Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 21. Mai 2014 - 4 Ws 158/14

bei uns veröffentlicht am21.05.2014

Tenor

Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - 16. Große Strafkammer - Stuttgart vom 14. April 2014 zu Ziffer 4.

a b g e ä n d e r t

und wie folgt neu gefasst:

4. Der Verurteilte wird angewiesen, bis spätestens 29. August 2014 Kontakt zu einer der nachgenannten Suchtberatungsstellen aufzunehmen, dort mindestens drei Beratungsgespräche durchzuführen, dem bewährungsaufsichtsführenden Gericht deren Durchführung nachzuweisen und ihm darüber hinaus eine Stellungnahme der Suchtberatungsstelle zu der Frage vorzulegen, welche Nachsorgemaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Suchtmittelabstinenz des Verurteilten zweckmäßig erscheinen, wie diese - insbesondere hinsichtlich der Frequenz / Häufigkeit - ausgestaltet sein und bis zu welchem Zeitpunkt sie voraussichtlich andauern sollten:

(es folgen sechs konkret benannte Suchtberatungsstellen)

Weitergehende Weisungen in Bezug auf Nachsorgemaßnahmen zur Erhaltung der Suchtmittelabstinenz für den Bewährungszeitraum nach dem 29. August 2014 bleiben ausdrücklich vorbehalten.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels; allerdings wird die Gerichtsgebühr um ein Drittel ermäßigt.

Gründe

 
I.
Der Beschwerdeführer wurde am 4. November 2011 vom Landgericht Stuttgart wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren drei Monaten verurteilt. Im Urteil wurde festgestellt, dass er die Taten aufgrund einer eigenen Betäubungsmittelabhängigkeit beging. Nach teilweiser Vollstreckung der Strafe und Zurückstellung der weiteren Strafvollstreckung gem. § 35 BtMG absolvierte der Verurteilte im Zeitraum vom 8. Juli bis 18. Dezember 2013 eine stationäre Drogenentwöhnungsbehandlung in der Fachklinik V., die er regulär beendete.
Mit Beschluss vom 14. April 2014 hat das Landgericht Stuttgart die Reststrafe gem. § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung ausgesetzt, eine dreijährige Bewährungszeit festgesetzt, den Verurteilten der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt und ihn angewiesen, jeden Wohnsitzwechsel unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen. Darüber hinaus hat die Kammer unter Ziffer 4. folgende Anordnung getroffen:
„Der Verurteilte hat sich nach näherer Weisung seines Bewährungshelfers einer ambulanten Drogentherapie-Nachsorgebehandlung zu unterziehen oder sich einer geeigneten Selbsthilfegruppe anzuschließen und dort regelmäßig teilzunehmen. Nachweise hierüber sind dem Bewährungshelfer unaufgefordert vorzulegen.“
Mit seiner „sofortigen Beschwerde“ wendet sich der Verurteilte gegen diese Anordnung und beantragt ihre ersatzlose Aufhebung.
II.
Da der Verurteilte lediglich die Ausgestaltung der ihm gewährten Strafaussetzung angreift, ist das Rechtsmittel gemäß § 300 StPO als (einfache) Beschwerde im Sinne des § 304 Abs. 1 StPO zu qualifizieren. Diese ist gemäß §§ 36 Abs. 5 Satz 4 BtMG, 454 Abs. 4 Satz 1, 453 Abs. 2 Satz 1 StPO statthaft, in der Sache jedoch nur teilweise begründet. Die angegriffene Bewährungsanordnung konnte in ihrer bisherigen Fassung mangels hinreichender Bestimmtheit keinen Bestand haben. Sie war - entgegen dem Antrag auf ersatzlose Aufhebung - entsprechend der erkennbaren und nicht zu beanstandenden Zielrichtung der vom Landgericht formulierten Bewährungsweisung neu zu fassen.
1. Gemäß §§ 36 Abs. 5 Satz 4 BtMG, 454 Abs. 4 Satz, 453 Abs. 2 Satz 2 StPO kann die angefochtene Entscheidung lediglich auf ihre Gesetzeswidrigkeit überprüft werden. Eine solche ist gegeben, wenn die gerichtliche Anordnung im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig, unzumutbar oder zu unbestimmt ist (KG Berlin, Beschluss vom 11. Juli 2000 - 1 AR 791/00 - 5 Ws 501/00, 1 AR 791/00, 5 Ws 501/00 -, juris, mwN.) bzw. wenn das eingeräumte Ermessen überschritten wurde (Meyer-Goßner, StPO, 57. Auflage, § 453 Rn. 12 mwN.). Eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit der Entscheidung der Strafkammer findet im Beschwerdeverfahren hingegen nicht statt.
Die Anordnung, wonach sich der Verurteilte einer ambulanten Drogentherapie-Nachsorgebehandlung zu unterziehen oder einer geeigneten Selbsthilfegruppe anzuschließen hat, stützt sich auf § 56c Abs. 1 Satz 1 StGB. Es handelt sich unzweifelhaft um eine Weisung, die spezialpräventiv darauf abzielt, den Verurteilten durch weitere Stabilisierung seiner Suchtmittelabstinenz zu einem straffreien Leben anzuhalten, und somit keine unzulässigen Ziele ohne Resozialisierungsbezug verfolgt. Ein Einwilligungserfordernis nach § 56c Abs. 3 StGB besteht nicht. Aus den Gründen der Entscheidung ergibt sich, dass sich die Kammer bei der Anordnung von einer ausdrücklichen Empfehlung der Therapieeinrichtung leiten ließ. Ermessensfehlerhafte Erwägungen sind insoweit nicht ersichtlich und auch nicht dargetan. Vielmehr legen der langjährige intensive Konsum von verschiedenartigen Betäubungsmitteln, der - wie in der verfahrensgegenständlichen Verurteilung festgestellt - zur Begehung schwerer Straftaten geführt hat, und das angesichts der ausgesprochen problembehafteten Vergangenheit und Lebensverhältnisse des Verurteilten auf der Hand liegende Rückfallrisiko nahe, entsprechende Vorsorgemaßnahmen im Rahmen der Bewährungsgestaltung zu ergreifen. Worauf sich die Einschätzung des Verurteilten, er müsse sich keiner Nachsorgebehandlung unterziehen, stützt, wird in der Beschwerde nicht ausgeführt. Soweit er sich auf die Meinung „seiner Therapeutin“ beruft, bleibt vollkommen unklar, wer damit gemeint ist. Sollte es sich um eine Therapeutin aus der Fachklinik V. handeln, steht die Beschwerdebehauptung in eindeutigem Widerspruch zum Entlassungsbericht vom 11. März 2014. Dass sich der Verurteilte nach seiner Entlassung bereits in eine ambulante Nachsorge begeben hätte mit dem Ergebnis, die Empfehlung der Therapieeinrichtung wäre nunmehr überholt, trägt er jedenfalls nicht vor, geschweige denn, dass er Belege hierzu vorgelegt hätte. Damit lässt sich dem pauschalen Vortrag, eine Nachsorgebehandlung sei aus Sicht der Therapeutin überflüssig, keine inhaltliche Substanz, die über eine - allerdings unbeachtliche - Rüge der Unzweckmäßigkeit der Anordnung hinausginge, entnehmen. Bedenken hinsichtlich der Zumutbarkeit des angewiesenen Verhaltens ergeben sich nicht.
2. In der vom Landgericht Stuttgart vorgenommenen Fassung entspricht die Weisung jedoch nicht dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot, dem insbesondere im Zusammenhang mit Weisungen nach § 56c Abs. 1 StGB freiheitsgewährleistende Funktion zukommt (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 24. September 2011 - 2 BvR 1165/11 -, juris). Bewährungsweisungen müssen klar, bestimmt und in ihrer Einhaltung überprüfbar sein, um einem Verurteilten unmissverständlich vor Augen zu führen, wann ihm der Widerruf der Strafaussetzung droht, und um Weisungsverstöße einwandfrei feststellen zu können (OLG Frankfurt, Beschluss vom 07. Mai 2003 - 3 Ws 528/03 -, juris). Die inhaltliche Ausgestaltung von Bewährungsweisungen und -auflagen ist dem Gericht übertragen. In Bezug auf angewiesene Heilbehandlungen hat der Richter möglichst präzise zu bestimmen, welche Maßnahme durchgeführt werden soll sowie in welcher Einrichtung und innerhalb welchen Zeitraums die Behandlung zu erfolgen hat (OLG Rostock, Beschluss vom 06. Dezember 2011 - I Ws 373/11 -, juris, mwN.). Ebenso bedarf es hinsichtlich der Häufigkeit der wahrzunehmenden Termine einer näheren Ausgestaltung der Weisung durch das Gericht (OLG Frankfurt, Beschluss vom 07. Mai 2003 - 3 Ws 528/03 -, juris). Soweit die Behandlungsdauer zum Zeitpunkt der Anordnung noch nicht bestimmbar ist, hat das Gericht einen Prüfungstermin festzulegen, an welchem der Richter über den Fortbestand der Weisung zu entscheiden hat (OLG Rostock aaO.). Die Übertragung der Ausgestaltung dieser Vorgaben auf Dritte - sei es auf einen Bewährungshelfer oder einen Therapeuten - verbietet sich angesichts des bei einem Weisungsverstoß drohenden Bewährungswiderrufs und Freiheitsentzugs (BVerfG aaO.; OLG Frankfurt aaO.; OLG Dresden, Beschluss vom 06. September 2007 - 2 Ws 423/07 -, juris). Lediglich gewisse Konkretisierungen, die bei Beschlussfassung im Hinblick auf organisatorische Gegebenheiten oder Flexibilitätserfordernisse des Verurteilten nicht sinnvoll praktikabel festgelegt werden können, dürfen dem Bewährungshelfer überlassen bleiben.
Diesen Vorgaben wird die vom Landgericht Stuttgart gewählte Fassung der Weisung in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Die Kammer hat schon die Festlegung der Art der vom Verurteilten erwarteten Maßnahme und damit den Kern der Weisung auf den Bewährungshelfer übertragen. Dabei wird auch nicht hinreichend deutlich, was sie unter einer „ambulanten Drogentherapie-Nachsorgebehandlung“ verstanden wissen will. Zur Einrichtung, bei der die Maßnahme durchgeführt werden soll, und zu ihrer Dauer verhält sich die gerichtliche Anordnung allenfalls insoweit, als entsprechende Vorgaben ebenfalls der näheren Weisung durch den Bewährungshelfer anheimgestellt werden. Ebenso wenig ist die angewiesene „regelmäßige“ Teilnahme an der Maßnahme hinreichend bestimmt. Den Unsicherheiten hinsichtlich der Frage, in welchem Umfang der Verurteilte ca. fünf Monate nach Beendigung der stationären Entwöhnungsbehandlung Nachsorgemaßnahmen zur Stabilisierung der Suchtmittelabstinenz bedarf und welche Art der Maßnahme am zweckmäßigsten erscheint, kann nicht durch eine in jeder Hinsicht offene Weisung, die bei genauer Betrachtung nur ein Ziel, aber keine konkrete Handlungsvorgabe enthält, Rechnung getragen werden. Vielmehr muss sich das bewährungsaufsichtsführende Gericht die hierzu benötigten Erkenntnisse - notwendigerweise unter Mitarbeit des Verurteilten, zu der er im Weisungswege angehalten werden darf - verschaffen, um im Anschluss hinreichend präzise Vorgaben machen zu können, die dem Bewährungshelfer nur noch in organisatorischen Detailfragen eine Konkretisierungsberechtigung überlassen.
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3. Da trotz unbestimmter Formulierung die Zielrichtung der vom Landgericht erteilten Weisung offen zu Tage tritt und auch ausreichend angedeutet ist, auf welchem Weg die Kammer dieses Ziel weiterverfolgt wissen will, konnte der Senat - ohne Eingriff in die Ermessenshoheit des bewährungsaufsichtsführenden Gerichts - eine Neufassung der Weisung selbst vornehmen. Die Unbestimmtheit der bisherigen Fassung und die unzulässige Übertragung der Konkretisierung auf den Bewährungshelfer beruhen ersichtlich auf den dargestellten Unsicherheiten in Bezug auf Art und Ausgestaltung geeigneter Nachsorgemaßnahmen. Um diese auszuräumen, bestehen zu der vom Senat vorgenommenen Weisungsgestaltung keine grundsätzlichen Vorgehensalternativen. Die nunmehrige Weisung stellt lediglich ein Weniger hinsichtlich des Regelungszeitraums und der Handlungsvorgabe dar. Eine bloße Aufhebung der Weisung zum Zwecke der Neufassung durch das Landgericht entsprechend den Vorgaben der Beschwerdeentscheidung erscheint angesichts des Umstands, dass zunächst die Rahmenbedingungen für die eigentliche Maßnahme mit Resozialisierungszweck festgestellt werden müssen und dem damit verbundenen weiteren Zeitablauf, nicht sachgerecht. Die getroffenen Festsetzungen sind aus Sicht des Senats geboten, um eine Beurteilungsgrundlage für eine weitergehende Weisung zu erlangen.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 StPO; die Abänderung der angegriffenen Weisung stellt nur einen in entsprechendem Umfang zu berücksichtigenden Teilerfolg der Beschwerde dar. Hierbei war einerseits dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die vorgenommene Neufassung hinsichtlich ihres Regelungszeitraums erheblich hinter der bisherigen Anordnung zurücksteht. Andererseits eröffnet sich erst durch die Abänderung die Möglichkeit, die Weisung als Grundlage für einen Bewährungswiderruf heranziehen zu können. Im Übrigen handelt es sich bei dem verkürzten Regelungszeitraum aller Voraussicht nach nur um einen vorläufigen Erfolg, da nach dessen Ablauf mit einer - nunmehr hinreichend bestimmten - Weisung in Bezug auf konkret zu absolvierende Nachsorgemaßnahmen zu rechnen ist. Im Hinblick hierauf erschien es - nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass das eigentliche Beschwerdevorbringen ersichtlich neben der Sache lag - nicht unbillig, von einer auch nur teilweisen Übernahme der notwendigen Auslagen durch die Staatskasse abzusehen.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung


(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Ansc

Strafprozeßordnung - StPO | § 304 Zulässigkeit


(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig,

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 35 Zurückstellung der Strafvollstreckung


(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so k

Strafprozeßordnung - StPO | § 300 Falschbezeichnung eines zulässigen Rechtsmittels


Ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels ist unschädlich.

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 36 Anrechnung und Strafaussetzung zur Bewährung


(1) Ist die Vollstreckung zurückgestellt worden und hat sich der Verurteilte in einer staatlich anerkannten Einrichtung behandeln lassen, so wird die vom Verurteilten nachgewiesene Zeit seines Aufenthaltes in dieser Einrichtung auf die Strafe angerec

Strafgesetzbuch - StGB | § 56c Weisungen


(1) Das Gericht erteilt dem Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit Weisungen, wenn er dieser Hilfe bedarf, um keine Straftaten mehr zu begehen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden

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Oberlandesgericht Rostock Beschluss, 06. Dez. 2011 - I Ws 373/11

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Tenor I. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. II. Der Antrag der Staatsanwaltschaft Stralsund vom 19.09.2011, die mit Beschluss des Landgerichts Rostock vom 19.05.2011 angeordnete Aussetzung der Vollstreckung der dort genannten Restf

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 24. Sept. 2011 - 2 BvR 1165/11

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Tenor Die angefochtenen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth vom 4. Mai 2011 - 1 Qs 65/11 - und - 1 Qs 64/11 -, der Beschluss des Amtsgerichts Bayreuth vom 14. März 2011 - 1 BüR 36/08 - und d

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(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken.

(2) Gegen die Verweigerung der Zustimmung durch das Gericht des ersten Rechtszuges steht der Vollstreckungsbehörde die Beschwerde nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches der Strafprozeßordnung zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung dieser Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach den §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechten. Das Oberlandesgericht entscheidet in diesem Falle auch über die Verweigerung der Zustimmung; es kann die Zustimmung selbst erteilen.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist oder
2.
auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt
und im übrigen die Voraussetzungen des Absatzes 1 für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten erfüllt sind.

(4) Der Verurteilte ist verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen teilen der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mit.

(5) Die Vollstreckungsbehörde widerruft die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, oder wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, daß er sich in Behandlung befindet. Ein Widerruf nach Satz 1 steht einer erneuten Zurückstellung der Vollstreckung nicht entgegen.

(6) Die Zurückstellung der Vollstreckung wird auch widerrufen, wenn

1.
bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird oder
2.
eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist.

(7) Hat die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, so ist sie befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einen Haftbefehl zu erlassen. Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird durch die Anrufung des Gerichts nicht gehemmt. § 462 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.

(1) Ist die Vollstreckung zurückgestellt worden und hat sich der Verurteilte in einer staatlich anerkannten Einrichtung behandeln lassen, so wird die vom Verurteilten nachgewiesene Zeit seines Aufenthaltes in dieser Einrichtung auf die Strafe angerechnet, bis infolge der Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt sind. Die Entscheidung über die Anrechnungsfähigkeit trifft das Gericht zugleich mit der Zustimmung nach § 35 Abs. 1. Sind durch die Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt oder ist eine Behandlung in der Einrichtung zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr erforderlich, so setzt das Gericht die Vollstreckung des Restes der Strafe zur Bewährung aus, sobald dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann.

(2) Ist die Vollstreckung zurückgestellt worden und hat sich der Verurteilte einer anderen als der in Absatz 1 bezeichneten Behandlung seiner Abhängigkeit unterzogen, so setzt das Gericht die Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder des Strafrestes zur Bewährung aus, sobald dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann.

(3) Hat sich der Verurteilte nach der Tat einer Behandlung seiner Abhängigkeit unterzogen, so kann das Gericht, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 nicht vorliegen, anordnen, daß die Zeit der Behandlung ganz oder zum Teil auf die Strafe angerechnet wird, wenn dies unter Berücksichtigung der Anforderungen, welche die Behandlung an den Verurteilten gestellt hat, angezeigt ist.

(4) Die §§ 56a bis 56g und 57 Abs. 5 Satz 2 des Strafgesetzbuches gelten entsprechend.

(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 3 trifft das Gericht des ersten Rechtszuges ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Die Vollstreckungsbehörde, der Verurteilte und die behandelnden Personen oder Einrichtungen sind zu hören. Gegen die Entscheidungen ist sofortige Beschwerde möglich. Für die Entscheidungen nach Absatz 1 Satz 3 und nach Absatz 2 gilt § 454 Abs. 4 der Strafprozeßordnung entsprechend; die Belehrung über die Aussetzung des Strafrestes erteilt das Gericht.

Ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels ist unschädlich.

(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.

(2) Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.

(3) Gegen Entscheidungen über Kosten oder notwendige Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

(4) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche

1.
die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen,
2.
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen,
3.
die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen,
4.
die Akteneinsicht betreffen oder
5.
den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen;
§ 138d Abs. 6 bleibt unberührt.

(5) Gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen.

(1) Ist die Vollstreckung zurückgestellt worden und hat sich der Verurteilte in einer staatlich anerkannten Einrichtung behandeln lassen, so wird die vom Verurteilten nachgewiesene Zeit seines Aufenthaltes in dieser Einrichtung auf die Strafe angerechnet, bis infolge der Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt sind. Die Entscheidung über die Anrechnungsfähigkeit trifft das Gericht zugleich mit der Zustimmung nach § 35 Abs. 1. Sind durch die Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt oder ist eine Behandlung in der Einrichtung zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr erforderlich, so setzt das Gericht die Vollstreckung des Restes der Strafe zur Bewährung aus, sobald dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann.

(2) Ist die Vollstreckung zurückgestellt worden und hat sich der Verurteilte einer anderen als der in Absatz 1 bezeichneten Behandlung seiner Abhängigkeit unterzogen, so setzt das Gericht die Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder des Strafrestes zur Bewährung aus, sobald dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann.

(3) Hat sich der Verurteilte nach der Tat einer Behandlung seiner Abhängigkeit unterzogen, so kann das Gericht, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 nicht vorliegen, anordnen, daß die Zeit der Behandlung ganz oder zum Teil auf die Strafe angerechnet wird, wenn dies unter Berücksichtigung der Anforderungen, welche die Behandlung an den Verurteilten gestellt hat, angezeigt ist.

(4) Die §§ 56a bis 56g und 57 Abs. 5 Satz 2 des Strafgesetzbuches gelten entsprechend.

(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 3 trifft das Gericht des ersten Rechtszuges ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Die Vollstreckungsbehörde, der Verurteilte und die behandelnden Personen oder Einrichtungen sind zu hören. Gegen die Entscheidungen ist sofortige Beschwerde möglich. Für die Entscheidungen nach Absatz 1 Satz 3 und nach Absatz 2 gilt § 454 Abs. 4 der Strafprozeßordnung entsprechend; die Belehrung über die Aussetzung des Strafrestes erteilt das Gericht.

(1) Das Gericht erteilt dem Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit Weisungen, wenn er dieser Hilfe bedarf, um keine Straftaten mehr zu begehen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden.

(2) Das Gericht kann den Verurteilten namentlich anweisen,

1.
Anordnungen zu befolgen, die sich auf Aufenthalt, Ausbildung, Arbeit oder Freizeit oder auf die Ordnung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse beziehen,
2.
sich zu bestimmten Zeiten bei Gericht oder einer anderen Stelle zu melden,
3.
zu der verletzten Person oder bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe, die ihm Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen,
4.
bestimmte Gegenstände, die ihm Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, nicht zu besitzen, bei sich zu führen oder verwahren zu lassen oder
5.
Unterhaltspflichten nachzukommen.

(3) Die Weisung,

1.
sich einer Heilbehandlung, die mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist, oder einer Entziehungskur zu unterziehen oder
2.
in einem geeigneten Heim oder einer geeigneten Anstalt Aufenthalt zu nehmen,
darf nur mit Einwilligung des Verurteilten erteilt werden.

(4) Macht der Verurteilte entsprechende Zusagen für seine künftige Lebensführung, so sieht das Gericht in der Regel von Weisungen vorläufig ab, wenn die Einhaltung der Zusagen zu erwarten ist.

Tenor

Die angefochtenen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth vom 4. Mai 2011 - 1 Qs 65/11 - und - 1 Qs 64/11 -, der Beschluss des Amtsgerichts Bayreuth vom 14. März 2011 - 1 BüR 36/08 - und der Beschluss des Amtsgerichts Bayreuth vom 29. März 2011 - 1 BüR 28/08 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

...

Die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juni 2011 wird mit der Entscheidung in der Hauptsache gegenstandslos.

Gründe

1

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung.

A.

I.

2

1. Er wurde durch Urteil des Amtsgerichts Kronach vom 4. September 2002, rechtskräftig seit dem 4. September 2002, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 37 Fällen, darunter in sieben Fällen jeweils zugleich mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln, sowie des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln unter Auflösung einer Gesamtfreiheitsstrafe aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung und unter Einbeziehung der dort verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten und zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom 9. Juni 2008 setzte das Amtsgericht Kronach die weitere Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafen gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung aus und die Bewährungszeit auf vier Jahre fest.

3

Durch Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 23. Mai 2005, rechtskräftig seit dem 23. Mai 2005, wurde der Beschwerdeführer wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom 17. September 2008 setzte das Amtsgericht Nürnberg die weitere Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafen gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung aus und die Bewährungszeit auf fünf Jahre fest.

4

2. Mit zwei gleichlautenden Beschlüssen vom 31. August 2010 ergänzte das Amtsgericht Bayreuth die Bewährungsbeschlüsse des Amtsgerichts Kronach und des Amtsgerichts Nürnberg und erteilte dem Beschwerdeführer jeweils die Auflage, "100 Stunden gemeinnützige Arbeit nach näherer Weisung des Vereins F. e.V. und in Abstimmung mit seinem Bewährungshelfer zu erbringen". Zur Begründung führte das Amtsgericht in beiden Beschlüssen aus, der bisherige Bewährungsverlauf habe sich als äußerst unzureichend erwiesen. Der Beschwerdeführer komme trotz ständiger Anmahnungen durch das Gericht den ihm erteilten Weisungen nicht nach. Er halte keinen ausreichenden Kontakt zum Bewährungshelfer und komme auch der Weisung, sich Abstinenzkontrollen zu unterziehen, nicht nach. Aus diesem Grund habe das Amtsgericht Bayreuth bereits mit Beschluss vom 19. Januar 2010 die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen, welcher jedoch durch das Landgericht Bayreuth am 20. Juli 2010 aufgehoben worden sei. Um die weitere Durchführung der Bewährung durchzusetzen und den Beschwerdeführer anzuhalten, sich bewährungstreu zu verhalten, sei es erforderlich, weitere Auflagen gegen ihn festzusetzen. Das Gericht erachte dafür die Festsetzung von Arbeitsstunden als probates und erforderliches Mittel.

5

Die Beschlüsse wurden dem Beschwerdeführer am 21. September 2010 zugestellt.

6

3. Mit Schreiben vom 14. Oktober 2010 teilte der Verein F. e.V. dem Amtsgericht "zu BüR 28/08 oder 36/08" mit, dass der Beschwerdeführer vorgesprochen habe und ihm durch den Verein eine geeignete Arbeitsstelle zur Ableistung der "100 gemeinnützigen Arbeitsstunden" zugewiesen werde. Am 26. Oktober teilte der Verein mit, der Beschwerdeführer habe nach der persönlichen Vorsprache mitgeteilt, dass er bis spätestens 18. Oktober 2010 die Stelle benennen werde, bei der er die Arbeitsauflage erfülle. Am 18. Oktober habe man ihn aufgefordert, wieder Kontakt aufzunehmen, was noch nicht erfolgt sei, weshalb der Verein seine Bemühungen einstellen werde, solange der Beschwerdeführer keinen Kontakt aufnehme. Am 21. Dezember 2010 forderte das Amtsgericht Bayreuth den Beschwerdeführer zu den Aktenzeichen "1 BüR 36/08 oder 1 BüR 28/08" auf, unverzüglich die auferlegten 100 gemeinnützigen Arbeitsstunden zu erbringen. Am 28. Januar 2011 teilte der Verein zunächst mit, dass der Beschwerdeführer sich nicht wieder gemeldet habe, ergänzte aber am 3. Februar 2011, dass er um eine nochmalige Vermittlung eines Arbeitsplatzes gebeten habe. Am 15. Februar meldete sich der Verein erneut und teilte mit, dass der Beschwerdeführer am 4. Februar 2011 zwei Arbeitstunden abgeleistet habe, dem Verein am 9. Februar 2011 jedoch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen eines grippalen Infekts für die Zeit vom 3. Februar bis 11. Februar 2011 habe zukommen lassen. Eine aktuelle Krankmeldung liege nicht vor. Anfang März berichtete der Verein, dass der Beschwerdeführer seine Arbeitsstunden ab sofort in einem Altenheim ableisten werde, wobei er sich um diese Stelle selbst gekümmert habe. Der Beschwerdeführer teilte dem Gericht am 3. März 2011 mit, dass er mit der Ableistung der 100 Arbeitsstunden nun definitiv beginnen werde. Aus gesundheitlichen Gründen sei er zunächst nicht in der Lage gewesen, zu arbeiten. Er habe eine erneute Untersuchung durch die Bundesagentur für Arbeit abwarten müssen und seine Tante besucht. Zuletzt, im Februar, habe Arbeitsunfähigkeit bestanden.

7

4. Mit zwei gleichlautenden Beschlüssen vom 14. bzw. 29. März 2011 widerrief das Amtsgericht Bayreuth beide Strafaussetzungen zur Bewährung. Der Beschwerdeführer habe trotz mehrerer Aufforderungen durch das Gericht, seinen Bewährungshelfer und den Verein F. e.V. bislang nur zwei Arbeitsstunden abgeleistet. Er habe sich dahingehend geäußert, dass er aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht in der Lage gewesen sei, die Arbeitsstunden abzuleisten. Dies sei jedoch nur eine vorgeschobene Entschuldigung gewesen. Aus den vom Beschwerdeführer selbst übersandten Unterlagen ergebe sich, dass er keineswegs gehindert gewesen sei, die Arbeitsstunden abzuleisten. Es habe sich vielmehr gezeigt, dass bei seiner Untersuchung durch die Bundesagentur für Arbeit schon im November 2010 ein "guter Allgemein- und normaler Ernährungszustand" vorgelegen habe und dass seine psychische Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt gewesen seien. Im März 2010 habe die Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers bestanden, so dass es ihm möglich gewesen wäre, die Arbeitsstunden zu leisten.

8

5. Gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Bayreuth legte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15. April 2011 form- und fristgerecht sofortige Beschwerde ein. Sein Gesundheitszustand sei beeinträchtigt. Er leide an den Folgen einer Wohnungsexplosion, weswegen eine gesonderte Begutachtung erforderlich gewesen sei. Dies sehe auch die ARGE Bayreuth so, wie sich aus der Eingliederungsvereinbarung vom 2. November 2010 ergebe. Der Beschluss vom 31. August 2010 setze auch keine Frist, innerhalb derer die Arbeitsstunden zu erbringen seien, und sei daher zu unbestimmt. Außerdem halte er sich jetzt an die Weisungen, insbesondere habe er Kontakt zum Bewährungshelfer gehalten und die geforderte Haarprobe abgegeben, die seine Drogenabstinenz belegte. Er werde auch die Arbeitsauflagen erfüllen.

9

6. Mit zwei gleichlautenden Beschlüssen vom 4. Mai 2011 verwarf das Landgericht Bayreuth die sofortigen Beschwerden jeweils, da die Gründe des angefochtenen Beschlusses zuträfen und durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet würden. Der Widerruf sei erfolgt, weil der Beschwerdeführer nicht gewillt sei, die ihm auferlegte Arbeitsauflage von 100 Stunden zu erfüllen.

II.

10

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 2 GG. Die Auflage genüge dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG nicht. Daher sei ein Bewährungsverstoß, der zum Widerruf der Bewährung hätte führen können, nicht gegeben. Die Ausgestaltung von Weisungen und Auflagen obliege alleine dem Gericht und dürfe nicht an Dritte delegiert werden.

III.

11

Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hatte Gelegenheit zur Stellungnahme und hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Fachgerichtliche Entscheidungen seien durch das Bundesverfassungsgericht lediglich auf Willkür und Auslegungsfehler zu überprüfen, die von einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts zeugten. Dass die Gerichte einen beharrlichen und gröblichen Auflagenverstoß in grundsätzlicher Verkennung von Art. 103 Abs. 2 GG oder des Freiheitsgrundrechts angenommen hätten, sei nicht erkennbar.

12

Der Beschwerdeführer sei durch die Ergänzungsbeschlüsse des Amtsgerichts Bayreuth vom 31. August 2010 im Rahmen der Bewährungsüberwachung zur Ableistung gemeinnütziger Arbeit entsprechend § 56b Abs. 2 Nr. 3 StGB aufgefordert worden. Die Übertragung der näheren Ausgestaltung der Arbeitsauflage auf einen Bewährungshelfer sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies sei praktischen Erwägungen geschuldet. Auch die fehlende Festsetzung der Zeit, innerhalb derer die Arbeitsleistung zu erfüllen sei, stelle keinen Verstoß gegen das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG dar. Zwar forderten einige Oberlandesgerichte die Bestimmung eines feststehenden Zeitraums für die Ableistung der Arbeitsstunden. Bei einer erheblichen Anzahl von Arbeitsstunden sei es dem Gericht in der Praxis jedoch oft nicht möglich, genau abzuschätzen, wann der Verurteilte zur Ableistung durch die entsprechende Institution herangezogen werden könne und wie lange er unter verfassungsrechtlich gebotener Berücksichtigung seiner konkreten Lebensumstände hierfür benötigen werde. Fehle eine konkret in der Auflage benannte Erfüllungsfrist, so gelte die gesamte Dauer der Bewährungszeit als Erfüllungsfrist. Mit dem Erlass des Auflagenbeschlusses beginne die Pflicht zur Ableistung der gemeinnützigen Arbeit. Dem Beschwerdeführer sei mit Blick auf den bisherigen Bewährungsverlauf verdeutlicht worden, dass nunmehr ein positiver Verlauf von ihm erwartet werde, wozu neben dem regelmäßigen Kontakt mit dem Bewährungshelfer auch die sofortige Erbringung der gemeinnützigen Arbeit gehöre. Selbst wenn man die Auflagen als zu unbestimmt betrachtete, so sei der Beschwerdeführer spätestens im Schreiben des Amtsgerichts Bayreuth vom 21. Dezember 2010 unmissverständlich aufgefordert worden, unverzüglich die ihm auferlegten 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit zu erbringen, wodurch eine Konkretisierung der ursprünglichen Arbeitsauflage erfolgt sei. Auch bringe der Beschwerdeführer in seinem Schreiben an das Gericht zum Ausdruck, dass er von einer Pflicht zur sofortigen Ableistung der Arbeitsstunden ausgehe. Da er lediglich zwei Arbeitsstunden absolviert habe, liege ein beharrlicher und gröblicher Verstoß gegen die Arbeitsauflage vor. Die Widerrufsbeschlüsse des Amtsgerichts Bayreuth vom 14. März und 29. März 2011 und die Rechtsmittelentscheidungen des Landgerichts Bayreuth vom 4. Mai 2011 seien vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und das Freiheitsgrundrecht liege nicht vor.

IV.

13

Das Bundesverfassungsgericht hat auf Antrag des Beschwerdeführers am 3. Juli 2011 die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Kronach vom 4. September 2002 und des Amtsgerichts Nürnberg vom 23. Mai 2005 bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt. Die Vollstreckungshefte der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth (8 Js 980/02 und 353 Js 4144/05) und der Staatsanwaltschaft Coburg (8 Js 980/02) wurden beigezogen.

B.

14

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG, soweit sie sich gegen die Entscheidungen über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung richtet. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde, soweit sie zulässig ist, zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93 Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

I.

15

Soweit der Beschwerdeführer sich gegen die gleichlautenden Beschlüsse des Amtsgerichts Bayreuth vom 31. August 2010 richtet, ist sie unzulässig, denn diese sind nicht innerhalb eines Monats angegriffen worden, § 93 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVerfGG. Die angegriffenen Entscheidungen wurden dem Beschwerdeführer bereits am 21. September 2010 zugestellt. Die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde lief damit am 21. Oktober 2010 ab und ist durch die erst am 26. Mai 2011 beim Bundesverfassungsgericht eingegangene Verfassungsbeschwerde nicht gewahrt.

II.

16

Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet. Die weiteren angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG.

17

1. Die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) ist ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus besonders gewichtigen Gründen eingegriffen werden darf (BVerfGE 10, 302 <322>; 29, 312 <316>; 109, 133 <157>). Aufgrund dieser Bedeutung ist das Freiheitsgrundrecht durch Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG in besonderer Weise abgesichert. Hiernach darf die Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Form beschränkt werden. Art. 104 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG stehen insoweit in einem unlösbarem Zusammenhang (BVerfGE 10, 302<322>; 58, 208 <220>). Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, also insbesondere für Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit wie Verhaftungen, Festnahmen und ähnliche Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 58, 208 <220>), indem er über die Notwendigkeit eines förmlichen Gesetzes hinaus auch die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden freiheitsschützenden Anforderungen zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (BVerfGE 10, 302 <323>; 29, 183 <195 f.>; 58, 208 <220>).

18

Im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorschriften kommt insbesondere dem Bestimmtheitsgebot freiheitsgewährleistende Funktion zu (vgl. BVerfGE 117, 71 <111>, m.w.N.). Auflagen nach § 56b StGB und Weisungen nach § 56c Abs. 1 StGB müssen gemäß Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügen. Danach hat das Gericht und nicht erst der Bewährungshelfer die Vorgaben so bestimmt zu formulieren, dass Verstöße einwandfrei festgestellt werden können und der Verurteilte unmissverständlich weiß, wann er einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erwarten hat (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juni 1993 - 2 BvR 368/92 -, juris, Rn. 8, und vom 10. August 1993 - 2 BvR 610/91 -, juris, Rn. 36, jeweils m.w.N.). Nur dem Richter hat der Gesetzgeber die Befugnis eingeräumt, dem Verurteilten besondere Pflichten aufzuerlegen (§ 56c StGB). Mangels einer gesetzlichen Ermächtigung dürfen Bewährungshelfer schon nach dem Strafrecht (§ 56d Abs. 3 StGB) dem Verurteilten gegenüber keine selbständigen Anordnungen treffen (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juni 1993, - 2 BvR 368/92 -, juris, Rn. 8, m.w.N.). Das Bestimmtheitsgebot kann allerdings nicht bedeuten, dass die Weisung bis ins Letzte präzisiert sein muss. Da dem Bewährungshelfer nach § 56d Abs. 3 Satz 2 StGB die Aufgabe zukommt, die Erfüllung der Weisungen zu überwachen, kann es sinnvoll sein, von ihm gewisse Einzelheiten der Mitwirkung des Verurteilten an Kontrollmaßnahmen festlegen zu lassen. Der Gesetzgeber hat aber seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie das nach der Eigenart der zu ordnenden Sachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (BVerfGE 49, 168 <181>). Gleiches muss auch für die Bestimmtheit der vom Richter zu erteilenden Bewährungsweisung gelten. Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 9, m.w.N.). Danach können gewisse Konkretisierungen der Verhaltensmaßgaben eines Bewährungsbeschlusses dem Bewährungshelfer überlassen werden, soweit eine Konkretisierung unmittelbar durch gerichtlichen Bewährungsbeschluss - beispielsweise im Hinblick auf organisatorische oder durch Interessen des Verurteilten bedingte Flexibilitätserfordernisse - nicht sinnvoll praktikabel ist. Dies kann auch Festlegungen zur Bestimmung der Zeitpunkte betreffen, zu denen bestimmte Leistungen zu erbringen sind, ohne dass darin eine Übertragung des gesetzlich dem Gericht vorbehaltenen Weisungsrechts zu sehen wäre (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 8 und Rn. 10). Dies ändert aber nichts daran, dass ein Bewährungswiderruf nur in Betracht kommt, wenn dem Verurteilten zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, was genau von ihm erwartet wird und wann er einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erwarten hat.

19

Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist zudem, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen (vgl. BVerfGE 58, 208 <222>) und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 70, 297 <307>). Dies gilt nicht nur für das strafprozessuale Hauptverfahren, sondern auch für das Vollstreckungsverfahren (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2010 - 2 BvR 1081/10 -, juris, Rn. 17).

20

2. Mit diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben stehen die angegriffenen Entscheidungen nicht in Einklang.

21

Es kann offenbleiben, ob die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung der genannten strafrechtlichen Vorschriften hier schon deshalb verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, weil der Bewährungswiderruf auf die Missachtung von - den gerichtlichen Bewährungsbeschluss konkretisierenden - Vorgaben gestützt wurde, die im Bewährungsbeschluss selbst hätten festgelegt werden müssen (vgl. für die Annahme, die Bestimmung des Zeitraums, innerhalb dessen eine nach Stunden bemessene Arbeitsauflage zu erfüllen ist, dürfe nicht dem Bewährungshelfer übertragen werden, OLG Braunschweig, Beschluss vom 9. Januar 2006 - Ws 1/06 -, StV 2007, S. 257; KG, Beschluss vom 13. April 2005 - 5 Ws 157/05 -, juris), oder ob die Festlegung des äußeren zeitlichen Rahmens für die Ableistung einer durch Bewährungsbeschluss auferlegten bestimmten Anzahl von Arbeitsstunden als eine zulässige Präzisierung des gerichtlichen Bewährungsbeschlusses (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juni 1993 - 2 BvR 368/92 -, juris, Rn. 9 f.) dem Bewährungshelfer übertragen werden kann mit der Folge, dass Verstöße gegen dessen Anordnung dann zugleich als Verstöße gegen die gerichtliche Weisung einzuordnen sind und unter den Voraussetzungen des § 56f Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 StGB zum Widerruf der Strafaussetzung führen können.

22

Auch wenn diese Frage im letzteren Sinne zu beantworten sein sollte, sind die angegriffenen Entscheidungen jedenfalls deshalb zu beanstanden, weil es an den in einem solchen Fall erforderlichen gerichtlichen Feststellungen fehlt. Das Amtsgericht hat den Bewährungswiderruf damit begründet, dass der Beschwerdeführer trotz mehrerer Aufforderungen durch das Gericht und den Bewährungshelfer sowie den Verein F. e.V. von den auferlegten 100 Arbeitsstunden bislang nur zwei Stunden geleistet habe, und dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, mit der er sich zwischendurch entschuldigt habe, auf den Zeitraum vom 3. Februar bis zum 11. Februar 2011 beschränkt gewesen sei. Diese Feststellungen können nach den obigen Maßstäben den Widerruf nicht rechtfertigen. Dass die Ableistung von nur zwei Arbeitsstunden bis zum Zeitpunkt des Bewährungswiderrufs unzureichend war, ergab sich nicht unmittelbar aus den ergänzenden Bewährungsbeschlüssen, mit denen dem Beschwerdeführer die Ableistung von 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit auferlegt worden war. Für das Nähere hatten diese Beschlüsse den Beschwerdeführer nicht auf Vorgaben des Bewährungshelfers, sondern auf Weisungen des Vereins F. e.V. in Abstimmung mit dem Bewährungshelfer verwiesen. Die Präzisierung des Verlaufs der "roten Linie", jenseits derer ein Widerruf der Strafaussetzung drohte, war damit, dem Wortlaut der gerichtlichen Weisung nach, einem privaten Träger überlassen. Die angegriffenen Widerrufsbeschlüsse des Amtsgerichts und der sie bestätigende Beschluss des Landgerichts beziehen sich zudem nicht hierauf, sondern stellen nur fest, dass der Beschwerdeführer Aufforderungen von verschiedenen Seiten nicht befolgt habe. Jegliche Feststellung dazu, wann von wem welche Aufforderung an den Beschwerdeführer erging und inwiefern er diese schuldhaft nicht befolgte, fehlt; erst recht wird nicht erkennbar, ob und warum dem Beschwerdeführer deutlich sein musste, dass es sich um Aufforderungen handelte, die - mit entsprechenden Folgen für die Anwendbarkeit des § 56f Abs. 1 StGB - als verbindliche hoheitliche Präzisierung der gerichtlichen Weisung aufzufassen waren.

C.

23

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2, 3 BVerfGG.

24

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

I. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

II. Der Antrag der Staatsanwaltschaft Stralsund vom 19.09.2011, die mit Beschluss des Landgerichts Rostock vom 19.05.2011 angeordnete Aussetzung der Vollstreckung der dort genannten Restfreiheitsstrafen zu widerrufen, wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

I.

1

Die zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg, da die Voraussetzungen für den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung derzeit nicht vorliegen.

1.

2

Der Widerruf kann nicht auf den Abbruch der stationären Suchttherapie gestützt werden, da die entsprechende Weisung im Hinblick auf die zeitliche Dauer der Therapie nicht hinreichend bestimmt gefasst war.

3

Auflagen nach § 56b StGB und Weisungen nach § 56c Abs. 1 StGB müssen gemäß Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügen. Danach hat das Gericht und nicht erst der Bewährungshelfer (oder gar Dritte) die Vorgaben so bestimmt zu formulieren, dass Verstöße einwandfrei festgestellt werden können und der Verurteilte unmissverständlich weiß, wann er einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erwarten hat. Das Bestimmtheitsgebot kann allerdings nicht bedeuten, dass die Weisung bis ins Letzte präzisiert sein muss. Da dem Bewährungshelfer nach § 56d Abs. 3 Satz 2 StGB die Aufgabe zukommt, die Erfüllung der Weisungen zu überwachen, kann es sinnvoll sein, von ihm gewisse Einzelheiten der Mitwirkung des Verurteilten an Kontrollmaßnahmen festlegen zu lassen. Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen. Danach können gewisse Konkretisierungen der Verhaltensmaßgaben eines Bewährungsbeschlusses dem Bewährungshelfer überlassen werden, soweit eine Konkretisierung unmittelbar durch gerichtlichen Bewährungsbeschluss - beispielsweise im Hinblick auf organisatorische oder durch Interessen des Verurteilten bedingte Flexibilitätserfordernisse - nicht sinnvoll praktikabel ist. Dies kann auch Festlegungen zur Bestimmung der Zeitpunkte betreffen, zu denen bestimmte Leistungen zu erbringen sind, ohne dass darin eine Übertragung des gesetzlich dem Gericht vorbehaltenen Weisungsrechts zu sehen wäre. Dies ändert aber nichts daran, dass ein Bewährungswiderruf nur in Betracht kommt, wenn dem Verurteilten zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, was genau von ihm erwartet wird und wann er einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB zu erwarten hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.09.2011 - 2 BvR 1165/11, Abs. Nr. 18, BeckRS 2011, 55537).

4

Die mit Beschluss vom 19.05.2011 unter Ziffer 4. a) getroffene Weisung genügt diesen Anforderungen nicht. Dort wurde dem Verurteilten aufgegeben, an einer stationären Suchttherapie teilzunehmen, solange dies von Seiten der behandelnden Therapeuten für erforderlich gehalten wird. Die Weisung, sich einer stationären Heilbehandlung zu unterziehen, ist mit Einwilligung des Verurteilten, welche hier zum Zeitpunkt der Anordnung vorlag, nach § 56c Abs. 3 StGB grundsätzlich zulässig. Aus den oben genannten grundsätzlichen Erwägungen zum Bestimmtheitsgrundsatz und weil es es sich hier um eine Weisung handelt, die besonders schwerwiegend in die Lebensführung des Verurteilten eingreift, sind an die Bestimmtheit der Fassung der Weisung hohe Anforderungen zu stellen. Der Richter hat möglichst präzise zu bestimmen, welche Art von Heilbehandlung durchgeführt werden soll, in welcher Einrichtung sie zu erfolgen hat und innerhalb welchen Zeitraums die Behandlung zu erfolgen hat (vgl. zu ambulanten Maßnahmen: OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 07.05.2003 - 3 Ws 528/03, NStZ-RR 2003, 199). Die Bestimmung des Zeitraums der Heilbehandlung kann keinesfalls den behandelnden Ärzten bzw. Therapeuten überlassen werden. Soweit eine Höchstdauer der Behandlung zum Zeitpunkt der Anordnung der Weisung noch nicht bestimmt werden kann, ist unter Angabe des klar zu bestimmenden Behandlungsziels die Weisung zunächst auf unbestimmte Zeit auszusprechen und ein Prüfungstermin festzulegen, an welchem der Richter nach § 56e StGB über den Fortbestand der Weisung zu entscheiden hat.

2.

5

Der Abbruch der stationären Suchttherapie wäre auch bei hinreichend bestimmter Fassung der Weisung kein hinreichender Anlass zum Widerruf der Strafaussetzung.

6

Die Einwilligung, sich einer stationären Behandlung zu unterziehen, kann durch den Verurteilten jederzeit zurückgenommen werden. Dies macht die Anordnung der entsprechenden Weisung zwar nicht unrechtmäßig. Macht der Verurteilte jedoch von der ihm zustehenden Willensentschließung Gebrauch, nimmt er also die Einwilligung zurück und verlässt er das Heim oder die Anstalt, so kann ihm dies nicht ohne weiteres als gröblicher oder beharrlicher Verstoß gegen die ihm erteilte Weisung zur Last gelegt werden mit der Folge, dass die Strafaussetzung gem. § 56f I Nr. 2 StGB zu widerrufen wäre (BGH, Beschl. v. 01.02.1989 - 4 BJs 45/88 - StB 48/88, NJW 1989, 1556; Fischer 58. Aufl. StGB § 56c Rn. 11). Außerdem rechtfertigen Weisungsverstöße auch nur dann den Widerruf der Strafaussetzung, wenn sich aus ihnen die Befürchtung ableiten lässt, der Verurteilte werde künftig neue Straftaten begehen.

7

Ausreichende Anhaltspunkte für einen aktuellen Drogenmissbrauch des Verurteilten und eine dadurch erhöhte Gefahr der Begehung neuer Straftaten liegen nicht vor. Der Verurteilte ist bereit, an einer ambulanten Suchtbehandlung teilzunehmen und regelmäßige Drogen- und Alkoholtests durchführen zu lassen. Da bei dem Verurteilen bisher kein Zustand der Suchtmittelabhängigkeit festgestellt werden konnte, welcher allein durch eine stationäre Therapie behandelt werden könnte, kann durch alternative Weisungen im ausreichenden Maß präventiv auf den Verurteilten eingewirkt werden.

3.

8

Ob weitere Weisungen nach § 56e StGB nachträglich angeordnet werden sollen, hat die Strafvollstreckungskammer im pflichtgemäßen Ermessen zu prüfen. Eine Sachentscheidungsbefugnis des Senats nach § 309 Abs. 2 StPO wäre hier nur gegeben, wenn ein Fall des § 57 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 56f Abs. 2 StGB vorliegen würde, weitere Auflagen und/oder Weisungen also an der Stelle des Widerrufs als mildere Maßnahmen anzuordnen wären.

II.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO. Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar (§ 310 Abs. 2 StPO).

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.