Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 02. Juli 2015 - L 1 R 59/13

ECLI:ECLI:DE:LSGST:2015:0702.L1R59.13.0A
bei uns veröffentlicht am02.07.2015

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 13. Dezember 2012 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Streitgegenständlich ist eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI).

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Der am ... 1963 geborene Kläger ist gelernter Agrotechniker/Mechanisator. In diesem Beruf war er bis 1986 erwerbstätig. Von Mai 1986 bis September 2008 arbeitete er als Zementiermaschinist. Er bezieht eine Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau seit dem 1. November 2009.

3

Der Kläger ist Rechtshänder. Er erlitt am 21. August 2008 einen Unfall. Beim Verfüllen eines Brunnens prallte ein Schlauch auf das rechte Handgelenk bzw. die rechte Hand des Klägers. Die operative Versorgung erfolgte am 27. November 2008. Bei der Kontrolle am 16. Dezember 2008 sei noch eine leichte Schwellung feststellbar. Sowohl Langfingerstreckung als auch Faustschluss seien komplett, jedoch kraftgemindert, möglich. Unter Angaben der Besserung der Beschwerden war im Januar 2009 eine deutliche Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks zu verzeichnen, weshalb im Februar 2009 eine weitere operative Versorgung erfolgte. Nach dem Zwischenbericht vom 17. Juli 2009 und dem Gutachten vom 5. August 2009 handele es sich um eine schmerzhafte Funktionseinschränkung des rechten Handgelenks nach SL-Bandläsion und SL-Bandrekonstruktion.

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Am 17. September 2010 stellte der Kläger bei der Beklagten den zweiten Antrag auf Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente. Nach seinen Angaben im Antragsformular fühle er sich seit September 2008 wegen einer Funktionsunfähigkeit des rechten Arms, ständiger chronischer Schmerzen, einem Verschleiß der linken Schulter und wegen eines Bluthochdrucks erwerbsgemindert. Er könne keine Arbeiten mehr verrichten.

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Aus dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren lag der Beklagten u.a. ein Gutachten seines Sozialmedizinischen Dienstes (SMD) vom 26. Januar 2010 vor. Danach sei der Kläger allein mit dem Auto zur Begutachtung angereist. Das Gangbild sei flüssig. Das Umkleiden erfolge zügig. Die Wirbelsäule sei nicht relevant bewegungseingeschränkt. Im Bereich der oberen Extremitäten bestünden keine Entzündungszeichen der Gelenke. Die Handstreckung und -beugung und die Abduktion seien endgradig und die Adduktion leichtgradig rechtsseitig eingeschränkt. Es bestünde eine Umfangsdifferenz zugunsten von rechts von 1 cm im Handgelenksbereich und zugunsten von links von 1 cm im Unterarmbereich (10 cm unterhalb des Epicondylus lateralis). Der Faustschluss sei beidseits komplett, rechts mit geringer Kraftminderung (Kraftgrad 4/5) und bei Schmerzangabe, möglich. Die Fingerkuppen erreichten die Daumen. Es sei dem Kläger gelungen, einzelne Büroklammern mit der rechten Hand herauszusuchen und einen Satz zu schreiben. Bei Abduktion des linken Armes sei eine leichtgradige Bewegungseinschränkung festzustellen. Die unteren Extremitäten seien frei beweglich. Im Rahmen der Belastungsergometrie sei eine belastungsinduzierte hypertone Kreislaufdysregulation vorhanden. Zudem sei im neurologischen Befund eine Mundastschwäche aufgefallen. Im linken Handgelenk hätten keine relevanten Bewegungseinschränkungen bei Zustand nach Sturz in der Häuslichkeit vorgelegen. Es handele sich um eine Funktionseinschränkung der rechten Hand mit end- bis leichtgradiger Bewegungseinschränkung, um eine Minderbelastbarkeit der Kniegelenke bei degenerativen Veränderungen ohne Bewegungseinschränkung, anamnestisch um Colitis ulcerosa und um leichtgradige Funktionsstörungen bei Abduktion im linken Schultergelenk bei Omalgien. Leichte Tätigkeiten seien dem Kläger mit qualitativen Einschränkungen in einem Zeitumfang von sechs Stunden und mehr täglich zuzumuten.

6

Frau Dipl.-Med. W., Fachärztin für Augenheilkunde, berichtete am 19. Januar 2010 von einem korrigierten Visus rechts von 0,6 und links von 0,8. Der SMD folgerte hieraus am 23. Februar 2010 einen Ausschluss von Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Sehvermögen.

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Mit Bescheid vom 15. Oktober 2010 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert. Er sei noch fähig, eine Erwerbstätigkeit mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. Hiergegen wandte sich der Kläger am 8. November 2010 mit Widerspruch. Er trug vor, dass er nicht in der Lage sei, noch sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Seit dem Arbeitsunfall leide er unter starken Schmerzen, welche die Funktion des rechten Handgelenks stark einschränkten. Es sei eine Versteifung desselben geplant. Er sei faktisch einarmig. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei keinesfalls von einer faktischen Einarmigkeit auszugehen. Die rechte Hand zeige lediglich Einschränkungen im kraft- und feinmotorischen Bereich. Zur Unterstützung und für leichte Tätigkeiten seien der rechte Arm und die rechte Hand vollständig nutzbar.

8

Der Kläger hat am 16. März 2011 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben. Er hat ausgeführt, aufgrund von körperlichen Beeinträchtigungen sei er nicht in der Lage, zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Insbesondere ergäben sich Einschränkungen der rechten Hand mit Minderung der groben Kraft auf ca. 30 Prozent im Vergleich zu links und mit starken Bewegungseinschränkungen der rechten Hand. Er hat ein handchirurgisches Gutachten des Prof. Dr. V., Direktor der Medizinischen Hochschule H., Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, vom 21. Dezember 2010, erstellt für ein privatrechtliches Versicherungsunternehmen, zu den Gerichtsakten gereicht. Der Kläger habe bei Belastung starke Schmerzen im rechten Handgelenk, insbesondere bei Drehbewegungen und beim Heben und Tragen von Lasten mit Belastungsgrenze bei etwa der Schwere eines halbvollen Wasserkochers, beklagt. Stärkere Belastungen seien nicht mehr möglich. In Ruhe seien die Schmerzen geringer und mit Orthese nur leicht zu merken. Der Kläger könne die Greifformen beidseits - rechts etwas zögerlicher - ausführen. Es sei eine leichte Schwellung im Bereich des rechten Handgelenks festzustellen. Die Beweglichkeit sei im Vergleich zu links gemindert. Die grobe Kraft sei deutlich vermindert. Faustschluss und Fingerstreckung seien an beiden Händen komplett möglich. Der Kläger leide an einer chronischen belastungsabhängigen Schmerzhaftigkeit des rechten Handgelenks nach arthroskopisch festgestellter Verletzung des SL-Bandes und des Testut´schen Ligementes und einem ebenso arthroskopisch festgestellten TFCC-Schaden links mit erheblicher Minderung der Grobkraft auf ca. 30 % ohne Orthese im Vergleich zur Gegenseite. Es bestünden eine Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks (gemeint: rechts) in Extension/Flexion sowie Ulnar- und Radialduktion, insgesamt um 90 Grad, posttraumatische arthrotische Gelenkverschleißerscheinungen, vor allem periscapulär und im Bereich des Radiocarpalgelenks rechts bei fortbestehender Aufweitung des SL-Spaltes (SL-Dissoziation) trotz operativ versorgter SL-Bandläsion und Rekonstruktion mit Sehnentransplantat und Narben als Folgen der Voroperationen. Der Kläger sei in seinem Beruf als Kraftfahrer und Maschinist erwerbsunfähig. Er könne leichte Arbeiten für ca. drei Stunden täglich ausüben.

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Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte. Herr Dr. H., Facharzt für Chirurgie, Handchirurgie, Unfallchirurgie und Chirotherapie hat am 23. Mai 2011 auf das Gutachten vom 5. August 2009 Bezug genommen. Im Februar 2011 seien eine Arthrose in der Schulterregion links und ein Zustand nach traumatischer Ruptur von Bändern des Handgelenks und der Handwurzel zu diagnostizieren.

10

Dem SG hat zudem ein Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit B. vom 14. März 2011 vorgelegen. Wegen behandlungsbedürftiger psychischer Minderbelastbarkeit und unter denselben Diagnosen wie im Gutachten des SMD hat die Gutachterin eingeschätzt, das Leistungsvermögen des Klägers betrage voraussichtlich bis zu sechs Monate täglich weniger als drei Stunden.

11

Frau Dr. A., Fachärztin für Allgemeinmedizin, hat im Befundbericht vom 1. Juni 2011 zudem eine Neuritis diagnostiziert. Der Kläger habe am 21. April 2011 (gemeint: 12. April) ein Schädelhirntrauma erlitten. Zur Zeit seien ihm keine leichten Arbeiten möglich. Herr SR Dr. R., Augenfacharzt, hat am 7. Juni 2011 mitgeteilt, der Kläger leide an alten Narben der Hornhaut rechts und posttraumatischer Opticusatrophie rechts. Die Befunde hätten sich rechts verschlechtert. Veränderungen seien nach dem Sturz vom 12. April 2011 eingetreten. Das Verschwommensehen habe rechts seit dem Sturz zugenommen. Er hat ergänzt, der Visus betrage rechts 5/25 und links 5/6 (14. April 2011: rechts 5/10, links 5/5). Es bestünden rechts ausgeprägte Gesichtsfeldeinschränkungen. Der Kläger hat zudem die Mitteilung des Herrn Dr. D. vom 8. Juni 2011, er sei während der festgestellten Arbeitsunfähigkeit als erwerbsunfähig einzuschätzen, eingereicht. Bei deutlicher Untererregbarkeit links im VNG handele es sich um eine ausgeprägte Unterfunktion des linken Labyrinths bei Zustand nach Schädelhirntrauma.

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Der Kläger hat am 18. November 2011 erneut einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten gestellt. Diese hat das SG um Berücksichtigung dieses Antrages im Rahmen des Klageverfahrens gebeten. Ein Bescheid hierzu ist nicht ergangen.

13

Der Kläger hat im Zeitraum vom 29. Februar bis 4. April 2012 eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Klinikzentrum M. GmbH, Abteilung Psychosomatik, absolviert. Nach dem Entlassungsbericht leide er an einer Anpassungsstörung und an einer leichten depressiven Episode. Sein Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts sei auf unter drei Stunden täglich abgesunken. Der Kläger habe innerhalb seiner Symptome nicht behandelt werden können und sei daher für den Arbeitsmarkt nicht oder sehr eingeschränkt vermittelbar. Im psychologischen Befund wirke der Kläger in der Stimmungslage depressiv, im Antrieb gemindert. Die Psychomotorik sei etwas reduziert. Konkrete Frage beantworte er präzise. Es gäbe regelmäßigen Alkoholkonsum. Bei direktem Anleuchten der rechten Pupille könne der Kläger hell und dunkel unterscheiden. Es bestünden keine Feinmotorikstörungen. Die Schultergelenke seien frei beweglich, wobei der Kläger links leichte Schmerzen angebe. Im rechten Handgelenk sei ein deutlicher Druckschmerz auslösbar. Die Beweglichkeit sei im Vergleich zu links deutlich vermindert. Die übrigen Gelenke seien frei beweglich. Die Wirbelsäule sei nicht bewegungseingeschränkt. Soziale Ungerechtigkeit und fehlende Anerkennung der unverschuldeten Schädigung hätten beim Kläger in die Depression geführt. Er habe seine depressive Verstimmung, seine Müdigkeit und seine Antriebslosigkeit für sich in der Einrichtung gut bearbeiten können. Die funktionellen Einschränkungen und die Problematiken des rechten Auges hätten nicht therapiert werden können. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei dem Kläger nach ordentlicher Prüfung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsplatz gegebenenfalls eine leichte Tätigkeit zumutbar.

14

Das SG hat die Begutachtung des Klägers durch den Arzt für Chirurgie, Orthopädie, Unfallchirurgie und Handchirurgie Herr Prof. Dr. G. angeordnet. Im Gutachten vom 22. Mai 2012 hat dieser folgende Einschränkungen dargestellt: Einschränkung der Handgelenksfunktion rechts, Einschränkung der Unterarmdrehfunktion rechts, Kraftminderung der rechten Hand, Folgen des Schädelhirntraumas mit Erblindung des rechten Auges, Labyrinthschwindel und Schlafstörungen, Bauchnarbe nach Dickdarmteilresektion bei chronischer Darmerkrankung und endgradige Funktionseinschränkung im linken Schultergelenk. Es ergäben sich aufgrund der Funktionsstörungen der rechten Hand Einschränkungen für das Arbeiten mit schweren Maschinen, mit Vibrationsmaschinen, für die Handgeschicklichkeit, für Leiter- und Gerüstarbeiten und beim Tragen von schweren Lasten. Der Kläger könne mindestens vier bis unter sechs Stunden arbeitstäglich erwerbstätig sein. Dabei seien leichte bis mittelschwere Arbeiten zumutbar.

15

Der SMD hat ausgeführt, dass die gutachterlich erhobenen Befunde sich mit den von ihm, dem SMD, erhobenen Befunden deckten. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Gutachter eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens angäbe. Die resultierenden Unfallfolgen Schwindel und Blindheit aus einem Unfall am 13. April 2011 mit Schädelhirntrauma seien nicht durch fachärztliche Befunde objektiviert. Bei Blindheit und Schwindel ergäben sich nur qualitative Einschränkungen. Die Aussagen der Reha-Einrichtung seien nicht eindeutig formuliert und nicht nachvollziehbar. Es sei kritisch anzumerken, dass der Bericht von einer psychologischen Beraterin erstellt worden sei. Zusammenfassend sei zu beurteilen, dass anhand der vorgelegten Befunde kein Anhalt dafür bestünde, die Aussagen der Erstbegutachtung vom 26. Januar 2010 anzuzweifeln.

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Mit Urteil vom 13. Dezember 2012 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2011 bis 31. März 2013 zu gewähren und hat im Übrigen die Klage abgewiesen. Dabei habe sich das SG bei Fehlen anderslautender Leistungsvoten den Einschätzungen im Reha-Entlassungsbericht und dem Arbeitsamtsärztlichen Dienst insoweit angeschlossen, als dass der Kläger eine Tätigkeit nur unter sechs Stunden täglich verrichten könne. Durch die zeitliche Begrenzung sei dem Umstand Rechnung getragen, dass der Kläger es bisher versäumt habe, sich in eine psychotherapeutische Behandlung zu begeben.

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Gegen das am 18. Januar 2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18. Februar 2013 Berufung eingelegt. Die von den Sachverständigen abgeleiteten Einschätzungen zum Restleistungsvermögen seien nicht plausibel und nachvollziehbar. Es sei eine psychiatrische Zusatzbegutachtung für erforderlich gehalten worden. Dem sei das SG nicht gefolgt. Zumindest habe das SG sich gedrängt fühlen müssen, dem Gutachter Prof. Dr. G. die Stellungnahme des SMD zur Diskussion zuzuleiten. Es liege keine vollständige Sachaufklärung vor.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 13. Dezember 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

22

Er erwidert, es lasse sich keine Notwendigkeit für die Einholung eines psychiatrischen Zusatzgutachtens erkennen. Auch reiche es für eine Notwendigkeit der Gegenüberstellung nicht aus, dass sich die medizinischen Feststellungen nicht deckten. Das SG habe zutreffend und umfänglich sämtliche im Verfahren vorgetragenen Tatsachen als Grundlage des Urteils herangezogen.

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Der Kläger hat am 7. Februar 2013 einen Antrag auf Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente bei der Beklagten gestellt. Eine Entscheidung hierüber steht noch aus.

24

Der Senat hat einen Bericht des Herrn Dipl.-Psych. F. vom 21. Oktober 2013 beigezogen. Danach handele es sich um einen gleichbleibenden psychischen Befund einer Depression. Zudem bestünde ein exzessiver Gebrauch von Alkohol als Reaktion auf die Unfallfolgen. Gründe für eine Arbeitsunfähigkeit seien im somatischen Krankheitsgeschehen zu sehen. In unregelmäßigen Abständen sei eine Verhaltenstherapie erfolgt. Frau Dr. A. hat am 27. Oktober 2013 eine zwischenzeitliche depressive Verstimmung mitgeteilt.

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Der Senat hat die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Herr Dr. B. angeordnet. Im Gutachten vom 15. Juni 2014 hat dieser folgende psychiatrische Diagnosen gestellt: anhaltende Anpassungsstörung mit gegenwärtig als leichtgradig einzuschätzender depressiver Symptomatik, Alkoholmissbrauch und Medikamentenmissbrauch. Die rechte Hand schmerze nach Angaben des Klägers, wenn er etwas Leichtes trage und nachts in Ruhe. Er trage eine Schiene und einen Verband rechts und nehme Tabletten, wenn er Schmerzen habe. Er wirke durch den Unfall aus seinem bisherigen Lebenskonzept gerissen, anhaltend gekränkt mit fehlender Bewältigung ohne eine für ihn vorstellbare berufliche Perspektive, um sein Recht und die versicherungsrechtliche Anerkennung seiner unfallbedingten Beschwerden kämpfend. Auf Nachfragen seien wenig ergänzende oder konkretere Informationen zu den Funktionseinschränkungen im Alltag auf psychischem Gebiet erhältlich. Körperliche Beschwerden würden eher allgemein benannt. Eine mögliche Problemsicht bezüglich des Alkoholkonsums werde nicht deutlich. Die Beweglichkeit im rechten Handgelenk sei vermindert. Die Beweglichkeit des linken Schultergelenks sei gegenüber rechts eingeschränkt. Die Wirbelsäule zeige keine wesentliche Bewegungseinschränkung. Bei Erblindung des rechten Auges werde eine Hell-Dunkel-Wahrnehmung angegeben. Eine quantitative Einschränkung der Leistungsfähigkeit liege aufgrund der auf psychiatrischem Fachgebiet gestellten Diagnosen nicht vor. Es seien jedoch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich. Die körperlichen Funktionseinschränkungen führten zu quantitativen Einschränkungen. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich an fünf Wochentagen verrichten. Es werde abweichend vom Gutachten des Herrn Prof. Dr. G. keine quantitative Leistungsminderung eingeschätzt.

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Der Senat hat auf den Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Facharztes für Chirurgie, Orthopädie, Unfallchirurgie Dr. T., Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Wirbelsäulenchirurgie der H.-Klinik J. Land GmbH, eingeholt. Im Gutachten vom 16. Februar 2015 hat dieser folgende Diagnosen gestellt: unfallbedingter Verschleiß mit Fehlstellung im Bereich des rechten Handgelenks und der rechten Handwurzel, Verschleiß des rechten Schultereckgelenks und beginnender Verschleiß des Schulterhauptgelenks rechts, beginnender Verschleiß des Schultereck- und Schulterhauptgelenks links, leichter Verschleiß des linken Kniegelenks, unfallbedingte Opticusatrophie rechts mit Gesichtsfeldausfall, Labyrinthschwindel, Zustand nach Sigmaresektion bei Verdacht auf Morbus Crohn, anhaltende Anpassungsstörung mit leicht- bis mittelgradiger depressiver Symptomatik und Alkoholmissbrauch. Die Kraftentwicklung beim gekreuzten Händedruck betrage ½ im Vergleich zur linken Seite. Es bestünden qualitative und quantitative Einschränkungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen nur noch bis zu vier Stunden täglich verrichten. Die Abnutzungen im Bereich des rechten Handgelenks und der Schultern führten zu einer schnelleren Ermüdung und Überlastung der Gelenke. Hiermit verbunden seien dann auftretende Schmerzen. Der Sehverlust des einen Auges müsse durch das andere ausgeglichen werden, was zu einer schnelleren Ermüdung dieses Auges führe. Der Schwindel werde durch Arbeitsbelastung verstärkt. Durch Depression und Alkoholmissbrauch bestünde von vornherein eine Verminderung der hier quantitativen Leistungsfähigkeit. Durch eine Arbeit von sechs Stunden täglich würde der Verschleiß des rechten Handgelenks und der Schultergelenke voranschreiten. Durch die operative Behandlung des rechten Handgelenks sei die Erwerbsfähigkeit binnen vier bis sechs Monaten zu bessern.

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Der SMD hat am 19. März 2015 ausgeführt, ein vollständiger Funktionsverlust der rechten Hand bestünde nicht. Es könne beurteilt werden, dass eine leichte Bewegungseinschränkung bestünde. Die Kraftentwicklung betrage 50 % im Vergleich zu links. Die Fingerbeweglichkeit sei nicht eingeschränkt. Die Leistungseinschätzung sei nicht nachvollziehbar. Die rechte Hand könne als Beihand/Hilfshand eingesetzt werden. Tätigkeiten als Pförtner oder Telefonist oder leichte Sortierarbeiten seien zumutbar.

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Der Kläger hat einen Befundbericht der behandelnden Fachärztin für Augenheilkunde Frau Dr. S. vom 5. Juni 2015 zu den Gerichtsakten gereicht. Danach sei das Gesichtsfeld etwas eingeschränkt. Es bestünden am linken Auge ein Monokelhämatom und eine Augenbrauenschorfwunde. Der Visus betrage unkorrigiert 0,4 bzw. 0,5 links. Die Lichtprojektion sei rechts reduziert. Nach einer CT des Gesichtsschädels vom 4. Juni 2015 liege keine Fraktur vor. Im Termin der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zudem eine Stellungnahme des behandelnden Dipl.-Psych. F. vom 22. September 2014 zu den Gerichtsakten gereicht.

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Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung der Beklagten ist nach § 143 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

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Die Berufung der Beklagten ist begründet, weil ihr ablehnender Bescheid vom 15. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2011 rechtmäßig ist und den Kläger nicht im Sinne der §§ 153, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2011 bis 31. März 2013.

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Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte, wenn die entsprechenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, einen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind. Dies erfordert gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, dass sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Diese Voraussetzungen sind vorliegend für den der Prüfung unterliegenden Zeitraum nicht erfüllt. Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

33

Das SG ist zu Unrecht von einem Leistungsfall im März 2011 ausgegangen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass ein möglicher Leistungsfall nur bis zum 31. Oktober 2011 entscheidungsrelevant sein kann. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist bei der Ablehnung von Leistungen ohne zeitliche Beschränkung grundsätzlich der gesamte Zeitraum bis zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt. Bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen im Sinne von § 54 Abs. 4 SGG – um eine solche handelt es sich vorliegend – ist dies grundsätzlich der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht. Dies gilt jedoch nicht, sofern zwischenzeitlich ein neuer Antrag auf Leistungen gestellt worden ist. Dann hat sich der angefochtene und streitbefangene Vorbescheid für den vom Neuantrag erfassten Zeitraum gemäß § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) auf andere Weise erledigt (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 4. Juni 2015 – L 1 R 136/13).

34

Der Kläger hat am 18. November 2011 erneut einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gestellt. Der Eintritt eines Leistungsfalls ist daher für den Zeitraum ab Antragstellung nicht mehr entscheidungsrelevant, da sich der streitgegenständliche Bescheid ab dem Zeitpunkt der erneuten Antragstellung, der dann vom zu erwartenden Folgebescheid erfasst ist, erledigt hat. Damit unterliegt – unter Berücksichtigung einer Berufungseinlegung nur durch die Beklagte – allein der Zeitraum ab dem angenommenen Leistungsfall durch das SG bis zum 31. Oktober 2011 der gerichtlichen Prüfung des Vorliegens der Leistungsvoraussetzungen.

35

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger in der Lage war, mindestens sechs Stunden täglich körperlich leichte Arbeiten zu verrichten. Nach den medizinischen Ermittlungen ergibt sich für den Senat folgendes Leistungsbild: Der Kläger konnte geistig einfache Tätigkeiten im Sitzen, aber auch mit zeitweisem Gehen und Stehen, ohne Arbeiten an laufenden Maschinen, unter besonderem Zeitdruck, in Akkord bzw. am Fließband, in Nachtschicht, ohne besondere Anforderungen an das Sehvermögen – insbesondere an das Binokularsehen –, ohne Absturzgefahr sowie ohne Gerüst- und Leiterarbeiten verrichten. Auszuschließen waren zudem das Bedienen schwergängiger und krafterfordernder Schalt- und Hebelvorrichtungen mit der rechten Hand bzw. solche Arbeiten, die Anforderungen an die grobe Kraft der rechten Hand stellen, und im Weiteren Heben und Tragen von Lasten mit der rechten Hand. Schließlich waren Überkopfarbeiten, Arbeiten mit dem beruflichen Führen von Kfz, mit häufigem Hocken und Knien, solche, die besondere Anforderungen an das Konzentrationsvermögen und die Umstellungsfähigkeit stellen, nicht zumutbar.

36

Der Senat folgt aufgrund eigener Urteilsbildung dem Gutachten des SMD aus dem Januar 2010, seiner Stellungnahme vom 19. März 2015 und dem Gutachten des Herrn Dr. B. vom 15. Juni 2014. Diese sind inhaltlich und im Abgleich mit den vorliegenden Unterlagen schlüssig. Zweifelsohne liegen Funktionseinschränkungen beim Kläger vor, die zu einer Verminderung seiner Leistungsfähigkeit qualitativer Art führen.

37

Der Kläger leidet an einer Funktionseinschränkung der rechten Hand nach SL-Bandläsion und SL-Bandrekonstruktion, an einer Minderbelastbarkeit des linken Kniegelenks bei degenerativen Veränderungen, an einer leichtgradigen Funktionsstörungen bei Abduktion im linken Schultergelenk bei Omalgien, an einer Opticusatrophie rechts mit Gesichtsfeldausfall, an einem Labyrinthschwindel, an einem Zustand nach Sigmaresektion bei Verdacht auf Morbus Crohn und an einer anhaltenden Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik. Er betreibt einen Alkohol- und Medikamentenmissbrauch.

38

Im Vordergrund steht dabei eine belastungsabhängige schmerzhafte Funktionseinschränkung im rechten Arm. Betroffen ist das rechte Handgelenk in seiner Funktion. Die vom Kläger mitgeteilten starken Bewegungseinschränkungen sind jedoch nicht belegt. Vielmehr sind seit Dezember 2008 sehr ähnliche Messwerte der Beweglichkeit des rechten Handgelenks festzustellen. Sie bewegen sich im Bereich einer Bewegungseinschränkung geringen Grades (Streckung/Beugung bis 30-0-40) nach der GdB/MdE-Tabelle zu den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit. Zudem ist die Unterarmdrehfähigkeit im zeitlichen Verlauf teilweise leichtgradig eingeschränkt gewesen (Gutachten des Herrn Prof. Dr. G.), teilweise befand sie sich im Normbereich (so auch zuletzt im Gutachten des Herrn Dr. T.). Es fanden sich keine Störungen beim Faustschluss und der Greiffunktion. Die Fingerstreckung gelang komplett. Nur zum Teil wurde eine leichte Schwellung des rechten Handgelenks festgestellt. Es bestanden durchgehend keine weiteren Entzündungszeichen, keine Sensibilitätsstörungen und eine unauffällige Durchblutung. In den Röntgenbefunden zeigte sich der bereits im Jahr 2008 angekündigte Verschleiß.

39

Den Unterlagen ist zudem einheitlich zu entnehmen, dass eine deutliche Kraftminderung der rechten Hand vorlag. Der Kläger gab als Belastungsgrenze das Tragen eines halbvollen Wasserkochers an. Eine stärkere Belastung sei ihm hingegen nicht möglich. Rechts war die Handkraft gutachterlich im Dezember 2010 mit 10 kg, links mit 32 kg ermittelt worden. Diese Werte bildeten die stärkste Kraftminderung ab, während im Januar 2010 ein Kraftgrad 4/5 und im Februar 2015 eine Kraftminderung auf 1/2 mitgeteilt worden waren. Beschwerden wurden vom Kläger belastungsabhängig beschrieben. Er erklärte keine kontinuierliche Schmerzmitteleinnahme. Mit Orthese sind die Beschwerden von ihm mit 2-3 von 10 VAS eingeschätzt worden. Für eine gewisse Schonung der rechten Hand spricht eine links stärker ausgeprägte Hohlhandbeschwielung. Eine deutliche Myatrophie als Folge der Nichtbenutzung der rechten Hand wurde nicht berichtet. Es findet sich eine Umfangsminderung von 1 cm rechts (Ober- und Unterarm) im Vergleich zu links. Insgesamt betrachtet stimmen die über den Zeitverlauf erhobenen Befunde im Wesentlichen überein. Eine maßgebliche Verschlechterung ist nicht ersichtlich.

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Unter Berücksichtigung der Kraftminderung der rechten Hand auf 1/3 von links (später: 1/2), der leichtgradigen Bewegungseinschränkung und der belastungsabhängigen Beschwerdeproblematik sind körperlich leichte Tätigkeiten zumutbar, da leichte Belastungen – wie das Tragen eines halbvollen Wasserkochers – vom Kläger nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung jedenfalls im prüfungsrelevanten Zeitraum toleriert wurden.

41

Deshalb ist die Einschätzung von Herrn Prof. Dr. V. im handchirurgischen Gutachten vom 21. Dezember 2010 (ca. drei Stunden Leistungsfähigkeit) nicht nachvollziehbar. Hier findet sich keine Begründung dazu, woraus die quantitative Leistungsminderung resultieren soll. Die Begründung von Herrn Dr. T. einer schnelleren Ermüdung und Überlastung der Gelenke aufgrund der festgestellten Abnutzung vermag ebenso wenig zu überzeugen. Der Gutachter berichtete keinen schwerwiegenden bzw. fortgeschrittenen Verschleiß. Zudem fanden sich keine hochgradigen Funktionseinschränkungen. Unter Beachtung des oben dargestellten Leistungsprofils ist eine derartige Überlastung der Gelenke nicht zu erwarten. Weshalb von vornherein bei Depressionen und Alkoholmissbrauch eine Verminderung der quantitativen Leistungsfähigkeit vorliegen soll, bleibt unbegründet. Herr Prof. Dr. G. stellte in seinem Gutachten vom 22. Mai 2012 nachvollziehbar die sich ergebenden Einschränkungen qualitativer Art für eine Erwerbstätigkeit dar, die aus einer reduzierten Belastbarkeit der rechten Hand bei Kraftminderung und Einschränkung der Handgelenksfunktion und der Unterarmdrehfunktion folgten. Woraus aber seiner Ansicht nach eine Reduzierung des Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden resultieren soll, lässt sich dem Gutachten nicht entnehmen. Sie erschließt sich auch nicht zwanglos anhand der erhobenen Befunde. Der Kläger ist nicht faktisch einarmig. Er kann die rechte Hand für leichte Tätigkeiten benutzen. Hierfür spricht auch der Umstand, dass der Kläger in der Lage ist, ein Kfz zu führen. Er kann insbesondere den Schalthebel seines Kfz – wenn auch nach seiner Einlassung über kurze Fahrstrecken – bedienen. Er verfügt nicht über ein Auto mit Automatikgetriebe oder Spezialvorrichtungen. Er räumt ein, kurze Strecken z.B. zum Einkauf mit dem Kfz zurückzulegen. Jedenfalls die ca. 32 km lange Strecke zur Begutachtung von B. nach M. mit einer Fahrzeit von ca. 25 Minuten hat er selbstständig mit dem Auto zurückgelegt. Das An- und Auskleiden gelang im Rahmen der verschiedenen Begutachtungen ohne Hilfestellungen zügig, ohne dass Einschränkungen in der Benutzung der rechten Hand beschrieben wurden. Zudem konnte der Senat sich im Termin augenscheinlich davon überzeugen, dass der Kläger die bandagierte rechte Hand – wenn auch zurückhaltend – beim Sortieren seiner Unterlagen benutzte. Er stützte sich darüber hinaus aber beim Gehen um den Klägertisch, um Unterlagen zum Richtertisch zu reichen, mit der flachen rechten Hand auf dem Klägertisch auf, zeigte dabei eine gute Extension bzw. Streckung und eine Belastbarkeit des rechten Handgelenks. Dass sein Sohn kraftvolle Arbeiten wie das Holzhacken übernehmen muss, ist angesichts der Funktionsminderung im rechten Handgelenk einleuchtend. Derartige Arbeiten sind aber im Rahmen der Erwerbstätigkeit vom Kläger nicht zu verlangen.

42

Auf das Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit B. vom 14. März 2011 kann sich der Kläger ebenfalls nicht stützen. Das Gutachten enthält keinen Untersuchungsbefund. Es benennt eine psychische Minderbelastbarkeit, ohne deren Schwere darzustellen und zu untermauern. Es erschließt sich zudem nicht, weshalb – wie es darin heißt – eine anstehende Begutachtung durch einen medizinischen Sachverständigen zu einer hinreichenden Leistungsfähigkeit innerhalb von sechs Monaten führen soll. Von einer Nachvollziehbarkeit der Beurteilung kann keine Rede sein. Dem Gutachten fehlt es an Substanz. Es wiederholt im Übrigen die Diagnosen aus dem Gutachten des SMD, ohne die abweichende Leistungsbeurteilung zu begründen. Der Reha-Entlassungsbericht ist schon hinsichtlich der Leistungsbeurteilung in sich widersprüchlich. Zum einen benennt er ein unter dreistündiges Leistungsvermögen. Zum anderen seien leichte Tätigkeiten zumutbar. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden empfohlen. Dass eine unmögliche Behandlung innerhalb der Symptome zu einer rentenrelevanten Leistungsminderung führen soll – wie darin ausgeführt wird –, ist angesichts der diagnostizierten Anpassungsstörung und einer leichten depressiven Episode nicht nachvollziehbar. Auch wenn der Senat den Vorteil der Reha-Maßnahme – mit der Möglichkeit, sich einen Eindruck des Klägers über einen längeren Zeitraum zu verschaffen – erkennt, vermag der Entlassungsbericht inhaltlich nicht zu überzeugen. Der Kläger war während des Aufnahmegesprächs bei der Sache, konnte konkrete Fragen präzise beantworten, wenn er auch in stillen Phasen in seine Gedankenwelt versank. Zudem bestanden nach seinen eigenen Angaben keine Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Zur Alltagsbewältigung finden sich im Bericht kaum Angaben. Die psychischen Auffälligkeiten der depressiven Verstimmung, Müdigkeit und Antriebslosigkeit konnten nach der Feststellung im Bericht gut bearbeitet werden. Eine Antriebsstörung liegt nach der Feststellung im Gutachten des Herrn Dr. B. nicht vor. Der Kläger machte sich morgens einen Tagesplan und ist aktiv. Er erledigte Arbeiten im Haushalt z.B. Staubsaugen mit der linken Hand. Er kochte Mittagessen und unternahm Spaziergänge mit dem Hund. Er war durchaus auch im Haushalt tätig. So verunfallte er im Jahr 2011, als er den Mülleimer zum Entleeren brachte. Psychomotorische Auffälligkeiten bestanden nicht. Gedächtnis, Konzentration und Aufmerksamkeit waren unauffällig. Testdiagnostisch war eine milde depressive Symptomatik feststellbar. Das Gutachten wurde auch unter Einbezug alkoholspezifischer Angaben erstellt. Es steht letztlich im Einklang mit dem Befundbericht des Herrn Dipl.-Psych. F., der im Oktober 2013 einen gleichbleibenden psychischen Befund mitteilte und Gründe für eine Arbeitsunfähigkeit im somatischen Krankheitsgeschehen sah, welches er jedoch nicht beurteilen könne.

43

Soweit Herr Dr. B. an einer Stelle ausführt, die körperlichen Funktionseinschränkungen führten zu quantitativen Einschränkungen, ist von einer Verwechslung zwischen "qualitativ" und "quantitativ" bzw. einem Schreibfehler auszugehen. Der Folgesatz bezieht sich eindeutig auf eine qualitative Einschränkung des Leistungsvermögens (Arbeitsschwere). Der Gutachter führt an anderer Stelle aus, er teile die Einschätzung einer quantitativen Leistungsminderung durch Herrn Prof. Dr. G. nicht. Seine Leistungsbeurteilung mit einem sechsstündigen Leistungsvermögen lässt auch keine quantitative Leistungseinschränkung erkennen. Hieraus folgt aus diesen Gründen keine Unschlüssigkeit des Gutachtens.

44

Soweit der Kläger belastungsabhängige Beschwerden im linken Kniegelenk angibt, war eine Bewegungseinschränkung nicht festzustellen. Es bestanden degenerative Veränderungen. Entzündungszeichen wurden nicht mitgeteilt. Wegen einer leichtgradigen Funktionseinschränkung im linken Schultergelenk bei beginnendem Verschleiß waren Überkopfarbeiten auszuschließen. Die mitgeteilte Erblindung des rechten Auges führt dazu, dass besondere Anforderungen an das Sehvermögen und Anforderungen an das binoculare Sehen nicht gestellt werden können. Der aktuell eingereichte Befundbericht vom 5. Juni 2015 ist angesichts des zu prüfenden Zeitraums nicht von Relevanz. Zusätzliche qualitative Einschränkungen ergeben sich bei Labyrinth-Schwindel wegen der Unterfunktion des linken Labyrinths über die bereits aus orthopädischen Gründen aufgeführten Einschränkungen zur Vermeidung von Gefahren nicht. Gravierende Probleme gab der Kläger im Hinblick auf die diagnostizierte Darmerkrankung nicht an. Solche können auch den beigezogenen Berichten nicht entnommen werden.

45

Der Kläger war insbesondere auch nicht deshalb voll erwerbsgemindert, weil er trotz des sechsstündigen Leistungsvermögens nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein konnte. Es lagen keine schwere spezifischen Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Die maßgebliche Beeinträchtigung des Leistungsvermögens ergab sich aus der reduzierten Belastbarkeit des rechten Handgelenks. Funktionseinschränkungen der Finger bestanden hingegen nicht. Greiffunktionen und Faustschluss waren ausführbar. Ein kraftvolles Zugreifen war mit der rechten Hand hingegen nicht möglich. Das Restleistungsvermögen des Klägers reichte jedoch noch für Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen sowie Bürohilfsarbeiten aus (vgl. die Aufzählung in dem Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1996, GS 2/95, BSGE 80, 24, 33f.; in der Anwendbarkeit auf die aktuelle Rechtslage bestätigt in BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R). Jenes belegen die Gutachten des SMD und des Herrn Dr. B.

46

Es liegt auch keiner der in der Rechtsprechung anerkannten sog. Katalogfälle vor, die die Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausschließen (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R). Der Kläger ist nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Die Gehfähigkeit gibt er zwar als eingeschränkt an; er kann aber viermal arbeitstäglich einen Fußweg von mehr als 500 Meter am Stück vor und nach einer Arbeitsschicht zu und von einem öffentlichen Verkehrsmittel bzw. zum und vom Arbeitsplatz ohne unzumutbare Beschwerdezustände in jeweils längstens 20 Minuten zurücklegen. Auf orthopädischem Fachgebiet sind keine Befunde erhoben worden, die Einschränkungen der Wegefähigkeit plausibel erscheinen lassen würden. Die Funktion des linken Kniegelenks war wegen degenerativer Veränderungen leicht beeinträchtigt. Eine Bewegungseinschränkung bestand nicht. Die Funktionsstörungen hindern den Kläger nicht daran, Arbeitswege zurückzulegen. Er gab selbst an, mit dem Hund spazieren zu gehen. Letztlich ist er aber in der Lage, erforderliche Wegstrecken mit dem Kfz zurückzulegen, wie es auch in der Vergangenheit geschehen ist.

47

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

48

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.


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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 153


(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt. (2) Das Landessozialgericht

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 43 Rente wegen Erwerbsminderung


(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind,2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 39 Wirksamkeit des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

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Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 04. Juni 2015 - L 1 R 136/13

bei uns veröffentlicht am 04.06.2015

Tenor Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 23. Januar 2013 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestan

Bundessozialgericht Urteil, 19. Okt. 2011 - B 13 R 78/09 R

bei uns veröffentlicht am 19.10.2011

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 30. September 2009 aufgehoben.
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 02. Juli 2015 - L 1 R 59/13.

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 28. Jan. 2016 - L 3 R 218/13

bei uns veröffentlicht am 28.01.2016

Tenor Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand 1 Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung na

Referenzen

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 23. Januar 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI).

2

Die am ... 1952 geborene Klägerin ist gelernte Wirtschaftsgehilfin mit Teil-Facharbeiterabschluss. Sie war als Wirtschaftsgehilfin, Mulifahrerin, Gabelstaplerfahrerin und Binderin beschäftigt. Sie arbeitete zuletzt bis 1991 als Adjustiererin beim VEB W. H. (Rechtsnachfolger: ... GmbH). Seitdem ist die Klägerin arbeitslos, unterbrochen von AB-Maßnahmen, einem so genannten Ein-Euro-Job und einer Umschulung. Außerdem bestand im Zeitraum von 1998 bis 1999 ein befristetes Arbeitsverhältnis über die Dauer von sechs Monaten als Mitarbeiterin der Produktion, welches nicht verlängert wurde.

3

Am 13. November 2007 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Im Antragsformular gab sie an, sich wegen einer Total-Operation, Durchblutungsstörungen, Verengung der Blutgefäße, Netzhaut-Operation, Nackenwirbel-Verkrümmung und wegen eines Bandscheibenvorfalls seit 2007 erwerbsgemindert zu fühlen. Sie könne höchstens zwei bis drei Stunden täglich erwerbstätig sein.

4

Die Beklagte veranlasste die Begutachtung der Klägerin durch Frau Dr. S., Fachärztin für Allgemeinmedizin und Gutachterin bei ihrem Sozialmedizinischen Dienst H. Im Gutachten vom 18. Februar 2008 diagnostizierte sie ein chronisches Lendenwirbelsäulenschmerzsyndrom bei bekannter Facettengelenksarthrose mit leichtgradiger Leistungseinschränkung, eine chronisch ischämische Herzerkrankung und Fingergelenksarthrosen rechts. Die Fingergelenke der rechten Hand seien diskret verschwollen. Der Faustschluss sei vollständig möglich. Im Übrigen seien die großen Gelenke aktiv und passiv frei beweglich. Das Gangbild sei flüssig und unauffällig. Der Finger-Boden-Abstand betrage 20 cm, das Zeichen nach Schober 10/15 cm. Zehen-, Fersen- und Einbeinstand seien ausführbar. Neurologische Auffälligkeiten bestünden nicht. Eine Lungenfunktionsstörung stelle sich nicht dar. Die Klägerin habe in 14 Minuten eine Wegstrecke von 504 Metern zurückgelegt. Sie habe danach über Schmerzen im linken Hüft- und Kniegelenk geklagt. Trotz Korrektur betrage der Visus auf beiden Augen unter 0,3. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten mit weiteren Einschränkungen sechs Stunden und mehr täglich verrichten.

5

Mit Bescheid vom 3. März 2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Hiergegen wandte sich die Klägerin am 2. April 2008 mit Widerspruch. Sie trug vor, sie sei bereits vom Fahren des Gabelstaplers aus gynäkologischen Gründen befreit gewesen. Sie leide zudem an Gleichgewichtsstörungen, weshalb sie nicht in der Lage sei, einer Arbeit nachzugehen.

6

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, dass unter Berücksichtigung aller erhobenen Befunde ärztlicherseits noch ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten festgestellt worden sei. Der Beruf als Gabelstaplerfahrerin unterläge nicht den Regelungen zum Berufsschutz. Die Tätigkeit sei den ungelernten Tätigkeiten zuzuordnen. Einer konkreten Verweisung bedürfe es nicht.

7

Einen weiteren Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente vom 7. August 2008 wegen einer angegebenen starken Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit einer angenommenen Leistungsminderung ab Februar 2008 wegen Durchblutungsstörungen, Herzgefäßverengungen, Sehschwäche, Nackenwirbelverengung, Bandscheibenvollfall und gynäkologischer Total-Operation lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. April 2009 ab. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist.

8

Die Klägerin hat am 27. April 2009 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben. Sie hat vorgetragen, sie könne aufgrund eines schlechten Sehvermögens keinen PKW mehr fahren. Sie leide an einem Bandscheibenvorfall im Bereich der Halswirbelsäule (HWS). Sie könne ihren linken Arm kaum gebrauchen. Sechs Stunden Tätigkeit halte sie nicht aus. Es bestünden Gleichgewichtsstörungen und die Herzgefäße seien zu 40 % verengt.

9

Die Klägerin hat sich am 7. September 2009 wegen eines unklaren Visusabfalls links in die Sprechstunde der Universitätsklinik und Poliklinik in H. begeben. Der Visus betrage nach der Epikrise über die Behandlung rechts 0,05, links 1/30. Der klinische Befund und die Angaben der Klägerin seien nicht komplett vereinbar. Es sei in der kranialen Bildgebung kein morphologisches Korrelat zur Erklärung der Visuseinschränkung gefunden worden.

10

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung von sachverständigen Zeugenauskünften der die Klägerin behandelnden Ärzte. Herr Dipl. Med. E., Facharzt für Orthopädie, hat am 29. Oktober 2009 von einem rezidivierenden Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom mit wechselnden Funktionsstörungen bei degenerativen Veränderungen berichtet. Es könne aktuell davon ausgegangen werden, dass leichte Tätigkeiten sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt täglich möglich seien. Herr Dr. S., Facharzt für Allgemeinmedizin, hat am 10. Dezember 2009 eine Netzhautablösung (Ablatio retinae) am rechten Auge in den Jahren 1998 und 2008 mitgeteilt. Das rechte Auge nehme seitdem nur noch hell und dunkel wahr. Links betrage der Visus 0,5. Frau Dr. H., Fachärztin für Augenheilkunde, hat am 12. Januar 2010 von einem Visusabfall auf dem rechten Auge im August 2008 bei fast totaler Netzhautablösung mit einer Sehschärfe von 1/60 berichtet. Es sei postoperativ ein leichter Visusanstieg auf bestens 0,1 erreicht worden. Für einen Visusabfall links auf 1/36 - und zuletzt 1/50 - sei keine Ursache gefunden worden.

11

Im vom SG angeordneten augenfachärztlichen Gutachten vom 9. Juni 2011 hat der Facharzt für Augenheilkunde und Arbeitsmedizin Herr Priv. Doz. Dr. M. folgende Diagnosen gestellt: hohe Kurzsichtigkeit beidseits, degenerative Myopie, Stabsichtigkeit, Zustand nach Netzhautablösung rechts 1998 mit Plombenaufnähung und 2008 mit Plombenentfernung und Cerclage, Kunstlinse rechts, Gesichtsfelddefekte beidseits und Farbsinnstörung. Die Klägerin habe angegeben, erblindet zu sein. Sie könne nicht allein ausgehen und einkaufen. Ihr Mann begleite sie. Der Visus sei rechts mit 1/36 und links mit 1/50 zu ermitteln. Bei der Projektionsperimetrie habe eine erschwerte Compliance vorgelegen. Die Angaben der Klägerin bei der Ermittlung des Gesichtsfeldes entsprächen nicht den physiologisch-optischen Gesetzen. Es bestünde eine Diskrepanz zwischen den subjektiven Angaben der Klägerin und den objektiven Befunden. Die starke Visusherabsetzung rechts könne hinreichend erklärt sein. Nach Abhebung zentraler Netzhautbezirke sei durch das Absterben von wichtigen Nervenzellen des Zentrums keine gute Sehschärfe mehr zu erreichen. Es bestünde links kein Anhalt für einen Sehnervenschwund, für einen Schaden an der schärfsten Stelle des Sehens oder für eine Netzhautablösung. Der Visus von 1/50 sei nicht durch den Befund erklärbar. Eine Aggravation könne nicht ausgeschlossen werden. Die Klägerin sei beobachtet und unbeobachtet nicht blind. Sie greife gezielt nach Gegenständen, finde sich in unbekannter Umgebung zurecht und setze sich nach Aufforderung auf den richtigen Stuhl. Der Gutachter hat eine stationäre Begutachtung empfohlen.

12

Das SG hat zudem eine Arbeitgeberauskunft der ... GmbH eingeholt. Auf Blatt 91 ff der Gerichtsakte wird verwiesen.

13

Mit einer erneuten Begutachtung der Klägerin auf augenärztlichem Fachgebiet hat das SG den Oberarzt Dr. W., tätig an der Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums M., beauftragt. Im Gutachten vom 4. April 2012 hat der Facharzt für Augenheilkunde folgende Diagnosen gestellt: Aggravation, hohe Achsenmyopie (Kurzsichtigkeit), Astigmatismus (Stabsichtigkeit), Zustand nach Plombenentfernung rechts, Cerclage (Augapfelumgürtelung) rechts, Phakoemulsifikation (grauer Star-Operation) rechts, Kunstlinsen-Implantation und glaskörperchirurgischer Eingriff rechts 2008, rissbedingte Netzhautablösung bei Zustand nach Plombenaufnähung bei Netzhautablösung 1998 und Netzhautdegeneration der Netzhautmitte rechts. Am linken Auge bestünde eine Glaskörperanheftung in der Netzhautmitte mit Glaskörperzug. Die ermittelte Sehschärfe betrage für die Ferne rechts 1/20 mit Korrektur, links 1/30. Bei der Sehschärfe für die Nähe habe die Klägerin keine Sehzeichen erkannt. Die Gesichtsfeldaußengrenzen seien konzentrisch eingeschränkt auf ca. 20 Grad angegeben worden. Die Klägerin finde sich im freien Raum und in ihr unbekannten Räumen gut zurecht, gebe zielgerichtet die Hand, könne im Raum stehende Gegenstände ohne Probleme umgehen und folge dem Untersucher in den ihr unbekannten Gängen der Augenklinik bei guter wie schlechter Beleuchtung ohne Probleme. Die Klägerin lese die aktuelle Medikation von einem bedruckten Kärtchen ab. Die Sehschärfen- und Gesichtsfeldangaben stimmten nicht mit den morphologisch-anatomischen und funktionellen Befunden überein. Es könne aufgrund der Untersuchungen davon ausgegangen werden, dass am rechten Auge eine Sehschärfe im Bereich von 0,1 und am linken Auge von mindestens 0,5 bestünde. Es sei zudem von nahezu normalen Gesichtsfeldaußengrenzen auszugehen. Es könne daher jegliche Tätigkeit verrichtet werden, die keiner erhöhten Sehanforderung bedürfe. Das Führen von gewerblichen Fahrzeugen sei nicht zulässig. Das private Führen von Kfz sei aufgrund der geschätzten Sehfunktion mit Tragen einer Korrektur statthaft. Das längere Lesen sehr kleiner Texte oder am PC sei nur mit optischen Hilfsmitteln realisierbar. Leichte Sortierarbeiten oder Bürotätigkeiten könne die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten.

14

Die Klägerin bezieht seit dem 1. April 2013 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

15

Mit Urteil vom 23. Januar 2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, soweit sie den Bescheid vom 20. April 2009 betreffe. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei nicht einschlägig, da der Bescheid vom 20. April 2009 den Bescheid vom 3. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2009 nicht abgeändert noch ersetzt habe. Ein auf einen erneuten Antrag ergehender zweiter Ablehnungsbescheid sei nicht (mehr) nach § 96 SGG einzubeziehen. Im Übrigen sei die Klage unbegründet, da die Klägerin seit 2007 noch in der Lage gewesen sei, sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die Kammer folge den Gutachten der Frau Dr. S. und des Herrn Dr. W. Dass die Klägerin nicht nahezu blind sei, wie von ihr behauptet, ergäbe sich insbesondere nach den augenärztlichen Begutachtungen. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bestünde nicht, da die Klägerin höchstens als Angelernte im unteren Bereich einzustufen und in der Lage sei, leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich auszuüben.

16

Die Klägerin hat am 15. April 2013 gegen das ihr am 2. April 2013 zugestellte Urteil Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Sie leide an einer schweren Augenerkrankung beider Augen und sei hochgradig sehbehindert. Es existierten deshalb nur wenige Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, welche ihr noch angeboten werden könnten. Es handele sich um eine schwere spezifische Leistungsbehinderung. Sie könne nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Es sei die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich.

17

Die Klägerin beantragt,

18

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 31. Januar 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab dem

19

1. November 2007 bis zum 31. Juli 2008 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

20

Die Beklagte beantragt,

21

die Berufung zurückzuweisen.

22

Sie verweist zur Begründung auf das erstinstanzliche Vorbringen und auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil.

23

Der Senat hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt. Herr Dr. V., Facharzt für Augenheilkunde, hat im August 2014 eingeschätzt, die Klägerin könne unter Berücksichtigung der augenärztlichen Befunde nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein. Eine Beschäftigung in einem Blindenberuf sei denkbar. Dem Gutachten des Herrn Dr. W. sei nicht zu entnehmen, worauf dieser den Vorwurf der Aggravation stütze. Die bloße Diskrepanz von objektiven Befunden und subjektiven Angaben genüge nicht zwangsläufig. Die Beweiskette sei nicht vollständig dargelegt.

24

Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten und die Verwaltungsakte des Versorgungsamtes haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

25

Die nach § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

26

Zunächst ist auszuführen, dass über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20. April 2009 nicht zu befinden ist. Dieser Bescheid war nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gemäß § 86 SGG, da jenes mit dem Erlass des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2009 abgeschlossen war. Der Bescheid ist insbesondere nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG kraft Gesetzes Gegenstand des Klage- und damit auch des Berufungsverfahrens geworden. Danach wird ein neuer Verwaltungsakt nach Klageerhebung nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der Anwendbarkeit von § 96 SGG steht zunächst nicht entgegen, dass der Bescheid vom 20. April 2009 im Zeitraum zwischen Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides und Klageerhebung am 27. April 2009 ergangen ist. Die Einbeziehung des Bescheides vom 20. April 2009 in analoger Anwendung von § 96 Abs. 1 SGG kommt dennoch nicht in Betracht. Durch den Wortlaut von § 96 SGG in der Fassung ab dem 1. April 2008 soll nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers der Anwendungsbereich der Norm dahingehend eingeschränkt werden, dass eine Einbeziehung eines neu ergangenen Verwaltungsaktes nur in direkter und nicht in entsprechender Anwendung der Vorschrift erfolgen kann (vgl. BT-Drs. 16/7716, S. 18f). Die bloße Einbeziehung eines neuen Verwaltungsaktes in das anhängige Verfahren, nur weil der neue Verwaltungsakt mit dem anhängigen Streitgegenstand in irgendeinem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stand, soll nach der Neufassung nicht mehr möglich sein. Eine Änderung oder Ersetzung liegt nur vor, wenn in den im Verfügungssatz des Bescheides zum Ausdruck kommenden Regelungsgehalt des ursprünglichen Bescheides eingegriffen wird.

27

Der ablehnende Bescheid, der auf einen erneuten Antrag ergeht, ist jedoch nicht nach § 96 SGG Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens, weil die Ablehnung der Leistung kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist und mit Wirkung für die Zukunft weder geändert noch ersetzt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 44/08 B; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. März 2015 – L 4 P 2196/14). Um einen solchen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt es sich nur, wenn er über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe hinaus Wirkungen erzeugt. Daran fehlt es, wenn lediglich die Gewährung einer Leistung abgelehnt wird, weil mit der Ablehnung eines Antrages die Rechtslage nur einmalig gestaltet und das Bestehen eines Leistungsverhältnisses gerade verneint wird (BSG, Urteil vom 30. Januar 1985 – 1 RJ 2/84). Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist bei der Ablehnung von Leistungen ohne zeitliche Beschränkung grundsätzlich der gesamte Zeitraum bis zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt. Bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen im Sinne von § 54 Abs. 4 SGG - um eine solche handelt es sich vorliegend - ist dies grundsätzlich der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht. Dies gilt jedoch nicht, sofern zwischenzeitlich ein neuer Antrag auf Leistungen gestellt worden ist. Dann hat sich der angefochtene und streitbefangene Vorbescheid für den vom Neuantrag erfassten Zeitraum gemäß § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) auf andere Weise erledigt.

28

Die Klägerin stellte am 7. August 2008 erneut einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Der Eintritt eines Leistungsfalls ist daher für den Zeitraum ab Antragstellung nicht mehr entscheidungsrelevant, da sich der streitgegenständliche Bescheid ab dem Zeitpunkt der erneuten Antragstellung, der dann vom Folgebescheid erfasst ist, erledigt hat. Unter Berücksichtigung des zuletzt gestellten Antrages der Klägerin unterliegt allein der Zeitraum vom 1. November 2007 bis 31. Juli 2008 der gerichtlichen Prüfung.

29

Der Bescheid vom 20. April 2009 ist auch nicht im Wege der Klageänderung gemäß § 99 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens geworden. Die Klägerin hat eine Einbeziehung des Bescheides zuletzt nicht mehr beantragt. Darüber hinaus wäre eine Änderung der Klage (auch in der Berufungsinstanz) nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Unabhängig davon setzte die Klageänderung aber eine Zulässigkeit der neuen Klage auch durch ein abgeschlossenes Vorverfahren voraus, woran es im vorliegenden Fall noch fehlt.

30

Der unklare Visusabfall auf dem linken Auge, den die Klägerin im September 2009 beklagte, ist daher im Rahmen der erneuten Antragstellung – nicht jedoch im hiesigen Klage- bzw. Berufungsverfahren zu prüfen. Hingegen müssen die Funktionseinschränkungen aufgrund der Netzhautablösung am rechten Auge im Juli 2008 im Rahmen des Berufungsverfahrens in die Beurteilung einfließen.

31

Die Berufung ist unbegründet, weil der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 3. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2009 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht im Sinne der §§ 153, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

32

Die Klägerin hat im streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI haben Versicherte, wenn die entsprechenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, einen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind. Dies erfordert gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, dass sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die Voraussetzungen sind vorliegend für den Zeitraum ab Antragstellung nicht erfüllt. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin in der Lage war, mindestens sechs Stunden täglich wenigstens körperlich leichte Arbeiten zu verrichten. Nach den medizinischen Ermittlungen ergibt sich für den Senat folgendes Leistungsbild: Die Klägerin konnte im gelegentlichem Wechsel der Körperhaltung, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne Gerüst- und Leiterarbeiten, ohne Arbeiten an laufenden Maschinen und ohne Arbeiten mit hohen Anforderungen an die feinmotorische Geschicklichkeit der rechten Hand erwerbstätig sein. Auszuschließen waren zudem Akkordarbeiten, Tätigkeiten mit anhaltendem hohen psychischen Stress und Arbeiten mit besonderen Anforderungen an das Sehvermögen. Im Rahmen der Erwerbstätigkeit ist eine gute Beleuchtung sicherzustellen.

33

Hinsichtlich der Leistungseinschätzung folgt der Senat aufgrund eigener Urteilsbildung den schlüssigen und überzeugenden Gutachten von Frau Dr. S. und Herrn Dr. W. Diese Gutachten stehen im Einklang mit den vorliegenden Befundberichten des Hausarztes und des Orthopäden sowie dem Gutachten von Herrn Priv. Doz. Dr. M. Allein die Ärzte des Augenzentrums sahen keine hinreichende Belastbarkeit der Klägerin für eine Erwerbstätigkeit. Der Einschätzung der behandelnden Augenärzte vermochte der Senat jedoch nicht zu folgen; dies auch unter Berücksichtigung des Aspekts, dass deren Leistungsbeurteilung einen Gesundheitszustand betrifft, dem die hier nicht entscheidungsrelevante von der Klägerin dargelegte Verschlechterung des Sehvermögens auf dem linken Auge zugrunde liegt.

34

Bei der Klägerin lagen im hier zu prüfenden Zeitraum folgende Gesundheitsstörungen vor, die ihr Leistungsvermögen im Erwerbsleben beeinflussten: hohe Achsenmyopie (Kurzsichtigkeit), Astigmatismus (Stabsichtigkeit), Zustand nach Plombenentfernung rechts, Cerclage (Augapfelumgürtelung) rechts, Phakoemulsifikation (grauer Star-Operation) rechts, Kunstlinsen-Implantation und glaskörperchirurgischer Eingriff rechts 2008, rissbedingte Netzhautablösung bei Zustand nach Plombenaufnähung bei Netzhautablösung 1998 und Netzhautdegeneration der Netzhautmitte rechts sowie Glaskörperanheftung in der Netzhautmitte mit Glaskörperzug am linken Auge. Zudem bestanden ein wiederkehrendes Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom und Fingergelenksarthrose rechts.

35

Soweit im Jahr 2007 eine geringgradige koronare Herzkrankheit diagnostiziert wurde, ergaben sich im Rahmen der Begutachtung durch Frau Dr. S. keine weiteren Auffälligkeiten in den klinischen und in den paraklinischen Befunden. Ödeme waren nicht feststellbar. Das EKG zeigte keinen auffälligen Kurvenverlauf. Die Klägerin war im Laufband-Gehstreckentest belastbar. Eine wesentliche Veränderung ist diesbezüglich vom Hausarzt nicht mitgeteilt worden. Eine laufende internistische Facharztbehandlung hat die Klägerin nicht angegeben.

36

Orthopädische Probleme standen ebenfalls nicht im Vordergrund. Die Klägerin war von August 2008 bis Juni 2009 dreimal wegen Beschwerden im Hals- und Lendenwirbelsäulen-Bereich und im Februar 2011 wegen Leistenschmerzen rechts bei Herrn Dipl.- Med. E. vorstellig. Dabei war die Seitneige der HWS endgradig eingeschränkt. Es fanden sich Muskelhärten der langen Rückenstrecker. Neurologische Auffälligkeiten bestanden nicht. Röntgenologisch stellten sich Arthrosen der kleinen Wirbelgelenke der HWS und Facettengelenksarthrose L4/5 sowie im CT-Befund aus dem Jahr 2002 eine Bandscheibenvorwölbung bei L5/S1 dar. Ein Bandscheibenvorfall oder eine Enge des Spinalkanals waren nicht vorhanden. Der Orthopäde hatte hinsichtlich einer Erwerbstätigkeit im Umfang von sechs Stunden täglich bei leichten Tätigkeiten keine Bedenken. Damit im Einklang steht das Gutachten von Frau Dr. S. Die Klägerin hatte über Schmerzen der Lendenwirbelsäule (LWS) geklagt. Außerdem träten gelegentlich Schwierigkeiten beim Zufassen auf. Diesbezüglich fand sich eine diskrete Schwellung der Fingermittelgelenke der rechten Hand, wobei der Faustschluss vollständig ausführbar war. Die LWS war nicht wesentlich bewegungseingeschränkt. Das Gangbild war unauffällig. Es fanden sich keine neurologischen Störungen. Die Extremitäten waren aktiv und passiv frei beweglich. Mit Hilfe der vorliegenden Befunde auf orthopädischem Fachgebiet lässt sich eine quantitative Leistungsminderung nicht begründen. Die Einschätzung der Gutachterin und des behandelnden Orthopäden ist daher vollkommen plausibel.

37

Vielmehr ist die von der Klägerin noch nicht in der Antragstellung im November 2007 und im Widerspruchsschreiben aus dem April 2008, aber mit der erneuten Antragstellung im August 2008 und im April 2009 in den Focus gerückte Sehbehinderung - wenn auch nicht rentenrelevant - qualitativ leistungseinschränkend. Es bestehen Einschränkungen der Sehfunktion. Diesbezüglich fällt die erneute Netzhautablösung rechts im Juli 2008 - nach den oben dargestellten rechtlichen Ausführungen - in den prüfungsrelevanten Zeitraum, nicht hingegen die von der Klägerin im September 2009 beklagte unklare Visusminderung des linken Auges. Der Senat schließt sich der Beurteilung des Herrn Dr. W. an. Das darin ermittelte Sehvermögen unter Beachtung einer erneuten Netzhauablösung rechts ist vergleichbar mit den Feststellungen in den vorhandenen medizinischen Unterlagen, betreffend die Sehtests im Februar und April 2008 hinsichtlich des linken Auges und im Juli, August und September 2008 sowie Januar 2009 hinsichtlich beider Augen. Rechts ist nach einer schweren vollständigen Netzhautablösung von einer erheblichen Verminderung der Sehfunktion auszugehen. Eine Sehschärfenminderung auf dem linken Auge resultiert nach den überzeugenden Ausführungen des Herrn Dr. W. aus der Anheftung der hinteren Glaskörpergrenzmembran am Ort des schärfsten Sehens mit geringer Flüssigkeitseinlagerung.

38

Offen bleiben können die Hintergründe der erschwerten Compliance bei der Projektionsperimetrie (Herr Dr. M.) und dem Widerspruch zu physiologisch-optischen Gesetzen (Herr Dr. M. und Herr Dr. W.). Jedenfalls stellten beide augenfachärztliche Gutachter eine hinreichende Orientierungsfähigkeit der Klägerin mit gezieltem Greifen, Zurechtfinden in unbekannten Örtlichkeiten, Umgehen von Hindernissen und Setzen auf den zugewiesenen Stuhl fest. Die Klägerin konnte auch von einem bedruckten Kärtchen Medikamentenbezeichnungen mit einer Schriftgröße von ca. 2 mm ablesen. Sie gab gegenüber Herrn Dr. W. an, seit der Verschlechterung des Sehvermögens auf dem linken Auge im Jahr 2009 keinen Pkw mehr zu führen. Auch dem Gutachten der Frau Dr. S. aus dem Februar 2008 ist die Information der Klägerin zu entnehmen, dass sie sehr kurze Strecken mit dem Auto fahre. Das somit festgestellte Sehvermögen führte nicht zu einer quantitativen Leistungsminderung. Auch waren der Klägerin nicht lediglich Blindenberufe möglich. Vielmehr findet sich nur ein qualitativer Leistungsausschluss bei Tätigkeiten, die besondere Anforderungen an das Sehvermögen stellen.

39

Mit einem Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich war die Klägerin aber weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 1, Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 SGB VI.

40

Die Klägerin war insbesondere auch nicht deshalb voll erwerbsgemindert, weil sie trotz des sechsstündigen Leistungsvermögens nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein konnte. Es lagen - entgegen der Ausführungen der Klägerin - keine schwere spezifischen Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Das Restleistungsvermögen der Klägerin reichte nämlich noch für Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen sowie Bürohilfsarbeiten aus (vgl. die Aufzählung in dem Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1996, GS 2/95, BSGE 80, 24, 33f.; in der Anwendbarkeit auf die aktuelle Rechtslage bestätigt in BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R). Jenes belegen die Gutachten von Frau Dr. S. und von Herrn Dr. W.

41

Es liegt auch keiner der in der Rechtsprechung anerkannten sog. Katalogfälle vor, die die Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausschließen (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R). Die Klägerin ist nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Die Gehfähigkeit gibt sie zwar als eingeschränkt an; sie kann aber viermal arbeitstäglich einen Fußweg von mehr als 500 Meter am Stück vor und nach einer Arbeitsschicht zu und von einem öffentlichen Verkehrsmittel bzw. zum und vom Arbeitsplatz ohne unzumutbare Beschwerdezustände in jeweils längstens 20 Minuten zurücklegen. Auf orthopädischem Fachgebiet sind keine Befunde erhoben worden, die Einschränkungen der Wegefähigkeit plausibel erscheinen lassen würden. Es handelt sich um weitgehend reversible Beschwerden. Der Laufband-Gehstreckentest ergab eine von der Klägerin in 14 Minuten zurückgelegte Wegstrecke von 504 Meter. Sie findet sich nach den Feststellungen der Gutachter auch in ihr unbekannten Räumen zurecht, kann Hindernisse umgehen und ist somit in der Lage, den Arbeitsweg zurückzulegen.

42

Die Klägerin erfüllte die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI ebenfalls nicht. Danach haben Versicherte bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie vor dem ... 1961 geboren und berufsunfähig sind. Die Klägerin ist zwar vor diesem Datum am ... 1952 geboren. Sie ist aber nicht berufsunfähig gewesen (§ 240 Abs. 2 SGB VI).

43

Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit vom bisherigen Beruf der Versicherten auszugehen. Es ist zu prüfen, ob sie diesen Beruf ohne wesentliche Einschränkungen weiterhin ausüben können. Sind sie hierzu aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, ist der qualitative Wert des bisherigen Berufs dafür maßgebend, auf welche Tätigkeiten die Versicherten verwiesen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 1994 – 4 RA 35/93 – SozR 3-2200 § 1246 Nr. 41; Urteil vom 16. November 2000 – B 13 RJ 79/99 R – SozR 3-2600 § 43 Nr. 23, S. 78). Bisheriger Beruf ist in der Regel die letzte nicht nur vorübergehende versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Dabei ist nicht unbedingt auf die letzte Berufstätigkeit abzustellen, sondern auf diejenige, die bei im Wesentlichen ungeschwächter Arbeitskraft nicht nur vorübergehend eine nennenswerte Zeit ausgeübt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 1985 – 4a RJ 53/84 – SozR 2200 § 1246 Nr. 130). Bisheriger Beruf der Klägerin in diesem Sinne ist deren Tätigkeit als Adjustiererin, die sie zuletzt versicherungspflichtig und unbefristet ausgeübt hat. Dies ist dem Arbeitsvertrag mit der Klägerin aus dem Jahr 1991 und dem Änderungsvertrag aus dem Jahr 1987 zu entnehmen, die von der ... GmbH zu den Gerichtsakten gereicht wurden. Diese Tätigkeit kann die Klägerin nicht mehr verrichten, da sie nicht ihrem Restleistungsvermögen entspricht. Es handelt sich nach den Angaben der ... GmbH um eine mittelschwere Arbeit, die teilweise unter Zwangshaltungen erfolgt.

44

Damit ist die Klägerin jedoch noch nicht berufsunfähig. Sie ist zumutbar auch auf ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Auf welche anderen Berufstätigkeiten ein Versicherter nach seinem fachlichen und gesundheitlichen Leistungsvermögen noch zumutbar verwiesen werden kann, beurteilt das BSG nach einem von ihm entwickelten Mehrstufenschema (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 – B 4 RA 5/04 R – juris). Die soziale Zumutbarkeit eines Verweisungsberufs richtet sich nach dem qualitativen Wert des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe in Gruppen eingeteilt, wobei der Stufenbildung im Ansatz die zur Erreichung einer bestimmten Qualifikation normalerweise erforderliche Ausbildung zugrunde gelegt wurde. Sozial zumutbar sind grundsätzlich nur Tätigkeiten der im Verhältnis zum bisherigen Beruf gleichen oder nächst niederen Stufe (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 1991 – 5 RJ 34/90 – SozR 3-2200 § 1246 Nr. 17). Dabei werden folgende Stufen unterschieden: Ungelernte Berufe (Stufe 1); Berufe mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahre (Stufe 2); Berufe mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren (Stufe 3); Berufe, die zusätzliche Qualifikationen oder Erfahrungen oder den erfolgreichen Besuch einer Fachschule voraussetzen (Stufe 4), zu ihr gehören Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion gegenüber anderen Facharbeitern, Spezialfacharbeiter, Meister, Berufe mit Fachschulqualifikation als Eingangsvoraussetzung; Berufe, die einen erfolgreichen Abschluss einer Fachhochschule oder eine zumindest gleichwertige Berufsausbildung voraussetzen (Stufe 5); Berufe, deren hohe Qualität regelmäßig auf einem Hochschulstudium oder einer vergleichbaren Qualifikation beruht (Stufe 6; zu diesen Stufen: BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 – B 4 RA 5/04 R – juris). Die Stufe 2, auch als Gruppe der Angelernten bezeichnet, unterteilt die Rechtsprechung des BSG wegen der Vielschichtigkeit und Inhomogenität dieser Berufsgruppe in einen oberen und einen unteren Bereich. Dem unteren Bereich sind alle Tätigkeiten mit einer regelmäßigen (auch betrieblichen) Ausbildungs- oder Anlernzeit von drei bis zwölf Monaten und dem oberen Bereich dementsprechend die Tätigkeiten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu 24 Monaten zuzuordnen (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 1994 – 13 RJ 35/93 – SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45). Bei Angelernten des oberen Bereichs sind im Gegensatz zu Angelernten des unteren Bereichs sowie Ungelernten Verweisungstätigkeiten konkret zu benennen (Niesel in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB VI, § 240 Rdnr. 101, 102).

45

Der Senat geht bei der Klägerin von einer ungelernten Tätigkeit mit einer Anlernzeit von bis zu drei Monaten (Ungelernte, Stufe 1) aus. Ausschlaggebend für die Zuordnung einer bestimmten Tätigkeit zu einer der Gruppen des Mehrstufenschemas ist allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde qualitative Wert der Arbeit für den Betrieb (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 14/90, juris). Erforderlich ist eine Gesamtschau aller möglichen Bewertungskriterien, insbesondere der Ausbildung, der tariflichen Einstufung, der Dauer der Berufsausübung, der Höhe der Entlohnung und der Anforderungen des Berufs. Dabei waren für den Senat die Angaben des Rechtsnachfolgers des ehemaligen Arbeitgebers der Klägerin maßgeblich. Danach ist für eine Tätigkeit als Adjustiererin, die in der Verpackung von Versandfertigmaterial mittels Handschere, Bindeband, Messmittel und Abbindegerät besteht, eine Anlernzeit von bis zu drei Monaten zu durchlaufen. Die Tätigkeit wurde im Allgemeinen von ungelernten Arbeitern verrichtet. Eine einschlägige Ausbildung kann die Klägerin nicht vorweisen. Sie hatte die Anlernzeit von bis zu drei Monaten absolviert. Angesichts der nur kurzen Einarbeitungsdauer für ungelernte Arbeitnehmer vermag auch die tarifvertragliche Entlohnung der Klägerin nach der Lohngruppe V (Angelernte) nichts an dieser Beurteilung zu ändern. Die Wertigkeit der Tätigkeit bewegt sich in Auswertung der Arbeitgeberauskunft im ungelernten Bereich. Als Ungelernte ist die Klägerin auf andere ungelernte Tätigkeiten - mithin den allgemeinen Arbeitsmarkt - sozial zumutbar verweisbar.

46

Eine Lösung vom Beruf als Gabelstaplerin aus gesundheitlichen Gründen ist angesichts der Arbeitgeberauskunft nicht belegt, da hier von betrieblichen Gründen die Rede ist. Darüber hinaus handelte es sich nicht um eine höherwertige Tätigkeit.

47

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

48

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.


Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 30. September 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

2

Der 1964 geborene Kläger ist gelernter Instandhaltungsmechaniker und war zuletzt von 1997 bis 2004 als LKW-Fahrer beschäftigt. Im Januar 2004 kam es zu einem Arbeitsunfall, der ua die Amputation seines linken Unterarms zur Folge hatte. Im März 2004 erlitt er einen Herzinfarkt. Der Kläger erhält Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des Arbeitsunfalls.

3

Den im August 2004 gestellten Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte ab, weil weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vorliege (Bescheid vom 17.8.2005). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24.1.2007). Das SG Gotha hat die Beklagte verurteilt, Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet vom 1.2.2005 bis zum 31.1.2009 zu gewähren (Urteil vom 4.3.2008). Das Leistungsvermögen des Klägers sei auf leichte Arbeiten begrenzt, die er grundsätzlich sechs bis acht Stunden täglich mit Einschränkungen verrichten könne. Es liege jedoch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung mit der Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit vor, da er die linke Hand nach Amputation des Unterarms allenfalls als Beihand einsetzen könne. Für solche leistungseingeschränkten Versicherten sei der allgemeine Arbeitsmarkt nicht als offen anzusehen. Die von der Beklagten benannten leichten Montier-, Sortier-, Verpacker- oder Kontrolleurtätigkeiten könne der Kläger nicht ausüben, weil es sich um bimanuelle Tätigkeiten handele. Auch eine Tätigkeit als Pförtner oder Telefonist scheide aus, da der Kläger dem damit verbundenen Zeitdruck nach der Einschätzung des Sachverständigen Dr. K. nicht gewachsen sei.

4

Das LSG hat das Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 30.9.2009). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nach den Feststellungen des vom SG gehörten Sachverständigen noch in der Lage, eine Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts zu verrichten. Die linksseitige Unterarmamputation sowie die Schmerzsymptomatik im Bereich der Lenden- und Halswirbelsäule erforderten allerdings eine Begrenzung auf körperlich leichte Arbeiten. Wegen der orthopädischen Leiden und der Schmerzzustände im Bereich der Lenden- und Halswirbelsäule seien Tätigkeiten mit längeren Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, häufigem Klettern oder Gehen auf unebenen Böden, Tätigkeiten mit Absturzgefahr auf Leitern und Gerüsten sowie lang anhaltende Vibrationen und Erschütterungen nicht zuzumuten. Die koronare Herzerkrankung und der arterielle Hypertonus erlaubten keine Nachtschichten und Überstunden, keine Tätigkeiten mit besonderer Verantwortung für Mensch und Technik, besondere geistige und seelische Beanspruchung sowie auch taktgebundene Arbeiten oder Arbeiten unter Zeitdruck. Der Zugang zu alkoholischen Getränken sollte während der Arbeitszeit wegen der Alkoholerkrankung nicht ermöglicht werden. Tätigkeiten mit besonderen manuellen Anforderungen bzw bimanuelle Tätigkeiten seien dem Kläger ebenfalls nicht möglich. Diese qualitativen Einschränkungen stünden einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den üblichen Bedingungen nicht entgegen. Insbesondere könne der Kläger eine zumutbare Wegstrecke zurücklegen.

5

Dem Kläger sei eine konkrete Verweisungstätigkeit nicht zu benennen. Dabei sei schon fraglich, ob eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliege. Die - zu dem vor dem 1.1.2001 geltenden Recht - ergangene Rechtsprechung zur Prüfung und Feststellung von Rentenansprüchen wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit im Falle der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder des Vorliegens einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung könne auf das aktuelle Recht nicht übertragen werden. Bereits der Wortlaut "übliche Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" schließe eine konkrete, dh individualisierte Betrachtungsweise aus. Die Gesetzesbegründung sei in sich widersprüchlich, wenn dort auf die Entscheidung des Großen Senats (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) verwiesen werde, wonach mit "konkreter Betrachtungsweise" - dann aber anders als das BSG - arbeitsmarktbedingte Erwerbsminderungsrenten gemeint seien. Unter dem "allgemeinen Arbeitsmarkt" verstehe die Gesetzesbegründung "jede nur denkbare Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gebe". Hingegen erfasse die Rechtsprechung des BSG damit nur körperlich leichte und fachlich einfache Arbeiten (Hinweis auf das Senatsurteil vom 23.5.2006 - B 13 RJ 38/05 R - BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9). Zudem habe der Gesetzgeber eine spezielle zeitliche Komponente eingeführt (sechs Stunden und mehr). Auch dies verbiete eine Fortgeltung der Rechtsprechung zur Summierung. Der Gesetzgeber habe vielmehr den gesamten Komplex der Benennung von Verweisungstätigkeiten einschränken bzw abschaffen wollen.

6

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 43 SGB VI. Zu Unrecht gehe das LSG davon aus, dass es auf die bei ihm vorliegende schwere spezifische Leistungseinschränkung nicht ankomme. Auch die aktuelle Rechtslage erfordere eine individuelle Betrachtung mit der Folge, dass bei Vorliegen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen Erwerbsfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts nur gegeben sei, wenn eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden könne. Daran fehle es hier.

7

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 30. September 2009 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 4. März 2008 zurückzuweisen.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie meint, § 43 SGB VI in der seit 2001 geltenden Fassung enthalte nicht nur neue Begrifflichkeiten, sondern auch neue Beurteilungsmaßstäbe. Bei den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts handele es sich um objektive Maßstäbe. Solange ein Versicherter vollschichtig, ohne betriebsunübliche Pausen und ohne infolge einer ekelerregenden Krankheit für andere Betriebsangehörige unzumutbar zu sein, irgendeine Arbeit des allgemeinen Arbeitsmarkts verrichten und den Weg zum Arbeitsplatz zurücklegen könne, sei er nicht erwerbsgemindert. Selbst wenn die konkrete Betrachtungsweise bei Versicherten mit einer Summierung von ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung beibehalten werde, ändere dies hier im Ergebnis nichts. Das Fehlen des linken Unterarms müsse nicht zwangsläufig eine schwere spezifische Leistungsbehinderung sein, etwa wenn eine Prothese getragen und der Arm noch zur Unterstützung verwendet werde. Tätigkeiten eines Nebenpförtners könnten durchaus auch an außerhalb eines Betriebs stehende Personen vermittelt werden.

10

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Halbs 1 SGG).

Entscheidungsgründe

11

II. Die Revision hat im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG kann nicht entschieden werden, ob der Kläger einen Anspruch auf Rente wegen (voller oder teilweiser) Erwerbsminderung hat.

12

1. Der Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754). Bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Abs 1 Satz 1 bzw Abs 2 Satz 1, jeweils Nr 2 und 3) haben danach Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Abs 1 Satz 1 Nr 1), bzw auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Abs 2 Satz 1 Nr 1). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 1 Satz 2). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 2 Satz 2). Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs 3).

13

2. Nach den Feststellungen des LSG ist der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts eine Tätigkeit zu verrichten. Nicht entschieden werden kann unter Berücksichtigung der qualitativen Leistungseinschränkungen indes, ob der Kläger in der Lage ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch erwerbstätig zu sein, und ob ihm eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden muss. Das LSG hat dies offengelassen, da eine Benennung von Verweisungstätigkeiten nach § 43 SGB VI idF des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit(RRErwerbG) vom 20.12.2000 (BGBl I 1827) - § 43 SGB VI nF - generell nicht mehr erforderlich sei.

14

Die Ansicht des LSG hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Grundsätze, die das BSG zur Erwerbsunfähigkeit nach der vor Inkrafttreten des RRErwerbG geltenden Rechtslage herausgearbeitet hat (hierzu a), sind auch für Ansprüche auf Renten wegen Erwerbsminderung nach dem ab dem 1.1.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden (hierzu b). Eine Änderung der insoweit maßgeblichen Rechtslage lässt sich weder mit dem Wortlaut des Gesetzes noch der Gesetzesbegründung oder sonstigen Erwägungen begründen (hierzu c). Der im vorliegenden Fall geltend gemachte Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hängt daher davon ab, ob der Kläger noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts im zeitlichen Rahmen erwerbstätig sein kann (hierzu d), bzw ob bei ihm eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, so dass ihm eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen ist (hierzu e). Entsprechende Feststellungen wird das LSG daher nachzuholen haben (hierzu f).

15

a) Nach der zu § 44 SGB VI aF ergangenen Rechtsprechung des BSG war die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit bei Versicherten mit einem, wenn auch mit qualitativen Einschränkungen vollschichtigen Leistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag(BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26 mwN). Bereits nach den §§ 1246 und 1247 RVO knüpfte der Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an ein Herabsinken der Fähigkeit des Versicherten an, auf dem Arbeitsmarkt ein Einkommen zu erzielen. Die RVO differenzierte zwischen Renten wegen Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit: Während der Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO ua davon abhängig war, ob dem Versicherten eine ihm nach seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen noch mögliche Berufstätigkeit unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden konnte, setzte der Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 1247 Abs 2 RVO voraus, dass der Versicherte eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben konnte. Diese Struktur wurde in den §§ 43 und 44, jeweils aF, SGB VI inhaltlich unverändert übernommen(vgl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" im Sozialrecht, 2009, S 81 mwN). Das Leistungsvermögen und dessen Umsetzungsfähigkeit war an den individuellen Verhältnissen des Versicherten und den konkreten Bedingungen des Arbeitsmarkts zu messen (BSG stRspr, vgl nur BSGE 80, 24, 31 f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 f; BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18 und Nr 9 RdNr 18 ff; SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 22 ff, Nr 14 S 41 ff, Nr 17 S 58 ff und Nr 21 S 72 ff).

16

Die Ablehnung einer Rente mangels Minderung der Erwerbsfähigkeit setzte danach regelmäßig die konkrete Benennung zumindest einer Tätigkeit (Verweisungstätigkeit) voraus, die die den Rentenfall begründende Minderung der Erwerbsfähigkeit ausschloss, weil der Versicherte diese Tätigkeit noch ausüben konnte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24). Zu benennen war eine Berufstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 72 S 229 und Nr 74 S 234; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229). Die Angabe einzelner Arbeitsvorgänge oder Tätigkeitsmerkmale war hingegen nicht ausreichend (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 34 S 130 f mwN; Senatsurteil vom 27.3.2007 - B 13 R 63/06 R - Juris RdNr 30). Andererseits war aber auch nicht die Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes erforderlich (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324). Die zu benennende Tätigkeit musste auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich in ausreichendem Umfang vorkommen (BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28), dh es mussten grundsätzlich mehr als 300 Stellen (besetzt oder offen) vorhanden sein (BSGE 78, 207, 222 f = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 34 f; BSG Urteil vom 29.7.2004 - B 4 RA 5/04 R - Juris RdNr 24, 33; vom 26.4.2007 - B 4 R 5/06 R - Juris RdNr 18).

17

Abweichend von diesem Grundsatz war die Benennung einer Verweisungstätigkeit dann nicht erforderlich, wenn der Versicherte - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - noch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage war und auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durfte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 mwN). Auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durften bei der Prüfung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich alle Versicherten (BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO S Aa4; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12 f; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18), bei der Prüfung der Rente wegen Berufsunfähigkeit hingegen nur ungelernte Arbeiter bzw sog Angelernte unteren Ranges (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 72 f mwN). In diesen Fällen war regelmäßig davon auszugehen, dass das Restleistungsvermögen dem Versicherten noch körperliche Verrichtungen erlaubte, wie sie in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw). Dem lag die Überlegung zugrunde, dass sich die nicht oder nur ganz wenig qualifizierten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ("Hilfsarbeiten") einerseits einer knappen Benennung, die aussagekräftig Art und Anforderungen der Tätigkeiten beschreiben würde, entzogen, das Arbeitsfeld andererseits aber so heterogen war, dass mit einem Restleistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten jedenfalls noch von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten ausgegangen werden konnte (BSGE 80, 24, 31 ff = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 ff).

18

Trotz der praktischen Schwierigkeiten war - im Sinne einer Rückausnahme - die konkrete Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag: In diesen Fällen einer überdurchschnittlich starken Leistungsminderung bestanden - entgegen der oben skizzierten grundsätzlichen Annahme - ernsthafte Zweifel, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für die dem Versicherten an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen bereithielt oder dass der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar war (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324 und Nr 136 S 434). Auch die Möglichkeit der praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27).

19

b) Diese Maßstäbe haben - wie bereits der 5. Senat entschieden hat (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18)- auch für die seit dem 1.1.2001 geltende Rechtslage weiterhin Gültigkeit (vgl insoweit auch bereits die Senatsbeschlüsse vom 10.7.2002 - B 13 RJ 101/02 B - Juris RdNr 7 und vom 27.2.2003 - B 13 RJ 215/02 B - Juris RdNr 12). Durch das RRErwerbG wurden die oben skizzierten Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht abgeschafft, sondern vielmehr für den Anspruch auf Rente wegen (voller oder teilweiser) Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI nF übernommen: Erwerbsfähigkeit iS des § 43 Abs 3 SGB VI nF setzt nicht nur voraus, dass der Versicherte in der Lage ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts eine Tätigkeit zu verrichten", sondern darüber hinaus, dass er damit in der Lage ist, "erwerbstätig" zu sein, dh unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ein Erwerbseinkommen zu erzielen. Das Tatbestandsmerkmal der Fähigkeit zur Ausübung einer "Erwerbstätigkeit" in § 43 Abs 3 SGB VI nF ist § 44 Abs 2 SGB VI aF entnommen. Das Tatbestandsmerkmal der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" knüpft an die - oben wiedergegebene - Rechtsprechung des BSG zu den §§ 1246 und 1247 RVO bzw den §§ 43 und 44 SGB VI aF und die dort verwendete Begrifflichkeit an.

20

c) Die vom LSG gegen eine Weitergeltung dieser Grundsätze nach § 43 SGB VI nF angeführten Argumente überzeugen nicht.

21

aa) Insbesondere steht der Wortlaut des Gesetzes einem Vergleich zwischen der individuellen Leistungsfähigkeit des einzelnen Versicherten und den auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich vorkommenden Erwerbsmöglichkeiten bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht entgegen, sondern gebietet diesen. Denn die - von § 43 SGB VI nF nach dessen Wortlaut geforderte - Möglichkeit der Erzielung eines Erwerbseinkommens unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts besteht nur, wenn die dem Versicherten noch möglichen Tätigkeiten überhaupt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeübt werden können. Auch die Gesetzesbegründung bringt dies klar zum Ausdruck, indem sie auf die Entscheidung des Großen Senats vom 19.12.1996 ("BSGE 80, 24, 34") Bezug nimmt und ausführt, maßgeblich für die Feststellung des Leistungsvermögens sei die Erwerbsfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, dh in jeder nur denkbaren Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gebe, wobei allerdings nur Tätigkeiten in Betracht kämen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblich seien. Damit werde sichergestellt, dass für die Feststellung des Leistungsvermögens solche Tätigkeiten nicht in Betracht zu ziehen seien, für die es für den zu beurteilenden Versicherten einen Arbeitsmarkt schlechthin nicht gebe. Der Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente werde nicht allein vom Gesundheitszustand des Versicherten abhängig gemacht (sog abstrakte Betrachtungsweise), sondern auch davon, ob er noch in der Lage sei, bei der konkreten Situation des (Teilzeit-) Arbeitsmarkts die ihm verbliebene Erwerbsfähigkeit zur Erzielung eines Erwerbseinkommens einzusetzen (BT-Drucks 14/4230 S 25). In Bezug genommen werden durch diese Formulierung - entgegen der Ansicht des LSG - die Möglichkeiten der Erzielung eines Erwerbseinkommens auf dem Teilzeit- und dem Vollzeitarbeitsmarkt. Durch den Hinweis auf die Entscheidung des Großen Senats vom 19.12.1996 (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) und die Übernahme der dort verwendeten Begrifflichkeit macht die Gesetzesbegründung darüber hinaus deutlich, dass keine Abkehr von der zitierten Rechtsprechung des BSG beabsichtigt war, sondern dass vielmehr an diese angeknüpft werden sollte.

22

bb) Wenn die Gesetzesbegründung (BT-Drucks 14/4230 S 23, 25) den der abstrakten Betrachtungsweise entgegengesetzten Begriff "konkrete Betrachtungsweise" in anderem Zusammenhang gebraucht, nämlich in Bezug auf sog "Arbeitsmarktrenten" bei teilweiser Erwerbsminderung, ändert dies hieran nichts. Jedenfalls kann daraus, dass der Gesetzgeber die sog "Arbeitsmarktrenten" beibehalten wollte, nicht geschlossen werden, dass er die konkrete Betrachtungsweise in Bezug auf die Fähigkeit eines Versicherten, mit seinem individuellen Leistungsvermögen eine Tätigkeit auszuüben, mit der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen erzielt werden kann, abschaffen wollte. Hierfür ergeben sich aus der Gesetzesbegründung ebenso wenige Anhaltspunkte wie für die Annahme des LSG, der Gesetzgeber habe "den gesamten Komplex der Benennung von Verweisungstätigkeiten einschränken bzw abschaffen" wollen.

23

Die Gesetzesbegründung benennt als Ausgangspunkt für die Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vielmehr zum einen, dass die Rentenversicherung bei einem beträchtlichen Teil der Versicherten nicht nur das Invaliditätsrisiko, sondern auch das Arbeitsmarktrisiko trage, und zum anderen, dass die Rente wegen Berufsunfähigkeit - wegen der dort typischen Bevorzugung von Versicherten mit besonderer Qualifikation in herausgehobenen Positionen - zunehmend in die Kritik geraten sei (BT-Drucks 14/4230 S 1). Ziel des Gesetzgebers war es damit, das durch die Arbeitslosenversicherung abzusichernde Arbeitsmarktrisiko von dem durch die Rentenversicherung abzusichernden Invaliditätsrisiko sachgerecht abzugrenzen (insbesondere auch durch Erstattungsleistungen der Bundesagentur für Arbeit an die Rentenversicherung, vgl BT-Drucks 14/4230 S 1); weiteres Ziel war die Abschaffung der Rente wegen Berufsunfähigkeit. Der Verzicht auf die Prüfung der Verschlossenheit des Arbeitsmarkts, dh der fehlenden Möglichkeit der Erzielung eines Erwerbseinkommens auf dem konkret offenstehenden Arbeitsmarkt, gehörte - entgegen der Ansicht des LSG - nicht zu den in den Gesetzesmaterialien aufgeführten Zielen. Im Gegenteil legt die Gesetzesbegründung dar, dass eine Erwerbsminderungsrente, bei der (ohne Berücksichtigung der dem Versicherten verbliebenen Möglichkeit, auf dem [Teilzeit-]Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen zu erzielen) allein auf den Gesundheitszustand des Versicherten abgestellt werden sollte, nicht beabsichtigt war (so ausdrücklich BT-Drucks 14/4230 S 25).

24

cc) Eine Ungleichbehandlung von Versicherten mit unterschiedlicher fachlicher Qualifikation ist darin nicht zu sehen. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache, dass ein Versicherter nur auf diejenigen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verwiesen werden kann, die er mit seiner individuellen fachlichen Qualifikation auch ausüben kann, da ihm nur mit diesen Tätigkeiten die Erzielung eines Erwerbseinkommens möglich ist.

25

dd) Maßgeblich ist damit für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung (auch) nach § 43 SGB VI nF, ob der jeweilige Versicherte mit seinem individuellen gesundheitlichen und beruflichen Leistungsvermögen Tätigkeiten ausüben kann, mit denen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen zu erzielen ist(so auch Mey, SGb 2007, 217 ff; Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" im Sozialrecht, 2009, S 84 ff; KomGRV, § 43 SGB VI Anm 1.3, 4, 7, Stand April 2008; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Kamprad in Hauck/Noftz, K § 43 SGB VI RdNr 31 ff, 41, Stand Juni 2011; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, 3. Aufl, § 43 SGB VI RdNr 81 ff, Stand September 2009; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung im SGB, § 43 SGB VI Anm 2, Stand März 2008; Lange in Jahn, SGB für die Praxis, § 43 SGB VI RdNr 26 ff, Stand Februar 2008; Steiner, SGb 2011, 310 ff; 365 ff; Dünn, MedSach 2011, 131 f; aA Apidopoulos, SGb 2006, 720 ff).

26

d) Im vorliegenden Fall kommt es mithin darauf an, ob der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, er also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann (§ 43 Abs 1 Satz 2, Abs 3 Halbs 1 SGB VI). Dies setzt voraus, dass es solche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überhaupt gibt; nicht entscheidend ist hingegen, ob der Kläger eine konkrete Arbeitsstelle tatsächlich auch findet.

27

aa) Der "allgemeine Arbeitsmarkt" in diesem Sinne umfasst jede nur denkbare Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gibt (vgl BT-Drucks 14/4230, S 25). Das Merkmal "allgemein" grenzt den Arbeitsmarkt lediglich von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für Behinderte und andere geschützte Einrichtungen (Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung - SGB VI, aaO RdNr 85; Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 35 f, Stand Juni 2011). Eine Beschränkung auf körperlich leichte und fachlich einfache Arbeiten erfolgt durch die Bezeichnung "allgemeiner Arbeitsmarkt" entgegen der Meinung des LSG hingegen nicht.

28

Eine solche Beschränkung galt auch bei der früheren Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht. Vielmehr waren bei der Prüfung der Erwerbsunfähigkeit alle Versicherten unabhängig von ihrem Beruf auf alle geeigneten Tätigkeiten verweisbar (BSGE 80, 24, 27 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 20; BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO S Aa4; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18). Wenn Versicherte, die zu körperlich leichten oder mittelschweren Arbeiten noch vollschichtig in der Lage waren, "auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder -feld (das meint ungelernte Tätigkeiten)" verwiesen werden durften (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24), so deshalb, weil dies die Tätigkeiten waren, auf die jedenfalls alle Versicherten - unabhängig von ihrem Bildungsstand - verwiesen werden konnten. Ein grundsätzlicher Ausschluss der Verweisung eines qualifizierten Versicherten auf eine seiner beruflichen Qualifikation entsprechende Tätigkeit erfolgte hierdurch jedoch nicht. Deswegen geht auch der Hinweis des LSG auf das Senatsurteil vom 23.5.2006 (SozR 4-2600 § 43 Nr 9) fehl: Wenn dort Feststellungen zu "körperlich leichten und fachlich einfachen Arbeiten, wie sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angeboten werden" (aaO RdNr 24) gefordert wurden, bedeutet dies nicht, dass sich der allgemeine Arbeitsmarkt in solchen Tätigkeiten erschöpfen würde; vielmehr ging es in dieser Entscheidung um die Erwerbsfähigkeit einer ungelernten Versicherten, bei der lediglich eine Verweisung auf Tätigkeiten mit diesem Anforderungsprofil in Betracht kam.

29

bb) Unter den "üblichen Bedingungen" iS des § 43 SGB VI nF ist das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, dh unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt. Hierzu gehören sowohl rechtliche Bedingungen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche und tarifvertragliche Vorschriften, als auch tatsächliche Umstände, wie zB die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz (vgl zB Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung - SGB VI, aaO RdNr 86 ff, Stand September 2009). Üblich sind Bedingungen, wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG SozR 4100 § 103 Nr 17 S 40, 42; SozR 2200 § 1247 Nr 43 S 86 f). Eine Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ist insbesondere nicht mehr gegeben, wenn einer der in der Rechtsprechung des BSG anerkannten sog Katalogfälle einschlägig ist (vgl im Einzelnen BSGE 80, 24, 34 f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28 f).

30

cc) Hieran ändert auch nichts, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nach § 43 Abs 3 Halbs 2 SGB VI nF nicht zu berücksichtigen ist. Denn hiermit ist lediglich gemeint, dass konjunkturelle Schwankungen des Arbeitsmarkts unberücksichtigt zu bleiben haben. Wird eine bestimmte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aber aus strukturellen Gründen nicht (mehr) nachgefragt, kann man mit ihr auch kein Erwerbseinkommen erzielen, mit ihr also nicht erwerbstätig sein iS des § 43 Abs 3 SGB VI.

31

dd) Für den Regelfall kann damit davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - täglich mindestens sechs Stunden verrichten kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen noch erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel noch möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in meist ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden (zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw - vgl BSGE 80, 24, 31 f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 f).

32

Der Senat hält diese beispielhaft genannten Verrichtungen bzw Tätigkeiten nach wie vor für geeignet, um zu überprüfen, ob tatsächlich von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgegangen werden kann. Er übersieht hierbei nicht, dass sich die Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seit Anfang der 1980iger Jahre (vgl hierzu BSGE 80, 24, 32 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 25 unter Hinweis auf BSG SozR 2200 § 1246 Nr 81 und Nr 90) verändert haben. Neue Arbeitsfelder, insbesondere im Dienstleistungsbereich und im Bereich der Informationstechnik mögen hinzugekommen sein; gleichwohl ist anhand der og Verrichtungen bzw Tätigkeiten eine Überprüfung, ob mit dem verbliebenen Restleistungsvermögen ausreichende Erwerbsmöglichkeiten für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich vorhanden sind, jedenfalls auch für dort zu verrichtende ungelernte Tätigkeiten weiterhin möglich.

33

e) Es besteht jedoch dann die Pflicht zur Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26). Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt, die einer Konkretisierung schwer zugänglich sind (Senatsurteile vom 19.8.1997 - BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69; vom 20.8.1997 - SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f). Eine vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe sichert, dass immer dann, wenn "ernsthafte Zweifel" bestehen, ob der Versicherte "in einem Betrieb einsetzbar" ist (oder ein Katalogfall vorliegen könnte), die konkrete Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit erfolgen muss, die nicht nur zu dem Vergleich von Leistungsfähigkeit und Anforderungsprofil führt, sondern auch zu der individuellen Prüfung, ob dem Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist oder nicht (so BSGE 80, 24, 39, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33, 27: "ernste Zweifel"; vgl schon BSG 4. Senat vom 30.11.1982 - SozR 2200 § 1246 Nr 104 LS; Senatsurteile vom 19.8.1997 - 13 RJ 55/96 - SozSich 1998, 112 - Juris RdNr 24; vom 20.8.1997 - BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 59; vom 30.10.1997 - 13 RJ 49/97 - Juris RdNr 20, vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73; vom 23.8.2001 - B 13 RJ 13/01 R - Juris RdNr 21; BSG 5. Senat vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43 und vom 10.12.2003 - BSG SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 11).

34

aa) Insofern richtet sich der hierbei anzustellende Prüfungs- und Begründungsaufwand nach den konkreten Umständen des Einzelfalls; insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss der Rentenversicherungsträger bzw das Tatsachengericht die Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen. Erforderlich ist eine Untersuchung, welche Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen durch die beim Versicherten vorliegenden Gesundheitsstörungen im Einzelnen ausgeschlossen sind (Senatsurteile vom 23.5.2006 - SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23; vom 19.8.1997 - BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 70; vom 20.8.1997 - BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61; vom 30.10.1997 - 13 RJ 49/97 - Juris RdNr 24 ff). Diesen aufgezeigten abstrakten Maßstäben ist allerdings Kritik entgegengesetzt worden im Hinblick auf die Praktikabilität dieser Rechtsprechung (Köbl in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskommentar zum SGB VI, § 43 RdNr 168, Stand Oktober 2006)und den damit verbundenen Begründungsaufwand für die Rentenversicherungsträger und die Instanzgerichte (Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 107).

35

bb) Aus diesem Grund weist der Senat erneut darauf hin, dass sich aus Zweckmäßigkeits- und aus Effektivitätsgründen die rentenrechtliche Prüfung in zwei Schritten anbietet:

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(1) Bei Versicherten, die trotz qualitativer Leistungseinschränkungen noch zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten können, ist die Einsatzfähigkeit des Versicherten in einem Betrieb nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen (noch kommt die Möglichkeit einer praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts in Betracht). Auf der ersten Prüfstufe ist daher festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw <vgl BSGE 80, 24, 32 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 25>)erlaubt, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. In diesem Fall genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (vgl BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; Senatsurteile vom 19.8.1997 - 13 RJ 29/95 - SozSich 1998, 111 - Juris RdNr 30; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 14.7.1999 - B 13 RJ 65/97 R - Juris RdNr 32; BSG 5. Senat vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; vom 10.12.2003 - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 23; sog "kleines Benennungsgebot": vgl Köbl, aaO RdNr 168; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Spiolek, SGb 1999, 509, 510; kritisch Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 42, Stand Juni 2011; aA wohl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108). Damit können "ernste Zweifel" an der oben beschriebenen Einsatzfähigkeit des Versicherten als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt werden.

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(2) Erst dann, wenn sich solche Bereiche des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht beschreiben lassen, in denen es Arbeitsplätze gibt, die der Versicherte unter Berücksichtigung seines Restleistungsvermögens noch ausfüllen kann und insofern "ernste Zweifel" an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen aufkommen, stellt sich die Prüfpflicht, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl Senatsurteile vom 20.8.1997 - SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; BSG 5. Senat vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 44). Verbleibt es bei den ernsten Zweifeln an der Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der individuellen Leistungseinschränkungen, ist mindestens eine konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) zum Ausschluss der Voraussetzungen des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung erforderlich (vgl BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33).

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f) Ob dem Kläger ein Verweisungsberuf benannt werden muss, kann anhand der Feststellungen des LSG nicht entschieden werden. Sollte sich das LSG nicht davon überzeugen können, dass der Kläger mit seinem Restleistungsvermögen noch bestimmte "Arbeitsfelder" ausfüllen bzw og "Tätigkeiten der Art nach" noch verrichten kann - um Zweifel an der betrieblichen Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuräumen -, wird das LSG das Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung zu prüfen haben. Bejaht es die eine oder andere Alternative, wird es Feststellungen nachzuholen haben, ob dem Kläger ein konkreter Verweisungsberuf benannt werden kann, den er mit seinen individuellen gesundheitlichen Leistungseinschränkungen und seiner fachlichen Qualifikation noch ausüben kann. Hierbei wird zu berücksichtigen sein, ob der Kläger den Bedingungen und Anforderungen, unter denen die entsprechende Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Erzielung eines Erwerbseinkommens ausgeübt wird, noch gewachsen ist.

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Das LSG wird abschließend über die gesamten Kosten des Rechtsstreits nach § 193 SGG zu befinden haben(BSG SozR 5870 § 2 Nr 62 S 201 f).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.