Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 26. Jan. 2016 - 2 Rv 10/16

bei uns veröffentlicht am26.01.2016

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Verfahren eingestellt, soweit er wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt worden ist.

Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Gründe

I.

1

Am 14. Oktober 2014 um 23.37 Uhr befuhr der Angeklagte im alkoholisierten Zustand mit einem Fahrrad die E. Allee in Magdeburg. Nachdem er den Polizeibeamten M. und F. aufgefallen war, wollten diese ihn kontrollieren. Dabei weigerte sich der Angeklagte, seine Personalien anzugeben und einen Atemalkoholtest durchzuführen. Die Beamten wollten den Angeklagten deshalb zum Polizeirevier bringen. Als sie ihn in den Streifenwagen setzen wollten, wehrte er sich dagegen durch Wegdrehen und ruckartige Bewegung der Arme.

2

Die Polizeibeamten fertigten wegen der Weigerung, seine Personalien anzugeben, eine Ordnungswidrigkeitenanzeige. Die Stadt Magdeburg als zuständige Verwaltungsbehörde erließ sodann deswegen am 19. Januar 2015 einen Bußgeldbescheid. Auf den hiergegen eingelegten Einspruch des Angeklagten verurteilte ihn das Amtsgericht Magdeburg am 01. April 2015 zur Geldbuße von 50,00 € (Az.: 300 Owi 778 Js 4821/15 (219/15). Das Urteil ist seit dem 22. April 2015 rechtskräftig.

3

Wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte erließ das Amtsgerichts Magdeburg am 07. März 2015 einen Strafbefehl. Darin wurde gegen den Angeklagten wegen Trunkenheit im Verkehr (Einzelstrafe von 20 Tagessätzen) und wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte (Einzelstrafe von 30 Tagessätzen) die Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 80 € verhängt. Den gegen den Strafbefehl gerichteten Einspruch beschränkte der Angeklagte auf den Tatvorwurf des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte. Das Amtsgericht hat den Angeklagten sodann am 12. Oktober 2015 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte unter Einbeziehung der Strafe aus der rechtskräftigen Verurteilung wegen Trunkenheit im Verkehr zur Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 80 € verurteilt.

4

Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

5

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.

6

Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 206 a Abs. 1 StPO, weil Strafklageverbrauch eingetreten ist.

7

Gemäß § 84 Abs. 2 S. 1 OWiG steht das rechtskräftige Urteil über die Tat als Ordnungswidrigkeit auch ihrer Verfolgung als Straftat entgegen. Nach der zu § 264 StPO entwickelten gefestigten Rechtsprechung (vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 264 Rn 2), die für den in § 84 OWiG verwendeten verfahrensrechtlichen Tatbegriff entsprechend gilt, liegt eine Tat im prozessualen Sinne vor, wenn mehrere Vorgänge derart eng miteinander verknüpft sind, dass ihre getrennte Würdigung in verschiedenen Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorganges erscheinen würde.

8

Grundsätzlich ist eine Tat im prozessualen Sinne anzunehmen, wenn die Handlungen schon materiellrechtlich in Tateinheit stehen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1995, Az.: KRB 33/95, -juris). Dies trifft auf den Zusammenhang zwischen der vom Angeklagten begangenen Ordnungswidrigkeit nach § 111 Abs. 1 OWiG und der Straftat gemäß § 113 Abs. 1 StGB zu.

9

Eine Tat im Sinne des § 52 StGB liegt vor, wenn sich rechtsgutsverletzendes Handeln des Täters bei natürlicher Betrachtung als Einheit darstellt. Der Begriff setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten als ein einheitliches Tun erscheint (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., Vor § 52 StGB, Rn 3).

10

Gemessen an diesen Vorgaben handelt es sich bei der Weigerung des Angeklagten, seine Personalien anzugeben, einen Atemalkoholtest durchzuführen und seiner Widerstandshandlung um eine einheitliche Tat. Die Polizeibeamten wollten überprüfen, ob der Angeklagte unter Alkoholeinfluss am Straßenverkehr teilnahm und damit eine Straftat gemäß § 316 StGB beging. Ihre diesbezügliche Diensthandlung i.S.d. § 113 StGB war auf die Feststellung der Personalien des Angeklagtenund des Grades seiner Alkoholisierung gerichtet. Mit dieser Diensthandlung hatten sie bereits begonnen, als sie dem Angeklagten das erste Zeichen zum Anhalten gegeben hatten. Sie dauerte an, bis die Personalien des Angeklagten nach § 163 b Abs. 1 StPO festgestellt und alle Maßnahmen zur Feststellung von Alkohol im Blut gemäß § 81 a StPO durchgeführt waren. Die Weigerung des Angeklagten, seine Personalien zu nennen, einen Atemalkoholtest durchzuführen und sein Widerstand gegen die Verbringung in den Streifenwagen stellen bei natürlicher Betrachtung eine einheitliche Verweigerung der freiwilligen Mitwirkung an dieser Diensthandlung aufgrund eines einzigen Entschlusses dar.

11

Weil ein nicht behebbares Verfahrenshindernis vorliegt, ist das Verfahren gemäß § 206 a StPO einzustellen. Einer förmlichen Aufhebung des angefochtenen Urteils bedarf es nicht, weil die Einstellung des Verfahrens die Wirkungen des angefochtenen Urteils beseitigt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 1970, Az.: 5 StR 347/70, - juris).


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(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt. (2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie d

Strafprozeßordnung - StPO | § 264 Gegenstand des Urteils


(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. (2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde l

Strafgesetzbuch - StGB | § 316 Trunkenheit im Verkehr


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Strafgesetzbuch - StGB | § 113 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte


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Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 111 Falsche Namensangabe


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(1) Ist der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden oder hat das Gericht über die Tat als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat rechtskräftig entschieden, so kann dieselbe Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden. (2) Das rechtskräftige U

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Ist der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden oder hat das Gericht über die Tat als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat rechtskräftig entschieden, so kann dieselbe Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.

(2) Das rechtskräftige Urteil über die Tat als Ordnungswidrigkeit steht auch ihrer Verfolgung als Straftat entgegen. Dem rechtskräftigen Urteil stehen der Beschluß nach § 72 und der Beschluß des Beschwerdegerichts über die Tat als Ordnungswidrigkeit gleich.

(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt.

(2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nicht gebunden.

(1) Ordnungswidrig handelt, wer einer zuständigen Behörde, einem zuständigen Amtsträger oder einem zuständigen Soldaten der Bundeswehr über seinen Vor-, Familien- oder Geburtsnamen, den Ort oder Tag seiner Geburt, seinen Familienstand, seinen Beruf, seinen Wohnort, seine Wohnung oder seine Staatsangehörigkeit eine unrichtige Angabe macht oder die Angabe verweigert.

(2) Ordnungswidrig handelt auch der Täter, der fahrlässig nicht erkennt, daß die Behörde, der Amtsträger oder der Soldat zuständig ist.

(3) Die Ordnungswidrigkeit kann, wenn die Handlung nicht nach anderen Vorschriften geahndet werden kann, in den Fällen des Absatzes 1 mit einer Geldbuße bis zu eintausend Euro, in den Fällen des Absatzes 2 mit einer Geldbuße bis zu fünfhundert Euro geahndet werden.

(1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
3.
die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird.

(3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.

(4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.

(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.

(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.

(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.

(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.

(1) Wer im Verkehr (§§ 315 bis 315e) ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 315a oder § 315c mit Strafe bedroht ist.

(2) Nach Absatz 1 wird auch bestraft, wer die Tat fahrlässig begeht.

(1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
3.
die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird.

(3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.

(4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.