Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 17. Apr. 2018 - 1 L 233/13

bei uns veröffentlicht am17.04.2018

Tenor

Es wird festgestellt, dass sich die Hauptsache erledigt hat. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 8. August 2013 – 4 A 1587/10 – wird für unwirksam erklärt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Gegenstand des Verfahrens ist ein Erledigungsrechtsstreit wegen eines Beitragsbescheides.

2

Der Beklagte setzte gegen die Kläger als Eigentümer des Grundstücks Gemarkung A-Stadt, Flur ..., Flurstück .../... am 6. September 2010 einen Anschlussbeitrag für die Herstellung der zentralen Schmutzwasserbeseitigungsanlage in Höhe von 2.445,90 Euro fest. Den Widerspruch der Kläger gegen diesen Bescheid wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2010 zurück. Am 9. November 2010 haben die Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Schwerin erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. August 2013 – 4 A 1587/10 – abgewiesen und zugleich die Berufung zugelassen. Das Urteil ist den Klägern am 4. Oktober 2013 zugestellt worden. Am 4. November 2013 haben die Kläger Berufung gegen das Urteil eingelegt. Auf den am 4. Dezember 2013 gestellten Antrag der Kläger hat der Vorsitzende die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 15. Januar 2014 verlängert, auf einen weiteren Antrag vom 15. Januar 2014 hin bis zum 10. Februar 2014. Am 10. Februar 2014 haben die Kläger die Berufung begründet.

3

Am 9. Dezember 2016 haben die Kläger wegen des Inkrafttretens von Artikel 1 Nummer 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 (GVOBl. M-V S. 584) die Erledigung der Hauptsache erklärt. Die Erfolgsaussichten der Klage hätten sich durch die Gesetzesänderung wesentlich verschlechtert. Das Handeln des Gesetzgebers falle nicht in die Sphäre der Kläger. Vielmehr müsse der Beklagte das Risiko einer unzureichenden Gesetzesgrundlage für sein Handeln tragen.

4

Der Beklagte hat der Erledigungserklärung widersprochen. Eine Erledigung der Hauptsache sei nicht eingetreten. Der angefochtene Beitragsbescheid sei weiter wirksam und auch bei Erlass rechtmäßig gewesen. Der Beklagte habe das geltende Recht angewandt, dass eine Beitragserhebung im vorliegenden Fall auch noch im Jahre 2010 erlaubt habe.

5

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

6

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vom Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

7

Das Gericht durfte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO.

II.

8

Gegenstand des anhängigen Verwaltungsstreitverfahrens ist nur noch die Frage, ob sich die Hauptsache erledigt hat. Das ist dann der Fall, wenn ein nach der Klageerhebung eingetretenes außerprozessuales Ereignis dem Klagebegehren die Grundlage entzogen hat und die Klage deshalb für den Kläger gegenstandslos geworden ist. Das Prozessrecht eröffnet dem Kläger die Möglichkeit, in einem solchen Fall den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären. Die Wirksamkeit der Erklärung hängt nicht davon ab, dass die Klage ursprünglich zulässig und begründet war. Widerspricht der Beklagte der Erledigungserklärung, wird der Rechtsstreit mit der geänderten Streitgegenstand fortgesetzt. Das Gericht hat dann grundsätzlich nur noch die Frage zu prüfen, ob sich das ursprüngliche Klagebegehren durch ein nach Klageerhebung eingetretenes Ereignis außerhalb des Prozesses erledigt hat. Erweist sich das Vorbringen des Klägers über ein nachträgliches Ereignis, das seiner Klage die Grundlage entzogen habe, als richtig, so ist dem geänderten Klageantrag stattzugeben, anderenfalls ist die Klage abzuweisen (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.10.1990 – 4 C 7/88 –, juris Rn. 19 m.w.N.).

9

Ein Kläger kann nicht nur dann zum Begehren auf Feststellung der Hauptsacheerledigung übergehen, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt im engeren Sinn erledigt hat, etwa durch dessen Aufhebung. Erledigung tritt auch ein, wenn das Verfahren infolge einer Rechtsänderung oder einer anderen wesentlichen Änderung eine derartige Wendung zu Ungunsten des Klägers genommen hat, dass eine bis dahin aussichtsreiche Klage unbegründet geworden oder ihre Erfolgsaussicht entscheidend geschmälert worden ist. Für das Beitragsrecht hat das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung entschieden, der Kläger könne die drohende Prozesskostenlast, die mit der Möglichkeit einer nachträglichen Heilung eines Heranziehungsbescheids im Verwaltungsprozess durch den (erstmaligen) Erlass einer wirksamen Beitragssatzung oder die Erfüllung sonstiger Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einhergeht, verlässlich dadurch abwenden, dass er die Hauptsache für erledigt erklärt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.01.1993 – 8 C 40/91 –, juris Rn. 13 m.w.N.).

10

Gemessen daran, ist der geänderte Klage zulässig und begründet. Die Kläger durften das Inkrafttreten von Artikel 1 Nummer 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 (GVOBl. M-V S. 584) zum Anlass nehmen, die Erledigung der Hauptsache zu erklären. Mit dieser Gesetzesänderung war eine wesentliche Verschlechterung der Erfolgsaussichten ihrer Anfechtungsklage gegen den Beitragsbescheid verbunden.

11

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzte das Landesrecht in Mecklenburg-Vorpommern der Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für einen Vorteil durch Anschluss an eine öffentliche Einrichtung schaffen sollen, keine bestimmte zeitliche Höchstgrenze, falls die maßgeblichen Beitragssatzungen zunächst nichtig waren und erst später durch rechtswirksame Satzungen ersetzt worden sind. Das Landesrecht ließe in diesen Fällen entgegen dem verfassungsrechtlichen Gebot der Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit das berechtigte Interesse des Bürgers, in zumutbarer Zeit Klarheit darüber zu gewinnen, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss, völlig unberücksichtigt. Das Bundesverwaltungsgericht war obiter dictum weiterhin der Auffassung, dass sich der Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit (erst) auf Bescheide ausgewirkt habe, die nach Ablauf der bis zum 31. Dezember 2008 reichenden Übergangsfrist aus § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V a.F. erlassen worden sind (BVerwG, Urt. v. 15.04.2015 – 9 C 19/14 –, juris Rn. 10, 14). Die gegen einen Beitragsbescheid vom 6. September 2010 gerichtete Klage hatte jedenfalls aus diesem Gesichtspunkt heraus eine erhebliche Erfolgsaussicht.

12

Dieses verfassungsrechtliche Erhebungshindernis ist durch das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 beseitigt worden (umfassend dargestellt in OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68 ff.). Damit besteht nunmehr eine mit höherrangigem Recht vereinbare landesgesetzliche Festlegung einer zeitlichen Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner, so dass die Erfolgsaussicht der Anfechtungsklage durch die Gesetzesänderung entscheidend geschmälert worden ist. Auf den Umstand, dass die bis 29. Juli 2016 bestehende Rechtslage nicht vom Beklagten zu vertreten ist, kommt es hier nicht an. Maßgeblich ist allein, dass sich das ursprüngliche Klagebegehren der Kläger erledigt hat.

13

Aus Gründen der Rechtsklarheit war es geboten, das nicht rechtskräftig gewordene Urteil des Verwaltungsgerichts in dieser Sache für rechtsunwirksam zu erklären (vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.12.1993 – 3 B 134/92 –, juris Rn. 3).

III.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 ZPO. Es liegen keine Gründe gemäß § 132 Abs. 2 VwGO für die Zulassung der Revision vor.

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(1) Für das Berufungsverfahren gelten die Vorschriften des Teils II entsprechend, soweit sich aus diesem Abschnitt nichts anderes ergibt. § 84 findet keine Anwendung. (2) Ist die Berufung unzulässig, so ist sie zu verwerfen. Die Entscheidung kann

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Bundesverwaltungsgericht Urteil, 15. Apr. 2015 - 9 C 19/14

bei uns veröffentlicht am 15.04.2015

Tatbestand 1 Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu einem Schmutzwasseranschlussbeitrag. 2
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Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 24. Nov. 2016 - 4 A 617/10

bei uns veröffentlicht am 24.11.2016

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibende

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(1) Für das Berufungsverfahren gelten die Vorschriften des Teils II entsprechend, soweit sich aus diesem Abschnitt nichts anderes ergibt. § 84 findet keine Anwendung.

(2) Ist die Berufung unzulässig, so ist sie zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluß ergehen. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu einem Schmutzwasseranschlussbeitrag.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Gemarkung B., Flur ..., Flurstück ..., das bereits vor der Wiedervereinigung an die zentrale Schmutzwasserentsorgung angeschlossen war. Der Beklagte übernahm mit seiner Gründung 1991 die Abwasserentsorgungseinrichtung. Nachdem frühere Beitragssatzungen an durchgreifenden Rechtsfehlern gelitten hatten, zog er auf der Grundlage seiner - ersten wirksamen - Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung vom 3. Dezember 2004 die Klägerin mit Bescheid vom 19. April 2006 zu einem Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung in Höhe von 9 091,82 € heran. Die nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung seines Urteils im Wesentlichen ausgeführt, die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) aufgestellten Grundsätze über die zeitliche Befristung der Festsetzung von Abgaben zum Vorteilsausgleich seien auf die Erhebung von Abwasseranschlussbeiträgen nicht übertragbar. Auch Eigentümern bereits angeschlossener Grundstücke sei erstmalig nach der Wiedervereinigung der rechtlich gesicherte Vorteil geboten worden, ihr Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können. In die Beitragskalkulation zur Abgeltung dieses Vorteils flössen zudem nur sog. "Nachwendeinvestitionen" ein. Darauf, ob diese die vom klägerischen Grundstück in Anspruch genommenen Anlagenteile erfassten, komme es nicht an; ausreichend sei vielmehr, dass die betreffenden Maßnahmen der erstmaligen Herstellung der Gesamtanlage dienten.

3

Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, die Rechtsprechung der Vorinstanzen sowie die zugrundeliegenden landesrechtlichen Vorschriften ermöglichten eine zeitlich unbegrenzte Heranziehung zu Beiträgen; dies sei mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit unvereinbar. Da ihr Grundstück bereits zu DDR-Zeiten an die Abwasserbeseitigung angeschlossen gewesen sei, könne sie nicht zu einem Herstellungsbeitrag herangezogen werden. Die Gründung des Beklagten sei kein wirtschaftlicher Vorteil; eine beitragsfähige Verbesserung oder Erweiterung der Einrichtung, die unmittelbar ihrem Grundstück zugutegekommen sei, habe der Beklagte nicht dargelegt. Das vom Berufungsgericht bemühte Gesamtanlagenkonzept trage nicht, wenn - wie vorliegend - kein zusammenhängendes Kanalisationsnetz und keine gemeinsam genutzte Kläranlage existierten; insoweit sei das Urteil auch überraschend. Fehle es damit an einem Vorteil, so handele es sich bei dem vermeintlichen Beitrag um eine verkappte Steuer, für deren Erlass dem Beklagten die Zuständigkeit fehle.

4

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 1. April 2014 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 13. Juni 2013 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 19. April 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2006 aufzuheben.

5

Der Beklagte verteidigt die angefochtenen Urteile und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

6

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren. Er verneint einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Zwar verstößt das angefochtene Urteil insoweit gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit, als es entgegen dem gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG bindenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) ausführt, der vorgenannte Grundsatz setze der Heranziehung zu Anschlussbeiträgen für die Schmutzwasserbeseitigung keine von den Umständen des Einzelfalls unabhängige zeitliche Grenze. Es stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

8

1. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit schützt davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Er verpflichtet deshalb den Gesetzgeber sicherzustellen, dass Beiträge, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, unabhängig von einem Vertrauen des Vorteilsempfängers und ungeachtet der Fortwirkung des Vorteils zeitlich nicht unbegrenzt festgesetzt werden können. Im Rahmen des danach zu schaffenden Ausgleichs zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann, kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet aber, die Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung einer Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 42 ff.).

9

Die vorgenannten Grundsätze gelten für das gesamte Beitragsrecht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 - 4 C 11.13 - BVerwGE 149, 211 Rn. 16 f.; OVG Münster, Urteil vom 30. April 2013 - 14 A 213/11 - juris Rn. 36; VGH München, Urteil vom 14. November 2013 - 6 B 12.704 - BayVBl. 2014, 241 <242>; Driehaus, KStZ 2014, 181 <182>; Schmitt, KommJur 2013, 367 <369, 371>). Sie sind damit entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auf die Erhebung von Anschlussbeiträgen nach dem Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern - KAG M-V - anwendbar. Die hiergegen von den Vorinstanzen vorgebrachten Einwände beziehen sich ausnahmslos auf Umstände, denen das Bundesverfassungsgericht bei seiner gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG bindenden Auslegung von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entweder von vornherein keine oder eine gegenüber dem Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nachrangige Bedeutung beigemessen hat. Namentlich die Besonderheit des der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegenden bayerischen Landesrechts, demzufolge Grundstückseigentümer auch nach Übertragung des Eigentums zu Beiträgen herangezogen werden können, hat in den Entscheidungsgründen keine Berücksichtigung gefunden. Dementsprechend hat das Gericht einen Verzicht auf diese Regelung nicht als Möglichkeit zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustands in Erwägung gezogen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 50). Darüber hinaus hat es ausdrücklich festgestellt, dass der verfassungsrechtlich gebotenen zeitlichen Begrenzung der Heranziehung zu Beiträgen weder ein fehlendes Vertrauen des Bürgers auf seine Nichtberücksichtigung noch das Fortwirken des Vorteils entgegensteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O. Rn. 44 f.).

10

2. Dies zugrunde gelegt, genügt § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht. Danach entsteht die sachliche Beitragspflicht frühestens mit dem In-Kraft-Treten der ersten wirksamen Satzung. Gemäß § 12 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KAG M-V i.V.m. § 169 Abs. 2, § 170 AO beträgt die Festsetzungsfrist vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beitragsschuld entstanden ist. Kann somit ohne eine wirksame Satzung eine Beitragsschuld nicht entstehen und diese deshalb auch nicht verjähren, so setzt das Landesrecht der Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, keine bestimmte zeitliche Höchstgrenze, falls die maßgeblichen Satzungen - wie hier - zunächst nichtig waren und erst später durch rechtswirksame Satzungen ersetzt worden sind. Es lässt damit in diesen Fällen entgegen dem verfassungsrechtlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit das berechtigte Interesse des Bürgers, in zumutbarer Zeit Klarheit darüber zu gewinnen, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss, völlig unberücksichtigt.

11

3. Allerdings mussten Grundstückseigentümer aufgrund von § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V bis zum Ablauf des 31. Dezember 2008 mit ihrer Heranziehung zu Anschlussbeiträgen zur leitungsgebundenen Abwasserentsorgung rechnen. Der Landesgesetzgeber hat damit dem Grundsatz der Rechtssicherheit zwar nur unvollständig, aber dennoch so weit Rechnung getragen, dass die Träger kommunaler Entsorgungseinrichtungen bis zu diesem Zeitpunkt Herstellungsbeiträge erheben konnten.

12

Da das Berufungsgericht die Anwendbarkeit der vorgenannten Vorschrift offen gelassen hat, kann sie der erkennende Senat gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 563 Abs. 4 ZPO selbständig auslegen, obwohl sie nicht zum revisiblen Bundesrecht i.S.d. § 137 Abs. 1 VwGO gehört (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2002 - 4 CN 4.01 - BVerwGE 116, 296 <300> m.w.N.). Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V endete die Festsetzungsfrist bei der Erhebung eines Anschlussbeitrags nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2008. Hiermit wollte der Gesetzgeber den beitragserhebenden Körperschaften mehr Zeit einräumen, um der sog. Altanschließerproblematik Rechnung tragen zu können (vgl. LT-Drs. 4/1576 S. 77; Abg. Müller, PlProt vom 9. März 2005 S. 2984 f. und Abg. Schulz, ebd. S. 2987). Obschon die Vorschrift unmittelbar nur Anwendung findet, wenn eine wirksame Beitragssatzung bestand und deshalb ein Ablauf der Festsetzungsfrist vor dem Stichtag in Betracht kam, lässt sich ihr erst recht auch für Fälle, in denen - wie vorliegend - noch keine wirksame Beitragssatzung bestand, der Wille des Gesetzgebers entnehmen, eine Beitragserhebung jedenfalls bis zum 31. Dezember 2008 zu ermöglichen (ebenso zum brandenburgischen Landesrecht OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 27. Mai 2013 - 9 S 75.12 - juris Rn. 29 und vom 16. Juli 2014 - 9 N 69.14 - juris Rn. 22 f., Urteil vom 14. November 2013 - 9 B 34.12 - juris Rn. 60 f.; hierzu BVerwG, Beschluss vom 11. September 2014 - 9 B 22.14 - juris Rn. 35).

13

Verschaffte § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V dem Beitragsschuldner mithin bis zu diesem Stichtag die - vom Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit geforderte - Gewissheit darüber, dass er noch zu einem Beitrag herangezogen werden konnte, so verstößt das Landesrecht allerdings weiterhin insoweit gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, als es damit nur eine Mindest-, nicht aber eine zeitliche Höchstgrenze für eine Beitragserhebung festlegt. Jedenfalls für Beiträge, die nach dem Kommunalabgabengesetz erhoben werden, dürfte zur Bestimmung der erforderlichen Höchstgrenze auch ein Rückgriff auf die 30-jährige Verjährungsfrist des § 53 Abs. 2 VwVfG M-V - sowohl im Wege der Analogie (so für Erschließungsbeiträge VGH München, Urteil vom 14. November 2013 - 6 B 12.704 - BayVBl. 2014, 241 <242>) als auch vermittelt über den Grundsatz von Treu und Glauben (so für sanierungsrechtliche Ausgleichsbeiträge BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 - 4 C 11.13 - BVerwGE 149, 211 Rn. 28, 31 ff.) - ausscheiden. Denn es ist Aufgabe des Gesetzgebers, in Wahrnehmung seines weiten Gestaltungsspielraums einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen einerseits der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und andererseits der Beitragspflichtigen an einer zeitlich nicht unbegrenzten Inanspruchnahme zu schaffen (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 42). Mit diesem Gestaltungsauftrag ist - nicht zuletzt angesichts der Vielzahl der vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten, jedoch gerade nicht den Verweis auf die Höchstverjährungsfrist einschließenden Lösungsmöglichkeiten wie auch der Unterschiedlichkeit der in einzelnen Ländern erlassenen und zudem deutlich kürzeren Ausschlussfristen - der schematische Rückgriff auf § 53 Abs. 2 VwVfG M-V wohl unvereinbar, zumal die Vorschrift gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG M-V nicht für Verfahren gilt, die - wie vorliegend - nach den Vorschriften der Abgabenordnung durchzuführen sind. Einer verfassungskonformen Auslegung des § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V dahingehend, dass eine zur Heilung eines Rechtsmangels erlassene Beitragssatzung rückwirkend zu dem Zeitpunkt in Kraft gesetzt werden muss, zu dem die ursprünglich nichtige Beitragssatzung in Kraft treten sollte (so zu § 22 Abs. 1 SächsKAG: OVG Bautzen, Beschluss vom 25. April 2013 - 5 A 478/10 - juris Rn. 8 ff., sowie zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NW: OVG Münster, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 - NVwZ-RR 2000, 535 <536 f.>), steht schließlich der Wortlaut der Vorschrift wie auch § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V entgegen.

14

Bezieht sich die verbleibende Ungewissheit mithin nur auf die Frage, ab welchem Zeitpunkt der Bürger nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen muss, so lässt der hierin liegende Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG die in § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V getroffene Übergangsregelung unberührt. Auch wenn diese in erster Linie dem Interesse der beitragserhebenden Körperschaften diente, trug sie doch dazu bei, dass die hiervon betroffenen Beitragsschuldner über die Möglichkeit der Beitragserhebung nicht "dauerhaft im Unklaren" (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 45) waren, sondern vielmehr die Gewissheit hatten, dass sie jedenfalls bis zum Ablauf der darin genannten Frist mit der Heranziehung zu Anschlussbeiträgen rechnen mussten. Zudem unterliegt es - entsprechend dem Rechtsgedanken des § 139 BGB (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 - 2 BvF 2/90 u.a. - BVerfGE 88, 203 <333>) - angesichts der gesetzgeberischen Intention, einen zeitlichen Spielraum für die Lösung insbesondere der sog. Altanschließerproblematik zu schaffen, keinem Zweifel, dass der Gesetzgeber, wäre er sich der Notwendigkeit einer weitergehenden Regelung bewusst gewesen, eine gesetzliche Ausschlussfrist nicht vor dem 31. Dezember 2008 hätte enden lassen. Damit wirkt sich der Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit erst auf den Zeitraum nach Ablauf der vorgenannten Übergangsfrist und folglich nicht auf Bescheide aus, die zuvor erlassen wurden.

15

4. Die Zeitdauer zwischen dem Eintritt der Vorteilslage und der Heranziehung zu Beiträgen bis zum 31. Dezember 2008 war für die Vorteilsempfänger zumutbar.

16

Bei dem Begriff des Vorteils handelt es sich um einen landesrechtlichen und damit - vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Bindungen - nicht revisiblen Begriff (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. April 2012 - 9 BN 1.12 - juris Rn. 16). Hierzu hat das Berufungsgericht festgestellt, der beitragsrechtliche Vorteil sei auch Eigentümern von tatsächlich schon zu DDR-Zeiten angeschlossenen Grundstücken erst in dem Zeitpunkt zugeflossen, in dem ihnen mit den jeweiligen öffentlichen Entsorgungseinrichtungen erstmals und frühestens unter dem grundlegend neuen Rechtsregime nach der Wiedervereinigung der rechtlich gesicherte Vorteil geboten worden sei, ihr Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können. Dies begegnet angesichts der weiteren Feststellung des Berufungsgerichts, dass Herstellungsbeiträge nur für nach der Wiedervereinigung entstandene Aufwendungen - und somit nicht doppelt - erhoben werden dürfen, keinen bundesrechtlichen Bedenken. Insbesondere steht Bundesverfassungsrecht dieser Auslegung - auch unter Berücksichtigung der Bindungswirkung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) - nicht entgegen. Zwar schützt danach das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O. Rn. 41). Indes bedeutet dies nicht, dass maßgeblicher Zeitpunkt ausnahmslos bereits derjenige des tatsächlichen Anschlusses an das Abwassersystem ist. Die Bestimmung der ab dem Eintritt der Vorteilslage zu bemessenden Ausschlussfrist muss nicht nur die Erwartung des Begünstigten auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung, sondern auch das öffentliche Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Anlage berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O. Rn. 40). Hieraus folgt, dass es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um eine beitragsrelevante Vorteilslage handeln muss. Die Annahme des Berufungsgerichts, mit der Umgestaltung der Rechtsordnung und der Neugründung einer kommunalen - und damit erstmals kommunalabgabenrechtlich relevanten - Abwasserentsorgung im Jahr 1990 sei mit Blick auf den zukünftigen Ausbau der Einrichtung erstmalig eine Vorteilslage entstanden, stimmt damit überein.

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Die demnach rund 18-jährige Zeitspanne, innerhalb derer gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V die Erhebung von Anschlussbeiträgen für die Schmutzwasserbeseitigung jedenfalls möglich war, überschreitet die Grenze des verfassungsrechtlich Zumutbaren nicht. Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) nicht entschieden, schon eine 12-jährige Dauer verletze den Grundsatz der Rechtssicherheit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. September 2014 - 9 B 22.14 - juris Rn. 37). Der Verfassungsbeschwerde wurde nicht wegen der im konkreten Fall zwischen der Vorteilserlangung und der beitragsrechtlichen Heranziehung verstrichenen Zeit, sondern deshalb stattgegeben, weil das bayerische Landesrecht überhaupt keine zeitliche Grenze für die Abgabenerhebung bestimmte. Für deren Festlegung steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 46). Angesichts der besonderen Herausforderungen der Wiedervereinigung, welche nicht nur durch einen vollständigen Wechsel des Rechtsregimes, sondern auf kommunaler Ebene zusätzlich durch eine Vielzahl von gleichzeitig und mit beschränkten kommunalen Ressourcen zu bewältigenden Aufgaben wie einem grundlegenden Verwaltungsumbau, der Herstellung kommunaler Strukturen einschließlich der notwendigen Rechtsgrundlagen sowie der Instandhaltung, Sanierung und Fortentwicklung der Infrastruktur geprägt waren, wahrt § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V die Grenzen des gesetzgeberischen Ermessens.

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5. Widerspricht mithin die Heranziehung zu Abwasserbeiträgen bis zum 31. Dezember 2008 nicht dem Gebot der Rechtssicherheit, so ist der angefochtene Bescheid auch nicht aus anderen Gründen rechtswidrig.

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a) Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob das Berufungsgericht seiner Prüfung die Beitrags- und Gebührensatzung des Beklagten vom 3. Dezember 2004, statt in ihrer ursprünglichen, in der erst während des laufenden gerichtlichen Verfahrens in Kraft getretenen Fassung vom 9. Dezember 2013 zugrunde legen durfte. Zwar berücksichtigt die letztgenannte Fassung die Vereinigung der vormals fünf getrennten öffentlichen Einrichtungen zu einer Einrichtung, die mit der am 1. Januar 2008 - und somit nach Entstehung der Beitragsschuld - in Kraft getretenen Dritten Änderungssatzung zur Abwasserentsorgungssatzung des Beklagten vom 21. Mai 2001 - AES - erfolgte. Hierdurch erhöhte sich aber der Beitragssatz nur für die in der vormaligen Zone III gelegenen Grundstücke, nicht jedoch für die Grundstücke, die - wie dasjenige der Klägerin - der Zone IV angehörten.

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b) Deren Einwand, an den Anlagenteilen, die von ihrem Grundstück aus genutzt würden, seien keine Maßnahmen durchgeführt oder geplant worden, welche die Heranziehung zu einem Herstellungsbeitrag rechtfertigten, wohingegen Verbesserungen anderer Anlagenteile, die mit dem für die Abwasserentsorgung ihres Grundstücks erforderlichen Anlagenteil nicht leitungsmäßig verbunden seien, keinen wirtschaftlichen Vorteil für sie bedeuteten, begründet keinen Verstoß gegen Bundesrecht.

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Insoweit hat das Berufungsgericht das nicht revisible Landesrecht dahingehend ausgelegt, dass es dem Beklagten unabhängig von einer leitungsmäßigen Verbindung oder der gemeinsamen Nutzung einzelner Anlagenteile ein Organisationsermessen einräumt, ob er die Abwasseranlagen als eine oder als mehrere Einrichtungen betreibt. Dem landesrechtlichen Vorteilsbegriff werden bundesrechtlich durch den Gleichheitssatz und das Äquivalenzprinzip nur sehr weite Grenzen gezogen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. September 1995 - 8 C 16.94 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 35 S. 2, Beschlüsse vom 30. April 1996 - 8 B 31.96 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 37 S. 5 f. und vom 24. April 2012 - 9 BN 1.12 - juris Rn. 16). Insbesondere setzt die Annahme eines (Sonder-)Vorteils nicht die Existenz eines "funktionalen Zusammenhangs" zwischen der abgerechneten Anlage und dem beitragsbelasteten Grundstück voraus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 1 BvR 668/10 u.a. - NVwZ 2014, 1448 Rn. 54). Danach sind die Grenzen dieses Ermessens erst überschritten, wenn die zu einer Anlage zusammengefassten, technisch voneinander unabhängigen Teile in ihrer Arbeitsweise und in ihren Arbeitsergebnissen so unterschiedlich sind, dass ihre Vergleichbarkeit schlechterdings ausgeschlossen und ihre Zusammenfassung daher willkürlich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 1978 - 7 B 118.78 u.a. - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 40 S. 46; OVG Münster, Urteil vom 17. November 1975 - 2 A 203/74 - juris Rn. 3, 15 f.; OVG Lüneburg, Urteil vom 24. Mai 1989 - 9 L 3/89 - NVwZ-RR 1990, 507 f.; OVG Schleswig, Urteil vom 24. September 2008 - 2 LB 2/08 - juris Rn. 33 f.). Anhaltspunkte für eine derartige Verschiedenheit der Anlagenteile hat die Klägerin weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich; insbesondere gehören Grundstückskläranlagen und abflusslose Gruben - die mit einer zentralen Schmutzwasserbeseitigung nicht vergleichbar sind und daher nicht mit dieser zusammengefasst werden können (OVG Schleswig, Urteil 24. Oktober 2001 - 2 L 29/00 - juris Rn. 45 f.) - gemäß § 2 Abs. 4 AES nicht zu den öffentlichen Abwasseranlagen, für welche die Klägerin zu Beiträgen herangezogen wird.

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c) Des Weiteren verstößt die dem Bescheid zugrundeliegende Globalkalkulation nicht gegen revisibles Recht. Zum Kommunalabgabenrecht des Landes hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Globalkalkulation beinhalte Prognosen, weshalb Pauschalierungen und Schätzungen zulässig seien; eine "millimetergenaue" Ermittlung von Aufwand und Flächen sei daher von vornherein ausgeschlossen. Zu dem von der Klägerin erhobenen Einwand, die Berechnung sei fehlerhaft, weil sie zu Unrecht Aufwendungen in der Gemeinde Z. berücksichtige, hat das Berufungsgericht auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen, denen zufolge nicht ersichtlich ist, dass die betreffende Prognose bereits bei der Kalkulationserstellung unzutreffend gewesen ist, und denen zufolge sich das Vorhaben aufgrund des Anteils von nur 1,12 v.H. der Gesamtherstellungskosten und wegen des gedeckelten Beitragssatzes nicht auf dessen Höhe ausgewirkt hat. Dies lässt keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen.

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d) Eine Verletzung des vom Eigentumsgrundrecht umfassten (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2011 - 9 A 15.10 - ZfB 2011, 188 Rn. 18) Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch die Erhebung von Schmutzwasseranschlussbeiträgen scheidet - ungeachtet der Frage, ob sich die Klägerin als im (Mit-)Eigentum kommunaler Gebietskörperschaften stehende juristische Person des Privatrechts auf Art. 14 GG berufen kann (hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 7. Juni 1977 - 1 BvR 108/73 u.a. - BVerfGE 45, 63 <79 f.> und vom 8. Juli 1982 - 2 BvR 1187/80 - BVerfGE 61, 82 <105>; BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2013 - 7 A 4.12 - BVerwGE 147, 184 Rn. 22) - bereits deshalb aus, weil die Abgabenpflicht grundstücksbezogen ist, sich mithin nicht gegen den Betrieb als solchen richtet, und es daher an der Betriebsbezogenheit des Eingriffs (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2012 - I ZR 187/10 - BGHZ 192, 204 Rn. 31) fehlt.

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6. Schließlich erweist sich das angefochtene Urteil nicht als verfahrensfehlerhaft.

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Der Einwand, das Berufungsgericht habe gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen, indem es die Globalkalkulation der Beklagten keiner vollständigen Überprüfung unterzogen habe, verkennt, dass Kalkulationen von Abgabensätzen gerichtlich in aller Regel nur insoweit zu überprüfen sind, als substantiierte Einwände dagegen erhoben wurden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17. April 2002 - 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188 <197>). Derartige Einwände hat die Klägerin nur hinsichtlich der kalkulatorischen Berücksichtigung der Kläranlage in Z. geltend gemacht; diese hat das Verwaltungsgericht geprüft, ist ihnen jedoch in der Sache nicht gefolgt. Damit hat sich die Klägerin im Berufungsverfahren ebenso wenig substantiiert auseinandergesetzt wie mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur rechnerischen Behandlung unbebauter und nicht an die Kanalisation angeschlossener Grundstücke, sondern hat es bei einer Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrags belassen. Dieses wie auch das weitere Vorbringen gegen die Beitragsberechnung erschöpfte sich jedoch in pauschalen Einwänden und in Mutmaßungen. Dass sich dem Berufungsgericht eine weitergehende Ermittlung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen, ist daher weder ersichtlich noch von der Revision dargelegt. Einen Beweisantrag hat die Klägerin nicht gestellt. Deren Einwand, für ein substantiierteres Vorbringen hätten ihr die erforderlichen Informationen gefehlt, berücksichtigt nicht die in § 12 Abs. 4 KAG M-V getroffene Regelung. Danach ist den Beitragspflichtigen auf Verlangen Einsicht in die der Abgabenfestsetzung zugrundeliegenden Kalkulationen zu gewähren, soweit diese Gegenstand der Beschlussfassung u.a. nach § 22 Abs. 3 Nr. 11 KV M-V waren. Da den Verbandsvertretern des Beklagten die gesamten Kalkulationsunterlagen zur Verfügung standen (vgl. OVG Greifswald, Urteil vom 12. Oktober 2011 - 4 K 31/06 - juris Rn. 45), hätte sich auch die Klägerin die maßgeblichen Informationen verschaffen können.

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Soweit sie darüber hinaus einen Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs und gegen die Aufklärungspflicht für den Fall rügt, dass das Berufungsgericht das Gesamtanlagenprinzip dahin verstanden hat, dass ein zusammenhängendes Abwasserkanalisationsnetz zwischen allen im Zweckverband zusammengeschlossenen Gemeinden oder ein gemeinsam genutztes Klärwerk existiert, liegt gleichfalls kein Verfahrensfehler vor. Hierauf kam es nach dem materiellen Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts ebenso wenig an wie auf die Frage, ob gerade zu den Liegenschaften der Klägerin neue Anschlussleitungen verlegt oder ob die von dort in Anspruch genommenen Leitungen in einem einer Herstellung gleichkommenden Maße erneuert wurden. Auch insofern bedurfte es daher keiner weiteren Ermittlungen durch das Berufungsgericht.

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7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.