Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 08. Mai 2014 - 1 Ws 176/14
Tenor
Die Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten (§ 473 Abs. 1 StPO) mit nachfolgenden Maßgaben verworfen:
a) Die Anordnung zu I.7. wird wie folgt gefasst:
„keine Materialien außerhalb seiner Wohnung mit sich zu führen, die zur Fesselung geeignet sind (insbesondere Handschellen, Kabel, Klebeband mit einer Breite von mehr als 1 cm, Seile, Spanngurte, sowie Kabelbinder und Gürtel oder ähnliche Materialien, die in Stabilität und Beschaffenheit in gleicher Weise zur Fesselung eingesetzt werden können). Ausgenommen hiervon sind Materialien, die notwendiger Teil der getragenen Bekleidung sind (z.B. Schnürsenkel) oder wesentlicher Bestandteil sonstiger vom Angeklagten genutzter Gegenstände sind (z.B. Kabel in Elektronikgeräten, Fahrzeugen etc.) sowie Gegenstände, zu deren Mitführung der Verurteilte gesetzlich verpflichtet ist (etwa Mullbinden im KFZ-Verbandskasten). Weitere Ausnahmen bedürfen der vorherigen Zustimmung des Gerichts.
b) Die Anordnung zu I.8. wird wie folgt gefasst:
„keine Waffen oder Waffenattrappen zu besitzen oder zu führen sowie keine Messer, Multitools, Stöcke, Stangen, Knüppel, Baseballschläger, Werkzeuge aus Metall außerhalb seiner Wohnung zu führen. Ausgenommen hiervon sind Gegenstände, zu deren Mitführung der Verurteilte gesetzlich verpflichtet ist. Weitere Ausnahmen bedürfen der vorherigen Zustimmung des Gerichts.
c) Die Anordnung zu II.2. entfällt.
1
Gründe
2Der Senat schließt sich den weitgehend zutreffenden Ausführungen der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft Hamm vom 24.03.2014 mit folgenden Maßgaben an:
31.
4Hinsichtlich der Weisung zu I.7. war aus Verhältnismäßigkeitsgründen sowie Gründen der Bestimmtheit der Weisung eine Beschränkung auf das Führen der Gegenstände außerhalb der Wohnung des Verurteilten vorzunehmen und schmales Klebeband, welches haushaltsüblich ist und im Haushalt vielfältige Verwendung findet, dessen Fesselungseignung aber nur sehr begrenzt ist, von dem Verbot auszunehmen. Gleichzeitig hat der Senat die Formulierung „etc.“ in Worte gefasst, die inhaltlich dem von der Strafvollstreckungskammer intendierten Gehalt entsprechen, dem Verurteilten aber helfen können, Erlaubtes von Unerlaubtem zu unterscheiden.
5So, wie die Weisung gefasst war, war sie gesetzeswidrig i.S.d. §§ 463, 453 Abs. 2 StPO. Von Gesetzwidrigkeit ist auszugehen, wenn die getroffene Anordnung im Gesetz nicht vorgesehen ist bzw. in der angewendeten Vorschrift keine ausreichende Rechtsgrundlage hat, unverhältnismäßig oder unzumutbar ist oder sonst die Grenzen des dem Gericht eingeräumten Ermessens überschreitet (OLG Koblenz, Beschl. v. 12.01.2011 – 2 Ws 16/11 = BeckRS 2011, 02089 m.w.N.)
6Der Senat war allerdings nicht gehalten, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache insoweit zurückzuverweisen. Grundsätzlich hat das Beschwerdegericht in der Sache selbst zu entscheiden, um den in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Fehler zu korrigieren (§ 309 StPO). Nur wenn dies nicht möglich ist, kommt eine Zurückverweisung in Betracht (Zabeck in: KK-StPO, 7. Aufl., § 309 Rdn. 7). In Fällen des § 453 Abs. 2 StPO wird eine eigene Entscheidung des Beschwerdegerichts häufig nicht in Betracht kommen, weil es dann sein Ermessen an die Stelle des Ausgangsgerichts setzen müsste, was nicht angängig ist. Vorliegend ist dem aber nicht so. Das Landgericht hat mit seiner weiten Fassung der Weisung klar gemacht, dass es einen möglichst umfassenden Schutz bezweckt und dem Verurteilten den Besitz bzw. das Führen der gefährlichen Gegenstände in weitestmöglichem Maß untersagen will. Der Senat hat vorliegend den Umfang der Weisung auf das unter Bestimmtheits- und Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten rechtlich zulässige Maß reduziert. Bei der Abwägung im Rahmen der Angemessenheit hat der Senat berücksichtigt, dass von dem Verurteilten eine sehr hohe Rückfallgefahr für höchste Rechtsgüter ausgeht, da er eine denkbar ungünstige Legalprognose hat, an seine Lebensführung aber angesichts der Ausnahmen und der vorgesehenen Möglichkeit, weitere Ausnahmen zuzulassen, keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. In der jetzigen Fassung ist die Weisung auch hinreichend bestimmt (OLG Rostock, Beschl. v. 15.11.2013 – 1 Ss 79/13 – juris).
7Will der Verurteilte weitere Ausnahmen in Anspruch nehmen, wie z.B. das Tragen von nicht notwendigen Bekleidungsteilen (etwa einer Krawatte anlässlich eines Vorstellungstermins) muss er hierfür zuvor die gerichtliche Genehmigung erwirken. Im Zweifel muss er bei Gericht nachfragen.
82.
9Entsprechendes gilt für die Weisung zu I.8.
103.
11Die Weisung I.9. Satz 2 musste nicht wegen Unbestimmtheit entfallen. Die Weisung des Verbots des Alkoholkonsums ist gem. § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB zulässig. Die gleichzeitig angeordneten Kontrollmaßnahmen entsprechen hingegen nicht dem Bestimmtheitsgebot für strafbewehrte Weisungen. Diesen Anforderungen genügt lediglich eine solche Weisung, die das von dem Betroffenen verlangte oder diesem verbotene Verhalten inhaltlich so genau beschreibt, wie dies von dem Tatbestand einer Strafnorm zu verlangen ist. Ihm muss mit der Weisung unmittelbar verdeutlicht werden, was genau von ihm erwartet wird (BGH NJW 2013, 710 m.w.N.). Diesen Anforderungen entspricht die Weisung noch nicht, da Zeitraum, Ort und Frequenz für die Alkoholkontrollen im Beschluss nicht festgelegt werden. Das Gericht hat sich jedoch die nähere Festlegung vorbehalten. Ihm ist also bewusst, dass es noch näherer Konkretisierung bedarf und dass solange diese noch nicht erfolgt ist, ein Weisungsverstoß nicht in Betracht kommt (vgl. dazu: OLG Hamm, Beschl. v. 22.01.2013 – 5 Ws 342/12). Insoweit handelt es sich der Sache nach vielmehr um eine – derzeit keine rechtlichen Konsequenzen zeitigende – Ankündigung einer Weisung.
12Der Senat geht davon aus, dass eine Konkretisierung dieser Weisung alsbald erfolgt.
134.
14Die Weisung zu II.2. entfällt. Die Therapieweisung ist zu unbestimmt. Im Grundsatz gelten hier die o.g. Bestimmtheitsanforderungen entsprechend. Es mag noch angängig sein, lediglich Art der Therapie und Zeitraum, innerhalb dessen die Therapie anzutreten ist, näher zu bestimmen und sich im Übrigen die Ausgestaltung der Therapie vorzubehalten (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 21.06.2012 – 2 Ws 190, 191/12 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Hinsichtlich der Therapie ist lediglich angeordnet, wo sie zu absolvieren ist und dass die Behandlung entsprechend den Vorschlägen des Therapeuten zu absolvieren ist. Nicht angeordnet wurde der Zeitraum, innerhalb dessen die Therapie anzutreten ist. Auch hat sich die Strafvollstreckungskammer keine Anordnungen zur näheren Ausgestaltung der Therapie vorbehalten, vielmehr hat sie dies dem Therapeuten überlassen. Dies ist nicht zulässig. Nach § 68b Abs. 2 StGB setzt „das Gericht“ die Weisung fest. Hier blieben aber so viele Faktoren vom Gericht nicht bestimmt, sondern in die Hände des Therapeuten gelegt (Zahl und Frequenz der Therapiesitzungen, Zeitpunkt, zu dem die Therapie beendet wird), dass von einer gerichtlichen Festsetzung nicht mehr die Rede sein kann (vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 05.07.2012 – I Ws 184/12).
15Die Anordnung kann aber in hinreichend bestimmter Form nach § 68d StGB neu getroffen werden.
165.
17Der geringfügige Erfolg des Rechtsmittels rechtfertigt keine Kostenquotelung.
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(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
- 1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Die Vorschriften über die Strafvollstreckung gelten für die Vollstreckung von Maßregeln der Besserung und Sicherung sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(2) § 453 gilt auch für die nach den §§ 68a bis 68d des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen.
(3) § 454 Abs. 1, 3 und 4 gilt auch für die nach § 67c Abs. 1, § 67d Abs. 2 und 3, § 67e Abs. 3, den §§ 68e, 68f Abs. 2 und § 72 Abs. 3 des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen. In den Fällen des § 68e des Strafgesetzbuches bedarf es einer mündlichen Anhörung des Verurteilten nicht. § 454 Abs. 2 findet in den Fällen des § 67d Absatz 2 und 3 und des § 72 Absatz 3 des Strafgesetzbuches unabhängig von den dort genannten Straftaten sowie bei Prüfung der Voraussetzungen des § 67c Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuches auch unabhängig davon, ob das Gericht eine Aussetzung erwägt, entsprechende Anwendung, soweit das Gericht über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden hat; im Übrigen findet § 454 Abs. 2 bei den dort genannten Straftaten Anwendung. Zur Vorbereitung der Entscheidung nach § 67d Abs. 3 des Strafgesetzbuches sowie der nachfolgenden Entscheidungen nach § 67d Abs. 2 des Strafgesetzbuches hat das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen namentlich zu der Frage einzuholen, ob von dem Verurteilten weiterhin erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind. Ist die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden, bestellt das Gericht dem Verurteilten, der keinen Verteidiger hat, rechtzeitig vor einer Entscheidung nach § 67c Absatz 1 des Strafgesetzbuches einen Verteidiger.
(4) Im Rahmen der Überprüfung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 des Strafgesetzbuches) nach § 67e des Strafgesetzbuches ist eine gutachterliche Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung einzuholen, in der der Verurteilte untergebracht ist. Das Gericht soll nach jeweils drei Jahren, ab einer Dauer der Unterbringung von sechs Jahren nach jeweils zwei Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines Sachverständigen einholen. Der Sachverständige darf weder im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst gewesen sein noch in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeiten, in dem sich die untergebrachte Person befindet, noch soll er das letzte Gutachten bei einer vorangegangenen Überprüfung erstellt haben. Der Sachverständige, der für das erste Gutachten im Rahmen einer Überprüfung der Unterbringung herangezogen wird, soll auch nicht das Gutachten in dem Verfahren erstellt haben, in dem die Unterbringung oder deren späterer Vollzug angeordnet worden ist. Mit der Begutachtung sollen nur ärztliche oder psychologische Sachverständige beauftragt werden, die über forensisch-psychiatrische Sachkunde und Erfahrung verfügen. Dem Sachverständigen ist Einsicht in die Patientendaten des Krankenhauses über die untergebrachte Person zu gewähren. § 454 Abs. 2 gilt entsprechend. Der untergebrachten Person, die keinen Verteidiger hat, bestellt das Gericht für die Überprüfung der Unterbringung, bei der nach Satz 2 das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt werden soll, einen Verteidiger.
(5) § 455 Abs. 1 ist nicht anzuwenden, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet ist. Ist die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden und verfällt der Verurteilte in Geisteskrankheit, so kann die Vollstreckung der Maßregel aufgeschoben werden. § 456 ist nicht anzuwenden, wenn die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angeordnet ist.
(6) § 462 gilt auch für die nach § 67 Absatz 3, 5 Satz 2 und Absatz 6, den §§ 67a und 67c Abs. 2, § 67d Abs. 5 und 6, den §§ 67g, 67h und 69a Abs. 7 sowie den §§ 70a und 70b des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen. In den Fällen des § 67d Absatz 6 des Strafgesetzbuches ist der Verurteilte mündlich zu hören. Das Gericht erklärt die Anordnung von Maßnahmen nach § 67h Abs. 1 Satz 1 und 2 des Strafgesetzbuchs für sofort vollziehbar, wenn erhebliche rechtswidrige Taten des Verurteilten drohen.
(7) Für die Anwendung des § 462a Abs. 1 steht die Führungsaufsicht in den Fällen des § 67c Abs. 1, des § 67d Abs. 2 bis 6 und des § 68f des Strafgesetzbuches der Aussetzung eines Strafrestes gleich.
(8) Wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollstreckt, bestellt das Gericht dem Verurteilten, der keinen Verteidiger hat, für die Verfahren über die auf dem Gebiet der Vollstreckung zu treffenden gerichtlichen Entscheidungen einen Verteidiger. Die Bestellung hat rechtzeitig vor der ersten gerichtlichen Entscheidung zu erfolgen und gilt auch für jedes weitere Verfahren, solange die Bestellung nicht aufgehoben wird.
(1) Die nachträglichen Entscheidungen, die sich auf eine Strafaussetzung zur Bewährung oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt beziehen (§§ 56a bis 56g, 58, 59a, 59b des Strafgesetzbuches), trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte sind zu hören. § 246a Absatz 2 und § 454 Absatz 2 Satz 4 gelten entsprechend. Hat das Gericht über einen Widerruf der Strafaussetzung wegen Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen zu entscheiden, so soll es dem Verurteilten Gelegenheit zur mündlichen Anhörung geben. Ist ein Bewährungshelfer bestellt, so unterrichtet ihn das Gericht, wenn eine Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung oder den Straferlaß in Betracht kommt; über Erkenntnisse, die dem Gericht aus anderen Strafverfahren bekannt geworden sind, soll es ihn unterrichten, wenn der Zweck der Bewährungsaufsicht dies angezeigt erscheinen läßt.
(2) Gegen die Entscheidungen nach Absatz 1 ist Beschwerde zulässig. Sie kann nur darauf gestützt werden, daß eine getroffene Anordnung gesetzwidrig ist oder daß die Bewährungszeit nachträglich verlängert worden ist. Der Widerruf der Aussetzung, der Erlaß der Strafe, der Widerruf des Erlasses, die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe und die Feststellung, daß es bei der Verwarnung sein Bewenden hat (§§ 56f, 56g, 59b des Strafgesetzbuches), können mit sofortiger Beschwerde angefochten werden.
Tenor
Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz in Diez vom 11. November 2010 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
- 1
Das Landgericht K. verurteilte den Beschwerdeführer am 15. Januar 2007 wegen Betruges in 311 Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Jahren und sechs Monaten. Zwei Drittel der Strafe waren am 16. Juni 2010 vollstreckt. Mit Beschluss vom 13. Juli 2010 setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ko. die Vollstreckung des Strafrestes gemäß § 57 Abs. 1 StGB auf die Dauer von vier Jahren zur Bewährung aus, unterstellte den Verurteilten für diese Zeit der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers und erteilte ihm die nachstehenden Weisungen:
- 2
a) Er hat nach seiner Entlassung in der …-Straße 6 in … festen Wohnsitz zu nehmen und sich dort – falls noch nicht geschehen – binnen drei Werktagen polizeilich anzumelden.
- 3
b) Er hat sich um eine versicherungspflichtige Tätigkeit zu bemühen. Im Falle der Arbeitslosigkeit hat er sich unverzüglich bei der für seinen Wohnort zuständigen Agentur für Arbeit oder einer anderen zur Vermittlung von Arbeit zuständigen Stelle als arbeitslos und arbeitsuchend zu melden.
- 4
c) Er darf seinen Wohnsitz nur nach vorheriger Rücksprache mit seinem Bewährungshelfer wechseln.
- 5
d) Er hat zudem jeden Wechsel des Wohnsitzes binnen drei Werktagen schriftlich der Strafvollstreckungskammer … mitzuteilen.
- 6
Die Entlassung aus der Strafhaft erfolgte am 19. Juli 2010.
- 7
Mit Telefax vom 13. September 2010 teilte das Hessische Landeskriminalamt der Strafvollstreckungskammer mit, dass der Verurteilte bei der dortigen Dienststelle im Rahmen des Konzepts ZÜRS (Zentralstelle zur Überwachung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter) bearbeitet werde. In Anbetracht der dem Schreiben beigefügten polizeilichen Gefährdungsbewertung des Probanden, aufgrund derer von Rückfallgefahr im Hinblick auf die Begehung von Sexualstraftaten auszugehen sei, erachtete die Behörde folgende Weisungsergänzungen als sinnvoll und bat um Prüfung und weitere Veranlassung:
- 8
- Verbot Internetanschluss und Besitz von Bildaufzeichnungsgeräten (waren in der Vergangenheit Tatmittel)
- 9
- Verbot, sich an Orten aufzuhalten, an denen regelmäßig Kinder ohne Aufsicht anzutreffen sind, insbesondere nicht an Spielplätzen, öffentlichen Schwimmbädern, allgemein genutzten Strandbädern oder Badeseen, Schulen, Kindertagesstätten oder vergleichbaren Einrichtungen
- 10
- generelles Kontaktverbot zu Personen unter 18 Jahren (ausgenommen sind die behördlich begleiteten Besuche der eigenen Kinder einmal im Monat für zwei Stunden)
- 11
- Prüfung eines Ausreiseverbots aus Deutschland und Entziehung des Reisepasses (wenn vorhanden).
- 12
Nach Anhörung von Staatsanwaltschaft, Verurteiltem und Bewährungshelferin hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 11. November 2010 dem Verurteilten in Ergänzung ihres Beschlusses vom 13. Juli 2010 folgende weitere Weisungen erteilt:
- 13
e) Dem Verurteilten wird untersagt, sich an Orten aufzuhalten, an denen regelmäßig Kinder ohne Aufsicht anzutreffen sind, insbesondere nicht an Spielplätzen, öffentlichen Schwimmbädern, allgemein genutzten Strandbädern oder Badeseen, Schulen, Kindertagesstätten oder vergleichbaren Einrichtungen.
- 14
f) Er darf keinen Kontakt zu Personen unter 16 Jahren aufnehmen (ausgenommen sind die behördlich begleiteten Besuche der eigenen Kinder einmal im Monat für zwei Stunden).
- 15
g) Der Besitz eines Bildaufzeichnungsgerätes und eines Internetanschlusses wird ihm untersagt.
- 16
Gegen den Beschluss hat der Verteidiger am 23. November 2010 Beschwerde eingelegt.
II.
- 17
Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet. Zwar kann es nach § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung gesetzwidrig sei. Das ist hier indes der Fall.
- 18
Von Gesetzwidrigkeit ist auszugehen, wenn die getroffene Anordnung im Gesetz nicht vorgesehen ist bzw. in der angewendeten Vorschrift keine ausreichende Rechtsgrundlage hat, unverhältnismäßig oder unzumutbar ist oder sonst die Grenzen des dem Gericht eingeräumten Ermessens überschreitet (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 453 Rdnr. 12; OLG Stuttgart in NStZ-RR 2004, 89). Letzteres hat die Strafvollstreckungskammer bei der nachträglichen Ergänzung des Bewährungsbeschlusses getan. Zwar war sie nach § 56 e StGB grundsätzlich befugt, ihre zuvor getroffene Entscheidung über die dem Verurteilten zu erteilenden Weisungen (§ 56 c StGB) nachträglich durch Hinzufügung weiterer Weisungen zu verändern (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 56 e Rdnr. 1). Dieses dem Gericht gesetzlich eingeräumte Ermessen ist jedoch rechtsstaatlich gebunden. Sinn der Vorschrift ist es, Auflagen und Weisungen während der Bewährungszeit den wechselnden Verhältnissen, also dem jeweiligen Bewährungsstand, anzupassen, wenn sich entweder objektive Situation oder Informationsstand des Gerichts in tatsächlicher Hinsicht geändert haben. Dass das Gericht bei im Wesentlichen unveränderter Sachlage lediglich eine andere Bewertung vorgenommen hat, reicht nicht aus. Die darin liegende Einschränkung der Möglichkeit nachträglicher Änderungen ist ein Gebot der Rechtssicherheit. Der Verurteilte muss zwar damit rechnen, dass das Gericht nachträglich geändertes Verhalten oder geänderte Verhältnisse des Verurteilten oder sonst neu hervorgetretene Tatsachen berücksichtigen kann, muss sich aber andererseits darauf verlassen können, dass allein eine geänderte Bewertung des Gerichts zu Rechtsfragen oder zu bereits bekannten Tatsachen zu keiner Änderung sanktionsähnlicher Auflagen oder Weisungen führen wird (vgl. Stree/Kinzig in Schönke-Schröder, StGB, 28. Aufl., § 56 e Rdnr. 2; Fischer, a.a. O., Rdnr. 2; OLG Stuttgart in NStZ-RR 2004, 89 und 362). Diesem Gesichtspunkt kam hier umso größere Bedeutung zu, als es sich bei den hinzugefügten Weisungen um inhaltlich gänzlich andersartige und den Verurteilten in seiner allgemeinen Lebensführung erheblich beeinträchtigende Anordnungen handelte.
- 19
Auf eine nachträgliche Veränderung der Verhältnisse konnte die Strafvollstreckungskammer sich dabei nicht berufen. Erkenntnisse über frühere sexuelle Missbrauchstaten des Verurteilten waren jedenfalls im Kern nicht neu. Die einschlägige Verurteilung durch das Landgericht Memmingen vom 12. Dezember 1983 hatte die Strafvollstreckungskammer bereits in ihrem Beschluss vom 13. Juli 2010 gewürdigt. In derselben Entscheidung hatte sie ein weiteres Verfahren gegen den Verurteilten in Brasilien angesprochen, dessen „genaue Umstände aber bislang nicht bekannt geworden sind“. Einen neuen Umstand vermag der Senat in diesem Zusammenhang nicht etwa daraus herzuleiten, dass die Strafvollstreckungskammer in dem angefochtenen Beschluss hierzu anführt, der Verurteilte habe in der mündlichen Anhörung behauptet, ein derartiges Strafverfahren in Brasilien habe nicht stattgefunden, und sie damit bewusst getäuscht. Denn wie das Landgericht Kaiserslautern schon in seinem Urteil vom 15. Januar 2007 festgestellt hatte, war der Verurteilte am 3. Mai 1997 zusammen mit seiner Ehefrau … in Brasilien wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern festgenommen worden. Nachdem es ihm gelungen war, aus der Untersuchungshaft zu fliehen, war er am 30. Dezember 1997 in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren und sechs Monaten sowie zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Die Urteilsgründe mussten der Strafvollstreckungskammer am 13. Juli 2010 bekannt gewesen sein, da sie ohne deren genaue Kenntnis eine Entscheidung über die bedingte Entlassung des Verurteilten zu jenem Zeitpunkt nicht mit der gebotenen Sorgfalt hätte treffen können. Wann die Strafvollstreckungskammer letztlich von dem in der angefochtenen Entscheidung ebenfalls angeführten neuen Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs bei der Staatsanwaltschaft Limburg Kenntnis erlangt hat, kann im Ergebnis dahinstehen, da die Gefahr neuerlicher Sexualstraftaten sich für die Strafvollstreckungskammer nicht erst hieraus herleiten ließ. Gleichwohl hatte die Strafvollstreckungskammer trotz der genannten beiden Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs zunächst offenbar keinen Anlass gesehen, die zu erteilenden Weisungen auch hieran auszurichten. Dass sie nach dem 13. Juli 2010 – augenscheinlich veranlasst durch die Anregung des Hessischen Landeskriminalamts vom 13. September 2010 – anderen Sinnes geworden war, vermochte die vorgenommenen Änderungen nicht zu rechtfertigen.
- 20
Im Übrigen lassen Inhalt und Entstehungsgeschichte der angefochtenen Entscheidung besorgen, dass die Strafvollstreckungskammer sich nicht in der gebotenen Weise an Sinn und Zweck der nach § 56 c StGB möglichen Weisungen orientiert hat. Dieser liegt darin, dem Verurteilten Hilfestellung auf dem Weg in eine straffreie Lebensführung zu bieten, ihn spezialpräventiv zu beeinflussen und so seine Resozialisierung zu fördern. Zu anderen Zwecken als denen der individuellen Hilfe zukünftiger Straffreiheit des Verurteilten dürfen Weisungen nicht ergehen, so auch nicht aus Gründen bloßer Sicherung oder der Überwachung (vgl. Stree/Kinzig, a. a. O., § 56 c Rdnr. 1 und 2; Groß in Münchener Kommentar, StGB, § 56 c Rdnr. 7; Hubrach in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 56 c Rdnr. 1; Schall in SK-StGB, § 56 c Rdnr. 5 bis 7; BVerfG in NJW 1993, 3315; OLG Celle in NStZ 2004, 627; OLG Koblenz in NStZ 1987, 24). Bei den von dem Hessischen Landeskriminalamt im Zuge der Überwachung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter vorgeschlagenen und von der Strafvollstreckungskammer so aufgegriffenen weiteren Weisungen haben indes unverkennbar nicht das individuelle Resozialisierungsinteresse des Verurteilten, sondern zum Schutz der Allgemeinheit Überwachung und präventive polizeiliche Gefahrenabwehr im Vordergrund gestanden.
- 21
Dass die mit den Weisungen zu verhindernden Sexualstraftaten ihrer Art nach in keinem Bezug zu den vom Landgericht Kaiserslautern abgeurteilten Straftaten des Betruges und der Urkundenfälschung standen, hält der Senat allerdings nicht für problematisch. Denn dem Verurteilten soll durch Weisungen geholfen werden, generell keine Straftaten, gleich welcher Art, mehr zu begehen (vgl. Groß, a. a. O., Rdnr. 8).
- 22
Danach konnte der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Die Kosten- und Auslagenentscheidung ergibt sich aus analoger Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO (vgl. Meyer-Goßner, a. a. O., § 473 Rdnr. 2).
- 23
Mit der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ist der Antrag des Verurteilten vom 6. Dezember 2010 auf Beiordnung von Rechtsanwalt … für das Vollstreckungsverfahren, über den im Übrigen bereits die Strafvollstreckungskammer zu entscheiden gehabt hätte, als gegenstandslos anzusehen.
(1) Die nachträglichen Entscheidungen, die sich auf eine Strafaussetzung zur Bewährung oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt beziehen (§§ 56a bis 56g, 58, 59a, 59b des Strafgesetzbuches), trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte sind zu hören. § 246a Absatz 2 und § 454 Absatz 2 Satz 4 gelten entsprechend. Hat das Gericht über einen Widerruf der Strafaussetzung wegen Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen zu entscheiden, so soll es dem Verurteilten Gelegenheit zur mündlichen Anhörung geben. Ist ein Bewährungshelfer bestellt, so unterrichtet ihn das Gericht, wenn eine Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung oder den Straferlaß in Betracht kommt; über Erkenntnisse, die dem Gericht aus anderen Strafverfahren bekannt geworden sind, soll es ihn unterrichten, wenn der Zweck der Bewährungsaufsicht dies angezeigt erscheinen läßt.
(2) Gegen die Entscheidungen nach Absatz 1 ist Beschwerde zulässig. Sie kann nur darauf gestützt werden, daß eine getroffene Anordnung gesetzwidrig ist oder daß die Bewährungszeit nachträglich verlängert worden ist. Der Widerruf der Aussetzung, der Erlaß der Strafe, der Widerruf des Erlasses, die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe und die Feststellung, daß es bei der Verwarnung sein Bewenden hat (§§ 56f, 56g, 59b des Strafgesetzbuches), können mit sofortiger Beschwerde angefochten werden.
(1) Das Gericht kann die verurteilte Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit anweisen,
- 1.
den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu verlassen, - 2.
sich nicht an bestimmten Orten aufzuhalten, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, - 3.
zu der verletzten Person oder bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen, - 4.
bestimmte Tätigkeiten nicht auszuüben, die sie nach den Umständen zu Straftaten missbrauchen kann, - 5.
bestimmte Gegenstände, die ihr Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, nicht zu besitzen, bei sich zu führen oder verwahren zu lassen, - 6.
Kraftfahrzeuge oder bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen oder von anderen Fahrzeugen nicht zu halten oder zu führen, die sie nach den Umständen zu Straftaten missbrauchen kann, - 7.
sich zu bestimmten Zeiten bei der Aufsichtsstelle, einer bestimmten Dienststelle oder der Bewährungshelferin oder dem Bewährungshelfer zu melden, - 8.
jeden Wechsel der Wohnung oder des Arbeitsplatzes unverzüglich der Aufsichtsstelle zu melden, - 9.
sich im Fall der Erwerbslosigkeit bei der zuständigen Agentur für Arbeit oder einer anderen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle zu melden, - 10.
keine alkoholischen Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen Gründe für die Annahme bestehen, dass der Konsum solcher Mittel zur Begehung weiterer Straftaten beitragen wird, und sich Alkohol- oder Suchtmittelkontrollen zu unterziehen, die nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind, - 11.
sich zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Abständen bei einer Ärztin oder einem Arzt, einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten oder einer forensischen Ambulanz vorzustellen oder - 12.
die für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen.
- 1.
die Führungsaufsicht auf Grund der vollständigen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren oder auf Grund einer erledigten Maßregel eingetreten ist, - 2.
die Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe oder die Unterbringung wegen einer oder mehrerer Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art verhängt oder angeordnet wurde, - 3.
die Gefahr besteht, dass die verurteilte Person weitere Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art begehen wird, und - 4.
die Weisung erforderlich erscheint, um die verurteilte Person durch die Möglichkeit der Datenverwendung nach § 463a Absatz 4 Satz 2 der Strafprozessordnung, insbesondere durch die Überwachung der Erfüllung einer nach Satz 1 Nummer 1 oder 2 auferlegten Weisung, von der Begehung weiterer Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art abzuhalten.
(2) Das Gericht kann der verurteilten Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit weitere Weisungen erteilen, insbesondere solche, die sich auf Ausbildung, Arbeit, Freizeit, die Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse oder die Erfüllung von Unterhaltspflichten beziehen. Das Gericht kann die verurteilte Person insbesondere anweisen, sich psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen (Therapieweisung). Die Betreuung und Behandlung kann durch eine forensische Ambulanz erfolgen. § 56c Abs. 3 gilt entsprechend, auch für die Weisung, sich Alkohol- oder Suchtmittelkontrollen zu unterziehen, die mit körperlichen Eingriffen verbunden sind.
(3) Bei den Weisungen dürfen an die Lebensführung der verurteilten Person keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden.
(4) Wenn mit Eintritt der Führungsaufsicht eine bereits bestehende Führungsaufsicht nach § 68e Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 endet, muss das Gericht auch die Weisungen in seine Entscheidung einbeziehen, die im Rahmen der früheren Führungsaufsicht erteilt worden sind.
(5) Soweit die Betreuung der verurteilten Person in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 11 oder ihre Behandlung in den Fällen des Absatzes 2 nicht durch eine forensische Ambulanz erfolgt, gilt § 68a Abs. 8 entsprechend.
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird hinsichtlich der Ziffer 6. f) seines Tenors aufgehoben. Insoweit wird die Sache zu neuer Prüfung und Entscheidung - auch über die Kosten der Beschwerde - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Rostock zurückverwiesen.
Gründe
1.
- 1
Soweit der Verurteilte sich mit seiner Beschwerde vom 25.03.2012 ursprünglich auch gegen Ziff. lit. d), e) und f) des angefochtenen Beschlusses gewandt hatte, hat er sein Begehren nachträglich mit Schreiben vom 13.05.2012 sowie vom 20. und 21.06.2012 auf die Ziff. 6 lit. f) beschränkt, worin gemäß § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO eine Rücknahme zu sehen ist. Insoweit wird deshalb nur noch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden sein.
2.
- 2
Die verbleibende Beschwerde ist gemäß §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet.
a)
- 3
Nach § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO kann das Rechtsmittel nur darauf gestützt werden, dass eine Anordnung gesetzeswidrig sei. Daher bestimmt die Vorschrift ein nur eingeschränktes Nachprüfungsrecht des Beschwerdegerichts. Auf den Vortrag des Beschwerdeführers kommt es dabei es nicht an. Vielmehr ist von Amts wegen die Gesetzmäßigkeit von Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht zu prüfen. Dabei liegt die Rechtswidrigkeit einer Anordnung vor, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, sie unverhältnismäßig oder unzumutbar ist, oder wenn sie sonst die Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens überschreitet (vgl. Meyer-Goßner aaO. § 453 Rdnr. 12). Ansonsten verbleibt es bei dem Grundsatz, die mit Führungsaufsichtsanordnungen verbundenen Ermessensentscheidungen der ersten Instanz zu überlassen (ständige Rspr. des Senats vgl. nur Beschl. v. 14.03.2011- I Ws 66/11 m.w.N.).
b)
- 4
§ 68 b Abs. 1 Satz 2 StGB verpflichtet das Gericht zur genauen Bestimmung des verbotenen oder verlangten Verhaltens. Dies hat im Hinblick auf § 145 a StGB besondere Bedeutung, weil - nur - der Verstoß gegen Weisungen des Maßnahmenkatalogs des § 68 b Abs. 1 Satz 1 StGB strafbewehrt ist. Erst die genaue Bestimmung gibt diesem Tatbestand, für den die Weisungen die Funktion einer Blankettausfüllung haben, die Konturen und gewährleisten die Übereinstimmung mit Art. 103 Abs. 2 GG. Dem wird die angefochtene Weisung nicht gerecht.
aa)
- 5
Soweit dem Beschwerdeführer mit Ziff. 6f) aufgegeben wurde, sich "sich sofort nach seiner Entlassung bei einer Ärztin oder einem Arzt, einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten oder einer forensischen Ambulanz vorzustellen und eine ambulante Psychotherapie zu beginnen und regelmäßig fortzusetzen ", ist schon nicht erkennbar, ob das Gericht damit die Verpflichtung nach § 68 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StGB aussprechen oder aber nach § 68 b Abs. 2 Satz 1 StGB dem Verurteilten Vorgaben zu seiner Lebensführung machen wollte. Die in Betracht kommenden Vorschriften sind in dem streitbefangenen Beschluss nicht aufgeführt. Schon dies führt zur Unbestimmtheit der Weisung. Um eine Suchtmitteltherapie, soviel ist jedenfalls aus der Begründung des Beschlusses ersichtlich, soll es sich nicht handeln. Welchen sonstigen Anlass der Beschwerdeführer zu einer Therapie gibt, bleibt offen, zumal die Weisung auch nicht näher begründet worden ist.
bb)
- 6
Sofern die Strafvollstreckungskammer eine strafbewehrte Weisung im Sinne des § 68 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StGB erteilen wollte, hätte sie nicht beachtet, dass die Vorstellungsverpflichtung nur zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Abständen und nur bei einem (jeweils zu bestimmenden) Arzt, einem Psychotherapeuten oder einer forensischen Ambulanz zulässig ist. Sowohl das weitestgehende Fehlen einer zeitlichen Anordnung "sofort zu beginnen und regelmäßig fortzusetzen" als auch die allgemein gehaltene Formulierung "einem Arzt" etc. genügt dem Bestimmtheitsgebot nicht.
- 7
Darüber hinaus eröffnet die Weisung nach § 68 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StGB nur die Anordnung einer Vorstellungspflicht, nicht dagegen einer Behandlungspflicht. Der Betroffene soll nur "in das Behandlungszimmer gezwungen" werden (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 28. Juni 2006, BT-Drucks. 16/1993 S. 19). Eine Therapieweisung ist damit nicht verbunden (OLG Dresden, Beschl. v. 06.09.2007 - 2 Ws 423/07, NStZ-RR 2008, 27).
- 8
Die Weisung lässt auch nicht erkennen, unter welchen Voraussetzungen eine Therapie wieder beendet werden soll. Die Entscheidung darüber, ob eine (die Therapiewilligkeit voraussetzende) Therapie fortzudauern hat, kann jedoch nicht dem Ermessen eines Therapeuten überlassen bleiben, worauf aber die Formulierung der Weisung hinauslaufen würde.
cc)
- 9
Soweit die Weisung grundsätzlich als solche zur allgemeinen Lebensführung nach § 68 Abs. 2 Satz 2 StGB möglich wäre, würde sie auch insofern rechtsstaatlichen Anforderungen nicht gerecht. Eine solche Anordnung, die, sofern sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist, nach § 68 b Abs. 2 StGB ohne Einwilligung des Betroffenen grundsätzlich möglich ist, stellt einen erheblichen Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht dar. Wenngleich eine solche Weisung damit nicht in den strafbewehrten Katalog des § 68 b Abs. 1 StGB fällt, ist hierbei gleichwohl der verfassungsrechtlich verankerte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz streng zu prüfen (OLG Dresden, aaO.). Ist aber noch nicht einmal klar, wozu die Therapie dienen soll, bleibt schon offen, ob sie zur Verfolgung des nicht bestimmten Ziels überhaupt (als erste Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit) geeignet ist. Im Übrigen wird auf die Ausführungen unter bb) verwiesen.
- 10
Mangels Begründung der Ermessensausübung kann diese nicht weiter überprüft werden. Eine eigene Entscheidung des Senats scheidet aus, sodass die Sache an die Strafvollstreckungskammer, die auch über die Kosten des Rechtsmittels unter Berücksichtigung seiner teilweisen Rücknahme zu entscheiden haben wird, zurückzuverweisen war.
(1) Das Gericht kann Entscheidungen nach § 68a Abs. 1 und 5, den §§ 68b und 68c Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 und 3 auch nachträglich treffen, ändern oder aufheben.
(2) Bei einer Weisung gemäß § 68b Absatz 1 Satz 1 Nummer 12 prüft das Gericht spätestens vor Ablauf von zwei Jahren, ob sie aufzuheben ist. § 67e Absatz 3 und 4 gilt entsprechend.