Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Urteil, 14. Dez. 2016 - L 9 SO 57/13

ECLI:ECLI:DE:LSGSH:2016:1214.L9SO57.13.0A
14.12.2016

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 30. August 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu

erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Übernahme der Kosten für eine Petö-Therapie (drei Blöcke) im Jahre 2009 in Höhe von 6.262,80 Euro.

2

Der 1994 geborene Kläger leidet nach Frühgeburt an einer Tetraparese, einer Visusstörung und einer Sprachstörung. Im Jahre 2009 besuchte er die L.-N….-Schule, Förderzentrum für körperliche und motorische Entwicklung im Bildungszentrum M... Der Beklagte gewährte dem Kläger eine Schulbegleitung für 26 bzw. 27,5 Stunden in der Woche. Der Kläger bezog seinerzeit Leistungen der sozialen Pflegeversicherung (Pflegegeld) nach der Pflegestufe III. Ihm wurden ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen B, G, RF, aG und H durch das Landesamt für soziale Dienste zuerkannt.

3

Mit Schreiben vom 16. Juni 2008 beantragte der Kläger die Kostenübernahme für eine Petö-Therapie in der Zeit vom 15. September bis 10. Oktober 2008 bei der Beigeladenen. Mit Bescheid vom 1. Juli 2008 lehnte die Beigeladene den Antrag ab. Nach den Heilmittel-Richtlinien (HMR) gehöre die Konduktive Förderung nach Petö zu den ausgeschlossenen Heilmitteln. Sie könne daher nicht von ihr erbracht bzw. abgerechnet werden. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

4

Mit Schreiben vom 20. November 2008 beantragte der Kläger beim Beklagten die Übernahme der Kosten für drei Blöcke einer Petö-Therapie im Jahre 2009 (30. März bis 24. April, 27. Juli bis 21. August, 5. bis 30. Oktober) einschließlich Fahrt- und Übernachtungskosten. Die regelmäßige Teilnahme an der Petö-Therapie habe ihm - dem Kläger - ein Leben ohne Schmerzen und weitere körperliche Einschränkungen ermöglicht. Dies habe sich besonders in seiner schulischen Entwicklung bemerkbar gemacht. Die Therapie gebe ihm Anleitungen an die Hand, sein Leben selber aktiver zu gestalten und solle im Zentrum für Konduktive Therapie in O… stattfinden. Die Kosten für die drei Therapieblöcke würden sich auf insgesamt 6.559,80 Euro belaufen.

5

Mit Bescheid vom 8. Januar 2009 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Der therapeutische Nutzen der Petö-Therapie sei bislang nicht wissenschaftlich nachgewiesen und belegt worden. Es handele sich somit nicht um ein anerkanntes Heilmittel. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im Rahmen der Eingliederungshilfe entsprächen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Dies bedeute, dass eine Leistung nicht bewilligt werden könne, wenn sie im Leistungskatalog der GKV nicht aufgeführt bzw. wie die Petö-Therapie ausdrücklich von der Verordnung ausgeschlossen sei.

6

Hiergegen hat der Kläger mit Schreiben vom 26. Januar 2009 Widerspruch erhoben. Die Petö-Therapie helfe ihm, den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zumindest zu erleichtern. Durch die Therapie schaffe er es, dank seiner sehr guten kognitiven Fähigkeiten, Neues zu erlernen und umzusetzen. Aufgrund der familiären Situation komme eine Kostentragung auf eigene Kosten nicht in Betracht.

7

Mit Bescheid vom 7. April 2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wiederholte er im Wesentlichen seine bisherigen Ausführungen.

8

Der Kläger hat am 6. Mai 2009 Klage vor dem Sozialgericht Schleswig erhoben, mit der er sein bisheriges Vorbringen vertieft hat. Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. September 2009 (Az. B 8 SO 19/08 R) bestehe grundsätzlich ein Anspruch auf Übernahme der Kosten. Es handele sich um Hilfen zur angemessenen Schulbildung. Ohne die Durchführung der Petö-Therapie hätten ihm nicht wiedergutzumachende Rückschritte gedroht. Er wäre nicht in der Lage gewesen, zunächst eine offene Ganztagsschule, sodann die Realschule und im Anschluss die höhere Handelsschule zu besuchen. Aufgrund seiner spastischen Lähmungen sei eine Verbesserung der Körperhaltung für den Schulbesuch unumgänglich gewesen.

9

Das Urteil des 9. Senats des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 27. Februar 2013 (Az. L 9 SO 17/11) sei auf den vorliegenden Fall nicht zu übertragen und im Übrigen rechtsfehlerhaft.

10

Der Kläger hat beantragt,

11

den Bescheid des Beklagten vom 8. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. April 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten der Petö-Therapie für den Kläger im Jahre 2009 in Höhe von 6.262,80 Euro zu übernehmen.

12

Der Beklagte hat beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

15

Der Beklagte hat sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen und unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 3. September 2003 (Az. B 1 KR 34/01 R) weiter ausgeführt, dass die Petö-Therapie das Ziel habe, die Behinderung an sich zu bessern, nicht aber die Auswirkungen der Behinderung zu mildern. Nach der Entscheidung des BSG vom 29. September 2009 (Az. B 8 SO 19/08 R) sei hinsichtlich der Abgrenzung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von Leistungen der sozialen Rehabilitation der jeweilige Leistungszweck entscheidend, wobei Überschneidungen möglich seien. Vorliegend hätten die Zielsetzungen dazu gedient, die Behinderung des Klägers an sich zu bessern. Es handele sich mithin um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation. Dabei liege es in der Natur der Sache, dass eine erfolgreiche medizinische Rehabilitation auch positive Auswirkungen auf die Teilhabe in der Gemeinschaft habe. Dies könne jedoch nicht zu einer Leistungspflicht des Beklagten führen.

16

Die Beigeladene hat eine inhaltliche Stellungnahme nicht abgegeben.

17

Der Kläger, der in der Zeit vom 30. März bis 24. April, vom 27. Juli bis 21. August und vom 12. bis 30. Oktober 2009 an der Petö-Therapie teilgenommen hatte, hat. die dafür angefallenen Kosten bereits mit privater Unterstützung beglichen.

18

Mit Urteil vom 30. August 2013 hat das Sozialgericht Schleswig die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die begehrte Petö-Therapie gegen den Beklagten. Zwar sei die Beigeladene der erstangegangene Träger. Sie habe den Antrag vom 16. Juni 2008 nicht rechtzeitig weitergeleitet Der Beklagte sei aber im Ergebnis trotzdem der richtige Anspruchsgegner. Vorliegend handele es sich nicht um eine Maßnahme der sozialen Rehabilitation im Sinne einer Hilfe zur angemessenen Schulbildung, sondern, da der medizinische Leistungszweck eindeutig im Vordergrund stehe, um eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation. Aus den Ziel- und Handlungsvorgaben für die im Jahre 2009 durchgeführte Therapie werde deutlich, dass es zuvorderst auf eine Verbesserung der muskulären Bedingungen und des Bewegungsapparates angekommen sei. Der vornehmliche Zweck der Maßnahme sei damit eine Behandlung der unmittelbar aus der Behinderung resultierenden Einschränkungen gewesen. Es sollten die Funktionseinschränkungen behandelt werden, die bei einem nichtbehinderten Menschen als natürliche Körperfunktionen einem funktionellen Ablauf dienten, konkret das Gehen, Stehen, Laufen, Sitzen, Greifen und Hantieren. Einen erforderlichen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Besuch der Schule, der über die Verbesserung der Körperfunktionen hinausgehe, sehe die Kammer nur im marginalen Bereich, so im Rahmen der Verbesserung der feinmotorischen Fähigkeiten zur Bedienung der PC-Tastatur und des Joy-Sticks. Dieser Teilbereich sei jedoch nicht geeignet, die gesamte Petö-Therapie als Hilfe zur angemessenen Schulbildung zu qualifizieren. Die Kammer verkenne hierbei nicht, dass eine Verbesserung der körperlichen Konstitution auch positive Auswirkungen auf den Besuch der Schule und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft habe. Ließe man dies jedoch ausreichen, wäre nahezu jede Maßnahme, die die körperliche Situation irgendwie verbesserte, eine solche der sozialen Rehabilitation.

19

Der Kläger hat am 23. Oktober 2013 gegen das ihm am 27. September 2013 zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Aus den vorgelegten Berichten ergebe sich eindeutig, dass durch die Zurückführung der Spastik der Kläger in die Lage versetzt worden sei, seine schulischen Aufgaben zu erfüllen. Insofern sei die Feststellung des Sozialgerichts, es handele sich allein um eine medizinische Rehabilitation, nicht nachvollziehbar. Die Förderung der Verbesserung des Stehens, die Verbesserung der Körperhaltung und der Sitzposition, die Lockerung der Gelenke und die Stärkung der Körpermuskulatur führten gerade dazu, dass er - der Kläger - den Schulbesuch überhaupt wahrnehmen könne. Andernfalls hätte er in einer Pflegeeinrichtung bettlägerig untergebracht werden müssen. Gerade durch die Verbesserung der muskulären Bedingungen und des Bewegungsapparates werde die soziale Integration ermöglicht. Entscheidend sei, dass die Verbesserung der gesundheitlichen Situation auch die Teilhabemöglichkeit im sozialen Bereich verbessere. Dies stelle keinen Widerspruch dar.

20

Der Kläger beantragt,

21

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Schleswig vom 30. August 2013 den Bescheid des Beklagten vom 8. Januar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. April 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten der Petö-Therapie für ihn – den Kläger – im Jahre 2009 in Höhe von 6.262,80 Euro zu erstatten.

22

Der Beklagte beantragt,

23

die Berufung zurückzuweisen.

24

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

25

Der Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

26

Die Beigeladene nimmt inhaltlich nicht Stellung. Auf Nachfrage des Senats hat sie mit Schreiben vom 12. September 2016 ausdrücklich mitgeteilt, dass bei ihr für die Kostenübernahme der im Jahre 2009 durchgeführten Petö-Therapie kein Antrag gestellt worden sei.

27

Der Kläger hat weitere Klagen gegen die Ablehnung der Kostenübernahme der Petö-Therapien in den Folgejahren vor dem Sozialgericht Kiel erhoben (Az. S 22 SO 12/11, S 22 SO 39/12, S 22 SO 59/12), die im Hinblick auf das vorliegende Verfahren ruhend gestellt worden sind.

28

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Beigeladenen verwiesen. Diese sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Entscheidungsgründe

29

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Schleswig sowie der Bescheid des Beklagten vom 8. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. April 2009 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat weder gegen den Beklagten noch gegen die Beigeladene einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die im Jahre 2009 durchgeführte Petö-Therapie.

30

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 8. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. April 2009, mit dem der Beklagte die Übernahme der Kosten für die vom Kläger im Jahre 2009 in drei Blöcken durchgeführte Petö-Therapie abgelehnt hat. Der Kläger begehrt mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG) die Erstattung der Kosten für die von ihm im Jahre 2009 durchgeführte Petö-Therapie. Gemäß der Bestätigung des Zentrums für Konduktive Therapie mit Schreiben vom 27. Mai 2010 beliefen sich die Kosten auf insgesamt 6.288,00 Euro. Mit seiner Klage und Berufung begehrt der Kläger jedoch lediglich die Übernahme von 6.262,80 Euro. Diese Summe entspricht den tatsächlich in Rechnung gestellten Beträgen (s. Rechnungen vom 5. Oktober 2009, 29. Juni 2009 und 2. März 2009, Bl. 48 – 51 der Gerichtsakte).

31

Richtiger Beklagter ist der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Kiel als Behörde (vgl. BSG, Urteil vom 9. Juni 2011 – B 8 SO 11/10 R – juris Rn. 12; Urteil vom 23. August 2013 – B 8 SO 17/12 R – juris Rn. 13). Nach § 70 Nr. 3 SGG sind Behörden beteiligtenfähig, sofern das Landesrecht dies bestimmt (Behördenprinzip). Eine entsprechende Bestimmung enthält § 5 Schleswig-Holsteinisches Ausführungsgesetz zum SGG vom 2. November 1953 (Gesetz- und Verordnungsblatt 144, in der Bekanntmachung vom 31. Dezember 1971 - GVBl 182). Der Beklagte ist auch der örtlich und sachlich zuständige Leistungsträger nach §§ 3, 97 Abs. 3 Nr. 1, 98 Abs. 1 SGB XII iVm §§ 1, 2 AG-SGB XII.

32

Ein Erstattungsanspruch des Klägers für die von seinen Eltern gezahlten Kosten der Petö-Therapie besteht gemäß § 15 Abs. 1 Satz 4, 2. Alternative Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) nicht. Danach sind selbstbeschaffte Leistungen zu erstatten, wenn der Rehabilitationsträger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.

33

Der Beklagte ist als erstangegangener Träger der zuständige Leistungsträger gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Der Kläger hat die Kostenübernahme mit Schreiben vom 20. November 2008, eingegangen beim Beklagten am 24. November 2008, beantragt. Ein Antrag auf Kostenübernahme für die Petö-Therapie im Jahre 2009 ging bei der Beigeladenen hingegen nicht ein. Mit Bescheid vom 1. Juli 2008 lehnte die Beigeladene lediglich die Kostenübernahme für eine in der Zeit vom 15. September bis 10. Oktober 2008 absolvierte Petö-Therapie bestandskräftig ab. Einen darüber hinaus gehenden Verfügungssatz enthält der Bescheid nicht.

34

Eine Leistungspflicht des Beklagten im Rahmen der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch (SGB V) besteht nicht. Die Petö-Therapie gehört nicht zum Leistungskatalog der GKV. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat die Konduktive Förderung nach Petö in die Anlage der nicht verordnungsfähigen Heilmittel zu den Heilmittelrichtlinien (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V) aufgenommen (siehe auch BSG, Urteil vom 3. September 2003 – B 1 KR 34/01 R – juris).

35

Auch eine Leistungspflicht des Beklagten im Rahmen der sozialen Rehabilitation gemäß §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) kommt vorliegend nicht in Betracht. Der Kläger gehört zwar – unstreitig – zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 53 Abs. 1 SGB XII (I.). Die Petö-Therapie kommt zudem als Leistung der sozialen Rehabilitation grundsätzlich in Betracht (II.). Die vom Kläger durchgeführte Therapie erfüllt jedoch nicht die Voraussetzungen einer sozialen Rehabilitation (III.).

36

I. Der Kläger gehört zum anspruchsberechtigten Personenkreis der Eingliederungshilfe. Gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Voraussetzungen aufgrund der seit der Geburt des Klägers bestehenden Einschränkungen vorliegen.

37

II. Die Petö-Therapie kommt als Leistung der sozialen Rehabilitation grundsätzlich in Betracht. Dies ist höchstrichterlich anerkannt (siehe nur BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 19/08 R – juris). Vorliegend ist insbesondere eine Leistungspflicht des Beklagten nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII zu prüfen. Danach gehören zu den Leistungen der Eingliederungshilfe Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. Nach § 12 Nr. 1 der Verordnung zu § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung – Eingliederungshilfe-VO) umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung i.S. des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zu Gunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern.

38

Zur Abgrenzung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ist es erforderlich, den jeweiligen Leistungszweck herauszustellen. Leistungszwecke der medizinischen Rehabilitation und der sozialen Rehabilitation können sich überschneiden. Die Zwecksetzung der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist mit der Zwecksetzung der Leistungen der GKV nicht identisch; insbesondere verfolgen die Leistungen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII mit der Erleichterung des Schulbesuchs über die Zwecke der GKV hinausgehende Ziele (BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 19/08 R – juris Rn. 21 m.w.N.). Entscheidend ist jedoch, welches konkrete Ziel mit der fraglichen Leistung in erster Linie verfolgt wird, d.h. welcher Leistungszweck im Vordergrund steht. Dies ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der Bedürfnisse und Heilungschancen des einzelnen Behandlungsfalls zu bestimmen, wobei die Art der Erkrankung und ihr Bezug zu den eingesetzten Mitteln sowie die damit verbundenen Nah- und Fernziele eine Rolle spielen (BSG, Urteile vom 31. März 1998 – B 1 KR 12/96 juris Rn. 16 ff. und 3. September 2003 – B 1 KR 34/01 R – juris Rn. 15 f.; BVerwG, Urteil vom 18.10.2012 – 5 C 15/11 – juris Rn. 17; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.3.2013 – L 9 SO 17/11 – juris Rn. 34).

39

Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (soziale Rehabilitation) setzen an den sozialen Folgen einer Krankheit bzw. Behinderung an und dienen deren Überwindung. Sie sollen die Auswirkungen der Krankheit bzw. Behinderung auf die Lebensgestaltung auffangen oder abmildern. Ihr Ziel ist es einerseits, den Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung in (Teil-)Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgegrenzt sind, den Zugang zur Gesellschaft zu ermöglichen, andererseits aber auch Personen, die in der Gesellschaft integriert sind, die Teilhabe zu sichern, wenn sich abzeichnet, dass sie von gesellschaftlichen Ereignissen und Bezügen abgeschnitten werden. Dem behinderten Menschen soll der Kontakt mit seiner Umwelt nicht nur mit Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben ermöglicht und hierdurch die Begegnung und der Umgang mit nichtbehinderten Menschen gefördert werden. Des Weiteren zielen die Leistungen der sozialen Rehabilitation darauf, den behinderten Menschen soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (BVerwG, Urteil vom 18.10.2012 – 5 C 15/11 – juris Rn. 18 m.w.N.). Wie bereits ausgeführt, sind die Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung als besondere Ausprägung der sozialen Rehabilitation darauf gerichtet, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern.

40

Leistungen der medizinischen Rehabilitation nach § 26 SGB IX knüpfen dagegen an der Krankheit selbst und ihren Ursachen an. Sie dienen dazu, Behinderungen, einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, eine Verschlimmerung zu verhüten (Abs. 1 Nr. 1) oder Einschränkungen der Erwerbstätigkeit und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern, eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug von laufenden Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern (Abs. 1 Nr. 2). Für die Einordnung als medizinische Behandlung ist nicht entscheidend, ob die gestellten Ziele objektiv erreichbar sind (BVerwG, Urteil vom 18.10.2012 – 5 C 15/11 – juris Rn. 19 m.w.N.).

41

Ob bei der jeweiligen Therapie die Zwecke der sozialen oder die der medizinischen Rehabilitation im Vordergrund stehen, bedarf einer Entscheidung am Einzelfall.

42

III. Daran gemessen, handelt es sich bei der vom Kläger im Jahre 2009 absolvierten Petö-Therapie um eine medizinische Rehabilitation und nicht um eine soziale Rehabilitation. Die Petö-Therapie diente vorliegend nahezu ausschließlich der medizinischen Rehabilitation. Dass die Therapien daneben auch die kognitiven Fähigkeiten des Klägers und seine Beschulungsmöglichkeit verbessert haben, ist für die Einordnung der Leistung unerheblich. Zur Begründung wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im Urteil vom 30. August 2013 verwiesen, denen sich der Senat nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage anschließt.

43

Ausweislich des Berichts des Sozialpädiatrischen Zentrums und der Kinderneurologie im Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Evangelischen Krankenhauses O… vom 24. April 2009 diente die Therapie im Frühjahr 2009 (dort angegeben: 6. bis 24. April) der Förderung und Verbesserung des Stehens und Laufens an Stöcken, der Verbesserung der Körperhaltung in der Sitzposition auf dem Hocker mit Stärkung der Rückenmuskulatur und der Lockerung der Gelenke und Stärkung der Körpermuskulatur. Ausweislich des Berichts vom 21. Januar 2010 zielte die Therapie im Herbst 2009 (12. bis 30. Oktober 2009) auf die Verbesserung der Sitzsicherheit auf dem Hocker, die Stabilisierung auf der neuen Hocker-Kombination, die Stärkung der Körpermuskulatur und Körperhaltung, die Verbesserung des Gehens und der Knie- und Armstreckung sowie die Förderung des Hantierens ab. Der Bericht des Zentrums für Konduktive Therapie in O… vom 23. Juli 2013 fasst die Ziele für das Jahr 2009 wie folgt zusammen:

44

- Es sollten seine Gelenke gelockert und die gesamte Körpermuskulatur gestärkt werden.

45

- Es sollte seine Stehzeit verlängert und sein Stehen und Gehen mit den Stöcken verbessert werden.

46

- Es sollte seine Sitzsicherheit auf dem Hocker gefördert werden.

47

- Es sollte seine Körperhaltung in allen Positionen verbessert werden.

48

- Im dritten Block sollte er auf der neuen Hockerkombination sicher sitzen lernen.

49

- Es sollte seine Knie- und Armstreckung gefördert und verbessert werden.

50

- Es sollte sein Hantieren gefördert werden.

51

Hierbei zeigt sich, dass nahezu ausschließlich die Förderung des Laufens, Stehens und Sitzens durch Stärkung und Lockerung der Gelenke und Muskulatur erreicht werden sollte und die Therapie somit gerade an die Krankheit selbst und ihren Ursachen anknüpft. Sie ist damit nahezu ausschließlich der medizinischen Rehabilitation zuzuordnen. Auch aus den im Bericht des Zentrums für Konduktive Therapie in O... vom 23. Juli 2013 dargestellten Zielen der jährlichen Therapien seit 1998 geht ebenfalls hervor, dass im Rahmen der dort durchgeführten Therapien ganz überwiegend die Grobmotorik des Klägers gefördert werden sollte. Lediglich für das Jahr 2006 – das nicht in den hier streitigen Zeitraum fällt – ist die Förderung der kognitiven Ebene als konkretes Ziel angegeben.

52

Der Senat verkennt dabei nicht, dass sich jeder Erfolg der dargestellten Ziele auch auf den Schulbesuch und die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft positiv auswirkt. Dies macht eine Maßnahme jedoch nicht automatisch auch zu einer solchen der sozialen Rehabilitation. Andernfalls wäre nahezu jede Leistung der medizinischen Rehabilitation gleichfalls eine Leistung der sozialen Rehabilitation. Der Senat verbleibt insoweit im Einklang mit seiner am 27. Februar 2013 (Az. L 9 SO 17/11 – juris Rn. 60) getroffenen Entscheidung der Auffassung, dass eine Verbesserung der motorischen Fähigkeiten durch die Petö-Therapie nicht zur Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger führt, wenn aus Zielsetzung und Berichten über die Therapie zu entnehmen ist, dass die mit der Petö-Therapie grundsätzlich auch verfolgten Ziele der Eingliederung in die Gesellschaft, die Förderung der intellektuellen und sozial-emotionalen Fähigkeiten wie Sprache, Kultur, Technik und psychosoziales Handeln sowie die Förderung des lebenspraktischen Handelns offensichtlich keine wesentliche Rolle gespielt haben, sondern der medizinische Leistungszweck eindeutig im Vordergrund gestanden hat (vgl. auch LSG NRW, Urteil vom 20. August 2012 – L 20 SO 25/09 – juris Rn. 62 ff.). Maßgeblich für die Einordnung der Leistung ist damit stets, welcher Leistungszweck im Vordergrund steht. Der Senat sieht sich bei einem solchen Verständnis zumindest auch im Einklang mit der oben zitierten Rechtsprechung des 1. Senats des BSG und des BVerwG. Ob dies auch für die Rechtsprechung des 8. Senats des BSG (a.a.O.) gilt oder diese gerade nicht auf eine zumindest schwerpunktmäßige Leistungszweckzuordnung abstellt, geht für den Senat nicht eindeutig aus dem Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 19/08 R - hervor und bedarf ggf. weitergehender Klärung im Rahmen eines Revisionsverfahrens.

53

Auch wenn verbesserte motorische Fähigkeiten dazu führen, dass eine Eingliederung in die Gesellschaft oder auch der Schulbesuch leichter fallen können, müssen dahingehende Ziele zumindest zunächst formuliert und möglich sein. Es muss zudem dargelegt werden, dass Ansätze vorhanden sind, dass an diesen Zielen gearbeitet wird und sie erreicht werden können. Dies fehlt vorliegend. Das Ziel der Eingliederungshilfe, eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den Kläger durch die Petö-Therapie im Jahre 2009 in die Gesellschaft einzugliedern und den Schulbesuch zu erleichtern, ist hinsichtlich der drei Maßnahmen in 2009 gerade nicht formuliert und im konkreten Abschlussbericht festgehalten. Die medizinische Rehabilitation des Klägers stand hingegen eindeutig – wie dargelegt – im Vordergrund. Eine Kostenerstattung kann daher nicht erfolgen.

54

Der Senat sah sich nicht dazu veranlasst, den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung am 14. Dezember 2016 gestellten Beweisantrag, dass durch die Petö-Blocktherapien die kognitiven Fähigkeiten des Klägers verbessert worden und der Leistungszweck darauf gerichtet gewesen sei, dass die Beschulungsmöglichkeit des Klägers erleichtert wurde, durch Vernehmung der den Kläger behandelnden Dipl.-Konduktorin Frau E. D.-T......., zu laden über das Zentrum für Konduktive Therapie, F...straße --, 4---- O..., sowie des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie A. K. G…., N... --, ----- B… inklusive einer ambulanten Untersuchung des Klägers durch Herrn G…, von Amts wegen nachzukommen. Ein ablehnender Beschluss ist bereits im Rahmen der mündlichen Verhandlung ergangen und mündlich begründet worden. Eine entsprechende Aussage der Dipl.-Konduktorin D.-T…. enthält bereits der gemeinsam mit dem Geschäftsführer des Zentrums für Konduktive Therapie U. F…. am 23. Juli 2013 verfasste Bericht über die seit dem Jahre 1998 durchgeführten Petö-Therapien (vgl. insbesondere die letzten beiden Absätze des Berichts). Der Bericht ist mit Schreiben vom 8. August 2013 vom Kläger zur Gerichtsakte gereicht worden (Bl. 88 bis 98). Einer Vernehmung der benannten Zeugin misst der Senat keinen darüber hinaus gehenden Beweiswert zu, zumal der Senat keine Zweifel an der Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten und der Beschulungsmöglichkeit des Klägers auch durch die im Jahre 2009 absolvierte Petö-Therapie hat. Da diese Zwecke aber bei Betrachtung der Leistungsziele nicht im Fokus der im streitigen Zeitraum durchgeführten Therapien standen, kommt es nach Auffassung des Senats – wie ausgeführt – darauf gerade nicht an. Aus diesem Grunde war auch eine Vernehmung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie A. K. G…. inklusive einer ambulanten Untersuchung des Klägers nicht durchzuführen. Welchen Beweiswert eine jetzt und mithin über sieben Jahre nach Abschluss der streitigen Petö-Therapie durchzuführende ambulante Untersuchung des Klägers für das vorliegende Verfahren haben sollte, erschließt sich dem Senat zudem nicht.

55

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

56

Die Revision wird im Hinblick auf eine möglicherweise denkbare Divergenz zur Entscheidung des BSGs vom 29. September 2009 (Az. B 8 SO 19/08 R) gemäß § 160 Abs. 1, 2 Nr. 2 SGG zugelassen.


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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 70


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Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 3 Träger der Sozialhilfe


(1) Die Sozialhilfe wird von örtlichen und überörtlichen Trägern geleistet. (2) Örtliche Träger der Sozialhilfe sind die kreisfreien Städte und die Kreise, soweit nicht nach Landesrecht etwas anderes bestimmt wird. Bei der Bestimmung durch Landesrec

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Aufgabe der Sozialhilfe ist es, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Leistung soll sie so weit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben; darauf haben auch die Leistung

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Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Urteil, 14. Dez. 2016 - L 9 SO 57/13 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Urteil, 14. Dez. 2016 - L 9 SO 57/13 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundessozialgericht Urteil, 23. Aug. 2013 - B 8 SO 17/12 R

bei uns veröffentlicht am 23.08.2013

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 29. Juni 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 18. Okt. 2012 - 5 C 15/11

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Tatbestand 1 Der Kläger begehrt vom Beklagten als Träger der Jugendhilfe die Übernahme der Kosten für heilpädagogisches Reiten in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Juli

Bundessozialgericht Urteil, 09. Juni 2011 - B 8 SO 11/10 R

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Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 9. Dezember 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an diese
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Urteil, 14. Dez. 2016 - L 9 SO 57/13.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 28. Juni 2018 - L 8 SO 240/15

bei uns veröffentlicht am 28.06.2018

Tenor I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 26. Oktober 2015, S 48 SO 333/11, wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugela

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Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 9. Dezember 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit sind höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.1. bis 31.7.2005.

2

Der 1982 geborene Kläger ist schwerbehindert (Grad der Behinderung von 100 sowie die Nachteilsausgleiche "G", "B" und "H"). Bis einschließlich Januar 2005 zahlte sein Vater Unterhalt. Der Kläger erhält Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III und bewohnt mit seiner Mutter eine gemeinsame Wohnung. Bis 31.12.2004 bezog er Leistungen der Grundsicherung nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) und ab 1.1.2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach §§ 41 ff SGB XII(Bescheid vom 28.4.2005 für Januar 2005, vom 4.4.2005 für Februar bis Juni 2005, vom 23.6.2005 für Juli 2005 und vom 12.7.2005 für August 2005 bis Juni 2006, alle Bescheide erlassen von der Stadt Bad Schwartau im Namen und im Auftrag des Beklagten; Widerspruchsbescheid des Beklagten nach Beteiligung sozial erfahrener Dritter vom 5.10.2005).

3

Die Klage mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, "dem Kläger seit dem 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch, insbesondere unter Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten, des Regelsatzes eines Haushaltsvorstands und der korrespondierenden Mehrbedarfe sowie unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von jedenfalls 100 Euro im Monat zu gewähren", hatte teilweise Erfolg. Das Sozialgericht (SG) Schleswig hat den Beklagten verurteilt, "dem Kläger für den Zeitraum seit dem 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft zu gewähren" und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 21.1.2008). Die Berufung mit dem Antrag, "den Beklagten zu verurteilen, ihm - dem Kläger - seit dem 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter Berücksichtigung des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes/Alleinstehenden sowie unter Berücksichtigung des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von mindestens 100 Euro im Monat und unter Berücksichtigung der Beiträge für Sterbe-, Haftpflicht-, Hausrat- und Kfz-Haftpflichtversicherung zu gewähren" hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 9.12.2009). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Berufung sei hinsichtlich der geltend gemachten Versicherungsbeiträge schon unzulässig, weil der Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren den Streitgegenstand auf die Kosten der Unterkunft, die Höhe des Regelsatzes und die Höhe des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung beschränkt habe. Die Berufung im Übrigen sei unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf den Eckregelsatz eines Haushaltsvorstandes, weil er weder dem zusammen mit seiner Mutter bestehenden Haushalt vorstehe noch neben seiner Mutter einen eigenen Haushalt in der gemeinsam mit ihr bewohnten Wohnung führe. Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei insoweit nicht zu folgen. Dem Kläger stehe auch kein über den bereits bewilligten Betrag von 27,50 Euro (wegen Psoriasis) hinausgehender Mehrbedarf für eine kostenaufwändige Ernährung wegen der geltend gemachten Allergien zu. Den Empfehlungen des Deutschen Vereins sei ein Mehrbedarf nicht zu entnehmen, sodass sein tatsächlicher Mehrbedarf konkret festzustellen sei. Ein Mehrbedarf wegen der Kuhmilch- sowie der Hühnereiweißallergie sei im Alter des Klägers unwahrscheinlich; letztere könne auch durch Weglassen des Nahrungsmittels therapiert werden. Die pauschale Bescheinigung des Hausarztes sei zum Nachweis des Mehrbedarfs ungeeignet. Der Kläger selbst habe nicht dargelegt, auf welche Lebensmittel er verzichten und welche er an deren Stelle erwerben müsse und dass damit Mehrkosten verbunden seien.

4

Mit seiner Revision macht der Kläger unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats eine Verletzung der §§ 42 Satz 1, 28 SGB XII iVm der Regelsatzverordnung (RSV) sowie einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) geltend. Wegen der nach Art 3 GG gebotenen Gleichbehandlung könne eine den reduzierten Eckregelsatz begründende Haushaltsersparnis nur dann angenommen werden, wenn die zusammenlebenden Personen eine Bedarfsgemeinschaft nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) oder eine Einsatzgemeinschaft nach § 19 SGB XII bildeten. Daneben rügt der Kläger Verfahrensfehler sowie einen Verstoß gegen § 33 SGB XII. Zu Unrecht habe das LSG hinsichtlich der Versicherungsbeiträge die Berufung als unzulässig angesehen. Mangels Beschränkung des Streitgegenstandes hätte das LSG über die geltend gemachten Versicherungsbeiträge materiell entscheiden müssen. Übernahmefähig seien jedenfalls die Beiträge für die Sterbegeldversicherung nach § 33 SGB XII. Soweit es den ernährungsbedingten Mehrbedarf betreffe, rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 42 Satz 1 Nr 3, 30 Abs 5 SGB XII. Der ernährungsbedingte Mehraufwand lasse sich betragsmäßig nicht verallgemeinern. Zu diesem Schluss komme zwar auch das LSG; es habe dann aber die ihm obliegende Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, weil es kein Sachverständigengutachten zu der von ihm angezweifelten Kuhmilchallergie des damals anwaltlich nicht vertretenen Klägers eingeholt habe, das einen Mehrbedarf von zumindest 100 Euro bestätigt hätte.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben, das Urteil des SG abzuändern, soweit die Klage abgewiesen wurde, und die Bescheide vom 4.4.2005, 28.4.2005 und 23.6.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.10.2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, für den Zeitraum vom 1.1. bis 31.7.2005 höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII zu zahlen.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Entgegen der Auffassung des LSG war die Berufung insgesamt zulässig. Ob der Kläger in der Zeit vom 1.1. bis 31.7.2005 einen Anspruch auf höhere Grundsicherungsleistungen hat, kann aber mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen durch das LSG zu Grund und Höhe der Leistungen - auch des ernährungsbedingten Mehraufwands - sowie zur Zuständigkeit des Beklagten nicht abschließend entschieden werden, auch wenn ihm entgegen den Ausführungen des LSG im streitbefangenen Zeitraum der Regelsatz für einen Haushaltsvorstand und für Alleinstehende in Höhe von 100 vH (Eckregelsatz) an Stelle des Regelsatzes für Haushaltsangehörige in Höhe von 80 vH des Eckregelsatzes zusteht.

9

Gegenstand des Revisionsverfahrens sind (nur noch) die Bescheide vom 4.4.2005, vom 28.4.2005 und vom 23.6.2005, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.10.2005 (§ 95 SGG), soweit (höhere) Leistungen für die Zeit vom 1.1. bis 31.7.2005 abgelehnt worden sind. Der Bescheid vom 28.4.2005 betrifft die Grundsicherungsleistung für den Monat Januar 2005, der Bescheid vom 4.4.2005 die Grundsicherungsleistung für die Zeit vom Februar 2005 bis 30.6.2005. Insoweit ersetzen diese Bescheide durch jeweils höhere Leistungsbewilligungen als zuvor den Bescheid vom 23.12.2004, mit dem ursprünglich die Leistung für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis 30.6.2005 bewilligt worden war, aber auch die Bescheide vom 10.2.2005 (Grundsicherungsleistung für Januar 2005) und vom 3.2.2005 (Grundsicherungsleistung für Februar 2005), die sich damit erledigt haben (§ 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -). So wird in den Bescheiden vom 4.4.2005 und vom 28.4.2005 auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Bescheide "alle vorhergehenden Bescheide über die Höhe der Gewährung von Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII" aufheben, "soweit sie sich auf gleiche Zeiträume beziehen". Der Bescheid vom 4.4.2005 nennt zwar nur die Leistung für den Monat Februar 2005 in Höhe von 602,92 Euro; Maßstab für die Inhaltsbestimmung der getroffenen Regelung ist aber der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11). Danach regelt der Bescheid die Leistung nicht nur für den Monat Februar 2005, sondern für die Zeit bis zum Ende des ursprünglich durch den Bescheid vom 23.12.2004 vorgesehenen Bewilligungszeitraums bis 30.6.2005. Dies zeigt schon die Bezeichnung als "Bescheid über die Änderung von laufenden Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung", die, ginge es nur um den vergangenen Monat Februar 2005, nicht nachvollziehbar wäre. Auch der Änderungsgrund, nämlich "Anerkennung des Mehrbedarfs für kostenaufwändigere Ernährung ab dem 1.2.2005" zeigt, dass nicht nur der Monat Februar 2005, sondern die gesamte Zeit ab 1.2.2005 bis zum Ende des Bewilligungsabschnitts gemeint ist. Gleiches gilt auch für die Anlage zum Bescheid, die die Bedarfsberechnung "ab dem Monat 02/05" mitteilt.

10

Gegenstand des Verfahrens ist auch der Bescheid vom 23.6.2005, der Leistungen für den Monat Juli 2005 regelt. Dieser ist nach § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens geworden(vgl dazu Urteil des Senats vom 14.6.2008 - B 8 AY 11/07 R - RdNr 10). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist hingegen nicht der Bescheid vom 12.7.2005, der die Leistungen für den Zeitraum vom 1.8.2005 bis 30.6.2006 regelt. Zwar war auch dieser Bescheid nach der Rechtsprechung des Senats (aaO) Gegenstand des Vorverfahrens nach § 86 SGG und nicht - wie das LSG meint - mangels Widerspruch bestandskräftig geworden. Mit seiner Revision hat der Kläger aber den Streitgegenstand ausdrücklich auf die Zeit vom 1.1.2005 bis zum 31.7.2005 begrenzt.

11

Entgegen der Auffassung des LSG hat der Kläger den Streitgegenstand nicht auf Kosten der Unterkunft, die Höhe des Regelsatzes und die Höhe des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung beschränkt. Wenn er in der ersten Instanz beantragt hat, den Beklagten zu höheren Leistungen zu verurteilen, "insbesondere unter Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten, des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes und der korrespondierenden Mehrbedarfe sowie unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von jedenfalls 100 Euro", so ist hierin nicht eine Beschränkung des Streitgegenstandes zu sehen, sondern nur eine - entbehrliche - Beschreibung des von ihm für einschlägig erachteten Leistungsgrundes (vgl dazu BSG, Urteil vom 14.4.2011 - B 8 SO 19/09 R). Erst recht wird dies vorliegend durch das Wort "insbesondere" deutlich, das der Annahme einer abschließenden Aufzählung (oder Begrenzung) des Begehrens entgegensteht. Auch haben die Beteiligten einzelne Teile des Anspruchs gerade nicht durch Teilvergleich oder -anerkenntnis geregelt (vgl dazu: BSGE 97, 217 ff RdNr 18 ff = SozR 4-4200 § 22 Nr 1; BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 1 RdNr 14). Mangels entsprechender Beschränkung des Streitgegenstandes ist damit die vom LSG gezogene Schlussfolgerung, die Berufung sei hinsichtlich der Versicherungsbeiträge unzulässig, falsch.

12

Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG iVm § 56 SGG). Richtiger Beklagter ist der Landrat des Kreises Ostholstein als beteiligtenfähige Behörde iS von § 70 Nr 3 SGG. Danach sind Behörden beteiligtenfähig, sofern das Landesrecht dies bestimmt (Behördenprinzip). Eine entsprechende Bestimmung enthält § 5 des Schleswig-Holsteinischen Ausführungsgesetzes zum SGG vom 2.11.1953 (Gesetz- und Verordnungsblatt 144, in der Bekanntmachung vom 4.8.1965, GVBl 53, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Schleswig-Holsteinischen Ausführungsgesetzes zum SGG vom 14.3.2011 - GVBl 72). Behörde in diesem Sinne ist der Landrat (vgl: BSGE 99, 137 ff RdNr 11 f = SozR 4-1300 § 44 Nr 11; BSGE 100, 131 ff RdNr 13 = SozR 4-3500 § 90 Nr 3). Hieran ändert auch nichts, dass die Leistungsbescheide von der Stadt Bad Schwartau erlassen wurden, die nach der Satzung des Kreises Ostholstein über die Heranziehung von kreisangehörigen Städten, Gemeinden und Ämtern zu Aufgaben der Sozialhilfe vom 15.1.2003 tätig geworden ist; denn die Heranziehung durch die genannte Satzung erfolgt nicht in einem auftragsähnlichen Verhältnis zum Handeln in eigenem Namen (zu dieser Voraussetzung: BSGE 99, 137 ff RdNr 11 = SozR 4-1300 § 44 Nr 11; BSG SozR 4-5910 § 88 Nr 3 RdNr 13 f), sondern nach § 1 der Heranziehungssatzung wurde diese vielmehr "beauftragt" und wurde erkennbar "im Namen des Kreises Ostholstein" und damit für dessen beteiligtenfähige Behörde, den Landrat, tätig.

13

Bei der Entscheidung, ob dem Kläger höhere Leistungen zustehen, sind grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen über Grund und Höhe der Leistungen (vgl dazu BSGE 99, 262 ff RdNr 12 mwN = SozR 4-3500 § 82 Nr 3) gemäß § 19 Abs 2 SGB XII iVm § 41 Abs 1 SGB XII(beide idF, die die Normen durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten haben) in der Zeit vom 1.1. bis 31.7.2005 zu prüfen. Danach können Personen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die das 65. Lebensjahr vollendet haben (Nr 1) oder das 18. Lebensjahr vollendet haben, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert iS von § 43 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) sind und bei denen unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann(Nr 2), auf Antrag Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII erhalten. Der Anspruch besteht nur, sofern der Leistungsberechtigte seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann (§ 19 Abs 2 Satz 1 SGB XII).

14

Der Senat vermag schon nicht zu beurteilen, ob der Kreis Ostholstein der hier örtlich und sachlich zuständige Träger der Sozialhilfe ist (§ 98 Abs 1 Satz 2 SGB XII). Nach § 2 des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (AG-SGB XII) vom 15.12.2005 (GVBl 568) iVm § 97 SGB XII ist der örtliche Träger der Sozialhilfe sachlich für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zuständig; örtliche Träger der Sozialhilfe sind nach § 1 AG-SGB XII die Kreise und kreisfreien Städte. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich dabei gemäß § 98 Abs 1 Satz 2 SGB XII nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten, zu dem jegliche Feststellungen des LSG fehlen. Diese wird es ggf nachzuholen haben, zumal - wie sich aus dem Akteninhalt ergibt - der Kläger Mitte 2004 seinen Hauptwohnsitz in Hamburg genommen hat und seine Mutter angibt, man halte sich (nur) "in den Ferien und am Wochenende in Bad Schwartau auf".

15

Unberücksichtigt bleiben kann allerdings, wenn der Beklagte der zuständige Leistungsträger ist, dass die Heranziehungssatzung vom 15.1.2003 naturgemäß keine Regelungen über die Heranziehung von kreisangehörigen Städten und Gemeinden zu den Aufgaben nach dem noch nicht existierenden SGB XII treffen konnte. Nach dem Willen des Landesgesetzgebers sollte die Rechtsgrundlage für den Erlass der Satzung (§ 4 Abs 3 Nr 1 GSiG iVm § 2 des Gesetzes zur Ausführung des GSiG vom 30.11.2002 - GVBl 239) nämlich zunächst nicht entfallen. Dies zeigt schon Art 15 Haushaltsstrukturgesetz (vom 15.12.2005 - GVBl 568), mit dem das AG-GSiG aufgehoben wurde. Die Aufhebung erfolgte nach Art 17 Haushaltsstrukturgesetz nicht rückwirkend zum 1.1.2005 oder zumindest mit dem Tag nach der Veröffentlichung, sondern erst zum 1.1.2007. Dementsprechend ist die abweichend (vgl § 37 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil -) von § 88 Abs 1 Satz 2 SGB X auf der gesetzlichen Ermächtigung des § 99 Abs 1 SGB XII iVm § 4 AG-SGB XII vom 15.12.2005 (GVBl 568) zulässigerweise ergangene Satzung des Kreises Ostholstein über die Heranziehung von kreisangehörigen Städten, Gemeinden und Ämtern zu Aufgaben der Sozialhilfe nach dem SGB XII vom 13.12.2006 erst am 1.1.2007 in Kraft getreten ist (§ 6 der Heranziehungssatzung vom 13.12.2006) und die alte Satzung behielt bis zu diesem Zeitpunkt ihre gesetzliche Grundlage. Die Satzung vom 15.1.2003 erfasst nach ihrem Sinn und Zweck dann unabhängig von der Bezeichnung des Gesetzes alle Aufgaben im Zusammenhang mit Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - also auch die nach §§ 41 ff SGB XII für die Zeit ab dem 1.1.2005. Welche rechtlichen Konsequenzen eine Beauftragung ohne gesetzliche Ermächtigung hätte, kann deshalb dahinstehen. Der Senat ist nicht gehindert, die dem Grunde nach nicht revisiblen (§ 162 SGG) landesrechtlichen Vorschriften anzuwenden und auszulegen, weil das LSG diese Vorschriften bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen hat (vgl nur BSGE 102, 10 ff RdNr 28 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2).

16

Das LSG hat auch zu den materiellrechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs keine Feststellungen getroffen; diese wird es nachholen müssen. In der Sache geht es dem Kläger um insgesamt höhere Leistungen (siehe oben). Insoweit hat das LSG jedenfalls zu Unrecht den Regelsatz eines Haushaltsangehörigen bei der Bemessung der Leistung zugrunde gelegt. Der Umfang der Leistungen bestimmt sich nach dem maßgeblichen Regelsatz (§ 42 Satz 1 Nr 1 SGB XII in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch iVm § 28 SGB XII in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 9.12.2004 - BGBl I 3305) und ggf dem auf diesen Bedarf anzurechnenden Einkommen (§§ 82 ff SGB XII idF des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch), hier den an den Kläger erbrachten tatsächlichen Unterhaltsleistungen (vgl dazu BSGE 99, 137 ff RdNr 23 = SozR 4-1300 § 44 Nr 11).

17

Der maßgebliche Regelsatz beträgt 345 Euro, nicht aber - wovon der Beklagte zu Unrecht ausgeht - 276 Euro. Nach § 28 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 1 SGB XII iVm §§ 2, 3 Abs 1 Satz 2 der auf der Grundlage des § 40 SGB XII erlassenen RSV(idF vom 3.6.2004 - BGBl I 1067) hat ein Haushaltsvorstand Anspruch auf 100 % des Regelsatzes; dieser betrug nach § 1 der Schleswig-Holsteinischen Regelsatzverordnung nach § 28 Abs 2 SGB XII vom 15.12.2004 (GVBl 505) bzw (für Juli 2005) nach § 1 der Landesverordnung über die Festsetzung der Regelsätze nach § 28 Abs 2 SGB XII vom 15.8.2005 (GVBl 331) 345 Euro; der Regelsatz für den Haushaltsvorstand gilt auch für Alleinstehende (§ 3 Abs 1 Satz 3 RSV). Die Regelsätze für sonstige Haushaltsangehörige betragen nach § 3 Abs 2 RSV bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 60 vH (Nr 1) und nach Vollendung des 14. Lebensjahres 80 vH des Eckregelsatzes (Nr 2).

18

Der Kläger ist kein Haushaltsangehöriger im Sinne der RSV. Die abgestufte Regelsatzhöhe beruht auf der Erwägung, dass bei einer gemeinsamen Haushaltsführung Ersparnisse die Annahme eines geringeren Bedarfs rechtfertigen. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hielt vor dem 1.1.2005 die Zuordnung als Haushaltsvorstand oder Haushaltsangehöriger in allen Konstellationen des Zusammenlebens für möglich und machte dies allein von einer gemeinsamen Wirtschaftsführung im Sinne einer "Wirtschaftsgemeinschaft" abhängig, deren Vorliegen allerdings bei nicht miteinander verwandten oder verschwägerten Personen besonders sorgfältig zu prüfen war (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1965 - V B 152.65 -, FEVS 14, 241, 242). Bei der Bestimmung des Begriffs des Haushaltsangehörigen in der RSV muss ab 1.1.2005 aber berücksichtigt werden, dass die Annahme einer Haushaltsersparnis nach den Regelungen des SGB II einer gegenüber den bisherigen Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) bzw GSiG abweichenden gesetzgeberischen Konzeption folgt. Der Gesetzgeber des SGB II hat die Annahme einer Haushaltsersparnis und Kürzung der Regelleistung nicht mehr mit einer individuellen Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse der zusammenlebenden Personen verbunden, sondern in § 20 SGB II typisierend prozentuale Abschläge von der Regelleistung wegen Haushaltsersparnis nur bei Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft vorgenommen und insofern bewusst auf die Normierung der Rechtsfigur eines "Haushaltsvorstandes" verzichtet(BSGE 97, 211 ff RdNr 19 = SozR 4-4200 § 20 Nr 2). Da aber bezogen auf die Minderung des Regelsatzes bzw der Regelleistung wegen Annahme einer Haushaltsersparnis für eine unterschiedliche Behandlung zwischen der Personengruppe der SGB-XII- und SGB-II-Leistungsempfänger im Hinblick auf die identische sozialrechtliche Funktion beider Leistungen (Sicherstellung des Existenzminimums) keine sachlichen Gründe erkennbar sind, hat der Senat bereits früher entschieden (BSGE 103, 181 ff = SozR 4-3500 § 42 Nr 2; BSGE 106, 62 ff RdNr 20 = SozR 4-3500 § 82 Nr 6; Gutzler in juris Praxiskommentar SGB XII , § 28 SGB XII RdNr 42), dass seit dem 1.1.2005 mit dem Systemwechsel durch das Inkrafttreten des SGB XII (Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) und des SGB II (Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 - BGBl I 2954) nach Maßgabe des Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 GG) und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem SGB II und dem SGB XII Einsparungen bei gemeinsamer Haushaltsführung nur dann anzunehmen sind, wenn die zusammenlebenden Personen bei Bedürftigkeit eine Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft iS des § 19 SGB XII bilden bzw bilden würden(anders für das bis zum 31.12.2004 geltende Recht des BSHG BSGE 104, 207 ff RdNr 18 f = SozR 4-3530 § 6 Nr 1).

19

Der Kläger war im streitigen Zeitraum bereits volljährig. Er lebte deshalb nicht in einer eine Bedarfs- oder Einsatzgemeinschaft rechtfertigenden Beziehung zu seiner Mutter. Nach § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II(in der hier maßgebenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) gehören nur die dem Haushalt angehörenden minderjährigen unverheirateten Kinder (der in § 7 Abs 3 Nr 1 bis 3 SGB II genannten Personen) zur Bedarfsgemeinschaft. Hieran ändert sich nichts dadurch, dass nach § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II in der ab dem 1.7.2006 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.3.2006 (BGBl I 558) auch volljährige bedürftige Kinder bis zum 25. Lebensjahr - wie der Kläger im streitigen Zeitraum - in Bedarfsgemeinschaften einbezogen wurden (vgl BT-Drucks 16/688 S 13). Betroffen ist hier ein Zeitraum vor der Änderung des § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II. Die Regelung gilt nicht rückwirkend, was nicht zuletzt § 68 Abs 1 SGB II belegt, wonach § 7 SGB II in der bis zum 30.6.2006 geltenden Fassung sogar weiterhin für Bewilligungszeiträume anzuwenden ist, die vor dem 1.7.2006 beginnen (Senatsurteil vom 23.3.2010 - B 8 SO 15/08 R - RdNr 15).

20

Ebenso wenig lebt der Kläger mit seiner Mutter in einer Einsatzgemeinschaft iS des SGB XII. Nach § 19 SGB XII bilden Kinder, die dem Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils angehören, mit diesen nur dann eine Einsatzgemeinschaft, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, sodass dem Kläger - unterstellt, er hat dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - für den Zeitraum vom 1.1. bis 31.7.2005 durchgängig statt 276 Euro (80 % des Eckregelsatzes für Haushaltsangehörige vom Beginn des 15. Lebensjahres an) nominal 345 Euro zustehen (vgl auch BSGE 106, 62 ff RdNr 17 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 6).

21

Die vom LSG hiergegen erhobene Kritik, die sich insbesondere auf die Regelungen der RSV stützt, verkennt die Tragweite von Art 3 GG. Es kann insbesondere nicht eingewandt werden, der Gesetzgeber habe auch die Möglichkeit, die Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 SGB II auf erwerbsfähige Hilfebedürftige ab dem 25. Lebensjahr zu erweitern. Bis zu einer etwaigen Änderung ist eine verfassungsrechtlich gebotene Harmonisierung nur möglich, indem der Kläger als Alleinstehender im Sinne der RSV zu behandeln ist, nicht aber, indem die RSV die Auslegung des SGB II diktiert. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9.2.2010, wonach der Regelbedarf durch den Gesetzgeber selbst zu verankern ist (BVerfGE 125, 175 ff, 223 und 256; vgl auch Gutzler in jurisPK-SGB XII, § 40 SGB XII RdNr 18). Ob für die Zeit ab 1.1.2011 im Hinblick auf die Regelungen des Regelbedarfsermittlungsgesetzes vom 24.3.2011 (BGBl I 453) eine andere Wertung vorzunehmen ist, bedarf hier keiner Entscheidung.

22

Entgegen der Auffassung des LSG ist auch nicht erkennbar, dass sich aus der Gewährung des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung des Klägers im Sinne einer Besserstellung gegenüber Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II ergäbe. Wenn in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen wird, dass eine Mutter und ihr in Haushaltsgemeinschaft lebendes erwachsenes Kind, das das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, insgesamt nur 180 % des Regelsatzes bzw der Regelleistung erhielten, so bezieht sich das nur auf die seit dem 1.7.2006 geltende Rechtslage (Gesetz vom 24.3.2006 - BGBl I 558), die ab diesem Zeitpunkt ggf auf das SGB XII zu übertragen wäre. Ebenso falsch ist die Auffassung des LSG, dass die Mutter, wenn sie Leistungsbezieherin nach dem SGB II wäre, nur 80 % des Eckregelsatzes beanspruchen könnte. Die Auffassung des LSG schließlich, es gebe keinen sachlichen Grund für einen höheren Leistungsanspruch des Klägers im Verhältnis zu einem in Bedarfsgemeinschaft oder in gemischter Bedarfsgemeinschaft lebenden Ehepaares, weil hier wie da von einer Haushaltsersparnis auszugehen sei, verkennt die gesetzgeberische Entscheidung zu den Personenbeziehungen, bei denen im Falle eines Zusammenlebens von Einsparungen auszugehen ist. Der Senat hat nicht die sozialpolitische Sinnhaftigkeit der gesetzgeberischen Entscheidung zu bewerten und ggf eine Korrektur vorzunehmen.

23

Soweit es die Versicherungsbeiträge betrifft, wird das LSG jedenfalls für den Monat Januar, in dem der Kläger Unterhaltsleistungen bezogen hat, zu prüfen haben, inwieweit die Beiträge als mögliche Abzüge vom Einkommen gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind (vgl § 82 Abs 2 Nr 3 SGB XII; dazu BSGE 104, 207 ff RdNr 20 ff = SozR 4-3530 § 6 Nr 1). Für die Zeit ab Februar 2005 ist - sieht man von der Sterbegeldversicherung ab - mangels Einkommens des Klägers eine "Berücksichtigung" der Versicherungsbeiträge im Sinne einer Übernahme durch den Beklagten nicht möglich. Soweit Versicherungsbeiträge Bestandteil des notwendigen Lebensunterhalts und die Beiträge angemessen sind, werden sie im Übrigen in der Regel pauschal durch den Regelsatz abgegolten. Etwas anderes gilt nach § 33 Abs 2 SGB XII allerdings für ein angemessenes Sterbegeld. Nach § 33 SGB XII(idF des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) können die erforderlichen Kosten übernommen werden, die erforderlich sind, um die Voraussetzungen eines Anspruchs auf ein angemessenes Sterbegeld zu erfüllen. Zwar umfasste die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach § 42 SGB XII(in den hier maßgebenden Fassungen des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch bzw ab 30.3.2005 des Gesetzes zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht vom 21.3.2005) bis 31.12.2008 nicht Leistungen nach § 33 SGB XII(erst mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 21.12.2008 - BGBl I 2008, 2933 - wurden mit Wirkung vom 1.1.2009 die Vorsorgebeiträge entsprechend § 33 SGB XII in den Katalog des § 42 Satz 1 SGB XII aufgenommen). Die Übernahme der Kosten für ein angemessenes Sterbegeld scheidet deswegen aber nicht aus. Soweit § 19 Abs 2 Satz 3 SGB XII einen Vorrang der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung regelt, gilt dies nur, soweit §§ 41 ff SGB XII Leistungen auch tatsächlich vorsehen; einen Ausschluss von Leistungen des Dritten Kapitels regelt § 19 Abs 2 Satz 3 SGB XII nicht(Coseriu in jurisPK-SGB XII, § 19 SGB XII RdNr 43 ff). Ob die Voraussetzungen des § 33 SGB XII vorliegen, wird das LSG deshalb ggf prüfen müssen.

24

Das LSG wird auch prüfen müssen, ob dem Kläger (höhere) Leistungen wegen eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs zustehen. Dabei wird es - ohne dass es wegen der ohnehin erforderlichen Zurückverweisung der Sache darauf ankommt, ob ein Verfahrensmangel ordnungsgemäß gerügt wurde - weitere Ermittlungen anzustellen haben. Nach § 42 Nr 3 iVm § 30 Abs 5 SGB XII wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Liegen bei einem Leistungsempfänger mehrere Erkrankungen vor, für die jeweils ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen Gründen geltend gemacht wird, so ist der Ernährungsaufwand aufgrund des gesamten Krankheitsbildes konkret zu ermitteln (BSGE 100, 83 ff RdNr 39 ff = SozR 4-4200 § 20 Nr 6). Maßgeblich ist stets der Betrag, mit dem der medizinisch begründete, tatsächliche Kostenaufwand für eine Ernährung ausgeglichen werden kann, der von der Regelleistung nicht gedeckt ist. Er ist im Einzelfall im Wege der Amtsermittlung durch Einholung medizinischer und/oder ernährungswissenschaftlicher Stellungnahmen oder Gutachten zu klären (BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 2 RdNr 28). Das LSG hat zu der behaupteten Kuhmilch- sowie der Hühnereiweißallergie lediglich ausgeführt, diese seien im Alter des Klägers unwahrscheinlich, Letztere könne auch durch Weglassen des Nahrungsmittels therapiert werden. Abgesehen davon, dass nicht deutlich wird, woher das LSG ausreichende Sachkunde über Therapiemöglichkeiten von Allergien besitzt, ist es für einen ernährungsbedingten Mehraufwand nicht entscheidend, ob ein bestimmtes Nahrungsmittel bei der Ernährung weggelassen werden kann; dies ist bei einer Allergie gegen ein bestimmtes Nahrungsmittel selbstverständlich. Entscheidend ist vielmehr, ob und durch welche Nahrungsmittel es ersetzt werden muss und ob hierdurch Mehrkosten entstehen. Wenn - wovon das LSG zu Recht ausgeht - insoweit eine pauschale Bescheinigung des Hausarztes zum Nachweis des Mehrbedarfs ungeeignet ist, hätte es sich aufgedrängt, weitere Ermittlungen zu einem etwaigen Mehrbedarf anzustellen und dabei nicht die einzelne Allergie isoliert betrachten. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Ernährungsaufwands das gesamte Krankheitsbild unter Berücksichtigung wechselseitiger Auswirkungen der Erkrankungen (Allergien) auf die Ernährung einzubeziehen. Im Hinblick auf die Untersuchungsmaxime (§ 103 SGG) durfte das LSG die erforderlichen Ermittlungen auch nicht ohne weiteres mit der Begründung unterlassen, der Kläger selbst habe nicht dargelegt, auf welche Lebensmittel er verzichten und welche er an deren Stelle erwerben müsse und dass damit Mehrkosten verbunden seien. Hier hätte es nahegelegen, ggf ein ernährungswissenschaftliches Sachverständigengutachten einzuholen.

25

Das LSG wird schließlich auch prüfen müssen, ob - unterstellt, der Kläger hat einen Anspruch auf Leistungen nach §§ 41 ff SGB XII - aus anderen Gründen eine höhere Leistung zu erbringen ist und ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 29. Juni 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen, soweit die Entscheidung nicht die Überleitung des Rentenanspruchs betrifft.

Tatbestand

1

Im Streit ist - noch - die Heranziehung der Klägerin zu den Kosten einer Maßnahme sowie die Erstattung von Rentenzahlungen, die unmittelbar an den Beklagten erfolgt sind, hilfsweise die Zahlung von mehr als 89,70 Euro monatlich als Leistung für den Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 10.11.2005 bis 31.5.2006.

2

Die alleinstehende Klägerin ist 1962 geboren und leidet an einer Persönlichkeitsstörung. Sie befand sich nach einem Klinikaufenthalt in B (Kreis N) vom 10.11.2005 bis 31.5.2006 wegen drohender Obdachlosigkeit im Wohnheim der B in H (Kreis N). Der Beklagte gewährte Eingliederungshilfe als stationäre Leistung und bewilligte einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung in Höhe von 89,70 Euro monatlich, zog die Klägerin jedoch in Höhe der ihr zustehenden gesetzlichen Erwerbsminderungsrente (bis 31.3.2006 monatlich 525,77 Euro, ab 1.4.2006 monatlich 523,44 Euro) zu den Kosten (der Hilfe zum Lebensunterhalt wegen der insoweit ersparten Aufwendungen) heran und leitete die Rente in vollem Umfang auf sich über, weil diese niedriger sei als der mit 659,85 Euro monatlich anzusetzende Bedarf für den Lebensunterhalt (Bescheid vom 14.11.2005; Widerspruchsbescheid vom 24.5.2006). Diese wurde deshalb im streitbefangenen Zeitraum vom Rentenversicherungsträger unmittelbar an den Beklagten gezahlt.

3

Mit ihrer Klage wandte sich die Klägerin gegen die Heranziehung zu den Kosten sowie die Überleitung ihrer Erwerbsminderungsrente und machte hilfsweise höhere Leistungen für den Lebensunterhalt als die gezahlten 89,70 Euro monatlich geltend. Die Klage blieb erst- und zweitinstanzlich ohne Erfolg (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom 29.9.2010; Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 29.6.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die vollständige Heranziehung der Rente zur anteiligen Deckung der Kosten für den Lebensunterhalt sei angemessen, weil die tatsächlichen Kosten die Höhe der Rente überstiegen und der Klägerin der Barbetrag zur Deckung ihrer persönlichen Bedürfnisse verbleibe. Die von dieser gerügten Mängel in der Einrichtung (mangelhafte Verpflegung und Sauberkeit) sowie eine daraus ggf resultierende finanzielle Mehrbelastung habe sie allein mit dem Träger der Einrichtung zu klären, weil insoweit nur das zivilrechtliche, durch den Betreuungsvertrag geregelte Innenverhältnis, nicht das Verhältnis zum Sozialhilfeträger, betroffen sei. Der Barbetrag sei auch nicht wegen der finanziellen Aufwendungen für Medikamente gegen Erkältungskrankheiten zu erhöhen, weil im Leistungszeitraum kein höherer als der mit dem Barbetrag pauschal abgegoltene Gesamtbedarf dargelegt worden sei. Das Bundessozialgericht (BSG) habe zudem bereits entschieden, dass Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - ) aus der Regelleistung zu finanzieren seien; für den Barbetrag gelte nichts anderes.

4

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 35 Abs 2 SGB XII in der vor 2011 geltenden Fassung. Die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente seien nicht aus dem Regelbarbetrag zu finanzieren; dieser müsse deshalb um die Kosten für die notwendigen Medikamente erhöht werden. In einer (voll-)stationären Einrichtung Untergebrachten sei eine Finanzierung durch Verschiebung der Ausgabepositionen innerhalb eines Regelsatzes (zum Ausgleich entstandener Mehraufwendungen) nicht möglich. Auch notwendige Aufwendungen wegen unzureichender Versorgung mit Lebensmitteln sowie zur Sicherstellung von Sauberkeit und Hygiene müssten zumindest über einen erhöhten Barbetrag kompensiert werden. Ohnedies habe das LSG § 82 Abs 4 SGB XII in der bis 6.12.2006 geltenden Fassung unrichtig angewandt; es sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass sie in Höhe ihrer Erwerbsminderungsrente zu den Kosten habe herangezogen werden dürfen. Ihr hätte ein Teil der direkt an den Beklagten überwiesenen Rente zur Finanzierung der bezeichneten Mehrkosten verbleiben müssen; dieser müsse nachträglich an sie ausgezahlt werden.

5

Nachdem der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung die Verfügung über die Überleitung des Rentenanspruchs (als rechtswidrig) zurückgenommen hat, beantragt die Klägerin,

        

das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG sowie den Bescheid vom 14.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.5.2006 insoweit aufzuheben, als darin ihre Heranziehung zu den Kosten der stationären Unterbringung verfügt ist, und den Beklagten zu verurteilen, die an ihn insoweit gezahlten Beträge an sie zu zahlen,

hilfsweise,

        

das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG sowie den Bescheid vom 14.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.5.2006 nur insoweit aufzuheben, als darin eine höhere Geldleistung als 89,70 Euro monatlich abgelehnt worden ist und den Beklagten zu verurteilen, höhere Leistungen des weiteren notwendigen Lebensunterhalts für die Zeit vom 10.11.2005 bis 31.5.2006 zu zahlen.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

8

Während des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten vor dem SG in den Verfahren S 17 SO 7/10 und S 17 SO 137/10 einen Vergleich geschlossen (feststellender Beschluss vom 7.8.2012), dessen Ziffer 3 ua wie folgt lautet: "Die Klägerin macht ebenfalls keine weiteren Leistungsnachzahlungen für die Leistungszeiträume bis einschließlich November 2010 mehr geltend".

Entscheidungsgründe

9

1. Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz), weil über ihr gegen den Beklagten zu richtendes (dazu Nr 3) Begehren (dazu Nr 2) mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)nicht entschieden werden kann, und zwar weder über den Hauptantrag (dazu Nr 4 bis 6) noch über den prozessual zulässigen Hilfsantrag (zu diesem Nr 7 bis 10). Damit steht auch nicht fest, ob überhaupt über den Hilfsantrag zu befinden ist, wobei insoweit ggf eine Beiladung vorzunehmen (dazu Nr 8) und die Zulässigkeit der Klage im Hinblick auf einen Gerichtsvergleich zu überprüfen ist (dazu Nr 9).

10

2.a) Die Klägerin verlangt in der Sache die volle bzw teilweise Zahlung des Betrags der Rente, der vom Rentenversicherungsträger unmittelbar an den Beklagten für den streitbefangenen Zeitraum gezahlt worden ist sowie eine völlige bzw teilweise Aufhebung der entsprechenden Heranziehungsverfügung des Beklagten. Nur für den Fall, dass keine Auszahlung dieser Rentenbeträge durch den Beklagten an sie möglich sein sollte, macht sie höhere Leistungen für den Lebensunterhalt geltend. Insoweit orientiert sich ihr Klageziel (§ 123 SGG) an dem durch Auslegung ermittelten Inhalt des Bescheids vom 14.11.2005 in der Gestalt des unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter (§ 116 Abs 2 SGB XII) erlassenen Widerspruchsbescheids vom 24.5.2006 (§ 95 SGG). Dieser enthielt mehrere Verfügungen iS des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) als eigenständig angreifbare Verwaltungsakte: die Bewilligung von Eingliederungshilfe als stationäre Leistung sowie die Bewilligung eines Barbetrags zur persönlichen Verfügung in Höhe von 89,70 Euro monatlich, die Heranziehung der Klägerin zu den Kosten des in der Einrichtung erbrachten Lebensunterhalts in Höhe der ihr bewilligten gesetzlichen Erwerbsminderungsrente und die - in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommene - Überleitung der Rente.

11

b) Die Klägerin macht ihr Anliegen im Hauptantrag entweder wegen der zurückgenommenen Überleitungsanzeige in Form einer echten Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) oder nach § 54 Abs 1 und 4 SGG mit der Anfechtungsklage gegen die Heranziehungsverfügung und der nach deren Aufhebung durch das Gericht gerechtfertigten unechten Leistungsklage geltend. Mit ihrem Hilfsantrag wendet sie sich ebenfalls im Rahmen einer Anfechtungs- und Leistungsklage gegen die Ablehnung höherer Leistungen des weiteren notwendigen Lebensunterhalts für die Zeit vom 10.11.2005 bis 31.5.2006. Soweit mit dem Haupt- bzw Hilfsantrag eine Leistungsklage erhoben worden ist, ist diese gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 SGG).

12

Formal ist damit mit dem Hauptantrag Gegenstand des Verfahrens der Bescheid vom 14.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.5.2006 nur, soweit darin die Heranziehung der Klägerin zu den Kosten in Höhe der ihr bewilligten Erwerbsminderungsrente verfügt worden ist. Mit dem Hilfsantrag wendet sich die Klägerin formal gegen die Ablehnung einer höheren Geldleistung als 89,70 Euro monatlich. Insoweit ist die Prüfung auch nach ihrem im Revisionsverfahren klarstellend formulierten Antrag nicht allein darauf beschränkt, ob ihr ein höherer monatlicher Barbetrag zusteht; vielmehr war Ziel der Klägerin im Verwaltungs- und Klageverfahren von Anfang an die hilfsweise - wenn ihr schon die Rente voll genommen würde - Zahlung höherer Geldleistungen als 89,70 Euro monatlich, gleichgültig aus welchem Rechtsgrund. Über die bestandskräftige Bewilligungsverfügung betreffend die Eingliederungshilfe (Übernahme und Zahlung der Kosten für die Unterbringung in der stationären Einrichtung) ist dabei nicht zu befinden (vgl zur zulässigen streitgegenständlichen Begrenzung nur Coseriu in juris Praxiskommentar SGB XII, § 19 SGB XII RdNr 76.2 mwN). Deshalb bedurfte es auch keiner Beiladung des Einrichtungsträgers nach § 75 Abs 2 1. Alt SGG (echte notwendige Beiladung; vgl dazu bei einem Rechtsstreit über höhere Leistungen nur BSGE 102, 1 ff = SozR 4-1500 § 75 Nr 9).

13

3. Richtiger Beklagter ist der Landrat als Behörde (vgl: BSGE 99, 137 ff RdNr 11 f = SozR 4-1300 § 44 Nr 11; BSGE 100, 131 ff RdNr 13 = SozR 4-3500 § 90 Nr 3; Söhngen in jurisPK SGB XII, § 99 SGB XII RdNr 19 ff mwN)des Kreises Nordfriesland. Nach § 70 Nr 3 SGG sind nämlich Behörden beteiligtenfähig, sofern das Landesrecht dies - wie hier - bestimmt (Behördenprinzip). Eine entsprechende Bestimmung enthält § 5 Schleswig-Holsteinisches Ausführungsgesetz zum SGG vom 2.11.1953 (Gesetz- und Verordnungsblatt 144, in der Bekanntmachung vom 4.8.1965 - GVBl 53). Zur eigenständigen Überprüfung des Landesrechts war der Senat mangels eigener Feststellungen des LSG berechtigt (vgl nur BSGE 103, 39 ff RdNr 12 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1).

14

4. Soweit es den Hauptantrag der Klägerin betrifft, ist ein anderer Sozialhilfeträger nicht notwendig beizuladen (§ 75 Abs 2 SGG). Dies käme allenfalls in Betracht, wenn der Beklagte über § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) zur Leistungserbringung zuständig geworden wäre(vgl dazu unter Nr 8). Daraus würde jedoch keine Zuständigkeit zum Erlass der Heranziehungsverfügung resultieren, sondern nur zur Leistungsbewilligung selbst. Sinn und Zweck der Regelung des § 14 SGB IX über die "vorläufige" Zuständigkeit des Rehabilitationsträgers, der einen Antrag nicht fristgerecht weitergeleitet hat bzw an den ein solcher Antrag rechtzeitig weitergeleitet worden ist, ist es lediglich, durch rasche Zuständigkeitsklärung eine möglichst schnelle Leistungserbringung zu gewährleisten(vgl dazu grundlegend BSGE 93, 283 ff = SozR 4-3250 § 14 Nr 1). Dieser Zielsetzung wird allerdings bereits durch die Leistungsbewilligung selbst Rechnung getragen; es besteht keine Notwendigkeit, damit auch die Zuständigkeit für die rechtlich eigenständige Heranziehungsverfügung zu verlagern.

15

5. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch gegen den Beklagten auf Auskehrung von an diesen gezahlten Rentenbeträgen ergibt sich nicht bereits als Folge der Rücknahme der Überleitungsanzeige, und zwar weder als Folgenbeseitigungsanspruch noch als öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. Mit der Rücknahme der rechtswidrigen Überleitungsanzeige - von einer Nichtigkeit (§ 40 SGB X) war jedenfalls nicht auszugehen - durch den Beklagten ergab sich zwar ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch (Armbruster in jurisPK SGB XII, § 93 SGB XII RdNr 98; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.11.2007 - L 7 SO 73/06); denn die daraus resultierende Rechtslage ist § 816 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) iVm § 407 Abs 1 BGB (Herausgabe der an den nicht Berechtigten erbrachten Leistung, die dem Berechtigen gegenüber wirksam ist) iVm § 412 BGB vergleichbar: Der Rentenversicherungsträger hat wirksam erfüllt, weil er aufgrund eines zunächst wirksamen und erst nachträglich (ex tunc) entfallenen Anspruchsübergangs (durch Überleitungsanzeige) an den Beklagten gezahlt hat. Daraus ergab sich, ohne dass dies bereits eine unmittelbare Folge der Überleitungsanzeige selbst gewesen wäre, wie dies für die Anwendung des Folgenbeseitigungsanspruchs erforderlich wäre (Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl 2012, § 113 RdNr 80 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 131 RdNr 4 mwN), zwar die für die Anwendung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs erforderliche, nicht mit der materiellen Rechtslage übereinstimmende Vermögenslage (vgl nur BSG, Urteil vom 2.7.2013 - B 4 AS 72/12 R, RdNr 28 mwN); dem Erstattungsanspruch stünde jedoch entgegen, dass der Beklagte, solange die Heranziehungsverfügung noch wirksam ist, von der Klägerin die Zahlung des zu erstattenden Betrags sofort wieder zurückverlangen könnte ("dolo agit qui petit quod statim redditurus est"). Damit ist der Erstattungsanspruch der Klägerin letztlich von der vorherigen Aufhebung der Heranziehungsverfügung abhängig.

16

6.a) Ob diese rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist, kann jedoch nicht abschließend entschieden werden. Dies misst sich entgegen der Ausführungen des LSG unmittelbar weder an § 82 Abs 4 SGB XII(hier in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 9.12.2004 - BGBl I 3305 - erhalten hat, aufgehoben und ersetzt durch § 92a SGB XII aufgrund des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - BGBl I 2670 - mit Wirkung ab 7.12.2006) bzw § 88 Abs 1 Nr 3 Satz 2 SGB XII(hier in der Fassung, die die Norm aufgrund des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - bis 6.12.2006 hatte), sondern an § 92 Abs 1 Satz 2 SGB XII(hier in der Fassung des Gesetzes vom 27.12.2003). Selbst wenn in jenen Vorschriften formuliert ist, dass die "Aufbringung" von Mitteln verlangt werden kann, so bedeutet dies nach der Grundkonzeption des Sozialhilferechts gleichwohl nicht, dass § 82 Abs 4, § 88 Abs 1 Nr 3 SGB XII selbst die Ermächtigung zum Erlass von Heranziehungsbescheiden enthalten. Vielmehr gilt nach der Systematik im Sozialhilferecht grundsätzlich das sog Nettoprinzip; Leistungen werden danach - außer in den ausdrücklich gesetzlich angeordneten Fällen - nur in Höhe des Betrags erbracht, der die für die Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 82 bis 84 SGB XII)und/oder die für die besonderen Sozialhilfeleistungen (§§ 85 bis 89 SGB XII) vorgesehenen Grenzen der Berücksichtigung von Einkommen überschreitet, wenn auch kein Vermögen vorhanden ist (so ausdrücklich BT-Drucks 16/2711, S 12 zu Nr 15).

17

Da vorliegend § 19 Abs 5 SGB XII (sog unechte Sozialhilfe) nicht einschlägig ist, kann Rechtsgrundlage der Heranziehung lediglich § 92 Abs 1 SGB XII sein. Nach dessen Satz 1 sind Leistungen auch dann in vollem Umfang zu erbringen, wenn den in § 19 Abs 3 SGB XII genannten Personen die Aufbringung der Mittel (nur) zu einem Teil zuzumuten ist, soweit eine Behinderung Leistungen für eine stationäre Einrichtung, für eine Tageseinrichtung für behinderte Menschen oder für ärztliche oder ärztlich verordnete Maßnahmen erfordert; in Höhe dieses (zumutbaren) Teils haben sie nach Satz 2 zu den Kosten der erbrachten Leistungen beizutragen. Bei diesen ist dann wiederum zu unterscheiden zwischen den Kosten für (darin enthaltenen) Lebensunterhalt und den sonstigen Maßnahmekosten (dazu Nr 6 b). Die in § 92 Abs 1 Satz 1 SGB XII gewählte Formulierung "den in § 19 Abs 3 genannten Personen" ist insoweit ungenau und missverständlich; erfasst werden vielmehr auch die in § 19 Abs 1 SGB XII (für die Hilfe zum Lebensunterhalt) bezeichneten Personen, die ohnedies mit denen des Abs 3 identisch sind.

18

b) Die Höhe des für den darin enthaltenen Lebensunterhalt einzusetzenden Einkommens bestimmt sich nach den §§ 82 bis 84 SGB XII bei stationären Leistungen in Einrichtungen unter Berücksichtigung eines normativen Bedarfs, der sich aus § 35 Abs 1 Satz 2 SGB XII(idF, die § 35 durch das Gesetz vom 9.12.2004 erhalten hat) iVm § 42 Satz 1 Nr 1 bis 3 SGB XII(hier in der Normfassung des Gesetzes vom 27.12.2003 und ab 22.3.2005 des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes vom 21.3.2005 - BGBl I 818) ergibt. Der so ermittelte Betrag ist allerdings lediglich ein normativer Berechnungsposten - auch für die Beurteilung der Bedürftigkeit - der in der Einrichtung erbrachten Hilfe zum Lebensunterhalt, unabhängig vom tatsächlichen Wert dieses Leistungsteils (Behrend in jurisPK SGB XII, § 27b SGB XII RdNr 26 ff; BT-Drucks 16/2711, S 11 zu Nr 9); § 35 Abs 1 SGB XII soll auf diese Weise die mit der Systematik des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) verbundene Begünstigung von Teilnehmern an stationären Maßnahmen beseitigen(Behrend, aaO, RdNr 25; vgl auch BT-Drucks 15/1514 S 54 <"Maßnahmeleistung und Deckung des Lebensunterhalts nicht mehr einheitliche Leistung">), indem sich die Bedürftigkeit für den Lebensunterhalt nicht mehr wie vor dem 1.1.2005 an den günstigeren Einkommensberücksichtigungsregelungen der Hilfe in besonderen Lebenslagen misst (s dazu § 27 Abs 3 BSHG: Hilfe in besonderen Lebenslagen umfasst auch den Lebensunterhalt und einmalige Leistungen). Beschränkungen bzw Modifizierungen der ansonsten üblichen Einkommensberücksichtigung enthielt jedoch für den streitbefangenen Zeitraum § 82 Abs 4 SGB XII(vgl seit 3.12.2006 § 92a SGB XII). Weitere Modifizierungen ergeben sich aus § 88 Abs 1 Nr 3 Satz 2 SGB XII für die sonstigen Maßnahmekosten(dazu Nr 6e) und dem vorliegend nicht einschlägigen § 92 Abs 2 SGB XII für bestimmte besonders privilegierte Maßnahmen.

19

c) Es ist bereits nicht sicher zu beurteilen, ob der Beklagte örtlich und sachlich zuständig war. Dies richtet sich auch für die Heranziehungsverfügung nach § 3 SGB XII iVm § 97 Abs 1, 2 und 4 SGB XII, § 100 Abs 1 BSHG(geltend bis 31.12.2006) und dem Landesrecht sowie nach § 98 Abs 2 SGB XII. Es fehlen tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG, auf deren Grundlage dem Senat eine abschließende Entscheidung mithilfe des maßgeblichen Landesrechts - das LSG selbst hat dies nicht geprüft - ermöglicht würde. Gemäß § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII ist nämlich für die stationäre Leistung der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung hat oder - sofern es einen solchen zu diesem Zeitpunkt nicht gab - in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt hatte. War bei Einsetzen der Sozialhilfe die Leistungsberechtigte aus einer Einrichtung im Sinne des Satzes 1 in eine andere Einrichtung oder von dort in weitere Einrichtungen übergetreten oder tritt nach dem Einsetzen der Leistung ein solcher Fall ein, ist hingegen der gewöhnliche Aufenthalt, der für die erste Einrichtung maßgebend war, entscheidend (§ 98 Abs 2 Satz 2 SGB XII).

20

Das LSG hat hierzu lediglich ausgeführt, dass sich die Klägerin vor der Aufnahme in die B
 in einer Klinik in B befunden habe, nicht aber, ob es sich bei dieser um eine Einrichtung (s zum Einrichtungsbegriff das Senatsurteil vom 23.8.2013 - B 8 SO 14/12 R) gehandelt hat. Daher ist - weil der gewöhnliche Aufenthalt der Klägerin davor nicht bekannt ist - möglicherweise nicht nur die örtliche Zuständigkeit des Beklagten betroffen; § 42 SGB X mit seiner Regelung über die Unerheblichkeit eines Verstoßes allein gegen die Vorschriften der örtlichen Zuständigkeit käme dann nicht zur Anwendung. Ohne Bedeutung für die Zuständigkeit zum Erlass der Heranziehungsverfügung ist jedoch, dass die Eingliederungshilfeleistung selbst bestandskräftig bewilligt worden ist. Es existiert keine Norm, die es erlauben würde, aus der Bestandskraft einer rechtswidrigen Bewilligung eine Zuständigkeit auch für darauf aufbauende belastende Verwaltungsakte abzuleiten. Im Gegenteil: §§ 44 ff SGB X(vgl § 44 Abs 3, § 45 Abs 5, § 46 Abs 2, § 47 Abs 3, § 48 Abs 4 SGB X)verdeutlichen, dass es sogar für die Aufhebung bestandskräftiger Verwaltungsakte auf die (eigentliche) Zuständigkeit ankommt.

21

d) Auch die materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der hinreichend bestimmten Heranziehungsverfügung (§ 33 SGB X) sind nicht beurteilbar; dabei kann trotz der bestandskräftigen Leistungsbewilligung die Rechtsmäßigkeit der Leistung selbst nicht dahinstehen (BVerwGE 38, 205, 207; Bundesverwaltungsgericht , Urteil vom 23.6.1997 - V C 12.71 - BVerwGE 38, 205). Eine Rechtswidrigkeit ist jedenfalls - nachdem die Überleitungsanzeige zurückgenommen ist - nicht schon deshalb anzunehmen, weil der Beklagte neben der Heranziehungsverfügung den Rentenanspruch zunächst gemäß § 93 SGB XII auf sich übergeleitet hat(vgl BVerwGE 38, 205, 207), wie insbesondere § 93 Abs 1 Satz 3 SGB XII verdeutlicht; problematisch ist nur die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige (vgl dazu allgemein Armbruster in jurisPK SGB XII, § 93 RdNr 77 mwN). Selbst wenn man unterstellt, es habe sich bei der Maßnahme in H um eine stationäre Einrichtung gehandelt, fehlt es an Ausführungen dazu, ob, wie dies § 92 Abs 1 Satz 1 iVm Satz 2 SGB XII verlangt, die Behinderung der Klägerin die Leistungen in der stationären Einrichtung erforderlich gemacht haben; immerhin heißt es im Urteil des LSG, die Klägerin sei "wegen drohender Obdachlosigkeit" in das Wohnheim aufgenommen worden, sodass es sich auch richtigerweise um Leistungen nach §§ 67 ff SGB XII (Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten) gehandelt haben könnte.

22

Lägen die Voraussetzungen des § 92 Abs 1 Satz 1 SGB XII nicht vor, hätte auch keine Heranziehung verfügt werden dürfen. Der Verstoß der Leistungsbewilligung durch eine rechtswidrig begünstigende Wahl des Bruttoprinzips müsste dann über § 45 SGB X korrigiert werden. Sollte die Heranziehungsverfügung nicht aus diesem Grund rechtswidrig sein, bliebe eine Prüfung der Leistungsvoraussetzungen (wohl der §§ 53, 54 SGB XII - Eingliederungshilfe) und, soweit es den (integralen) Lebensunterhalt betrifft, des § 21 SGB XII iVm § 5 Abs 2 SGB II iVm § 7 Abs 4 SGB II, der den Ausschluss der nach dem SGB II dem Grunde nach Leistungsberechtigten von Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII beinhaltet(vgl zu dieser Problematik Eicher in jurisPK SGB XII, § 21 SGB XII RdNr 28 und 37 ff mwN).

23

e) Auch die rechtmäßige Höhe der Heranziehung ist nicht beurteilbar. Diese misst sich an § 82 Abs 4 SGB XII. Nach dessen Satz 1 kann die Aufbringung der Mittel für Leistungen nach dem Dritten Kapitel, also der Hilfe für den Lebensunterhalt, von einer Person verlangt werden, die in einer teilstationären oder stationären Einrichtung lebt, soweit Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt erspart werden. Darüber hinaus soll in angemessenem Umfang die Aufbringung der Mittel verlangt werden von Personen, die auf voraussichtlich längere Zeit der Pflege in einer Einrichtung bedürfen, solange sie nicht einen anderen überwiegend unterhalten (Satz 2). Dagegen ist § 88 Abs 1 Nr 3 SGB XII für die Kosten zum Lebensunterhalt nicht anwendbar. Auch in dieser Vorschrift ist zwar geregelt, dass die Aufbringung der Mittel bei Einkommen unter der Einkommensgrenze verlangt werden kann, soweit bei teilstationären oder stationären Leistungen Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt erspart werden; auch nach dessen Satz 2 soll darüber hinaus in angemessenem Umfang die Aufbringung der Mittel verlangt werden von Personen, die auf voraussichtlich längere Zeit der Pflege in einer Einrichtung bedürfen, solange sie nicht einen anderen überwiegend unterhalten. Nach der systematischen Stellung des § 88 SGB XII kann diese Vorschrift jedoch eine Beteiligung an den Aufwendungen für den Lebensunterhalt von vornherein nicht beinhalten(BT-Drucks 16/2711, S 12 zu Nr 14). Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Gesetzgeber diese Vorschrift mit der Einführung des SGB XII versehentlich aus dem BSHG (dort § 85 Abs 1 Nr 3) übernommen hat, obwohl die Systematik der Einkommensberücksichtigung bei stationären und teilstationären Leistungen insbesondere im Hinblick auf die unterschiedliche Beurteilung von integralen Leistungen für den Lebensunterhalt und den sonstigen Kosten der Maßnahme grundsätzlich geändert wurde (dazu Nr 6b). Es kann nicht angenommen werden, dass nebeneinander zwei Regelungen über den Einsatz von Einkommen gelten sollten, soweit es den Lebensunterhalt betrifft. Dies erkennend hat der Gesetzgeber - allerdings erst mit Wirkung ab 3.12.2006 - die Norm später korrigiert; hieraus wird deutlich, dass § 88 Abs 1 Nr 3 SGB XII alte Fassung (aF) ausschließlich sonstige Kosten der Maßnahme betreffen konnte(vgl BT-Drucks 16/2711 S 12 zu Nr 14).

24

f) Die auf § 82 Abs 4 SGB XII gestützte Heranziehungsverfügung ist indes nicht bereits wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig; dies gilt sowohl für Satz 1 wie Satz 2. Dass in Satz 1 die Formulierung "kann" gewählt wurde, bedeutet nicht, dass dies ein Indikator für Ermessen darstellen würde, vielmehr muss diese Formulierung im Kontext der Neukonzipierung der teilstationären und stationären Leistungen des SGB XII (s Nr 6b), mit der die frühere Begünstigung der Empfänger von stationären und teilstationären Maßnahmen beseitigt werden sollte, als "darf nur" gelesen werden (aA: Behrend in jurisPK SGB XII, § 92a SGB XII RdNr 16, Lücking in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 92a RdNr 16, Stand Juni 2008; Schoch in Lehr- und Praxiskommentar SGB XII, 9. Aufl 2012, § 92a SGB XII RdNr 10; Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 92a SGB XII RdNr 14; zu § 85 Abs 1 Nr 3 Satz 1 BSHG auch BVerwG Buchholz 436.0 § 85 BSHG Nr 7). Vor diesem Hintergrund ist auch entgegen der Ansicht des LSG für die Anwendung des Satzes 1 kein Haushalt im eigentlichen Sinne erforderlich; wegen des Systemwechsels ist die Rechtsprechung zum BSHG insoweit nicht unbesehen übertragbar.

25

Es bedarf einer Prognose darüber, welche Aufwendungen anfallen würden, wenn die Klägerin nicht in einer stationären Einrichtung untergebracht gewesen wäre. Eine solche Prognose hat das LSG - ausgehend von seiner vom Senat nicht geteilten Rechtsansicht - nicht gestellt. Im Hinblick auf die Zielsetzung des § 35 SGB XII muss sich diese Prognose an dem Rechenposten dieser Vorschrift orientieren, der jedenfalls bei Anwendung des Satzes 1 oberste Grenze der Heranziehung sein muss. Demgemäß hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zur Einfügung des inhaltsgleichen § 92a Abs 1 SGB XII anstelle des § 82 Abs 4 Satz 1 SGB XII ausgeführt, die Regelung "begrenze" die Heranziehung zu den Kosten (BT-Drucks 16/2711, S 12 zu Nr 16). Dies bedeutet denknotwendig, dass nicht der durch den Rechenposten bestimmte Bedarf selbst herabgesetzt wird, sondern nur, dass bei nach den üblichen Kriterien ermittelter Bedürftigkeit für den Lebensunterhalt in der Einrichtung ggf weniger einzusetzen ist. Dadurch ergäbe sich keine unzulässige fiktive Berücksichtigung von Aufwendungen (vgl zum entsprechenden Verbot Lücking, aaO, RdNr 11 mwN): Prognose ist keine Fiktion. Die erforderliche Prognose ist vorliegend insbesondere deshalb problematisch, weil zumindest die in § 35 Abs 1 Satz 2 iVm § 42 SGB XII vorgesehenen durchschnittlichen angemessenen tatsächlichen Aufwendungen der Unterkunft und Heizung nicht ermittelt sind.

26

Selbst wenn die Voraussetzungen des § 82 Abs 4 Satz 1 SGB XII nicht vorlägen, bedürfte es für die Anwendung des § 82 Abs 4 Satz 2 SGB XII keiner Umdeutung(§ 43 SGB X) der vom Beklagten verfügten Heranziehung. Wie bei der allgemeinen Bedürftigkeitsprüfung im Rahmen des Nettoprinzips ist auch in Anwendung des Bruttoprinzips eine einheitliche Entscheidung über die Beteiligung an den Kosten, und zwar nicht nur den Kosten des Lebensunterhalts, sondern sogar den sonstigen Maßnahmekosten - wenn auch nach Maßgabe unterschiedlicher Einzelregelungen -, erforderlich. Eine Privilegierung der Einkommensberücksichtigung nach § 82 Abs 4 SGB XII bei den Kosten des Lebensunterhalts hat deshalb nicht zwangsläufig eine Privilegierung insgesamt zur Folge, weil ggf höheres Einkommen für die Berücksichtigung bei den sonstigen Maßnahmekosten zur Verfügung steht.

27

g) Auch die Rechtmäßigkeit einer Heranziehungsverfügung, gestützt auf § 82 Abs 4 Satz 2 SGB XII steht noch nicht fest. Zwar ist dessen Anwendung nicht deshalb ausgeschlossen, weil es sich bei der vom Beklagten erbrachten Leistung nicht, was der Wortlaut der Norm als Voraussetzung nahelegen könnte, um Pflegeleistungen handelt (vgl dazu nur: BVerwG Buchholz 436.0 § 85 BSHG Nr 7). Die Klägerin erhält auch nicht von einem anderen überwiegend Unterhalt und befand sich voraussichtlich (prognostisch) für längere Zeit in einer Einrichtung; hierzu hat das LSG verfahrensrechtlich unangegriffen festgestellt, bei der Einweisung sei von einer Dauer von mindestens einem Jahr auszugehen gewesen. Bei dieser Sachlage bedarf es keiner Entscheidung, ob die Voraussetzungen einer längeren Zeit erst bei mehr als sechs Monaten erfüllt sind, wie dies in der Literatur gefordert wird (vgl nur Gutzler in jurisPK SGB XII, § 88 SGB XII RdNr 32 mwN). Eine Zeit von mindestens einem Jahr mit prognostisch offenem Ende erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen in jedem Fall.

28

h) Die Heranziehung scheitert auch nicht an einer erforderlichen Ermessensausübung. Nach § 82 Abs 4 Satz 2 SGB XII "soll" eine Kostenbeteiligung ohne die in Satz 1 enthaltene Begrenzung - aber in angemessenem Umfang - erfolgen. Die Formulierung "soll" macht - entgegen der insoweit unreflektierten Ansicht in der Gesetzesbegründung zu § 92a Abs 2 SGB XII(BT-Drucks 16/2711, S 12 zu Nr 16) und entgegen der Rechtsprechung des BVerwG zu § 85 Abs 1 Nr 3 Satz 2 BSHG(BVerwG Buchholz 436.0 § 85 BSHG Nr 7) - wie ansonsten bei sog "Soll"-Vorschriften nach der Rechtsprechung des BSG (s nur Waschull in LPK SGB X, 3. Aufl 2011, § 48 RdNr 48 mwN)deutlich, dass es sich um eine gebundene Entscheidung handelt, es sei denn, es läge ein atypischer Fall vor, bei dem ausnahmsweise Ermessen auszuüben wäre, (so auch in anderem Zusammenhang BVerwGE 64, 318, 323 mwN; vgl auch Gutzler in jurisPK SGB XII, § 88 SGB XII RdNr 44). War mithin eine Heranziehung erforderlich, ist deren Höhe unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles im Rahmen des Angemessenen rechtmäßig; die Angemessenheit ist vom Gericht in vollem Umfang überprüfbar (BVerwG Buchholz 436.0 § 85 BSHG Nr 13; Gutzler, aaO, § 88 RdNr 34 mwN).

29

Die Angemessenheit entzieht sich vorliegend jedoch letztlich einer endgültigen Beurteilung durch den Senat. Soll § 82 Abs 4 SGB XII aber verhindern, dass ungerechtfertigte wirtschaftliche Vorteile belassen werden(vgl dazu BVerwG Buchholz 436.0 § 85 BSHG Nr 7 und 11), wäre die Höhe der Heranziehung vorliegend nicht zu beanstanden, wenn die tatsächlichen Kosten für die Unterkunft die in voller Höhe herangezogene Rente überschritten hätten. Davon dürfte zwar auszugehen sein; allerdings fehlen tatsächliche Feststellungen hierzu: Die Kosten für den Lebensunterhalt in der Einrichtung wären grundsätzlich der nicht bekannten Grundpauschale nach § 76 Abs 2 Satz 1 SGB XII zu entnehmen. Dies unterstellt, wäre indes die Grenze der Angemessenheit nicht überschritten; denn der Klägerin verbleiben als Alleinstehende, ohne dass sie außerhalb der Einrichtung Kosten hatte, neben den Leistungen der Einrichtung selbst die des weiteren notwendigen Lebensunterhalts nach § 35 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 2 SGB XII(dazu unter Nr 10), sodass ihre individuellen Bedarfe hinreichend berücksichtigt und gedeckt sind (in diesem Sinne: Lücking in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 92a RdNr 18 mwN, Stand Juni 2008; vgl auch BVerwG Buchholz 436.0 § 85 BSHG Nr 7 und 14). Insoweit knüpft der Senat an die Rechtsprechung des BVerwG zu § 85 BSHG an, was dem Willen des Gesetzgebers entspricht, die frühere Praxis des BSHG fortzuführen(BT-Drucks 16/2711, S 12 zu Nr 16).

30

Anders als bei § 82 Abs 4 Satz 1 SGB XII(dazu Nr 6f) ist aber der nach § 35 Abs 1 Satz 2 SGB XII iVm § 42 SGB XII zu ermittelnde Rechenposten ohne Bedeutung für die Kostenbeteiligung. Deutlich wird dies in der Gesetzesbegründung zur Einfügung des § 92a Abs 2 (und 3) SGB XII anstelle des § 82 Abs 4 Satz 2 SGB XII, nach dem ebenfalls "darüber hinaus" die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang verlangt werden soll. Ausdrücklich wird die Regelung als eine Spezialnorm zu § 19 Abs 1 und 2 SGB XII(BT-Drucks 16/2711, S 12 zu Nr 16) also zu den üblichen Normen der Bedürftigkeitsprüfung, bezeichnet. Sie modifiziert diese mithin nicht nur, sondern tritt an ihre Stelle. Dies führt allerdings nicht zwangsläufig zu einer höheren Gesamtbelastung des Hilfeempfängers, sondern ggf nur dazu, dass für die sonstigen Maßnahmekosten weniger zur Verfügung steht (§ 89 Abs 1 SGB XII). Soweit in der bezeichneten Gesetzesbegründung ausgeführt ist, dem Betroffenen solle ein Selbstbehalt oberhalb des sozialhilferechtlich notwendigen Lebensunterhalts verbleiben, ist dies normativ-systematisch und vor dem Ziel der Neukonzeption von Leistungen in Einrichtungen (s Nr 6b) allerdings nicht nachvollziehbar. Dadurch würden stationäre Leistungen gerade wieder zu Unrecht privilegiert.

31

7. Sollte das LSG bei seiner Prüfung zum Ergebnis gelangen, dass die Klägerin keine Ansprüche auf Auszahlung von an den Beklagten gezahlten Rentenbeträgen besitzt, wird das LSG über den Hilfsantrag der Klägerin zu befinden haben. Auch hierfür bedürfte es indes noch weiterer tatsächlicher Feststellungen.

32

8. Ggf wird das LSG vorab im Hinblick auf § 14 SGB IX einen(eigentlich zuständigen; dazu Nr 6c) Leistungsträger, an den der Beklagte einen Rehabilitationsantrag nicht weitergeleitet hat, dem Verfahren notwendig beizuladen haben (§ 75 Abs 2 SGG). Zwar ist über die Eingliederungshilfe bestandskräftig entschieden, und es ist mit dem von der Klägerin geltend gemachten höheren Barbetrag bzw dem weiteren notwendigen Lebensunterhalt letztlich keine Leistung zur Teilhabe und damit kein Rehabilitationsbedarf im Streit, sodass es fraglich ist, ob eine aus § 14 SGB IX abgeleitete (vorläufige) Zuständigkeit des eigentlich zuständigen Leistungsträgers auch dessen Zuständigkeit für diese Leistungen erfasst. Andererseits schreibt § 97 Abs 4 SGB XII vor, dass die sachliche Zuständigkeit für eine stationäre Leistung auch die sachliche Zuständigkeit für Leistungen umfasst, die gleichzeitig nach anderen Kapiteln zu erbringen sind. Dies legt es nahe, § 97 Abs 4 SGB XII gleichwohl im Rahmen der nach § 14 SGB IX begründeten Zuständigkeit zu berücksichtigen; im Ergebnis lässt dies der Senat bei der gegebenen Sach- und Rechtslage noch offen. Ggf wird das LSG auch mit Rücksicht auf § 21 SGB XII iVm § 5 Abs 2 und § 7 Abs 4 SGB II den maßgeblichen Leistungsträger des SGB II beizuladen haben.

33

9. Prozessual wird das LSG außerdem zu beachten haben, dass die Beteiligten in dem Verfahren S 17 SO 7/10 und S 17 SO 137/10 vor dem SG Schleswig einen Vergleich geschlossen haben, der vom SG Schleswig in der nach § 202 SGG iVm § 278 Abs 6 Zivilprozessordnung (ZPO) erforderlichen Form beschlussmäßig festgestellt ist(vgl zur Anwendbarkeit des § 278 Abs 6 ZPO im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 101 RdNr 9 mwN),der das vorliegende Verfahren gemäß § 101 Abs 1 SGG erledigt haben könnte. Die Klage wäre dann, soweit es den Hilfsantrag betrifft, unzulässig geworden. In diesem Verfahren haben die Beteiligten ua vereinbart, dass die Klägerin keine weiteren Leistungsnachzahlungen für die Leistungszeiträume bis einschließlich November 2010 geltend mache. Das LSG wird die Wirksamkeit dieses Vergleiches unter Berücksichtigung des wirklichen Willens der Beteiligten (§§ 133, 157 BGB) zu beurteilen haben (zur Überprüfung eines durch Beschluss festgestellten Vergleichs vgl nur BAGE 120, 251 ff); denn der in dem Verfahren des SG getroffene Vergleich würde nicht nur das dortige Verfahren erfassen, sondern kann auch unmittelbar ein anderes Gerichtsverfahren erledigen (vgl nur: Hauck in Hennig, SGG, § 101 RdNr 11, Stand Dezember 2008; vgl auch BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 1). Dies würde allerdings eine entsprechende Auslegung des Vergleichs unter Berücksichtigung aller Umstände voraussetzen. Während Nr 3 Satz 2 des Vergleichs einerseits eindeutig zu sein scheint (keine Leistungsnachzahlungen für die Leistungszeiträume bis November 2010), könnte dem andererseits Nr 4 des Vergleichs mit der Erledigungserklärung nur für die beiden beim SG anhängigen Verfahren widersprechen. Daraus könnte, weil ein Prozessvergleich ohne entsprechende Erledigungserklärung den jeweiligen Prozess ohnedies erledigt (Leitherer, aaO, RdNr 1), zu schließen sein, dass die Beteiligten nur die beim SG anhängigen Verfahren mit dem Vergleich erledigen und gerade dies verdeutlichen wollten. Ggf wird das LSG auch zu prüfen haben, ob der Vergleich, falls er das hiesige Verfahren miterledigt hat, erfolgreich nach §§ 119 ff BGB angefochten worden ist.

34

10.a) Sollte der Vergleich nicht den vorliegenden Rechtsstreit erledigt haben, wären die Voraussetzungen des § 19 Abs 1 iVm § 35 SGB XII zu prüfen. Nach § 19 Abs 1 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes vom 27.12.2003) ist Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, beschaffen können, wobei bei nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern das Einkommen und Vermögen beider Ehegatten oder Lebenspartner gemeinsam zu berücksichtigen sind. Als Leistung nach dem 3. Kapitel des SGB XII kommt hier der weitere notwendige Lebensunterhalt nach § 35 Abs 1 Satz 1 SGB XII in Betracht. Dieser umfasst nach Abs 2 Satz 1 insbesondere Kleidung und einen angemessenen Barbetrag zur persönlichen Verfügung. Leistungsberechtigte, die wie die Klägerin das 18. Lebensjahr vollendet haben, erhalten gemäß Abs 2 Satz 2 einen Barbetrag in Höhe von (im streitbefangenen Zeitraum) mindestens 26 vH des Eckregelsatzes (wie dies vorliegend auch geschehen ist). Auch für die Überprüfung, ob der Klägerin ein höherer weiterer notwendiger Lebensunterhalt zustehen würde, reichen die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht aus.

35

b) Hierbei kann sich die Klägerin nicht auf die Privilegierung des § 82 Abs 4 Satz 1 SGB XII (Beschränkung ihrer Kostenbeteiligung auf die Ersparnisse im häuslichen Lebensunterhalt) berufen. Dies geht zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm hervor, beweist jedoch die spätere Einfügung des § 92a SGB XII, der in seinem Abs 1 ausdrücklich - ohne dass damit eine inhaltliche Änderung verbunden wäre(vgl BT-Drucks 16/2711, S 12 zu Nr 16) - von einer Aufbringung der Mittel für die "Leistungen in der Einrichtung", nicht allgemein von Leistungen für den Lebensunterhalt spricht. Nicht zu überprüfen sind hier (anders als bei der Heranziehungsverfügung, dazu Nr 6d) allerdings die spezifischen Voraussetzungen der §§ 53, 54 SGB XII für die Maßnahme selbst. Denn bei den Leistungen des weiteren notwendigen Lebensunterhalts handelt es sich um die eigentliche Maßnahme ergänzende - in der Regel - Geldleistungen, deren Berechtigung nicht in Frage gestellt werden darf, wenn die stationäre Maßnahme selbst bestandskräftig bewilligt worden ist. Würde man dies anders sehen, würde letztlich die gesamte stationäre Leistung als solche dadurch konterkariert, weil nicht alle Bedarfe gedeckt würden. Zu prüfen bliebe für das LSG ggf § 21 SGB XII iVm § 5 Abs 2 und § 7 Abs 4 SGB II ebenso wie die Bedürftigkeit der Klägerin, also die Berücksichtigung insbesondere von vorhandenem Vermögen. Hierzu hat das LSG ausgehend von seiner Rechtsansicht, die der Senat nicht teilt, keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Anders als nach Ansicht des LSG sind höhere Leistungen des weiteren notwendigen Lebensunterhalts nicht von vornherein ausgeschlossen.

36

c) Hierbei ist aus Transparenzgründen (vgl dazu nur BVerfGE 125, 175 ff = SozR 4-4200 § 20 Nr 12)eine Abgrenzung zwischen den Leistungen erforderlich, die vom Barbetrag und denen des sonstigen weiteren notwendigen Lebensunterhalts, bei dem die Kosten für Kleidung nur exemplarisch ("insbesondere") in § 35 Abs 5 Satz 1 SGB XII genannt werden, erfasst werden. Anders gewendet: Der Barbetrag darf nicht beliebig gewissermaßen als Auffangbecken für alle weiteren Bedarfe des Lebensunterhalts verwandt werden, weil er ansonsten völlig konturlos bliebe; dies gilt umso mehr, als schon die prozentuale Höhe des Mindestbarbetrags nicht auf einer nachvollziehbaren Bedarfsermittlungsmethode beruht (vgl dazu Behrend in jurisPK SGB XII, § 27b SGB XII RdNr 47 mwN) und verfassungsrechtlichen Bedenken nur mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Erhöhung des Mindestbarbetrags begegnet werden kann.

37

Ausgangspunkt für die erforderliche Differenzierung ist, dass der Barbetrag nach der gesetzlichen Begründung (BT-Drucks 9/1859, S 2 zu § 21 Abs 3 BSHG) nur der Erfüllung persönlicher Bedürfnisse neben den in der Einrichtung selbst erbrachten Leistungen dient. Dem Hilfeempfänger soll über den institutionell vorgegebenen Rahmen hinaus mit einem "Taschengeld" ein persönlicher Freiraum zur Deckung zusätzlicher Aufwendungen unter Berücksichtigung seines Wunsch- und Wahlrechts (§ 9 Abs 2 Satz 1 SGB XII) verbleiben, um Bedarfe zu decken, die außerhalb des erforderlichen institutionellen Angebots liegen, insbesondere bezüglich des soziokulturellen Bereichs, oder das im eigentlichen Sinne durch die Einrichtung bereits gesicherte existentielle Minimum überschreiten. Vor diesem Hintergrund genügt die Regelung den vom Bundesverfassungsgericht gestellten Transparenzanforderungen nur, wenn man sie dahin versteht, dass der Pauschalbetrag (mindestens 26 vH des Regelsatzes im streitbefangenen Zeitraum) einen nicht weiter zu verifizierenden Basisbetrag darstellt, der eine Erhöhung des gesamten zusätzlichen persönlichen Bedarfs unter Würdigung der tatsächlichen Umstände und unter rechtlicher Wertung erfordert, wenn dies geltend gemacht wird. Zuvor ist immer eine Prüfung erforderlich, ob die reklamierten zusätzlichen Bedarfe überhaupt den persönlichen Bedürfnissen zuzuordnen sind.

38

d) Dies gilt auch vorliegend. Hierzu wird das LSG zu ermitteln haben, ob - wie die Klägerin vorträgt - die Ernährung und die Hygiene in der Einrichtung tatsächlich unzureichend waren, und, soweit es die Hygienemaßnahmen betrifft, ob entsprechende Hygienemittel nicht von der Einrichtung zur Verfügung gestellt worden sind. War die Ernährung ausreichend und war die Hygiene in der Einrichtung im bezeichneten Sinne gewährleistet, waren zusätzliche Kosten der Klägerin dem Bereich der vom Barbetrag zu finanzierenden persönlichen Bedürfnisse zuzuordnen, weil sie dem über dem eigentlichen existentiellen Minimum hinausgehenden Bereich entspringen. Nichts anderes gilt für medizinisch nicht notwendige Arzneimittel bzw für medizinisch notwendige Arzneimittel, wenn entsprechende Mittel auch von der Einrichtung angeboten worden sind.

39

Entsprachen allerdings die angebotene Ernährung und die Hygienevorkehrungen unter Berücksichtigung des tatsächlichen Angebots in der Einrichtung nicht den objektiven Anforderungen an existenzsichernde Maßnahmen - orientiert an den Vorgaben der §§ 27 ff SGB XII -, sind die hierfür notwendigerweise zusätzlich angefallenen Kosten der Klägerin als weitere notwendige Leistungen für den Lebensunterhalt wegen eines Systemversagens zu übernehmen. Dabei ist ohne Bedeutung, ob sich eine entsprechende Verpflichtung aus den nach §§ 75 ff SGB XII geschlossenen Verträgen oder aus dem Leistungsrecht selbst ergibt. Das gleiche gilt für medizinisch notwendige Arzneimittel, deren Kosten von der Klägerin selbst zu tragen sind (vgl zur Leistungsbegrenzung des SGB V allgemein: Hauck, SGb 2007, 203 ff, und SGb 2010, 193 ff). Medizinisch notwendige Mittel, die von der Einrichtung nicht angeboten werden, dienen jedenfalls nicht den persönlichen Bedürfnissen, die durch den Barbetrag substituiert werden: Sie entspringen gerade nicht den individuellen Wünschen, sondern sind existentiell erforderlich. Dass von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu übernehmende Medikamente bei der Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb stationärer Einrichtungen generell vom Regelsatz erfasst werden (vgl zuletzt: BSGE 108, 235 ff = SozR 4-4200 § 20 Nr 13; BSGE 112, 188 RdNr 21 = SozR 4-3500 § 49 Nr 1), rechtfertigt keine andere Entscheidung. Sinn und Zweck des Barbetrags und der Regelsatzleistungen sind gerade nicht vergleichbar.

40

Der Beklagte kann sich - entgegen der Ansicht des LSG - von der bezeichneten Verantwortung für die Existenzsicherung nicht dadurch freizeichnen, dass die Klägerin darauf verwiesen wird, sich mit der Einrichtung zivilrechtlich auseinanderzusetzen; insbesondere stellt § 2 Abs 1 SGB XII keinen eigenständigen Leistungsausschlussgrund dar(vgl nur Coseriu in jurisPK SGB XII, § 2 SGB XII, RdNr 8 ff mwN zur Rechtsprechung des BSG). Einen Ausgleichsanspruch könnte der Beklagte entweder unmittelbar nach § 5 Abs 11 Satz 2 Heimgesetz (HeimG) besitzen, will man hieraus einen eigenen Anspruch des Sozialhilfeträgers ableiten(zur Problematik vgl Rasch, Kommentar zum Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz, 2012, § 10 RdNr 18; die Gesetzesbegründung ist insoweit unergiebig, vgl BT-Drucks 14/5399, S 23), oder er müsste einen eventuellen Anspruch der Klägerin (Drittschadensliquidation) aus § 5 Abs 11 Satz 2 HeimG nach § 93 SGB XII auf sich überleiten.

41

11. Schließlich wird das LSG ggf über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Fähig, am Verfahren beteiligt zu sein, sind

1.
natürliche und juristische Personen,
2.
nichtrechtsfähige Personenvereinigungen,
3.
Behörden, sofern das Landesrecht dies bestimmt,
4.
gemeinsame Entscheidungsgremien von Leistungserbringern und Krankenkassen oder Pflegekassen.

(1) Die Sozialhilfe wird von örtlichen und überörtlichen Trägern geleistet.

(2) Örtliche Träger der Sozialhilfe sind die kreisfreien Städte und die Kreise, soweit nicht nach Landesrecht etwas anderes bestimmt wird. Bei der Bestimmung durch Landesrecht ist zu gewährleisten, dass die zukünftigen örtlichen Träger mit der Übertragung dieser Aufgaben einverstanden sind, nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch geeignet sind und dass die Erfüllung dieser Aufgaben in dem gesamten Kreisgebiet sichergestellt ist.

(3) Die Länder bestimmen die überörtlichen Träger der Sozialhilfe.

(1) Für die Sozialhilfe sachlich zuständig ist der örtliche Träger der Sozialhilfe, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist.

(2) Die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe wird nach Landesrecht bestimmt. Dabei soll berücksichtigt werden, dass so weit wie möglich für Leistungen im Sinne von § 8 Nr. 1 bis 6 jeweils eine einheitliche sachliche Zuständigkeit gegeben ist.

(3) Soweit Landesrecht keine Bestimmung nach Absatz 2 Satz 1 enthält, ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe für

1.
(weggefallen)
2.
Leistungen der Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 bis 66,
3.
Leistungen der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach den §§ 67 bis 69,
4.
Leistungen der Blindenhilfe nach § 72
sachlich zuständig.

(4) Die sachliche Zuständigkeit für eine stationäre Leistung umfasst auch die sachliche Zuständigkeit für Leistungen, die gleichzeitig nach anderen Kapiteln zu erbringen sind, sowie für eine Leistung nach § 74.

(5) (weggefallen)

Aufgabe der Sozialhilfe ist es, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Leistung soll sie so weit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben; darauf haben auch die Leistungsberechtigten nach ihren Kräften hinzuarbeiten. Zur Erreichung dieser Ziele haben die Leistungsberechtigten und die Träger der Sozialhilfe im Rahmen ihrer Rechte und Pflichten zusammenzuwirken.

(1) Sozialhilfe erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger oder der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach dem Recht der Sozialhilfe entsprechende Leistungen vorgesehen sind.

(1) Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist; bei den Krankenkassen umfasst die Prüfung auch die Leistungspflicht nach § 40 Absatz 4 des Fünften Buches. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung insgesamt nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu und unterrichtet hierüber den Antragsteller. Muss für eine solche Feststellung die Ursache der Behinderung geklärt werden und ist diese Klärung in der Frist nach Satz 1 nicht möglich, soll der Antrag unverzüglich dem Rehabilitationsträger zugeleitet werden, der die Leistung ohne Rücksicht auf die Ursache der Behinderung erbringt. Wird der Antrag bei der Bundesagentur für Arbeit gestellt, werden bei der Prüfung nach den Sätzen 1 und 2 keine Feststellungen nach § 11 Absatz 2a Nummer 1 des Sechsten Buches und § 22 Absatz 2 des Dritten Buches getroffen.

(2) Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf anhand der Instrumente zur Bedarfsermittlung nach § 13 unverzüglich und umfassend fest und erbringt die Leistungen (leistender Rehabilitationsträger). Muss für diese Feststellung kein Gutachten eingeholt werden, entscheidet der leistende Rehabilitationsträger innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang. Ist für die Feststellung des Rehabilitationsbedarfs ein Gutachten erforderlich, wird die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen nach Vorliegen des Gutachtens getroffen. Wird der Antrag weitergeleitet, gelten die Sätze 1 bis 3 für den Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, entsprechend; die Frist beginnt mit dem Antragseingang bei diesem Rehabilitationsträger. In den Fällen der Anforderung einer gutachterlichen Stellungnahme bei der Bundesagentur für Arbeit nach § 54 gilt Satz 3 entsprechend.

(3) Ist der Rehabilitationsträger, an den der Antrag nach Absatz 1 Satz 2 weitergeleitet worden ist, nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung insgesamt nicht zuständig, kann er den Antrag im Einvernehmen mit dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger an diesen weiterleiten, damit von diesem als leistendem Rehabilitationsträger über den Antrag innerhalb der bereits nach Absatz 2 Satz 4 laufenden Fristen entschieden wird und unterrichtet hierüber den Antragsteller.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten sinngemäß, wenn der Rehabilitationsträger Leistungen von Amts wegen erbringt. Dabei tritt an die Stelle des Tages der Antragstellung der Tag der Kenntnis des voraussichtlichen Rehabilitationsbedarfs.

(5) Für die Weiterleitung des Antrages ist § 16 Absatz 2 Satz 1 des Ersten Buches nicht anzuwenden, wenn und soweit Leistungen zur Teilhabe bei einem Rehabilitationsträger beantragt werden.

(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt vom Beklagten als Träger der Jugendhilfe die Übernahme der Kosten für heilpädagogisches Reiten in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2010.

2

Der am 16. Mai 2000 geborene Kläger leidet seit seiner Geburt an klassischem frühkindlichem (Kanner-)Autismus. Seit Mai 2004 nimmt er an einer heilpädagogischen Reittherapie teil. Die Kosten hierfür trug der Beklagte zunächst als Träger der Sozialhilfe im Rahmen der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe. Nach Vorlage der ärztlichen Bescheinigung des Kinder- und Jugendarztes Dr. med. H. des Sozialpädiatrischen Zentrums in T. vom 16. Oktober 2008, wonach frühkindlicher Autismus eine seelische Behinderung darstellt, gewährte der Beklagte rückwirkend ab dem 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2009 das heilpädagogische Reiten als Leistung der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe.

3

Den unter dem 16. November 2009 gestellten Folgeantrag des Klägers für Fördereinheiten der heilpädagogischen Reittherapie ab 1. Januar 2010 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 5. Januar 2010 ab. Daraufhin trugen die Eltern des Klägers seit Januar 2010 die Kosten des heilpädagogischen Reitens. Der Beklagte begründete die Ablehnung im Wesentlichen damit, dass es sich bei der Übernahme der Kosten um eine freiwillige Leistung gehandelt habe. Das heilpädagogische Reiten sei eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation, gehöre als solche aber nicht zu den in der Heilmittel-Richtlinie aufgenommenen verordnungsfähigen Heilmitteln. Als freiwillige Leistung werde die Hilfe für eine heilpädagogische Reittherapie generell nach zwei Jahren beendet. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Rechtsausschuss des Beklagten unter Bezugnahme auf § 55 Abs. 2 Nr. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX - zurück. Diese Vorschrift beschränke den Anspruch auf heilpädagogische Leistungen im Rahmen der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe auf Kinder, die noch nicht eingeschult seien. Zu diesem Personenkreis gehöre der Kläger nicht. Er besuche eine Förderschule. Das vom Kläger angerufene Verwaltungsgericht ist dieser Rechtsauffassung gefolgt und hat dessen Klage abgewiesen.

4

Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung des Klägers stattgegeben und den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, dem Kläger vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2010 wöchentlich eine Therapieeinheit heilpädagogisches Reiten zu bewilligen. Der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VIII -. Es sei davon auszugehen, dass es sich bei dem klassischen frühkindlichen (Kanner-)Autismus um eine Abweichung der seelischen Gesundheit vom lebensaltertypischen Zustand für mehr als sechs Monate handele. Dem Kläger sei wegen seines frühkindlichen Autismus, der mit einer schweren Kommunikationsstörung und fehlendem Sprechvermögen verbunden sei, der Zugang zur Gesellschaft in erheblichem Umfang versperrt. Das heilpädagogische Reiten sei keine Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation, sondern eine Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Dass der Kläger in dem in Rede stehenden Zeitraum eingeschult gewesen sei, stehe der Bewilligung dieser Leistung nicht entgegen. Die Vorschriften des § 55 Abs. 2 Nr. 2 und § 56 SGB IX seien nicht dahin zu verstehen, dass die Bewilligung von heilpädagogischen Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nur für noch nicht eingeschulte Kinder vorgesehen werde. Nichts lasse darauf schließen, dass der Gesetzgeber angenommen habe, behinderte Kinder, die eine ihrer Behinderung entsprechende Schule besuchten, würden dort in dem erforderlichen Maß auch heilpädagogisch betreut. Das heilpädagogische Reiten sei für den Kläger in dem in Rede stehenden Zeitraum eine geeignete und erforderliche Eingliederungshilfe gewesen.

5

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX.

6

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Die entscheidungstragende Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass der Anspruch eines eingeschulten Kindes auf Gewährung von Eingliederungshilfe in Form des heilpädagogischen Reitens nicht durch § 35a Abs. 3 Achtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VIII - i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII - i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX - ausgeschlossen werde, steht mit Bundesrecht in Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

8

Der vom Kläger - wie nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt worden ist - der Sache nach von Beginn an geltend gemachte Anspruch auf Übernahme der vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2010 verauslagten Aufwendungen für eine Therapieeinheit heilpädagogischen Reitens pro Woche folgt aus § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII.

9

Diese Vorschrift verleiht einen Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für selbst beschaffte Hilfen. Das sind Hilfen, die - wie hier - vom Leistungsberechtigten abweichend von § 36a Abs. 1 und 2 SGB VIII selbst beschafft werden, ohne dass eine Entscheidung des Trägers der Jugendhilfe oder eine Zulassung durch diesen vorangegangen ist. Der Übernahmeanspruch setzt nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII voraus, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat (Nr. 1), die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen (Nr. 2) und die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (Nr. 3).

10

Die Beteiligten gehen, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert, zu Recht übereinstimmend davon aus, dass der Kläger den Beklagten mit seinem unter dem 16. November 2009 gestellten "Folgeantrag für Fördereinheiten der heilpädagogischen Reittherapie ab 1. Januar 2010" rechtzeitig (vgl. Urteil vom 11. August 2005 - BVerwG 5 C 18.04 - BVerwGE 124, 83 <86 ff.> = Buchholz 436.511 § 35a KJHG/SGB VIII Nr. 4 S. 10 ff.) vor Beginn des Zeitraums, für den die Übernahme der Aufwendungen beantragt wurde, von dem Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat. Des Weiteren steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit, dass beim Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe der vom Oberverwaltungsgericht zuerkannte Bedarf von einer wöchentlichen Therapieeinheit heilpädagogischen Reitens unaufschiebbar war. Zu entscheiden ist allein darüber, ob dem Kläger in dem in Rede stehenden Zeitraum gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 1 SGB IX ein Anspruch auf Gewährung heilpädagogischer Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zustand. Das ist der Fall.

11

1. Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (Nr. 1) und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Nr. 2).

12

Im Rahmen der vom Kläger erhobenen Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1, § 113 Abs. 5 VwGO) ist dagegen nicht zu prüfen, ob der Träger der öffentlichen Jugendhilfe seiner verfahrensrechtlichen Verpflichtung nach § 35a Abs. 1a SGB VIII nachgekommen ist und hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 die Stellungnahme eines der dort in Nr. 1 bis 3 abschließend bezeichneten Ärzte oder Psychotherapeuten eingeholt hat. Denn über das Vorliegen des eingeklagten Anspruchs ist angesichts des Streitgegenstandes der Verpflichtungsklage ohne Rücksicht auf etwaige Mängel des Verwaltungsverfahrens zu entscheiden (vgl. Urteil vom 31. Juli 1984 - BVerwG 9 C 156.83 - Buchholz 402.25 § 6 AsylVfG Nr. 4 S. 3<7> m.w.N.).

13

Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht dahin erkannt, dass die materiellen Anspruchsvoraussetzungen des § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorlagen. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.

14

Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wich die seelische Gesundheit des seit seiner Geburt an klassischem frühkindlichem (Kanner-)Autismus leidenden Klägers länger als sechs Monate von dem lebensaltertypischen Zustand ab. Das Oberverwaltungsgericht hat sich im Rahmen seiner aus § 86 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO folgenden Verpflichtung zur Spruchreifmachung insoweit auf die bei den Akten befindlichen ärztlichen Bescheinigungen des Kinder- und Jugendarztes Dr. med. H. des Sozialpädiatrischen Zentrums in T. vom 16. Oktober 2008 und vom 10. Juni 2011 sowie dessen Schreiben vom 19. November 2010 gestützt und sich die dortigen Feststellungen zu Eigen gemacht. Dies ist, auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dieser Arzt nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht zu den in § 35a Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB VIII bezeichneten Ärzten oder Psychotherapeuten gehört, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Verfahrensvorschrift des § 35a Abs. 1a SGB VIII verpflichtet allein den Träger der öffentlichen Jugendhilfe, die Stellungnahme eines entsprechenden Arztes oder Psychotherapeuten einzuholen. Des Weiteren hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dass dem Kläger aufgrund seines frühkindlichen Autismus mit schwerer Kommunikationsstörung und dem fehlenden Sprechvermögen der Zugang zur Gesellschaft in erheblichem Umfang versperrt ist. Die genannten Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts sind mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen für den Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindend.

15

2. § 35a Abs. 2 SGB VIII ordnet an, dass die Hilfe nach dem Bedarf im Einzelfall in ambulanter Form, in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen, durch geeignete Pflegepersonen und in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet wird. Aufgabe und Ziel der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie die Art der Leistungen richten sich gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII nach § 53 Abs. 3 und 4 Satz 1 sowie den §§ 54, 56 und 57 SGB XII, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden.

16

a) Das heilpädagogische Reiten ist im konkreten Fall der Art nach eine Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX) und keine Leistung zur medizinischen Rehabilitation (§ 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 26 SGB IX). Das Oberverwaltungsgericht ist bei der Abgrenzung dieser beiden Leistungsarten von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen (aa). Diesen Maßstab hat es auch rechtsfehlerfrei angewandt (bb).

17

aa) Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, d.h. zur sozialen Rehabilitation, und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind anhand der Bedürfnisse, die mit der Leistung befriedigt werden sollen, voneinander abzugrenzen (vgl. BSG, Urteile vom 19. Mai 2009 - B 8 SO 32/07 R - SozR 4-3500 § 54 SGB XII Nr. 5 Rn. 17 und vom 29. September 2009 - B 8 SO 19/08 R - SozR 4-3500 § 54 SGB XII Nr. 6 Rn. 21). Entscheidend ist, welches konkrete Ziel mit der fraglichen Leistung in erster Linie verfolgt wird, d.h. welcher Leistungszweck im Vordergrund steht (BSG, Urteile vom 31. März 1998 - B 1 KR 12/96 - FEVS 49, 184 <188> und vom 3. September 2003 - B 1 KR 34/01 R - SozR 4-2500 § 18 SGB V Nr. 1 Rn. 10). Dies ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der Bedürfnisse und Heilungschancen des einzelnen Behandlungsfalles zu bestimmen, wobei die Art der Erkrankung und ihr Bezug zu den eingesetzten Mitteln sowie die damit verbundenen Nah- und Fernziele eine Rolle spielen (vgl. BSG, Urteil vom 31. März 1998 a.a.O.).

18

Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 Abs. 1 SGB IX setzen an den sozialen Folgen einer Krankheit bzw. Behinderung an und dienen deren Überwindung (vgl. BSG, Urteil vom 31. März 1998 a.a.O.). Sie sollen die Auswirkungen der Krankheit bzw. Behinderung auf die Lebensgestaltung auffangen oder abmildern (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2003 a.a.O. Rn. 11). Ihr Ziel ist es einerseits, den Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung in (Teil-)Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgegrenzt sind, den Zugang zur Gesellschaft zu ermöglichen, andererseits aber auch den Personen, die in die Gesellschaft integriert sind, die Teilhabe zu sichern, wenn sich abzeichnet, dass sie von gesellschaftlichen Ereignissen und Bezügen abgeschnitten werden. Dem behinderten Menschen soll der Kontakt mit seiner Umwelt, nicht nur mit Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben ermöglicht und hierdurch die Begegnung und der Umgang mit nichtbehinderten Menschen gefördert werden (vgl. BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 a.a.O. Rn. 16 f.). Des Weiteren zielen die Leistungen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft darauf, den behinderten Menschen soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (vgl. § 55 Abs. 1 SGB IX).

19

Leistungen der medizinischen Rehabilitation nach § 26 SGB IX knüpfen an der Krankheit selbst und ihren Ursachen an. Sie dienen dazu, Behinderungen, einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, eine Verschlimmerung zu verhüten (Abs. 1 Nr. 1) oder Einschränkungen der Erwerbstätigkeit und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern, eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug von laufenden Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern (Abs. 1 Nr. 2). Für die Einordnung als medizinische Behandlung ist nicht entscheidend, ob die gestellten Ziele objektiv erreichbar sind (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2003 a.a.O.).

20

bb) Das Oberverwaltungsgericht hat in Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen zu Recht eine Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft bejaht. Das heilpädagogische Reiten knüpft nach den für den Senat bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts im konkreten Fall an die sozialen Folgen des frühkindlichen Autismus (z.B. Abkapselung und Beziehungsarmut) an. Es soll dem Kläger vorrangig den Zugang zur Gesellschaft, der ihm wegen seines Autismus mit schwerer Kommunikationsstörung und fehlendem Sprechvermögen in erheblichem Umfang versperrt ist, ermöglichen bzw. - soweit vorhanden - sichern. Ziel des heilpädagogischen Reitens ist es, den Kläger über den Kontakt zum Pferd und die nonverbale Kommunikation mit diesem emotional zu befähigen, sich zunehmend auch auf andere Personen, etwa die Heilpädagogin, Kinder auf dem Reiterhof oder seine Klassenkameraden einzulassen und mit ihnen zu kommunizieren.

21

b) Der Anspruch auf Gewährung des heilpädagogischen Reitens als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist nicht deshalb gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX ausgeschlossen, weil der Kläger in dem in Rede stehenden Zeitraum eingeschult war und eine seiner Behinderung entsprechende Förderschule besuchte.

22

Nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX sind Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 Abs. 1 SGB IX insbesondere heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind. Die Vorschrift ist entgegen der Ansicht des Beklagten nicht dahin zu verstehen, dass sie die Gewährung heilpädagogischer Leistungen als jugendhilferechtliche Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft für eingeschulte Kinder oder Jugendliche ausschließt. Die grammatikalische Auslegung zwingt nicht zu einem derartigen Normverständnis. Die Anwendung der anderen Auslegungskriterien weist eindeutig in die entgegengesetzte Richtung.

23

(aa) Dem Wortlaut des § 55 Abs. 2 SGB IX kann nicht ausschließlich oder zumindest hinreichend deutlich entnommen werden, dass es sich bei dem in Nr. 2 genannten Leistungstatbestand um einen in der Weise speziellen Tatbestand handelt, dass er den Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 55 Abs. 1 SGB IX versperrt.

24

Aus der Verwendung des Wortes "insbesondere" ergibt sich, dass § 55 Abs. 2 SGB IX von einem beispielhaften, offenen Leistungskatalog ausgeht (vgl. Urteil vom 22. Oktober 2009 - BVerwG 5 C 19.08 - BVerwGE 135, 159 = Buchholz 436.511 § 10 KJHG/SGB VIII Nr. 4 jeweils Rn. 14). Die Stellung des Wortes "insbesondere" ist auch für eine Auslegung dahin offen, dass es sich auf die in Absatz 2 ausdrücklich genannten Maßnahmen in ihrer Gesamtheit bezieht mit der Folge, dass sich die Beispielhaftigkeit nicht nur auf die in Nr. 2 genannten heilpädagogischen Leistungen, sondern auch auf den dort bezeichneten Personenkreis ("Kinder, die noch nicht eingeschult sind") erstreckt.

25

(bb) Für eine Auslegung, dass der Anspruch eingeschulter Kinder oder Jugendlicher auf Gewährung heilpädagogischer Leistungen als jugendhilferechtliche Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft dem Anwendungsbereich des § 55 Abs. 1 SGB IX unterfällt, spricht vor allem die Gesetzessystematik, die zugleich die Zielsetzung der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe widerspiegelt.

26

Nach der gesetzgeberischen Konzeption ist das Leistungssystem der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe auf Offenheit und Lückenlosigkeit angelegt, da anders eine wirksame Erfüllung der in § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 53 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB XII normierten Aufgabe der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe nicht möglich und sicherzustellen wäre. Diese Aufgabe besteht darin, eine drohende seelische Behinderung von Kindern oder Jugendlichen zu verhüten oder ihre seelische Behinderung und deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die betroffenen Kinder oder Jugendlichen in die Gesellschaft einzugliedern, wozu insbesondere gehört, ihnen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Aus dem sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz, der im Bereich der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe in § 35a Abs. 2 SGB VIII (vgl. "Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall ... geleistet") verankert ist, folgt, dass grundsätzlich der gesamte im konkreten Einzelfall anzuerkennende Hilfebedarf seelisch behinderter oder von einer solchen Behinderung bedrohter Kinder oder Jugendlicher abzudecken ist (vgl. Urteil vom 19. Oktober 2011 - BVerwG 5 C 6.11 - Buchholz 436.511 § 10 KJHG/SGB VIII Nr. 6 Rn. 12 m.w.N.). Das erfordert, dass sich der Träger der öffentlichen Jugendhilfe bzw. im Fall der selbstbeschafften Hilfe der Leistungsberechtigte der Art und Form nach aller Leistungen und Hilfen bedienen kann, die zur Deckung des konkreten und individuellen eingliederungsrechtlichen Bedarfs geeignet und erforderlich sind.

27

Die Offenheit des Leistungssystems hat in der Normstruktur des § 55 SGB IX insoweit ihren Niederschlag gefunden, als die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in Absatz 1 generalklauselartig umschrieben und in Absatz 2 anhand eines nicht abschließenden Beispielskatalogs konkretisiert werden. Die systematische Gesamtschau mit den weiteren von § 35a Abs. 3 SGB VIII in Bezug genommenen Leistungstatbeständen unterstützt diesen Befund. Diese enthalten ebenfalls in der Regel - wie sich aus der jeweiligen Verwendung des Wortes "insbesondere" ergibt - beispielhafte Aufzählungen (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, § 26 Abs. 2 und 3 SGB IX, § 33 Abs. 3 und 6 SGB IX). Als weiterer in dieselbe Richtung weisender systematischer Aspekt tritt hinzu, dass § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII - wie das Wort "neben" belegt - die verschiedenen Leistungsarten der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe selbständig nebeneinander stellt.

28

Aus dem Nebeneinander der Leistungsarten wird zugleich deutlich, dass der eingliederungsrechtliche Bedarf an heilpädagogischen Leistungen für den Zeitraum der Beschulung in § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung, auf den auch für seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Kinder oder Jugendliche zurückzugreifen ist (vgl. Urteil vom 18. Oktober 2012 - BVerwG 5 C 21.11 - zur Veröffentlichung vorgesehen), nicht abschließend und erschöpfend geregelt ist. Nach ihrer tatbestandlichen Ausgestaltung deckt diese Vorschrift nur den eingliederungsrechtlichen Bedarf ab, der durch den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bedingt ist. Danach sind heilpädagogische Maßnahmen zu gewähren, wenn diese erforderlich und geeignet sind, seelisch behinderten oder von einer solchen Behinderung bedrohten Kindern oder Jugendlichen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Mangels seines abschließenden Charakters bietet § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung keine tragfähige Grundlage für die Annahme, dass bei eingeschulten Kindern oder Jugendlichen ein Anspruch auf Eingliederungshilfe im Interesse der sozialen Integration nicht aus § 55 Abs. 1 SGB IX hergeleitet werden kann. Ein anderes Verständnis liefe auch der auf Offenheit und Lückenlosigkeit gerichteten Zielsetzung der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe zuwider. Besteht zugunsten eines eingeschulten Kindes oder Jugendlichen im Einzelfall ein eingliederungsrechtlicher Bedarf an heilpädagogischen Leistungen und dient die gebotene Leistung nicht einer angemessenen Schulbildung, könnte dieser Bedarf ansonsten weder auf der Grundlage des § 55 Abs. 1 SGB IX, noch unter Heranziehung des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII oder anderer Bestimmungen befriedigt werden. Dies stände mit der aufgezeigten Konzeption des Leistungssystems der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe nicht im Einklang.

29

(cc) Die Entstehungsgeschichte bekräftigt dieses Auslegungsergebnis. Die Vorschriften des § 55 Abs. 2 Nr. 2 und § 56 SGB IX sollen nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Regelungen des § 40 Abs. 1 Nr. 2a Bundessozialhilfegesetz - BSHG - i.V.m. § 11 Eingliederungshilfe-Verordnung zeitgerecht fortentwickeln, ohne deren Regelungsgehalt im Kern zu ändern (vgl. BTDrucks 14/5074 S. 111, 14/5531 S. 9 und 14/5800 S. 29). Während § 39 Abs. 1 BSHG - ähnlich § 55 Abs. 1 SGB IX - einen generalklauselartigen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe regelte, nannte § 40 Abs. 1 BSHG die im Rahmen der Eingliederungshilfe besonders bedeutsamen Maßnahmen. Demzufolge wollte der Gesetzgeber bereits mit der Einführung des § 40 Abs. 1 Nr. 2a BSHG durch das 3. BSHG-Änderungsgesetz vom 25. März 1974 (BGBl I S. 777), mit der die "heilpädagogischen Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind", erstmals einer ausdrücklichen formellgesetzlichen Regelung zugeführt wurden, lediglich die Bedeutung dieser Maßnahmen für die Effektivität der Eingliederungshilfe für Kinder, die von Geburt oder der frühen Kindheit an behindert sind, besonders hervorheben. Zu diesem Zweck löste er in § 40 Abs. 1 Nr. 2a BSHG die "heilpädagogischen Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind", von der Ausrichtung auf den Schulbesuch und stellte diesen Leistungstatbestand selbständig neben den Leistungstatbestand des § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG, der eine derartige Ausrichtung enthielt. § 11 Eingliederungshilfe-Verordnung bestimmte, dass heilpädagogische Maßnahmen im Sinne des § 40 Abs. 1 Nr. 2a BSHG auch gewährt werden, wenn die Behinderung eine spätere Schulbildung oder eine Ausbildung für einen angemessenen Beruf oder für eine sonstige angemessene Tätigkeit voraussichtlich nicht zulassen wird. Damit wurde klargestellt, dass die heilpädagogischen Möglichkeiten auch in schweren Behinderungsfällen ausgeschöpft werden sollen, wenn durch sie nur ganz allgemein die Möglichkeiten zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft verbessert werden können oder die Pflegebedürftigkeit um einiges gemildert werden kann (vgl. BTDrucks 7/308 S. 14 und BRDrucks 743/74 S. 4 f. sowie Urteil vom 30. Mai 2002 - BVerwG 5 C 36.01 - Buchholz 436.01 § 12 EingliederungshilfeVO Nr. 1 S. 3 f.). Es fehlt an jedem Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber § 40 Abs. 1 Nr. 2a BSHG i.V.m. § 11 Eingliederungshilfe-Verordnung als eine den Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 39 Abs. 1 BSHG sperrende Ausschlussregelung verstanden wissen wollte. Ebenso wenig ist den Gesetzesmaterialien ein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die heilpädagogischen Leistungen im Zeitraum der Beschulung in § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG i.V.m. § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung einer abschließenden und erschöpfenden Regelung zuführen wollte.

(1) Die Rehabilitationsträger nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 bis 5 vereinbaren zur Sicherung der Zusammenarbeit nach § 25 Absatz 1 gemeinsame Empfehlungen.

(2) Die Rehabilitationsträger nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 bis 5 vereinbaren darüber hinaus gemeinsame Empfehlungen,

1.
welche Maßnahmen nach § 3 geeignet sind, um den Eintritt einer Behinderung zu vermeiden,
2.
in welchen Fällen und in welcher Weise rehabilitationsbedürftigen Menschen notwendige Leistungen zur Teilhabe angeboten werden, insbesondere, um eine durch eine Chronifizierung von Erkrankungen bedingte Behinderung zu verhindern,
3.
über die einheitliche Ausgestaltung des Teilhabeplanverfahrens,
4.
in welcher Weise die Bundesagentur für Arbeit nach § 54 zu beteiligen ist,
5.
wie Leistungen zur Teilhabe nach den §§ 14 und 15 koordiniert werden,
6.
in welcher Weise und in welchem Umfang Selbsthilfegruppen, -organisationen und -kontaktstellen, die sich die Prävention, Rehabilitation, Früherkennung und Bewältigung von Krankheiten und Behinderungen zum Ziel gesetzt haben, gefördert werden,
7.
für Grundsätze der Instrumente zur Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs nach § 13,
8.
in welchen Fällen und in welcher Weise der behandelnde Hausarzt oder Facharzt und der Betriebs- oder Werksarzt in die Einleitung und Ausführung von Leistungen zur Teilhabe einzubinden sind,
9.
zu einem Informationsaustausch mit Beschäftigten mit Behinderungen, Arbeitgebern und den in § 166 genannten Vertretungen zur möglichst frühzeitigen Erkennung des individuellen Bedarfs voraussichtlich erforderlicher Leistungen zur Teilhabe sowie
10.
über ihre Zusammenarbeit mit Sozialdiensten und vergleichbaren Stellen.

(3) Bestehen für einen Rehabilitationsträger Rahmenempfehlungen auf Grund gesetzlicher Vorschriften und soll bei den gemeinsamen Empfehlungen von diesen abgewichen werden oder sollen die gemeinsamen Empfehlungen Gegenstände betreffen, die nach den gesetzlichen Vorschriften Gegenstand solcher Rahmenempfehlungen werden sollen, stellt der Rehabilitationsträger das Einvernehmen mit den jeweiligen Partnern der Rahmenempfehlungen sicher.

(4) Die Träger der Renten-, Kranken- und Unfallversicherung können sich bei der Vereinbarung der gemeinsamen Empfehlungen durch ihre Spitzenverbände vertreten lassen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen schließt die gemeinsamen Empfehlungen auch als Spitzenverband Bund der Pflegekassen ab, soweit die Aufgaben der Pflegekassen von den gemeinsamen Empfehlungen berührt sind.

(5) An der Vorbereitung der gemeinsamen Empfehlungen werden die Träger der Eingliederungshilfe und der öffentlichen Jugendhilfe über die Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände, die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter sowie die Integrationsämter in Bezug auf Leistungen und sonstige Hilfen für schwerbehinderte Menschen nach Teil 3 über die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen beteiligt. Die Träger der Eingliederungshilfe und der öffentlichen Jugendhilfe orientieren sich bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach diesem Buch an den vereinbarten Empfehlungen oder können diesen beitreten.

(6) Die Verbände von Menschen mit Behinderungen einschließlich der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege, der Selbsthilfegruppen und der Interessenvertretungen von Frauen mit Behinderungen sowie die für die Wahrnehmung der Interessen der ambulanten und stationären Rehabilitationseinrichtungen auf Bundesebene maßgeblichen Spitzenverbände werden an der Vorbereitung der gemeinsamen Empfehlungen beteiligt. Ihren Anliegen wird bei der Ausgestaltung der Empfehlungen nach Möglichkeit Rechnung getragen. Die Empfehlungen berücksichtigen auch die besonderen Bedürfnisse von Frauen und Kindern mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohter Frauen und Kinder.

(7) Die beteiligten Rehabilitationsträger vereinbaren die gemeinsamen Empfehlungen im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation im Benehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Ländern auf der Grundlage eines von ihnen innerhalb der Bundesarbeitsgemeinschaft vorbereiteten Vorschlags. Der oder die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit wird beteiligt. Hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu einem Vorschlag aufgefordert, legt die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation den Vorschlag innerhalb von sechs Monaten vor. Dem Vorschlag wird gefolgt, wenn ihm berechtigte Interessen eines Rehabilitationsträgers nicht entgegenstehen. Einwände nach Satz 4 sind innerhalb von vier Wochen nach Vorlage des Vorschlags auszuräumen.

(8) Die Rehabilitationsträger teilen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation alle zwei Jahre ihre Erfahrungen mit den gemeinsamen Empfehlungen mit, die Träger der Renten-, Kranken- und Unfallversicherung über ihre Spitzenverbände. Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation stellt dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Ländern eine Zusammenfassung zur Verfügung.

(9) Die gemeinsamen Empfehlungen können durch die regional zuständigen Rehabilitationsträger konkretisiert werden.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt vom Beklagten als Träger der Jugendhilfe die Übernahme der Kosten für heilpädagogisches Reiten in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2010.

2

Der am 16. Mai 2000 geborene Kläger leidet seit seiner Geburt an klassischem frühkindlichem (Kanner-)Autismus. Seit Mai 2004 nimmt er an einer heilpädagogischen Reittherapie teil. Die Kosten hierfür trug der Beklagte zunächst als Träger der Sozialhilfe im Rahmen der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe. Nach Vorlage der ärztlichen Bescheinigung des Kinder- und Jugendarztes Dr. med. H. des Sozialpädiatrischen Zentrums in T. vom 16. Oktober 2008, wonach frühkindlicher Autismus eine seelische Behinderung darstellt, gewährte der Beklagte rückwirkend ab dem 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2009 das heilpädagogische Reiten als Leistung der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe.

3

Den unter dem 16. November 2009 gestellten Folgeantrag des Klägers für Fördereinheiten der heilpädagogischen Reittherapie ab 1. Januar 2010 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 5. Januar 2010 ab. Daraufhin trugen die Eltern des Klägers seit Januar 2010 die Kosten des heilpädagogischen Reitens. Der Beklagte begründete die Ablehnung im Wesentlichen damit, dass es sich bei der Übernahme der Kosten um eine freiwillige Leistung gehandelt habe. Das heilpädagogische Reiten sei eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation, gehöre als solche aber nicht zu den in der Heilmittel-Richtlinie aufgenommenen verordnungsfähigen Heilmitteln. Als freiwillige Leistung werde die Hilfe für eine heilpädagogische Reittherapie generell nach zwei Jahren beendet. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Rechtsausschuss des Beklagten unter Bezugnahme auf § 55 Abs. 2 Nr. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX - zurück. Diese Vorschrift beschränke den Anspruch auf heilpädagogische Leistungen im Rahmen der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe auf Kinder, die noch nicht eingeschult seien. Zu diesem Personenkreis gehöre der Kläger nicht. Er besuche eine Förderschule. Das vom Kläger angerufene Verwaltungsgericht ist dieser Rechtsauffassung gefolgt und hat dessen Klage abgewiesen.

4

Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung des Klägers stattgegeben und den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, dem Kläger vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2010 wöchentlich eine Therapieeinheit heilpädagogisches Reiten zu bewilligen. Der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VIII -. Es sei davon auszugehen, dass es sich bei dem klassischen frühkindlichen (Kanner-)Autismus um eine Abweichung der seelischen Gesundheit vom lebensaltertypischen Zustand für mehr als sechs Monate handele. Dem Kläger sei wegen seines frühkindlichen Autismus, der mit einer schweren Kommunikationsstörung und fehlendem Sprechvermögen verbunden sei, der Zugang zur Gesellschaft in erheblichem Umfang versperrt. Das heilpädagogische Reiten sei keine Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation, sondern eine Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Dass der Kläger in dem in Rede stehenden Zeitraum eingeschult gewesen sei, stehe der Bewilligung dieser Leistung nicht entgegen. Die Vorschriften des § 55 Abs. 2 Nr. 2 und § 56 SGB IX seien nicht dahin zu verstehen, dass die Bewilligung von heilpädagogischen Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nur für noch nicht eingeschulte Kinder vorgesehen werde. Nichts lasse darauf schließen, dass der Gesetzgeber angenommen habe, behinderte Kinder, die eine ihrer Behinderung entsprechende Schule besuchten, würden dort in dem erforderlichen Maß auch heilpädagogisch betreut. Das heilpädagogische Reiten sei für den Kläger in dem in Rede stehenden Zeitraum eine geeignete und erforderliche Eingliederungshilfe gewesen.

5

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX.

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Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Die entscheidungstragende Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass der Anspruch eines eingeschulten Kindes auf Gewährung von Eingliederungshilfe in Form des heilpädagogischen Reitens nicht durch § 35a Abs. 3 Achtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VIII - i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII - i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX - ausgeschlossen werde, steht mit Bundesrecht in Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

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Der vom Kläger - wie nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt worden ist - der Sache nach von Beginn an geltend gemachte Anspruch auf Übernahme der vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2010 verauslagten Aufwendungen für eine Therapieeinheit heilpädagogischen Reitens pro Woche folgt aus § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII.

9

Diese Vorschrift verleiht einen Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für selbst beschaffte Hilfen. Das sind Hilfen, die - wie hier - vom Leistungsberechtigten abweichend von § 36a Abs. 1 und 2 SGB VIII selbst beschafft werden, ohne dass eine Entscheidung des Trägers der Jugendhilfe oder eine Zulassung durch diesen vorangegangen ist. Der Übernahmeanspruch setzt nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII voraus, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat (Nr. 1), die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen (Nr. 2) und die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (Nr. 3).

10

Die Beteiligten gehen, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert, zu Recht übereinstimmend davon aus, dass der Kläger den Beklagten mit seinem unter dem 16. November 2009 gestellten "Folgeantrag für Fördereinheiten der heilpädagogischen Reittherapie ab 1. Januar 2010" rechtzeitig (vgl. Urteil vom 11. August 2005 - BVerwG 5 C 18.04 - BVerwGE 124, 83 <86 ff.> = Buchholz 436.511 § 35a KJHG/SGB VIII Nr. 4 S. 10 ff.) vor Beginn des Zeitraums, für den die Übernahme der Aufwendungen beantragt wurde, von dem Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat. Des Weiteren steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit, dass beim Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe der vom Oberverwaltungsgericht zuerkannte Bedarf von einer wöchentlichen Therapieeinheit heilpädagogischen Reitens unaufschiebbar war. Zu entscheiden ist allein darüber, ob dem Kläger in dem in Rede stehenden Zeitraum gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 1 SGB IX ein Anspruch auf Gewährung heilpädagogischer Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zustand. Das ist der Fall.

11

1. Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (Nr. 1) und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Nr. 2).

12

Im Rahmen der vom Kläger erhobenen Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1, § 113 Abs. 5 VwGO) ist dagegen nicht zu prüfen, ob der Träger der öffentlichen Jugendhilfe seiner verfahrensrechtlichen Verpflichtung nach § 35a Abs. 1a SGB VIII nachgekommen ist und hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 die Stellungnahme eines der dort in Nr. 1 bis 3 abschließend bezeichneten Ärzte oder Psychotherapeuten eingeholt hat. Denn über das Vorliegen des eingeklagten Anspruchs ist angesichts des Streitgegenstandes der Verpflichtungsklage ohne Rücksicht auf etwaige Mängel des Verwaltungsverfahrens zu entscheiden (vgl. Urteil vom 31. Juli 1984 - BVerwG 9 C 156.83 - Buchholz 402.25 § 6 AsylVfG Nr. 4 S. 3<7> m.w.N.).

13

Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht dahin erkannt, dass die materiellen Anspruchsvoraussetzungen des § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorlagen. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.

14

Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wich die seelische Gesundheit des seit seiner Geburt an klassischem frühkindlichem (Kanner-)Autismus leidenden Klägers länger als sechs Monate von dem lebensaltertypischen Zustand ab. Das Oberverwaltungsgericht hat sich im Rahmen seiner aus § 86 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO folgenden Verpflichtung zur Spruchreifmachung insoweit auf die bei den Akten befindlichen ärztlichen Bescheinigungen des Kinder- und Jugendarztes Dr. med. H. des Sozialpädiatrischen Zentrums in T. vom 16. Oktober 2008 und vom 10. Juni 2011 sowie dessen Schreiben vom 19. November 2010 gestützt und sich die dortigen Feststellungen zu Eigen gemacht. Dies ist, auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dieser Arzt nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht zu den in § 35a Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB VIII bezeichneten Ärzten oder Psychotherapeuten gehört, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Verfahrensvorschrift des § 35a Abs. 1a SGB VIII verpflichtet allein den Träger der öffentlichen Jugendhilfe, die Stellungnahme eines entsprechenden Arztes oder Psychotherapeuten einzuholen. Des Weiteren hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dass dem Kläger aufgrund seines frühkindlichen Autismus mit schwerer Kommunikationsstörung und dem fehlenden Sprechvermögen der Zugang zur Gesellschaft in erheblichem Umfang versperrt ist. Die genannten Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts sind mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen für den Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindend.

15

2. § 35a Abs. 2 SGB VIII ordnet an, dass die Hilfe nach dem Bedarf im Einzelfall in ambulanter Form, in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen, durch geeignete Pflegepersonen und in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet wird. Aufgabe und Ziel der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie die Art der Leistungen richten sich gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII nach § 53 Abs. 3 und 4 Satz 1 sowie den §§ 54, 56 und 57 SGB XII, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden.

16

a) Das heilpädagogische Reiten ist im konkreten Fall der Art nach eine Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX) und keine Leistung zur medizinischen Rehabilitation (§ 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 26 SGB IX). Das Oberverwaltungsgericht ist bei der Abgrenzung dieser beiden Leistungsarten von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen (aa). Diesen Maßstab hat es auch rechtsfehlerfrei angewandt (bb).

17

aa) Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, d.h. zur sozialen Rehabilitation, und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind anhand der Bedürfnisse, die mit der Leistung befriedigt werden sollen, voneinander abzugrenzen (vgl. BSG, Urteile vom 19. Mai 2009 - B 8 SO 32/07 R - SozR 4-3500 § 54 SGB XII Nr. 5 Rn. 17 und vom 29. September 2009 - B 8 SO 19/08 R - SozR 4-3500 § 54 SGB XII Nr. 6 Rn. 21). Entscheidend ist, welches konkrete Ziel mit der fraglichen Leistung in erster Linie verfolgt wird, d.h. welcher Leistungszweck im Vordergrund steht (BSG, Urteile vom 31. März 1998 - B 1 KR 12/96 - FEVS 49, 184 <188> und vom 3. September 2003 - B 1 KR 34/01 R - SozR 4-2500 § 18 SGB V Nr. 1 Rn. 10). Dies ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der Bedürfnisse und Heilungschancen des einzelnen Behandlungsfalles zu bestimmen, wobei die Art der Erkrankung und ihr Bezug zu den eingesetzten Mitteln sowie die damit verbundenen Nah- und Fernziele eine Rolle spielen (vgl. BSG, Urteil vom 31. März 1998 a.a.O.).

18

Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 Abs. 1 SGB IX setzen an den sozialen Folgen einer Krankheit bzw. Behinderung an und dienen deren Überwindung (vgl. BSG, Urteil vom 31. März 1998 a.a.O.). Sie sollen die Auswirkungen der Krankheit bzw. Behinderung auf die Lebensgestaltung auffangen oder abmildern (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2003 a.a.O. Rn. 11). Ihr Ziel ist es einerseits, den Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung in (Teil-)Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgegrenzt sind, den Zugang zur Gesellschaft zu ermöglichen, andererseits aber auch den Personen, die in die Gesellschaft integriert sind, die Teilhabe zu sichern, wenn sich abzeichnet, dass sie von gesellschaftlichen Ereignissen und Bezügen abgeschnitten werden. Dem behinderten Menschen soll der Kontakt mit seiner Umwelt, nicht nur mit Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben ermöglicht und hierdurch die Begegnung und der Umgang mit nichtbehinderten Menschen gefördert werden (vgl. BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 a.a.O. Rn. 16 f.). Des Weiteren zielen die Leistungen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft darauf, den behinderten Menschen soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (vgl. § 55 Abs. 1 SGB IX).

19

Leistungen der medizinischen Rehabilitation nach § 26 SGB IX knüpfen an der Krankheit selbst und ihren Ursachen an. Sie dienen dazu, Behinderungen, einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, eine Verschlimmerung zu verhüten (Abs. 1 Nr. 1) oder Einschränkungen der Erwerbstätigkeit und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern, eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug von laufenden Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern (Abs. 1 Nr. 2). Für die Einordnung als medizinische Behandlung ist nicht entscheidend, ob die gestellten Ziele objektiv erreichbar sind (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2003 a.a.O.).

20

bb) Das Oberverwaltungsgericht hat in Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen zu Recht eine Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft bejaht. Das heilpädagogische Reiten knüpft nach den für den Senat bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts im konkreten Fall an die sozialen Folgen des frühkindlichen Autismus (z.B. Abkapselung und Beziehungsarmut) an. Es soll dem Kläger vorrangig den Zugang zur Gesellschaft, der ihm wegen seines Autismus mit schwerer Kommunikationsstörung und fehlendem Sprechvermögen in erheblichem Umfang versperrt ist, ermöglichen bzw. - soweit vorhanden - sichern. Ziel des heilpädagogischen Reitens ist es, den Kläger über den Kontakt zum Pferd und die nonverbale Kommunikation mit diesem emotional zu befähigen, sich zunehmend auch auf andere Personen, etwa die Heilpädagogin, Kinder auf dem Reiterhof oder seine Klassenkameraden einzulassen und mit ihnen zu kommunizieren.

21

b) Der Anspruch auf Gewährung des heilpädagogischen Reitens als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist nicht deshalb gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX ausgeschlossen, weil der Kläger in dem in Rede stehenden Zeitraum eingeschult war und eine seiner Behinderung entsprechende Förderschule besuchte.

22

Nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX sind Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 Abs. 1 SGB IX insbesondere heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind. Die Vorschrift ist entgegen der Ansicht des Beklagten nicht dahin zu verstehen, dass sie die Gewährung heilpädagogischer Leistungen als jugendhilferechtliche Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft für eingeschulte Kinder oder Jugendliche ausschließt. Die grammatikalische Auslegung zwingt nicht zu einem derartigen Normverständnis. Die Anwendung der anderen Auslegungskriterien weist eindeutig in die entgegengesetzte Richtung.

23

(aa) Dem Wortlaut des § 55 Abs. 2 SGB IX kann nicht ausschließlich oder zumindest hinreichend deutlich entnommen werden, dass es sich bei dem in Nr. 2 genannten Leistungstatbestand um einen in der Weise speziellen Tatbestand handelt, dass er den Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 55 Abs. 1 SGB IX versperrt.

24

Aus der Verwendung des Wortes "insbesondere" ergibt sich, dass § 55 Abs. 2 SGB IX von einem beispielhaften, offenen Leistungskatalog ausgeht (vgl. Urteil vom 22. Oktober 2009 - BVerwG 5 C 19.08 - BVerwGE 135, 159 = Buchholz 436.511 § 10 KJHG/SGB VIII Nr. 4 jeweils Rn. 14). Die Stellung des Wortes "insbesondere" ist auch für eine Auslegung dahin offen, dass es sich auf die in Absatz 2 ausdrücklich genannten Maßnahmen in ihrer Gesamtheit bezieht mit der Folge, dass sich die Beispielhaftigkeit nicht nur auf die in Nr. 2 genannten heilpädagogischen Leistungen, sondern auch auf den dort bezeichneten Personenkreis ("Kinder, die noch nicht eingeschult sind") erstreckt.

25

(bb) Für eine Auslegung, dass der Anspruch eingeschulter Kinder oder Jugendlicher auf Gewährung heilpädagogischer Leistungen als jugendhilferechtliche Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft dem Anwendungsbereich des § 55 Abs. 1 SGB IX unterfällt, spricht vor allem die Gesetzessystematik, die zugleich die Zielsetzung der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe widerspiegelt.

26

Nach der gesetzgeberischen Konzeption ist das Leistungssystem der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe auf Offenheit und Lückenlosigkeit angelegt, da anders eine wirksame Erfüllung der in § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 53 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB XII normierten Aufgabe der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe nicht möglich und sicherzustellen wäre. Diese Aufgabe besteht darin, eine drohende seelische Behinderung von Kindern oder Jugendlichen zu verhüten oder ihre seelische Behinderung und deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die betroffenen Kinder oder Jugendlichen in die Gesellschaft einzugliedern, wozu insbesondere gehört, ihnen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Aus dem sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz, der im Bereich der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe in § 35a Abs. 2 SGB VIII (vgl. "Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall ... geleistet") verankert ist, folgt, dass grundsätzlich der gesamte im konkreten Einzelfall anzuerkennende Hilfebedarf seelisch behinderter oder von einer solchen Behinderung bedrohter Kinder oder Jugendlicher abzudecken ist (vgl. Urteil vom 19. Oktober 2011 - BVerwG 5 C 6.11 - Buchholz 436.511 § 10 KJHG/SGB VIII Nr. 6 Rn. 12 m.w.N.). Das erfordert, dass sich der Träger der öffentlichen Jugendhilfe bzw. im Fall der selbstbeschafften Hilfe der Leistungsberechtigte der Art und Form nach aller Leistungen und Hilfen bedienen kann, die zur Deckung des konkreten und individuellen eingliederungsrechtlichen Bedarfs geeignet und erforderlich sind.

27

Die Offenheit des Leistungssystems hat in der Normstruktur des § 55 SGB IX insoweit ihren Niederschlag gefunden, als die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in Absatz 1 generalklauselartig umschrieben und in Absatz 2 anhand eines nicht abschließenden Beispielskatalogs konkretisiert werden. Die systematische Gesamtschau mit den weiteren von § 35a Abs. 3 SGB VIII in Bezug genommenen Leistungstatbeständen unterstützt diesen Befund. Diese enthalten ebenfalls in der Regel - wie sich aus der jeweiligen Verwendung des Wortes "insbesondere" ergibt - beispielhafte Aufzählungen (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, § 26 Abs. 2 und 3 SGB IX, § 33 Abs. 3 und 6 SGB IX). Als weiterer in dieselbe Richtung weisender systematischer Aspekt tritt hinzu, dass § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII - wie das Wort "neben" belegt - die verschiedenen Leistungsarten der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe selbständig nebeneinander stellt.

28

Aus dem Nebeneinander der Leistungsarten wird zugleich deutlich, dass der eingliederungsrechtliche Bedarf an heilpädagogischen Leistungen für den Zeitraum der Beschulung in § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung, auf den auch für seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Kinder oder Jugendliche zurückzugreifen ist (vgl. Urteil vom 18. Oktober 2012 - BVerwG 5 C 21.11 - zur Veröffentlichung vorgesehen), nicht abschließend und erschöpfend geregelt ist. Nach ihrer tatbestandlichen Ausgestaltung deckt diese Vorschrift nur den eingliederungsrechtlichen Bedarf ab, der durch den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bedingt ist. Danach sind heilpädagogische Maßnahmen zu gewähren, wenn diese erforderlich und geeignet sind, seelisch behinderten oder von einer solchen Behinderung bedrohten Kindern oder Jugendlichen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Mangels seines abschließenden Charakters bietet § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung keine tragfähige Grundlage für die Annahme, dass bei eingeschulten Kindern oder Jugendlichen ein Anspruch auf Eingliederungshilfe im Interesse der sozialen Integration nicht aus § 55 Abs. 1 SGB IX hergeleitet werden kann. Ein anderes Verständnis liefe auch der auf Offenheit und Lückenlosigkeit gerichteten Zielsetzung der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe zuwider. Besteht zugunsten eines eingeschulten Kindes oder Jugendlichen im Einzelfall ein eingliederungsrechtlicher Bedarf an heilpädagogischen Leistungen und dient die gebotene Leistung nicht einer angemessenen Schulbildung, könnte dieser Bedarf ansonsten weder auf der Grundlage des § 55 Abs. 1 SGB IX, noch unter Heranziehung des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII oder anderer Bestimmungen befriedigt werden. Dies stände mit der aufgezeigten Konzeption des Leistungssystems der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe nicht im Einklang.

29

(cc) Die Entstehungsgeschichte bekräftigt dieses Auslegungsergebnis. Die Vorschriften des § 55 Abs. 2 Nr. 2 und § 56 SGB IX sollen nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Regelungen des § 40 Abs. 1 Nr. 2a Bundessozialhilfegesetz - BSHG - i.V.m. § 11 Eingliederungshilfe-Verordnung zeitgerecht fortentwickeln, ohne deren Regelungsgehalt im Kern zu ändern (vgl. BTDrucks 14/5074 S. 111, 14/5531 S. 9 und 14/5800 S. 29). Während § 39 Abs. 1 BSHG - ähnlich § 55 Abs. 1 SGB IX - einen generalklauselartigen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe regelte, nannte § 40 Abs. 1 BSHG die im Rahmen der Eingliederungshilfe besonders bedeutsamen Maßnahmen. Demzufolge wollte der Gesetzgeber bereits mit der Einführung des § 40 Abs. 1 Nr. 2a BSHG durch das 3. BSHG-Änderungsgesetz vom 25. März 1974 (BGBl I S. 777), mit der die "heilpädagogischen Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind", erstmals einer ausdrücklichen formellgesetzlichen Regelung zugeführt wurden, lediglich die Bedeutung dieser Maßnahmen für die Effektivität der Eingliederungshilfe für Kinder, die von Geburt oder der frühen Kindheit an behindert sind, besonders hervorheben. Zu diesem Zweck löste er in § 40 Abs. 1 Nr. 2a BSHG die "heilpädagogischen Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind", von der Ausrichtung auf den Schulbesuch und stellte diesen Leistungstatbestand selbständig neben den Leistungstatbestand des § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG, der eine derartige Ausrichtung enthielt. § 11 Eingliederungshilfe-Verordnung bestimmte, dass heilpädagogische Maßnahmen im Sinne des § 40 Abs. 1 Nr. 2a BSHG auch gewährt werden, wenn die Behinderung eine spätere Schulbildung oder eine Ausbildung für einen angemessenen Beruf oder für eine sonstige angemessene Tätigkeit voraussichtlich nicht zulassen wird. Damit wurde klargestellt, dass die heilpädagogischen Möglichkeiten auch in schweren Behinderungsfällen ausgeschöpft werden sollen, wenn durch sie nur ganz allgemein die Möglichkeiten zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft verbessert werden können oder die Pflegebedürftigkeit um einiges gemildert werden kann (vgl. BTDrucks 7/308 S. 14 und BRDrucks 743/74 S. 4 f. sowie Urteil vom 30. Mai 2002 - BVerwG 5 C 36.01 - Buchholz 436.01 § 12 EingliederungshilfeVO Nr. 1 S. 3 f.). Es fehlt an jedem Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber § 40 Abs. 1 Nr. 2a BSHG i.V.m. § 11 Eingliederungshilfe-Verordnung als eine den Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 39 Abs. 1 BSHG sperrende Ausschlussregelung verstanden wissen wollte. Ebenso wenig ist den Gesetzesmaterialien ein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die heilpädagogischen Leistungen im Zeitraum der Beschulung in § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG i.V.m. § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung einer abschließenden und erschöpfenden Regelung zuführen wollte.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.