegenständliche Nachprüfungsbegehren zu Unrecht von dem Ursprungsverfahren 1 VK LVwA 48/09 abgetrennt und die Verfahrensgegenstände in mehrere Nachprüfungsverfahren aufgesplittet. Dies sei schon deshalb unzulässig, weil sie die von ihr angestrengten Nachprüfungsverfahren in ein Eventualverhältnis gestellt habe. Außerdem sei ihr das rechtliche Gehör zu der von der Vergabekammer beabsichtigten, sachlich nicht veranlassten Verfahrenstrennung versagt worden.

20

In der Sache meint sie, dass die Vergabekammer mit Recht die Statthaftigkeit des Nachprüfungsantrags bejaht habe, weil die Veräußerung der Geschäftsanteile der E. an der Beigeladenen zu einer wesentlichen Änderung einer grundlegenden Bedingung des bestehenden Entsorgungsvertrages geführt habe, die einer Neuvergabe gleich komme. Der den Bestimmungen des Vergaberechts zugrunde liegende Schutzzweck gebiete, dass die mit der Veräußerung der mehrheitlichen Beteiligung an der Beigeladenen verbundene Partizipation der R. an den der Beigeladenen vergebenen öffentlichen Aufträgen eine Neuausschreibungspflicht auslöse. Denn immer dann, wenn der öffentliche Auftraggeber seine Beteiligung an der rechtswidrig außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens beauftragten Gesellschaft veräußere, werde der Schutzzweck des Vergaberechts verletzt. Zwar sei der Auftrag seinerzeit nicht im Wege eines vergaberechtsfreien Eigengeschäfts erteilt worden, die von dem EuGH in der „Sea Srl“-Entscheidung zum Wegfall einer In-house-Privilegierung entwickelten Rechtsgrundsätze müssten hierauf bei einer schutzzweckbezogenen, funktionalen Betrachtung zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen jedoch erst Recht angewandt werden, denn auch hier führe der Gesellschafterwechsel letztlich dazu, dass ein privates Unternehmen durch seine Beteiligung am Kapital des vergabefrei beauftragten Auftragnehmers einen Vorteil im Hinblick auf die bestehenden öffentlichen Aufträge gegenüber seinen Konkurrenten erlange. Im übrigen dürfe der rechtskonform handelnde Auftraggeber nicht schlechter gestellt werden als derjenige, der schon von Anfang an, nämlich bei der Auftragsvergabe gegen das Vergaberecht verstoßen habe. Das zwischen dem Antragsgegner, der E. und der R. abgestimmte Verhalten im Zusammenhang mit der Veräußerung der Anteile an der W. habe letztlich darauf abgezielt, den Entsorgungsvertrag auf die Anteilserwerberin, die R. , faktisch überzuleiten, was im wirtschaftlichen Ergebnis einer vergabepflichtigen Vertragsübernahme gleich komme und ersichtlich allein der Umgehung vergaberechtlicher Bestimmungen gedient habe. Wie die Informationsvorlage des Antragsgegners vom 23. März 2009 belege, habe die Privatisierung der Beigeladenen einerseits über den Erwerb der Geschäftsanteile durch die R. und andererseits durch Einzug der bisher von der N. gehaltenen Geschäftsanteile nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens realisiert werden sollen.

21

Weiterhin rügt die Beschwerdeführerin, dass die Vergabekammer ihren Nachprüfungsantrag zu Unrecht als nach § 101 b Abs. 2 S. 1 GWB verfristet angesehen habe. Sie habe frühestens mit der Verkündung des Urteils des EuGH in der Rechtssache „Sea Srl“ vom 10. September 2009 die für den Fristbeginn nach § 101 b Abs. 2 S. 1 GWB erforderliche positive Kenntnis von der nunmehr geklärten, vergaberechtlich relevanten Rechtslage erlangt. Sie ist zudem der Ansicht, dass sich die Regelung des § 101 b Abs. 2 GWB als gemeinschaftsrechtswidrig erweise, da sie entgegen der Rechtsmittelrichtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinie 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge, ABl. EU Nr. L 335 vom 20. Dezember 2007, 31 ff) den Lauf der 30-Tage-Frist nicht an die Bekanntgabe der Auftragsvergabe durch den öffentlichen Auftraggeber bzw. der Information der betroffenen Bieter und Bewerber über den Vertragsabschluss durch den öffentlichen Auftraggeber knüpft, sondern an die positive Kenntnis von dem Vergaberechtsverstoß. Im übrigen meint sie, dass die in das Vergaberecht neu eingeführte Fristenregelung des § 101 b Abs. 2 GWB auf das streitgegenständliche Vergabeverfahren gemäß der Überleitungsvorschrift des § 131 Abs. 8 GWB keine Anwendung finden könne, da die Vorbereitungen zu der Geschäftsanteilveräußerung im Streitfall schon weit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts am 24. April 2009 angesetzt hätten.

22

Die Antragstellerin beantragt zuletzt,

23

den Beschluss der 1. Vergabekammer des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 23. Dezember 2009 aufzuheben und festzustellen, dass der zwischen dem ehemaligen Landkreis S. , dessen Rechtsnachfolger der Antragsgegner ist, und der Beigeladenen abgeschlossene Vertrag zur Teilübertragung der Abfallentsorgung vom 29. November 2002 unwirksam ist;

24

hilfsweise,

25

die zwischen dem ehemaligen Landkreis S. , dessen Rechtsnachfolger der Antragsgegner ist, und der Beigeladenen abgeschlossene Vereinbarung zur Teilübertragung der Abfallentsorgung vom 29. November 2002 für unwirksam zu erklären.

26

Der Antragsgegner beantragt,

27

die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurück zu weisen.

28

Der Antragsgegner verteidigt den angefochtenen Beschluss der Vergabekammer und wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.

29

Er hält an seiner Ansicht fest, dass die Veräußerung der Geschäftsanteile der E. an der Beigeladenen schon keine wesentliche, eine Neuausschreibungspflicht begründende Vertragsänderung im Sinne der neueren Rechtsprechung des EuGH darstelle, die einer Neuvergabe eines öffentlichen Auftrages im Sinne des § 99 GWB gleich zu erachten sei. Die W. sei bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Entsorgungsvertrages ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen gewesen, das sowohl aus öffentlichem als auch aus privatem Kapital bestanden habe. Die privilegierenden Voraussetzungen eines In-house-Geschäftes hätten daher von Anfang an nicht vorgelegen, so dass durch die Anteilsveräußerung auch keine besondere Privilegierung habe entfallen können. Soweit die Vergabekammer die von dem EuGH in der Rechtssache Sea Srl entwickelten Rechtsgrundsätze dagegen auf den hier vorliegenden Fall einer vergaberechtswidrigen ad-hoc Vergabe eines öffentlichen Auftrages an ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen im Wege eines Erst- Recht Schlusses übertragen habe und in diesem Zusammenhang davon ausgehe, dass bei Zulassung weiteren privaten Kapitals eine wesentliche Änderung der grundlegenden Bedingung des Auftrages selbst dann gegeben sei, wenn der Auftraggeber seinerzeit auch nur rechtsirrig die zur Direktvergabe berechtigende Privilegierung angenommen habe, könne ihr nicht gefolgt werden. Denn für die Frage einer der Neuvergabe gleich zu erachtenden Vertragsänderung dürfe nicht allein auf subjektive Vorstellungen und Erwägungen der Vergabestelle bei Vertragsschluss abgestellt werden. Der von der Vergabekammer vorgenommene Erst-Recht-Schluss sei auch nicht zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen geboten gewesen. Denn der vergaberechtswidrig erteilte Auftrag habe hier zunächst unter dem Vorbehalt der Anfechtbarkeit gestanden.

30

Im übrigen hält sie an ihrer Ansicht fest, dass der Nachprüfungsantrag jedenfalls verspätet angebracht worden sei. Die Vorschrift des § 101 b Abs. 2 S. 1 GWB verstoße auch keineswegs gegen Art. 2 lit. f Abs. 1 der Richtlinie 89/665/EWG und sei daher nicht als gemeinschaftswidrig zu betrachten. Der deutsche Gesetzgeber habe sich mit der Ausgestaltung des § 101 b Abs.2 UWG vielmehr im Rahmen seines Umsetzungsspielraumes bewegt.

31

Er ist zudem der Ansicht, dass der angefochtene Beschluss nicht an einem Verfahrensfehler leide. Eine Verfahrenstrennung sei hier angezeigt gewesen, da sich die gewillkürte Parteierweiterung als unzulässig dargestellt habe.

32

Wegen des weitergehenden Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

33

Der Senat hat das Gesuch der Antragstellerin, die sofortige Beschwerde mit dem unter dem Geschäftszeichen 1 Verg 11/09 geführten Beschwerdeverfahren zu verbinden, mit Beschluss vom 23. Februar 2010 abgelehnt. Die mit Beschluss vom gleichen Tage zu dem gerichtlichen Beschwerdeverfahren als weitere Beteiligte beigeladene Firma W. GmbH (W.) hat von einer eigenen Antragstellung abgesehen.

B.

34

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist nach §§ 116, 117 GWB zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht (§ 117 Abs. 1 bis 3 GWB) bei dem nach § 116 Abs. 3 S. 1 GWB zuständigen Gericht eingelegt und begründet worden.

35

Das Rechtsmittel der Antragstellerin bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

I.

36

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin beruht die Entscheidung der Vergabekammer nicht auf einem wesentlichen Verfahrensmangel.

37

Insbesondere ist die von der Vergabekammer entsprechend § 93 S. 2 VwGO angeordnete Verfahrenstrennung von dem Nachprüfungsverfahren 1 VK LVwA 48/09 nicht zu beanstanden und rechtfertigt keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Die Vergabekammer hat bei ihrer Entscheidung über die Trennung der Nachprüfungsverfahren das ihr nach § 93 S. 2 GWB eingeräumte Ermessen vielmehr pflichtgemäß gehandhabt.

38

Auf das Verfahren vor der Vergabekammer werden im wesentlichen – soweit der vierte Teil des GWB nichts anderes vorschreibt – die Vorschriften der VwGO analog angewendet (vgl. BGH VergabeR 2004, 201 f; OLG Düsseldorf NZBau 2008, 461 – 465 zitiert nach juris).

39

a)§ 64 VwGO in Verbindung mit § 60 ZPO lässt eine subjektive Klagehäufung zwar grundsätzlich zu, wenn auf im wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Gründen beruhende Ansprüche den Gegenstand des Rechtsstreites bilden, wobei diese Begriffe – wie die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde zutreffend ausführt – weit auszulegen sind(vgl. OLG Düsseldorf NZBau 2008, 461 – 465 zitiert nach juris).

40

b) Bedenken begegnet allerdings bereits, ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klageänderung nach § 91 VwGO für die gewillkürte Parteierweiterung auf Antragsgegnerseite vorgelegen haben. Der Antragsgegner hat seine Zustimmung zur Parteierweiterung jedenfalls versagt. Ob die Klageänderung in Gestalt einer gewillkürten Parteierweiterung sich unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie als sachdienlich erwiesen hätte, erscheint zweifelhaft. Denn der Sachdienlichkeit könnte hier das dem Nachprüfungsverfahren nach §§ 102 ff GWB immanente Beschleunigungsbedürfnis entgegen stehen (vgl. hierzu: OLG Düsseldorf NZBau 2008, 461 – 465 zitiert nach juris), zumal das ursprünglich gegen die E. angestrengte Nachprüfungsverfahren 1 VK LVwA 48/09 bei Eingang der Antragserweiterung am 29. September 2009 bereits entscheidungsreif gewesen ist, was die Daten der jeweiligen Beschlüsse deutlich machen. Diese Frage kann der Senat im Ergebnis aber auch dahin gestellt sein lassen.

41

c) Es ist der Vergabekammer aus Gründen der Verfahrensökonomie und -beschleunigung unbenommen geblieben, das neu angestrengte Nachprüfungsverfahren entsprechend § 93 S. 2 VwGO von dem seinerzeit entscheidungsreifen Verfahren 1 VK LwVA 48/09 abzutrennen (vgl. OLG Düsseldorf NZBau 2008, 461 – 465 zitiert nach juris). Die mit Schriftsatz vom 29. September 2009 angebrachte Antragserweiterung hätte nämlich zu einer nicht unerheblichen weiteren Verfahrensverzögerung geführt, die gerade auch mit Blick auf den für das Nachprüfungsverfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatz nicht mehr hinzunehmen war.

42

Im übrigen hat die Verfahrenstrennung hier auch - als Mittel der materiellen Sachleitung - der Übersichtlichkeit der Verfahren gedient. Die Tatsache, dass sich eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung für die Antragstellerin als kostengünstiger dargestellt hätte, rechtfertigt im Rahmen des § 93 S. 2 VwGO keine abweichende Beurteilung. Denn anerkannt ist, dass die im pflichtgemäßen Ermessen der erkennenden Vergabekammer stehende Entscheidung über die Trennung der Verfahren selbst unter dem Gesichtspunkt eines mit der Trennung verbundenen erhöhten Kostenrisikos für die Antragstellerin nicht gegen das Fairnessgebot verstößt (vgl. BrandVerfG NVwZ-RR 2003, 469 zitiert nach juris; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 93 VwGO Rdn. 3).

43

Eine Trennung hätte sich nach der Natur der Sache nur dann verboten, wenn die Antragstellerin den nachträglich angebrachten Nachprüfungsantrag in ein Eventualverhältnis zu dem in der Hauptsache verfolgten Antrag gestellt hätte (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 93 VwGO Rdn. 3 m.w.N.). Dies ist hier jedoch – entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin in ihrer Beschwerdeschrift – nicht der Fall gewesen. Die Antragstellerin hat das gegen den Antragsgegner gerichtete Nachprüfungsverfahren keineswegs in erster Instanz nur hilfsweise unter der prozessualen Bedingung angestrengt, dass sie mit ihrem Hauptantrag nicht durchzudringen vermag. Aus der Vergabeakte und insbesondere aus dem Erweiterungsschriftsatz vom 29. September 2009 geht eine Hilfsantragstellung jedenfalls nicht hervor. Die Antragstellerin hat ihren weiteren Nachprüfungsantrag vielmehr unbedingt in Form einer kumulativen Klagehäufung angebracht.

44

Dass die Vergabekammer davon abgesehen hat, die Verfahrensbeteiligten zu der beabsichtigten Verfahrenstrennung zuvor anzuhören, ist ebenfalls unschädlich gewesen. Der Trennungsbeschluss kann nämlich nach § 93 VwGO auch ohne vorherige Anhörung und mündliche Verhandlung ergehen. Selbst eine stillschweigende Trennung ist im allgemeinen grundsätzlich zulässig (vgl. Kopp / Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 93 VwGO Rdn. 3).

45

Nach alledem ist gegen das Vorgehen der Vergabekammer in verfahrensrechtlicher Hinsicht nichts einzuwenden.

II.

46

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist unzulässig.

47

Er ist nicht nach § 102 GWB in Verbindung mit §§ 101 b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 99 GWB statthaft. Die Fortsetzung des Entsorgungsvertrages durch die W. nach Verkauf der Geschäftsanteile, die die E. an ihr hielt ohne Neuausschreibung der streitgegenständlichen Entsorgungsleistungen unterliegt nicht den Bestimmungen des Kartellvergaberechts nach §§ 97 ff GWB.

48

1. Wie die Vergabekammer in dem angefochtenen Beschluss zutreffend festgestellt hat, findet auf das vorliegende Nachprüfungsverfahren gemäß der Übergangsbestimmung des § 131 Abs. 8 GWB das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in seiner Neufassung gemäß dem mit Wirkung zum 24. April 2009 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20. April 2009 (BGBl. I 2009, S. 790 ff) Anwendung.

49

Nach der Übergangsbestimmung des § 131 Abs. 8 GWB ist auf den Beginn eines Vergabeverfahrens, einschließlich der sich anschließenden Nachprüfungsverfahren, abzustellen. Liegt dieser vor dem 24. April 2009, ist die bis zum 23. April 2009 geltende alte Fassung des GWB anzuwenden.

50

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass die hier als Vergabe streitgegenständlichen Vorgänge schon vor dem insoweit für die Anwendung des Rechts maßgeblichen Stichtag am 24. April 2009 begonnen habe, so dass das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in seiner Neufassung durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 20. April 2009 zugrunde zu legen ist. Verfahrensgegen-stand bildet die Fortsetzung des ursprünglichen Entsorgungsvertragsverhältnisses trotz zwischenzeitlicher Geschäftsanteilsveräußerung. Die Beschwerdeführerin rügt also gewissermaßen eine Vergabe ohne förmliches Vergabeverfahren.

51

In so einem Fall ist die Ermittlung des Anfangszeitpunktes zwar mit größeren Schwierigkeiten verbunden als bei einem förmlichen Vergabeverfahren. Es ist eine materielle Betrachtung anzustellen und dabei an diejenigen Maßnahmen anzuknüpfen, mit der der erste Schritt zur Herbeiführung eines konkreten Vertragsabschlusses unternommen wird und die deshalb einer förmlichen Einleitung eines Vergabeverfahrens gleich zu erachten sind (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 08. Oktober 2010, 1 Verg9/09, VergR 2010, 219, 221).

52

Sofern in der Veräußerung der Geschäftsanteile an der Beigeladenen durch die E. eine zur Neuausschreibung verpflichtenden wesentliche Änderung einer grundlegenden Bedingung des Entsorgungsvertrages gesehen würde, würde der Anteilsverkauf auch den wesentlichen Zeitpunkt für die Feststellung des Beginns des nicht förmlichen Vergabevorgangs markieren. Der Antragstellerin kann zwar darin beigepflichtet werden, dass die Verhandlungen über den Abschluss des Geschäftsanteilskauf- und Abtretungsvertrages vor der Beurkundung des Vertrages am 04. Juli 2009 aufgenommen worden sind. Bloße Vorbereitungen der Geschäftsanteilsveräußerung stellen allerdings noch nicht ohne weiteres den Beginn im o. a. Sinn dar.

53

Durch bloße Vorbereitungshandlungen, wie Maßnahmen zur Markterkundung, Machbarkeitsstudien, interne Beratungen einschließlich der Erstbefassung der späteren Entscheidungsgremien oder vergleichende Wirtschaftlichkeitsberechnungen wird ein Vergabeverfahren ebensowenig begonnen wie durch Selbstauskünfte der Vergabestelle über künftige Beschaffungsvorhaben oder etwaige Vorinformationen (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 08. Oktober 2010, 1 Verg9/09, VergR 2010, 219, 221). Dementsprechend vermag auch die hier in Rede stehende, interne Informationsvorlage vom 23. März 2009 noch nicht zu genügen, um hieran den Beginn eines de facto-Vergabevorgangs anzuknüpfen, zumal aus der Vorlage keineswegs hervorgeht, dass der Landrat seinerzeit bereits ermächtigt war, die bisher von dem Antragsgegner gehaltenen Geschäftsanteile an der Beigeladenen zu einem bestimmten Kaufpreis veräußern zu können. Denn in der Informationsvorlage ist ausdrücklich aufgeführt, dass es sich hierbei lediglich um einen Beschlussentwurf zur Vorlage an die zuständigen Entscheidungsgremien handelt, die hierüber zu befinden haben. Dementsprechend ist die Regelung über die Vollmachtserteilung auch lediglich als Beschlussentwurf gekennzeichnet.

54

Der Zeitpunkt für die Einleitung des Vergabeverfahrens liegt jedenfalls nicht vor der internen Entscheidung der maßgeblichen Entscheidungsgremien des Antragsgegners über eine Anteilsveräußerung unter gleichzeitiger Fortsetzung des Entsorgungsvertrages. Diese interne Entscheidung über die Veräußerung der Geschäftsanteile ist aber unstreitig erst in der Sitzung des Kreistages vom 24. Juni 2009 getroffen worden und damit zeitlich nach Inkrafttreten der Neuregelungen des GWB am 24. April 2009.

55

2. Der vergaberechtliche Primärrechtsschutz ist im Streitfall – entgegen der Ansicht der Antragstellerin – indessen nicht nach § 101 b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GWB eröffnet.

56

Nach § 101 b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GWB kann die Unwirksamkeit eines de facto Vertrages, bei dem eine Ausschreibung rechtswidrig unterblieben ist, innerhalb bestimmter Fristen in einem Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden.

57

a) Der Antragsgegner ist als kommunale Gebietskörperschaft Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB.

58

b) Es fehlt hier allerdings an einem selbständigen, vergaberechtsrelevanten Beschaffungsvorgang im Sinne des § 99 GWB. Vielmehr ist von einer vergaberechtsneutralen Fortsetzung des bereits seit dem Jahre 2002 bestehenden Entsorgungsverhältnisses auszugehen.

59

Der ursprüngliche Entsorgungsvertrag vom 29. November 2002 stellt unzweifelhaft einen öffentlichen Auftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB dar, da er auf die Beschaffung von Dienstleistungen gerichtet war. Der Vertragsabschluss vom 29. November 2002 über die Teilübertragung der Abfallentsorgung bildet allerdings nicht den Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens der Antragstellerin, diese wendet sich mit ihrem Nachprüfungsantrag vielmehr allein gegen die vergaberechtswidrige Fortsetzung des Vertrages nach Veräußerung der Geschäftsanteile der E. an der Beigeladenen mit Anteilskauf- und Abtretungsvertrag vom 04. Juli 2009.

60

aa) Ein Beschaffungsakt eines öffentlichen Auftraggebers kann zwar nicht nur in dem Abschluss eines neuen Vertrages liegen. Auch die Änderung des bestehenden Vertragsverhältnisses kann unter Umständen in wirtschaftlicher Hinsicht bei wertender Betrachtung den Wirkungen einer Neuvergabe gleichkommen und eine Neuausschreibungspflicht begründen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 29. Oktober 2009, 13 Verg 8/09, IBR 2009, 732 zitiert nach juris; Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, Bearbeitung 2006, § 99 GWB Rdn. 67 ff; Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl., § 99 GWB Rdn. 35; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, Bearbeitung 2007, § 99 GWB Rdn. 47).

61

Der Europäische Gerichtshof hat in der „Pressetext Nachrichtenagentur GmbH/Republik Österreich“ - Entscheidung vom 19. Juni 2008 (C-454/06, NJW 2008, 3341 ff zitiert nach juris) hierzu ausgeführt, dass die Sicherstellung der Transparenz der Verfahren und die Gleichbehandlung der Bieter im Sinne der Richtlinie 92/50/EWG gebiete, dass Änderungen der Bestimmungen eines öffentlichen Auftrages während seiner Geltungsdauer stets dann als vergaberechtsrelevante Neuvergabe des Auftrages anzusehen seien, wenn sie wesentlich andere Merkmale aufweisen als der ursprüngliche Auftrag und damit den Willen der Parteien zur Neuverhandlung wesentlicher Bestimmungen dieses Vertrages erkennen lassen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2008, C-454/ 06 zitiert nach juris). Ausgehend von dem Ziel der Gemeinschaftsvorschriften, die Grundfreiheiten und einen unverfälschten Wettbewerb zu gewährleisten, ist - dem EuGH zufolge - eine Änderung eines öffentlichen Auftrages während seiner Laufzeit insbesondere dann als wesentlich anzusehen, wenn sie Bedingungen einführt, die die Zulassung anderer als der ursprünglich zugelassenen Bieter oder die Annahme eines anderen als des ursprünglich angenommenen Angebotes erlaubt hätten, sofern sie Gegenstand des ursprünglichen Vergabeverfahrens gewesen wären. Desgleichen kann eine Änderung des ursprünglichen Auftrags als wesentlich eingestuft werden, wenn sie den Auftrag in großem Umfang auf ursprünglich nicht vorgesehene Dienstleistungen erweitert oder das wirtschaftliche Gleichgewicht des Vertrages in einer im ursprünglichen Auftrag nicht vorgesehenen Weise zugunsten des Auftragnehmers ändert (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2008, C-454/06, Pressetext Nachrichtenagentur GmbH/Republik Österreich, NJW 2008, 3341 ff, zitiert nach juris).

62

bb) Gemessen an diesen vom EuGH aufgestellten Kriterien ist hier von einer eine Neuausschreibung erfordernden wesentlichen Vertragsänderung aufgrund der Abtretung der Geschäftsanteile der E. an der Beigeladenen auf die R. auf der Grundlage des Anteilskauf- und Abtretungsvertrages vom 04. Juli 2009 indessen nicht auszugehen.

63

(1) Ein im Wege der Vertragsübernahme erfolgter Auftragnehmerwechsel hätte den zugrunde liegenden Vertrag im Sinne der Rechtsprechung des EuGH zwar wesentlich ändern können. Die Ersetzung des Vertragspartners, dem der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ursprünglich erteilt hat, durch einen neuen berührt die Grundlagen des betreffenden öffentlichen Dienstleistungsvertragsverhältnisses (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2008, C-454/06, Pressetext Nachrichtenagentur GmbH/Republik Österreich, NJW 2008, 3341 ff, zitiert nach juris). Ein solcher Wechsel in der Person des Vertragspartners liegt hier indessen nicht vor. Die Beigeladene ist als Dienstleistungserbringerin vielmehr als solche erhalten geblieben. Durch den Anteilsverkauf hat sich lediglich an ihrem Gesellschafterbestand etwas verändert. Die Vertragspartner sind jedoch dieselben geblieben.

64

Der Verkauf von Geschäftsanteilen eines öffentlichen Auftraggebers an privatrechtlich organisierte Gesellschaften (materielle Privatisierung) stellt sich dagegen grundsätzlich als vergaberechtsneutral dar und vermag insbesondere noch keine wesentliche Änderung des zugrunde liegenden Auftrages herbei zu führen. Der Ansicht der Antragstellerin, Anteilsabtretungen der öffentlichen Hand seien stets beschaffungsrechtlich relevante Vorgänge, wenn das Unternehmen Dienstleistungen für einen öffentlichen Auftraggeber erbringe, vermag der Senat so nicht zu folgen.

65

(a) Einer Veränderung im Kreise der Anteilseigner an einer juristischen Person kann eine vergaberechtliche Bedeutung im allgemeinen nicht beigemessen werden. Es ist vielmehr grundsätzlich vergaberechtlich hinzunehmen, wenn sich die Beteiligungsverhältnisse an einem Auftragnehmer ändern, der einen öffentlichen Auftrag hält.

66

Der EuGH hat in der „Pressetext Nachrichtenagentur GmbH/Republik Österreich“ - Entscheidung vom 19.Juni 2008 (C-454/06, NJW 2008, 3341 ff zitiert nach juris) hierzu festgestellt, dass eine Änderung in der Mitgliederzusammensetzung des ursprünglich beauftragten Dienstleistungserbringers während der Vertragslaufzeit die Gültigkeit der Vergabe eines öffentlichen Auftrages an eine solche Gesellschaft nicht in Frage stellt und dementsprechend nicht grundsätzlich zu einer wesentlichen Änderung des an die Gesellschaft vergebenen Auftrages führt. Werde ein öffentlicher Auftrag – wie auch hier –an eine juristische Person vergeben, so ergebe sich schon aus deren Wesen selbst, dass sich die Besitzverhältnisse jederzeit ändern könnten. Etwas anderes könne nur in Ausnahmefällen wie etwa bei Manipulationen zur Umgehung vergaberechtlicher Gemeinschaftsvorschriften gelten (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2008, C-454/06 zitiert nach juris).

67

Die von dem EuGH im Hinblick auf die Beteiligungsverhältnisse an einer börsenorientierten Aktiengesellschaft und ebenso an einer registrierten Genossenschaft mit beschränkter Haftung entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze beanspruchen in gleicher Weise bei einer Änderung des Gesellschafterbestandes einer in der Rechtsform einer GmbH betriebenen Gesellschaft Geltung (vgl. Niestedt/Hölzl, NJW 2008, 3321, 3323). Es ist kein sachlich gerechtfertigter Grund ersichtlich, warum bei der Frage, ob eine Veränderung der Besitzverhältnisse an einer Gesellschaft zu einer Ausschreibungspflicht der von dieser gehaltenen Verträge führt, zwischen dem Wechsel eines Anteilseigners an einer börsenorientierten Aktiengesellschaft einerseits und der Zusammensetzung von Personen- oder Kapitalgesellschaften andererseits differenziert werden sollte. Eine börsenorientierte Aktiengesellschaft sowie eine eingetragene Genossenschaft, auf die sich die Ausführungen des EuGH in der Rechtssache Pressetext Nachrichtenagentur GmbH/Republik Österreich in erster Linie bezogen, mögen zwar nach ihrer Gesellschaftsstruktur stärker auf eine Veränderung im Bestand der Gesellschafter angelegt sein als dies bei einer GmbH der Fall ist. Die GmbH ist als Kapitalgesellschaft aber gleichfalls körperschaftlich organisiert und damit vom Mitgliederbestand grundsätzlich unabhängig, ihre Geschäftsanteile sind frei veräußerbar. Wollte man eine Veränderung in den Beteiligungsverhältnissen einer juristischen Person zum Anlass nehmen, ein neues Vergabeverfahren durchzuführen, würde dies die Fungibilität der Geschäftsanteile wesentlich einschränken und die Vergabe öffentlicher Aufträge an Kapitalgesellschaften nahezu unmöglich machen (vgl. Niestedt/Hölzl, NJW 2008, 3321, 3323). Es ließe sich - entgegen der Ansicht der Antragstellerin - mithin in vergaberechtlicher Hinsicht nicht darstellen, die Änderung der Zusammensetzung der Gesellschafter einer GmbH dem Vergaberechtsregime der §§ 97 ff GWG zu unterstellen, während der Wechsel eines Anteilseigners an einer börsenrechtlich orientierten Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft keine Ausschreibungspflicht auslöst.

68

(b) Der Antragstellerin ist zuzugeben, dass sich der Sachverhalt in der Entscheidung des EuGH vom 19. Juni 2008 in der Rechtssache „Pressetext Nachrichtenagentur GmbH/Republik Österreich“ von dem vorliegenden Fall darin unterscheidet, dass in dem vom EuGH entschiedenen Fall an dem ursprünglichen Dienstleistungserbringer, an dem der öffentliche Auftrag erteilt wurde, der öffentliche Auftraggeber nicht selbst mit eigenen Geschäftsanteilen mehrheitlich beteiligt war. Dass der Antragsgegner bislang in öffentlicher Hand gehaltene Geschäftsanteile an dem Dienstleistungserbringer an einen Privaten veräußert hat, der dadurch an der Gesellschaft beteiligt wird, die entgeltliche Leistungen für die öffentliche Hand erbringt, führt hier jedoch zu keiner abweichenden Beurteilung. Die Veräußerung von Geschäftsanteilen durch die öffentliche Hand an privatrechtlich organisierte Gesellschaften ist – isoliert gesehen - nicht ausschreibungspflichtig, so lange sie nicht mit der Vergabe eines hierin eingekapselten Beschaffungsverhältnis verbunden ist. Soweit sich die Anteilsveräußerung in einem bloßen Verkauf staatlichen Vermögens erschöpft, kein zeitlicher Zusammenhang mit einer Auftragsvergabe besteht, der Auftrag vielmehr – wie auch hier – vor Anteilsübertragung begonnen wurde und sich auch keine Indizien für eine künstliche Konstruktion ergeben, unterfallen Anteilsverkäufe der öffentlichen Hand nicht dem Vergaberecht. Es fehlt ihnen der Beschaffungscharakter, welcher aber Wesensmerkmal des öffentlichen Auftrages im Sinne von § 99 GWB ist (vgl. EuGH, Urteil vom 10. November 2005, C-29/04 – Stadt Mödling, zitiert nach juris; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, GWB, Bearbeitung 2006, § 99 GWB Rdn. 271; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 99 UWG Rdn. 82; Drügemöller/Conrad, VergabeR 2008, 651, 653; Jasper/Arnold, NZBau 2006, 24, 25).

69

Wenn der EuGH die Veräußerung von Geschäftsanteilen an einem Dienstleistungserbringer durch die öffentliche Hand schlechthin als eine vergaberechtsrelevante Vertragsänderung angesehen hätte, hätte er sein Urteil in der Rechtssache Stadt Mödling vom 10. November 2005 (C-29/ 04, Slg. 2005, I – 09705 zitiert nach juris) allein hierauf stützen können. So hat er seine Entscheidung aber nicht begründet. Er hat aber in dem Urteil gerade nicht festgestellt, dass Anteilsverkäufe der öffentlichen Hand stets vergabepflichtige Beschaffungsvorgänge darstellen, wenn dadurch private Unternehmen an Gesellschaften beteiligt werden, die entgeltliche Leistungen für öffentliche Auftraggeber erbringen. Er hat vielmehr eine Gesamtbetrachtung unterschiedlicher Indizien im konkreten Einzelfall vorgenommen, was aber darauf schließen lässt, dass Anteilsabtretungen der öffentlichen Hand, die nicht unmittelbar mit einer Auftragsvergabe zusammen hängen, aus Sicht des Vergaberechts nicht per se ausschreibungspflichtig sind (vgl. EuGH, Urteil vom 10. November 2005, Stadt Mödling, C-29/04, Slg. 2005, I-09705 zitiert nach juris; Jasper/Arnold, NZBau 2006, 24, 26; Drügemöller/Conrad, VergabeR 2008, 651, 653) und damit auch keine wesentliche Vertragsänderung für ein zugrunde liegendes Vertragsverhältnis begründen können.

70

Der Veräußerung von Geschäftsanteilen eines öffentlichen Auftraggebers an privatrechtlich organisierten Gesellschaften (materielle Privatisierung) kann danach aber im allgemeinen keine vergaberechtliche Bedeutung beigemessen werden.

71

(2) Eine andere vergaberechtliche Beurteilung ist allerdings dann geboten, wenn dem Auftrag eine In-house-Vergabe zugrunde lag.

72

Auch wenn die Anteilsveräußerung durch die öffentliche Hand nicht dazu führt, dass die zu erbringenden Dienstleistungen auf einen neuen Dienstleistungsträger übertragen werden, ließe sie aber jedenfalls die Voraussetzungen der Privilegierung des In-house-Geschäftes entfallen und führt damit – im Sinne der in der Pressetext-Nachrichtenagentur GmbH/Republik Österreich -Entscheidung des EuGH vom 19. Juni 2008 (C-454/06) aufgestellten Grundsätze zu der einer Neuvergabe gleichgestellten wesentlichen Vertragsänderung – in das bestehende Vertragsverhältnis nachträglich neue Bedingungen ein, die zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe die Zulassung anderer als der ursprünglich zugelassenen Bieter oder die Annahme eines anderen als des ursprünglich angenommenen Angebots erlaubt und geboten hätten, wenn sie Gegenstand des ursprünglichen Vergabeverfahrens gewesen wären. Der Auftrag wäre unter diesen Bedingungen nämlich mangels Vorliegens eines In-house-Geschäftes ausschreibungspflichtig gewesen. Eine solche vertragswesentliche Änderung des bestehenden Auftrages muss aber zu einer Ausschreibungspflicht führen.

73

Der EuGH hat in der Rechtssache „Sea Srl/Comune di Ponte Nossa“ mit Urteil vom 10. September 2009 (C-573/07) dementsprechend in einem obiter dictum festgestellt, dass im Falle einer In-house-Vergabe eines Auftrages an eine Gesellschaft mit öffentlichem Kapital, bei der das Grundkapital vollständig aus öffentlichen Mitteln besteht und kein konkreter Hinweis auf eine baldige Öffnung des Grundkapitals dieser Gesellschaft für private Teilhaber vorliegt, eine eine Ausschreibung erfordernde Änderung einer grundlegenden Bedingung dieses Auftrages dann anzunehmen ist, wenn zu einem späteren Zeitpunkt, aber immer noch innerhalb der Gültigkeitsdauer des Auftrages, Privatpersonen zur Beteiligung am Grundkapital der genannten Gesellschaft zugelassen werden.

74

Mit dem gesellschaftsrechtlichen Transfergeschäft wandelt sich das ursprüngliche Eigengeschäft in eine Fremdleistung um. Damit aber ist die vergaberechtliche Zulässigkeit der In-house-Vergabe, die allein im Falle einer Eigenleistung des öffentlichen Auftraggebers gerechtfertigt erscheint, entfallen. Die bei einer In-house-Vergabe vorliegende wirtschaftliche Identität zwischen Auftraggeber und Dienstleistungserbringer ist nach Anteilsabtretung aufgehoben, so dass es faktisch zu einer Neuvergabe des Auftrages kommt. Der öffentliche Auftraggeber und die durch Anteilsveräußerung entstandene gemischtwirtschaftliche Gesellschaft mit gemischt öffentlichem und privatem Kapital sind nämlich nunmehr rechtlich und wirtschaftlich zwei unterschiedliche Rechtsträger, und es hat sich im Hinblick auf die ursprünglich vorliegende In-house-Situation materiell gewissermaßen ein Vertragspartnerwechsel vollzogen (vgl. Shirvani, Vergaberechtliche Relevanz von öffentlich-privaten Partnerschaften nach der „pressetext Nachrichtenagentur“-Entscheidung des EuGH, VergabeR 2010, 21, 28; Bultmann/Hölzl, Rspr.-Anmerkung, VergabeR 2009, 893, 897; Klein, Veräußerung öffentlichen Anteils- und Grundstücksvermögens nach dem Vergaberecht, VergabeR 2005, 22, 28; Eilmannsberger, JurBl. 2001, 562, 574 ff). Wird die Gesellschaft privaten Anteilseignern geöffnet, so liegt hierin eine Wettbewerbsverfälschung und Diskriminierung potenzieller Bieter, die sich ursprünglich um den Auftrag wegen dessen In-house-Charakters nicht bewerben konnten (vgl. Shirvani, Vergaberechtliche Relevanz von öffentlich-privaten Partnerschaften nach der „pressetext Nachrichtenagentur“-Entscheidung des EuGH, VergabeR 2010, 21, 28).

75

Eine Teilprivatisierung einer auftragsausführenden Gesellschaft, deren Anteile bis dato vollständig von der öffentlichen Hand gehalten wurden, stellt sich danach in Bezug auf das vorausgehende In-house-Geschäft als eine wesentliche Vertragsänderung dar und löst die Pflicht zur Neuvergabe des betreffenden Auftrages aus.

76

(3) Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von der der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Sea Srl/Comune di Ponte Nossa vom 10. September 2009 zugrunde liegenden Sachverhaltskonstellation vielmehr dadurch, dass hier schon bei Abschluss des Entsorgungsvertrages am 29. November 2002 die Voraussetzungen einer In-house-Vergabe nicht vorgelegen haben, der Antragsgegner vielmehr zu Unrecht von einem vergaberechtsfreien Eigengeschäft ausgegangen ist, so dass von einer nachträglichen Änderung einer grundlegenden Bedingung des Auftrages im eigentlichen Sinne nicht die Rede sein kann.

77

Der öffentliche Auftrag vom 29. November 2002 hätte nicht ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens nach §§ 97 ff GWB an die gemischt wirtschaftlich geführte Beigeladene vergeben werden dürfen.

78

(a) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH setzt ein vergaberechtsfreies In-house-Geschäft, das bereits tatbestandlich nicht dem Anwendungsbereich des EG-Vergaberechts unterfällt, voraus, dass die den Auftrag erteilende Körperschaft der öffentlichen Hand über die betreffende Einrichtung eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübt und die Einrichtung ihre Tätigkeit im wesentlichen für die öffentliche Stelle verrichtet, die ihre Anteile inne hat (vgl. EuGH, Urteil vom 18. November 1999, C-107/98, Teckal, Slg. 1999, I-8121; EuGH, Urteil vom 11. Januar 2005, C-26/03 – Stadt Halle und RPL Lochau – zitiert nach juris; EuGH, Urteil vom 10. November 20054, C-29/04, Stadt Modling, zitiert nach juris; EuGH, Urteil vom 10. September 2009, C-573/07, Sea-Srl und Comune di Ponte Nossa, zitiert nach juris). In der Rechtssache „Stadt Halle“ und RPL Recyclingpark Lorchau GmbH vom 1. Januar 2005 (C-26/03) hat der EuGH überdies klar gestellt, dass die auch nur minderheitliche Beteiligung eines privaten Unternehmens am Kapital einer Gesellschaft, an der auch der betreffende öffentliche Auftraggeber beteiligt ist, es auf jeden Fall ausschließt, dass der öffentliche Auftraggeber über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass die Beziehung zwischen einer öffentlichen Stelle, die ein öffentlicher Auftraggeber ist, und ihren Dienststellen vornehmlich durch Überlegungen und Erfordernisse bestimmt wird, die mit der Verfolgung von allein im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammen hängen, während die Anlage von privatem Kapital in einem Unternehmen auf Überlegungen beruht, bei denen private Interessen vorherrschen und daher andere Ziele verfolgt. Im übrigen würde die Vergabe eines öffentlichen Auftrages an ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen ohne Ausschreibung das Ziel eines freien und unverfälschten Wettbewerbs und den in der Richtlinie 92/50 genannten Grundsatz der Gleichbehandlung der Interessen beeinträchtigen, insbesondere weil ein solches Verfahren einem am Kapital dieses Unternehmen beteiligten privaten Unternehmen einen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten verschaffen würde (EuGH, Urteil vom 11. Januar 2005, C-26/03, Stadt Halle, NZBau 2005, 111, 114 f, zitiert nach juris). Allein eine 100%-ige Beherrschung des Auftragnehmers durch den öffentlichen Auftraggeber kann danach die Annahme eines vergaberechtsfreien In-house-Geschäfts rechtfertigen.

79

(b) An dieser Voraussetzung fehlt es hier bereits. Das Kapital an der Beigeladenen stand zur Zeit der Auftragsvergabe keineswegs ausschließlich dem öffentlichen Auftraggeber allein bzw. zusammen mit weiteren öffentlichen Stellen zu. Die Beigeladene war vielmehr bereits im Jahre 2002 ein gemischt wirtschaftliches Unternehmen, an dem die öffentliche Hand als Mehrheitsgesellschafter einen Anteil hielt. An der Auftragnehmerin war daneben mittelbar über deren Mitgesellschafterin N. , die 49 % der Geschäftsanteile hielt, auch privates Kapital an der Gesellschaft beteiligt. Das Grundkapital der N. stand nämlich zu 49 % der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin zu. Diese mittelbare Beteiligung eines privaten Unternehmens hat es aber von Anfang an ausgeschlossen, dass der Antragsgegner über die W. eine ähnliche Kontrolle ausüben konnte, wie über eine seiner Dienststellen.

80

Auch die zweite Voraussetzung für die Annahme eines In-house-Geschäftes liegt hier nicht vor. Das Erfordernis, im wesentlichen nur für die öffentlichen Auftraggeber tätig zu sein, die sie kontrollieren, soll nach der Rechtsprechung des EuGH sicher stellen, dass die Gemeinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen anwendbar bleiben, wenn ein von einer oder mehreren Körperschaften kontrolliertes Unternehmen auf dem Markt tätig ist und daher mit anderen Unternehmen in den Wettbewerb treten kann. Ist das Unternehmen auf dem Markt tätig und erhielte es ohne Ausschreibung an sich dem Vergaberecht unterliegende Aufträge, träte eine Verfälschung des Wettbewerbs ein. Um dies zu verhindern, setzt ein vergaberechtsfreies Eigengeschäft des weiteren voraus, dass das Unternehmen hauptsächlich für die öffentliche Körperschaft, die seine Anteile innehaben, tätig wird und jede andere Tätigkeit allenfalls rein nebensächlich ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. April 2007, C-295/05 – Asemfo und Tragsa - zitiert nach juris; OLG Celle, Urteil vom 29. Oktober 2009, 13 Verg 8/ 09, IBR 2009, 732 zitiert nach juris).

81

Der Antragsgegner hat – unbestritten – vorgetragen, dass die öffentlichen Aufträge des Altkreises S. sowie des Altkreises M. L. tatsächlich nur einen untergeordneten Teil der Entsorgungstätigkeit der Beigeladenen ausmachen würden und diese im übrigen ihre Aufträge auf dem privatwirtschaftlichen Markt einholt. So habe sich der Anteil der von der Beigeladenen auf der Grundlage der mit dem Antragsgegner abgeschlossenen Entsorgungsverträge aus den Jahren 2002 und 2004 entsorgten Abfallmengen in den letzten drei Jahren auf lediglich durchschnittlich 21 % belaufen (Blatt 65 der Vergabeakte 1 VK LvwA 54/ 09); die Kommunalaufträge hätten in den vergangenen Jahren an den Umsätzen der Beigeladenen zwischen 18,1 % und 29,7 % beigetragen. Im übrigen erwirtschaftet die Beigeladene ihre Umsätze durch Drittaufträge. Danach aber kann nicht die Rede davon sein, dass die W. hauptsächlich für die öffentliche Körperschaft, die ihre Anteile hält, tätig wird und jede andere Tätigkeit nur rein nebensächlicher Natur sei(vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 19. April 2007, C-295/ 05 – Asemfo und Tragsa – zitiert nach juris; OLG Celle, Urteil vom 29. Oktober 2009, 13 Verg 8/09, IBR 2009, 732 zitiert nach juris).

82

Durch die Veräußerung der Geschäftsanteile der E. an der Beigeladenen konnte nach alledem eine In-house-Privilegierung nicht in Wegfall geraten, weil ein solcher Privilegierungstatbestand von Anbeginn an nicht vorgelegen hat. Die Anteilsübertragung hat den Anteil an privatem Kapital an der Beigeladenen vielmehr lediglich erhöht und damit den bereits bei Auftragsvergabe vorliegenden Zustand eines gemischt wirtschaftlichen Unternehmens perpetuiert, die Beschaffungsvoraussetzungen aber als solches nicht verändert.

83

(4) Soweit die Vergabekammer die hier in Rede stehende Fallkonstellation der Situation bei Vorliegen eines vergaberechtsfreien Eigengeschäftes, dessen Privilegierung durch die Anteilsveräußerung entfallen ist, aus allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen im Wege eines Erst-Recht- Schlusses gleich erachtet, weil sie dafür hält, dass der Antragsgegner, der die Vorzüge einer In-house-Privilegierung bei Vergabe der Entsorgungsleistungen im Jahre 2002 zunächst rechtsirrig für sich in Anspruch genommen hat, nicht besser gestellt werden dürfe als derjenige Auftraggeber, der die engen Voraussetzungen eines In-house- Geschäftes bei Vergabe des öffentlichen Auftrages tatsächlich erfüllt hat und sich damit rechtstreu verhalten hat, folgt der Senat dem nicht.

84

Für den von der Vergabekammer vollzogenen Erst-Recht-Schluss ist in dem für Beschaffungsvorhaben im Sinne des § 99 GWB eröffneten, formalisierten und justizförmlich ausgestalteten Nachprüfungsverfahren nach §§ 102 ff GWB auch aufgrund einer schutzzweckorientierten, funktionalen Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der gesetzlichen Schutzzwecke des Vergaberechts, nämlich der Gewährleistung eines freien Dienstleistungsverkehrs, dem Schutz eines freien und unverfälschten Wettbewerbs und der Gleichbehandlung, kein Raum. Mit der Anwendung des Erst-Recht-Schlusses ginge ein Verlust an Rechtssicherheit einher.

85

Für die Beurteilung einer eine Ausschreibungspflicht nach §§ 97 ff GWB auslösenden wesentlichen Änderung einer grundlegenden Bedingung des zugrunde legenden Auftrages muss im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit vielmehr grundsätzlich an objektive Kriterien angeknüpft werden. Ob ein ausschreibungspflichtiger Vorgang vorliegt, ist aus Gründen der Rechtssicherheit daher in der Regel anhand der objektiven Verhältnissen und Bedingungen zu prüfen, die zum Zeitpunkt der fraglichen Vergabe des öffentlichen Auftrages vorlagen (vgl. EuGH, Urteil vom 10. November 2005, C-29/ 04 – Stadt Mödling – Sgl. 2005, I – 09705 zitiert nach juris). Allein die rechtsirrige Vorstellung des Auftraggebers vom Vorliegen eines vergaberechtsfreien Eigengeschäftes kann einer auf objektive Gegebenheiten beruhenden, tatsächlichen Änderung der Vertragssituation durch Entfallen des Privilegierungstatbestandes bei erstmaliger Zulassung privater Investoren an einer Gesellschaft, deren gesamtes Grundkapital ursprünglich von dem öffentlichen Auftraggeber gehalten wurde, dagegen nicht gleich gestellt werden.

86

Die Eröffnung des Vergaberechtsweges darf nicht von den subjektiven Vorstellungen der Vergabestelle bei Auftragserteilung abhängen.

87

Deshalb kommt es für die Frage einer vertragswesentlichen Änderung des Auftrages durch Veräußerung der Geschäftsanteile an der Dienstleistungserbringerin nicht auf die seinerzeitigen subjektiven Erwägungen der Vergabestelle bei Vergabe des ursprünglichen Auftrages an.

88

Die Erforschung der subjektiven Motivlage der Vergabestelle bei Direktvergabe des Auftrages an ein gemischt wirtschaftliches Unternehmen durch die Nachprüfungsinstanz wird im übrigen allenfalls mit Schwierigkeiten möglich sein. Zudem handelt es sich bei den in § 97 GWB statuierten Zielen des Kartellvergaberechts um rein objektive Rechtsgewährleistungen, die mit einer Motiverforschung nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen sind (vgl. Klein, VergabeR 2005, 22, 27; Shirvani, VergabeR 2010, 21, 25 m.w.N.). Der Begriff des öffentlichen Auftrages darf über den gesetzlichen Wortlaut hinaus deshalb allenfalls mit großer Zurückhaltung ausgedehnt werden, was in jedem Fall sorgsam zu begründen wäre (vgl. Klein, VergabeR 2005, 22, 29).

89

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin gebietet eine an den gesetzlichen Schutzzwecken des Vergaberechts orientierte funktionale Betrachtung keine abweichende Beurteilung.

90

Zu Recht weist die Antragstellerin zwar darauf hin, dass die Vergabe eines öffentlichen Auftrages an ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen ohne Ausschreibung mit den vergaberechtlichen Zielen eines freien und unverfälschten Wettbewerbs und den in der Richtlinie 92/ 50 genannten Grundsatz der Gleichbehandlung der Interessenten nicht vereinbar wäre, weil dem am Kapital dieses Unternehmens beteiligten privaten Unternehmen hierdurch ein Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten erwachsen würde (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Januar 2005, C-26/03 – Stadt Halle und RPL Recyclingpark Lorchau GmbH, Slg. 2005, I-00001 zitiert nach juris; Shirvani, VergabeR 2010, 21, 28).

91

Vergaberechtlicher Primärrechtsschutz stand den an dem Auftrag ebenfalls interessierten Bietern aber seinerzeit durchaus offen. Der durch die Direktvergabe der Entsorgungsleistungen im Jahre 2002 an die als gemischt wirtschaftliches Unternehmen geführte Beigeladene insoweit begangene Vergaberechtsverstoß hätte nämlich ohne weiteres einer Nachprüfung nach Maßgabe der §§ 97 ff GWB unterzogen werden können. Der im Wege einer de facto-Vergabe erteilte öffentliche Auftrag vom 29. November 2002 war nach Maßgabe des § 13 VgV in der bis zum 23. April 2009 gültigen alten Fassung zweifellos ursprünglich angreifbar. Eine vergaberechtliche Nachprüfung der Vergabe des ursprünglichen Entsorgungsvertrages ist jedoch unterblieben, und deren Nachholung wäre nunmehr in jedem Fall unzulässig. Dabei kann der Senat dahin gestellt sein lassen, ob der Zulässigkeit eines nachgeholten Nachprüfungsbegehrens bereits die Präklusionsvorschrift des § 107 Abs. 3 GWB a.F. entgegen stehen würde oder ob bei einer de facto- Vergabe auch schon nach alter Rechtslage eine Rügepräklusion von vorneherein ausgeschlossen war, so wie es nunmehr die Neufassung des § 107 Abs. 3 GWB aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20. April 2009 nunmehr ausdrücklich vorsieht (vgl. OLG Celle Urteil vom 29. Oktober 2009, 13 Verg 8/09, IBR 2009, 732 zitiert nach juris). Denn jedenfalls ist das Nachprüfungsrecht der Antragstellerin in jedem Fall wegen Zeitablaufs nach § 242 BGB verwirkt und der Entsorgungsvertrag aus dem Jahre 2002 damit letztlich „bestandskräftig“ geworden.

92

Die Antragstellerin, die seinerzeit davon absah, ein Nachprüfungsverfahren wegen des Vergaberechtsverstoßes anzustrengen, obwohl sie von dem Fehlen einer In-house-Privilegierung damals unstreitig Kenntnis hatte und als Anteilseignerin an der N. von dem Eigengeschäft selbst profitierte, kann nun nicht aufgrund des als solchen ausschreibungsfreien Anteilsverkauf der E. an der Beigeladenen, der den Anteil privaten Kapitals an dem Dienstleistungserbringer lediglich weiter erhöht hat, den vergangenen Vergabefehler wieder aufgreifen und zumindest mittelbar im Wege eines Erst-Recht-Schlusses zum Gegenstand eines neuen Nachprüfungsverfahrens machen. Ist der ursprüngliche Auftrag - wie hier - vergaberechtswidrig ohne Ausschreibung und ohne gesetzliche Rechtfertigung durch eine In-house-Konstellation direkt an eine gemischtwirtschaftliche Gesellschaft vergeben worden, kann es nicht angehen, dass dieser Rechtsanwendungsfehler nun dadurch geheilt werden soll, dass eine sehr viel spätere Anteilsveräußerung als mittelbarer Beschaffungsakt gedeutet und damit dem Vergaberecht unterworfen wird (vgl. Klein, VergabeR 2005, 22, 29; Shirvani, VergabeR 2010, 21, 29).

93

Auch nach dem Sinn und Zweck des Vergaberechts, die Grundfreiheiten und den unverfälschten Wettbewerb im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zu gewährleisten, ist eine erneute Ausschreibung nicht mehr erforderlich.

94

(5) Eine Ausschreibungspflicht kann sich hier schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Umgehung der vergaberechtlichen Schutzbestimmungen ergeben.

95

Einen Umgehungstatbestand vermag der Senat nicht zu erkennen. Soweit die Antragstellerin meint, der Antragsgegner habe durch die Veräußerung der Geschäftsanteile der E. an der Beigeladenen die vollständige Privatisierung der Beigeladenen befördert und in wirtschaftlicher Hinsicht damit letztlich eine faktische Vertragsübernahme durch die R. - GmbH bewirkt, kann der Senat dem so nicht folgen. Für das Vorliegen einer entsprechenden Manipulation durch den Antragsgegner zur Umgehung vergaberechtlicher Bestimmungen bestehen - bei funktionaler Gesamtbetrachtung des der Anteilsveräußerung zugrunde liegenden Sachverhaltes – nach Lage der Akten keine hinreichenden Anhaltspunkte. Eine auf Umgehung der vergaberechtlichen Bestimmungen und Verschleierung einer tatsächlich bestehenden Ausschreibungspflicht abzielende künstliche Konstruktion, wie sie der EuGH in dem in der Rechtssache Stadt Mödling getroffenen Urteil vom 10. November 2005 (C-29/04, Sgl. 2005, I – 09705 zitiert nach juris) dargestellt hat, ist im Streitfall nicht feststellbar. Der zeitliche Abstand zwischen der Vergabe des öffentlichen Auftrages im Jahre 2002 und der hier in Rede stehenden Anteilsveräußerung vom 04. Juli 2009 spricht bei der insoweit gebotenen gesamtwirtschaftlichen Betrachtung vielmehr gegen die Annahme eines einheitlichen Vorgangs mit Umgehungsabsicht. Inzwischen hatte sich die Situation für alle Beteiligten nämlich nicht unwesentlich verändert. Die beiden Landkreise S. und M. L. waren zum Landkreis M. zusammen gelegt worden. Der neue Landkreis hatte die bislang unterschiedlichen Organisationsstrukturen der Abfallwirtschaft aus den beiden früheren Landkreisen neu auszurichten. Gleichzeitig veränderten sich die Rahmenbedingungen der Abfallwirtschaft insgesamt.

96

Dass der Veräußerungszweck allein darin bestand, der R. den Zugriff auf die öffentlichen Aufträge zu ermöglichen bzw. diese faktisch auf die R. überzuleiten, kann weder der zur Akte gereichten Beschlussvorlage des Antragsgegners vom 23. März 2009, noch dem Geschäftsanteilskaufvertrag vom 04. Juli 2009 selbst zweifelsfrei entnommen werden.

97

In der Beschlussvorlage des Landkreises M. vom 23.03.2009 für die Kreistagssitzung vom 01.04.2009 werden umfangreich die wirtschaftlichen Folgen einer Insolvenz der W. für den Landkreis unter verschiedenen Gesichtspunkten, z.B. auch hinsichtlich einer von der Sparkasse M. gestellten Bürgschaft und hinsichtlich ihrer Konsequenzen für die E. dargestellt. Auch die Auswirkungen auf die R. Gruppe aufgrund der mit dieser bestehenden laufenden Geschäftsverbindung werden dargestellt. Anschließend wird die später vollzogene Lösung u.a. durch den Verkauf der Geschäftsanteile vorgeschlagen. Nachdem die vergaberechtlichen „Risiken“ auch unter dem Gesichtspunkt dargestellt werden, dass von Seiten eines angerufenen Gerichtes ein Umgehungsgeschäft angenommen werden könnte, wird vorgeschlagen, für einen solchen Fall die einvernehmliche Aufhebung der bei der W. bestehenden Dienstleistungsverträge vorzusehen. Es heißt hierzu wörtlich: „“Für den Fall, dass ein Gericht feststellen sollte, dass der Kauf- und Abtretungsvertrag zwischen der E. GmbH und R. über die Geschäftsanteile der E. GmbH (51 %) an der W. GmbH, deshalb (vergabe)rechtswidrig ist, weil hiermit auch die Verträge des Landkreises M. zur „Teilübertragung der Abfallwirtschaft“ vom 29.11.2002 und zur „Entsorgung der Restabfälle des Landkreises M. L. ab 01.06.2005“ vom 25.05.2004 übergegangen sind, verpflichten sich der Käufer und der Landkreis M. zur Sicherung des Anteilsverkaufs die vorgenannten Dienstleistungsverträge einvernehmlich aufzuheben. Der Landkreis M. wird die Verträge sodann unverzüglich neue ausschreiben, sodass auch der Käufer Gelegenheit erhält hierzu ein Angebot abzugeben.“ Mit der Aufnahme einer solchen Klausel signalisieren die Vertragsparteien, dass nicht die Dienstleistungsverträge im Mittelpunkt des Kauf- und Abtretungsvertrages stehen, sondern die Erhaltung der wirtschaftlichen Existenz der W. GmbH“ Diese in der Informationsvorlage nieder gelegten Erwägungen machen deutlich, dass die Veräußerung der Geschäftsanteile keineswegs wirtschaftlich in eine Gesamtkonstruktion eingebettet ist, deren Z i e l die Umgehung des Vergaberechts ist. Dass der neue Gesellschafter nunmehr anstelle des alten an den vorhandenen längerfristigen Entsorgungsverträgen mitverdient, reicht für sich allein genommen für eine solche Annahme nicht aus. Die in der Beschlussvorlage angestellten Überlegungen zeigen vielmehr, dass man die Anteilsveräußerung auch ohne die vorhandenen o.a. Entsorgungsverträge gewollt hat. Der Formulierungsvorschlag hat zwar dann in den Geschäftsanteilskauf- und Abtretungsvertrag vor dem Notar B. am 04. Juli 2009 keinen Eingang gefunden. Dieser Umstand kann aber nicht schon als Beleg dafür dienen, dass die gewählte Vertragskonstruktion – entgegen den in der Beschlussvorlage angestellten Erwägungen – nun doch auf Umgehung einer Neuausschreibung angelegt war.

98

Gemäß Abschnitt II) des notariell beurkundeten Anteilskaufvertrages waren sich die Vertragsparteien darüber einig, dass die Veräußerung der Geschäftsanteile der E. der Sanierung der Gesellschaft und damit der Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Beigeladenen dienen sollte.

99

Dass sich die R. als Anteilserwerberin nach Abschnitt XIII Ziffer 1 lit.a) des Vertrages ein Rücktrittsrecht für den Fall vorbehalten hat, dass der Antragsgegner die Entsorgungsverträge aus den Jahren 2002 und 2005 vorzeitig beendet, ist aus ihrer Sicht wirtschaftlich verständlich. Gleichwohl ist es kein Indiz dafür, dass es ihr in erster Linie um den Erwerb dieser Entsorgungsverträge ging. Dagegen spricht bereits, dass diese Kommunalaufträge unstreitig nur circa ein Viertel der durch die Beigeladene erwirtschafteten Umsätzen ausmachen und für deren Unternehmenserfolg dementsprechend nicht allein entscheidend sind.

100

Die R. hat zwar auch die Geschäftsanteile der N. vom Insolvenzverwalter erworben und diesen Erwerb und den der Geschäftsanteile der E. an der W. im Zusammenhang gesehen, was die in Abschnitt XIII Ziffer 1 lit.b) vereinbarte Rücktrittsklausel deutlich macht. Dabei ist jedoch wiederum zu bedenken, dass mit dem Erwerb der Geschäftsanteile der E. sowohl der Antragsgegner als auch die Käuferin verschiedene Interessen verfolgten und sich keineswegs allein auf das Schicksal der beiden Entsorgungsverträge fokussierten.

101

Der Senat vermag daher auch in der Gesamtschau der Verträge keine gezielte Umgehung der vergaberechtlichen Bestimmungen hinsichtlich der Entsorgungsverträge anzunehmen. werden.

102

Der vergaberechtliche Primärrechtsschutz ist nach alledem hier mangels eines entgeltlichen Beschaffungsvorganges im Sinne des § 99 GWB nicht eröffnet, denn in der Veräußerung der Geschäftsanteile der E. an der Beigeladenen liegt keine eine Ausschreibungspflicht auslösende, wesentliche Änderung des bestehenden Entsorgungsvertrages vom 29. November 2002.

103

Auf die von der Vergabekammer verneinte Frage, ob die Antragstellerin den Nachprüfungsantrag gemäß § 101 b Abs. 2 S. 1 GWB rechtzeitig binnen 30 Tagen ab Kenntnis des Vergabeverstoßes angebracht hat, kommt es unter diesen Umständen nicht mehr streitentscheidend an.

III.

104

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 97 Abs. 1 ZPO.


Die zur Verwertung und Beseitigung Verpflichteten können Dritte mit der Erfüllung ihrer Pflichten beauftragen. Ihre Verantwortlichkeit für die Erfüllung der Pflichten bleibt hiervon unberührt und so lange bestehen, bis die Entsorgung endgültig und ordnungsgemäß abgeschlossen ist. Die beauftragten Dritten müssen über die erforderliche Zuverlässigkeit verfügen.

Tenor

Die Beitrags- und Gebührensatzung der Antragsgegnerin in der Fassung der 13. Nachtragssatzung ist hinsichtlich der Regelungen zu § 12 Abs. 3 und Abs. 4 unwirksam, soweit in § 12 Abs. 3 und 4 ein Gebührensatz von 0,69 Euro je gebührenpflichtiger Fläche festgesetzt wird.

Die Antragsgegnerin trägt 17/18 der bis zum Erlass des Teileinstellungsbeschlusses vom 18. Juni 2013 entstandenen Verfahrenskosten; die übrigen Kosten des Verfahrens trägt sie allein.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Antragsgegnerin darf die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Antragsteller zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Antragsteller wenden sich gegen den in § 12 Abs. 3 und 4 der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserbeseitigung der Stadt Uetersen in der Fassung der 13. Nachtragssatzung festgesetzten Gebührensatz.

2

Durch die 13. Nachtragssatzung wurde § 12 Abs. 3 und 4 der Beitrags- und Gebührensatzung (im Folgenden: Gebührensatzung) wie folgt geändert:

3

§ 12
Gebührensatz für Niederschlagswasserentsorgung

4

(3) Die Niederschlagswassergebühr beträgt 0,690 € je m² gebührenpflichtige Fläche.

5

(4) Wird einer/einem Grundstückseigentümerin/Grundstückseigentümer eines bebauten Grundstücks die Einleitung von Sickerwasser aus Drainagen in das Niederschlagswasserkanalnetz genehmigt, so sind hierfür folgende Gebühren zu entrichten.

6

Sie betragen:

7

je m² Kellerfläche, die drainiert wird 0,690 €.

8

Am 14. Dezember 2012 beschloss die Ratsversammlung der Antragsgegnerin die Nachtragssatzung. Diese wurde am 28. Dezember 2012 bekannt gemacht.

9

Auf Antrag der Antragsgegnerin vom 13. November 2012 verfügte der Kreis Pinneberg - Untere Wasserbehörde - mit Bescheid vom 11. September 2013, der Antragsgegnerin zugestellt am 18. September 2013, dass das Teilstück des „Heidgrabens“ zwischen dem Auslauf aus dem Mühlenteich (Rosarium) bis zum Hafenbecken der Pinnau in Uetersen als Gewässer 2. Ordnung entwidmet wird.

10

Am 15. Februar 2013 haben die Antragsteller einen Normenkontrollantrag gemäß § 47 VwGO gestellt.

11

Sie tragen zum Hintergrund der Rechtsstreitigkeit vor, die Antragsgegnerin benutze das Gewässer „Heidgraben“ gemeinsam mit der Gemeinde Heidgraben zur Entsorgung des Niederschlagswassers. Der „Heidgraben“ sei im Bereich zwischen dem Rosarium und dem Stichhafen in den Jahren 2007/2008 vergrößert worden, da er in der Vergangenheit überlastet gewesen sei. Aus Sicherheitsgründen habe am Ende des „Heidgrabens“ auch noch ein Pumpwerk errichtet werden müssen. Die dafür aufgewendeten Kosten beliefen sich auf rund 4,5 Millionen €. Bei dem Gewässer „Heidgraben“ handele es sich um ein Gewässer 2. Ordnung nach dem Landeswassergesetz. Es durchfließe das Gebiet der Gemeinde Heidgraben und das der Antragsgegnerin. Der „Heidgraben“ fließe, von der Gemeinde Heidgraben kommend, in Uetersen durch das Rosarium. Der sogenannte „Mühlenteich“ im Rosarium habe die Funktion eines Regenrückhaltebeckens. Der „Heidgraben“ fließe dann weiter zum Stichhafen und münde am Ende des Stichhafens in die Pinnau. Zwischen dem Rosarium und dem Stichhafen werde der „Heidgraben“ auch als „Mühlenbach“ bezeichnet. Sowohl die Gemeinde Heidgraben als auch die Antragsgegnerin nutze das Gewässer „Heidgraben“ zur Entsorgung des Niederschlagswassers. Nach der Sachverständigenfeststellung im Gutachten der Abwasserentsorgung Uetersen GmbH vom 5. Juni 2009 stamme das im Rosarium über den „Heidgraben“ ankommende Niederschlagswasser in etwas zur Hälfte aus dem Gebiet der Gemeinde Heidgraben und zur Hälfte aus dem Gebiet der Antragsgegnerin.

12

Die Antragsteller machen geltend, die Gebührensatzung sei hinsichtlich der Regelung des Gebührensatzes in § 12 Abs. 3 und § 12 Abs. 4 unwirksam. In der genannten Vorschrift werde die Niederschlagswassergebühr je m² gebührenpflichtige Fläche auf 0,690 € je m² festgesetzt. Der in § 12 Abs. 3 und § 12 Abs. 4 festgelegte einheitliche Gebührensatz sei rechtswidrig. Bei seiner Kalkulation seien unstreitig auch Unterhaltungskosten für das Gewässer „Heidgraben“ eingeflossen. Derartige Kosten seien jedoch nicht nach § 6 KAG, sondern allenfalls nach § 7 KAG umlagefähig, sofern eine entsprechende Satzung existiere. Dies sei jedoch nicht der Fall. Der im Herbst 2012 bei dem Kreis Pinneberg - Untere Wasserbehörde - gestellte Antrag auf Entwidmung des Gewässers habe nicht ausgereicht, um das Gewässer „Heidgraben“ als Bestandteil des Abwassersystems der Antragsgegnerin einzuordnen. § 1 der Abwassersatzung verlange, dass die wasserrechtlichen Verfahren abgeschlossen seien. Nach § 1 Abs. 6 lit. b der Abwassersatzung gehörten Gewässer und Gräben erst dann zur Abwassersatzung, wenn diese Gewässer oder Gräben aufgrund der vorgeschriebenen wasserrechtlichen Verfahren Bestandteil des Abwassersystems geworden seien. Die Satzung könnte daher erst frühestens am 18. September 2014 wirksam geworden sein. Der vorherige Einzug von kommunalen Abgaben bleibe aber auch dann rechtswidrig. Zudem wäre die Entwidmung ausschließlich aus abgabenrechtlichen Gründen betrieben worden. Die eigentlich vorgesehene Abgabensatzung nach § 7 KAG habe man nicht beschließen wollen. Das Vorgehen sei mit den grundlegenden Vorgaben des Wasserrechts, Gewässer zu erhalten und unter dem Schutz des Wasserrechts zu halten, nicht vereinbar. Ziel der Entwidmung sei allein, möglichst alle Kosten auf den Gebührenzahler im Bereich der Antragsgegnerin umlegen zu können, da man keine Möglichkeit gesehen habe, die Nachbargemeinde Heidgraben an den Kosten zu beteiligen.

13

Des Weiteren sei der Gebührensatz deshalb rechtswidrig, da in seine Kalkulation sämtliche Kosten eingestellt wurden, ohne diejenigen Kosten herauszurechnen, die in Folge der gegebenen Mitbenutzung des „Heidgrabens“ durch die Gemeinde Heidgraben von dieser getragen werden müssten. Von einer entsprechenden Kostentragungspflicht gehe nunmehr auch die Antragsgegnerin aus, ohne die Konsequenzen hieraus zu ziehen.

14

Selbst wenn man die Unterhaltungskosten für umlagefähig hielte, seien diese zu hoch angesetzt. Sie hätten um den Anteil der Nachbargemeinde Heidgraben reduziert werden müssen, den diese nach den einschlägigen wasserrechtlichen Vorschriften zu tragen hätte. Hinsichtlich des Verteilungsmaßstabes sei richtig, dass die Antragsteller die den jeweiligen Werten zugrundeliegenden Flächengrößen nicht anzweifelten. Dies ändere aber nichts an der fehlerhaften Kalkulation des Gebührensatzes, da die Kosten für die Mitbenutzung durch die Gemeinde Heidgraben nicht herausgerechnet worden seien.

15

Die Antragsteller beantragen,

16

die Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserbeseitigung der Stadt Uetersen (Beitrags- und Gebührensatzung) in der Fassung der 13. Nachtragssatzung vom 14. Dezember für unwirksam zu erklären, soweit in § 12 Abs. 3 und 4 ein Gebührensatz von 0,69 Euro festgesetzt wird.

17

Die Antragsgegnerin beantragt,

18

den Antrag abzulehnen.

19

Sie macht geltend, aus § 1 Abs. 6 der Abwassersatzung folge, dass zu den Abwasseranlagen auch die Grundstücksanschlusskanäle vom Straßenkanal bis zur Grundstücksgrenze, Gräben und solche Gewässer, die aufgrund der vorgeschriebenen wasserrechtlichen Verfahren Bestandteil der Abwasseranlagen geworden sind sowie die von Dritten errichteten und unterhaltenen Abwasseranlagen, welche der Stadt aufgrund ihrer Beteiligung oder Beitragsleistung oder Kraft öffentlichen Rechts für die Benutzung zur Grundstücksentwässerung zur Verfügung gestellt sind, gehören. Entgegen der Auffassung der Antragsteller sei der „Heidgraben“ auch bereits vor der Entwidmung Bestandteil der öffentlichen Einrichtung im Sinne der Abwassersatzung gewesen. Dies hänge davon ab, ob der Gebührenpflichtige Anlagen in Anspruch nehme, die zur entwässerungsrechtlichen Zwecken technisch geeignet und durch Widmung zu diesem Zweck vom Einrichtungsträger bestimmt seien. Die Widmung müsse nicht ausdrücklich erfolgen. Ein solcher nach außen erkennbare Widmungswille könne grundsätzlich etwa darin liegen, dass die streitige Anlage von der Kommune hergestellt sei und der Unterhalt der Anlage auf kommunale Kosten erfolge. Darüber hinaus könnten auch die Aufnahme der Anlagen in ein Kataster oder einen Bestandsplan sowie der Umstand, dass die jeweilige Gemeinde eine wasserrechtliche Erlaubnis für die Einleitung des in der Anlage gesammelten Abwassers in ein Gewässer habe, Indizien für eine solche Widmung sein. Die Widmung könne sogar in der Geltendmachung von Abwassergebühren für die Benutzung gesehen werden, weil dies nur zulässig wäre, wenn es sich bei der betreffenden Anlage um einen Teil der öffentlichen Entwässerungsanlage handele. Zu Unrecht gingen die Antragsteller davon aus, dass die Einbeziehung des „Heidgrabens“ in die Entwässerungsanlage daran gescheitert sei, dass es sich bei diesem Graben um ein Gewässer 2. Ordnung gehandelt habe. Hierbei werde übersehen, dass die Gewässereigenschaft verlorengehen könne, wenn ein offenes Gewässer zu Zwecken der Abwasserbeseitigung in eine Ortskanalisation einbezogen werden würde. Das Gewässer würde dann Teil der Abwasseranlage werden. Voraussetzung sei, dass eine planmäßig herbeigeführte technische Einheit zwischen Ortskanalisation und Gewässer bestehe. Das Gewässer müsse bei natürlicher Betrachtung als Bestandteil oder Zubehör des örtlichen Entwässerungssystems angesehen werden können. Beides müsse als geschlossene technische Einheit erscheinen. Ein Gewässer sei technisch integriert, wenn die Abwasserströme diesem zugeführt würden und unterhalb des Gewässerendpunktes das Abwasser entweder unmittelbar in ein Sammelbecken oder in eine Kläranlage eingeleitet und in die Kanalisation weiter abgeleitet werde. In einem solchen Falle scheide das Gewässer aus dem allgemeinen Wasserhaushalt aus. Ein Indiz für ein Fortbestehen des Zusammenhangs mit dem natürlichen Wasserkreislauf und somit gegen die faktische Einbeziehung in die Kanalisation könne es hingegen sein, wenn das Gewässer weiterhin von einem Wasser- und Bodenverband unterhalten werde. Hiervon abgesehen könne nach der sogenannten „Zwei-Naturen-Theorie“ ein Gewässer sowohl die Funktion eines Abwasserkanals als auch gleichzeitig eine allgemeine Vorfluterfunktion erfüllen. Das kommunale Satzungsrecht komme dann parallel mit dem Wasserrecht zur Anwendung. Der „Zwei-Naturen-Theorie“ sei beizupflichten. Die gemeinsame Nutzung einer (Teil-)Einrichtung zu verschiedenen Zwecken sei nichts Ungewöhnliches, beispielsweise gebe es im Falle der Niederschlagswasserbeseitigung häufig sogenannte Gemeinschaftseinrichtungen, die sowohl der Straßenentwässerung als auch der Beseitigung des auf den Grundstücken anfallenden Niederschlagswassers dienten. Sofern Niederschlagswasser über eine Straßenentwässerungsanlage abgeleitet würde, bedürfe es nicht etwa zuvor eines straßenrechtlichen Verfahrens, um die Möglichkeit zu eröffnen, die in der Straße verlegten Kanalisationsleitung auch zum Bestandteil der öffentlichen Einrichtung „Abwasserbeseitigung“ zu machen. Die Antragsgegnerin sei deshalb auch vor der Entwidmung berechtigt gewesen, die für die Teilstrecke des „Heidgrabens“, der auf ihrem Stadtgebiet verlaufe und Bestandteil der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage (Niederschlagswasserbeseitigung) sei, entfallenden Unterhaltungskosten mit in den gebührenfähigen Aufwand einzubeziehen und sie entsprechend den Regelungen der Satzung auf die Benutzer zu verteilen. Außerdem habe der Kreis Pinneberg den „Heidgraben“ mindestens seit dem Jahre 1972 als Bestandteil der Ortsentwässerung der Antragsgegnerin angesehen. Selbst wenn der Gebührensatz zu hoch kalkuliert worden sein sollte, müsste dennoch in Betracht gezogen werden, ob die erhöhte Gebühr von einer der Antragsgegnerin zuzubilligenden Bagatellgrenze abgedeckt würde.

20

Über die geltend gemachten Bedenken hinaus hätten die Antragsteller keine Anhaltspunkte dargelegt, weshalb der in der Satzung enthaltene Gebührenmaßstab fehlerhaft sein könne.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

22

Im Tenor hat der Senat das Datum des Teileinstellungsbeschlusses v. 18. Juni 2013 sowie die Bezeichnung „Antragsgegnerin“ (statt: Beklagten) gem. § 118 Abs. 1 VwGO berichtigt.

Entscheidungsgründe

23

Der Antrag ist zulässig und begründet.

24

Er ist gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 5 VwGO AG entscheidet das Oberverwaltungsgericht im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit einer anderen im Range unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift. Hierunter fallen auch kommunale Abgabensatzungen im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG.

25

Gemäß § 47 Abs. 2 VwGO kann den Normenkontrollantrag jede natürliche Person stellen, die geltend macht, durch die Anwendung der Rechtsvorschriften in ihren Rechten verletzt zu sein. Diese Voraussetzungen liegen hier ohne Weiteres vor, da die Antragsteller geltend machen, Adressaten von Gebührenbescheiden zu sein, für welche die Satzung als Rechtsgrundlage herangezogen worden ist. Die Antragsteller sind daher in ihren Rechten verletzt, wenn der in § 12 Abs. 3 und 4 der Satzung festgelegte Gebührensatz rechtswidrig ist.

26

Die Antragsteller haben die einjährige Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO eingehalten. Die 13. Nachtragssatzung ist am 28. Dezember 2012 bekanntgemacht worden, der Antrag am 15. Februar 2013, mithin innerhalb der Frist, beim Oberverwaltungsgericht eingegangen.

27

Entgegen der Meinung der Antragsgegnerin fehlt den Antragstellern auch nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis. Bei Stattgabe des gestellten Antrages tritt nicht etwa der in der Vorgängerfassung normierte - höhere - Gebührensatz in Kraft. Die Antragsteller haben in der mündlichen Verhandlung ihren Normenkontrollantrag dahingehend gestellt, dass der in § 12 Abs. 3 und 4 der Satzung geregelte Gebührensatz in der Fassung der 13. Nachtragssatzung für unwirksam erklärt werden soll. In diesem Falle würde es bis zum Beschluss eines neuen Gebührensatzes an einer wirksamen Rechtsgrundlage für den Erlass von Gebührenbescheiden fehlen. In der Antragstellung liegt eine zulässige Klarstellung des in der Klageschrift lediglich angekündigten Antrages. Eines Einverständnisses der Antragsgegnerin hierzu bedarf es nicht. Dies wäre im Übrigen auch dann der Fall, wenn man eine Klagänderung annehmen wollte. Eine solche wäre wegen zu bejahender Sachdienlichkeit gemäß § 91 Abs. 1 Alt. 2 VwGO ebenfalls ohne Einverständnis der Antragsgegnerin zulässig.

28

Der Antrag hat in der Sache Erfolg.

29

Der Gebührensatz in § 12 Abs. 3 und 4 der Satzung in der Fassung der 13. Nachtragssatzung ist ungültig und daher gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO für unwirksam zu erklären.

30

Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Satzung bestehen nicht. Die Satzung ist aber materiell rechtswidrig.

31

Der Senat merkt vorab an, dass er gegen die bei der Kalkulation des Gebührensatzes angesetzte Verteilungsfläche keine Bedenken hat. Insbesondere durfte der Satzungsgeber für die Einleitung von Sickerwasser aus Drainagen als Teil der Niederschlagswasserbeseitigung in der Gebührensatzung unter Verwendung des Maßstabes der Kellerfläche, die drainiert wird, denselben Gebührensatz für die Niederschlagswasserbeseitigung im Übrigen, dort je Quadratmeter bebauter und/oder befestigter Fläche) festsetzen. Anders als bei der sogenannten Tiefendrainage für Baureifmachung von Grundstücken wird oberflächennahes Grundwasser zum Beispiel in einer Ringdrainage gesammelt und in das Kanalnetz eingeleitet. Es handelt sich um versickertes Niederschlagswasser aus dem Bereich von Grundstücken, dessen Beseitigung als Teil der Grundstücksoberflächenentwässerung angesehen werden kann.

32

Der Gebührensatz ist jedoch unwirksam, weil die Antragsgegnerin bei der Kalkulation des Gebührensatzes Aufwendungen berücksichtigt hat, die sich nicht auf die öffentlich-rechtliche Einrichtung Niederschlagswasserbeseitigung beziehen. Die Einstellung nicht gebührenfähiger Aufwendungen zieht einen Verstoß gegen das Kostenüberschreitungsverbot nach sich und bewirkt die Unwirksamkeit der mit dem Normenkontrollantrag angegriffenen Regelung. In der Rechtsprechung des 2. Senats, die vom erkennenden Senat geteilt wird, führt ein Verstoß gegen das Kostenüberschreitungsverbot zur Unwirksamkeit des Gebührensatzes insgesamt und nicht etwa nur zur Teilnichtigkeit. Ein zum Zeitpunkt seiner Beschlussfassung unwirksamer Gebührensatz kann nicht nachträglich wieder wirksam werden, da die Regelung aufgrund des Verstoßes gegen höherrangiges Recht nicht suspendiert, sondern derogiert wird (OVG Schleswig, Urt. v. 20.05.1997 - 2 L 129/94 -; OVG Schleswig, Urt. v. 21.06.2000 - 2 L 80/99 -, Juris). Der Verstoß gegen höherrangiges Recht kann deshalb im Nachhinein nicht geheilt werden; der Satzungsgeber muss vielmehr einen wirksamen Gebührensatz durch Satzung beschließen.

33

Der Gebührensatz ist deshalb unwirksam, weil die Antragsgegnerin für das Jahr 2013 Gewässerunterhaltungskosten für den Bereich des „Heidgrabens“ zwischen dem Mühlenteich und dem Stichhafen in die Kalkulation eingestellt und damit gegen das in § 6 Abs. 2 Satz 1 KAG normierte Kostenüberschreitungsverbot verstoßen hat. Nach dieser Vorschrift sollen Benutzungsgebühren so bemessen werden, dass sie die erforderlichen Kosten der laufenden Verwaltung und Unterhaltung der öffentlichen Einrichtung decken. Dies verbietet es, Kosten, die sich nicht auf die öffentliche Einrichtung Niederschlagswasserbeseitigung beziehen, in die Kalkulation des Gebührensatzes einzustellen. Dies ist aber geschehen. Der Heidgraben war zum Zeitpunkt der Beschlussfassung der 13. Nachtragssatzung am 14. Dezember 2012 nicht Bestandteil der öffentlichen Abwasserbeseitigungseinrichtung. Der Rechtsbegriff der Einrichtung wird im Kommunalabgabengesetz nicht normiert, sondern vorausgesetzt. Es ist grundsätzlich Sache der Gemeinde, im Rahmen ihres Organisationsermessens den Gegenstand der Abgabe (§ 2 Abs. 1 Satz 2 KAG) anzugeben. Benutzungsgebühren werden gemäß § 6 Abs. 1 KAG für die Benutzung der öffentlichen Einrichtung erhoben und sollen gemäß § 6 Abs. 2 KAG die erforderlichen Kosten der laufenden Verwaltung und Unterhaltung der öffentlichen Einrichtung decken. Hieraus folgt, dass die Gemeinde im Rahmen ihres Organisationsermessens auch die öffentliche Einrichtung durch Satzung beschreiben muss, weil sonst der Gegenstand der Abgabe nicht hinreichend bezeichnet werden kann. Es ist folglich nicht so, dass - ohne entsprechende Regelung in der Satzung - sämtliche Anlagenteile, die für die Abwasserbeseitigung erforderliche sind, Bestandteil der öffentlichen Abwasserbeseitigungseinrichtung sind (vgl. aber OVG Schleswig, Urt. v. 30.11.1992 - 2 L 295/91 -, Juris). Maßgeblich ist der in der Beitrags- und Gebührensatzung festgelegte Einrichtungsbegriff. Dies schließt allerdings nicht aus, zur Auslegung ergänzend auf die Regelungen der Abwassersatzung zurückzugreifen. Der Beitrags- und Gebührensatzung der Antragsgegnerin lässt sich nicht entnehmen, dass auch Gewässer zweiter Ordnung Bestandteil der öffentlichen Einrichtung sein können. Die in § 1 Abs. 2 a bis c der Satzung getroffenen Regelungen zu der Übergabestation für den Abwasserzweckverband, den Sammlern, Druckrohrleitungen, Pumpstationen, Hebeanlagen, Regenrückhaltebecken und den Anschlusskanälen von der Hauptleitung zu den einzelnen Grundstücken betreffen den beitragsfähigen Aufwand für die Kalkulation des Gebührensatzes. Auch der Regelung des § 12 Abs. 1 der Beitrags- und Gebührensatzung, die auf das Kanalnetz und das offene Grabensystem Bezug nimmt, ist nicht zu entnehmen, dass Gewässer zweiter Ordnung vor ihrer förmlichen Entwidmung Teil der öffentlichen Abwasserbeseitigungseinrichtung sein können. Nichts anderes ergibt sich auch aus den Regelungen der Satzung über die Abwasserbeseitigung der Stadt Uetersen, welche zur Ermittlung des Einrichtungsbegriffes ergänzend herangezogen werden kann, da auch aus ihr Rückschlüsse über den Willen der Antragsgegnerin als Satzungsgeberin gezogen werden können. Gemäß § 1 Abs. 6 Buchstabe b Abwassersatzung gehören zu den Abwasseranlagen auch Gräben und solche Gewässer, die aufgrund der vorgeschriebenen wasserrechtlichen Verfahren Bestandteil der Abwasseranlage geworden sind. Das erst im September 2013 abgeschlossene Entwidmungsverfahren bezüglich des verrohrten Teils des Heidgrabens zwischen Mühlenteich und dem Stichhafen ist als vorgeschriebenes wasserrechtliches Verfahren in diesem Sinne zu verstehen. Hieraus folgt, dass der entsprechende Abschnitt des Heidgrabens erst mit Abschluss des Verfahrens, mithin durch die durch Verfügung vom 11. September 2013 erfolgte Endwidmung als Gewässer zweiter Ordnung Bestandteil der öffentlichen Einrichtung Niederschlagswasserbeseitigung geworden ist. Gleichwohl sind die Kosten für die Einrichtung einer Pumpstation, eines größeren Ablaufes des Mühlenteiches und der Verlegung neuer Leitungen mit größerem Durchmesser im angesprochenen Abschnitt des Heidgrabens in Höhe von über 4 Millionen Euro bei der Kalkulation für das Jahr 2013 in Form von kalkulatorischen Zinsen und Abschreibung eingestellt worden. Die Einstellung dieser nicht einrichtungsbezogenen Kosten bei der Kalkulation des Gebührensatzes führt zu dessen Unwirksamkeit unabhängig davon, in welcher Höhe sich der Fehler ausgewirkt hat.

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Auf eine Bagatellgrenze kann sich die Antragsgegnerin in diesem Falle nicht berufen. Zwar führt wegen der sich daraus für die Träger öffentlicher Einrichtungen ergebenden Unsicherheiten nicht jede geringfügige Kostenüberdeckung, die aus der Einbeziehung nicht gebührenfähiger Kosten resultiert, zur Nichtigkeit des Gebührensatzes (OVG Schleswig, Urt. v. 24.06.1998 - 2 L 22/96 -, NordÖR 1998, 351). Etwas anderes gilt allerdings bei bewusst fehlerhaften Kalkulationen, bei der beabsichtigten Erzielung von Überschüssen (Gewinnen) oder bei der Einbeziehung von Kosten, die offenkundig weder leistungs- noch einrichtungsbezogen sind (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 24.06.1998, a.a.O.). Bei einem Fall wie dem vorliegenden, in dem rechtsirrig nicht einrichtungsbezogene Kosten in die Kalkulation eingeflossen sind, führen auch geringfügige Auswirkungen auf den Gebührensatz zu dessen Unwirksamkeit.

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Der Umstand, dass sich der wasserrechtliche Status des hier interessierenden Abschnitts des Heidgraben im Laufe des Jahres 2013 mit Abschluss des Endwidmungsverfahrens geändert hat und damit zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die 13. Nachtragssatzung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu rechnen war, ändert nichts an der Unzulässigkeit der Einstellung der nicht einrichtungsbezogenen Kosten in die Gebührenkalkulation. Anderenfalls würde die Rechtmäßigkeit der Gebührenkalkulation von einem zukünftigen Ereignis und dessen Eintrittswahrscheinlichkeit abhängig werden, was zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen würde. Darüber hinaus bliebe der Umstand in jedem Falle erheblich, dass Kosten für den Zeitraum vom Januar bis zum Entwidmungszeitpunkt im September 2013 in die Kalkulation eingeflossen sind.

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Der Senat merkt in diesem Zusammenhang noch an, dass er es für zweifelhaft hält, ob der Satzungsgeber ein Gewässer zweiter Ordnung vor dessen förmlicher Entwidmung überhaupt zulässigerweise durch eine Satzungsregelung in die öffentliche Einrichtung einbeziehen könnte.

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Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang nur ausgesprochen, dass das Bundesrecht eine vor dem Zeitpunkt der Endwidmung bestehende Eigenschaft als Gewässer die Zuordnung zur öffentlichen Einrichtung nicht grundsätzlich hindert (BVerwG, Beschl. v. 28.04.2008 - 7 B 16.08 -, Juris). Ob ein Gewässer in diesem Sinne zwei Naturen haben kann, das heißt zugleich Bestandteil einer öffentlichen Einrichtung und ein dem Regime des Wasserrechts unterworfenes Gewässer sein kann, hält der Senat landesrechtlich für zweifelhaft. Der Landesgesetzgeber hat im Kommunalabgabengesetz zwischen Benutzungsgebühren in § 6 KAG und den Kosten für die Unterhaltung von Gewässern in § 7 KAG unterschieden. Dies spricht dafür, dass Gewässerunterhaltungskosten nicht in die Benutzungsgebühr für eine öffentliche Einrichtung im Sinne von § 6 KAG einbezogen werden dürfen. Desweiteren obliegt nach Landesrecht die Gewässerunterhaltung gemäß § 40 LWG bei Gewässern zweiter Ordnung den in § 40 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 genannten Personen, in erster Linie den Eigentümerinnen oder Eigentümern des Gewässers sowie den Anliegerinnen oder Anliegern. Die Anwendung der sogenannten Zwei-Naturen-Lehre würde erhebliche Kostenzuordnungsprobleme aufwerfen, zumal - anders als bei technischen Gemeinschaftsanlagen wie etwa bei der Straßenentwässerung - hier typischerweise unterschiedliche Unterhaltungslasten bestehen dürften. Letztlich bedurfte diese Frage aber keiner Entscheidung, da - wie bereits ausgeführt - der fragliche Abschnitt des Heidgrabens vor seiner Endwidmung als Gewässer zweiter Ordnung schon nach dem Satzungsrecht der Antragsgegnerin nicht Bestandteil der öffentlichen Einrichtung war.

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Nach allem ist dem Normenkontrollantrag bereits aus diesem Grunde stattzugeben.

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Ein weiterer Grund, der zur Unwirksamkeit des festgesetzten Gebührensatzes führt, ist folgender: Die Antragsgegnerin hat bei der Gebührenkalkulation 2013 variable Kosten berücksichtigt, die von der Menge des zu beseitigenden Wassers abhängen, so ein Entsorgungsentgelt für die Abwasserentsorgung Uetersen GmbH, auf welche die Pflicht zur Abwasserentsorgung übertragen ist sowie die - ebenfalls von der Abwassermenge abhängende - Abwasserabgabe Land. Hierbei ist jedoch nicht beachtet worden, dass die Kosten, die der gemäß § 40 Abs. 1 LWG Gewässerunterhaltungspflichtige zu tragen hat, nicht in die Kalkulation des Gebührensatzes für die Niederschlagswasserbeseitigung einfließen dürfen. Für einen ordnungsgemäßen Ablauf des Mühlenteiches hat der Unterhaltungspflichtige dieses Gewässers - die Stadt Uetersen - zu sorgen. Sie kann nicht den Ablauf des Wassers in die Niederschlagswasserkanalisation bewerkstelligen und sodann die variablen Kosten für die Beseitigung der Gesamtmenge des ablaufenden Wassers den Nutzern der Einrichtung Niederschlagswasserbeseitigung aufbürden.

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Entsprechendes gilt für die Mitbenutzung der öffentlichen Einrichtung der Antragsgegnerin durch die Nachbargemeinde Heidgraben. Diese leitet Niederschlagswasser in ihrem Gemeindegebiet in den Heidgraben ein und trägt insoweit zu den variablen Kosten bei, welche die Antragsgegnerin bei der Gebührenkalkulation 2013 in die Kalkulation eingestellt hat. Die Erforderlichkeit von Kosten im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 KAG ist jedoch nur zu bejahen, wenn diese zur Erstellung der durch die Gebühren zu finanzierenden Leistungen anfallen, also eine Finanzierungsverantwortlichkeit der Gebührenschuldner besteht. Unzulässig ist die Einbeziehung von Kosten, die Leistungen zuzuordnen sind, welche für andere als den Kreis der gebührenpflichtigen Benutzer erbracht werden. Gebührenpflichtige Nutzer einer öffentlichen Einrichtung dürfen an den durch die Übernahme von Abwasser aus Nachbargemeinden verursachten Zusatzkosten nicht beteiligt werden (OVG Schleswig, Urt. v. 24.10.2007 - 2 LB 36/06 -, Juris). Dies ist vorliegend jedoch geschehen. Aus dem von den Antragstellern vorgelegten Privatgutachten „Oberflächenentwässerung im Einzugsgebiet des Heidgraben“, welches im Auftrage der Abwasserentsorgung Uetersen GmbH von dem Büro „dänekamp und partner - Beratende Ingenieure VBI“ erstellt worden ist, ergibt sich, dass „zwischen der Gemeinde Heidgraben und der Stadt Uetersen von einer rechnerischen Aufteilung der Abflussmengen in einem Verhältnis von 1 : 1 ausgegangen werden“ kann. Dass die Gemeinde Heidgraben in erheblichem Umfang Niederschlagswasser in den Heidgraben einleitet, ist im Übrigen unstreitig.

41

Da die aufgezeigten Verstöße gegen das Kostenüberschreitungsverbot bereits zum Erfolg der Normenkontrollantrages führen müssen, hat der Senat nicht mehr überprüft, ob es sich bei dem Entsorgungsentgelt im Übrigen an die Abwasserentsorgung Uetersen GmbH, an der die Stadt Uetersen 51 % der Anteile hält, in vollem Umfang um erforderliche Kosten im Sinne von § 6 Abs. 2 Nr. 2 KAG handelt.

42

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

43

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

44

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor.


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.