vorgehend
Landgericht Würzburg, 61 O 2409/12, 16.09.2014

Gericht

Oberlandesgericht Bamberg

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 16.09.2014, Az. 61 O 2409/12, wird zurückgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Würzburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 107.138,66 € festgesetzt.

Tatbestand

I. Die Kläger fordern von der Beklagten Schadensersatz nach dem Scheitern von Vertragsverhandlungen über den Erwerb eines Grundstücks.

Die Kläger sind Gesellschafter der A. GmbH, B.. Sie hatten seit 2003 Interesse an der Errichtung eines neuen Betriebsgebäudes auf dem im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstück Fl.Nr. .../... in B., das sich - wie den Klägern bekannt war - in einem Wasserschutzgebiet und teilweise auf dem Gelände einer verfüllten Kiesgrube befindet. 2004 oder 2005 schalteten die Kläger zu diesem Zweck beratend und als möglichen Planer den ortskundigen Architekten Dipl.-Ing. N. (künftig auch: Architekt) ein, der an Gesprächen über den Erwerb des Grundstücks mit der Beklagten auf Seiten der Kläger teilnahm.

Der Kiesabbau war aufgrund eines Bescheids des Landratsamts S. vom 11.03.1975 (Anlage B 1, Bl. 449 d. A.) erfolgt, in dem verfügt worden war, dass bei Abschluss der Ausbeute die Grube „mit Bauschutt und sonstigem Erdmaterial (kein Müll)“ wieder aufzufüllen ist (Ziffer 9 des Bescheids). Nach einer ersten Aufforderung vom 24.07.1989 zur Rekultivierung hatte die Beklagte mit Schreiben vom 18.02.1993, unterzeichnet vom damaligen Bauamtsleiter D., dem Kiesgrubenbetreiber, der Fa. C., eine Frist bis 30.11.1993 zur Vornahme der Rekultivierungsmaßnahmen gemäß Ziffer 9 des Genehmigungsbescheids gesetzt. Nach Abschluss der Rekultivierung 1996 hatte schließlich die Beklagte mit Schreiben vom 10.03.1997 die Freigabe der vom Kiesgrubenbetreiber gestellten Bankbürgschaft erklärt.

Im Jahr 2000 war die baurechtliche Zuständigkeit für das Kiesgrubengelände auf das Landratsamt S. übergegangen.

Mit Schreiben vom 20.10.2005 teilte die Beklagte der Fa. A. GmbH mit:

„Bezugnehmend auf Ihren Antrag vom 15.06.2005 und die anschließend mit der Verwaltung geführten Gespräche freuen wir uns Ihnen nunmehr die Zusicherung zur einer Flächenübertragung nach rechtskräftigem Abschluss der Baulandumlegung „E. - Straße im Sinne des Aufteilungsplanes des Architekturbüros N. geben zu können. Wir weisen ausdrücklich daraufhin, dass die Konditionen für einen späteren Erwerb heute noch nicht feststehen und jegliche Vorplanungen Ihrerseits nur auf eigenes Risiko erfolgen können.“ (Bl. 13 d. A.).

Im Anschluss an dieses Schreiben beauftragten die Kläger im Januar 2006 den Architekten mit der Planung des Bauvorhabens. Dieser stellte gemäß Rechnung vom 12.06.2007 Leistungen in der Zeit vom 15.01.2006 bis 12.06.2007 mit einem Betrag von 78.435,53 € netto in Rechnung. Hinsichtlich der weiteren von den Klägern vor dem 30.05.2007 beauftragten Leistungen, die den Klägern in Rechnung gestellt wurden, wird auf die Aufstellung in der Klageschrift (S.33) und die beigefügten Anlagen NE 8 - NE 17 Bezug genommen. Hieraus ergeben sich - inklusive Architektenhonorar - Gesamtkosten in Höhe von 102.138,66 €.

Am 07.05.2007 erteilte das Landratsamt S. den Klägern die baurechtliche Genehmigung für den geplanten Bau des H.

Am 23.05.2007 stellte das Wasserwirtschaftsamt F. bei einem Ortstermin fest, dass die Kläger zum Zwecke der Baugrunduntersuchung Probebohrungen durchführten.

Am 29.05.2007 fand ein Verhandlungsgespräch zwischen dem Kläger zu 2), dem Architekten und Vertretern der Beklagten, u. a. dem nunmehrigen Leiter des Rechts- und Ordnungsamtes D., zur geplanten Grundstücksveräußerung statt. Der Kläger zu 2) und der Architekt erklärten, bei der Festlegung des Kaufpreises müssten u. a. Mehrkosten für eine Pfahlgründung in Höhe von 140.000,00 € berücksichtigt werden. Zudem sei nicht auszuschließen, dass das Erdreich mit Bauschutt belastet sei. Deshalb müsse in den Kaufvertrag eine Altlastenklausel aufgenommen werden, die den Käufer von jeglichen Verpflichtungen aus einer Sanierung von Grund und Boden freistelle. Die Vertreter der Beklagten teilten in dem Gespräch mit, dass ein Abschlag für erhöhte Gründungskosten abgelehnt werde, die Aufnahme einer Altlastenklausel vorbehaltlich der Genehmigung des Finanzausschusses aber erfolgen könne.

Am 30.05.2007 übersandte das Landratsamt S. die Bauakte der Kiesgrube auf Anforderung an die Beklagte (Anlage B 15). Die Rücksendung erfolgte am 08.06.2007 (Anlage B 16).

Am 01.06.2007 unterbreiteten die Kläger der Beklagten ein Kaufangebot, das folgende Klausel vorsah:

„Der Vertragsgrundbesitz liegt teilweise/ganz im Bereich verfüllter Sandgruben; Art und Umfang des Auffüllmaterials sind noch nicht abschließend geklärt. (...) Sollte die Errichtung des Bauwerks aus Gründen, die in dem eingebrachten Auffüllmaterial, insbesondere in der Kontaminierung des Untergrundes liegen, tatsächlich oder rechtlich nicht möglich sein oder nicht abgeschlossen werden können (...) verpflichtet sich der Veräußerer, dem Erwerber den gesamten dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen.“ (Anlage NE3)

Ebenfalls am 01.06.2007 fand das Wasserwirtschaftsamt bei einer Nachkontrolle Bohrgut aus der Probebohrung der Kläger vor, das Anteile von Bauschutt aufwies. In der Folge wurde eine behördliche Untersuchung des Baugrundes veranlasst.

Das Wasserwirtschaftsamt F. teilte mit Schreiben vom 09.07.2007 mit, dass organische Belastungen festzustellen seien, die auf eine Verunreinigung des Grundwassers durch Auffüllungen hinwiesen, dass aber eine Gefährdung der Trinkwasserversorgung derzeit weder bestätigt noch ausgeschlossen werden könne. Es seien weitere Untersuchungen erforderlich.

In einem Gutachten vom 15.10.2010 wurden Belastungen aus teerhaltigen Schwarzdeckenresten festgestellt, ohne dass aus den gewonnenen Daten ein Sanierungsbedarf abgeleitet werden konnte. Es wurde ein Grundwassermonitoring empfohlen (S. 23 der Klageschrift, Bl. 23 d. A.).

Nachdem die Kläger aufgrund dieser Erkenntnisse zunächst eine Verlängerung der Baugenehmigung erwirkt hatten, nahmen sie im Frühjahr 2011 vom Erwerb des Grundstücks Abstand und machten mit Schreiben vom 14.03.2011 Schadensersatz in Höhe von insgesamt 102.138,66 € gegenüber der Beklagten geltend.

Die Kläger behaupten, die Beklagte habe während der Vertragsverhandlungen Kenntnis davon gehabt, dass auf dem Grundstück eine Verfüllung mit Bauschutt erfolgt sei. Dies sei neben der allgemeinen Altlastenproblematik, die sich bei einer verfüllten Kiesgrube stelle, ein massiv gefahrerhöhender Umstand, auf den die Beklagte die Kläger hätte hinweisen müssen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 102.138,66 € und auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für weitere Schäden gerichtete Klage nach durchgeführter Beweisaufnahme abgewiesen. Es hat ausgeführt, zwar sei ab der Zusicherung im Schreiben der Beklagten vom 20.10.2005 von der Durchführung von Vertragsverhandlungen auszugehen. Dieses Schreiben sei auch ursächlich für die Beauftragung des Architekten gewesen. Die durchgeführte Beweisaufnahme, insbesondere die Aussage des Zeugen D., habe jedoch ergeben, dass diesem zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen der – grundsätzlich aufklärungsbedürftige - Umstand einer Verfüllung der Kiesgrube mit Bauschutt nicht bewusst gewesen sei. Es fehle daher an einem Verschulden der Beklagten, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Zwar habe der Zeuge selbst das Schreiben vom 18.02.1993 (sowie ein weiteres Schreiben vom 30.03.1993) an den Kiesgrubenbetreiber unterzeichnet. Er habe jedoch glaubhaft dargelegt, dass es ihm 1993 an einer näheren Ortskenntnis gemangelt habe, um die Lage der Kiesgrube einzuordnen. Es habe für ihn nach der Freigabe der Bürgschaft auch kein Anlass mehr bestanden, auf den Vorgang noch ein besonderes Augenmerk zu richten. Zudem sei im Jahr 2000 die Bauaufsicht auf das Landratsamt übergegangen. Das Landgericht hat weiter ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Wiedereröffnung der Verhandlung zum Zwecke der erneuten Vernehmung des Architekten und der Zeugin T., wie von den Klägern beantragt, lägen nicht vor.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerechte Berufung der Kläger, die ihre erstinstanzlichen Klageanträge in vollem Umfang weiterverfolgen. Sie beanstanden die Beweiswürdigung des Erstgerichts. Der Zeuge D. habe 2007 gewusst, dass mit Bauschutt verfüllt worden sei, wie sich aus dem Schreiben des Landratsamts vom 06.06.2007 (Bl.19 d. A.) ergebe. Dass er die Kiesgrube nicht dem geplanten Kauf der Kläger zugeordnet habe, sei nicht glaubhaft.

Es liege eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor, da der Vortrag der Kläger zur durchgeführten Beweisaufnahme nicht berücksichtigt worden sei. Das Gericht wäre gehalten gewesen, erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten, da das Aussageverhalten des Zeugen D. zu seiner Ortskenntnis im Termin vom 29.07.2014 nicht vorhersehbar gewesen sei und der in diesem Termin präsente Zeuge N. (erneut) hätte vernommen werden müssen. Die Beweiswürdigung des Gerichts sei zudem überraschend.

Schließlich liege eine fehlerhafte Rechtsanwendung vor. Der Vortrag der Beklagten reiche nicht für eine Exkulpation. Sie sei beweisbelastet dafür, dass die weiteren Verhandlungsvertreter nicht im naheliegenden Besitz aufklärungsbedürftiger Kenntnisse gewesen waren. Auch das behauptete Nichtwissen des Zeugen D. exkulpiere sie nicht. Der Verkäufer dürfe sich seiner Offenbarungspflicht nicht entziehen, indem er vor aufklärungspflichtigen Tatsachen die Augen verschließe oder zuvor gewonnene Erkenntnisse durch einfachste Recherchen nicht beiziehe. Es sei daher in zweiter Instanz eine neue Tatsachenfeststellung geboten.

Die Kläger behaupten, dass bis heute keine vollständige Akteneinsicht gewährt worden sei. Dies indiziere, dass sich aus den Akten die bestrittene Kenntnis ergebe. Auch der Umstand, dass der Zeuge D. am 06.06.2007 der Sachbearbeiterin des Landratsamts, der Zeugin T., telefonisch mitteilte, es handele sich bei dem im Bohrgut festgestellten Material um Auffüllungen der ehemaligen Kiesgrube C., belege dessen Kenntnis.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens im Berufungsverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 07.12.2015 Bezug genommen.

Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 07.12.2015 haben die Kläger den Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung beantragt. Sie tragen vor, ihr anwaltlicher Vertreter habe im unmittelbaren Anschluss an den Termin mit einer im Umfeld des Betriebes des Rathauses der Beklagten tätigen Person zu tun gehabt, die darauf hingewiesen habe, dass von der Beklagten oder dem Zeugen D. möglicherweise zu der Frage, wer wann welche Akten besessen habe, falsche Angaben gemacht und falsche Urkunden vorgelegt wurden. Die Kläger behaupten unter Beweisantritt (Sachverständigengutachten), das von der Beklagten in Kopie vorgelegte Schreiben der Beklagten an das Landratsamt S. vom 12.07.2001 (Übersendung von Bauakten) sei nicht authentisch; sie regen eine Anordnung des Senats auf Vorlage des Originalschreibens an. Weiter verweisen sie auf ihr Angebot des Zeugen N. zum Beweis für den Standort der Akten von 1999 bis 2004.

Gründe

II. Die Berufung ist zulässig (§§ 511 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1, 517, 519 f. ZPO), hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Das angefochtene Urteil beruht weder auf einem Verfahrensfehler noch rechtfertigen die zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§§ 513 Abs. 1, 529, 546 ZPO).

1. Ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung zum Zwecke der von den Klägern beantragten Vernehmung des Zeugen N. war in erster Instanz nicht geboten.

Die Anordnung der erneuten Vernehmung eines in derselben Instanz bereits vernommenen Zeugen steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, § 398 Abs. 1 ZPO. Sie ist zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit in der Regel dann erforderlich, wenn die erste Vernehmung nicht vom erkennenden Gericht durchgeführt wurde oder ein Wechsel in der Gerichtsbesetzung stattgefunden hat (Zöller-Greger, ZPO, 31. Aufl., § 398, Rn. 5; Damrau in MüKo/ZPO, 4. Aufl., § 398, Rn. 5). Sie kann auch dann geboten sein, wenn der Zeuge selbst eine Berichtigung seiner Aussage für notwendig erachtet und seine bereits getätigte Aussage schriftlich berichtigt (Damrau a. a. O., unter Berufung auf § 344 Österr. ZPO).

Im vorliegenden Fall hat das Landgericht die Klageabweisung damit begründet, dass es aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere der Angaben des Zeugen D., davon überzeugt sei, auf Seiten der Beklagten habe keine Kenntnis über eine Verfüllung der Kiesgrube mit Bauschutt bestanden. Es fehle somit an einer schuldhaften Pflichtverletzung der Beklagten.

Die Klägerseite hatte den im Termin vom 08.04.2014 bereits vernommenen Architekten (vgl. S. 3-5 des Protokolls, Bl. 123-125 d. A.) mit Schriftsatz vom 16.07.2014 nochmals als Zeugen dafür benannt, dass er sich nun nach seiner ersten Zeugniseinvernahme sicher sei, dass er den Klägern im Falle der Kenntnis einer Verfüllung mit Bauschutt von einer Planung abgeraten hätte. Er sei sich zum Zeitpunkt der Vernehmung nicht mehr im Klaren darüber gewesen, wie sein Wissensstand zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gewesen sei und was er seinerzeit über eine Verfüllung mit Bauschutt gedacht hätte (S. 5 des Schriftsatzes vom 16.07.2014, Bl. 153 d. A.). Die beantragte Vernehmung betraf daher die Frage der Kausalität einer etwaigen Pflichtverletzung für den entstandenen Schaden. Dieser Frage musste das Landgericht nicht mehr nachgehen, nachdem es bereits das Vorliegen einer Pflichtverletzung verneinte. Eine wiederholte Vernehmung des Zeugen war daher nicht geboten.

2. Das Erstgericht hat einen Schadensersatzanspruch der Kläger gegen die Beklagte aus Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht (§§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB) im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Denn nach den vom Landgericht - für den Senat bindend - festgestellten Tatsachen fehlt es an einer Pflichtverletzung der Beklagten.

a) Eine generelle Aufklärungspflicht der künftigen Vertragsparteien untereinander ist dem deutschen Recht fremd, da es ureigenste Pflicht jeder Partei ist, sich über die Umstände, die für ihre Vertragsentscheidung von Bedeutung sind, Klarheit zu verschaffen (BGH, Urteil vom 15.04.1997, IX ZR 112/96, Rz. 25, zitiert nach juris). Eine Aufklärungspflicht einer Partei der anderen gegenüber kommt daher ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn wegen besonderer Umstände des Einzelfalles davon auszugehen ist, dass der künftige Vertragspartner nicht ausreichend unterrichtet ist und die Verhältnisse nicht durchschaut (BGH a. a. O.). Erforderlich ist daher, dass die besonderen Umstände allein der einen Partei bekannt sind und sie gleichzeitig weiß oder jedenfalls wissen muss, dass diese den Vertragszweck gefährden und für die Entscheidung der anderen Partei von wesentlicher Bedeutung sein können (BGH, Urteil vom 08.06.1978, III ZR 48/76, Rz. 18; Urteil vom 08.11.2007, IX ZR 5/06, Rz. 13). Eine zentrale Rolle spielen hierbei das Ausmaß des Informationsgefälles und die Frage, ob der Vertragspartner nach der Verkehrsauffassung eine Information erwarten kann (Emmerich in MüKo/BGB, 7. Aufl., § 311, Rn. 66, 68 m. w. N.).

Ein wesentlicher Punkt ist weiter, dass sich Aufklärungspflichten grundsätzlich auf präsentes Wissen beschränken. Eine Nachforschungs- und Untersuchungspflicht kann nur in deutlich engeren Grenzen als bei positiv bekannten Tatsachen angenommen werden (Emmerich a. a. O., Rn. 69).

Besonderheiten bestehen bei arbeitsteilig organisierten juristischen Personen oder Körperschaften des öffentlichen Rechts. Hier ist die Frage der Wissenszurechnung von Organvertretern nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des BGH in wertender Betrachtung zu entscheiden (grundlegend BGH, Urteil vom 08.12.1989, V ZR 246/87, Rz. 13, 14). Aus Gründen des Verkehrsschutzes ist es geboten, der Gemeinde das ihr durch Organvertreter einmal vermittelte, „typischerweise aktenmäßig festgehaltene“ Wissen auch weiterhin zuzurechnen. Denn der Bürger, der mit der Gemeinde einen wirtschaftlich bedeutenden Vertrag schließe und ihr dabei im Zweifel sogar erhöhtes Vertrauen entgegenbringe, dürfe im Prinzip nicht schlechter gestellt werden, als wenn er es nur mit einer natürlichen Person zu tun hätte (BGH a.a.O, Rz. 14). Der BGH hat diese 1989 begründete Rechtsprechung dahingehend fortentwickelt, dass sich aus dem Gedanken des Verkehrsschutzes eine Pflicht der Behörde oder Gesellschaft zur ordnungsgemäßen Organisation der behörden- oder gesellschaftsinternen Kommunikation ergibt. Gleichzeitig dürfe die Wissenszurechnung nicht zu einer Fiktion entarten, die die juristische Person weit über jede menschliche Fähigkeit hinaus belaste. Vielmehr müsse für denjenigen Menschen, für den die Zurechnung gelten solle, eine reale Möglichkeit und auch ein Anlass bestehen, sich das Wissen aus dem eigenen Gedächtnis, aus Speichern oder von anderen Menschen zu beschaffen (BGH, Urteil vom 02.02.1996, V ZR 239/94, Rz. 22, 23). Eine Gemeinde würde schlechter gestellt, wenn man jedes theoretisch verfügbare Wissen des einen Amtes mit der Begründung, es habe eine Nachforschungspflicht bestanden, dem anderen Amt zurechnen wollte (BGH, Urteil vom 01.10.1999, V ZR 218/98, Rz. 12).

b) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Verletzung einer Aufklärungspflicht durch die Beklagte zu verneinen.

Eine Aufklärungspflicht darüber, dass es sich bei dem Kaufgrundstück um das Gelände einer ehemaligen Kiesgrube handelte, die sich in einem Wasserschutzgebiet befand und die nach dem Abbau wieder verfüllt worden war, bestand nicht. Denn dieser Umstand war auch den Klägern und dem von ihnen eingeschalteten Architekten bekannt. Bereits aus diesem Umstand ergab sich ein beiden Seiten bekannter allgemeiner Altlastenverdacht.

Ob der Umstand, dass eine Verfüllung der Kiesgrube mit Bauschutt stattgefunden hat, den Klägern vor einer Beauftragung des Architekten durch die Kläger überhaupt hätte mitgeteilt werden müssen, kann dahinstehen. Denn die Kläger tragen die Beweislast für eine Kenntnis der Beklagten von diesem Umstand (aa). Den Nachweis positiver Kenntnis bei einzelnen Vertretern der Beklagten können die Kläger nicht führen (bb). Eine Nachforschungspflicht im Hinblick auf die konkrete Art der Verfüllung bestand nicht (cc). Auch aus sonstigen Umständen kann eine Aufklärungspflicht der Beklagten nicht abgeleitet werden (dd).

aa) Die Beweislast für die Kenntnis der Verfüllung mit Bauschutt auf Seiten der Beklagten tragen die Kläger.

(1) Der Nachweis einer Pflichtverletzung obliegt regelmäßig dem Gläubiger, § 280 Abs. 1 S. 1 BGB. Dies gilt grundsätzlich auch für die Verletzung einer verhaltensbezogenen Pflicht wie der Aufklärungspflicht vor Abschluss eines Kaufvertrags (Palandt-Grüneberg, BGB, 75. Aufl., § 280, Rn. 36). Da es sich bei der unterbliebenen Aufklärung um eine negative Tatsache handelt, kommen zwar Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast in Betracht (BGH, Urteil vom 11.11.2011, V ZR 245/10, Rz. 10). Der Verkäufer muss deshalb darlegen, in welcher Weise er aufgeklärt hat oder aufgrund welcher Umstände er von einer Kenntnis des Käufers ausgegangen ist (BGH a. a. O.). Dies betrifft jedoch nicht den Nachweis der eine Aufklärungspflicht des Verkäufers erst begründenden Kenntnis der aufklärungspflichtigen Tatsache. Denn die Pflichtverletzung selbst, für die der Gläubiger die Beweislast trägt, ist von ihrem Vertretenmüssen, für das der Schuldner die Beweislast trägt (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB), streng zu unterscheiden (BeckOK-Unberath, BGB, § 280, Rn. 81). Ohne den aus einer Kenntnis des aufklärungspflichtigen Umstandes resultierenden Informationsvorsprung des Verkäufers fehlt es bereits an der Entstehung einer Aufklärungspflicht. Die Kenntnis ist daher, anders als vom Erstgericht angenommen, keine Frage des Vertretenmüssens gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Die Prüfung ist auch nicht zwangsläufig dieselbe. Denn trotz Kenntnis des aufklärungspflichtigen Umstands ist es denkbar, dass die unterbliebene Aufklärung vom Schuldner nicht zu vertreten ist, etwa wenn die Übermittlung der Information aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen scheitert.

(2) Die bloße Erkennbarkeit aufklärungspflichtiger Tatsachen steht der positiven Kenntnis nicht gleich. Dies ist nur dann ausnahmsweise der Fall, wenn sich die Erkenntnis nach den Umständen des Einzelfalles aufdrängen musste, so dass es treuwidrig gewesen wäre, sich dieser Erkenntnis zu verschließen (BGH Urteil vom 29.04.2008, XI ZR 221/07, Rz. 20). Diese Konstellation ist hier nicht gegeben.

(3) Der Umstand, dass dem Zeugen D. die aufklärungspflichtigen Tatsachen im Jahr 1993 bekannt waren, führt nicht dazu, dass die Beklagte das Vergessen dieser Kenntnisse nachweisen müsste.

Die Kläger sind der Auffassung, eine Partei, die sich auf das Vergessen einer zuvor bekannten Tatsache berufe, trage gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB die Beweislast für jenes Vergessen. Hierbei verkennen die Kläger, dass dem Gläubiger der Nachweis einer Kenntnis des Schuldners zu dem Zeitpunkt, in dem eine Aufklärung geboten gewesen wäre, obliegt. Ohne diesen Nachweis ist der Anwendungsbereich des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB nicht eröffnet, da es auch bei fahrlässiger Unkenntnis an einer Aufklärungspflichtverletzung fehlt. Dies gilt ebenso im Bereich der von den Klägern angesprochenen Anzeigepflichten im Versicherungsrecht gemäß § 19 Abs. 1 VVG (BGH, Urteil vom 11.02.2009, IV ZR 26/06, Rz. 11; OLG Oldenburg, NJW-RR 1991, 1185, 1186; Armbrüster in Prölls/Martin, VVG, 29. Aufl., § 19, Rn. 26). Ob beim Schuldner eine frühere Kenntnis fortbestand oder in Vergessenheit geraten ist, ist daher eine Frage der Beweiswürdigung, die an der Beweislastverteilung nichts ändert. Das erkennende Gericht kann aufgrund der Umstände des Einzelfalles, auch aufgrund des bloßen Zeitablaufs, zu der Überzeugung gelangen, dass ein Vergessen ausgeschlossen werden kann. Ein praktisches Bedürfnis für eine Änderung der Beweislast besteht daher nicht. Hinzu kommt, dass das Vergessen von Vorkommnissen ebenso wie die Unkenntnis von diesen eine innere Tatsache ist, für deren Nachweis dem Schuldner objektive Aufklärungsmöglichkeiten praktisch nicht zur Verfügung stehen (BayLSG, Beschluss vom 11.05.2015, L 15 RF 14/15, Rz. 60, zur behaupteten Unkenntnis eines Fristlaufs). Demgegenüber hat der Gläubiger die Möglichkeit, den Nachweis einer positiven Kenntnis durch entsprechende Beweisangebote (Zeugen, Urkunden) im Wege des Indizienbeweises zu führen.

Soweit die Kläger auf die Rechtsprechung zu den Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers (§ 19 Abs. 1 VVG) verweisen, wonach die Möglichkeit, sich bei zumutbarer Anspannung des Gedächtnisses zu erinnern, einer Berufung des Versicherungsnehmers auf ein Vergessen entgegenstehen soll (BGH a. a. O., Rz. 11; Armbrüster in Prölls/Martin, a. a. O., § 19, Rn. 26 m. w. N.), fehlt es an einer vergleichbaren Konstellation, um diese pauschal auf den Bereich vorvertraglicher Aufklärungspflichten zu übertragen. Denn anders als beim Ausfüllen eines Versicherungsantrags ist ein Anlass zur Anspannung des Gedächtnisses bei vorvertraglichen Gesprächen nicht ohne weiteres gegeben.

Soweit die Kläger weiter darauf abstellen, dass die in der Vergangenheit belegte Kenntnis sogar aktenkundig ist, greifen die oben dargestellten Grundsätze der Wissenszurechnung bei arbeitsteilig handelnden Organisationen. Die Kläger sind demnach nicht darauf angewiesen, die positive Kenntnis von Tatsachen bei einer bestimmten Person nachzuweisen. Vielmehr kann es genügen, wenn relevantes Wissen in Akten niedergelegt war und für die Beklagte die Möglichkeit aber auch der Anlass bestand, sich dieses Wissen zu beschaffen. Die von den Klägern geforderte Beweislastumkehr ist daher weder dogmatisch zu begründen, noch aus Gründen eines effektiven Rechtsschutzes geboten.

bb) Eine positive Kenntnis von der Verfüllung der Kiesgrube mit Bauschutt von Mitarbeitern der Beklagten in der Zeit vom ersten Kontakt mit den Klägern bis zur Beiziehung der Akten am 30.05.2007 ist nicht nachgewiesen.

(1) Der Umstand, dass eine Verfüllung der Kiesgrube auch mit Bauschutt erfolgte, war zwar aus den Bauakten der Kiesgrube ersichtlich. In diesen befand sich zum einen der Genehmigungsbescheid vom 11.03.1975 mit der betreffenden Rekultivierungsklausel. In diesen befand sich auch das Schreiben der Beklagten vom 18.02.1993, das vom Zeugen D. in seiner Eigenschaft als Abteilungsleiter unterzeichnet worden war. Gleichzeitig besteht im vorliegenden Fall die Besonderheit, dass der bereits 1993 im Bauamt tätige Zeuge D. im Jahr 2005 für die Beklagte, allerdings nunmehr als Leiter des Rechts- und Ordnungsamtes, an den Gesprächen teilnahm.

Bereits aufgrund des Zeitablaufs lässt eine Kenntnis im Jahr 1993 aber noch nicht den Schluss auf eine Kenntnis im Jahr 2005 zu. Denn es handelte sich im Jahr 1993 um einen behördlichen Standardvorgang, der keine Besonderheit aufwies. Der komplette Verwaltungsvorgang wurde im Jahr 1997 mit der Rückgabe der Bürgschaft abgeschlossen.

Die Beweisaufnahme hat keine Anhaltspunkte für eine positive Kenntnis des Zeugen D. oder anderer Mitarbeiter ergeben. Der Zeuge D. selbst hat in Abrede gestellt, dass ihm bei den Gesprächen mit den Klägern oder deren Architekten noch bewusst gewesen sei, dass es sich um die Kiesgrube gehandelt habe, bei der eine Verfüllung mit Bauschutt und sonstigem Erdmaterial angeordnet wurde. Bezüglich des Schreibens vom 18.02.1993 könne er aus dem Handzeichen schließen, dass das Schreiben von seinem Mitarbeiter L. verfasst worden und ihm zur Unterschrift vorgelegt worden sei. Er habe an den Inhalt des Schreibens aber keine positive Erinnerung mehr (S. 3 des Protokolls vom 29.07.2014, Bl. 160 d. A.).

Diese Angaben sind nachvollziehbar und vom Erstgericht bereits eingehend und zutreffend gewürdigt worden. Es entspricht der üblichen Praxis in Verwaltungsbehörden, dass Schreiben vom Sachbearbeiter aufgesetzt und dann dem Sachgebietsleiter einer Behörde - hier: dem Leiter des Bauamts - nur zur Unterzeichnung vorgelegt werden. Soweit es sich um einen Routinevorgang ohne außergewöhnliche Bedeutung handelt - wie es bei dem fraglichen Schreiben der Fall war - ist nicht zu erwarten, dass dem Unterzeichner - hier dem Zeugen D. -der Inhalt des Schreibens über mehrere Jahre im Gedächtnis bleibt oder dass er sich an diesen bei zumutbarer Anstrengung seines Gedächtnisses ohne weiteres erinnern kann.

(2) Dabei kommt dem Umstand, wo sich die Bauakten in der Zeit bis 2005 befunden haben, keine wesentliche Bedeutung zu. Denn der Vorgang um die Verfüllung der Kiesgrube war seit dem Jahr 1997 mit der Herausgabe der Bürgschaft an den Kiesgrubenbetreiber abgeschlossen. Die Herausgabe der Bürgschaft zeigt, dass man auf Seiten der Beklagten von einer ordnungsgemäßen Verfüllung ausgegangen war. Es ist daher jedenfalls nach dem Jahr 2000, als die Zuständigkeit für Bauverfahren auf das Landratsamt überging, kein konkretes Wissen der involvierten Bediensteten über den Vorgang der Verfüllung mehr zu erwarten, soweit nicht aus einem besonderen Anlass eine Beschäftigung mit der Materie stattfand. Eine solche Beschäftigung ist erst für Juni 2007 belegt: Ausweislich des Schreibens des Landratsamts vom 06.06.2007 fand am selben Tag ein Telefonat zwischen der Sachbearbeiterin am Landratsamt, Frau T., und dem Zeugen D. statt, in dem Herr D. in Bezug auf das Bohrgut mitteilte, es handele sich um Auffüllungen der Fa. C. (Bl.19 d. A.). Der Zeuge hat hierzu ausgeführt, er sei von Frau T. am 05.06.2007 über problematische Stoffe im Bohrgut informiert worden und habe daraufhin durch Ziehen der Akte Nachforschungen angestellt (S. 5 des Protokolls vom 29.07.2014, Bl. 162 d. A.). In Übereinstimmung damit steht der unstreitige und durch die Anlagen B 15 und B 16 belegte Vortrag der Beklagten, die Bauakte betreffend die Kiesgrube sei am 30.05.2007 aufgrund der Forderung der Klägerseite in der Besprechung vom 29.05.2007 nach Aufnahme einer Altlastenklausel beim Landratsamt angefordert und am 08.06.2007 dorthin zurückgesandt worden. Aus der nachgewiesenen Kenntnis des Zeugen D. am 06.06.2007 kann daher kein Rückschluss auf eine etwaige Kenntnis vor dem 30.05.2007 (Aktenbeiziehung) gezogen werden.

(3) Der Hinweis der Kläger auf den Umstand, dass der Zeuge D. in der Gemeinde B. geboren wurde und es sich - nach Behauptung der Kläger - um die einzige Kiesgrube am Ort handele, vermag eine Kenntnis nicht zu belegen. Hieraus kann noch nicht der Schluss gezogen werden, dass er sich 2005 an die konkrete Art der Verfüllung der Kiesgrube erinnerte.

Ebenso wenig kann eine Kenntnis der Beklagten über die konkrete Art der Verfüllung daraus geschlossen werden, dass in den Jahren vor 2007 ein Bodenordnungsverfahren durchgeführt wurde. Insoweit hatte der Stadtkämmerer der Beklagten den Klägern mit Schreiben vom 15.06.2004 mitgeteilt, dass das Staatliche Vermessungsamt B. mit der Bodenordnung beauftragt worden sei und mit einem Abschluss erst Ende 2004/2005 gerechnet werden könne (Bl. 402/403 d. A.). Hieraus ergibt sich kein konkreter Anhaltspunkt für eine Kenntnis des Zeugen D.. Denn es ist bereits nicht ersichtlich, in welcher Funktion der Zeuge in die Bodenordnung eingebunden gewesen sein soll und inwiefern er hierbei den Akteninhalt über die Verfüllung der Kiesgrube mit Bauschutt zur Kenntnis genommen haben soll.

Gleiches gilt für die Änderungen des am 10.09.1995 beschlossenen Bebauungsplanes mit Beschlüssen vom 21.01.2004 und 18.02.2005. Der Zeuge D. war in diesem Zeitraum nicht mehr in der Bauabteilung tätig. Leiter der Bauabteilung war nach dem Ergebnis der in ersten Instanz durchgeführten Beweisaufnahme bereits ab 2003 der Bedienstete J. (S. 2 des Protokolls vom 29.07.2014, Bl. 159 d. A.). Es ist daher eine bloße Vermutung der Kläger ins Blaue hinein, dass der Zeuge D. anlässlich der Änderungen des Bebauungsplans mit der Thematik der Verfüllung der Kiesgrube mit Bauschutt befasst war.

Der Frage, wo die Kiesgrubenakten in der Zeit von 2000 bis 2005 aufbewahrt wurden, kommt auch aus diesem Grund keine Bedeutung zu.

(4) Auch eine von den Klägern proklamierte Indizwirkung aus der behaupteten Weigerung, Akten herauszugeben, führt zu keinem anderen Beweisergebnis. Zunächst ergibt sich aus dem Vortrag der Kläger, die umfangreich aus der Bauakte der Kiesgrube zitieren, dass ihnen die Bauakte zur Verfügung stand. Dem entspricht auch der Vortrag in der Klageschrift, wonach Mitarbeiter der Kanzlei des Klägervertreters 2010 Akteneinsicht bei der Beklagten und beim Landratsamt S. erhielten und dabei eine „eingehende Aktenrecherche“ vornahmen (S. 23 der Klageschrift, Bl. 23 d. A.). Woraus sich ergeben soll, dass den Klägern tatsächlich nur Fragmente zur Verfügung standen, bleibt unklar. Obwohl die Kläger ihren Anspruch bereits spätestens seit März 2011 verfolgen, haben sie zudem bislang keine rechtlichen Schritte unternommen, ihren Anspruch auf Akteneinsicht verwaltungsrechtlich durchzusetzen (mit der Möglichkeit, soweit erforderlich, eine Aussetzung des Zivilprozesses gemäß § 148 ZPO zu beantragen). Die bloße Behauptung, es seien nicht alle relevanten Akten herausgegeben worden, begründet daher keine Beweiserleichterungen für die Kläger. Im Übrigen bleibt auch unklar, welche Indizien sich aus den Akten des Bebauungsplanverfahrens der Beklagten im Hinblick auf Kenntnisse einzelner Beteiligter über die im Jahr 1993 angeordnete Verfüllung ergeben sollen.

Eine Nachforschungspflicht der Beklagten vor dem 29.05.2007 bestand nicht.

(1) Nach den dargelegten Grundsätzen der Wissenszurechnung bei arbeitsteiligen Organisationen ist eine wertende Betrachtung geboten. Als Wissen kann man den Inhalt von Speichern (hier: Akten) nur dann zurechnen, soweit ein besonderer Anlass besteht, sich seiner in der konkreten Situation zu vergewissern (BGH, Urteil vom 02.02.1996, V ZR 239/94, Rz. 26). Dabei ist auch zu berücksichtigen, in welchem Umfang ein Informationsgefälle zwischen den Vertragspartnern besteht und wie schutzwürdig das Vertrauen des Vertragspartners auf das Nichtvorhandensein des gefahrerhöhenden Umstands ist (vgl. BGH, Urteil vom 27.06.2007, X ZR 34/04, Rz. 8, 16).

(2) Im vorliegenden Fall wussten beide Seiten, dass sich das zu veräußernde Grundstück auf dem Gelände einer wiederverfüllten Kiesgrube befand. Der von den Klägern hinzugezogene Architekt schloss daher aufgrund seiner Berufserfahrung nicht aus, dass unzulässigerweise umweltgefährdende Stoffe eingebaut wurden, selbst wenn die Verfüllung behördlich angeordnet und überwacht war, und rechnete mit möglichen punktuellen Kontaminationen (vgl. S. 14 der Klageschrift, Bl. 14 d. A.; S. 3 des klägerischen Schriftsatzes vom 12.08.2014, Bl. 170 d. A.).

Dieses Wissen des Architekten ist den Klägern entsprechend § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen. Denn Wissensvertreter im Sinne dieser Vorschrift ist jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen und gegebenenfalls weiterzuleiten. Er braucht dabei weder zum rechtsgeschäftlichen Vertreter noch zum „Wissensvertreter“ ausdrücklich bestellt zu sein. Es ist ausreichend, dass sich der Geschäftsherr seiner nicht nur intern, sondern im rechtsgeschäftlichen Verkehr wie eines Vertreters bedient (OLG München, Urteil vom 13.02.2013, 7 U 2616/12, Rz. 56). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Kläger schalteten den Architekten beim Erwerb des Grundstücks mit ein. Er führte bereits 2004/2005 ein Gespräch mit der Beklagten über den Erwerb des Grundstücks, bei dem er seitens der Beklagten auf die besondere Lage (wiederverfüllte Kiesgrube) hingewiesen wurde (S. 11 des Schriftsatzes vom 12.08.2014, Bl. 178 d. A.). Er war auch später gegenüber der Beklagten an allen wesentlichen Gesprächen beteiligt, so dass er auch nach außen als Wissensvertreter der Kläger auftrat.

Ein Informationsgefälle zwischen den künftigen Vertragsparteien bestand somit nicht. Den Klägern war bekannt, dass die Gefahr einer Verfüllung mit umweltgefährdenden Stoffen bestand. Von den Klägern war daher zu erwarten, dass sie vor eigenen Investitionen entweder von der Beklagten Aufklärung über die konkrete Art der Verfüllung verlangen oder selbst Nachforschungen hierüber anstellen, wie sie dies später - vor Eigentumsübergang und noch vor Einigung auf einen Vertragsentwurf - durch Vornahme einer Probebohrung getan haben. Eine Nachfrage der Kläger über die konkrete Zusammensetzung des verfüllten Materials hätte eine Nachforschungspflicht der Beklagten ausgelöst. Denn die Beklagte wäre zu einer wahrheitsgemäßen Beantwortung verpflichtet gewesen und sie hätte aufgrund der Nachfrage gewusst, dass es den Klägern auf eine genaue Kenntnis der Zusammensetzung des Materials ankommt.

(3) Dies gilt umso mehr, als die Beklagte mit Schreiben vom 20.10.2005 ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass die Konditionen für einen späteren Erwerb noch nicht feststünden und jegliche Vorplanungen seitens der Kläger nur auf eigenes Risiko erfolgen könnten. Für die Beklagte bestand folglich kein Anlass, ohne konkrete Nachfrage der Kläger Nachforschungen zur Zusammensetzung des Auffüllmaterials anzustellen. Es ist vielmehr plausibel, wenn der Zeuge D. angibt, erst durch die Forderung der Kläger im Besprechungstermin vom 29.05.2007, eine Altlastenklausel aufzunehmen, sei der Inhalt der Auffüllung für ihn relevant geworden (S. 3 des Protokolls vom 29.07.2014, Bl. 160 d. A.). Dies erklärt die Aktenanforderung vom 30.05.2007 beim Landratsamt. Es erklärt auch, warum der Zeuge D. der Sachbearbeiterin des Landratsamts am 06.06.2007 Auskunft darüber geben konnte, dass auf dem Gelände der ehemaligen Kiesgrube eine Verfüllung mit Bauschutt stattgefunden hatte.

Es überrascht dagegen, dass die Kläger trotz Kenntnis des Altlastenverdachts Investitionen von über 100.000,00 € vorgenommen haben, ohne dass überhaupt nur der konkrete Entwurf eines Kaufvertrags vorlag oder auch nur verhandelt worden war. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung ist daher auch zu berücksichtigen, dass man vor dem 29.05.2007 noch nicht in konkrete Verhandlungen über den beabsichtigten Kaufvertrag eingetreten war. Wenn in diesem Stadium die Beklagte ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass die Vertragskonditionen (etwa das Altlastenrisiko) noch nicht feststehen und daher Vorplanungen auf eigenes Risiko erfolgen, so spricht dies gegen eine Nachforschungspflicht im Hinblick auf die Verfüllung der Kiesgrube. Wenn sie in dieser Situation von einer Probebohrung vor Durchführung einer aufwändigen Planung absahen, gleichzeitig aber auch bei der Beklagten nicht um Aufklärung nachsuchten, so können sie die aufgrund der späteren Abstandnahme vom Vertrag entstandenen Planungskosten nicht auf die Beklagte abwälzen.

dd) Eine Aufklärungspflicht ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Klägerseite, 1993 habe eine Verfüllung mit Bauschutt nicht mehr stattfinden dürfen. Zwar kann sich unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz eine Aufklärungspflicht ergeben, wenn der Verkäufer aufgrund eigenen Verhaltens eine Fehlvorstellung beim Käufer auslöst (Emmerich in MüKo/BGB, a. a. O., Rn. 68). Er hat dann, wenn er dies erkennt, die Pflicht, den Käufer über den Irrtum aufzuklären. Die Verfüllung im Jahr 1993 stand jedoch in keinem Zusammenhang mit den 12 Jahre später stattfindenden Vertragsgesprächen. Zudem fehlt es gerade am Nachweis, dass die Beklagte 2005 eine zurechenbare Kenntnis von den Umständen der Verfüllung hatte.

ee) Nur hilfsweise ist daher darauf hinzuweisen, dass sich aus der Kenntnis einer Verfüllung mit Bauschutt nur ein weiterer Altlastenverdacht ergeben hätte, nicht jedoch die Kenntnis einer tatsächlichen Kontaminierung. Denn eine Verfüllung mit Bauschutt führt noch nicht zwingend zu einer aufwändigen Sanierung samt Entfernung des Materials vom Grundstück wie dies bei Altlasten wie Sondermüll der Fall ist (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 24.11.2010, 4 U 120/19, Rz. 43). Dementsprechend hat die Sachbearbeiterin des Landratsamts T. in ihrer Einvernahme angegeben, sie hätte aus der Kenntnis einer Verfüllung mit „Bauschutt - kein Müll“ noch nicht das Erfordernis abgeleitet, sofort tätig zu werden (S. 10 des Protokolls vom 08.04.2014, Bl. 130 d. A. - auch der Architekt gab als Zeuge an, nicht kontaminierter Bauschutt könne zu einer Verfüllung geeignet sein, S. 5 des Protokolls vom 08.04.2014, Bl. 125 d. A.). Die Konsequenzen einer entsprechenden Verfüllung hängen daher von der konkreten Zusammensetzung des Bauschutts ab. Diese wurde beiden Parteien erst durch die nach dem 01.06.2007 angeordneten Untersuchungen im Jahr 2009 bekannt. Eine Aufklärung über eine tatsächliche Kontamination konnte zuvor noch nicht erfolgen.

3. Soweit die Kläger zur Begründung einer Aufklärungspflichtverletzung im Berufungsverfahren darauf hinweisen, die Verfüllung der Kiesgrube mit Bauschutt hätte bereits in den Bebauungsplan aufgenommen werden müssen, können sie hieraus keinen Anspruch auf Schadensersatz ableiten. Ein etwaiger Anspruch aufgrund einer Pflichtverletzung der Beklagten bei der Aufstellung des Bebauungsplans würde einen eigenständigen Streitgegenstand darstellen, der vom Gegenstand des Rechtsstreits nicht erfasst wird. Eine Haftung der Beklagten - losgelöst von einer Aufklärungspflichtverletzung - schon aus einer Pflichtverletzung im Bauleitplanungsverfahren ist in diesem Rechtsstreit nicht geltend gemacht, geschweige denn schlüssig vorgetragen worden.

4. Auf eine Aufklärungspflichtverletzung ab dem 06.06.2007 (nachgewiesene Kenntnis des Zeugen D. von einer Verfüllung mit Bauschutt) kann der klägerische Anspruch bereits deshalb nicht gestützt werden, weil ein ab diesem Zeitpunkt unterbliebener Hinweis für die den Klägern entstandenen Kosten nicht kausal geworden ist. Auf einen entsprechenden Hinweis des Senats vom 14.04.2015 (Bl. 312 d. A.) haben die Kläger nichts Gegenteiliges dargelegt.

5. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren (§§ 525, 156 ZPO) aufgrund des Vortrags im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 07.12.2015 ist nicht geboten. Das in Kopie vorgelegte Schreiben der Beklagten vom 12.07.2001 ist für die Beurteilung des Falles ohne Bedeutung. Denn es kommt - wie bereits dargelegt - nicht darauf an, ob die Bauakten der Kiesgrube vor 2005 beim Landratsamt oder bei der Beklagten aufbewahrt wurden. Die Anordnung einer Vorlage des Schreibens durch den Senat war daher nicht geboten. Eine Beweiserhebung über die Richtigkeit der Urkunde konnte unterbleiben. Gleiches gilt für die Frage, wo Akten, welche die Kiesgrube betrafen, von 1999 bis einschließlich 2004 aufbewahrt wurden. Denn unabhängig vom konkreten Aufbewahrungsort hätten die Akten erst bei Anlass für eine Einsichtnahme aus der eigenen Registratur der Beklagten beigezogen oder beim Landratsamt angefordert werden müssen.

Was den Vorwurf einer Fälschung des Schreibens vom 12.07.2001 anbelangt, so fehlt es an konkreten Behauptungen, worin die Fälschung bestehen soll. Es bleibt unklar, warum das laut Kopie von einem Herrn K. unterzeichnete Schreiben nicht authentisch sein soll. Wurde die Unterschrift gefälscht? Wurde der Inhalt des Schreibens nachträglich manipuliert? Handelt es sich um einen falschen Briefkopf? Es fehlt an der Benennung konkreter Anhaltspunkte, aus denen sich nach den Angaben der „im Umfeld des Betriebes des Rathauses“ tätigen Person der Nachweis einer Fälschung ergeben soll. Ohne derartige Anhaltspunkte stellt sich die Anordnung einer Vorlage des Originalschreibens, um eventuell für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen D. relevante Erkenntnisse zu erlangen, als unzulässige Ausforschung dar. Eine hinreichende Grundlage für ein Wiedereröffnen der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 2 ZPO oder § 156 Abs. 1 ZPO liefert der klägerische Vortrag somit nicht.

Eine erneute Vernehmung des Zeugen N. zur Frage, ob er den Klägern im Falle einer Kenntnis der Verfüllung mit Bauschutt vom Kauf abgeraten hätte, war auch im Berufungsverfahren nicht geboten. Denn entsprechend der obigen Darlegungen kommt es mangels Pflichtverletzung auf die Beantwortung dieser Frage nicht an. Vielmehr erweist sich das angefochtene Urteil als zutreffend. Die Berufung der Kläger ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 Abs. 2 ZPO. Der Senat weicht weder von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, noch von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte ab. Im Übrigen beruht die Entscheidung auf einer Würdigung der besonderen Umstände des entschiedenen Falles, ohne dass eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden gewesen wäre.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf § 3 ZPO, § 47 GKG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Bamberg Endurteil, 18. Jan. 2016 - 4 U 160/14

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Oberlandesgericht Bamberg Endurteil, 18. Jan. 2016 - 4 U 160/14

Referenzen - Gesetze

Oberlandesgericht Bamberg Endurteil, 18. Jan. 2016 - 4 U 160/14 zitiert 17 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung


(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Schadensersatz weg

Zivilprozessordnung - ZPO | § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen


Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 513 Berufungsgründe


(1) Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546) beruht oder nach § 529 zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. (2) Die Berufung kann nicht darauf gestützt we

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 311 Rechtsgeschäftliche und rechtsgeschäftsähnliche Schuldverhältnisse


(1) Zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ist ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt. (2) Ein Schuldverhä

Zivilprozessordnung - ZPO | § 156 Wiedereröffnung der Verhandlung


(1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen. (2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn 1. das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295),

Zivilprozessordnung - ZPO | § 148 Aussetzung bei Vorgreiflichkeit


(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 166 Willensmängel; Wissenszurechnung


(1) Soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflusst werden, kommt nicht die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters in Betracht. (2) H

Zivilprozessordnung - ZPO | § 525 Allgemeine Verfahrensgrundsätze


Auf das weitere Verfahren sind die im ersten Rechtszuge für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Abschnitts ergeben. Einer Güteverhandlung bedar

Zivilprozessordnung - ZPO | § 398 Wiederholte und nachträgliche Vernehmung


(1) Das Prozessgericht kann nach seinem Ermessen die wiederholte Vernehmung eines Zeugen anordnen. (2) Hat ein beauftragter oder ersuchter Richter bei der Vernehmung die Stellung der von einer Partei angeregten Frage verweigert, so kann das Proze

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 19 Anzeigepflicht


(1) Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Oberlandesgericht Bamberg Endurteil, 18. Jan. 2016 - 4 U 160/14 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Oberlandesgericht Bamberg Endurteil, 18. Jan. 2016 - 4 U 160/14 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Juni 2007 - X ZR 34/04

bei uns veröffentlicht am 27.06.2007

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 34/04 Verkündet am: 27. Juni 2007 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Nov. 2011 - V ZR 245/10

bei uns veröffentlicht am 11.11.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL UND VERSÄUMNISURTEIL V ZR 245/10 Verkündet am: 11. November 2011 Langendörfer-Kunz Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Feb. 2009 - IV ZR 26/06

bei uns veröffentlicht am 11.02.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 26/06 Verkündetam: 11.Februar2009 Heinekamp Justizhauptsekretär alsUrkundsbeamter derGeschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja

Bundesgerichtshof Urteil, 29. Apr. 2008 - XI ZR 221/07

bei uns veröffentlicht am 29.04.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL XI ZR 221/07 Verkündet am: 29. April 2008 Herrwerth Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja BGB §

Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 11. Mai 2015 - L 15 RF 14/15

bei uns veröffentlicht am 11.05.2015

Tenor Dem Antragsteller wird für die Geltendmachung der Vergütung für seine ergänzende gutachtliche Stellungnahme vom 15.09.2014 Wiedereinsetzung gewährt. Gründe I. Streitig ist, ob dem Antragsteller für die Ge

Referenzen

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

(1) Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546) beruht oder nach § 529 zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

(2) Die Berufung kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.

(1) Das Prozessgericht kann nach seinem Ermessen die wiederholte Vernehmung eines Zeugen anordnen.

(2) Hat ein beauftragter oder ersuchter Richter bei der Vernehmung die Stellung der von einer Partei angeregten Frage verweigert, so kann das Prozessgericht die nachträgliche Vernehmung des Zeugen über diese Frage anordnen.

(3) Bei der wiederholten oder der nachträglichen Vernehmung kann der Richter statt der nochmaligen Beeidigung den Zeugen die Richtigkeit seiner Aussage unter Berufung auf den früher geleisteten Eid versichern lassen.

(1) Zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ist ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.

(2) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 entsteht auch durch

1.
die Aufnahme von Vertragsverhandlungen,
2.
die Anbahnung eines Vertrags, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut, oder
3.
ähnliche geschäftliche Kontakte.

(3) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 kann auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Ein solches Schuldverhältnis entsteht insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst.

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL UND VERSÄUMNISURTEIL
V ZR 245/10 Verkündet am:
11. November 2011
Langendörfer-Kunz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Mit der Übergabe von Unterlagen erfüllt ein Verkäufer seine Aufklärungspflicht nur
dann, wenn er aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass
der Käufer die Unterlagen nicht nur zum Zwecke allgemeiner Information, sondern
unter einem bestimmten Gesichtspunkt gezielt durchsehen wird.
BGH, Urteil vom 11. November 2011 - V ZR 245/10 - OLG Hamm
LG Dortmund
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. November 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die
Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Roth und die Richterinnen
Dr. Brückner und Weinland

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 11. November 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin kaufte mit notariellem Vertrag vom 29. Dezember 2005 unter Ausschluss der Gewährleistung von der Beklagten zu 1 das 759 qm große Hausgrundstück, Flurstück 275, in D. zum Kaufpreis von 330.000 €. Die Verkaufsverhandlungen wurden von dem Beklagten zu 2, dem geschiedenen Ehemann der Beklagten zu 1, geführt, der die Hälfte des Verkaufserlöses erhalten sollte. Das Grundstück ist mit einem massiven Holzzaun eingefriedet. In die Einfriedung einbezogen ist ein 185 qm großer Grundstückteil des Nachbar- grundstücks (Fl.-Nr. 274). Für den unbefangenen Betrachter scheint diese Teilfläche aufgrund ihrer gärtnerischen Gestaltung, aufgrund der Einfriedung und des darin befindlichen vier Meter breiten Eingangstores und der Einfahrt dem Anwesen als Vorgarten zuzugehören. Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz wegen unterlassener Aufklärung über die Eigentumsverhältnisse an dem Vorgartenbereich des Kaufobjekts.
2
Das Landgericht hat die Beklagten zur Zahlung von 60.000 € verurteilt und festgestellt, dass diese, falls der Eigentümer des Nachbargrundstücks den Rückbau des Vorgartens verlangt, verpflichtet sind, die erforderlichen Rückbaukosten zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe:


I.


3
Das Berufungsgericht verneint einen Schadensersatzanspruch der Klägerin aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen. Zwar hätten die Beklagten vor Abschluss des Kaufvertrages über die von der Einfriedung abweichende Grundstücksgrenze aufklären müssen. Im Sachbereich der §§ 434 ff. BGB seien Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen wegen des Vorrangs der kaufrechtlichen Regelungen aber grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Ausnahme gelte lediglich bei arglistigem Verhalten des Verkäufers. Ein solches Verhalten könne nicht festgestellt werden. Denn die Klägerin habe nicht ausschließen können, dass sich in einem ihr von dem Beklagten zu 2 im Vorfeld des Kaufvertragsabschlusses übergebenen Ordner Lagepläne des Grundstücks befunden haben. Jedenfalls aus einem dieser Lagepläne habe sich der Grenzverlauf des Grundstücks mit hinreichender Deutlichkeit ergeben.

II.


4
Die Beklagte zu 1 war trotz rechtzeitiger Bekanntmachung im Verhandlungstermin nicht vertreten. Deshalb ist insoweit über den Revisionsantrag der Klägerin durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. Senat , Urteil vom 4. April 1962 – V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 82).
5
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Verneinung eines Schadensersatzanspruchs der Klägerin aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen (§ 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Beklagten verpflichtet waren, die Klägerin vor Abschluss des Kaufvertrages darüber aufzuklären , dass der Gartenzaun und das darin befindliche Eingangstor im Vorgartenbereich – wie die Beklagten wussten – fremden Grund und Boden einschloss und sich das zu verkaufende Grundstück im dortigen Bereich nicht bis an die Grundstückseinfriedung erstreckt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht auch bei Vertragsverhandlungen, in denen die Parteien entgegengesetzte Interessen verfolgen, für jeden Vertragspartner die Pflicht, den anderen Teil über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen vereiteln können und daher für den Entschluss eines ver- ständigen Käufers von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er eine Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten kann (vgl. nur Senat, Urteil vom 15. Juli 2011 – V ZR 171/10, WM 2011, 1956, 1957 Rn. 7; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 – VIII ZR 38/09, NJW 2010, 858 Rn. 15, jeweils mwN). Zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, dass die Einfriedung eines Hausgrundstücks Kaufinteressenten regelmäßig den Eindruck vermittelt, es handle sich um ein einheitliches, nach außen abgeschlossenes Grundstück. Dieser Eindruck wurde hier dadurch verstärkt, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in der der Klägerin von dem Beklagten zu 2 zur Verfügung gestellten Objekt- und Lagebeschreibung ausdrücklich auf die Umfriedung des Grundstücks mitZaun und Eingangstor hingewiesen wurde. Unter diesen Umständen waren die Beklagten verpflichtet, einem Irrtum der Klägerin durch Aufklärung über den tatsächlichen Grenzverlauf vorzubeugen.
7
2. Ihre Pflicht zur Aufklärung haben die Beklagten nicht dadurch erfüllt, dass der Beklagte zu 2 der Klägerin die erbetenen Finanzierungsunterlagen, die für die Bank benötigt wurden, sowie einen Ordner überlassen hat, in dem sich neben dem Exposé und diversen anderen Unterlagen Lagepläne des Grundstücks befunden haben. Mit der Übergabe von Unterlagen erfüllt ein Verkäufer seine Aufklärungspflicht nur dann, wenn er aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer die Unterlagen nicht nur zum Zweck allgemeiner Information, sondern unter einem bestimmten Gesichtspunkt gezielt durchsehen wird. Solche Umstände liegen etwa vor, wenn der Verkäufer dem Käufer im Zusammenhang mit möglichen Mängeln ein Sachverständigengutachten überreicht (Senat, Urteil vom 12. November 2010 - V ZR 181/09, NJW 2011, 1280 Rn. 11). Ein verständiger und redlicher Verkäufer kann dagegen nicht erwarten, dass ein Käufer Finanzierungsunterlagen oder einen ihm übergebenen Ordner mit Unterlagen zu dem Kaufobjekt darauf durchsieht, ob in die Einfriedung des Grundstücks möglicherweise fremder Grund einbezogen wurde. Dies gilt hier umso mehr, als die Klägerin aufgrund des ausdrücklichen Hinweises in der Objekt- und Lagebeschreibung auf die Umfriedung des Grundstücks mit Zaun und Eingangstor ersichtlich keinen Grund für die Annahme hatte, dass in diese Teile des Nachbargrundstücks einbezogen sein könnten , und sie daher erkennbar auch keinen Anlass hatte, die Frage des Grenzverlaufs einer näheren Prüfung zu unterziehen.
8
3. Rechtsfehlerhaft nimmt das Berufungsgericht an, unabhängig von der Frage der Erfüllung der Aufklärungspflicht scheide eine Haftung der Beklagten jedenfalls deswegen aus, weil aufgrund der Übergabe des Ordners, der neben zahlreichen anderen Unterlagen auch einen Lageplan des Grundstücks enthalten habe, kein arglistiges Verhalten der Beklagten festgestellt werden könne.
9
Auf die Frage, ob die Beklagten arglistig gehandelt haben, kommt es nicht an. Denn es geht hier nicht um Verhaltenspflichten der Beklagten im Zusammenhang mit der Beschaffenheit der Kaufsache. Zur Beschaffenheit des verkauften Grundstücks Fl.-Nr. 275 gehört es nicht, dass es sich auch auf Teile des Nachbargrundstücks Fl.-Nr. 274 erstreckt. Dies könnte auch nicht Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung sein; vielmehr legte eine solche Vereinbarung den Kaufgegenstand selbst und nicht lediglich dessen Beschaffenheit fest (vgl. zu einem solchen Sachverhalt Senat, Urteil vom 18. Januar 2008 - V ZR 174/06, NJW 2008, 1658). Da der Sachbereich der §§ 434 ff. BGB somit nicht betroffen ist, kann uneingeschränkt auf die Grundsätze des Verschuldens bei Vertragsschluss zurückgegriffen werden (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 26. Januar 1996 - V ZR 42/94, NJW-RR 1996, 690).
10
Unabhängig davon hat das Berufungsgericht fehlerhaft den subjektiven Tatbestand der Arglist der Beklagten verneint. Eine arglistige Verletzung der Aufklärungspflicht liegt dann vor, wenn der Beklagte zu 2, dessen Verhalten sich die Beklagte zu 1 gemäß § 278 BGB zurechnen lassen muss, gewusst oder zumindest damit gerechnet und billigend in Kauf genommen hat, dass die Klägerin keine Kenntnis von den tatsächlichen Grundstücksgrenzen hatte (Senat , Urteil vom 26. Januar 1996 - V ZR 42/94, NJW-RR 1996, 690). Zwar trägt die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast auch für den subjektiven Tatbestand der Arglist. Da es sich bei der unterbliebenen Aufklärung aber um eine negative Tatsache handelt, kommen ihr Erleichterungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast zugute. Daher ist es Sache der Beklagten, diejenigen Umstände in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Weise zu konkretisieren , aufgrund deren sie von einer Kenntnis der Klägerin über die tatsächlichen Grundstückverhältnisse ausgegangen sein wollen (Senat, Urteil vom 12. November 2010 – V ZR 181/09, BGHZ 188, 43, 48 Rn. 15). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts rechtfertigen die von den Beklagten vorgetragenen Umstände nicht deren Annahme, die Klägerin sei über den tatsächlichen Grenzverlauf im Bilde gewesen. Wie bereits ausgeführt, durfte ein verständiger und redlicher Verkäufer nicht davon ausgehen, mit der Übergabe von Finanzierungsunterlagen sowie eines Ordners mit verschiedensten Unterlagen der Klägerin die erforderliche Kenntnis über die von der Einfriedung des Grundstücks abweichenden Grundstücksgrenzen verschafft zu haben.
11
4. Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif, da das Berufungsgericht offen gelassen hat, ob die Beklagten ihre Aufklärungspflicht – wie sie behaupten – durch einen ausdrücklichen mündlichen Hinweis auf den tatsächlichen Grenzverlauf erfüllt haben. Die Klärung dieser Frage ist vom Berufungsge- richt nachzuholen. Daher ist das Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
12
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Bejaht das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen Verschuldens bei Vertragsschluss, so ist als zu ersetzender Schaden nicht die Differenz zwischen dem Wert des Grundstücks mit und ohne Vorgarten anzusetzen. Denn der zum Nachbargrundstück gehörende Vorgartenbereich ist nicht Gegenstand des Kaufvertrages. Vielmehr ist der Betrag maßgeblich, um den die Klägerin wegen der unterlassenen Aufklärung das verkaufte Grundstück zu teuer erworben hat. Sie ist also so zu behandeln, als wäre es ihr bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Kaufvertrag zu einem günstigeren Kaufpreis abzuschließen ; dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die Beklagten mit einem niedrigeren – objektiv angemessenen – Kaufpreis einverstanden erklärt hätten (Senat, Urteil vom 6. April 2001 - V ZR 394/99, NJW 2001, 2875, 2877 mwN). Das Berufungsgericht wird daher zu prüfen haben, ob und in welcher Höhe der Klägerin über die Kosten eines eventuellen Rückbaus des Vorgartens hinaus ein weiterer Schaden entstanden ist.
Krüger Stresemann Roth
Brückner Weinland
Vorinstanzen:
LG Dortmund, Entscheidung vom 26.03.2010 - 6 O 614/07 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 11.11.2010 - I-22 U 79/10 -

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 221/07 Verkündet am:
29. April 2008
Herrwerth
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Grundsätzlich ist eine kreditgebende Bank unter dem rechtlichen Gesichtspunkt
eines Wissensvorsprungs nur dann verpflichtet, den Kreditnehmer
bei Kreditvergabe über die sittenwidrige Überteuerung der zu finanzierenden
Eigentumswohnung aufzuklären, wenn sie positive Kenntnis
davon hat, dass der Kaufpreis knapp doppelt so hoch ist wie der Verkehrswert
der Wohnung.

b) Ausnahmsweise steht die bloße Erkennbarkeit der positiven Kenntnis
dann gleich, wenn sich die sittenwidrige Überteuerung einem zuständigen
Bankmitarbeiter nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen musste;
er ist dann nach Treu und Glauben nicht berechtigt, seine Augen davor
zu verschließen.
BGH, Urteil vom 29. April 2008 - XI ZR 221/07 - OLG Nürnberg
LG Nürnberg-Fürth
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 29. April 2008 durch den Vorsitzenden Richter
Dr. h.c. Nobbe und die Richter Dr. Müller, Dr. Ellenberger, Dr. Grüneberg
und Maihold

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 30. März 2007 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Kläger wenden sich gegen die von der beklagten Bank betriebene Zwangsvollstreckung aus einem notariellen Schuldanerkenntnis.
2
Die Kläger wurden im Jahr 1993 von einem Vermittler geworben, ohne Eigenkapital eine Eigentumswohnung zu Steuersparzwecken zu erwerben. Mit notariellem Kaufvertrag vom 30. März 1993 erwarben sie die Wohnung Nr. .. in dem Objekt Rh. in D. zum Kaufpreis von 129.250 DM.
3
Zur Finanzierung des Kaufpreises legte die Rechtsvorgängerin der Beklagten (nachfolgend: Beklagte) den Klägern den Entwurf eines Darlehensvertrages vom 5. August 1993 über 129.000 DM vor. Die Kläger un- terzeichneten den Antrag, in dem die Tilgung mit 1% p.a. und die monatlich zu zahlende Rate mit 908,38 DM angegeben waren. Zur Sicherheit wurde von der im Kaufvertrag bevollmächtigten Notariatsangestellten am 6. August 1993 eine Grundschuld über 129.000 DM an der Eigentumswohnung bestellt. In der Grundschuldbestellungsurkunde ist auch die Übernahme der persönlichen Haftung der Kläger nebst Unterwerfung in die sofortige Zwangsvollstreckung enthalten.
4
Beklagten Der lagen zum Zeitpunkt der Kreditentscheidung der notarielle Kaufvertrag vom 30. März 1993 und ein Verkaufsprospekt vor, der Lichtbilder der Front- und Rückseite des Objekts, Planzeichnungen und einen Auszug aus dem Stadtplan von D. enthielt. Das Objekt wurde im Prospekt u.a. wie folgt beschrieben: Baujahr 1952, renoviert; Sonstiges: Guter Zustand, von außen verklinkert, Isolierverglasung, jede ETW hat Balkon, Ölzentralheizung. In einem an die zuständige Filiale S. der Beklagten gerichteten Kreditantrag für Baufinanzierungen vom 6. August 1993 wurde der Objektwert von der Filiale R. mit dem Kaufpreis gleich gesetzt.
5
Am 2. September 1993 richtete die Filiale R. der Beklagten ein Schreiben an die Kläger, das auszugsweise wie folgt lautet: "Die Eigentumswohnung wurde nach Ihren Angaben 1952 erstellt. Renovierungsarbeiten wurden angabegemäß durchgeführt, die aber in genauerem Umfang nicht bekannt sind. Uns liegt zur Wertermittlung der Immobilie lediglich ein Exposé der Vertriebsfirma vor. Aufgrund des von uns ermittelten Verkehrswertes können wir der Finanzierung nur dann näher treten, wenn uns objektive Belei- hungsunterlagen (aktuelles Lichtbild, Mietvertrag, Zustandsbericht der Raumverhältnisse sowie der Zeitpunkt der Modernisierung, inklusive Kostenaufstellung) vorliegen. Unabhängig vom Darlehensantrag , in welchem eine Tilgung von 1% p.a. vereinbart wurde, müssen wir mit dem derzeitigen Informationsstand die Tilgung auf 5% p.a. erhöhen. Dies würde eine Erhöhung der Belastung auf DM 1.338,38 monatlich bedeuten. Bis zur Vorlage der von uns benötigten Objektunterlagen und bis zu Ihrer Entscheidung, ob Sie mit der höheren Tilgung einverstanden sind, können wir das Darlehen nicht zusagen."
6
Mit Fax vom 5. Oktober 1993 wandte sich der Vermittler an die Beklagte und teilte mit, dass die Kläger bereit seien, die Wohnung über diese zu finanzieren, wenn die Tilgung auf 1% reduziert werde. Am 28. Oktober/5. November 1993 unterzeichneten die Parteien einen Darlehensvertrag über 129.000 DM, der eine Tilgung von 3% p.a. vorsah.
7
Nachdem das von der Beklagten valutierte Darlehen notleidend geworden war, stellte die Beklagte den Darlehensrestbetrag am 16. Juli 2003 in Höhe von 51.089,44 € zum 29. August 2003 fällig und betrieb aus der Grundschuldbestellungsurkunde die Zwangsversteigerung der finanzierten Eigentumswohnung. Diese erfolgte im Februar 2004 für 24.500 €. Wegen des Restbetrages betreibt die Beklagte die Zwangsvollstreckung in das persönliche Vermögen der Kläger.
8
Landgericht Das hat die Vollstreckungsgegenklage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Berufungsgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt und deren Hilfswiderklage auf Zahlung der noch offenen Darlehensforderung von 25.720,40 € zuzüglich Zinsen abgewiesen. Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungs- und Hilfswiderklageantrag in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe:


9
Die Revision hat keinen Erfolg.

I.


10
Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt:
11
Die Kläger könnten dem Darlehensrückzahlungsanspruch der Beklagten einen Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht durch die Beklagte entgegenhalten. Aufgrund eines Wissensvorsprungs habe die Beklagte die Kläger über den tatsächlichen Wert der Eigentumswohnung aufklären müssen. Der Kaufpreis für die Wohnung sei sittenwidrig überhöht gewesen , weil er den Verkehrswert der Wohnung um 87,07% überstiegen habe.
12
Hiervon habe die Beklagte Kenntnis gehabt. Offen bleiben könne deshalb, ob in den Fällen eines besonders groben Missverhältnisses zwischen Kaufpreis und Verkehrswert die Kenntnis der Bank hiervon zu vermuten sei. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme stehe fest, dass sich die Beklagte einer Erkenntnis der sittenwidrigen Kaufpreisüberhöhung bewusst verschlossen und eine sittenwidrige Übervorteilung der Kläger in Kauf genommen habe. Der Beklagten seien die wertbildenden Faktoren der Eigentumswohnung bekannt gewesen. Sie habe den Kaufpreis, das Baujahr, die Ausstattung und die Lage der Wohnung und als überregional tätige Bank auch die Markt- und Preisverhältnisse auf dem Immobilienmarkt gekannt. Angesichts der Lage der Wohnung an einer breiten Hauptstraße sei ihr auch die Verkehrslärmbeeinträchtigung bekannt gewesen. Weiter habe sie gewusst, dass das Hauptrisiko für die Werthaltigkeit der Wohnung darin gelegen habe, ob und in welchem Umfang Renovierungen durchgeführt worden seien. Sie habe die Finanzierung deshalb angesichts der erkannten Risiken zunächst nur mit einer fünfprozentigen Tilgung gewähren wollen. Obgleich ihr keine Informationen zum Renovierungszustand erteilt worden seien, habe sie das Darlehen dann mit einem Tilgungssatz von 3% ausgereicht. Das belege, dass die Beklagte die sich ihr aufdrängenden Bedenken hinsichtlich der Werthaltigkeit der Immobilie beiseite geschoben habe. Dies sei einer positiven Kenntnis gleich zu stellen. Wegen Verletzung ihrer Aufklärungspflicht müsse die Beklagte die Kläger so stellen, als ob sie die sittenwidrige Kaufpreisüberhöhung erkannt und die Bezahlung des Kaufpreises verweigert hätten.

II.


13
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus Auf- klärungsverschulden unter dem Gesichtspunkt eines Wissensvorsprungs hinsichtlich der sittenwidrigen Überteuerung des Kaufpreises für die Eigentumswohnung bejaht, die die Zwangsvollstreckung der Beklagten unzulässig macht und ihrem Darlehensrückzahlungsanspruch entgegensteht.
14
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine kreditgebende Bank bei steuersparenden Bauherren-, Bauträger- und Erwerbermodellen zur Risikoaufklärung über das finanzierte Geschäft allerdings nur unter ganz besonderen Voraussetzungen verpflichtet. Sie darf regelmäßig davon ausgehen, dass die Kunden entweder über die notwendigen Kenntnisse oder Erfahrungen verfügen oder sich jedenfalls der Hilfe von Fachleuten bedient haben. Aufklärungs- und Hinweispflichten bezüglich des finanzierten Geschäfts können sich daher nur aus den besonderen Umständen des konkreten Einzelfalls ergeben. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn die Bank in Bezug auf spezielle Risiken des Vorhabens einen konkreten Wissensvorsprung vor dem Darlehensnehmer hat und dies auch erkennen kann (Senatsurteile BGHZ 161, 15, 20; 168, 1, 19 f., Tz. 41, vom 9. November 2004 - XI ZR 315/03, WM 2005, 72, 76, vom 15. März 2005 - XI ZR 135/04, WM 2005, 828, 830, vom 10. Juli 2007 - XI ZR 243/05, WM 2007, 1831, 1832, Tz. 14 und vom 23. Oktober 2007 - XI ZR 167/05, WM 2008, 154, 156, Tz. 13). Eine Aufklärungspflicht der Bank über die Unangemessenheit des Kaufpreises unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines Wissensvorsprungs ist ausnahmsweise dann anzunehmen, wenn eine so wesentliche Verschiebung der Relation zwischen Kaufpreis und Verkehrswert vorliegt, dass die Bank von einer sittenwidrigen Übervorteilung des Käufers durch den Verkäufer ausgehen muss (st.Rspr., Senatsurteile vom 23. März 2004 - XI ZR 194/02, WM 2004, 1221, 1225, vom 15. März 2005 - XI ZR 135/04, WM 2005, 828, 830 und vom 23. Oktober 2007 - XI ZR 167/05, WM 2008, 154, 156, Tz. 16, jeweils m.w.Nachw.). Von einer solchen sittenwidrigen Übervorteilung ist auszugehen, wenn der Verkaufspreis knapp doppelt so hoch ist wie der Verkehrswert der Wohnung (BGHZ 146, 298, 301 ff.; 168, 1, 21, Tz. 47; Senatsurteile vom 19. Juni 2007 - XI ZR 142/05, WM 2007, 1456, 1457, Tz. 13, vom 26. Juni 2007 - XI ZR 277/05, WM 2007, 1651, 1653, Tz. 15 und vom 26. Februar 2008 - XI ZR 74/06, WM 2008, 683, 687, Tz. 38, jeweils m.w.Nachw.).
15
a) Im Ergebnis zu Recht ist das Berufungsgericht von einer sittenwidrigen Überteuerung der Eigentumswohnung ausgegangen. Entgegen seiner Ansicht übersteigt der Kaufpreis den Wert der Eigentumswohnung allerdings nicht lediglich um 87,07%, sondern um mehr als 100%. Für den Wert-Preisvergleich ist der vom Sachverständigen Si. ermittelte Verkehrswert der Wohnung maßgeblich, der am 30. März 1993 63.500 DM betrug. Dem steht der mehr als doppelt so hohe Kaufpreis von 129.000 DM gegenüber. Das belegt die sittenwidrige Überteuerung der Wohnung.
16
b) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht auch die subjektiven Voraussetzungen einer Aufklärungspflicht bejaht.
17
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Kreditinstitut nur das ihm präsente Wissen offenbaren. Dabei ist grundsätzlich positive Kenntnis der Bank von der sittenwidrigen Überteuerung des Kaufobjekts erforderlich. Eine solche Kenntnis wird selbst bei einem - hier nicht vorliegenden - institutionalisierten Zusammenwir- ken der Bank mit dem Verkäufer oder Vermittler der Anlage nicht vermutet (Senatsurteil vom 23. Oktober 2007 - XI ZR 167/05, WM 2008, 154, 156 f., Tz. 16 m.w.Nachw.; OLG Frankfurt WM 2006, 2207, 2209). Etwas anderes ist auch nicht etwa dem vom Berufungsgericht zitierten Urteil des Senats vom 20. Januar 2004 (XI ZR 460/02, WM 2004, 521, 524) zu entnehmen. Darin wurde insoweit lediglich ausgesprochen, dass ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung eine Vermutung der subjektiven Voraussetzungen für ein sittenwidriges Handeln des Verkäufers begründet (ebenso BGHZ 146, 298, 302). Von einer widerleglichen Vermutung der Kenntnis der finanzierenden Bank von der sittenwidrigen Übervorteilung des Käufers durch den Verkäufer ist dort keine Rede. Eine solche positive Kenntnis der Beklagten hat das Berufungsgericht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme rechtsfehlerhaft nicht als bewiesen angesehen.
18
bb) Es hat aber aufgrund der besonderen Umstände des Falles die Überzeugung gewonnen, dass die mit der Bewilligung des Darlehens befassten Mitarbeiter der Beklagten vor der Erkenntnis der sittenwidrigen Überteuerung der Wohnung bewusst die Augen verschlossen haben, was der positiven Kenntnis der Sittenwidrigkeit gleichsteht. Diese tatrichterliche Würdigung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
19
(1) Allerdings besteht, worauf die Revision zu Recht hinweist, keine Nachforschungspflicht einer Bank hinsichtlich etwaiger Risiken des zu finanzierenden Vorhabens. Kreditinstitute prüfen den Wert der ihnen gestellten Sicherheiten grundsätzlich nur im eigenen Interesse sowie im Interesse der Sicherheit des Bankensystems, nicht aber im Kundeninteresse (BGHZ 147, 343, 349; 168, 1, 20 f., Tz. 45 und Senatsurteile vom 7. April 1992 - XI ZR 200/91, WM 1992, 977, vom 21. Oktober 1997 - XI ZR 25/97, WM 1997, 2301, 2302, vom 11. November 2003 - XI ZR 21/03, WM 2004, 24, 27, vom 20. März 2007 - XI ZR 414/04, WM 2007, 876, 880 f., Tz. 41, vom 23. Oktober 2007 - XI ZR 167/05, WM 2008, 154, 156, Tz. 15 und vom 6. November 2007 - XI ZR 322/03, WM 2008, 115, 119, Tz. 43). Dementsprechend kann sich aus einer lediglich zu bankinternen Zwecken erfolgten oder unterlassenen Beleihungswertermittlung grundsätzlich keine Pflichtverletzung gegenüber dem Kreditnehmer und somit auch keine diesbezügliche Aufklärungspflicht ergeben (Senat, BGHZ 168 aaO S. 21, Tz. 45; Urteile vom 20. März 2007 - XI ZR 414/04, WM 2007, 876, 881, Tz. 41 und vom 23. Oktober 2007 - XI ZR 167/05, WM 2008, 154, 156, Tz. 15 m.w.Nachw.).
20
Ausnahmsweise (2) steht die bloße Erkennbarkeit von aufklärungspflichtigen Tatsachen wie etwa der sittenwidrigen Überteuerung eines Wohnungskaufpreises der positiven Kenntnis aber dann gleich, wenn sich diese einem zuständigen Bankmitarbeiter nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen musste; er ist dann nach Treu und Glauben nicht berechtigt, seine Augen vor solchen Tatsachen zu verschließen (Senatsbeschluss vom 28. Januar 1992 - XI ZR 301/90, WM 1992, 602, 603 und Senatsurteil vom 7. April 1992 - XI ZR 200/91, WM 1992, 977). So liegt der Fall hier.
21
Das Berufungsgericht ist aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme und der unstreitigen besonderen Umstände des Falles zu der Überzeugung gelangt, dass die zuständigen Mitarbeiter der Beklagten bewusst die Augen vor der sittenwidrigen Überteuerung der Wohnung verschlossen haben. Die vom Berufungsgericht in tatrichterlicher Ver- antwortung vorgenommene Würdigung, die revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Januar 1992 - XI ZR 301/90, WM 1992, 602, 603), weist keinen Rechtsfehler auf. Sie ist vollständig, verstößt nicht gegen die Denkgesetze und ist vertretbar.
22
Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Beklagten alle wertbildenden Faktoren der Wohnung bekannt waren und sich ihr deshalb die sittenwidrige Überteuerung der Wohnung aufgedrängt hat. Die Beklagte kannte den Kaufpreis und war als überregional tätige Bank mit den Markt- und Preisverhältnissen auf dem Immobilienmarkt in D. vertraut. Sie kannte aufgrund des ihr vorliegenden Prospekts Alter, schlechte Lage und Ausstattung der Wohnung. Ihr war, wie sich ihrem Schreiben vom 2. September 1993 entnehmen lässt, bewusst , dass ein unzureichender Renovierungszustand, mit dem sie ernsthaft rechnete, den Wert negativ beeinflusst. Ihr nachträgliches ungewöhnliches Verlangen nach einer unüblich hohen fünfprozentigen Tilgung pro Jahr ist ein wichtiges Indiz dafür, dass sie die Immobilie in hohem Maße nicht als werthaltig ansah. Wenn sie trotz Fehlens zusätzlich angeforderter tragfähiger Informationen zum Renovierungszustand nach Intervention des Vermittlers die Finanzierung zu einem immer noch ungewöhnlich hohen Tilgungssatz von 3% p.a. abgeschlossen hat, so durfte das Berufungsgericht annehmen, dass die Beklagte vor der von ihr als Risiko erkannten und sich aufdrängenden Erkenntnis einer sittenwidrigen Überteuerung der Wohnung bewusst die Augen verschlossen und lediglich versucht hat, durch einen ungewöhnlich hohen Tilgungssatz das durch die völlig unzureichende Werthaltigkeit der Immobile bedingte Kreditausfallrisiko zu verringern.
23
2. Das Berufungsgericht hat auch zutreffend ausgeführt, dass die Kläger wegen des Aufklärungsverschuldens der Beklagten im Wege des Schadensersatzes so zu stellen sind, als hätten sie den Darlehensvertrag nicht abgeschlossen. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, dass ausgleichspflichtige Vorteile der Kläger nicht vorhanden sind, werden von der Revision nicht angegriffen. Die von der Beklagten betriebene Zwangsvollstreckung ist danach unzulässig, ihre Hilfswiderklage unbegründet.

III.


24
Die Revision war nach alledem zurückzuweisen.
Nobbe Müller Ellenberger
Grüneberg Maihold

Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 25.08.2005 - 10 O 8701/04 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 30.03.2007 - 12 U 2164/05

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

(1) Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen. Stellt der Versicherer nach der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers, aber vor Vertragsannahme Fragen im Sinn des Satzes 1, ist der Versicherungsnehmer auch insoweit zur Anzeige verpflichtet.

(2) Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach Absatz 1, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten.

(3) Das Rücktrittsrecht des Versicherers ist ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. In diesem Fall hat der Versicherer das Recht, den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von einem Monat zu kündigen.

(4) Das Rücktrittsrecht des Versicherers wegen grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht und sein Kündigungsrecht nach Absatz 3 Satz 2 sind ausgeschlossen, wenn er den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen hätte. Die anderen Bedingungen werden auf Verlangen des Versicherers rückwirkend, bei einer vom Versicherungsnehmer nicht zu vertretenden Pflichtverletzung ab der laufenden Versicherungsperiode Vertragsbestandteil.

(5) Dem Versicherer stehen die Rechte nach den Absätzen 2 bis 4 nur zu, wenn er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat. Die Rechte sind ausgeschlossen, wenn der Versicherer den nicht angezeigten Gefahrumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige kannte.

(6) Erhöht sich im Fall des Absatzes 4 Satz 2 durch eine Vertragsänderung die Prämie um mehr als 10 Prozent oder schließt der Versicherer die Gefahrabsicherung für den nicht angezeigten Umstand aus, kann der Versicherungsnehmer den Vertrag innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des Versicherers ohne Einhaltung einer Frist kündigen. Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer in der Mitteilung auf dieses Recht hinzuweisen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 26/06 Verkündetam:
11.Februar2009
Heinekamp
Justizhauptsekretär
alsUrkundsbeamter
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
VVG a.F. § 16
Dem Versicherer ist das Wissen des mit der Erstellung eines ärztlichen Zeugnisses
beauftragten Arztes nur insoweit zuzurechnen, als dieser es durch den Antragsteller
im Rahmen der "Erklärung vor dem Arzt" erlangt hat (Fortführung des Senatsurteils
vom 7. März 2001 - IV ZR 254/00 - VersR 2001, 620). Eine weitergehende Zurechnung
von Wissen, das sich für den Arzt aus früheren Untersuchungen oder Behandlungen
ergeben hat, kommt nicht in Betracht.
BGH, Urteil vom 11. Februar 2009 - IV ZR 26/06 - OLG Oldenburg
LG Osnabrück
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und
Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 11. Februar 2009

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 11. Januar 2006 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass sein mit der Beklagten geschlossener Lebensversicherungsvertrag mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung trotz Rücktrittserklärung der Beklagten fortbesteht.
2
Am 26. Oktober 2001 beantragte der Kläger bei der Beklagten den Abschluss einer Kapitallebensversicherung unter Einschluss einer Berufsunfähigkeits -Zusatzversicherung. Zu der im Antragsformular gestellten Frage nach Gesundheitsstörungen und Behandlungen in den zurückliegenden fünf Jahren war die Antwort "ja" angekreuzt und "Magenspiegelung 03.1999 wegen nervöser Magenbeschwerden" hinzugesetzt; als behandelnder Arzt war der Hausarzt des Klägers, Dr. H. , genannt. Die Beklagte holte bei Dr. H. ein ärztliches Zeugnis über den Gesundheitszustand des Klägers ein. In Abschnitt I dieses Zeugnisses unter der Überschrift "Erklärungen vor dem Arzt" - die Erklärung bestand ferner aus dem - für den ärztlichen Befund bestimmten - Abschnitt II mit der Überschrift "Untersuchungsbefund" - wurde die Frage, ob in den letzten zehn Jahren Krankheiten, Störungen oder Beschwerden bestehen oder bestanden, bejaht und durch den Zusatz "chronische Gastritis, Zustand nach Ulcus ventriculi 3/99" näher erläutert. Die Frage, ob andere als die bereits benannten Ärzte den Antragsteller in den letzten fünf Jahren untersucht oder behandelt hätten, wurde ebenso verneint wie die Frage nach Krankenhaus- oder Heilstättenbehandlungen bzw. Kuren. Die Erklärung in Abschnitt I wurde vom Kläger unterzeichnet. Die Beklagte nahm den Antrag am 13. Dezember 2001 an. Am 2. März 2004 beantragte der Kläger Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung wegen schwerer Kniegelenksarthrose sowie Arthrose der Lendenwirbelsäule. Bei der Bearbeitung dieses Antrages erfuhr die Beklagte, dass der Kläger vom 9. bis zum 30. Mai 2001 unter anderem wegen eines psychophysischen Erschöpfungszustandes mit vegetativer Dysregulation eine Kur in einer Rehabilitationsklinik absolviert hatte; Grundlage der Bewilligung dieser Kur war ein Befundbericht des Hausarztes Dr. H. . Dieser hatte in seinem Bericht folgende Diagnose gestellt: "1. Psychovegetativer Erschöpfungszustand mit veget. Dysregulation 2. chronische Gastrites , Zustand nach Ulcera ventriculi 3. chronisch-obstruktive Lungenerkrankung 4. Adipositas." Die Beklagte erklärte daraufhin den Rücktritt vom Vertrag und focht ihn außerdem an.
3
Das Landgericht hat der Klage auf Feststellung des Fortbestehens des gesamten Versicherungsvertrages stattgegeben. Im Berufungsrechtszug hat die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag, dem das Oberlandesgericht antragsgemäß stattgegeben hat, nur noch auf die Erklä- rung des Rücktritts vom Vertrag gestützt. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


4
DasRechtsmittel hat keinen Erfolg.
5
A. I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagte sei wegen der Verletzung einer Anzeigeobliegenheit durch den Kläger gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. zum Rücktritt vom Versicherungsvertrag berechtigt gewesen. Mit der für den Kläger als Versicherungsnehmer erkennbar weit gefassten Formularfrage nach "Gesundheitsstörungen" habe die Beklagte nach jeder nicht offenkundig belanglosen gesundheitlichen Beeinträchtigung gefragt, so dass der Kläger auch den bei ihm diagnostizierten psychovegetativen Erschöpfungszustand mit vegetativer Dysregulation hätte angeben müssen. Über die Obliegenheit zur Anzeige der dreiwöchigen Kurmaßnahme hätte beim Kläger angesichts der unter Punkt 12 b der "Erklärungen vor dem Arzt" gestellten Frage nach Krankenhaus - oder Heilstättenbehandlungen bzw. Kuren keine Unklarheit bestehen können. Die Gefahrerheblichkeit eines mehrwöchigen Kuraufenthalts wegen eines Erschöpfungssyndroms bei einem zum Zeitpunkt der Antragsaufnahme 54 Jahre alten, im Berufsleben stehenden Versicherungsnehmer liege auf der Hand. Es habe sich auch nach Beurteilung durch den Hausarzt Dr. H. nicht um eine Bagatelle gehandelt. Eine eigene Bewertung der Gefahrerheblichkeit eines Umstandes, nach dem der Versicherer ausdrücklich frage, stehe dem Versicherungsnehmer nicht zu. Darauf, dass der Kläger die Kurmaßnahme nicht als gravierend angesehen habe, komme es daher ebenso wenig an wie darauf, dass er an die Kur bei Aufnahme der Erklärung bei seinem Hausarzt nicht mehr gedacht habe. Er hätte sich den Kuraufenthalt ohne große Mühe ins Gedächtnis zurückrufen können und habe daher zumindest grob fahrlässig gehandelt.
6
II. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.
7
Die 1. Feststellung des Berufungsgerichts, der verschwiegene Kuraufenthalt des Klägers stelle einen gefahrerheblichen Umstand dar, beruht nicht auf einer Verkennung der Darlegungs- und Beweislast.
8
Nach a) dem vegetativen Erschöpfungssyndrom, das (auch) Anlass für den Kuraufenthalt war, war der Kläger bereits durch die auch für ihn erkennbar weit gefasste Frage zu Ziff. 2c der "Erklärungen vor dem Arzt" nach Gesundheitsstörungen gefragt. Unmittelbar auf den Kuraufenthalt zielte die ausdrückliche Frage zu Ziff. 12b nach Heilstättenbehandlungen und Kuren. Dem verschwiegenen Umstand der dreiwöchigen Kur und der zugrunde liegenden Diagnose kommt daher die Vermutung der Gefahrerheblichkeit zu (§ 16 Abs. 1 Satz 3 VVG a.F.). Zwar kann der Versicherungsnehmer, dem hinsichtlich der fehlenden Erheblichkeit erfragter Umstände die Darlegungs- und Beweislast obliegt, dieser nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zunächst allein dadurch genügen, dass er die Gefahrerheblichkeit pauschal bestreitet (Senatsurteil vom 20. September 2000 - IV ZR 203/99 - VersR 2000, 1486 unter 1 b bb). Der Versicherer muss aber seinerseits seine Grundsätze der Risikoprüfung nur dann substantiiert darlegen, wenn die Gefahrerheblichkeit nicht ohnehin auf der Hand liegt. Der Versicherer ist also nur dann gehalten, seine Risikoprüfungsgrundsätze offen zu legen, wenn es sich um eine Gesundheitsstörung handelt, die offenkundig als leicht einzuordnen , nicht wiederholt aufgetreten ist und deshalb von vornherein keinen Anhalt dafür bietet, dass sie für die Risikoeinschätzung des Versicherers hinsichtlich des auf Dauer angelegten Versicherungsvertrages von Bedeutung sein könnte (Senatsurteil vom 20. September 2000 aaO).
9
b) Danach liegt, anders als die Revision meint, die Gefahrerheblichkeit des dreiwöchigen Kuraufenthalts wegen eines psychovegetativen Erschöpfungszustandes hier auf der Hand. Zwar hat das Berufungsgericht nicht erörtert, ob Gefahrerheblichkeit nicht nur unter dem Gesichtspunkt der vom Kläger genommenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung bestand, sondern auch im Hinblick auf die Kapitallebensversicherung. Nach den dazu vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist jedoch die Gefahrerheblichkeit für den Versicherungsvertrag insgesamt zu bejahen. Schon die wegen eines Erschöpfungssyndroms absolvierte dreiwöchige Kur in einer Rehabilitationseinrichtung ist - vor dem Hintergrund der weiteren, unstreitig vorhandenen gesundheitlichen Störungen - bei einem berufstätigen, erst 54 Jahre alten Arbeitnehmer ersichtlich für die Übernahme beider Gefahren erheblich. Die gesundheitliche Beeinträchtigung bestand nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bereits seit Anfang Februar 2001. Danach handelte es sich um einen länger andauernden krankhaften Zustand, der auch von funktionellen körperlichen Störungen und Beschwerden begleitet wurde, wobei das Beschwerdebild in psychischer und physischer Hinsicht unstreitig seine Ursache in der hohen beruflichen Belastung des Klägers hatte. Das Vorliegen einer leichten, nicht wiederholt auftretenden und deshalb für die Risikoprüfung von vornherein bedeutungslosen Störung ist daher zu verneinen.
10
2. Bei der Beurteilung, ob es dem Versicherer obliegt, zu seinen Risikoprüfungsgrundsätzen vorzutragen oder ob von einer auf der Hand liegenden Gefahrerheblichkeit des verschwiegenen Umstandes auszugehen ist, kommt es weder auf die Einschätzung des den Versicherungsnehmer damals behandelnden Arztes noch etwa darauf an, ob ein Sachverständiger die von diesem seinerzeit gestellte Diagnose als auf einem bloßen Verdacht beruhend bezeichnen würde. Die Beurteilung der vom Versicherungsnehmer anzuzeigenden Umstände ist allein Sache des Versicherers. Demgemäß sind bei der Frage, ob Gefahrerheblichkeit auf der Hand liegt, die anzugebenden Umstände so zugrunde zu legen, wie sie dem Versicherer anzuzeigen waren. Auf eine nachträgliche ärztliche Bewertung dieser Umstände kommt es nicht an (Senatsurteil vom 20. September 2000 - IV ZR 203/99 - VersR 2000, 1486 unter 1 b bb). Drängt sich danach auf, dass die verschwiegenen Umstände für einen Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherer bei der Entscheidung über das Ob und Wie des Vertragsschlusses von Bedeutung sind, liegt die Gefahrerheblichkeit auf der Hand. Davon konnte das Berufungsgericht im vorliegenden Fall ohne Rechtsfehler ausgehen.
11
3. Ohne Erfolg wendet sich die Revision ferner gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, es könne den Kläger nicht entlasten, den Kuraufenthalt und die zugrunde liegende Diagnose bei Abgabe der "Erklärungen vor dem Arzt" vergessen zu haben. Zwar setzt die Anzeigeobliegenheit gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. positive Kenntnis von einem gefahrerheblichen Umstand voraus. Danach verletzt ein Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nicht, wenn er einen Umstand nicht angibt, der ihm aufgrund von Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist (Senatsurteil vom 27. Juni 1984 - IVa ZR 1/83 - VersR 1984, 884 unter I 3; Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. §§ 16, 17 Rdn. 20 m.w.N.). Nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts war dem Kläger die Anlassdiagnose für den Kuraufenthalt aber bekannt. Demgegenüber kann er sich nicht darauf berufen, einen Umstand vergessen zu haben, an den er sich bei zumutbarer Anstrengung seines Gedächtnisses - die Kur lag erst wenige Monate zurück - hätte erinnern können (Prölss aaO; Langheid in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. §§ 16, 17 Rdn. 15).
12
B. I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass der Beklagten das sonstige Wissen des Hausarztes über den Gesundheitszustand des Klägers und über frühere Behandlungen nicht zugerechnet werden könne. Zwar spreche für eine solche Zurechnung, dass der Hausarzt gerade wegen seiner Kenntnisse über den Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers vom Versicherer beauftragt werde. Der beauftragte Arzt stehe jedoch nur bei Aufnahme der "Erklärungen vor dem Arzt" einem Versicherungsagenten gleich. Für diesen sei anerkannt, dass eine Zurechnung nur für Kenntnisse in Betracht komme, die im Zusammenhang mit der Aufnahme und Bearbeitung des Antrags für die jeweilige Versicherung stünden. Würde die Zurechnung für den vom Versicherer eingeschalteten Hausarzt auf alle jemals beruflich erlangten Informationen erweitert , führte dies im Vergleich zum Versicherungsagenten zu einer Erweiterung der Zurechnung, für die umso weniger Anlass bestehe, als der vom Hausarzt im Zusammenhang mit der Aufnahme der entsprechenden Erklärungen wahrzunehmende Pflichtenkreis enger gezogen sei als der des Agenten. Zwar sei er bei Entgegennahme der Antworten des künfti- gen Versicherungsnehmers passiver Stellvertreter des Versicherers, aber nicht berechtigt oder verpflichtet, weitergehende Vertragspflichten des Versicherers, wie etwa Beratungspflichten gegenüber dem Antragsteller wahrzunehmen.
13
II. Auch das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
14
1. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bislang geklärt :
15
Kommt es auf Betreiben des Versicherers im Zuge der Verhandlungen über den Abschluss einer Lebens- und Berufunfähigkeitszusatzversicherung zur Erstellung eines ärztlichen Zeugnisses auf einem vom Versicherer vorgegebenen Formblatt und hat der Antragsteller dabei im Rahmen der "Erklärung vor dem Arzt" gegenüber dem Arzt vom Versicherer vorformulierte Fragen zu beantworten, so stehen die vom Arzt in Erfüllung dieses Auftrags gestellten Fragen den Fragen des Versicherers (§ 16 Abs. 1 Satz 3 VVG a.F.), die erteilten Antworten den Erklärungen gegenüber dem Versicherer (§ 16 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.) gleich. Der vom Versicherer eingeschaltete Arzt ist insoweit dessen passiver Stellvertreter , nämlich zur Entgegennahme der Antworten des Antragstellers beauftragt. Bei der Aufnahme der "Erklärung vor dem Arzt" steht der Arzt damit insoweit einem Versicherungsagenten bei Aufnahme des Versicherungsantrags gleich. Was dem Arzt zur Beantwortung der vom Versicherer vorformulierten Fragen gesagt ist, ist dem Versicherer gesagt, selbst wenn der Arzt die ihm erteilten Antworten nicht in die Erklärung aufnimmt (Senatsurteil vom 7. März 2001 - IV ZR 254/00 - VersR 2001, 620 unter 2 b m.w.N.).

16
Ob sich der Versicherer dagegen auch solche Kenntnisse zurechnen lassen muss, die der mit der Erstellung des ärztlichen Zeugnisses betraute Arzt zwar nicht vom Antragsteller im Rahmen von dessen Erklärung erlangt hat, die sich für ihn aber aus früheren Behandlungen des Versicherungsnehmers ergeben haben, hat der Senat - abgesehen von dem Fall, dass den Antragsteller der Vorwurf trifft, den Versicherer mit seinen Erklärungen vor Abschluss des Vertrages arglistig getäuscht zu haben - bisher offen gelassen (Senatsurteil vom 7. März 2001 aaO) Eine solche - umfassende - Wissenszurechnung kommt nicht in Betracht.
17
Der 2. dem Arzt erteilte und von diesem angenommene Auftrag schafft dafür keine Grundlage. Es ist nichts dafür dargetan oder sonst ersichtlich, dass der ihm erteilte Auftrag, der sich regelmäßig in dem Ersuchen erschöpft, das zweiteilige Formular für das aufzunehmende Gesundheitszeugnis auszufüllen, gleichzeitig die Aufforderung beinhaltet, dem Versicherer auch das bei sonstigen Anlässen gewonnene ärztliche Wissen über durchgeführte Behandlungen und den Gesundheitszustand des zukünftigen Versicherungsnehmers mitzuteilen. Soweit es die unter Abschnitt I des Gesundheitszeugnisses aufgeführten "Erklärungen vor dem Arzt" betrifft, beschränkt sich der Auftrag des behandelnden Arztes ohnehin auf die Entgegennahme der Antworten und Mitteilungen des zukünftigen Versicherungsnehmers auf die dort gestellten Fragen. Abschnitt II des Gesundheitszeugnisses betrifft die aktuelle, vom beauftragten Arzt durchzuführende Untersuchung und enthält ebenfalls keine Fragen , die auf die Bekanntgabe früherer Erkrankungen oder Erkenntnisse über Behandlungen abzielen könnten. Die Erfüllung des dem Arzt vom Versicherer erteilten Auftrages beschränkt sich insoweit auf die bloße Untersuchung des zukünftigen Versicherungsnehmers sowie die Mittei- lung der dabei gewonnenen Befunde. Eine weitergehende - umfassende - Informationspflicht des Arztes gegenüber dem Versicherer besteht nicht. Ob und in welchem Umfang die ärztliche Schweigepflicht einer Mitteilung sonstigen ärztlichen Wissens an den Versicherer entgegensteht, kann daher auf sich beruhen.
18
Aus der Stellung des vom Versicherer beauftragten Arztes als dessen passiver Stellvertreter ergibt sich für eine solche umfassende Wissenszurechnung ebenfalls keine rechtliche Grundlage. Wie bereits dargelegt , ist der vom Versicherer beauftragte Arzt nur insoweit als dessen passiver Stellvertreter anzusehen, als es um die Entgegennahme der Antworten geht, die der Versicherungsnehmer selbst zu den Gesundheitsfragen in dem Formular des ärztlichen Zeugnisses angeben muss (vgl. dazu Senatsurteil vom 21. November 1989 - IVa ZR 269/88 - VersR 1990, 77 unter 2). Es kommt hinzu, dass nach der Rechtsprechung des Senats Wissen eines Versicherungsagenten, das dieser nicht im Zusammenhang mit dem betroffenen Vertrag und mit der Antragstellung bzw. Aufnahme des Antrags erlangt hat, dem Versicherer nicht zugerechnet werden kann (vgl. dazu BGHZ 102, 194, 195 ff.; Senatsurteil vom 29. November 1989 - IVa ZR 273/88 - VersR 1990, 150, 151). Für den im Auftrag des Versicherers tätig werdenden Arzt muss dies erst recht gelten. Auch der Versicherer hat ihm durch den erteilten Auftrag ersichtlich und für den Versicherungsnehmer erkennbar keine weitergehende Stellung eingeräumt.
Terno Dr. Schlichting Wendt
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Osnabrück, Entscheidung vom 06.07.2005 - 9 O 300/05 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 11.01.2006 - 3 U 79/05 -

Tenor

Dem Antragsteller wird für die Geltendmachung der Vergütung für seine ergänzende gutachtliche Stellungnahme vom 15.09.2014 Wiedereinsetzung gewährt.

Gründe

I.

Streitig ist, ob dem Antragsteller für die Geltendmachung der Vergütungsforderung für eine von ihm im Auftrag des Gerichts erstellte ergänzende gutachtliche Stellungnahme Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) zu gewähren ist.

In dem beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) unter dem Aktenzeichen L 18 U 551/11 geführten unfallversicherungsrechtlichen Berufungsverfahrens wurde der Antragsteller, nachdem er bereits im Auftrag des Gerichts unter dem Datum vom 08.01.2014 ein Gutachten erstellt hatte, mit gerichtlichem Schreiben vom 18.03.2014 um eine ergänzende gutachtliche Stellungnahme gebeten. Hinweise auf die Frist zur Einreichung der Vergütungsforderung enthielt das gerichtliche Schreiben vom 18.03.2014, anders als der dem Gutachten vom 08.01.2014 zu Grunde liegende Gutachtensauftrag, nicht.

Mit Eingang am 17.09.2014 legte der Antragsteller seine ergänzende gutachtliche Stellungnahme vom 15.09.2014 vor.

Mit Begleitschreiben vom 30.01.2015, beim LSG eingegangen am 03.02.2015, reichte der Antragsteller seine Liquidation für die gutachtliche Stellungnahme vom 15.09.2014 mit folgenden Worten ein:

"Beiliegend sende ich Ihnen verspätet, aber hoffentlich nicht zu spät, meine Liquidation für dieses Zusatzgutachten zu."

Die Kostenbeamtin teilte dem Antragsteller dazu mit Schreiben vom 09.02.2015 mit, dass der Entschädigungsanspruch erloschen sei, da der Entschädigungsantrag erst am 03.02.2015 und damit nach Ablauf der dreimonatigen Frist des § 2 Abs. 1 JVEG, gerechnet ab Erhalt der Stellungnahme bei Gericht, eingegangen sei.

Mit Schreiben vom 20.02.2015 hat der Antragsteller die Wiedereinsetzung beantragt und die Fristversäumnis wie folgt begründet:

"Der Grund dafür bestand in meiner irrtümlichen Annahme, dass dieses Gutachten bereits abgerechnet war, dabei aber vergaß, dass es sich um eine zweite, ergänzende Stellungnahme zum Gutachten über den oben genannten Kläger handelte."

Er bitte um eine wohlwollende Prüfung seines Antrags.

Beigezogen worden sind vom Kostensenat die Akten des unfallversicherungsrechtlichen Verfahrens.

II.

Dem Wiedereinsetzungsantrag, der einer Entscheidung durch den Kostenbeamten entzogen ist, ist stattzugeben.

Die Rechnungsstellung durch den Beschwerdeführer ist zwar verfristet, es liegen aber die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung vor.

1. Anzuwendende Fassung des JVEG

Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall nach Erlass des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - 2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl I S. 2586, 2681 ff.) gemäß der Übergangsvorschrift des § 24 JVEG die Regelungen des JVEG in der ab dem 01.08.2013 geltenden Fassung. Denn der Antragsteller als Berechtigter ist nach dem gemäß Art. 55 2. KostRMoG am 01.08.2013 erfolgten Inkrafttreten des 2. KostRMoG herangezogen worden (gerichtliches Schreiben vom 18.03.2014).

2. Vergütungsantrag zu spät gestellt

Der Vergütungsanspruch war bereits erloschen, als die Honorarforderung für die ergänzende Stellungnahme vom 15.09.2014 beim Bayer. LSG geltend gemacht wurde.

Der Anspruch auf Vergütung erlischt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle geltend gemacht wird, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat. Die Frist beginnt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG im Falle der schriftlichen Begutachtung mit Eingang des Gutachtens bei der Stelle, die den Berechtigten herangezogen hat.

Vorliegend ist die ergänzende gutachtliche Stellungnahme vom 15.09.2014 am 17.09.2014 beim LSG eingegangen. Die dreimonatige Frist zur Geltendmachung des dafür entstandenen Vergütungsanspruchs ist am 17.12.2014 (Mittwoch) abgelaufen.

Eines weiteren Hinweises des Gerichts auf den bevorstehenden Ablauf der Frist oder einer Aufforderung zur Bezifferung der Vergütungsforderung bedarf es nicht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 12.09.2013, Az.: L 15 SF 190/13 - m.w.N.).

Die Rechnung vom 30.01.2015 für die ergänzende gutachtliche Stellungnahme ist erst deutlich nach Ablauf der dreimonatigen Frist für die Geltendmachung des Vergütungsanspruchs beim LSG eingegangen.

3. Wiedereinsetzung

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, da der Antragsteller einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat und der Senat sich vom glaubhaften Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrunds überzeugt hat. Den Antragsteller trifft wegen der Fristversäumnis kein Verschulden.

3.1. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im Allgemeinen

Einem Anspruchsteller nach dem JVEG ist bei Versäumung der Frist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG Wiedereinsetzung nur dann zu gewähren, wenn

- er innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG, d.h. innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses für die (rechtzeitige) Antragstellung (zur Geltung dieser zeitlichen Anforderung bei allen drei im Folgenden genannten Voraussetzungen: vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12),

* einen Wiedereinsetzungsantrag stellt,

* einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft macht (vgl. zur verfassungsrechtlichen Problematik und den sich daraus ergebenden vergleichsweise geringen Anforderungen an die Glaubhaftmachung in diesem Zusammenhang die ausführlichen Erwägungen im Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12) und

* den Vergütungsanspruch beziffert

sowie

- sich das Gericht bei weiteren, von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen vom glaubhaften, d.h. überwiegend wahrscheinlichen Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrunds überzeugt hat (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12).

Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 4 Abs. 6 Satz 1 JVEG sind die im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags erforderlichen Erklärungen (Wiedereinsetzungsantrag, Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrunds und Bezifferung des Vergütungs- oder Entschädigungsanspruchs) zu Protokoll der Geschäftsstelle abzugeben oder schriftlich einzureichen.

Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 JVEG nicht mehr beantragt werden.

Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen ist dem JVEG - im Gegensatz zu vielen anderen gesetzlichen Regelungen - fremd (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschlüsse des Senats vom 01.08.2012, Az.: L 15 SF 156/12, vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12, und vom 27.03.2013, Az.: L 15 SF 181/12 B). Das Antragserfordernis verbietet es zudem, allein in der verspäteten Geltendmachung einer Entschädigungsforderung einen Wiedereinsetzungsantrag zu sehen (vgl. Beschlüsse des Senats vom 03.01.2013, Az.: L 15 SF 255/10, und vom 15.02.2013, Az.: L 15 SF 211/12 B).

3.2. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im vorliegenden Fall

Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung sind erfüllt.

3.2.1. Wiedereinsetzungsantrag

Der Beschwerdeführer hat mit Schreiben vom 30.01.2015, beim LSG eingegangen am 03.02.2015, einen ordnungsgemäßen Wiedereinsetzungsantrag gestellt.

Dem Schreiben des Antragstellers vom 30.01.2015, mit dem er die Rechnung vom selben Tag übersandt hat, ist zu entnehmen, dass beim Antragsteller eine Unsicherheit über die für die Geltendmachung der Vergütungsforderung zu beachtende Frist bestanden hat. Dies lässt sich für den Senat zweifelsfrei aus den Worten

"verspätet, aber hoffentlich nicht zu spät"

entnehmen. Damit ist für den Senat bei für den Antragsteller wohlwollender Auslegung von diesem ausreichend präzise zum Ausdruck gebracht worden, dass er sich der etwaigen Verfristung seiner Vergütungsforderung bewusst ist, diese aber mit einer Fristunkenntnis als Wiedereinsetzungsgrund entschuldigen will und daher eine Berücksichtigung seiner Rechnung unter Beachtung der Tatsache, dass er sich über die Antragsfrist im Unklaren war, begehrt. Die erforderliche Bezifferung des Vergütungsanspruchs ist durch die Vorlage der Rechnung vom 30.01.2015 erfolgt.

Diese Auslegung stellt keinen Widerspruch zu der vom Senat in ständiger Rechtsprechung betonten Tatsache dar, dass dem JVEG eine Wiedereinsetzung von Amts wegen fremd ist und es sich daher verbietet, allein in der verspäteten Vorlage der Vergütungs- oder Entschädigungsforderung oder der Erinnerung an die Zahlung des Gerichts (ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 22.04.2015, Az.: L 15 RF 17/15) einen Wiedereinsetzungsantrag zu sehen. Denn das Begleitschreiben des Antragstellers vom 30.01.2015 geht deutlich über das hinaus, was einer bloßen verspäteten Rechnungsvorlage entspricht.

3.2.2. Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds

Der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund ist darin zu sehen, dass sich der Antragsteller im Schreiben vom 30.01.2015 auf eine Unkenntnis bezüglich der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG beruft. Dies kann, wie aus § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG ersichtlich wird, einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen.

3.2.2.1. Grundsatz: Unkenntnis gesetzlicher (Fristen-)Regelungen kein Wiedereinsetzungsgrund

Eine Unkenntnis des Rechts und der Befristung seiner Ausübung vermag nach ständiger Rechtsprechung eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht zu rechtfertigen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 22.01.1999, Az.: 2 BvR 729/96; Bundesverwaltungsgericht, Beschlüsse vom 01.11.2001, Az.: 4 BN 53/01, und vom 07.10.2009, Az.: 9 B 83/09; Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 10.04.2006, Az.: VII S 9/06; Bundessozialgericht - BSG -, Beschluss vom 10.02.1993, Az.: 1 BK 37/92, und Urteil vom 06.05.2010, Az.: B 13 R 44/09 R; Kammergericht Berlin, Urteil vom 20.01.2014, Az.: 20 U 213/13). Zu begründen ist dies damit, dass eine Rechtsunkenntnis ein Verschulden nicht ausschließt (ständige Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteile vom 15.08.2000, Az.: B 9 VG 1/99 R, und vom 28.04.2005, Az.: B 9a/9 VG 3/04 R). Denn wegen des Grundsatzes der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen gelten Gesetze mit ihrer Verkündung allen Normadressaten als bekannt ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese tatsächlich Kenntnis davon erhalten haben. Dieser Grundsatz gilt unabhängig davon, wie lange die zu beachtende Frist und wie unbekannt die zugrunde liegende gesetzliche Regelung ist. Eine Differenzierung nach dem Bekanntheitsgrad gesetzlicher Regelungen ist dem Grundsatz der formellen Publizität fremd (vgl. Beschluss des Senats vom 10.10.2014, Az.: L 15 SF 289/13). Dies hat in der Vergangenheit - bis zur Neufassung des § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG im Rahmen des 2. KostRMoG - zur Folge gehabt, dass in derartigen Fällen eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht möglich war (vgl. Beschlüsse des Senats vom 10.09.2013, Az.: L 15 SF 206/13 E, vom 16.05.2014, Az.: L 15 SF 372/13, vom 18.10.2014, Az.: L 15 SF 289/13, und vom 28.01.2015, Az.: L 15 SF 208/14). Auch wenn dieses Ergebnis angesichts der sehr kurzen und in einem weithin unbekannten Gesetz verankerten Antragsfrist durchaus als hart empfunden worden sein mag, war dieses Ergebnis angesichts der klaren gesetzgeberischen Entscheidung hinzunehmen und stand auch keiner Korrektur über das Institut der sogenannten Nachsichtgewährung offen (ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B.. Beschlüsse vom 10.10.2014, Az.: L 15 SF 289/13, und vom 04.12.2014, Az.: L 15 SF 53/13)

3.2.2.2. Ausnahmevorschrift § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG

Dem in der Praxis nicht seltenen Problem, dass Entschädigungs- oder Vergütungsanträge wegen Unkenntnis der mit drei Monaten vergleichsweise kurzen Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG zu spät gestellt werden und eine Wiedereinsetzung wegen des oben (vgl. Ziff. 3.2.2.1.) aufgezeigten Grundsatzes nicht in Betracht kommt, hat der Gesetzgeber mit der Einführung der Belehrungspflicht in § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 JVEG und der Vermutungsregelung in § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG Rechnung getragen und dies wie folgt begründet (vgl. die Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts [2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - 2. KostRMoG] - Bundestags-Drucksache 17/11471 (neu), S. 258 f.):

"Es wird immer wieder beklagt, dass Berechtigte die Frist zur Geltendmachung des Anspruchs auf Vergütung oder Entschädigung versäumen. Grund hierfür kann Unkenntnis über die Ausschlussfrist sein, ...

Mit der vorgeschlagenen Änderung soll zunächst eine Belehrungspflicht eingeführt werden, die für erstmalig oder selten herangezogene Personen wichtig sein kann. Eine unterlassene Belehrung soll die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen. Hierzu soll in Absatz 2 ein neuer Satz 2 eingefügt werden."

Nach der vom Gesetzgeber gewählten Formulierung in § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG handelt es sich um eine unwiderlegliche gesetzliche Vermutung, die dann einschlägig ist, wenn die Belehrung nicht oder fehlerhaft erteilt worden ist.

Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob der Berechtigte bereits aus anderen Verfahren oder aus dem gleichen Verfahren, dort jedoch aus anderem Anlass, Kenntnis von der 3-Monatsfrist für die Antragstellung erlangt hat oder erlangen hätte können. Denn dies kann wegen der Unwiderlegbarkeit der gesetzlichen Vermutung kein maßgebliches Kriterium sein. Hätte der Gesetzgeber, was aufgrund der Gesetzesbegründung und der Zielgruppe der neu eingeführten Belehrungspflicht, die der Gesetzgeber als

"erstmalig oder selten herangezogene Personen"

bezeichnet hat, nicht fernliegend erscheint, die Vermutung des Verschuldens auf die vorgenannte Zielgruppe beschränken wollen, hätte er dies entsprechend zum Ausdruck bringen müssen, z.B. durch die Einführung einer widerleglichen Vermutung. Da dies aber nicht erfolgt ist, ist, was der Senat auch im Sinn der Rechtssicherheit für sinnvoll erachtet, die Vermutung auf sämtliche Antragsteller anzuwenden mit der Konsequenz, dass auch eine entgegenstehende positive Kenntnis von der Antragsfrist unschädlich ist, wenn die Belehrung im konkreten Entschädigungs- oder Vergütungsfall unterblieben ist.

3.2.3. Bezifferung des Vergütungsanspruchs

Der Antragsteller hat seinen Vergütungsanspruch zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag im Schreiben vom 30.01.2015 beziffert.

3.2.4. Fristgerechtheit der unter Ziff. 3.2.1. bis 3.2.3. genannten Handlungen

Die Handlungen sind fristgerecht durchgeführt worden.

Die Fristgerechtheit könnte im vorliegenden Fall insofern als problematisch betrachtet werden, als der Wiedereinsetzungsantrag binnen zwei Wochen ab Beseitigung des Hindernisses für die Geltendmachung des Anspruchs zu stellen ist und bei Sachverhalten wie dem vorliegenden regelmäßig nicht ersichtlich und auch nicht aufklärbar sein wird, ab welchem Zeitpunkt für den Berechtigten das Hindernis zur Rechnungsstellung beseitigt war.

Zu beachten ist grundsätzlich, dass die für die Wiedereinsetzung erforderlichen Tatsachen im Beweismaßstab der Glaubhaftmachung nachgewiesen sein müssen und eine Nichterweislichkeit im Sinn dieses Beweismaßstabs nach den Regelungen der objektiven Beweislast zu Lasten des Antragstellers gehen würde. Denn eine Beweislastumkehr in dem Sinn, dass eine Wiedereinsetzung nur dann nicht infrage käme, wenn dem Antragsteller (durch die Staatskasse) nachgewiesen werden könnte, dass das Hindernis für die Geltendmachung seiner Vergütung oder Entschädigung bei der Antragstellung bereits seit mehr als zwei Wochen beseitigt ist, sehen die gesetzlichen Regelungen nicht vor.

Auf der anderen Seite ist die vom Gesetzgeber mit dem 2. KostRMoG eingeführte Regelung in § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG, wonach bei Unterbleiben der in § 2 Abs. 1 JVEG vorgeschriebenen Belehrung über die Frist zur Antragstellung das Fehlen des Verschuldens (unwiderleglich) vermutet wird, zu berücksichtigen. Dieser Regelung ist die gesetzgeberische Intention zu entnehmen, dass bei fehlender Belehrung eine Wiedereinsetzung regelmäßig möglich sein soll. Zudem ist zu bedenken, dass in Fällen der aufgrund Unkenntnis der gesetzlichen Antragsfrist verspäteten Rechnungsstellung weitere Aufklärungsmöglichkeiten für das Gericht hinsichtlich des Entfalls des Hindernisses, also der Unkenntnis der Antragsfrist, so gut wie immer ausgeschlossen sein dürften. Denn bei der vorgenannten Unkenntnis handelt sich um eine innere Tatsache, für die objektive Aufklärungsmöglichkeiten praktisch nicht zur Verfügung stehen. In einer derartigen Situation beim Antragsteller nachzufragen, wann ihm bewusst geworden sei, dass er seine Rechnung hätte stellen müssen, was die einzige dem Gericht zur Verfügung stehende Aufklärungsmöglichkeit darstellen würde, hält der Senat für überzogen und auch nicht für sinnvoll. Denn dass in derartigen Fällen ein Antragsteller seine Antwort nicht "passend" für sein Antragsziel ausgestalten würde, ist unwahrscheinlich, jedenfalls wenn er über die gesetzlichen Vorgaben informiert ist. Ein wirklicher Erkenntnisgewinn bei einer solchen Nachfrage wäre daher nicht zu erwarten. Der Senat hält daher derartige Nachfragen für verzichtbar.

Um nicht die mit § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG verbundene gesetzgeberische Intention zu konterkarieren, ist der Senat daher der Ansicht, dass in derartigen Fällen grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Antragsfrist gewahrt ist. Lediglich in Fällen, in denen es offenkundig auf der Hand liegt, dass das Hindernis zur Antragstellung vor Ablauf der 2-Wochenfrist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG weggefallen ist, ist eine Wiedereinsetzung nicht zu gewähren, wobei auch aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und Handhabbarkeit die Anforderungen an die Prüfpflicht der Kostenrichter nur sehr gering sind (Leitgedanke der Rechtsprechung des Kostensenats vgl. z.B. Grundsatzbeschlüsse vom 14.05.2012, Az.: L 15 SF 276/10 B E, vom 18.05.2012, Az.: L 15 SF 104/11, vom 22.06.2012, Az.: L 15 SF 136/11, vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11, vom 08.04.2013, Az.: L 15 SF 305/10, vom 08.10.2013, Az.: L 15 SF 157/12 B, vom 04.12.2013, Az.: L 15 SF 226/11, vom 17.12.2013, Az.: L 15 SF 275/13, vom 08.05.2014, Az.: L 15 SF 42/12, vom 03.06.2014, Az.: L 15 SF 402/13 E, vom 03.11.2014, Az.: L 15 SF 254/12, vom 04.11.2014, Az.: L 15 SF L 15 SF 198/14, vom 07.01.2015, Az.: L 15 SF 210/14, vom 14.01.2015, Az.: L 15 SF 239/12 B, und vom 10.03.2015, Az.: L 15 RF 5/15).

Im Übrigen - das sei hier nur am Rande angemerkt - werden auch ansonsten im Rahmen der Wiedereinsetzung die Anforderungen an die Fristgerechtheit des Wiedereinsetzungsantrags in der täglichen Praxis nicht hoch gehängt. Dies wird daraus erkennbar, dass regelmäßig erst ab Zugang des gerichtlichen Schreibens, mit dem die Verfristung mitgeteilt wird, die Frist für die Wiederantragstellung gerechnet wird. Ob dem Antragsteller nicht bereits zuvor die Fristversäumnis bewusst gewesen ist, wird in ständiger Rechtsprechung regelmäßig nicht in die gerichtlichen Überlegungen zur Wiedereinsetzung einbezogen und nicht näher hinterfragt.

3.2.5. Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft gegeben, insbesondere fehlendes Verschulden an der Fristversäumnis

Der Senat hat sich die Überzeugung davon gebildet, dass der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft vorliegt. Insbesondere kann dem Antragsteller wegen der Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG ein Verschulden an der Versäumung der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG nicht vorgeworfen werden.

Auch wenn dem Antragsteller möglicherweise aufgrund des früher erteilten Gutachtensauftrags vom 19.04.2013 - dieser enthielt einen ausdrücklichen Hinweis auf die Antragsfrist und die Folgen einer Fristversäumung - die Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG von drei Monaten sogar positiv bekannt war, kann ihm bezüglich der Versäumung der Antragsfrist für die Abrechnung der ergänzenden Stellungnahme kein Verschulden vorgeworfen werden. Denn er kann sich auf die fehlende Belehrung im gerichtlichen Auftragsschreiben vom 18.03.2014 und die daraus resultierende Vermutung des fehlenden Verschuldens gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG berufen.

3.3. Ergänzender Hinweis der Vollständigkeit halber

Lediglich der Vollständigkeit halber, ohne dass dies für die zu treffende Entscheidung erheblich wäre, weist der Senat auf Folgendes hin:

Es spricht vieles dafür, dass dem Antragsteller keine Wiedereinsetzung zu gewähren gewesen wäre, wenn er seine Rechnung vom 30.01.2015 nicht mit dem oben angeführten Begleitschreiben mit seinem speziellen Inhalt versehen hätte. Denn ohne dieses Schreiben dürfte eine Wiedereinsetzung bereits an der fehlenden Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds, wie sie im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags durch den Antragsteller zu erfolgen hat, scheitern.

Zwar hätte der Antragsteller mit Schreiben vom 20.02.2015 einen - unter Zugrundelegung der üblichen Annahme, dass erst mit Zugang des gerichtlichen Schreibens, in dem auf die Fristversäumnis hingewiesen wird, die Frist für die Wiedereinsetzung zu laufen beginnt (vgl. oben Ziff. 3.2.4. a.E.) - fristgemäßen Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Im Rahmen dieses Wiedereinsetzungsantrags würde dem Antragsteller aber nicht die Vermutungsregelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG zugute kommen. Denn im Schreiben vom 20.02.2015 hat der Antragsteller den Wiedereinsetzungsantrag darauf gestützt, dass er irrtümlich davon ausgegangen sei, die ergänzende Stellungnahme bereits abgerechnet zu haben. Im Schreiben vom 20.02.2015 hat sich der Antragsteller daher ausdrücklich nicht auf eine Fristunkenntnis berufen, sondern einen anderen Grund für die zu späte Antragstellung geltend gemacht. Insofern hätte das Gericht im Rahmen der Prüfung des Wiedereinsetzungsantrags nur prüfen dürfen, ob auf der Basis des vom Antragsteller gestellten Wiedereinsetzungsantrags diesem Wiedereinsetzung zu gewähren gewesen wäre. Denn anderenfalls würde eine Wiedereinsetzung von Amts wegen geprüft, die im JVEG nicht vorgesehen ist (vgl. oben Ziff. 3.1. a.E.). Bezüglich des geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrunds - irrtümliche Annahme einer bereits erfolgten Abrechnung - hätte der Antragsteller aber kein fehlendes Verschulden geltend machen können. Denn ein derartiger Irrtum beruht grundsätzlich auf innerorganisatorischen Vorgängen, die regelmäßig nicht zu einer Wiedereinsetzung führen können, wenn nicht besondere Vorkehrungen zur Gewährleistung der erforderlichen Schritte getroffen sind (vgl. Beschluss des Senats vom 14.08.2013, Az.: L 15 SF 253/12). Die Vermutungsregelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG hingegen wäre nicht einschlägig, da diese lediglich ein fehlendes Verschulden bei einer Fristversäumung wegen Fristunkenntnis fingiert, nicht aber bei anderen geltend gemachten Wiedereinsetzungsgründen.

Dem Senat ist bewusst, dass dies in der Praxis nicht selten zu einer Ablehnung eines Wiedereinsetzungsantrags führen wird. Denn Fälle wie hier, in denen ein Antragsteller vorträgt, ihm sei die Antragsfrist nicht bekannt gewesen, dürften nicht der Regelfall sein. Vielmehr - das zeigt die Praxis - werden Wiedereinsetzungsanträge oft auf Sachverhalte gestützt, die von einem rechtlichen Laien offenbar eher als Grund für eine Wiedereinsetzung betrachtet werden als eine Unkenntnis von gesetzlichen Regelungen, die möglicherweise auch aus Gründen von Scham nicht zugestanden werden soll.

Ob ein derartiger in der Praxis eingeschränkter Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG vom Gesetzgeber beabsichtigt war, ist für den Senat nicht zweifelsfrei erkennbar.

Dafür spricht, dass der Gesetzgeber, hätte er eine weitgehende Berücksichtigung einer fehlenden oder fehlerhaften Belehrung mit der Folge einer Verlängerung der Antragsfrist gewollt, sich dazu nicht des Rechtsinstituts der Wiedereinsetzung bedienen hätte müssen. Vielmehr hätte er dadurch einen einfacheren Weg wählen können, dass er für die Fälle fehlender oder fehlerhafter Belehrung über die Antragsfrist schlicht eine Antragsfrist von einem Jahr vorgegeben hätte. Dies hat er aber gerade nicht getan - und dies offenbar wohlüberlegt, wie aus der Gesetzesbegründung zu § 2 JVEG (vgl. die Gesetzesbegründung zum 2. KostRMoG, a.a.O., S. 259) ersichtlich ist:

"Einer generellen Verlängerung der Frist steht entgegen, dass von der Abrechnung der Vergütung oder Entschädigung herangezogener Sachverständiger, Dolmetscher, Übersetzer, Zeugen und Dritter die Erstellung der Schlusskostenrechnung für das Verfahren und damit auch die Kostenfestsetzung abhängt.

Dagegen spricht, dass der Anwendungsbereich der Vermutungsregelung im Wesentlichen deshalb in der Praxis eingeschränkt sein wird, weil im JVEG im Gegensatz zu vielen anderen gesetzlichen Regelungen eine Wiedereinsetzung von Amts wegen nicht vorgesehen ist. Bei einer Wiedereinsetzung von Amts wegen hingegen würde über eine derartige Vermutungsregelung der Anwendungsbereich weit größer sein als bei einer lediglich antragsbezogenen Wiedereinsetzung wie im JVEG. Sollte der Gesetzgeber aber tatsächlich eine weiter gehende Auslegung bezweckt haben, als sie der Senat zugrunde legt, könnte diesem gesetzgeberischen Wunsch wegen des klaren Wortlaut des Gesetzes und der eindeutigen Systematik nicht im Rahmen der Auslegung nachgekommen werden. Ob sich der Gesetzgeber dieses Umstands angesichts der Tatsache, dass der im JVEG verankerte Ausschluss einer Wiedereinsetzung von Amts im Vergleich mit anderen gesetzlichen Regelungen zur Wiedereinsetzung die große Ausnahme darstellt (vgl. die ausführlichen Erläuterungen im Beschluss des Senats vom 01.08.2012, Az.: L 15 SF 156/12, dort Ziff. 2.3.1.), bewusst war, ist fraglich.

Letztlich kann die aufgeworfene Frage jedoch offenbleiben. Denn eine Korrektur durch die Gerichte würde die Grenzen der zulässigen Auslegung überschreiten, da sich die Gerichte damit zum Gesetzgeber aufschwingen und gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz verstoßen würden. Eine Änderung wäre einzig und allein dem Gesetzgeber im Rahmen seines gesetzgeberischen Tätigwerdens möglich.

Festzuhalten bleibt daher, dass bei verspäteter Antragstellung und fehlender oder fehlerhafter Belehrung über die Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG die Vermutungsregelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn - wie hier - der Wiedereinsetzungsantrag auf die Unkenntnis der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG gestützt wird.

Dem Antragsteller ist daher bezüglich der Abrechnung seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.09.2014 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Das Bayer. LSG hat über den Antrag auf Wiedereinsetzung nach Übertragung wegen grundsätzlicher Bedeutung in voller Besetzung (§ 2 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG) zu entscheiden gehabt.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 2 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 2 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 4 Abs. 8 JVEG).

(1) Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen. Stellt der Versicherer nach der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers, aber vor Vertragsannahme Fragen im Sinn des Satzes 1, ist der Versicherungsnehmer auch insoweit zur Anzeige verpflichtet.

(2) Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach Absatz 1, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten.

(3) Das Rücktrittsrecht des Versicherers ist ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. In diesem Fall hat der Versicherer das Recht, den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von einem Monat zu kündigen.

(4) Das Rücktrittsrecht des Versicherers wegen grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht und sein Kündigungsrecht nach Absatz 3 Satz 2 sind ausgeschlossen, wenn er den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen hätte. Die anderen Bedingungen werden auf Verlangen des Versicherers rückwirkend, bei einer vom Versicherungsnehmer nicht zu vertretenden Pflichtverletzung ab der laufenden Versicherungsperiode Vertragsbestandteil.

(5) Dem Versicherer stehen die Rechte nach den Absätzen 2 bis 4 nur zu, wenn er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat. Die Rechte sind ausgeschlossen, wenn der Versicherer den nicht angezeigten Gefahrumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige kannte.

(6) Erhöht sich im Fall des Absatzes 4 Satz 2 durch eine Vertragsänderung die Prämie um mehr als 10 Prozent oder schließt der Versicherer die Gefahrabsicherung für den nicht angezeigten Umstand aus, kann der Versicherungsnehmer den Vertrag innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des Versicherers ohne Einhaltung einer Frist kündigen. Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer in der Mitteilung auf dieses Recht hinzuweisen.

(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(2) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Feststellungszielen abhängt, die den Gegenstand eines anhängigen Musterfeststellungsverfahrens bilden, auf Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Musterfeststellungsverfahrens auszusetzen sei.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 34/04 Verkündet am:
27. Juni 2007
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BGB §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nrn. 1 und 2; culpa in contrahendo

a) Bei einer Ausschreibung kann das vorvertragliche Vertrauensverhältnis gebieten
, den Bieter auf für diesen nicht erkennbare Umstände hinzuweisen,
die, wie die angekündigte Rüge von Verstößen gegen das Vergaberecht, die
Erteilung des Zuschlags und damit eine erfolgreiche Teilnahme in Frage stellen
können.

b) Bei Verletzung dieser Aufklärungspflicht kann ein Anspruch auf Ersatz für die
mit der Teilnahme am Ausschreibungsverfahren verbundenen Aufwendungen
bestehen, wenn der Bieter in Kenntnis des Sachverhalts die Aufwendungen
nicht getätigt hätte.
BGH, Urt. vom 27. Juni 2007 - X ZR 34/04 - OLG Dresden
LG Dresden
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 27. Juni 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter
Keukenschrijver, die Richterin Ambrosius und die Richter Asendorf und
Gröning

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das am 10. Februar 2004 verkündete Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die beklagte Stadt (Vergabestelle) schrieb im September 2001 für den beabsichtigten Neubau eines "I. Zentrum" des Krankenhauses D. Architektenleistungen im Verhandlungsverfahren nach der Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) aus, und zwar - nach Losen getrennt - die Gebäude- und Tragwerksplanung. Die Klägerin bewarb sich neben 44 anderen Bewerbern um die Teilnahme und wurde mit 5 weiteren Bewerbern ausgewählt. Die Vergabestelle hatte sich inzwischen, auf Betreiben des Stadtplanungsamtes, entschlossen, einen in der Ausschreibung nicht erwähnten beschränkten hochbaulichen Wettbewerb zu veranstalten und bat die Klägerin und die fünf weiteren ausgewählten Bewerber im Dezember 2001 um Zustimmung für ihre Beteiligung an einem "dem Verhandlungsverfahren nachgeschalteten Gutachtenverfahren zur Erlangung von Vorentwürfen". Alle ausgewählten Bewerber willigten ein. Die Auslobungsbedingungen versprachen für die Teilnahme an diesem Wettbewerb eine pauschale Aufwandsentschädigung von 8.100 € für jeden ausgewählten Teilnehmer , der eine den Bedingungen entsprechende Arbeit abgab.
2
Ein bei der Auswahl übergangener Bewerber hatte gegenüber der Vergabestelle u. a. nicht nachvollziehbare Auswahlkriterien gerügt. Diese Rüge hatte die Vergabestelle im Januar 2002 schriftlich und mündlich zurückgewiesen. Weder über die Rüge noch über die anschließende Entscheidung der Vergabestelle wurden die für die Teilnahme am Gutachtenverfahren ausgewählten Bieter unterrichtet. Sie erhielten im Februar 2002 die Wettbewerbsunterlagen, die als Abgabetermin für die Arbeit den 8. März 2002 und für das zu fertigende Modell den 15. März 2002 vorsahen. Die Klägerin gab ihre Arbeiten fristgerecht ab.
3
Am 6. März 2002 stellte der übergangene Bewerber einen Nachprüfungsantrag , der der Vergabestelle zwei Tage später zugestellt wurde. Mit Beschluss der Vergabekammer vom 10. April 2002 wurde der Planungswettbewerb aufgehoben und der beklagten Stadt aufgegeben, die Teilnahmeanträge im Verhandlungsverfahren neu zu bewerten. Die Beschwerde gegen diesen Beschluss blieb erfolglos (OLG Dresden, Beschluss vom 6.6.2002, WVerg 4/02). Dieses Ergebnis des Nachprüfungsverfahrens teilte die Vergabestelle der Klägerin am 21. Juni 2002 mit; zugleich hob sie den Planungswettbewerb auf. Bei der neuerlichen Bewertung der ursprünglichen Teilnahmeanträge für das Verhandlungsverfahren fand die Klägerin keine Berücksichtigung mehr.
4
Die Klägerin hat für ihre im Rahmen der Beteiligung am Gutachtenverfahren erbrachten Planungsleistungen auf der Grundlage der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) eine Vergütung von 204.801,33 € ermittelt und die Beklagte in dieser Höhe in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, soweit mit ihr mehr als die in den Auslobungsbedingungen für das Gutachtenverfahren ausgelobte pauschale Aufwandsentschädigung in Höhe von 8.100 € geltend gemacht worden ist. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Sache zur Feststellung der Höhe des der Klägerin zustehenden Zahlungsanspruchs an das Landgericht zurückverwiesen. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der beklagten Stadt.

Entscheidungsgründe:



5
Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung.
6
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Der Klägerin stehe über den vom Landgericht zuerkannten Betrag hinaus ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach aus culpa in contrahendo (c.i.c.) auf Ersatz ihres Vertrauensschadens zu, weil die Beklagte im Zusammenhang mit der Ausschreibung zum Nachteil der Klägerin gegen Vergaberecht verstoßen und dadurch schuldhaft Aufwendungen der Klägerin verursacht habe, die dieser bei Einhaltung der Vergaberegeln nicht entstanden wären. Die von der Beklagten getroffene Auswahl der Bewerber, die zur Ver- handlung aufgefordert werden sollten, habe sich in einer Summe von Einzelplatzierungen erschöpft, hinter denen ein faires, transparentes und nachvollziehbares Auswahlsystem nicht zu erkennen gewesen sei. Darin liege ein offenkundiger und schwerwiegender Vergabeverstoß, der alle folgenden Verfahrensschritte irreparabel vergaberechtswidrig gemacht habe. Zwar könne das fehlerhafte Auswahlverfahren als solches den Anspruch der - davon begünstigten - Klägerin nicht begründen. Die Beklagte habe jedoch, aufbauend auf dieser Auswahlentscheidung, mit den sechs ausgewählten Bewerbern das "nachgeschaltete" Gutachtenverfahren durchgeführt und sie in dessen Rahmen erfolgreich zur Erbringung von Architektenleistungen aufgefordert, obwohl sie aufgrund der zuvor von dem nicht ausgewählten Bewerber erhobenen Vergaberügen damit habe rechnen müssen, in ein Nachprüfungsverfahren verwickelt zu werden, in welchem die beanstandete Teilnehmerauswahl für rechtswidrig befunden und dem Planungswettbewerb damit die Grundlage entzogen werden könne. Über diese Gefahr, die sich dann auch realisiert habe, hätte die Beklagte die Wettbewerbsteilnehmer unterrichten müssen. Dass gelte unabhängig davon , ob die Beklagte diesen Wettbewerb seinerzeit als Bestandteil des ausgeschriebenen Verhandlungsverfahrens aufgefasst oder, wie sie nunmehr geltend mache, als ein davon zu unterscheidendes neues Verfahren angesehen habe. Selbst wenn die Beklagte einen Planungswettbewerb während eines Verhandlungsverfahrens im Sinne von § 25 Abs. 1 VOF habe durchführen wollen, hätte die Verwertbarkeit der im Wettbewerb erzielten Ergebnisse von vornherein von einer vergaberechtlich regulären Auswahl der Bewerber aus dem Verhandlungsverfahren abgehangen. Liege die Mangelhaftigkeit der Bewerberauswahl, wie hier, auf der Hand, dürfe der Auftraggeber einen solchen Wettbewerb nicht eröffnen und damit Aufwendungen der Wettbewerbsteilnehmer auslösen, deren Sinnlosigkeit aus Rechtsgründen von Anfang an feststehe. Nichts anderes gelte , wenn, wie die Beklagte jetzt geltend mache, angenommen werde, durch das initiierte Gutachtenverfahren habe kein Planungswettbewerb im Sinne der §§ 20, 25 VOF, sondern ein nicht institutionalisiertes Verfahren eigener Art, das auch von dem vorangegangenen Verhandlungsverfahren zu unterscheiden sei, durchgeführt werden sollen. Ein solches Verfahren in das bereits laufende Verhandlungsverfahren einzuflechten wäre vergaberechtlich unzulässig gewesen. Das weitere Vorgehen der Beklagten lasse aber nur den Schluss zu, dass sie mit den sechs Wettbewerbsteilnehmern und auf der Grundlage der von ihnen zu erarbeitenden Wettbewerbsbeiträge die Vergabe der ausgeschriebenen Planungsleistungen weiter habe verhandeln wollen. Im Vertrauen auf die ihr hierdurch eröffneten Auftragschancen habe die Klägerin sich an dem Wettbewerb beteiligt. Die Fortsetzung des Vergabeverfahrens unter Einbeziehung der Wettbewerbsergebnisse sei indessen angesichts der mit gravierenden Vergabeverstößen verbundenen Teilnehmerauswahl von vornherein ausgeschlossen gewesen und das Vergabeverfahren sei dementsprechend auch in den Zustand vor dem Wettbewerbsbeginn und der dazu führenden Teilnehmerauswahl zurückversetzt worden. In einer solchen Konstellation einer irrealen Amortisationschance für die Angebotskosten sei jeder Bewerber oder Bieter zur Geltendmachung seiner "umsonst" getätigten Aufwendungen legitimiert, weil er das Kostenrisiko nur wegen einer seinen Aufwendungen äquivalenten Chance eingehe , an der es indes gerade fehle, wenn das Vergabeverfahren mit einem Anfangsfehler behaftet sei, der einer Vergabenachprüfung nicht standhalte.
7
II. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die bisher getroffenen Feststellungen tragen seine Annahme nicht, der Klageanspruch sei als Ersatzanspruch dem Grunde nach gerechtfertigt.
8
1. a) Eine Ersatzpflicht des öffentlichen Auftraggebers aus c.i.c. hat nach der Rechtsprechung des Senats ihren Grund in der Verletzung des Vertrauens der Bieter oder Bewerber darauf, dass das Vergabeverfahren nach den ein- schlägigen Vorschriften des Vergaberechts, insbesondere in Verfahren über Ausschreibungen, deren Gegenstand wie im Streitfall die Schwellenwerte übersteigt , abgewickelt wird (BGHZ 139, 280, 283; BGH, Urt. v. 1.8.2006 - X ZR 146/03, VergabeR 2007, 194 Tz. 15). Voraussetzung eines Anspruchs aus c.i.c. ist aber, dass der Bieter sein Angebot tatsächlich im Vertrauen darauf abgibt bzw. - wie hier - im Vertrauen darauf zusätzliche Aufwendungen tätigt, dass die Vorschriften des Vergaberechts eingehalten werden. Ist dem Bieter bekannt, dass die Ausschreibung fehlerhaft ist, fehlt es - unbeschadet der Frage , ob in einem solchen Fall der Vergabeverstoß für den trotz der gleichwohl getroffenen Entscheidung des Bieters zur Teilnahme für den Schaden in Form der nutzlos aufgewendeten Beträge noch ursächlich sein kann - jedenfalls an diesem Vertrauenstatbestand. Bei einer solchen Kenntnis kann der Bieter nicht mehr berechtigterweise darauf vertrauen, dass der mit der Erstellung des Angebots und der Teilnahme am Verfahren verbundene Aufwand nicht nutzlos ist (BGH VergabeR 2007, 194 Tz. 179). Sein Vertrauen ist darüber hinaus regelmäßig nicht schutzwürdig, wenn er den Verstoß bei der ihm im jeweiligen Fall zumutbaren Prüfung hätte erkennen können (BGHZ 124, 64, 70).
9
b) Bei dem Übergang in das Gutachtenverfahren litt das von der beklagten Stadt durchgeführte Verfahren zum einen an dem im Nachprüfungsverfahren festgestellten Fehler bei der Auswahl unter den Teilnehmern am Verhandlungsverfahren ; zum anderen wurde mit dem Gutachtenverfahren nachträglich eine weitere Anforderung für die Teilnahme an dem bekannt gemachten Verhandlungsverfahren aufgestellt, die in der ursprünglichen Ausschreibung nicht angekündigt worden war. Insoweit kann dahinstehen, ob diese fehlende Ankündigung bei der Ausschreibung des Verhandlungsverfahrens oder vor Beginn des Gutachtenverfahrens einen Fehler im Vergabeverfahren begründete, insbesondere ob insoweit eine erneute Ausschreibung erforderlich war oder die Beklagte darin lediglich ein zusätzliches Mittel zur Bewertung der vorliegenden Angebote sehen durfte. Aus der fehlerhaften Auswahl unter den Teilnehmern an dem Verhandlungsverfahren als solcher kann die Klägerin Ansprüche schon deshalb nicht herleiten, weil sich dieser Fehler zu ihren Gunsten auswirkte, für sie also insoweit keinen Nachteil geschaffen hat. Ob die Einfügung des ursprünglich nicht vorgesehenen Gutachtenverfahrens einen solchen Anspruch begründen kann, hängt davon ab, ob hierdurch ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin verletzt worden ist. Daran fehlt es, wenn sie erkannt hat oder den Umständen nach hätte erkennen können, dass das in der Ausschreibung bis dahin nicht angekündigte, an sie und die übrigen ausgewählten Teilnehmer herangetragene Ansinnen, sich an einem dem Verhandlungsverfahren nachgeschalteten Gutachtenverfahren zur Erlangung von Vorentwürfen zu beteiligen, nicht vergaberechtskonform war, wofür immerhin auch dann, wenn es sich nur um ein weiteres Auswahlkriterium in dem laufenden Verfahren handelte, dessen fehlende Ankündigung zu Beginn des Verfahrens sprechen könnte (zur Bindung des Ausschreibenden an die in der Bekanntmachung und in den Ausschreibungsunterlagen dem Vergabeverfahren zugrunde gelegten Bedingungen vgl. Sen.Urt. v. 17.2.1999 - X ZR 101/97, NJW 2000, 137). Insoweit spricht allerdings viel für die Annahme, dass die Klägerin einen solchen Fehler des Vergabeverfahrens zumindest hat erkennen müssen. Das könnte dazu führen, dass es insoweit auch unabhängig davon, dass die Teilnehmer vergaberechtswidrig ausgesucht worden sind, an einem schutzwürdigen Vertrauen in einen regulären Ablauf des Vergabeverfahrens auf Seiten der Klägerin fehlt. Dazu, ob sie eine Vergaberechtswidrigkeit bei der Einflechtung des Gutachtenverfahrens erkannt hat oder hätte erkennen können, hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Damit fehlt es unter diesem Gesichtspunkt an einer tragfähigen Grundlage für die ausgesprochene Haftung dem Grunde nach.
10
2. Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Klägerin hat ihr Begehren in erster Linie darauf ge- stützt, dass sie nicht über die gegen das Verfahren bereits vor der Übersendung der Unterlagen für das Gutachtenverfahren erhobenen Rügen unterrichtet worden ist. Insoweit kommt allerdings ein auf Ersatz des negativen Interesses gerichteter Schadensersatzanspruch der Klägerin aus c.i.c. aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt als dem vorstehend erörterten Schutz des Vertrauens in einen vergaberechtskonformen Ablauf des Verfahrens in Betracht. Dieser betrifft nur den speziell vergaberechtlichen Pflichtenkreis des öffentlichen Auftraggebers , nämlich seine Verpflichtung, ein Vergabeverfahren unter Einhaltung der einschlägigen vergaberechtlichen Bestimmungen durchzuführen (BGHZ 139, 281, 283). Davon unberührt bleibt die schadensrechtliche Sanktionierung von Verstößen gegen allgemeine schuldrechtliche Verhaltenspflichten. Auch insoweit enthält das angefochtene Urteil keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen.
11
a) Bei der Ausschreibung eines öffentlichen Auftrags handelt es sich der Sache nach um die - je nach einschlägiger Verfahrensart mehr oder minder streng formalisierte - Anbahnung eines Vertrages und die Aufnahme von Vertragsverhandlungen. Vertragsanbahnung bzw. Eintritt in Vertragsverhandlungen begründen für die Beteiligten, was gewohnheitsrechtlich verankert und seit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes gesetzlich geregelt ist (§§ 311 Abs. 2 Nrn. 1 und 2, 241 Abs. 2 BGB), Pflichten der Beteiligten zum Schutz der und Rücksichtsnahme auf die Rechtsgüter und Vermögensinteressen der jeweiligen Gegenseite. Dies schließt die Verpflichtung einer Partei ein, auf Risiken mit Bezug zum Gegenstand der Vertragsverhandlungen, die in ihrer eigenen Sphäre entstanden sind und die die Vermögensinteressen des anderen Teils berühren und beeinträchtigen können, hinzuweisen. Der potenziell gefährdete Vertragspartner muss über solche Risiken aufgeklärt werden, damit er seine weiteren Dispositionen in Kenntnis aller erheblichen Umstände treffen kann. Deshalb wäre die Beklagte, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, verpflichtet gewesen, die Klägerin über die von einem bei der Teilnehmerauswahl nicht zum Zuge gekommenen Mitbewerber erhobene Rüge im Sinne von § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB zu unterrichten. Sie hätte der Klägerin - wie den übrigen Wettbewerbsteilnehmern - dadurch Gelegenheit geben müssen, das mögliche Risiko abzuwägen, dass weitere Investitionen in den Wettbewerb nutzlos sein könnten, um gegebenenfalls die Konsequenz ziehen zu können, weitere Aufwendungen für den Wettbewerb deshalb nicht mehr zu tätigen.
12
Dabei hat das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revision zu Recht auf den Zugang des Rügeschreibens abgestellt und nicht auf die Zustellung der Antragsschrift im Vergabenachprüfungsverfahren. Denn ab diesem Zeitpunkt war der Vergabestelle die Gefahr bekannt, dass die von den ausgewählten Teilnehmern anzufertigenden Wettbewerbsarbeiten infolge der möglicherweise fehlerhaften Teilnehmerauswahl im weiteren Vergabeverfahren keine Berücksichtigung mehr finden könnten. Ab diesem Zeitpunkt bestand daher auch die Pflicht zur Information der ausgewählten Teilnehmer über diese Gefahr.
13
Dem auf die Verletzung dieser Fürsorgepflicht gestützten Ersatzanspruch kann nicht, wie die Beklagte meint, mit Erfolg entgegengehalten werden, das Angebot der Klägerin habe ohnehin wegen qualitativer Mängel nicht berücksichtigt werden können. Allerdings ist das Ausschreibungsverfahren seinem Gegenstand nach ein Wettbewerb, in dem im Ergebnis nur ein Teilnehmer Erfolg haben kann; die übrigen erhalten in aller Regel auch für beträchtliche Ausgaben zur Vorbereitung ihres Gebots keinen Ersatz. Das damit erhebliche Ausfallrisiko kann bei der Bestimmung auch der Ausgleichspflicht für diese, das negative Interesse bestimmenden Ausgaben nicht unberücksichtigt bleiben; ein Ersatzanspruch wird auch hier wie bei dem positiven Interesse grundsätzlich nur in Betracht kommen, wenn der Bieter den Zuschlag erhalten hätte.

14
Um eine solche Konstellation geht es bei dem hier zu prüfenden Ersatzanspruch indessen nicht. Die Klägerin stützt diesen nicht auf die Fehlerhaftigkeit der Ausschreibung, sondern auf die unterbliebene Unterrichtung über Umstände , bei deren Kenntnis sie an dem - weiteren - Verfahren nicht teilgenommen und damit die mit ihrem Anspruch geltend gemachten Aufwendungen nicht getätigt hätte. Diese wären mithin, würde der hier dem Ersatzbegehren zugrunde liegende Fehler hinweggedacht, nicht angefallen und kommen damit als Gegenstand eines Ersatzbegehrens in Betracht.
15
b) Dieser Ersatzanspruch steht der Klägerin - seiner Ableitung entsprechend - aber nur dann zu, wenn sie die Aufwendungen, für die sie jetzt Schadensersatz verlangt, bei erteilter Information nicht getätigt hätte. Hierfür trägt sie die Darlegungs- und Beweislast, da es sich insoweit um Voraussetzungen ihres Ersatzanspruchs handelt. Einen entsprechenden Sachverhalt hat sie mit dem Vortrag geltend gemacht, dass sie ihre kostenintensiven Planungen ab Februar 2002 unterlassen hätte, wenn sie von der Beklagten über die zu diesem Zeitpunkt erhobenen Vergaberügen der übergangenen Interessentin informiert worden wäre. Feststellungen dazu hat das Berufungsgericht, von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig, nicht getroffen. Dies wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzuholen sein.
16
Dafür weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin: Sollte es für den vergaberechtlich begründeten Schadensersatzanspruch (oben II 1 b) auf die Erkenntnismöglichkeiten der Klägerin ankommen, wird darauf abzustellen sein, ob die Klägerin bei Anwendung üblicher Sorgfalt erkennen konnte, dass die über die ursprüngliche Ausschreibung hinausgehende Einfügung eines Gutachtenverfahrens zur Erlangung von Vorentwürfen in Anbetracht des ursprünglichen Ausschreibungsgegenstands nicht mit den Bestimmungen der VOF ver- einbar war. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die Verrechtlichung des Vergaberechts schon geraume Zeit vor Bekanntmachung des hier in Rede stehenden Vergabeverfahrens eingesetzt hatte, und ob nachträgliche Änderungen des Ausschreibungsgegenstands oder grundlegende Eingriffe in den zu erwartenden Verfahrensablauf vom Bewerber als noch mit der jeweils einschlägigen Verdingungsordnung in Einklang stehend bewertet werden konnten.
17
Sollte es für die Entscheidung auf die Frage ankommen, wie die Klägerin sich hypothetisch verhalten hätte, wenn sie von der gegenüber der Beklagten erhobenen Vergaberüge unterrichtet worden wäre, kann es von indizieller Bedeutung sein, ob sie das Risiko des Fehlschlags der Aufwendungen, um deren Erstattung es jetzt geht, selbst in Kenntnis anderweitiger, ihr bewusster Risiken hinsichtlich des ordnungsgemäßen Verlaufs des Vergabeverfahrens eingegangen ist. Wenn sich die Klägerin ständig oder häufig um öffentliche Aufträge beworben hat, erscheint es denkbar, dass ihr die nachträgliche Einführung des Gutachtenverfahrens in das laufende Verfahren vergaberechtlich selbst nicht anders als bedenklich erscheinen konnte. Dann aber kann es fraglich sein, ob die zusätzliche Information über die erhobene Rüge i. S. von § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ausgereicht hätte, sie von der somit von vornherein als risikobehaftet erkannten Wettbewerbsaufwendung abzuhalten. Immerhin ist es nicht die Rüge selbst, die die Amortisationschancen der zusätzlichen Aufwendungen bedroht , sondern die Wahrscheinlichkeit ihrer erfolgreichen Durchsetzung in einem Nachprüfungsverfahren.
Melullis Keukenschrijver Ambrosius
Asendorf Gröning
Vorinstanzen:
LG Dresden, Entscheidung vom 22.08.2003 - 1 O 4657/02 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 10.02.2004 - 20 U 1697/03 -

(1) Soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflusst werden, kommt nicht die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters in Betracht.

(2) Hat im Falle einer durch Rechtsgeschäft erteilten Vertretungsmacht (Vollmacht) der Vertreter nach bestimmten Weisungen des Vollmachtgebers gehandelt, so kann sich dieser in Ansehung solcher Umstände, die er selbst kannte, nicht auf die Unkenntnis des Vertreters berufen. Dasselbe gilt von Umständen, die der Vollmachtgeber kennen musste, sofern das Kennenmüssen der Kenntnis gleichsteht.

Auf das weitere Verfahren sind die im ersten Rechtszuge für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Abschnitts ergeben. Einer Güteverhandlung bedarf es nicht.

(1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen.

(2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn

1.
das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295), insbesondere eine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 139) oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, feststellt,
2.
nachträglich Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die einen Wiederaufnahmegrund (§§ 579, 580) bilden, oder
3.
zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung und dem Schluss der Beratung und Abstimmung (§§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes) ein Richter ausgeschieden ist.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.