Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 15. Nov. 2012 - L 7 SB 68/10
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
- 1
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.
- 2
Der 1968 geborene Kläger beantragte am 4. Oktober 2001 beim Beklagten die Feststellung von Behinderungen wegen eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ I. Der Beklagte holte einen Befundschein der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. K. vom 13. Oktober 2001 ein, wonach ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ I beim Kläger vorliege. Nach Beteiligung seines ärztlichen Dienstes stellte der Beklagte mit Bescheid vom 23. November 2001 beim Kläger einen GdB von 40 aufgrund einer Zuckerkrankheit fest.
- 3
Dagegen erhob der Kläger am 4. Dezember 2001 Widerspruch und trug vor: Er müsse bis zu siebenmal täglich Insulin spritzen, da er diese Anzahl an Mahlzeiten zu sich nehme. Dadurch sei er in seiner Lebensgestaltung deutlich behindert, da jeder dieser Spritzvorgänge mit einer Blutzuckermessung verbunden sei. Er könne diese Messungen und das Spritzen wegen Rücksichtnahme auf andere Personen nicht im öffentlichen Raum bzw. seinem Arbeitszimmer ausführen, sondern sei gezwungen, stets eine Toilette oder einen separaten Raum aufzusuchen. Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben sei nur noch eingeschränkt möglich. So habe er beispielsweise ein Konzertgastspiel wegen einer Unterzuckerung mit ausgeprägten Symptomen nicht entsprechend verfolgen können. Ebenso behindere der Krankheitsablauf seine berufliche Tätigkeit, weil er einige Tätigkeiten nicht mehr in gleicher und für den Arbeitgeber befriedigender Weise ausüben könne. So sei es nicht mehr so gut möglich, seinen Vorgesetzten bei dessen auswärtigen Terminen über einen längeren Zeitraum zu begleiten, da er dann Probleme mit einer geregelten Essenseinnahme und damit der Insulingabe habe. Zudem lägen erhebliche Schwankungsbereiche der Blutzuckerwerte mit Über- und Unterzuckerungen vor. Der HbA1c-Wert habe bei der letzten Analyse über 8 % gelegen. Dies spreche nicht für eine gute Einstellung des Diabetes mellitus.
- 4
Der Beklagte holte daraufhin einen Befundschein der Oberärztin Dr. K. der O.Universität-M., Zentrum für Innere Medizin, Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten, vom 30. Januar 2002 ein. Danach sei im August 2001 die Erstmanifestation des Diabetes mellitus eingetreten. Der Kläger könne unter Alltagsbedingen gut mit der Erkrankung umgehen. Er messe fünf- bis sechsmal täglich den Blutzucker und passe die Dosis des Kurzeit-Insulins dementsprechend an. Bei der letzten Vorstellung am 6. Dezember 2001 seien folgende Insulindosen benötigt worden: Basalinsulin morgens und zur Nacht sowie Kurzzeitinsulin morgens, mittags und abends. Die Blutzuckerwerte lägen überwiegend zwischen 4 und 8 mmol/l. Der letzte HbA1c-Wert vom 8. November 2001 habe bei 8,04 % gelegen (Ziel 7 %). Möglicherweise liege die Ursache dafür in den häufig noch zu hohen morgendlichen Nüchternwerten, weshalb eine Umstellung auf Lantus-Insulin zur Nacht vorgesehen sei. Folge-komplikationen lägen nicht vor. Hypoglykämien träten nur in leichter Form auf und würden mit Traubenzucker behandelt.
- 5
Mit Schreiben vom 14. Juli 2002 trug der Kläger ergänzend vor, es seien weitere Unterzuckerungen, teilweise sogar mit Blutzuckerwerten von unter 2,0 mmol/l, aufgetreten. Dadurch sei nicht nur das persönliche Wohlbefinden erheblich gestört, er könne dann auch die beruflichen Anforderungen nicht erfüllen. Die Einschränkungen bei der Teilnahme am normalen gesellschaftlichen Leben (Besuch von Veranstaltungen, längere Ausflüge, Treffen mit Freunden) seien wegen der verstärkt und unvorhersehbar auftretenden Unterzuckerungen noch größer geworden. Außerdem seien Überzuckerungen aufgetreten.
- 6
Daraufhin holte der Beklagte nochmals einen Befundbericht von Dr. K. vom 26. August 2002 ein, wonach weiterhin eine sehr gute Stoffwechseleinstellung vorliege. Die augenärztliche Untersuchung sei ohne pathologischen Befund gewesen. Auch die Vibrationsmessung habe Normalbefunde an den Extremitäten gezeigt. Trotzdem bestünden eine Neigung zu Hypoglykämien und die Notwendigkeit engmaschiger Blutzuckermessungen mit Insulindosisanpassungen. In ihrer prüfärztlichen Stellungnahme vom 16. September 2002 führte die Gutachterin Dipl.-Med. S. dazu aus, es liege eine sehr gute Stoffwechseleinstellung vor. Häufige schwere Hypoglykämien, die eine notärztliche Versorgung erforderlich machten, seien nicht dokumentiert. Allein die Neigung zu Hypoglykämien rechtfertige keinen GdB von 50. Dem folgend wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. September 2002 den Wider-spruch des Klägers zurück.
- 7
Der Kläger hat am 23. Oktober 2002 Klage beim Sozialgericht (SG) Magdeburg erhoben und vorgetragen, sein Diabetes mellitus sei nicht gut eingestellt. Auch die Wahrnehmung der häufigen Unterzuckerungen falle ihm zunehmend schwerer. Der Kläger hat Kopien aus seinem computergestützten Diabetestagebuch vorgelegt. Danach habe er innerhalb eines Jahres bei 2409 Messungen insgesamt 182 Unterzuckerungen und 75 Überzuckerungen festgestellt. Am 2., 30. November und 14. Dezember 2002 habe er drei schwere Unterzucke-rungen mit Werten von 1,8 mmol/l; 1,7 mmol/l und 1,6 mmol/l erlitten.
- 8
Der SG hat einen Befundbericht von Dr. K. vom 10. Februar 2003 eingeholt. Danach sei der Kläger durch einen labilen Stoffwechsel mit einer Neigung zu Hypoglykämien im täglichen Leben eingeschränkt. Die Blutzuckerwerte lägen überwiegend zwischen 4 bis 10 mmol/l. Zwei- bis dreimal wöchentlich träten leichte Hypoglykämien bis 2,5 mmol/ auf. Es seien Blutzuckerselbstmessungen vier- bis sechsmal täglich notwendig. Es läge eine sehr gute Diabeteseinstellung vor, die nur durch eine intensivierte Insulintherapie habe erreicht werden können (HbA1c-Werte: 1/02: 5,95 %; 5/02: 6,91%; 8/02: 5,82%; 11/02: 5,60 %). Es werde eine intensivierte Insulintherapie mit zweimal täglich Basalinsulin durchgeführt. Dieses sei wegen der Neigung zur nächtlichen Unterzuckerung auf Lantus zur Nacht umgestellt worden. Zu den Mahlzeiten erfolge die Einstellung mit Humalog (ca. 1 IE/BE). Damit seien fünf Injektionen kurzwirksames Insulin täglich notwendig. Beim Kläger handele es sich um einen typischen, vergleichsweise zum Typ II schwer einstellbaren Typ I Diabetes mellitus, der häufiger Blutzuckermessungen und adäquate Dosisanpassungen erfordere. Es bestehe eine ausgeprägte Hypoglykämieneigung, wobei diese sehr leicht und durch den Kläger gut beherrschbar sei.
- 9
Mit Urteil vom 12. Februar 2004 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Beim Kläger liege ein typischer, gut einstellbarer Diabetes mellitus Typ I vor, die HbA1c-Werte lägen im Normbereich. Es träten zwar wöchentlich leichte Hypoglykämien auf, diese seien bei einem Diabetes mellitus Typ I aber krankheitsimmanent. Stärkere Hypoglykämien seien äußerst selten, wobei ausgeprägte Hypoglykämien mit einem Bewusstseins-verlust nicht aufgetreten seien.
- 10
Gegen das ihm am 15. März 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. März 2004 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt. Er ist der Auffassung, das Gesamtbild des Blutzuckerverlaufs folge aus dem Diabetestagebuch, nicht aus den Momentaufnahmen der behandelnden Ärzte. Auch den Normbereich der HbA1c-Werte, der zwischen 4,3 und 6,1 % liege, erreiche er nicht. Seit Ende August 2001 seien bei ihm 304 Unterzuckerungen aufgetreten. Hiervon seien im Jahr 2003 zehn schwere Unterzuckerungen (unter 2,5 mmol/l) und im Jahre 2002 18 schwere Unterzuckerungen aufgetreten, also durchschnittlich eine monatlich. Im Zeitraum vom 1. Januar bis 17. April 2004 habe er zehn starke Unterzuckerungen erlitten. Von einer gut beherrschbaren Hypoglykämieneigung könne daher nicht die Rede sein. Am 14. Dezember 2005 hat der Kläger mitgeteilt, seit dem 18. April 2004 sei ein deutlicher Anstieg der Hypoglykämien zu verzeichnen. Am 27. August 2005 sei eine schwere Unterzuckerung mit Bewusstlosigkeit eingetreten, aus der er von seiner Ehefrau geholt worden sei. Die HbA1c-Werte der letzten Quartale des Jahres 2005 seien wie folgt gemessen worden: 5,9%, 6,7%, 6,4%.
- 11
Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt. Dr. K. hat am 25. Juli 2006 über gleichbleibende Befunde berichtet. In Anlage hat sie einen Arztbrief der Dr. K. vom 22. Februar 2005 übersandt, wonach auch im letzten Jahr die Diabeteseinstellung sehr gut gewesen sei. Schwere Hypoglykämien seien bisher nicht aufgetreten. Zu leichten Hypoglykämien komme es gelegentlich. Es war empfohlen worden, nochmals gegen 2.00 Uhr die Nachtwerte zu kontrollieren. Der Facharzt für Augenheilkunde Dr. P. hat mit Befundbericht vom 26. Juni 2006 einen Visus von 1,0 bzw. 1,2 festgestellt und eine diabetische Netzhauterkrankung ausgeschlossen. Dr. K. hat mit Befundbericht vom 30. Juni 2006 ausgeführt, der Kläger habe keine eigentlichen Beschwerden, jedoch Beeinträchtigungen durch den hohen Therapieaufwand der Stoffwechselführung bei immer wieder unvorhersehbaren Hypoglykämien angegeben. Die letzten HbA1c-Werte hätten 5,7 % bzw. 6,2 % betragen, danach liege eine sehr gute Stoffwechseleinstellung vor. Im Wesentlichen sei der Befund seit 2003 unverändert. Zwischenzeitlich seien jedoch auch schwere Hypoglykämien (März 2004, August 2005) mit Notwendigkeit von Fremdhilfe aufgetreten.
- 12
Mit Beschluss vom 13. Juni 2007 hat das LSG auf Antrag der Beteiligten das Verfahren ruhend gestellt, weil beim Bundessozialgericht (BSG) unter dem Aktenzeichen B 9a SB 10/06 R ein Verfahren zur Bewertung des Behinderungsgrades bei einer Diabetes mellitus-Erkrankung anhängig war. Auf Antrag des Klägers ist sein Verfahren am 28. Oktober 2010 wieder aufgenommen worden.
- 13
Der Beklagte hat nunmehr auf die Zweite Verordnung zur Änderung der VersorgungsmedizinVerordnung (VersMedV) vom 14. Juli 2010 hingewiesen und die Diabetestagebücher des Klägers versorgungsärztlich durch Dr. W. am 15. September 2011 auswerten lassen. Auch danach sei die Feststellung eines GdB von 50 nicht gerechtfertigt. Aus den Tagebüchern gehe ein weitgehend normnaher Blutzucker-Tagesverlauf hervor, der mit meist drei bis fünf Blutzuckerkontrollen und angepassten Insulininjektionen aufrechterhalten werde. Sehr selten seien hohe Blutzuckerwerte aufgetreten. Auch einfache Unterzuckerungen seien sehr selten und schwere Unterzuckerungen gar nicht belegt gewesen. Aus dem Blutzuckerverlauf über Monate hinweg sei nicht auf gravierende Einschnitte in der Lebensführung zu schließen. Die üblichen Einschnitte seien bereits mit einem GdB von 40 berücksichtigt. Gravierende Einschnitte seien beispielsweise dann festzustellen, wenn häufige ärztliche Notfallbehand-lungen und/oder wiederholt stationäre Neueinstellungen erforderlich seien. Am 11. November 2011 hat Dr. W. ergänzend ausgeführt: Was als erhebliche Beeinträchtigungen der Lebensführung zu werten sei, gehe im Analogieschluss beispielhaft aus den Beurteilungsvorgaben für Hirnleistungsminderungen oder psychische Störungen hervor. Danach sei ein GdB von 50 dann gerechtfertigt, wenn mittelgradige sich weiter deutlich auswirkende Störungen bestehen. Eine Integration in die (also alle) Lebensbereiche sei dabei ohne umfassende Unterstützung, zum Beispiel durch Eingliederungshilfe, nicht möglich und bei Erwachsenen bestehe in der Regel Erwerbsunfähigkeit. Meist seien auch notwendige Therapiemaßnahmen nicht selbstständig umzusetzen. Diese Einschränkungen bestünden in jedem Tagesablauf ständig und ohne die Möglichkeit wenigstens zeitweiliger Besserungen. Vergleichbar schwere Beeinträchtigungen seien im vorliegenden Fall nicht abzuleiten. Abgesehen von den üblichen Beeinträchtigungen wie dem Therapieaufwand sei dem Kläger eine selbstständige und weitgehend normale Lebensführung möglich. Rein medizinische Kriterien wie schwere Unter- und/oder Überzuckerungen und wiederholte stationäre Neuein-stellungen seien auch für die Beurteilung gemäß der Zweiten Änderungsverordnung weiterhin maßgeblich, weil deren Auftreten bzw. Fehlen aussagefähige Hinweise auf die Stoffwechselkompensation gäben.
- 14
Am 16. Januar 2012 hat eine nichtöffentliche Sitzung vor dem LSG stattgefunden. In dieser hat der Kläger über die aus seiner Sicht eingeschränkte Lebensführung berichtet. In seiner Freizeit könne er an Veranstaltungen wie Konzerten nur schwer teilnehmen, weil es nicht immer möglich sei, einen Sitzplatz am Rand zu bekommen. Er habe schon während einer Veranstaltung wegen einer Unterzuckerung aufstehen müssen und sich dabei den Unmut von Gästen zugezogen. Er habe auch festgestellt, dass die Zuckerlösungen aus der Apotheke nicht ausreichend seien, um der Hypoglykämie entgegenzusteuern. An Handballveranstaltungen könne er nicht mehr teilnehmen, da es nicht möglich sei, eigene Getränke mitzubringen. Auch Urlaubsreisen erforderten einen hohen Planungsaufwand. Er könne nicht auf die Organisationspläne von Dritten mit festen Essenszeiten zurückgreifen. Bei Reisen müsse er aufpassen, ob eine Infrastruktur gegeben sei, die das eigene Zubereiten von Mahlzeiten ermögliche. Er könne auch nicht mehr wie vorher an Restaurantbesuchen teilnehmen. Er habe darüber hinaus auch Einschränkungen in seiner beruflichen Tätigkeit als Referatsleiter für I. Z. S.-k .. Diese Tätigkeit sei mit Außenkontakten verbunden. Aufgrund der Beratungstermine habe er auch keine regelmäßigen Essenszeiten. Er habe zum Beispiel schon die Gesprächsführung abgeben müssen, weil er unter einer Hypoglykämie gelitten habe. Auch mit der Tätigkeit verbundene Auslandsreisen, die nicht unbedingt erforderlich seien, nehme er nicht mehr wahr. In Abstimmung mit dem Abteilungsleiter müsse er nur noch eingeschränkt an Auslandsreisen teilnehmen. Mittags könne er nicht mit den Kollegen in der Kantine essen, sondern esse das von zu Hause mitgebrachte Mittagessen. Die HbA1c- Werte seien zurzeit normgemäß, er nehme abends Langzeitinsulin und Kurzzeitinsulin zu jeder Mahlzeit je nach Blutzuckerwert, den er vorher gemessen habe.
- 15
Der Senat hat nochmals einen Befundbericht von Dr. K. vom 10. Mai 2012 eingeholt. Diese hat erneut über stark schwankende Blutzuckwerte mit deutlicher Neigung zu unvorhersehbaren Hypoglykämien berichtet. Es erfolge eine intensivierte Insulintherapie (drei- bis viermal täglich kurzwirksames Insulin Humalog nach Broteinheiten sowie Lantus zur Nacht). Ziel sei der Blutzuckerwert von 6, der Korrekturfaktor betrage zwei. Die Anpassung an den aktuellen Blutzuckerwert sei mit Blutzuckermessungen sechsmal täglich verbunden. Organkomplikationen bzw. Folgeerkrankungen lägen nicht vor. Wegen des Diabetes mellitus sei der Kläger seit der stationären Behandlung im Jahr 2001 nicht arbeitsunfähig gewesen. Seit dem Jahr 2003 bestehe unverändert eine sehr gute Diabeteseinstellung mit der typischen Neigung zu Unterzuckerungen wie bei allen Typ I-Diabetikern mit normnaher Therapie, um Spätfolgen zu verhindern. Erhöhte Blutzuckerwerte infolge von Infekten, Stress und Fehleinschätzungen von Nahrungsmitteln seien nie ganz zu vermeiden. Beim Kläger lägen leichte Hypoglykämien zwei- bis dreimal wöchentlich vor. Schwere Hypoglykämien seien in den letzten zwölf Monaten nicht aufgetreten. In der Anlage hat Dr. K. einen Arztbrief vom 11. Mai 2012 übersandt, in dem sie über eine sehr gute Diabeteseinstellung in den letzten Jahren mit HbA1c-Werten im langjährigen Verlauf um 7 % berichtet hat. Trotzdem komme es immer wieder zu Hypoglykämien, die Blutzuckermessungen erfolgten zirka sechsmal täglich mit einer Anpassung der Insulindosis in Abhängigkeit von Ernährung, Bewegung und Stresssitu-ationen, die einen hohen Therapieaufwand mit Einschränkungen in der Lebensgestaltung bedeutenden. Die aktuelle Medikation läge bei Humalog 2,5-2-1 IE/BE; Lantus 18 IE zur Nacht und Simvastatin 20 mg.
- 16
In ihrer prüfärztlichen Stellungnahme vom 19. Juni 2012 hat Dr. W. ausgeführt: Gravierende Einschnitte im Tagesablauf seien nicht belegt und auch nicht nachvollziehbar. Bei leichten Unterzuckerungen reiche die Einnahme von Traubenzuckertabletten vollkommen aus. Zuckerlösungen seien wegen ihrer vergleichsweise geringen Konzentration nicht sinnvoll. Daraufhin hat der Kläger am 30. Juli 2012 vorgetragen: Er habe die Einschnitte in seine Lebensführung umfangreich dargelegt. Im Übrigen sei das Verwaltungshandeln des Beklagten nicht nachvollziehbar, da dieser für einen bestimmten Zeitraum nach Erlass der Zweiten Änderungsverordnung Anerkenntnisse abgegeben habe. Damit dränge sich der Verdacht der Willkür bei der Entscheidung über gleichgelagerte Sachverhalte auf.
- 17
In der mündlichen Verhandlung vom 15. November 2012 hat der Kläger darüber berichtet, dass er während einer Dienstreise nach Prag wegen einer Unterzuckerung nicht an einer geplanten Veranstaltung habe teilnehmen können. Weiterhin hat er ausgeführt, dass er sich beim Autofahren nicht besonders eingeschränkt sehe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 15. November 2012 Bezug genommen.
- 18
Der Kläger beantragt,
- 19
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Februar 2004 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 23. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2002 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, beim ihm ab 4. Oktober 2001 einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.
- 20
Der Beklagte beantragt,
- 21
die Berufung zurückzuweisen.
- 22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere auf die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungs-vorgang des Beklagten und die vom Kläger vorgelegten Diabetikertagebücher Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 23
Die form- und fristgerechte eingelegte und nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft liegen bei ihm nicht vor.
- 24
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Antrag des Klägers auf Feststellung eines Behinderungsgrades von mindestens 50 ab dem 4. Oktober 2001. Hierbei handelt es sich um eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, für die bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblich ist (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2000 – B 9 SB 3/99 R = SozR 3-3870 § 3 Nr. 9, S. 22).
- 25
Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht in seinen Rechten verletzt, da der festgestellte GdB von 40 rechtmäßig ist.
- 26
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Regelung knüpft materiellrechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten für den GdB die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades – dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungs-medizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden, zu deren Erlass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch den dem § 30 BVG durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 angefügten Absatz 17 ermächtigt worden ist.
- 27
Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt.
- 28
Soweit der streitigen Bemessung des GdB die GdS-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Teil A, S. 17 ff.) zugrunde zu legen ist, gilt Folgendes: Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil B 1, S. 33) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A, S. 20) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a, S. 33).
- 29
Nach diesem Maßstab ist beim Kläger nur ein GdB von 40 ab dem 4. Oktober 2001 gerecht-fertigt. Dabei stützt sich der Senat auf die eingeholten Befundberichte nebst Anlagen, die versorgungsärztlichen Stellungnahmen, die Arztbriefe sowie die vorgelegten Diabetikertage-bücher des Klägers. Das zentrale Leiden des Klägers betrifft das Funktionssystem "Innere Sekretion und Stoffwechsel" und wird durch den insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ I geprägt. Auf der Grundlage der Zweiten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 14. Juli 2010 gilt:
- 30
Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 30 bis 40.
- 31
Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdS beträgt 50.
- 32
Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdS-Werte bedingen.
- 33
Das BSG hat mit Urteil vom 2. Dezember 2010 (B 9 SB 3/09 R, zitiert nach juris) diese Neufassung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze für rechtmäßig erklärt (vgl. BSG a.a.O. Rdn. 26) und für die Zeit vor Inkrafttreten der Verordnung unter Hinweis auf das Urteil vom 24. April 2008 (B 9/9a SB 10/06 R) bei der Bewertung des Einzel-GdB eines insulinein-gestellten Diabetes mellitus neben der Einstellungsqualität insbesondere den jeweiligen Therapieaufwand hervorgehoben, soweit sich dieser auf die Teilhabe des behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft nachteilig auswirkt. Hierbei ist der GdB eher niedrig anzusetzen, wenn bei geringem Therapieaufwand eine ausgeglichene Stoffwechsellage erreicht werden kann. Bei einem beeinträchtigenden, wachsenden Therapieaufwand und/oder abnehmendem Therapieerfolg (instabilere Stoffwechsellage) wird der GdB entsprechend höher zu bewerten sein. Dabei sind – im Vergleich zu anderen Behinderungen – die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu prüfen (BSG a.a.O. Rdn. 33). Bei therapiebedingten Einschränkungen in der Lebensführung können z.B. die Planung des Tagesablaufs, die Gestaltung der Freizeit, die Zubereitung der Mahlzeiten, die Berufs-ausübung und die Mobilität beachtet werden (vgl. Begründung zur Verordnungsänderung, BR-Drucksache 285/10 S. 3 zu Nr. 2).
- 34
Durch die Neufassung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zum Diabetes mellitus erfordert die Feststellung eines GdB von 50 nicht nur mindestens vier Insulininjektionen pro Tag und ein selbständiges Anpassen der jeweiligen Insulindosis. Zusätzlich muss es - sei es bedingt durch den konkreten Therapieaufwand oder die jeweilige Stoffwechselqualität oder wegen sonstiger Auswirkungen der Erkrankung (z.B. Folgeerkrankungen) - zu einer krankheitsbedingten erheblichen Beeinträchtigung in der Lebensführung kommen (BSG, Urteil vom 25. Oktober 2012, B 9 SB 2/12 R). Die Formulierung in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen in Teil B Nr. 15.1 "und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebens-führung beeinträchtigt sind" ist daher nicht nur therapiebezogen gemeint, sondern dahingehend zu verstehen, dass neben dem eigentlichen Therapieaufwand durch die notwendigen Insulininjektionen und die selbständige jeweilige Dosisanpassung eine zusätzliche Wertung notwendig ist, um die Schwerbehinderung zu rechtfertigen. Der am insulinpflichtigen Diabetes mellitus Erkrankte muss daher wegen des reinen Therapieaufwandes und/oder den durch die Erkrankung eingetretenen weiteren Begleitfolgen generell gravierende Einschritte in der Lebensführung erleiden (so offenbar auch Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Juli 2011 – L 4 SB 182/10, zitiert nach juris). Dass zusätzlich ein gravierender Einschnitt in die Lebensführung festgestellt werden muss, ergibt sich aus den vorhergehenden Formulierungen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze für einen GdB von 30 bis 40. Hiernach sind für die Bewertung der Teilhabeeinschränkung der konkrete Therapieaufwand und die jeweilige Stoffwechselqualität von wertungserheblicher Bedeutung. Diese beiden Kriterien müssen entsprechend auch bei der höheren Bewertungsstufe eines GdB von 50 noch bedeutsam sein. Für die besondere Bedeutung der Stoffwechsellage spricht auch, dass nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen allein bereits eine Erhöhung des GdB rechtfertigen können.
- 35
Ein GdB von 50 setzt damit mindestens vier Insulininjektionen pro Tag, ein selbständiges Anpassen der Insulindosis und gravierende und erhebliche Einschnitte in der Lebensführung voraus. Diese Anforderungen für einen GdB von 50 erreicht der Kläger unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht. Der Senat folgt insoweit der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dipl.-Med. S. vom 16. September 2002 und Dr. W. vom 15. September und 11. November 2011 sowie vom 19. Juni 2012. Zwar führt der Kläger nach den Angaben von Dr. K. und ausweislich seines Diabetikertagebuchs eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen und selbständigen Dosisanpassungen der Insulingabe durch. Neben der täglichen Injektion mit einem Langzeitinsulin muss der Kläger zu jeder Mahlzeit das kurz wirkende Insulin einsetzen und dabei auch die jeweilige Insulindosis variieren. Hinzu kommen Blutzuckermessungen zu jeder Mahlzeit und damit bis zu sechsmal täglich. Allerdings fehlt es beim Kläger an erheblichen Einschnitten, die sich so gravierend auf seine Lebensführung auswirken, dass die Feststellung einer Schwerbehinderteneigenschaft gerechtfertigt werden kann. Betrachtet man die therapie- und erkrankungsbedingten Einschränkungen in der konkreten Lebensführung, lässt sich eine gravierende Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft aufgrund der Erkrankung an Diabetes mellitus nicht erkennen. Unter Berücksichtigung der verschiedenen Teilbereiche, in denen sich therapie- und krankheitsbedingte Einschränkungen in der Lebensführung auswirken können, lässt sich feststellen, dass gravierende Auswirkungen beim Kläger nicht in den Bereichen der Planung des Tagesablaufs, der Gestaltung der Freizeit, der Zubereitung der Mahlzeiten und der Mobilität, sondern lediglich im Bereich der Berufsausübung vorliegen. Gravierende Auswirkungen in nur einem Lebensbereich sind unter Berücksichtigung der weiteren Teilbereiche aber nicht ausreichend, um insgesamt eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung annehmen zu können.
- 36
Gravierende Einschränkungen sind allerdings im Bereich der beruflichen Tätigkeit als Referatsleiter für I. Z. in der .. festzustellen. Die krankheitsbedingten Einschränkungen aufgrund des Diabetes mellitus haben auch bereits den beruflichen Kernbereich und nicht nur punktuelle Einschränkungen bei besonderen beruflichen Belastungen betroffen. Denn die Teilnahme an Dienstreisen gehört zu den wesentlichen Aufgaben seiner konkret ausgeübten Tätigkeit. So hat er nach seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung während einer Dienstreise nach Prag nicht an einer dort geplanten Veranstaltung teilnehmen können, sondern wegen einer Unterzuckerung zwei bis drei Stunden im Hotelzimmer bleiben müssen, bis er sich wieder stabilisiert hatte. An nicht zwingend notwendigen Auslandsreisen nimmt er krankheitsbedingt nicht mehr teil. Außerdem hat der Kläger darüber berichtet, wegen einer Unterzuckerung im Dienst einmal auch eine Gesprächsführung abgegeben zu haben. Diese Einschränkungen bei der Ausübung der beruflichen Tätigkeit sind aber nicht so gravierend, dass bereits deshalb von einer erheblichen Einschränkung insgesamt ausgegangen werden kann, die die Schwerbehinderteneigenschaft rechtfertigt. Denn eine krankheitsbedingte Aufgabe der beruflichen Tätigkeit bzw. eine Veränderung des Arbeitsbereichs ist beim Kläger nicht notwendig. Beruflich notwendige Reisen führt er auch weiterhin durch, obgleich sie mit einem erhöhten Planungs- und Organisationsaufwand verbunden sind.
- 37
Weitere gravierende Einschränkungen in anderen Lebensbereichen liegen nicht vor. Im Freizeit- bzw. Mobilitätsbereich muss der Kläger bei Urlaubsreisen zwar einen höheren planerischen Aufwand betreiben und kann nicht auf Organisationspläne von Dritten zurück-greifen. Doch sind die Einschränkungen nicht so erheblich, dass er überhaupt keine Urlaubs-reisen mehr durchführen kann. Da er selbst auch keine besonderen Einschränkungen beim Autofahren sieht, wird seine Mobilität nicht erheblich durch die Erkrankung an Diabetes mellitus eingeschränkt. Die Teilhabe an Freizeitmöglichkeiten wie z.B. Konzertbesuchen oder Sportveranstaltungen ist ihm zwar durch die Neigung zu Hypoglykämien erschwert, jedoch bleibt es ihm – wenn auch mit einem gegenüber einem Gesunden zusätzlichen Aufwand wie z.B. Randplatzsuche und Bereithalten von Traubenzucker – möglich, diese Freizeitaktivitäten wahrzunehmen. Auch ist die Teilnahme an Restaurantbesuchen und am Kantinenessen nicht grundsätzlich krankheitsbedingt ausgeschlossen, sondern ebenfalls unter Beachtung eines gewissen Mehraufwandes möglich. Auch die vom Kläger geschilderten Umstände bei den erforderlichen Blutzuckermessungen und beim Spritzen (separater Raum bzw. Toilette) sind der Krankheit immanent und können nicht als gesondert zu berücksichtigende Teilhabeeinschränkung bewertet werden. Die von dem Kläger angegebenen Nachteile durch seine Stoffwechselerkrankung sind insgesamt zwar einschränkend und belastend, jedoch nicht gravierend im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze.
- 38
Der Kläger wird trotz des einschränkenden Therapieaufwandes nicht auch noch zusätzlich durch eine schlechte Einstellungsqualität in seiner Leistungsfähigkeit und damit in seiner Teilhabefähigkeit am Leben erheblich beeinträchtigt. Zwar besteht bei ihm eine deutliche Neigung zu Hypoklykämien und auch unvorhersehbar stark schwankenden Blutzuckerwerten. Doch hat Dr. K. anderseits über eine seit dem Jahre 2003 im Wesentlichen unveränderte sehr gute Stoffwechseleinstellung berichtet. Nach ihren Ausführungen sind die Hypoglykämien leicht und durch den Kläger gut beherrschbar. Schwere Hypoglykämien mit Fremdhilfe sind nach ihren Ausführungen (von den Ausnahmefällen in den Jahren 2004 und 2005 abgesehen) nicht aufgetreten. Stationäre Behandlungen aufgrund des Diabetes mellitus haben seit dem Jahre 2001 nicht mehr stattgefunden und eine auf den Diabetes mellitus zurückzuführende Arbeitsunfähigkeit hat nicht bestanden.
- 39
Der Kläger leidet nach den vorliegenden Befunden und seinem eigenen Sachvortrag an keinen weiteren Erkrankungen, die jedenfalls einen GdB von 10 rechtfertigen, sodass für eine Erhöhung des GdB aufgrund von Behinderungen in einem weiteren Funktionssystem kein Raum verbleibt.
- 40
Die Grenze zur Schwerbehinderung und eines GdB von 50 ist damit noch nicht erreicht. Letztlich widerspräche die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bei dem voll im beruflichen und gesellschaftlichen Leben integrierten Kläger, der zwar eine krankheitsbedingt eingeschränkte, aber dennoch eigenständige Lebensführung hat, dem nach Teil A Ziff. 3 (S. 22) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu berücksichtigenden Gesamtmaßstab. In Nr. 19 Abs. 2 der Anhaltspunkte, Ausgabe 2008 (S. 25) wird insoweit erläuternd ausgeführt, dass die Schwerbehinderteneigenschaft nur angenommen werden kann, wenn die zu berücksichtigende Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsstörungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft so schwer wie etwa die vollständige Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung) mit deutlicher Kommunikationsstörung beeinträchtigen. Eine derartig schwere Funktionsstörung liegt bei dem Kläger nicht vor.
- 42
Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegt vor. Das BSG hat zwar zur Frage des Therapieaufwandes in dem Urteil vom 2. Dezember 2010 – B 9 SB 3/09 R (zitiert nach juris) klarstellende Ausführungen gemacht. Die vom Senat vorgenommene Auslegung, wonach eine gravierende Beeinträchtigung in einem Lebensbereich insgesamt nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung in der Lebensführung führt, ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Das gilt auch für die Frage, wann von einer gravierenden Einschränkung der beruflichen Tätigkeit ausgegangen werden muss und ob dies beispielsweise auf den not-wendigen Kernbereich zu beschränken ist.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 15. Nov. 2012 - L 7 SB 68/10
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 15. Nov. 2012 - L 7 SB 68/10
Referenzen - Gesetze
Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten
Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193
Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160
Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges
Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143
Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 2 Begriffsbestimmungen
Bundesversorgungsgesetz - BVG | § 30
Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 69 Kontinuität der Bemessungsgrundlage
Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes
Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV | § 2 Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenLandessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 15. Nov. 2012 - L 7 SB 68/10 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).
Bundessozialgericht Urteil, 25. Okt. 2012 - B 9 SB 2/12 R
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 25. Juli 2011 - L 4 SB 182/10
Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.
(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.
(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.
(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn
- 1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann, - 2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder - 3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.
(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.
(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.
(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.
(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.
(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen
- 1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert, - 2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem
- 1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird, - 2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres, - 3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und - 4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.
(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.
(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.
(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.
(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.
(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:
- a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist, - b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist, - c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte, - d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden, - e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.
(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.
(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.
(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.
(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn
- 1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann, - 2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder - 3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.
(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.
(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.
(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.
(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.
(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen
- 1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert, - 2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem
- 1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird, - 2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres, - 3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und - 4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.
(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.
(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.
(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.
(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.
(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:
- a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist, - b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist, - c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte, - d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden, - e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.
(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.
(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.
Tenor
-
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 21. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
-
Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
- 1
-
Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 nach dem Schwerbehindertenrecht hat.
- 2
-
Auf den Antrag der 1954 geborenen Klägerin vom 20.4.2010 stellte das beklagte Land nach Beiziehung eines Befundberichts und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme mit Bescheid vom 22.7.2010 wegen eines Diabetes mellitus einen GdB von 30 ab April 2010 fest. Nachdem die Klägerin im Widerspruchsverfahren Auszüge ihres Diabetikertagebuchs vorgelegt hatte, holte der Beklagte weitere versorgungsärztliche Stellungnahmen ein. Die Versorgungsärztin S. führte unter dem 23.12.2010 aus: Die vorgelegte Dokumentation umfasse einen Zeitraum von 96 Tagen. Die Klägerin messe vier bis achtmal täglich den Blutzucker und injiziere zwei bis viermal täglich Bolusinsulin und einmal täglich Basisinsulin. An mindestens 35 Tagen habe die Dosis nicht angepasst werden müssen. An den restlichen Tagen seien ein bis drei Korrekturinjektionen vorgenommen worden. Eine für einen GdB von 50 erforderliche ständige Anpassung der Insulindosierung sei daher nicht zu bestätigen. Es werde ein Gesamt-GdB von 40 vorgeschlagen. Hierauf gestützt änderte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.12.2010 den angefochtenen Bescheid unter Zurückweisung des Widerspruchs im Übrigen dahin ab, dass ab April 2010 der GdB 40 betrage. Zur Begründung gab er den Inhalt der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 23.12.2010 weitgehend wörtlich wieder.
- 3
-
Das von der Klägerin daraufhin angerufene Sozialgericht Magdeburg (SG) hat mit Urteil vom 14.3.2011 den angefochtenen Verwaltungsakt geändert und den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin ab April 2010 einen GdB von 50 festzustellen. In den Entscheidungsgründen heißt es: Bei der Klägerin seien die Voraussetzungen für einen GdB von 50 bei Diabetes mellitus erfüllt, wie sie in Teil B Nr 15.1 Versorgungsmedizinische Grundsätze in der Fassung vom 14.7.2010 geregelt seien, die auch für die Zeit davor gälten. Die Klägerin führe eine Insulintherapie durch, bei der sie täglich ein langwirkendes Basisinsulin und jeweils vor den Mahlzeiten ein schnell wirkendes Insulin spritze. Die Tatsache, dass sich die Klägerin nach ihren Aufzeichnungen an einigen Tagen nur drei Insulininjektionen verabreicht habe, sei darauf zurückzuführen, dass sie an diesen Tagen nur zwei Mahlzeiten zu sich genommen habe. Damit habe die Klägerin aber die Voraussetzungen der Verordnung sinngemäß erfüllt, denn die Vorschrift wolle gerade die Fälle erfassen, in denen - wie hier - täglich einmal Basisinsulin und vor jeder Mahlzeit, also üblicherweise dreimal, ein Mahlzeiteninsulin gespritzt werde. Die weitere Formulierung "… Menschen, die … durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind" stelle kein weiteres Tatbestandsmerkmal dar, sondern eine Bewertung der Situation der Betroffenen, die den genannten Therapieaufwand betreiben müssten.
- 4
-
Im danach vom Beklagten veranlassten Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) die Klägerin persönlich angehört sowie einen Befundbericht von Dr. K. vom 6.9.2011 eingeholt. Ferner hat es zwei vom Beklagten vorgelegte versorgungsärztliche Stellungnahmen von Dr. S. vom 30.9.2011 und Dr. W. vom 13.2.2012 zu den Akten genommen. Durch Urteil vom 21.2.2012 hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Seine Entscheidung hat es auf folgende Erwägungen gestützt:
- 5
-
Die Klägerin sei durch den angefochtenen Bescheid nicht in ihren Rechten verletzt, da der festgestellte GdB von 40 rechtmäßig sei. Rechtsgrundlage für die Beurteilung des GdB seien § 69 Abs 1 SGB IX sowie die Versorgungsmedizinischen Grundsätze als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (Anl VersMedV) vom 10.12.2008. Das zentrale Leiden der Klägerin betreffe das Funktionssystem "Innere Sekretion und Stoffwechsel" und werde durch den insulinpflichtigen Diabetes mellitus geprägt. Auf der Grundlage der Zweiten Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 14.7.2010 ergebe sich bei der Klägerin ein GdB von 40. Demgegenüber setze ein GdB von 50 mindestens vier Insulininjektionen pro Tag, ein selbstständiges Anpassen der Insulindosis sowie gravierende und erhebliche Einschnitte in der Lebensführung voraus.
- 6
-
Diese Anforderungen erreiche die Klägerin nicht. Sie führe nicht ständig eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durch, wie dies die Versorgungsärztin S. unter dem 23.12.2010 überzeugend ausgeführt habe. Auch komme es nach der Einschätzung der Versorgungsärzte nach Auswertung der Unterlagen nicht zu einer "ständigen" Dosisanpassung der Insulingabe. Damit bewege sich die Klägerin bereits unterhalb des Mindestumfangs des Therapieaufwandes, den die VersMedV für die Feststellung eines GdB von 50 verlange. Neben der täglichen Injektion mit einem langwirksamen Insulin müsse die Klägerin bei hohen Morgenwerten zu jeder Mahlzeit und bei Nebenerkrankungen das kurzwirkende Insulin einsetzen und dabei auch die jeweilige Dosis variieren. Das sei jedoch nicht ständig der Fall, sondern offenbar von den jeweiligen Begleitumständen (Alltagsbelastung, berufliche Anforderungen, Reisetätigkeit usw) abhängig. Hinzu kämen ständige Blutzuckermessungen zu jeder Mahlzeit und gegebenenfalls bis zu sechsmal täglich, die jedoch nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen nicht erhöhend zu berücksichtigen seien.
- 7
-
Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin einen Therapieaufwand von mindestens vier Insulininjektionen und eine ständige Dosisanpassung annehmen würde, fehle es jedenfalls an erheblichen Einschnitten, die sich so gravierend auf ihre Lebensführung auswirkten, dass die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gerechtfertigt werden könne. Die Klägerin werde trotz des einschränkenden Therapieaufwandes nicht noch zusätzlich durch eine schlechte Einstellungsqualität in ihrer Leistungsfähigkeit und damit in ihrer Teilhabefähigkeit erheblich beeinträchtigt. So gehe sie nach ihren eigenen Angaben einer Außendiensttätigkeit mit hohem und belastungsintensiven Anforderungsprofil nach und bewältige diese Anstrengungen offenbar ohne wesentliche krankheitsbedingten Einschränkungen seit vielen Jahren. Zu schweren hypoglykämischen Entgleisungen sei es bei der Klägerin nach Beginn der Insulintherapie noch nie gekommen. Auch seien wesentliche Folgeschäden noch nicht eingetreten.
- 8
-
Mit ihrer - vom LSG zugelassen - Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
- 9
-
Das angefochtene Urteil sei iS der § 136 Abs 1 Nr 6, § 128 Abs 1 S 2 SGG nicht hinreichend mit Gründen versehen. Das LSG habe seiner Entscheidung allein die Fassung des Teil B Nr 15.1 Anl VersMedV in der ab dem 22.7.2010 geltenden Fassung (nF) zugrunde gelegt, obwohl streitig auch die Höhe des GdB in der Zeit von April 2010 bis zum 21.7.2010 sei. Für diesen Zeitraum fehle es an einer Begründung für die Feststellung des GdB.
- 10
-
Das LSG habe zudem ihr Recht auf rechtliches Gehör (§ 128 Abs 2 SGG) dadurch verletzt, dass es seine Entscheidung maßgebend auf die Stellungnahme der Versorgungsärztin S. vom "30.12.2010" gestützt habe, ohne ihr diese Stellungnahme zuvor zugänglich gemacht zu haben. Da das LSG erstmals im Urteil auf diese im Verwaltungsverfahren erstellte versorgungsärztliche Stellungnahme eingegangen sei, sei sie dadurch unzulässig überrascht worden. Aufgrund des Verlaufs des Erörterungstermins vom 21.12.2011, der von ihr danach vorgelegten Messdokumentationen von April 2010 und der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13.2.2012 habe sie nicht damit rechnen müssen, dass das LSG die versorgungsärztliche Stellungnahme vom "30.12.2010" zur Urteilsbegründung heranziehen würde. Hätte man sie vorab darauf hingewiesen, hätte sie ihr Tagebuch erneut vorgelegt und anhand dessen nachgewiesen, dass sie sehr wohl - täglich - mindestens vier Insulininjektionen durchführe.
- 11
-
Soweit das LSG seine Verneinung eines GdB von 50 darauf gestützt habe, dass sie über Jahre hinweg beruflich und privat ohne gravierende Einschränkungen lebe, habe es nicht erkennen lassen, dass es die für diese Beurteilung erforderliche soziologische und sozialmedizinische Sachkunde besitze. Diese Unterlassung mache das Urteil ebenfalls zur einer Überraschungsentscheidung.
- 12
-
Schließlich habe das LSG auch seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nach § 103 SGG verletzt. Das Gericht habe Teil B Nr 15.1 Anl VersMedV idF vom 14.7.2010 (nF) dahin ausgelegt, dass zusätzlich zum Therapieaufwand (von mindestens vier Insulininjektionen täglich) erhebliche Einschnitte in der Lebensführung vorliegen müssten. Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze hätten zwar normähnlichen Charakter, inhaltlich seien sie jedoch antizipierte Sachverständigengutachten. Deren Inhalt gehöre zur Erforschung des Sachverhalts, sodass diesbezügliche Zweifel regelmäßig durch Nachfrage bei dem geschäftsführend tätigen Bundesministerium zu klären seien. Wenn das LSG sein Verständnis von den erheblichen Einschnitten in die Lebensführung, die für die Beurteilung der Teilhabeeinschränkungen im Fall eines insulinpflichtigen Diabetes mit einem GdB von 50 zwingend vorliegen müssten, seinem Urteil habe zugrunde legen wollen, hätte es sich nicht damit begnügen dürfen, Teil B Nr 15.1 Anl VersMedV selbst auszulegen. Es hätte sich vielmehr gedrängt fühlen müssen, eine Auskunft bei dem zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales einzuholen, wie die erheblichen Einschnitte in die Lebensführung bei der Festsetzung des GdB zu berücksichtigen seien. Eine derart durchgeführte Klärung hätte zu dem Ergebnis führen können, dass allein der Therapieaufwand von mindestens vier Insulininjektionen täglich mit einer selbstständig vorzunehmenden Variation der Insulindosis die Feststellung eines GdB von 50 rechtfertige.
- 13
-
Das LSG habe ua dem Urteil des BSG vom 2.12.2010 - B 9 SB 3/09 R - folgen wollen. Nach dieser Entscheidung seien Sachverhaltsermittlungen dazu vorzunehmen, ob der Therapieaufwand aus medizinischen Gründen nach Ort, Zeit oder Art und Weise festgelegt sei, ob eine Vernachlässigung der therapeutischen Maßnahmen gravierende Folgen haben könne und ob die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in anderen Lebensbereichen wegen des zeitlichen Umfangs der Therapie erheblich beeinträchtigt sei. Dementsprechend hätte das LSG sich gedrängt fühlen müssen, entsprechende Sachverhaltsermittlungen zu den Einschnitten in die Lebensführung entsprechend dem Urteil des BSG vom 2.12.2010 vorzunehmen, was es jedoch unterlassen habe. Diese fehlenden Sachverhaltsermittlungen seien auch nicht in den Stellungnahmen der Versorgungsverwaltung enthalten, auf die das Berufungsgericht seine Beweiswürdigung in sehr einseitiger Weise stütze.
- 14
-
Materiell-rechtlich habe das LSG § 69 Abs 1 und 3 SGB IX verletzt. Für den Zeitraum von der Antragstellung im April 2010 bis zum 21.7.2010 hätte das LSG die Grundsätze des Urteils des BSG vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - anwenden müssen. Danach sei für die Feststellung des GdB neben der Einstellungsqualität auch der Therapieaufwand zu beurteilen, soweit er sich auf die Teilhabe des behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft nachteilig auswirke. Hierbei sei auch das Ergebnis der therapeutischen Maßnahmen, insbesondere die erreichte Stoffwechsellage zu betrachten. Der GdB sei relativ niedrig anzusetzen, wenn mit geringem Therapieaufwand eine ausgeglichene Stoffwechsellage erreicht werden könne. Mit in beeinträchtigender Weise wachsendem Therapieaufwand und bzw oder abnehmendem Therapieerfolg im Sinne einer instabileren Stoffwechsellage werde der GdB höher einzuschätzen sein. In einem ersten Schritt sei der Therapieaufwand festzustellen. In einem zweiten Schritt sei die Stoffwechsellage zu beurteilen und in einem dritten Schritt wären die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in Betracht zu ziehen. Entsprechende Sachverhaltsermittlungen hierzu habe das LSG nicht angestellt.
- 15
-
Auf der Grundlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen habe das LSG den GdB unzutreffend beurteilt. Schon der unmittelbare Therapieaufwand sei erheblich. Zudem sei zu berücksichtigen, dass, würde sie nicht so diszipliniert leben, Stoffwechselentgleisungen die Folge wären. Soweit das LSG bei ihr von einer stabilen Stoffwechsellage auf einen geringeren GdB als 50 geschlossen habe, sei dieser Rückschluss in der Allgemeinheit nicht zulässig. Gerade ihre hohe Disziplin und vorausschauende Planung sowie ihre bewusste Lebensführung führten dazu, dass die Folgen des Diabetes bei ihr bisher gering geblieben seien. Ihr dies zum Nachteil gereichen zu lassen, würde bedeuten, dass der disziplinlose Behinderte mit einem höheren GdB "belohnt" werde und derjenige Behinderte, der sich intensiv um die Bekämpfung der Folgen der Erkrankung kümmere und einen entsprechenden Zeitaufwand dafür betreibe, mit einem geringeren GdB "bestraft" werde. Zudem habe das LSG die Auswirkungen des Diabetes auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft an Behinderungen gemessen, die mit ihrer Erkrankung nicht vergleichbar seien.
- 16
-
Für die Zeit ab dem 22.7.2010 habe das LSG zwar richtiger Weise Teil B Nr 15.1 Anl VersMedV nF zugrunde gelegt. Das LSG missverstehe jedoch die im vorliegenden Fall einschlägige Variante der Ziff 15.1, nach der der GdB 50 beträgt. Diese Variante beinhalte einerseits den Therapieaufwand, der mit täglich mindestens vier Insulininjektionen angegeben werde, und die Insulindosis, die in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der jeweils folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbstständig zu variieren sei. Schon wenn, wie in ihrem Fall, die vier Insulininjektionen täglich durchgeführt werden müssten, sei der GdB mit 50 festzusetzen. Entgegen der Auffassung des LSG bedürfe es nicht zusätzlich noch weiterer, erheblicher Einschnitte in die Lebensführung. Der Therapieaufwand von mindestens vier Insulininjektionen täglich erfasse den in der Summe erheblichen zeitlichen Aufwand zB für regelmäßige Arztbesuche, den Einkauf von Medikamenten und Spritzutensilien, die Planung des Tagesablaufs, den Aufwand für das Spritzen selbst, die Vermeidung von rückfallgefährdenden Verhaltensweisen, das Aufsuchen von Orten für die Injektionen sowie aktive Vorkehrungen zum Ausgleich von potenziellen Gesundheitsrisiken. Da der Begriff Therapieaufwand nach der Rechtsprechung des BSG weit zu fassen sei und darunter die Gesamtheit der Maßnahmen zur Behandlung einer Krankheit mit dem Ziel der Wiederherstellung der Gesundheit, der Linderung der Beschwerden und der Verhinderung von Rückfällen zu verstehen sei, sei der Therapieaufwand zur Herstellung einer guten Stoffwechsellage ein geeigneter Maßstab. Das LSG verkenne diesen Begriff, wenn es den GdB primär danach beurteile, welche Einschnitte sie jenseits derjenigen, die im Zusammenhang mit den Insulinverabreichungen stünden, hinzunehmen habe. Wenn das Insulin infolge tropischer Temperaturen unbrauchbar werde, habe das mittelbar ebenfalls mit dem Therapieaufwand zu tun. Nichtbehinderte müssten sich insoweit nicht mit entsprechenden zusätzlichen Vorkehrungen gegen Hitze oder auch Diebstahl der Insulintasche belasten.
- 17
-
Nach den Bewertungsgrundsätzen in Teil B Nr 15.1 Anl VersMedV nF würden die bei der GdB-Bewertung zu berücksichtigenden Teilhabestörungen unter dem Oberbegriff "Einschnitte in die Lebensführung" zusammengefasst. Der Therapieaufwand und die damit verbundenen Einschnitte in die Lebensführung seien aber nicht die einzige Art und Weise, wie die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft durch den Diabetes mellitus beschränkt werde. Soweit sie ihren Ausschluss von bestimmten Sportarten geschildert habe, gehe es indes nicht um den Therapieaufwand, sondern um den Ausschluss von Möglichkeiten, die Freizeit zu gestalten und damit um Teilhabemöglichkeiten am Leben in der Gesellschaft. Werde Teil B Nr 15.1 Anl VersMedV nF in dieser Weise verstanden und angewendet, sei ihr GdB mit mindestens 50 festzusetzen.
- 18
-
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 21. Februar 2012 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 14. März 2011 zurückzuweisen.
- 19
-
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
- 20
-
Er trägt im Wesentlichen vor: Eine Verletzung der von der Klägerin genannten Verfahrensvorschriften liege seines Erachtens nicht vor. Insbesondere sei die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 23.12.2010 nahezu wörtlich im Widerspruchsbescheid wiedergegeben. Auf der Grundlage der Zweiten Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 14.7.2010 sei der GdB mit 40 korrekt bewertet. Danach sei Voraussetzung für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft neben der täglich viermaligen Insulininjektion bei jeweiliger Anpassung der Dosis eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung. Das wäre der Fall, wenn sich die Stoffwechsellage trotz des definierten täglichen Therapieaufwandes weiterhin so unbefriedigend zeige, dass eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung nachvollziehbar sei. Nicht der Fall sei dies, wenn sich die Stoffwechsellage im Ergebnis des therapeutischen Aufwandes - wie im Fall der Klägerin - überwiegend als gut eingestellt erweise. Dieses Rechtverständnis werde von der Begründung der Änderungsverordnung gestützt.
Entscheidungsgründe
- 21
-
Die Revision der Klägerin ist zulässig. Sie ist Kraft Zulassung durch das LSG statthaft und innerhalb der gesetzlichen Fristen eingelegt und begründet worden. Die Begründung genügt den Anforderungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG.
- 22
-
Die Revision ist unbegründet.
- 23
-
Einer Sachentscheidung des Senats stehen Mängel des vorinstanzlichen Verfahrens nicht entgegen. Klage und Berufung sind zulässig. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung des Berufungsurteils, mit dem die Klage abgewiesen worden ist. Die Klägerin erstrebt die Wiederherstellung des Urteils des SG, mit dem der Beklagte verurteilt worden ist, den GdB der Klägerin ab April 2010 mit 50 festzustellen. Dieses prozessuale Ziel, das die Klägerin zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 SGG - zur statthaften Klageart vgl BSG Urteil vom 12.4.2000 - B 9 SB 3/99 R - SozR 3-3870 § 3 Nr 9 S 21 f; Urteil vom 2.12.2010 - B 9 SB 3/09 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 12 RdNr 11) verfolgt, erreicht sie nicht.
- 24
-
Zunächst ist die Rüge, das angefochtene Urteil sei iS der § 136 Abs 1 Nr 6, § 128 Abs 1 S 2 SGG nicht mit Gründen versehen, jedenfalls unbegründet. Es trifft zwar zu, dass das LSG auch für den Beurteilungszeitraum vor dem 22.7.2010 (ohne nähere Begründung) Teil B Nr 15.1 Anl VersMedV idF vom 14. 7.2010 (nF) zu Grunde gelegt hat. Insoweit fehlen jedoch keine Entscheidungsgründe. Das LSG hat lediglich nicht deutlich gemacht, warum es die erst am 22.7.2010 in Kraft getretenen Bestimmungen auch für die Zeit davor als maßgeblich ansieht. Soweit die Klägerin der Ansicht ist, das LSG habe insoweit einen falsche Rechtsgrundlage angewendet, betrifft ihre Rüge einen Rechtsanwendungsfehler, jedoch keinen Verfahrensmangel (zum Begriff Verfahrensmangel s Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 10. Aufl 2012, § 144 RdNr 32 mwN).
- 25
-
Der Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines GdB von 50 richtet sich nach § 69 Abs 1 und 3 SGB IX vom 19.6.2001 (BGBl I 1046, 1047) idF vom 13.12.2007 (BGBl I 2904). Nach § 69 Abs 1 S 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs 1 S 4 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 69 Abs 1 S 5 SGB IX gelten die Maßstäbe des § 30 Abs 1 BVG entsprechend. Durch diesen Verweis auf § 30 Abs 1 BVG stellt § 69 SGB IX auf das versorgungsrechtliche Bewertungssystem ab, dessen Ausgangspunkt die "Mindestvomhundertsätze" für eine größere Zahl erheblicher äußerer Körperschäden iS der Nr 5 Allgemeine Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG sind. Die weitere Bezugnahme in § 69 Abs 1 S 5 SGB IX betrifft die aufgrund des § 30 Abs 17 BVG erlassene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs 1 und 3, des § 30 Abs 1 und des § 35 Abs 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl I 2412), die zuletzt durch die Verordnung vom 11.10.2012 (BGBl I 2122) geändert worden ist (vgl auch BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 10 RdNr 16 f). Als Anlage zu § 2 VersMedV sind "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Anl VersMedV) veröffentlicht worden, in denen ua die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) iS des § 30 Abs 1 BVG festgelegt worden sind.
- 26
-
Die zum 1.1.2009 in Kraft getretene Anl VersMedV stellt ihrem Inhalt nach nicht nur eine Konkretisierung der Regelung des § 69 SGB IX, sondern auch ein antizipiertes Sachverständigengutachten dar(stRspr des BSG; vgl Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 25 mwN; vgl auch zur Rechtslage nach dem Schwerbehindertengesetz: BVerfG Beschluss vom 6.3.1995 - 1 BvR 60/95 - SozR 3-3870 § 3 Nr 6 S 11 f). Sie berücksichtigt dabei den Behinderungsbegriff der "Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit und Behinderung" (deren Weiterentwicklung wurde im Mai 2001 von der Weltgesundheitsorganisation als ICF verabschiedet) als Grundlage des Bewertungssystems, auch wenn dieses Klassifikationsmodell darin bislang noch nicht überall konsequent umgesetzt worden ist (vgl VersMedV, Einleitung S 5, 1. Aufl 2009). Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe im Leben in der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die GdB-Bewertung auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (vgl BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 28; BSG Urteil vom 29.8.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSGE 67, 204, 208 = SozR 3-3870 § 4 Nr 1 S 5 f; dazu auch Masuch, SozSich 2004, 314, 315; Straßfeld, SGb 2003, 613).
- 27
-
Dem trägt die Anl VersMedV im Grundsatz Rechnung. Dementsprechend ist deren Inhalt nicht (ausschließlich) mit Hilfe juristischer Auslegungsmethoden zu ermitteln; vielmehr sind diesbezügliche Zweifel vorzugsweise durch Nachfrage bei dem verantwortlichen Urheber, hier also beim "Ärztlichen Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin" bzw dem für diesen geschäftsführend tätigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales - BMAS (§ 3 VersMedV), zu klären (vgl zB dazu BSG Urteil vom 24.4.2008 aaO). Darüber hinaus ist die VersMedV (nebst Anlage) an den rechtlichen Vorgaben der §§ 2, 69 SGB IX zu messen. Dazu gehört, dass sie dem aktuellen Stand der Medizin entsprechen muss (vgl dazu BSG Urteil vom 18.9.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 91, 205 = SozR 4-3250 § 69 Nr 2 jeweils RdNr 14; Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 25; Urteil vom 2.12.2010 - B 9 SB 3/09 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 12 RdNr 14; § 69 Abs 1 S 5 SGB IX, § 30 Abs 17 BVG iVm §§ 2, 3 Abs 1 VersMedV). Bei Verstößen dagegen sind die jeweiligen Bestimmungen nicht oder nur mit Maßgaben anzuwenden (vgl auch BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 10 RdNr 19; BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - juris RdNr 30).
- 28
-
Die Bemessung des GdB ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (vgl Urteil vom 29.11.1956 - 2 RU 121/56 - BSGE 4, 147, 149 f; Urteil vom 9.10.1987 - 9a RVs 5/86 - BSGE 62, 209, 212 f = SozR 3870 § 3 Nr 26 S 83; Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - aaO RdNr 23 mwN). Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Darüber hinaus sind vom Tatsachengericht die rechtlichen Vorgaben zu beachten. Rechtlicher Ausgangspunkt sind stets § 2 Abs 1, § 69 Abs 1 und 3 SGB IX(s zuletzt BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - aaO RdNr 16 bis 21 mwN); danach sind insbesondere die Auswirkungen nicht nur vorübergehender Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft maßgebend.
- 29
-
Zur GdB-Bewertung bei Diabetes mellitus hat der Senat in mehreren Urteilen Stellung genommen. Mit Urteil vom 24.4.2008 (- B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9) hat er sich mit den Bewertungsgrundsätzen der früheren Nr 26.15 Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP, Ausgaben 1996 und 2004) befasst. Mit Urteil vom 11.12.2008 (- B 9/9a SB 4/07 R - juris) hat er sich zu der vorläufigen Neufassung des Abschnitts Diabetes mellitus in Nr 26.15 der AHP geäußert. Mit Urteil vom 23.4.2009 (- B 9 SB 3/08 R - juris) hat der erkennende Senat Teil B Nr 15 vom 10.12.2008 als nichtig angesehen, weil darin, wie in der vorläufigen Neufassung der AHP allein die Einstellungsqualität und - noch - nicht der die Teilhabe beeinträchtigende Therapieaufwand berücksichtigt worden war. Schließlich hat der Senat mit Urteil vom 2.12.2010 (- B 9 SB 3/09 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 12) zu Teil B Nr 15.1 Anl VersMedV idF vom 14.7.2010 entschieden, dass diese Vorschrift mit § 69 SGB IX vereinbar und wirksam ist und auf sie auch in der Zeit vor ihrem Inkrafttreten zurückgegriffen werden kann(aaO RdNr 30 ff insbes 38).
- 30
-
Im vorliegenden Fall zu beurteilen ist der Zeitraum ab Antragstellung durch die Klägerin im April 2010, sodass (formal) betrachtet für die Zeit vom 1.4.2010 bis zum 21.7.2010 die am 1.1.2009 in Kraft getretene Regelung in Teil B Nr 15.1 Anl VersMedV idF vom 10.12.2008 heranzuziehen ist. Entsprechend den Urteilen des erkennenden Senats vom 23.4.2009 und 2.12.2010 (jeweils aaO) ist diese Vorschrift jedoch nicht zur GdB-Bewertung geeignet. Vielmehr kann auf die Neufassung der Vorschrift idF vom 14.7.2010 zurückgegriffen werden.
- 31
-
Für die Zeit ab dem 22.7.2010 ist die vom BMAS im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates erlassene Regelung in Teil B Nr 15.1 Anl VersMedV nF unmittelbar anzuwenden.
- 32
-
Die Vorschrift hat folgenden Inhalt, der sich zwar unmittelbar auf die Feststellung des GdS bezieht, jedoch für die Bemessung des GdB entsprechend gilt (vgl Teil A Nr 2 Anl VersMedV):
15.1 Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus)
Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdS rechtfertigt. Der GdS beträgt 0.
Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 20.
Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 30 bis 40.
Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdS beträgt 50.
Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdS-Werte bedingen.
- 33
-
Hierzu hat der erkennende Senat bereits im Einzelnen ausgeführt, dass diese neugefassten Beurteilungsgrundsätze den Vorgaben seiner Rechtsprechung in den Urteilen vom 24.4.2008, 11.12.2008 und 23.4.2009 (jeweils aaO) genügen und Anhaltspunkte dafür, dass diese Bestimmungen nicht dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen könnten, nicht ersichtlich sind (Urteil vom 2.12.2010, aaO, RdNr 26).
- 34
-
Soweit es die hier streitige Feststellung eines GdB von 50 betrifft, enthält Teil B Nr 15.1 Abs 4 Anl VersMedV nF seinem Wortlaut nach drei Beurteilungskriterien: täglich mindestens vier Insulininjektionen, selbstständige Variierung der Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung sowie (durch erhebliche Einschnitte) gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung. Diese Kriterien sind nach Auffassung des Senats nicht jeweils gesondert für sich genommen starr anzuwenden; vielmehr sollen sie eine sachgerechte Beurteilung des Gesamtzustandes erleichtern.
- 35
-
Dementsprechend kann das Erfordernis von "täglich mindestens vier Insulininjektionen" entgegen der Auffassung des Beklagten nicht so verstanden werden, dass ausnahmslos an allen Tagen eine Anzahl von vier Insulininjektionen durchgeführt werden muss. Der Senat hat insoweit bereits entschieden, dass eine Bewertung des GdB, die sich ausschließlich an der Zahl der Insulininjektionen pro Tag orientiert, nicht überzeugt. Vielmehr ist der Therapieaufwand neben der Einstellungsqualität zu beurteilen (s Urteil vom 24.4.2008, aaO RdNr 40). Dazu hat der Senat ausgeführt, dass der GdB relativ niedrig anzusetzen sein wird, wenn mit geringen Therapieaufwand eine ausgeglichene Stoffwechsellage erreicht wird, und der GdB bei (in beeinträchtigender Weise) wachsendem Therapieaufwand und/oder abnehmendem Therapieerfolg (instabilerer Stoffwechsellage) höher einzuschätzen sein wird (aaO). Obwohl die Begründung der Zweiten Verordnung zur Änderung der VersMedV insoweit inhaltlich keine konkrete Aussage trifft (BR Drucks 285/10), wollte der Verordnungsgeber der Rechtsprechung des BSG erklärtermaßen folgen (s BR Drucks 285/10 S 3). Es ist daher davon auszugehen, dass er bei der Neufassung des Teil B Nr 15.1 AnlVersMedV zum 22.7.2010 die Zahl von vier Insulininjektionen am Tag nicht als absoluten Grenzwert angesehen hat.
- 36
-
Des Weiteren verlangt das Erfordernis einer "selbstständigen" Variation der Insulindosis kein "ständiges" Anpassen der Dosis. Entscheidend ist die Abhängigkeit der jeweiligen Dosierung vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung. Sie kann demnach unter Umständen auch mehrfach gleich bleiben. In keinem Fall ist insoweit allein auf die Anzahl von zusätzlichen Korrekturinjektionen abzustellen.
- 37
-
Entgegen der Ansicht der Klägerin reicht ein Erfüllen dieser beiden, auf den Therapieaufwand bezogenen Beurteilungskriterien nicht aus. Vielmehr muss die betreffende Person durch Auswirkungen des Diabetes mellitus auch insgesamt gesehen erheblich in der Lebensführung beeinträchtigt sein. Das kommt in Teil B Nr 15.1 Abs 4 Anl VersMedV durch die Verwendung des Wortes "und" deutlich zum Ausdruck. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Verordnungsgeber davon ausgegangen ist, dass bei einem entsprechenden Therapieaufwand immer eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung vorliegt. Je nach den persönlichen Fähigkeiten und Umständen der betreffenden Person kann sich die Anzahl der Insulininjektionen und die ständige Anpassung der Dosis nämlich unterschiedlich stark auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken. Abgesehen davon ist für die Beurteilung des GdB bei Diabetes mellitus auch die jeweilige Stoffwechsellage bedeutsam (vgl auch Teil B Nr 15.1 Abs 3 Anl VersMedV; allgemein dazu BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 40), die im Rahmen der Prüfung des dritten Merkmals (gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung) berücksichtigt werden kann. Die durch erhebliche Einschnitte bewirkte gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung kann mithin auf Besonderheiten der Therapie beruhen, etwa wenn ein Erkrankter aufgrund persönlicher Defizite für eine Injektion erheblich mehr Zeit benötigt als ein anderer, im Umgang mit den Injektionsutensilien versierter Mensch. Einschnitte in der Lebensführung zeigen sich daneben auch bei einem unzulänglichen Therapieerfolg, also der Stoffwechsellage des erkrankten Menschen.
- 38
-
Dieser Auslegung steht - wie das LSG zutreffend erkannt hat - nicht entgegen, dass es im letzten Teilsatz des Abs 4 heißt: "erleiden auf Grund dieses Therapieaufwandes eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung". Diese Formulierung mag zwar sprachlich unklar erscheinen und in einem gewissem Widerspruch zu den zuvor aufgeführten drei Merkmalen stehen, sie ändert jedoch nichts an der durch § 69 SGB IX gebotenen umfassenden Betrachtung des Gesamtzustandes. Jedenfalls kann aus ihr nicht der Schluss gezogen werden, der Verordnungsgeber habe eine Mindestzahl von mit selbstständiger Dosisanpassung verbundenen Insulininjektionen für die Feststellung eines GdB von 50 ausreichen lassen wollen.
- 39
-
Diese Bestimmung des Inhalts des Teil B Nr 15.1 Anl VersMedV nF gewinnt der Senat allein aufgrund einer Auslegung des Wortlauts der Vorschrift vor dem Hintergrund seiner zitierten Rechtsprechung. Unklarheiten, die nur mit Hilfe medizinischen oder anderweitigen Sachverstands beseitigt werden können, sind nicht ersichtlich. Aus diesem Grund bleibt auch die Rüge der Klägerin, das LSG hätte den Inhalt der Vorschrift durch eine Befragung des zuständigen Sachverständigenbeirats beim BMAS klären müssen, ohne Erfolg.
- 40
-
Auf dieser rechtlichen Grundlage verlangt die Bewertung des GdB eine am jeweiligen Einzelfall orientierte Beurteilung, die alle die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinflussenden Umstände berücksichtigt. Gemessen an diesen Kriterien ist das Berufungsurteil rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50.
- 41
-
Nach den Feststellungen des LSG führt die Klägerin nicht ständig eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Injektionen durch. Auch komme es nicht zu einer "ständigen" Anpassung der Insulingabe. Trotz ihres individuellen Therapieaufwands werde die Klägerin nicht durch eine schlechte Einstellungsqualität in ihrer Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt. Sie erleide in ihrer gesamten Lebensführung (Beruf, Sport, Reisen) keine gravierenden krankheitsbedingten Einschränkungen. Zu schweren hypoglykämischen Entgleisungen sei es noch nie gekommen.
- 42
-
Soweit die Klägerin die Feststellung des LSG zur Häufigkeit ihrer täglichen Insulininjektionen mit der Begründung angreift, das LSG habe dabei ihr rechtliches Gehör verletzt, dringt sie damit nicht durch. Der in §§ 62, 128 Abs 2 SGG konkretisierte Anspruch auf rechtliches Gehör(Art 103 Abs 1 GG) soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen mit einbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). In diesem Rahmen besteht jedoch weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage, noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage im Rahmen der mündlichen Verhandlung bereits die endgültige Beweiswürdigung darzulegen, denn das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern. Art 103 Abs 1 GG gebietet vielmehr lediglich dann einen Hinweis, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE 84, 188, 190). Das gilt grundsätzlich auch für nicht rechtskundig vertretene Beteiligte, wenn es sich nicht um komplizierte tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten oder Überlegungen handelt. Bei der Zahl täglich erforderlicher Injektionen handelt es sich nicht um einen komplizierten tatsächlichen Umstand. Jeder kann ihn ohne juristischen oder anderweitigen besonderen Sachverstand erfassen.
- 43
-
Entgegen der Darstellung der Klägerin war eine Sachlage, bei der sie nicht damit zu rechnen brauchte, dass das LSG die täglich erforderliche Zahl von Insulininjektionen anspricht und wertet, vor der Entscheidung des LSG nicht gegeben. Der Klägerin musste schon aufgrund des Inhalts des Widerspruchsbescheides sowie des Urteils des SG klar sein, dass es maßgebend auch auf die Häufigkeit der täglichen Insulininjektionen ankam und diese nicht als ausreichend angesehen werden könnte. Denn der Beklagte hat die vom LSG schließlich ausdrücklich genannte versorgungsärztliche Stellungnahme von Frau S. vom 23.12.2010 im Widerspruchsbescheid vom 27.12.2010 bereits inhaltlich wiedergegeben. Zwar hat der Beklagte in seiner weiteren Begründung den Schwerpunkt auf das Fehlen einer ständigen Anpassung der Dosierung gelegt. Das SG hat jedoch ausdrücklich ausgeführt, die "Tatsache, dass sich die Klägerin nach ihren Aufzeichnungen an einigen Tagen nur drei Insulininjektionen verabreicht" habe, sei darauf zurückzuführen, dass sie an diesen Tagen nur zwei Mahlzeiten zu sich genommen habe. Damit seien zwar die Voraussetzungen nach dem Wortlaut der Vorschrift ("täglich mindestens vier Insulininjektionen") nicht erfüllt. Es sei jedoch nicht sachgerecht, den GdB nach der Anzahl der Mahlzeiten festzulegen.
- 44
-
Dem ist der Beklagte mit seiner Berufung entgegengetreten und hat - unter Wiederholung der Begründung des Widerspruchsbescheides - vorgetragen, dass nach dem vorliegenden Diabetiker-Tagebuch für den Zeitraum vom 3.6. bis 7.9. (ohne Jahresangabe - 96 Tage) die Klägerin sich "zwei- bis viermal täglich Bolusinsulin und einmal Basisinsulin injiziert" habe. Aus diesen Angaben ergibt sich nicht durchgängig eine Anzahl von mindestens vier Injektionen am Tag. Der weitere Verlauf des Berufungsverfahrens (Schriftsatz des Beklagten vom 4.10.2011 mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 30.9.2011 und insbesondere Erörterungstermin am 21.12.2011) lässt nicht erkennen, dass der Beklagte eine tägliche Mindestzahl von vier Insulininjektionen eingeräumt oder dass sich das LSG inhaltlich so geäußert hätte.
- 45
-
Aus diesem Ablauf und Inhalt des Verfahrens konnte die Klägerin demzufolge entnehmen, dass die Häufigkeit der täglichen Insulininjektionen maßgebend für die Beurteilung des GdB ist und sie nach dem bisherigen Stand des Verfahrens eine Mindestzahl von vier Injektionen täglich nicht erreicht. Jedenfalls musste die Klägerin mit einer solchen Beweiswürdigung des LSG rechnen. Dementsprechend konnte es für sie objektiv keine Überraschung sein, dass das LSG im Berufungsurteil diesen Umstand aufgreift und rechtlich würdigt.
- 46
-
Des Weiteren ist unbeachtlich, dass die Vorinstanz irrtümlich eine "ständige" (anstelle einer "selbstständigen") Dosisanpassung verlangt, denn jedenfalls fehlt es nach dem berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen an einer durch erhebliche Einschnitte gravierend beeinträchtigten Lebensführung der Klägerin. Detaillierte Tatsachenfeststellungen sind insoweit nicht erforderlich gewesen, da das LSG die ausführlichen Angaben der Klägerin zugrunde gelegt hat. Soweit die Klägerin rügt, das LSG habe seine Feststellung, sie - die Klägerin - habe über Jahre hinweg beruflich und privat ohne gravierende Einschränkungen gelebt, getroffen, ohne über die für diese Beurteilung erforderliche soziologische und sozialmedizinische Sachkunde zu verfügen, greift diese Rüge nicht durch. Denn für die Beurteilung einer im Wesentlichen "normalen Lebensführung" bedarf es keiner besonderen Sachkunde. Die entsprechende Beurteilung kann der Tatrichter ohne sachverständige Unterstützung selbst vornehmen. Überdies hat sich das LSG insoweit ersichtlich neben den eigenen Angaben der Klägerin auch auf die sozialmedizinische Beurteilung der Versorgungsärztin Dr. W. in deren in das Verfahren einbezogenen Stellungnahme vom 13.2.2012 gestützt. Dabei sind auch die von der Klägerin geschilderten einschränkenden Umstände (zB Schwierigkeiten bei Reisen in die Tropen, Unmöglichkeit der Ausübung des Tauchsports) berücksichtigt worden.
- 47
-
Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG ist es zudem - auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens - auszuschließen, dass der GdB der Klägerin gemäß Teil B Nr 15.1 Abs 5 Anl VersMedV einen Wert von 50 erreicht. Nach dieser Vorschrift können außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen jeweils höhere GdB-Werte bedingen. Ausgehend von einem GdB von 40 wäre danach eine Erhöhung auf 50 theoretisch möglich. Die Voraussetzungen der Vorschrift sind jedoch zweifelsfrei nicht erfüllt, da entsprechende Stoffwechsellagen bei der Klägerin nicht festgestellt worden sind.
- 48
-
Schließlich geht die von der Klägerin in diesem Zusammenhang vertretene Ansicht fehl, sie dürfe wegen ihres konsequenten Therapieverhaltens und ihrer vernünftigen Lebensführung in Bezug auf ihre Erkrankung bei der Festsetzung des GdB nicht "schlechter" behandelt werden als ein behinderter Mensch, der bei gleicher Krankheitslage wegen einer nicht so konsequent durchgeführten Therapie eine schlechtere Stoffwechsellage aufweise und dem deswegen ein höherer GdB als ihr zuerkannt werde. Die Klägerin übersieht, dass die Beurteilung des GdB im Schwerbehindertenrecht ausschließlich final, also orientiert an dem tatsächlich bestehenden Zustand des behinderten Menschen zu erfolgen hat, ohne dass es auf die Verursachung der dauerhaften Gesundheitsstörung ankommt (vgl Oppermann in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 69 SGB IX RdNr 23 mwN). Das gilt sowohl hinsichtlich unbeeinflussbarer Kausalzusammenhänge (s dazu BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 10 RdNr 20 mwN) als auch für Vorgänge, auf die der Betroffene Einfluss nehmen kann oder die er sogar selbst zu verantworten hat. Insofern kommt es nicht darauf an, welche Folgen eine Vernachlässigung der Diabetes-Therapie bei der Klägerin haben würde.
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Trier vom 23.07.2010 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) sowohl im Zugunstenverfahren als auch im Neufeststellungsverfahren.
- 2
Der im Jahre 1964 geborene Kläger leidet seit seinem dreizehnten Lebensjahr an Diabetes mellitus Typ I.
- 3
Erstmals im Juli 2003 beantragte er die Feststellung seiner Behinderung und des GdB.
- 4
Der Beklagte zog daraufhin zahlreiche ärztliche Unterlagen bei.
- 5
Nach versorgungsärztlicher Beteiligung stellte der Beklagte mit Bescheid vom 13.10.2003 als Behinderung mit einem GdB von 40 ab dem 01.01.1999 fest:
- 6
Insulinpflichtiger Diabetes mellitus (Einzel-GdB 40);
Bluthochdruck (Einzel-GdB 10).
- 7
Widerspruch, Klage, Berufung, Nichtzulassungsbeschwerde und Verfassungsbeschwerde des Klägers gegen diese Entscheidung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - Trier vom 26.08.2004 - S 6 SB 3/04; Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 29.03.2006 - L 4 SB 195/04 -; Beschluss des Bundessozialgerichts - BSG - vom 21.11.2007 - B 9/9a 34/06 B -; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 17.04.2008 - 1 BvR 410/08).
- 8
Im Januar 2009 beantragte der Kläger gemäß § 44 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) die Rücknahme der früheren Entscheidungen sowie die Feststellung eines höheren GdB im Zugunstenverfahren. Nach der Entscheidung des BSG vom 24.04.2008 habe sich die Rechtslage entscheidend geändert. Nunmehr sei auch der Therapieaufwand zu berücksichtigen. Sein Therapieaufwand sei sehr hoch. Er benötige bis zu zehn Spritzen pro Tag nach entsprechenden Blutzuckermessungen.
- 9
Der Beklagte holte Befundberichte des Internisten und Diabetologen Dr B aus T (M d B ) vom 12.06.2009 ein und nahm ein Attest der Fachärzte für Allgemeinmedizin Dr W S und Frau Dr S T vom 25.06.2009 zu den Akten.
- 10
Nach versorgungsärztlicher Beteiligung lehnte das Amt für soziale Angelegenheiten Trier mit Bescheid vom 22.07.2009 die Erteilung eines Zugunstenbescheides und die Feststellung eines höheren GdB ab. Das BSG-Urteil habe seinen Niederschlag in der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze - VmG -) gefunden. Danach sei der GdB unter Insulintherapie, auch in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Medikamenten, je nach Stabilität oder Stoffwechsellage (stabil oder mäßig schwankend) mit 30 bis 40 zu bewerten. Ein GdB von 50 komme erst bei dem gelegentlichen Auftreten schwerer Hypoglykämien in Betracht. Diese seien bei dem Kläger nicht nachgewiesen.
- 11
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, es bestehe eine Stoffwechselinstabilität. Außerdem sei es zu einer Verschlimmerung gekommen. Neu aufgetreten sei in den letzten beiden Quartalsuntersuchungen eine Mikroalbuminurie. Die augenärztliche Untersuchung habe keine diabetische Retinopathie ergeben. Die vergleichsweise guten Zuckerhämoglobinwert (HbA1c-Werte) (6,2 % bis 6,8 %) könnten nur dadurch erreicht werden, dass die hohen Blutzuckerwerte durch eine entsprechend große Zahl tief normaler bzw hypoglykämischer Blutzuckerwerte kompensiert würden. Dies ergebe sich auch aus der ärztlichen Bescheinigung von Dr B vom 12.06.2009.
- 12
Der Beklagte holte eine Auskunft bei Dr B vom 31.08.2009 ein.
- 13
Nach versorgungsärztlicher Beteiligung wies das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung den Widerspruch mit Bescheid vom 19.10.2009 zurück. Für den Diabetes mellitus sei ein GdB von 40 ausreichend. Ein erhöhter Therapieaufwand, der zu einem höheren GdB führen würde, liege nicht vor. Nach den Ausführungen des Diabetologen Dr B führe der Kläger eine typische intensivierte Insulintherapie mit den typischen Dosierungen durch. Schwere Hypoglykämien seien nicht aufgetreten. Es liege ein vergleichsweise guter HbA1c-Wert vor. Ein außergewöhnlicher Therapieaufwand bestehe nicht. Eine instabile Stoffwechsellage liege nicht vor. Zu Schäden an Nieren, Herz und den Gefäßen sei es nicht gekommen.
- 14
Im hiergegen durchgeführten Klageverfahren hat das SG Trier ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin, Diabetologie und Kardiologie Dr S vom 22.12.2009 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, bei dem Kläger bestehe ein Typ I-Diabetes mellitus seit 1977. Aus diesem Diabetes-Typ ergebe sich zwangsläufig die Notwendigkeit einer Insulintherapie. Diese praktiziere der Kläger in Form eines Insulinregimes bestehend aus dreimal täglich Basalinsulin und vier- bis siebenmal täglich kurzwirksames Insulin. Die Stoffwechseleinstellung sei hierunter bei einem HbA1c-Wert von 6,8 % und fehlenden schweren Hypoglykämien (keine ärztliche oder sonstige Fremdhilfe) zufriedenstellend. Es bestehe eine krankheitstypische Stoffwechselinstabilität. Der Therapieaufwand sei als durchschnittlich anzusehen. Folgeschäden, welche eine Teilhabe des Klägers am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigten, seien nicht zu objektivieren. Der Therapieaufwand nehme zweifelsfrei täglich eine gewisse Zeit für das Messen des Blutzuckers und die Injektionen in Anspruch, jedoch nur in für die Erkrankung typischem Umfang. Der Kläger gehe einer regelmäßigen beruflichen Tätigkeit nach und praktiziere auch Freizeitaktivitäten (Volleyball, Badminton). Unter Berücksichtigung aller Facetten der Grunderkrankung, der Folgeschäden und des Therapieaufwandes sei ein GdB von 40 ausreichend. Des Weiteren leide der Kläger an einer Hypertonie, die mit einem GdB von 10 zu bewerten sei. Der Gesamt-GdB betrage 40.
- 15
Der Kläger hat Einwände gegen dieses Gutachten erhoben. Es könne nicht zu seinem Nachteil ausgelegt werden, dass die Eigentherapie weitgehend gelungen sei. Bewerte man den Diabetes mellitus Typ I nur mit einem GdB von 40, so stelle dies einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art 3 Grundgesetz - GG -) dar. Auch Art 1 GG (Menschenwürde) und Art 2 Abs 2 (Freiheitsrechte) seien verletzt. Die Lebenszeit sei durch seine chronische Krankheit erheblich verkürzt. Hieraus resultiere bereits eine Minderung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dr S lasse in seinem Gutachten wesentliche Faktoren unberücksichtigt.
- 16
Die Beklagte hat versorgungsärztliche Stellungnahmen von Dr B vom 28.01.2010 und 14.04.2010 vorgelegt.
- 17
Mit Gerichtsbescheid vom 23.07.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB nach dem SGB IX. Dies habe auch der Sachverständige Dr S zutreffend dargelegt. Betrachte man die Therapie des Klägers konkret, so bestehe sie in der Regel in der Gabe von dreimal täglich Basalinsulin und vier- bis siebenmal täglich kurzwirksamem Insulin. Darunter werde eine zumindest zufriedenstellende Stoffwechseleinstellung erreicht. Auch der behandelnde Diabetologe Dr B habe insoweit eine "krankheitstypische" Stoffwechselinstabilität beschrieben. Folgeschäden, durch die eine Teilhabe des Klägers am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt würde, seien nicht feststellbar. Der Therapieaufwand sei nicht so hoch, dass hieraus ein GdB von 50 resultiere. Dies zeige auch ein Vergleich mit sonstigen Behinderungen, die einen GdB von 50 rechtfertigten.
- 18
Am 19.08.2010 hat der Kläger gegen den am 30.07.2010 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung eingelegt.
- 19
Der Kläger trägt vor, er leide seit dreiunddreißig Jahren an Diabetes mellitus Typ I. Hierfür sei ein GdB von 40 viel zu niedrig. Mittlerweile gebe es neue Erkenntnisse. Der Gesetzgeber habe mit der "Zweiten Verordnung zur Veränderung der VersMedV vom 14.07.2010" die Bewertung des Diabetes mellitus geändert. Diese neuen Erkenntnisse habe auch der Sachverständige Dr S unberücksichtigt gelassen. Schwere Hypoglykämien seien nunmehr für die Feststellung eines GdB von 50 nicht mehr notwendig. Gleichwohl bleibe die neue Verordnung in seiner Ausgestaltung hinter den Forderungen des Therapie-Urteils des BSG zurück. Das BSG fordere ausdrücklich einen Vergleich mit anderen Behinderungen. Gerechtfertigt sei ein Vergleich von Diabetes-Typ I-Patienten mit Dialyse-Patienten. Die neue Verordnung erlaube einen höheren GdB bei einer "außergewöhnlich schwer regulierbaren Stoffwechsellage". Der Rechtsstreit sei an das SG zurückzuverweisen. Durch die Entscheidung durch Gerichtsbescheid sei das Recht auf Gehör (Art 103 GG) verletzt. Durch die Rechtsschutzverkürzung habe das Gericht auch gegen die Art 1 bis 3 GG verstoßen. Sein Anliegen sei seit dem Jahre 2003 verschleppt worden. Der durchschnittliche Verlust von 15 bis 20 Lebensjahren durch die Krankheit Diabetes mellitus Typ I erspare dem deutschen Staat für die Rente dieser Menschen aufkommen zu müssen. Die Steuergerechtigkeit werde erheblich verletzt. Die Blutzuckermessungen seien in seinen fünf verschiedenen Messgeräten gespeichert. Dies werde durch die Messtabellen bewiesen. Vor jeder Mahlzeit und vor jeder Insulininjektion bestimme er die Menge des zu gebenden Insulins. Er benötige zwei verschiedene Sorten Insulin. Beim Vertauschen könne es zu erheblichen gesundheitlichen Problemen kommen. Er sei nicht verpflichtet, ein manuelles Tagebuch zu führen. Dies habe das BSG im Urteil vom 02.12.2010 entschieden. Es gebe keine Entbindung von der Amtsermittlungspflicht. Dieses Urteil sei im Übrigen auf seinen Fall nicht übertragbar. Es handele sich offensichtlich um eine Klägerin mit Diabetes Typ II. Diese sei mit dem viel schlimmeren Diabetes Typ I nicht vergleichbar. Im Übrigen überzeuge das Urteil des BSG nicht. Sein Leben sei jeden Tag bedroht. Überzuckerung bedeute, dass sobald der Normbereich verlassen werde, eine Notlage bestehe. Dies sei 1 Stunde und 46 Minuten pro Tag der Fall. Bei 10 Spritzen pro Tag bedeute dies einen Zeitverlust von 20 Minuten (10 x 2 Minuten). Der Zeitverlust bei Dialyse-Patienten sei viel geringer.
- 20
Der Kläger beantragt,
- 21
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Trier vom 23.07.2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 22.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2009 aufzuheben und den Beklagten unter Rücknahme früherer Bescheide zu verurteilen, seinen Behinderungszustand mit einem höheren GdB festzustellen,
- 22
hilfsweise,
- 23
den Rechtsstreit an das Sozialgericht zurückzuverweisen,
- 24
weiter hilfsweise,
- 25
die Revision zuzulassen.
- 26
Der Beklagte beantragt,
- 27
die Berufung zurückzuweisen,
- 28
hilfsweise,
- 29
die Revision zuzulassen.
- 30
Er trägt - unter Bezugnahme auf eine versorgungsärztliche Stellungnahmen von Dr B vom 08.10.2010 und 09.05.2011 - vor, der angefochtene Gerichtsbescheid sei zutreffend. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der neuen Fassung der VmG. Dabei gehe es nicht allein um die Anzahl der täglichen Blutzuckermessungen und Insulininjektionen. Hierauf habe das BSG bereits im April 2008 ausdrücklich hingewiesen. Um einen GdB von 50 zu erhalten, seien täglich nicht nur mindestens vier Insulininjektionen erforderlich. Verlangt würden zusätzlich erhebliche Einschnitte in der Lebensführung. Der Kläger führe seit Jahren erfolgreich eine Insulintherapie durch. Dies habe auch sein Diabetologe Dr B bestätigt. Der Kläger sei mittlerweile bei der Umsetzung seiner Therapie so erfahren geworden, dass er schon im Jahre 2006 die täglich gemessenen Blutzuckerwerte und die angepassten Insulindosen nicht mehr dokumentiert habe. Er führe kein Diabetes-Tagebuch mehr. Diesbezüglich habe ihm bisher sein individuelles Therapiekonzept auch Recht gegeben. Der Kläger sei in der Lage, alles aus dem "Stehgreif" zu regeln. Dies nehme sicherlich eine gewisse Zeit in Anspruch, zu Unterzuckerungen, die eine Fremdhilfe im Sinne eines Notarzteinsatzes erforderlich gemacht hätten, sei es seit Jahren nicht mehr gekommen. Aus sozialmedizinischer Sicht habe der Sachverständige Dr S zutreffend darauf hingewiesen, dass bei dem Kläger keine derart ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung vorliege, die einen GdB von 50 begründen könnte. Der Behinderungszustand des Klägers sei nicht so schwer, wie etwa bei einem Herzkranken, der bereits bei alltäglicher leichter Belastung (Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit) Beschwerden habe und bei dem es bereits bei einer Ergometerbelastung mit 50 Watt zu pathologischen Messdaten komme. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Entscheidung des BSG vom 02.12.2010. Der Therapieaufwand des Klägers sei nicht derart hoch, dass hierdurch die Schwerbehinderteneigenschaft gerechtfertigt werde. Auch das BSG habe darauf hingewiesen, dass sportliche Betätigungen nicht als Teil des Therapieaufwandes gerechnet werden könnten. Auch alle anderen Maßnahmen, die die medikamentöse Therapie des Klägers unterstützten, gehörten zur gesunden Lebensführung eines jeden Menschen. Wenn der Kläger mehrere Glukosemessgeräte habe und diese auch benutze, so seien die jeweiligen Blutzuckerwerte registriert, nicht aber die tatsächliche Therapie.
- 31
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozessakte und den Inhalt der den Kläger betreffenden Schwerbehindertenakte des Amtes für soziale Angelegenheiten Trier verwiesen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
- 32
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB, weder im Zugunsten-, noch im Neufeststellungsverfahren.
- 33
Gemäß § 44 Abs 2 S 1 SGB X ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Nach S 2 dieser Vorschrift kann der Verwaltungsakt auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Auf Feststellungsbescheiden nach dem Schwerbehindertenrecht findet § 44 Abs 2 SGB X Anwendung.
- 34
Der Senat hat bereits mit Urteil vom 29.03.2006 (Az.: L 4 SB 195/04) festgestellt, dass die früheren Feststellungen über die Höhe des GdB des Klägers (Erstfeststellung mit Bescheid vom 13.10.2003) der damals geltenden Sach- und Rechtslage entsprochen haben. Auf diese Ausführungen wird - um Wiederholungen zu vermeiden - Bezug genommen.
- 35
Hieran hat sich auch durch die Rechtsprechung des BSG nichts geändert. Nach dem Urteil des BSG vom 24.04.2008 (Az.: B 9/9a SB 10/06 R) bedurften die Ausführungen der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) 2008, soweit sie die Bewertung des mit Insulin behandelten Diabetes mellitus betreffen, eine Modifikation: Die (im Gegensatz zu den AHP 1996 und 2004 getroffene) Unterscheidung zwischen den Typen I und II des Diabetes mellitus ist für die GdB-Bewertung nicht ausreichend, da sie klinischer Natur ist und - unter Berücksichtigung der Entstehung der Stoffwechselstörung - in erster Linie der Bestimmung der Behandlungsmethode dient. Bei dem Vorliegen einer Insulinbehandlung erlaubt sie jedoch keine trennscharfe Differenzierung nach den jeweils bestehenden Teilhabebeeinträchtigungen. Dementsprechend sind für die GdB-Bewertung andere Kriterien maßgebend. Der Begriff "einstellbar" in Nr 26.15 der AHP 2008 ist deshalb dahingehend auszulegen, dass er darauf abstellt, ob bei dem behinderten Menschen (nicht nur vorübergehend) tatsächlich eine stabile oder instabile Stoffwechsellage besteht und welcher Therapieaufwand dabei erfolgt. Maßgebend ist, wie leicht oder wie schwer die allgemeinen Therapieziele beim Diabetes mellitus, nämlich das Vermeiden und Hyperglykämien (erhöhten Blutzuckerwerten) und Hypoglykämien (Unterzuckerung), erreicht werden können.
- 36
Angesichts dieser Entscheidung des BSG hat der Verordnungsgeber unter Aufgabe der Differenzierung nach dem Typ I und dem Typ II des Diabetes mellitus - der Empfehlung des ärztlichen Sachverständigenbeirates "Versorgungsmedizin" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Rundschreiben vom 22.09.2008, IV C 3-48046-3) folgend - in Nr 15.1 Teil B VmG folgende Bewertung vorgesehen:
- 37
Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus mit Diät allein ohne blutzuckerregulierende Medikation) (GdB 0);
- 38
mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung nicht erhöhen (GdB 10);
- 39
mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung erhöhen (GdB 20);
- 40
unter Insulintherapie, auch in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Medikamenten, je nach Stabilität der Stoffwechsellage (GdB 30 bis 40);
- 41
unter Insulintherapie instabile Stoffwechsellage einschließlich gelegentlich schwerer Hypoglykämien (GdB 50);
- 42
Diese Bestimmungen sollten grundsätzlich auch für noch nicht bestandskräftig beschiedene Zeiträume vor Inkrafttreten der VersMedV am 01.01.2009 heranzuziehen sein (vgl BSG, Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a SGB 4/07 R).
- 43
Auf der Grundlage dieser Vorgaben stand dem Kläger kein höherer GdB als 40 zu. Eine instabile Stoffwechsellage ist nicht nachgewiesen und zu schweren Hypoglykämien ist es nicht gekommen. Dies hat das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid ausführlich und zutreffend dargelegt. Hierauf wird - um Wiederholungen zu vermeiden - gemäß § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug genommen. Auch der Sachverständige Dr S hat in seinem Gutachten vom 22.12.2009 unter Berücksichtigung der Vorgaben des BSG sowie der zum Zeitpunkt seiner Begutachtung geltenden VmG ausführlich und zutreffend dargelegt, dass der Diabetes mellitus des Klägers mit einem GdB von 40 zu bewerten ist. Der Senat hat keine Veranlassung hieran zu zweifeln.
- 44
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Neufeststellung seines GdB wegen der Änderung der VersMedV vom 14.07.2010 (BGBl I S 928).
- 45
Rechtsgrundlage für die Feststellung von Behinderungen und des GdB ist § 69 SGB IX. Hiernach ist auf einen entsprechenden Antrag des Behinderten das Vorliegen einer Behinderung gemäß § 2 Abs 1 S 1 SGB IX und der GdB - nach Zehnergraden abgestuft - in einem Bescheid festzustellen. Gemäß § 2 Abs 1 S 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.
- 46
Im Interesse einer einheitlichen und gleichmäßigen Behandlung hat der Gesetzgeber die VersMedV (BGBl I S 2412) mit der Anlage zu § 2 VmG (Anlageband zum BGBl I Nr 57 vom 15.12.2008), geändert durch die Erste Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 01.03.2010 (BGBl I S 249) sowie Zweite Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 14.07.2010 (BGBl I S 928) erlassen. Die darin aufgeführten GdB-Werte beruhen grundsätzlich auf neuesten medizinischen Erkenntnissen; sie sollen einen Anhalt zur Ermittlung des GdB und zur Auslegung des § 2 SGB IX bilden. Die VmG dienen somit der gleichmäßigen Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Schwerbehindertenrechts wie dies zuvor die AHP getan haben.
- 47
Bei dem Kläger sind zwei Teil-Behinderungen nachgewiesen:
- 48
Diabetes mellitus Typ I;
Hypertonie.
- 49
Der Diabetes mellitus (Teil-Behinderung Nr 1) ist mit einem GdB von 40 weiterhin zutreffend bewertet.
- 50
Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwandes und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB beträgt 30 bis 40.
- 51
Ein GdB von 50 ist nach der VmG (Teil B Ziffer 15.1) erst für an Diabetes erkrankte Menschen gerechtfertigt, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwandes eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessung und die Insulindosen (bzw Insulingaben und die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. In diesem Falle ist ein GdB von 50 gerechtfertigt.
- 52
Bei systematischer Betrachtungsweise der Neufassung der VmG sind bei einem GdB von 50 folgende Kriterien zu berücksichtigen:
- 53
Mindestens vier Insulininjektionen pro Tag;
selbständiges Variieren der Insulindosis;
gravierende und erhebliche Einschnitte in der Lebensführung;
- 54
Die Dokumentation der Blutzuckerselbstmessungen stellt keine Anspruchsvoraussetzung dar, sondern ein Beweismittel (vgl BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 3/09 R).
- 55
Die Voraussetzungen für die Feststellung eines GdB von 50 sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
- 56
Der Kläger führt zwar eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durch. Wie sich aus den ärztlichen Unterlagen und dem Gutachten des Sachverständigen Dr S ergibt, benötigt der Kläger dreimal täglich Basalinsulin. Hinzu kommt vier- bis siebenmal täglich die Gabe eines kurzwirksamen Insulins. Die Insulindosis ist auch abhängig vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit sowie der körperlichen Belastung. Anlässlich der Begutachtung durch Dr S hat der Kläger vorgetragen, er passe die gespritzte Insulindosis an die Essensart und -menge an.
- 57
Erhebliche Einschnitte, die sich so gravierend in der Lebensführung des Klägers auswirken, diese beeinträchtigen und die Schwerbehinderteneigenschaft rechtfertigen, bestehen indessen nicht. Der Kläger wird insbesondere nicht durch eine schlechte Einstellungsqualität beeinträchtigt. Bei der Beurteilung der Einstellungsqualität (Stoffwechsellage) des Diabetes ist der HbA1c-Wert entscheidend. Bei einem Wert unter 6 % ist davon auszugehen, dass kein Diabetes vorliegt oder dass der Patient "hervorragend" eingestellt ist. Bei einer Einstellung von 6 % bis 7 % ist von einer "guten bis ausreichenden", bei Werten zwischen 7 % und 8 % ist von einer "eher mäßigen", bei 8 % bis 10 % ist von einer "schlechten" und bei über 10 % von einer "sehr schlechten" Einstellung des Diabetes auszugehen. Aus den ärztlichen Unterlagen ergeben sich bei dem Kläger HbA1c-Werte von 6,2 % bis 6,8 %. Dies bedeutet einen gut allenfalls mäßig schwankenden bzw zufrieden eingestellten Diabetes mellitus.
- 58
Zu schweren hyperglykämischen Entgleisungen (ärztliche Fremdhilfe) ist es seit Jahren nicht gekommen. Schwere Unterzuckerungen, welche eine Fremdhilfe bedurften, sind in den letzten zehn Jahren nicht aufgetreten. In der Entscheidung vom 02.12.2010 hat das BSG (aaO) ausgeführt, dass ein Einzel-GdB von 50 - wie das Landessozialgericht zutreffend ausgeführt habe - schon deshalb ausscheide, weil bindend festgestellt sei, dass "ausgeprägte und schwere Hypoglykämien vermieden" würden. So verhält es sich auch im vorliegenden Fall. Streitig war zudem in der Entscheidung vom 02.12.2010, ob ein GdB von 30 oder 40 gerechtfertigt wäre. Ein GdB von 50 - alleine wegen des Diabetes - war nicht Gegenstand der Entscheidung. Da bei dem Kläger - wie dargelegt - ausgeprägte und schwere Hypoglykämien nicht nachgewiesen sind - scheidet ein GdB von 50 aus. Der Kläger hat anlässlich der Begutachtung durch Dr S angegeben, bei Hypoglykämiesymptomen messe er nicht seinen Blutzucker, sondern nehme unmittelbar Kost zum Ausgleich zu sich. Zu wesentlichen Folgeschäden durch den Diabetes mellitus ist es nicht gekommen. Bei dem Kläger besteht kein diabetisches Fußsyndrom. Zwar wurde mittlerweile eine beginnende Mikroalbuminurie festgestellt. Diese bestätigte sich in einem Wert von 2,35 mg/dl (normal bis 2,0 mg/dl). Es handelt sich hierbei jedoch noch nicht um einen diabetischen Nierenschaden, sondern lediglich um das Frühzeichen einer derartigen Schädigung. Die Ausscheidungsfunktion der Niere ist bei dem Kläger - worauf der Sachverständige Dr S hinweist - völlig normal. Anhaltspunkte für eine Makroangiopathie im Sinne einer peripheren allgemeinen Verschlusskrankheit oder Hinweise für eine koronare Herzkrankheit bzw für eine Augenschädigung oder Stenosierungen an den zerebralen Gefäßen haben sich bislang nicht gezeigt.
- 59
Auch darüber hinaus sind keine derart erheblichen Einschränkungen in der Lebensführung durch den Therapieaufwand erkennbar, die eine gravierende Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft erkennen lassen. Der Kläger betreibt nach eigenen Angaben mehrmals wöchentlich ein leichtes Ausdauertraining. Er geht einer regelmäßigen beruflichen Tätigkeit nach und praktiziert auch sonstige Freizeitaktivitäten. Beim Vergleich mit anderen Krankheitsbildern ist in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen Dr S und des Versorgungsarztes Dr B keine Schwerbehinderteneigenschaft anzunehmen. Nach den VmG (Teil B Ziffer 9.1) ist ein GdB von 50 etwa gerechtfertigt, bei Erkrankungen des Herzens mit Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung (zB Spazierengehen 3 km/h bis 4 km/h, Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit). Der Kläger ist trotz seines Diabetes wesentlich leistungsfähiger.
- 60
Wenn sich der medizinisch notwendige Therapieaufwand seiner Art und Weise nach nicht als krankheitsspezifisch darstellt (zB Blutzuckermessungen, Insulininjektionen), sondern allgemein einer gesunden Lebensweise entspricht (zB Ernährungsverhalten, körperliche Aktivität) ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine solche Lebensführung zumutbar in den Tagesablauf einbezogen und unter wertender Betrachtung nicht als nachteilige Auswirkung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft iS des § 69 Abs 1 S 4 SGB IX angesehen werden kann. Insoweit sind Menschen mit und ohne Behinderung in gleicher Weise dafür verantwortlich, durch eine gesunde Lebensweise den Eintritt von Krankheiten und Behinderung zu vermeiden bzw ihre Folgen zu überwinden oder zu verringern. Hält sich der medizinisch notwendige Therapieaufwand in dem Rahmen dessen, was auch Menschen ohne Behinderung allgemein als gesunde Lebensweise empfohlen wird, kann er mithin im Allgemeinen nicht bei der Bemessung des GdB (hier von Diabetes mellitus) berücksichtigt werden.
- 61
Unter Berücksichtigung diese Gegebenheiten ist davon auszugehen, dass sportliche Betätigung, soweit sie zur Behandlung einer Krankheit medizinisch notwendig ist, in der Regel keine nachteiligen Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft iS des § 69 Abs 1 S 4 SGB IX hat. Nur bei Hinzutreten besonders einschränkender Umstände kann im Einzelfall eine bei der Bemessung des GdB zu berücksichtigende Teilhabebeeinträchtigung angenommen werden, wenn die medizinisch notwendige sportliche Betätigung als Einschnitt in die Lebensführung die Gestaltung des Tagesablaufes in besonderem Maße prägt, weil sie zB aus medizinischen Gründen nach Ort, Zeit oder Art und Weise festgelegt ist oder ihrem Umfang nach erheblich über das Maß einer auch Menschen ohne Behinderung empfohlenen gesunden Lebensweise hinausgeht.
- 62
Dies ist bei dem Kläger nicht der Fall. Insoweit wäre unter alleiniger Berücksichtigung des Therapieaufwandes (Blutzuckermessung, Insulingabe) selbst ein GdB von 30 - keinesfalls aber ein GdB von 50 - vertretbar.
- 63
Der Senat schließt sich insoweit der Bewertung durch den Sachverständigen Dr S und den Ausführungen des Versorgungsarztes Dr B an.
- 64
Als weitere Teil-Behinderung besteht bei dem Kläger eine Hypertonie (Nr 2). Hierfür ist ein GdB von 10 ausreichend. Der Kläger berichtet über zumeist gemessene Werte zwischen 130 mm/Hg bis 135 mm/Hg (systolisch) und 80 mm/Hg bis 85 mm/Hg (diastolisch). Die Notwendigkeit für eine blutdrucksenkende Medikation besteht - worauf der Sachverständige Dr S hinweist - bislang noch nicht. Zu einer Organbeteiligung ist es nicht gekommen. Insgesamt handelt es sich um einen geringen Bluthochdruck, der nach den VmG (Teil B, Ziffer 9.3) mit einem GdB von 10 zu bewerten ist.
- 65
Sonstige Gesundheitsstörungen mit Behinderungswert liegen bei dem Kläger nicht vor. Für die Bildung des Gesamt-GdB ist somit von Einzel-GdB-Werten von 40, und 10 auszugehen.
- 66
Liegen mehrere Funktionseinschränkungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so ist der GdB nach den Auswirkungen der Funktionseinschränkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen (§ 69 Abs 3 SGB IX). Eine Addition der einzelnen Werte findet nicht statt. Auch andere Rechenmethoden sind unzulässig. Vielmehr sind im Rahmen einer natürlichen, wirklichkeitsorientierten und funktionellen Gesamtschau alle Auswirkungen in freier richterlicher Überzeugung zu werten (§ 287 Zivilprozessordnung - ZPO -). Von Ausnahmefällen abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 10 und vielfach auch mit einem GdB von 20 nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung (VmG, aaO, Teil A Ziffer 3).
- 67
Der höchste Einzel-GdB von 40 ist im vorliegenden Fall auf Grund des leichten Bluthochdrucks (Einzel-GdB 10) nicht zu erhöhen. Ein in den VmG vorgesehener Ausnahmefall, in denen Einzel-GdB-Werte von 10 addiert werden können, liegt nicht vor.
- 68
Der Senat hat auch keine Veranlassung den Rechtsstreit an das SG zurückzuverweisen. Selbst wenn die Voraussetzungen des § 159 Abs 1 SGG für eine Zurückverweisung an das SG vorliegen, steht es im Ermessen des Senats, ob es in der Sache selbst entscheidet oder zurückverweisen will (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl § 159 Rn 5). Das LSG ist in keinem Fall zur Zurückverweisung verpflichtet.
- 69
Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.
(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.
(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.