Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 28. Jan. 2016 - L 3 R 218/13

ECLI:ECLI:DE:LSGST:2016:0128.L3R218.13.0A
28.01.2016

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) streitig.

2

Der 1963 geborene Kläger hat nach Abschluss der 10. Klasse im Jahr 1982 die Lehre zum Agrotechniker/Mechanisator absolviert. Nach Erlangung des Facharbeiterabschlusses war er in diesem Beruf auch tätig. Anschließend arbeitete er bis 1991 als Schlosser sowie Anlagenschlosser. Von 1991 bis 2006 war er als Autobauer/Karosseriebauer/Produktionsmitarbeiter bei VW W. tätig. Der Kläger hat angegeben, diese Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben zu haben. Seitdem ist er arbeitslos und bezieht Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II).

3

Mit Bescheid vom 5. Januar 2011 des Landesverwaltungsamts - Versorgungsamt -, wurde beim Kläger ab dem 26. März 2010 ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt. Als maßgebende Funktionsbeeinträchtigungen werden die Bewegungseinschränkung beider Ellenbogen- und Handgelenke, eine Funktionsminderung beider Hüftgelenke, der Wirbelsäule und eine psychische Störung benannt.

4

Der Kläger beantragte bei der Beklagten am 4. Oktober 2007 die Zahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er begründete diesen Antrag mit seinen körperlichen und psychischen Problemen. Er habe im September 2006 aus gesundheitlichen Gründen aufgehört, zu arbeiten. Der Beklagten lag das Gutachten der Medizinaldirektorin (MD) Dr. W. vom 26. März 2007 nach Untersuchung des Klägers vor, welches für die Bundesagentur für Arbeit M. erstellt worden war. Sie schätzte eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Klägers insbesondere aufgrund der angeborenen Veränderungen im Bereich beider Ellenbogengelenke ein. Der Kläger sei für ständig leichte körperliche Arbeiten noch vollschichtig leistungsfähig. Auszuschließen seien insbesondere Zeitdruck, anhaltende Zwangshaltungen der Wirbelsäule sowie häufiges Bücken oder Heben und Tragen ohne mechanische Mittel. Die Beklagte holte den Befundbericht des Facharztes für Orthopädie Medizinalrat (MR) Dr. B. vom 9. Oktober 2007 ein, aus dem sich eine stetige Verschlechterung in den letzten zwölf Monaten ergab. Dr. B. teilte als Diagnosen multiple kartilaginäre Exostosen , ein chronisch-rezidivierendes lumbales Pseudoradikulärsyndrom , eine beginnende Gonarthrose sowie eine Sprunggelenksarthrose mit.

5

Die Beklagte holte das Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. F. vom 4. April 2008 nach Untersuchung des Klägers am 3. April 2008 ein. Dr. F. stellte folgende Diagnosen:

6

Multiple Osteochondrome .

7

Arthrose beider Ellenbogengelenke.

8

Lumbalsyndrom.

9

Periarthritis humeroscapularis beidseits .

10

Aufgrund der multiplen Osteochondrome sei es zu Wachstumsstörungen im Bereich der Knie-, Sprung-, Hüft-, Schulter- sowie der Handgelenke gekommen. Die Belastbarkeit des Klägers sei deutlich eingeschränkt. Es bestünde nur noch eine Eignung für leichte Arbeiten im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen. Die Tätigkeit als Karosseriebauer sei vollschichtig nicht mehr zumutbar.

11

Der Beklagten lag zudem das nach Untersuchung des Klägers für den MDK Sachsen-Anhalt e.V. erstellte sozialmedizinische Gutachten der MR Dipl.-Med. R. vom 29. Januar 2008 vor. Sie stellte fest, dass es sich beim Kläger um eine fortschreitende angeborene Osteochondrodysplasie mit vorwiegenden Funktionsstörungen und Deformierungen im Bereich der oberen Extremitäten und auch sichtbar im Knie- und Sprunggelenksbereich handele. Außerdem leide der Kläger unter einem chronisch-rezidivierenden Lumbalsyndrom. Sie empfahl Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Beklagte zog die arbeitsmedizinische Stellungnahme zur Abklärung der beruflichen Eignung vom Facharzt für Orthopädie Dr. R. vom Berufsförderungswerk Sachsen-Anhalt vom 10. Juli 2008 hinzu. Dieser schätzte ein, dass aus prognostischer Sicht künftig leichte, gelegentlich mittelschwere Arbeiten in wechselnder Haltung vollschichtig ausführbar seien. Auszuschließen seien schweres Heben und Tragen sowie Arbeiten mit Absturzgefahr. Tätigkeiten in gebückter, kniender und gehockter Haltung sowie Überkopfarbeiten seien eingeschränkt möglich. Dr. R. befürwortete ebenfalls eine berufliche Bildungsmaßnahme für eine leidensgerechte Tätigkeit zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben. Der Beklagten lag des Weiteren das nach Untersuchung des Klägers für den MDK Sachsen-Anhalt e.V. erstellte sozialmedizinische Gutachten der Dipl.-Med. N. vom 18. August 2008 vor. Diese erkannte darüber hinaus eine Somatisierungsstörung beim Kläger. Krankheitsbegründend sei zum Zeitpunkt der Begutachtung die psychische Situation des Klägers. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien erst nach Stabilisierung und Verbesserung des psychischen Gesundheitszustandes möglich. Aus dem ärztlichen Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik D. H. GmbH & Co. KG, Abteilung Psychosomatik, vom 28. April 2009 anlässlich der von der Beklagten bewilligten und vom 4. März 2009 bis zum 8. April 2009 durchgeführten stationären Rehabilitationsmaßnahme ergab sich ein Leistungsvermögen des Klägers im Umfang von sechs Stunden und mehr für mittelschwere Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen. Im Entlassungsbericht wurden folgende Diagnosen genannt:

12

Kombinierte Persönlichkeitsstörung mit paranoiden und anankastischen Anteilen und unterdurchschnittlicher Intelligenz.

13

Vegetative Symptomatik bei Agoraphobie mit psychosomatischer Beschwerdeverstärkung bei Stresserleben.

14

Sekundäre Anpassungsstörung mit leichter depressiver Beschwerdesymptomatik.

15

Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen.

16

Lokales cervicobrachiales vertebragenes Schmerzsyndrom bei muskulären Dysbalancen .

17

Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien zwar indiziert, würden vom Kläger jedoch aufgrund des im Vordergrund stehenden Rentenbegehrens nicht gewünscht. Aus orthopädischer Sicht sei der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für mittelschwere körperliche Tätigkeiten im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen ohne ständiges Heben und Tragen schwerer Lasten, Tätigkeiten in Zwangshaltung, Zeit- und Leistungsdruck sowie Arbeiten im Akkord einsetzbar. Arbeiten mit Publikumsverkehr sollten aus psychotherapeutischer Sicht wegen der Persönlichkeitsbesonderheiten vermieden werden. Ebenso sei das Umstellungs- und Anpassungsvermögen eingeschränkt.

18

Mit Bescheid vom 25. Mai 2009 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erwerbsminderungsrente ab, da der Kläger noch mindestens sechs Stunden je Arbeitstag unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne.

19

Am 15. Juni 2009 legte der Kläger bei der Beklagten Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. Mai 2009 ein. Er führte aus, dass seine behandelnden Ärzte ihn aufgrund seines Krankheitsbildes als nicht vermittelbar einschätzten. Das Urteil der behandelnden Ärzte der Rehabilitationseinrichtung könne nicht maßgebend sein, da in dieser Rehabilitationsklinik aus seiner Sicht kein Interesse am Patienten bestanden habe.

20

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2009 als unbegründet zurück. Der Kläger sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Es bestehe bei ihm ein Leistungsvermögen für sechs Stunden und mehr täglich für leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne Nachtschicht, besonderen Zeitdruck, häufigen Publikumsverkehr, besondere Anforderungen an das Umstellungs- und Anpassungsvermögen. Häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, Bücken, Hocken und Knien sowie häufige Zwangshaltungen oder Überkopfarbeiten seien ebenso ausgeschlossen wie Arbeiten mit einer erhöhten Unfall- oder Absturzgefahr. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Die Voraussetzungen des § 240 Abs. 1 SGB VI lägen nicht vor, da der Kläger nach dem 1. Januar 1961 geboren sei.

21

Der Kläger hat am 5. Oktober 2009 Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg erhoben. Aus der Akte ergebe sich bereits, dass er nicht mehr leistungsfähig sei. Außerdem hat der Kläger Bescheinigungen des Dipl.-Psych. K. vom 9. Juni 2011, des Facharztes für Orthopädie Dr. W. vom 10. Juni 2011 und der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. S. vom 17. Juni 2011, jeweils erstellt zur Vorlage beim Jobcenter B., eingereicht. Dipl.-Psych. K. hat ausgeführt, dass aufgrund der chronischen Leistungseinschränkungen und des "ungeklärten Sozialstatus im laufenden EU-Rentenverfahren" eine Arbeitsvermittlung des Klägers nur wenig sinnvoll erscheine. Dr. W. hat dem Kläger aufgrund von Schäden an mehreren Gelenken, der Wirbelsäule und der Somatisierungsstörung ein unter zweistündiges arbeitstägliches Leistungsvermögen attestiert. Dipl.-Med. S. hat mitgeteilt, dass es zu einer Chronifizierung der psychiatrischen Symptomatik gekommen sei. Bei der vorliegenden Persönlichkeitsstörung seien die Anpassungsstörungen wohl nicht mehr korrigierbar. Eine Arbeitsvermittlung sei daher nicht erfolgversprechend.

22

Das Sozialgericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt. In seinem Befundbericht vom 12. Juni 2012 hat MR Dr. B. ausgeführt, dass orthopädischerseits keine klinischen Behandlungen oder Untersuchungen stattgefunden haben. Als Diagnosen lägen multiple partilaginäre Exostosen , ein chronisch-rezidivierendes Cervicobrachialsyndrom , ein Zustand nach Abrissfraktur des Olecranon rechts, ein chronisch-rezidivierendes lumbales Pseudoradikulärsyndrom sowie eine initiale Gon- und Sprunggelenksarthrose beidseits vor. Die vom ihm erhobenen Befunde hätten sich erheblich verschlechtert. Der Kläger sei überhaupt nicht mehr in der Lage, leichte, mittelschwere oder schwere körperliche Arbeiten zu verrichten. Der Facharzt für Allgemeinmedizin L. hat in seinem Befundbericht vom 14. Juni 2012 ausgeführt, der Kläger leide unter einer Anpassungsstörung, einer Persönlichkeitsstörung, einer depressiven Störung und einer Somatisierungsstörung. Die von ihm erhobenen Befunde hätten sich weder verschlechtert noch verbessert; eine Veränderung im Gesundheitszustand sei nicht eingetreten. Er hat eingeschätzt, dass maximal leichte Tätigkeiten in Betracht kämen, wobei er den zeitlichen Umfang nicht beurteilen könne. Dipl.-Med. S. hat in ihrem Befundbericht vom 31. August 2012 ebenfalls mitgeteilt, dass keine Veränderungen im Gesundheitszustand des Klägers eingetreten seien. Die erhobenen Befunde hätten sich weder verschlechtert noch verbessert noch seien neue hinzugekommen. Nach ihrer Einschätzung könne der Kläger noch leichte körperliche Arbeiten verrichten. Hinsichtlich der Konzentrations- und Merkfähigkeit, Ausdauer, Wendigkeit und Anpassungsfähigkeit seien jedoch erhebliche Einschränkungen festzustellen.

23

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 23. April 2013 die Klage abgewiesen. Der Kläger sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Sein Leistungsvermögen betrage für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch wenigstens sechs Stunden täglich. Dies ergebe sich aus den ärztlichen Unterlagen, insbesondere aus dem Gutachten für die Agentur für Arbeit vom 26. März 2007, dem orthopädischen Gutachten vom 4. April 2008 und dem psychiatrisch fundierten Entlassungsbericht vom 28. April 2009. Der orthopädische Befundbericht vom 12. Juni 2012 habe keine wesentlich abweichenden neuen Befunde geschildert. Einzelheiten zu einer etwaigen Verschlechterung der bereits vorliegenden Befunde seien nicht dargelegt gewesen.

24

Der Kläger hat gegen das ihm am 7. Mai 2013 zugestellte Urteil am 29. Mai 2013 beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt. Er führt aus, er leide vor allem unter Krankheiten bzw. Behinderungen auf orthopädischem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet. In den Knie- und Sprunggelenken habe er Knochenwucherungen. Seine Unterarme seien verwachsen. Es gäbe Bewegungseinschränkungen beider Ellenbogen und der Handgelenke. Beide Hüftgelenke und die Wirbelsäule seien funktionsgemindert. Außerdem habe er erhebliche Schmerzen in allen Körperregionen. Der ihn behandelnde Orthopäde MR Dr. B. habe ausgeführt, dass ihm - dem Kläger - eine Arbeitsleistung nicht mehr zugemutet werden könne. Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet sei ebenfalls keine Leistungsfähigkeit mehr gegeben. Er traue sich praktisch nicht mehr unter Leute und habe den Kontakt zur Familie und zu früheren Freunden komplett abgebrochen. Es bestehe eine ausgeprägte Vermeidenshaltung , die sich in den letzten vier Jahren deutlich verstärkt habe. Das Gericht könne sich deshalb auch nicht auf den vier Jahre alten Rehabilitationsentlassungsbericht stützen.

25

Der Kläger beantragt,

26

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 23. April 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Oktober 2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

27

Die Beklagte beantragt,

28

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

29

Sie hält das angefochtene Urteil und ihren Bescheid für zutreffend.

30

Mit Schriftsatz vom 26. September 2013 hat die Beklagte mitgeteilt, der Kläger habe am 7. Mai 2013 einen neuen Antrag auf Bewilligung von Erwerbsminderungsrente nach § 43 SGB VI gestellt. Zur Begründung dieses Neuantrages habe er vorgetragen, unter sehr starken Konzentrationsschwächen zu leiden und bei jeder kleinen Anforderung mit Kopfschmerzen bzw. Magen- und Darmproblemen zu reagieren. Er habe sich total zurückgezogen und kaum noch Kontakt zu seiner Verwandtschaft, sei sehr leicht reizbar und reagiere oft aufbrausend. Gleichzeitig sei er total antriebslos, habe ein ständiges Herzrasen und ständige starke Schmerzen im Hüft- und Rückenbereich, in den Knie-, Arm- und Ellenbogengelenken, der Schulter und im Nackenbereich. Die Beklagte hat die ihr vorliegenden Befundberichte eingereicht. Dr. W. und MR Dr. B. haben darin die Krankheitsvorgeschichte als aus orthopädischer Sicht unauffällig bezeichnet. Der Kläger sei mit Krankengymnastik, Einlagen, Ibuprofen, Fango und nicht steroidalen Antirheumatika behandelt worden. Von der Norm abweichende Untersuchungsbefunde seien nicht bekannt. Es bestehe auch weder derzeit noch in den letzten zwei Jahren eine Arbeitsunfähigkeit. Die Befunde verschlechterten sich jedoch laufend. Dipl.-Med. S. beschrieb in ihrem Befundbericht zum Rentenantrag, dass der Kläger nur wenig belastbar und schnell gereizt sei, sich über alles aufrege, weder über Ausdauer noch über Konzentrationsvermögen verfüge und über Rücken- und Gelenkschmerzen klage. Dennoch sei er psychisch bewusstseinsklar, in allen Ebenen orientiert, mit herabgeminderter Stimmungslage. Die Befunde hätten sich in den letzten zwölf Monaten nicht verändert. Die Beklagte hat den Antrag mit Bescheid vom 22. November 2013 abgelehnt. Auf den Widerspruch des Klägers vom 10. Dezember 2013 wurde das Widerspruchsverfahren ruhend gestellt.

31

Der Senat hat durch Einholung von Befund- und Behandlungsberichten ermittelt. Dipl.-Psych. K. hat in seinem Befundbericht vom 13. Januar 2014 mitgeteilt, dass ein letzter Kurzkontakt am 26. September 2013 stattgefunden habe. Der Kläger habe im Jahr 2008 mit einer Kurzzeitbehandlung begonnen, die jedoch aufgrund des - im Vordergrund stehenden - laufenden Rentenverfahrens unterbrochen worden sei. Bei dem Kläger lägen eine langjährige Angst- und Somatisierungsstörung, ein Schmerzsyndrom, eine kombinierte Persönlichkeitsstörung, eine sekundäre Anpassungsstörung mit leichter depressiver Verstimmung und eine leichte Intelligenzminderung vor. Eine Befundverbesserung habe nicht erzielt werden können; vielmehr seien die Beschwerden chronifiziert . Aufgrund zusätzlicher Belastungen, wie dem zunehmend schlechteren Gesundheitszustand der Ehefrau seit 2012 und der massiven finanziellen Schwierigkeiten seit 2013, sei eine weitere Verschlechterung der Befunde eingetreten. MR Dr. B. hat in seinem Befundbericht vom 13. Januar 2014 mitgeteilt, dass der Kläger hauptsächlich unter Schmerzen im Halswirbelsäulenbereich leide, welche in den Schultergürtel und in beide Arme mit Herabsetzung der groben Kraft ausstrahle. Außerdem beklage er Lendenwirbelsäulenbeschwerden, die teilweise in die Beine einstrahlten. Es habe eine kontinuierliche Verschlechterung der Beschwerden als auch der klinischen Symptomatik stattgefunden. Dipl.-Med. S. hat in ihrem Befundbericht vom 19. Januar 2014 mitgeteilt, dass die letzte Behandlung des Klägers ihrerseits am 8. März 2012 stattgefunden habe. Die von ihr erhobenen Befunde hätten sich bis zum letzten Beobachtungszeitpunkt weder gebessert noch verschlechtert. Der Facharzt für Allgemeinmedizin L. hat in seinem Befundbericht vom 30. Januar 2014 mitgeteilt, dass der Kläger seit Februar 2013 nicht mehr bei ihm in Behandlung gewesen sei. Insofern könne die Frage, ob sich die Befunde verschlechtert hätten, nicht beantwortet werden.

32

Der Senat hat das Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Ha. vom 8. Oktober 2014 nach Untersuchung des Klägers am 21. August 2014 eingeholt. Die Begutachtung sei zunächst in Anwesenheit der Lebensgefährtin durchgeführt worden. Im weiteren Verlauf sei es dann auch möglich gewesen, die Testdiagnostik und die Untersuchung allein mit dem Kläger durchzuführen. Zu seinem Tagesablauf habe der Kläger berichtet, dass er nach dem Frühstück Reha-Sport betreibe und dorthin mit dem Fahrrad fahre oder zu Fuß gehe. Die Fische im Teich und im Aquarium füttere er. Er benutze auch einen Computer, sei jedoch ungeduldig und würde schnell ausrasten, wenn etwas nicht gelinge. Er gehe gelegentlich angeln und schaue im Fernsehen viele Berichte über den Krieg. Die Gutachterin hat bei dem Kläger folgende Erkrankungen festgestellt:

33

Kombinierte Persönlichkeitsstörung mit impulsiven, paranoiden und anankastischen Anteilen.

34

Leichte Somatisierungsstörung.

35

Angststörung mit ausgeprägtem Vermeidungsverhalten und sekundärem Krankheitsgewinn.

36

Darüber hinaus lägen Diagnosen anderer Fachgebiete vor:

37

Multiple partilaginäre Exostosen .

38

Chronisch-rezidivierendes Cervicobrachialsyndrom .

39

Zustand nach Abrissfraktur des Olecranon (Zustand nach Operation) rechts.

40

Chronisch-rezidivierendes lumbales Pseudoradikulärsyndrom .

41

Initiale Gon- und SPG-Arthrose beidseits.

42

Aus den vorliegenden Gesundheitsstörungen ergäben sich Funktionseinschränkungen wie eine reduzierte Konflikt- und Teamfähigkeit, Stresstoleranz sowie psychische Belastbarkeit, und aufgrund der körperlich bedingten Schmerzsymptomatik auch eine reduzierte körperliche Belastbarkeit. Aufgrund der Erkrankungen könne der Kläger arbeitstäglich sechs Stunden und mehr nur noch körperlich leichte Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen sowie überwiegend im Sitzen verrichten. Arbeiten mit einseitigen körperlichen Belastungen oder in Zwangshaltungen könne der Kläger maximal gelegentlich ausüben. Er könne im Freien unter Witterungsschutz und in geschlossenen Räumen arbeiten, wobei starke Temperaturschwankungen, Zugluft und Nässe zu vermeiden seien. Die volle Gebrauchsfähigkeit der Hände sei gegeben. Seh- und Hörvermögen seien nicht beeinträchtigt und genügten durchschnittlichen Anforderungen. Geistig sei der Kläger einfachen bis mittelschwierigen Anforderungen gewachsen. Hinsichtlich Reaktionsfähigkeit, Übersicht und Aufmerksamkeit sei er nur geringen Anforderungen gewachsen, ebenso in Bezug auf Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit. Er sei psychisch wenig belastbar, leicht störbar und gefährdet, impulsiv zu reagieren. Der Kläger könne in Wechselschicht arbeiten, nicht jedoch in Nachtschicht, unter besonderem Zeitdruck oder mit häufigem Publikumsverkehr. Körperliche Verrichtungen wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken oder Zusammensetzen von Teilen seien dem Kläger möglich. Die durch die Symptomatik der Persönlichkeitsstörung begründeten inhaltlichen Leistungseinschränkungen seien von der Arbeitszeit unabhängig. Die Schmerzsymptomatik erreiche kein solches Ausmaß, dass sie den Tagesablauf des Klägers dominieren würde und berechtige damit bei Beachtung der ihm zumutbaren Arbeiten nicht zu einer zeitlichen Leistungslimitierung. Zusätzliche Pausen oder abweichende Bedingungen seien nicht erforderlich. Ebenso könne er Fußwege von mehr als 500 m viermal täglich in 20 Minuten zurücklegen und auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen bzw. ein Kraftfahrzeug führen. Die Gutachterin hat den Kläger als leicht reizbar beschrieben. Dieser fühle sich schnell angegriffen und ungerecht behandelt. Auch könne er sich nur eingeschränkt in das Gegenüber oder den Konfliktpartner hineinversetzen. Die paranoiden Persönlichkeitsstörungsanteile erreichten jedoch kein psychotisches oder psychosenahes Ausmaß. Eine Angstsymptomatik habe die Gutachterin nicht wahrnehmen können. Nachvollziehbar und verständlich sei jedoch, dass der Kläger unter Existenz- und Verlustängsten, insbesondere in Bezug auf seine Lebensgefährtin, leide. Dr. Ha. hat eingeschätzt, dass es dem Kläger, der in den letzten Jahren den Fokus auf das Erkämpfen der Rente gelegt habe, aufgrund seiner Persönlichkeitsstörungsanteile schwer fallen werde, eine Ablehnung zu akzeptieren. Dies begründe jedoch aus gutachterlicher Sicht nicht die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

43

Auf Antrag des Klägers hat der Senat gemäß § 109 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie H. vom 8. März 2015 nach Untersuchung des Klägers am 7. März 2015 eingeholt. Während der gesamten Untersuchung war seine seit dem 15. Januar 2015 mit ihm verheiratete langjährige Partnerin anwesend. Herr H. hat folgende Diagnosen benannt:

44

Posttraumatische Belastungsstörung.

45

Schwere rezidivierende depressive Störungen.

46

Lumbales Pseudoradikulärsyndrom .

47

Zervikobrachialsyndrom .

48

Migräne.

49

Arterielle Hypertonie.

50

Hyperlipidämie .

51

Osteoporose.

52

Initiale Gonarthrose.

53

Sprunggelenksarthrose beidseits.

54

Multiple kartilaginäre Exostosen .

55

Rezidivierende Metatarsalgie .

56

Dysplasie beider Unterarme mit distalen Ulnadefekten .

57

Diese Diagnosen würden zu Ängsten, Stimmungslabilität, Kopf-, Rücken- und Schulterarmschmerzen sowie solchen im gesamten Stützapparat führen. Es ergäben sich hieraus eine Vielzahl von Funktionseinschränkungen, wie Fehlsteuerungen im Gedächtnis mit Konzentrationsstörungen, eingeengtem Denken mit Beschwerdefixierung, fehlender Stresstoleranz sowie körperlicher Schwäche mit subjektivem Krankheitsgefühl und zahlreichen weiteren Einschränkungen, die der Gutachter im Einzelnen unter der Frage 2 auf den Seiten 50 und 51 seines Gutachtens ausgeführt hat. Er hat eingeschätzt, dass die posttraumatische Belastungsstörung zu einer andauernden Persönlichkeitsstörung führe, die eine massive Beeinträchtigung im täglichen Leben des Klägers darstelle. Es handele sich auch weder um Zustände der Aggravation noch der Simulation. Die Störung sei von erheblichem Krankheitswert, chronifiziert und therapieresistent. Aufgrund der Vielzahl der psycho-physischen Beeinträchtigungen sei eine regelmäßige Erwerbstätigkeit voll ausgeschlossen. Das Leistungsvermögen des Klägers sei aufgehoben. Er könne keiner Arbeit mehr nachgehen, auch nicht einer Tätigkeit in Heimarbeit, sodass sich die Frage nach der Gehfähigkeit des Klägers erübrige. Eine Prüfung der Gehfähigkeit habe Herr H. aus ethischen Gründen unterlassen. Nach Angabe des Klägers könne dieser maximal 50 m bewältigen, so dass Herr H. die Gehfähigkeit als aufgehoben eingeschätzt hat. Öffentliche Verkehrsmittel könne der Kläger wegen seiner Phobie nur in Begleitung benutzen. Ob der Kläger aus medizinischen Gründen bei der Benutzung eines Kraftfahrzeuges eingeschränkt sei, hat Herr H. offen gelassen. Die Minderung der Leistungsfähigkeit bestehe nach seiner Einschätzung seit 2002, als der Kläger seine akut erkrankte Mutter in einer akuten Schlaganfallssituation aufgefunden habe. Damals sei der Kläger noch bemüht gewesen, seinen Arbeitsvertrag bei V. in W. zu erfüllen. Zu einer deutlichen Verschlechterung seines Befindens sei es mit dem Tod der Mutter im Jahr 2005 gekommen. Im Jahr 2006 habe er sein Arbeitsverhältnis kündigen müssen. Ab dem Zeitpunkt der Antragstellung im Jahr 2007 sei das Leistungsvermögen des Klägers jedenfalls derart stark herabgesunken, dass von einer Leistungsfähigkeit nicht mehr gesprochen werden könne. Festgestellte Einschränkungen der Leistungsfähigkeit bestünden auch auf Dauer. Sein - des Klägers - Leistungsvermögen sei erloschen. Die Vorgutachterin Dr. Ha. irre sich bei der Einschätzung der Leistungsfähigkeit des Klägers ebenso wie auch die Ärzte der Rehabilitationsklinik. Dies liege jedoch auch daran, dass erst durch ihn - Herrn H. - habe diagnostiziert werden können, dass der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide. Darüber hinaus lege Dr. Ha. das Konzept des sekundären Krankheitsgewinns aus der psychoanalytischen Lehre von Siegmund Freud falsch aus, so dass es zu einer Fehlentscheidung gekommen sei. Einen sekundären Krankheitsgewinn gebe es nach seiner - Herrn H.s - Ansicht bei dem Kläger nicht.

58

Dr. Ha. hat in ihrer Stellungnahme vom 8. Mai 2015 zum Gutachten des Herrn H. ausgeführt, dass durch das Auffinden seiner akut erkrankten Mutter in einer akuten Schlaganfallsituation und ihren späteren Tod kein psychisches Trauma im Sinne einer Traumatisierung beim Kläger entstanden sei, so dass eine posttraumatische Belastungsstörung nicht erkannt werden könne. Eine posttraumatische Belastungsstörung, bei welcher der Betroffene das Trauma nicht selbst benennen könne, sondern es ausschließlich von einem Gutachter 13 Jahre später ermittelt worden sei, gebe es nicht. Sie hat nochmals bekräftigt, dass beim Kläger sehr wohl ein sekundärer Krankheitsgewinn zu erkennen gewesen sei. Der sekundäre Krankheitsgewinn sei zu definieren als "die äußeren Vorteile, die der kranke Mensch aus bestehenden Symptomen ziehen kann" (Lexikon Online für Psychologie und Pädagogik). Der Krankheitsgewinn beim Kläger sei z. B. dadurch begründet, dass er seine behandelnden Ärzte dazu veranlasst habe, Bescheinigungen zu schreiben, er sei zu den gutachterlichen Gesprächen nur in Begleitung seiner Ehefrau in der Lage, obwohl sich während der Begutachtung gezeigt habe, dass beim Kläger keinesfalls ein krankheitsbedingtes Unvermögen zur Gesprächsführung ohne seine Ehefrau vorliege und er sehr gut in der Lage sei, mit seiner Krankheit zu argumentieren sowie Vorteile daraus zu erlangen. Außerdem sei widersprüchlich, dass der Kläger bei Herrn H. angegeben habe, jahrelang nicht mehr zu angeln, währenddessen er bei ihr dies noch angegeben habe. Ebenso könne der Kläger auch noch Auto fahren und tue dies auch. Die psychische Symptomatik des Klägers habe die von Herrn H. geschilderte Dramatik nicht.

59

In seiner Stellungnahme vom 1. Juli 2015 hat Herr H. eingeschätzt, dass Dr. Ha. seinen neurologischen Ausführungen hinsichtlich der Dissoziationsvorgänge im Gehirn des Erkrankten nicht wirklich habe folgen können. Sie irre sich mit ihrer Diagnose einer leichten Somatisierungsstörung. Ebenso falsch sei die Beurteilung einer paranoiden Persönlichkeitsstörung. Der Kläger habe einen primären Krankheitsgewinn im Sinne eines subjektiven Vorteils, der im Kranksein und in der Patientenrolle selbst liege, da er hierdurch Beachtung und Pflege erhalte. Seiner Beurteilung nach habe Dr. Ha. mit ihrem Gutachten gezeigt, dass sie sich weder auf dem Gebiet der posttraumatischen Belastungsstörung noch im Sprachgebrauch der Psychoanalyse bzw. der Tiefenpsychologie ausreichend auskenne. Sie verdränge den massiven Mutterkomplex des Klägers. Das Trauma sei in seinem Gedächtnis dissoziiert gespeichert worden und bleibe für ihn als persönliche Geschichte nicht reproduzierbar.

60

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten, die sämtlich Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

61

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Er hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer Rente wegen voller oder wegen teilweiser Erwerbsminderung.

62

Streitgegenstand ist die - unbefristete - Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung ausgehend vom Rentenantrag des Klägers vom 4. Oktober 2007. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung beim Senat nochmals klargestellt. Das Ziel der Bewilligung dieser Rente hat der Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG verfolgt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist die letzte mündliche Verhandlung der Tatsacheninstanz, wenn Verwaltungsakte mit Dauerwirkung im Streit sind, die laufende Leistungen betreffen und somit auch bei Bescheiderteilung in der Zukunft liegende Bewilligungszeiträume erfassen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 17. Februar 2005 - B 13 RJ 31/04 R, Rn. 29 - juris). In Rechtsstreitigkeiten, die nicht mit dem Ziel einer Rentengewährung geführt werden, wird angenommen, dass ein neuer Antrag eine Zäsur darstellt und den streitgegenständlichen Zeitraum dahingehend begrenzt, dass nur noch der Zeitraum bis zum Folgeantrag zu berücksichtigen ist. Der angefochtene und streitbefangene Vorbescheid habe sich für den vom Neuantrag erfassten Zeitraum gemäß § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) auf andere Weise erledigt; denn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innegewohnt habe, sei nachträglich entfallen (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007 - B 8/9b SO 12/06 R -; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 12. Juli 2012 - L 15 AS 184/10 -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Februar 2013 - L 6 VS 1920/09 -; vgl. zum Begriff der Erledigung: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 25. September 2008 - 7 C 5/08 -, jeweils juris). Dies wird vom 1. Senat des LSG Sachsen-Anhalt auch für Rechtsstreitigkeiten mit dem Ziel einer - dauerhaften - Rentengewährung so gesehen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Mai 2015 - L 1 R 79/13 B - juris; Urteil vom 4. Juni 2015 - L 1 R 136/13 - nicht veröffentlicht; Urteil vom 2. Juli 2015 - L 1 R 59/13 - juris). Diese Beurteilung teilt der erkennende Senat nicht (ebenso Bayerisches LSG, Urteil vom 26. Oktober 2015 - L 13 R 923/13 - juris, Rn. 40, wonach für einen neuen Rentenantrag das Rechtsschutzbedürfnis fehlt). Zwar ist der auf den Folgeantrag erlassene Verwaltungsakt nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG in das laufende Verfahren einzubeziehen. Diese Norm setzt voraus, dass der neue Verwaltungsakt den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der ursprüngliche, ablehnende Verwaltungsakt kann jedoch mit Wirkung für die Zukunft weder abgeändert noch ersetzt werden (Beschluss des erkennenden Senats vom 29. Januar 2014 - L 3 R 347/13 B - juris, Rn. 7; Bayerisches LSG, Urteil vom 26. Oktober 2015, a.a.O.). Denn die Ablehnung der Leistung ist kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Gegen den auf einen weiteren Rentenantrag ergehenden ablehnenden Folgebescheid kann abermals Widerspruch und Klage mit dem Ziel einer Rentengewährung erhoben werden. Eine Begrenzungswirkung lässt sich daraus jedoch nicht ableiten (a.A. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Mai 2015 - L 1 R 79/13 B - juris). Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Zum einen ist bei einem Neuantrag auf Rente der vom Bescheid erfasste Zeitraum abhängig davon, ob eine Dauerrente oder eine Zeitrente begehrt bzw. bewilligt wird. Zum anderen zielt ein Rentenantrag auf die Bewilligung einer gleichbleibenden monatlichen Rentenzahlung ab. Diese stellt einen Dauerverwaltungsakt dar, der sich von Dauerverwaltungsakten nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) bzw. dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II) unterscheidet. Hier (im SGB XII und im SGB II) erfolgt eine Bewilligung für einen vorher bestimmten und begrenzten Zeitraum, jeweils u.a. abhängig von den monatlich zur Verfügung stehenden Mitteln. Es handelt sich damit um monatliche Bewilligungen, die aus Praktikabilitätsgründen in einem Verwaltungsakt zusammengefasst werden. Eine Rente hingegen wird als Dauerrente bis zum Beginn der Altersrente bzw. für einen befristeten Zeitraum bewilligt. Maßgebend hierfür ist der Eintritt des Leistungsfalls bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Sind diese beiden Voraussetzungen erfüllt, wird eine Rente bewilligt, die kraft Gesetzes monatlich in gleicher Höhe - unter Berücksichtigung der Anpassungen - für einen bestimmten Zeitraum ausgezahlt wird. Eine Begrenzung ergibt sich nur bei einer Rentengewährung auf den Folgeantrag, da insoweit der Anspruch erfüllt ist und Erledigung des Streitgegenstands eintritt. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, da auch der Folgeantrag abgelehnt worden ist.

63

Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (§ 43 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

64

Im Ergebnis der Beweisaufnahme ist für den streitgegenständlichen Zeitraum von folgendem Leistungsbild auszugehen: Der Kläger ist noch in der Lage, arbeitstäglich sechs Stunden und mehr körperlich leichte Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen sowie überwiegend im Sitzen zu verrichten. Arbeiten mit einseitigen körperlichen Belastungen oder in Zwangshaltungen können maximal gelegentlich ausgeübt werden. Er kann im Freien unter Witterungsschutz und in geschlossenen Räumen arbeiten, wobei starke Temperaturschwankungen, Zugluft und Nässe zu vermeiden sind. Die Hände sind voll gebrauchsfähig. An das Seh- und Hörvermögen können durchschnittliche Anforderungen gestellt werden. Geistig kann der Kläger Arbeiten mit einfachen bis mittelschwierigen Anforderungen erledigen. Bezüglich Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit ist er geringen Anforderungen gewachsen.

65

Diese Einschätzung wird im Wesentlichen auf die Feststellungen in den Gutachten von Dr. F. vom 4. April 2008 und von Dr. Ha. vom 4. Oktober 2014 einschließlich ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 8. Mai 2015, in dem Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik D. H. vom 28. April 2009 sowie in den eingeholten Befundberichten gestützt.

66

Der Kläger leidet unter einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit impulsiven, paranoiden und anankastischen Anteilen, einer leichten Somatisierungsstörung, einer Angststörung mit ausgeprägtem Vermeidungsverhalten und sekundärem Krankheitsgewinn, multiplen partilaginären Exostosen , einem chronisch-rezidivierenden Cervicobrachialsyndrom , einem Zustand nach Abrissfraktur des Olecranon (Zustand nach Operation) rechts, einem chronisch-rezidivierenden lumbalen Pseudoradikulärsyndrom , einer Arthrose beider Ellenbogengelenke sowie einer initialen Gon- und Sprunggelenksarthrose beidseits. Diese Erkrankungen führen zu den oben genannten qualitativen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit. Eine darüber hinausgehende quantitative Leistungseinschränkung kann jedoch nicht erkannt werden. Dr. F. berichtet in seinem Gutachten von multiplen Osteochondromen , die zu Wachstumsstörungen im Bereich mehrerer Gelenke geführt haben. Hieraus ergibt sich seiner Einschätzung nach, der der Senat folgt, keine quantitative Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Soweit MR Dr. B. in seinen Befundberichten vom 12. Juni 2012 und vom 13. Januar 2014 mitteilt, dass nach seiner Beobachtung eine kontinuierliche Verschlechterung der Beschwerden und der klinischen Symptomatik zu verzeichnen sei, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Die Beweglichkeit der Gelenke der oberen Extremitäten beschreibt er lediglich als endgradig eingeschränkt. Darüber hinaus ist eine ständige Betreuung des Klägers durch den Orthopäden, den er in einem Zeitraum von mehr als vier Monaten (bis zum Befundbericht vom 13. Januar 2014) nicht konsultiert hatte, nicht ersichtlich. In der zuvor am 2. September 2013 innerhalb des neuen Rentenverwaltungsverfahrens abgegebenen Einschätzung des Orthopäden hat er zur Krankheitsvorgeschichte des Klägers der letzten zwei Jahre ausgeführt, sie sei "orthopädischerseits unauffällig" und von der Norm abweichende Befunde seien "nicht bekannt".

67

Eine zeitliche Leistungseinschränkung ergibt sich auch nicht aufgrund der psychiatrischen Gesundheitsstörung. Dr. Ha. hält aufgrund der Symptomatik der Persönlichkeitsstörung die genannten inhaltlichen Leistungseinschränkungen für erforderlich, ohne dass gleichzeitig eine Einschränkung bei der Arbeitszeit notwendig wird. Die Schmerzsymptomatik erreicht nach ihrer Einschätzung kein solches Ausmaß, dass sie den Tagesablauf des Klägers dominiere, und berechtige damit bei Beachtung der ihm zumutbaren Arbeiten nicht zu einer zeitlichen Leistungslimitierung. Diesen schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen folgt der Senat. Die Gutachterin hat zwar beobachtet, dass der Kläger leicht reizbar sei, sich schnell angegriffen und ungerecht behandelt fühle und nur eingeschränkt in der Lage sei, sich in das Gegenüber oder den Konfliktpartner hineinzuversetzen. Sie schätzt darüber hinaus jedoch auch ein, dass die paranoiden Persönlichkeitsstörungsanteile kein psychotisches oder psychosenahes Ausmaß erreichen. Zwar bestünden verständliche Existenz- und Verlustängste des Klägers, eine Angstsymptomatik sei jedoch nicht wahrzunehmen gewesen. Dem entspricht auch der von Dr. S. eingeholte Befundbericht vom 31. August 2012, in dem sie einschätzt, dass die Anpassungsfähigkeit des Klägers erheblich eingeschränkt sei. Insgesamt wird der gesundheitliche Zustand jedoch als unverändert beschrieben. Ebenso beurteilt Herr L. in seinem Befundbericht vom 14. Juni 2012 den Gesundheitszustand des Klägers. Insbesondere folgt der Senat den Ausführungen der Gutachterin zum sekundären Krankheitsgewinn, also einem über dem primären Krankheitsgewinn, der im Kranksein und in der Patientenrolle selbst liegt und zu vermehrter Beachtung und Pflege führen kann, hinausgehenden Nutzen, den der Kläger aus seiner Krankheit zieht bzw. ziehen möchte. Dr. Ha. führt aus, der Kläger habe in den letzten Jahren den Fokus auf das Erkämpfen der Rente gelegt. Dies wird auch aus der Verwaltungs- und Gerichtsakte deutlich. Im Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik vom 28. April 2009 wird berichtet, dass beim Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben indiziert, vom Kläger jedoch aufgrund des im Vordergrund stehenden Rentenbegehrens nicht gewünscht seien. In seinem Arztbrief vom 22. Dezember 2010, übersandt an den Hausarzt L., führt Dipl.-Psych. K. aus, die Orientierung des Klägers auf das laufende Rentenverfahren stünde weiterhin im Vordergrund. Eine indizierte Behandlung sei deshalb abgebrochen worden. In seiner Bescheinigung vom 9. Juni 2011 zur Vorlage beim Jobcenter führt Dipl.-Psych. K. aus, eine Arbeitsvermittlung erscheine u.a. aufgrund des "ungeklärten Sozialstatus im laufenden EU-Rentenverfahren" wenig sinnvoll. Dipl.-Psych. K. hat das Rentenbegehren auch in seinem Befundbericht vom 26. September 2013 erwähnt. Ob diese Schreiben durch die Ehefrau initiiert wurden, wie von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgetragen, spielt dabei keine Rolle. Denn insoweit wird deutlich, dass der Kläger und ggf. auch zusätzlich seine Ehefrau ihr Augenmerk zumindest seit der Behandlung in der Rehabilitationsklinik auf die Erlangung der Rente gelegt haben. Dr. Ha. teilt mit, dass die beim Kläger vorliegende Gesundheitsstörung mit Ablehnung des Rentenantrags zwar wahrscheinlich nicht verschwinden werde; es sei jedoch eine Besserung vorstellbar, da die bewussten Anteile einer willkürlichen Steuerung des Klägers nicht entglitten seien. Dies dürfte dabei insbesondere dann zutreffen, wenn die Ehefrau - wie vom Prozessbevollmächtigten vorgetragen - das Rentenverfahren vorangetrieben hat.

68

Der Senat folgt hingegen nicht der hiervon abweichenden Einschätzung des Herrn H. in seinem Gutachten vom 8. März 2015, das aufgrund seiner Mängel für nicht verwertbar erachtet wird, sowie der ergangenen Stellungnahme vom 1. Juli 2015. Im Gutachten sind die Anamnese, die Befunderhebung und die Beantwortung der Beweisfragen nicht plausibel. Zunächst ist zu beanstanden, dass die Ehefrau des Klägers bei der gesamten Untersuchung mit dem Ziel der Erkenntnisgewinnung, in welchem Umfang der Kläger aus nervenärztlicher Sicht noch erwerbsfähig sei, nicht nur anwesend ist, sondern in die Untersuchungsgespräche einbezogen wird, ohne dass erkennbar ist, welche Angaben vom Kläger und welche von ihr stammen. Herr H. lässt sich hiervon und von den Beschwerdeäußerungen des Klägers ohne weitere Konsistenzprüfung leiten. An einer solchen kritischen Zusammenschau von Exploration, Untersuchungsbefunden, Verhaltensbeobachtung und Aktenlage fehlt es. Herr H. führt nicht aus, ob bzw. welche Einzelbefunde - bis auf Größe und Gewicht des Klägers - er erhoben hat und welche Untersuchungen durchgeführt wurden. Die Beantwortung der Beweisfragen erfolgt nicht aus einem neutralen, objektiven Standpunkt, sondern lediglich auf Grundlage der subjektiven Beschwerdeschilderungen des Klägers und mit dem Ziel, mit seinen - Herrn H.s - Ausführungen dem "berechtigten Anliegen des Klägers nach Anerkennung seines aufgehobenen Leistungsvermögens" zur Anerkennung zu verhelfen. Herr H. schätzt ein, dass aufgrund der Vielzahl der psycho-physischen Beeinträchtigungen eine regelmäßige Erwerbstätigkeit voll ausgeschlossen sei. Nach seiner Ansicht führen die Erkrankungen des Klägers zu Ängsten, Stimmungslabilität, Kopf-, Rücken- und Schulterarmschmerzen sowie solchen im gesamten Stützapparat sowie zu einer Vielzahl von Funktionseinschränkungen, wie Fehlsteuerungen im Gedächtnis mit Konzentrationsstörungen, eingeengtem Denken mit Beschwerdefixierung, fehlender Stresstoleranz sowie körperlicher Schwäche mit subjektivem Krankheitsgefühl. Herr H. diagnostiziert eine chronifizierte und therapieresistente posttraumatische Belastungsstörung, die massive Beeinträchtigungen im täglichen Leben des Klägers hervorrufe. Eine Überprüfung der tatsächlichen Leistungsfähigkeit anhand der Anamnese, des Tagesablaufes und der körperlichen Untersuchungsbefunde findet nicht statt. Zustände der Aggravation und der Simulation habe er nicht erkannt. Dem widerspricht Dr. Ha. in ihrer ergänzenden Stellungnahme mit Verweis auf ihr Gutachten überzeugend. Die von Herrn H. beschriebenen und auch von ihr beobachteten Symptome belegen ein erhebliches Ausmaß einer histrionischen Persönlichkeitsstörung, die jedoch die von Herrn H. geschilderte Dramatik nicht erreicht. Dabei verkennt der Senat nicht, dass das Auffinden seiner Mutter in einer akuten Schlaganfallsituation im Jahr 2002 und ihr späterer Tod im Jahr 2005 für den Kläger emotional belastende Erfahrungen waren. Doch es wird auch festgestellt, dass der Kläger selbst bei Herrn H. erklärt hat: "Was soll das Gespräch über meine Mutter, schließlich geht es ja wohl um mich und meine Probleme, die ich bei V. hatte, und nicht um meine Mutter!" Herr H. schließt hieraus, der Kläger wolle nicht über das Trauma reden bzw. könne aufgrund des Dissoziierungsvorgangs im Gedächtnis nicht darüber reden. Dies ist nach Auffassung Dr. Ha., der sich der Senat anschließt, nicht zwingend. Ein belastendes Ereignis im Sinne einer seelischen Verletzung sei im Auffinden der Mutter nicht zu erkennen. Insbesondere, da der Kläger das Trauma selbst nicht als solches habe benennen können. Außerdem war der Kläger weiterhin über 2002 hinaus voll erwerbstätig und kündigte seine Arbeitsstelle erst im Anschluss an eine erlittene Lungenentzündung, die seinen gesundheitlichen Zustand nach eigener Aussage zu sehr belastet habe. Für den Senat erschließt sich zudem nicht, wieso die erstmals von Herrn H. diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung von ihm als chronifiziert und therapieresistent eingeschätzt wird, wenn doch bislang eine Therapie dieser Belastungsstörung mangels der Erkenntnis ihres Vorliegens noch überhaupt nicht versucht wurde. Darüber hinaus ist für den Senat auch die Einschätzung, dass eine Aggravation ausgeschlossen sein soll, nicht überzeugend. Herr H. verneint die entsprechende Frage ohne weitere Begründung. Hierzu ist mit Dr. Ha. festzustellen, dass der Kläger widersprechende Angaben im August 2014 zum Beispiel in Bezug auf das Angeln bei ihr - "Er gehe gelegentlich angeln. In der vorigen Woche sei er einmal zum Angeln gewesen." - und im März 2015 bei Herrn H. - "Herr M. ist immer noch im Angelerverein , obwohl er schon seit Jahren aus Gründen seiner sozialen Phobie nicht mehr zum Angeln geht." gemacht hat. Eine Aggravation ist damit zumindest nicht ausgeschlossen.

69

Bei dem Kläger liegt auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder ein Katalog- oder Seltenheitsfall vor, die trotz des Leistungsvermögens von mehr als sechs Stunden täglich zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führen würden. Die Beklagte war daher nicht verpflichtet, unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen (vgl. Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 - SozR 3-2600 § 44 Nr. 8 - juris; für die neue Rechtslage: BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R -, juris). Das Leistungsvermögen des Klägers reicht zumindest noch für Tätigkeiten wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken oder Zusammensetzen von Teilen. Es sind weder zusätzliche Pausen noch abweichende Bedingungen erforderlich.

70

Der Arbeitsmarkt ist für den Kläger auch im Übrigen nicht verschlossen. Der Arbeitsmarkt gilt als verschlossen, wenn einem Versicherten die sogenannte Wegefähigkeit fehlt. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Dabei ist ein abstrakter Maßstab anzuwenden. Wegefähigkeit liegt vor, soweit ein Versicherter viermal täglich Wegstrecken von knapp mehr als 500 m mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Mobilitätshilfen benutzen kann (BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 - 13/5 RJ 73/90 -, Urteil vom 12. Dezember 2011 - B 13 R 79/11 -, juris). Die Wegefähigkeit des Klägers ist entgegen der Auffassung Herrn H.s gegeben. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger keine Fußwege von mehr als 500 m viermal täglich in 20 Minuten zurücklegen und auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen könnte, sind nicht mitgeteilt und für den Senat auch sonst nicht ersichtlich. Darüber hinaus ist der Kläger in der Lage, ein Kraftfahrzeug zu führen. Herr H. hat die Wegefähigkeit ungeprüft verneint. Auch dieser Aspekt zeigt die Unverwertbarkeit des Gutachtens. Ein Gutachter hat aufgrund seiner Sachkunde und seiner Erfahrung zu tatsächlichen Sachverhalten Stellung zu nehmen, diese unparteiisch, unabhängig und objektiv fachlich zu beurteilen oder zu bewerten. Dass Herr H. die Wegefähigkeit des Klägers aus ethischen Gründen gar nicht erst geprüft hat, sondern die Angabe des Klägers, maximal noch 50 m zurücklegen zu können, als Antwort genutzt hat, zeigt, dass er nicht die neutrale, sachliche Position eines Gutachters, sondern vielmehr eine parteinahe Stellung eingenommen hat. Für eine subjektive Grundeinstellung spricht auch, dass Herr H. hofft, dem berechtigten Anliegen des Klägers hinsichtlich seines aufgehobenen Leistungsvermögens zur Anerkennung verholfen zu haben.

71

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

72

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.


ra.de-Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 28. Jan. 2016 - L 3 R 218/13

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 28. Jan. 2016 - L 3 R 218/13

Referenzen - Gesetze

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 28. Jan. 2016 - L 3 R 218/13 zitiert 14 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 153


(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt. (2) Das Landessozialgericht

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 43 Rente wegen Erwerbsminderung


(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind,2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 96


(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. (2) Eine Abschrift des neuen Ver

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 39 Wirksamkeit des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 240 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit


(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die 1. vor dem 2. Januar 1961 geboren und2. berufsunfähigsind. (2) Berufsunfähig

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 28. Jan. 2016 - L 3 R 218/13 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 28. Jan. 2016 - L 3 R 218/13 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 26. Okt. 2015 - L 13 R 923/13

bei uns veröffentlicht am 26.10.2015

Tenor I. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 29. August 2013 wird aufgehoben. II. Die Klage gegen den Bescheid vom 02. September 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2011 wird abgewiesen

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 02. Juli 2015 - L 1 R 59/13

bei uns veröffentlicht am 02.07.2015

Tenor Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 13. Dezember 2012 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand 1

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 04. Juni 2015 - L 1 R 136/13

bei uns veröffentlicht am 04.06.2015

Tenor Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 23. Januar 2013 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestan

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss, 29. Jan. 2014 - L 3 R 347/13 B

bei uns veröffentlicht am 29.01.2014

Tenor Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 17. Juli 2013 wird zurückgewiesen. Gründe 1 Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer hat keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren vor

Bundessozialgericht Urteil, 09. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R

bei uns veröffentlicht am 09.05.2012

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detm
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 28. Jan. 2016 - L 3 R 218/13.

Bundessozialgericht Beschluss, 17. Aug. 2017 - B 5 R 248/16 B

bei uns veröffentlicht am 17.08.2017

Tenor Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. Juli 2016 hinsichtlich der Zeit ab dem 1.12.2018 aufgehoben und die Sache insofern zur erneut

Referenzen

(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die

1.
vor dem 2. Januar 1961 geboren und
2.
berufsunfähig
sind.

(2) Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 23. Januar 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI).

2

Die am ... 1952 geborene Klägerin ist gelernte Wirtschaftsgehilfin mit Teil-Facharbeiterabschluss. Sie war als Wirtschaftsgehilfin, Mulifahrerin, Gabelstaplerfahrerin und Binderin beschäftigt. Sie arbeitete zuletzt bis 1991 als Adjustiererin beim VEB W. H. (Rechtsnachfolger: ... GmbH). Seitdem ist die Klägerin arbeitslos, unterbrochen von AB-Maßnahmen, einem so genannten Ein-Euro-Job und einer Umschulung. Außerdem bestand im Zeitraum von 1998 bis 1999 ein befristetes Arbeitsverhältnis über die Dauer von sechs Monaten als Mitarbeiterin der Produktion, welches nicht verlängert wurde.

3

Am 13. November 2007 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Im Antragsformular gab sie an, sich wegen einer Total-Operation, Durchblutungsstörungen, Verengung der Blutgefäße, Netzhaut-Operation, Nackenwirbel-Verkrümmung und wegen eines Bandscheibenvorfalls seit 2007 erwerbsgemindert zu fühlen. Sie könne höchstens zwei bis drei Stunden täglich erwerbstätig sein.

4

Die Beklagte veranlasste die Begutachtung der Klägerin durch Frau Dr. S., Fachärztin für Allgemeinmedizin und Gutachterin bei ihrem Sozialmedizinischen Dienst H. Im Gutachten vom 18. Februar 2008 diagnostizierte sie ein chronisches Lendenwirbelsäulenschmerzsyndrom bei bekannter Facettengelenksarthrose mit leichtgradiger Leistungseinschränkung, eine chronisch ischämische Herzerkrankung und Fingergelenksarthrosen rechts. Die Fingergelenke der rechten Hand seien diskret verschwollen. Der Faustschluss sei vollständig möglich. Im Übrigen seien die großen Gelenke aktiv und passiv frei beweglich. Das Gangbild sei flüssig und unauffällig. Der Finger-Boden-Abstand betrage 20 cm, das Zeichen nach Schober 10/15 cm. Zehen-, Fersen- und Einbeinstand seien ausführbar. Neurologische Auffälligkeiten bestünden nicht. Eine Lungenfunktionsstörung stelle sich nicht dar. Die Klägerin habe in 14 Minuten eine Wegstrecke von 504 Metern zurückgelegt. Sie habe danach über Schmerzen im linken Hüft- und Kniegelenk geklagt. Trotz Korrektur betrage der Visus auf beiden Augen unter 0,3. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten mit weiteren Einschränkungen sechs Stunden und mehr täglich verrichten.

5

Mit Bescheid vom 3. März 2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Hiergegen wandte sich die Klägerin am 2. April 2008 mit Widerspruch. Sie trug vor, sie sei bereits vom Fahren des Gabelstaplers aus gynäkologischen Gründen befreit gewesen. Sie leide zudem an Gleichgewichtsstörungen, weshalb sie nicht in der Lage sei, einer Arbeit nachzugehen.

6

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, dass unter Berücksichtigung aller erhobenen Befunde ärztlicherseits noch ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten festgestellt worden sei. Der Beruf als Gabelstaplerfahrerin unterläge nicht den Regelungen zum Berufsschutz. Die Tätigkeit sei den ungelernten Tätigkeiten zuzuordnen. Einer konkreten Verweisung bedürfe es nicht.

7

Einen weiteren Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente vom 7. August 2008 wegen einer angegebenen starken Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit einer angenommenen Leistungsminderung ab Februar 2008 wegen Durchblutungsstörungen, Herzgefäßverengungen, Sehschwäche, Nackenwirbelverengung, Bandscheibenvollfall und gynäkologischer Total-Operation lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. April 2009 ab. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist.

8

Die Klägerin hat am 27. April 2009 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben. Sie hat vorgetragen, sie könne aufgrund eines schlechten Sehvermögens keinen PKW mehr fahren. Sie leide an einem Bandscheibenvorfall im Bereich der Halswirbelsäule (HWS). Sie könne ihren linken Arm kaum gebrauchen. Sechs Stunden Tätigkeit halte sie nicht aus. Es bestünden Gleichgewichtsstörungen und die Herzgefäße seien zu 40 % verengt.

9

Die Klägerin hat sich am 7. September 2009 wegen eines unklaren Visusabfalls links in die Sprechstunde der Universitätsklinik und Poliklinik in H. begeben. Der Visus betrage nach der Epikrise über die Behandlung rechts 0,05, links 1/30. Der klinische Befund und die Angaben der Klägerin seien nicht komplett vereinbar. Es sei in der kranialen Bildgebung kein morphologisches Korrelat zur Erklärung der Visuseinschränkung gefunden worden.

10

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung von sachverständigen Zeugenauskünften der die Klägerin behandelnden Ärzte. Herr Dipl. Med. E., Facharzt für Orthopädie, hat am 29. Oktober 2009 von einem rezidivierenden Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom mit wechselnden Funktionsstörungen bei degenerativen Veränderungen berichtet. Es könne aktuell davon ausgegangen werden, dass leichte Tätigkeiten sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt täglich möglich seien. Herr Dr. S., Facharzt für Allgemeinmedizin, hat am 10. Dezember 2009 eine Netzhautablösung (Ablatio retinae) am rechten Auge in den Jahren 1998 und 2008 mitgeteilt. Das rechte Auge nehme seitdem nur noch hell und dunkel wahr. Links betrage der Visus 0,5. Frau Dr. H., Fachärztin für Augenheilkunde, hat am 12. Januar 2010 von einem Visusabfall auf dem rechten Auge im August 2008 bei fast totaler Netzhautablösung mit einer Sehschärfe von 1/60 berichtet. Es sei postoperativ ein leichter Visusanstieg auf bestens 0,1 erreicht worden. Für einen Visusabfall links auf 1/36 - und zuletzt 1/50 - sei keine Ursache gefunden worden.

11

Im vom SG angeordneten augenfachärztlichen Gutachten vom 9. Juni 2011 hat der Facharzt für Augenheilkunde und Arbeitsmedizin Herr Priv. Doz. Dr. M. folgende Diagnosen gestellt: hohe Kurzsichtigkeit beidseits, degenerative Myopie, Stabsichtigkeit, Zustand nach Netzhautablösung rechts 1998 mit Plombenaufnähung und 2008 mit Plombenentfernung und Cerclage, Kunstlinse rechts, Gesichtsfelddefekte beidseits und Farbsinnstörung. Die Klägerin habe angegeben, erblindet zu sein. Sie könne nicht allein ausgehen und einkaufen. Ihr Mann begleite sie. Der Visus sei rechts mit 1/36 und links mit 1/50 zu ermitteln. Bei der Projektionsperimetrie habe eine erschwerte Compliance vorgelegen. Die Angaben der Klägerin bei der Ermittlung des Gesichtsfeldes entsprächen nicht den physiologisch-optischen Gesetzen. Es bestünde eine Diskrepanz zwischen den subjektiven Angaben der Klägerin und den objektiven Befunden. Die starke Visusherabsetzung rechts könne hinreichend erklärt sein. Nach Abhebung zentraler Netzhautbezirke sei durch das Absterben von wichtigen Nervenzellen des Zentrums keine gute Sehschärfe mehr zu erreichen. Es bestünde links kein Anhalt für einen Sehnervenschwund, für einen Schaden an der schärfsten Stelle des Sehens oder für eine Netzhautablösung. Der Visus von 1/50 sei nicht durch den Befund erklärbar. Eine Aggravation könne nicht ausgeschlossen werden. Die Klägerin sei beobachtet und unbeobachtet nicht blind. Sie greife gezielt nach Gegenständen, finde sich in unbekannter Umgebung zurecht und setze sich nach Aufforderung auf den richtigen Stuhl. Der Gutachter hat eine stationäre Begutachtung empfohlen.

12

Das SG hat zudem eine Arbeitgeberauskunft der ... GmbH eingeholt. Auf Blatt 91 ff der Gerichtsakte wird verwiesen.

13

Mit einer erneuten Begutachtung der Klägerin auf augenärztlichem Fachgebiet hat das SG den Oberarzt Dr. W., tätig an der Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums M., beauftragt. Im Gutachten vom 4. April 2012 hat der Facharzt für Augenheilkunde folgende Diagnosen gestellt: Aggravation, hohe Achsenmyopie (Kurzsichtigkeit), Astigmatismus (Stabsichtigkeit), Zustand nach Plombenentfernung rechts, Cerclage (Augapfelumgürtelung) rechts, Phakoemulsifikation (grauer Star-Operation) rechts, Kunstlinsen-Implantation und glaskörperchirurgischer Eingriff rechts 2008, rissbedingte Netzhautablösung bei Zustand nach Plombenaufnähung bei Netzhautablösung 1998 und Netzhautdegeneration der Netzhautmitte rechts. Am linken Auge bestünde eine Glaskörperanheftung in der Netzhautmitte mit Glaskörperzug. Die ermittelte Sehschärfe betrage für die Ferne rechts 1/20 mit Korrektur, links 1/30. Bei der Sehschärfe für die Nähe habe die Klägerin keine Sehzeichen erkannt. Die Gesichtsfeldaußengrenzen seien konzentrisch eingeschränkt auf ca. 20 Grad angegeben worden. Die Klägerin finde sich im freien Raum und in ihr unbekannten Räumen gut zurecht, gebe zielgerichtet die Hand, könne im Raum stehende Gegenstände ohne Probleme umgehen und folge dem Untersucher in den ihr unbekannten Gängen der Augenklinik bei guter wie schlechter Beleuchtung ohne Probleme. Die Klägerin lese die aktuelle Medikation von einem bedruckten Kärtchen ab. Die Sehschärfen- und Gesichtsfeldangaben stimmten nicht mit den morphologisch-anatomischen und funktionellen Befunden überein. Es könne aufgrund der Untersuchungen davon ausgegangen werden, dass am rechten Auge eine Sehschärfe im Bereich von 0,1 und am linken Auge von mindestens 0,5 bestünde. Es sei zudem von nahezu normalen Gesichtsfeldaußengrenzen auszugehen. Es könne daher jegliche Tätigkeit verrichtet werden, die keiner erhöhten Sehanforderung bedürfe. Das Führen von gewerblichen Fahrzeugen sei nicht zulässig. Das private Führen von Kfz sei aufgrund der geschätzten Sehfunktion mit Tragen einer Korrektur statthaft. Das längere Lesen sehr kleiner Texte oder am PC sei nur mit optischen Hilfsmitteln realisierbar. Leichte Sortierarbeiten oder Bürotätigkeiten könne die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten.

14

Die Klägerin bezieht seit dem 1. April 2013 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

15

Mit Urteil vom 23. Januar 2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, soweit sie den Bescheid vom 20. April 2009 betreffe. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei nicht einschlägig, da der Bescheid vom 20. April 2009 den Bescheid vom 3. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2009 nicht abgeändert noch ersetzt habe. Ein auf einen erneuten Antrag ergehender zweiter Ablehnungsbescheid sei nicht (mehr) nach § 96 SGG einzubeziehen. Im Übrigen sei die Klage unbegründet, da die Klägerin seit 2007 noch in der Lage gewesen sei, sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die Kammer folge den Gutachten der Frau Dr. S. und des Herrn Dr. W. Dass die Klägerin nicht nahezu blind sei, wie von ihr behauptet, ergäbe sich insbesondere nach den augenärztlichen Begutachtungen. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bestünde nicht, da die Klägerin höchstens als Angelernte im unteren Bereich einzustufen und in der Lage sei, leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich auszuüben.

16

Die Klägerin hat am 15. April 2013 gegen das ihr am 2. April 2013 zugestellte Urteil Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Sie leide an einer schweren Augenerkrankung beider Augen und sei hochgradig sehbehindert. Es existierten deshalb nur wenige Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, welche ihr noch angeboten werden könnten. Es handele sich um eine schwere spezifische Leistungsbehinderung. Sie könne nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Es sei die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich.

17

Die Klägerin beantragt,

18

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 31. Januar 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab dem

19

1. November 2007 bis zum 31. Juli 2008 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

20

Die Beklagte beantragt,

21

die Berufung zurückzuweisen.

22

Sie verweist zur Begründung auf das erstinstanzliche Vorbringen und auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil.

23

Der Senat hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt. Herr Dr. V., Facharzt für Augenheilkunde, hat im August 2014 eingeschätzt, die Klägerin könne unter Berücksichtigung der augenärztlichen Befunde nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein. Eine Beschäftigung in einem Blindenberuf sei denkbar. Dem Gutachten des Herrn Dr. W. sei nicht zu entnehmen, worauf dieser den Vorwurf der Aggravation stütze. Die bloße Diskrepanz von objektiven Befunden und subjektiven Angaben genüge nicht zwangsläufig. Die Beweiskette sei nicht vollständig dargelegt.

24

Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten und die Verwaltungsakte des Versorgungsamtes haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

25

Die nach § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

26

Zunächst ist auszuführen, dass über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20. April 2009 nicht zu befinden ist. Dieser Bescheid war nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gemäß § 86 SGG, da jenes mit dem Erlass des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2009 abgeschlossen war. Der Bescheid ist insbesondere nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG kraft Gesetzes Gegenstand des Klage- und damit auch des Berufungsverfahrens geworden. Danach wird ein neuer Verwaltungsakt nach Klageerhebung nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der Anwendbarkeit von § 96 SGG steht zunächst nicht entgegen, dass der Bescheid vom 20. April 2009 im Zeitraum zwischen Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides und Klageerhebung am 27. April 2009 ergangen ist. Die Einbeziehung des Bescheides vom 20. April 2009 in analoger Anwendung von § 96 Abs. 1 SGG kommt dennoch nicht in Betracht. Durch den Wortlaut von § 96 SGG in der Fassung ab dem 1. April 2008 soll nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers der Anwendungsbereich der Norm dahingehend eingeschränkt werden, dass eine Einbeziehung eines neu ergangenen Verwaltungsaktes nur in direkter und nicht in entsprechender Anwendung der Vorschrift erfolgen kann (vgl. BT-Drs. 16/7716, S. 18f). Die bloße Einbeziehung eines neuen Verwaltungsaktes in das anhängige Verfahren, nur weil der neue Verwaltungsakt mit dem anhängigen Streitgegenstand in irgendeinem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stand, soll nach der Neufassung nicht mehr möglich sein. Eine Änderung oder Ersetzung liegt nur vor, wenn in den im Verfügungssatz des Bescheides zum Ausdruck kommenden Regelungsgehalt des ursprünglichen Bescheides eingegriffen wird.

27

Der ablehnende Bescheid, der auf einen erneuten Antrag ergeht, ist jedoch nicht nach § 96 SGG Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens, weil die Ablehnung der Leistung kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist und mit Wirkung für die Zukunft weder geändert noch ersetzt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 44/08 B; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. März 2015 – L 4 P 2196/14). Um einen solchen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt es sich nur, wenn er über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe hinaus Wirkungen erzeugt. Daran fehlt es, wenn lediglich die Gewährung einer Leistung abgelehnt wird, weil mit der Ablehnung eines Antrages die Rechtslage nur einmalig gestaltet und das Bestehen eines Leistungsverhältnisses gerade verneint wird (BSG, Urteil vom 30. Januar 1985 – 1 RJ 2/84). Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist bei der Ablehnung von Leistungen ohne zeitliche Beschränkung grundsätzlich der gesamte Zeitraum bis zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt. Bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen im Sinne von § 54 Abs. 4 SGG - um eine solche handelt es sich vorliegend - ist dies grundsätzlich der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht. Dies gilt jedoch nicht, sofern zwischenzeitlich ein neuer Antrag auf Leistungen gestellt worden ist. Dann hat sich der angefochtene und streitbefangene Vorbescheid für den vom Neuantrag erfassten Zeitraum gemäß § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) auf andere Weise erledigt.

28

Die Klägerin stellte am 7. August 2008 erneut einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Der Eintritt eines Leistungsfalls ist daher für den Zeitraum ab Antragstellung nicht mehr entscheidungsrelevant, da sich der streitgegenständliche Bescheid ab dem Zeitpunkt der erneuten Antragstellung, der dann vom Folgebescheid erfasst ist, erledigt hat. Unter Berücksichtigung des zuletzt gestellten Antrages der Klägerin unterliegt allein der Zeitraum vom 1. November 2007 bis 31. Juli 2008 der gerichtlichen Prüfung.

29

Der Bescheid vom 20. April 2009 ist auch nicht im Wege der Klageänderung gemäß § 99 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens geworden. Die Klägerin hat eine Einbeziehung des Bescheides zuletzt nicht mehr beantragt. Darüber hinaus wäre eine Änderung der Klage (auch in der Berufungsinstanz) nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Unabhängig davon setzte die Klageänderung aber eine Zulässigkeit der neuen Klage auch durch ein abgeschlossenes Vorverfahren voraus, woran es im vorliegenden Fall noch fehlt.

30

Der unklare Visusabfall auf dem linken Auge, den die Klägerin im September 2009 beklagte, ist daher im Rahmen der erneuten Antragstellung – nicht jedoch im hiesigen Klage- bzw. Berufungsverfahren zu prüfen. Hingegen müssen die Funktionseinschränkungen aufgrund der Netzhautablösung am rechten Auge im Juli 2008 im Rahmen des Berufungsverfahrens in die Beurteilung einfließen.

31

Die Berufung ist unbegründet, weil der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 3. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2009 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht im Sinne der §§ 153, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

32

Die Klägerin hat im streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI haben Versicherte, wenn die entsprechenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, einen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind. Dies erfordert gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, dass sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die Voraussetzungen sind vorliegend für den Zeitraum ab Antragstellung nicht erfüllt. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin in der Lage war, mindestens sechs Stunden täglich wenigstens körperlich leichte Arbeiten zu verrichten. Nach den medizinischen Ermittlungen ergibt sich für den Senat folgendes Leistungsbild: Die Klägerin konnte im gelegentlichem Wechsel der Körperhaltung, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne Gerüst- und Leiterarbeiten, ohne Arbeiten an laufenden Maschinen und ohne Arbeiten mit hohen Anforderungen an die feinmotorische Geschicklichkeit der rechten Hand erwerbstätig sein. Auszuschließen waren zudem Akkordarbeiten, Tätigkeiten mit anhaltendem hohen psychischen Stress und Arbeiten mit besonderen Anforderungen an das Sehvermögen. Im Rahmen der Erwerbstätigkeit ist eine gute Beleuchtung sicherzustellen.

33

Hinsichtlich der Leistungseinschätzung folgt der Senat aufgrund eigener Urteilsbildung den schlüssigen und überzeugenden Gutachten von Frau Dr. S. und Herrn Dr. W. Diese Gutachten stehen im Einklang mit den vorliegenden Befundberichten des Hausarztes und des Orthopäden sowie dem Gutachten von Herrn Priv. Doz. Dr. M. Allein die Ärzte des Augenzentrums sahen keine hinreichende Belastbarkeit der Klägerin für eine Erwerbstätigkeit. Der Einschätzung der behandelnden Augenärzte vermochte der Senat jedoch nicht zu folgen; dies auch unter Berücksichtigung des Aspekts, dass deren Leistungsbeurteilung einen Gesundheitszustand betrifft, dem die hier nicht entscheidungsrelevante von der Klägerin dargelegte Verschlechterung des Sehvermögens auf dem linken Auge zugrunde liegt.

34

Bei der Klägerin lagen im hier zu prüfenden Zeitraum folgende Gesundheitsstörungen vor, die ihr Leistungsvermögen im Erwerbsleben beeinflussten: hohe Achsenmyopie (Kurzsichtigkeit), Astigmatismus (Stabsichtigkeit), Zustand nach Plombenentfernung rechts, Cerclage (Augapfelumgürtelung) rechts, Phakoemulsifikation (grauer Star-Operation) rechts, Kunstlinsen-Implantation und glaskörperchirurgischer Eingriff rechts 2008, rissbedingte Netzhautablösung bei Zustand nach Plombenaufnähung bei Netzhautablösung 1998 und Netzhautdegeneration der Netzhautmitte rechts sowie Glaskörperanheftung in der Netzhautmitte mit Glaskörperzug am linken Auge. Zudem bestanden ein wiederkehrendes Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom und Fingergelenksarthrose rechts.

35

Soweit im Jahr 2007 eine geringgradige koronare Herzkrankheit diagnostiziert wurde, ergaben sich im Rahmen der Begutachtung durch Frau Dr. S. keine weiteren Auffälligkeiten in den klinischen und in den paraklinischen Befunden. Ödeme waren nicht feststellbar. Das EKG zeigte keinen auffälligen Kurvenverlauf. Die Klägerin war im Laufband-Gehstreckentest belastbar. Eine wesentliche Veränderung ist diesbezüglich vom Hausarzt nicht mitgeteilt worden. Eine laufende internistische Facharztbehandlung hat die Klägerin nicht angegeben.

36

Orthopädische Probleme standen ebenfalls nicht im Vordergrund. Die Klägerin war von August 2008 bis Juni 2009 dreimal wegen Beschwerden im Hals- und Lendenwirbelsäulen-Bereich und im Februar 2011 wegen Leistenschmerzen rechts bei Herrn Dipl.- Med. E. vorstellig. Dabei war die Seitneige der HWS endgradig eingeschränkt. Es fanden sich Muskelhärten der langen Rückenstrecker. Neurologische Auffälligkeiten bestanden nicht. Röntgenologisch stellten sich Arthrosen der kleinen Wirbelgelenke der HWS und Facettengelenksarthrose L4/5 sowie im CT-Befund aus dem Jahr 2002 eine Bandscheibenvorwölbung bei L5/S1 dar. Ein Bandscheibenvorfall oder eine Enge des Spinalkanals waren nicht vorhanden. Der Orthopäde hatte hinsichtlich einer Erwerbstätigkeit im Umfang von sechs Stunden täglich bei leichten Tätigkeiten keine Bedenken. Damit im Einklang steht das Gutachten von Frau Dr. S. Die Klägerin hatte über Schmerzen der Lendenwirbelsäule (LWS) geklagt. Außerdem träten gelegentlich Schwierigkeiten beim Zufassen auf. Diesbezüglich fand sich eine diskrete Schwellung der Fingermittelgelenke der rechten Hand, wobei der Faustschluss vollständig ausführbar war. Die LWS war nicht wesentlich bewegungseingeschränkt. Das Gangbild war unauffällig. Es fanden sich keine neurologischen Störungen. Die Extremitäten waren aktiv und passiv frei beweglich. Mit Hilfe der vorliegenden Befunde auf orthopädischem Fachgebiet lässt sich eine quantitative Leistungsminderung nicht begründen. Die Einschätzung der Gutachterin und des behandelnden Orthopäden ist daher vollkommen plausibel.

37

Vielmehr ist die von der Klägerin noch nicht in der Antragstellung im November 2007 und im Widerspruchsschreiben aus dem April 2008, aber mit der erneuten Antragstellung im August 2008 und im April 2009 in den Focus gerückte Sehbehinderung - wenn auch nicht rentenrelevant - qualitativ leistungseinschränkend. Es bestehen Einschränkungen der Sehfunktion. Diesbezüglich fällt die erneute Netzhautablösung rechts im Juli 2008 - nach den oben dargestellten rechtlichen Ausführungen - in den prüfungsrelevanten Zeitraum, nicht hingegen die von der Klägerin im September 2009 beklagte unklare Visusminderung des linken Auges. Der Senat schließt sich der Beurteilung des Herrn Dr. W. an. Das darin ermittelte Sehvermögen unter Beachtung einer erneuten Netzhauablösung rechts ist vergleichbar mit den Feststellungen in den vorhandenen medizinischen Unterlagen, betreffend die Sehtests im Februar und April 2008 hinsichtlich des linken Auges und im Juli, August und September 2008 sowie Januar 2009 hinsichtlich beider Augen. Rechts ist nach einer schweren vollständigen Netzhautablösung von einer erheblichen Verminderung der Sehfunktion auszugehen. Eine Sehschärfenminderung auf dem linken Auge resultiert nach den überzeugenden Ausführungen des Herrn Dr. W. aus der Anheftung der hinteren Glaskörpergrenzmembran am Ort des schärfsten Sehens mit geringer Flüssigkeitseinlagerung.

38

Offen bleiben können die Hintergründe der erschwerten Compliance bei der Projektionsperimetrie (Herr Dr. M.) und dem Widerspruch zu physiologisch-optischen Gesetzen (Herr Dr. M. und Herr Dr. W.). Jedenfalls stellten beide augenfachärztliche Gutachter eine hinreichende Orientierungsfähigkeit der Klägerin mit gezieltem Greifen, Zurechtfinden in unbekannten Örtlichkeiten, Umgehen von Hindernissen und Setzen auf den zugewiesenen Stuhl fest. Die Klägerin konnte auch von einem bedruckten Kärtchen Medikamentenbezeichnungen mit einer Schriftgröße von ca. 2 mm ablesen. Sie gab gegenüber Herrn Dr. W. an, seit der Verschlechterung des Sehvermögens auf dem linken Auge im Jahr 2009 keinen Pkw mehr zu führen. Auch dem Gutachten der Frau Dr. S. aus dem Februar 2008 ist die Information der Klägerin zu entnehmen, dass sie sehr kurze Strecken mit dem Auto fahre. Das somit festgestellte Sehvermögen führte nicht zu einer quantitativen Leistungsminderung. Auch waren der Klägerin nicht lediglich Blindenberufe möglich. Vielmehr findet sich nur ein qualitativer Leistungsausschluss bei Tätigkeiten, die besondere Anforderungen an das Sehvermögen stellen.

39

Mit einem Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich war die Klägerin aber weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 1, Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 SGB VI.

40

Die Klägerin war insbesondere auch nicht deshalb voll erwerbsgemindert, weil sie trotz des sechsstündigen Leistungsvermögens nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein konnte. Es lagen - entgegen der Ausführungen der Klägerin - keine schwere spezifischen Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Das Restleistungsvermögen der Klägerin reichte nämlich noch für Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen sowie Bürohilfsarbeiten aus (vgl. die Aufzählung in dem Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1996, GS 2/95, BSGE 80, 24, 33f.; in der Anwendbarkeit auf die aktuelle Rechtslage bestätigt in BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R). Jenes belegen die Gutachten von Frau Dr. S. und von Herrn Dr. W.

41

Es liegt auch keiner der in der Rechtsprechung anerkannten sog. Katalogfälle vor, die die Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausschließen (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R). Die Klägerin ist nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Die Gehfähigkeit gibt sie zwar als eingeschränkt an; sie kann aber viermal arbeitstäglich einen Fußweg von mehr als 500 Meter am Stück vor und nach einer Arbeitsschicht zu und von einem öffentlichen Verkehrsmittel bzw. zum und vom Arbeitsplatz ohne unzumutbare Beschwerdezustände in jeweils längstens 20 Minuten zurücklegen. Auf orthopädischem Fachgebiet sind keine Befunde erhoben worden, die Einschränkungen der Wegefähigkeit plausibel erscheinen lassen würden. Es handelt sich um weitgehend reversible Beschwerden. Der Laufband-Gehstreckentest ergab eine von der Klägerin in 14 Minuten zurückgelegte Wegstrecke von 504 Meter. Sie findet sich nach den Feststellungen der Gutachter auch in ihr unbekannten Räumen zurecht, kann Hindernisse umgehen und ist somit in der Lage, den Arbeitsweg zurückzulegen.

42

Die Klägerin erfüllte die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI ebenfalls nicht. Danach haben Versicherte bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie vor dem ... 1961 geboren und berufsunfähig sind. Die Klägerin ist zwar vor diesem Datum am ... 1952 geboren. Sie ist aber nicht berufsunfähig gewesen (§ 240 Abs. 2 SGB VI).

43

Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit vom bisherigen Beruf der Versicherten auszugehen. Es ist zu prüfen, ob sie diesen Beruf ohne wesentliche Einschränkungen weiterhin ausüben können. Sind sie hierzu aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, ist der qualitative Wert des bisherigen Berufs dafür maßgebend, auf welche Tätigkeiten die Versicherten verwiesen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 1994 – 4 RA 35/93 – SozR 3-2200 § 1246 Nr. 41; Urteil vom 16. November 2000 – B 13 RJ 79/99 R – SozR 3-2600 § 43 Nr. 23, S. 78). Bisheriger Beruf ist in der Regel die letzte nicht nur vorübergehende versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Dabei ist nicht unbedingt auf die letzte Berufstätigkeit abzustellen, sondern auf diejenige, die bei im Wesentlichen ungeschwächter Arbeitskraft nicht nur vorübergehend eine nennenswerte Zeit ausgeübt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 1985 – 4a RJ 53/84 – SozR 2200 § 1246 Nr. 130). Bisheriger Beruf der Klägerin in diesem Sinne ist deren Tätigkeit als Adjustiererin, die sie zuletzt versicherungspflichtig und unbefristet ausgeübt hat. Dies ist dem Arbeitsvertrag mit der Klägerin aus dem Jahr 1991 und dem Änderungsvertrag aus dem Jahr 1987 zu entnehmen, die von der ... GmbH zu den Gerichtsakten gereicht wurden. Diese Tätigkeit kann die Klägerin nicht mehr verrichten, da sie nicht ihrem Restleistungsvermögen entspricht. Es handelt sich nach den Angaben der ... GmbH um eine mittelschwere Arbeit, die teilweise unter Zwangshaltungen erfolgt.

44

Damit ist die Klägerin jedoch noch nicht berufsunfähig. Sie ist zumutbar auch auf ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Auf welche anderen Berufstätigkeiten ein Versicherter nach seinem fachlichen und gesundheitlichen Leistungsvermögen noch zumutbar verwiesen werden kann, beurteilt das BSG nach einem von ihm entwickelten Mehrstufenschema (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 – B 4 RA 5/04 R – juris). Die soziale Zumutbarkeit eines Verweisungsberufs richtet sich nach dem qualitativen Wert des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe in Gruppen eingeteilt, wobei der Stufenbildung im Ansatz die zur Erreichung einer bestimmten Qualifikation normalerweise erforderliche Ausbildung zugrunde gelegt wurde. Sozial zumutbar sind grundsätzlich nur Tätigkeiten der im Verhältnis zum bisherigen Beruf gleichen oder nächst niederen Stufe (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 1991 – 5 RJ 34/90 – SozR 3-2200 § 1246 Nr. 17). Dabei werden folgende Stufen unterschieden: Ungelernte Berufe (Stufe 1); Berufe mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahre (Stufe 2); Berufe mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren (Stufe 3); Berufe, die zusätzliche Qualifikationen oder Erfahrungen oder den erfolgreichen Besuch einer Fachschule voraussetzen (Stufe 4), zu ihr gehören Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion gegenüber anderen Facharbeitern, Spezialfacharbeiter, Meister, Berufe mit Fachschulqualifikation als Eingangsvoraussetzung; Berufe, die einen erfolgreichen Abschluss einer Fachhochschule oder eine zumindest gleichwertige Berufsausbildung voraussetzen (Stufe 5); Berufe, deren hohe Qualität regelmäßig auf einem Hochschulstudium oder einer vergleichbaren Qualifikation beruht (Stufe 6; zu diesen Stufen: BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 – B 4 RA 5/04 R – juris). Die Stufe 2, auch als Gruppe der Angelernten bezeichnet, unterteilt die Rechtsprechung des BSG wegen der Vielschichtigkeit und Inhomogenität dieser Berufsgruppe in einen oberen und einen unteren Bereich. Dem unteren Bereich sind alle Tätigkeiten mit einer regelmäßigen (auch betrieblichen) Ausbildungs- oder Anlernzeit von drei bis zwölf Monaten und dem oberen Bereich dementsprechend die Tätigkeiten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu 24 Monaten zuzuordnen (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 1994 – 13 RJ 35/93 – SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45). Bei Angelernten des oberen Bereichs sind im Gegensatz zu Angelernten des unteren Bereichs sowie Ungelernten Verweisungstätigkeiten konkret zu benennen (Niesel in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB VI, § 240 Rdnr. 101, 102).

45

Der Senat geht bei der Klägerin von einer ungelernten Tätigkeit mit einer Anlernzeit von bis zu drei Monaten (Ungelernte, Stufe 1) aus. Ausschlaggebend für die Zuordnung einer bestimmten Tätigkeit zu einer der Gruppen des Mehrstufenschemas ist allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde qualitative Wert der Arbeit für den Betrieb (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 14/90, juris). Erforderlich ist eine Gesamtschau aller möglichen Bewertungskriterien, insbesondere der Ausbildung, der tariflichen Einstufung, der Dauer der Berufsausübung, der Höhe der Entlohnung und der Anforderungen des Berufs. Dabei waren für den Senat die Angaben des Rechtsnachfolgers des ehemaligen Arbeitgebers der Klägerin maßgeblich. Danach ist für eine Tätigkeit als Adjustiererin, die in der Verpackung von Versandfertigmaterial mittels Handschere, Bindeband, Messmittel und Abbindegerät besteht, eine Anlernzeit von bis zu drei Monaten zu durchlaufen. Die Tätigkeit wurde im Allgemeinen von ungelernten Arbeitern verrichtet. Eine einschlägige Ausbildung kann die Klägerin nicht vorweisen. Sie hatte die Anlernzeit von bis zu drei Monaten absolviert. Angesichts der nur kurzen Einarbeitungsdauer für ungelernte Arbeitnehmer vermag auch die tarifvertragliche Entlohnung der Klägerin nach der Lohngruppe V (Angelernte) nichts an dieser Beurteilung zu ändern. Die Wertigkeit der Tätigkeit bewegt sich in Auswertung der Arbeitgeberauskunft im ungelernten Bereich. Als Ungelernte ist die Klägerin auf andere ungelernte Tätigkeiten - mithin den allgemeinen Arbeitsmarkt - sozial zumutbar verweisbar.

46

Eine Lösung vom Beruf als Gabelstaplerin aus gesundheitlichen Gründen ist angesichts der Arbeitgeberauskunft nicht belegt, da hier von betrieblichen Gründen die Rede ist. Darüber hinaus handelte es sich nicht um eine höherwertige Tätigkeit.

47

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

48

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.


Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 13. Dezember 2012 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Streitgegenständlich ist eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI).

2

Der am ... 1963 geborene Kläger ist gelernter Agrotechniker/Mechanisator. In diesem Beruf war er bis 1986 erwerbstätig. Von Mai 1986 bis September 2008 arbeitete er als Zementiermaschinist. Er bezieht eine Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau seit dem 1. November 2009.

3

Der Kläger ist Rechtshänder. Er erlitt am 21. August 2008 einen Unfall. Beim Verfüllen eines Brunnens prallte ein Schlauch auf das rechte Handgelenk bzw. die rechte Hand des Klägers. Die operative Versorgung erfolgte am 27. November 2008. Bei der Kontrolle am 16. Dezember 2008 sei noch eine leichte Schwellung feststellbar. Sowohl Langfingerstreckung als auch Faustschluss seien komplett, jedoch kraftgemindert, möglich. Unter Angaben der Besserung der Beschwerden war im Januar 2009 eine deutliche Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks zu verzeichnen, weshalb im Februar 2009 eine weitere operative Versorgung erfolgte. Nach dem Zwischenbericht vom 17. Juli 2009 und dem Gutachten vom 5. August 2009 handele es sich um eine schmerzhafte Funktionseinschränkung des rechten Handgelenks nach SL-Bandläsion und SL-Bandrekonstruktion.

4

Am 17. September 2010 stellte der Kläger bei der Beklagten den zweiten Antrag auf Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente. Nach seinen Angaben im Antragsformular fühle er sich seit September 2008 wegen einer Funktionsunfähigkeit des rechten Arms, ständiger chronischer Schmerzen, einem Verschleiß der linken Schulter und wegen eines Bluthochdrucks erwerbsgemindert. Er könne keine Arbeiten mehr verrichten.

5

Aus dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren lag der Beklagten u.a. ein Gutachten seines Sozialmedizinischen Dienstes (SMD) vom 26. Januar 2010 vor. Danach sei der Kläger allein mit dem Auto zur Begutachtung angereist. Das Gangbild sei flüssig. Das Umkleiden erfolge zügig. Die Wirbelsäule sei nicht relevant bewegungseingeschränkt. Im Bereich der oberen Extremitäten bestünden keine Entzündungszeichen der Gelenke. Die Handstreckung und -beugung und die Abduktion seien endgradig und die Adduktion leichtgradig rechtsseitig eingeschränkt. Es bestünde eine Umfangsdifferenz zugunsten von rechts von 1 cm im Handgelenksbereich und zugunsten von links von 1 cm im Unterarmbereich (10 cm unterhalb des Epicondylus lateralis). Der Faustschluss sei beidseits komplett, rechts mit geringer Kraftminderung (Kraftgrad 4/5) und bei Schmerzangabe, möglich. Die Fingerkuppen erreichten die Daumen. Es sei dem Kläger gelungen, einzelne Büroklammern mit der rechten Hand herauszusuchen und einen Satz zu schreiben. Bei Abduktion des linken Armes sei eine leichtgradige Bewegungseinschränkung festzustellen. Die unteren Extremitäten seien frei beweglich. Im Rahmen der Belastungsergometrie sei eine belastungsinduzierte hypertone Kreislaufdysregulation vorhanden. Zudem sei im neurologischen Befund eine Mundastschwäche aufgefallen. Im linken Handgelenk hätten keine relevanten Bewegungseinschränkungen bei Zustand nach Sturz in der Häuslichkeit vorgelegen. Es handele sich um eine Funktionseinschränkung der rechten Hand mit end- bis leichtgradiger Bewegungseinschränkung, um eine Minderbelastbarkeit der Kniegelenke bei degenerativen Veränderungen ohne Bewegungseinschränkung, anamnestisch um Colitis ulcerosa und um leichtgradige Funktionsstörungen bei Abduktion im linken Schultergelenk bei Omalgien. Leichte Tätigkeiten seien dem Kläger mit qualitativen Einschränkungen in einem Zeitumfang von sechs Stunden und mehr täglich zuzumuten.

6

Frau Dipl.-Med. W., Fachärztin für Augenheilkunde, berichtete am 19. Januar 2010 von einem korrigierten Visus rechts von 0,6 und links von 0,8. Der SMD folgerte hieraus am 23. Februar 2010 einen Ausschluss von Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Sehvermögen.

7

Mit Bescheid vom 15. Oktober 2010 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert. Er sei noch fähig, eine Erwerbstätigkeit mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. Hiergegen wandte sich der Kläger am 8. November 2010 mit Widerspruch. Er trug vor, dass er nicht in der Lage sei, noch sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Seit dem Arbeitsunfall leide er unter starken Schmerzen, welche die Funktion des rechten Handgelenks stark einschränkten. Es sei eine Versteifung desselben geplant. Er sei faktisch einarmig. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei keinesfalls von einer faktischen Einarmigkeit auszugehen. Die rechte Hand zeige lediglich Einschränkungen im kraft- und feinmotorischen Bereich. Zur Unterstützung und für leichte Tätigkeiten seien der rechte Arm und die rechte Hand vollständig nutzbar.

8

Der Kläger hat am 16. März 2011 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben. Er hat ausgeführt, aufgrund von körperlichen Beeinträchtigungen sei er nicht in der Lage, zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Insbesondere ergäben sich Einschränkungen der rechten Hand mit Minderung der groben Kraft auf ca. 30 Prozent im Vergleich zu links und mit starken Bewegungseinschränkungen der rechten Hand. Er hat ein handchirurgisches Gutachten des Prof. Dr. V., Direktor der Medizinischen Hochschule H., Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, vom 21. Dezember 2010, erstellt für ein privatrechtliches Versicherungsunternehmen, zu den Gerichtsakten gereicht. Der Kläger habe bei Belastung starke Schmerzen im rechten Handgelenk, insbesondere bei Drehbewegungen und beim Heben und Tragen von Lasten mit Belastungsgrenze bei etwa der Schwere eines halbvollen Wasserkochers, beklagt. Stärkere Belastungen seien nicht mehr möglich. In Ruhe seien die Schmerzen geringer und mit Orthese nur leicht zu merken. Der Kläger könne die Greifformen beidseits - rechts etwas zögerlicher - ausführen. Es sei eine leichte Schwellung im Bereich des rechten Handgelenks festzustellen. Die Beweglichkeit sei im Vergleich zu links gemindert. Die grobe Kraft sei deutlich vermindert. Faustschluss und Fingerstreckung seien an beiden Händen komplett möglich. Der Kläger leide an einer chronischen belastungsabhängigen Schmerzhaftigkeit des rechten Handgelenks nach arthroskopisch festgestellter Verletzung des SL-Bandes und des Testut´schen Ligementes und einem ebenso arthroskopisch festgestellten TFCC-Schaden links mit erheblicher Minderung der Grobkraft auf ca. 30 % ohne Orthese im Vergleich zur Gegenseite. Es bestünden eine Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks (gemeint: rechts) in Extension/Flexion sowie Ulnar- und Radialduktion, insgesamt um 90 Grad, posttraumatische arthrotische Gelenkverschleißerscheinungen, vor allem periscapulär und im Bereich des Radiocarpalgelenks rechts bei fortbestehender Aufweitung des SL-Spaltes (SL-Dissoziation) trotz operativ versorgter SL-Bandläsion und Rekonstruktion mit Sehnentransplantat und Narben als Folgen der Voroperationen. Der Kläger sei in seinem Beruf als Kraftfahrer und Maschinist erwerbsunfähig. Er könne leichte Arbeiten für ca. drei Stunden täglich ausüben.

9

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte. Herr Dr. H., Facharzt für Chirurgie, Handchirurgie, Unfallchirurgie und Chirotherapie hat am 23. Mai 2011 auf das Gutachten vom 5. August 2009 Bezug genommen. Im Februar 2011 seien eine Arthrose in der Schulterregion links und ein Zustand nach traumatischer Ruptur von Bändern des Handgelenks und der Handwurzel zu diagnostizieren.

10

Dem SG hat zudem ein Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit B. vom 14. März 2011 vorgelegen. Wegen behandlungsbedürftiger psychischer Minderbelastbarkeit und unter denselben Diagnosen wie im Gutachten des SMD hat die Gutachterin eingeschätzt, das Leistungsvermögen des Klägers betrage voraussichtlich bis zu sechs Monate täglich weniger als drei Stunden.

11

Frau Dr. A., Fachärztin für Allgemeinmedizin, hat im Befundbericht vom 1. Juni 2011 zudem eine Neuritis diagnostiziert. Der Kläger habe am 21. April 2011 (gemeint: 12. April) ein Schädelhirntrauma erlitten. Zur Zeit seien ihm keine leichten Arbeiten möglich. Herr SR Dr. R., Augenfacharzt, hat am 7. Juni 2011 mitgeteilt, der Kläger leide an alten Narben der Hornhaut rechts und posttraumatischer Opticusatrophie rechts. Die Befunde hätten sich rechts verschlechtert. Veränderungen seien nach dem Sturz vom 12. April 2011 eingetreten. Das Verschwommensehen habe rechts seit dem Sturz zugenommen. Er hat ergänzt, der Visus betrage rechts 5/25 und links 5/6 (14. April 2011: rechts 5/10, links 5/5). Es bestünden rechts ausgeprägte Gesichtsfeldeinschränkungen. Der Kläger hat zudem die Mitteilung des Herrn Dr. D. vom 8. Juni 2011, er sei während der festgestellten Arbeitsunfähigkeit als erwerbsunfähig einzuschätzen, eingereicht. Bei deutlicher Untererregbarkeit links im VNG handele es sich um eine ausgeprägte Unterfunktion des linken Labyrinths bei Zustand nach Schädelhirntrauma.

12

Der Kläger hat am 18. November 2011 erneut einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten gestellt. Diese hat das SG um Berücksichtigung dieses Antrages im Rahmen des Klageverfahrens gebeten. Ein Bescheid hierzu ist nicht ergangen.

13

Der Kläger hat im Zeitraum vom 29. Februar bis 4. April 2012 eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Klinikzentrum M. GmbH, Abteilung Psychosomatik, absolviert. Nach dem Entlassungsbericht leide er an einer Anpassungsstörung und an einer leichten depressiven Episode. Sein Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts sei auf unter drei Stunden täglich abgesunken. Der Kläger habe innerhalb seiner Symptome nicht behandelt werden können und sei daher für den Arbeitsmarkt nicht oder sehr eingeschränkt vermittelbar. Im psychologischen Befund wirke der Kläger in der Stimmungslage depressiv, im Antrieb gemindert. Die Psychomotorik sei etwas reduziert. Konkrete Frage beantworte er präzise. Es gäbe regelmäßigen Alkoholkonsum. Bei direktem Anleuchten der rechten Pupille könne der Kläger hell und dunkel unterscheiden. Es bestünden keine Feinmotorikstörungen. Die Schultergelenke seien frei beweglich, wobei der Kläger links leichte Schmerzen angebe. Im rechten Handgelenk sei ein deutlicher Druckschmerz auslösbar. Die Beweglichkeit sei im Vergleich zu links deutlich vermindert. Die übrigen Gelenke seien frei beweglich. Die Wirbelsäule sei nicht bewegungseingeschränkt. Soziale Ungerechtigkeit und fehlende Anerkennung der unverschuldeten Schädigung hätten beim Kläger in die Depression geführt. Er habe seine depressive Verstimmung, seine Müdigkeit und seine Antriebslosigkeit für sich in der Einrichtung gut bearbeiten können. Die funktionellen Einschränkungen und die Problematiken des rechten Auges hätten nicht therapiert werden können. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei dem Kläger nach ordentlicher Prüfung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsplatz gegebenenfalls eine leichte Tätigkeit zumutbar.

14

Das SG hat die Begutachtung des Klägers durch den Arzt für Chirurgie, Orthopädie, Unfallchirurgie und Handchirurgie Herr Prof. Dr. G. angeordnet. Im Gutachten vom 22. Mai 2012 hat dieser folgende Einschränkungen dargestellt: Einschränkung der Handgelenksfunktion rechts, Einschränkung der Unterarmdrehfunktion rechts, Kraftminderung der rechten Hand, Folgen des Schädelhirntraumas mit Erblindung des rechten Auges, Labyrinthschwindel und Schlafstörungen, Bauchnarbe nach Dickdarmteilresektion bei chronischer Darmerkrankung und endgradige Funktionseinschränkung im linken Schultergelenk. Es ergäben sich aufgrund der Funktionsstörungen der rechten Hand Einschränkungen für das Arbeiten mit schweren Maschinen, mit Vibrationsmaschinen, für die Handgeschicklichkeit, für Leiter- und Gerüstarbeiten und beim Tragen von schweren Lasten. Der Kläger könne mindestens vier bis unter sechs Stunden arbeitstäglich erwerbstätig sein. Dabei seien leichte bis mittelschwere Arbeiten zumutbar.

15

Der SMD hat ausgeführt, dass die gutachterlich erhobenen Befunde sich mit den von ihm, dem SMD, erhobenen Befunden deckten. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Gutachter eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens angäbe. Die resultierenden Unfallfolgen Schwindel und Blindheit aus einem Unfall am 13. April 2011 mit Schädelhirntrauma seien nicht durch fachärztliche Befunde objektiviert. Bei Blindheit und Schwindel ergäben sich nur qualitative Einschränkungen. Die Aussagen der Reha-Einrichtung seien nicht eindeutig formuliert und nicht nachvollziehbar. Es sei kritisch anzumerken, dass der Bericht von einer psychologischen Beraterin erstellt worden sei. Zusammenfassend sei zu beurteilen, dass anhand der vorgelegten Befunde kein Anhalt dafür bestünde, die Aussagen der Erstbegutachtung vom 26. Januar 2010 anzuzweifeln.

16

Mit Urteil vom 13. Dezember 2012 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2011 bis 31. März 2013 zu gewähren und hat im Übrigen die Klage abgewiesen. Dabei habe sich das SG bei Fehlen anderslautender Leistungsvoten den Einschätzungen im Reha-Entlassungsbericht und dem Arbeitsamtsärztlichen Dienst insoweit angeschlossen, als dass der Kläger eine Tätigkeit nur unter sechs Stunden täglich verrichten könne. Durch die zeitliche Begrenzung sei dem Umstand Rechnung getragen, dass der Kläger es bisher versäumt habe, sich in eine psychotherapeutische Behandlung zu begeben.

17

Gegen das am 18. Januar 2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18. Februar 2013 Berufung eingelegt. Die von den Sachverständigen abgeleiteten Einschätzungen zum Restleistungsvermögen seien nicht plausibel und nachvollziehbar. Es sei eine psychiatrische Zusatzbegutachtung für erforderlich gehalten worden. Dem sei das SG nicht gefolgt. Zumindest habe das SG sich gedrängt fühlen müssen, dem Gutachter Prof. Dr. G. die Stellungnahme des SMD zur Diskussion zuzuleiten. Es liege keine vollständige Sachaufklärung vor.

18

Die Beklagte beantragt,

19

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 13. Dezember 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

20

Der Kläger beantragt,

21

die Berufung zurückzuweisen.

22

Er erwidert, es lasse sich keine Notwendigkeit für die Einholung eines psychiatrischen Zusatzgutachtens erkennen. Auch reiche es für eine Notwendigkeit der Gegenüberstellung nicht aus, dass sich die medizinischen Feststellungen nicht deckten. Das SG habe zutreffend und umfänglich sämtliche im Verfahren vorgetragenen Tatsachen als Grundlage des Urteils herangezogen.

23

Der Kläger hat am 7. Februar 2013 einen Antrag auf Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente bei der Beklagten gestellt. Eine Entscheidung hierüber steht noch aus.

24

Der Senat hat einen Bericht des Herrn Dipl.-Psych. F. vom 21. Oktober 2013 beigezogen. Danach handele es sich um einen gleichbleibenden psychischen Befund einer Depression. Zudem bestünde ein exzessiver Gebrauch von Alkohol als Reaktion auf die Unfallfolgen. Gründe für eine Arbeitsunfähigkeit seien im somatischen Krankheitsgeschehen zu sehen. In unregelmäßigen Abständen sei eine Verhaltenstherapie erfolgt. Frau Dr. A. hat am 27. Oktober 2013 eine zwischenzeitliche depressive Verstimmung mitgeteilt.

25

Der Senat hat die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Herr Dr. B. angeordnet. Im Gutachten vom 15. Juni 2014 hat dieser folgende psychiatrische Diagnosen gestellt: anhaltende Anpassungsstörung mit gegenwärtig als leichtgradig einzuschätzender depressiver Symptomatik, Alkoholmissbrauch und Medikamentenmissbrauch. Die rechte Hand schmerze nach Angaben des Klägers, wenn er etwas Leichtes trage und nachts in Ruhe. Er trage eine Schiene und einen Verband rechts und nehme Tabletten, wenn er Schmerzen habe. Er wirke durch den Unfall aus seinem bisherigen Lebenskonzept gerissen, anhaltend gekränkt mit fehlender Bewältigung ohne eine für ihn vorstellbare berufliche Perspektive, um sein Recht und die versicherungsrechtliche Anerkennung seiner unfallbedingten Beschwerden kämpfend. Auf Nachfragen seien wenig ergänzende oder konkretere Informationen zu den Funktionseinschränkungen im Alltag auf psychischem Gebiet erhältlich. Körperliche Beschwerden würden eher allgemein benannt. Eine mögliche Problemsicht bezüglich des Alkoholkonsums werde nicht deutlich. Die Beweglichkeit im rechten Handgelenk sei vermindert. Die Beweglichkeit des linken Schultergelenks sei gegenüber rechts eingeschränkt. Die Wirbelsäule zeige keine wesentliche Bewegungseinschränkung. Bei Erblindung des rechten Auges werde eine Hell-Dunkel-Wahrnehmung angegeben. Eine quantitative Einschränkung der Leistungsfähigkeit liege aufgrund der auf psychiatrischem Fachgebiet gestellten Diagnosen nicht vor. Es seien jedoch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich. Die körperlichen Funktionseinschränkungen führten zu quantitativen Einschränkungen. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich an fünf Wochentagen verrichten. Es werde abweichend vom Gutachten des Herrn Prof. Dr. G. keine quantitative Leistungsminderung eingeschätzt.

26

Der Senat hat auf den Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Facharztes für Chirurgie, Orthopädie, Unfallchirurgie Dr. T., Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Wirbelsäulenchirurgie der H.-Klinik J. Land GmbH, eingeholt. Im Gutachten vom 16. Februar 2015 hat dieser folgende Diagnosen gestellt: unfallbedingter Verschleiß mit Fehlstellung im Bereich des rechten Handgelenks und der rechten Handwurzel, Verschleiß des rechten Schultereckgelenks und beginnender Verschleiß des Schulterhauptgelenks rechts, beginnender Verschleiß des Schultereck- und Schulterhauptgelenks links, leichter Verschleiß des linken Kniegelenks, unfallbedingte Opticusatrophie rechts mit Gesichtsfeldausfall, Labyrinthschwindel, Zustand nach Sigmaresektion bei Verdacht auf Morbus Crohn, anhaltende Anpassungsstörung mit leicht- bis mittelgradiger depressiver Symptomatik und Alkoholmissbrauch. Die Kraftentwicklung beim gekreuzten Händedruck betrage ½ im Vergleich zur linken Seite. Es bestünden qualitative und quantitative Einschränkungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen nur noch bis zu vier Stunden täglich verrichten. Die Abnutzungen im Bereich des rechten Handgelenks und der Schultern führten zu einer schnelleren Ermüdung und Überlastung der Gelenke. Hiermit verbunden seien dann auftretende Schmerzen. Der Sehverlust des einen Auges müsse durch das andere ausgeglichen werden, was zu einer schnelleren Ermüdung dieses Auges führe. Der Schwindel werde durch Arbeitsbelastung verstärkt. Durch Depression und Alkoholmissbrauch bestünde von vornherein eine Verminderung der hier quantitativen Leistungsfähigkeit. Durch eine Arbeit von sechs Stunden täglich würde der Verschleiß des rechten Handgelenks und der Schultergelenke voranschreiten. Durch die operative Behandlung des rechten Handgelenks sei die Erwerbsfähigkeit binnen vier bis sechs Monaten zu bessern.

27

Der SMD hat am 19. März 2015 ausgeführt, ein vollständiger Funktionsverlust der rechten Hand bestünde nicht. Es könne beurteilt werden, dass eine leichte Bewegungseinschränkung bestünde. Die Kraftentwicklung betrage 50 % im Vergleich zu links. Die Fingerbeweglichkeit sei nicht eingeschränkt. Die Leistungseinschätzung sei nicht nachvollziehbar. Die rechte Hand könne als Beihand/Hilfshand eingesetzt werden. Tätigkeiten als Pförtner oder Telefonist oder leichte Sortierarbeiten seien zumutbar.

28

Der Kläger hat einen Befundbericht der behandelnden Fachärztin für Augenheilkunde Frau Dr. S. vom 5. Juni 2015 zu den Gerichtsakten gereicht. Danach sei das Gesichtsfeld etwas eingeschränkt. Es bestünden am linken Auge ein Monokelhämatom und eine Augenbrauenschorfwunde. Der Visus betrage unkorrigiert 0,4 bzw. 0,5 links. Die Lichtprojektion sei rechts reduziert. Nach einer CT des Gesichtsschädels vom 4. Juni 2015 liege keine Fraktur vor. Im Termin der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zudem eine Stellungnahme des behandelnden Dipl.-Psych. F. vom 22. September 2014 zu den Gerichtsakten gereicht.

29

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

30

Die Berufung der Beklagten ist nach § 143 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

31

Die Berufung der Beklagten ist begründet, weil ihr ablehnender Bescheid vom 15. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2011 rechtmäßig ist und den Kläger nicht im Sinne der §§ 153, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2011 bis 31. März 2013.

32

Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte, wenn die entsprechenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, einen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind. Dies erfordert gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, dass sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Diese Voraussetzungen sind vorliegend für den der Prüfung unterliegenden Zeitraum nicht erfüllt. Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

33

Das SG ist zu Unrecht von einem Leistungsfall im März 2011 ausgegangen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass ein möglicher Leistungsfall nur bis zum 31. Oktober 2011 entscheidungsrelevant sein kann. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist bei der Ablehnung von Leistungen ohne zeitliche Beschränkung grundsätzlich der gesamte Zeitraum bis zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt. Bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen im Sinne von § 54 Abs. 4 SGG – um eine solche handelt es sich vorliegend – ist dies grundsätzlich der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht. Dies gilt jedoch nicht, sofern zwischenzeitlich ein neuer Antrag auf Leistungen gestellt worden ist. Dann hat sich der angefochtene und streitbefangene Vorbescheid für den vom Neuantrag erfassten Zeitraum gemäß § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) auf andere Weise erledigt (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 4. Juni 2015 – L 1 R 136/13).

34

Der Kläger hat am 18. November 2011 erneut einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gestellt. Der Eintritt eines Leistungsfalls ist daher für den Zeitraum ab Antragstellung nicht mehr entscheidungsrelevant, da sich der streitgegenständliche Bescheid ab dem Zeitpunkt der erneuten Antragstellung, der dann vom zu erwartenden Folgebescheid erfasst ist, erledigt hat. Damit unterliegt – unter Berücksichtigung einer Berufungseinlegung nur durch die Beklagte – allein der Zeitraum ab dem angenommenen Leistungsfall durch das SG bis zum 31. Oktober 2011 der gerichtlichen Prüfung des Vorliegens der Leistungsvoraussetzungen.

35

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger in der Lage war, mindestens sechs Stunden täglich körperlich leichte Arbeiten zu verrichten. Nach den medizinischen Ermittlungen ergibt sich für den Senat folgendes Leistungsbild: Der Kläger konnte geistig einfache Tätigkeiten im Sitzen, aber auch mit zeitweisem Gehen und Stehen, ohne Arbeiten an laufenden Maschinen, unter besonderem Zeitdruck, in Akkord bzw. am Fließband, in Nachtschicht, ohne besondere Anforderungen an das Sehvermögen – insbesondere an das Binokularsehen –, ohne Absturzgefahr sowie ohne Gerüst- und Leiterarbeiten verrichten. Auszuschließen waren zudem das Bedienen schwergängiger und krafterfordernder Schalt- und Hebelvorrichtungen mit der rechten Hand bzw. solche Arbeiten, die Anforderungen an die grobe Kraft der rechten Hand stellen, und im Weiteren Heben und Tragen von Lasten mit der rechten Hand. Schließlich waren Überkopfarbeiten, Arbeiten mit dem beruflichen Führen von Kfz, mit häufigem Hocken und Knien, solche, die besondere Anforderungen an das Konzentrationsvermögen und die Umstellungsfähigkeit stellen, nicht zumutbar.

36

Der Senat folgt aufgrund eigener Urteilsbildung dem Gutachten des SMD aus dem Januar 2010, seiner Stellungnahme vom 19. März 2015 und dem Gutachten des Herrn Dr. B. vom 15. Juni 2014. Diese sind inhaltlich und im Abgleich mit den vorliegenden Unterlagen schlüssig. Zweifelsohne liegen Funktionseinschränkungen beim Kläger vor, die zu einer Verminderung seiner Leistungsfähigkeit qualitativer Art führen.

37

Der Kläger leidet an einer Funktionseinschränkung der rechten Hand nach SL-Bandläsion und SL-Bandrekonstruktion, an einer Minderbelastbarkeit des linken Kniegelenks bei degenerativen Veränderungen, an einer leichtgradigen Funktionsstörungen bei Abduktion im linken Schultergelenk bei Omalgien, an einer Opticusatrophie rechts mit Gesichtsfeldausfall, an einem Labyrinthschwindel, an einem Zustand nach Sigmaresektion bei Verdacht auf Morbus Crohn und an einer anhaltenden Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik. Er betreibt einen Alkohol- und Medikamentenmissbrauch.

38

Im Vordergrund steht dabei eine belastungsabhängige schmerzhafte Funktionseinschränkung im rechten Arm. Betroffen ist das rechte Handgelenk in seiner Funktion. Die vom Kläger mitgeteilten starken Bewegungseinschränkungen sind jedoch nicht belegt. Vielmehr sind seit Dezember 2008 sehr ähnliche Messwerte der Beweglichkeit des rechten Handgelenks festzustellen. Sie bewegen sich im Bereich einer Bewegungseinschränkung geringen Grades (Streckung/Beugung bis 30-0-40) nach der GdB/MdE-Tabelle zu den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit. Zudem ist die Unterarmdrehfähigkeit im zeitlichen Verlauf teilweise leichtgradig eingeschränkt gewesen (Gutachten des Herrn Prof. Dr. G.), teilweise befand sie sich im Normbereich (so auch zuletzt im Gutachten des Herrn Dr. T.). Es fanden sich keine Störungen beim Faustschluss und der Greiffunktion. Die Fingerstreckung gelang komplett. Nur zum Teil wurde eine leichte Schwellung des rechten Handgelenks festgestellt. Es bestanden durchgehend keine weiteren Entzündungszeichen, keine Sensibilitätsstörungen und eine unauffällige Durchblutung. In den Röntgenbefunden zeigte sich der bereits im Jahr 2008 angekündigte Verschleiß.

39

Den Unterlagen ist zudem einheitlich zu entnehmen, dass eine deutliche Kraftminderung der rechten Hand vorlag. Der Kläger gab als Belastungsgrenze das Tragen eines halbvollen Wasserkochers an. Eine stärkere Belastung sei ihm hingegen nicht möglich. Rechts war die Handkraft gutachterlich im Dezember 2010 mit 10 kg, links mit 32 kg ermittelt worden. Diese Werte bildeten die stärkste Kraftminderung ab, während im Januar 2010 ein Kraftgrad 4/5 und im Februar 2015 eine Kraftminderung auf 1/2 mitgeteilt worden waren. Beschwerden wurden vom Kläger belastungsabhängig beschrieben. Er erklärte keine kontinuierliche Schmerzmitteleinnahme. Mit Orthese sind die Beschwerden von ihm mit 2-3 von 10 VAS eingeschätzt worden. Für eine gewisse Schonung der rechten Hand spricht eine links stärker ausgeprägte Hohlhandbeschwielung. Eine deutliche Myatrophie als Folge der Nichtbenutzung der rechten Hand wurde nicht berichtet. Es findet sich eine Umfangsminderung von 1 cm rechts (Ober- und Unterarm) im Vergleich zu links. Insgesamt betrachtet stimmen die über den Zeitverlauf erhobenen Befunde im Wesentlichen überein. Eine maßgebliche Verschlechterung ist nicht ersichtlich.

40

Unter Berücksichtigung der Kraftminderung der rechten Hand auf 1/3 von links (später: 1/2), der leichtgradigen Bewegungseinschränkung und der belastungsabhängigen Beschwerdeproblematik sind körperlich leichte Tätigkeiten zumutbar, da leichte Belastungen – wie das Tragen eines halbvollen Wasserkochers – vom Kläger nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung jedenfalls im prüfungsrelevanten Zeitraum toleriert wurden.

41

Deshalb ist die Einschätzung von Herrn Prof. Dr. V. im handchirurgischen Gutachten vom 21. Dezember 2010 (ca. drei Stunden Leistungsfähigkeit) nicht nachvollziehbar. Hier findet sich keine Begründung dazu, woraus die quantitative Leistungsminderung resultieren soll. Die Begründung von Herrn Dr. T. einer schnelleren Ermüdung und Überlastung der Gelenke aufgrund der festgestellten Abnutzung vermag ebenso wenig zu überzeugen. Der Gutachter berichtete keinen schwerwiegenden bzw. fortgeschrittenen Verschleiß. Zudem fanden sich keine hochgradigen Funktionseinschränkungen. Unter Beachtung des oben dargestellten Leistungsprofils ist eine derartige Überlastung der Gelenke nicht zu erwarten. Weshalb von vornherein bei Depressionen und Alkoholmissbrauch eine Verminderung der quantitativen Leistungsfähigkeit vorliegen soll, bleibt unbegründet. Herr Prof. Dr. G. stellte in seinem Gutachten vom 22. Mai 2012 nachvollziehbar die sich ergebenden Einschränkungen qualitativer Art für eine Erwerbstätigkeit dar, die aus einer reduzierten Belastbarkeit der rechten Hand bei Kraftminderung und Einschränkung der Handgelenksfunktion und der Unterarmdrehfunktion folgten. Woraus aber seiner Ansicht nach eine Reduzierung des Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden resultieren soll, lässt sich dem Gutachten nicht entnehmen. Sie erschließt sich auch nicht zwanglos anhand der erhobenen Befunde. Der Kläger ist nicht faktisch einarmig. Er kann die rechte Hand für leichte Tätigkeiten benutzen. Hierfür spricht auch der Umstand, dass der Kläger in der Lage ist, ein Kfz zu führen. Er kann insbesondere den Schalthebel seines Kfz – wenn auch nach seiner Einlassung über kurze Fahrstrecken – bedienen. Er verfügt nicht über ein Auto mit Automatikgetriebe oder Spezialvorrichtungen. Er räumt ein, kurze Strecken z.B. zum Einkauf mit dem Kfz zurückzulegen. Jedenfalls die ca. 32 km lange Strecke zur Begutachtung von B. nach M. mit einer Fahrzeit von ca. 25 Minuten hat er selbstständig mit dem Auto zurückgelegt. Das An- und Auskleiden gelang im Rahmen der verschiedenen Begutachtungen ohne Hilfestellungen zügig, ohne dass Einschränkungen in der Benutzung der rechten Hand beschrieben wurden. Zudem konnte der Senat sich im Termin augenscheinlich davon überzeugen, dass der Kläger die bandagierte rechte Hand – wenn auch zurückhaltend – beim Sortieren seiner Unterlagen benutzte. Er stützte sich darüber hinaus aber beim Gehen um den Klägertisch, um Unterlagen zum Richtertisch zu reichen, mit der flachen rechten Hand auf dem Klägertisch auf, zeigte dabei eine gute Extension bzw. Streckung und eine Belastbarkeit des rechten Handgelenks. Dass sein Sohn kraftvolle Arbeiten wie das Holzhacken übernehmen muss, ist angesichts der Funktionsminderung im rechten Handgelenk einleuchtend. Derartige Arbeiten sind aber im Rahmen der Erwerbstätigkeit vom Kläger nicht zu verlangen.

42

Auf das Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit B. vom 14. März 2011 kann sich der Kläger ebenfalls nicht stützen. Das Gutachten enthält keinen Untersuchungsbefund. Es benennt eine psychische Minderbelastbarkeit, ohne deren Schwere darzustellen und zu untermauern. Es erschließt sich zudem nicht, weshalb – wie es darin heißt – eine anstehende Begutachtung durch einen medizinischen Sachverständigen zu einer hinreichenden Leistungsfähigkeit innerhalb von sechs Monaten führen soll. Von einer Nachvollziehbarkeit der Beurteilung kann keine Rede sein. Dem Gutachten fehlt es an Substanz. Es wiederholt im Übrigen die Diagnosen aus dem Gutachten des SMD, ohne die abweichende Leistungsbeurteilung zu begründen. Der Reha-Entlassungsbericht ist schon hinsichtlich der Leistungsbeurteilung in sich widersprüchlich. Zum einen benennt er ein unter dreistündiges Leistungsvermögen. Zum anderen seien leichte Tätigkeiten zumutbar. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden empfohlen. Dass eine unmögliche Behandlung innerhalb der Symptome zu einer rentenrelevanten Leistungsminderung führen soll – wie darin ausgeführt wird –, ist angesichts der diagnostizierten Anpassungsstörung und einer leichten depressiven Episode nicht nachvollziehbar. Auch wenn der Senat den Vorteil der Reha-Maßnahme – mit der Möglichkeit, sich einen Eindruck des Klägers über einen längeren Zeitraum zu verschaffen – erkennt, vermag der Entlassungsbericht inhaltlich nicht zu überzeugen. Der Kläger war während des Aufnahmegesprächs bei der Sache, konnte konkrete Fragen präzise beantworten, wenn er auch in stillen Phasen in seine Gedankenwelt versank. Zudem bestanden nach seinen eigenen Angaben keine Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Zur Alltagsbewältigung finden sich im Bericht kaum Angaben. Die psychischen Auffälligkeiten der depressiven Verstimmung, Müdigkeit und Antriebslosigkeit konnten nach der Feststellung im Bericht gut bearbeitet werden. Eine Antriebsstörung liegt nach der Feststellung im Gutachten des Herrn Dr. B. nicht vor. Der Kläger machte sich morgens einen Tagesplan und ist aktiv. Er erledigte Arbeiten im Haushalt z.B. Staubsaugen mit der linken Hand. Er kochte Mittagessen und unternahm Spaziergänge mit dem Hund. Er war durchaus auch im Haushalt tätig. So verunfallte er im Jahr 2011, als er den Mülleimer zum Entleeren brachte. Psychomotorische Auffälligkeiten bestanden nicht. Gedächtnis, Konzentration und Aufmerksamkeit waren unauffällig. Testdiagnostisch war eine milde depressive Symptomatik feststellbar. Das Gutachten wurde auch unter Einbezug alkoholspezifischer Angaben erstellt. Es steht letztlich im Einklang mit dem Befundbericht des Herrn Dipl.-Psych. F., der im Oktober 2013 einen gleichbleibenden psychischen Befund mitteilte und Gründe für eine Arbeitsunfähigkeit im somatischen Krankheitsgeschehen sah, welches er jedoch nicht beurteilen könne.

43

Soweit Herr Dr. B. an einer Stelle ausführt, die körperlichen Funktionseinschränkungen führten zu quantitativen Einschränkungen, ist von einer Verwechslung zwischen "qualitativ" und "quantitativ" bzw. einem Schreibfehler auszugehen. Der Folgesatz bezieht sich eindeutig auf eine qualitative Einschränkung des Leistungsvermögens (Arbeitsschwere). Der Gutachter führt an anderer Stelle aus, er teile die Einschätzung einer quantitativen Leistungsminderung durch Herrn Prof. Dr. G. nicht. Seine Leistungsbeurteilung mit einem sechsstündigen Leistungsvermögen lässt auch keine quantitative Leistungseinschränkung erkennen. Hieraus folgt aus diesen Gründen keine Unschlüssigkeit des Gutachtens.

44

Soweit der Kläger belastungsabhängige Beschwerden im linken Kniegelenk angibt, war eine Bewegungseinschränkung nicht festzustellen. Es bestanden degenerative Veränderungen. Entzündungszeichen wurden nicht mitgeteilt. Wegen einer leichtgradigen Funktionseinschränkung im linken Schultergelenk bei beginnendem Verschleiß waren Überkopfarbeiten auszuschließen. Die mitgeteilte Erblindung des rechten Auges führt dazu, dass besondere Anforderungen an das Sehvermögen und Anforderungen an das binoculare Sehen nicht gestellt werden können. Der aktuell eingereichte Befundbericht vom 5. Juni 2015 ist angesichts des zu prüfenden Zeitraums nicht von Relevanz. Zusätzliche qualitative Einschränkungen ergeben sich bei Labyrinth-Schwindel wegen der Unterfunktion des linken Labyrinths über die bereits aus orthopädischen Gründen aufgeführten Einschränkungen zur Vermeidung von Gefahren nicht. Gravierende Probleme gab der Kläger im Hinblick auf die diagnostizierte Darmerkrankung nicht an. Solche können auch den beigezogenen Berichten nicht entnommen werden.

45

Der Kläger war insbesondere auch nicht deshalb voll erwerbsgemindert, weil er trotz des sechsstündigen Leistungsvermögens nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein konnte. Es lagen keine schwere spezifischen Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Die maßgebliche Beeinträchtigung des Leistungsvermögens ergab sich aus der reduzierten Belastbarkeit des rechten Handgelenks. Funktionseinschränkungen der Finger bestanden hingegen nicht. Greiffunktionen und Faustschluss waren ausführbar. Ein kraftvolles Zugreifen war mit der rechten Hand hingegen nicht möglich. Das Restleistungsvermögen des Klägers reichte jedoch noch für Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen sowie Bürohilfsarbeiten aus (vgl. die Aufzählung in dem Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1996, GS 2/95, BSGE 80, 24, 33f.; in der Anwendbarkeit auf die aktuelle Rechtslage bestätigt in BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R). Jenes belegen die Gutachten des SMD und des Herrn Dr. B.

46

Es liegt auch keiner der in der Rechtsprechung anerkannten sog. Katalogfälle vor, die die Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausschließen (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R). Der Kläger ist nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Die Gehfähigkeit gibt er zwar als eingeschränkt an; er kann aber viermal arbeitstäglich einen Fußweg von mehr als 500 Meter am Stück vor und nach einer Arbeitsschicht zu und von einem öffentlichen Verkehrsmittel bzw. zum und vom Arbeitsplatz ohne unzumutbare Beschwerdezustände in jeweils längstens 20 Minuten zurücklegen. Auf orthopädischem Fachgebiet sind keine Befunde erhoben worden, die Einschränkungen der Wegefähigkeit plausibel erscheinen lassen würden. Die Funktion des linken Kniegelenks war wegen degenerativer Veränderungen leicht beeinträchtigt. Eine Bewegungseinschränkung bestand nicht. Die Funktionsstörungen hindern den Kläger nicht daran, Arbeitswege zurückzulegen. Er gab selbst an, mit dem Hund spazieren zu gehen. Letztlich ist er aber in der Lage, erforderliche Wegstrecken mit dem Kfz zurückzulegen, wie es auch in der Vergangenheit geschehen ist.

47

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

48

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.


Tenor

I.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 29. August 2013 wird aufgehoben.

II.

Die Klage gegen den Bescheid vom 02. September 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2011 wird abgewiesen.

III.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2, 1 SGB VI).

Die im September 1960 geborene Klägerin hat von September 1977 bis Juli 1979 eine Ausbildung zur Hotelfachfrau absolviert. Im Anschluss daran war sie bis Dezember 1979 im erlernten Beruf tätig. Von Januar 1980 bis August 1982 war sie als Fachverkäuferin, von Februar 1984 bis November 1989 als Personalsachbearbeiterin, von Januar bis März 1990 als Schreinereigehilfin und von Juni 1997 bis März 2001 als Montiererin versicherungspflichtig beschäftigt. In den Jahren 1999 bis 2001 absolvierte die Klägerin diverse REFA-Seminare, von April 2001 bis Juli 2001 eine Schulung im EDV-Bereich, vom 7. Oktober 2002 bis 17. Juli 2003 eine Fortbildungsmaßnahme zur technischen Führungskraft/Qualitätsmanagement (Lehrgangsdauer: 900 Unterrichtsstunden zzgl. Betriebspraktikum vom 28. April bis 17. Juli 2003). Zuletzt war sie von Dezember 2004 bis Februar 2008 als Sachbearbeiterin Qualitätswesen im Wareneingang versicherungspflichtig beschäftigt. Seit Dezember 2008 ist sie im Wellnessbereich selbstständig 8 bis 10 Stunden wöchentlich tätig.

Mit Antrag vom 5. Juli 2010 begehrte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten. Sie sei seit 26. Januar 2007 erwerbsgemindert. An diesem Tag erlitt die Klägerin einen Arbeitsunfall, bei dem sie nach dem Aussteigen aus dem Auto beim Gang in Richtung Stempeluhr auf glattem, ungestreutem Boden ausgerutscht, gestürzt und mit dem Steißbein gegen die Bordsteinkante gefallen war. Sie fügte sich dabei eine Steißbein- sowie eine BWS-/LWS-Prellung und eine leichte HWS-Distorsion zu.

Die Beklagte zog diverse Befundberichte sowie einen Entlassungsbericht der T. Tagesklinik A-Stadt vom 31. März 2008 über Maßnahmen der ambulanten Rehabilitation vom 27. Februar 2008 bis 18. März 2008 bei. Hierin wurden eine schmerzhafte Funktionseinschränkung der Halswirbelsäule bei Zustand nach BSV C6/C7 links, ein Zustand nach erweiterter intralaminärer Fensterung C6/C7 links nach Fryckholm, Sequestrektomie am 13. November 2007 und ein Verdacht auf Karpaltunnel-Syndrom links festgestellt. Die Klägerin sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch 6 Stunden und mehr täglich leistungsfähig, als Kontrolleurin mit Heben und Tragen nur noch 3 bis unter 6 Stunden.

Beigezogen wurde ferner ein chirurgisches Gutachten zur Zusammenhangsfrage von Dr. G. für die BG der Feinmechanik und Elektrotechnik BV J-Stadt vom 19. Juni 2008, wonach eine Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch die Folgen des Unfalls vom 26. Januar 2007 derzeit nicht mehr hervorgerufen werde. Aktenkundig wurde auch ein Zusatzgutachten zur Zusammenhangsfrage auf neurologischem Fachgebiet von Dr. K. vom 3. Juni 2008, wonach auch auf neurologischem Fachgebiet keine unfallbedingte MdE gegeben sei.

Die Beklagte holte darauf ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. R. vom 16. August 2010 ein. Der Sachverständige diagnostizierte bei der Klägerin einen Zustand nach cervikaler Bandscheibenoperation mit C7-Wurzelirritation links (November 2007) und bescheinigte ihr noch ein Leistungsvermögen von 6 Stunden und mehr für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Als Arbeiterin im Wareneingang sei sie nur noch unter 3 Stunden täglich leistungsfähig. Der Antrag wurde daraufhin mit angefochtenem Bescheid vom 2. September 2010 abgelehnt. Die Klägerin sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, auf den sie verwiesen werden könne, noch 6 Stunden und mehr täglich einsetzbar.

Zur Begründung des hiergegen erhobenen Widerspruchs legte die Klägerin u. a. einen Bericht des Medizinischen Versorgungszentrums für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie vom 23. Dezember 2010 vor, aus dem eine Höherdosierung der bisherigen Schmerzmedikamente hervorgeht. Die Beklagte holte daraufhin ein weiteres neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. Z. vom 25. März 2011 ein. Dr. Z. stellte bei der Klägerin eine Schmerzsymptomatik bei Zustand nach Bandscheiben-Operation C6/7 im November 2007 ohne Nachweis eines Rezidivs sowie eine allenfalls leichte Anpassungsstörung an die schwierige soziale Situation, aktuell ohne relevante depressive Verstimmung, fest und bescheinigte der Klägerin ebenfalls noch ein Leistungsvermögen von 6 Stunden und mehr täglich für leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts. Als Arbeiterin im Wareneingang sei sie nur noch 3 bis unter 6 Stunden leistungsfähig. Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2011 zurückgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben und zur Begründung auf die bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen an Hals- und Lendenwirbelsäule verwiesen. Das SG hat diverse Befundberichte sowie die Schwerbehindertenakten beim Versorgungsamt Bayreuth (GdB 40) beigezogen und Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Dr. A. und eines neurochirurgischen/psychosomatischen Gutachtens von Dr. P ...

Dr. A. hat in seinem Gutachten vom 7. Mai 2012 bei der Klägerin muskuläre Verspannungen im Nacken nach Bandscheibenoperation mit einer chronischen C7-Schädigung links, eine leichte Funktionseinschränkungen der Lendenwirbelsäule bei Verschleiß ohne aktuellen Anhalt für eine Nervenwurzelirritation sowie ein Engesyndrom der linken Schulter ohne Funktionseinschränkung und ohne Hinweis auf eine Läsion oder Ruptur der Rotatorenmanschette festgestellt. Die Klägerin sei noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung mindestens 6 Stunden arbeitstäglich mit den arbeitsüblichen Unterbrechungen zu verrichten. Zu vermeiden seien länger anhaltende statische Wirbelsäulenzwangshaltungen, längere Arbeiten in gebückter oder gehockter Stellung, häufige Überkopfarbeiten, besondere Anforderungen an die Fein- und Grobmotorik der linken Hand sowie Kälte, Nässe und Zugluft ohne entsprechenden Bekleidungsschutz. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt.

Dr. P. hat in seinem Gutachten vom 18. Februar 2013 folgende Diagnosen gestellt: 1. Anhaltende chronische Schmerzstörung mit rezidivierender depressiver Komponente 2. Sensomotorisches C7-Syndrom linksseitig bei Zustand nach HWS-OP nach Frykholm (2007)

3. Rezidivierende, wechselnde Lumboischialgien bei Osteochondrose der LWS auf Höhe LW 5/SW 1.

Die Klägerin sei nur noch in der Lage, mindestens 3 Stunden, aber weniger als 6 Stunden täglich mittelschwere und leichtere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Zu vermeiden seien Zwangshaltungen, Dauerbelastungen der Arme, spezielle monotone Bewegungsmuster, Akkordarbeit, Arbeiten in ungeschützter Umgebung, Kälte und Nässe, stärkere psychische Belastungen, insbesondere hohe Arbeitstaktung, rasch wechselnde Arbeitsanforderungen und hochfrequente Klientenkontakte. Eine mindestens 6 Stunden tägliche Arbeitszeit sei dann machbar, wenn nach eineinhalb- bis zweistündiger Tätigkeit eine ebenso lange Regenerationsphase eingeschoben werden könne. Einschränkungen bezüglich des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht. Eine Besserung des körperlichen Schadens sei nicht zu erwarten. Bezüglich der psychosomatischen Erkrankung sei eine stationäre psychosomatische Behandlung möglicherweise in der Lage, die Voraussetzungen für eine adäquatere Auseinandersetzung mit dem erlebten Krankheitsbild zu initiieren, welche dann in ambulanter psychotherapeutischer Form weitergeführt und entwickelt werden könnte.

Nachdem sich die Beklagte der Leistungsbeurteilung durch Dr. P. ausweislich ihrer Stellungnahme vom 2. April 2013 nicht angeschlossen hatte, hat das SG eine ergänzende Stellungnahme von Dr. P. eingeholt, die unter dem 10. Juli 2013 erstellt worden ist. Hierin hält Dr. P. an seiner Auffassung fest.

Mit Gerichtsbescheid vom 29. August 2013 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 2. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2011 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. Februar 2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis längstens 31. Juli 2016 zu gewähren und der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. P. verwiesen.

Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und zunächst bemängelt, dass der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung bis 31. Juli 2016 bewilligt worden ist. Eine sogenannte Arbeitsmarktrente könne höchstens befristet drei Jahre auf Zeit gewährt werden, also bis maximal Januar 2014. Auch sei die Klägerin noch selbstständig tätig, so dass maximal ein Anspruch auf teilweise Erwerbsminderungsrente bestehe. Darüber hinaus werde das angenommene Leistungsvermögen von 3 bis unter 6 Stunden bezweifelt. Dr. P. sei zu seiner Leistungsbeurteilung im Wesentlichen mittels umfangreicher Fragebögen gekommen, die die Selbsteinschätzung der Klägerin wiedergäben. Dies sei keine hinreichende Grundlage für eine Leistungsbeurteilung. Eine Auseinandersetzung mit den abweichenden Einschätzungen der Vorgutachter sowie der Stellungnahme der Beklagten zum Gutachten Dr. P. habe nicht stattgefunden. Von einem relevanten Berufsschutz gehe die Beklagte nicht aus.

Die Klägerin hat entgegnet, eine teilweise Erwerbsminderungsrente sehe das Gesetz bei einer befristeten Rente auf drei Jahre nicht vor. Auch könne sie nicht mehr in ihrem erlernten Beruf tätig sein. Sie habe überwiegend in Berufen gearbeitet, die mit hoher körperlicher Anspannung verbunden seien. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte von keinem relevanten Berufsschutz ausgehe. Ohne fundierte Ausbildung zur REFA-Angestellten hätte die Klägerin die von ihr verrichtete Tätigkeit nicht ausüben können. Zeugnisse über in den Jahren 1990 bis 2001 abgeschlossene REFA-Seminare sowie die Fortbildungsmaßnahme zur technischen Führungskraft/Qualitätsmanagement vom 7. Oktober 2002 bis 25. April 2003 sind vorgelegt worden.

Mit Bescheid vom 7. Mai 2014 hat die Beklagte einen neuerlichen Antrag der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Sie hat diesen Bescheid zum Gegenstand des anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens erklärt.

Der Senat hat diverse Befundberichte sowie Arbeitgeberauskünfte der Firma H. (Beschäftigung vom 9. Mai 2005 bis 31. August 2007) sowie der Firma P. (Transfermaßnahme vom 1. September 2007 bis 29. Februar 2008) eingeholt. Er hat von Amts wegen Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. I. und eines orthopädischen Gutachtens von Dr. J ...

Dr. I. hat in ihrem Gutachten vom 5. Februar 2015 bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: 1. Zustand nach Operation eines Bandscheibenvorfalls zwischen HWK 6 und 7 links im Jahr 2007 mit Reizung der Wurzel C 7 ohne neurologische Ausfallserscheinungen 2. Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren 3. Angst und depressive Störung gemischt 4. Leichte Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule bei Verschleiß ohne aktuellen Anhalt für eine Nervenwurzelirritation 5. Engesyndrom der linken Schulter ohne Funktionseinschränkung und ohne Hinweis auf eine Läsion oder Ruptur der Rotatorenmanschette.

Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte bis zeitweise mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Sitzen und im Wechselrhythmus in geschlossenen Räumen 6 bis unter 8 Stunden täglich mit den arbeitsüblichen Unterbrechungen zu verrichten. Nicht mehr zumutbar seien das Heben und Tragen von Lasten, Zwangshaltungen, häufige Überkopfarbeiten, häufiges Bücken, Arbeiten unter Zeitdruck, Nachtschichttätigkeiten sowie Arbeiten, die ein überdurchschnittliches Konzentrationsvermögen erfordern. Das Restleistungsvermögen der Klägerin erlaube noch die Verrichtung von Tätigkeiten, die üblicherweise in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen, soweit es sich um leichte bis mittelschwere Arbeiten handele, z. B. Kleben, Sortieren und Verpacken sowie Zusammensetzen von Teilen. Beschränkungen hinsichtlich des Arbeitswegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht. Die Umstellungsfähigkeit der Klägerin auf andere Tätigkeiten sei nicht eingeschränkt.

Dr. J. hat in seinem Gutachten vom 10. April 2015 bei der Klägerin einen operierten Bandscheibenvorfall im Segment C6/C7 links, Restbeschwerden am linken Arm ohne konkrete neurologische Ausfälle, eine Osteochondrose der Lendenwirbelsäule ohne konkretes Funktionsdefizit sowie einen unkomplizierten Spreizfuß festgestellt. Die Klägerin könne noch mittelschwere Tätigkeiten im Wechselrhythmus, vorzugsweise in geschlossenen Räumen, mit angemessener Kleidung auch im Freien vollschichtig und mehr als 6 Stunden mit den arbeitsüblichen Unterbrechungen ausüben. Nicht mehr zumutbar seien ständige Überkopfarbeiten, häufiges Heben und Tragen schwerer Lasten sowie Arbeiten in gebückter oder vorgeneigter Körperzwangshaltung. Das Restleistungsvermögen der Klägerin erlaube noch die Verrichtung von Tätigkeiten, die üblicherweise in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei nicht beeinträchtigt.

Nachdem die Klägerin Dr. J. eine CD mit Röntgenaufnahmen nachgereicht hatte, hat dieser mit ergänzender Stellungnahme vom 5. Mai 2015 ausgeführt, hieraus ergebe sich keine Änderung seiner gutachterlichen Bewertung.

Hierzu hat die Klägerin vorgetragen, die Annahme von Dr. J., bei der Klägerin liege keine Verkalkung der Schultergelenkweichteile vor, sei falsch. Insofern sei der behandelnde Orthopäde Dr. D. konsultiert worden. Dieser habe ausweislich seines beigefügten Befundberichts vom 19. Mai 2015 diese Diagnose bestätigt. Insoweit sei eine Corticoid-Stoßtherapie begonnen worden. Es seien auch Veränderungen im Vorfuß hinzugekommen (Hallux valgus mit Großzehengrundgelenksarthrose und zystischen Veränderungen der Gelenkpartner mit Verdacht auf Sesambeinarthrose). Es ergebe sich ein weiterer GdB von mindestens 20, welcher erstinstanzlich noch nicht erfasst worden, aber nun für die Gesamtbildanalyse zu berücksichtigen sei. Auch leide die Klägerin nunmehr unter einem Schmerzsyndrom in der rechten Schulter. Das SG habe zutreffend erkannt, dass die Klägerin „im Längs- und Querschnitt“ zu erfassen und das Zusammenspiel mit der psychosomatischen Erkrankung zu berücksichtigen sei. Auch sei bislang noch keine Arbeitsprobe durchgeführt worden. Ein weiteres Attest des behandelnden Allgemeinmediziners Dr. C., wonach die Klägerin nicht aggraviere und es absolut glaubhaft sei, dass sie nicht ganztägig arbeiten könne, ist mitübersandt worden.

Dr. J. hat in seiner weiteren ergänzenden Stellungnahme hierzu vom 30. Juni 2015 ausgeführt, dass die Klägerin trotz ihrer Beschwerden vollschichtig einer Erwerbstätigkeit nachkommen könne.

Hierzu hat die Klägerin erneut vorgetragen, sowohl das linke als auch das rechte Schultergelenk sei dauerhaft geschädigt. Auch werde übersehen, dass sie unter einer erheblichen psychischen Erkrankung leide. Ein weiteres Attest des Dr. C., wonach die Klägerin nicht arbeitsfähig sei, ist vorgelegt worden.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29. August 2013 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 2. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2011 abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG hat zu Unrecht den angefochtenen Bescheid vom 2. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2011 aufgehoben und der Klägerin ab 1. Februar 2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis längstens 31. Juli 2016 zugesprochen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Bayerischen Landessozialgericht steht für den Senat fest, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI) bzw. teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI) hat. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§§ 240 Abs. 1, 2; 43 Abs. 1 SGB VI) wird von der Klägerin nicht mehr geltend gemacht (vgl. Niederschrift über die öffentliche Sitzung am 23. Oktober 2015).

Streitgegenstand ist allein der Bescheid vom 2. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2011. Der Bescheid vom 7. Mai 2014 wurde nicht Gegenstand des Verfahrens gemäß § 96 SGG. Nach Klageerhebung wird gemäß § 96 Abs. 1 SGG ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abgeändert und ersetzt. Eine Änderung liegt vor, wenn ein Verwaltungsakt teilweise aufgehoben und durch eine neue Regelung ersetzt wird, eine Ersetzung, wenn ein neuer Verwaltungsakt ganz an die Stelle des alten tritt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 96 Rn. 4 m. w. N.). Eine Abänderung oder Ersetzung liegt dabei grundsätzlich nur dann vor, wenn die Beschwer des Betroffenen gemindert oder vermehrt wird. Mit dem Bescheid vom 7. Mai 2014 hat die Beklagte einen erneuten Rentenantrag abgelehnt. Dadurch wurde die auf den früheren Rentenantrag bezogene ablehnende Entscheidung vom 2. September 2010 weder ganz noch teilweise aufgehoben und durch eine neue Regelung ersetzt, sondern vielmehr - bezogen auf einen späteren Zeitpunkt - bestätigt. Eine Minderung oder Vermehrung der Beschwer des ersten Ablehnungsbescheids durch den zweiten Ablehnungsbescheid liegt nicht vor. Eine analoge Anwendung der Bestimmung ist seit deren Neufassung zum 1. Januar 2008, wonach eine Einbeziehung nur in Fällen der Änderung und Ersetzung möglich ist, nicht mehr zulässig. Die Notwendigkeit einer Einbeziehung ergibt sich auch nicht aus der Gefahr einer doppelten gerichtlichen Prüfung mit eventuell widersprüchlichen Entscheidungen. Denn aus Sicht des Senats ist der neuerliche Rentenantrag der Klägerin mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, da auch über einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeiten ab der erneuten Antragstellung vom Senat zu entscheiden ist.

Gem. § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach den überzeugenden Feststellungen der erfahrenen Gerichtssachverständigen Dr. I. und Dr. J. ist die Klägerin noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 Stunden und mehr täglich leichte bis zumindest gelegentlich mittelschwere Arbeiten zu verrichten. Der insoweit abweichenden Leistungsbeurteilung durch Dr. P. vermag der Senat nicht zu folgen.

Bei der Untersuchung der Klägerin durch Dr. I. war die kräftig wirkende Klägerin im guten Allgemeinzustand. Beim Auskleiden demonstrierte sie flüssige Bewegungen mit seitengleichem Einsatz der Arme. Neurologisch zeigten sich keinerlei Auffälligkeiten der Hirnnerven. Bei der Prüfung der Motilität fanden sich weder Tonussteigerungen noch Muskelathropien an Armen und Beinen oder Lähmungserscheinungen. Sensibilitätsstörungen zeigten sich abgesehen von einer Hypästhesie und Hypalgesie an der Außenseite der linken Schulter und des linken Oberarms nicht. Vibrationsempfinden, Reflexe und Koordination waren regelgerecht. Die Zielbewegungen der Hände waren sicher, die Feinbeweglichkeit seitengleich unauffällig. Engpass-Syndrome an den Armen der Klägerin waren nicht festzustellen.

In psychischer Hinsicht war die Klägerin nach den Ausführungen von Dr. I. bewusstseinsklar und hinsichtlich aller Qualitäten vollständig orientiert. Sie war kontaktbereit und freundlich zugewandt bei indifferenter Stimmung, die als keinesfalls tiefgreifend depressiv zu beschreiben war. Die Klägerin war ablenkbar bei völlig unauffälligem Antrieb und in keiner Weise reduzierter affektiver Mitschwingungsfähigkeit. Zwar erreichte die Klägerin im Beck‘schen Depressionsinventar einen Wert, der auf eine erhebliche depressive Verstimmung in der Selbsteinschätzung hindeutet. Nach den Ausführungen von Dr. I. ist dies aber mit dem klinischen Befund nicht vereinbar und daher wohl als Folge einer negativen Antwortverzerrung zu bewerten.

Die von der Klägerin geklagten Panikattacken mit autonomen Symptomen, leichteren soziophobischen sowie klaustrophobischen Ängsten haben noch nicht zu einem erheblichen Vermeidungsverhalten geführt.

Konzentration, Aufmerksamkeit und Auffassungsfähigkeit waren ungestört bei geordnetem Gedankengang. Formale oder inhaltliche Denkstörungen konnte Dr. I. nicht beobachten. Die intellektuelle Ausstattung war mindestens durchschnittlich ohne Hinweise auf Kurzzeitgedächtnis- oder Merkfähigkeitsstörungen.

In Bezug auf die von der Klägerin in den Vordergrund gerückte Schmerzsymptomatik im Halswirbelsäulenbereich hat Dr. I. darauf hingewiesen, dass neurologischerseits insoweit allenfalls Hinweise auf eine gewisse Wurzelreizung C7 mit intermittierenden Sensibilitätsstörungen der Finger II und III, allerdings ohne dauerhafte sensomotorische Ausfälle, festzustellen waren. Die geklagten Schmerzen sind daher nicht ausschließlich Ausdruck einer radikulären Symptomatik. Damit ist von einem Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren auszugehen. Auffallend war allerdings eine Diskrepanz zwischen angegebenen Beschwerden und körperlichen Befunden im Hinblick auf das Verhalten während der Untersuchung. Die Klägerin wirkte auf Dr. I. in keiner Weise schmerzgeplagt. Sie konnte mindestens eine Stunde ohne Haltungswechsel im Sitzen verbringen. Ein erheblicher Leidensdruck der Klägerin vermittelte sich der erfahrenen Sachverständigen nicht. In diesem Zusammenhang ist auch das durchaus erhebliche Aktivitätsspektrum der Klägerin im Alltag zu berücksichtigen. Die Klägerin versorgt ihren Haushalt (Kochen, Putzen, Einkäufe, Wäsche), wobei ihr nur bei schwereren Tätigkeiten (Fensterputzen, Tragen schwerer Einkäufe) Hilfe Dritter zuteil wird. Sie ist nach wie vor 8-10 Stunden in einem Hotel in S. selbstständig tätig. Hier verabreicht sie Rückenmassagen, nach eigenen Angaben allerdings ohne Kraftanwendung. Zudem ist sie im Kosmetikbereich eingesetzt. Die Klägerin hat noch zahlreiche soziale Kontakte. So fährt sie gelegentlich zu ihrer Mutter in Ostdeutschland, unternimmt Ausflüge mit Freundinnen und hat eine sehr gute Beziehung zu ihren Kindern, die sie am Wochenende besuchen.

Gegen eine tiefergehende depressive Erkrankung bzw. eine stärker ausgeprägte Schmerzerkrankung spricht auch, dass die Klägerin sich insoweit keiner adäquaten Therapie unterzieht. Eine psychiatrische Behandlung findet nicht statt.

Der abweichenden Einschätzung von Dr. P. hat Dr. I. überzeugend widersprochen. Dr. P. hat der Klägerin ebenfalls einen guten Allgemein- und Ernährungszustand bescheinigt. Er hat keinen wesentlichen anderen neurologischen Befund erhoben als Dr I ... Die Halswirbelsäulenbeweglichkeit der Klägerin war bei seiner Untersuchung nur diskret eingeschränkt, die Motorik der oberen Extremitäten ebenfalls unauffällig ohne sichere Paresen. Die Reflexe waren seitengleich mittellebhaft bei nur diskreter Abschwächung des Triceps brachii-Reflexes. Die unteren Extremitäten waren unauffällig ohne sichere Lumboischialgie und ohne Radikulopathie. In psychopathologischer Hinsicht hat er die Klägerin als zur Person, Zeit und Ort orientiert, sowie insgesamt gut gepflegt beschrieben. Von der Stimmung her wirkte die Klägerin ausgeglichen, affektive Schwingungsfähigkeit und Mimik waren situationsadäquat, der Antrieb ungestört. Die Klägerin gab zwar zum Teil etwas zögerlich Antworten, war aber im Kontakt freundlich und kooperativ. Formal und inhaltlich fanden sich keine Denkstörungen, Gedächtnis und Merkfähigkeit wirkten unbeeinträchtigt. Das Ausdrucksverhalten war der Situation angepasst und nicht gestört sowie ohne asoziale Charakterzüge. Auch auf Dr. P. machte die Klägerin einen nicht wirklich schmerzgeplagten oder massiv durch Schmerz beeinträchtigten sowie einen aktuell nur wenig depressiven Eindruck. Seine Einschätzung eines quantitativ reduzierten Leistungsvermögens hat Dr. P. im Wesentlichen damit begründet, dass ein hoher Somatisierungsfaktor bestehe, der in Kombination mit Depressivität und Ängstlichkeit für eine starke psychosomatische Überlagerung und Erkrankung spreche. Insoweit hat er auf die Ergebnisse der von ihm umfangreich durchgeführten testpsychologischen Untersuchungen hingewiesen.

Problematisch ist hier die hohe Bedeutung, die Dr. P. bei nicht gravierend auffälligem Befund den Ergebnissen der der Klägerin vorgelegten Selbstbeurteilungsbögen (z. B. deutscher Schmerzfragebogen) beimisst. Derartigen Selbstbeurteilungsbögen, die für die Behandlung von Schmerzerkrankungen bzw. psychischen Erkrankungen entwickelt worden sind, kann im Rentenverfahren nur eine untergeordnete Bedeutung zukommen. Denn anders als bei dem Einsatz dieser Instrumente im Rahmen einer (Schmerz)Therapie besteht für einen Probanden mit Rentenwunsch kein Anreiz, die dort gestellten Fragen zutreffend zu beantworten. Vielmehr ist hier die Auswahl einer Antwortmöglichkeit, die auf eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigung hindeutet, besonders attraktiv, um damit eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens zu belegen. Die bloße Behauptung einer schwerwiegenden Beeinträchtigung - unabhängig davon, ob diese im Rahmen eines Testverfahrens oder eines Klageschriftsatzes erfolgt - genügt aber nicht, um eine solche zu beweisen. Die Antworten in diesen Testbatterien sind daher nur ein Mosaikstein, stellen aber keinen Beleg für eine schwere, zu einer Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit führende depressive Erkrankung oder Schmerzkrankheit dar.

Dementsprechend hat auch Dr. I. klar herausgestellt, dass eine schlüssige Begründung von Dr. P. für eine quantitativ eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Klägerin fehlt. Somatoforme Symptombildungen, so Dr. I., rechtfertigten für sich genommen grundsätzlich nicht die Annahme eines quantitativ beeinträchtigten Leistungsvermögens. Von entscheidender Bedeutung seien zusätzliche affektive Symptome, die erheblich sein müssten, sowie die Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten des psychiatrischen Fachgebiets. Beide Voraussetzungen sind bei der Klägerin deutlich nicht erfüllt. Hinzu kommt, dass die Klägerin auch noch eine Tätigkeit ausführt (Massagen, Kosmetik), die für die Halswirbelsäule eine zusätzliche Belastung aufgrund von Zwangshaltungen und Bewegungsmonotonie darstellt. Dies spricht ebenfalls gegen die Annahme, die Schmerzen der Klägerin seien so gravierend, dass selbst leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen seien.

Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht bei Mitberücksichtigung der Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet. Diese wurden von Dr. I. durchaus mit berücksichtigt, sind aber weder allein noch im Zusammenspiel mit den Gesundheitsstörungen der Klägerin auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet so gravierend, dass sich hieraus eine quantitative Leistungsminderung ergeben würde.

Dies hat auch Dr. J. in seinem Gutachten klar herausgearbeitet. Er hat festgestellt, dass die Beweglichkeit der Halswirbelsäule der Klägerin frei war. Die Nackenmuskulatur war ebenso wie die Trapezii weich. Auch die Beweglichkeit von Brust- und Lendenwirbelsäule war uneingeschränkt erhalten. Das Wiederaufrichten aus der Vorneige gelang der Klägerin flüssig aus rückeneigener Kraft. Der Schultergürtel war symmetrisch, die gelenkumgreifende Muskulatur der Schultergelenke sowie die Armmuskulatur waren seitengleich entwickelt. Beide Hände waren gleichmäßig beschwielt mit Arbeitsspuren. Die Beweglichkeit der Schultergelenke war frei. Der Schürzengriff war der Klägerin beidseits zügig möglich, der Nackengriff jedenfalls „in der Untersuchungssituation Halswirbelsäule“ ebenfalls. Einen typischen schmerzhaften Bogen konnte Dr. J. nicht feststellen. Im Übrigen fanden sich an den unteren Extremitäten (Ellenbogen-, Hand- und Fingergelenke) keinerlei Auffälligkeiten. Dies gilt ebenfalls für die unteren Extremitäten, wenn man von einem Spreizfuß mit Hallux valgus und Hammerzehe absieht. Die Fußsohlenbeschwielung der Klägerin war seitengleich sehr kräftig. Das Gangbild der Klägerin war zügig und raumgreifend. Die neurologische Untersuchung durch Dr. J. erbrachte keine Auffälligkeiten, insbesondere war das Zeichen nach Laségue beidseits negativ.

Hieraus hat Dr. J. für den Senat überzeugend abgeleitet, dass aus orthopädischer Sicht keine sehr ausgeprägten Gesundheitsstörungen bei der Klägerin vorliegen. Ein chronisches Schmerzsyndrom von sozialmedizinischer Relevanz besteht auch nach seinen Feststellungen nicht. Zwar hat die Klägerin sicherlich Beschwerden. Diese sind aber nicht so ausgeprägt, dass eine untervollschichtige Leistungsfähigkeit anzunehmen ist. Die Klägerin ist körperlich agil, mobil und belastbar. Sie ist viel zu Fuß unterwegs, geht mindestens 30 Minuten täglich spazieren. Eine schmerzbedingte Distanzierung von den angenehmen Dingen des Lebens besteht nicht. Sie ist daher durchaus in der Lage, vollschichtig einer zustandsangemessenen Tätigkeit nachzugehen.

Nach alledem ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin noch mindestens 6 Stunden täglich leichte, gelegentlich sogar mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verrichten kann.

Trotz dieses festgestellten Leistungsvermögens der Klägerin von 6 Stunden und mehr für leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wäre ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung jedoch dann gegeben, wenn bei ihr eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegen würde und der Klägerin keine Tätigkeit benannt werden könnte, die sie trotz ihrer qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann.

Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung meint die Fälle, in denen bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B5 RJ 64/02 R). Als Beispiel hierfür ist etwa die Einarmigkeit eines Versicherten zu nennen. Das Merkmal „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen“ trägt hingegen dem Umstand Rechnung, dass auch eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. In diesen Fällen besteht die Verpflichtung, ausnahmsweise eine konkrete Tätigkeit zu benennen, weil der Arbeitsmarkt möglicherweise für diese überdurchschnittlich leistungsgeminderten Versicherten keine Arbeitsstelle bereithält oder nicht davon ausgegangen werden kann, dass es für diese Versicherten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt oder ernste Zweifel daran aufkommen, ob der Versicherte in einem Betrieb einsetzbar ist (BSG Urteil vom 10. Dezember 2003, B 5 RJ 64/02 R, in juris).

Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt bei der Klägerin jedoch ebenso wenig vor wie eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen. Bei ihr besteht weder ein besonderer Pausenbedarf noch ist die Beweglichkeit der oberen Extremitäten relevant eingeschränkt. Auch ist die Wegefähigkeit der Klägerin erhalten. Die von Dr. I. und Dr. M. genannten qualitativen Leistungseinschränkungen, die oben im Tatbestand wiedergegeben sind und von denen der Senat ausgeht, sind darüber hinaus weder zahlreich noch schränken sie den möglichen Einsatzbereich der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erheblich ein. Dr. M. und Dr. I. haben darüber hinaus ausdrücklich bestätigt, dass die Klägerin noch in der Lage sei, die Tätigkeiten zu verrichten, die üblicherweise in ungelernten Tätigkeiten verrichtet zu werden pflegen (z. B. Zureichen, Abnehmen usw.). Damit ist der allgemeine Arbeitsmarkt für die Klägerin sicher nicht verschlossen.

Auf die Berufung der Beklagten hin war daher der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) berücksichtigt den Umstand, dass die Klägerin erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt.

(2) Eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts ist dem Gericht mitzuteilen, bei dem das Verfahren anhängig ist.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 17. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

Gründe

1

Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer hat keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG), in dem er die Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) unter Anfechtung des Bescheides der Beklagten vom 28. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 2013 erstrebt.

2

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Nach § 114 Abs. 2 ZPO in der Fassung des Art. 1 Nr. 2 Buchst. b) des Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts (PKH/BerHRÄndG) vom 31. August 2013 (BGBl. I S. 3533) ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung mutwillig, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht. Diese Neuregelung in Absatz 2 findet auf das vorliegende Beschwerdeverfahren Anwendung, da Art. 20 PKH/BerHRÄndG deren In-Kraft-Treten zum 1. Januar 2014 vorsieht und die Vorschrift im Wesentlichen die von der Rechtsprechung konkretisierten Voraussetzungen einer "Mutwilligkeit" wiedergibt.

3

Die Rechtsverfolgung in dem Klageverfahren, für das Prozesskostenhilfe begehrt wird, ist mutwillig im vorgenannten Sinne.

4

Der Kläger beantragte zunächst am 15. Dezember 2009 die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung (bei laufendem Bezug von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit). Mit der am 3. September 2010 erhobenen Klage in dem Verfahren S 24 R 814/10 hat der Kläger den diesen Antrag ablehnenden Bescheid vom 29. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2010 angefochten und die Bewilligung der begehrten Rente ab Rentenantragstellung bis zum 31. August 2012 geltend gemacht. Das SG ist nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das vorgenannte erste Klageverfahren (Beschluss vom 4. Januar 2011) in umfangreiche Ermittlungen zur gesundheitlichen Leistungsfähigkeit des Klägers eingetreten und hat die Klage mit Urteil vom 11. Dezember 2011 abgewiesen, da ein Leistungsfall nicht nachgewiesen sei. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 20. Januar 2014 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt (L 3 R 25/14) eingelegt und verfolgt in diesem Verfahren den in der ersten Instanz gestellten Klageantrag weiter.

5

Die Beklagte lehnte den weiteren Antrag des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 10. Januar 2012 mit Bescheid vom 28. Juni 2012 unter Hinweis auf ein Leistungsvermögen des Klägers für eine Erwerbstätigkeit von mindestens sechs Stunden täglich ab. Auf seinen Antrag vom 26. Juli 2012 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit bestandskräftigem Bescheid vom 8. Oktober 2012 Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 1. September 2012. Auf die am 29. Oktober 2012 erhobene Untätigkeitsklage (S 24 R 834/12) wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. Juni 2012 mit Widerspruchsbescheid vom 25. März 2013 als unbegründet zurück. Gegen den Bescheid vom 28. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 2013 hat der Kläger am 26. April 2013 eine weitere Klage vor dem SG (S 24 R 367/13) mit dem Ziel der Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne Bezeichnung eines Rentenbeginns erhoben. Der Kläger hat am 26. April 2013 auch für dieses Klageverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Das SG hat diesen Antrag mit Beschluss vom 17. Juli 2013 abgelehnt. Es könne offen bleiben, ob der Kläger nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage sei, die Kosten der Prozessführung aus eigenem Einkommen oder Vermögen zu bestreiten. Die Klage habe nicht die für die Gewährung von Prozesskostenhilfe hinreichende Aussicht auf Erfolg, da die Verfolgung eines weiteren Rentenantrages bei einem noch anhängigen Klageverfahren in erster Instanz unzulässig sei. Der Kläger könne im Verfahren S 24 R 367/13 nicht mehr erreichen als in dem früher anhängig gewordenen Verfahren S 24 R 814/10. Für die Verfolgung eines weiteren Rentenantrages in der ersten Instanz fehle es an einem Rechtsschutzbedürfnis. Zumindest sei die Rechtsverfolgung mutwillig, da eine verständige und nicht hilfebedürftige Partei hier vor Erhebung einer weiteren Klage zunächst den Ausgang des ersten Verfahrens abgewartet hätte.

6

Mit seiner gegen den ihm am 22. Juli 2013 zugestellten Beschluss am 13. August 2013 bei dem SG eingelegten Beschwerde, die bei dem LSG Sachsen-Anhalt am 20. August 2013 eingegangen ist, hat der Kläger geltend gemacht, die beiden Klagen vor dem SG beträfen unterschiedliche Zeiträume. Der Rechtsprechung des LSG Sachsen-Anhalt (ohne nähere Konkretisierung in Bezug auf eine Entscheidung) sei zu entnehmen, dass mit einem weiteren Rentenantrag eine Zäsur eintrete, durch die die zeitliche Reichweite des früheren Rentenantrags begrenzt werde. Nach Aufforderung des Berichterstatters hat der Kläger am 24. Oktober 2013 die Angaben zu seinem Einkommen unter Übersendung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ergänzt.

7

Der in der Beschwerdebegründung in Bezug genommenen Rechtsprechung des LSG Sachsen-Anhalt steht zunächst keine Entscheidung zur Seite, welcher der vom Kläger für seine Rechtsauffassung in Anspruch genommene Rechtssatz zu entnehmen wäre. Der Senat geht in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung davon aus, dass spätere Ablehnungsbescheide über wiederholte Rentenanträge nicht in einem bereits anhängigen Klageverfahren geprüft werden müssen, soweit die Beteiligten keine Klageänderung im Rahmen des ersten Klageverfahrens herbeiführen. Diese Rechtsprechung bildet insbesondere keine Grundlage dafür, dass durch eine unbegrenzte Anzahl von Rentenanträgen eine unbegrenzte Anzahl von Klageverfahren anhängig gemacht werden können, für welche die Beiordnung eines Rechtsanwaltes im Rahmen der Prozesskostenhilfe geboten ist. Bei wiederholten Rentenanträgen würde ein bemittelter Kläger das Widerspruchsverfahren in Bezug auf die späteren Ablehnungsbescheide ruhend stellen, um sich nicht weiteren Gebührenforderungen eines Rechtsanwaltes auszusetzen. Der besondere Fall, dass das erste Klageverfahren nur eine befristete Rente oder einen bestimmten Zeitraum der Bewilligung dieser Leistung betrifft, liegt im vorliegenden Verfahren nicht vor. Das erste Klage-/Berufungsverfahren betrifft hier die Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Rentenantragstellung bis zum 31. August 2012. In Bezug auf den letztmöglichen Leistungsfall war ein Rentenanspruch des Klägers bereits durch den Bezug von Altersrente begrenzt (§ 34 Abs. 4 SGB VI). Auf diesen rechtlichen Zusammenhang ist der Kläger im Verfahren S 24 R 814/10 mit Richterbrief der Kammervorsitzenden vom 8. Januar 2013 hingewiesen worden.

8

Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten, § 127 Abs. 4 ZPO.

9

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar, § 177 SGG.


(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit gewähren muss.

2

Die 1954 geborene Klägerin hat keine Schule besucht und keinen Beruf erlernt. Sie ist auch in ihrer türkischen Muttersprache (primäre) Analphabetin, weil sie keine Zahlen kennt, nur minimale Buchstabenkenntnisse besitzt und deshalb selbst mit fremder Hilfe weder lesen noch schreiben kann. In Deutschland arbeitete sie ab November 1987 bis zum Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit im September 2004 durchgehend als Reinigungskraft bei der Stadt B.

3

Sie leidet an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer depressiven Erkrankung. Trotz dieser Krankheiten kann sie noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr. Der Analphabetismus der Klägerin beruht nicht auf einer gesundheitlichen Störung.

4

Ihren Antrag vom 21.6.2005 auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lehnte die Beklagte ab, weil sie noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne (Bescheid vom 22.9.2005 und Widerspruchsbescheid vom 6.1.2006). Die Klage blieb erfolglos (Urteil des SG Detmold vom 10.12.2007).

5

Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem am 21.6.2005 eingetretenen Leistungsfall befristet bis zum 31.1.2014 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen (Urteil vom 21.2.2011): Die Klägerin habe die allgemeine Wartezeit zurückgelegt, erfülle die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und sei voll erwerbsgemindert. Denn ihr sei der Arbeitsmarkt unter dem Gesichtspunkt einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen praktisch verschlossen. Zwar seien die qualitativen Leistungseinschränkungen nach der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG, der sich der erkennende Senat anschließe, nicht ungewöhnlich und ließen für sich allein noch keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass die Klägerin in einem Betrieb einsetzbar sei. Gleichwohl seien keine beruflichen Tätigkeiten ersichtlich, die sie auf der Grundlage ihres Restleistungsvermögens und ihres muttersprachlichen Analphabetismus noch verrichten könne. Der Analphabetismus sei bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, zu berücksichtigen, wenn das weite Feld der Tätigkeiten, die die Fähigkeit des Lesens und Schreibens nicht unbedingt erforderten, aufgrund weiterer Leistungseinschränkungen und der Beschränkung des Restleistungsvermögens auf nur leichte Arbeiten nicht mehr zweifelsfrei offenstehe. Eine realistische Verwertung des Restleistungsvermögens im Erwerbsleben setze voraus, dass eine Verweisungstätigkeit den Kräften und Fähigkeiten des Versicherten entspreche, wodurch sichergestellt werde, dass keine vom tatsächlichen Leistungsvermögen losgelöste, also fiktive Verweisung erfolge. Eine konkrete Verweisungstätigkeit, die die Klägerin mit den verbliebenen Fähigkeiten noch verrichten könne, sei indes nicht ersichtlich. Die Tätigkeiten als Museumswärterin/Aufseherin, Küchenhilfe, Büglerin, Mitarbeiterin in einer Mangel, Warensortiererin in der Kunststoff- und Metallindustrie oder in der Papier- und Elektroindustrie, die die Beklagte benannt habe, könne die Klägerin teils aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen, teils aufgrund des Analphabetismus nicht mehr ausüben.

6

Mit der Revision, die das LSG zugelassen hat, rügt die Beklagte eine Verletzung von § 43 SGB VI: Nach der Rechtsprechung des BSG sei in der Regel davon auszugehen, dass Versicherte, die noch körperlich leichte Tätigkeiten- wenngleich mit qualitativen Einschränkungen - täglich mindestens sechs Stunden verrichten könnten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dort üblichen Bedingungen erwerbstätig sein könnten. Eine konkrete Verweisungstätigkeit sei in dieser Situation nur zu benennen, wenn ausnahmsweise eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliege. Das LSG führe jedoch selbst nachvollziehbar aus, dass sämtliche Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht ungewöhnlich seien und für sich allein keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen ließen, dass sie in einem Betrieb einsetzbar sei. Bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, müsse ihr Analphabetismus außer Acht bleiben. Denn er beruhe nicht auf einer gesundheitlichen Störung oder auf intellektuellen Defiziten, sondern darauf, dass sie keine Schule besucht und deshalb weder Lesen noch Schreiben erlernt habe. Ein solcher Analphabetismus sei als Bildungsdefizit und nicht als Erwerbsminderung auslösende Krankheit oder Behinderung zu werten. Soweit sich das Berufungsgericht für seine gegenteilige Ansicht auf das Senatsurteil vom 10.12.2003 (B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1) stütze, stehe diese Entscheidung nicht mit dem Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 (GS 2/95 - BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) in Einklang. Danach sei es ausgeschlossen, "einen arbeitslosen Versicherten, der noch vollschichtig arbeiten" könne, "deshalb als erwerbsunfähig anzusehen, weil neben den gesundheitlichen Einschränkungen Risikofaktoren wie Langzeitarbeitslosigkeit und vorgerücktes Alter oder mangelhafte Ausbildung die Vermittlungschancen zusätzlich" erschwerten. Analphabetismus sei jedoch nichts anderes als "mangelnde Ausbildung". Für die Überwindung des Analphabetismus seien nicht die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern die Bundesagentur für Arbeit, die Grundsicherungsträger sowie die Kommunen und Länder zuständig; das daraus resultierende Arbeitsmarktrisiko dürfe nicht auf die Rentenversicherungsträger verlagert werden. Soweit die Rechtsprechung schließlich zwischen Analphabetismus und mangelnden Deutschkenntnissen unterscheide, sei diese Differenzierung inkonsequent. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - BSGE 68, 288 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 11) müssten unzureichende Deutschkenntnisse bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit außer Acht bleiben, weil dem Rentenversicherungsträger sonst ein von der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfasstes Risiko aufgebürdet werde. Nichts anderes müsse für Analphabetismus gelten. Dass der Klägerin der Zugang zum Arbeitsmarkt wegen ihres Analphabetismus erschwert sei, könne ebenso wenig wie der Umstand berücksichtigt werden, dass sie aufgrund mangelhafter deutscher Sprachkenntnisse nicht ausreichend kommunizieren könne.

7

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 zurückzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie trägt vor: Aufgrund einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen erfülle sie die Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, wobei ihr Analphabetismus zu berücksichtigen sei. Als primäre Analphabetin sei sie auf dem Arbeitsmarkt, unter Hinzutreten weiterer ungewöhnlicher Erschwernisse, schlichtweg nicht (mehr) vermittelbar und könne auch auf Alternativtätigkeiten nicht (mehr) verwiesen werden. Selbst wenn man den primären Analphabetismus außer Acht ließe, seien zumutbare Verweisungstätigkeiten weder ersichtlich noch von der Beklagten benannt worden. Vor dem Hintergrund bestehender Fürsorgepflicht hätte die Beklagte durch Rehabilitations- bzw Förderungsmaßnahmen dem Analphabetismus entgegenwirken und hierdurch eine Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt wiederherstellen müssen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des LSG verletzt Bundesrecht (§ 162 SGG). Der Klägerin steht kein Recht auf Rente wegen Erwerbsminderung zu.

11

1. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 43 Abs 2 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754) in Betracht (§ 300 Abs 1 SGB VI). Danach haben Versicherte bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Abs 2 S 1 Nr 2 und 3) bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Abs 2 S 1 Nr 1). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 2 S 2). Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs 3). Nach § 102 Abs 2 S 1 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, zu denen auch die Rente wegen voller Erwerbsminderung zählt(§ 33 Abs 3 Nr 2 SGB VI), auf Zeit geleistet. Die Befristung (§ 32 Abs 2 Nr 1 SGB X) erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (§ 102 Abs 2 S 2 iVm § 101 Abs 1 SGB VI) und kann wiederholt werden (§ 102 Abs 2 S 3 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754).

12

2. Nach den Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angefochten und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), kann die Klägerin körperlich leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden (arbeits)täglich, dh an fünf Tagen in der Woche, verrichten. Dieses zeitliche (quantitative) Leistungsvermögen schließt die Annahme einer "vollen Erwerbsminderung" gemäß § 43 Abs 3 Halbs 1 SGB VI aber noch nicht aus. Vielmehr kommt es nach dieser Vorschrift iVm § 43 Abs 2 S 2 SGB VI entscheidend darauf an, ob die Klägerin "wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande" ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts … erwerbstätig zu sein". Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

13

Die Rentenversicherungsträger und im Streitfall die Tatsachengerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben von Amts wegen (§ 20 Abs 1 S 1 SGB X, § 103 SGG) mit Hilfe (medizinischer) Sachverständiger (§ 21 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB X, § 106 Abs 3 Nr 5 SGG) zu ermitteln und festzustellen,

        

a)    

Art, Ausprägung und voraussichtliche Dauer der Krankheit(en) oder Behinderung(en), an denen der Versicherte leidet,

        

b)    

Art, Umfang und voraussichtliche Dauer der quantitativen und qualitativen Leistungseinschränkungen (Minderbelastbarkeiten, Funktionsstörungen und -einbußen) sowie den

        

c)    

Ursachenzusammenhang ("wegen") zwischen a) und b).

14

a) Das LSG hat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, dass die Klägerin "an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und an einer depressiven Erkrankung leidet". Dabei handelt es sich - auch soweit psychische Leiden vorliegen (s dazu BSGE 21, 189 = SozR Nr 39 zu § 1246 RVO; SozR Nr 15 zu § 1254 aF RVO) - um Krankheiten iS von § 43 Abs 2 S 2 SGB VI, dh um regelwidrige Körper- bzw Geisteszustände(BSGE 14, 207 = SozR Nr 5 zu § 45 RKG), die geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit herabzusetzen (BSGE 13, 255 = SozR Nr 11 zu § 1246 RVO). Den Analphabetismus oder dessen Ursachen hat das Berufungsgericht dagegen nicht als Krankheit bezeichnet, sondern ausdrücklich ausgeführt, dass die komplette Lese- und Schreibinkompetenz "nicht auf einer gesundheitlichen Störung" beruht. Sie ist auch keine "Behinderung", weil dazu rentenversicherungsrechtlich nur (weiter die Begriffsbestimmung in § 2 Abs 1 SGB IX) krankheitsbedingte Störungen zählen (Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 98; Kunze, DRV 2001, 192), deren Entwicklung - anders als bei einer Krankheit (vgl dazu BSGE 28, 114 = SozR Nr 28 zu § 182 RVO) - irreversibel abgeschlossen ist. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" kann aber durch Erlernen der Schriftsprache überwunden werden.

15

b) Das LSG hat weiter bindend festgestellt, dass die Klägerin noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten kann. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr.

16

c) Zwischen diesen Leistungseinschränkungen (Erwerbsminderung) und den Krankheit(en) bzw Behinderung(en) muss ein Ursachenzusammenhang bestehen ("wegen"). Die Leistungsminderung muss wesentlich (Theorie der wesentlichen Bedingung, vgl BSGE 96, 291, 293 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 RdNr 15)auf einer Krankheit oder Behinderung (den versicherten Risiken) beruhen und nicht auf sonstigen Umständen wie Lebensalter, fehlenden Sprachkenntnissen (Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 11 S 38 f; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 9 S 34 f; SozR 2200 § 1246 Nr 61) oder Arbeitsentwöhnung (BSGE 7, 66). Aus den Darlegungen des LSG zum Ursachenzusammenhang geht hinreichend deutlich hervor, dass die beschriebenen Leistungseinschränkungen und Minderbelastbarkeiten aus den zuvor festgestellten Gesundheitsstörungen "resultieren". Außerdem hält das Berufungsgericht ausdrücklich fest, dass der Analphabetismus der Klägerin "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruht", also gerade kein Ursachenzusammenhang zwischen ihm und einer der festgestellten Erkrankungen vorliegt.

17

3. Steht das krankheits- bzw behinderungsbedingte (Rest-)Leistungsvermögen fest, ist im nächsten Prüfungsschritt die Rechtsfrage zu klären, ob der Versicherte damit außerstande ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein. Diese Frage ist hier zu verneinen. Die zitierte Formulierung verwendete der Gesetzgeber ursprünglich im Arbeitsförderungsrecht (§ 103 AFG, § 119 SGB III, seit dem 1.4.2012: § 138 Abs 5 SGB III) und übertrug sie später auf das Recht der Renten wegen Erwerbsminderung. Mit dieser Übernahme griff er gleichzeitig die Rechtsprechung des BSG auf, wonach dem Betroffenen der Zugang zum Arbeitsmarkt trotz vollschichtigem Leistungsvermögen praktisch verschlossen war, wenn er krankheitsbedingt keine "Erwerbstätigkeit unter den in Betrieben üblichen Bedingungen" mehr ausüben konnte (sog 1. Katalog- und Seltenheitsfall, vgl dazu nur Senatsurteil vom 27.5.1977 - 5 RJ 28/76 - SozR 2200 § 1246 Nr 19 und die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Die hierzu und zum Arbeitsförderungsrecht entwickelte Rechtsprechung ist auf die gesetzliche Neuformulierung übertragbar.

18

a) "Bedingungen" sind dabei alle Faktoren, die wesentliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind (BSGE 11, 16, 20). Hierzu gehört vor allem der rechtliche Normrahmen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche Bestimmungen und tarifvertragliche Vereinbarungen (BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 29, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2600 § 43 Nr 16 vorgesehen; zum Arbeitsförderungsrecht: BSGE 11, 16, 20; 44, 164, 172 = SozR 4100 § 134 Nr 3; BSGE 46, 257, 259 = SozR 4100 § 103 Nr 17; BSG SozR 4100 § 103 Nr 23 S 55; BSG Urteil vom 21.4.1993 - 11 RAr 79/92 - Die Beiträge 1994, 431). Die Bedingungen sind "üblich", wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29; BSGE 46, 257, 262, 264 = SozR 4100 § 103 Nr 17 S 40, 42; SozR 2200 § 1247 Nr 43 S 86 f; BSG Urteil vom 21.4.1993, aaO, Die Beiträge 1994, 431). Der Arbeitsmarktbegriff erfasst alle denkbaren Tätigkeiten (vgl BT-Drucks 14/4230, S 25), für die es faktisch "Angebot" und "Nachfrage" gibt. Das Adjektiv "allgemein" grenzt den ersten vom zweiten - öffentlich geförderten - Arbeitsmarkt, zu dem regelmäßig nur Leistungsempfänger nach dem SGB II und III Zugang haben, sowie von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für behinderte Menschen und andere geschützte Einrichtungen (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO RdNr 27). Die Klägerin kann nach den Feststellungen des LSG an fünf Tagen in der Woche mindestens sechs Stunden arbeiten. Sieht man davon ab, dass ihr Nacht- und Wechselschichten krankheitsbedingt nicht mehr zugemutet werden dürfen, benötigt sie im Hinblick auf Dauer und Verteilung der Arbeitszeit keine Sonderbehandlung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unüblich wäre. Sie hat auch keinen erhöhten, betriebsunüblichen Pausen- oder Urlaubsbedarf und ist in einem Betrieb, also außerhalb geschützter Einrichtungen, einsetzbar. Wer aber in einem Betrieb unter den dort üblicherweise herrschenden Bedingungen arbeiten kann, ist auch imstande, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein.

19

b) Soweit unter den Begriff der üblichen Bedingungen "auch tatsächliche Umstände" gefasst werden (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29), "wie zB die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz", handelt es sich ausschließlich um kognitive Grundfähigkeiten, die krankheitsbedingt herabgesetzt sein können. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu. Wie der berufliche Werdegang der Klägerin exemplarisch und stellvertretend für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen zeigt, zählen Lese- und Schreibkompetenzen keinesfalls zu den üblichen Grundbedingungen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Andernfalls könnten primäre Analphabeten nie unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig werden, wären schon vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (voll) erwerbsgemindert und könnten Rente wegen voller Erwerbsminderung erst erhalten, nachdem sie die Wartezeit von 20 Jahren zurückgelegt haben (§ 43 Abs 6 iVm § 50 Abs 2 SGB VI).

20

4. Folglich kommt es entscheidend darauf an, ob die Klägerin trotz ihrer qualitativen Leistungseinschränkungen noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Diese Frage ist zu bejahen.

21

a) Um nachprüfbar zu machen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hat das BSG bereits zum Parallelproblem im Recht der Renten wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit (§§ 1246, 1247 RVO bzw §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Altfassung - aF) die Pflicht der Rentenversicherungsträger entwickelt, dem Versicherten zumindest eine zumutbare Tätigkeit (sog Verweisungstätigkeit) konkret zu benennen, die er mit seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch ausüben kann (sog Benennungsgebot), wenn eine Rente wegen fehlender Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit abgelehnt werden sollte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229; SozR 2200 § 1246 Nr 72, 74, 98 und 104). Zu benennen war eine Berufstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 72 S 229 und Nr 74 S 234; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229). Die Angabe einzelner Arbeitsvorgänge oder Tätigkeitsmerkmale genügte nicht (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 34 S 130 f mwN; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 13 R 63/06 R - Juris RdNr 30). Andererseits musste kein konkreter Arbeitsplatz bezeichnet werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324). Die zu benennende Tätigkeit musste auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich in ausreichendem Umfang vorkommen (BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28), dh es mussten grundsätzlich mehr als 300 Stellen (besetzt oder offen) vorhanden sein (BSGE 78, 207, 222 f = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 34 f; BSG Urteile vom 29.7.2004 - B 4 RA 5/04 R - Juris RdNr 24, 33 und vom 26.4.2007 - B 4 R 5/06 R - Juris RdNr 18).

22

b) Abweichend von diesem Grundsatz war die Benennung einer Verweisungstätigkeit entbehrlich, sofern der Versicherte - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - noch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage war und auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durfte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 mwN). Auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durften bei der Prüfung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich alle Versicherten (BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12 f; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18), bei der Prüfung der Rente wegen Berufsunfähigkeit hingegen nur ungelernte Arbeiter bzw sog Angelernte im unteren Bereich (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 72 f mwN). In diesen Fällen war regelmäßig davon auszugehen, dass das Restleistungsvermögen dem Versicherten noch körperliche Verrichtungen erlaubte, wie sie in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw). Dem lag die Überlegung zugrunde, dass sich die nicht oder nur ganz wenig qualifizierten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ("Hilfsarbeiten") einerseits einer knappen Benennung, die aussagekräftig Art und Anforderungen der Tätigkeiten beschreiben würde, entzogen, das Arbeitsfeld andererseits aber so heterogen war, dass mit einem Restleistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten jedenfalls noch von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten ausgegangen werden konnte (BSGE 80, 24, 31 ff = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 ff).

23

c) Trotz der praktischen Schwierigkeiten war - im Sinne einer Rückausnahme - die konkrete Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag: In diesen Fällen einer überdurchschnittlich starken Leistungsminderung bestanden - entgegen der oben skizzierten tatsächlichen Vermutung bzw Annahme - ernsthafte Zweifel, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für die dem Versicherten an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen bereithielt oder dass der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar war (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324 und Nr 136 S 434). Auch die Möglichkeit der praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts durch die sog Katalog- und Seltenheitsfälle ist in diesem Zusammenhang bedeutsam (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Diese Maßstäbe haben auch für die seit dem 1.1.2001 geltende Rechtslage weiterhin Gültigkeit (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18 und BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 19).

24

5. Für den Regelfall darf damit auch für die Renten wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI nF (iS einer widerlegbaren tatsächlichen Vermutung) davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der zumindest körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - wenigstens sechs Stunden täglich verrichten kann, noch in der Lage ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen(s auch § 43 Abs 3 SGB VI nF). Es ist mehrschrittig zu prüfen (vgl dazu BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 und Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 35):

25

a) Im ersten Schritt ist festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten erlaubt (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw ), die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. Es genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (vgl BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; Senatsurteile vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; vom 10.12.2003 - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 23; BSG vom 19.8.1997 - 13 RJ 29/95 - SozSich 1998, 111 - Juris RdNr 30; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 14.7.1999 - B 13 RJ 65/97 R - Juris RdNr 32; sog "kleines Benennungsgebot": vgl Köbl in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskommentar zum SGB VI, § 43 RdNr 168, Stand Oktober 2006; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Spiolek, SGb 1999, 509, 510; kritisch Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 42, Stand März 2012; aA wohl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108). Damit können "ernste Zweifel" an der beschriebenen Einsatzfähigkeit des Versicherten als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt werden.

26

b) Lassen sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben und kommen deshalb "ernste Zweifel" an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen auf, stellt sich im zweiten Schritt die Rechtsfrage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl Senatsurteil vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 44 sowie BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f und Nr 21 S 73 f sowie Beschluss vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 - Juris RdNr 24). Hierbei handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die schwierig zu konkretisieren (BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 sowie SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f) und vernünftig zu handhaben sind (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33 ). Da es für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, keinen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt, können auch für die tatrichterliche Begründung und die dazu nötigen Tatsachenfeststellungen keine allgemeingültigen Anforderungen aufgestellt werden (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23). Auch der jeweilige Begründungsaufwand richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss das Tatsachengericht seine Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Wie sich der Richter die jeweils erforderliche Tatsachenkenntnis verschafft, liegt in seinem Ermittlungsermessen (vgl § 103 SGG). Angesichts des unzulänglichen Gesamtüberblicks über typische Anforderungen ungelernter Verrichtungen ist ihm dabei ein weiter Freiraum für Einschätzungen zuzugestehen. Gleichwohl muss aber aus rechtsstaatlichen Gründen ein Mindestmaß an Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gesichert bleiben (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 ff und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25).

27

c) Erst wenn nach diesen Maßstäben eine "schwere spezifische Leistungsbehinderung" oder "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vorliegt, ist dem Versicherten im dritten Schritt mindestens eine konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) zu benennen, um seinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung auszuschließen (vgl BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33). Hierbei sind dann nicht nur das körperliche, geistige und kognitive Leistungsvermögen einerseits und das berufliche Anforderungsprofil andererseits miteinander zu vergleichen und in Deckung zu bringen, sondern es muss auch individuell geprüft werden, ob der Versicherte die notwendigen fachlichen Qualifikationen und überfachlichen Schlüsselkompetenzen besitzt oder zumindest innerhalb von drei Monaten erlernen kann. Außerdem ist dann zu beachten, dass auf Tätigkeiten nicht verwiesen werden darf, die auf dem Arbeitsmarkt nur in ganz geringer Zahl vorkommen (Katalogfall Nr 3), die an Berufsfremde nicht vergeben werden (Katalogfall Nr 4) oder für Betriebsfremde unzugänglich sind, weil es sich um reine Schonarbeitsplätze (Katalogfall Nr 5) oder Aufstiegspositionen (Katalogfall Nr 6) handelt (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Kann der Versicherte die Verweisungstätigkeit krankheits- oder behinderungsbedingt nicht mehr ausüben, oder kann er sich die fehlenden fachlichen oder überfachlichen Kompetenzen nicht innerhalb von drei Monaten aneignen, so ist er auch dann (voll) erwerbsgemindert, wenn sein zeitliches (quantitatives) Leistungsvermögen uneingeschränkt erhalten ist.

28

6. Zu Recht hat das LSG eine schwere spezifische Leistungsbehinderung verneint. Sie liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60; Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108; Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Hierzu können - unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände (vgl BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 17 S 61 ; BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 19 S 68 ; BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 ) - beispielsweise Einäugigkeit (Senatsurteile vom 12.5.1982 - 5b/5 RJ 170/80 - Juris RdNr 8 und vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30, 90), Einarmigkeit (Senatsurteil vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30) und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit (BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 19) sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104, 117; weitere Beispiele bei BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26 und bei Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu, weil er keine "Behinderung" ist (s Gliederungspunkt 2 a) und damit auch keine "Leistungsbehinderung" sein kann.

29

7. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch keine "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vor, die es ausnahmsweise notwendig machen könnte, den Ausschluss eines Rechts auf Rente nicht lediglich abstrakt mit der Einsetzbarkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu begründen, sondern hierfür die konkrete Benennung einer noch in Betracht kommenden Verweisungstätigkeit zu fordern. Insofern kann vorliegend offen bleiben, ob es sich bei dem muttersprachlichen Analphabetismus der Klägerin für sich um eine ungewöhnliche Leistungseinschränkung in diesem Sinne handelt (vgl dazu Senatsurteile vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 17 ff und vom 20.10.2004 - B 5 RJ 48/03 R - Juris RdNr 19 sowie BSG Urteil vom 4.11.1998 - B 13 RJ 13/98 R - SozR 3-2200 § 1246 Nr 62 S 288). Nach der unverändert einschlägigen Verweisungsrechtsprechung des Großen Senats des BSG (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) begründet nämlich bei zeitlich uneingeschränkt leistungsfähigen Versicherten allein die "Summierung" - notwendig also eine Mehrheit von wenigstens zwei ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen als tauglichen Summanden - die Benennungspflicht, nicht aber, wie das Berufungsgericht meint, bereits das Zusammentreffen einer - potenziell - ungewöhnlichen und einer oder mehrerer "gewöhnlicher" Leistungseinschränkungen. Durch die genannte Rechtsprechung des Großen Senats und den ausdrücklichen Ausschluss einer Berücksichtigung der "jeweiligen Arbeitsmarktlage" in § 43 Abs 3 Halbs 2 SGB VI ist auch bereits entschieden, dass weitere Fälle einer Benennungspflicht nicht in Betracht kommen. Im Hinblick auf die qualitativen Einschränkungen, die bei der Klägerin zu beachten sind, hat das LSG jedoch unangefochten festgestellt, dass diese sämtlich nicht ungewöhnlich sind. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die "vernünftige Handhabung" des unbestimmten Rechtsbegriffs der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gewährleistet nach der Rechtsprechung des Großen und des erkennenden Senats, dass abweichend vom Regelfall der abstrakten Betrachtungsweise die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit als unselbstständiger Zwischenschritt, nur aber auch immer dann erfolgen muss, wenn ernsthafte Zweifel unter anderem an der betrieblichen Einsetzbarkeit bestehen. Ob und ggf in welcher Intensität Zweifel aufkommen und ob in der Gesamtschau eine "Summierung" ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu bejahen ist, lässt sich nur anhand des konkreten Einzelfalls entscheiden, weil die denkbaren Kombinationsmöglichkeiten der qualitativen Leistungseinschränkungen unüberschaubar sind und die Summanden je nach Schweregrad, Anzahl und Wechselwirkungen unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Feste Grenzlinien lassen sich nicht festlegen, zumal auch der Begriff "leichte Arbeiten", auf den sich die genannten Merkmale als Ausnahmen beziehen, erhebliche Unschärfen enthält, die es erforderlich machen, die im Einzelfall vorliegenden Leistungseinschränkungen insgesamt in ihrer konkreten Bedeutung für die Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem Arbeitsmarkt zu bewerten (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Nur so erscheint eine "vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe" gewährleistet, wie sie der Große Senat des BSG (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33) vorausgesetzt hat. Im Hinblick auf diese Gegebenheiten sind die bisherigen Entscheidungen des BSG zum Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung nur als Einzelfallentscheidungen zu werten, die den Besonderheiten der jeweiligen Sachlage Rechnung zu tragen suchen. Auch wenn die Leistungseinschränkungen dort gleich oder vergleichbar formuliert sind, handelt es sich keinesfalls um identische Sachverhalte. Vielmehr liefern die jeweiligen Beurteilungen allenfalls Anhaltspunkte für weitere Entscheidungen; ihnen lassen sich jedoch keine generellen Abgrenzungskriterien entnehmen (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Deshalb steht dem Tatrichter bei der Würdigung des Gesamtbildes der Verhältnisse ein weiter Freiraum für Einschätzungen zu (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25). Denn die Begriffe der "Ungewöhnlichkeit" von Leistungseinschränkungen und ihre "Summierung" lassen sich nicht mit einem abschließenden Katalog unabdingbarer Merkmale und Untermerkmale im Voraus definieren (Klassen- oder Allgemeinbegriff), sondern nur einzelfallbezogen durch eine größere und unbestimmte Zahl von (charakteristischen) Merkmalen umschreiben (offener Typus- oder Ordnungsbegriff), wobei das eine oder andere Merkmal gänzlich fehlen oder je nach Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam sein kann. Ob an der Einsetzbarkeit eines individuellen Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Zweifel bestehen und sich ggf überwinden lassen, ob Leistungseinschränkungen "ungewöhnlich" sind und wie sie sich nach Art, Umfang und Ausprägung wechselseitig beeinflussen ("summieren"), beurteilt sich anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse durch einen wertenden Ähnlichkeitsvergleich. Eine solche Würdigung des Einzelfalls nach dem Gesamtbild der Verhältnisse vollzieht sich auf tatsächlichem Gebiet und obliegt im Wesentlichen dem Tatrichter; seine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Bei derartigen richterlichen Wertungsakten gibt es keine logisch ableitbare einzig richtige Entscheidung, sondern einen Bereich, der sich letztlich der logischen Nachprüfbarkeit entzieht. Rational argumentativ ist dieser (originäre) Wertungsakt nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich darauf, ob er auf einer zutreffenden und rechtlich verwertbaren Tatsachengrundlage beruht, ob die richtigen Wertungsmaßstäbe erkannt und angewandt wurden und ob er sich innerhalb eines gewissen Spielraums der Angemessenheit bzw des Vertretbaren bewegt ("vernünftige Handhabung"). Bei derartigen genuinen Wertungsakten sind mehrere Entscheidungen gleichermaßen richtig, weil sich nach rein logischen Maßstäben nicht mehr entscheiden lässt, welche innerhalb eines Spielraums nach zutreffenden Maßstäben getroffene Entscheidung richtiger als die andere ist.

30

Das LSG hat vorliegend Inhalt und Grenzen des unbestimmten Rechtsbegriffs der ungewöhnlichen Leistungseinschränkung, wie sie sich hiernach ergeben, berücksichtigt und im Rahmen der ihm vorbehaltenen tatrichterlichen Bewertung die von ihm festgestellten Leistungseinschränkungen - mit Ausnahme des Analphabetismus der Klägerin - als "gewöhnlich", also keine Benennungspflicht auslösend, eingestuft. Dabei hat es sich im Wesentlichen an der vom Großen Senat rezipierten beispielhaften Auflistung derartiger Einschränkungen orientiert. Insofern bedarf es auf der Ebene der Feststellung tatsächlicher Umstände jeweils der Bewertung, ob mit einer festgestellten Leistungseinschränkung für sich und im Zusammenwirken mit gleichwertigen anderen gerade im konkreten Einzelfall die Gefahr verbunden ist, dass der Versicherte auf in Wahrheit nicht existierende Arbeitsmöglichkeiten verwiesen wird, deren Feststellung wiederum Aufgabe des Tatsachengerichts ist. Solange daher der Tatrichter - wie hier das LSG - von einem rechtlich zutreffenden Verständnis der Benennungspflicht und ihrer Voraussetzungen ausgeht, handelt es sich um die Feststellung von Individualtatsachen, an die das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG und in dessen Grenzen gebunden ist. Vorliegend ist daher rechtlich ohne konkreten Vergleich der Leistungsfähigkeit mit dem Anforderungsprofil einer bestimmten Tätigkeit im Sinne einer tatsächlichen Vermutung davon auszugehen, dass die Klägerin ihr Restleistungsvermögen noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwerten kann, also noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine (unbenannte) Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Damit scheidet auch ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aus (§ 43 Abs 1, § 240 Abs 1 SGB VI).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.