Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 03.02.2014, Az. 1 O 323/12, wird zurückgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Schwerin ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 40.701,65 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Kläger begehren als Erben aus eigenem und übergegangenem Recht Schadensersatz und Schmerzensgeld nach einem Straßenbahnunglück, bei dem ihr Angehöriger verstarb.

2

Die Klägerin war die Ehefrau des am 5. Juni 2009 verstorbenen Z., die Kläger zu 2) und 3) dessen Kinder. Die Beklagte war Betreiberin der Straßenbahnlinie 2 in S..

3

Der Verstorbene brach am 5. Juni 2009 eine wegen einer rezidivierenden depressiven Störung am 12. Mai 2009 begonnene freiwillige stationäre Heilbehandlung ab. Er verließ die Klinik für psychische Erkrankungen im H. Klinikum S. gegen Mittag und begab sich zur Straßenbahnhaltestelle „Stadthaus“ in der F.-M.-Straße in S.. Dort stand er gegen 13.15 Uhr an der Bahnsteigkante auf Höhe der Kupplung zwischen zwei Straßenbahnwagen der haltenden Bahn der Linie 2 und sah starr nach unten. Er fiel in der weiteren Folge nach vorn zwischen die beiden Wagen der anfahrenden Straßenbahn und wurde bis zur nächsten Haltestelle mitgeschleift. Die hinzukommenden Rettungskräfte stellten den Tod des Z. fest. Der Verstorbene litt unter einem Verarmungswahn, insbesondere der Angst, einen erfolgten Hauskauf finanziell nicht zu bewältigen. Die Ermittlungsbehörden gingen von einem Suizid des Verstorbenen aus.

4

Die Kläger wandten für die Beerdigung des Z. 3.759,00 € auf.

5

Die Kläger haben behauptet, dass der Verstorbene sich während des Geschehens an der Bahnsteigkante in einem die freie Willensbildung bzw. die Steuerungsfähigkeit ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden habe. Es läge deshalb keine bewusste Selbsttötung vor, die einen Haftungsausschluss nach § 1 Abs. 2 HaftPflG für die Beklagte begründen könnte. Mangels Schuldfähigkeit des Verstorbenen sei auch ein Mitverschulden nicht anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Sie behaupten, dass dem Straßenbahnfahrer, hätte er sich vor dem Abfahren vergewissert, dass niemand im Gefahrenbereich ist, der Verstorbene hätte auffallen müssen. Der Straßenbahnführer hätte die Straßenbahn dann nicht in Bewegung setzen dürfen. Es handele sich bei einem Suizid auch nicht um ein außergewöhnliches Ereignis, vielmehr seien diese eine der häufigsten Ursachen für Verspätungen im Zugverkehr.

6

Die Kläger sind der Auffassung, die Beklagte hafte als Betreiberin der Straßenbahn auf Ersatz der ihnen entstandenen Beerdigungskosten und aus übergegangenem Recht auf Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 15.000,00 € für die Qualen des Verstorbenen bis zum Eintritt seines Todes. Darüber hinaus behaupten die Kläger, ihnen entstehe durch den Tod ihres Vaters und Ehemanns monatlich ein Unterhaltsschaden in Höhe von 660,00 €. Diesbezüglich begehren die Kläger Feststellung der Ersatzpflicht. Sie haben außerdem vorgetragen, ihnen seien außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.530,58 € entstanden, die sie ebenfalls ersetzt verlangen.

7

Die Kläger haben beantragt,

8

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zur gesamten Hand ein angemessenes Schmerzensgeld in einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Höhe, das jedoch € 15.000,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.02.2010 nicht unterschreiten sollte, zu zahlen,

9

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zur gesamten Hand € 3.921,65 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.02.2010 zu zahlen,

10

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern jeglichen materiellen Schaden, der ihnen in Folge des Todes des Herrn Z am 05.06.2009 bereits entstanden ist und künftig entsteht, zu ersetzen, soweit dieser nicht Kraft Gesetzes auf Dritte, insbesondere Träger der Sozialversicherung, übergegangen ist, sowie

11

4. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger auf die ihnen entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung € 1.530,58 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

12

Die Beklagte hat beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Die Beklagte hat vorgetragen, sowohl das Entweichen aus der Klinik als auch die Entscheidung, sich umzubringen, seien bewusste und gewollte Entscheidungen des Verstorbenen gewesen. Sie meint, dieser Suizid sei ein von außen durch Handlung einer dritten Person herbeigeführtes Ereignis, welches unvorhersehbar gewesen sei und mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet werden konnte, weshalb die Voraussetzungen des Haftungsausschlusses nach § 1 Abs. 2 HaftPflG vorlägen.

15

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung.

16

Das Landgericht hat nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. N. (Bd. I, Bl. 181 ff. d.A., Bd. II, Bl. 206 ff. d.A.) die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass die Haftung der Beklagten gemäß § 1 Abs. 2 HaftPflG ausgeschlossen sei, weil der Tod des Verstorbenen durch höhere Gewalt verursacht sei. Im Ergebnis der Beweisaufnahme ging das Landgericht vom Vorliegen einer bewussten Selbstschädigung aus, die einem gewaltsamen elementaren Ereignis gleichzustellen sei. Zwar läge auf der Grundlage des nachvollziehbaren Sachverständigengutachtens, das sich das Landgericht zu eigen machte, ein sog. Raptus Melancholicus vor, der die Steuerungsfähigkeit ausschließe. Auf der Grundlage der medizinischen Einschätzung des Sachverständigen war das Landgericht aber auch davon überzeugt, dass eine bewusste, wenn auch krankheitsbedingte, Selbsttötung vorgelegen habe. Die Bewusstheit zeige sich in dem zielgerichteten Verhalten, u.a des zielgerichteten Aufsuchens eines Ortes, an dem der Verstorbene sich habe umbringen können, aber auch in dem Verlassen der Klinik mit der klaren Absicht, sich zu suizidieren. Der Raptus ändere nichts daran, dass es sich um einen gewollten Suizid des Verstorbenen gehandelt habe. Der Haftungsausschluss nach § 1 Abs. 2 HaftPflG hänge zudem nicht von einer Differenzierung zwischen bewusster Selbsttötung bei freier Willenssteuerung und bewusster Selbsttötung bei gestörter Willenssteuerung ab. Der wertende Begriff der höheren Gewalt wolle die Risiken ausschließen, die nicht mehr dem Betrieb der Bahn, sondern allein dem Drittereignis zugerechnet werden könnten. Bei einer Selbsttötung, geplant oder im Rahmen eines Raptus Melancholicus, werde die Straßenbahn nur als Mittel zum Zweck benutzt. Es habe sich im Suizid maßgeblich die Erkrankung des Verstorbenen ausgewirkt, die mit dem Bahnbetrieb nichts zu tun habe und diesem nicht zugerechnet werden könne. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

17

Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit der Berufung. Sie rügen das Unterlassen eines gebotenen richterlichen Hinweises. Das Gericht stütze seine Argumentation auf das Vorliegen einer „bewussten“ Selbstschädigung, die einem gewaltsamen elementaren Ereignis gleichzustellen sei. Dieser Gesichtspunkt sei jedoch weder von den Parteien noch vom Gericht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erörtert worden. Wäre der Hinweis erfolgt, dass es für die Entscheidung auf ein vom Raptus Melancholicus unabhängiges Bewusstsein ankomme, hätten die Kläger ein solches Bewusstsein bestritten und Sachverständigenbeweis angeboten.

18

Das Landgericht habe sich rechtsfehlerhaft nicht mit der Frage der Vermeidbarkeit des Suizides auseinandergesetzt. Beim Anfahren könne die Bahn noch unproblematisch angehalten werden, im Unterschied zu den Entscheidungen, in denen sich die Betroffenen vor fahrende Züge begaben. Die Beklagte habe nichts zu Vorsichtsmaßnahmen des Schienenbahnführers vorgetragen. Dieser hätte sich durch Blick in den Spiegel vergewissern müssen, dass sich niemand im Gefahrenbereich befindet. Das Vorliegen einer Suizidsituation reiche für die Annahme höherer Gewalt nicht aus. Das Landgericht hätte bei zutreffender Bewertung zum Ergebnis gelangen müssen, dass der Suizid mit wirtschaftlich zumutbaren Mitteln und bei Anwendung vernünftigerweise zu erwartender Sorgfalt vermieden worden wäre. Rechtsfehlerhaft sei das Landgericht von einer bewussten Selbstschädigung ausgegangen. Ein bewusstes Handeln sei begrifflich bei zugleich festgestellter, die freie Willensbildung ausschließender krankhafter Störung der Geistestätigkeit ausgeschlossen. Fehlerhaft habe das Landgericht den Schutzbereich des HaftPflG verkannt. Durch dieses Gesetz seien gerade auch psychisch Erkrankte mit aufgehobener oder verminderter Steuerungsfähigkeit geschützt. Dem widerspreche der vom Landgericht angenommene Haftungsausschluss bei bewusster Selbstschädigung bei zugleich festgestellter, durch Krankheit ausgeschlossener Willensfreiheit.

19

Die Kläger beantragen,

20

das am 05.02.2014 zugestellte Urteil des Landgerichts Schwerin vom 03.02.2014, Aktenzeichen 1 O 323/12, aufzuheben und

21

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zur gesamten Hand ein angemessenes Schmerzensgeld in einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Höhe, das jedoch € 15.000,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.02.2010 nicht unterschreiten sollte, zu zahlen,

22

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zur gesamten Hand € 3.921,65 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.02.2010 zu zahlen,

23

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern jeglichen materiellen Schaden, der ihnen in Folge des Todes des Herrn Z am 05.06.2009 bereits entstanden ist und künftig entsteht, zu ersetzen, soweit dieser nicht kraft Gesetzes auf Dritte, insbesondere Träger der Sozialversicherung, übergegangen ist, sowie

24

4. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger auf die ihnen entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung € 1.530,58 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

25

Die Beklagte beantragt,

26

die Berufung zurückzuweisen.

27

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Sie führt aus, dass eine Hinweispflicht durch das Gericht nicht verletzt sei, weil die Kläger selbst mit der Klage die Frage nach einer bewussten Selbstschädigung zur Sprache gebracht hätten. Die Beklagte verweist zudem darauf, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 HaftPflG zutreffend vom Landgericht festgestellt worden seien. Sie ist der Ansicht, dass der vom Sachverständigen ausgeführte Umstand, dass der Verstorbene einem Impuls gefolgt sei, ein bewusstes und die Tragweite seiner Handlung begreifendes Handeln des Geschädigten nicht ausschließe. Es lägen auch die weiteren Voraussetzungen für die Annahme höherer Gewalt vor. Der Suizid sei vom Straßenbahnführer nicht ansatzweise vorhersehbar gewesen, trotz einer Vielzahl von Spiegeln ist - insoweit unstreitig - der Bereich zwischen den Wagen nicht einsehbar.

II.

28

1. Die Berufung der Kläger ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und in verlängerter Frist begründet worden.

29

2. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

30

a) Zwar liegen die Voraussetzungen eines Haftunganspruchs nach § 1 Abs. 1 HaftPflG vor. Nach § 1 Abs. 1 HaftPflG ist der Betriebsunternehmer einer Schienenbahn, wenn bei dem Betrieb einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird, dem Geschädigten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Der Tod des Z. ist hier beim Anfahren und Weiterfahren einer von der Beklagten betriebenen Straßenbahn eingetreten.

31

b) Der Anspruch ist aber nach § 1 Abs. 2 HaftPflG ausgeschlossen, denn der Unfall wurde durch höhere Gewalt verursacht. Das Landgericht hat diesbezüglich im Ergebnis zu Recht einen Haftungsausschluss angenommen.

32

aa) Unter höherer Gewalt versteht die höchstrichterliche Rechtsprechung ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen ist (BGH, Urteil vom 22. April 2004 - III ZR 108/03 -, juris, Rdnr. 12 m.w.N.).

33

Das Merkmal der höheren Gewalt ist ein wertender Begriff, mit dem diejenigen Risiken von der Haftung ausgeschlossen werden sollen, die bei einer rechtlichen Bewertung nicht mehr dem gefährlichen Unternehmen (Bahnbetrieb, Rohrleitungsanlage usw.), sondern allein dem Drittereignis zugerechnet werden können ( BGH, a.a.O.; OLG Hamm, Urteil vom 06. Oktober 2003 - 6 U 102/03 -, juris, Rdnr.9).

34

bb) Die bewusste Selbstschädigung durch einen Geschädigten wird von der Rechtsprechung einem gewaltsamen elementaren Ereignis gleichgestellt, bei dem sich nicht mehr das mit dem Bahnbetrieb verbundene Risiko, sondern das durch ein Drittereignis gesetzte Risiko (Entscheidung zur Selbsttötung und Ausnutzung des Bahnbetriebes zu diesem Zweck) verwirklicht (LG Leipzig, Urteil vom 22. Juni 2012 - 1 O 4005/11, 01 O 4001 O 4005/11 -, juris, Rdnr. 16; auch OLG Hamm, a.a.O., Rdnr. 7 ff.: OLG München, Urteil vom 26. Januar 1990 - 10 U 3209/89 -, juris). Dabei liegt allerdings die Beweislast für die Selbstschädigungsabsicht beim Unternehmer, hier also der Beklagten; ein bloßer Verdacht reicht dafür nicht aus (LG Leipzig, Urteil vom 22. Juni 2012 - 1 O 4005/11, 01 O 4001 O 4005/11 -, juris, Rdnr. 16; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 04. Juli 2008 - 1 U 50/07 -, juris, Rdnr. 19).

35

Dass es sich um einen Suizid des Verstorbenen Z. gehandelt hat, ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Kläger bestreiten insoweit lediglich, dass eine bewusste Selbstschädigung vorgelegen habe.

36

cc) Es kommt jedoch nicht entscheidend darauf an, ob der Suizid des Verstorbenen im Zustand fehlender Steuerungsfähigkeit oder Schuldfähigkeit begangen wurde.

37

Entgegen der Auffassung der Kläger schließt die Feststellung der aufgehobenen Steuerungsfähigkeit und damit Störung der freien Willensbildung begrifflich nicht schon ein willentliches bzw. bewusstes Handeln, hier eine bewusste Selbsttötung unter Ausnutzung des Bahnbetriebes, aus. Die Schuldfähigkeit und der Handlungswille im Sinne eines natürlichen Vorsatzes sind von einander zu unterscheidende Willens- bzw. Verschuldenselemente (BGH, Urteil vom 10. März 1970 - VI ZR 182/68 -, juris, Rdnr. 8; Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 74. Auflage, § 276 Rdnr. 6). Danach kann ein Schuldunfähiger ohne Weiteres vorsätzlich handeln, er ist für den vorsätzlich herbeigeführten Schaden lediglich aufgrund der Vorschrift des § 828 BGB nicht verantwortlich.

38

Hier kommt es für den wertenden Begriff der höheren Gewalt allein darauf an, ob der Verstorbene zielgerichtet in den Bahnbetrieb zu betriebsfremden Zwecken von außen eingegriffen hat. Dies ist bei der willentlichen Herbeiführung eines Suizides der Fall. Der Sachverständige Prof. Dr. N. hat dazu in seiner Anhörung vor dem Landgericht widerspruchsfrei und nachvollziehbar ausgeführt, dass der Verstorbene zielgerichtet einen Ort gesucht habe, um sich zu töten, woraus er schließe, dass dieser die Klinik mit der klaren Absicht verlassen habe, sich zu suizidieren (Bd. II, Bl. 210 d.A.). Diese Ausführungen überzeugen den Senat. Der Sachverständige hat seine gutachterliche Bewertung auf zutreffende Anknüpfungstatsachen gestützt, insbesondere auf das nach dem unstreitigem Parteivortrag feststehende äußere Geschehen, nämlich den plötzlichen Abbruch der Behandlung, das Aufsuchen der Straßenbahnhaltestelle und das Fallenlassen zwischen zwei Straßenbahnwagen. Dies stellt sich bei eigener Würdigung durch den Senat äußerlich ohne Weiteres als ein zielgerichtetes Geschehen dar.

39

Soweit der Sachverständige einen sog. Raptus Melancholicus angenommen hat, bei dem es zu einem plötzlichen Selbsttötungsentschluss komme - ohne lange Entwicklung oder Planung -, schließt dieser auch nach den weiteren sachverständigen Ausführungen einen zielgerichteten Willen des Verstorbenen nicht aus. Der Sachverständige erläuterte dazu vor dem Landgericht, dass der Verstorbene nicht verwirrt gewesen sei, dieser mit Sicherheit gewusst habe, dass sein Verhalten zum Tod führen werde und er auch gewusst habe, wo er hinlaufen müsse. Der Verstorbene habe sein Verhalten aber nicht mehr steuern können, er habe nicht mehr abwägen können (Bd.II, Bl. 212 d.A.). Der Sachverständige führte weiter aus, dass die bewusste Entscheidung des Betroffenen darin liege, dass er entscheidet, ich bringe mich um (Bd. II, Bl. 213 d.A.).

40

Darin wird deutlich, dass auch aus medizinischer Sicht ein zielgerichteter Wille nicht durch einen die Schuldfähigkeit ausschließenden Wahn (hier Verarmungswahn) oder ein raptusartiges Geschehen ausgeschlossen wird (ähnlich LG Leipzig, a.a.O., Rdnr. 24).

41

Hinsichtlich der vorgenannten Unterscheidung zwischen einem bewussten, zielgerichteten Selbsttötungswillen und einem die Steuerungsfähigkeit aufhebenden Zustand der Geistestätigkeit liegt kein Verstoß gegen die gerichtliche Hinweispflicht vor. Die Kläger haben selbst mit der Klage gerade die Frage der bewussten bzw. unbewussten Selbsttötung thematisiert. Darüber hinaus hat das Landgericht in der mündlichen Verhandlung vom 19. November 2013 (Bd. II, Bl. 216 d.A.) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es trotz Nachweises des schuldfähigkeitsausschließenden Raptus Melancholicus noch rechtlicher Entscheidung bedarf, ob allein deshalb höhere Gewalt ausgeschlossen sei. Für einen weitergehenden Hinweis bestand kein Anlass.

42

Einer ergänzenden Sachverständigenanhörung zur Frage einer bewussten Selbsttötung bzw. eines von der Steuerungsfähigkeit zu unterscheidenden Bewusstseins bedurfte es nicht, da der Sachverständige sich dazu widerspruchsfrei und eindeutig in seiner erstinstanzlichen Anhörung geäußert und eine bewusste Entscheidung des Verstorbenen Z, sich zu töten, mehrfach bejaht hat. Darüber hinaus handelt es sich bei der Frage, wann ein Suizid die Voraussetzungen der höheren Gewalt erfüllt, um eine Rechtsfrage, die das Landgericht zutreffend dahin beantwortet hat, dass trotz Raptus Melancholicus, der die Steuerungsfähigkeit des Verstorbenen aufhob, eine zielgerichtete Selbsttötung vorlag, die einen betriebsfremden Eingriff in den Bahnbetrieb darstellt und den elementaren Naturereignissen im Sinne höherer Gewalt gleichzustellen ist.

43

dd) Höhere Gewalt liegt aber dann - auch bei einem Suizid - nicht vor, wenn der konkrete Suizid durch äußerste nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt hätte verhütet werden können. Darlegungs- und beweisbelastet für die Unvermeidbarkeit der Selbsttötung trotz äußerster Sorgfalt ist die Beklagte.

44

Aufgrund des unstreitigen Sachverhalts steht fest, dass der Suizid bei äußerst möglicher Sorgfalt nicht vermeidbar war. Der Betroffene hat sich zwischen zwei Straßenbahnwagen fallen lassen, wo er für den Straßenbahnführer nicht erkennbar ist. Dies bedarf keiner weiteren Aufklärung durch den Senat oder Darlegung durch die Beklagte. Allein aus dem Anfahren der Bahn, obwohl der Verstorbene unbewegt mit gesenktem Blick an der Bahnsteigkante gestanden hat, ergibt sich kein Sorgfaltspflichtverstoß. Das unbewegte Stehen des Verstorbenen in dieser Position bietet allein keinen Anlass, ein Anfahren zu unterlassen. Gerade beim Stehenbleiben auf dem Bahnsteig muss im innerstädtischen Straßenbahnbetrieb nicht damit gerechnet werden, dass der dort Stehende durch das langsame Anfahren gefährdet wird, solange nicht Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Wartende standunsicher ist. Solche Anhaltspunkte lagen auf der Grundlage des unstreitigen Sachvortrags der Parteien nicht vor.

45

Dass der Anfahrende sodann nicht mehr wahrnimmt, dass jemand zwischen die Wagen der anfahrenden Bahn tritt, ist ebenfalls nicht vorwerfbar, da bei Geradeausfahrt mit dem Anfahren die Aufmerksamkeit sorgfaltsgemäß nach vorn gerichtet sein muss. Aus der Art des Selbsttötungsgeschehens ergibt sich zudem, dass die Selbsttötung auch bei äußerster Sorgfalt nicht vermeidbar war, weil der Verstorbene einen Weg gewählt hat, der alle Sicherheitsvorkehrungen der Straßenbahnbetreiberin zielgerichtet ausgeschaltet hat. Insbesondere konnte auch eine vor dem Anfahren gebotene Rückschau des Straßenbahnführers die Selbsttötung nicht vermeiden, weil sich der Verstorbene erst während des Anfahrens nach vorn bewegt hat.

46

ee) Letztlich steht der Bewertung des Suizids als Ereignis höherer Gewalt nicht entgegen, dass Selbsttötungen eine der häufigsten Ursachen für Zugverspätungen sind. Zum einen trifft die Feststellung zur Häufigkeit von Suiziden mittels des Zugverkehrs nicht ohne Weiteres auch für den Straßenbahnverkehr zu. Zum anderen kann für die Beurteilung, ob das schadensbegründende Ereignis ein außergewöhnlicher Vorfall ist, nicht allein entscheidend auf die numerische Häufigkeit abgestellt werden (OLG Hamm, a.a.O., Rdnr. 8). Vielmehr behalten die nach Zeit und Ort nicht genau vorhersehbaren Fälle bewusster Selbsttötung trotz numerischer Häufigkeit den Charakter von Ereignissen, die als Schicksalsschlag empfunden werden und auf die sich ein Bahnbetriebsunternehmen ebensowenig einrichten kann wie auf ein elementares Naturereignis (OLG Hamm, a.a.O.).

47

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 2, 709 Satz 2 ZPO.

48

4. Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes.

III.

49

Der Streitwert wurde gemäß §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 i.V.m. § 3 ZPO festgesetzt.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Rostock Urteil, 13. Nov. 2015 - 5 U 25/14

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Oberlandesgericht Rostock Urteil, 13. Nov. 2015 - 5 U 25/14

Referenzen - Gesetze

Oberlandesgericht Rostock Urteil, 13. Nov. 2015 - 5 U 25/14 zitiert 9 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

Zivilprozessordnung - ZPO | § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen


Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 828 Minderjährige


(1) Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. (2) Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit

Haftpflichtgesetz - HaftPflG | § 1


(1) Wird bei dem Betrieb einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Betriebsunternehmer dem Geschädigten zum Ersatz des daraus entstehend

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Oberlandesgericht Rostock Urteil, 13. Nov. 2015 - 5 U 25/14 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Oberlandesgericht Rostock Urteil, 13. Nov. 2015 - 5 U 25/14 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 22. Apr. 2004 - III ZR 108/03

bei uns veröffentlicht am 22.04.2004

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL III ZR 108/03 Verkündet am: 22. April 2004 K i e f e r Justizangestellter als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja HPflG § 2 Füh

Landgericht Schwerin Urteil, 03. Feb. 2014 - 1 O 323/12

bei uns veröffentlicht am 03.02.2014

Tenor 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. 4. Der Streitwer

Oberlandesgericht Stuttgart Urteil, 30. Sept. 2003 - 6 U 102/03

bei uns veröffentlicht am 30.09.2003

Tenor 1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 15.04.2003 - 8 O 587/02 - wird zurückgewiesen. 2. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung. 3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. 4. Die Revision w

Referenzen

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf 40.701,65 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Kläger machen aus eigenem sowie aus übergegangenem Recht materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte als Straßenbahnbetreiberin nach einem Straßenbahnunfall geltend, bei dem der Ehemann bzw. Vater der Kläger zu Tode kam.

2

Die Kläger sind die Erben in ungeteilter Erbengemeinschaft des am 05.06.2009 in S. verstorbenen D. Z., Ehemann der Klägerin zu 1. und Vater der Kläger zu 2. und 3 (im Folgenden: der Verstorbene).

3

Der Verstorbene befand sich seit dem 12.05.2009 wegen rezidivierend depressiver Störung in freiwilliger stationärer Heilbehandlung in der Klinik für psychische Erkrankungen im H.. Von dort entwich er am 05.06.2009 gegen Mittag. Gegen 13:15 Uhr stand der Verstorbene an der Bahnsteigkante der Straßenbahnhaltestelle S. in S. und sah starr nach unten. Er fiel nach vorne zwischen die beiden Straßenbahnwagen der anfahrenden Straßenbahn der Linie 2, geriet unter die Straßenbahn und wurde bis zur nächsten Haltestelle mitgeschleift. Durch die Rettungskräfte wurde sein Tod festgestellt. Die Ermittlungsbehörden gingen von einem Suizid aus.

4

Den Klägern sind Beerdigungskosten in Höhe von 3.759 € entstanden.

5

Mit beim Klägervertreter am 12.02.2010 eingegangenen Schreiben lehnte die Beklagte eine Haftung ab.

6

Die Kläger behaupten, der Verstorbene habe sich zu dem Zeitpunkt, als er an der Bahnsteigkante stand, nach vorne zwischen die anfahrende Straßenbahn fiel und unter die Straßenbahn geriet, in einem die Steuerungsfähigkeit ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden. Dies ergebe sich aus den Behandlungsunterlagen der Klinik. Von einer bewussten Selbsttötung sei daher nicht auszugehen. Die Kläger sind der Ansicht, die Beklagte hafte, da es sich bei dem Ereignis nicht um höhere Gewalt gehandelt habe. Den Verstorbenen treffe auch kein Mitverschulden, da er schuldunfähig gewesen sei.

7

Zum Ausgleich der vom Verstorbenen bis zum Eintreten des Todes erlittenen Qualen halten die Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 15.000 € für angemessen.

8

Die Kläger behaupten weiter, durch den Tod des Verstorbenen seien ihnen weitere Kosten sowie ab Juli 2009 ein Unterhaltsschaden in Höhe von 660 € monatlich entstanden. Ferner seien vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.530,56 € angefallen.

9

Die Kläger beantragen,

10
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zur gesamten Hand ein angemessenes Schmerzensgeld in einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Höhe, das jedoch 15.000 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.02.2010 nicht überschreiten sollte, zu zahlen,
11
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zur gesamten Hand 3.921,65 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.02.2010 zu zahlen,
12
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern jeglichen materiellen Schaden, der ihnen in Folge des Todes des Herrn D. Z. am 05.06.2009 bereits entstanden ist und künftig entsteht, zu ersetzen, soweit dieser nicht Kraft Gesetzes auf Dritte, insbesondere Träger der Sozialversicherung, übergegangen ist,
13
4. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger auf die ihnen entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung 1.530,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
14

Die Beklagte beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Die Beklagte behauptet, der Verstorbene habe die Klinik aufgrund bewusster und gewollter Entscheidung verlassen. Auch der Suizid sei eine bewusste und freie Entscheidung des Verstorbenen gewesen. Dafür spreche auch, dass er sich nicht vor, sondern zwischen einen Straßenbahnzug habe fallen lassen.

17

Die Beklagte meint, es habe sich um einen Vorfall höherer Gewalt gehandelt, so dass ihre Haftung ausgeschlossen sei. Dafür könne es nicht darauf ankommen, ob die Entscheidung, Suizid zu begehen, auf freier oder gestörter Willenssteuerung beruhe.

18

Das Gericht hat Beweis erhoben über den eine freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit des Verstorbenen durch Einholung eines medizinischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. D. N., den es auch persönlich angehört hat. Auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 25.06.2013 sowie das Sitzungsprotokoll vom 19.11.2013 wird Bezug genommen.

19

In dem beim Landgericht S. gesondert rechtshängigen Verfahren xxx nehmen die Kläger die H. und die unmittelbar behandelnden Ärzte wegen fehlerhafter Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch.

Entscheidungsgründe

20

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

I.

21

Die Kläger haben weder aus eigenem noch aus übergegangenem Recht einen Anspruch gegen die Beklagte gem. § 1 Abs. 1 HaftPflG i.V.m. §§ 249, 253, 421, 1922 BGB.

22

1. Zwar haftet die Beklagte als Straßenbahnbetreiberin gem. § 1 Abs. 1 HaftPflG auf Ersatz des Schadens, der daraus entsteht, dass bei dem Betrieb der Straßenbahn ein Mensch getötet wird. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Ehemann und Vater der Kläger fiel am 05.06.2009 gegen 13:15 Uhr zwischen zwei Straßenbahnwagen der Straßenbahnlinie 2, wurde mitgeschleift und getötet.

23

2. Die Haftung der Beklagten ist jedoch gem. § 1 Abs. 2 HaftPflG ausgeschlossen, weil der Tod des Verstorbenen durch höhere Gewalt verursacht ist. Im Ergebnis der Beweisaufnahme steht für das erkennende Gericht mit der erforderlichen Gewissheit fest, dass der Verstorbene Suizid begangen hat und diesen auch gezielt begehen wollte.

24

Höhere Gewalt im Sinne des § 1 Abs. 2 HaftPflG ist ein "betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen ist" (so wörtlich BGH, Urteil vom 16.10.2007, VI ZR 173/06, Rn. 14, mit weiteren Nachweisen zur Senatsrechtsprechung, zitiert nach Juris). Die bewusste Selbstschädigung durch den Getöteten ist einem gewaltsamen elementaren Ereignis gleichzustellen (Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 04.07.2008, 1 U 50/07, Rn. 19, zitiert nach Juris).

25

Im Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht mit der erforderlichen Gewissheit davon überzeugt, dass hier eine bewusste Selbstschädigung des Verstorbenen vorliegt, die einem gewaltsamen elementaren Ereignis gleichzustellen ist.

26

a) Dabei geht das erkennende Gericht davon aus, dass der Verstorbene im Rahmen eines sog. "Raptus Melancholicus" unter Ausschluss der Steuerungsfähigkeit seines Willens handelte, indem er sich zwischen die Wagen der anfahrenden Straßenbahn der Linie 2 fallen ließ. Der Sachverständige Prof. Dr. N. stellte in seinem schriftlichen Gutachten vom 25.06.2013 ausdrücklich fest, der verstorbene D. Z. habe sich im Schädigungszeitpunkt am 05.06.2009 gegen 13:15 Uhr in einem seine freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden. Er begründete dies mit einem Raptus Melancholicus, der insbesondere bei Patienten mit einer rezidivierenden schweren depressiven Störung mit psychotischen Symptomen häufig zu beobachten sei und dazu führe, dass die Patienten plötzlich, häufig vom Pflegepersonal und auch von Angehörigen zeitlich nicht vorhersehbar, dranghaft einem suizidalen Impuls folgten. Es sei sehr wahrscheinlich, dass dieser unkontrollierbare Impuls bei D. Z. aus der wahnhaften Überzeugung hergerührt habe, die Familie durch den Hauskauf ins finanzielle Elend gestürzt zu haben (Gutachten S. 5). Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung bestätigte der Sachverständige diese Einschätzung. Er führte aus, der Verstorbene habe plötzlich im Rahmen seines Verarmungswahnes das Krankenhaus verlassen wollen, er sei ersichtlich nicht mehr in der Lage gewesen, das Für und Wider des von ihm angenommenen Verarmungswahnes im Hinblick auf den Hauskauf abzuwägen (Protokoll S. 5/6). Spätestens, als das Personal (der Klinik) in Sorge geraten sei und der Betroffene eine Beruhigungsmedikation abgelehnt hatte, als die 1:1 Überwachung angeordnet worden war, sei der Raptus eingetreten. Während des Raptus habe der Betroffene zwar ein zielgerichtetes Verhalten gezeigt, habe ohne lange Umwege einen Ort gesucht, an dem er sich umbringen konnte und mit Sicherheit gewusst, dass sein Verhalten zum Tod führen werde, er sei nicht verwirrt gewesen, habe gewusst, wohin er laufen müsse. Aber er habe sein Verhalten nicht mehr steuern und nicht mehr abwägen können (Protokoll S. 7). Für die Steuerungsfähigkeit mache es auch keinen Unterschied, ob sich der Betroffene vor die Straßenbahn oder zwischen die Straßenbahnwagen werfe, er habe den Impuls gehabt, sich umzubringen (Protokoll S. 8).

27

Das Gericht macht sich die Ausführungen des Sachverständigen Prof. N. vollumfänglich zu eigen. Sie sind nachvollziehbar, widerspruchsfrei und überzeugend. Sie beruhen auf der Auswertung der Behandlungsunterlagen der Klinik, der Ermittlungsunterlagen der Staatsanwaltschaft und der Berufserfahrung des Sachverständigen, die auch im Rahmen der persönlichen Anhörung deutlich wurde. Auch die Parteien stellen diese medizinische Einschätzung des Sachverständigen ersichtlich nicht weiter in Frage.

28

b) Gerade auf der Grundlage der medizinischen Einschätzung des Sachverständigen geht das erkennende Gericht jedoch davon aus, dass es sich hier um eine bewusste, wenn auch krankheitsbedingte, Selbsttötung handelt, die sich für die Beklagte als "höhere Gewalt" darstellt (vgl. auch LG Leipzig, Urteil vom 22.06.2012, 1 O 4005/11, Rn. 21, zitiert nach Juris). Wie bereits dargelegt, führte der Sachverständige unmissverständlich aus, während des Raptus habe der Betroffene ein zielgerichtetes Verhalten gezeigt, habe ohne lange Umwege einen Ort gesucht, an dem er sich umbringen konnte und mit Sicherheit gewusst, dass sein Verhalten zum Tod führen werde, er sei nicht verwirrt gewesen, habe gewusst, wohin er laufen müsse. Der Verstorbene habe die Klinik in der klaren Absicht verlassen, sich zu suizidieren (Protokoll S. 5). Dass diese bewusste und zielgerichtete Selbsttötung ihre Ursache in dem vom Sachverständigen überzeugend beschriebenen krankheitsbedingten Raptus Melancholicus hatte, ändert nichts daran, dass es sich um einen vom Verstorbenen bewussten und gewollten Suizid handelte. Insoweit unterscheidet sich der Fall von der Situation, in der der Betroffene sich krankheitsbedingt in einem Dämmerzustand befindet und deshalb den Zug unbewusst durch die während der Fahrt offene Tür verlässt. Für diesen Fall wurde höhere Gewalt verneint (OLG München, Urteil vom 26.01.1990, 10 U 3209/89, zitiert nach Juris).

29

Soweit das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in seinem Urteil vom 04.07.2008 einen eindeutigen Schluss auf Selbsttötungsabsichten verneint hat, weil die Getötete, die nach Verlassen der psychiatrischen Klinik auf Gleisanlagen gelaufen und durch einen Zug erfasst worden war, im Zeitpunkt des Unfalls sehr wahrscheinlich erkrankt und deshalb nicht in der Lage gewesen sei, ihr Verhalten zu steuern (Urteil vom 04.07.2008, 1 U 50/07, Rn. 21, zitiert nach Juris), ist schon nicht ersichtlich, dass der dortige Sachverständige ein auf Selbsttötung zielgerichtetes und bewusstes Verhalten der Getöteten unter Ausschluss eines Zustandes der Verwirrung ausdrücklich bejaht hatte, wie dies vorliegend der Fall ist. Insoweit sind die Fälle nicht unbedingt miteinander vergleichbar.

30

Abgesehen davon ist nicht ersichtlich, dass der Haftungsausschluss für höhere Gewalt des § 1 Abs. 2 HaftPflG von einer Differenzierung zwischen bewusster Selbsttötung bei freier Willenssteuerung und bewusster Selbsttötung bei gestörter Willenssteuerung des Getöteten abhängt. Der Begriff der höheren Gewalt ist ein wertender Begriff, der die Risiken ausschließen will, die mit dem Bahnbetrieb nichts zu tun haben und bei einer rechtlichen Bewertung nicht mehr dem Betrieb der Bahn, sondern allein dem Drittereignis zugerechnet werden können (OLG Hamm, Urteil vom 06.10.2003, 6 U 102/03, Rn. 9, zitiert nach Juris). Selbsttötungsversuche sind dabei typische Einwirkungen von außen, bei denen der Bahnbetrieb nur als Mittel zum Zweck eingeschaltet wird (OLG Hamm, a.a.O). Dies gilt unabhängig davon, ob die Selbsttötung geplant oder - wie hier - im Rahmen eines Raptus Melancholicus erfolgt. Der Verstorbene setzte die Straßenbahn gezielt ein, um Suizid zu begehen. Ursache hierfür war seine Erkrankung, die im Rahmen des Raptus Melancholicus zum Ausschluss der Steuerungsfähigkeit seines Willens geführt hatte. In dieser Erkrankung liegt das für den Suizid maßgebliche Drittereignis, das mit dem Straßenbahnbetrieb nichts zu tun hat und daher dem Betrieb der Straßenbahn nicht zugerechnet werden kann. Die Straßenbahn war hier allein das Mittel zum Zweck.

31

Aus dem Zweck der Gefährdungshaftung ergibt sich nichts Gegenteiliges. Auch wenn der Haftungsausschluss für den Schienenbahnbetreiber seit dem 01.08.2002 auf Fälle der "höheren Gewalt" reduziert und die Haftung verschärft wurde, lässt dies eine Begrenzung der höheren Gewalt auf Fälle geplanter, nicht erkrankungsbedingter Selbsttötung nicht erkennen. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, wäre eine entsprechende Regelung möglich gewesen, wie dies etwa in § 161 VVG geschehen ist. Danach ist eine Versicherung für den Todesfall nicht zur Leistung verpflichtet, wenn die versicherte Person sich (...) vorsätzlich getötet hat, § 161 Abs. 1 Satz 1 VVG. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist, § 161 Abs. 1 Satz 2 VVG. Hier hat der Gesetzgeber einen Haftungsausschluss ausdrücklich von der Fähigkeit der freien Willensbestimmung in Abgrenzung zum erkrankungsbedingten Ausschluss freier Willensbestimmung abhängig gemacht. Beim Haftungsausschluss des § 1 Abs. 2 HaftpflG wegen höherer Gewalt ist dies gerade nicht der Fall.

32

3. Angesichts des Haftungsausschlusses wegen höherer Gewalt gem. § 1 Abs. 2 HaftpflG kommt es auf die von den Klägern behauptete Schuldunfähigkeit des Verstorbenen und die Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile gem. § 4 HaftPflG i.V.m. § 254 BGB nicht weiter an. Auch der Streit um die Schadenshöhe kann dahinstehen.

II.

33

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

III.

34

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.

(1) Wird bei dem Betrieb einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Betriebsunternehmer dem Geschädigten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht ist.

(3) Die Ersatzpflicht ist ferner ausgeschlossen, wenn eine

1.
zur Aufbewahrung angenommene Sache beschädigt wird;
2.
beförderte Sache beschädigt wird, es sei denn, daß ein Fahrgast sie an sich trägt oder mit sich führt.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf 40.701,65 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Kläger machen aus eigenem sowie aus übergegangenem Recht materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte als Straßenbahnbetreiberin nach einem Straßenbahnunfall geltend, bei dem der Ehemann bzw. Vater der Kläger zu Tode kam.

2

Die Kläger sind die Erben in ungeteilter Erbengemeinschaft des am 05.06.2009 in S. verstorbenen D. Z., Ehemann der Klägerin zu 1. und Vater der Kläger zu 2. und 3 (im Folgenden: der Verstorbene).

3

Der Verstorbene befand sich seit dem 12.05.2009 wegen rezidivierend depressiver Störung in freiwilliger stationärer Heilbehandlung in der Klinik für psychische Erkrankungen im H.. Von dort entwich er am 05.06.2009 gegen Mittag. Gegen 13:15 Uhr stand der Verstorbene an der Bahnsteigkante der Straßenbahnhaltestelle S. in S. und sah starr nach unten. Er fiel nach vorne zwischen die beiden Straßenbahnwagen der anfahrenden Straßenbahn der Linie 2, geriet unter die Straßenbahn und wurde bis zur nächsten Haltestelle mitgeschleift. Durch die Rettungskräfte wurde sein Tod festgestellt. Die Ermittlungsbehörden gingen von einem Suizid aus.

4

Den Klägern sind Beerdigungskosten in Höhe von 3.759 € entstanden.

5

Mit beim Klägervertreter am 12.02.2010 eingegangenen Schreiben lehnte die Beklagte eine Haftung ab.

6

Die Kläger behaupten, der Verstorbene habe sich zu dem Zeitpunkt, als er an der Bahnsteigkante stand, nach vorne zwischen die anfahrende Straßenbahn fiel und unter die Straßenbahn geriet, in einem die Steuerungsfähigkeit ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden. Dies ergebe sich aus den Behandlungsunterlagen der Klinik. Von einer bewussten Selbsttötung sei daher nicht auszugehen. Die Kläger sind der Ansicht, die Beklagte hafte, da es sich bei dem Ereignis nicht um höhere Gewalt gehandelt habe. Den Verstorbenen treffe auch kein Mitverschulden, da er schuldunfähig gewesen sei.

7

Zum Ausgleich der vom Verstorbenen bis zum Eintreten des Todes erlittenen Qualen halten die Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 15.000 € für angemessen.

8

Die Kläger behaupten weiter, durch den Tod des Verstorbenen seien ihnen weitere Kosten sowie ab Juli 2009 ein Unterhaltsschaden in Höhe von 660 € monatlich entstanden. Ferner seien vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.530,56 € angefallen.

9

Die Kläger beantragen,

10
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zur gesamten Hand ein angemessenes Schmerzensgeld in einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Höhe, das jedoch 15.000 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.02.2010 nicht überschreiten sollte, zu zahlen,
11
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zur gesamten Hand 3.921,65 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.02.2010 zu zahlen,
12
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern jeglichen materiellen Schaden, der ihnen in Folge des Todes des Herrn D. Z. am 05.06.2009 bereits entstanden ist und künftig entsteht, zu ersetzen, soweit dieser nicht Kraft Gesetzes auf Dritte, insbesondere Träger der Sozialversicherung, übergegangen ist,
13
4. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger auf die ihnen entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung 1.530,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
14

Die Beklagte beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Die Beklagte behauptet, der Verstorbene habe die Klinik aufgrund bewusster und gewollter Entscheidung verlassen. Auch der Suizid sei eine bewusste und freie Entscheidung des Verstorbenen gewesen. Dafür spreche auch, dass er sich nicht vor, sondern zwischen einen Straßenbahnzug habe fallen lassen.

17

Die Beklagte meint, es habe sich um einen Vorfall höherer Gewalt gehandelt, so dass ihre Haftung ausgeschlossen sei. Dafür könne es nicht darauf ankommen, ob die Entscheidung, Suizid zu begehen, auf freier oder gestörter Willenssteuerung beruhe.

18

Das Gericht hat Beweis erhoben über den eine freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit des Verstorbenen durch Einholung eines medizinischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. D. N., den es auch persönlich angehört hat. Auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 25.06.2013 sowie das Sitzungsprotokoll vom 19.11.2013 wird Bezug genommen.

19

In dem beim Landgericht S. gesondert rechtshängigen Verfahren xxx nehmen die Kläger die H. und die unmittelbar behandelnden Ärzte wegen fehlerhafter Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch.

Entscheidungsgründe

20

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

I.

21

Die Kläger haben weder aus eigenem noch aus übergegangenem Recht einen Anspruch gegen die Beklagte gem. § 1 Abs. 1 HaftPflG i.V.m. §§ 249, 253, 421, 1922 BGB.

22

1. Zwar haftet die Beklagte als Straßenbahnbetreiberin gem. § 1 Abs. 1 HaftPflG auf Ersatz des Schadens, der daraus entsteht, dass bei dem Betrieb der Straßenbahn ein Mensch getötet wird. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Ehemann und Vater der Kläger fiel am 05.06.2009 gegen 13:15 Uhr zwischen zwei Straßenbahnwagen der Straßenbahnlinie 2, wurde mitgeschleift und getötet.

23

2. Die Haftung der Beklagten ist jedoch gem. § 1 Abs. 2 HaftPflG ausgeschlossen, weil der Tod des Verstorbenen durch höhere Gewalt verursacht ist. Im Ergebnis der Beweisaufnahme steht für das erkennende Gericht mit der erforderlichen Gewissheit fest, dass der Verstorbene Suizid begangen hat und diesen auch gezielt begehen wollte.

24

Höhere Gewalt im Sinne des § 1 Abs. 2 HaftPflG ist ein "betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen ist" (so wörtlich BGH, Urteil vom 16.10.2007, VI ZR 173/06, Rn. 14, mit weiteren Nachweisen zur Senatsrechtsprechung, zitiert nach Juris). Die bewusste Selbstschädigung durch den Getöteten ist einem gewaltsamen elementaren Ereignis gleichzustellen (Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 04.07.2008, 1 U 50/07, Rn. 19, zitiert nach Juris).

25

Im Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht mit der erforderlichen Gewissheit davon überzeugt, dass hier eine bewusste Selbstschädigung des Verstorbenen vorliegt, die einem gewaltsamen elementaren Ereignis gleichzustellen ist.

26

a) Dabei geht das erkennende Gericht davon aus, dass der Verstorbene im Rahmen eines sog. "Raptus Melancholicus" unter Ausschluss der Steuerungsfähigkeit seines Willens handelte, indem er sich zwischen die Wagen der anfahrenden Straßenbahn der Linie 2 fallen ließ. Der Sachverständige Prof. Dr. N. stellte in seinem schriftlichen Gutachten vom 25.06.2013 ausdrücklich fest, der verstorbene D. Z. habe sich im Schädigungszeitpunkt am 05.06.2009 gegen 13:15 Uhr in einem seine freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden. Er begründete dies mit einem Raptus Melancholicus, der insbesondere bei Patienten mit einer rezidivierenden schweren depressiven Störung mit psychotischen Symptomen häufig zu beobachten sei und dazu führe, dass die Patienten plötzlich, häufig vom Pflegepersonal und auch von Angehörigen zeitlich nicht vorhersehbar, dranghaft einem suizidalen Impuls folgten. Es sei sehr wahrscheinlich, dass dieser unkontrollierbare Impuls bei D. Z. aus der wahnhaften Überzeugung hergerührt habe, die Familie durch den Hauskauf ins finanzielle Elend gestürzt zu haben (Gutachten S. 5). Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung bestätigte der Sachverständige diese Einschätzung. Er führte aus, der Verstorbene habe plötzlich im Rahmen seines Verarmungswahnes das Krankenhaus verlassen wollen, er sei ersichtlich nicht mehr in der Lage gewesen, das Für und Wider des von ihm angenommenen Verarmungswahnes im Hinblick auf den Hauskauf abzuwägen (Protokoll S. 5/6). Spätestens, als das Personal (der Klinik) in Sorge geraten sei und der Betroffene eine Beruhigungsmedikation abgelehnt hatte, als die 1:1 Überwachung angeordnet worden war, sei der Raptus eingetreten. Während des Raptus habe der Betroffene zwar ein zielgerichtetes Verhalten gezeigt, habe ohne lange Umwege einen Ort gesucht, an dem er sich umbringen konnte und mit Sicherheit gewusst, dass sein Verhalten zum Tod führen werde, er sei nicht verwirrt gewesen, habe gewusst, wohin er laufen müsse. Aber er habe sein Verhalten nicht mehr steuern und nicht mehr abwägen können (Protokoll S. 7). Für die Steuerungsfähigkeit mache es auch keinen Unterschied, ob sich der Betroffene vor die Straßenbahn oder zwischen die Straßenbahnwagen werfe, er habe den Impuls gehabt, sich umzubringen (Protokoll S. 8).

27

Das Gericht macht sich die Ausführungen des Sachverständigen Prof. N. vollumfänglich zu eigen. Sie sind nachvollziehbar, widerspruchsfrei und überzeugend. Sie beruhen auf der Auswertung der Behandlungsunterlagen der Klinik, der Ermittlungsunterlagen der Staatsanwaltschaft und der Berufserfahrung des Sachverständigen, die auch im Rahmen der persönlichen Anhörung deutlich wurde. Auch die Parteien stellen diese medizinische Einschätzung des Sachverständigen ersichtlich nicht weiter in Frage.

28

b) Gerade auf der Grundlage der medizinischen Einschätzung des Sachverständigen geht das erkennende Gericht jedoch davon aus, dass es sich hier um eine bewusste, wenn auch krankheitsbedingte, Selbsttötung handelt, die sich für die Beklagte als "höhere Gewalt" darstellt (vgl. auch LG Leipzig, Urteil vom 22.06.2012, 1 O 4005/11, Rn. 21, zitiert nach Juris). Wie bereits dargelegt, führte der Sachverständige unmissverständlich aus, während des Raptus habe der Betroffene ein zielgerichtetes Verhalten gezeigt, habe ohne lange Umwege einen Ort gesucht, an dem er sich umbringen konnte und mit Sicherheit gewusst, dass sein Verhalten zum Tod führen werde, er sei nicht verwirrt gewesen, habe gewusst, wohin er laufen müsse. Der Verstorbene habe die Klinik in der klaren Absicht verlassen, sich zu suizidieren (Protokoll S. 5). Dass diese bewusste und zielgerichtete Selbsttötung ihre Ursache in dem vom Sachverständigen überzeugend beschriebenen krankheitsbedingten Raptus Melancholicus hatte, ändert nichts daran, dass es sich um einen vom Verstorbenen bewussten und gewollten Suizid handelte. Insoweit unterscheidet sich der Fall von der Situation, in der der Betroffene sich krankheitsbedingt in einem Dämmerzustand befindet und deshalb den Zug unbewusst durch die während der Fahrt offene Tür verlässt. Für diesen Fall wurde höhere Gewalt verneint (OLG München, Urteil vom 26.01.1990, 10 U 3209/89, zitiert nach Juris).

29

Soweit das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in seinem Urteil vom 04.07.2008 einen eindeutigen Schluss auf Selbsttötungsabsichten verneint hat, weil die Getötete, die nach Verlassen der psychiatrischen Klinik auf Gleisanlagen gelaufen und durch einen Zug erfasst worden war, im Zeitpunkt des Unfalls sehr wahrscheinlich erkrankt und deshalb nicht in der Lage gewesen sei, ihr Verhalten zu steuern (Urteil vom 04.07.2008, 1 U 50/07, Rn. 21, zitiert nach Juris), ist schon nicht ersichtlich, dass der dortige Sachverständige ein auf Selbsttötung zielgerichtetes und bewusstes Verhalten der Getöteten unter Ausschluss eines Zustandes der Verwirrung ausdrücklich bejaht hatte, wie dies vorliegend der Fall ist. Insoweit sind die Fälle nicht unbedingt miteinander vergleichbar.

30

Abgesehen davon ist nicht ersichtlich, dass der Haftungsausschluss für höhere Gewalt des § 1 Abs. 2 HaftPflG von einer Differenzierung zwischen bewusster Selbsttötung bei freier Willenssteuerung und bewusster Selbsttötung bei gestörter Willenssteuerung des Getöteten abhängt. Der Begriff der höheren Gewalt ist ein wertender Begriff, der die Risiken ausschließen will, die mit dem Bahnbetrieb nichts zu tun haben und bei einer rechtlichen Bewertung nicht mehr dem Betrieb der Bahn, sondern allein dem Drittereignis zugerechnet werden können (OLG Hamm, Urteil vom 06.10.2003, 6 U 102/03, Rn. 9, zitiert nach Juris). Selbsttötungsversuche sind dabei typische Einwirkungen von außen, bei denen der Bahnbetrieb nur als Mittel zum Zweck eingeschaltet wird (OLG Hamm, a.a.O). Dies gilt unabhängig davon, ob die Selbsttötung geplant oder - wie hier - im Rahmen eines Raptus Melancholicus erfolgt. Der Verstorbene setzte die Straßenbahn gezielt ein, um Suizid zu begehen. Ursache hierfür war seine Erkrankung, die im Rahmen des Raptus Melancholicus zum Ausschluss der Steuerungsfähigkeit seines Willens geführt hatte. In dieser Erkrankung liegt das für den Suizid maßgebliche Drittereignis, das mit dem Straßenbahnbetrieb nichts zu tun hat und daher dem Betrieb der Straßenbahn nicht zugerechnet werden kann. Die Straßenbahn war hier allein das Mittel zum Zweck.

31

Aus dem Zweck der Gefährdungshaftung ergibt sich nichts Gegenteiliges. Auch wenn der Haftungsausschluss für den Schienenbahnbetreiber seit dem 01.08.2002 auf Fälle der "höheren Gewalt" reduziert und die Haftung verschärft wurde, lässt dies eine Begrenzung der höheren Gewalt auf Fälle geplanter, nicht erkrankungsbedingter Selbsttötung nicht erkennen. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, wäre eine entsprechende Regelung möglich gewesen, wie dies etwa in § 161 VVG geschehen ist. Danach ist eine Versicherung für den Todesfall nicht zur Leistung verpflichtet, wenn die versicherte Person sich (...) vorsätzlich getötet hat, § 161 Abs. 1 Satz 1 VVG. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist, § 161 Abs. 1 Satz 2 VVG. Hier hat der Gesetzgeber einen Haftungsausschluss ausdrücklich von der Fähigkeit der freien Willensbestimmung in Abgrenzung zum erkrankungsbedingten Ausschluss freier Willensbestimmung abhängig gemacht. Beim Haftungsausschluss des § 1 Abs. 2 HaftpflG wegen höherer Gewalt ist dies gerade nicht der Fall.

32

3. Angesichts des Haftungsausschlusses wegen höherer Gewalt gem. § 1 Abs. 2 HaftpflG kommt es auf die von den Klägern behauptete Schuldunfähigkeit des Verstorbenen und die Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile gem. § 4 HaftPflG i.V.m. § 254 BGB nicht weiter an. Auch der Streit um die Schadenshöhe kann dahinstehen.

II.

33

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

III.

34

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.

(1) Wird bei dem Betrieb einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Betriebsunternehmer dem Geschädigten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht ist.

(3) Die Ersatzpflicht ist ferner ausgeschlossen, wenn eine

1.
zur Aufbewahrung angenommene Sache beschädigt wird;
2.
beförderte Sache beschädigt wird, es sei denn, daß ein Fahrgast sie an sich trägt oder mit sich führt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 108/03
Verkündet am:
22. April 2004
K i e f e r
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
HPflG § 2
Führt ein ganz ungewöhnlicher und seltener Starkregen (hier: Wiederkehrzeit
von mehr als hundert Jahren) zu einem Rückstau in der Abwasserkanalisation
und zu einem Wiederaustritt des Niederschlagswassers, kann sich
die Gemeinde gegenüber der Anlagenhaftung aus § 2 HPflG auf höhere
Gewalt berufen.
BGH, Urteil vom 22. April 2004 - III ZR 108/03 - LG Köln
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. April 2004 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter
Streck, Dr. Kapsa, Galke und Dr. Herrmann

für Recht erkannt:
Die Sprungrevision der Kläger gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 25. Februar 2003 wird zurückgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand


Die Kläger sind Eigentümer des Hausgrundstücks Am W. 30 in B. . Unmittelbar oberhalb des an einem Hang liegenden Grundstücks verlief früher ein von der beklagten Gemeinde unterhaltener und inzwischen verlegter verrohrter Bachlauf, die Amicke, die weiter unten in die Dörspe mündet. Nach der Behauptung der Kläger dient der Bach zugleich als Vorfluter für die städtische Kanalisation.
Am 3. Mai 2001 kam es im Raum W. /B. zu einem Unwetter mit starken Niederschlägen. Dabei drang Wasser in die Kellerräume der Kläger und einen Schuppen ein. Die Kläger nehmen deswegen die Beklagte auf Schadensersatz in Höhe von 7.412,71 € nebst Zinsen in Anspruch. Sie haben behauptet, aus der Kanalleitung, insbesondere aus zwei Schachtbauwerken , sei das Wasser fontänenartig herausgeschossen und habe sich auf ihr Grundstück ergossen. Die Beklagte hat den Schadenshergang bestritten, technische Fehler der Anlage in Abrede gestellt und hat sich ferner auf einen Jahrhundertregen berufen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Spr ungrevision verfolgen die Kläger ihre Klageforderung weiter.

Entscheidungsgründe


Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.


Nach Ansicht des Landgerichts entfällt eine Anlagenhaftu ng nach § 2 Abs. 1 HPflG, weil der Schaden der Kläger durch höhere Gewalt verursacht worden sei (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG). Aus dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten des Deutschen Wetterdienstes ergebe sich, daß in einer rund 15 km langen, von W. nordostwärts in das Stadtgebiet von B. hinein gerichteten Zone am 3. Mai 2001 von etwa 16.00 Uhr bis gegen 19.30 Uhr über
100 mm Niederschlag gefallen seien. Der höchste dabei gemessene Wert von 110 mm in W. könne in der Kernzone des Niederschlags in Richtung B. stellenweise sogar noch übertroffen worden sein. In der Region W. / B. seien, bezogen auf ein 3,5 Stunden andauerndes Regenereignis, Niederschlagshöhen ab 55 mm im Westen dieser Zone und 66 mm im Ostteil des Gebiets nur alle 100 Jahre oder seltener zu erwarten. Die für diesen Bereich analysierten Werte von mehr als 100 mm in 3,5 Stunden seien somit als noch weitaus selteneres Ereignis einzustufen.
Aus diesem Grunde stehe den Klägern auch kein Anspruch au s § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu. Dabei könne dahinstehen, ob der Bachlauf ausreichend dimensioniert gewesen sei und den anerkannten Regeln der Technik entsprochen habe. Die Überflutung des Grundstücks der Kläger sei gerade darauf zurückzuführen, daß die Regenmengen im Einzugsbereich des Bachs deutlich über dem gelegen hätten, wovor die Beklagte die Anwohner zu schützen verpflichtet sei. Insoweit sei auch nicht maßgeblich, daß es sich um den dritten Überflutungsschaden innerhalb von fünf Jahren gehandelt habe.

II.


Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung st and.
1. Da das Landgericht weder zu der zwischen den Parteien streitigen Frage , ob der Bachlauf in die von der Beklagten betriebene Abwasserkanalisation einbezogen worden ist, noch zu den näheren Ursachen des Schadensfalles Feststellungen getroffen hat, ist das Klagevorbringen in beiden Punkten als
richtig zu unterstellen. Der Senat muß deshalb zum einen davon ausgehen, daß das verrohrte Gewässer der städtischen Kanalisation als Vorfluter dient, und zum anderen, daß die schadensstiftenden Wassermassen aus dem Kanalrohr ausgetreten sind und alsdann das Grundstück der Kläger überflutet haben.
2. Die Beklagte ist den Klägern hiernach nicht zum Schadensersatz aus § 2 Abs. 1 HPflG verpflichtet. Dem steht, wie das Landgericht zutreffend entschieden hat, der Haftungsausschluß wegen höherer Gewalt nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG entgegen.

a) Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 HPflG (Wirku ngshaftung) sind allerdings erfüllt. Zu den dort genannten Rohrleitungsanlagen, an die das Gesetz eine Gefährdungshaftung ihres Inhabers knüpft, rechnet der Senat in ständiger Rechtsprechung auch die städtische Abwasserkanalisation (BGHZ 109, 8, 12; 115, 141, 142; Urteil vom 26. April 2001 - II ZR 102/00 - NVwZ 2001, 1448; zuletzt Urteil vom 11. März 2004 - III ZR 274/03 - für BGHZ vorgesehen ). Nach dem zu unterstellenden Sachverhalt hat von der Kanalisation ausgehendes Wasser den geltend gemachten Schaden verursacht.

b) Ob und inwieweit sich die Gemeinde in Fällen, in denen ein seltener Starkregen zu einem Rückstau in der Kanalisation und daher zu einem Wiederaustritt des Niederschlagswassers aus dem Kanalnetz geführt hat, auf höhere Gewalt berufen kann, ist streitig (bejahend OLG Düsseldorf ZMR 1994, 326, 328 für eine Wiederkehrzeit von 100 Jahren; OLG München OLG-Report 2000, 62 für ein Regenereignis mit höherer als 10jähriger bis zu 40jähriger Wiederkehr; OLG Zweibrücken BADK-Inf. 1991, 53 f. bei 20jähriger oder 25bis 100jähriger Wiederkehrzeit; Filthaut, HPflG, 6. Aufl., § 2 Rn. 74 für einen
sogenannten "Jahrhundertregen"; verneinend bei einer Wiederkehrzeit von 10 Jahren OLG Karlsruhe NVwZ-RR 2001, 147, 148; die Revision gegen dieses Urteil hat der Senat durch Beschluß vom 19. Oktober 2000 - III ZR 322/99 - nicht angenommen; OLG Rostock VersR 2003, 909, 911 bei einer Wiederkehrzeit von 20 Jahren, sofern die Kapazität der Anlage [Regenrückhaltebecken] nicht den veränderten Umständen angepaßt wurde). Der erkennende Senat hat diese Frage bisher offengelassen (BGHZ 109, 8, 14 f.; Urteil vom 26. April 2001 aaO S. 1449; s. auch Senatsurteil vom 14. Juli 1988 - III ZR 225/87 - NJW 1989, 104, 105). Er beantwortet sie nunmehr dahin, daß bei einem ganz ungewöhnlichen und seltenen Regenereignis (Katastrophenregen), wie es mit einer Wiederkehrzeit von mehr als 100 Jahren hier vorliegt, der Einwand höherer Gewalt nicht ausgeschlossen ist.
aa) Die Gefährdungshaftung für gefährliche Anlagen b eruht auf dem Gedanken, daß derjenige, der zur Förderung seiner Zwecke erlaubtermaßen Gefahren schafft, denen sich andere nicht in zumutbarer Weise entziehen können , auch ohne Verschuldensnachweis für die Schäden aufkommen soll, die bei dem gefahrenträchtigen Betrieb - auch bei Einhaltung aller Sorgfalt - entstehen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - VI ZR 69/03 - Umdruck S. 14 m.w.N., für BGHZ vorgesehen). Ausnahmen sieht das Gesetz insbesondere dann vor, wenn der Schaden durch höhere Gewalt verursacht worden ist. Darunter versteht die höchstrichterliche Rechtsprechung ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufig-
keit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen ist (RGZ 171, 104, 105 f.; BGHZ 7, 338, 339; 109, 8, 14 f.; BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 aaO S. 16; s. ferner Filthaut, aaO § 1 Rn. 158 f.; § 2 Rn. 71 m.w.N.). Das Merkmal der höheren Gewalt ist ein wertender Begriff, mit dem diejenigen Risiken von der Haftung ausgeschlossen werden sollen, die bei einer rechtlichen Bewertung nicht mehr dem gefährlichen Unternehmen (Bahnbetrieb, Rohrleitungsanlage usw.), sondern allein dem Drittereignis zugerechnet werden können (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 1988 - VI ZR 115/87 - NJW-RR 1988, 986 = VersR 1988, 910).
bb) Nach diesen Maßstäben ist die Überlastung einer Abw asserkanalisation durch einen Katastrophenregen bei wertender Betrachtung nicht mehr den Risiken der Anlage, sondern dem von außen hinzutretenden "Drittereignis" zuzurechnen. Es geht in solchen Fällen - ungeachtet dessen, daß hier auch das aus dem konzentrierten Transport von Wasser stammende Risiko zum Schaden beigetragen hat - letztlich um ganz außergewöhnliche, katastrophenartige Wirkungen elementarer Naturkräfte, auf die die Gemeinde wegen deren Seltenheit ihr Kanalsystem wirtschaftlich zumutbar nicht einrichten kann und muß. Von der Gemeinde darf zwar im allgemeinen erwartet werden, daß die von ihr betriebene Abwasserkanalisation das aufgenommene Wasser schadlos ableitet; insofern gehen auch die Anforderungen an den Tatbestand der "höheren Gewalt" im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG über die an das Aufnahmevermögen des Kanalnetzes, mit denen sich der Senat verschiedentlich unter dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung befaßt hat (vgl. BGHZ 109, 8, 10 f.; 115, 141, 147 f.; 140, 380, 385; Urteil vom 11. Dezember 1997 - III ZR 52/97 - NJW 1998, 1307 f.; s. auch Urteil vom 11. Oktober 1990 - III ZR 134/88 - NJW-RR 1991, 733, 734 = VersR 1991, 888, 889), hinaus. Gleichwohl findet die Gefährdungshaftung für Rohrleitungsanlagen ebenfalls ihre Grenze
in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Kommunen und dem von ihnen vernünftigerweise zu erwartenden Aufwand bei der Auslegung ihres Kanalsystems. Wo genau die Grenzlinie zu ziehen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer einheitlichen rechtlichen Beurteilung. Im vorliegenden Fall, in dem nach den Feststellungen des Landgerichts die gemeindliche Abwasseranlage Niederschlagsmengen zu bewältigen hatte, die seltener als alle 100 Jahre zu erwarten sind, ist aber diese Grenze jedenfalls überschritten.
cc) Der Berufung auf höhere Gewalt steht im Streitfal l auch nicht entgegen , daß die Anlage nach den Behauptungen der Kläger nicht ausreichend dimensioniert gewesen ist und nicht den anerkannten Regeln der Technik entsprochen hat. Das Landgericht hat festgestellt, daß sich derartige Mängel jedenfalls nicht ausgewirkt haben, vielmehr die Überflutung gerade auf die katastrophenartig erhöhten Regenmengen zurückzuführen ist. An diese Feststellungen ist der Senat gebunden. Verfahrensrügen hiergegen sind bei einer Sprungrevision grundsätzlich nicht zulässig (§ 566 Abs. 4 Satz 2 ZPO) und werden auch nicht erhoben.
3. Amtshaftungsansprüche (§ 839 BGB, Art. 34 GG) wegen der behaupteten fehlerhaften Errichtung oder Dimensionierung des Abwasserkanals hat das Landgericht dementsprechend an dem fehlenden Ursachenzusammenhang zwischen den Pflichtverletzungen und dem Schaden scheitern lassen. Das ist aus Rechtsgründen gleichfalls nicht zu beanstanden und wird von der Revision ebensowenig angegriffen.
4. Andere Ersatzansprüche sind nicht gegeben. Für einen neben der Haftung aus Amtspflichtverletzung zu prüfenden Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff gilt zur Kausalität dasselbe wie hinsichtlich der Amtshaftung. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt zwar außerdem, wenn ein Bachlauf - wie hier - verrohrt und in das gemeindliche Kanalsystem einbezogen ist, ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Gewässerunterhaltungspflicht in Betracht (Urteil vom 27. Januar 1983
- III ZR 70/81 - LM Nr. 74 zu § 839 [Fe] BGB = DVBl. 1983, 1055, 1056 f.). Auch in dieser Beziehung wäre jedoch die Kausalitätsfrage nicht abweichend zu beurteilen.
Schlick Streck Kapsa Galke Herrmann

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 15.04.2003 - 8 O 587/02 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird zugelassen.

Streitwert in beiden Rechtszügen: bis EUR 7.000,--.

Gründe

Die Klägerin nahm bei der Beklagten im Jahr 1994 ein Darlehen zur Finanzierung des Beitritts zu einem geschlossenen Immobilienfonds auf. Sie verlangt gem. § 6 Abs. 2 S. 2 VerbrKrG Herabsetzung des Zinssatzes auf den gesetzlichen Zinssatz, weil sie über die mit dem Kredit verbundenen Belastungen nur unzureichend belehrt worden sei.
In der Vertragsurkunde vom 28.11./13.12.1994 waren folgende Konditionen angegeben:
Darlehenshöhe  
DM 35.240,00
Zinssatz fest bis 31.10.2004   7,55 %
Nach Ablauf der Zinsfestschreibung soll der    
Zinssatz an den Marktzins angepasst werden.    
Bei Erhöhung kann der Darlehensnehmer den    
Vertrag mit sofortiger Wirkung kündigen. Die    
Zinsen sind fällig am Ende jedes Monats    
Disagio 8 %
DM
2.819,00
Bearbeitungsgebühr 2 %
DM
705,00
Nettokreditbetrag
DM
31.716,00
Jährliche Lebensversicherungsbeiträge
DM
1.245,96
Anfänglicher effektiver Jahreszins   9,47 %
Darlehensrückzahlung am   31.10.2014
Gesamtbetrag, errechnet aufgrund der bei    
Abschluß des Vertrags maßgeblichen    
Konditionen mit dem Hinweis, dass sich die    
Höhe des Gesamtbetrags bei einem Darlehen    
mit variablen Zinsen ändern kann,  
DM 123.661,88

Als Sicherheit hatte die Klägerin der Beklagten ihren Anteil an der Grundstücksgemeinschaft abgetreten, ebenso die Rechte aus einer Lebensversicherung für den Todesfall. Auf die monatlich zu zahlenden Zinsen waren die an die Bank abgetretenen Mietausschüttungen aus dem Immobilienfonds zu verrechnen, so dass die von der Klägerin tatsächlich zu leistenden Zahlungen schwanken konnten. Der Klägerin war mit den Darlehensunterlagen ein Informationsblatt der Fondsgesellschaft zugesandt worden, in dem die monatliche Zinsbelastung mit DM 221,72 abzüglich der Mietausschüttung von DM 110,--, also DM 111,72, angegeben war. Dieses Informationsblatt unterschrieb die Klägerin mit dem Darlehensvertrag am 28.11.1994.
Die Klägerin zahlte die Zinsen bis einschließlich Mai 2002. Dann stellte sie ihre Zahlungen ein, weil sie meint, der Vertrag entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben nach § 4 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 b) VerbrKrG. Die Angabe des Gesamtbetrags von DM 123.661,88 sei wegen der Schreibweise ohne Punkt nach den Tausendern intransparent. Außerdem finde sich die Angabe des Gesamtbetrags erst auf der zweiten Seite des Vertragsformulars. Der Gesamtbetrag sei nicht in die einzelnen Kosten aufgeschlüsselt, was zur Transparenz und Verständlichkeit für den Verbraucher erforderlich sei; er sei damit rechnerisch nicht nachzuvollziehen, insbesondere fehlten Angaben über die Zinsbeträge. Die EU-Änderungsrichtlinie vom 22.02.1990 stelle konkrete Anforderungen an die Einzelangaben.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Angaben im Darlehensvertrag genügten den gesetzlichen Anforderungen. Die Klägerin habe ohne weiteres erkennen können, welchen Betrag sie als Kredit erhalte und was sie zahlen müsse. Eine Aufschlüsselung des Gesamtbetrags sei gesetzlich nicht gefordert.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kreditvertrag wahre die Anforderungen des § 4 Abs. 1 S. 4 VerbrKrG. Entgegen der Auffassung der Klägerin erfordere die Vorschrift keine Aufteilung des Gesamtbetrags in Zinsen und Kosten, ebenso wenig die Angabe von Betrag und Zahl der einzelnen Teilzahlungen - eine betragsmäßige Ausweisung der Zinsraten -, da der Kreditvertrag nicht die Lieferung einer bestimmten Sache oder die Erbringung einer bestimmten anderen Leistung gegen Teilzahlung zum Gegenstand habe, § 4 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 c) VerbrKrG. Ein allgemeines Transparenzgebot als weitere Komponente des Verbraucherschutzes neben der enumerativen Aufzählung der notwendigen Angaben gebe es nicht. Es sei unschädlich, dass der Gesamtaufwand für den Kredit auf der zweiten Seite genannt und ohne Punkt nach den Tausendern geschrieben sei.
In der Berufung hält die Klägerin an ihrem Begehren fest, die Beklagte müsse die Zinsen auf der Höhe des gesetzlichen Zinssatzes neu berechnen. In Bezug auf die Art und Weise der Darstellung des Gesamtbetrags hätte § 4 Abs. 1 Nr. 1 b) VerbrKrG richtlinienkonform ausgelegt werden müssen; dort werde ausdrücklich die Einzelangabe der zu zahlenden Beträge und deren Addition zu einer Gesamtsumme gefordert. Die gesetzliche Vorschrift sei insofern unbestimmt und auslegungsbedürftig, als die Angabe der Einzelbeträge neben der Angabe des Gesamtbetrags nicht explizit verlangt werde. Eine richtlinienkonforme Auslegung werde durch die Regelungen in Nr. 2 b) und c) nicht versperrt, da die Angabe des Teilzahlungspreises der Regelung in Nr. 1 b) entspreche. Die Beklagte habe es unterlassen, die zu zahlenden Zinsraten, die Lebensversicherungsbeiträge und die Restschuld anzugeben, obwohl § 4 Abs. 1 Nr. 1 b) VerbrKrG auch auf Kreditverträge mit endfälliger Tilgung durch eine Lebensversicherung Anwendung finde. Der notwendige Schutz des Verbrauchers werde durch die bloße Angabe des Gesamtbetrags nicht erreicht, insbesondere nicht bei Kreditverträgen mit variablen Konditionen. Damit entsprächen die Angaben im Darlehensvertrag nicht den Vorgaben der EG-Richtlinie mit der Sanktion des § 6 Abs. 2 S. 2 VerbrKrG.
Die Klägerin beantragt,
10 
1. das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25.03.2003 aufzuheben,
11 
2. festzustellen, dass die Klägerin der Beklagten aus dem Darlehensvertrag Nr. ... vom 13.12.1994 nicht den vertraglich vereinbarten Zinssatz schuldet, sondern nur den gesetzlichen Zinssatz in Höhe von 4 %,
12 
3. die Beklagte zu verurteilen, die Zinsleistung der Klägerin unter Berücksichtigung der verminderten Zinsen neu zu berechnen,
13 
4. die Beklagte zu verurteilen, den sich nach Neuberechnung der monatlichen Zinsen ergebenden Betrag an überzahlten Zinsen an die Klägerin zurückzubezahlen.
14 
Die Beklagte beantragt,
15 
die Berufung zurückzuweisen.
16 
Sie vertritt auch in der Berufung den Standpunkt, dass es nach deutschem Recht ausreiche, wenn der Gesamtbetrag genannt werde. Die Richtlinie richte sich nicht an die einzelnen Rechtsunterworfenen, sondern nur an die Mitgliedstaaten, wobei § 492 BGB n.F. durch das Festhalten an der bisherigen Regelung zeige, dass der deutsche Gesetzgeber in den Bestimmungen des VerbrKrG die EU-Richtlinie als ausreichend umgesetzt betrachte. Im Übrigen komme es auch der Richtlinie allein auf die Gesamtbelastung an, die der Darlehensvertrag ausweise. Soweit ihr dies möglich gewesen sei, habe die Klägerin - ohne rechtliche Verpflichtung - auch die monatlichen Belastungen angegeben, nämlich den jährlichen Gesamtbetrag der Lebensversicherungsbeiträge sowie deren anfänglichen Monatsbetrag; die monatliche Zinsrate ergebe sich aus der Angabe des Zinssatzes und der Höhe des Darlehens. Weitere Teilbeträge seien auch nach der Richtlinie nicht anzugeben.
17 
Die Berufung ist zulässig, in der Sache indes nicht begründet. Die Beklagte war weder verpflichtet, im Darlehensvertrag den Gesamtbetrag der Leistungen der Klägerin anzugeben, noch bestand eine Verpflichtung zur Angabe der Höhe der monatlichen Zinsrate.
I.
1.
18 
Artikel 4 Abs. 2 der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit vom 22.12.1986 (87/102/EWG) lautet in der Fassung der Änderungsrichtlinie vom 22.02.1990:
19 
"In der Vertragsurkunde ist folgendes anzugeben:
20 
a) Der effektive Jahreszins;
21 
b) die Bedingungen, unter denen der effektive Jahreszins geändert werden kann ...
22 
c) eine Aufstellung des Betrags, der Anzahl und der zeitlichen Abstände oder des Zeitpunkts der Zahlungen, die der Verbraucher zur Tilgung des Kredits und Entrichtung der Zinsen und sonstigen Kosten vornehmen muss; ferner den Gesamtbetrag dieser Zahlungen, wenn dies möglich ist;
..."
23 
Nach § 4 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 des deutschen VerbrKrG in der Fassung des Gesetzes vom 27.04.1993 (BGBl. I 509) muss die vom Verbraucher zu unterzeichnende Erklärung angeben:
24 
"a) Den Nettokreditbetrag, gegebenenfalls die Höchstgrenze des Kredits;
25 
b) den Gesamtbetrag aller vom Verbraucher zur Tilgung des Kredits sowie zur Zahlung der Zinsen und sonstigen Kosten zu entrichtenden Teilzahlungen, wenn der Gesamtbetrag bei Abschluss des Kreditvertrags über die gesamte Laufzeit der Höhe nach feststeht. Ferner ist bei Krediten mit veränderlichen Bedingungen, die in Teilzahlungen getilgt werden, ein Gesamtbetrag auf der Grundlage der bei Abschluss des Vertrags maßgeblichen Kreditbedingungen anzugeben. Kein Gesamtbetrag ist anzugeben bei Krediten, bei denen die Inanspruchnahme bis zu einer Höchstgrenze freigestellt ist;
26 
c) Die Art und Weise der Rückzahlung des Kredits oder, wenn eine Vereinbarung hierüber nicht vorgesehen ist, die Regelung der Vertragsbeendigung;
..."
2.
27 
Mit dieser Umsetzung in das nationale Recht ist der Richtlinie genügt. Dass bei einem Festkredit der hier vorliegenden Art, der am 31.10.2014 in einem Betrag zurückzuzahlen ist, nicht nur der Gesamtbetrag der auf das Darlehen zu zahlenden Einzelbeträge, sondern auch deren Zahl, Höhe und jeweilige Fälligkeit anzugeben wäre, wie die Klägerin meint, wird in Literatur und Rechtsprechung für die deutsche Rechtslage, soweit ersichtlich, nicht vertreten.
a)
28 
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte den Gesamtbetrag der Leistungen des Darlehensnehmers angegeben, war hierzu allerdings nicht verpflichtet. Da der Zinssatz nur für die ersten 10 Jahre festgeschrieben und für die weitere Laufzeit von 10 Jahren noch offen war, gilt § 4 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 b) S.1 VerbrKrG nicht (der Gesamtbetrag steht bei Abschluss des Kreditvertrags nicht für die gesamte Laufzeit der Höhe nach fest). Auch der Fall des Satzes 2 (Kredite mit veränderlichen Bedingungen, die in Teilzahlungen getilgt werden) liegt nicht vor. Überwiegend wird zwar vertreten, dass unechte Abschnittsfinanzierungen - also Darlehen, die zum Ende des Finanzierungsabschnitts nicht fällig sind, sondern bei denen nur die Konditionen geändert werden, sofern der Darlehensnehmer einverstanden ist - als "Kredite mit veränderlichen Bedingungen" anzusehen sind, weil kein einheitlicher Zinssatz für die gesamte Laufzeit festgelegt ist und die Laufzeit vorzeitig endet, wenn der Kreditnehmer der Zinsanpassung widerspricht (Staudinger/Kessal-Wulf [2001], § 4 VerbrKrG Rn. 42, 43; Ulmer in Münchener Kommentar, 3. Aufl., § 4 VerbrKrG Rn. 35 a; Graf v. Westphalen, Emmerich, v. Rottenburg, VerbrKrG 2. Aufl., § 4 Rn. 70: fraglich, ob Gesamtbetrag angegeben werden muss, aber empfehlenswert; Palandt/Putzo, BGB, 61. Aufl., § 4 VerbrKrG Rn. 8; OLG Karlsruhe OLGR 2003, 320; dahingestellt im Urteil OLG Stuttgart v. 18.06.2002, 6 U 77/02- nicht veröffentlicht; a.A. Peters, WM 1994, 1405, 1408: Abschnittsfinanzierungen seien Kredite, deren Konditionen während der Festzinsperiode unveränderlich sind und über die nach deren Ablauf neu zu verhandeln ist).
29 
Die Pflicht zur Angabe des Gesamtbetrags setzt jedoch weiter voraus, dass der Kredit "in Teilzahlungen getilgt" wird. Mit Rücksicht darauf, dass es für den Kreditnehmer nicht von wesentlicher Bedeutung ist, ob er Tilgungsraten an den Kreditgeber oder Zahlungen an eine Versicherung oder Bausparkasse leistet, ist das Vorliegen dieser Voraussetzung auch dann anzunehmen, wenn der Kredit nach dem Ende der Laufzeit zwar in einem Betrag zurückzuzahlen ist, für diese Rückzahlung aber eine dann fällig werdende Lebensversicherung oder ein Bausparvertrag eingesetzt werden soll, auf die oder auf den der Darlehensnehmer statt der laufenden Darlehenstilgung regelmäßig Beiträge leistet (BGH Urteil 18.12.2001, BGHZ 149, 302; OLG Karlsruhe OLGR 2003, 320; hiervon geht auch OLG Stuttgart Urt. 18.06.2002, 6 U 77/02, aus; Münchener Kommentar/Ulmer, a.a.O. Rn. 34; von Rottenburg a.a.O., Rn. 66; Schwintowski/Schäfer, Bankrecht, 2. Teil IX Rn. 79 - Seite 690). Dieser Fall ist vorliegend jedoch nicht gegeben, da die Pflicht zur Rückzahlung des Gesamtdarlehensbetrags am 31.10.2014 von der Lebensversicherung unabhängig ist. Diese ist vielmehr nur eine Versicherung für den Todesfall und dient als Sicherheit für die Bank, nicht als Tilgungsersatz.
b)
30 
War die Beklagte schon nicht zur Angabe des Gesamtbetrags der Leistungen des Darlehensnehmers verpflichtet, bestand umso weniger eine Verpflichtung, diesen in seine Einzelbestandteile aufzuschlüsseln. Ebenso wenig musste sie in der Vertragsurkunde angeben, wie hoch die monatliche Zinsrate ist.
31 
Der Klägerin ist zuzugeben, dass die Richtlinie in der Fassung vom 22.02.1990 so verstanden werden kann, dass auch Anzahl und zeitlicher Abstand oder Zeitpunkt der Zinszahlungen anzugeben ist. Ein solches Erfordernis hat jedoch, wenn man es der Richtlinie entnehmen will, in das deutsche Recht für Kreditverträge im allgemeinen (§ 4 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 VerbrKrG) keinen Eingang gefunden. Vielmehr reicht hier, sofern nach Vertragstyp überhaupt gefordert, die Angabe des Gesamtbetrags aller Zahlungen, die Angabe der Art und Weise der Rückzahlung (im vorliegenden Fall: in einem Betrag am 31.10.2014) und die Angabe der Zinssätze und sonstigen Kosten. § 4 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 c) VerbrKrG (Angabe des Betrags, Zahl und Fälligkeit der einzelnen Teilzahlungen) gilt nur für Kreditverträge, die die Lieferung einer - beweglichen - Sache oder die Erbringung einer anderen Leistung gegen Teilzahlungen zum Gegenstand haben, nicht für Kreditverträge, die dem Darlehensnehmer einen Kreditbetrag auf einmal zur Verfügung stellen, der dem Vertragspartner des Darlehensnehmers auch in einem Betrag ausbezahlt wird (zur Abgrenzung vgl. Palandt/Putzo, a.a.O. Rn. 15; Staudinger/Kessal-Wulf, a.a.O. Rn. 28/67; Münchener Kommentar/Ulmer a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Literatur im Hinblick auf Art. 1 a Nr. 4 der Änderungsrichtlinie eine richtlinienkonforme Auslegung der Angaben bei Kreditverträgen im allgemeinen überhaupt angesprochen wird, betrifft dies nur § 4 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 c) VerbrKrG (Art und Weise der Rückzahlung des Kredits). Insoweit vertritt Ulmer die Auffassung, die Änderungsrichtlinie spreche dafür, statt allgemeiner Angaben über die Art und Weise der Rückzahlung solche über die Zahl, die Zahlungstermine oder Intervalle und die Höhe der einzelnen Tilgungsraten zu verlangen (Münchener Kommentar, 3. Aufl., § 4 VerbrKrG Rn. 37). Auch aus dieser am weitesten gehenden Auffassung kann die Klägerin für sich jedoch nichts herleiten, da ihr Kredit nicht in Raten zu tilgen ist. Dass auch die einzelnen Zinszahlungen dem Betrage nach anzugeben wären - die jeweilige Fälligkeit ist im Vertrag genannt - wird, soweit ersichtlich, nicht vertreten.
c)
32 
Auf ihre in erster Instanz geäußerte Meinung, dass die Angabe des Gesamtbetrags deswegen ungenügend sei, weil diese Zahl, wie übrigens auch alle anderen Zahlenangaben, ohne Punkt zwischen Tausendern und Hundertern geschrieben ist und sich nicht schon auf Seite 1, sondern erst auf Seite 2 findet, ist die Klägerin in der Berufung nicht mehr ausdrücklich zurückgekommen. Diese Argumentation liegt auch so fern, dass sich ein weiteres Eingehen hierauf erübrigt.
II.
33 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO.
34 
Der Senat lässt die Revision gem. 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zu im Hinblick auf die Frage, ob auch bloße Zinszahlungen als Tilgung in Teilzahlungen i.S.d. § 4 Satz 4 Nr. 1 b) Satz 2 VerbrKrG angesehen werden können.
35 
Der Streitwert errechnet sich auf der Grundlage der Differenz zwischen dem bei Abschluß des Vertrags geltenden gesetzlichen und dem vereinbarten Zinssatz bis zum Ende der Zinsfestschreibung. Die jährliche Zinsdifferenz beträgt 3,55 % aus DM 35.240,00 = DM 1.251,02, was für neun Jahre und zehn Monate DM 12.301,69 = EUR 6.289,76 ergibt. Der Streitwert beläuft sich also in beiden Rechtszügen auf bis zu EUR 7.000,00.

(1) Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich.

(2) Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Dies gilt nicht, wenn er die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt hat.

(3) Wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist, sofern seine Verantwortlichkeit nicht nach Absatz 1 oder 2 ausgeschlossen ist, für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.