Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 28. Apr. 2014 - 1 Vollz (Ws) 167/14
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Gericht
Tenor
Dem Betroffenen wird kostenfrei (§ 21 GKG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung der Rechtsbeschwerde gewährt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneu-
ten Behandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbe-
schwerde – an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen
zurückverwiesen.
1
Gründe
2I.
3Der Betroffene befindet sich im Vollzug der Sicherungsverwahrung. Er wendet sich gegen eine überhöhte Anrechnung von Hausgeld (Arbeitseinkommen) auf seinen Taschengeldanspruch. Nach den Feststellungen im angefochtenen Beschluss beantragte er Ende September 2013 für diesen Monat ein Taschengeld. Die Leiterin der Justizvollzugsanstalt bewilligte ihm am 10.10.2013 nur ein Taschengeld in Höhe von 12,09 Euro.
4Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung verworfen und bezieht sich in der Begründung der Entscheidung (allein) auf die Stellungnahme der Leiterin der Justizvollzugsanstalt B.
5Gegen die ihm am 13.01.2014 zugestellte Entscheidung der Strafvollstreckungskammer wendet sich der Betroffene mit der am 11.03.2014 beim Amtsgericht Aachen protokollierten Rechtsbeschwerde mit der er die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt und die Sachrüge erhebt.
6Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hält die Rechtsbeschwerde für begründet.
7II.
8Dem Betroffenen war nach § 120 Abs. 1 StVollzG i.V.m. §§ 44 ff. StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er war ohne sein Verschulden verhindert, die Frist zur Anbringung der Rechtsbeschwerde zu wahren. Er hat – was angängig ist (§§ 120 Abs. 1 StVollzG, 299 Abs. 1 StPO) – die Protokollierung seiner Rechtsbeschwerde beim Amtsgericht Aachen am 28.01.2014, also deutlich vor Ablauf der Rechtsmittelfrist beantragt. Weitere Maßnahmen zur Protokollierung des Rechtsmittels konnten dort allerdings erst ergriffen werden, nachdem die Akten dort eingegangen waren. Das war am 21.02.2014, also bereits außerhalb der Rechtsmittelfrist der Fall. Zur Protokollierung kam es dann erst am 11.03.2014. Die verspätete Protokollierung war damit nicht vom Betroffenen verschuldet. Er hätte zwar auch – nach der Grundregel des § 118 Abs. 1 StVollzG – einen Antrag auf Protokollierung beim Landgericht Aachen anbringen können. Dass er statt dessen seine Rechte nach §§ 120 Abs. 1 StVollzG, 299 StPO wahrnimmt, kann ihm aber nicht als Verschulden angelastet werden.
9III.
10Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen. Über die Zulassungsgründe des § 116 StVollzG hinaus ist anerkannt, dass eine Zulassung des Rechtsmittels auch dann geboten ist, wenn die tatsächlichen Feststellungen oder rechtlichen Erwägungen der angefochtenen Entscheidung so unzureichend sind, dass das Rechtsbeschwerdegericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG nicht überprüfen kann (Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 116 Rdn. 4). So verhält es sich hier.
11Der angefochtene Beschluss zitiert zwar vollständig die Stellungnahme der Leiterin der Justizvollzugsanstalt zu dem Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung und verweist zur Begründung sodann auf diesen. Indes geht daraus nicht hervor, ob die in der Stellungnahme ausgeführten Tatsachen so auch vom Gericht festgestellt worden sind oder nicht. Die fehlenden Ausführungen konnten auch nicht durch eine Bezugnahme nach § 115 Abs. 1 S. 4 StVollzG ersetzt werden, da eine solche nur auf die Begründung des angefochtenen Bescheids selbst, nicht aber auf die Stellungnahme im gerichtlichen Verfahren angängig ist (OLG Nürnberg ZfStrVO 2006, 122).
12Darüber hinaus fehlt es insgesamt – wegen der unzulässigen Bezugnahme nach § 115 Abs. 1 S. 4 StVollzG (s.o.) – an für den Senat überprüfbaren Entscheidungsgründen.
13Ob die Rechtsbeschwerde auch wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs zuzulassen gewesen wäre, kann dahinstehen. Dies erscheint insbesondere deswegen zweifelhaft, weil der Betroffene nicht ausgeführt hat, was er im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte (vgl. Senatsbeschluss vom 16.07.2013 – III – 1 Vollz (Ws) 256/13 – juris).
14IV.
15Die Rechtsbeschwerde hat angesichts der unzureichenden Tatsachenfeststellungen und Entscheidungsgründen zwangsläufig Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache (§ 119 Abs. 4 StVollzG).
16Für die erneute Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass er in der Sache die Auffassung des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen teilt. Darin wird u.a. ausgeführt:
17„Gem. § 35 Abs. 1 S. 1 Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen (SVVollzG NRW) wird Untergebrachten auf Antrag Taschengeld gewährt, soweit sie bedürftig sind. Bedürftig sind Untergebrachte gem. § 35 Abs. 2 S. 1 SVVollzG NRW, soweit ihnen für den Antragszeitraum aus dem Hausgeld und dem Eigengeld monatlich ein Betrag in Höhe des Taschengeldes voraussichtlich nicht zur Verfügung steht.
18Das Gesetz stellt damit auf die tatsächliche Bedürftigkeit des Antragstellers in dem Antragszeitraum ab. Maßgeblich für die Beurteilung der Frage der Bedürftigkeit ist demzufolge allein das Zuflussprinzip. Im Monat September 2013 war der Beschwerdeführer allerdings nicht über den festgestellten Taschengeldanspruch hinaus bedürftig, da ihm am 06.09.2013 das Arbeitsentgelt für den Vormonat i. H. v. 92,28 Euro zum Hausgeld vergütet worden war.
19Dem steht auch der von dem Beschwerdeführer zitierte Beschluss des 5. Strafsenats des Berliner Kammergerichts vom 16.04.1999 (Ws 108/99 Vollz-) nicht entgegen. Der Beschluss betrifft die Auslegung des „Taschengeldparagraphen“ des StVollzG (§ 46), welcher aber mit § 35 SVVollzG aufgrund seines anderen Wortlautes nicht vergleichbar ist.“
20Für diese Gesetzesauslegung sprechen auch die Materialien, nach denen es ebenfalls auf die Bedürftigkeit im „Antragszeitraum“ ankommt, welche „voraussichtlich“ (also prognostisch und damit zukunftsgerichtet) bestehen muss (vgl. LT-Drs. 16/1435 S. 90).
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Annotations
(1) Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, werden nicht erhoben. Das Gleiche gilt für Auslagen, die durch eine von Amts wegen veranlasste Verlegung eines Termins oder Vertagung einer Verhandlung entstanden sind. Für abweisende Entscheidungen sowie bei Zurücknahme eines Antrags kann von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht.
(2) Die Entscheidung trifft das Gericht. Solange nicht das Gericht entschieden hat, können Anordnungen nach Absatz 1 im Verwaltungsweg erlassen werden. Eine im Verwaltungsweg getroffene Anordnung kann nur im Verwaltungsweg geändert werden.
(1) Kommt die Behörde in den Fällen des § 114 Absatz 2 Satz 2 sowie des § 115 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 4 der ihr in der einstweiligen Anordnung oder im Beschluss auferlegten Verpflichtung nicht nach, gilt § 172 der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend. Im Übrigen sind die Vorschriften der Strafprozessordnung und die auf der Grundlage des § 32a Absatz 2 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 Nummer 6, des § 32b Absatz 5 und des § 32f Absatz 6 der Strafprozessordnung erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend anzuwenden, soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt.
(2) Auf die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe sind die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
(1) Die Rechtsbeschwerde muß bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, binnen eines Monats nach Zustellung der gerichtlichen Entscheidung eingelegt werden. In dieser Frist ist außerdem die Erklärung abzugeben, inwieweit die Entscheidung angefochten und ihre Aufhebung beantragt wird. Die Anträge sind zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob die Entscheidung wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
(3) Der Antragsteller als Beschwerdeführer kann dies nur in einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle tun.
(1) Kommt die Behörde in den Fällen des § 114 Absatz 2 Satz 2 sowie des § 115 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 4 der ihr in der einstweiligen Anordnung oder im Beschluss auferlegten Verpflichtung nicht nach, gilt § 172 der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend. Im Übrigen sind die Vorschriften der Strafprozessordnung und die auf der Grundlage des § 32a Absatz 2 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 Nummer 6, des § 32b Absatz 5 und des § 32f Absatz 6 der Strafprozessordnung erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend anzuwenden, soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt.
(2) Auf die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe sind die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
(1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
(2) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
(3) Die Rechtsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. § 114 Abs. 2 gilt entsprechend.
(4) Für die Rechtsbeschwerde gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Beschwerde entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.
(1) Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Der Beschluss stellt den Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt zusammen. Wegen der Einzelheiten kann auf in der Gerichtsakte befindliche Dokumente, die nach Herkunft und Datum genau zu bezeichnen sind, verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt. Das Gericht kann von einer Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.
(1a) Das Gericht kann anordnen, dass eine Anhörung unter Verzicht auf die persönliche Anwesenheit des Gefangenen zeitgleich in Bild und Ton in die Vollzugsanstalt und das Sitzungszimmer übertragen wird. Eine Aufzeichnung findet nicht statt. Die Entscheidung nach Satz 1 ist nicht anfechtbar.
(2) Soweit die Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht die Maßnahme auf. Ist die Maßnahme schon vollzogen, kann das Gericht auch aussprechen, daß und wie die Vollzugsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat, soweit die Sache spruchreif ist.
(3) Hat sich die Maßnahme vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht auf Antrag aus, daß die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(4) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung der Maßnahme rechtswidrig und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Vollzugsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Anderenfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(5) Soweit die Vollzugsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(1) Der Strafsenat entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß.
(2) Seiner Prüfung unterliegen nur die Beschwerdeanträge und, soweit die Rechtsbeschwerde auf Mängel des Verfahrens gestützt wird, nur die Tatsachen, die in der Begründung der Rechtsbeschwerde bezeichnet worden sind.
(3) Der Beschluß, durch den die Beschwerde verworfen wird, bedarf keiner Begründung, wenn der Strafsenat die Beschwerde einstimmig für unzulässig oder für offensichtlich unbegründet erachtet.
(4) Soweit die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet wird, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Der Strafsenat kann an Stelle der Strafvollstreckungskammer entscheiden, wenn die Sache spruchreif ist. Sonst ist die Sache zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.
(5) Die Entscheidung des Strafsenats ist endgültig.
Wenn ein Gefangener ohne sein Verschulden kein Arbeitsentgelt und keine Ausbildungsbeihilfe erhält, wird ihm ein angemessenes Taschengeld gewährt, falls er bedürftig ist.
(1) Aus wichtigem Anlaß kann der Anstaltsleiter dem Gefangenen Ausgang gewähren oder ihn bis zu sieben Tagen beurlauben; der Urlaub aus anderem wichtigen Anlaß als wegen einer lebensgefährlichen Erkrankung oder wegen des Todes eines Angehörigen darf sieben Tage im Jahr nicht übersteigen. § 11 Abs. 2, § 13 Abs. 5 und § 14 gelten entsprechend.
(2) Der Urlaub nach Absatz 1 wird nicht auf den regelmäßigen Urlaub angerechnet.
(3) Kann Ausgang oder Urlaub aus den in § 11 Abs. 2 genannten Gründen nicht gewährt werden, kann der Anstaltsleiter den Gefangenen ausführen lassen. Die Aufwendungen hierfür hat der Gefangene zu tragen. Der Anspruch ist nicht geltend zu machen, wenn dies die Behandlung oder die Eingliederung behindern würde.