Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken Urteil, 27. März 2012 - 4 U 151/11; 4 U 151/11 - 48

bei uns veröffentlicht am27.03.2012

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 17.3.2011 – Aktenzeichen 4 O 436/10 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages Sicherheit leistet.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 30.192,51 EUR festgesetzt.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt der Kläger die beklagte Stadt unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Schadensersatz aus einem Unfall in Anspruch, der sich am 16.2.2010 in der Innenstadt von N. im Bereich des Verkehrskreisels K.-S.-Str./ M.str./ R.str. ereignete.

Der Kläger befuhr gegen 10:00 Uhr mit seinem Motorroller die S.str. aus W. kommend in Richtung Innenstadt. Hierbei geriet der Kläger auf der winterglatten Fahrbahn etwa in dem vor dem Kreisverkehr liegenden Kurvenbereich in Höhe des Parkhauses des Arbeitsamtsgebäudes zu Fall. Bei dem fraglichen Straßenbereich handelt es sich um eine Straße von besonderer Verkehrsbedeutung.

Der Kläger hat behauptet, Ursache des Unfalls sei allein die Winterglätte gewesen. Er habe zum Unfallzeitpunkt eine Geschwindigkeit von circa 30 km/h eingehalten und auch keine besonderen Fahrmanöver vorgenommen. Er hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte ihre Räum- und Streupflicht verletzt habe. Die von der Beklagten vorgelegten Kontroll- und Streuberichte belegten nicht, dass der fragliche Bereich am Unfalltag auf Glätte kontrolliert und abgestreut worden sei, obwohl – dies ist unstreitig – das vorgelegte Wetterbuchblatt Temperaturen um den Gefrierpunkt ausgewiesen habe.

Hinsichtlich der Unfallfolgen hat der Kläger vorgetragen, dass er eine Tibiaimpressionsfraktur erlitten habe, die im S. Krankenhaus N. im Rahmen eines stationären Aufenthaltes vom 16. bis 26.2.2010 versorgt worden sei. Danach sei er bis zum 6.4.2010 ambulant ärztlich und physiotherapeutisch behandelt worden, bevor er sich vom 6.4. bis 11.5.2010 einer Reha-Maßnahme in W.2. unterzogen habe. Aus dieser Maßnahme sei er weiterhin arbeitsunfähig entlassen worden und danach erneut ambulant ärztlich und physiotherapeutisch behandelt worden. Infolge der Verletzungen habe er seine Tätigkeit als Industriemechaniker/Betriebstechnik nicht mehr ausüben können und mittlerweile auch den Arbeitsplatz verloren. Er könne nur noch leichtere Tätigkeiten erledigen und müsse mit dem vorzeitigen Eintritt einer Arthrose rechnen.

Zum Ausgleich der erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigungen hat der Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 17.000 EUR für angemessen erachtet und darauf verwiesen, dass er wegen der Möglichkeit einer vorzeitigen Arthrose und der verbleibenden unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit mit dem Eintritt weiterer Schäden rechnen müsse.

Mit dem Klageantrag zu 2) hat der Kläger zunächst einen Verdienstausfall in einer Gesamthöhe von 2.016,44 EUR sowie weitere materielle Schäden geltend gemacht (S. 10 der Klageschrift), die die Beklagte in Höhe von 774,34 EUR, 121,73 EUR und 280 EUR unstreitig gestellt hat.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.12.2010 zu zahlen;
2. die Beklagte weiterhin zu verurteilen, an den Kläger 3.192,51 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.12.2010 zu zahlen;
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 16.2.2010 in der Innenstadt von N., Verkehrsinsel K.-S.-Str./ M.str./ R.str. zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen;
4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger als Nebenforderung einen Betrag in Höhe von 1.023,16 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.12.2010 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat den Unfallhergang mit Nichtwissen bestritten. Auch die geltend gemachte Schadenshöhe hat die Beklagte mit Nichtwissen bestritten, soweit sich der Schaden nicht aus den vorgelegten ärztlichen Attesten ergebe (Bl. 20 d.A.). Sie hat behauptet, dass es sich bei dem fraglichen Straßenbereich zwar um eine verkehrswichtige, nicht aber um eine gefährliche Strecke handele. Die Glätte sei am Unfalltag allenfalls punktuell aufgetreten. Die S.str. sei zuletzt am 16.2.2010 geräumt und gestreut worden. Danach seien die Straßen im Kontrollgebiet trocken gewesen. Die polizeiliche Unfallaufnahme belege, dass der Unfallbereich in einem Übergang von einem sonnenbeschienenen in einen schattigen Bereich gelegen habe und dass die Straße in den sonnenbeschienenen Bereichen trocken gewesen sei. Der Kläger müsse auf Grund nicht angepasster Geschwindigkeit zu Fall gekommen sein.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung wird auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Mit seiner hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

Der Kläger erneuert seine Rechtauffassung, wonach die Beklagte ihrer Streupflicht nicht in der gebotenen Weise nachgekommen sei. So sei insbesondere nicht nachgewiesen, ob der fragliche Straßenbereich bereits vor 10:00 Uhr abgestreut worden sei. Der Zeuge E. habe keine genauen Angaben darüber machen können, wann die Streumaßnahmen durchgeführt worden seien. Er habe in seiner Zeugenaussage angegeben, dass in einem Zeitraum von 7:15 Uhr bis 13:30 Uhr Streumaßnahmen an Hand von Anweisungen auf einer Liste durchgeführt worden seien. Auch aus dem Streudienstbericht vom 16.2.2010 ergebe sich nicht, zu welcher Uhrzeit die Streumaßnahmen mit Granulat im Kreisel im Bereich des Arbeitsamtes durchgeführt worden seien. Weiterhin sei es nicht ausreichend gewesen, in der parallel verlaufenden W.str. Kontrollmaßnahmen durchzuführen. Mit Blick auf die Verkehrsbedeutung des Straßenbereichs in der Innenstadt habe eine gesteigerte Kontroll- und Streupflicht bestanden. Unter Zugrundelegung der Zeugenaussagen hätten Streumaßnahmen zum früheren Zeitpunkt durchgeführt werden müssen. Es bestehe die Vermutung, dass der Unfall bei der Durchführung früherer Streumaßnahmen hätte vermieden werden können.

Das Landgericht habe der Aussage der Zeugin S. ein zu geringes Gewicht beigemessen: Diese Zeugin habe angegeben, dass sie mit ihrem Fahrzeug beim Verlassen des Verkehrskreisels in Richtung S.str. Eisglätte festgestellt habe. Der Aussage der Zeugin S.2. sei nicht zu entnehmen, dass der Straßenbereich nicht winter- und eisglatt gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 17.3.2011 – 4 O 436/10 – nach Maßgabe der zuletzt gestellten erstinstanzlichen Anträge zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Nach Auffassung der Beklagten ist es bereits zweifelhaft, ob die S.str. lediglich wegen der bloßen Möglichkeit einer erhöhten Feuchtigkeitsbildung tatsächlich als eine gefährliche Straße einzustufen ist, bezüglich derer innerorts eine Räum- und Streupflicht besteht. In jedem Fall sei die Beklagte ihrer Kontroll- und Streupflicht nachgekommen:

Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Straßen am Morgen des 16.2.2010 sowohl gegen 3:30 Uhr als auch gegen 6:00 Uhr kontrolliert worden seien. Obwohl die Straßen selbst trocken gewesen seien und die Beklagte demzufolge nicht zum Streuen verpflichtet gewesen sei, seien dennoch Streumaßnahmen durchgeführt worden. Der Zeuge Sch. habe überzeugend ausgeführt, dass die vorgenommenen Messungen in der zur S.str. parallel verlaufenden W.str. denen in der S.str. vergleichbar gewesen seien. Ebenso habe die Beweisaufnahme ergeben, dass die Beklagte mit allen ihr zur Verfügung stehenden sieben Streufahrzeugen im Einsatz gewesen sei. Mithin habe die Beklagte im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles unternommen, um eventuell auftretende Glätte zu verhindern.

Das Landgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei der Glätte im Unfallbereich um plötzlich aufgetretene Glätte gehandelt habe. Dafür sprächen nicht nur die durch den Zeugen Sch. vorgenommenen Messungen, sondern auch die Aussagen des Klägers selbst und der Zeugin S.2., die bei ihrer Hinfahrt keine Nässe oder Glätte an der späteren Unfallstelle ausgemacht hätten. Bei plötzlich auftretender Glätte könne ein Verkehrsteilnehmer jedoch nicht erwarten, dass diese sofort durch Streumaßnahmen behoben werde. Auch an gefährlichen Stellen sei ein vorbeugendes Streuen nur bei konkreter Glatteisgefahr notwendig.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 24.5.2011 (Bl. 116 ff. d.A.), auf den Inhalt der Berufungserwiderung vom 20.6.2011 (Bl. 125 ff. d.A.) sowie auf den Schriftsatz der Klägervertreterin vom 12.3.2012 (Bl. 134 f.) verwiesen. Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll vom 13.3.2012 (Bl. 136 ff. d.A.) Bezug genommen.

II.

A. Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg, da die angefochtene Entscheidung weder auf einem Rechtsfehler beruht, noch die gemäß § 529 ZPO zu Grunde zu legenden Tatsachen eine für den Kläger günstigere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO). Die Klage unterliegt bereits deshalb der Abweisung, weil die örtlichen und zeitlichen Voraussetzungen der Räum- und Streupflicht zum Unfallzeitpunkt nicht nachgewiesen sind. Mithin ist eine schadenskausale Verletzung der der Klägerin gem. § 9 Abs. 3a SaarlStrG als Amtspflicht obliegenden Verkehrssicherungspflicht i.S. des § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG nicht bewiesen.

1. Die Verkehrssicherungspflicht beinhaltet gem. § 53 Abs. 1 Satz 3 SaarlStrG auch den Winterdienst. Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht richten sich nach den Umständen des Einzelfalles. Innerhalb geschlossener Ortschaften ist seit langem allgemein anerkannt, dass die Fahrbahn der Straßen an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen bei Glätte zu bestreuen ist (BGHZ 112, 72, 76; vgl. BGHZ 31, 73, 75; 40, 379, 380 f.; Geigel/Wellner, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 14 Rdnr. 148; Ketterer/Giehl/Leonhardt, Streupflicht, 3. Aufl., S. 21 ff.; Palandt/Sprau, BGB, 71. Aufl., § 823 Rdnr. 226; Schmid NJW 1988, 3177, 3179). Die Kriterien der Verkehrsbedeutung und der Gefährlichkeit beschreiben die räumlichen Grenzen der Verkehrssicherungspflicht.

a) Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die Unfallstelle eine vielbefahrene, verkehrswichtige Straßenstelle im vorgenannten Sinne war. Soweit das Landgericht die Straßenstelle als gefährlich eingestuft hat, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen:

aa) Als gefährlich sind die Straßenstellen einzustufen, an denen Kraftfahrer erfahrungsgemäß bremsen, ausweichen oder sonst ihre Fahrtrichtung oder Geschwindigkeit ändern, weil gerade diese Fahrmanöver bei Schnee- und Eisglätte zum Schleudern oder Rutschen und damit zu Unfällen führen können (BGHZ 112, 84; vgl. BGHZ 31, 75; 40, 379, 380 f.; Urt. v. 3.5.1984 – III ZR 34/83, VersR 1984, 890, 891). Idealtypisch gelten innerhalb geschlossener Ortschaften scharfe oder unübersichtliche Kurven, auffallende Verengungen, Gefällstrecken, Straßenkreuzungen und Straßeneinmündungen als gefährlich (BGHZ 31, 75 f.; MünchKomm(BGB)/Wagner, 5. Aufl., § 823 Rdnr. 450; Hager, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 823 E 134). Die Einzelfallbetrachtung erlaubt die generalisierende Aussage, dass nur solche Stellen im vorgenannten Sinne als gefährlich einzustufen sind, die die Möglichkeit eines Unfalls selbst dann befürchten lassen, wenn der Verkehrsteilnehmer die den spezifischen winterlichen Straßenverhältnissen angepasste gesteigerte Sorgfalt beachtet (vgl. BGHZ 31, 75 f.; Wellner, aaO, Rdnr. 151; OLG Stuttgart VersR 1972, 55; OLG Koblenz VersR 1983, 568).

bb) Nach diesen rechtlichen Vorgaben war der fragliche Straßenbereich nicht als gefährlich einzustufen: Die Straße verläuft eben. Wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, ist sie auch gut einsehbar und ausgebaut. Der Straßenbereich befindet sich in einem respektablen Abstand zum anschließenden Kreisverkehr, so dass sich der Verkehr an der Unfallörtlichkeit nicht vor die Notwendigkeit gestellt sieht, die Fahrtrichtung plötzlich zu verändern oder stark abzubremsen.

cc) Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist der fragliche Straßenbereich nicht deshalb als gefährlich einzustufen, weil die S.str. unmittelbar entlang der Blies verläuft und überdies von einem sonnenbeschienenen in einen schattigen Bereich übergeht, was das Entstehen von Glätte begünstigt.

aaa) Zwar können Straßen an Wasserläufen und Abhängen grundsätzlich Gefahrenstellen darstellen (so etwa BGHZ 31, 76; Hager, aaO, Rdnr. 134). Jedoch ist diese Rechtsaussage nicht so zu verstehen, dass allein wegen der abstrakt in Betracht kommenden Gefahr einer winterlichen Glatteisbildung auf Straßen im Bereich von Wasserläufen – Ähnliches gilt für die Neigung zur Glatteisbildung auf Brücken – ausnahmslos alle Straßen in der Nähe von Wasserläufen allein wegen ihrer exponierten Lage einer generellen Streupflicht unterliegen. Ein solches Rechtsverständnis würde die Grenze der zumutbaren Verkehrssicherung überschreiten: Da an den bezeichneten Örtlichkeiten die Gefahr einer Glättebildung bei Temperaturen im Bereich des Gefrierpunktes selbst bei klarem Wetter kaum je ausgeschlossen werden kann, wäre der Verkehrssicherungspflichtige zur Vermeidung haftungsrechtlicher Risiken gehalten, die fraglichen Straßenbereiche in den Wintermonaten nahezu lückenlos abzustreuen. Der Verkehrssicherungspflichtige müsste insbesondere auch zu Zeiten tätig werden, zu denen der allgemeine Straßenzustand noch keine Streumaßnahmen erfordert. Diese ausufernde Verkehrssicherungspflicht erscheint nicht sachgerecht. Vielmehr ist auch an solchen Straßen, die aufgrund ihrer Lage ein abstraktes Risiko bergen, eine Beurteilung der konkreten Gefahrenlage nicht entbehrlich. Nur dann, wenn der durchschnittliche Verkehrsteilnehmer diese aus der besonderen Lage resultierenden winterlichen Risiken trotz Beachtung der im Winter zu fordernden gesteigerten Sorgfalt nicht erkennen und nicht beherrschen kann, liegen die Voraussetzungen für eine Streupflicht vor (OLGR Zweibrücken 2001, 99):

bbb) Die spezifischen winterlichen Gefahren von Straßen, die im Bereich von Flüssen verlaufen, sind hinlänglich bekannt. Bereits in den Fragen zur Führerscheinprüfung wird der künftige Fahrzeugführer vor Glatteisbildung im Bereich von Brücken und Wasserläufen gewarnt. Mithin ist ein mit der gebotenen Sorgfalt fahrender Verkehrsteilnehmer gehalten, diese Straßenbereiche bei winterlichen Witterungsverhältnissen mit einer gesteigerten Achtsamkeit zu befahren. Dies gilt erst recht für einen Zweiradfahrer, der nicht nur den allgemeinen winterlichen Risiken, sondern auch der besonderen Instabilität seines einspurigen Fahrzeugs Rechnung tragen muss. Diesen Anforderungen wird ein Zweiradfahrer nur gerecht, wenn er dem Zustand der Straße besondere Aufmerksamkeit schenkt und er seine Geschwindigkeit insbesondere vor Richtungswechseln deutlich herabsetzt, um ein Ausbrechen des Kraftrades zu vermeiden. Bei Beachtung dieser gebotenen Sorgfalt waren die aus der Lage der Straße resultierenden Gefahren für einen sorgsamen Verkehrsteilnehmer in der Verkehrssituation des Klägers zum Unfallzeitpunkt beherrschbar:

ccc) Die Straße verläuft im Wesentlichen gerade und eben. Sie ist hinreichend breit und übersichtlich. Der Unfall ereignete sich nach der Darstellung des Klägers nicht in der auf Bl. 48 d. A. abgebildeten Kurve, sondern „im Übergang in den Kurvenbereich“ (Bl. 3, 60). Darüber hinaus wird ein Verkehrsteilnehmer nicht unvorhergesehen und plötzlich mit der besonderen Gefahrenlage des nahen Flusslaufs konfrontiert: Die Straße verläuft aus der Fahrtrichtung des Klägers, der unterwegs war, um seinen Roller bei der Firma A. abzuholen, kilometerweit mehr oder weniger parallel zur Blies. Mithin hatte ein Verkehrsteilnehmer in der Fahrsituation des Klägers hinreichende Veranlassung, sich auf die spezifischen winterlichen Gefahren auf Straßen, die an Flussläufen entlang verlaufen, einzustellen. Hinzu kommt, dass der glatte Straßenbereich durchaus erkennbar war: Der Zeuge K. hat ausgesagt, dass man auf der Fahrbahn einen weißen Schimmer habe erkennen können (Bl. 62 d.A.). Nach der Aussage des Zeugen M. B. waren die Straßenverhältnisse bei angepasster Fahrweise beherrschbar (Bl.64 d.A.). Dies erlaubt den zusammenfassenden Schluss, dass der Sturz bei sorgfältiger Beobachtung der Straße und vorsichtigem Heranfahren an die Kreuzung vermieden worden wäre.

ddd) Dieser Einschätzung steht die Faktizität des Unfallgeschehens nicht entgegen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger diesen gesteigerten Sorgfaltsanforderungen Rechnung getragen hätte: Der Kläger hat in seiner persönlichen Anhörung ausgesagt, er sei zum Unfallzeitpunkt etwa mit 35 km/h gefahren. Mithin hat er die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit seines Rollers (45 km/h) trotz der winterlichen Verhältnisse nahezu ausgeschöpft. Dies deckt sich mit der Aussage des Zeugen M.2. B., wonach dieser mit ca. 50 km/h hinter dem Roller hergefahren sei, ohne dass sich der Abstand zum Kläger wesentlich verringert habe (Bl. 63). Sodann hat der Kläger ausgesagt, er habe sein Fahrzeug kurz vor dem Kreisverkehr abbremsen wollen und sei hierbei gestürzt. Auch dieser Aussage ist nicht zu entnehmen, dass der Kläger bei seiner Fahrweise den winterlichen Witterungsverhältnissen und der besonderen Lage der Straße in der gebotenen Weise Rechnung getragen hätte. Vielmehr will dem Kläger – anders als den Zeugen B. – am fraglichen Tag weder die Nässe noch die Glätte aufgefallen sein (Bl. 60).

2. Weiterhin unterliegt die Räum- und Streupflicht selbst auf nachgewiesen verkehrswichtigen und gefährlichen Straßenbereichen zeitlichen Grenzen:

a) Die Streu- und Räumpflicht besteht erst dann, wenn eine allgemeine Glättebildung eingesetzt hat. Das Vorliegen vereinzelter Glättestellen reicht demgegenüber nicht aus, um die verkehrsicherungspflichtigen Körperschaften zu einem flächendeckenden Abstreuen des mitunter ausgedehnten Straßennetzes zu verpflichten (BGH, Beschl. v. 26.2.2009 – III ZR 225/08, NJW 2009, 3302; vgl. Beschl. v. 21.1.1982 – III ZR 80/81, VersR 1982,299; Brandenburgisches Oberlandesgericht, ZVR 2005, 40; OLGR Karlsruhe 2009, 57; OLGR Zweibrücken 2001, 99). Auch hier wird die Verkehrssicherungspflicht durch Zumutbarkeitserwägungen beschränkt: Da sich vereinzelte Glättebildung im Winter mehr oder weniger regelmäßig einstellt, müsste der Verkehrssicherungspflichtige in recht breitem Umfang vorbeugende Maßnahmen ergreifen, um einer Haftung zu entgehen. Dies überstiege einen zumutbaren Aufwand (OLGR Hamm 1995, 268).

b) Den Beweis für eine allgemeine Glättebildung zum Unfallzeitpunkt hat der hierfür darlegungs- und beweispflichtige Kläger nicht geführt.

aa) Die Witterungsverhältnisse waren am Unfalltag trocken. Reifglätte herrschte nur an solchen Stellen, die im Schatten lagen. Ob die Reifglätte an den beschatteten Flächen so stark ausgeprägt war, dass die eisglatten Flächen bei wertender Betrachtung eine Gefahrensituation darstellten, die einer allgemeinen Glätte entsprach, ist nicht bewiesen: Immerhin will der Kläger und auch die Zeugin S.2. auf der Hinfahrt zur Firma A. keine Glätte bemerkt haben. Zwar haben die den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten ausgesagt, die „Winterglätte“ habe den gesamten Stadtbereich betroffen, soweit dieser nicht von der Sonne beschienen worden sei. Dieser Aussage lässt sich jedoch nicht entnehmen, ob gerade der verkehrswesentliche und gefährliche Innenstadtbereich – nur dieser unterlag der Streupflicht – in einem so starken Umfang von Glatteisbildung betroffen war, dass eine allgemeine Glätte anzunehmen war. Dagegen spricht zumindest, dass der eisglatte Straßenbereich nach den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen K. und H. (Bl. 62 d.A.) auf eine Strecke von 20 – 30 m begrenzt war. Hierbei erlaubt der Umstand, dass die Beklagte tatsächlich ab 7.15 Uhr Streumaßnahmen durchführte, keinen sicheren Rückschluss: Die tatsächliche Übung muss sich mit dem Umfang der Verkehrssicherungspflicht nicht decken (vgl. Hager, aaO, Rdnr. 135): Der Verkehrssicherungspflichtige ist nicht daran gehindert, überobligationsmäßigen Winterdienst zu betreiben. Diese Motivation lag offensichtlich einem wesentlichen Teil der am Unfalltag durchgeführten Streumaßnahmen zugrunde: Nach Aussage des Zeugen Sch. (Bl. 65 f. d.A.) habe ein Hauptaugenmerk auf den Nebenstraßen gelegen, die bereits wegen der fehlenden Verkehrsbedeutung regelmäßig nicht obligatorisch abzustreuen waren.

bb) Erst recht ist nicht bewiesen, dass sich die allgemeine Glätte bereits um 3.30 Uhr eingestellt hätte, als der Zeuge Sch. auf Kontrollfahrt unterwegs war. Der Zeuge Sch. hat ausgesagt, er habe um 3.30 Uhr eine Kontrollfahrt durchgeführt und hierbei trockene Straßen vorgefunden. Diese Aussage ist nicht widerlegt. Es kann dahinstehen, ob der Zeuge auch gehalten gewesen wäre, durch die S.str. zu fahren. Selbst wenn der Zeuge bei einer solchen Fahrt in der S.str. vereinzelte Glättestellen vorgefunden hätte, hätte eine solche Situation nicht einer allgemeinen Straßenglätte entsprochen.

3. Unterliegt die Klage demnach bereits deshalb der Abweisung, weil die räumlichen und zeitlichen Voraussetzungen der Streupflicht nicht bewiesen sind, kann unentschieden bleiben, ob die Beklagte ihre Räumpflicht erfüllte, wenn sie – unterstellt - ab 7.15 Uhr verpflichtet gewesen wäre, die verkehrswichtigen und gefährlichen Straßenbereiche abzustreuen. Indessen erschiene der Nachweis der Erfüllung auf dieser rechtlichen Prämisse nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme zweifelhaft:

a) Naturgemäß ist der Verkehrssicherungspflichtige nicht dazu imstande, alle betroffenen Straßen gleichzeitig abzustreuen. Er genügt seiner Streupflicht bereits dann, wenn er sich beim Winterdienst an einem Straßenschema orientiert, welches Art und Wichtigkeit der Verkehrswege ebenso berücksichtigt wie die Gefährlichkeit der Straßen und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs (vgl. BGH, Urt. v. 9.10.2003 – III ZR 8/03, NJW 2003, 3622, 3623).

b) Ob die Beklagte diesen Anforderungen gerecht wurde, erscheint ungewiss: Zwar hat sich der Winterdienst nach der Aussage des Zeugen Sch. an dem sog. Glätteplan orientiert; unter Einsatz von 7 Streufahrzeugen seien zunächst die Hauptstraßen, die in die Stadt hineinführten, abgestreut worden. Erst danach seien die Nebenstraßen befahren worden. Allerdings steht diese Aussage in Widerspruch zur Aussage des Zeugen E.. Dieser Zeuge hat ausgesagt, dass der Streuvorgang am fraglichen Tag nach Ansage erfolgt sei. Dies bedeute, dass die Fahrer der Einsatzfahrzeuge nicht nach der Liste vorgegangen seien, sondern die im Einzelnen vorgegebenen Straßen abgestreut hätten. Diese Aussage deckt sich mit dem auf Blatt 27 d.A. vorgelegten Streudienstbericht, der den fraglichen Straßenbereich nicht an prioritärer Stelle erwähnt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme spricht vieles dafür, dass die S.str. im Bereich der späteren Unfallstelle zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht abgestreut war. Dieses Unterlassen ist kaum verständlich, wenn bereits um 7:15 Uhr damit begonnen worden wäre, den Prioritätsbereich I abzufahren, zu dem die Unfallstelle unstreitig gehört.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
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(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.

(1) Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546) beruht oder nach § 529 zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

(2) Die Berufung kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.

(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.

(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.

(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZR 225/08
vom
26. Februar 2009
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Februar 2009 durch den
Vorsitzenden Richter Schlick, den Richter Wöstmann, die Richterin HarsdorfGebhardt
sowie die Richter Hucke und Seiters

beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 27. August 2008 - 1 U 24/08 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Beschwerdewert: 23.000 €

Gründe:


1
Voraussetzungen Die für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Die Rechtssache erfordert keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) unter dem Gesichtspunkt abweichender obergerichtlicher Rechtsprechung oder behaupteter Verletzungen der Grundrechte der Klägerin (Art. 103 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1 GG).
2
1. Die im Hinblick auf das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 11. Mai 2005 (NZV 2005, 638) behauptete Divergenz besteht nicht. Die in der Beschwerde insoweit angesprochenen Ausführungen des Berufungsgerichts zum Anscheinsbeweis stehen im Übrigen im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats.
3
Eine zulassungsrelevante Divergenz ist dann gegeben, wenn in der angefochtenen Entscheidung ein abstrakter Rechtssatz aufgestellt wird, der von einem in anderen Entscheidungen eines höheren oder eines gleich geordneten Gerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz abweicht (BGHZ 152, 182, 186 m.w.N.).
4
Das Berufungsgericht ist - unter Bezugnahme auf den Beschluss des Senats vom 21. Januar 1982 (III ZR 80/81, VersR 1982, 299; siehe auch OLG Karlsruhe VersR 1976, 346; OLG Hamm OLGR 1995, 268, 269; Thüringisches OLG ZfS 2001, 11, 12; OLG Zweibrücken OLGR 2001, 99; OLG Brandenburg LKV 2005, 40) - davon ausgegangen, dass eine Streu- und Räumpflicht eine allgemeine Glättebildung und nicht nur das Vorhandensein vereinzelter Glättestellen voraussetzt. Für das Vorliegen einer allgemeinen Glätte, insoweit könne sich die Klägerin nicht auf einen Anscheinsbeweis stützen, und für die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht trage die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast.
5
Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats, wonach der Geschädigte die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen trägt, aus denen nach den Grundsätzen für die Verkehrssicherungspflicht eine Streupflicht erwächst (Beschluss vom 19. Dezember 1991 - III ZR 2/91 - BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 1 Streupflicht 7; siehe auch BGH, Urteil vom 27. November 1984 - VI ZR 49/83 - NJW 1985, 484, 485; Beschluss vom 7. Juni 2005 - VI ZR 219/04 - NJW-RR 2005, 1185). Zwar sind bei Glatteisunfällen die Regeln über den Anscheinsbeweis anwendbar, wenn der Verletzte innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht zu Fall gekommen ist. Dann spricht - ähnlich wie bei einem Verstoß gegen konkret gefasste Unfallverhütungsvorschriften - nach dem ersten Anschein eine Vermutung dafür, dass es bei Beachtung der Vorschriften über die Streupflicht nicht zu den Verletzungen gekommen wäre, dass sich also in dem Unfall gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat, deren Eintritt die Schutzvorschriften verhindern wollten. Diese Beweiserleichterung kann mithin aber erst und nur Platz greifen, wenn zuvor festgestellt ist, dass das Unfallereignis in einem Zeitraum stattgefunden hat, während dessen die Unfallstelle gestreut gewesen sein musste. Für die Bestimmung dieses Rahmens ist indessen der Anspruchsteller beweispflichtig (Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1991 - III ZR 2/91 - aaO; BGH, Beschluss vom 7. Juni 2005 - VI ZR 219/04 - aaO).
6
Soweit das OLG Frankfurt in seiner in der Beschwerde angesprochenen Entscheidung ausgeführt hat, dass bei einem Sturz auf einem eisglatten Zebrastreifen vor einer Schule zur Zeit des Schulbeginns regelmäßig der Beweis des ersten Anscheins für eine unfallursächliche Streupflichtverletzung der Gemeinde spreche, betrifft dies nicht die im Mittelpunkt des Berufungsurteils stehende Frage, ob das hier streitgegenständliche Unfallereignis zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, während dessen die Unfallstelle gestreut werden musste (= zeitliche Grenzen der Streupflicht), sondern die nachfolgende Frage, ob dann, wenn ein Verletzter innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht zu Fall gekommen ist, ein Anscheinsbeweis für eine Streupflichtverletzung und deren Unfallursächlichkeit besteht.
7
2. Soweit die Zulassung einer Beschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist, wenn das Berufungsurteil auf einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten oder auf einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) beruht (BGHZ 154, 288, 296; 159, 135, 139 f), legt die Beschwerdeführerin entsprechende Zulassungsgründe nicht hinreichend dar. Von einer weiteren Begründung wird nach § 544 Abs. 4 Satz 2 ZPO abgesehen.
Schlick Wöstmann Harsdorf-Gebhardt
Hucke Seiters
Vorinstanzen:
LG Koblenz, Entscheidung vom 06.12.2007 - 1 O 324/07 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 27.08.2008 - 1 U 24/08 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 8/03
Verkündet am:
9. Oktober 2003
K i e f e r
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 839 Ca, Fe
Einem Radfahrer, der auf einem innerhalb der geschlossenen Ortschaft gelegenen
gemeinsamen Fuß- und Radweg (Zeichen 240 der StVO) infolge
Glatteises zu Fall kommt, können Amtshaftungsansprüche wegen Verletzung
der winterlichen Räum- und Streupflicht gegen die sicherungspflichtige Gemeinde
auch dann zustehen, wenn dieser Weg nur deshalb geräumt oder
gestreut werden muß, weil es sich auch und gerade um einen Gehweg handelt.
Dies gilt ungeachtet des Umstandes, daß sich Inhalt und Umfang der
Räum- und Streupflicht, sofern sich - wie hier - der Unfallort nicht an einer
verkehrswichtigen und gefährlichen Stelle befindet, nur nach den Belangen
der Fußgänger auszurichten hat.
BGH, Urteil vom 9. Oktober 2003 - III ZR 8/03 - OLG Oldenburg
LG Oldenburg
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Oktober 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die Richter
Streck, Schlick, Dr. Kapsa und Galke

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 6. Dezember 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand


Die bei der klagenden Partnerschaftsgesellschaft beschäftigte M. S. befuhr am Morgen des 17. Dezember 2001 gegen 8.00 Uhr mit ihrem Fahrrad den im Zentrum der beklagten Stadt liegenden Verbindungsweg zwischen der Place d'E. und dem R. -Platz. Beim Einbiegen in diesen im Eigentum der Beklagten stehenden Weg, der durch Zeichen 240 der Straßenverkehrsordnung als gemeinsamer Fuß- und Radweg gekennzeichnet ist,
kam M. S. infolge Glatteises zu Fall und zog sich dabei erhebliche Verletzungen zu.
Die Klägerin, die der Beklagten zum Vorwurf macht, die winterliche Räum- und Streupflicht verletzt zu haben, verlangt aus übergegangenem Recht Ersatz der M. S. geleisteten Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall. Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision strebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils an.

Entscheidungsgründe


Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Die Pflicht der öffentlichen Hand, Straßen und Wege bei Schnee und Eis zu räumen und zu bestreuen, kann sich sowohl aus der Pflicht zur polizeimäßigen Reinigung, die in Niedersachsen in § 52 des Straßengesetzes (NStrG) geregelt ist (vgl. Wendrich, NStrG, 4. Aufl., § 52 Rn. 1), als auch aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht ergeben. Zwischen diesen Pflichten braucht vorliegend nicht unterschieden zu werden, da sie, soweit es - wie hier - um die Sorge für die Sicherheit des Straßenverkehrs geht, deckungsgleich sind (vgl. Senatsurteile BGHZ 112, 74, 79 f; 118, 368, 369; vom 21. November 1996 - III ZR 28/96 - VersR 1997, 311, 312; Wendrich aaO § 52 Rn. 2) und in Niedersachsen nicht nur die Aufgabe der polizeimäßigen Reinigung, sondern auch
die der Verkehrssicherungspflicht gemäß § 10 Abs. 1 NStrG als Amtspflicht in Ausübung öffentlicher Gewalt ausgestaltet ist.
2. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats sind innerhalb geschlossener Ortschaften die Fahrbahnen der Straßen an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen bei Glätte zu bestreuen (Senatsurteile BGHZ 112, 74, 76 m.w.N.; vom 15. Januar 1998 - III ZR 124/97 - VersR 1998, 1373). Für Fußgänger müssen die Gehwege, soweit auf ihnen ein nicht unbedeutender Verkehr stattfindet, sowie die belebten, über die Fahrbahn führenden unentbehrlichen Fußgängerüberwege bestreut werden (Senatsbeschluß vom 20. Oktober 1994 - III ZR 60/94 - VersR 1995, 721, 722 m.w.N.).
Zur Frage, ob und inwieweit innerorts auch die als solche besonders gekennzeichneten und von der Fahrbahn getrennt geführten Radwege der Räum- und Streupflicht unterliegen, hat die höchstrichterliche Rechtsprechung, soweit ersichtlich, noch nicht Stellung genommen. Auch § 52 Abs. 1 NStrG, der die winterliche Räum- und Streupflicht in Anlehnung an die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze regelt, verhält sich hierzu nicht ausdrücklich.
Der Senat braucht diese Frage nicht abschließend zu beantworten. Jedenfalls sind diesbezüglich, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, keine höheren Anforderungen zu stellen als diejenigen, die für das Räumen und Streuen der Fahrbahnen gelten (ebenso OLG Celle, NJW-RR 2001, 596 f; OLG Hamm, NZV 1993, 394; Wichmann, Straßenreinigung und Winterdienst in der kommunalen Praxis, 3. Aufl., Rn. 97 ff; vgl. auch OLG Köln, NVwZ-RR 2000, 653).
Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht richten sich nach den Umständen des Einzelfalles. Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streupflicht besteht daher nicht uneingeschränkt. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auch auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt (BGHZ 112, 74, 75 f; Senatsbeschluß vom 20. Oktober 1994 aaO). Insoweit ist zu berücksichtigen, daß Personen, die in den Sommermonaten oder auch sonst bei angenehmen Witterungsbedingungen längere Strecken mit dem Fahrrad zurückzulegen pflegen, bei unwirtlichen Wetterverhältnissen verstärkt auf öffentliche Verkehrsmittel oder das eigene Kraftfahrzeug ausweichen. Personen wiederum, die nur kurze Strecken zu bewältigen haben, werden wegen der bei Schnee- und Eisglätte bestehenden besonderen Sturzgefahr, die sich auch bei ordnungsgemäßer Wahrnehmung der Räum- und Streupflicht durch den Sicherungspflichtigen nicht völlig ausschließen läßt, vielfach auf die Benutzung des Fahrrads verzichten und zu Fuß gehen. Unabhängig davon, daß das Radfahreraufkommen bei schlechtem Winterwetter ohnehin deutlich geringer ist, ist weiter zu bedenken, daß Radfahrer, sofern zwar nicht der Radweg, wohl aber die daneben oder in der Nähe verlaufende Fahrbahn geräumt oder gestreut ist, die Fahrbahn benutzen dürfen (Senatsbeschluß vom 20. Oktober 1994 aaO). Bei Würdigung dieser gesamten Umstände würde der Sicherungspflichtige über Gebühr in Anspruch genommen, wenn ihm eine umfassende Räum- und Streupflicht bezüglich aller Radwege, selbst wenn diese sich nur auf die in geschlossener Ortslage befindlichen beschränken würde, auferlegt würde (im Ergebnis ebenso Wendrich, aaO, § 52 Rn. 5).
3. Das Berufungsgericht hat im Anschluß an die vom Landgericht getroffenen Feststellungen angenommen, daß bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Räum- und Streupflicht der von der Angestellten der Klägerin benutzte Verbindungsweg zum Unfallzeitpunkt hätte bestreut sein müssen. Diese tatrichterliche Einschätzung, die sich die Revision zu eigen macht, wird von der Revisionserwiderung hingenommen.
Allerdings hat das Berufungsgericht die Räum- und Streupflicht nur deshalb bejaht, weil es sich bei dem Verbindungsweg - auch - um einen Gehweg handelt. Stellte man hingegen allein auf die Radweg-Eigenschaft ab, wäre demgegenüber - so das Berufungsgericht - eine Amtspflichtverletzung zu verneinen , weil der Verbindungsweg keine besonderen Gefahrenpunkte aufweise. Hiergegen wendet sich die Revision vergeblich.
Die Beurteilung, ob der Sicherungspflichtige die Räum- und Streupflicht verletzt hat, ist in erster Linie Sache des Tatrichters. Dessen auf die Umstände des Einzelfalles abgestellte Würdigung ist auch, soweit es darum geht, ob bestimmte Verkehrsflächen im haftungsrechtlichen Sinne verkehrswichtig und gefährlich sind, vom Revisionsgericht nur auf Rechtsfehler nachprüfbar (Senatsurteil vom 15. Januar 1998, aaO, S. 1374). Solche Rechtsfehler sind nicht ersichtlich. Soweit die Revision darzutun versucht, daß die Unfallstelle im Sinne der Rechtsprechung als verkehrswichtig und gefährlich einzustufen sei, will sie nur die Wertung des Tatrichters durch ihre eigene ersetzen. Das ist ihr verwehrt.
4. Das Berufungsgericht verneint trotz Verletzung der Räum- und Streupflicht durch die Beklagte einen Schadensersatzanspruch der Klägerin. Es ist
der Auffassung, der Schutzbereich der verletzten Amtspflicht erfasse nur Fuß- gänger, nicht aber (auch) Radfahrer, so daß die Arbeitnehmerin der Klägerin nicht Dritte im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB sei. Zur Begründung hat es ausgeführt: Zwar handele es sich bei dem von M. S. benutzten Verbindungsweg um einen kombinierten Fuß- und Radweg, so daß der gesamte Bereich des Weges von Fußgängern und Radfahrern genutzt werde. Gleichwohl wäre auch hier, nicht wesentlich anders als bei einem vom Gehweg abgetrennten Radweg, für die Gemeinde ein auch der besonderen Gefahrenlage für Radfahrer gerecht werdender Streudienst nicht zumutbar. Die Gemeinde genüge auch bei einem kombinierten Rad- und Gehweg ihrer Räum- und Streupflicht, wenn sie durch Bestreuen eine für Fußgänger benutzbare Fläche schaffe. Demzufolge könne sich ein Radfahrer nicht darauf verlassen, daß ein derartiger Weg so ausreichend bestreut ist, daß ein Befahren dieser Fläche mit dem Fahrrad jederzeit möglich sei.
Dem ist nicht zu folgen.

a) Radfahrer und Fußgänger müssen die für sie an Stelle der Fahrbahn bestimmten Sonderwege nutzen. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um getrennte oder - wie hier - um gemeinsame Fuß- und Radwege handelt. Insbesondere gilt im letzteren Falle das Benutzungsgebot für Radfahrer ungeachtet des Umstands, daß hier nach § 41 Abs. 2 Nr. 5 StVO Radfahrer auf Fußgänger Rücksicht nehmen müssen, sie also hinsichtlich der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht die gleichen günstigen Verkehrsverhältnisse vorfinden wie bei der Benutzung eines vom Gehweg räumlich abgetrennten Radwegs.
Da gemeinsame Fuß- und Radwege auch und gerade für die Benutzung von Fußgängern bestimmt sind, sind sie - nicht anders als getrennte Gehwege - innerhalb geschlossener Ortschaften bei Auftreten von Schnee- oder Eisglätte zu räumen oder zu bestreuen. Genügt der Sicherungspflichtige dieser Pflicht und ist aufgrund dessen die Benutzung dieses Wegs durch Fußgänger und Radfahrer möglich, so dürfen und müssen sie diesen Weg benutzen; ein Ausweichen auf die für den Kraftfahrzeugverkehr bestimmte Fahrbahn ist nicht gestattet.
Hält man sich dies vor Augen, so ist nicht einsichtig, warum hinsichtlich des schützenswerten Vertrauens, bei Einhaltung der Räum- und Streupflicht den Weg benutzen zu können, Fußgänger und Radfahrer völlig unterschiedlich behandelt werden sollen. Vielmehr legt die bei gemeinsamen Fuß- und Radwegen durch die Straßenverkehrsordnung bewußt vorgenommene Gleichbehandlung hinsichtlich der räumlich zur Verfügung stehenden Verkehrsfläche auch eine im Ansatz rechtliche Gleichbehandlung bei Verletzungen der Räumund Streupflicht nahe (so zutreffend Wichmann aaO Rn. 102; ebenso Wendrich , aaO, § 52 Rn. 5).
Radfahrer und Fußgänger dürfen sich somit gleichermaßen auf die Erfüllung der Räum- und Streupflicht durch den Sicherungspflichtigen verlassen, mag sie auch allein darauf gegründet sein, daß der für die gemeinsame Nutzung vorgesehene Weg auch und gerade ein Gehweg ist.

b) Ist - wie hier - ein gemeinsamer Fuß- und Radweg nur deshalb zu räumen oder zu bestreuen, weil es sich bei ihm (auch) um einen Gehweg handelt , so hat dies allerdings zur Folge, daß hinsichtlich der Bestimmung des In-
halts und Umfangs der Räum- und Streupflicht allein auf die Belange der Fußgänger abzustellen ist. Der Umstand, daß dieser Weg auch Radfahrern zur Benutzung offensteht und für sie, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bei Schnee- und Eisglätte eine erhöhte Sturzgefahr besteht, rechtfertigt es für sich genommen nicht, an die Räum- und Streupflicht bei gemeinsamen Fuß- und Radwegen, etwa hinsichtlich der Breite des zu räumenden oder zu streuenden Bereichs oder der Verwendung des Streuguts, höhere Anforderungen zu stellen. Denn andernfalls würde, wie das Berufungsgericht und die Revisionserwiderung zu Recht ausgeführt haben, doch wieder eine unzumutbare und unverhältnismäßige Beanspruchung des Sicherungspflichtigen drohen , die zu vermeiden der maßgebliche Grund dafür ist, eine umfassende Räum- und Streupflicht bei Radwegen nicht anzuerkennen.
Dies führt weiter dazu, daß einem Radfahrer, der bei Schnee- und Eisglätte einen gemeinsamen Fuß- und Radweg benutzen will, auch dann erhöhte Aufmerksamkeit und besonders vorsichtige Fahrweise abzuverlangen ist, wenn der Sicherungspflichtige seiner Räum- und Streupflicht Genüge getan hat.

c) Der vom Berufungsgericht herausgehobene Aspekt, daß der Vertrauensschutz des Radfahrers nicht so weit geht, bei unwirtlichen winterlichen Straßenverhältnissen einen gemeinsamen Fuß- und Radweg völlig gefahrlos befahren zu können, bietet jedoch keinen hinreichenden Anlaß, dem Radfahrer jeden Vertrauensschutz zu nehmen und ihm auch dann Amtshaftungsansprüche zu versagen, wenn er seine Fahrweise auf die zu erwartenden eingeschränkten Benutzungsmöglichkeiten eingestellt hat und nur deshalb gestürzt ist, weil der gemeinsame Fuß- und Radweg überhaupt nicht oder nur ungenügend geräumt oder bestreut war.

aa) Die Einschränkung, daß der Schutz des Vertrauens auf die Einhaltung der Räum- und Streupflicht nicht bedeutet, daß die Nutzer von Sonderwegen wie gemeinsamen Fuß- und Radwegen auch bei Schnee- und Eisglätte erwarten dürfen, diese Wege genauso sicher und gefahrlos benutzen zu können wie bei idealen Wetterbedingungen, gilt auch für Fußgänger. So ist es anerkanntermaßen nicht erforderlich, daß Gehwege in ihrer ganzen Breite geräumt oder bestreut werden müssen. Es genügt, wenn ein Streifen geräumt oder bestreut wird, der es zwei Fußgängern gestattet, vorsichtig aneinander vorbeizugehen; dabei dürfte eine Breite von 1 bis 1,20 m erforderlich sein (vgl. Wichmann, aaO, Rn. 74; die im Senatsurteil vom 18. Dezember 1970 - III ZR 216/67 - VersR 1971, 416, 417 genannte Breite von 0,80 m ist zu gering bemessen ). Ein an den Kriterien der Zumutbarkeit und der Leistungsfähigkeit ausgerichteter Winterdienst auf Gehwegen kann daher nicht das Ziel haben, jedwede Gefahr des Ausgleitens für Fußgänger völlig auszuschließen. Die Erwartung , bei winterlichen Witterungsverhältnissen ordnungsgemäß geräumte oder bestreute Wege vorzufinden, enthebt also auch den Fußgänger nicht der Verpflichtung, sorgfältiger als sonst seines Weges zu gehen.
bb) Diese Sichtweise entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Senats. So hat er durch Urteil vom 12. November 1964 (III ZR 200/63 - NJW 1965, 100 f) entschieden, daß die vor allem an den Belangen des Kraftfahrzeugverkehrs ausgerichtete Räum- und Streupflicht auf Fahrbahnen auch gegenüber Radfahrern gilt.
5. Das Berufungsurteil ist aufzuheben. Eine abschließende Entscheidung durch den Senat ist nicht möglich.

Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß die Beklagte ihre Räum- und Streupflicht verletzt hat und der Sturz der Angestellten der Klägerin auf das zur Unfallzeit am Ort des Geschehens vorhandene Glatteis zurückzuführen ist. Bei dieser Sachlage obliegt es der Beklagten, darzutun und gegebenenfalls zu beweisen, daß der Sturz der M. S. auch bei ordnungsgemäßem Streuen erfolgt wäre oder ihr ein Mitverschulden (§ 254 BGB) am Unfallgeschehen anzulasten ist.
Die Beklagte hat in den Tatsacheninstanzen vorgetragen, M. S. habe bei Aufbringen der gebotenen Sorgfalt rechtzeitig erkennen können und müssen, daß angesichts der Wetterbedingungen und des Zustands des Verbindungswegs ein gefahrloses Befahren nicht möglich sei; sie habe daher entweder vom Rad absteigen und zu Fuß weitergehen oder aber - unter Inkaufnahme eines kleinen Umwegs - die gestreute Fahrbahn benutzen müssen; hätte sie eine dieser Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, wäre der Sturz vermieden worden.
Das Landgericht hat dieses Vorbringen der Beklagten zurückgewiesen und unter Hinweis auf die "überraschend und tückisch" aufgetretene Glätte die volle Haftung der Beklagten bejaht. Das Berufungsgericht hat sich hiermit, von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig, nicht befaßt. Das ist nachzuholen.
Rinne Streck Schlick Kapsa Galke

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.