Oberlandesgericht Köln Urteil, 26. Feb. 2016 - 20 U 178/15
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 25. September 2015 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 9 O 449/14 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe
2I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
3II.
4Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
5Der Kläger hat keinen Anspruch auf verzinsliche Erstattung der von ihm auf die beiden streitgegenständlichen Rentenversicherungsverträge geleisteten Prämien. Dem Kläger stand Ende Mai 2014 ein Recht zum Widerspruch nach § 5a VVG a.F. nicht mehr zu. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass es an formal ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrungen in den Bedingungsheften fehlt, weil die Belehrungen nicht in drucktechnisch deutlicher Form im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. gestaltet worden sind.
6Der Senat sieht in der gegebenen besonderen Situation die Ausübung des Widerspruchsrechts trotz einer fehlenden ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung als widersprüchliches Verhalten im Sinne von § 242 BGB an. Grundsätzlich mag es zutreffend sein, dass der Annahme widersprüchlichen Verhaltens (oder auch der Annahme einer Verwirkung) die wegen fehlender oder unzutreffender Belehrung mangelnde Kenntnis des Versicherungsnehmers vom Widerspruchsrecht entgegensteht (vgl. BGH, VersR 2014, 817). Dies aber ist nur ein, wenngleich sicher wesentliches Element im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Umstände. Gleichwohl können besondere Gegebenheiten die Annahme rechtfertigen, dass der Versicherer berechtigterweise mit einem Widerspruch des Versicherungsnehmers viele Jahre nach dem Vertragsbeginn nicht mehr rechnen muss und auch der Versicherungsnehmer insoweit nicht mehr schutzwürdig erscheint. Besonders gravierende Umstände, die die Ausübung des Widerspruchsrechts als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen, liegen nach der vom Senat geteilten Auffassung des Bundesgerichtshofs vor, wenn ein Versicherungsnehmer beim Versicherer durch ein Verhalten bei der Wiederinkraftsetzung eines gekündigten Vertrags den Eindruck erweckt, den Vertrag unbedingt fortsetzen zu wollen (BGH, Beschl. v. 17. November 2015 - IV ZR 117/15 -).
7Eine solche Konstellation ist vorliegend gegeben: Hier hat allerdings nicht (wie in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall) die Beklagte, sondern der Kläger die streitgegenständlichen Rentenversicherungen mit Schreiben vom 19. Februar 2014 (Anlage B 7) gekündigt. Mit Schreiben vom 27. Februar 2014 (Anlage B 8) hatte er sodann indes - was maßgebend ist - die Kündigungen aus freien Stücken zurückgenommen und um Beitragsfreistellung unter Zurücksendung der Policen an ihn gebeten. Dem hat die Beklagte entsprochen. Damit gelten die vom Bundesgerichtshof angeführten Kriterien für die Annahme einer Verwirkung bzw. eines grob widersprüchlichen Verhaltens auch hier. Der Kläger hat durch seine Bitte, die Verträge nach den von ihm ausgesprochenen Kündigungen beitragsfrei fortzuführen (rechtlich handelt es sich dabei um Neuabschlüsse; vgl. BGH, aaO, Rz. 15), verdeutlicht, dass er an den Verträgen festhalten will. Über die Vertragsmodalitäten war er informiert, denn es ist unstreitig, dass er die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen im Jahr 2002 erhalten hat. Bei dieser Sachlage konnte die Beklagte darauf vertrauen, dass die Verträge zu den ursprünglichen Bedingungen entsprechend der Bitte des Klägers erneut abgeschlossen und fortgeführt werden sollten. Der Kläger hat die Verträge denn auch wenigstens noch einige Monate weitergeführt; mit einem Widerspruch Ende Mai 2014 musste die Beklagte in dieser Situation billigerweise nicht mehr rechnen.
8Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
9Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 1 ZPO liegen nicht vor. Grundsätzliche Rechtsfragen stellen sich nicht; es handelt sich vielmehr um eine Einzelfallentscheidung, in der der Senat unter Würdigung der besonderen Umstände des Falles ausnahmsweise ein Widerspruchsrecht trotz nicht ordnungsgemäßer Belehrung als nicht mehr gegeben ansieht.
10Berufungsstreitwert: 10.463,83 €
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(1) Anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen enthält das Urteil
- 1.
die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen, - 2.
eine kurze Begründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.
(1) Des Tatbestandes bedarf es nicht, wenn ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist. In diesem Fall bedarf es auch keiner Entscheidungsgründe, wenn die Parteien auf sie verzichten oder wenn ihr wesentlicher Inhalt in das Protokoll aufgenommen worden ist.
(2) Wird das Urteil in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, verkündet, so bedarf es des Tatbestands und der Entscheidungsgründe nicht, wenn beide Parteien auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichten. Ist das Urteil nur für eine Partei anfechtbar, so genügt es, wenn diese verzichtet.
(3) Der Verzicht nach Absatz 1 oder 2 kann bereits vor der Verkündung des Urteils erfolgen; er muss spätestens binnen einer Woche nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht erklärt sein.
(4) Die Absätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden im Fall der Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen oder wenn zu erwarten ist, dass das Urteil im Ausland geltend gemacht werden wird.
(5) Soll ein ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe hergestelltes Urteil im Ausland geltend gemacht werden, so gelten die Vorschriften über die Vervollständigung von Versäumnis- und Anerkenntnisurteilen entsprechend.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
BUNDESGERICHTSHOF
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 13. Januar 2016
beschlossen:
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 11.589,42 € festgesetzt.
Gründe:
- 1
- Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) war gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen , weil die Voraussetzungen für ihre Zulassung nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Senat hat die Parteien mit Beschluss vom 11. November 2015 auf die beabsichtigte Zurückweisung hingewiesen. Auf die dortigen Gründe wird ergänzend Bezug genommen.
- 2
- Der Schriftsatz des Klägervertreters vom 28. Dezember 2015 gibt keine Veranlassung, von der Zurückweisung der Revision abzusehen.
- 3
- Der Einwand, das Berufungsgericht, sei schon nach Maßstäben des Europarechts gehindert gewesen, Verwirkung anzunehmen, greift nicht durch. Die Maßstäbe für die Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt (siehe im Einzelnen Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 41 f.; BVerfG VersR 2015, 693 Rn. 43 ff.). Die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens steht hier in Einklang mit dieser Rechtsprechung.
- 4
- Die Frage, ob verbraucherschützende Widerspruchsrechte durch nationale Vorschriften zum Rechtsmissbrauch beschränkt werden dürften , berührt zwar das Gebot der praktischen Wirksamkeit. Der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlicher Rechtsausübung steht dies aber nicht entgegen, weil die Ausübung dieser Rechte in das nationale Zivilrecht eingebettet bleibt und die nationalen Gerichte ein missbräuchliches Verhalten auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigen dürfen (BVerfG aaO Rn. 44 m.w.N.).
- 5
- Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben beeinträchtigt auch angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts nicht. Die Erwägungen der Zweiten und Dritten Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung der Versicherungsnehmer über ihr Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages sicherzustellen , werden auch hier nicht berührt. Ob d. VN bei Wiederin- kraftsetzung des Versicherungsvertrages im Jahr 2000 ordnungsgemäß über das Rücktrittsrecht aus § 8 Abs. 5 VVG a.F. belehrt wurde, ist nicht entscheidungserheblich. Abgesehen davon, dass d. VN aufgrund der ihm 1996 erteilten Informationen Kenntnis vom Vertragsinhalt hatte, knüpft seine Treuwidrigkeit - anders als in dem der Senatsentscheidung vom 16. Juli 2014 zugrunde liegenden Fall - nicht an die jahrelange Prämienzahlung nach ordnungsgemäßer Belehrung an. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass d. VN durch sein Verhalten im Zusammenhang mit der Wiederinkraftsetzung des Vertrages den Eindruck erweckt hat, den Vertrag unbedingt fortsetzen zu wollen.
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 06.02.2014- 25 O 16184/13 -
OLG München, Entscheidung vom 09.12.2014- 25 U 1381/14 -
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)