Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Beschluss, 23. Feb. 2016 - 6 B 10083/16
Gericht
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Mainz vom 29. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,- € festgesetzt.
Gründe
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin vielmehr zu Recht durch einstweilige Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig zum Studium der Geographie (Bachelor of Education) im 1. Fachsemester zuzulassen.
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Der Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 ZPO) ergibt sich aus § 65 Abs. 1 des Hochschulgesetzes – HochSchG –, wonach Deutsche im Sinne des Art. 116 GG zu dem von ihnen gewählten Hochschulstudium berechtigt sind, wenn sie die für das Studium erforderliche Qualifikation nachweisen; im Falle eines Studiums an einer Universität ist dies die Hochschulreife, die die Antragstellerin erworben hat. Von dieser Regelung unberührt bleiben nach § 65 Abs. 4 Nr. 2 HochSchG die Bestimmungen über die Vergabe von Studienplätzen in Fächern mit Zulassungsbeschränkungen.
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Zwar hat die Antragsgegnerin auf der Grundlage des § 76 Abs. 2 Nr. 11 HochSchG die Satzung zur Festsetzung von Zulassungszahlen für das Studienjahr 2015/2016 erlassen und im Studiengang Geographie (Bachelor of Education) 35 Studienplätze im 1. Fachsemester für das Wintersemester 2015/2016 festgesetzt. Diese satzungsrechtliche Zulassungsbeschränkung ist allerdings ungültig (a). Sie kann auch nicht durch eine (Neu-)Berechnung der Aufnahmekapazität durch den Senat ersetzt werden (b).
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a) Nach § 3 Abs. 1 Sätze 1 und 5 des Gesetzes zum Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung – HSZulEinrG – sind für Studiengänge, die – wie der Bachelor-Studiengang Geographie – nicht in das zentrale Vergabeverfahren einbezogen sind und für die eine Zulassungsbeschränkung vorgenommen werden soll, Zulassungszahlen durch Satzung der Hochschule festzusetzen, wobei die Einzelheiten und das Verfahren der Kapazitätsermittlung von dem für das Hochschulwesen zuständigen Ministerium durch Rechtsverordnung geregelt werden (§ 3 Abs. 5 HSZulEinrG). Die danach maßgeblichen Bestimmungen der Kapazitätsverordnung – KapVO – führen nach der Berechnung der Antragsgegnerin zu einer Kapazität von 4 Studienplätzen im 1. Fachsemester des Studiengangs Geographie (Bachelor of Education) für das Wintersemester 2015/2016. Gleichwohl hat die Antragsgegnerin 35 Studienplätze durch Satzung festgesetzt. Dazu war sie nicht etwa deshalb berechtigt, weil sie diese Zahl von Studienanfängern ohne Weiteres auszubilden in der Lage ist und ihr diese „Kohortengröße“ aufgrund didaktischer Überlegungen als sinnvoll erscheint.
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Anders als die Antragsgegnerin meint, steht ihr kein „weiter Ermessensspielraum“ zu, mehr Studienbewerber zuzulassen, als es der ermittelten Aufnahmekapazität entspricht.
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Vielmehr bestimmt § 3 Abs. 2 Satz 1 HSZulEinrG, dass Zulassungszahlen grundsätzlich so festzusetzen sind, dass nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Vorgaben und unter Berücksichtigung der räumlichen und fachspezifischen Gegebenheiten auf der Grundlage des Lehrangebots, des Ausbildungsaufwands und weiterer kapazitätsbestimmender Kriterien eine erschöpfende Nutzung der Ausbildungskapazität erreicht wird. § 3 Abs. 2 Satz 2 HSZulEinrG lässt Ausnahmen davon bei der Erprobung neuer Studiengänge und -methoden, bei der Neuordnung von Studiengängen und Fachbereichen und beim Aus- oder Aufbau der Hochschulen zu. § 14 Abs. 3 KapVO erlaubt eine Erhöhung des nach den Vorschriften der §§ 6 ff. KapVO berechneten Ergebnisses zur Festsetzung der Zulassungszahlen nur, wenn das Personal (§ 8 Abs. 1 KapVO) eine Entlastung von Lehraufgaben durch besondere Ausstattung der Lehreinheit mit wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, durch besondere Ausstattung mit sächlichen Mitteln oder durch Studienabbruch, Fachwechsel oder Hochschulwechsel von Studierenden in höheren Semestern erfährt. Dass solche besonderen Umstände die Erhöhung der Zulassungszahl von 4 auf 35 rechtfertigen, hat die Antragsgegnerin nicht geltend gemacht.
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Die vorgenommene Erhöhung der Zulassungszahl vermag die Antragsgegnerin auch nicht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juli 1987 (7 C 10.86, NVwZ 1989, 360, juris) zu stützen. Soweit es in dieser Entscheidung heißt, die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der Festsetzung von Zulassungszahlen habe die Einhaltung der durch das Kapazitätserschöpfungsgebot gezogenen rechtlichen Grenzen des Ermessens der Hochschulverwaltung zum Gegenstand, ist ersichtlich das Stellendispositionsermessen gemeint, das in der Abwägung der entscheidungserheblichen Belange, auch der Belange der Studienplatzbewerber, besteht. Die Befugnis, die Zulassungszahl höher als die ermittelte Aufnahmekapazität festzusetzen, würde eine Überforderung des Lehrbetriebs ermöglichen und damit einen Eingriff in die ebenfalls grundrechtlich geschützten Belange der Hochschullehrer und der bereits eingeschriebenen Studierenden.
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b) Das Fehlen einer wirksamen satzungsrechtlichen Zulassungsbeschränkung kann nicht durch eine Ermittlung der Aufnahmekapazität durch den Senat ersetzt werden. Dass die errechnete Kapazität von 4 Studienplätzen die tatsächlichen Ausbildungsmöglichkeiten nicht einmal annähernd abbildet, räumt die Antragsgegnerin selbst ein. Sie hat 35 Studienplätze durch Satzung festgesetzt, weil sie diese „Kohortengröße“ aufgrund didaktischer Überlegungen für sinnvoll hält. Zusätzlich hat sie eine – angesichts des Annahmeverhaltens der zurückliegenden Semester zulässige – Überbuchung im Umfang von 10 Studienplätzen vorgenommen, ohne geltend zu machen, diese Zahl von Studienanfängern übersteige ihre tatsächlichen Ausbildungsmöglichkeiten.
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Darüber hinaus erscheint die Berechnung der Aufnahmekapazität auf der Grundlage der vorgelegten Unterlagen der Antragsgegnerin zweifelhaft. Sie geht von einem Lehrangebot im Umfang von 72 Semesterwochenstunden (SWS) aus. Berücksichtigt man jedoch die in der Stellenübersicht vermerkten Prozentsätze von 50% bzw. 75% der Regellehrverpflichtungen, ergeben sich lediglich 52 SWS, verdoppelt also 104 SWS, die zusammen mit den Lehrauftragsstunden in Höhe von 22,34 SWS zu einem Jahreslehrangebot von insgesamt 126,34 SWS führen. Dieses wird jedoch von den Dienstleistungsexporten im Umfang von 162,36 SWS mehr als aufgezehrt, so dass für die Geographie-Studiengänge kein Lehrangebot zur Verfügung steht.
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c) Ist aber nicht nachvollziehbar, dass die Antragsgegnerin über eine nach Maßgabe der Kapazitätsverordnung zu ermittelnde Aufnahmekapazität im Studiengang Geographie (Bachelor of Education) verfügt, obwohl sie mindestens 45 Studienanfänger tatsächlich auszubilden in der Lage ist, wird der sich aus § 65 Abs. 1 HochSchG ergebende Zulassungsanspruch eines Studienbewerbers nicht durch Bestimmungen über die Vergabe von Studienplätzen in Fächern mit Zulassungsbeschränkungen in Frage gestellt. Nur dieses Verständnis des § 65 Abs. 1 HochSchG wird der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Hochschulzugangs gerecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 18. Juli 1972 – 1 BvL 32/70 u.a. –, BVerfGE 33, 303, juris) folgt aus dem in Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Recht auf freie Wahl des Berufes und der Ausbildungsstätte in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip ein Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium, das durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes ein-schränkbar ist. Absolute Zulassungsbeschränkungen sind aber nur dann verfassungsmäßig, wenn sie zum Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsguts – Funktionsfähigkeit der Universitäten in Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Forschung, Lehre und Studium – und nur in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen, mit öffentlichen Mitteln geschaffenen Ausbildungskapazitäten angeordnet werden (BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1980 – 1 BvR 967/78 u.a. –, BVerfGE 54, 173, juris). Dass die Studienzulassung der Antragstellerin die Funktionsfähigkeit der Antragsgegnerin in Forschung, Lehre und Studium beeinträchtigt, ist weder vorgetragen noch sonstwie ersichtlich, zumal sie 45 Studienanfänger im Fach Geographie (Bachelor of Education) offensichtlich ohne nennenswerte Probleme ausbilden kann.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
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Annotations
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.
(2) Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern. Sie gelten als nicht ausgebürgert, sofern sie nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
- 1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.