Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren die Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer des vor dem Sozialgericht Schleswig geführten Klageverfahrens S 16 AS 408/14 (im Folgenden: Ausgangsverfahren).

2

Gegenstand des Verfahrens war die Höhe der bei den Klägern zu berücksichtigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheid vom 17. April 2014 hatte der beklagte Kreis Nordfriesland Leistungen für den Zeitraum 1. Mai 2013 bis 31. Dezember 2013 endgültig festgesetzt und anstelle der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft in Höhe von 500,00 EUR lediglich Mietkosten in Höhe von 427,00 EUR monatlich berücksichtigt. Hiergegen hatten die Kläger mit anwaltlichem Schriftsatz vom 25. April 2014 Widerspruch erhoben. Mit Aufhebungs- und Änderungsbescheid vom 16. Juli 2014, den der beklagte Kreis wörtlich zum „Bestandteil des Widerspruchsbescheides“ erklärte, beschränkte der beklagte Kreis den Bewilligungszeitraum auf die Zeit vom 1. Juni bis 30. November 2013 und nahm eine Neuberechnung vor; in Bezug auf die anerkannten Unterkunftskosten erfolgte dabei keine Änderung. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 2014 wiederholte der beklagte Kreis, dass der Bescheid vom 17. April 2014 entsprechend dem Inhalt des Bescheides vom 16. Juli 2014 geändert werde, und wies den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Hiergegen haben die Kläger am 18. August 2014 bei dem Sozialgericht Schleswig Klage erhoben und sinngemäß die Änderung der ergangenen Bescheide beantragt, soweit für die Monate Juni bis November 2013 nicht die tatsächlichen Kosten der Unterkunft, begrenzt durch den entsprechenden Wert der Tabelle des § 12 Wohngeldgesetz – erhöht um eine Sicherheitszuschlag von 10% – anerkannt und ausgekehrt wurden. Gleichzeitig haben die Kläger Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren beantragt; diesen Antrag haben sie mit einem am 10. Oktober 2014 eingegangenen Schriftsatz zurückgenommen.

3

Zur Klagebegründung hat der Prozessbevollmächtigte in der Klageschrift im Wesentlichen ausgeführt, dass die Angemessenheitsgrenze des beklagten Kreises zu niedrig bemessen sei. Hierzu ist wörtlich ein Beschluss des Sozialgerichts zitiert worden, der inhaltlich auch für die Kläger gelte.

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Mit Verfügung vom 20. August 2014 hat das Sozialgericht den Klägern den Klageingang bestätigt und den beklagten Kreis ohne Fristsetzung zur Klagerwiderung und zur Vorlage der Akten aufgefordert. Gleichzeitig hat das Sozialgericht den beklagten Kreis dazu befragt, ob vor dem Hintergrund der zu der Streitfrage anhängigen Verfahren am Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) Interesse an einer Ruhendstellung des Verfahrens bestehe. Mit Verfügung vom 23. Oktober 2014 erinnerte das Sozialgericht den beklagten Kreis an die Erledigung der gerichtlichen Verfügung vom 20. August 2014 und setzte hierzu eine Frist von einem Monat.

5

Am 25. November 2014 ging eine Klagerwiderung des beklagten Kreises bei dem Sozialgericht ein. Unter Hinweis auf die richterliche Anfrage vom 20. August 2014 hielt der beklagte Kreis es für sinnvoll, zunächst eine Entscheidung des LSG in verschiedenen Verfahren, in denen es ebenfalls um die Schlüssigkeit des Konzepts gehe, abzuwarten. Diesen Schriftsatz übersandte das Sozialgericht am 25. November 2014 an den Prozessbevollmächtigten der Kläger und stellte gleichzeitig die Frage, ob das Verfahren bis zu einer Entscheidung des LSG über das Wohnkostenkonzept des beklagten Kreises ruhend gestellt werden solle. Mit am 3. Dezember 2014 eingegangenem Schriftsatz vom 1. Dezember 2014 widersprach der Prozessbevollmächtigte der Kläger einer Ruhendstellung und führte aus, damit seine Mandanten vor Rechtsverlusten schützen zu wollen. Unter anderem würde ggf. das Rechtsschutzbedürfnis für eine Verzögerungsrüge entfallen, mithin ein Rechtsverlust hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs drohen. Im Übrigen bestritt er die Anhängigkeit entsprechender Verfahren mit Nichtwissen und wies zu von dem beklagten Kreis benannten Verfahren des 13. Senats des LSG darauf hin, dass nach seiner Kenntnis im Jahre 2014 kein 13. Senat des LSG existiere.

6

Bei dem Sozialgericht waren inzwischen auch die Verfahren gleichen Rubrums mit den Aktenzeichen S 16 AS 468/14 und S 16 AS 578/14, in denen es um die Angemessenheit der Unterkunftskosten für andere Leistungszeiträume ging, eingegangen. Das Sozialgericht übersandte den am 3. Dezember 2014 eingegangenen Schriftsatz des Klägervertreters am 5. Dezember 2014 an den beklagten Kreis zur Kenntnis und etwaigen Stellungnahme und verfügte eine Wiedervorlagefrist von 3 Monaten. In der Folgezeit setzte das Sozialgericht bei Wiedervorlagen der Sachen unter Hinweis auf erwartete Entscheidungen des LSG folgende Wiedervorlagefristen:

7

Verfügung vom

Wiedervorlagefrist

4. März 2015

4 Monate

6. Juli 2015

3 Monate

7. Oktober 2015

3 Monate

8

Bei Wiedervorlagen am 14. Oktober 2015, 28. Oktober 2015, 9. und 16. November 2015, 15. und 28. Dezember 2015, 7. Januar 2016 und 8. April 2016 wurde auf Eingänge in den vorgenannten Parallelverfahren sowie in dem weiteren Parallelverfahren S 16 AS 438/15 Bezug genommen.

9

Mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2015, eingegangen bei Gericht am 15. Dezember 2015, hat der Prozessbevollmächtigte im Verfahren S 16 AS 578/14 um Mitteilung des Sachstandes bezogen auf die bei dem 3. Senat des Schleswig-Holsteinischen LSG anhängigen Verfahren zum vorliegenden Streitgegenstand nachgefragt. Der Schriftsatz ist mit Verfügung vom 17. Dezember 2015 an den Kreis Nordfriesland zur Stellungnahme weitergeleitet worden, der mit Schriftsatz vom 5. Januar 2016, eingegangen am 7. Januar 2016 mitgeteilt hat, dass die anhängigen Verfahren vom LSG noch nicht entschieden seien.

10

Mit einem auf den 2. Dezember 2015 datierten Schriftsatz, der am 20. April 2016 bei dem Sozialgericht einging, erhob der Prozessbevollmächtigte der Kläger in dem hier maßgebenden Ausgangsverfahren S 16 AS 408/14 Verzögerungsrüge und führte aus, es sei evident, dass bei einer Verfahrensdauer von über einem Jahr die Besorgnis bestehe, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werde. Im Übrigen sei auch keine Antwort zu der mit Schreiben vom 1. Dezember 2014 aufgeworfenen Frage hinsichtlich des 13. Senats erfolgt. Das Sozialgericht übersandte den Schriftsatz am 26. April 2016 an den Beklagten zur Kenntnis und verfügte die Gerichtsakte gleichzeitig in das Sitzungsfach.

11

Im Parallelverfahren S 16 AS 578/14 hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Schriftsatz vom 16. September 2016, eingegangen am Gericht am 21. September 2016, unter Bezugnahme auf den Schriftsatz des Kreises Nordfriesland vom 5. Januar 2016 darauf hingewiesen, dass der beklagte Kreis sich in anderen Verfahren rühme, gegen die Entscheidungen des 3. Senats des LSG Nichtzulassungsbeschwerde erhoben zu haben, so dass davon auszugehen sei, dass die Verfahren entschieden und abgesetzt worden seien. Vor diesem Hintergrund rege er an, den Beklagten zur Übersendung anonymisierter Entscheidungen, die nicht veröffentlicht seien, aufzufordern. Den Schriftsatz hat das Sozialgericht dem Kreis Nordfriesland am 26. September 2016 weitergeleitet, der mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2016, eingegangen am Gericht am 27. Dezember 2016, erwidert hat, dass die Entscheidungen des LSG durch die Erhebung der Nichtzulassungsbeschwerden noch nicht rechtskräftig und daher für den beklagten Kreis noch nicht bindend seien. Dazu fügte der Kreis Nordfriesland fünf Eingangsbestätigungen des Bundessozialgerichts (BSG) bei und forderte den Prozessbevollmächtigten auf, anonymisierte Entscheidungen direkt beim LSG anzufordern. Den Schriftsatz hat das Gericht am 5. Januar 2017 an den Prozessbevollmächtigten der Kläger weitergeleitet.

12

Mit Ladungsverfügung vom 11. Januar 2017 bestimmte das Sozialgericht in den Verfahren S 16 AS 408/14, S 16 AS 578/14, S 16 AS 438/15 und dem inzwischen eingegangenen weiteren Parallelverfahren S 16 AS 258/16 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 16. Februar 2017. Parallel dazu sind auch vier weitere Verfahren der Kläger zur gleichzeitigen Verhandlung terminiert worden. Zur Terminsvorbereitung in dem Verfahren S 16 AS 408/14 forderte das Sozialgericht mit Verfügung vom 10. Februar 2017 weitere Unterlagen der Kläger an. Hierzu nahm der Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Schriftsatz vom 11. Februar 2017 Stellung. In dem Termin am 16. Februar 2017, in dem die Kläger für die Monate Juni bis November 2013 bei Modifizierung ihres bisherigen Klagantrags Nachzahlungsbeträge in Höhe von jeweils 48,67 EUR beantragt haben, verkündete das Sozialgericht bei Nichtzulassung der Berufung ein zusprechendes Urteil. Auf die Entscheidungsgründe wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen. Das Urteil ist rechtskräftig geworden.

13

Bereits am 8. Dezember 2016 haben die Kläger bei dem Schleswig-Holsteinischen LSG Entschädigungsklage wegen überlanger Dauer des seinerzeit noch nicht abgeschlossenen Ausgangsverfahrens S 16 AS 408/14 erhoben. Zur Begründung führen sie unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/14 R –, Rn. 38 - 40, juris) aus: Die vollständige Klage sei am 18. August 2014 einschließlich Anlagen beim Gericht eingegangen. Die Klagerwiderung sei mit Schriftsatz des Gerichts vom 27. November 2014 übersandt worden; darauf sei mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2014 erwidert worden. Weitere verfahrensfördernde Handlungen des Gerichts seien seither nicht mehr erfolgt. Unter Zubilligung einer Bedenkzeit von einem Jahr sei das Verfahren im August 2015 entscheidungsreif gewesen; ab diesem Zeitpunkt sei der Beginn einer unangemessenen Verfahrensdauer anzunehmen. Da seit diesem Zeitpunkt weitere 13 (gemeint: 15 Monate) verstrichen seien, ergebe sich bei zwei Klägern ein Anspruch in Höhe von 3.000,00 EUR (15 Monate x 2 Kläger x 100,00 EUR).

14

Die Kläger beantragen,

15

den Beklagten zu verurteilen, an die Kläger einen Schadensersatz in Höhe von 3.000,00 EUR als Entschädigung für eine überlange Verfahrensdauer zu zahlen.

16

Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

18

Zur Begründung führt er aus: Den Klägern stehe eine Entschädigung gemäß §§ 198ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) i.V.m. § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wegen angeblich unangemessener Verfahrensdauer nicht zu. Selbst eine Feststellung einer vermeintlich unangemessenen Verfahrensdauer scheide aus. Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG werde derjenige angemessen entschädigt, der infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Diese Voraussetzungen seien vorliegend trotz der Dauer des insgesamt zweieinhalb Jahre währenden Ausgangsverfahrens nicht erfüllt. Ob eine Verfahrensdauer angemessen sei oder nicht, richte sich nicht nach starren Fristen. Im Gegenteil habe der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/3802, S. 18 zu § 198 Abs. 1 Abs. 1 GVG), weil eine abstrakt-generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauere, nicht möglich sei (vgl. Ott in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Rn. 68 m.w.N.). Der vorgegebene, von konventions- und verfassungsrechtlichen Normen geprägte Wertungsrahmen verlange vielmehr eine gewisse Schwere der Belastung im Sinne einer Beeinträchtigung in einem Grund- und Menschenrecht. Ausreichend sei gerade nicht jede Abweichung vom Optimum einer Verfahrensgestaltung, sondern es müsse eine deutliche Überschreitung der äußersten Grenzen des Angemessenen vorliegen. Sei die Dauer des Verfahrens daher insgesamt nicht unangemessen gewesen, komme es nicht darauf an, dass das Verfahren ggf. nicht immer optimal gefördert worden sei (Urteil des Senats vom 16. August 2013 - L 12 SF 4/12 EK -, Umdruck S. 13 ff. unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL -, Rz 26, juris). Insbesondere sei - mit der Rechtsprechung des BSG - zu berücksichtigen, dass die zügige Erledigung eines Rechtsstreits kein Selbstzweck sei. Vielmehr verlange das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes durch das dazu berufene Gericht. Bei der Bestimmung der Angemessenheit einer Verfahrensdauer seien daher keine zu engen zeitlichen Grenzen zu ziehen. Dem Gericht müsse eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zugestanden werden, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trage (vgl. nur BSG, Urteil v. 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R -, zitiert nach juris, Rz 46 m.w.N.). Insoweit würden die Kläger bereits übersehen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit und zum rechtsstaatlichen Gebot stehe, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen. Insbesondere sei es verfehlt, in diesem Verfahren auf die in „Normalfällen" anerkannte Vorbereitungs- und Bedenkzeit von einem Jahr je Instanz abstellen zu wollen. Dies sehe bereits der Gesetzeswortlaut des § 198 GVG nicht vor. Tatsächlich sei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit bei der Bearbeitung von Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen sogar eine entschädigungslos hinzunehmende Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 18 Monaten je Instanz zuzugestehen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Februar 2016 - L 37 SF 360/13 EK AS -, Rz 80; vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 17. März 2017 – L 10 SF 35/16 EK AS -, juris). Dabei gehörten zu den Vorbereitungs- und Bedenkzeiten auch solche, die sich durch ein Zuwarten auf Ergebnisse oder Ermittlungen in einem parallelen Verfahren ergeben, wenn nämlich zu erwarten sei, dass in einem solchen Verfahren Erkenntnisse gewonnen werden, die auch für das Ausgangsverfahren von Relevanz seien (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014, a.a.O.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Februar 2016, a.a.O. Rz 69). Dazu bedürfe es noch nicht einmal der ausdrücklichen Zustimmung der Beteiligten, denn das BSG führe ausdrücklich aus, dass ein „Zuwarten“ statthaft sei, wenn Erkenntnisse gewonnen werden ... oder wenn die Beteiligten diesem Vorgehen ausdrücklich zustimmen“. Dass das Sozialgericht im Rahmen der ihm zustehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit (im Anschluss an seine Verfügung vom 5. Dezember 2014) von dem Ergebnis der obergerichtlichen Entscheidung habe Gebrauch machen wollen, ergebe sich bereits aus den regelmäßigen Wiedervorlagen sowie der in Bezugnahme auf weitere Verfahren. So sei die Akte der Vorsitzenden im Anschluss an ihre letzte Verfügung vom 3. Dezember 2014, abgesandt am 5. Dezember 2014, regelmäßig mit drei- bis viermonatigen Wiedervorlagefristen vorgelegt worden. Dieses „Abwarten“ des Ausgangsgerichts sei angesichts der entscheidungsrelevanten Grundsatzfrage zur Bestimmung der Mietobergrenze im Sinn einer gebotenen Verfahrensförderung auch gerechtfertigt gewesen. Maßgeblich für die dafür erforderliche Ermessensentscheidung des Ausgangsgerichts sei insoweit nur, dass es bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung abgewogen habe. Dies sei hier der Fall gewesen.  Die Kläger hätten durch das „Zuwarten“ keine schwerwiegenden Belastungen im Sinne einer Beeinträchtigung in einem Grund- und Menschenrecht erlitten. Vielmehr habe das Ausgangsgericht unter den gegebenen Umständen aus der (maßgeblichen) ex-ante-Sicht die Richtigkeit der Rechtsanwendung über die „Schnelligkeit“ des Verfahrens und die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen LSG für die (richtige) Beurteilung der Erfolgsaussichten für die Klage abwarten dürfen. Daraus seien keine (entschädigungsrelevanten) Zeiten gerichtlicher Inaktivität erwachsen. Und selbst wenn man angesichts der 2 ½ jährigen Verfahrensdauer von einer gewissen „Länge“ des Verfahrens ausgehen wollte, so sei die Verfahrensdauer aufgrund der genannten Ermessensentscheidung des Ausgangsgerichts jedenfalls nicht unangemessen. Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Kläger komme es über den rein zeitlichen Aspekt „insbesondere“ auch auf den Gestaltungspielraum, die Verfahrensführung sowie gegenläufige Rechtsgüter wie z.B. auf effektiven Rechtsschutz an, um die Unangemessenheit bzw. Angemessenheit der Verfahrensdauer zu bewerten, § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG. Da hier das Gericht erkennbar um eine angemessene Berücksichtigung der obergerichtlichen Entscheidung bemüht gewesen sei, erscheine insbesondere die bewusste Ablehnung einer vorgeschlagenen Ruhendstellung, um (gezielt) eine Verzögerungsrüge zu erwirken, nicht geeignet, um die Voraussetzungen einer Entschädigungsklage zu begründen. Mit den Vorgaben nach §§ 198ff. GVG sollten Verfahrensgestaltungen auf Veranlassung von Betroffenen überprüft werden können. Werde die Verfahrensgestaltung dagegen erst – wie hier – durch die Betroffenen selbst veranlasst, bleibe für einen Entschädigungsanspruch kein Raum.

19

Dem treten die Kläger unter Hinweis darauf entgegen, dass ihr Prozessbevollmächtigter aufgrund der Berufsordnung verpflichtet gewesen sei, der Ruhendstellung des Verfahrens nicht zuzustimmen. Ansonsten wäre ein zwischenzeitlicher Verfahrensabschluss wohl ungewiss gewesen.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des Entschädigungsklageverfahrens und des Ausgangsverfahrens S 16 AS 408/14 sowie auf die Akten der Parallelverfahren S  16 AS 468/14 (vgl. dazu Entschädigungsklage L 12 SF 29/17 EK) und S 16 AS 578/14 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage auf Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Schleswig unter dem Az. S 16 AS 408/14 geführten Klageverfahrens ist zulässig, aber nicht begründet.

22

Es handelt sich um eine statthafte allgemeine Leistungsklage. Maßgebend für das Entschädigungsklageverfahren sind die §§ 198ff. GVG sowie die §§ 183, 197a und 202 SGG, jeweils in der Fassung vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) und des Gesetzes vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2554). Nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 202 Satz 2 SGG sind die Vorschriften des SGG über das Verfahren im ersten Rechtszug heranzuziehen. Nach § 54 Abs. 5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Die Kläger stützen die begehrte Entschädigungszahlung auf § 198 GVG, wonach angemessen entschädigt wird, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet (Satz 1 der Vorschrift). Eine vorherige Verwaltungsentscheidung sieht das Gesetz nicht vor.

23

Dass die Entschädigungsklage am 8. Dezember 2016 zu einem Zeitpunkt erhoben worden ist, zu dem das Ausgangsverfahren noch nicht abgeschlossen war (das das Verfahren beendende Urteil ist erst am 16. Februar 2017 ergangen), ändert nichts an der Zulässigkeit der Entschädigungsklage. Wird eine Entschädigungsklage zu einem Zeitpunkt erhoben, zu der das streitgegenständliche Ausgangsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, handelt es sich um eine – zulässige – Teilklage. Zwar war das Ausgangsverfahren im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Entschädigungsgerichts abgeschlossen. Die (restliche) Verfahrensdauer des Ausgangsverfahrens ist klägerseitig allerdings auch in der mündlichen Verhandlung am 20. April 2018 nicht zum Gegenstand des Entschädigungsklageverfahrens gemacht worden; insoweit ist der von der Teilklage erfasste Streitgegenstand unverändert geblieben. Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

24

Die Berechnung der von den Klägern beantragten Entschädigung ist nach der in der mündlichen Verhandlung erfolgen Klarstellung unter Zulässigkeitsgesichtspunkten unproblematisch. Dass die Kläger ihr Begehren auf jeden Kläger einzeln beziehen, ist nicht zu beanstanden, weil § 198 Satz 1 GVG auf den dem Einzelnen entstandenen Nachteil abstellt. Problematisch war allerdings die Berechnung, weil die Kläger – ausgehend von einer akzeptierten Verfahrensdauer von 12 Monaten ab August 2014, also ab August 2015 – schriftsätzlich zum Teil von 13 und zum Teil von 15 Monaten ausgingen. Hierzu hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger im Termin allerdings klargestellt, dass eine Verzögerung von 15 Monaten geltend gemacht werden soll und dass es sich bei der abweichenden Zeitangabe um ein Versehen gehandelt hat. Ausgehend vom 18. August 2015 waren bei Erhebung der Entschädigungsklage am 8. Dezember 2016 auch 15 Monate verstrichen, so dass die geltend gemachte Entschädigungshöhe insoweit nicht von vornherein unzulässig war.

25

Die Klagefrist des § 198 Abs. 5 GVG (frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge und spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der verfahrensbeendenden Entscheidung oder einer anderen Erledigung des Verfahrens) ist hier unproblematisch gewahrt (Eingangsdatum der Verzögerungsrüge: 20. April 2016; Verfahrenserledigung des Ausgangsverfahrens erst nach Erhebung der Entschädigungsklage).

26

Das beklagte Land ist passivlegitimiert (§ 200 Satz 1 GVG).

27

In der Sache ist die Entschädigungsklage allerdings nicht begründet. Die Voraussetzungen des § 198 GVG sind hier nämlich nicht erfüllt. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG setzt – wie bereits ausgeführt – voraus, dass ein Verfahrensbeteiligter infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 Satz 2, § 198 Abs. 4 GVG). Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge, § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG).

28

Diese – positiven wie negativen – Anspruchsvoraussetzungen müssen auch dann erfüllt sein, wenn die Entschädigungsklage – wie hier – während des noch andauernden Ausgangsverfahrens erhoben wird (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. August 2014, L 37 SF 300/13 EK, Rz 30; Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 23. Januar 2014, II ZR 37/13, wie auch zu weiteren Gerichtsentscheidungen zitiert nach juris). Entscheidend ist also, ob bei Erhebung der Entschädigungsklage am 8. Dezember 2016 bereits eine unangemessene und irreparable Verzögerung des Ausgangsverfahrens (zu diesem Maßstab: LSG Berlin-Brandenburg a.a.O. Rz 39) festzustellen ist. Das ist zur Überzeugung des Senats nicht der Fall. Gewisse bis zu diesem Zeitpunkt eingetretene Verzögerungen relativieren sich in der Gesamtbewertung bereits durch die nach Erhebung der Entschädigungsklage bemerkenswert kurze weitere Verfahrensdauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht Schleswig. Unabhängig hiervon kann von einer unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens nicht ausgegangen werden.

29

Unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Maßstäbe (BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rz 28 ff.; Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R - Rz 23 ff.; Urteil vom 5. Mai 2015 - B 10 ÜG 8/14 R - Rz 33 ff., juris) erfolgt die Prüfung der (Un-)Angemessenheit der Verfahrensdauer im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG in drei Schritten:

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(1) Ausgangspunkt und erster Schritt bildet die Feststellung der in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierten Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Kleinste relevante Zeiteinheit ist hierbei der Kalendermonat.

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(2) In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien zu messen. Dabei ist zu beachten, dass die Verfahrensführung des Ausgangsgerichts vom Entschädigungsgericht nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen ist.

32

(3) Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat. Dabei geht das BSG davon aus, dass vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls die Verfahrensdauer jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen ist, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die zwölf Monate je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht.

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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe, denen der Senat folgt, liegt eine unangemessene Verfahrensdauer des Ausgangsverfahrens hier nicht vor:

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(zu 1)

35

Das Ausgangsverfahren hat vom 18. August 2014 bis zur Erhebung der Entschädigungsklage am 8. Dezember 2016 knappe 28 Monate (2 Jahre und knapp 4 Monate) angedauert (bis zur Verkündung des Urteils am 16. Februar 2017 sind etwas mehr als weitere zwei Monate vergangen und bis zur Zustellung der Entscheidung am 27. März 2017 noch einmal etwas mehr als ein Monat).

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(zu 2)

37

a) Bei der Messung des Ablaufs des Ausgangsverfahrens an den Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ist zunächst festzustellen, dass das Verfahren einen überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrad aufwies. Im Streit stand, ob der beklagte Kreis Nordfriesland im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum über ein „schlüssiges Konzept“ im Sinne der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R -, Rz 18 ff.) zur Bestimmung der Angemessenheit der Unterkunftskosten verfügte. Letzteres war zum Zeitpunkt der Klageerhebung in den Tatsacheninstanzen noch nicht abschließend geklärt (zur Rechtsanwendung des „schlüssigen Konzepts“ im Einzelfall durch die Tatsacheninstanzen vgl. BSG, Beschluss vom 7. Oktober 2015 – B 14 AS 255/15 B –). Nach den Entscheidungen des LSG Schleswig-Holstein vom 13. Mai 2016 - L 3 AS 126/16 - und vom 17. Juni 2016 - L 3 AS 184/13 bis 187/13 -, wonach der beklagte Kreis Nordfriesland in der Vergangenheit (bis Juni 2015) nicht über ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der kommunalen Angemessenheitsgrenze für die Unterkunftskosten verfügt, und den mit Beschlüssen des BSG vom 14. Dezember 2016 - B 14 AS 251/16 B (zu L 3 AS 126/16) - und vom 20. Dezember 2016 - B 4 AS 247/16 B, B 14 AS 248/16 B, B 4 AS 249/16 B, B 14 AS 250/16 B (zu L 3 AS 184/13 bis 187/13) - zurückgewiesenen Nichtzulassungsbeschwerden verurteilte das Sozialgericht den beklagten Kreis zur Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung unter Zugrundelegung der Tabellenwerte des § 12 Wohngeldgesetzes zuzüglich eines Sicherheitszuschlages von 10 % und sprach den Klägern für den streitgegenständlichen Zeitraum (Juni bis einschließlich November 2016) weitere Leistungen in Höhe von monatlich 48,67 EUR zu. Zudem wies die Bescheidlage eine besondere Komplexität auf, da es sich um die endgültige Feststellung zunächst vorläufig gewährter Leistungen unter Anrechnung von Einkommen und der Feststellung einer Erstattungsleistung in Höhe von (zunächst) 210,88 EUR handelte. Vor diesem Hintergrund ist von einer überdurchschnittlichen Schwierigkeit des Ausgangsverfahrens auszugehen. Dieser Gesichtspunkt hat sich auch im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. Juni 2017 und der Anerkennung einer Erhöhung der Mittelgebühr um 20 % niedergeschlagen.

38

b) Die Bedeutung des Ausgangsverfahrens ist für die Kläger zumindest durchschnittlich gewesen. Die für die Beurteilung der Verfahrensdauer relevante Bedeutung des Verfahrens ergibt sich aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. Zur Bedeutung der Sache im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG trägt dabei im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung bei. Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition der Kläger und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf ihre weiteren geschützten Interessen auswirkt (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 -, Rz 29). Aus diesem Grunde wird existenzsichernden Leistungen regelmäßig überdurchschnittliche Bedeutung für ihren Empfänger beigemessen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 27. September 2011 - 1 BvR 232/11 -, Rz 18; BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/14 R - Rz 39). Eine Klage auf Grundsicherungsleistungen ist auch nicht deshalb weniger bedeutsam und dringlich, weil sich die Kläger nicht um einstweiligen Rechtsschutz bemüht haben (BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R - Rz 29). Im vorliegenden Fall standen existenzsichernde Leistungen im Streit. Die Kläger begehrten statt der ihnen nur anteilig bewilligten Kosten der Unterkunft und Heizung für die Wohnung ..., ... H. in Höhe von 427,00 EUR für einen 3-Personen-Haushalt die Übernahme der kopfanteiligen tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 500,00 EUR. Aus der für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II wirtschaftlich bedeutsamen Höhe des Begehrens für den Streitzeitraum (1. Juni 2013 bis 30. November 2013) von insgesamt 292,02 EUR (6 x 48,67 EUR) einerseits und der der Forderung der Kläger gegenüberstehenden Erstattungsforderung in Höhe von (zunächst) 210,88 EUR, ergibt sich eine zumindest durchschnittliche Bedeutung des Ausgangsverfahrens. Letztlich standen den Klägern im streitigen Zeitraum höhere Leistungen auf der Grundlage der vorläufigen Bewilligungsentscheidung und der durch Aufnahme einer Beschäftigung verbesserten Einkommensverhältnisse zur Verfügung, die es ihnen ermöglichten, im Bewilligungszeitraum die Bedarfe einschließlich der streitigen Unterkunftsbedarfe weitestgehend zu decken. Gleichwohl waren die Kläger im Ausgangsverfahren angesichts des unzutreffend bestimmten Unterkunftsbedarfs im Rahmen der endgültigen Leistungsfestsetzung einer Erstattungsforderung ausgesetzt, so dass zusammen mit der von den Klägern wohl auch beabsichtigten Signalwirkung für weitere Bewilligungszeiträume hier von einer zumindest durchschnittlichen Bedeutung des Verfahrens auszugehen ist.

39

c) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich zudem danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind. Denn eine Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit hängt wesentlich davon ab, ob dem Staat zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt haben. Maßgeblich sind Verzögerungen (§ 200 GVG), also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens, insbesondere aufgrund von Untätigkeit des Gerichts (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R -, Rz 41 unter Bezugnahme auf BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. August 2012 - 1 BvR 1098/11 -).

40

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist dabei zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen. Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 -, Rz 14). Angesichts dessen muss dem Gericht in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, Rz 44). Bei der Bestimmung der Angemessenheit einer Verfahrensdauer sind daher keine zu engen zeitlichen Grenzen zu ziehen (vgl BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL -, Rz 27; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013, - 5 C 23/12 D -, Rz 41 f m.w.N.; BFH, Zwischenurteil vom 11.Juli 2013 - X K 13/12 -, Rz 54). Allerdings müssen die Gerichte bei ihrer Verfahrensleitung stets die Gesamtdauer des Verfahrens im Blick behalten. Mit zunehmender Dauer des Verfahrens verdichtet sich die aus dem Justizgewährleistungsanspruch resultierende Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (vgl BVerfG, stattgebender Kammerbeschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 -, Rz 11 und Beschwerdekammerbeschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 -).

41

Zudem eröffnet das Entschädigungsverfahren keine weitere Instanz, um das Handeln des Ausgangsgerichts einer rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen. Vielmehr hat das Entschädigungsgericht die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung und -gestaltung zugrunde legt, nicht infrage zu stellen, soweit sie nicht geradezu willkürlich erscheinen. Die Prozessordnung räumt dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber ein, wie es das Verfahren gestaltet und leitet. Die richtige Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art 6 Abs. 1 EMRK bzw. des Grundrechts Art 19 Abs. 4 GG in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung abgewogen hat (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rz 43 m.w.N.).

42

Obwohl die maßgebliche Gesamtabwägung nach den Vorgaben des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG in jedem Einzelfall durchzuführen ist und der Gesetzgeber von der Einführung bestimmter Grenzwerte (Fristen) für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen hat (BT-Drucks. 17/3802 S 18; BSG, Urteile vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - und - B 10 ÜG 2/12 KL -, jeweils zu Rz 25 ff. m.w.N.), lässt es sich zur Gewährleistung möglichst einheitlicher Rechtsanwendung und damit aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit andererseits nicht vermeiden, in Entschädigungssachen zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG grundsätzlich jeder Instanz des Ausgangsverfahrens eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit zuzubilligen, die nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden muss (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R -, Rz 27 und 45 ff.; Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rz 54; Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/14 R -, Rz 46 f.; Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R -, Rz 33), soweit nicht nach den besonderen Umständen des Einzelfalles (etwa wegen erheblicher Bedeutung als Musterprozess) ausnahmsweise eine kürzere bzw. gar keine (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R, Rz 50; Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 1/13 R -, Rz 32) oder eine längere Vorbereitungs- und Bedenkzeit (etwa wegen exzessiver Inanspruchnahme der Gerichte: vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Februar 2016 - L 37 SF 360/13 EK AS -, Rz 81 f) anzusetzen ist. Diese Vorbereitungs- und Bedenkzeit kann am Anfang, in der Mitte oder am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt 12 Monate nicht übersteigende Abschnitte, unterteilt sein (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R -, Rz 46).

43

Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen erst dann zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23/12 D -, Rz 42; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014, - III ZR 311/13 -, Rz 31 m.w.N.; BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 -, Rz 35; BVerfG, Beschwerdekammerbeschluss vom 1. Oktober 2012 – 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 –). Dies gilt insbesondere, wenn das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben ist und das Verfahren weder betrieben noch sonst gefördert hat. Damit kommt eine Rechtfertigung von Verzögerungen bei strukturellen Mängeln wie eine Überlastung der Gerichte oder anderen in den Verantwortungsbereich des Staates fallenden Umständen nicht in Betracht (vgl. umfassend BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 – 5 C 23/12 D –, Rz 43 m.w.N. zur Rechtsprechung des EGMR und BVerfG).

44

Beruht die Verfahrensdauer, die die genannte Dauer von zwölf Monaten je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung (z.B. Zeit für Einholung von Auskünften, Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten, Beiziehung von Akten) oder wird sie maßgeblich durch das Verhalten des Klägers, anderer Verfahrensbeteiligter oder Dritter verlängert, so macht dies die Verfahrensdauer in der Regel noch nicht unangemessen. Auch ein Zuwarten auf Ergebnisse oder Ermittlungen in einem parallelen Verfahren kommt als sog. aktive Bearbeitungszeit in Betracht, wenn zu erwarten ist, dass in einem solchen Verfahren Erkenntnisse gewonnen werden, die auch für das Ausgangsverfahren von unmittelbarer Relevanz sind (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 27. September 2011 - 1 BvR 232/11 - Rz 31; BVerfG, Beschwerdekammerbeschluss, - 1 BvR 170/16 - Vz 1/12 [Verzögerungsbeschwerde] -, Rz 32 f. ; BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rz 47) oder wenn die Beteiligten diesem Vorgehen ausdrücklich zustimmen. Das Abwarten auf eine Leitentscheidung oder eine Entscheidung in einem Parallelverfahren kann dabei auch ohne förmliche Aussetzung oder einen Ruhensbeschluss vom Gestaltungsspielraum des Gerichts gedeckt sein, wenn für das Entschädigungsgericht hinreichend erkennbar ist, dass das Gericht auf eine Leitentscheidung gewartet und das Verfahren aus diesem Grund nicht gefördert hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 2018 - 5 B 13/17 D -, Rz 6). Anderes gilt hingegen für Zeiten, in denen eine Sache über zwölf Monate hinaus („am Stück“ oder immer wieder für kürzere Zeiträume) ohne sachlichen Grund „auf Abruf“ liegt, ohne dass das Verfahren zeitgleich inhaltlich betrieben wird, oder sich auf sog. Schiebeverfügungen beschränkt (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/14 R –, Rz 48).

45

Vor diesem Hintergrund kommt es auf die fehlende Zustimmung des Prozessbevollmächtigten zum Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf die seinerzeit im 3. Senat anhängigen Berufungsverfahren L 3 AS 126/13 sowie L 3 AS 183/13 bis L 3 AS 187/13, in denen die auch im Ausgangsverfahren relevante Frage eines schlüssigen Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten im Kreis Nordfriesland zur Entscheidung anstand, nicht entscheidungserheblich an.

46

Vor dem Hintergrund der Ruhensanregung des Gerichts angesichts der bei dem Schleswig-Holsteinischen LSG anhängigen Berufungsverfahren, der eindeutig ablehnenden Haltung der Kläger einerseits und der Verfahrensführung der Kammervorsitzenden, sich die in ihrer Kammer anhängigen Verfahren der Kläger zum gleichen Verfahrensgegenstand jeweils gleichzeitig vorlegen zu lassen, ist für das Entschädigungsgericht hinreichend deutlich, dass das Gericht den Ausgang der von dem beklagten Landkreis benannten Berufungsverfahren zur entscheidungserheblichen Rechtsfrage abwarten wollte. In diesem Zusammenhang darf das Ausgangsverfahren nicht isoliert betrachtet, vielmehr muss es gemeinsam mit den zeitgleich geführten Parallelverfahren der Kläger, den Verfahren S 16 AS 468/14 und S 16 AS 578/14, gesehen werden. Die regelmäßige Wiedervorlage aller die Unterkunftskosten der Kläger betreffenden Verfahren nach Ablehnung der Ruhensanregung des Gerichts mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2014 bis zur Verfügung vom 21. bzw. 26. April 2016 („Sitzungsfach“) lassen zur Überzeugung des Senats nur diesen Rückschluss zu. Dies gilt umso mehr, als die Kammervorsitzende zu den verfügten Wiedervorlagedaten in dem hier maßgeblichen Ausgangsverfahren wiederholt vorgemerkt hat, bei Wiedervorlage den Stand der LSG-Verfahren prüfen zu wollen (Verfügungen vom 4. März und 6. Juli 2015, Bl. 60R und 61 der Gerichtsakten des Ausgangsverfahrens). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt, dass die Kammervorsitzende das Verfahren im April 2016 ins Sitzungsfach verfügt hat. Mit dieser Verfügung hat die Kammervorsitzende das Verfahren - einschließlich der mitlaufenden Parallelverfahren, in denen eine entsprechende Verfügung schon eher ergangen ist - aus der von der Geschäftsstelle zu überwachenden Fristenkontrolle genommen. Soweit der Prozessbevollmächtigte einwendet, dass mit dem Terminus „Sitzungsfach“ zum Ausdruck komme, dass das Verfahren nunmehr entscheidungsreif sei und eine Zeit der gerichtlichen Inaktivität darstelle, vermag der erkennende Senat sich vor dem Hintergrund des erkennbaren Abwartens der obergerichtlichen Entscheidung zur entscheidungserheblichen Rechtsfrage nicht anzuschließen. Denn offensichtlich ging auch der Prozessbevollmächtigte der Kläger seinerzeit davon aus, dass das Ausgangsgericht keine eigenen Ermittlungen vornehmen will, sondern die Entscheidung des 3. Senat abwarten will, wie sich aus seinen Anfragen vom 8. Dezember 2015 sowie vom 16. September 2016 im Parallelverfahren S 16 AS 578/14 zum Verfahrensstand der Musterverfahren deutlich ergibt.

47

Nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidungen des LSG vom 13. Mai 2016 und 17. Juni 2016 durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerden des BSG vom 14. und 20. Dezember 2016 hat das Gericht das Ausgangsverfahren - gemeinsam mit diversen Parallelverfahren der Kläger - am 11. Januar 2017 kurzfristig auf den 16. Februar 2017 terminiert und abschließend entschieden. Damit hat das Gericht nach Wegfall der (faktischen) Ruhensgründe sichtbar zum Ausdruck gebracht, nunmehr das Verfahren durch Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zu fördern. Angesichts der unmittelbar nach Veröffentlichung der Nichtzulassungsbeschwerden seitens des BSG erfolgten Terminierung des Ausgangsverfahrens sowie weiterer Parallelverfahren der Kläger wird zudem deutlich erkennbar, dass das Ausgangsgericht trotz Herausnahme des Ausgangsverfahrens aus der regelmäßigen Wiedervorlage die Verfahren der Kläger im Blick behalten hat.

48

Der Senat geht mit dem 10. Senat des BSG (Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rz 47) davon aus, dass das Abwarten auf eine entscheidungserhebliche Leitentscheidung - hier: L 3 AS 126/13 sowie L 3 AS 183/13 bis L 3 AS 187/13 - als sog. aktive Bearbeitungszeit gilt mit der Folge, dass im Ausgangsverfahren trotz einer Verfahrenslaufzeit von 2 Jahren und ca. 4 Monaten und einer Vielzahl an Wiedervorlagen im 3 bzw. 4 Monatsrhythmus bzw. der Verfügung ins Sitzungsfach im April 2016 bis zum Dezember 2016 (Zeitpunkt der Erhebung der Teilklage auf Entschädigung) keine gerichtliche Inaktivität bestand.

49

Dass das Sozialgericht die Kläger bzw. ihren Prozessbevollmächtigten nicht in diesem Ausgangsverfahren regelmäßig und umfassend über die Gründe seiner Verfahrensgestaltung informiert hat, kann schon wegen der im Parallelverfahren zum Az. S 16 AS 578/14 geführten Korrespondenz des Gerichts mit dem Prozessbevollmächtigten der Kläger vernachlässigt werden. Da sämtliche Parallelverfahren inhaltlich zusammenhingen und weitgehend dieselben Rechtsfragen betrafen, waren die Kläger insoweit über den Ablauf informiert und hatten Gelegenheit, hierzu im Einzelnen Stellung zu nehmen. Hiervon ist in dem Verfahren S 16 AS 578/14 auch Gebrauch gemacht worden. Im Übrigen war der Grund für die Verfahrensgestaltung des Sozialgerichts durch die Ruhensanfragen offensichtlich. Unabhängig hiervon kommt es – wie ausgeführt – wesentlich auf die Erkennbarkeit für das Entschädigungsgericht an, die der Senat hier für gegeben hält.

50

Nach allem ist es nicht zu beanstanden, dass das Sozialgericht im Ausgangsverfahren die Entwicklung der obergerichtlichen Rechtsprechung zu den maßgebenden Rechtsfragen abwarten wollte. Dies gilt umso mehr, als allein von den Klägern eine Vielzahl von Verfahren – jeweils zu unterschiedlichen Bewilligungszeiträumen – anhängig war. Für den Fall einer schnelleren erstinstanzlichen Entscheidung wären – je nach Ausgang der Verfahren – Verfahrensfortsetzungen in weiteren Instanzen zu erwarten gewesen, so dass bereits insoweit  nicht von unangemessenen und irreparablen Verzögerungen des hier in Rede stehenden Ausgangsverfahrens ausgegangen werden kann. Dabei kann der bereits erwähnte, dem Sozialgericht zustehende Ermessens- bzw. Gestaltungsspielraum in Bezug auf die Verfahrensgestaltung nicht unberücksichtigt bleiben. Zusammenfassend hat das Sozialgericht sich bei seiner Verfahrensausgestaltung angesichts der Einzelfallumstände zur Überzeugung des Senats im rechtlich zulässigen Rahmen gehalten.

51

Lässt sich somit eine unangemessene Verfahrensdauer nicht begründen, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der Rechtsauffassung des BFH (Urteil vom 2. Dezember 2015 - X K 6/14 -, Rz 40 f.), wonach, sofern die Beteiligten auf gerichtliche Anfrage einem Ruhen des Verfahrens mit Rücksicht auf ein bei dem BFH anhängiges Revisionsverfahren in einer parallelen Angelegenheit nicht zustimmen - vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls im Allgemeinen davon ausgegangen werden könne, dass für die Verfahrensverzögerung in dieser Zeitspanne keine Entschädigung in Geld zu gewähren sei und die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer nach § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG ausreichend sei.

52

Vor diesem Hintergrund bedarf es auch nicht der vertieften Erörterung der Frage, ob die am 20. April 2016 bei dem Sozialgericht eingegangene Verzögerungsrüge wirksam erhoben worden ist.

53

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG (im Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens besteht keine Kostenfreiheit nach § 183 SGG, § 183 Satz 6 SGG) i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.

54

Der Senat hat keinen Anlass gesehen, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.

55

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG) und orientiert sich an der Höhe der geforderten Entschädigung.


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(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben; die §§ 184 bis 195 finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung sind entsprechend anzuwenden. Wird die Klage zurückgenommen, findet § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung keine Anwendung.

(2) Dem Beigeladenen werden die Kosten außer in den Fällen des § 154 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung auch auferlegt, soweit er verurteilt wird (§ 75 Abs. 5). Ist eine der in § 183 genannten Personen beigeladen, können dieser Kosten nur unter den Voraussetzungen von § 192 auferlegt werden. Aufwendungen des Beigeladenen werden unter den Voraussetzungen des § 191 vergütet; sie gehören nicht zu den Gerichtskosten.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, soweit sie an Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Trägern beteiligt sind.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese Zuständigkeiten sind ausschließliche.

(2) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(3) Das Entschädigungsgericht kann das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert. In Strafverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage, hat das Entschädigungsgericht das Verfahren auszusetzen, solange das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

(4) Besteht ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe, wird aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, haftet das Land. Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Bundes eingetreten sind, haftet der Bund. Für Staatsanwaltschaften und Finanzbehörden in Fällen des § 386 Absatz 2 der Abgabenordnung gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Tenor

Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 8. Juli 2015 werden als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Kläger, ihnen für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundessozialgericht Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt M. beizuordnen, wird abgelehnt.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

1. Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung sind als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Sozialgerichtsgesetz), weil der zu ihrer Begründung allein angeführte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG schlüssig dargelegt ist.

2

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Nach den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG sich ergebenden Anforderungen muss ein Beschwerdeführer dazu anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Frage sich stellt, dass diese Rechtsfrage noch nicht geklärt ist, weshalb deren Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung dieser Rechtsfrage erwarten lässt(vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX, RdNr 63 ff).

3

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet sie, "ob die Unterkunftsrichtlinie des Landkreises G. auf einem schlüssigen Konzept im Sinne der BSG-Rechtsprechung beruht oder nicht" und "ob eine Unterkunftsrichtlinie auch vor ihrem Inkrafttreten … angewendet werden kann, wenn eine davor rechtswidrige Unterkunftsrichtlinie vorlag, die mit der neuen Unterkunftsrichtlinie förmlich außer Kraft gesetzt worden ist". Damit sind keine Rechtsfragen bezeichnet, denen grundsätzliche Bedeutung im dargelegten Sinne zukommt. Ob die in der Rechtsprechung des BSG aufgestellten Anforderungen an die realitätsgerechte Ermittlung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten iS von § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zutreffend angewandt worden sind oder nicht, bleibt auch dann eine Frage der Rechtsanwendung im Einzelfall, wenn sie sich in einem Landkreis in einer größeren Zahl von Fällen einheitlich stellt. Daran ändert auch nichts, wenn das mit der Vorbereitung der hier maßgebenden Richtlinie beauftragte Unternehmen auch andere SGB II-Träger in vergleichbaren Fragen berät, wie die Kläger geltend machen. Grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG könnte dem nur zukommen, soweit unter Auseinandersetzung mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG aufzuzeigen sein würde, inwieweit die angegriffene Entscheidung das gesamte Bundesgebiet betreffende Rechtsfragen berührt, die eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung der Rechtsprechung durch das Revisionsgericht angezeigt erscheinen lassen, woran es fehlt. Das gilt entsprechend für die Frage nach der Anwendbarkeit der Richtlinie auf vor ihrem Inkrafttreten liegende Zeiträume. Auch insoweit wäre unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu den Anforderungen an die Ermittlung des abstrakten Unterkunftsbedarfs für vergangene Zeiträume aufzuzeigen gewesen, inwiefern sich in dem hier angestrebten Revisionsverfahren aus Gründen der (bundesweiten) Rechtseinheit klärungsbedürftige Rechtsfragen stellen, deren Beantwortung entweder noch nicht geklärt ist oder die in klärungsbedürftiger Weise erneut streitig geworden sind.

4

2. Prozesskostenhilfe (PKH) gemäß § 73a SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) ist den Klägern nicht zu bewilligen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach den obigen Ausführungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwaltes (§ 73a SGG iVm § 121 ZPO) ist abzulehnen, weil die Kläger keinen Anspruch auf PKH haben.

5

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht Hildesheim - S 45 AS 185/07 (vormals: S 33 AS 185/07) - die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes) verletzt.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

3. Das Land Niedersachsen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer zu 1) lebt gemeinsam mit seinen drei am 5. Mai 1992, am 17. Januar 1994 und am 28. Februar 2000 geborenen Kindern, den Beschwerdeführern zu 2) bis 4), in einer laut Mietvertrag 110 qm großen Wohnung zur Miete. Für die Unterkunft ist eine monatliche Bruttokaltmiete in Höhe von 848,18 € zu entrichten.

3

Im fachgerichtlich streitigen Zeitraum von Dezember 2006 bis Mai 2007 stellte der Grundsicherungsträger ein Recht des Beschwerdeführers zu 1) auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II fest. Ein solches Recht verneinte er hinsichtlich der Beschwerdeführer zu 2) bis 4), da diese ihren Bedarf aus eigenem Einkommen decken könnten (Bescheid vom 22. November 2006; Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2007; Bescheid vom 7. Januar 2011).

4

2. Die Beschwerdeführer erhoben hiergegen am 14. Februar 2007 Klage, mit der sie die Gewährung höherer beziehungsweise überhaupt von Leistungen nach dem SGB II verfolgen. Im Wesentlichen beanstanden sie, dass hinsichtlich der Leistungen für Kosten der Unterkunft nicht von der Angemessenheit der monatlichen Bruttokaltmiete in Höhe von 848,18 € ausgegangen worden sei.

5

Nachdem die Klageerwiderung des Grundsicherungsträgers eingegangen war, verfügte das Sozialgericht am 21. März 2007 unter Hinweis auf ein vor einer anderen Kammer anhängiges Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Wiedervorlage der Akten in zwei Monaten. Am 1. Juni 2007 wurde deswegen die Wiedervorlage der Akten in drei Monaten, am 20. September 2007 in zwei Monaten und, nach Eingang eines Schreibens der Beschwerdeführer am 11. Oktober 2007, am Folgetag in drei Monaten verfügt. Noch im Oktober 2007 entschied sich das Sozialgericht nunmehr, die Ermittlungen dieser anderen Kammer in einem früher anhängigen Klageverfahren, bei dem um die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft für einen früheren Zeitraum gestritten wurde, abzuwarten. Die deswegen schließlich mit Verfügung vom 2. Juli 2008 durch das Sozialgericht angeregte Antragstellung auf Ruhen des Verfahrens lehnten die Beschwerdeführer mit am 14. Juli 2008 eingegangenem Schreiben ab. Danach beschränkte sich das Sozialgericht im Wesentlichen darauf, eingehende Schriftstücke der Verfahrensbeteiligten der jeweils anderen Seite zuzuleiten. Bei den hauptsächlich von den Beschwerdeführern ausgehenden Schreiben ging es inhaltlich im Wesentlichen darum, dass der Grundsicherungsträger bislang überhaupt keine Ermittlungen zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft angestellt habe. Ferner führten die Beschwerdeführer regelmäßig Entscheidungen des Bundessozialgerichts an, die sich mit Leistungen für Kosten der Unterkunft befassten.

6

Mit Schriftsatz vom 17. März 2010, der zwei Tage später beim Sozialgericht einging, trug der Grundsicherungsträger unter Berücksichtigung mittlerweile er-gangener Rechtsprechung des Bundessozialgerichts weiter vor und wies in diesem Zusammenhang, allerdings ohne vom Sozialgericht zuvor dazu aufgefordert worden zu sein, auf ein von ihm für das Jahr 2008 in Auftrag gegebenes Gutachten („schlüssiges Konzept“) hin, das auch für die Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft für die streitgegenständliche Zeit von Dezember 2006 bis Mai 2007 herangezogen werden könne. Hierauf erwiderten die Beschwerdeführer mit Schreiben vom 25. März 2010. Zum Zwecke der Beweiserhebung durch das Gericht benannte der Grundsicherungsträger im Schriftsatz vom 19. Mai 2010 eine der Personen, die an dem von ihm übersandten Gutachten mitgewirkt hatte. Mit Schreiben vom 11. Juni 2010 lehnten die Beschwerdeführer es ab, dass die benannte Person durch das Gericht gehört werde.

7

Auf die Anforderung der Verfahrensakten durch das Landessozialgericht verfügte das Sozialgericht am 16. Juli 2010 deren Übersendung und das Anlegen einer Restakte. Nachdem die Beschwerdeführer in einem weiteren Schreiben auf einen Bescheid vom 7. Januar 2011 eingingen, forderte das Sozialgericht den Grundsicherungsträger auf, eine Kopie hiervon zu übersenden; dem kam der Verwaltungsträger nach. Anschließend wurden keine verfahrensleitenden Verfügungen seitens des Gerichts vorgenommen. Ende April 2011 wurde die Wiedervorlage der Akten in drei Wochen verfügt. Durch Präsidiumsbeschluss des Sozialgerichts ist das Verfahren schließlich mit Wirkung ab 1. Mai 2011 von der 33. auf die 45. Kammer dieses Gerichts übertragen worden.

8

3. Mit ihrer am 27. Januar 2011 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen die ihres Erachtens verfassungswidrige bisherige Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens und beantragen überdies die Festsetzung eines zu zahlenden Ausgleichsbetrags für die Verfahrensverzögerung. Sie rügen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG.

9

Die Beschwerdeführer tragen im Wesentlichen vor, das Sozialgericht habe das Verfahren von Anfang an nicht betrieben. Die zunächst zuständige Richterin sei überhaupt nicht tätig geworden. Mit Ausnahme des Verweises auf Ermittlungen in einem anderen Verfahren und des Versuchs, das Verfahren ruhend zu stellen, sei - nach einem Richterwechsel - im Jahre 2008 und bis Mitte 2009 das Verfahren nicht nur nicht befördert worden, sondern man habe auch den Versuch unternommen, durch übermäßig lange Fristsetzungen und verspätete Weiterleitungen von Schriftsätzen, das Verfahren zu behindern. Ebenso habe der dritte zuständige Richter, nach einem Richterwechsel im August 2009, das Verfahren in keiner Weise gefördert. Der Grundsicherungsträger sei in der Zeit zwischen September 2008 und Januar 2011 seitens des Gerichts kein einziges Mal um eine Stellungnahme gebeten worden.

10

4. Das Niedersächsische Justizministerium hat am 27. Mai 2011 eine Stellungnahme abgegeben und hierin einen Grundrechtsverstoß wegen überlanger Verfahrensdauer verneint.

11

Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen vor.

II.

12

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde und eine Stattgabe durch die Kammer zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b und § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor, soweit sich die Beschwerdeführer gegen die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht wenden (Art. 19 Abs. 4 GG). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits entschieden (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet.

13

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist auch eine mögliche Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG substantiiert dargelegt worden.

14

2. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet.

15

Die Beschwerdeführer sind durch die Untätigkeit des Sozialgerichts in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Die von ihnen daneben angeführten Normen des Grundgesetzes - Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) - betreffen hingegen die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinn (vgl. BVerfGE 82, 126 <155>; 93, 99 <107>).

16

a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksam ist nur ein zeitgerechter Rechtsschutz. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>). Dies entspricht auch den Anforderungen aus Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten an Gerichtsverfahren in einem demokratischen Rechtsstaat (vgl. EGMR, Urteil vom 1. Juli 1997 - 125/1996/744/943 - Probstmeier/Deutschland, NJW 1997, S. 2809 <2810>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>; auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, NJW 2008, S. 503). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind insbesondere die Natur des Verfahrens und die auch aus grundrechtlicher Sicht zu beurteilende Bedeutung der Sache sowie die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten und insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie, sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen, zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 <335>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris).

17

b) Danach ist es verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, dass infolge der Untätigkeit des Sozialgerichts über den Abschluss des am 14. Februar 2007 eingeleiteten erstinstanzlichen Verfahrens über Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach inzwischen über vier Jahren noch keine Klarheit besteht. Insbesondere ist nicht hinnehmbar, dass das Sozialgericht das Verfahren nunmehr in einem Zeitraum von nahezu drei Jahren in keiner Weise gefördert hat.

18

aa) Zu den Rechtsangelegenheiten, die wegen ihrer Natur und ihrer Bedeutung für die Betroffenen besonders zu fördern sind, gehören Verfahren, bei denen dem Grunde oder der Höhe nach um Fürsorgeleistungen wie vorliegend die Grundsicherungsleistungen gestritten wird. Solche Leistungen dienen der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums, sind also auch aus der Sicht von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG von erheblicher Bedeutung (vgl. BVerfGE 125, 175 <222 f.>).

19

bb) Die Sachmaterie war nicht in einem Maße komplex, dass sie ein derart langes Verfahren rechtfertigen könnte.

20

(1) Ergeht während des Klageverfahrens ein neuer Verwaltungsakt, der den mit der Klage angefochtenen abändert (§ 96 Abs. 1 SGG), so kann allein hieraus nicht auf die Schwierigkeit der Sachmaterie geschlossen werden. So wurde vorliegend etwa durch den ohnehin erst am 7. Januar 2011 ergangenen und auf § 44 SGB X gestützten Verwaltungsakt, unter Zurücknahme des zunächst mit der Klage angefochtenen Verwaltungsaktes, ein Recht des Beschwerdeführers zu 1) auf höhere als bereits mit jenem Bescheid gewährte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II festgestellt. Dies kann seinen Grund auch allein darin gehabt haben, dass der Grundsicherungsträger zunächst von einem Sachverhalt ausgegangen war, der sich später als unrichtig erwiesen hat (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SGB X); und damit unabhängig davon, ob die Sachmaterie schwierig war oder nicht.

21

(2) Soweit das Justizministerium einwendet, der Gang des Verfahrens sei von rechtlich komplexen und bis zu den jeweiligen Entscheidungen des Bundessozialgerichts nicht obergerichtlich entschiedenen Fragen geprägt gewesen, so kann dem nicht gefolgt werden.

22

(aa) Die Frage, ob von dem jeweiligen Einkommen der Beschwerdeführer zu 2) bis 4) ein pauschaler Betrag in Höhe von monatlich 30 € für die Beiträge zu privaten Versicherungen abzuziehen ist, ist rechtlich nicht schwierig. Die Antwort ergibt sich unzweifelhaft aus der gesetzlichen Regelung des § 13 Nr. 3 SGB II in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I S. 1706) in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung - Alg II- V) vom 20. Oktober 2004 (BGBl I S. 2622) in der Fassung der Verordnung vom 22. August 2005 (BGBl I S. 2499). Die Frage, ob, und wenn ja, mit welchem Anteil die Kosten für die Warmwasserbereitung in der Regelleistung enthalten sind, wurde durch das Bundessozialgericht bereits in der Entscheidung vom 27. Februar 2008 (BSGE 100, 94) in den Grundzügen geklärt.

23

(bb) Die im Kern aufgeworfene Rechtsfrage, ob die den Beschwerdeführern tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft als angemessen anzusehen sind, gehört zum gängigen Geschäft eines Sozialgerichts. Sie war bereits bei Klageerhebung in den Grundzügen höchstrichterlich geklärt.

24

(α) Die Beschwerdeführer begehren im Ausgangsverfahren die Gewährung höherer als die mit den angefochtenen Verwaltungsakten festgestellten beziehungsweise überhaupt von Leistungen nach dem SGB II. Zur Begründung stützen sie sich im Wesentlichen darauf, dass die ihnen tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft entgegen der Auffassung des Grundsicherungsträgers gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II als angemessen zugrunde zu legen seien. Bei dem Begriff der „Angemessenheit“ handelt es sich um einen durch die Fachgerichte vollständig überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. BSGE 97, 203 <206>). Zwar können solche Rechtsbegriffe unter Umständen wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie so vage und ihre Konkretisierung im Nachvollzug der Verwal-tungsentscheidung so schwierig sein, dass die gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt. Im Hinblick auf die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist allerdings zu beachten, dass der 7b. Senat des Bundessozialgerichts den Begriff der Angemessenheit der Aufwendungen für eine Unterkunft im Wesentlichen in zwei Entscheidungen vom 7. November 2006 konkretisierte (vgl. BSGE 97, 231 und 254). Er orientierte sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 97, 110; 101, 194). Dem ist der später für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständig gewordene 14. Senat des Bundessozialgerichts gefolgt und hat die Angemessenheitsprüfung in einem mehrstufigen Verfahren vorgenommen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 27. Februar 2008 - B 14/7b AS 70/06 R -, ZFSH/SGB 2008, S. 422; Urteil vom 18. Juni 2008 - B 14/7b AS 44/06 R -, juris). Diesem Vorgehen hat sich der nunmehr neben dem 14. Senat ausschließlich für das Grundsicherungsrecht zuständige 4. Senat des Bundessozialgerichts angeschlossen (vgl. BSGE 102, 263).

25

Danach ist die Angemessenheitsprüfung in drei Schritten vorzunehmen, wobei in einem ersten Schritt abstrakt die angemessenen Wohnungsgrößen und Wohnungsstandards bestimmt werden, in einem zweiten Schritt festgelegt wird, auf welche konkreten räumlichen Gegebenheiten als räumlicher Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist und im dritten Schritt ermittelt wird, wie viel für eine nach Größe und Standard abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzuwenden ist. Das Bundessozialgericht vertritt dabei die sogenannte „Produkttheorie“, wonach es genügt, wenn das Produkt aus Wohnfläche (Quadratmeterzahl) und Standard (Mietpreis je Quadratmeter) eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete (Referenzmiete) ergibt (vgl. BSGE 102, 263 <265 f.>). Es ist Sache der gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Grundsicherungsträger, für die Angemessenheitsprüfung in ihrem Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln. Entscheiden sie ohne ein solches Konzept, sind sie im Rahmen der prozessualen Mitwir-kungspflicht nach § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und gegebenenfalls eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht schlüssig erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind (vgl. BSGE 104, 192 <198 f.>). Zur Amtsermittlungspflicht des Gerichts gehört dann der Versuch, vom Grundsicherungsträger die erforderlichen Daten zu erlangen und gegebenenfalls für eine Auswertung zu sorgen (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 27/09 R -, NZS 2010, S. 515 <517>). Steht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Überzeugung des Gerichts fest, dass - etwa durch Zeitablauf - keine weiteren Erkenntnisse erlangt werden können, sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R -, BSGE 104, 192 <199>) vom Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen der Hilfebedürftigen für die Unterkunft zu übernehmen, bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte in § 8 Wohngeldgesetz (WoGG) in der Fassung von Art. 25 Nr. 5a des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl I  S. 2954) beziehungsweise § 12 WoGG in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung des Sozialgesetzbuches vom 24. September 2008 (BGBl I S. 1856).

26

(β) Da es sich bei den Leistungen für Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II um solche Leistungen handelt, die einen anderen Bedarf decken sollen als denjenigen, für den die Regelleistung bestimmt ist (vgl. § 20 Abs. 1 SGB II i.d.F. vor dem 1. Januar 2011 und § 20 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SGB II i.d.F. von Art. 2 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 ), ist die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft im Ausgangsverfahren unabhängig davon zu prüfen gewesen, ob die Normen, nach denen die Höhe der Regelleistung im SGB II bestimmt wird, als verfassungswidrig eingestuft werden. Daher ist es unerheblich, dass das Bundesverfassungsgericht erst in der Entscheidung vom 9. Februar 2010 (BVerfGE 125, 175) hierzu grundlegende Ausführungen gemacht hat.

27

(γ) Ergibt sich, dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind, bedeutet das nicht, dass sie nicht trotzdem in vollem Umfang als Unterkunftsbedarf berücksichtigt werden können. Vom Sozialgericht wäre dann noch zu prüfen, ob eine Übernahme dieser den Beschwerdeführern im fachgerichtlich streitigen Zeitraum entstandenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II in Betracht kommt (BSGE 102, 263<269>).

28

cc) Die Beschwerdeführer selbst haben ebenfalls nicht maßgeblich zur Verzögerung des Verfahrens beigetragen. In ihren Schreiben führten sie regelmäßig neuere Entscheidungen des Bundessozialgerichts zu Leistungen für Kosten der Unterkunft an und gaben deren Inhalt wieder. Hierdurch war das Sozialgericht nicht daran gehindert, Ermittlungen zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft anzustellen. Es ist nicht ersichtlich, dass bei der Kammer, die das zugrunde liegende Verfahren zu bearbeiten hatte beziehungsweise hat, gleichzeitig ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anhängig war, so dass es auch deswegen nicht zu einer Verzögerung gekommen sein kann.

29

dd) Eine gerichtlich zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, etwa gerichtlicher Sachverständiger, hat nicht zu einer Verzögerung beigetragen.

30

ee) Die lange Verfahrensdauer geht vielmehr im Wesentlichen auf Versäumnisse des Gerichts zurück. Das Sozialgericht hat das Verfahren nur in unzu-reichender Weise gefördert.

31

(1) Ob bereits zu beanstanden ist, dass das Sozialgericht zunächst den Abschluss eines bei einer anderen Kammer geführten Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes und dann die weiteren Ermittlungen in einem dort früher anhängig gewordenen Klageverfahren abwarten wollte, mag dahinstehen. Dem Zuwarten könnte die nachvollziehbare Erwägung zugrunde gelegen haben, dass in diesen Verfahren Erkenntnisse gewonnen werden, die auch für das Ausgangsverfahren von Relevanz sind. Denn auch in diesen Verfahren wurde um die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft gestritten, wenn auch für frühere Zeiträume.

32

(2) Hingegen begegnet die Untätigkeit des Sozialgerichts nach der am 14. Juli 2008 eingegangenen Mitteilung der Beschwerdeführer, trotz der Ermittlungen des Gerichts in dem anderen Klageverfahren keinen Antrag auf Ruhen des Verfahrens stellen zu wollen, durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte das Gericht das Verfahren dadurch fördern müssen, dass es selbst das Notwendige veranlasst, um - zunächst - die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft bestimmen zu können. Die Aktivitäten des Gerichts erschöpften sich jedoch darin, eingehende Schriftsätze der jeweils anderen Seite zuzuleiten. Hiervon auszunehmen ist zwar die Zeit vom 19. März bis 11. Juni 2010. Denn am 19. März 2010 trug der Grundsicherungsträger, allerdings ohne vom Sozialgericht zuvor dazu aufgefordert worden zu sein, unter Berücksichtigung mittlerweile ergangener Rechtsprechung des Bundessozialgerichts weiter vor und wies in diesem Zusammenhang auf ein von ihm für das Jahr 2008 in Auftrag gegebenes Gutachten („schlüssiges Konzept“) hin, das auch für die Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft für die Zeit von Dezember 2006 bis Mai 2007 herangezogen werden könne. Das Sozialgericht hat es dann allerdings ver-säumt, nachdem die Beschwerdeführer am 11. Juni 2010 mitgeteilt hatten, der Anregung des Grundsicherungsträgers nicht näher treten zu wollen, einen der Gutachter vor dem Sozialgericht als sachverständigen Zeugen zu hören, das Ver-fahren dergestalt weiter zu fördern, dass es nun selbst Ermittlungen anstellt oder, wenn es von der Entscheidungsreife der Sache ausgeht, über das Klagebegehren zu entscheiden.

33

(3) Die Verzögerungen mögen zu einem gewissen Teil auch durch den Wechsel in der Kammerbesetzung Anfang August 2009 verursacht worden sein. Dem Staat sind solche Verzögerungen zuzurechnen, die durch eine anderweitige Organisation hätten verhindert werden können (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 -, NJW-RR 2010, S. 207 <209>). Insoweit hätte das Sozialgericht durch sein Präsidium prüfen müssen, ob es beispielsweise die Kammer mit einem oder einer erfahreneren Richter oder Richterin besetzt oder ob die Geschäftsverteilung zu ändern ist. Letzteres hat das Präsidium des Sozialgerichts auch mit Wirkung ab 1. Mai 2011 beschlossen.

34

(4) Dem Sozialgericht kommt zudem nicht zugute, dass das Landessozialgericht im Juli 2010 die Verfahrensakten angefordert hatte. Denn ob der langen Verfahrensdauer hätte es eine Zweitakte anlegen müssen.

35

(5) Auch haben die Beschwerdeführer nicht nur mit ihrem mit „Beweisantrag“ überschriebenen Schreiben vom 4. Oktober 2008 Ermittlungen des Sozialgerichts hinsichtlich der Überprüfung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft angeregt. Sie haben zudem in ihren Schreiben vom 9. Februar 2009 und 2. März 2010 sinngemäß darauf hingewiesen, dass solche Ermittlungen immer noch nicht erfolgt seien. Es ist nicht ersichtlich, warum das Gericht dem nicht hätte folgen können.

36

ff) Nach alledem ist eine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Grund-recht aus Art. 19 Abs. 4 GG festzustellen. Das Sozialgericht ist nunmehr gehalten, unverzüglich sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer möglichst raschen Entscheidung führen.

III.

37

Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die von den Beschwerdeführern erstrebte Zuerkennung einer Ausgleichszahlung kommt im Verfassungsbeschwerdeverfahren mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage nicht in Betracht (vgl. § 95 BVerfGG).

IV.

38

Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2, Abs. 3 BVerfGG.

39

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, haftet das Land. Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Bundes eingetreten sind, haftet der Bund. Für Staatsanwaltschaften und Finanzbehörden in Fällen des § 386 Absatz 2 der Abgabenordnung gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Dauer eines erstinstanzlichen sozialgerichtlichen Verfahrens.

I.

2

1. Die Beschwerdeführerin begehrte gegenüber dem zuständigen Rentenversicherungsträger die Gewährung von Rente wegen Berufs- und wegen Erwerbsunfähigkeit. Nachdem der Rentenversicherungsträger ihr eine Rente wegen Berufsunfähigkeit gewährt, aber den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit abgelehnt hatte, erhob sie am 12. September 2003 Klage beim Sozialgericht mit dem Ziel der Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

3

Nach Eingang der Klageerwiderung, Einholung einer Arbeitgeberauskunft durch das Sozialgericht sowie Eingang einer hierzu angeforderten Stellungnahme der Beklagten des Ausgangsverfahrens teilte das Sozialgericht den Beteiligten mit Schreiben vom 11. Februar 2004 mit, dass das Gericht den Sachverhalt für aufgeklärt halte und bis zur Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung keine weiteren Maßnahmen treffen werde. Auf eine beim Sozialgericht am 23. Februar 2004 eingegangene Anfrage der Beschwerdeführerin, "wann in etwa" mit der Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung zu rechnen sei, reagierte das Sozialgericht Anfang März 2004 mit einer Antwort, deren Inhalt sich der Akte des Sozialgerichts nicht entnehmen lässt. In der Folgezeit wurde das Verfahren weder durch das Sozialgericht noch durch die Beschwerdeführerin betrieben.

4

Mit Schreiben vom 23. August 2006 erbat die Beklagte des Ausgangsverfahrens beim Sozialgericht die Rückgabe ihrer eigenen Akte zur Erledigung von Verwaltungsarbeiten, die ihr sodann am 4. September 2006 übersandt wurde. Die Akte ging am 8. März 2007 wieder beim Sozialgericht ein. Zugleich legte die Beklagte des Ausgangsverfahrens einen Bescheid vor, in dem die Rente wegen Berufsunfähigkeit neu berechnet worden war. Dieser Bescheid - so die Beklagte - sei nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

5

Am 17. April 2007 bestimmte das Sozialgericht Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 15. Mai 2007. Am 25. April 2007 legte die Beklagte des Ausgangsverfahrens dem Sozialgericht erneut unter Hinweis auf § 96 Abs. 1 SGG einen Bescheid vor, in dem die Rente wegen Berufsunfähigkeit neu berechnet worden war.

6

Mit Schreiben vom 26. April 2007 hob das Gericht den Termin zur mündlichen Verhandlung auf Antrag des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin wieder auf und fragte bei ihr an, ob am Klagebegehren festgehalten werde, obwohl der Beschwerdeführerin aufgrund Hinzuverdienstes ein Zahlbetrag für eine Erwerbsunfähigkeitsrente ohnehin nicht zustünde. Das Sozialgericht bezog sich insoweit auf die beiden die Berufsunfähigkeitsrente betreffenden Neuberechnungsbescheide.

7

Nach Eingang der Antwort der Beschwerdeführerin, dass sie an ihrer Klage festhalte, und nach Einholung einer Stellungnahme der Beklagten des Ausgangsverfahrens und einer weiteren Stellungnahme der Beschwerdeführerin, die beim Sozialgericht am 11. März 2008 einging, bestimmte das Sozialgericht am 10. Oktober 2008 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 5. November 2008. An diesem Tag wies das Sozialgericht die Klage ab.

8

2. Die Berufung wurde vom Landessozialgericht mit Urteil vom 27. Januar 2010 zurückgewiesen. Die vom Landessozialgericht zugelassene Revision wurde vom Bundessozialgericht mit Beschluss vom 8. Februar 2011 verworfen.

9

3. Nachdem die Beschwerdeführerin ihre Verfassungsbeschwerde teilweise zurückgenommen hat, wendet sie sich nur noch gegen die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens und rügt eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass ihr weitere überlange Gerichtsverfahren drohen, also eine Wiederholung der behaupteten Grundrechtsverletzung zu befürchten sei.

II.

10

Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen und als Beklagte des Ausgangsverfahrens die Deutsche Rentenversicherung Bund Stellung genommen.

11

1. Der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen verweist für den Zeitraum vom 24. Februar 2004 bis zum 4. September 2006 auf personelle, auch durch längere Arbeitsunfähigkeitszeiten bedingte Engpässe im richterlichen Bereich bei gleichzeitig hohen Verfahrenszahlen beim Sozialgericht. Für Verfahrensverzögerungen außerhalb des genannten Zeitraums sehe er keine erheblichen Anhaltspunkte.

12

2. Die Deutsche Rentenversicherung Bund verweist darauf, dass das Sozialgericht zu dem Begehren der Beschwerdeführerin, abgesehen von der Anfrage bei deren Arbeitgeber, keinerlei Ermittlungen angestellt habe. Insbesondere seien zu keinem Zeitpunkt medizinische Gutachten in Auftrag gegeben oder Befundberichte angefordert worden. Auch das schließlich ergangene Urteil des Sozialgerichts setze sich mit der Frage der Erwerbsunfähigkeit nicht auseinander. Das Sozialgericht habe also in einem mehr als fünfjährigen Verfahrenszeitraum zum Begehren der Beschwerdeführerin anfangs gar keine, mindestens aber unzureichende Ermittlungen durchgeführt, um es dann ab dem Jahr 2007 völlig aus den Augen zu verlieren. Es habe sich mit dem Rentenbegehren nicht einmal befasst, als die Beschwerdeführerin es in der mündlichen Verhandlung vom 5. November 2008 mit ihrem Antrag bekräftigt habe. Diese Herangehensweise habe dazu geführt, dass auch die nachfolgenden Instanzen das auf Zahlung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gerichtete Begehren der Beschwerdeführerin nicht mehr erörtert hätten. Stattdessen habe sich das Sozialgericht seit dem Jahr 2007 ausschließlich mit der Frage befasst, ob die Deutsche Rentenversicherung Bund befugt gewesen sei, die ohnehin bewilligte und damit gar nicht in Streit stehende Rente der Beschwerdeführerin wegen Berufsunfähigkeit neu festzustellen und die Erstattung von Überzahlungen geltend zu machen. Der Bescheid über die Bewilligung von Berufsunfähigkeitsrente, der während des Gerichtsverfahrens mehrfach geändert worden sei, sei gar nicht Gegenstand der Klage gewesen. Vielmehr sei nur der Bescheid streitgegenständlich gewesen, mit dem festgestellt worden sei, dass ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht bestehe.

III.

13

Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

B.

14

Die Verfassungsbeschwerde, die sich nur noch gegen die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens richtet, nachdem die Beschwerdeführerin sie im Übrigen zurückgenommen hat (vgl. zur Zulässigkeit der Teilrücknahme BVerfGE 126, 1 <17 f.>), ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.

15

Zwar begegnet die Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG erheblichen Bedenken (unter I.). Jedoch kann dahinstehen, ob und inwieweit der Umstand, dass die Beschwerdeführerin selbst zu keinem Zeitpunkt gegenüber dem Sozialgericht die weitere Bearbeitung des Verfahrens angemahnt hat, für die Frage, ob Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt ist, von Bedeutung ist. Denn die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (unter II.).

I.

16

1. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen Handlungen der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 93, 1 <13>). Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 93, 1 <13>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist. Vielmehr ist die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>). Dabei können insbesondere die Schwierigkeit der zu entscheidenden Materie, die Notwendigkeit von Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht, die Bedeutung des Verfahrens für die Prozessbeteiligten sowie deren eigenes Prozessverhalten von Bedeutung sein.

17

2. Vor diesem Hintergrund ist die Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht nicht mehr angemessen gewesen. Insbesondere ist es bei einer isolierten Betrachtung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar, dass das Sozialgericht das Verfahren über einen Zeitraum von 30 Monaten nicht mehr bearbeitet hat, obwohl es den Beteiligten im Februar 2004 mitgeteilt hatte, dass es die Ermittlungen für abgeschlossen halte. Zwar lässt sich der Verfassung keine konkrete Vorgabe dafür entnehmen, innerhalb welchen Zeitraums nach Abschluss der gerichtlichen Ermittlungen es zu einer mündlichen Verhandlung kommen muss. Aber jedenfalls ein Abwarten von 30 Monaten genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.

18

Im Übrigen ist auch im weiteren Verlauf das Verfahren seitens des Sozialgerichts in einer Weise gehandhabt worden, die - wenn man das Verhalten der Beschwerdeführerin ausblendet - mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren ist. Zwar lagen dem Sozialgericht zwischen Ende August 2006 und März 2007 die Verwaltungsakten der Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht vor, weil die Akten anforderungsgemäß an die Beklagte übersandt worden waren. Das Sozialgericht war hierdurch aber nicht daran gehindert, Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts durchzuführen oder das Verfahren abzuschließen, wenn es weitere Ermittlungen weiterhin nicht für notwendig erachtet hätte. Angesichts der zum damaligen Zeitpunkt bereits erheblichen Dauer des Verfahrens hätte es nötigenfalls Kopien der Verwaltungsakte anlegen müssen. Die verfassungsrechtlich relevante Untätigkeit des Sozialgerichts war erst mit der am 17. April 2007 erfolgten, kurz darauf auf Antrag des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin aufgehobenen Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung für den 15. Mai 2007 beendet, bevor zwischen dem 11. März 2008 und der Terminsbestimmung am 10. Oktober 2008 erneut eine - vor dem Hintergrund der inzwischen erreichten Verfahrensdauer erhebliche - Phase der gerichtlichen Untätigkeit folgte.

19

Soweit der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen auf die knappe personelle Ausstattung des Sozialgerichts verweist, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle oder schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>). Es obliegt in ihrem Zuständigkeitsbereich den Ländern, für eine hinreichende materielle und personelle Ausstattung der Gerichte zu sorgen, damit diese ihrem Rechtsprechungsauftrag in einer Weise nachkommen können, die den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG genügt (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>; Ibler, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 25 ; Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 19 Rn. 380). Die Länder müssen dabei gegebenenfalls auch auf längere Arbeitsunfähigkeitszeiten beim richterlichen Personal durch geeignete Maßnahmen reagieren.

II.

20

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Beschwerdeführerin hat angesichts des Umstandes, dass das fachgerichtliche Verfahren inzwischen abgeschlossen ist, kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für das Ziel, eine überlange Verfahrensdauer durch das Bundesverfassungsgericht feststellen zu lassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 331/10 -, juris, Rn. 16).Ein solches Rechtsschutzbedürfnis kann insbesondere nicht durch die von der Beschwerdeführerin behauptete Gefahr, dass es in zukünftigen, von ihr geführten sozialgerichtlichen Verfahren erneut zu einer überlangen Verfahrensdauer komme, begründet werden. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht unter der früheren Rechtslage ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis wegen Wiederholungsgefahr unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 331/10 -, juris, Rn. 17 ff.). Der Annahme einer Wiederholungsgefahr, die ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis für das Verfassungsbeschwerdeverfahren begründen könnte, steht jedoch mittlerweile das am 3. Dezember 2011 in Kraft getretene Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) entgegen. Aufgrund dieses Gesetzes stehen auch im sozialgerichtlichen Verfahren fachgerichtliche Rechtsbehelfe gegen überlange Gerichtsverfahren zur Verfügung (§ 202 Satz 2 SGG in Verbindung mit §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz), die den Fortbestand einer für das Verfassungsbeschwerdeverfahren relevanten Wiederholungsgefahr ausschließen.

21

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 32/10
Verkündet am:
4. November 2010
K i e f e r
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja

a) Das Richterspruchprivileg des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB (Amtspflichtverletzung
"bei dem Urteil in einer Rechtssache") erfasst auch alle prozessleitenden
Maßnahmen, die objektiv darauf gerichtet sind, die Rechtssache durch
Urteil zu entscheiden, also die Grundlagen für die Sachentscheidung zu gewinnen.

b) Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB ist
der verfassungsrechtliche Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit zu
berücksichtigen. Daraus folgt, dass das richterliche Verhalten bei der Prozessführung
im Amtshaftungsprozess nur auf seine Vertretbarkeit hin zu überprüfen
ist. Bei der Würdigung, ob dem Richter pflichtwidrige Verzögerungen
anzulasten sind (§ 839 Abs. 2 Satz 2 BGB), ist zu beachten, dass sich
bei zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig
um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet.
Der Zeitfaktor ist aber auch bei langer Verfahrensdauer nicht der allein
entscheidende Maßstab.
BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - OLG Hamm
LG Detmold
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 4. November 2010 durch den Vizepräsidenten Schlick sowie die Richter
Dr. Herrmann, Wöstmann, Seiters und Tombrink

für Recht erkannt:
Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 8. Januar 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand


1
Der Kläger verlangt vom beklagten Land aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung Schadensersatz wegen überlanger Verfahrensdauer eines Zivilprozesses.
2
Der Kläger betrieb vormals ein Transportunternehmen. In den Jahren 1981/1982 war er als Subunternehmer der Firma B. -M. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Fa. B. -M. ) bei dem Neubau zweier Landesstraßen tätig. Bei Abrechnung der Leistungen entstand Streit unter anderem darüber, ob dem Kläger in erster Linie Beförderungsleistungen (Abtransport der angefallenen Erd- und Gesteinsmassen) mit der Folge eines Vergütungsanspruchs nach dem insoweit bindenden Tarif für den Güternahverkehr (GNT) oder aber Erdarbeiten mit der Folge einer Abrechnung nach den vertraglichen Bestimmungen und damit im Wesentlichen nach Massen in Auftrag gegeben worden waren. Die Firma B. -M. bezahlte die nach Maßgabe des GNT erstellten klägerischen Rechnungen nur teilweise.
3
In dem darauf vom Kläger eingeleiteten Rechtsstreit, in dem die Fa. B. - M. hilfsweise die Aufrechnung mit bestrittenen Gegenforderungen geltend machte, hat das Landgericht Detmold mit Urteil vom 18. April 1985 die Klageforderung dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt; der Kläger dürfe nach dem GNT abrechnen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Oberlandesgericht Hamm unter dem 19. Juni 1986 zurückgewiesen. Durch Beschluss vom 24. Juni 1987 hat der Bundesgerichtshof die Revision der Firma B. -M. nicht angenommen.
4
Im anschließenden Betragsverfahren hat das Landgericht Detmold nach umfangreicher Beweisaufnahme mit Schlussurteil vom 24. Mai 1996 der Klage teilweise stattgegeben. Gegen diese Entscheidung haben beide Parteien Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens vor dem Oberlandesgericht Hamm, in dem zunächst eine weitere umfangreiche Beweisaufnahme stattfand, wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Detmold vom 1. Februar 2002 auf Antrag der Firma B. -M. vom 23. November 2001 über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger erhielt am 11. November 2002 aus einer von der Fa. B. -M. zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem Schlussurteil des Landgerichts Detmold vormals gestellten Prozessbürgschaft 680.000 DM (347.678,47 €). Das Berufungsverfahren endete mit einem am 1. März 2004 zwischen dem Kläger und dem Insolvenzverwalter abgeschlossenen Vergleich. Wegen Masseunzulänglichkeit hat der Kläger allerdings keine Aussicht, die hieraus resultierenden weitergehenden Ansprüche gegen die Firma B. -M. durchzusetzen.
5
Seinen diesbezüglichen Ausfallschaden macht der Kläger nunmehr gegenüber dem beklagten Land geltend. Die im Vorprozess tätigen Gerichte hätten pflichtwidrig das Verfahren nicht ausreichend gefördert. Bei ordnungsgemäßer Sachbehandlung hätte der Vorprozess spätestens bis Ende 1990 mit einem rechtskräftigen Urteil, das bezüglich einer Zahlungsverpflichtung der Fa. B. - M. nicht hinter dem Vergleich vom 1. März 2004 zurückgeblieben wäre, beendet sein müssen. Die Zahlungsunfähigkeit der Fa. B. -M. sei erst viele Jahre später eingetreten.
6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - das beklagte Land verurteilt, an den Kläger 530.841,67 € nebst Zinsen, abzüglich am 11. November 2002 erstatteter 347.678,47 €, zu zahlen. Hiergegen wendet sich das beklagte Land mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe


7
Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.


8
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass dem Kläger ein Anspruch auf Schadensersatz aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung zustehe. Der Vorprozess sei phasenweise durch die am Landgericht Detmold sowie am Oberlandesgericht Hamm mit der Sache befassten Richter nicht mit der gebotenen Beschleunigung bearbeitet und hierdurch dem Kläger schuldhaft und kausal ein Vermögensschaden zugefügt worden. Zwar sei das Verhalten der Gerichte im sogenannten Grundverfahren nicht zu beanstanden. Jedoch sei es im Betragsverfahren sowohl in erster als auch in zweiter Instanz zu pflichtwidrigen Verstößen gegen die gerichtliche Prozessförderungspflicht gekommen. Die hierauf zurückzuführende Verzögerung belaufe sich auf insgesamt 34 Monate. Ohne diese hätte im Vorprozess jedenfalls bis Mitte 2000 ein vollstreckungsfähiges Berufungsurteil ergehen können, wobei dem Kläger, wäre der Vorprozess streitig entschieden worden, ein Vergütungsanspruch von 530.841,67 € nebst Zinsen (abzüglich 347.678,47 €) hätte zugesprochen werden müssen. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Firma B. -M. von ihrer Hausbank auch noch die notwendigen Kreditmittel erhalten, um einer entsprechenden Zahlungsverpflichtung nachzukommen oder - im Falle der beabsichtigten Revisionseinlegung - durch Stellung einer Bankbürgschaft die Vollstreckung abzuwenden.

II.


9
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nur teilweise stand.
10
1. Als Anstellungskörperschaft haftet das beklagte Land für etwaiges dienstliches Fehlverhalten der mit der Bearbeitung und Entscheidung des Vor- prozesses befassten Berufsrichter des Landgerichts Detmold sowie des Oberlandesgerichts Hamm nach § 839 BGB, Art. 34 Satz 1 GG. Im Rahmen eines anhängigen Rechtsstreits üben die hieran beteiligten Richter in Wahrnehmung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amts hoheitliche Tätigkeit aus. Die Haftung des beklagten Landes erfasst dabei auch den hier streitgegenständlichen Fall einer verzögerlichen Sachbearbeitung durch die Gerichte (vgl. nur BGH, Beschluss vom 5. Februar 1998 - IX ZB 113/97, NJW 1998, 2288, 2289; Senat, Urteil vom 11. Januar 2007 - III ZR 302/05, BGHZ 170, 260 Rn. 17 ff).
11
a) Aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ist in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG für zivilrechtliche Streitigkeiten die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes abzuleiten (vgl. nur BVerfGE 54, 277, 291; 85, 337, 345). Dazu gehört auch, dass streitige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden (vgl. nur BVerfGE 88, 118, 124; BVerfG NJW 1997, 2811, 2812; NJW 1999, 2582, 2583; NJW 2000, 797). Hierbei verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Verpflichtung des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. nur BVerfG NJW 2001, 214, 215; NJW 2004, 3320; NJW 2005, 739; NJW 2008, 503, 504). Die Gerichte müssen daher - und zwar als drittbezogene Amtspflicht gegenüber den Parteien - anhängige Verfahren mit der gebotenen Beschleunigung bearbeiten und bei Entscheidungsreife möglichst zeitnah abschließen. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Anspruch auf Justizgewährung beinhaltet insoweit das Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist; gleiches folgt im Übrigen auch aus Art. 6 Abs. 1 EMRK (vgl. Senat aaO).
12
b) Soweit nach § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB ein Richter, der bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflichten verletzt, für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich ist, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht, gilt diese Privilegierung nach § 839 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht im Falle einer pflichtwidrigen Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts. Satz 2 spricht hierbei nur die Selbstverständlichkeit aus, dass pflichtwidrige Untätigkeit des Richters keine fehlerhafte Tätigkeit bei einem Urteil ist (vgl. nur Staudinger/Wurm, BGB, Neubearb. 2007, § 839 Rn. 334). Nicht unter Satz 2 fallen deshalb Maßnahmen des Gerichts, die rechtzeitig getroffen wurden, aber im Ergebnis zu einer Verlängerung des Verfahrens geführt haben. Aber auch soweit das richterliche Verhalten nicht von § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB erfasst wird, kann bei der Beurteilung der Frage, ob eine haftungsbegründende Verzögerung vorliegt, der verfassungsrechtlich garantierte Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) nicht unberücksichtigt bleiben.
13
aa) Durch die Formulierung in § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB ("bei dem Urteil", nicht "durch das Urteil") werden nicht nur Mängel erfasst, die in dem Urteil selbst liegen oder die unmittelbar bei seinem Erlass begangen werden. Vielmehr sind privilegiert auch alle Maßnahmen, die objektiv darauf gerichtet sind, die Rechtssache durch Urteil zu entscheiden, also die Grundlagen für die Sachentscheidung zu gewinnen (vgl. nur Senat, Urteile vom 28. Oktober 1965 - III ZR 166/63, DRiZ 1966, 28 f; 11. März 1968 - III ZR 72/65, BGHZ 50, 14, 16 f; und 6. Oktober 1983 - III ZR 61/82, LM § 839 (G) BGB Nr. 16; Staudinger/ Wurm aaO Rn. 329 m.w.N.). Zum Urteil gehört die richtige Feststellung des Tatbestands, insbesondere die Trennung des unstreitigen Sachverhalts von streitigen Behauptungen sowie die Prüfung der Erheblichkeit des jeweiligen Vortrags und eines etwaigen Beweisantritts. Das alles bestimmt nicht nur den Inhalt des Urteils, sondern auch den Ablauf und die Dauer des Verfahrens. Dabei können dem Richter Pflichtverletzungen auch vor der eigentlichen Sachentscheidung unterlaufen, zum Beispiel bei der unzulänglichen Vorbereitung der Verhandlung, der mangelnden Aufklärung des Sachverhalts oder dem Absehen von einer Beweisaufnahme. Insoweit stellen zwar die Ablehnung einer weiteren Sachaufklärung bzw. einer Beweisaufnahme wie auch der Erlass eines Beweisbeschlusses oder sonstige leitende Maßnahmen keine Urteile im prozessualen Sinn dar. Sie stehen aber in einem so engen Zusammenhang mit dem Urteil, dass sie von diesem haftungsmäßig nicht getrennt werden können (vgl. Senat, Urteil vom 19. November 1956 - III ZR 119/55, LM § 839 (G) BGB Nr. 5). Führt deshalb zum Beispiel die Anordnung einer Beweisaufnahme oder die Erteilung von Hinweisen und Auflagen zu einer Verlängerung des gerichtlichen Verfahrens , ist dies - vorbehaltlich der Grenze der Rechtsbeugung (§ 839 Abs. 2 Satz 1 BGB) - ohne Belang, auch wenn nach Auffassung des zur Entscheidung des Amtshaftungsprozesses berufenen Gerichts die Beweisaufnahme oder der Hinweis bzw. die Auflage überflüssig gewesen sind und ein der Klage stattgebendes sowie einen Vollstreckungsschaden vermeidendes Urteil deshalb früher hätte ergehen können. Gleiches gilt für sonstige prozessleitende Maßnahmen, die darauf abzielen, die Grundlagen für die Entscheidung zu gewinnen.
14
Aber bb) auch im Übrigen - außerhalb des Anwendungsbereichs von § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB - erlangt der verfassungsrechtliche Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit seine Bedeutung. Der gegenteiligen Meinung des Klägers , der in seiner Revisionserwiderung die Auffassung vertritt, aus der Verpflichtung zur Entscheidung in angemessener Zeit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 Abs. 1 EMRK) folge, dass das Gericht die Prozessführung nach dem Zeitfaktor auszurichten, das heißt bei verschiedenen Möglichkeiten der Verfahrensgestaltung zugunsten der das Verfahren schneller abschließenden Alternative zu entscheiden habe, wobei Art. 97 Abs. 1 GG insoweit ohne Bedeutung sei, folgt der Senat nicht. Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck. Vielmehr verlangt gerade das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitge- genstands durch das dazu berufene Gericht (BVerfGE 54, 277, 291; 85, 337, 345; BVerfG NJW 1997, 2811, 2812; NJW 1999, 2582, 2583). Insoweit ist die sachgerechte Führung eines Prozesses - abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben - in das Ermessen der verantwortlichen Richter gestellt (vgl. BVerfGE 55, 349, 369 zur Terminierung der mündlichen Verhandlung; siehe auch BVerfG EuGRZ 1982, 75). Hierbei kann die Verfahrensführung - im Ergebnis nicht anders als es der Senat in ständiger Rechtsprechung in anderem Zusammenhang bereits für bestimmte staatsanwaltschaftliche Handlungen, bei denen ein Beurteilungsspielraum des Entscheidungsträgers besteht (vgl. Urteil vom 21. April 1988 - III ZR 255/86, NJW 1989, 96, 97; Beschluss vom 27. September 1990 - III ZR 314/89, BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 1 Staatsanwalt 3; Urteile vom 16. Oktober 1997 - III ZR 23/96, NJW 1998, 751, 752; und 18. Mai 2000 - III ZR 180/99, VersR 2001, 586, 587), aber auch für bestimmte richterliche Maßnahmen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB (vgl. Urteile vom 29. April 1993 - III ZR 3/92, BGHZ 122, 268, 271; und 21. Juli 2005 - III ZR 21/05, BeckRS 2005, 09404; Beschluss vom 21. Dezember 2005 - III ZA 5/05, juris Rn. 12) entschieden hat - im Amtshaftungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft werden. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Zivilrechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (Senat, Urteil vom 21. April 1988, aaO; Beschluss vom 27. September 1990 aaO). Bei der insoweit anzustellenden Bewertung darf der Zeitfaktor - zumal sich bei zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (vgl. nur BVerfG NJW 2001, 214, 215; NJW 2004, 3320; NJW 2005, 739; NJW 2008, 503, 504) - selbstverständlich nicht ausgeblendet werden; er ist aber nicht der allein entscheidende Maßstab.
15
c) Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein richterliches Verhalten unvertretbar und insoweit amtspflichtwidrig war, trägt grundsätzlich der Kläger. Soweit dieser in seiner Revisionserwiderung demgegenüber die Auffassung vertritt, das beklagte Land sei darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass die zuständigen Amtsträger im Zusammenhang mit dem Vorprozess alle Maßnahmen zur beschleunigten Erledigung ergriffen hätten, kann dem nicht gefolgt werden.
16
Der Kläger stellt in diesem Zusammenhang darauf ab, dass allein schon die von ihm vorgetragene und als solches unstreitige Dauer des Vorprozesses erhelle, dass von einem Verstoß gegen das Gebot, eine Entscheidung in angemessener Zeit zu treffen, auszugehen sei. Deshalb hätte es dem beklagten Land im Rahmen einer sekundären Darlegungslast obgelegen, den Verstoß auszuräumen und im Einzelnen vorzutragen, warum das Procedere der zuständigen Richter gerechtfertigt und deshalb kein schnelleres Urteil zu erreichen gewesen sei. Hierzu hätte - unter Darlegung unter anderem der Geschäftslage der beteiligten Gerichte, ihres damaligen Terminierungsstands, ihrer personellen und sachlichen Ausstattung und etwaiger Erschwernisse bei den für die Entscheidungsfindung notwendigen Abläufen - substantiiert jede richterliche Maßnahme unter Beschleunigungsgesichtspunkten legitimiert und letztlich auch dargelegt werden müssen, dass das beklagte Land die notwendigen Organisationsstrukturen eingerichtet hat um sicherzustellen, dass beschleunigungsbedürftige Verfahren auch besonders gefördert werden und die mit dem Vorprozess befassten Spruchkörper in die Lage versetzt wurden, dem Anspruch auf Justizgewährung nachzukommen.
17
dieser Bei Argumentation übersieht der Kläger aber bereits im Ausgangspunkt , dass zur Begründung der Amtshaftung eines Richters nach § 839 Abs. 2 Satz 2 BGB, Art. 34 Satz 1 GG nicht bereits die pauschale Feststellung genügt, der Vorprozess habe insgesamt zu lange gedauert. Entscheidend ist vielmehr, ob durch konkrete pflichtwidrige Verhaltensweisen der im Vorprozess tätigen Richter, für deren Vorliegen grundsätzlich der Kläger darlegungs- und beweispflichtig ist, oder bei deren Überlastung durch Organisationsverschulden des Landes (zur Darlegungs- und Beweislast in diesem Fall siehe Senat, Urteil vom 11. Januar 2007 - III ZR 302/05, BGHZ 170, 260 Rn. 22) eine den streitgegenständlichen Vermögensschaden verursachende Verzögerung aufgetreten ist.
18
d) Die Überprüfung der Verfahrensführung im Vorprozess obliegt grundsätzlich dem Tatrichter. Dessen Würdigung kann vom Revisionsgericht daraufhin überprüft werden, ob der rechtliche Rahmen verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und angemessen abgewogen worden sind. Insoweit erweist sich die angefochtene Entscheidung, wie die Revision zu Recht beanstandet, teilweise als rechtsfehlerhaft:
19
aa) Das Berufungsgericht geht von einer pflichtwidrigen Verzögerung des erstinstanzlichen Betragsverfahrens im Zeitraum zwischen dem 16. November 1989 und dem 12. März 1990 aus. Insoweit sei - zumal in Ansehung der inzwischen beträchtlichen Verfahrensdauer - nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen nicht bereits am 16. November 1989, sondern erst am 12. März 1990 der Beweisbeschluss über die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens verkündet worden sei, was zu einer Verkürzung des Verfahrens um immerhin fast vier Monate geführt hätte.
20
Diese Bewertung hält den Rügen der Revision nicht stand. Das Landgericht hat im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 31. Oktober 1989 Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 16. November 1989 bestimmt. An diesem Tag hat das Gericht einen Beschluss verkündet. Darin hat die Kammer auf verschiedene tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte hingewiesen (Nr. 1) und im Übrigen die Beweisfrage, zu der das Gericht beabsichtigte , ein Gutachten einzuholen, näher ausformuliert (Nr. 2). Den Parteien wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 7. Dezember 1989 gegeben, wobei die weitere Entscheidung im schriftlichen Verfahren ergehen sollte (Nr. 3). Die Parteien haben daraufhin mit Schriftsätzen vom 4. und 7. Dezember 1989 zu dem Beschluss sowie anschließend unter dem 23. und 31. Januar 1990 zu dem jeweiligen Schriftsatz der Gegenseite Stellung genommen. Am 12. März 1990 hat das Landgericht dann einen Beweisbeschluss über die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens gefasst.
21
Die Entscheidung eines Gerichts, vor Erlass eines Beweisbeschlusses den Parteien zunächst noch Hinweise zu geben und erst anschließend die Beweisaufnahme anzuordnen, unterfällt der Privilegierung des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB. Ob die konkrete Vorgehensweise angesichts des Umstands, dass - worauf die Revisionserwiderung abstellt - bereits im Termin am 31. Oktober 1989 die Sach- und Rechtslage sowie der sinnvolle Gang des weiteren Verfahrens erörtert und grundsätzlich Einvernehmen über die Einholung eines Gutachtens erzielt worden ist, geboten oder sinnvoll war, ist genauso wenig entscheidungserheblich , wie der Umstand, dass die Anhörung der Parteien letztlich nur zu einer geringfügigen Ergänzung der bereits im Beschluss vom 16. November 1989 angesprochenen Beweisfrage geführt hat. Von einer pflichtwidrigen Verzögerung um fast vier Monate kann deshalb nicht gesprochen werden.
22
bb) Soweit das Berufungsgericht im Hinblick auf die erheblichen Zeitverluste , die im Zusammenhang mit der letztlich erfolglosen Beauftragung des Sachverständigen Prof. Ba. aufgetreten sind, den Umgang des Landgerichts mit dem Sachverständigen als unangemessen nachsichtig gerügt und eine pflichtwidrige Verfahrensverzögerung von mindestens 14 Monaten festgestellt hat, sind die diesbezüglichen Ausführungen, die auch vom beklagten Land nicht angegriffen werden, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das - nicht unter § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB fallende - Verhalten des Landgerichts war nicht mehr vertretbar.
23
cc) Rechtsfehlerhaft ist allerdings, wie die Revision zutreffend rügt, die Auffassung des Berufungsgerichts, das Landgericht habe pflichtwidrig nicht sogleich nach Eingang des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Br. am 26. April 1995 Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung anberaumt; hierdurch sei - auch unter Berücksichtigung des notwendigen Zeitaufwands für eine sachgerechte Terminierung dieser umfänglichen Sache - im Hinblick auf die erst am 6. September 1995 erfolgte Terminsbestimmung eine Verzögerung von vier Monaten eingetreten.
24
Das Landgericht hat, nachdem am 26. April 1995 das Gutachten des Sachverständigen Prof. Br. (nebst Zusatzgutachten des Sachverständigen Prof. T. ) eingegangen war, noch unter dem gleichen Tag den Parteien Abschriften zur Stellungnahme mit der Auflage (§ 411 Abs. 4 ZPO) übermittelt, bis zum 31. Mai 1995 ihre Einwendungen sowie die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen mitzuteilen. Die Parteien haben sich mit Schriftsätzen vom 30. und 31. Mai sowie 22. Juni 1995 geäußert. Am 6. September 1995 ist dann Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt worden.

25
Die Regelung des § 411 Abs. 4 ZPO, wonach die Parteien dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das schriftliche Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen mitzuteilen haben, wofür ihnen das Gericht eine Frist setzen kann, hat den Zweck, das Gericht möglichst frühzeitig darüber zu informieren, ob und wann ein neuer Termin zu bestimmen ist, ob der Sachverständige zu diesem Termin zu laden und zur Vorbereitung seiner Anhörung über die Einwände der Parteien zum Gutachten zu informieren ist oder ob zur Vorbereitung eines noch zurückgestellten Termins zunächst ein schriftliches Ergänzungsgutachten anzufordern ist (vgl. nur Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 411 Rn. 5e). Entscheidet sich ein Gericht dafür, den Parteien zunächst rechtliches Gehör zu geben, um dann auf der Grundlage der eingehenden Stellungnahmen über die weitere Verfahrensweise (Terminierung mit oder ohne Ladung des Sachverständigen, Einholung eines schriftlichen Ergänzungsgutachtens) befinden zu können, unterfällt dies dem § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB. Von einer pflichtwidrigen Verzögerung von vier Monaten kann deshalb nicht gesprochen werden, zumal nach Eingang der Schriftsätze der Parteien die sachgerechte weitere Bearbeitung des Verfahrens gewisse Zeit in Anspruch nehmen durfte.
26
dd) Die Annahme des Berufungsgerichts, im Zuge des zweitinstanzlichen Verfahrens sei es im Zusammenhang mit verschiedenen Terminierungen des Oberlandesgerichts zu weiteren pflichtwidrigen Verzögerungen von mindestens zwölf Monaten gekommen, hält nur teilweise einer rechtlichen Überprüfung stand.
27
(1) Zu Recht hat allerdings das Berufungsgericht beanstandet, dass nach Eingang der Berufungsbegründungen der Parteienerst unter dem 12. Juni 1997 ein (sogenannter Vorschalt-) Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Berichterstatter als Einzelrichter bestimmt worden ist. Gegen das Schlussurteil des Landgerichts vom 24. Mai 1996 haben beide Parteien des Vorprozesses Berufung eingelegt. Die Beklagte hat ihr Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 1. Oktober 1996, der Kläger seines mit Schriftsatz vom 15. Oktober 1996 begründet. Das Oberlandesgericht hat anschließend nicht von der Möglichkeit des § 520 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. Gebrauch gemacht, ein schriftliches Vorverfahren anzuordnen. Dann hätte nach § 520 Abs.1 Satz 1 ZPO a.F. an sich aber Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt werden müssen. Zwar war es auch in diesem Falle dem Oberlandesgericht nicht verwehrt, zunächst die Akte zu bearbeiten und anschließend auf dieser Grundlage zu befinden, ob zugleich mit der Terminsladung durch prozessleitende Verfügungen das Verfahren weiter gefördert werden kann. Jedoch war insoweit bei der Ermessensausübung, gerade weil es sich um einen bereits seit längerem anhängigen Rechtsstreit handelte, dem Recht der Parteien auf eine Entscheidung in angemessener Frist durch zügige Bearbeitung Rechnung zu tragen, damit anschließend möglichst zeitnah noch terminiert werden kann. Der diesbezügliche Zeitrahmen kann im Amtshaftungsprozess - ohne die Beschränkung in § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB - auf seine Vertretbarkeit überprüft werden. Vor diesem Hintergrund erweist sich - auch bei Berücksichtigung des Umfangs und der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten des Vorprozesses, die eine entsprechende Vorbereitungszeit und damit einen gewissen Terminierungsvorlauf bedingten, sowie des Umstands , dass das Oberlandesgericht nicht nur diesen Rechtsstreit zu entscheiden hatte - die Auffassung des Berufungsgerichts, der Zeitraum von fast acht Monaten zwischen dem Eingang der Berufungsbegründungen und der Terminsverfügung sei - zumal bei einem bereits so viele Jahre anhängigen und in erster Instanz teilweise auch pflichtwidrig verzögerten Prozess - zu lang, als rechtsfehlerfrei.

28
Der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand des beklagten Landes , es sei weder vom Kläger vorgetragen noch vom Berufungsgericht festgestellt , dass ein früherer Terminstag zur Verfügung gestanden habe, das heißt im Falle einer zeitlich früheren Terminsverfügung die Verhandlung auch tatsächlich früher hätte stattfinden können, geht bereits deshalb fehl, weil nichts dafür ersichtlich ist, dass sich die Belastungssituation des Oberlandesgerichts im Vorprozess binnen kürzester Zeit so verändert hat, dass sich hieraus relevante Unterschiede im Hinblick auf den Zeitrahmen zwischen einer Terminierung und dem Terminstag hätten ergeben können.
29
(2) Das Berufungsgericht hat des Weiteren beanstandet, dass sich nach Aktenlage nicht erschließe, warum unter dem 23. März 2000 Senatstermin erst auf den 9. November 2000 bestimmt worden sei. Die Entscheidung eines Gerichts , wann nach Eintritt der Terminsreife die mündliche Verhandlung stattfindet , kann im Amtshaftungsprozess auf ihre Vertretbarkeit überprüft werden. Jedoch ist bei der pauschalen Bewertung des Berufungsgerichts nicht erkennbar, dass alle für die diesbezügliche Beurteilung wesentlichen Umstände Berücksichtigung gefunden haben, zumal sich der Urteilsbegründung nicht entnehmen lässt, von welcher zeitlichen Verzögerung das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang ausgeht. Im Vorprozess hat das Oberlandesgericht, nachdem die Parteien zu den Ergänzungsgutachten der Sachverständigen Prof. Br. und Prof. T. mit Schriftsätzen vom 17. Dezember 1999 sowie 12. und 17. Januar 2000 Stellung genommen hatten, mit Verfügung vom 10. Februar 2000 Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung unter Ladung der beiden Sachverständigen zur Erläuterung ihrer Gutachten auf den 14. August 2000 bestimmt. Nachdem der Beklagtenvertreter unter Hinweis auf seine urlaubsbedingte Abwesenheit und auf § 227 ZPO die Verlegung des Termins be- antragt hatte, hat der Senatsvorsitzende am 24. Februar 2000 den Termin aufgehoben. Zugleich hat er die Parteien darauf hingewiesen, dass und warum eine Vorverlegung des Termins nicht möglich sei und die Sache erst auf einen Terminstag nach dem 1. Oktober 2000 gelegt werden könne. Unter dem 25. Februar 2000 hat der zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeladene Sachverständige T. mitgeteilt, dass er und sein Kollege Br. wegen urlaubsbedingter Abwesenheit am 14. August 2000 nicht anwesend sein könnten und im Hinblick auf den Urlaub und Hochschulexkursionen ein Termin vor der 38. Kalenderwoche nicht möglich sei. Das Berufungsgericht hat sich hiermit nicht näher auseinandergesetzt, was nachzuholen sein wird.
30
Nach (3) Auffassung des Berufungsgerichts liegt eine zusätzliche Pflichtwidrigkeit darin, dass im weiteren Verfahrensablauf erst am 15. Mai 2001 statt zeitnah nach Eingang des klägerischen Schriftsatzes vom 5. März 2001 Termin anberaumt worden sei. Auch insoweit ist allerdings nicht ersichtlich, dass alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände Berücksichtigung gefunden haben. Im Vorprozess hat das Oberlandesgericht im Termin am 9. November 2000 die Sachverständigen Prof. Br. und Prof. T. ergänzend angehört und dann mit Beschluss vom gleichen Tag dem Kläger Auflagen erteilt. Diesen ist der Kläger - nach Fristverlängerung - mit Schriftsätzen vom 28. Februar und 5. März 2001 nachgekommen. Unter dem 17. Mai 2001 ist dann durch den Berichterstatter als Einzelrichter (§ 524 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F.) Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme unter Ladung mehrerer Zeugen bestimmt worden. Hierbei hat sich, worauf das Landgericht in seinem Urteil zutreffend hingewiesen hat, zwischen dem Beschluss vom 9. November 2000 und der Terminsverfügung die Senatsbesetzung (zweimaliger Berichterstatterwechsel) geändert. Hiermit hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt.

31
(4) Zuletzt beanstandet das Berufungsgericht, dass sich den Akten keine Sachgründe entnehmen ließen, warum im Anschluss an die am 5. September 2001 durchgeführte Beweisaufnahme vor dem Berichterstatter und die anschließende Rückübertragung des Rechtsstreits auf den Senat dessen Vorsitzender Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung erst unter dem 25. Oktober 2001 bestimmt habe. Bezüglich dieser pauschalen Bewertung gilt Gleiches wie zu (2) und (3) ausgeführt. Abgesehen davon, dass zunächst vom Oberlandesgericht geprüft werden musste, welche Konsequenzen für den weiteren Verfahrensablauf aus der umfangreichen Beweisaufnahme folgten, ergibt sich aus den Akten, dass das Oberlandesgericht unter dem 10. August 2001 dem Sachverständigen T. einen Zusatzauftrag erteilt hatte. Dieser hat mit Schreiben vom 12. September 2001 - dieses enthält keinen Eingangsstempel; die in der Akte davor und dahinter abgehefteten Vorgänge sprechen allerdings dafür, dass es nicht vor dem 25. September 2001 zu den Akten gelangt ist - ein umfangreiches Ergänzungsgutachten vorgelegt. Im Rahmen der Terminsverfügung vom 25. Oktober 2001 sind dann im Übrigen nicht nur die Sachverständigen Prof. Br. und Prof. T. , sondern auch - unter Formulierung einer neuen Beweisfrage - ein weiterer Sachverständiger geladen worden. Hiermit hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt.
32
ee) Die mit der Revisionserwiderung vom Kläger erhobene Gegenrüge, die zweimalige Zuweisung der Sache an den Berichterstatter als Einzelrichter im Zusammenhang mit der Anberaumung des ersten Verhandlungstermins am 11. August 1997 sowie dem späteren Beweisaufnahmetermin am 5. September 2001 sei als pflichtwidrige Verzögerung des Verfahrens zu bewerten, ist unbegründet.
33
Die Zivilprozessordnung - damals § 524 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F., jetzt § 527 Abs. 1 Satz 1 ZPO n.F. - erlaubt im Berufungsverfahren die Zuweisung der Sache an den Einzelrichter zur Vorbereitung der Entscheidung. Im Falle der Zuweisung ist der Einzelrichter unter anderem befugt, vorbereitende Maßnahmen (§ 273 ZPO) zu treffen. Er hat im Termin mit den Parteien die Sach- und Rechtslage zu erörtern, insoweit auch das richterliche Fragerecht (§ 139 ZPO) auszuüben und die Parteien auf von ihnen übersehene Gesichtspunkte hinzuweisen , ferner gegebenenfalls Auflagen zu erteilen. Daneben steht auch die allgemeine Aufgabe, in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht zu sein. Nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. (jetzt § 527 Abs. 2 Satz 2 ZPO n.F.) ist auch die Erhebung einzelner Beweise erlaubt (siehe im Einzelnen zu den Aufgaben und Befugnissen des Einzelrichters nach § 524 ZPO a.F.: Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 524, Rn. 8 f; Wieczorek/Rössler, ZPO, 2. Aufl., § 524 Rn. C, C I). Bei der Entscheidung über die Zuweisung an den Einzelrichter handelt es sich um eine in das Ermessen des Vorsitzenden bzw. des Gerichts fallende, nicht anfechtbare Entscheidung (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, aaO Rn. 3, 6; Wieczorek /Rössler, aaO Rn. B; zur entsprechenden Rechtslage nach § 527 Abs. 1 Satz 1 ZPO n.F.: MünchKommZPO/Rimmelspacher, 3. Aufl., § 527 Rn. 3, 19; Musielak/Ball, ZPO, 7. Aufl., § 527 Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 3. Aufl., § 527 Rn. 5, 7). Diese unterfällt dem Anwendungsbereich des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB. Das Berufungsgericht hat daher zu Recht die Zuweisung an den Einzelrichter nicht beanstandet.
34
2. Da die Annahme des Berufungsgerichts, es sei zu einer insgesamt 34-monatigen Verzögerung des Vorprozesses gekommen, teilweise rechtsfehlerhaft ist, fehlt die Grundlage für die darauf aufbauenden Feststellungen zur verzögerungsbedingten Vereitelung der Durchsetzung der klägerischen An- sprüche. Hierzu bedarf es - unter Berücksichtigung der Ausführungen des Senats zu 1 - neuer Feststellungen des Berufungsgerichts. Diese erübrigen sich - entgegen der Auffassung der Revision - nicht deshalb, weil der Klage aus anderen Gründen der Erfolg versagt werden müsste.
35
a) Eine Haftung des beklagten Landes scheidet insbesondere nicht deshalb aus, weil das Landgericht eine Pflichtverletzung der mit dem Vorprozess befassten Berufsrichter verneint hat und es damit bei Anwendung der sogenannten Kollegialgerichts-Richtlinie jedenfalls an einem Verschulden fehlt.
36
Die Kollegialgerichts-Richtlinie beruht auf der Erwägung, dass von einem Beamten, der allein und im Drang der Geschäfte handeln muss, keine bessere Rechtseinsicht erwartet werden kann, als von einem Gremium mit mehreren Rechtskundigen, das in voller Ruhe und reiflicher Überlegung entscheidet, nachdem vorher der Prozessstoff in ganzer Fülle vor ihm ausgebreitet worden ist (vgl. nur Staudinger/Wurm, aaO Rn. 211; RGRK/Kreft, BGB, 12. Aufl., § 839 Rn. 296). Insoweit trifft nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 106, 406, 410; 141, 328, 334; 156, 34, 51; 164, 32, 40 f) und des Bundesgerichtshofs (vgl. nur Senat, Urteil vom 28. April 1955 - III ZR 161/53, BGHZ 17, 153, 158; vom 6. Februar 1986 - III ZR 109/84, BGHZ 97, 97, 107; vom 20. Februar 1992 - III ZR 188/90, BGHZ 117, 240, 250; und 14. März 2002 - III ZR 302/00, BGHZ 150, 172, 184) einen Beamten in der Regel kein Verschulden , wenn ein mit mehreren Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht die Amtstätigkeit als objektiv rechtmäßig angesehen hat.
37
Ob und in welchem Umfang dieser Grundsatz auch für die richterliche Tätigkeit gilt (so Senat, Urteil vom 29. Mai 1958 - III ZR 38/57, BGHZ 27, 338, 346; Beschluss vom 19. Dezember 1991 - III ZR 9/91, NJW-RR 1992, 919 f; jeweils amtsrichterliche Tätigkeiten betreffend), kann genauso dahinstehen wie die Frage, ob die Auffassung des Berufungsgerichts, die Bewertung des Landgerichts sei bereits deshalb ohne Bedeutung, weil sie auf einer unzureichenden Beurteilungsgrundlage beruhe und insoweit nicht sorgfältig erfolgt sei (zu dieser Einschränkung der Richtlinie vgl. nur Senat, Urteile vom 19. Januar 1989 - III ZR 243/87, NJW 1989, 1924, 1926; vom 2. April 1998 - III ZR 111/97, NVwZ 1998, 878; und 18. November 2004 - III ZR 347/03, VersR 2005, 1582, 1583), rechtsfehlerfrei ist. Denn Voraussetzung für die Anwendung der Kollegialgerichts -Richtlinie ist, dass der Beamte eine zweifelhafte und nicht einfach zu lösende Rechtsfrage zu beantworten hat (vgl. etwa RGZ 156, 34, 51; Senat, Urteile vom 28. April 1955, aaO; vom 14. Juni 1962 - III ZR 57/61, NJW 1962, 2100; vom 28. Februar 1963 - III ZR 192/61, VersR 1963, 628, 630; vom 10. Oktober 1963 - III ZR 155/62, VersR 1964, 63, 64; und 14. Dezember 1978 - III ZR 77/76, BGHZ 73, 161, 164). Derartige ernsthafte Zweifelsfragen können sich zwar auch bei der Anwendung und Auslegung verfahrensrechtlicher Vorschriften stellen, nicht aber, wenn - wie hier - zeitliche Verzögerungen im Zusammenhang mit einer richterlichen Untätigkeit bzw. verspäteten richterlichen Tätigkeit in Rede stehen.
38
b) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht eine anderweitige Ersatzmöglichkeit nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB verneint. Zwar steht dem Geschädigten ein Amtshaftungsanspruch im Falle einer fahrlässigen Amtspflichtverletzung nur zu, wenn er nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. Er braucht sich jedoch nicht auf weitläufige, unsichere oder im Ergebnis zweifelhafte Wege des Vorgehens gegen Dritte verweisen zu lassen. Die Ausnutzung anderweitiger Ersatzmöglichkeit muss ihm in diesem Sinne zumutbar sein (vgl. nur Senat, Urteil vom 5. November 1992 - III ZR 91/91, BGHZ 120, 124, 126; Beschluss vom 26. März 1997 - III ZR 295/96, NJW 1997, 2109; Urteil vom 17. Juni 2004 - III ZR 335/03, BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 2 Zumutbarkeit 3). Zu Unrecht beanstandet insoweit die Revision, dass dem Kläger Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB gegen den Sachverständigen Ba. zustünden. Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass der Kläger nach der für ihn überschaubaren Sachlage schwerlich einen Schädigungsvorsatz des Sachverständigen hätte darlegen und im zu erwartenden Bestreitensfall auch hätte beweisen können. Bei dieser Sachlage sei ihm ein Prozess wegen erkennbar fehlender Erfolgsaussicht nicht zumutbar, zumal sich die in die Verantwortung des Sachverständigen fallende Verzögerung ohnehin nicht mit der Gesamtverzögerung des Vorprozesses decke, was im Rahmen der anzustellenden Kausalitätsbetrachtung weitere Probleme und Nachweisschwierigkeiten nach sich gezogen hätte. Soweit die Revision hierzu - unter Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 24. September 1991 - VI ZR 293/90, NJW 1991, 3282 - darauf verweist, dass es für die Annahme eines Schädigungsvorsatzes ausreiche, dass der Sachverständige leichtfertig gehandelt und die Schädigung der Prozessbeteiligten billigend in Kauf genommen habe, hat dies das Berufungsgericht, wie die im Urteil zitierte Rechtsprechung zeigt, bei seiner tatrichterlichen Würdigung nicht übersehen.

III.


39
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Schlick Herrmann Wöstmann
Seiters Tombrink
Vorinstanzen:
LG Dortmund, Entscheidung vom 16.12.2005 - 8 O 36/05 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 08.01.2010 - I-11 U 27/06 -

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens und darüber, ob der Kläger daneben beanspruchen kann, die unangemessene Dauer feststellen zu lassen.

2

Im Ausgangsverfahren, dessen Überlänge der Kläger rügt, stand die Rückerstattung von Ausbildungsförderung im Streit, die der Kläger für sein Studium der Geowissenschaften von Oktober 2000 bis März 2003 erhalten hatte. Ein erster Rückforderungsbescheid erging im Februar 2003 und belief sich über 13 600 €. Das Studentenwerk P. verlangte die Förderung mit der Begründung zurück, der Kläger habe nicht angegeben, dass er über umfangreiches Vermögen auf einem Bankkonto verfüge. Nach der Zurückweisung seines Widerspruchs erhob der Kläger Ende Juni 2003 Klage vor dem Verwaltungsgericht.

3

Im September 2003 begründete er seine Klage damit, dass das festgestellte Vermögen nicht ihm gehöre, sondern seinem Bruder, für den er es treuhänderisch verwalte. Zudem erweiterte der Kläger seine Klage auf einen zwischenzeitlich ergangenen zweiten Rückforderungsbescheid über 3 500 €. Mitte Januar 2004 nahm das beklagte Studentenwerk schriftlich zu der Klage Stellung. Mit Schreiben vom 3. März 2004 fragte die Berichterstatterin bei den Beteiligten an, ob sie mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sowie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien.

4

Mit am 11. und 12. März 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsätzen erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise. Der Kläger trug zudem weiter zur Sache vor und kündigte für den Fall, dass das Gericht Zweifel an dem Wahrheitsgehalt seines Tatsachenvortrags haben sollte, mehrere Beweisanträge an. Mit Schreiben vom 17. März 2004 übersandte das Verwaltungsgericht dem Studentenwerk eine Abschrift des Schriftsatzes des Klägers und gab Gelegenheit, innerhalb von sechs Wochen Stellung zu nehmen. Das beklagte Studentenwerk äußerte sich hierauf nicht. Mit am 10. November 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass die Beteiligten Anfang März des Jahres "wohl auch aus Beschleunigungszwecken" übereinstimmend einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt hätten. Das Gericht teilte ihm mit, dass nicht absehbar sei, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Gleiches gilt für die weiteren Anfragen des Klägers vom 16. Mai 2006 und vom 16. Juli 2007.

5

Mit Beschluss vom 5. Januar 2010 übertrug die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit auf den Einzelrichter. Auf die Anfrage, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe, stimmten die Beteiligten bis Ende Januar 2010 zu. Mit Urteil vom 2. Februar 2010 wies der Einzelrichter die Klage ohne mündliche Verhandlung ab. Sie sei teilweise wegen Versäumung der Widerspruchsfrist unzulässig und teilweise unbegründet. Das vom Kläger behauptete Treuhandverhältnis habe nach Überzeugung des Gerichts nicht bestanden.

6

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 23. Februar 2010 zugegangene Urteil beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Diese ließ das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Mai 2011 zu. In der mündlichen Verhandlung am 30. November 2011 wurde der Kläger befragt und sein Bruder als Zeuge vernommen. Mit Urteil vom selben Tag änderte das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts und gab der Klage statt. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12. Januar 2012 und dem Beklagten am 19. Januar 2012 zugestellt. Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung der Revision wurden nicht eingelegt.

7

Mit der am 4. Januar 2012 zunächst beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen und von diesem an das Oberverwaltungsgericht weitergeleiteten Klage hat der Kläger die Gewährung einer Entschädigung in Höhe von 6 000 € und die Feststellung begehrt, dass die Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Verwaltungsgericht unangemessen war. Er habe über lange Zeit mit der erheblichen Unsicherheit leben müssen, einer für seine Verhältnisse existenzbedrohlichen Forderung von über 17 000 € ausgesetzt zu sein. Das Verwaltungsgericht habe den Rechtsstreit ohne Weiteres innerhalb von ungefähr 20 Monaten und damit bis Februar 2005 entscheiden können. Es habe selbst bereits mit seiner Verfügung vom 3. März 2004 zum Ausdruck gebracht, dass die Sache aus seiner Sicht keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und auch keine grundsätzliche Bedeutung habe. Dennoch habe es ab März 2004 keine aktenkundige Tätigkeit entfaltet, um die aus seiner Sicht entscheidungsreife Sache zu fördern. Insgesamt ergebe sich eine nicht zu rechtfertigende Verzögerung von fünf Jahren.

8

Das Oberverwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil vom 27. März 2012 die Beklagte verurteilt, an den Kläger 4 000 € zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Verfahren des Klägers habe zwar keine neuen oder komplexen Rechtsfragen aufgeworfen. Auch die Klärung der Tatsachengrundlage sei nicht überdurchschnittlich aufwändig gewesen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sei die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens aber bis einschließlich September 2006 noch als angemessen anzusehen. Zwar sei die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen. Bei Hinzurechnung einer aus Sicht des Klägers unerfreulichen, jedoch noch nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoßenden Verfahrensdauer von weiteren zwei Jahren erschließe sich, dass die Verfahrensdauer bis September 2006 angemessen und von Oktober 2006 bis Januar 2010 (weitere drei Jahre und vier Monate) unangemessen gewesen sei. Die Verfahrensdauer in der zweiten Rechtsstufe vor dem Oberverwaltungsgericht sei mit ca. zwei Jahren noch angemessen. Das dortige Verfahren sei aber auch nicht so zügig durchgeführt worden, dass damit die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens teilweise hätte kompensiert werden können. Der Kläger habe neben der Entschädigung keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Feststellung der Unangemessenheit. Ein schwerwiegender Fall im Sinne des Gesetzes sei schon deswegen nicht gegeben, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe. Zudem habe der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer mildern können, wenn er die Treuhandabrede mit seinem Bruder aufgehoben und einen weiteren Antrag auf Ausbildungsförderung gestellt hätte.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG sowie des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG. Er begehrt eine um 2 000 € höhere Entschädigung sowie die Feststellung, dass die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht unangemessen war.

10

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

11

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren. Er sei mit dem Bundesjustizministerium der Auffassung, dass das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - jedenfalls in seiner Begründung - keinen Bestand haben könne. Nach der Gesetzesfassung komme es auf die Umstände des Einzelfalles und nicht auf eine Durchschnittsdauer an. "Angemessen" sei etwas anderes als "durchschnittlich". Im Extremfall könne auch eine durchschnittliche Dauer unangemessen sein.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dem Kläger steht die von ihm geltend gemachte weitere Entschädigung zu (1.). Ebenso ist seinem Begehren zu entsprechen, die unangemessene Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festzustellen (2.).

13

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ausgleich seines immateriellen Nachteils in Höhe von weiteren 2 000 €.

14

Der geltend gemachte Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Dezember 2011 (BGBl I S. 2582). Diese Regelungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen.

15

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des vom Kläger in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b). Hierdurch hat er einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (c) und in der von ihm geltend gemachten Höhe zu entschädigen ist (d).

16

a) Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Bezugsrahmen des vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist danach das gesamte - hier abgeschlossene - verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, und zwar vom Zeitpunkt der Klageerhebung bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung. Erfasst ist hier mithin die Gesamtdauer des Verfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht (aa), nicht aber das dem Verwaltungsprozess vorausgegangene behördliche Vorverfahren (bb).

17

aa) Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ("Gerichtsverfahren"). Hinweise für eine Trennung zwischen verschiedenen Instanzen oder Gerichten finden sich dort nicht. Gleiches gilt für die Legaldefinition des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG, die auf den Zeitraum von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens und damit auf die Anhängigkeit des Rechtsstreits bei Gericht abstellt. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Bezugspunkt für die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer grundsätzlich das Gesamtverfahren ist, soweit es - je nach geltend gemachtem Anspruch - in die Haftungsverantwortung des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt (BTDrucks 17/3802 S. 18 f.). In systematischer Hinsicht wird die Bezugnahme auf das Gesamtverfahren durch den Rückschluss aus § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG bestätigt. Danach ist die Erhebung einer erneuten Verzögerungsrüge erforderlich, wenn sich das Verfahren "bei einem anderen Gericht" weiter verzögert. Schließlich wird das vorgenannte Auslegungsergebnis durch die systematische Einbeziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts gestützt. Beide Gerichte gehen im Hinblick auf das Recht auf ein Gerichtsverfahren in angemessener Dauer in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass grundsätzlich auf die Gesamtdauer des Verfahrens abzustellen ist (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 24. Juni 2010 - Nr. 25756/09 - juris Rn. 21 und vom 30. März 2010 - Nr. 46682/07 - juris Rn. 36; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214 und vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 m.w.N.). Gegen die Möglichkeit, die materiell-rechtliche Prüfung auf eine Verfahrensstufe zu begrenzen, spricht vor allem der Umstand, dass eine lange Verfahrensdauer innerhalb einer Stufe gegebenenfalls durch eine zügige Verfahrensführung in einer anderen (höheren) Stufe ausgeglichen werden kann (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 7. Januar 2010 - Nr. 40009/04 - juris Rn. 151 und vom 22. März 2012 - Nr. 23338/09, Kautzor/Deutschland - NJW 2013, 1937 ; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 a.a.O. und vom 14. Dezember 2010 a.a.O.).

18

Von der Frage des materiell-rechtlichen Bezugsrahmens zu trennen ist die vom Oberverwaltungsgericht offengelassene Frage, ob sich ein Verfahrensbeteiligter darauf beschränken kann, ein über mehrere Instanzen hinweg geführtes Gerichtsverfahren allein bezüglich der Dauer in einer bestimmten Rechtsstufe als überlang anzugreifen und nur hierfür Entschädigung zu verlangen. Diese Frage, die vor dem Hintergrund der Dispositionsmaxime im Ausgangspunkt prozessualer Natur ist, stellt sich hier nicht. Der Kläger hat im Hinblick auf sein Entschädigungsverlangen - anders als hinsichtlich seines Feststellungsbegehrens (siehe dazu unten 2 a) - eine solche Beschränkung nicht vorgenommen.

19

Soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass in die Dauer eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG auch der Zeitraum bis zur Zustellung des Urteils oder einer anderen das Verfahren abschließenden Entscheidung einzubeziehen ist, trifft dies zwar zu. Denn unter rechtskräftigem Abschluss des Gerichtsverfahrens im Sinne dieser Vorschrift ist der Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 24 m.w.N.). Allerdings kann danach die Dauer des Gerichtsverfahrens über den Zeitpunkt der Zustellung hinausgehen. So liegt es hier. Ein Urteil erwächst nur dann mit der Zustellung in Rechtskraft, wenn es nicht mehr mit Rechtsmitteln anfechtbar ist. Kann die Entscheidung dagegen - wie hier das im Ausgangsrechtsstreit ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - noch angefochten werden (vgl. § 132 VwGO), wird sie erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist formell rechtskräftig, so dass auch dieser Zeitraum noch zur Dauer des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG zählt.

20

bb) Das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) sind, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 und § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

21

Die Ausklammerung des Verwaltungs- und Vorverfahrens ist mit der Begrenzung auf das "Gerichtsverfahren" bereits unmissverständlich im Wortlaut des Gesetzes angelegt. Sie entspricht überdies dem Willen des Gesetzgebers, wie er in den Gesetzesmaterialien seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 17).

22

Das vorstehende Auslegungsergebnis ist mit Art. 6 und Art. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in der Fassung vom 22. Oktober 2010 (BGBl II S. 1198) vereinbar. Dem steht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat (vgl. Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - ZBR 2013, 257 Rn. 46), nicht entgegen.

23

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zwar für die Ermittlung, wann die Verfahrensdauer in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unangemessen ist, die Dauer des Vorverfahrens mit einbezogen. Sofern die Einlegung dieses Rechtsbehelfs ein notwendiger erster Schritt ist, bevor das gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden kann, hat der Gerichtshof den Zeitraum, der für die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK maßgeblich ist, mit dem Tag beginnen lassen, an dem der Beschwerdeführer den behördlichen Rechtsbehelf (Widerspruch) eingelegt hat (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 - C (78) 31, König/Deutschland - NJW 1979, 477 <478 f.>, vom 30. Juni 2011 - Nr. 11811/10 - juris Rn. 21 und vom 24. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.).

24

Allerdings beziehen sich diese Entscheidungen auf einen Zeitraum, in welchem das deutsche Recht keinen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK vorsah, der geeignet war, Abhilfe für die unangemessene Dauer von Verfahren zu schaffen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010 a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) steht jedoch nunmehr ein solcher Rechtsbehelf gegen Verzögerungen gerichtlicher Verfahren im Sinne des Konventionsrechts zur Verfügung, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Grund zu der Annahme gibt, dass die damit verfolgten Ziele nicht erreicht werden (EGMR, Urteil vom 29. Mai 2012 - Nr. 53126/07, Taron/Deutschland - NVwZ 2013, 47 ). Hinzu kommt, dass das nationale Recht mit der so genannten Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO einen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem einer unangemessenen Verzögerung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) durch unmittelbare Klageerhebung begegnet werden kann. Mit Blick auf die Rüge der Verfahrensdauer erweist sich die Untätigkeitsklage grundsätzlich als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Januar 2008 - Nr. 1679/03, Glusen/Deutschland - juris Rn. 66 f.). Dieser tritt neben die durch das neue Gesetz normierte (kompensatorische) Entschädigung für Verzögerungen des Gerichtsverfahrens (vgl. Marx, in: Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, 2013, § 173 VwGO Rn. 9; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 38). Jedenfalls mit Blick auf das Nebeneinander dieses Entschädigungsanspruchs und der Untätigkeitsklage ist es konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Vorverfahren nicht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention fordert im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht notwendig einen einheitlichen Rechtsbehelf, sondern lässt bei entsprechender Wirksamkeit auch eine Kombination von Rechtsbehelfen genügen (EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 98 m.w.N.). Den Konventionsstaaten kommt bei der gesetzlichen Ausgestaltung des von Art. 13 EMRK geforderten Rechtsbehelfs ein Gestaltungsspielraum zu (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 29. März 2006 - Nr. 36813/97, Scordino/Italien - NVwZ 2007, 1259 Rn. 189 und vom 29. Mai 2012 a.a.O. Rn. 41).

25

b) Die Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht war unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

26

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" zeigt, werden damit die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BTDrucks 17/3802 S. 18).

27

aa) Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht in Einklang, soweit es sinngemäß den Rechtssatz aufstellt, dass eine Verfahrensdauer von zwei weiteren Jahren ab Entscheidungsreife noch angemessen sei und nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoße (UA S. 16 Rn. 50). Ein entsprechender Rechtssatz lässt sich aus § 198 Abs. 1 GVG nicht ableiten. Mit dieser Bestimmung ist weder die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben vereinbar ((1)), noch lässt es die Vorschrift grundsätzlich zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungswerten oder Regelfristen für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen ((2)). Dies gilt gerade auch für die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Zwei-Jahresfrist ab Entscheidungsreife ((3)).

28

(1) Mit der gesetzlichen Festlegung, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Die Ausrichtung auf den Einzelfall folgt nicht nur in deutlicher Form aus dem Wortlaut des Gesetzes ("Umstände des Einzelfalles"), sondern wird durch seine Entstehungsgeschichte bestätigt und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit ausgeschlossen hat. Er hat sich insoweit daran ausgerichtet, dass weder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch die des Bundesverfassungsgerichts feste Zeiträume vorgibt, sondern jeweils die Bedeutung der Einzelfallprüfung hervorhebt. Dem Grundgesetz lassen sich keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (BVerfG, Beschlüsse vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 - NJW 2008, 503; vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790>). Gleiches gilt im Ergebnis für die Europäische Menschenrechtskonvention. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 a.a.O. <479> und vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02, Herbst/Deutschland - NVwZ 2008, 289 Rn. 75; Entscheidung vom 22. Januar 2008 - Nr. 10763/05 - juris Rn. 43 m.w.N.).

29

(2) Für die Beurteilung, ob die Verfahrensdauer angemessen ist, verbietet es sich in der Regel auch, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als "normale", "durchschnittliche" oder "übliche" Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder "erster grober Anhalt" herangezogen werden (vgl. etwa Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Rn. 76; Roderfeld, in: Marx/Roderfeld a.a.O. § 198 GVG Rn. 38 f.; im Ergebnis zu Recht ablehnend OVG Bautzen, Urteil vom 15. Januar 2013 - 11 F 1/12 - LKV 2013, 230 <232>; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 69, 86 f. m.w.N.).

30

Die Entscheidung des Gesetzgebers, keine zeitlichen Festlegungen zu treffen, ab wann ein Verfahren "überlang" ist, schließt für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich einen Rückgriff auf Orientierungs- oder Richtwerte aus. Dies gilt auch, soweit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - allerdings obiter und deshalb die jeweilige Entscheidung nicht tragend - eine Verfahrenslaufzeit von etwa einem Jahr pro Instanz als grober Anhalt ("rough rule of thumb") genannt wird (vgl. Urteile vom 26. November 2009 - Nr. 13591/05, Nazarov/Russland - Rn. 126, vom 9. Oktober 2008 - Nr. 62936/00, Moiseyev/Russland - Rn. 160 und vom 16. Januar 2003 - Nr. 50034/99, Obasa/Großbritannien - Rn. 35 ).

31

Angesichts der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren stießen solche Festlegungen an eine Komplexitätsgrenze. Sie könnten letztlich für die Angemessenheit im Einzelfall nicht aussagekräftig sein. Die Bandbreite der Verwaltungsprozesse reicht von sehr einfach gelagerten Verfahren bis zu äußerst aufwändigen Großverfahren (etwa im Infrastrukturbereich), die allein einen Spruchkörper über eine lange Zeitspanne binden können. Der Versuch, dieser Bandbreite mit Mittel- oder Orientierungswerten Rechnung zu tragen, ginge nicht nur am Einzelfall vorbei, sondern wäre auch mit dem Risiko belastet, die einzelfallbezogenen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verfehlen. Die Bestimmung einer Regeldauer brächte zudem - entgegen der Intention des Gesetzes - die Gefahr mit sich, dass sie die Verwaltungsgerichte als äußerstes Limit ansehen könnten, bis zu welchem ein Verfahren zulässigerweise ausgedehnt werden dürfte.

32

Entgegen der Rechtsansicht des Klägers können auch die statistischen Durchschnittslaufzeiten für verwaltungsgerichtliche Verfahren im Land Brandenburg nicht zu einer Objektivierung des Angemessenheitsmaßstabs herangezogen werden (vgl. zur Heranziehung statistischer Durchschnittswerte im sozialgerichtlichen Verfahren: BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 28 ff.). Die vorgenannten Bedenken greifen nämlich in gleicher Weise für den Ansatz, bestimmte (durchschnittliche) Laufzeiten, die durch eine Auswertung anderer Gerichtsverfahren statistisch ermittelt wurden, als ergänzende oder indizielle Werte heranzuziehen. Zum einen ist auch dieser Ansatz mit der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren nicht in Einklang zu bringen. Zum anderen ist ein gesichertes Indiz für eine "normale" bzw. durchschnittliche Laufzeit in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren schon deshalb kaum möglich, weil die Verfahrenslaufzeiten der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in den Ländern - wie aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlich und zwischen den Beteiligten unstreitig ist - sehr unterschiedlich ausfallen. Im Hinblick auf die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Gerichtsverfahrens in angemessener Zeit kann die Effektivität des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für die verfahrensbeteiligten Bürger nicht (mit) davon abhängen, in welchem Land sie Rechtsschutz suchen und wie sich die durchschnittliche Verfahrensdauer dort ausnimmt.

33

Es verbietet sich gleichfalls, statistische Erhebungen für Verwaltungsstreitverfahren auf Bundesebene heranzuziehen. Abgesehen davon, dass solche statistischen Werte über Verfahrenslaufzeiten im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren für den Einzelfall kaum aussagekräftig sind, müssten die Durchschnittswerte ihrerseits wieder daraufhin überprüft werden, ob sie als solche angemessen sind.

34

Die Orientierung an einer - wie auch immer ermittelten - (statistisch) durchschnittlichen Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren erweist sich auch deshalb als bedenklich, weil eine solche Laufzeit stets auch Ausdruck der den Gerichten jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen ist, also insbesondere von den bereitgestellten personellen und sächlichen Mitteln abhängt. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer darf hingegen grundsätzlich nicht von der faktischen Ausstattung der Justiz abhängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1973 - 2 BvR 558/73 - BVerfGE 36, 264 <274 f.>). Dies wäre aber im Ergebnis der Fall, wenn für die Ermittlung der angemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG auf eine durchschnittliche Laufzeit abgestellt wird (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. Rn. 87; Ziekow, DÖV 1998, 941 <942>).

35

Die Ausrichtung an einer durchschnittlichen Verfahrensdauer begegnet auch mit Blick darauf Bedenken, dass statistische Werte zumeist schwankend und über die Jahre hinweg in ständigem Fluss sowie von dem abhängig sind, was jeweils wie erfasst wird. Schließlich ersparten sie in keinem Einzelfall die Prüfung, ob und in welchem Umfange über die gesamte Laufzeit eines als überlang gerügten Gerichtsverfahrens Verzögerungen eingetreten und diese sachlich gerechtfertigt sind.

36

(3) Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die vom Oberverwaltungsgericht angenommene - eher gegriffene - Frist von zwei Jahren ab Entscheidungsreife kein zulässiger Maßstab für die Prüfung der Angemessenheit im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG ist. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass der Aspekt der Entscheidungsreife oder des "Ausgeschriebenseins" einer Sache für die Bewertung der Verzögerung ohnehin kein Fixpunkt sein, sondern allenfalls relative Bedeutung haben kann. Mit der Entscheidungsreife muss weder sogleich eine dem Staat zuzurechnende Verzögerung eintreten noch werden mit ihr bestimmte Fristen in Lauf gesetzt, innerhalb derer die Verfahrensdauer noch angemessen ist, wenn das Verfahren gefördert wird. Der Begriff der Entscheidungsreife kennzeichnet lediglich den Zeitpunkt, in welchem der für die Entscheidung des Rechtsstreits notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Ebenso wenig wie es allgemeine Orientierungswerte für die angemessene Verfahrensdauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren gibt, gibt es solche darüber, bis wann ein Verfahren nach Entscheidungsreife abzuschließen ist.

37

bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.

38

(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens" (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).

39

(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).

40

(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.

41

Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).

42

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).

43

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn. 14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kudla/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

44

Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer. Es ist vielmehr - wie aufgezeigt - im Rahmen einer Gesamtabwägung zu untersuchen, ob die Verzögerung innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde.

45

cc) Unter Berücksichtigung der zuvor erörterten Grundsätze erweist sich hier, dass die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG war, weil eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles - insbesondere der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), seiner Bedeutung für den Kläger ((2)) sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((3)) und der Verfahrensführung des Gerichts ((4)) - ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt worden ist.

46

(1) Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, dass es sich nicht um einen tatsächlich und rechtlich schwierigen Fall handelte, ist unter Berücksichtigung seiner hierzu getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden und wird auch von der Revision nicht angegriffen. Als Indiz für den eher durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad kann unter anderem der Umstand herangezogen werden, dass die Sache vom Verwaltungsgericht auf den Einzelrichter übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und auch von dem Senat des Oberverwaltungsgerichts, der im Ausgangsverfahren zu entscheiden hatte, nicht als besonders schwierig gewertet worden ist.

47

(2) Anders verhält es sich hinsichtlich der Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, das Verfahren habe für den Kläger letztlich keine besondere Bedeutung aufgewiesen, so dass ein besonderes Interesse an einem beschleunigten Abschluss nicht gegeben gewesen sei. Zwar wird die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger dadurch relativiert, dass er durch die aufschiebende Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens vor einer Vollstreckung durch die öffentliche Hand geschützt war. Auch liegt keine Fallgruppe vor, für welche die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte regelmäßig eine besondere Bedeutung für die Betroffenen annimmt, wie etwa bei Eingriffen in die persönliche Freiheit oder die Gesundheit; Rechtsstreitigkeiten um die finanzielle Versorgung (Renten- oder Arbeitssachen) oder Statussachen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 133 sowie den Überblick und die Nachweise bei Wittling-Vogel/Ulick, DRiZ 2008, 87 <88>). Allerdings ist - wie die Revision zu Recht einwendet - auch zu berücksichtigen, dass der Kläger einer für einen jungen Menschen (Studenten) erheblichen Geldforderung in Höhe von über 17 000 € ausgesetzt war. Die damit verbundene Unsicherheit, ob die Forderung zu Recht erhoben worden ist und er diese Summe tatsächlich zu begleichen hatte - das "Damoklesschwert" der drohenden Geltendmachung durch die Behörde -, ist entgegen der Wertung des Oberverwaltungsgerichts als erheblich für die Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger anzusehen. Wegen der mit dieser Verunsicherung verbundenen Einschränkung, weitere Dispositionen zu treffen, ist ihm ein besonderes Interesse an einer Erledigung des Rechtsstreits zuzubilligen, das mit zunehmender Verfahrensdauer wuchs.

48

(3) Im Hinblick auf das prozessuale Verhalten des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass er durch sein Verhalten keine relevante Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt habe. Die Beteiligten streiten zu Recht nicht über den Zeitraum, für den der Kläger nach Klageerhebung um die Verlängerung der Begründungsfrist nachgesucht und damit eine ihm zuzurechnende Verzögerung von etwa zwei Monaten herbeigeführt hat. Im Hinblick auf sein prozessuales Verhalten ist allerdings ergänzend zu berücksichtigen, dass er nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bereits im März 2004 sein Einverständnis mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt hat. Damit hat er frühzeitig einen Beitrag zu einer möglichen Verfahrensbeschleunigung geleistet.

49

(4) Unter Gewichtung und Abwägung der zuvor erörterten Kriterien ergibt sich hier - auch unter Berücksichtigung des gerichtlichen Spielraums bei der Verfahrensgestaltung - eine maßgebliche, weil sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Gerichtsverfahrens von etwa fünf Jahren.

50

Im Hinblick auf den Verfahrensgang vor dem Verwaltungsgericht hat das Oberverwaltungsgericht neben der Chronologie des Verfahrens festgestellt, dass die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hatte bereits durch die Anfrage an die Beteiligten vom 3. März 2004, ob sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien, zu erkennen gegeben, dass es die Sache für "ausgeschrieben" hielt. Auf der Grundlage dieser Feststellung ist die Wertung des Oberverwaltungsgerichts fehlerhaft, dass eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung von drei Jahren und vier Monaten vorgelegen habe. Hierzu ist das Oberverwaltungsgericht aufgrund seiner rechtlich fehlerhaften Annahme gelangt, dass nach Entscheidungsreife noch eine weitere Verfahrensdauer von zwei Jahren (bis September 2006) angemessen gewesen sei. Diese "Zwei-Jahres-Pauschale" steht - wie dargelegt - weder als allgemeine Formel mit Bundesrecht in Einklang noch trägt sie durch eine Würdigung der konkreten Umstände dem vorliegenden Einzelfall Rechnung.

51

Was den Zeitpunkt der Entscheidungsreife - verstanden als Zeitpunkt der hinreichenden tatsächlichen Aufbereitung wie auch der Gewährung rechtlichen Gehörs - betrifft, so ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Verfahrensablauf vielmehr wertend zu folgern, dass diese bereits vor September 2004 gegeben war. Denn das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass das Verwaltungsgericht den letzten Schriftsatz des Klägers vom 12. März 2004 am 17. März 2004 an den Beklagten übersandt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen gegeben hat. Nachdem der Beklagte sich hierzu nachweislich nicht mehr geäußert hatte, stand einer weiteren Verfahrensförderung durch das Verwaltungsgericht (etwa einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter) schon Ende April 2004 nichts mehr im Wege.

52

Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat, die insbesondere für Zeiträume in Betracht kommt, in denen das Gericht das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 a.a.O. Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 a.a.O. Rn. 41), ist hier für den Zeitraum von Ende April 2004 bis Januar 2010 anzunehmen. In diesem Zeitraum hat das Verwaltungsgericht das aus seiner Sicht entscheidungsreife Verfahren nicht mehr gefördert; vielmehr hat es sich mit der Verfügung von Wiedervorlagen der Sache nach auf ein "Liegenlassen" der Akte beschränkt. Die nächste, der Verfahrensförderung dienende Prozesshandlung hat es erst im Januar 2010 mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vorgenommen.

53

Auch wenn dem Verwaltungsgericht ab Entscheidungsreife Ende April 2004 ein mehrmonatiger Gestaltungszeitraum zugestanden wird, um fördernde Verfahrenshandlungen vorzubereiten und abzustimmen, war seine Untätigkeit angesichts der eher durchschnittlichen Schwierigkeit des Verfahrens einerseits und seiner nicht unerheblichen Bedeutung für den Kläger wie auch seines prozessualen Verhaltens andererseits jedenfalls ab Ende 2004 nicht mehr sachlich zu rechtfertigen. Dies entspricht in etwa der Würdigung des Klägers, der davon ausgeht, dass aufgrund der genannten Umstände des Einzelfalles jedenfalls ab Februar 2005 - also 20 Monate nach Klageeinreichung und knapp ein Jahr nach dem Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - die Verfahrensdauer als nicht mehr angemessenen zu betrachten war. Dabei hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass sich der Beklagte - was die Bemessung des Gestaltungszeitraums für eine gerichtliche Entscheidung betrifft - nicht auf die allgemeine Belastungssituation bei den Verwaltungsgerichten im Land Brandenburg berufen kann. Eine solche Überlastung der Gerichte gehört zu den strukturellen Mängeln, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind und die er zu beseitigen hat.

54

Ist mithin jedenfalls ab Ende 2004 eine Untätigkeit des Verwaltungsgerichts nicht mehr zu rechtfertigen gewesen, so sind bis zur nächsten Verfahrensförderung im Januar 2010 mehr als fünf Jahre verstrichen, die als relevante Verzögerung und damit als unangemessene Verfahrensdauer im Sinne von § 198 GVG zugrunde zu legen sind. Dabei hat der Kläger im Ergebnis zu Recht nicht geltend gemacht, dass darüber hinaus auch im Berufungszulassungs- und Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch eine Verzögerung eingetreten ist. Ebenso ist die Vorinstanz zutreffend davon ausgegangen, dass das zweitinstanzliche Verfahren auch nicht so zügig durchgeführt worden ist, dass es die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens (teilweise) hätte kompensieren können.

55

c) Der Kläger hat einen immateriellen Nachteil in der von ihm geltend gemachten Höhe erlitten, der nicht auf andere Weise wieder gutgemacht werden kann.

56

Dass der Kläger, der keine materiellen, sondern nur Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art geltend macht, solche erlitten hat, ergibt sich aus der gesetzlichen Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist im vorliegenden Fall nicht widerlegt.

57

Entschädigung kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. In diese wird regelmäßig einzustellen sein, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (BTDrucks 17/3802 S. 20). Darüber hinaus kann zu berücksichtigen sein, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist und ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (vgl. EGMR, Urteil vom 29. September 2011 - Nr. 854/07 - juris Rn. 41). Hier gehen die Verfahrensbeteiligten mit dem Oberverwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass als Ergebnis einer umfassenden Einzelabwägung eine Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere wegen der erheblichen Verfahrensverzögerung nicht ausreichend ist. Deshalb kann hier dahingestellt bleiben, ob im Fall einer unangemessenen Verfahrensdauer die Entschädigung die Regel und die bloße Feststellung im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG die Ausnahme ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 45 f.) oder ob weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregelung gilt (vgl. BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 Rn. 57).

58

d) Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach sind diese in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Nur wenn dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Das Oberverwaltungsgericht hat in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass hier eine Abweichung vom Pauschalbetrag nicht veranlasst ist. Da die nicht gerechtfertigte Verzögerung jedenfalls fünf Jahre betrug, steht dem Kläger insgesamt ein Anspruch auf 6 000 € Entschädigung zu, so dass über den Ausspruch des Oberverwaltungsgerichts hinaus weitere 2 000 € an ihn zu zahlen sind.

59

2. Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

60

a) Die Begrenzung des Feststellungsantrags auf die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht ist zulässig. Sie entspricht der Dispositionsbefugnis des Klägers als Rechtsmittelführer (vgl. § 88 VwGO) und trägt dem Umstand Rechnung, dass er sich insoweit allein durch die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beschwert sieht. Allgemein kann ein Rechtsmittel auf einen von mehreren selbstständigen Streitgegenständen einer Klage oder auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, wenn dieser Teil vom Gesamtstreitstoff abteilbar ist und materiell-rechtliche Gründe einer gesonderten Entscheidung darüber nicht entgegenstehen (vgl. Beschluss vom 5. Juli 2011 - BVerwG 5 B 35.11 - juris Rn. 1, Urteile vom 1. März 2012 - BVerwG 5 C 11.11 - Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 10 Rn. 15 und vom 18. Juli 2013 - BVerwG 5 C 8.12 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen). Das ist hier der Fall.

61

Die Beschränkung auf einen Verfahrenszug - hier auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren - ist vom Gesamtstreitstoff abtrennbar. Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist zwar - wie oben dargelegt - auch dann die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, wenn dieses wie hier über zwei Instanzen geführt worden ist. Dennoch steht das materielle Recht einem gesonderten Ausspruch darüber, dass (nur) die Verfahrensdauer in einer Instanz unangemessen war, nicht entgegen. Denn auch um dies feststellen zu können, ist grundsätzlich die materiell-rechtliche Voraussetzung zu prüfen, ob - mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer - durch die zügige Behandlung der Sache in einer höheren Instanz eine etwaige Überlänge in der Vorinstanz ganz oder teilweise kompensiert werden kann. Für die Zulässigkeit, den (Feststellungs-)Antrag auf eine Instanz beschränken zu können, spricht überdies, dass es das Gesetz ermöglicht, eine Entschädigungsklage bereits vor Beendigung des Ausgangsverfahrens zu erheben (vgl. § 198 Abs. 5 GVG, § 201 Abs. 3 GVG). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist und in denen daher über die Kompensation für schon eingetretene Nachteile entschieden werden kann (BTDrucks 17/3802 S. 22). Dass es das Gesetz zulässt, verschiedene Verfahrensstufen unterschiedlich in den Blick zu nehmen, zeigt sich schließlich auch daran, dass bei einem bis zum Bundesverwaltungsgericht geführten Verwaltungsrechtsstreit verschiedene Rechtsträger - nämlich zum einen das jeweilige Land und zum anderen der Bund (§ 201 Abs. 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO) - für die in ihrem Bereich zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen in Anspruch genommen werden können.

62

b) Der Anspruch des Klägers auf Feststellung der unangemessenen Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens folgt aus § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG.

63

Nach dieser Bestimmung kann das Entschädigungsgericht in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung aussprechen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Weil es hierfür nicht notwendig eines Antrags bedarf (§ 198 Abs. 4 Satz 2 GVG), hat das Entschädigungsgericht grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen, ob es diese Feststellung trifft. Bei diesem Ausspruch handelt es sich, wie systematisch aus § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG zu folgern ist, um eine Form der "Wiedergutmachung auf andere Weise", die "neben die Entschädigung" treten kann. Ob das Entschädigungsgericht diese Feststellung zusätzlich zur Entschädigung (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 22) trifft, ist in sein Ermessen ("kann") gestellt.

64

aa) Ein schwerwiegender Fall im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG liegt hier vor.

65

Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung des schwerwiegenden Falles rechtsfehlerhaft verneint. Es hat sich zur Begründung darauf gestützt, dass ein solcher Fall hier schon deshalb ausscheide, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe und der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht hätte mildern können, indem er einen weiteren Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung hätte stellen und die Treuhandabrede hätte aufheben können. Dem folgt der Senat nicht.

66

Ob ein schwerwiegender Fall vorliegt, ist anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Insofern gilt nichts anderes als für die Entscheidung nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ebenfalls "unter Würdigung der Gesamtumstände" zu treffen ist (BTDrucks 17/3802 S. 22). Neben der Bedeutung des Rechtsstreits für den Verfahrensbeteiligten und seinen damit korrespondierenden Interessen an einer zügigen Entscheidung ist im Rahmen der Abwägung, ob der Fall schwerwiegend ist, insbesondere in Ansatz zu bringen, wie lange das Verfahren insgesamt gedauert hat und wie groß der Zeitraum ist, in dem eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vorlag. Der Begriff "schwerwiegend" bezieht sich - worauf schon der Wortlaut hindeutet - auf das Gewicht der Beeinträchtigung, die mit einer unangemessen langen Dauer verbunden ist. Dieses Gewicht nimmt zu, je länger die den Betroffenen belastende Phase der Untätigkeit anhält. Dementsprechend haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - VZ 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790> m.w.N.).

67

Den vorgenannten Aspekt hat das Oberverwaltungsgericht hier nicht gesetzeskonform gewichtet. Es hätte die erhebliche Überlänge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit einer dem Gericht zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von etwa fünf Jahren sowie die Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von über acht Jahren als Umstand in die Abwägung einstellen müssen, der in bedeutsamer Weise für die Annahme eines schwerwiegenden Falles spricht. Zudem hat das Oberverwaltungsgericht die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger zu gering gewichtet. Denn diese ist - wie oben dargelegt - wegen der Höhe des Rückforderungsbetrages und der damit verbundenen Unsicherheit als erheblich anzusehen. Eine gesetzeskonforme Gesamtabwägung ergibt daher, dass gerade im Hinblick auf die erhebliche Überlänge des für den Kläger bedeutsamen Verfahrens die Voraussetzungen für die Annahme eines schwerwiegenden Falles erfüllt sind. Dies kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auch das Revisionsgericht feststellen.

68

bb) Sofern - wie hier - ein schwerwiegender Fall im Sinne des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG vorliegt, ist die Entscheidung über eine Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer in das Ermessen des Entschädigungsgerichts gestellt.

69

Die Frage, ob in "schwerwiegenden Fällen" noch neben der Entschädigung ein gesonderter Feststellungsausspruch geboten ist, um dem Wiedergutmachungsanspruch des Betroffenen hinreichend Rechnung zu tragen, ist systematisch der Ermessensausübung zuzuordnen. Insoweit ist eine weitere Abwägungsentscheidung darüber zu treffen, ob es im konkreten Fall des Feststellungsausspruchs bedarf, um dem Betroffenen eine zusätzliche Form der Wiedergutmachung zu verschaffen. Als ein Abwägungskriterium ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, wenn der Kläger dies - wie hier - ausdrücklich beantragt. Damit gibt er zu erkennen, dass er auf diese zusätzliche Form der Wiedergutmachung gerade Wert legt und sie als Form der Genugtuung für die Verletzung seiner Rechte begreift. Ob die Beantragung der Feststellung in "schwerwiegenden Fällen" grundsätzlich zu einer Reduzierung des Ermessens führen kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn tatsächliche Umstände, die trotz der mit der Antragstellung verbundenen Geltendmachung eines entsprechenden Genugtuungs- bzw. Rehabilitationsbegehrens dafür sprechen, von dem begehrten Ausspruch abzusehen, sind hier nicht festgestellt.

70

3. Da der Beklagte aufgrund des revisionsgerichtlichen Urteils in beiden Instanzen in vollem Umfang unterlegen ist, hat er gemäß § 154 Abs. 1 und 2 VwGO die Kosten zu tragen. Eine Billigkeitsentscheidung nach der kostenrechtlichen Spezialregelung des § 201 Abs. 4 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO ist nicht zu treffen, weil dem Kläger keine geringere Entschädigung zugesprochen wird.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens und darüber, ob der Kläger daneben beanspruchen kann, die unangemessene Dauer feststellen zu lassen.

2

Im Ausgangsverfahren, dessen Überlänge der Kläger rügt, stand die Rückerstattung von Ausbildungsförderung im Streit, die der Kläger für sein Studium der Geowissenschaften von Oktober 2000 bis März 2003 erhalten hatte. Ein erster Rückforderungsbescheid erging im Februar 2003 und belief sich über 13 600 €. Das Studentenwerk P. verlangte die Förderung mit der Begründung zurück, der Kläger habe nicht angegeben, dass er über umfangreiches Vermögen auf einem Bankkonto verfüge. Nach der Zurückweisung seines Widerspruchs erhob der Kläger Ende Juni 2003 Klage vor dem Verwaltungsgericht.

3

Im September 2003 begründete er seine Klage damit, dass das festgestellte Vermögen nicht ihm gehöre, sondern seinem Bruder, für den er es treuhänderisch verwalte. Zudem erweiterte der Kläger seine Klage auf einen zwischenzeitlich ergangenen zweiten Rückforderungsbescheid über 3 500 €. Mitte Januar 2004 nahm das beklagte Studentenwerk schriftlich zu der Klage Stellung. Mit Schreiben vom 3. März 2004 fragte die Berichterstatterin bei den Beteiligten an, ob sie mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sowie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien.

4

Mit am 11. und 12. März 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsätzen erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise. Der Kläger trug zudem weiter zur Sache vor und kündigte für den Fall, dass das Gericht Zweifel an dem Wahrheitsgehalt seines Tatsachenvortrags haben sollte, mehrere Beweisanträge an. Mit Schreiben vom 17. März 2004 übersandte das Verwaltungsgericht dem Studentenwerk eine Abschrift des Schriftsatzes des Klägers und gab Gelegenheit, innerhalb von sechs Wochen Stellung zu nehmen. Das beklagte Studentenwerk äußerte sich hierauf nicht. Mit am 10. November 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass die Beteiligten Anfang März des Jahres "wohl auch aus Beschleunigungszwecken" übereinstimmend einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt hätten. Das Gericht teilte ihm mit, dass nicht absehbar sei, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Gleiches gilt für die weiteren Anfragen des Klägers vom 16. Mai 2006 und vom 16. Juli 2007.

5

Mit Beschluss vom 5. Januar 2010 übertrug die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit auf den Einzelrichter. Auf die Anfrage, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe, stimmten die Beteiligten bis Ende Januar 2010 zu. Mit Urteil vom 2. Februar 2010 wies der Einzelrichter die Klage ohne mündliche Verhandlung ab. Sie sei teilweise wegen Versäumung der Widerspruchsfrist unzulässig und teilweise unbegründet. Das vom Kläger behauptete Treuhandverhältnis habe nach Überzeugung des Gerichts nicht bestanden.

6

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 23. Februar 2010 zugegangene Urteil beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Diese ließ das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Mai 2011 zu. In der mündlichen Verhandlung am 30. November 2011 wurde der Kläger befragt und sein Bruder als Zeuge vernommen. Mit Urteil vom selben Tag änderte das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts und gab der Klage statt. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12. Januar 2012 und dem Beklagten am 19. Januar 2012 zugestellt. Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung der Revision wurden nicht eingelegt.

7

Mit der am 4. Januar 2012 zunächst beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen und von diesem an das Oberverwaltungsgericht weitergeleiteten Klage hat der Kläger die Gewährung einer Entschädigung in Höhe von 6 000 € und die Feststellung begehrt, dass die Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Verwaltungsgericht unangemessen war. Er habe über lange Zeit mit der erheblichen Unsicherheit leben müssen, einer für seine Verhältnisse existenzbedrohlichen Forderung von über 17 000 € ausgesetzt zu sein. Das Verwaltungsgericht habe den Rechtsstreit ohne Weiteres innerhalb von ungefähr 20 Monaten und damit bis Februar 2005 entscheiden können. Es habe selbst bereits mit seiner Verfügung vom 3. März 2004 zum Ausdruck gebracht, dass die Sache aus seiner Sicht keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und auch keine grundsätzliche Bedeutung habe. Dennoch habe es ab März 2004 keine aktenkundige Tätigkeit entfaltet, um die aus seiner Sicht entscheidungsreife Sache zu fördern. Insgesamt ergebe sich eine nicht zu rechtfertigende Verzögerung von fünf Jahren.

8

Das Oberverwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil vom 27. März 2012 die Beklagte verurteilt, an den Kläger 4 000 € zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Verfahren des Klägers habe zwar keine neuen oder komplexen Rechtsfragen aufgeworfen. Auch die Klärung der Tatsachengrundlage sei nicht überdurchschnittlich aufwändig gewesen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sei die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens aber bis einschließlich September 2006 noch als angemessen anzusehen. Zwar sei die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen. Bei Hinzurechnung einer aus Sicht des Klägers unerfreulichen, jedoch noch nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoßenden Verfahrensdauer von weiteren zwei Jahren erschließe sich, dass die Verfahrensdauer bis September 2006 angemessen und von Oktober 2006 bis Januar 2010 (weitere drei Jahre und vier Monate) unangemessen gewesen sei. Die Verfahrensdauer in der zweiten Rechtsstufe vor dem Oberverwaltungsgericht sei mit ca. zwei Jahren noch angemessen. Das dortige Verfahren sei aber auch nicht so zügig durchgeführt worden, dass damit die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens teilweise hätte kompensiert werden können. Der Kläger habe neben der Entschädigung keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Feststellung der Unangemessenheit. Ein schwerwiegender Fall im Sinne des Gesetzes sei schon deswegen nicht gegeben, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe. Zudem habe der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer mildern können, wenn er die Treuhandabrede mit seinem Bruder aufgehoben und einen weiteren Antrag auf Ausbildungsförderung gestellt hätte.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG sowie des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG. Er begehrt eine um 2 000 € höhere Entschädigung sowie die Feststellung, dass die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht unangemessen war.

10

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

11

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren. Er sei mit dem Bundesjustizministerium der Auffassung, dass das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - jedenfalls in seiner Begründung - keinen Bestand haben könne. Nach der Gesetzesfassung komme es auf die Umstände des Einzelfalles und nicht auf eine Durchschnittsdauer an. "Angemessen" sei etwas anderes als "durchschnittlich". Im Extremfall könne auch eine durchschnittliche Dauer unangemessen sein.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dem Kläger steht die von ihm geltend gemachte weitere Entschädigung zu (1.). Ebenso ist seinem Begehren zu entsprechen, die unangemessene Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festzustellen (2.).

13

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ausgleich seines immateriellen Nachteils in Höhe von weiteren 2 000 €.

14

Der geltend gemachte Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Dezember 2011 (BGBl I S. 2582). Diese Regelungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen.

15

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des vom Kläger in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b). Hierdurch hat er einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (c) und in der von ihm geltend gemachten Höhe zu entschädigen ist (d).

16

a) Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Bezugsrahmen des vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist danach das gesamte - hier abgeschlossene - verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, und zwar vom Zeitpunkt der Klageerhebung bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung. Erfasst ist hier mithin die Gesamtdauer des Verfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht (aa), nicht aber das dem Verwaltungsprozess vorausgegangene behördliche Vorverfahren (bb).

17

aa) Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ("Gerichtsverfahren"). Hinweise für eine Trennung zwischen verschiedenen Instanzen oder Gerichten finden sich dort nicht. Gleiches gilt für die Legaldefinition des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG, die auf den Zeitraum von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens und damit auf die Anhängigkeit des Rechtsstreits bei Gericht abstellt. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Bezugspunkt für die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer grundsätzlich das Gesamtverfahren ist, soweit es - je nach geltend gemachtem Anspruch - in die Haftungsverantwortung des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt (BTDrucks 17/3802 S. 18 f.). In systematischer Hinsicht wird die Bezugnahme auf das Gesamtverfahren durch den Rückschluss aus § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG bestätigt. Danach ist die Erhebung einer erneuten Verzögerungsrüge erforderlich, wenn sich das Verfahren "bei einem anderen Gericht" weiter verzögert. Schließlich wird das vorgenannte Auslegungsergebnis durch die systematische Einbeziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts gestützt. Beide Gerichte gehen im Hinblick auf das Recht auf ein Gerichtsverfahren in angemessener Dauer in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass grundsätzlich auf die Gesamtdauer des Verfahrens abzustellen ist (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 24. Juni 2010 - Nr. 25756/09 - juris Rn. 21 und vom 30. März 2010 - Nr. 46682/07 - juris Rn. 36; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214 und vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 m.w.N.). Gegen die Möglichkeit, die materiell-rechtliche Prüfung auf eine Verfahrensstufe zu begrenzen, spricht vor allem der Umstand, dass eine lange Verfahrensdauer innerhalb einer Stufe gegebenenfalls durch eine zügige Verfahrensführung in einer anderen (höheren) Stufe ausgeglichen werden kann (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 7. Januar 2010 - Nr. 40009/04 - juris Rn. 151 und vom 22. März 2012 - Nr. 23338/09, Kautzor/Deutschland - NJW 2013, 1937 ; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 a.a.O. und vom 14. Dezember 2010 a.a.O.).

18

Von der Frage des materiell-rechtlichen Bezugsrahmens zu trennen ist die vom Oberverwaltungsgericht offengelassene Frage, ob sich ein Verfahrensbeteiligter darauf beschränken kann, ein über mehrere Instanzen hinweg geführtes Gerichtsverfahren allein bezüglich der Dauer in einer bestimmten Rechtsstufe als überlang anzugreifen und nur hierfür Entschädigung zu verlangen. Diese Frage, die vor dem Hintergrund der Dispositionsmaxime im Ausgangspunkt prozessualer Natur ist, stellt sich hier nicht. Der Kläger hat im Hinblick auf sein Entschädigungsverlangen - anders als hinsichtlich seines Feststellungsbegehrens (siehe dazu unten 2 a) - eine solche Beschränkung nicht vorgenommen.

19

Soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass in die Dauer eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG auch der Zeitraum bis zur Zustellung des Urteils oder einer anderen das Verfahren abschließenden Entscheidung einzubeziehen ist, trifft dies zwar zu. Denn unter rechtskräftigem Abschluss des Gerichtsverfahrens im Sinne dieser Vorschrift ist der Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 24 m.w.N.). Allerdings kann danach die Dauer des Gerichtsverfahrens über den Zeitpunkt der Zustellung hinausgehen. So liegt es hier. Ein Urteil erwächst nur dann mit der Zustellung in Rechtskraft, wenn es nicht mehr mit Rechtsmitteln anfechtbar ist. Kann die Entscheidung dagegen - wie hier das im Ausgangsrechtsstreit ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - noch angefochten werden (vgl. § 132 VwGO), wird sie erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist formell rechtskräftig, so dass auch dieser Zeitraum noch zur Dauer des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG zählt.

20

bb) Das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) sind, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 und § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

21

Die Ausklammerung des Verwaltungs- und Vorverfahrens ist mit der Begrenzung auf das "Gerichtsverfahren" bereits unmissverständlich im Wortlaut des Gesetzes angelegt. Sie entspricht überdies dem Willen des Gesetzgebers, wie er in den Gesetzesmaterialien seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 17).

22

Das vorstehende Auslegungsergebnis ist mit Art. 6 und Art. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in der Fassung vom 22. Oktober 2010 (BGBl II S. 1198) vereinbar. Dem steht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat (vgl. Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - ZBR 2013, 257 Rn. 46), nicht entgegen.

23

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zwar für die Ermittlung, wann die Verfahrensdauer in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unangemessen ist, die Dauer des Vorverfahrens mit einbezogen. Sofern die Einlegung dieses Rechtsbehelfs ein notwendiger erster Schritt ist, bevor das gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden kann, hat der Gerichtshof den Zeitraum, der für die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK maßgeblich ist, mit dem Tag beginnen lassen, an dem der Beschwerdeführer den behördlichen Rechtsbehelf (Widerspruch) eingelegt hat (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 - C (78) 31, König/Deutschland - NJW 1979, 477 <478 f.>, vom 30. Juni 2011 - Nr. 11811/10 - juris Rn. 21 und vom 24. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.).

24

Allerdings beziehen sich diese Entscheidungen auf einen Zeitraum, in welchem das deutsche Recht keinen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK vorsah, der geeignet war, Abhilfe für die unangemessene Dauer von Verfahren zu schaffen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010 a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) steht jedoch nunmehr ein solcher Rechtsbehelf gegen Verzögerungen gerichtlicher Verfahren im Sinne des Konventionsrechts zur Verfügung, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Grund zu der Annahme gibt, dass die damit verfolgten Ziele nicht erreicht werden (EGMR, Urteil vom 29. Mai 2012 - Nr. 53126/07, Taron/Deutschland - NVwZ 2013, 47 ). Hinzu kommt, dass das nationale Recht mit der so genannten Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO einen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem einer unangemessenen Verzögerung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) durch unmittelbare Klageerhebung begegnet werden kann. Mit Blick auf die Rüge der Verfahrensdauer erweist sich die Untätigkeitsklage grundsätzlich als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Januar 2008 - Nr. 1679/03, Glusen/Deutschland - juris Rn. 66 f.). Dieser tritt neben die durch das neue Gesetz normierte (kompensatorische) Entschädigung für Verzögerungen des Gerichtsverfahrens (vgl. Marx, in: Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, 2013, § 173 VwGO Rn. 9; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 38). Jedenfalls mit Blick auf das Nebeneinander dieses Entschädigungsanspruchs und der Untätigkeitsklage ist es konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Vorverfahren nicht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention fordert im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht notwendig einen einheitlichen Rechtsbehelf, sondern lässt bei entsprechender Wirksamkeit auch eine Kombination von Rechtsbehelfen genügen (EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 98 m.w.N.). Den Konventionsstaaten kommt bei der gesetzlichen Ausgestaltung des von Art. 13 EMRK geforderten Rechtsbehelfs ein Gestaltungsspielraum zu (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 29. März 2006 - Nr. 36813/97, Scordino/Italien - NVwZ 2007, 1259 Rn. 189 und vom 29. Mai 2012 a.a.O. Rn. 41).

25

b) Die Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht war unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

26

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" zeigt, werden damit die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BTDrucks 17/3802 S. 18).

27

aa) Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht in Einklang, soweit es sinngemäß den Rechtssatz aufstellt, dass eine Verfahrensdauer von zwei weiteren Jahren ab Entscheidungsreife noch angemessen sei und nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoße (UA S. 16 Rn. 50). Ein entsprechender Rechtssatz lässt sich aus § 198 Abs. 1 GVG nicht ableiten. Mit dieser Bestimmung ist weder die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben vereinbar ((1)), noch lässt es die Vorschrift grundsätzlich zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungswerten oder Regelfristen für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen ((2)). Dies gilt gerade auch für die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Zwei-Jahresfrist ab Entscheidungsreife ((3)).

28

(1) Mit der gesetzlichen Festlegung, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Die Ausrichtung auf den Einzelfall folgt nicht nur in deutlicher Form aus dem Wortlaut des Gesetzes ("Umstände des Einzelfalles"), sondern wird durch seine Entstehungsgeschichte bestätigt und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit ausgeschlossen hat. Er hat sich insoweit daran ausgerichtet, dass weder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch die des Bundesverfassungsgerichts feste Zeiträume vorgibt, sondern jeweils die Bedeutung der Einzelfallprüfung hervorhebt. Dem Grundgesetz lassen sich keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (BVerfG, Beschlüsse vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 - NJW 2008, 503; vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790>). Gleiches gilt im Ergebnis für die Europäische Menschenrechtskonvention. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 a.a.O. <479> und vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02, Herbst/Deutschland - NVwZ 2008, 289 Rn. 75; Entscheidung vom 22. Januar 2008 - Nr. 10763/05 - juris Rn. 43 m.w.N.).

29

(2) Für die Beurteilung, ob die Verfahrensdauer angemessen ist, verbietet es sich in der Regel auch, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als "normale", "durchschnittliche" oder "übliche" Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder "erster grober Anhalt" herangezogen werden (vgl. etwa Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Rn. 76; Roderfeld, in: Marx/Roderfeld a.a.O. § 198 GVG Rn. 38 f.; im Ergebnis zu Recht ablehnend OVG Bautzen, Urteil vom 15. Januar 2013 - 11 F 1/12 - LKV 2013, 230 <232>; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 69, 86 f. m.w.N.).

30

Die Entscheidung des Gesetzgebers, keine zeitlichen Festlegungen zu treffen, ab wann ein Verfahren "überlang" ist, schließt für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich einen Rückgriff auf Orientierungs- oder Richtwerte aus. Dies gilt auch, soweit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - allerdings obiter und deshalb die jeweilige Entscheidung nicht tragend - eine Verfahrenslaufzeit von etwa einem Jahr pro Instanz als grober Anhalt ("rough rule of thumb") genannt wird (vgl. Urteile vom 26. November 2009 - Nr. 13591/05, Nazarov/Russland - Rn. 126, vom 9. Oktober 2008 - Nr. 62936/00, Moiseyev/Russland - Rn. 160 und vom 16. Januar 2003 - Nr. 50034/99, Obasa/Großbritannien - Rn. 35 ).

31

Angesichts der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren stießen solche Festlegungen an eine Komplexitätsgrenze. Sie könnten letztlich für die Angemessenheit im Einzelfall nicht aussagekräftig sein. Die Bandbreite der Verwaltungsprozesse reicht von sehr einfach gelagerten Verfahren bis zu äußerst aufwändigen Großverfahren (etwa im Infrastrukturbereich), die allein einen Spruchkörper über eine lange Zeitspanne binden können. Der Versuch, dieser Bandbreite mit Mittel- oder Orientierungswerten Rechnung zu tragen, ginge nicht nur am Einzelfall vorbei, sondern wäre auch mit dem Risiko belastet, die einzelfallbezogenen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verfehlen. Die Bestimmung einer Regeldauer brächte zudem - entgegen der Intention des Gesetzes - die Gefahr mit sich, dass sie die Verwaltungsgerichte als äußerstes Limit ansehen könnten, bis zu welchem ein Verfahren zulässigerweise ausgedehnt werden dürfte.

32

Entgegen der Rechtsansicht des Klägers können auch die statistischen Durchschnittslaufzeiten für verwaltungsgerichtliche Verfahren im Land Brandenburg nicht zu einer Objektivierung des Angemessenheitsmaßstabs herangezogen werden (vgl. zur Heranziehung statistischer Durchschnittswerte im sozialgerichtlichen Verfahren: BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 28 ff.). Die vorgenannten Bedenken greifen nämlich in gleicher Weise für den Ansatz, bestimmte (durchschnittliche) Laufzeiten, die durch eine Auswertung anderer Gerichtsverfahren statistisch ermittelt wurden, als ergänzende oder indizielle Werte heranzuziehen. Zum einen ist auch dieser Ansatz mit der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren nicht in Einklang zu bringen. Zum anderen ist ein gesichertes Indiz für eine "normale" bzw. durchschnittliche Laufzeit in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren schon deshalb kaum möglich, weil die Verfahrenslaufzeiten der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in den Ländern - wie aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlich und zwischen den Beteiligten unstreitig ist - sehr unterschiedlich ausfallen. Im Hinblick auf die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Gerichtsverfahrens in angemessener Zeit kann die Effektivität des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für die verfahrensbeteiligten Bürger nicht (mit) davon abhängen, in welchem Land sie Rechtsschutz suchen und wie sich die durchschnittliche Verfahrensdauer dort ausnimmt.

33

Es verbietet sich gleichfalls, statistische Erhebungen für Verwaltungsstreitverfahren auf Bundesebene heranzuziehen. Abgesehen davon, dass solche statistischen Werte über Verfahrenslaufzeiten im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren für den Einzelfall kaum aussagekräftig sind, müssten die Durchschnittswerte ihrerseits wieder daraufhin überprüft werden, ob sie als solche angemessen sind.

34

Die Orientierung an einer - wie auch immer ermittelten - (statistisch) durchschnittlichen Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren erweist sich auch deshalb als bedenklich, weil eine solche Laufzeit stets auch Ausdruck der den Gerichten jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen ist, also insbesondere von den bereitgestellten personellen und sächlichen Mitteln abhängt. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer darf hingegen grundsätzlich nicht von der faktischen Ausstattung der Justiz abhängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1973 - 2 BvR 558/73 - BVerfGE 36, 264 <274 f.>). Dies wäre aber im Ergebnis der Fall, wenn für die Ermittlung der angemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG auf eine durchschnittliche Laufzeit abgestellt wird (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. Rn. 87; Ziekow, DÖV 1998, 941 <942>).

35

Die Ausrichtung an einer durchschnittlichen Verfahrensdauer begegnet auch mit Blick darauf Bedenken, dass statistische Werte zumeist schwankend und über die Jahre hinweg in ständigem Fluss sowie von dem abhängig sind, was jeweils wie erfasst wird. Schließlich ersparten sie in keinem Einzelfall die Prüfung, ob und in welchem Umfange über die gesamte Laufzeit eines als überlang gerügten Gerichtsverfahrens Verzögerungen eingetreten und diese sachlich gerechtfertigt sind.

36

(3) Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die vom Oberverwaltungsgericht angenommene - eher gegriffene - Frist von zwei Jahren ab Entscheidungsreife kein zulässiger Maßstab für die Prüfung der Angemessenheit im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG ist. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass der Aspekt der Entscheidungsreife oder des "Ausgeschriebenseins" einer Sache für die Bewertung der Verzögerung ohnehin kein Fixpunkt sein, sondern allenfalls relative Bedeutung haben kann. Mit der Entscheidungsreife muss weder sogleich eine dem Staat zuzurechnende Verzögerung eintreten noch werden mit ihr bestimmte Fristen in Lauf gesetzt, innerhalb derer die Verfahrensdauer noch angemessen ist, wenn das Verfahren gefördert wird. Der Begriff der Entscheidungsreife kennzeichnet lediglich den Zeitpunkt, in welchem der für die Entscheidung des Rechtsstreits notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Ebenso wenig wie es allgemeine Orientierungswerte für die angemessene Verfahrensdauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren gibt, gibt es solche darüber, bis wann ein Verfahren nach Entscheidungsreife abzuschließen ist.

37

bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.

38

(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens" (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).

39

(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).

40

(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.

41

Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).

42

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).

43

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn. 14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kudla/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

44

Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer. Es ist vielmehr - wie aufgezeigt - im Rahmen einer Gesamtabwägung zu untersuchen, ob die Verzögerung innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde.

45

cc) Unter Berücksichtigung der zuvor erörterten Grundsätze erweist sich hier, dass die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG war, weil eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles - insbesondere der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), seiner Bedeutung für den Kläger ((2)) sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((3)) und der Verfahrensführung des Gerichts ((4)) - ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt worden ist.

46

(1) Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, dass es sich nicht um einen tatsächlich und rechtlich schwierigen Fall handelte, ist unter Berücksichtigung seiner hierzu getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden und wird auch von der Revision nicht angegriffen. Als Indiz für den eher durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad kann unter anderem der Umstand herangezogen werden, dass die Sache vom Verwaltungsgericht auf den Einzelrichter übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und auch von dem Senat des Oberverwaltungsgerichts, der im Ausgangsverfahren zu entscheiden hatte, nicht als besonders schwierig gewertet worden ist.

47

(2) Anders verhält es sich hinsichtlich der Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, das Verfahren habe für den Kläger letztlich keine besondere Bedeutung aufgewiesen, so dass ein besonderes Interesse an einem beschleunigten Abschluss nicht gegeben gewesen sei. Zwar wird die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger dadurch relativiert, dass er durch die aufschiebende Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens vor einer Vollstreckung durch die öffentliche Hand geschützt war. Auch liegt keine Fallgruppe vor, für welche die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte regelmäßig eine besondere Bedeutung für die Betroffenen annimmt, wie etwa bei Eingriffen in die persönliche Freiheit oder die Gesundheit; Rechtsstreitigkeiten um die finanzielle Versorgung (Renten- oder Arbeitssachen) oder Statussachen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 133 sowie den Überblick und die Nachweise bei Wittling-Vogel/Ulick, DRiZ 2008, 87 <88>). Allerdings ist - wie die Revision zu Recht einwendet - auch zu berücksichtigen, dass der Kläger einer für einen jungen Menschen (Studenten) erheblichen Geldforderung in Höhe von über 17 000 € ausgesetzt war. Die damit verbundene Unsicherheit, ob die Forderung zu Recht erhoben worden ist und er diese Summe tatsächlich zu begleichen hatte - das "Damoklesschwert" der drohenden Geltendmachung durch die Behörde -, ist entgegen der Wertung des Oberverwaltungsgerichts als erheblich für die Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger anzusehen. Wegen der mit dieser Verunsicherung verbundenen Einschränkung, weitere Dispositionen zu treffen, ist ihm ein besonderes Interesse an einer Erledigung des Rechtsstreits zuzubilligen, das mit zunehmender Verfahrensdauer wuchs.

48

(3) Im Hinblick auf das prozessuale Verhalten des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass er durch sein Verhalten keine relevante Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt habe. Die Beteiligten streiten zu Recht nicht über den Zeitraum, für den der Kläger nach Klageerhebung um die Verlängerung der Begründungsfrist nachgesucht und damit eine ihm zuzurechnende Verzögerung von etwa zwei Monaten herbeigeführt hat. Im Hinblick auf sein prozessuales Verhalten ist allerdings ergänzend zu berücksichtigen, dass er nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bereits im März 2004 sein Einverständnis mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt hat. Damit hat er frühzeitig einen Beitrag zu einer möglichen Verfahrensbeschleunigung geleistet.

49

(4) Unter Gewichtung und Abwägung der zuvor erörterten Kriterien ergibt sich hier - auch unter Berücksichtigung des gerichtlichen Spielraums bei der Verfahrensgestaltung - eine maßgebliche, weil sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Gerichtsverfahrens von etwa fünf Jahren.

50

Im Hinblick auf den Verfahrensgang vor dem Verwaltungsgericht hat das Oberverwaltungsgericht neben der Chronologie des Verfahrens festgestellt, dass die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hatte bereits durch die Anfrage an die Beteiligten vom 3. März 2004, ob sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien, zu erkennen gegeben, dass es die Sache für "ausgeschrieben" hielt. Auf der Grundlage dieser Feststellung ist die Wertung des Oberverwaltungsgerichts fehlerhaft, dass eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung von drei Jahren und vier Monaten vorgelegen habe. Hierzu ist das Oberverwaltungsgericht aufgrund seiner rechtlich fehlerhaften Annahme gelangt, dass nach Entscheidungsreife noch eine weitere Verfahrensdauer von zwei Jahren (bis September 2006) angemessen gewesen sei. Diese "Zwei-Jahres-Pauschale" steht - wie dargelegt - weder als allgemeine Formel mit Bundesrecht in Einklang noch trägt sie durch eine Würdigung der konkreten Umstände dem vorliegenden Einzelfall Rechnung.

51

Was den Zeitpunkt der Entscheidungsreife - verstanden als Zeitpunkt der hinreichenden tatsächlichen Aufbereitung wie auch der Gewährung rechtlichen Gehörs - betrifft, so ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Verfahrensablauf vielmehr wertend zu folgern, dass diese bereits vor September 2004 gegeben war. Denn das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass das Verwaltungsgericht den letzten Schriftsatz des Klägers vom 12. März 2004 am 17. März 2004 an den Beklagten übersandt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen gegeben hat. Nachdem der Beklagte sich hierzu nachweislich nicht mehr geäußert hatte, stand einer weiteren Verfahrensförderung durch das Verwaltungsgericht (etwa einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter) schon Ende April 2004 nichts mehr im Wege.

52

Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat, die insbesondere für Zeiträume in Betracht kommt, in denen das Gericht das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 a.a.O. Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 a.a.O. Rn. 41), ist hier für den Zeitraum von Ende April 2004 bis Januar 2010 anzunehmen. In diesem Zeitraum hat das Verwaltungsgericht das aus seiner Sicht entscheidungsreife Verfahren nicht mehr gefördert; vielmehr hat es sich mit der Verfügung von Wiedervorlagen der Sache nach auf ein "Liegenlassen" der Akte beschränkt. Die nächste, der Verfahrensförderung dienende Prozesshandlung hat es erst im Januar 2010 mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vorgenommen.

53

Auch wenn dem Verwaltungsgericht ab Entscheidungsreife Ende April 2004 ein mehrmonatiger Gestaltungszeitraum zugestanden wird, um fördernde Verfahrenshandlungen vorzubereiten und abzustimmen, war seine Untätigkeit angesichts der eher durchschnittlichen Schwierigkeit des Verfahrens einerseits und seiner nicht unerheblichen Bedeutung für den Kläger wie auch seines prozessualen Verhaltens andererseits jedenfalls ab Ende 2004 nicht mehr sachlich zu rechtfertigen. Dies entspricht in etwa der Würdigung des Klägers, der davon ausgeht, dass aufgrund der genannten Umstände des Einzelfalles jedenfalls ab Februar 2005 - also 20 Monate nach Klageeinreichung und knapp ein Jahr nach dem Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - die Verfahrensdauer als nicht mehr angemessenen zu betrachten war. Dabei hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass sich der Beklagte - was die Bemessung des Gestaltungszeitraums für eine gerichtliche Entscheidung betrifft - nicht auf die allgemeine Belastungssituation bei den Verwaltungsgerichten im Land Brandenburg berufen kann. Eine solche Überlastung der Gerichte gehört zu den strukturellen Mängeln, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind und die er zu beseitigen hat.

54

Ist mithin jedenfalls ab Ende 2004 eine Untätigkeit des Verwaltungsgerichts nicht mehr zu rechtfertigen gewesen, so sind bis zur nächsten Verfahrensförderung im Januar 2010 mehr als fünf Jahre verstrichen, die als relevante Verzögerung und damit als unangemessene Verfahrensdauer im Sinne von § 198 GVG zugrunde zu legen sind. Dabei hat der Kläger im Ergebnis zu Recht nicht geltend gemacht, dass darüber hinaus auch im Berufungszulassungs- und Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch eine Verzögerung eingetreten ist. Ebenso ist die Vorinstanz zutreffend davon ausgegangen, dass das zweitinstanzliche Verfahren auch nicht so zügig durchgeführt worden ist, dass es die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens (teilweise) hätte kompensieren können.

55

c) Der Kläger hat einen immateriellen Nachteil in der von ihm geltend gemachten Höhe erlitten, der nicht auf andere Weise wieder gutgemacht werden kann.

56

Dass der Kläger, der keine materiellen, sondern nur Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art geltend macht, solche erlitten hat, ergibt sich aus der gesetzlichen Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist im vorliegenden Fall nicht widerlegt.

57

Entschädigung kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. In diese wird regelmäßig einzustellen sein, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (BTDrucks 17/3802 S. 20). Darüber hinaus kann zu berücksichtigen sein, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist und ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (vgl. EGMR, Urteil vom 29. September 2011 - Nr. 854/07 - juris Rn. 41). Hier gehen die Verfahrensbeteiligten mit dem Oberverwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass als Ergebnis einer umfassenden Einzelabwägung eine Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere wegen der erheblichen Verfahrensverzögerung nicht ausreichend ist. Deshalb kann hier dahingestellt bleiben, ob im Fall einer unangemessenen Verfahrensdauer die Entschädigung die Regel und die bloße Feststellung im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG die Ausnahme ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 45 f.) oder ob weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregelung gilt (vgl. BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 Rn. 57).

58

d) Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach sind diese in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Nur wenn dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Das Oberverwaltungsgericht hat in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass hier eine Abweichung vom Pauschalbetrag nicht veranlasst ist. Da die nicht gerechtfertigte Verzögerung jedenfalls fünf Jahre betrug, steht dem Kläger insgesamt ein Anspruch auf 6 000 € Entschädigung zu, so dass über den Ausspruch des Oberverwaltungsgerichts hinaus weitere 2 000 € an ihn zu zahlen sind.

59

2. Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

60

a) Die Begrenzung des Feststellungsantrags auf die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht ist zulässig. Sie entspricht der Dispositionsbefugnis des Klägers als Rechtsmittelführer (vgl. § 88 VwGO) und trägt dem Umstand Rechnung, dass er sich insoweit allein durch die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beschwert sieht. Allgemein kann ein Rechtsmittel auf einen von mehreren selbstständigen Streitgegenständen einer Klage oder auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, wenn dieser Teil vom Gesamtstreitstoff abteilbar ist und materiell-rechtliche Gründe einer gesonderten Entscheidung darüber nicht entgegenstehen (vgl. Beschluss vom 5. Juli 2011 - BVerwG 5 B 35.11 - juris Rn. 1, Urteile vom 1. März 2012 - BVerwG 5 C 11.11 - Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 10 Rn. 15 und vom 18. Juli 2013 - BVerwG 5 C 8.12 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen). Das ist hier der Fall.

61

Die Beschränkung auf einen Verfahrenszug - hier auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren - ist vom Gesamtstreitstoff abtrennbar. Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist zwar - wie oben dargelegt - auch dann die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, wenn dieses wie hier über zwei Instanzen geführt worden ist. Dennoch steht das materielle Recht einem gesonderten Ausspruch darüber, dass (nur) die Verfahrensdauer in einer Instanz unangemessen war, nicht entgegen. Denn auch um dies feststellen zu können, ist grundsätzlich die materiell-rechtliche Voraussetzung zu prüfen, ob - mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer - durch die zügige Behandlung der Sache in einer höheren Instanz eine etwaige Überlänge in der Vorinstanz ganz oder teilweise kompensiert werden kann. Für die Zulässigkeit, den (Feststellungs-)Antrag auf eine Instanz beschränken zu können, spricht überdies, dass es das Gesetz ermöglicht, eine Entschädigungsklage bereits vor Beendigung des Ausgangsverfahrens zu erheben (vgl. § 198 Abs. 5 GVG, § 201 Abs. 3 GVG). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist und in denen daher über die Kompensation für schon eingetretene Nachteile entschieden werden kann (BTDrucks 17/3802 S. 22). Dass es das Gesetz zulässt, verschiedene Verfahrensstufen unterschiedlich in den Blick zu nehmen, zeigt sich schließlich auch daran, dass bei einem bis zum Bundesverwaltungsgericht geführten Verwaltungsrechtsstreit verschiedene Rechtsträger - nämlich zum einen das jeweilige Land und zum anderen der Bund (§ 201 Abs. 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO) - für die in ihrem Bereich zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen in Anspruch genommen werden können.

62

b) Der Anspruch des Klägers auf Feststellung der unangemessenen Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens folgt aus § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG.

63

Nach dieser Bestimmung kann das Entschädigungsgericht in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung aussprechen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Weil es hierfür nicht notwendig eines Antrags bedarf (§ 198 Abs. 4 Satz 2 GVG), hat das Entschädigungsgericht grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen, ob es diese Feststellung trifft. Bei diesem Ausspruch handelt es sich, wie systematisch aus § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG zu folgern ist, um eine Form der "Wiedergutmachung auf andere Weise", die "neben die Entschädigung" treten kann. Ob das Entschädigungsgericht diese Feststellung zusätzlich zur Entschädigung (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 22) trifft, ist in sein Ermessen ("kann") gestellt.

64

aa) Ein schwerwiegender Fall im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG liegt hier vor.

65

Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung des schwerwiegenden Falles rechtsfehlerhaft verneint. Es hat sich zur Begründung darauf gestützt, dass ein solcher Fall hier schon deshalb ausscheide, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe und der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht hätte mildern können, indem er einen weiteren Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung hätte stellen und die Treuhandabrede hätte aufheben können. Dem folgt der Senat nicht.

66

Ob ein schwerwiegender Fall vorliegt, ist anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Insofern gilt nichts anderes als für die Entscheidung nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ebenfalls "unter Würdigung der Gesamtumstände" zu treffen ist (BTDrucks 17/3802 S. 22). Neben der Bedeutung des Rechtsstreits für den Verfahrensbeteiligten und seinen damit korrespondierenden Interessen an einer zügigen Entscheidung ist im Rahmen der Abwägung, ob der Fall schwerwiegend ist, insbesondere in Ansatz zu bringen, wie lange das Verfahren insgesamt gedauert hat und wie groß der Zeitraum ist, in dem eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vorlag. Der Begriff "schwerwiegend" bezieht sich - worauf schon der Wortlaut hindeutet - auf das Gewicht der Beeinträchtigung, die mit einer unangemessen langen Dauer verbunden ist. Dieses Gewicht nimmt zu, je länger die den Betroffenen belastende Phase der Untätigkeit anhält. Dementsprechend haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - VZ 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790> m.w.N.).

67

Den vorgenannten Aspekt hat das Oberverwaltungsgericht hier nicht gesetzeskonform gewichtet. Es hätte die erhebliche Überlänge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit einer dem Gericht zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von etwa fünf Jahren sowie die Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von über acht Jahren als Umstand in die Abwägung einstellen müssen, der in bedeutsamer Weise für die Annahme eines schwerwiegenden Falles spricht. Zudem hat das Oberverwaltungsgericht die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger zu gering gewichtet. Denn diese ist - wie oben dargelegt - wegen der Höhe des Rückforderungsbetrages und der damit verbundenen Unsicherheit als erheblich anzusehen. Eine gesetzeskonforme Gesamtabwägung ergibt daher, dass gerade im Hinblick auf die erhebliche Überlänge des für den Kläger bedeutsamen Verfahrens die Voraussetzungen für die Annahme eines schwerwiegenden Falles erfüllt sind. Dies kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auch das Revisionsgericht feststellen.

68

bb) Sofern - wie hier - ein schwerwiegender Fall im Sinne des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG vorliegt, ist die Entscheidung über eine Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer in das Ermessen des Entschädigungsgerichts gestellt.

69

Die Frage, ob in "schwerwiegenden Fällen" noch neben der Entschädigung ein gesonderter Feststellungsausspruch geboten ist, um dem Wiedergutmachungsanspruch des Betroffenen hinreichend Rechnung zu tragen, ist systematisch der Ermessensausübung zuzuordnen. Insoweit ist eine weitere Abwägungsentscheidung darüber zu treffen, ob es im konkreten Fall des Feststellungsausspruchs bedarf, um dem Betroffenen eine zusätzliche Form der Wiedergutmachung zu verschaffen. Als ein Abwägungskriterium ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, wenn der Kläger dies - wie hier - ausdrücklich beantragt. Damit gibt er zu erkennen, dass er auf diese zusätzliche Form der Wiedergutmachung gerade Wert legt und sie als Form der Genugtuung für die Verletzung seiner Rechte begreift. Ob die Beantragung der Feststellung in "schwerwiegenden Fällen" grundsätzlich zu einer Reduzierung des Ermessens führen kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn tatsächliche Umstände, die trotz der mit der Antragstellung verbundenen Geltendmachung eines entsprechenden Genugtuungs- bzw. Rehabilitationsbegehrens dafür sprechen, von dem begehrten Ausspruch abzusehen, sind hier nicht festgestellt.

70

3. Da der Beklagte aufgrund des revisionsgerichtlichen Urteils in beiden Instanzen in vollem Umfang unterlegen ist, hat er gemäß § 154 Abs. 1 und 2 VwGO die Kosten zu tragen. Eine Billigkeitsentscheidung nach der kostenrechtlichen Spezialregelung des § 201 Abs. 4 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO ist nicht zu treffen, weil dem Kläger keine geringere Entschädigung zugesprochen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 311/13
Verkündet am:
13. Februar 2014
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer (§§ 198 ff
GVG) ist auf das gerichtliche Verfahren nach §§ 109 ff StVollzG unmittelbar
anzuwenden.

b) Für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist unter dem
Gesichtspunkt der Mitverursachung wesentlich, wie sich der Entschädigungskläger
im Ausgangsverfahren verhalten hat. Dabei kommt es auf eine
Prozessverschleppungsabsicht oder eine sonstige Vorwerfbarkeit des Prozessverhaltens
nicht an.
BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - III ZR 311/13 - OLG Frankfurt am Main
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Februar 2014 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
Dr. Herrmann, Wöstmann, Seiters und Reiter

für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 5. Juni 2013 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsrechtszugs.
Von Rechts wegen

Tatbestand


1
Der Kläger nimmt das beklagte Land auf Entschädigung für immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer eines Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff StVollzG in Anspruch.
2
Der Kläger verbüßt in der Justizvollzugsanstalt B. eine lebenslange Freiheitsstrafe. Ein im Jahre 2002 im Strafvollzug begonnenes Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Fernuniversität H. betrieb er zunächst als Freizeitmaßnahme und setzte es ab Juli 2007 als Vollzeitstudent fort.
3
Ende 2008 teilte die Fernuniversität H. dem Kläger mit, dass die ordnungsgemäße Weiterführung des Studiums künftig einen Personal Computer mit Internetanschluss voraussetze. Mit Schreiben vom 1. September 2009 beantragte der Kläger gegenüber der Justizvollzugsanstalt B. die zeitnahe Einrichtung eines eingeschränkten ("getunnelten") Onlinezugangs zu den Internetseiten der Fernuniversität H. . Daraufhin erhielt er vom pädagogischen Dienst der Vollzugsanstalt die Zusage, dass er einen Laptop erhalten werde, um einen eingeschränkten Internetzugang vom Haftraum aus nutzen zu können. Die Installation des Internetzugangs sollte nach dem damaligen Planungsstand bis Ende Oktober 2009 erfolgen.
4
Mit Bescheid vom 11. Januar 2010 widerrief die Justizvollzugsanstalt B. wegen ungenügender Leistungen sowohl die Genehmigung des Studiums als Vollzeitmaßnahme als auch die Kostenübernahmeerklärung für das Fernstudium. Seitdem setzt der Kläger, der den Rücknahmebescheid erfolglos angegriffen hatte (Beschluss des Landgerichts G. - 2. Strafvollstreckungskammer - vom 4. Mai 2010), das Studium wieder als Freizeitmaßnahme fort.
5
Da er in der Folgezeit weder einen Internetzugang noch einen Laptop erhielt, stellte er mit Schreiben vom 3. Februar 2010 beim Landgericht G. - 2. Strafvollstreckungskammer - Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff StVollzG mit dem Ziel, die Justizvollzugsanstalt B. zu verpflichten , ihm einen eingeschränkten Internetzugang zur Fernuniversität H. einzurichten sowie einen anstaltseigenen Laptop zur Verfügung zu stellen.
6
Nach mehrfachen wechselseitigen Stellungnahmen teilte die Justizvollzugsanstalt B. schließlich mit Schreiben vom 5. Oktober 2010 mit, dass grundsätzlich nichts gegen die Einrichtung des beantragten Internetzugangs und die Aushändigung eines Laptops spreche. Der Internetzugang könne jedoch aus technischen, außerhalb der Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten der Vollzugsanstalt liegenden Gründen derzeit nicht eingerichtet werden.
7
Mit Schreiben vom 24. März 2011 informierte der Kläger das Landgericht darüber, dass er schwer erkrankt sei, und bat um "globale Fristverlängerung", da er sich in allen offenen Verfahren noch äußern werde.
8
Den Antrag des Klägers vom 30. Mai 2011, eingegangen bei Gericht am 20. Juni 2011, auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 StVollzG, mit dem er die sofortige Einrichtung eines getunnelten Online-Anschlusses begehrte , wies die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 8. November 2011 zurück, da der Kläger nicht gehindert sei, solche Klausuren zu schreiben, für die er in der Vergangenheit bereits Klausurberechtigungen erworben habe, und die Hauptsache durch die einstweilige Anordnung nicht vorweggenommen werden dürfe.
9
In einem Telefonat vom 27. Juli 2011 bat der Kläger die Strafvollstreckungskammer um eine möglichst schnelle Entscheidung in den von ihm als vorrangig angesehenen Verfahren, in denen er Vollzugspläne angefochten hatte.
10
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2011 erhob er gegenüber dem Landgericht eine "Untätigkeitsrüge".
11
Mit Beschluss vom 17. Januar 2012 verpflichtete das Landgericht G. die Justizvollzugsanstalt B. , dem Kläger die Nutzung eines eingeschränkten Internetzugangs zur Fernuniversität H. zu ermöglichen und ihm einen Laptop zur Nutzung in seinem Haftraum auszuhändigen. Auf Grund der bereits im Jahre 2009 gegebenen Zusage sei das Ermessen der Vollzugsanstalt auf Null reduziert. Diese sei für die Einrichtung und Nutzung des Internetzugangs verantwortlich und habe etwaige technische Schwierigkeiten zu beseitigen.
12
Der Kläger hat geltend gemacht, das Verfahren auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff StVollzG habe unangemessen lange gedauert und sei spätestens im April 2011 entscheidungsreif gewesen.
13
Das Oberlandesgericht hat die auf Zahlung einer Entschädigung für im- materielle Nachteile in Höhe von 2.300 € gerichtete Klage abgewiesen.
14
Mit seiner vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Antrag weiter.

Entscheidungsgründe


15
Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.

I.


16
Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
17
Die Entschädigungsklage sei unbegründet, da das Verfahren auf gerichtliche Entscheidung nicht unangemessen lange im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG gedauert habe.
18
Der prüfungsrelevante Zeitraum, innerhalb dessen das Ausgangsverfahren auf konkrete Phasen der Verzögerung untersucht werden müsse, beginne mit dem Antrag des Klägers vom 3. Februar 2010 und ende mit der Rechtskraft des Beschlusses vom 17. Januar 2012, die am 24. Februar 2012 eingetreten sei (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Das Landgericht habe das Verfahren zunächst zeitnah gefördert. Mit dem Schreiben der JVA B. vom 5. Oktober 2010 sei eine gewisse Zäsur des Ausgangsverfahrens eingetreten. Nunmehr hätten dem Landgericht alle entscheidungserheblichen Umstände vorgelegen. Auch wenn zwischen diesem Zeitpunkt und dem Erlass der verfahrensabschließenden Entscheidung 15 Monate lägen, sei das Ausgangsverfahren nicht unangemessen verzögert worden, da dieser Zeitraum unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und insbesondere des Prozessverhaltens des Klägers als vertretbar anzusehen sei. Die aufgeworfenen Rechtsfragen seien als schwierig einzustufen, zumal es dazu keine gesetzlichen Vorgaben und bislang auch keine über allgemein zugängliche Datenbanken aufzufindende Rechtsprechung gebe. Für die sorgfältige rechtliche Prüfung müsse daher - trotz besonderer persönlicher Bedeutung des Rechtsstreits für die Wiedereingliederung des Klägers nach dem Strafvollzug - ein ganz erheblicher Zeitraum angesetzt werden. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer müsse auch berücksichtigt werden, dass der Kläger durch sein Prozessverhalten die Verfahrensdauer erheblich verlängert habe.

II.


19
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand. Durch die Verfahrensführung des Landgerichts ist die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, nicht verletzt worden.
20
1. Das Oberlandesgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer (§§ 198 ff GVG) auf das gerichtliche Verfahren nach §§ 109 ff StVollzG unmittelbar anzuwenden ist.
21
Nach § 2 EGGVG gelten die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und damit auch die Entschädigungsregelung bei überlangen Gerichtsverfahren für die ordentliche Gerichtsbarkeit und deren Ausübung. Davon umfasst sind nach § 13 GVG alle Zivil- und Strafsachen. Auf andere Gerichtsbarkeiten ist das Gerichtsverfassungsgesetz nicht unmittelbar anzuwenden, sondern nur insoweit, als seine Geltung durch Verweisungsnormen ausdrücklich vorgeschrieben ist (zum Beispiel § 173 VwGO, § 202 SGG, § 155 FGO; Ott in Steinbeiß -Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 9).
22
Das gerichtliche Verfahren ist in §§ 109 ff StVollzG nicht abschließend geregelt und entzieht sich einer eindeutigen Einordnung. § 120 Abs. 1 StVollzG verweist zwar ergänzend auf die entsprechende Anwendung der Vorschriften der Strafprozessordnung; dies ist jedoch nicht unproblematisch. Denn das Verfahren nach §§ 109 ff StVollzG ähnelt seiner Struktur nach dem Verwaltungsstreitverfahren und ist kein Strafprozess, so dass bei jeder Norm der Strafprozessordnung sorgfältig geprüft werden muss, ob sie für das Strafvollzugsgesetz passt, das heißt mit dem materiellen Strafvollzugsrecht und dem verwaltungs- prozessual ausgestalteten Antragsrecht nach §§ 109 ff StVollzG in Einklang zu bringen ist (AK-StVollzG/Kamann/Spaniol, 6. Aufl., § 120 Rn. 3; Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 120 Rn. 1 f). Dies hat zu einer weitgehend richterrechtlichen Ausgestaltung des Verfahrens geführt (Arloth aaO § 120 Rn. 1).
23
Die unmittelbare Geltung des Gerichtsverfassungsgesetzes ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber die gemäß §§ 109 ff StVollzG zu treffenden Entscheidungen den ordentlichen Gerichten (§ 12 GVG) zugewiesen hat. Der zuständige erstinstanzliche Spruchkörper ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts (§ 78a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 GVG), der auf Grund der Vollzugsnähe im Rahmen der Entscheidungen nach §§ 462a, 463 StPO auch insoweit besondere Sachkunde zukommt (AK-StVollzG/Kamann/Spaniol aaO § 110 Rn. 1; Arloth aaO § 110 Rn. 1). Über die Rechtsbeschwerde nach § 116 StVollzG entscheidet ein Strafsenat des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk die Strafvollstreckungskammer ihren Sitz hat (§ 117 StVollzG). Für das Vorlageverfahren nach § 121 Abs. 2 GVG ist der Bundesgerichtshof zuständig. Die vorgenannten Gerichte werden bei Entscheidungen nach §§ 109 ff StVollzG als ordentliche Gerichte tätig (§ 12 GVG) und üben ordentliche Gerichtsbarkeit aus (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 9; nicht eindeutig insoweit Kissel/Mayer, GVG, 7. Aufl., § 12 GVG Rn. 4 einerseits sowie Einleitung Rn. 2 und § 2 EGGVG Rn. 2 andererseits

).


24
Für dieses Ergebnis spricht auch, dass §§ 23 ff EGGVG, die im Bereich des Strafvollzugsrechts subsidiär gelten (Arloth aaO Vorbemerkung zu § 108 Rn. 8), die Zuständigkeit der sachnäheren ordentlichen Gerichte für die Überprüfung der in § 23 Abs. 1 EGGVG bezeichneten Maßnahmen abweichend von der Generalklausel des § 40 VwGO bestimmen (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., vor § 23 EGGVG Rn. 1).

25
2. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Oberlandesgericht eine unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens zu Recht verneint. Die Verfahrensförderung durch das Landgericht weist keine sachwidrigen Lücken auf.
26
a) Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, nur beispielhaft ("insbesondere") und ohne abschließenden Charakter (BT-Drucks. 17/3802 S. 18). Weitere gewichtige Beurteilungskriterien sind die Verfahrensführung durch das Gericht sowie die zur Verfahrensbeschleunigung gegenläufigen Rechtsgüter (Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen, Beachtung der richterlichen Unabhängigkeit und des gesetzlichen Richters). Erforderlich ist eine umfassende Gesamtabwägung aller Umstände (grundlegend Senatsurteile vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, NJW 2014, 220 Rn. 25, 28, 32 ff; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BeckRS 2013, 22861 Rn. 37, 40, 43 ff und vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BeckRS 2014, 03167 Rn. 36, 39 f, jeweils zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen ).
27
b) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen , verletzt ist (ausführlich Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 28 ff; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 36 ff und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 35 ff, jeweils mwN).
28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).
29
Die Verfahrensdauer muss vielmehr eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 31; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 42 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 38; vgl. BVerfG, NVwZ 2013, 789, 791 f; BVerwG, NJW 2014, 96 Rn. 39; siehe auch BFH, BeckRS 2013, 96642 Rn. 53; BSG aaO: "deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen").
30
c) Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungsund Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben besteht ein Ermessen des verantwortlichen Richters hinsichtlich der Verfahrensgestaltung. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 33; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 44 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 39). Demensprechend wird die Verfahrensführung des Richters im nachfolgenden Entschädigungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (vgl. Senatsurteile vom 4. November 2010 - III ZR 32/10, BGHZ 187, 286 Rn. 14 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 45 f). Da der Rechtssuchende keinen Anspruch auf optimale Verfahrensförderung hat (BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10, juris Rn. 16), begründen eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der jeweiligen Prozessordnung vertretbare Verfahrensleitung auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben (vgl. Senatsurteil vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 46).
31
Erst wenn die Verfahrenslaufzeit, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt ist, in Abwägung mit den weiteren Kriterien im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auch bei Berücksichtigung des weiten richterlichen Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen ist, liegt eine unangemes- sene Verfahrensdauer vor (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 33; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 44 ff und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 40; BVerwG aaO Rn. 42).
32
d) Bei Zugrundelegung der vorstehenden Grundsätze hält die Beurteilung des Oberlandesgerichts, die Dauer des Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff StVollzG sei nicht als unangemessen zu bewerten, den Angriffen der Revision stand.
33
Die Überprüfung der Verfahrensführung im Ausgangsprozess obliegt grundsätzlich dem Tatrichter, der über die Entschädigungsklage entscheidet. Bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit der Verfahrensdauer hat das Revisionsgericht den tatrichterlichen Beurteilungsspielraum zu respektieren und ist in seiner Prüfung darauf beschränkt, ob der rechtliche Rahmen verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und angemessen abgewogen worden sind (vgl. Senatsurteile vom 4. November 2010 aaO Rn. 18; vom 14. November 2013 aaO Rn. 34 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 47; Musielak/Ball, ZPO, 10. Aufl., § 546 Rn. 12).
34
Solche Rechtsfehler liegen nicht vor. Die vom Oberlandesgericht an den nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG maßgeblichen Kriterien ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls belegt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, nicht verletzt worden ist.
35
aa) Entgegen der Auffassung der Revision rechtfertigen die vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen die Annahme, dass die in dem Ausgangsverfahren zu beurteilenden rechtlichen Fragen als schwierig einzustufen sind.
36
Die Einrichtung und technische Ausgestaltung eines (eingeschränkten) Internetzugangs für Strafgefangene betrifft unmittelbar die Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt. Einschlägige Vorschriften finden sich weder im Strafvollzugsgesetz noch in den Vollzugsgesetzen der Länder. § 36 Abs. 1 HStVollzG enthält lediglich die Regelung, dass den Gefangenen Telefongespräche gestattet werden können und aus wichtigen Gründen die Nutzung "anderer Kommunikationsmittel" durch Vermittlung und unter Aufsicht der Anstalt in Betracht kommt. Im Zusammenhang mit der Internetnutzung durch Strafgefangene stellen sich somit viele neue Rechtsfragen, ohne dass auf gesetzliche Vorgaben oder eine gefestigte Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann. In der Literatur wird deshalb de lege ferenda die Schaffung einer Norm für erforderlich gehalten, die die Kommunikation über das Internet explizit regelt (AKStVollzG /Joester/Wegner aaO § 32 Rn. 13).
37
Die Strafvollstreckungskammer musste darüber hinaus der Frage nachgehen , ob die Zusage der Vollzugsanstalt aus dem Jahre 2009 durch den zwischenzeitlich erfolgten Widerruf der Genehmigung des Fernstudiums als Vollzeitmaßnahme gegenstandslos geworden ist.
38
Abschließend war die Frage zu beurteilen, ob die Vollzugsanstalt dazu verpflichtet werden konnte, technische Schwierigkeiten bei der Einrichtung eines eingeschränkten Internetzugangs gegebenfalls unter Hinzuziehung externer Fachkräfte zu beseitigen (dazu AK-StVollzG/Däubler/Galli aaO § 37 Rn. 7).

39
Nach alledem ist die Einschätzung des Oberlandesgerichts, dass die Strafvollstreckungskammer über eine im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG schwierige Rechtslage zu befinden hatte, nicht zu beanstanden (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 105).
40
bb) Das Oberlandesgericht hat auch berücksichtigt, dass die zeitnahe Entscheidung des Ausgangsverfahrens für den Kläger von besonderer persönlicher Bedeutung war. Die erfolgreiche Absolvierung des Fernstudiums diente seiner beruflichen Wiedereingliederung nach dem Strafvollzug. Ab Mitte Juni 2011 konnten die zum Erwerb von Klausurberechtigungen erforderlichen Einsendearbeiten nur noch online angefertigt werden. Aus dem vom Oberlandesgericht in Bezug genommenen Beschluss des Landgerichts vom 8. November 2011 ergibt sich allerdings auch, dass der Kläger nicht gehindert war, an Klausuren teilzunehmen, für die er bereits in der Vergangenheit Berechtigungen erworben hatte. Demgemäß konnte er eine Verzögerung seines Studiums dadurch vermeiden, dass er zunächst solche Klausuren schrieb. Im Übrigen darf nicht übersehen werden, dass die Strafvollstreckungskammer in ihrem Beschluss vom 4. Mai 2010 den Widerruf der Genehmigung des Fernstudiums als Ausbildungsmaßnahme nach § 37 StVollzG als ermessensfehlerfrei gewertet hat, weil der Kläger nicht willens und in der Lage gewesen sei, die erforderlichen Leistungsnachweise in angemessener Zeit zu erbringen, und deshalb die Justizvollzugsanstalt den Kläger als ungeeignet für das Studium als Vollzeitmaßnahme ansehen durfte.
41
cc) Vergeblich wendet die Revision ein, die umfangreichen Stellungnahmen , die der Kläger auch nach Eingang des Schreibens der Vollzugsanstalt vom 5. Oktober 2010 abgegeben habe, sowie das parallele Betreiben einer Vielzahl weiterer Verfahren vor der nämlichen Strafvollstreckungskammer hätten bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer nicht berücksichtigt werden dürfen.
42
Die Frage, wie sich der Entschädigungskläger selbst im Ausgangsverfahren verhalten hat, ist unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Mitverursachung wesentlich für die Beurteilung der Verfahrensdauer (BT-Drucks. 17/3802 S. 18). Denn von ihm verursachte Verzögerungen können keine Unangemessenheit der Verfahrensdauer begründen (Ott aaO § 198 GVG Rn. 116). Dabei kommt es auf eine "Prozessverschleppungsabsicht" oder eine sonstige Vorwerfbarkeit des Verhaltens nicht an. Auch durch zulässiges Prozessverhalten herbeigeführte Verfahrensverzögerungen fallen in den Verantwortungsbereich des Betroffenen. Dies gilt beispielsweise für häufige umfangreiche Stellungnahmen und Anfragen, Fristverlängerungsanträge und Anträge auf Ruhenlassen des Verfahrens (Ott aaO § 198 GVG Rn. 117 f). In allen diesen Fällen wird die Zeit, die für das Gericht zur ordnungsgemäßen Reaktion auf ein Prozessverhalten erforderlich ist, nicht dem Staat zugerechnet (Althammer/Schäuble, NJW 2012, 1, 2; Ott aaO § 198 GVG Rn. 118; Roderfeld in Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, § 198 GVG Rn. 12; Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, Rn. 52; Zöller/Lückemann, ZPO, 30. Aufl., § 198 GVG Rn. 3).
43
Dem Oberlandesgericht ist deshalb auch darin beizupflichten, dass im Rahmen der zu treffenden Abwägungsentscheidung zu bedenken war, dass der Kläger durch zahlreiche umfangreiche Stellungnahmen und Anfragen, die er nach Eingang des Anstaltsschreibens vom 5. Oktober 2010 abgegeben hat, einen erheblichen zeitlichen Mehraufwand verursacht hat, der nicht in den Verantwortungsbereich des Gerichts fiel. Es kommt hinzu, dass er mit Schreiben vom 24. März 2011 um "globale Fristverlängerung" nachgesucht und im Juli 2011 um eine vorrangige Bearbeitung derjenigen Verfahren gebeten hat, in denen er Vollzugspläne angefochten hatte.
44
Eine weitere Verfahrensverzögerung hat der Kläger dadurch herbeigeführt , dass er während des laufenden Hauptsacheverfahrens zusätzlich den Erlass einer inhaltsgleichen - jedoch vorrangig zu bearbeitenden - einstweiligen Anordnung beantragt hat.
45
dd) Die Wertung des Oberlandesgerichts, dass der Zeitraum von rund 15 Monaten zwischen dem Eingang des Schreibens der Justizvollzugsanstalt B. vom 5. Oktober 2010 und dem das Verfahren beendenden Beschluss vom 17. Januar 2012 noch angemessen war, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
46
Wie bereits dargelegt, ist ein weiteres bedeutsames Kriterium zur Beurteilung der Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens die Verfahrensführung durch das Gericht. Zu prüfen ist, ob Verzögerungen, die mit der Verfahrensführung im Zusammenhang stehen, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind. Dabei kann die Verfahrensführung nicht isoliert für sich betrachtet werden. Sie muss vielmehr zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug gesetzt werden. Maßgebend ist, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer in jedenfalls vertretbarer Weise gerecht geworden ist (Senatsurteil vom 14. November 2013 aaO Rn. 32; vgl. BVerwG aaO Rn 41; Ott aaO § 198 GVG Rn. 127).
47
Die Strafvollstreckungskammer hatte eine schwierige, bislang weitgehend ungeklärte Rechtslage zu beurteilen. Der Kläger hat den Prozessstoff durch zahlreiche Eingaben, die das Gericht inhaltlich erfassen und gegebenfalls zur Stellungnahme an die Justizvollzugsanstalt weiterleiten musste, beträchtlich ausgeweitet. Soweit die Revision in diesem Zusammenhang geltend macht, die weiteren Stellungnahmen des Klägers seien zur Begründung seines Antrags nicht mehr erforderlich und die Sache seit Oktober 2010 entscheidungsreif gewesen , übersieht sie, dass es nicht darauf ankommt, wie sich der Verfahrenslauf im Nachhinein bei einer Ex-post-Betrachtung darstellt. Entscheidend ist, wie das Gericht die Sach- und Rechtslage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (Senatsurteil vom 14. November 2013 aaO Rn. 32; BVerwG aaO Rn. 41; Ott aaO § 198 GVG Rn. 81). Es war daher schon zur Wahrung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) erforderlich, seine zahlreichen Schreiben zu lesen und auszuwerten sowie den Eingang angekündigter Begründungsergänzungen binnen angemessener Frist abzuwarten. Daneben hatte das Gericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorrangig zu bearbeiten und musste die zahlreichen vom Kläger parallel betriebenen Verfahren ebenfalls sachgerecht fördern.
48
Die vorgenannten Umstände tragen in der Gesamtschau die Annahme des Oberlandesgerichts, dass der Zeitraum von Oktober 2010 bis Januar 2012 für eine umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands jedenfalls vertretbar war, um der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung zu tragen. Der dem Gericht eingeräumte Gestaltungsspielraum wurde nicht überschritten.
49
Die Revision irrt, wenn sie meint, das Gericht habe sämtliche bei ihm anhängigen Verfahren in gleicher Weise fördern müssen, und zwar ohne Rücksicht darauf, dass es durch die weiteren Anträge und Verfahren des Klägers in seiner Arbeit behindert wurde. Der den Gerichten zuzubilligende Gestaltungsspielraum gibt dem erkennenden Richter die Möglichkeit, darüber zu entscheiden , wann er welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind. Die besonders intensive Befassung mit einem in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht schwierig erscheinenden Verfahren führt zwangsläufig dazu, dass während dieser Zeit die Förderung anderer diesem Richter zugewiesener Verfahren vorübergehend zurückstehen muss. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG beziehungsweise Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt (Senatsurteil vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 39; BFH aaO Rn. 54). Demgemäß konnte von der Strafvollstreckungskammer nicht erwartet werden, alle vom Kläger betriebenen Verfahren überobligationsmäßig mit gleicher Intensität zu fördern.
50
ee) Berücksichtigt man im Rahmen einer Gesamtabwägung den erheblichen Schwierigkeitsgrad des Verfahrens in rechtlicher Hinsicht, seine Bedeutung für die spätere Resozialisierung des Klägers, dessen zu erheblichen Verzögerungen führendes Prozessverhalten sowie die jedenfalls vertretbare Verfahrensführung durch die Strafvollstreckungskammer, dann erweist sich die An- nahme des Oberlandesgerichts, dass der Rechtsstreit nicht unangemessen verzögert wurde, als rechtsfehlerfrei.
Schlick Herrmann Wöstmann
Seiters Reiter
Vorinstanz:
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 05.06.2013 - 4 EntV 10/12 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 91/13
Verkündet am:
13. März 2014
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG ist nicht jeder einzelne
Antrag oder jedes Gesuch im Zusammenhang mit dem verfolgten Rechtsschutzbegehren.

b) Allein der Umstand, dass eine Kindschaftssache (Umgangsrechtsverfahren)
vorliegt, führt nicht "automatisch" dazu, dass die Entschädigungspauschale (§
198 Abs. 2 Satz 3 GVG) nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG zu erhöhen ist. Vielmehr
ist es auch in diesem Fall erforderlich, dass die "Umstände des Einzelfalls"
den Pauschalsatz als unbillig erscheinen lassen.
BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 - OLG Braunschweig
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. März 2014 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
Dr. Herrmann, Wöstmann, Seiters und Reiter

für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 8. Februar 2013 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsrechtszugs.
Von Rechts wegen

Tatbestand


1
Der Kläger nimmt das beklagte Land auf Entschädigung für immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer eines familiengerichtlichen Verfahrens zur Regelung des Umgangs mit seinem am 29. November 1994 außerhalb einer Ehe geborenen Sohn C. in Anspruch. Daneben begehrt er die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer.
2
Das erstinstanzliche Verfahren vor dem Familiengericht dauerte nahezu zwei Jahre und acht Monate, während das anschließende Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht nach acht Monaten beendet war.
3
Bereits vor Einleitung des streitgegenständlichen Umgangsrechtsverfahrens herrschte zwischen den Kindeseltern ein jahrelanger, in mehreren Gerichtsverfahren ausgetragener Streit über die Besuchskontakte des Klägers zu seinem Sohn.
4
Auf Anregung des Jugendamts entzog das Familiengericht dem Kläger durch einstweilige Anordnung vom 14. September 2007 vorläufig das Umgangsrecht , da unbelastete Umgangskontakte auf Grund der ständigen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern nicht möglich waren, das Kind Verhaltensweisen mit Krankheitswert zeigte und sogar Suizidabsichten äußerte. Die am 31. Oktober 2007 durchgeführte Anhörung der Kindeseltern und des Amtsarztes führte dazu, dass der persönliche Umgang des Klägers mit seinem Sohn "vorerst bis längstens 31. März 2008" ausgesetzt wurde, um die Begutachtung des Kindes durch eine Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie zu ermöglichen. Der Kläger war mit dieser Verfahrensweise einverstanden. Der bereits am 23. Januar 2008 erstellte Klinikbericht wurde im Mai 2008 dem Familiengericht zugeleitet. Dieses ordnete sodann am 17. Juli 2008 an, dass der Umgang im Interesse des Kindeswohls weiter ausgesetzt werde und eine (abschließende) gutachterliche Stellungnahme des Gesundheitsamts einzuholen sei. Nach Richterwechsel fand am 29. Oktober 2008 ein weiterer Anhörungstermin statt, in dem sich der als Sachverständiger befragte Amtsarzt im Interesse des Kindeswohls gegen Besuchskontakte des Klägers aussprach. Vor diesem Hintergrund schlug das Familiengericht unter anderem vor, der Kläger solle künftige Besuche behutsam durch Briefkontakte vorbereiten. Darauf ging der Kläger jedoch nicht ein. Mit Beschluss vom 28. November 2008 bestellte das Gericht eine berufsmäßige Verfahrenspflegerin für das Kind. Diese erstellte in der Folgezeit einen umfangreichen Bericht, den sie am 6. Februar 2009 zu den Akten reichte und in dem sie zu dem Ergebnis kam, dass ein erzwungener Umgang eine Kin- deswohlgefährdung darstelle. Nachdem ein auf den 6. Mai 2009 bestimmter Anhörungstermin auf Antrag des Klägers verlegt werden musste und er zudem mit Schreiben vom 5. Mai 2009 mitgeteilt hatte, dass er einen Rechtsanwalt eingeschaltet habe, verfügte die zuständige Richterin am 5. Juni 2009, ihr die Akte nach vier Wochen wieder vorzulegen. Im Hinblick auf ein Schreiben des Klägers vom 15. Juni 2009 notierte die Richterin am 22. Juni 2009 eine neue Wiedervorlagefrist von vier Wochen ("Stellungnahme RA R. ?"). Mit Verfügung vom 30. September 2009 setzte sie, nachdem bis dahin eine anwaltliche Stellungnahme nicht eingegangen war, den Kläger hiervon in Kenntnis und bestimmte eine weitere Wiedervorlagefrist von zwei Wochen. Am 2. Dezember 2009 fand sodann ein "Abschlusstermin" statt. Wenige Tage zuvor hatte sich der vom Kläger angekündigte Verfahrensbevollmächtigte erstmals gemeldet und schriftlich mehrere Anträge zum Umgangsrecht gestellt. Außerdem machte er einen Anspruch auf vierteljährliche Auskunftserteilung über die persönlichen Verhältnisse des Kindes geltend. Am 3. Dezember 2009 hörte die Familienrichterin das Kind persönlich an und fertigte darüber ein ausführliches Protokoll. Mit Beschluss vom 28. April 2010 entschied das Familiengericht in der Hauptsache, dass der persönliche Umgang des Klägers mit seinem Sohn bis auf weiteres ausgesetzt werde. Eine Entscheidung über den Auskunftsanspruch unterblieb versehentlich und wurde mit Beschluss vom 8. Oktober 2010 nachgeholt.
5
Mit Schriftsatz vom 5. Mai 2010 legte der Kläger Beschwerde gegen den Beschluss vom 28. April 2010 ein und begründete diese unter dem 5. Juli 2010. Nach Gewährung von Stellungnahmefristen für die übrigen Beteiligten hörte das Oberlandesgericht am 17. November 2010 das Kind an und verhandelte am 23. November 2010 abschließend. Mit Beschluss vom 16. Dezember 2010, der an den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers am 27. Dezember 2010 zugestellt wurde, wies das Oberlandesgericht die Beschwerde zurück. Anhörungsrü- ge und Gegenvorstellung des Klägers vom 10. Januar 2011 blieben erfolglos. Sie wurden mit Beschluss vom 17. Februar 2011 zurückgewiesen. Die Verfassungsbeschwerde des Klägers hatte ebenfalls keinen Erfolg. Der das Verfahren beendende Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 2011 wurde ihm am 27. Dezember 2011 zugestellt.
6
Bereits zuvor hatte der Kläger mit Schriftsätzen vom 4. November 2010 und 13. Oktober 2011 Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erhoben und die überlange Dauer des umgangsrechtlichen Verfahrens gerügt.
7
Die vorliegende Entschädigungsklage, die dem Beklagten am 25. Juni 2012 zugestellt wurde, hat der Kläger am 11. Mai 2012 beim Oberlandesgericht eingereicht.
8
Er hat geltend gemacht, das erstinstanzliche Verfahren sei um etwa 25 Monate, das Auskunftsverfahren um neun Monate und das Beschwerdeverfahren um vier Monate verzögert. Die durchschnittliche Dauer eines erstinstanzlichen Umgangsrechtsverfahrens betrage lediglich 6,8 Monate. Da sein Umgangsrecht durch die überlange Verfahrensdauer faktisch entwertet worden sei, entspreche eine Entschädigung in Höhe von 13.400 € der Billigkeit (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG).
9
Das Oberlandesgericht hat den Beklagten zur Zahlung einer Entschädi- gung für immaterielle Nachteile von 1.500 € verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
10
Mit seiner vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge weiter, soweit zu seinem Nachteil entschieden worden ist.

Entscheidungsgründe


11
Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.

I.


12
Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
13
Dem Kläger stehe gegen das beklagte Land gemäß § 198 Abs. 1, 2 GVG ein Anspruch auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Umgangs- rechtsverfahrens in Höhe von 1.500 € zu. Die Entschädigungsregelung der §§ 198 ff GVG sei nach Art 23 Satz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren anwendbar , da das innerstaatliche Ausgangsverfahren erst mit Zustellung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts am 27. Dezember 2011 beendet worden sei. Zu diesem Zeitpunkt sei das Beschwerdeverfahren beim EGMR bereits eingeleitet gewesen.
14
Der für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer maßgebliche Zeitraum erstrecke sich von der Einleitung des Umgangsrechtsverfahrens am 14. September 2007 bis zur Zustellung des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 16. Dezember 2010.
15
Für die Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer sei nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Die Annahme fester Zeitgrenzen komme ebenso wenig in Betracht wie die Heranziehung der durchschnittlichen Dauer von Verfahren einer bestimmten Art. Es sei dem Kläger deshalb verwehrt, für die Berechnung seines Entschädigungsanspruchs lediglich auf die Differenz zwischen der tatsächlichen und der statistischen Verfahrensdauer bei Umgangssachen abzustellen.
16
Eine unangemessene Verfahrensdauer liege regelmäßig dann vor, wenn sachlich nicht begründete Lücken in der Verfahrensförderung vorlägen. Im Streitfall habe es sich um ein komplexes Verfahren gehandelt, bei dem das Zeitmoment wegen der Gefahr der Entfremdung zwischen dem Kläger und seinem Sohn wesentlich sei. Unter Berücksichtigung des Prozessverhaltens des Klägers, der zahlreiche Stellungnahmen und Anfragen zu den Akten gereicht habe, und des dem Gericht bei der Verfahrensgestaltung zukommendem Freiraums könne eine sachwidrige Verzögerung des Beschwerdeverfahrens nicht festgestellt werden. Allein die Verfahrensführung durch das Amtsgericht habe zu einer entschädigungspflichtigen Gesamtverzögerung des Verfahrens im Umfang von acht Monaten geführt, insbesondere durch die unzureichende Verfahrensförderung in Bezug auf den Bericht der Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 23. Januar 2008, die verspätete Bestellung der Verfahrenspflegerin und die zwischen den Verfügungen vom 22. Juni und 30. September 2009 liegende, sachlich nicht gerechtfertigte "Lücke".

17
Die nach dem Pauschalsatz des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG sich ergeben- de Entschädigung von 800 € sei unbillig im Sinne von § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG. Da Gegenstand des Ausgangsverfahrens eine Kindschaftssache sei und das Familiengericht über den parallel geltend gemachten Auskunftsanspruch zunächst nicht entschieden habe, sei eine moderate Erhöhung des Entschädi- gungsbetrags auf 1.500 € geboten. Ein schwerwiegender Fall im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG liege nicht vor. Die zusätzliche Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer könne der Kläger deshalb nicht verlangen.

II.


18
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
19
1. Die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer (§§ 198 ff GVG) findet nach der Übergangsvorschrift des Art. 23 Satz 1 Halbsatz 2 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) auf den Streitfall Anwendung. Danach gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten am 3. Dezember 2011 (gemäß Art. 24 ÜGRG) bereits abgeschlossen waren, wenn deren Dauer zu einer nach Art. 35 Abs. 1 EMRK zulässigen Beschwerde vor dem EGMR geführt hat (Senatsurteil vom 11. Juli 2013 - III ZR 361/12, NJW 2014, 218 Rn. 9, 15). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
20
Das vom Kläger als unangemessen lang angesehene familiengerichtliche Verfahren wurde durch die Beschlüsse des Oberlandesgerichts vom 16. Dezember 2010 und 17. Februar 2011, mit denen die Beschwerde und die Anhörungsrüge des Klägers zurückgewiesen wurden, beendet. Damit war der innerstaatliche Rechtsweg erschöpft (Art. 35 Abs. 1 EMRK). Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts kommt es in diesem Zusammenhang auf die Zustellung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 2011 nicht an. Wird die überlange Dauer eines zivilrechtlichen Verfahrens geltend gemacht, stellt die Verfassungsbeschwerde keinen effektiven Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK dar. Ein Beschwerdeführer ist demnach nicht verpflichtet, vor Anrufung des EGMR eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzulegen (EGMR, NJW 2006, 2389 Rn. 105 ff und NVwZ 2008, 289 Rn. 64 ff; Schäfer in Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 35 Rn. 34, 57; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl., Art. 13 Rn. 38, Art. 35 Rn. 19). Da der Kläger die Verfahrensdauer bereits mit Individualbeschwerde vom 4. November 2010 gerügt hatte, wurde die Sechs-Monats-Frist des Art. 35 Abs. 1 EMRK gewahrt. Dem steht nicht entgegen, dass der innerstaatliche Rechtsweg zu diesem Zeitpunkt noch nicht erschöpft war (vgl. Schäfer aaO Art. 35 Rn. 3, 35, 52 ff). Die nach Fristablauf eingelegte (erneute) Beschwerde vom 13. Oktober 2011 ist lediglich als jederzeit mögliche Ergänzung der bereits zulässig erhobenen Beschwerde anzusehen (vgl. Schäfer aaO Art. 35 Rn. 17). Dementsprechend wurde sie beim EGMR unter demselben Aktenzeichen geführt.
21
Durch die am 11. Mai 2012 eingereichte und am 25. Juni 2012 zugestellte Klageschrift wurde die Ausschlussfrist des Art. 23 Satz 6 ÜGRG eingehalten (§ 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 167 ZPO).
22
2. Die Rüge der Revision, das Oberlandesgericht hätte die nachgeholte Entscheidung des Familiengerichts über den zunächst übersehenen Antrag auf Auskunftserteilung gemäß § 1686 BGB als gesondert zu entschädigendes Verfahren behandeln müssen, bleibt ohne Erfolg.

23
§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG enthält eine Legaldefinition des Gerichtsverfahrens im Sinne der Entschädigungsregelung. Gerichtsverfahren ist nicht jeder einzelne Antrag oder jedes Gesuch im Zusammenhang mit dem verfolgten Rechtsschutzbegehren. Vielmehr geht das Gesetz von einem an der Hauptsache orientierten Verfahrensbegriff aus (Senatsurteil vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BeckRS 2013, 22861 Rn. 20). Lediglich für den Bereich des bereits eröffneten Insolvenzverfahrens fingiert § 198 Abs. 6 Nr. 1 Halbsatz 3 GVG, dass jeder Antrag auf Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren gilt (Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren , § 198 GVG Rn. 49). In zeitlicher Hinsicht ist der gesamte Zeitraum von der Einleitung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung als ein Verfahren zu behandeln (Senatsurteil vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 21).
24
Nach diesem Maßstab ist der Antrag auf Auskunftserteilung (§ 1686 BGB), den der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 30. November 2009 kumulativ neben weiteren Anträgen in dem familiengerichtlichen Umgangsrechtsverfahren gestellt hat (dazu Palandt/Götz, BGB, 73. Aufl., § 1686 Rn. 1), nicht als Einleitung eines getrennt zu betrachtenden Gerichtsverfahrens anzusehen. Vielmehr sollte darüber in dem bereits anhängigen Umgangsrechtsverfahren entschieden werden. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass sich das Familiengericht erstmals in dem Beschluss vom 8. Oktober 2010 sachlich mit dem Auskunftsantrag befasst hat. Denn zu diesem Zeitpunkt war das Hauptsacheverfahren noch nicht beendet. Das Oberlandesgericht hatte zwischenzeitlich die Akten zur Entscheidung über das Auskunftsbegehren an das Familiengericht zurückgesandt. Das Umgangsrechtsverfahren wurde parallel in der zweiten Instanz fortgeführt und im Dezember 2010 durch Zurückweisung der Beschwerde des Klägers abgeschlossen.

25
3. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Oberlandesgericht über die festgestellte Verzögerung von acht Monaten hinaus eine unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens zu Recht verneint. Die diesbezügliche Verfahrensförderung durch die Gerichte des Ausgangsverfahrens weist keine entschädigungsrechtlich relevanten Lücken auf. Durch die zunächst unterbliebene Entscheidung über den Auskunftsanspruch wurde die Gesamtverfahrensdauer - wie unter 2. dargelegt - nicht verlängert.
26
a) Die Rüge, das Oberlandesgericht hätte bei der Beurteilung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer nicht auf die konkreten Fallumstände, sondern auf die durchschnittliche Dauer eines erstinstanzlichen Umgangsverfahrens , die bei 6,8 Monaten liege, abstellen müssen, greift nicht durch.
27
aa) Für die Feststellung, ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, kommt es nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere auf die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt die Umstände , die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, nur beispielhaft ("insbesondere") und ohne abschließenden Charakter (BTDrucks. 17/3702 S. 18). Weitere gewichtige Beurteilungskriterien sind die Verfahrensführung durch das Gericht sowie die zur Verfahrensbeschleunigung, die nicht zum Selbstzweck werden darf, gegenläufigen Rechtsgüter, wobei vor allem die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit und des gesetzlichen Richters in den Blick zu nehmen sind. Erforder- lich ist eine umfassende Gesamtabwägung aller Umstände (grundlegend Senatsurteile vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, NJW 2014, 220 Rn. 25, 28, 32 ff; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 aaO Rn. 37, 40, 43 ff und vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BeckRS 2014, 03167 Rn. 36, 39 f, jeweils zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
28
bb) Eine abstrakt-generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, ist nicht möglich und würde im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit bereits an der Vielgestaltigkeit der Verfahren und prozessualen Situationen scheitern.
29
Mit der Entscheidung des Gesetzgebers, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), wurde bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Ein nach Verfahrensarten oder -gegenständen, nach Schwierigkeitsgraden oder in ähnlicher Weise ausdifferenziertes System fester "Normwerte" scheidet deshalb aus (vgl. Maidowski, JM 2014, 81, 82). Die Ausrichtung auf den Einzelfall ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des Gesetzes, wird durch dessen Entstehungsgeschichte bestätigt (dazu Steinbeiß-Winkelmann aaO Einführung Rn. 236 ff) und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers (BT-Drucks. 17/3802 S. 18). Feste Zeitvorgaben können auch der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht entnommen werden (siehe dazu die Übersicht bei Meyer-Ladewig aaO Art. 6 Rn. 199 ff, insbesondere Rn. 207 f). Das Bundesverfassungsgericht hat ebenfalls keine festen Zeitgrenzen aufgestellt und beurteilt die Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, stets nach den besonderen Um- ständen des einzelnen Falls (vgl. BVerfG, NJW 1997, 2811, 2812 und NJW 2013, 3630 Rn. 30, 32 mwN).
30
Der Verzicht auf allgemeingültige Zeitvorgaben schließt es auch regelmäßig aus, die Angemessenheit der Verfahrensdauer allein anhand statistischer Durchschnittswerte zu ermitteln. Nach dem Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG kommt es auf die "angemessene" und nicht auf die "durchschnittliche" Verfahrensdauer an. Daneben ist zu bedenken, dass § 198 GVG nicht nur einzelfallbezogene "Ausreißer" erfasst, sondern auch dann eingreift, wenn die Verzögerung auf strukturellen Problemen (zum Beispiel unzureichende Personalausstattung der Justiz) beruht. Die Ermittlung aussagekräftiger Vergleichswerte , die keine solchen "Systemfehler" enthalten, stellt sich als schwierig dar, zumal die Verschiedenartigkeit der einzelnen Verfahrensarten eine einheitliche Betrachtung verbietet. Selbst brauchbare statistische Durchschnittswerte sind nur bedingt taugliche Parameter und können ohne eine Einzelfallbetrachtung nicht zur Grundlage einer Entschädigungsentscheidung gemacht werden. Deshalb reicht es - entgegen der Revision - für die Berechnung eines Entschädigungsanspruchs nicht aus, lediglich auf die Differenz zwischen der tatsächlichen und der statistischen Verfahrensdauer hinzuweisen (Senatsurteil vom 14. November 2013 aaO Rn. 26; Heine MDR 2013 1081, 1085; Schlick, Festschrift für Klaus Tolksdorf, S. 549, 554; siehe auch BVerwG, NJW 2014, 96 Rn. 28 ff und BSG, NJW 2014, 248 Rn. 25 ff zu dem Sonderfall des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde nach dem SGG: statistische Zahlen als "hilfreicher Maßstab").
31
b) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (ausführlich Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 28 ff; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 36 ff und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 35 ff jeweils mwN).
32
Dies bedeutet, dass die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten muss, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 31; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 42 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 38; vgl. BVerfG, NVwZ 2013, 789, 791 f; BVerwG aaO Rn. 39; siehe auch BFH, BeckRS 2013, 96642 Rn. 53; BSG aaO Rn. 26: "deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen").
33
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Verzögerungen, die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, können innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert werden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f).
34
c) Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungsund Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 33; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 44 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 39). Dementsprechend wird die Verfahrensführung des Richters im nachfolgenden Entschädigungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (Senatsurteile vom 4. November 2010 - III ZR 32/10, BGHZ 187, 286 Rn. 14; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 45 f und vom 13. Februar2014 - III ZR 311/13, juris Rn. 30). Da der Rechtsuchende keinen Anspruch auf optimale Verfahrensförderung hat (BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10, juris Rn. 16), begründen eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der jeweiligen Prozessordnung vertretbare Verfahrensleitung auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben (Senatsurteile vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 46 und vom 13. Februar 2014 aaO Rn. 30). Im Entschädigungsprozess dürfen diejenigen rechtlichen Überlegungen, die der erkennende Richter bei der Entscheidungsfindung im Ausgangsprozess angestellt hat, grundsätzlich nicht auf ihre sachliche Richtigkeit überprüft werden (Schlick aaO S. 555). Stets muss jedoch in den Blick genommen werden, dass die Gerichte sich mit zunehmender Verfahrensdauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen haben (vgl. nur Senatsurteil vom 4. November 2010 aaO Rn. 11, 14; BVerfG, NJW 2013, 3630 Rn. 32, 37, 44).
35
Erst wenn die Verfahrenslaufzeit, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt ist, in Abwägung mit den weiteren Kriterien im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auch bei Berücksichtigung des weiten richterlichen Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen ist, liegt eine unangemessene Verfahrensdauer vor (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 33; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 44 ff; vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 40 und vom 13. Februar 2014 aaO Rn. 31; BVerwG aaO Rn. 42).
36
d) Bei Zugrundelegung der vorstehenden Grundsätze hält die Beurteilung des Oberlandesgerichts, durch die Verfahrensführung des Familiengerichts sei das erstinstanzliche Verfahren lediglich im Umfang von acht Monaten ohne sachlichen Grund nicht gefördert worden, den Angriffen der Revision stand.
37
Die Überprüfung der Verfahrensführung im Ausgangsprozess obliegt grundsätzlich dem Tatrichter, der über die Entschädigungsklage entscheidet. Bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit der Verfahrensdauer hat das Revisionsgericht den tatrichterlichen Beurteilungsspielraum zu respektieren und ist in seiner Prüfung darauf beschränkt, ob der rechtliche Rahmen verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und angemessen abgewogen worden sind (vgl. nur Senatsurteile vom 4. November 2010 aaO Rn. 18; vom 14. November 2013 aaO Rn. 34 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 47).
38
Solche Rechtsfehler liegen nicht vor. Die vom Oberlandesgericht vorgenommene Gesamtabwägung anhand der nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG maßgeblichen Kriterien belegt, dass alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und angemessen abgewogen worden sind.

39
aa) Ohne Rechtsfehler und von der Revision unbeanstandet ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass das Ausgangsverfahren vor allem wegen des angespannten Verhältnisses der Eltern und der notwendigen Beteiligung weiterer Stellen (Jugendamt, Verfahrenspfleger, medizinischer Sachverständiger ) von einer "gewissen Komplexität" war (vgl. EGMR, FamRZ 2011, 1283 Rn. 47). Dies rechtfertigt die Annahme, dass von vornherein mit zeitaufwändigen zusätzlichen Verfahrensschritten und einer längeren Verfahrensdauer zu rechnen war.
40
bb) Das Oberlandesgericht hat ferner zutreffend erkannt, dass die zeitnahe Entscheidung des Umgangsverfahrens für den Kläger von besonderer persönlicher Bedeutung war.
41
In Verfahren, die das Verhältnis einer Person zu ihrem Kind betreffen, obliegt den Gerichten eine besondere Förderungspflicht, weil die Gefahr besteht , dass allein der fortschreitende Zeitablauf zu einer faktischen Entscheidung der Sache führt. Verfahren, die das Sorge- oder Umgangsrecht betreffen, sind deshalb besonders bedeutsam (vgl. EGMR, NJW 2006, 2241 Rn. 100; FamRZ 2011, 1283 Rn. 45 und Urteil vom 10. Mai 2007, Beschwerde Nr. 76680/01, juris Rn. 93, 99, 104). Bei der Festlegung des konkreten Beschleunigungsmaßstabs hat das Oberlandesgericht das Alter des Kindes zu Recht in seine Überlegungen einbezogen. Denn eine Verpflichtung zur "größtmöglichen Beschleunigung" des Verfahrens besteht vor allem bei sehr kleinen Kindern (vgl. EGMR, FamRZ 2011, 1283 Rn. 45). Kleinere Kinder empfinden, bezogen auf objektive Zeitspannen, den Verlust einer Bezugsperson - anders als ältere Kinder oder gar Erwachsene - schneller als endgültig (Ott aaO § 198 GVG Rn. 111). In diesen Fällen ist die Gefahr der Entfremdung zwischen Eltern und Kind, die für das Verfahren Fakten schaffen kann, besonders groß, so dass eine besondere Sensibilität für die Verfahrensdauer erforderlich ist (vgl. BVerfG, NJW 1997, 2811, 2812 und NJW 2001, 961, 962). Im vorliegenden Fall war das Kind allerdings zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung bereits knapp 13 Jahre alt und lehnte - zermürbt durch die früheren gerichtlichen Auseinandersetzungen um das Umgangsrecht des Klägers - weitere "erzwungene" Besuchskontakte ab. Den Vorschlag des Familiengerichts, etwaige künftige Besuchsregelungen durch einen Briefkontakt vorzubereiten, hat der Kläger nicht aufgegriffen. Bei dieser Sachlage durfte das Oberlandesgericht ohne Rechtsfehler davon ausgehen, dass keine Situation vorlag, in der allein durch Zeitablauf die Sachentscheidung faktisch präjudiziert wurde. Im konkreten Fall erschien ein Zuwarten mit dem Verfahrensabschluss schon deshalb sinnvoll, um gerade durch Zeitablauf Klärungsprozesse sowohl bei dem älter werdenden Kind als auch bei den Kindeseltern zu ermöglichen und auf diese Weise die innerfamiliären "Selbstheilungskräfte" zu mobilisieren (vgl. Keidel/Engelhardt, FamFG, 18. Aufl., § 155 Rn. 5).
42
cc) Vergeblich wendet die Revision ein, das Oberlandesgericht habe die zahlreichen und zum Teil umfangreichen schriftlichen Stellungnahmen und Anfragen des Klägers sowie den Umstand, dass er von den ihm durch das Prozessrecht eingeräumten Verfahrenshandlungen Gebrauch gemacht habe, bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer nicht berücksichtigen dürfen, da das Vorgehen des Klägers weder sachwidrig noch missbräuchlich gewesen sei.
43
Die Frage, wie sich der Entschädigungskläger selbst im Ausgangsverfahren verhalten hat, ist unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Mitverursachung wesentlich für die Beurteilung der Verfahrensdauer (BT-Drucks. 17/3802 S. 18). Denn von ihm verursachte Verzögerungen können keine Unangemessenheit der Verfahrensdauer begründen (Ott aaO § 198 GVG Rn. 116). Dabei kommt es auf eine "Prozessverschleppungsabsicht" oder eine sonstige Vorwerfbarkeit des Verhaltens nicht an. Auch durch zulässiges Prozessverhalten herbeigeführte Verfahrensverzögerungen fallen in den Verantwortungsbereich des Betroffenen. Dies gilt beispielsweise für häufige umfangreiche Stellungnahmen und Anfragen, Fristverlängerungsanträge und Anträge auf Ruhenlassen des Verfahrens (Ott aaO Rn. 117 f). In allen diesen Fällen wird die Zeit, die für das Gericht zur ordnungsgemäßen Reaktion auf ein Prozessverhalten erforderlich ist, nicht dem Staat zugerechnet (Senatsurteil vom 13. Februar 2014 aaO Rn. 42 mwN).
44
Das Oberlandesgericht durfte deshalb bei seiner Abwägungsentscheidung berücksichtigen, dass der Kläger insbesondere durch zahlreiche Stellungnahmen und Anfragen, einen Terminsaufhebungsantrag sowie die späte Bestellung eines Verfahrensbevollmächtigten beträchtliche Verfahrensverzögerungen verursacht hat, die nicht in den Verantwortungsbereich des Familiengerichts fielen. Dazu zählt auch, dass er zu einem gerichtlichen Vergleichsvorschlag vom 29. Oktober 2008, der ihm begleitete Umgänge in Aussicht stellte, erst mit Schreiben vom 25. November 2008 (ablehnend) Stellung nahm.
45
dd) Die Beurteilung der Verfahrensführung der Ausgangsgerichte durch das Oberlandesgericht lässt einen Rechtsfehler ebenfalls nicht erkennen.
46
Das Entschädigungsgericht hat den zutreffenden Beurteilungsmaßstab (nur Vertretbarkeitskontrolle) zugrunde gelegt. Es ist unter Abwägung mit den weiteren Kriterien im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG und unter Berücksichtigung des richterlichen Gestaltungsspielraums zu dem Ergebnis gelangt, dass sachlich nicht mehr zu rechtfertigende Verzögerungen im Umfang von acht Monaten vorhanden sind. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
47
Soweit die Revision darüber hinaus geltend macht, das Oberlandesgericht habe das Vorrang- und Beschleunigungsgebot in Kindschaftssachen (§ 50e FGG aF, § 155 FamFG) außer Acht gelassen und insbesondere übersehen , dass ein Erörterungstermin bereits binnen eines Monats nach Verfahrenseinleitung hätte stattfinden müssen (§ 50e Abs. 2 FGG aF), geht die Rüge ins Leere.
48
Wie bereits ausgeführt, hat das Oberlandesgericht das spezifische Vorrang - und Beschleunigungsgebot in Kindschaftssachen zutreffend erkannt und gewichtet. Mit den Einzelheiten der von der Revision angeführten gesetzlichen Bestimmungen (§ 50e FGG aF, § 155 FamFG) musste es sich nicht näher auseinandersetzen. Nach Art. 111 Abs. 1 des FGG-Reformgesetzes vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586) ist § 155 FamFG auf Verfahren, die - wie hier - vor dem 1. September 2009 eingeleitet wurden, nicht anwendbar (Keidel/Engelhardt aaO Art. 111 FGG-RG Rn. 2). § 50e FGG aF wurde durch das Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls vom 4. Juli 2008 (BGBl. I S. 1188) eingeführt. Demgemäß konnte das Gebot aus § 50e Abs. 2 FGG aF (Sollvorschrift), spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchzuführen , im Streitfall noch keine Wirkung entfalten. Unabhängig davon hat das Familiengericht nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Oberlandesgerichts bereits am 31. Oktober 2007, also nur sechs Wochen nach Verfahrensbeginn , einen Anhörungstermin durchgeführt. Nach allem ist eine (weitere) sachwidrige Verfahrensverzögerung nicht ersichtlich.
49
4. Ohne Erfolg bleibt auch der Einwand des Klägers, im vorliegenden Fall sei eine deutliche Erhöhung des Regelsatzes (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG) gemäß § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG geboten, da die Dauer des Ausgangsverfahrens sein Umgangsrecht faktisch entwertet habe und nach den vom EGMR entwickelten Grundsätzen (dazu EGMR, FamRZ 2012, 1123) eine Entschädigung von 13.400 € gerechtfertigt sei.
50
§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG sieht zur Bemessung der Höhe der Entschädi- gung für immaterielle Nachteile einen Pauschalsatz in Höhe von 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung vor. Ist dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Mit der Pauschalierung unter Verzicht auf einen einzelfallbezogenen Nachweis sollen Streitigkeiten über die Höhe der Entschädigung, die eine zusätzliche Belastung der Gerichte bedeuten würden, vermieden werden. Zugleich ermöglicht dies eine zügige Erledigung der Entschädigungsansprüche im Interesse der Betroffenen (Senatsurteil vom 14. November 2013 aaO Rn. 46; vgl. auch BT-Drucks. 17/3802 S. 20). Die Entschädigung wird dabei nur für den konkreten Verzögerungszeitraum geleistet, so dass verzögerte Verfahrensabschnitte, die die Gesamtverfahrensdauer nicht verlängert haben, außer Betracht bleiben müssen (Ott aaO § 198 GVG Rn. 225). Insoweit hat das Oberlandesgericht, was den Kläger jedoch nicht beschwert, bei der Bemessung des Entschädigungsbetrags die nachgeholte Entscheidung über den Auskunftsantrag, die sich auf die Gesamtverfahrensdauer in keiner Weise ausgewirkt hat, zu Unrecht zur Begründung einer Erhöhung des Pauschalsatzes herangezogen.
51
Im Hinblick auf den eine Verfahrensvereinfachung anstrebenden Gesetzeszweck ist der Tatrichter nur bei Vorliegen besonderer Umstände gehalten, von dem normierten Pauschalsatz aus Billigkeitserwägungen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG) abzuweichen. Dabei ist für eine Abweichung nach oben insbesondere an solche Fälle zu denken, in denen die Verzögerung zur Fortdauer einer Freiheitsentziehung oder zu einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung geführt hat (Senatsurteil vom 14. November 2013 aaO Rn. 46 mwN). Derartige Ausnahmefälle macht die Revision nicht geltend. Allein der Umstand, dass eine Kindschaftssache (Umgangsrechtsverfahren) vorliegt, rechtfertigt noch keine Erhöhung des Regelsatzes. Denn entscheidend ist, dass die "Umstände des Einzelfalls", das heißt die konkreten Auswirkungen der überlangen Verfahrensdauer, die Pauschalhöhe als unbillig erscheinen lassen. Dafür ist im Streitfall nichts ersichtlich, da das knapp 13-jährige Kind nach seinem klar geäußerten Willen gerichtlich erzwungene Umgangskontakte von Anfang an abgelehnt hat und die einstweiligen Anordnungen des Familiengerichts, mit denen der Umgang vorläufig ausgesetzt wurde, durch die in der Hauptsache ergangenen Entscheidungen bestätigt wurden. Eine faktische Entwertung des Umgangsrechts durch bloßen Zeitablauf hat gerade nicht stattgefunden.
52
Der Hinweis der Revision auf die in dem Urteil des EGMR vom 27. Oktober 2011 (Beschwerde Nr. 8857/08, FamRZ 2012, 1123) zugesprochene Ent- schädigung von 10.000 € ist verfehlt. Der Entscheidung lag ein Fall aus Tsche- chien zugrunde lag, in dem die Mutter eines Kleinkindes über einen Zeitraum von vier Jahren das Umgangsrecht verweigert hatte, ohne dass die nationalen Behörden einschritten. Dadurch wurde eine de-facto-Situation geschaffen, die schließlich zu einem Verlust der emotionalen Bindung des Kindes zum Vater führte. Damit ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar.
Schlick Herrmann Wöstmann
Seiters Reiter
Vorinstanz:
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 08.02.2013 - 4 SchH 1/12 -

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens und darüber, ob der Kläger daneben beanspruchen kann, die unangemessene Dauer feststellen zu lassen.

2

Im Ausgangsverfahren, dessen Überlänge der Kläger rügt, stand die Rückerstattung von Ausbildungsförderung im Streit, die der Kläger für sein Studium der Geowissenschaften von Oktober 2000 bis März 2003 erhalten hatte. Ein erster Rückforderungsbescheid erging im Februar 2003 und belief sich über 13 600 €. Das Studentenwerk P. verlangte die Förderung mit der Begründung zurück, der Kläger habe nicht angegeben, dass er über umfangreiches Vermögen auf einem Bankkonto verfüge. Nach der Zurückweisung seines Widerspruchs erhob der Kläger Ende Juni 2003 Klage vor dem Verwaltungsgericht.

3

Im September 2003 begründete er seine Klage damit, dass das festgestellte Vermögen nicht ihm gehöre, sondern seinem Bruder, für den er es treuhänderisch verwalte. Zudem erweiterte der Kläger seine Klage auf einen zwischenzeitlich ergangenen zweiten Rückforderungsbescheid über 3 500 €. Mitte Januar 2004 nahm das beklagte Studentenwerk schriftlich zu der Klage Stellung. Mit Schreiben vom 3. März 2004 fragte die Berichterstatterin bei den Beteiligten an, ob sie mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sowie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien.

4

Mit am 11. und 12. März 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsätzen erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise. Der Kläger trug zudem weiter zur Sache vor und kündigte für den Fall, dass das Gericht Zweifel an dem Wahrheitsgehalt seines Tatsachenvortrags haben sollte, mehrere Beweisanträge an. Mit Schreiben vom 17. März 2004 übersandte das Verwaltungsgericht dem Studentenwerk eine Abschrift des Schriftsatzes des Klägers und gab Gelegenheit, innerhalb von sechs Wochen Stellung zu nehmen. Das beklagte Studentenwerk äußerte sich hierauf nicht. Mit am 10. November 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass die Beteiligten Anfang März des Jahres "wohl auch aus Beschleunigungszwecken" übereinstimmend einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt hätten. Das Gericht teilte ihm mit, dass nicht absehbar sei, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Gleiches gilt für die weiteren Anfragen des Klägers vom 16. Mai 2006 und vom 16. Juli 2007.

5

Mit Beschluss vom 5. Januar 2010 übertrug die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit auf den Einzelrichter. Auf die Anfrage, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe, stimmten die Beteiligten bis Ende Januar 2010 zu. Mit Urteil vom 2. Februar 2010 wies der Einzelrichter die Klage ohne mündliche Verhandlung ab. Sie sei teilweise wegen Versäumung der Widerspruchsfrist unzulässig und teilweise unbegründet. Das vom Kläger behauptete Treuhandverhältnis habe nach Überzeugung des Gerichts nicht bestanden.

6

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 23. Februar 2010 zugegangene Urteil beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Diese ließ das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Mai 2011 zu. In der mündlichen Verhandlung am 30. November 2011 wurde der Kläger befragt und sein Bruder als Zeuge vernommen. Mit Urteil vom selben Tag änderte das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts und gab der Klage statt. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12. Januar 2012 und dem Beklagten am 19. Januar 2012 zugestellt. Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung der Revision wurden nicht eingelegt.

7

Mit der am 4. Januar 2012 zunächst beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen und von diesem an das Oberverwaltungsgericht weitergeleiteten Klage hat der Kläger die Gewährung einer Entschädigung in Höhe von 6 000 € und die Feststellung begehrt, dass die Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Verwaltungsgericht unangemessen war. Er habe über lange Zeit mit der erheblichen Unsicherheit leben müssen, einer für seine Verhältnisse existenzbedrohlichen Forderung von über 17 000 € ausgesetzt zu sein. Das Verwaltungsgericht habe den Rechtsstreit ohne Weiteres innerhalb von ungefähr 20 Monaten und damit bis Februar 2005 entscheiden können. Es habe selbst bereits mit seiner Verfügung vom 3. März 2004 zum Ausdruck gebracht, dass die Sache aus seiner Sicht keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und auch keine grundsätzliche Bedeutung habe. Dennoch habe es ab März 2004 keine aktenkundige Tätigkeit entfaltet, um die aus seiner Sicht entscheidungsreife Sache zu fördern. Insgesamt ergebe sich eine nicht zu rechtfertigende Verzögerung von fünf Jahren.

8

Das Oberverwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil vom 27. März 2012 die Beklagte verurteilt, an den Kläger 4 000 € zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Verfahren des Klägers habe zwar keine neuen oder komplexen Rechtsfragen aufgeworfen. Auch die Klärung der Tatsachengrundlage sei nicht überdurchschnittlich aufwändig gewesen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sei die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens aber bis einschließlich September 2006 noch als angemessen anzusehen. Zwar sei die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen. Bei Hinzurechnung einer aus Sicht des Klägers unerfreulichen, jedoch noch nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoßenden Verfahrensdauer von weiteren zwei Jahren erschließe sich, dass die Verfahrensdauer bis September 2006 angemessen und von Oktober 2006 bis Januar 2010 (weitere drei Jahre und vier Monate) unangemessen gewesen sei. Die Verfahrensdauer in der zweiten Rechtsstufe vor dem Oberverwaltungsgericht sei mit ca. zwei Jahren noch angemessen. Das dortige Verfahren sei aber auch nicht so zügig durchgeführt worden, dass damit die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens teilweise hätte kompensiert werden können. Der Kläger habe neben der Entschädigung keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Feststellung der Unangemessenheit. Ein schwerwiegender Fall im Sinne des Gesetzes sei schon deswegen nicht gegeben, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe. Zudem habe der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer mildern können, wenn er die Treuhandabrede mit seinem Bruder aufgehoben und einen weiteren Antrag auf Ausbildungsförderung gestellt hätte.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG sowie des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG. Er begehrt eine um 2 000 € höhere Entschädigung sowie die Feststellung, dass die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht unangemessen war.

10

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

11

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren. Er sei mit dem Bundesjustizministerium der Auffassung, dass das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - jedenfalls in seiner Begründung - keinen Bestand haben könne. Nach der Gesetzesfassung komme es auf die Umstände des Einzelfalles und nicht auf eine Durchschnittsdauer an. "Angemessen" sei etwas anderes als "durchschnittlich". Im Extremfall könne auch eine durchschnittliche Dauer unangemessen sein.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dem Kläger steht die von ihm geltend gemachte weitere Entschädigung zu (1.). Ebenso ist seinem Begehren zu entsprechen, die unangemessene Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festzustellen (2.).

13

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ausgleich seines immateriellen Nachteils in Höhe von weiteren 2 000 €.

14

Der geltend gemachte Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Dezember 2011 (BGBl I S. 2582). Diese Regelungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen.

15

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des vom Kläger in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b). Hierdurch hat er einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (c) und in der von ihm geltend gemachten Höhe zu entschädigen ist (d).

16

a) Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Bezugsrahmen des vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist danach das gesamte - hier abgeschlossene - verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, und zwar vom Zeitpunkt der Klageerhebung bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung. Erfasst ist hier mithin die Gesamtdauer des Verfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht (aa), nicht aber das dem Verwaltungsprozess vorausgegangene behördliche Vorverfahren (bb).

17

aa) Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ("Gerichtsverfahren"). Hinweise für eine Trennung zwischen verschiedenen Instanzen oder Gerichten finden sich dort nicht. Gleiches gilt für die Legaldefinition des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG, die auf den Zeitraum von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens und damit auf die Anhängigkeit des Rechtsstreits bei Gericht abstellt. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Bezugspunkt für die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer grundsätzlich das Gesamtverfahren ist, soweit es - je nach geltend gemachtem Anspruch - in die Haftungsverantwortung des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt (BTDrucks 17/3802 S. 18 f.). In systematischer Hinsicht wird die Bezugnahme auf das Gesamtverfahren durch den Rückschluss aus § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG bestätigt. Danach ist die Erhebung einer erneuten Verzögerungsrüge erforderlich, wenn sich das Verfahren "bei einem anderen Gericht" weiter verzögert. Schließlich wird das vorgenannte Auslegungsergebnis durch die systematische Einbeziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts gestützt. Beide Gerichte gehen im Hinblick auf das Recht auf ein Gerichtsverfahren in angemessener Dauer in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass grundsätzlich auf die Gesamtdauer des Verfahrens abzustellen ist (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 24. Juni 2010 - Nr. 25756/09 - juris Rn. 21 und vom 30. März 2010 - Nr. 46682/07 - juris Rn. 36; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214 und vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 m.w.N.). Gegen die Möglichkeit, die materiell-rechtliche Prüfung auf eine Verfahrensstufe zu begrenzen, spricht vor allem der Umstand, dass eine lange Verfahrensdauer innerhalb einer Stufe gegebenenfalls durch eine zügige Verfahrensführung in einer anderen (höheren) Stufe ausgeglichen werden kann (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 7. Januar 2010 - Nr. 40009/04 - juris Rn. 151 und vom 22. März 2012 - Nr. 23338/09, Kautzor/Deutschland - NJW 2013, 1937 ; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 a.a.O. und vom 14. Dezember 2010 a.a.O.).

18

Von der Frage des materiell-rechtlichen Bezugsrahmens zu trennen ist die vom Oberverwaltungsgericht offengelassene Frage, ob sich ein Verfahrensbeteiligter darauf beschränken kann, ein über mehrere Instanzen hinweg geführtes Gerichtsverfahren allein bezüglich der Dauer in einer bestimmten Rechtsstufe als überlang anzugreifen und nur hierfür Entschädigung zu verlangen. Diese Frage, die vor dem Hintergrund der Dispositionsmaxime im Ausgangspunkt prozessualer Natur ist, stellt sich hier nicht. Der Kläger hat im Hinblick auf sein Entschädigungsverlangen - anders als hinsichtlich seines Feststellungsbegehrens (siehe dazu unten 2 a) - eine solche Beschränkung nicht vorgenommen.

19

Soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass in die Dauer eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG auch der Zeitraum bis zur Zustellung des Urteils oder einer anderen das Verfahren abschließenden Entscheidung einzubeziehen ist, trifft dies zwar zu. Denn unter rechtskräftigem Abschluss des Gerichtsverfahrens im Sinne dieser Vorschrift ist der Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 24 m.w.N.). Allerdings kann danach die Dauer des Gerichtsverfahrens über den Zeitpunkt der Zustellung hinausgehen. So liegt es hier. Ein Urteil erwächst nur dann mit der Zustellung in Rechtskraft, wenn es nicht mehr mit Rechtsmitteln anfechtbar ist. Kann die Entscheidung dagegen - wie hier das im Ausgangsrechtsstreit ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - noch angefochten werden (vgl. § 132 VwGO), wird sie erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist formell rechtskräftig, so dass auch dieser Zeitraum noch zur Dauer des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG zählt.

20

bb) Das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) sind, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 und § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

21

Die Ausklammerung des Verwaltungs- und Vorverfahrens ist mit der Begrenzung auf das "Gerichtsverfahren" bereits unmissverständlich im Wortlaut des Gesetzes angelegt. Sie entspricht überdies dem Willen des Gesetzgebers, wie er in den Gesetzesmaterialien seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 17).

22

Das vorstehende Auslegungsergebnis ist mit Art. 6 und Art. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in der Fassung vom 22. Oktober 2010 (BGBl II S. 1198) vereinbar. Dem steht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat (vgl. Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - ZBR 2013, 257 Rn. 46), nicht entgegen.

23

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zwar für die Ermittlung, wann die Verfahrensdauer in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unangemessen ist, die Dauer des Vorverfahrens mit einbezogen. Sofern die Einlegung dieses Rechtsbehelfs ein notwendiger erster Schritt ist, bevor das gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden kann, hat der Gerichtshof den Zeitraum, der für die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK maßgeblich ist, mit dem Tag beginnen lassen, an dem der Beschwerdeführer den behördlichen Rechtsbehelf (Widerspruch) eingelegt hat (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 - C (78) 31, König/Deutschland - NJW 1979, 477 <478 f.>, vom 30. Juni 2011 - Nr. 11811/10 - juris Rn. 21 und vom 24. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.).

24

Allerdings beziehen sich diese Entscheidungen auf einen Zeitraum, in welchem das deutsche Recht keinen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK vorsah, der geeignet war, Abhilfe für die unangemessene Dauer von Verfahren zu schaffen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010 a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) steht jedoch nunmehr ein solcher Rechtsbehelf gegen Verzögerungen gerichtlicher Verfahren im Sinne des Konventionsrechts zur Verfügung, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Grund zu der Annahme gibt, dass die damit verfolgten Ziele nicht erreicht werden (EGMR, Urteil vom 29. Mai 2012 - Nr. 53126/07, Taron/Deutschland - NVwZ 2013, 47 ). Hinzu kommt, dass das nationale Recht mit der so genannten Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO einen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem einer unangemessenen Verzögerung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) durch unmittelbare Klageerhebung begegnet werden kann. Mit Blick auf die Rüge der Verfahrensdauer erweist sich die Untätigkeitsklage grundsätzlich als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Januar 2008 - Nr. 1679/03, Glusen/Deutschland - juris Rn. 66 f.). Dieser tritt neben die durch das neue Gesetz normierte (kompensatorische) Entschädigung für Verzögerungen des Gerichtsverfahrens (vgl. Marx, in: Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, 2013, § 173 VwGO Rn. 9; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 38). Jedenfalls mit Blick auf das Nebeneinander dieses Entschädigungsanspruchs und der Untätigkeitsklage ist es konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Vorverfahren nicht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention fordert im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht notwendig einen einheitlichen Rechtsbehelf, sondern lässt bei entsprechender Wirksamkeit auch eine Kombination von Rechtsbehelfen genügen (EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 98 m.w.N.). Den Konventionsstaaten kommt bei der gesetzlichen Ausgestaltung des von Art. 13 EMRK geforderten Rechtsbehelfs ein Gestaltungsspielraum zu (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 29. März 2006 - Nr. 36813/97, Scordino/Italien - NVwZ 2007, 1259 Rn. 189 und vom 29. Mai 2012 a.a.O. Rn. 41).

25

b) Die Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht war unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

26

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" zeigt, werden damit die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BTDrucks 17/3802 S. 18).

27

aa) Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht in Einklang, soweit es sinngemäß den Rechtssatz aufstellt, dass eine Verfahrensdauer von zwei weiteren Jahren ab Entscheidungsreife noch angemessen sei und nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoße (UA S. 16 Rn. 50). Ein entsprechender Rechtssatz lässt sich aus § 198 Abs. 1 GVG nicht ableiten. Mit dieser Bestimmung ist weder die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben vereinbar ((1)), noch lässt es die Vorschrift grundsätzlich zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungswerten oder Regelfristen für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen ((2)). Dies gilt gerade auch für die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Zwei-Jahresfrist ab Entscheidungsreife ((3)).

28

(1) Mit der gesetzlichen Festlegung, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Die Ausrichtung auf den Einzelfall folgt nicht nur in deutlicher Form aus dem Wortlaut des Gesetzes ("Umstände des Einzelfalles"), sondern wird durch seine Entstehungsgeschichte bestätigt und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit ausgeschlossen hat. Er hat sich insoweit daran ausgerichtet, dass weder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch die des Bundesverfassungsgerichts feste Zeiträume vorgibt, sondern jeweils die Bedeutung der Einzelfallprüfung hervorhebt. Dem Grundgesetz lassen sich keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (BVerfG, Beschlüsse vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 - NJW 2008, 503; vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790>). Gleiches gilt im Ergebnis für die Europäische Menschenrechtskonvention. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 a.a.O. <479> und vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02, Herbst/Deutschland - NVwZ 2008, 289 Rn. 75; Entscheidung vom 22. Januar 2008 - Nr. 10763/05 - juris Rn. 43 m.w.N.).

29

(2) Für die Beurteilung, ob die Verfahrensdauer angemessen ist, verbietet es sich in der Regel auch, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als "normale", "durchschnittliche" oder "übliche" Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder "erster grober Anhalt" herangezogen werden (vgl. etwa Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Rn. 76; Roderfeld, in: Marx/Roderfeld a.a.O. § 198 GVG Rn. 38 f.; im Ergebnis zu Recht ablehnend OVG Bautzen, Urteil vom 15. Januar 2013 - 11 F 1/12 - LKV 2013, 230 <232>; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 69, 86 f. m.w.N.).

30

Die Entscheidung des Gesetzgebers, keine zeitlichen Festlegungen zu treffen, ab wann ein Verfahren "überlang" ist, schließt für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich einen Rückgriff auf Orientierungs- oder Richtwerte aus. Dies gilt auch, soweit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - allerdings obiter und deshalb die jeweilige Entscheidung nicht tragend - eine Verfahrenslaufzeit von etwa einem Jahr pro Instanz als grober Anhalt ("rough rule of thumb") genannt wird (vgl. Urteile vom 26. November 2009 - Nr. 13591/05, Nazarov/Russland - Rn. 126, vom 9. Oktober 2008 - Nr. 62936/00, Moiseyev/Russland - Rn. 160 und vom 16. Januar 2003 - Nr. 50034/99, Obasa/Großbritannien - Rn. 35 ).

31

Angesichts der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren stießen solche Festlegungen an eine Komplexitätsgrenze. Sie könnten letztlich für die Angemessenheit im Einzelfall nicht aussagekräftig sein. Die Bandbreite der Verwaltungsprozesse reicht von sehr einfach gelagerten Verfahren bis zu äußerst aufwändigen Großverfahren (etwa im Infrastrukturbereich), die allein einen Spruchkörper über eine lange Zeitspanne binden können. Der Versuch, dieser Bandbreite mit Mittel- oder Orientierungswerten Rechnung zu tragen, ginge nicht nur am Einzelfall vorbei, sondern wäre auch mit dem Risiko belastet, die einzelfallbezogenen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verfehlen. Die Bestimmung einer Regeldauer brächte zudem - entgegen der Intention des Gesetzes - die Gefahr mit sich, dass sie die Verwaltungsgerichte als äußerstes Limit ansehen könnten, bis zu welchem ein Verfahren zulässigerweise ausgedehnt werden dürfte.

32

Entgegen der Rechtsansicht des Klägers können auch die statistischen Durchschnittslaufzeiten für verwaltungsgerichtliche Verfahren im Land Brandenburg nicht zu einer Objektivierung des Angemessenheitsmaßstabs herangezogen werden (vgl. zur Heranziehung statistischer Durchschnittswerte im sozialgerichtlichen Verfahren: BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 28 ff.). Die vorgenannten Bedenken greifen nämlich in gleicher Weise für den Ansatz, bestimmte (durchschnittliche) Laufzeiten, die durch eine Auswertung anderer Gerichtsverfahren statistisch ermittelt wurden, als ergänzende oder indizielle Werte heranzuziehen. Zum einen ist auch dieser Ansatz mit der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren nicht in Einklang zu bringen. Zum anderen ist ein gesichertes Indiz für eine "normale" bzw. durchschnittliche Laufzeit in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren schon deshalb kaum möglich, weil die Verfahrenslaufzeiten der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in den Ländern - wie aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlich und zwischen den Beteiligten unstreitig ist - sehr unterschiedlich ausfallen. Im Hinblick auf die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Gerichtsverfahrens in angemessener Zeit kann die Effektivität des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für die verfahrensbeteiligten Bürger nicht (mit) davon abhängen, in welchem Land sie Rechtsschutz suchen und wie sich die durchschnittliche Verfahrensdauer dort ausnimmt.

33

Es verbietet sich gleichfalls, statistische Erhebungen für Verwaltungsstreitverfahren auf Bundesebene heranzuziehen. Abgesehen davon, dass solche statistischen Werte über Verfahrenslaufzeiten im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren für den Einzelfall kaum aussagekräftig sind, müssten die Durchschnittswerte ihrerseits wieder daraufhin überprüft werden, ob sie als solche angemessen sind.

34

Die Orientierung an einer - wie auch immer ermittelten - (statistisch) durchschnittlichen Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren erweist sich auch deshalb als bedenklich, weil eine solche Laufzeit stets auch Ausdruck der den Gerichten jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen ist, also insbesondere von den bereitgestellten personellen und sächlichen Mitteln abhängt. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer darf hingegen grundsätzlich nicht von der faktischen Ausstattung der Justiz abhängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1973 - 2 BvR 558/73 - BVerfGE 36, 264 <274 f.>). Dies wäre aber im Ergebnis der Fall, wenn für die Ermittlung der angemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG auf eine durchschnittliche Laufzeit abgestellt wird (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. Rn. 87; Ziekow, DÖV 1998, 941 <942>).

35

Die Ausrichtung an einer durchschnittlichen Verfahrensdauer begegnet auch mit Blick darauf Bedenken, dass statistische Werte zumeist schwankend und über die Jahre hinweg in ständigem Fluss sowie von dem abhängig sind, was jeweils wie erfasst wird. Schließlich ersparten sie in keinem Einzelfall die Prüfung, ob und in welchem Umfange über die gesamte Laufzeit eines als überlang gerügten Gerichtsverfahrens Verzögerungen eingetreten und diese sachlich gerechtfertigt sind.

36

(3) Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die vom Oberverwaltungsgericht angenommene - eher gegriffene - Frist von zwei Jahren ab Entscheidungsreife kein zulässiger Maßstab für die Prüfung der Angemessenheit im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG ist. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass der Aspekt der Entscheidungsreife oder des "Ausgeschriebenseins" einer Sache für die Bewertung der Verzögerung ohnehin kein Fixpunkt sein, sondern allenfalls relative Bedeutung haben kann. Mit der Entscheidungsreife muss weder sogleich eine dem Staat zuzurechnende Verzögerung eintreten noch werden mit ihr bestimmte Fristen in Lauf gesetzt, innerhalb derer die Verfahrensdauer noch angemessen ist, wenn das Verfahren gefördert wird. Der Begriff der Entscheidungsreife kennzeichnet lediglich den Zeitpunkt, in welchem der für die Entscheidung des Rechtsstreits notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Ebenso wenig wie es allgemeine Orientierungswerte für die angemessene Verfahrensdauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren gibt, gibt es solche darüber, bis wann ein Verfahren nach Entscheidungsreife abzuschließen ist.

37

bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.

38

(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens" (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).

39

(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).

40

(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.

41

Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).

42

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).

43

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn. 14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kudla/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

44

Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer. Es ist vielmehr - wie aufgezeigt - im Rahmen einer Gesamtabwägung zu untersuchen, ob die Verzögerung innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde.

45

cc) Unter Berücksichtigung der zuvor erörterten Grundsätze erweist sich hier, dass die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG war, weil eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles - insbesondere der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), seiner Bedeutung für den Kläger ((2)) sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((3)) und der Verfahrensführung des Gerichts ((4)) - ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt worden ist.

46

(1) Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, dass es sich nicht um einen tatsächlich und rechtlich schwierigen Fall handelte, ist unter Berücksichtigung seiner hierzu getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden und wird auch von der Revision nicht angegriffen. Als Indiz für den eher durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad kann unter anderem der Umstand herangezogen werden, dass die Sache vom Verwaltungsgericht auf den Einzelrichter übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und auch von dem Senat des Oberverwaltungsgerichts, der im Ausgangsverfahren zu entscheiden hatte, nicht als besonders schwierig gewertet worden ist.

47

(2) Anders verhält es sich hinsichtlich der Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, das Verfahren habe für den Kläger letztlich keine besondere Bedeutung aufgewiesen, so dass ein besonderes Interesse an einem beschleunigten Abschluss nicht gegeben gewesen sei. Zwar wird die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger dadurch relativiert, dass er durch die aufschiebende Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens vor einer Vollstreckung durch die öffentliche Hand geschützt war. Auch liegt keine Fallgruppe vor, für welche die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte regelmäßig eine besondere Bedeutung für die Betroffenen annimmt, wie etwa bei Eingriffen in die persönliche Freiheit oder die Gesundheit; Rechtsstreitigkeiten um die finanzielle Versorgung (Renten- oder Arbeitssachen) oder Statussachen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 133 sowie den Überblick und die Nachweise bei Wittling-Vogel/Ulick, DRiZ 2008, 87 <88>). Allerdings ist - wie die Revision zu Recht einwendet - auch zu berücksichtigen, dass der Kläger einer für einen jungen Menschen (Studenten) erheblichen Geldforderung in Höhe von über 17 000 € ausgesetzt war. Die damit verbundene Unsicherheit, ob die Forderung zu Recht erhoben worden ist und er diese Summe tatsächlich zu begleichen hatte - das "Damoklesschwert" der drohenden Geltendmachung durch die Behörde -, ist entgegen der Wertung des Oberverwaltungsgerichts als erheblich für die Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger anzusehen. Wegen der mit dieser Verunsicherung verbundenen Einschränkung, weitere Dispositionen zu treffen, ist ihm ein besonderes Interesse an einer Erledigung des Rechtsstreits zuzubilligen, das mit zunehmender Verfahrensdauer wuchs.

48

(3) Im Hinblick auf das prozessuale Verhalten des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass er durch sein Verhalten keine relevante Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt habe. Die Beteiligten streiten zu Recht nicht über den Zeitraum, für den der Kläger nach Klageerhebung um die Verlängerung der Begründungsfrist nachgesucht und damit eine ihm zuzurechnende Verzögerung von etwa zwei Monaten herbeigeführt hat. Im Hinblick auf sein prozessuales Verhalten ist allerdings ergänzend zu berücksichtigen, dass er nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bereits im März 2004 sein Einverständnis mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt hat. Damit hat er frühzeitig einen Beitrag zu einer möglichen Verfahrensbeschleunigung geleistet.

49

(4) Unter Gewichtung und Abwägung der zuvor erörterten Kriterien ergibt sich hier - auch unter Berücksichtigung des gerichtlichen Spielraums bei der Verfahrensgestaltung - eine maßgebliche, weil sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Gerichtsverfahrens von etwa fünf Jahren.

50

Im Hinblick auf den Verfahrensgang vor dem Verwaltungsgericht hat das Oberverwaltungsgericht neben der Chronologie des Verfahrens festgestellt, dass die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hatte bereits durch die Anfrage an die Beteiligten vom 3. März 2004, ob sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien, zu erkennen gegeben, dass es die Sache für "ausgeschrieben" hielt. Auf der Grundlage dieser Feststellung ist die Wertung des Oberverwaltungsgerichts fehlerhaft, dass eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung von drei Jahren und vier Monaten vorgelegen habe. Hierzu ist das Oberverwaltungsgericht aufgrund seiner rechtlich fehlerhaften Annahme gelangt, dass nach Entscheidungsreife noch eine weitere Verfahrensdauer von zwei Jahren (bis September 2006) angemessen gewesen sei. Diese "Zwei-Jahres-Pauschale" steht - wie dargelegt - weder als allgemeine Formel mit Bundesrecht in Einklang noch trägt sie durch eine Würdigung der konkreten Umstände dem vorliegenden Einzelfall Rechnung.

51

Was den Zeitpunkt der Entscheidungsreife - verstanden als Zeitpunkt der hinreichenden tatsächlichen Aufbereitung wie auch der Gewährung rechtlichen Gehörs - betrifft, so ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Verfahrensablauf vielmehr wertend zu folgern, dass diese bereits vor September 2004 gegeben war. Denn das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass das Verwaltungsgericht den letzten Schriftsatz des Klägers vom 12. März 2004 am 17. März 2004 an den Beklagten übersandt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen gegeben hat. Nachdem der Beklagte sich hierzu nachweislich nicht mehr geäußert hatte, stand einer weiteren Verfahrensförderung durch das Verwaltungsgericht (etwa einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter) schon Ende April 2004 nichts mehr im Wege.

52

Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat, die insbesondere für Zeiträume in Betracht kommt, in denen das Gericht das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 a.a.O. Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 a.a.O. Rn. 41), ist hier für den Zeitraum von Ende April 2004 bis Januar 2010 anzunehmen. In diesem Zeitraum hat das Verwaltungsgericht das aus seiner Sicht entscheidungsreife Verfahren nicht mehr gefördert; vielmehr hat es sich mit der Verfügung von Wiedervorlagen der Sache nach auf ein "Liegenlassen" der Akte beschränkt. Die nächste, der Verfahrensförderung dienende Prozesshandlung hat es erst im Januar 2010 mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vorgenommen.

53

Auch wenn dem Verwaltungsgericht ab Entscheidungsreife Ende April 2004 ein mehrmonatiger Gestaltungszeitraum zugestanden wird, um fördernde Verfahrenshandlungen vorzubereiten und abzustimmen, war seine Untätigkeit angesichts der eher durchschnittlichen Schwierigkeit des Verfahrens einerseits und seiner nicht unerheblichen Bedeutung für den Kläger wie auch seines prozessualen Verhaltens andererseits jedenfalls ab Ende 2004 nicht mehr sachlich zu rechtfertigen. Dies entspricht in etwa der Würdigung des Klägers, der davon ausgeht, dass aufgrund der genannten Umstände des Einzelfalles jedenfalls ab Februar 2005 - also 20 Monate nach Klageeinreichung und knapp ein Jahr nach dem Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - die Verfahrensdauer als nicht mehr angemessenen zu betrachten war. Dabei hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass sich der Beklagte - was die Bemessung des Gestaltungszeitraums für eine gerichtliche Entscheidung betrifft - nicht auf die allgemeine Belastungssituation bei den Verwaltungsgerichten im Land Brandenburg berufen kann. Eine solche Überlastung der Gerichte gehört zu den strukturellen Mängeln, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind und die er zu beseitigen hat.

54

Ist mithin jedenfalls ab Ende 2004 eine Untätigkeit des Verwaltungsgerichts nicht mehr zu rechtfertigen gewesen, so sind bis zur nächsten Verfahrensförderung im Januar 2010 mehr als fünf Jahre verstrichen, die als relevante Verzögerung und damit als unangemessene Verfahrensdauer im Sinne von § 198 GVG zugrunde zu legen sind. Dabei hat der Kläger im Ergebnis zu Recht nicht geltend gemacht, dass darüber hinaus auch im Berufungszulassungs- und Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch eine Verzögerung eingetreten ist. Ebenso ist die Vorinstanz zutreffend davon ausgegangen, dass das zweitinstanzliche Verfahren auch nicht so zügig durchgeführt worden ist, dass es die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens (teilweise) hätte kompensieren können.

55

c) Der Kläger hat einen immateriellen Nachteil in der von ihm geltend gemachten Höhe erlitten, der nicht auf andere Weise wieder gutgemacht werden kann.

56

Dass der Kläger, der keine materiellen, sondern nur Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art geltend macht, solche erlitten hat, ergibt sich aus der gesetzlichen Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist im vorliegenden Fall nicht widerlegt.

57

Entschädigung kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. In diese wird regelmäßig einzustellen sein, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (BTDrucks 17/3802 S. 20). Darüber hinaus kann zu berücksichtigen sein, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist und ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (vgl. EGMR, Urteil vom 29. September 2011 - Nr. 854/07 - juris Rn. 41). Hier gehen die Verfahrensbeteiligten mit dem Oberverwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass als Ergebnis einer umfassenden Einzelabwägung eine Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere wegen der erheblichen Verfahrensverzögerung nicht ausreichend ist. Deshalb kann hier dahingestellt bleiben, ob im Fall einer unangemessenen Verfahrensdauer die Entschädigung die Regel und die bloße Feststellung im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG die Ausnahme ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 45 f.) oder ob weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregelung gilt (vgl. BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 Rn. 57).

58

d) Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach sind diese in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Nur wenn dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Das Oberverwaltungsgericht hat in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass hier eine Abweichung vom Pauschalbetrag nicht veranlasst ist. Da die nicht gerechtfertigte Verzögerung jedenfalls fünf Jahre betrug, steht dem Kläger insgesamt ein Anspruch auf 6 000 € Entschädigung zu, so dass über den Ausspruch des Oberverwaltungsgerichts hinaus weitere 2 000 € an ihn zu zahlen sind.

59

2. Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

60

a) Die Begrenzung des Feststellungsantrags auf die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht ist zulässig. Sie entspricht der Dispositionsbefugnis des Klägers als Rechtsmittelführer (vgl. § 88 VwGO) und trägt dem Umstand Rechnung, dass er sich insoweit allein durch die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beschwert sieht. Allgemein kann ein Rechtsmittel auf einen von mehreren selbstständigen Streitgegenständen einer Klage oder auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, wenn dieser Teil vom Gesamtstreitstoff abteilbar ist und materiell-rechtliche Gründe einer gesonderten Entscheidung darüber nicht entgegenstehen (vgl. Beschluss vom 5. Juli 2011 - BVerwG 5 B 35.11 - juris Rn. 1, Urteile vom 1. März 2012 - BVerwG 5 C 11.11 - Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 10 Rn. 15 und vom 18. Juli 2013 - BVerwG 5 C 8.12 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen). Das ist hier der Fall.

61

Die Beschränkung auf einen Verfahrenszug - hier auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren - ist vom Gesamtstreitstoff abtrennbar. Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist zwar - wie oben dargelegt - auch dann die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, wenn dieses wie hier über zwei Instanzen geführt worden ist. Dennoch steht das materielle Recht einem gesonderten Ausspruch darüber, dass (nur) die Verfahrensdauer in einer Instanz unangemessen war, nicht entgegen. Denn auch um dies feststellen zu können, ist grundsätzlich die materiell-rechtliche Voraussetzung zu prüfen, ob - mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer - durch die zügige Behandlung der Sache in einer höheren Instanz eine etwaige Überlänge in der Vorinstanz ganz oder teilweise kompensiert werden kann. Für die Zulässigkeit, den (Feststellungs-)Antrag auf eine Instanz beschränken zu können, spricht überdies, dass es das Gesetz ermöglicht, eine Entschädigungsklage bereits vor Beendigung des Ausgangsverfahrens zu erheben (vgl. § 198 Abs. 5 GVG, § 201 Abs. 3 GVG). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist und in denen daher über die Kompensation für schon eingetretene Nachteile entschieden werden kann (BTDrucks 17/3802 S. 22). Dass es das Gesetz zulässt, verschiedene Verfahrensstufen unterschiedlich in den Blick zu nehmen, zeigt sich schließlich auch daran, dass bei einem bis zum Bundesverwaltungsgericht geführten Verwaltungsrechtsstreit verschiedene Rechtsträger - nämlich zum einen das jeweilige Land und zum anderen der Bund (§ 201 Abs. 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO) - für die in ihrem Bereich zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen in Anspruch genommen werden können.

62

b) Der Anspruch des Klägers auf Feststellung der unangemessenen Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens folgt aus § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG.

63

Nach dieser Bestimmung kann das Entschädigungsgericht in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung aussprechen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Weil es hierfür nicht notwendig eines Antrags bedarf (§ 198 Abs. 4 Satz 2 GVG), hat das Entschädigungsgericht grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen, ob es diese Feststellung trifft. Bei diesem Ausspruch handelt es sich, wie systematisch aus § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG zu folgern ist, um eine Form der "Wiedergutmachung auf andere Weise", die "neben die Entschädigung" treten kann. Ob das Entschädigungsgericht diese Feststellung zusätzlich zur Entschädigung (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 22) trifft, ist in sein Ermessen ("kann") gestellt.

64

aa) Ein schwerwiegender Fall im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG liegt hier vor.

65

Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung des schwerwiegenden Falles rechtsfehlerhaft verneint. Es hat sich zur Begründung darauf gestützt, dass ein solcher Fall hier schon deshalb ausscheide, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe und der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht hätte mildern können, indem er einen weiteren Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung hätte stellen und die Treuhandabrede hätte aufheben können. Dem folgt der Senat nicht.

66

Ob ein schwerwiegender Fall vorliegt, ist anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Insofern gilt nichts anderes als für die Entscheidung nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ebenfalls "unter Würdigung der Gesamtumstände" zu treffen ist (BTDrucks 17/3802 S. 22). Neben der Bedeutung des Rechtsstreits für den Verfahrensbeteiligten und seinen damit korrespondierenden Interessen an einer zügigen Entscheidung ist im Rahmen der Abwägung, ob der Fall schwerwiegend ist, insbesondere in Ansatz zu bringen, wie lange das Verfahren insgesamt gedauert hat und wie groß der Zeitraum ist, in dem eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vorlag. Der Begriff "schwerwiegend" bezieht sich - worauf schon der Wortlaut hindeutet - auf das Gewicht der Beeinträchtigung, die mit einer unangemessen langen Dauer verbunden ist. Dieses Gewicht nimmt zu, je länger die den Betroffenen belastende Phase der Untätigkeit anhält. Dementsprechend haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - VZ 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790> m.w.N.).

67

Den vorgenannten Aspekt hat das Oberverwaltungsgericht hier nicht gesetzeskonform gewichtet. Es hätte die erhebliche Überlänge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit einer dem Gericht zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von etwa fünf Jahren sowie die Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von über acht Jahren als Umstand in die Abwägung einstellen müssen, der in bedeutsamer Weise für die Annahme eines schwerwiegenden Falles spricht. Zudem hat das Oberverwaltungsgericht die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger zu gering gewichtet. Denn diese ist - wie oben dargelegt - wegen der Höhe des Rückforderungsbetrages und der damit verbundenen Unsicherheit als erheblich anzusehen. Eine gesetzeskonforme Gesamtabwägung ergibt daher, dass gerade im Hinblick auf die erhebliche Überlänge des für den Kläger bedeutsamen Verfahrens die Voraussetzungen für die Annahme eines schwerwiegenden Falles erfüllt sind. Dies kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auch das Revisionsgericht feststellen.

68

bb) Sofern - wie hier - ein schwerwiegender Fall im Sinne des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG vorliegt, ist die Entscheidung über eine Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer in das Ermessen des Entschädigungsgerichts gestellt.

69

Die Frage, ob in "schwerwiegenden Fällen" noch neben der Entschädigung ein gesonderter Feststellungsausspruch geboten ist, um dem Wiedergutmachungsanspruch des Betroffenen hinreichend Rechnung zu tragen, ist systematisch der Ermessensausübung zuzuordnen. Insoweit ist eine weitere Abwägungsentscheidung darüber zu treffen, ob es im konkreten Fall des Feststellungsausspruchs bedarf, um dem Betroffenen eine zusätzliche Form der Wiedergutmachung zu verschaffen. Als ein Abwägungskriterium ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, wenn der Kläger dies - wie hier - ausdrücklich beantragt. Damit gibt er zu erkennen, dass er auf diese zusätzliche Form der Wiedergutmachung gerade Wert legt und sie als Form der Genugtuung für die Verletzung seiner Rechte begreift. Ob die Beantragung der Feststellung in "schwerwiegenden Fällen" grundsätzlich zu einer Reduzierung des Ermessens führen kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn tatsächliche Umstände, die trotz der mit der Antragstellung verbundenen Geltendmachung eines entsprechenden Genugtuungs- bzw. Rehabilitationsbegehrens dafür sprechen, von dem begehrten Ausspruch abzusehen, sind hier nicht festgestellt.

70

3. Da der Beklagte aufgrund des revisionsgerichtlichen Urteils in beiden Instanzen in vollem Umfang unterlegen ist, hat er gemäß § 154 Abs. 1 und 2 VwGO die Kosten zu tragen. Eine Billigkeitsentscheidung nach der kostenrechtlichen Spezialregelung des § 201 Abs. 4 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO ist nicht zu treffen, weil dem Kläger keine geringere Entschädigung zugesprochen wird.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht Hildesheim - S 45 AS 185/07 (vormals: S 33 AS 185/07) - die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes) verletzt.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

3. Das Land Niedersachsen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer zu 1) lebt gemeinsam mit seinen drei am 5. Mai 1992, am 17. Januar 1994 und am 28. Februar 2000 geborenen Kindern, den Beschwerdeführern zu 2) bis 4), in einer laut Mietvertrag 110 qm großen Wohnung zur Miete. Für die Unterkunft ist eine monatliche Bruttokaltmiete in Höhe von 848,18 € zu entrichten.

3

Im fachgerichtlich streitigen Zeitraum von Dezember 2006 bis Mai 2007 stellte der Grundsicherungsträger ein Recht des Beschwerdeführers zu 1) auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II fest. Ein solches Recht verneinte er hinsichtlich der Beschwerdeführer zu 2) bis 4), da diese ihren Bedarf aus eigenem Einkommen decken könnten (Bescheid vom 22. November 2006; Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2007; Bescheid vom 7. Januar 2011).

4

2. Die Beschwerdeführer erhoben hiergegen am 14. Februar 2007 Klage, mit der sie die Gewährung höherer beziehungsweise überhaupt von Leistungen nach dem SGB II verfolgen. Im Wesentlichen beanstanden sie, dass hinsichtlich der Leistungen für Kosten der Unterkunft nicht von der Angemessenheit der monatlichen Bruttokaltmiete in Höhe von 848,18 € ausgegangen worden sei.

5

Nachdem die Klageerwiderung des Grundsicherungsträgers eingegangen war, verfügte das Sozialgericht am 21. März 2007 unter Hinweis auf ein vor einer anderen Kammer anhängiges Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Wiedervorlage der Akten in zwei Monaten. Am 1. Juni 2007 wurde deswegen die Wiedervorlage der Akten in drei Monaten, am 20. September 2007 in zwei Monaten und, nach Eingang eines Schreibens der Beschwerdeführer am 11. Oktober 2007, am Folgetag in drei Monaten verfügt. Noch im Oktober 2007 entschied sich das Sozialgericht nunmehr, die Ermittlungen dieser anderen Kammer in einem früher anhängigen Klageverfahren, bei dem um die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft für einen früheren Zeitraum gestritten wurde, abzuwarten. Die deswegen schließlich mit Verfügung vom 2. Juli 2008 durch das Sozialgericht angeregte Antragstellung auf Ruhen des Verfahrens lehnten die Beschwerdeführer mit am 14. Juli 2008 eingegangenem Schreiben ab. Danach beschränkte sich das Sozialgericht im Wesentlichen darauf, eingehende Schriftstücke der Verfahrensbeteiligten der jeweils anderen Seite zuzuleiten. Bei den hauptsächlich von den Beschwerdeführern ausgehenden Schreiben ging es inhaltlich im Wesentlichen darum, dass der Grundsicherungsträger bislang überhaupt keine Ermittlungen zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft angestellt habe. Ferner führten die Beschwerdeführer regelmäßig Entscheidungen des Bundessozialgerichts an, die sich mit Leistungen für Kosten der Unterkunft befassten.

6

Mit Schriftsatz vom 17. März 2010, der zwei Tage später beim Sozialgericht einging, trug der Grundsicherungsträger unter Berücksichtigung mittlerweile er-gangener Rechtsprechung des Bundessozialgerichts weiter vor und wies in diesem Zusammenhang, allerdings ohne vom Sozialgericht zuvor dazu aufgefordert worden zu sein, auf ein von ihm für das Jahr 2008 in Auftrag gegebenes Gutachten („schlüssiges Konzept“) hin, das auch für die Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft für die streitgegenständliche Zeit von Dezember 2006 bis Mai 2007 herangezogen werden könne. Hierauf erwiderten die Beschwerdeführer mit Schreiben vom 25. März 2010. Zum Zwecke der Beweiserhebung durch das Gericht benannte der Grundsicherungsträger im Schriftsatz vom 19. Mai 2010 eine der Personen, die an dem von ihm übersandten Gutachten mitgewirkt hatte. Mit Schreiben vom 11. Juni 2010 lehnten die Beschwerdeführer es ab, dass die benannte Person durch das Gericht gehört werde.

7

Auf die Anforderung der Verfahrensakten durch das Landessozialgericht verfügte das Sozialgericht am 16. Juli 2010 deren Übersendung und das Anlegen einer Restakte. Nachdem die Beschwerdeführer in einem weiteren Schreiben auf einen Bescheid vom 7. Januar 2011 eingingen, forderte das Sozialgericht den Grundsicherungsträger auf, eine Kopie hiervon zu übersenden; dem kam der Verwaltungsträger nach. Anschließend wurden keine verfahrensleitenden Verfügungen seitens des Gerichts vorgenommen. Ende April 2011 wurde die Wiedervorlage der Akten in drei Wochen verfügt. Durch Präsidiumsbeschluss des Sozialgerichts ist das Verfahren schließlich mit Wirkung ab 1. Mai 2011 von der 33. auf die 45. Kammer dieses Gerichts übertragen worden.

8

3. Mit ihrer am 27. Januar 2011 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen die ihres Erachtens verfassungswidrige bisherige Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens und beantragen überdies die Festsetzung eines zu zahlenden Ausgleichsbetrags für die Verfahrensverzögerung. Sie rügen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG.

9

Die Beschwerdeführer tragen im Wesentlichen vor, das Sozialgericht habe das Verfahren von Anfang an nicht betrieben. Die zunächst zuständige Richterin sei überhaupt nicht tätig geworden. Mit Ausnahme des Verweises auf Ermittlungen in einem anderen Verfahren und des Versuchs, das Verfahren ruhend zu stellen, sei - nach einem Richterwechsel - im Jahre 2008 und bis Mitte 2009 das Verfahren nicht nur nicht befördert worden, sondern man habe auch den Versuch unternommen, durch übermäßig lange Fristsetzungen und verspätete Weiterleitungen von Schriftsätzen, das Verfahren zu behindern. Ebenso habe der dritte zuständige Richter, nach einem Richterwechsel im August 2009, das Verfahren in keiner Weise gefördert. Der Grundsicherungsträger sei in der Zeit zwischen September 2008 und Januar 2011 seitens des Gerichts kein einziges Mal um eine Stellungnahme gebeten worden.

10

4. Das Niedersächsische Justizministerium hat am 27. Mai 2011 eine Stellungnahme abgegeben und hierin einen Grundrechtsverstoß wegen überlanger Verfahrensdauer verneint.

11

Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen vor.

II.

12

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde und eine Stattgabe durch die Kammer zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b und § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor, soweit sich die Beschwerdeführer gegen die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht wenden (Art. 19 Abs. 4 GG). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits entschieden (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet.

13

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist auch eine mögliche Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG substantiiert dargelegt worden.

14

2. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet.

15

Die Beschwerdeführer sind durch die Untätigkeit des Sozialgerichts in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Die von ihnen daneben angeführten Normen des Grundgesetzes - Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) - betreffen hingegen die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinn (vgl. BVerfGE 82, 126 <155>; 93, 99 <107>).

16

a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksam ist nur ein zeitgerechter Rechtsschutz. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>). Dies entspricht auch den Anforderungen aus Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten an Gerichtsverfahren in einem demokratischen Rechtsstaat (vgl. EGMR, Urteil vom 1. Juli 1997 - 125/1996/744/943 - Probstmeier/Deutschland, NJW 1997, S. 2809 <2810>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>; auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, NJW 2008, S. 503). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind insbesondere die Natur des Verfahrens und die auch aus grundrechtlicher Sicht zu beurteilende Bedeutung der Sache sowie die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten und insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie, sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen, zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 <335>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris).

17

b) Danach ist es verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, dass infolge der Untätigkeit des Sozialgerichts über den Abschluss des am 14. Februar 2007 eingeleiteten erstinstanzlichen Verfahrens über Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach inzwischen über vier Jahren noch keine Klarheit besteht. Insbesondere ist nicht hinnehmbar, dass das Sozialgericht das Verfahren nunmehr in einem Zeitraum von nahezu drei Jahren in keiner Weise gefördert hat.

18

aa) Zu den Rechtsangelegenheiten, die wegen ihrer Natur und ihrer Bedeutung für die Betroffenen besonders zu fördern sind, gehören Verfahren, bei denen dem Grunde oder der Höhe nach um Fürsorgeleistungen wie vorliegend die Grundsicherungsleistungen gestritten wird. Solche Leistungen dienen der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums, sind also auch aus der Sicht von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG von erheblicher Bedeutung (vgl. BVerfGE 125, 175 <222 f.>).

19

bb) Die Sachmaterie war nicht in einem Maße komplex, dass sie ein derart langes Verfahren rechtfertigen könnte.

20

(1) Ergeht während des Klageverfahrens ein neuer Verwaltungsakt, der den mit der Klage angefochtenen abändert (§ 96 Abs. 1 SGG), so kann allein hieraus nicht auf die Schwierigkeit der Sachmaterie geschlossen werden. So wurde vorliegend etwa durch den ohnehin erst am 7. Januar 2011 ergangenen und auf § 44 SGB X gestützten Verwaltungsakt, unter Zurücknahme des zunächst mit der Klage angefochtenen Verwaltungsaktes, ein Recht des Beschwerdeführers zu 1) auf höhere als bereits mit jenem Bescheid gewährte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II festgestellt. Dies kann seinen Grund auch allein darin gehabt haben, dass der Grundsicherungsträger zunächst von einem Sachverhalt ausgegangen war, der sich später als unrichtig erwiesen hat (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SGB X); und damit unabhängig davon, ob die Sachmaterie schwierig war oder nicht.

21

(2) Soweit das Justizministerium einwendet, der Gang des Verfahrens sei von rechtlich komplexen und bis zu den jeweiligen Entscheidungen des Bundessozialgerichts nicht obergerichtlich entschiedenen Fragen geprägt gewesen, so kann dem nicht gefolgt werden.

22

(aa) Die Frage, ob von dem jeweiligen Einkommen der Beschwerdeführer zu 2) bis 4) ein pauschaler Betrag in Höhe von monatlich 30 € für die Beiträge zu privaten Versicherungen abzuziehen ist, ist rechtlich nicht schwierig. Die Antwort ergibt sich unzweifelhaft aus der gesetzlichen Regelung des § 13 Nr. 3 SGB II in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I S. 1706) in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung - Alg II- V) vom 20. Oktober 2004 (BGBl I S. 2622) in der Fassung der Verordnung vom 22. August 2005 (BGBl I S. 2499). Die Frage, ob, und wenn ja, mit welchem Anteil die Kosten für die Warmwasserbereitung in der Regelleistung enthalten sind, wurde durch das Bundessozialgericht bereits in der Entscheidung vom 27. Februar 2008 (BSGE 100, 94) in den Grundzügen geklärt.

23

(bb) Die im Kern aufgeworfene Rechtsfrage, ob die den Beschwerdeführern tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft als angemessen anzusehen sind, gehört zum gängigen Geschäft eines Sozialgerichts. Sie war bereits bei Klageerhebung in den Grundzügen höchstrichterlich geklärt.

24

(α) Die Beschwerdeführer begehren im Ausgangsverfahren die Gewährung höherer als die mit den angefochtenen Verwaltungsakten festgestellten beziehungsweise überhaupt von Leistungen nach dem SGB II. Zur Begründung stützen sie sich im Wesentlichen darauf, dass die ihnen tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft entgegen der Auffassung des Grundsicherungsträgers gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II als angemessen zugrunde zu legen seien. Bei dem Begriff der „Angemessenheit“ handelt es sich um einen durch die Fachgerichte vollständig überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. BSGE 97, 203 <206>). Zwar können solche Rechtsbegriffe unter Umständen wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie so vage und ihre Konkretisierung im Nachvollzug der Verwal-tungsentscheidung so schwierig sein, dass die gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt. Im Hinblick auf die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist allerdings zu beachten, dass der 7b. Senat des Bundessozialgerichts den Begriff der Angemessenheit der Aufwendungen für eine Unterkunft im Wesentlichen in zwei Entscheidungen vom 7. November 2006 konkretisierte (vgl. BSGE 97, 231 und 254). Er orientierte sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 97, 110; 101, 194). Dem ist der später für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständig gewordene 14. Senat des Bundessozialgerichts gefolgt und hat die Angemessenheitsprüfung in einem mehrstufigen Verfahren vorgenommen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 27. Februar 2008 - B 14/7b AS 70/06 R -, ZFSH/SGB 2008, S. 422; Urteil vom 18. Juni 2008 - B 14/7b AS 44/06 R -, juris). Diesem Vorgehen hat sich der nunmehr neben dem 14. Senat ausschließlich für das Grundsicherungsrecht zuständige 4. Senat des Bundessozialgerichts angeschlossen (vgl. BSGE 102, 263).

25

Danach ist die Angemessenheitsprüfung in drei Schritten vorzunehmen, wobei in einem ersten Schritt abstrakt die angemessenen Wohnungsgrößen und Wohnungsstandards bestimmt werden, in einem zweiten Schritt festgelegt wird, auf welche konkreten räumlichen Gegebenheiten als räumlicher Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist und im dritten Schritt ermittelt wird, wie viel für eine nach Größe und Standard abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzuwenden ist. Das Bundessozialgericht vertritt dabei die sogenannte „Produkttheorie“, wonach es genügt, wenn das Produkt aus Wohnfläche (Quadratmeterzahl) und Standard (Mietpreis je Quadratmeter) eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete (Referenzmiete) ergibt (vgl. BSGE 102, 263 <265 f.>). Es ist Sache der gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Grundsicherungsträger, für die Angemessenheitsprüfung in ihrem Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln. Entscheiden sie ohne ein solches Konzept, sind sie im Rahmen der prozessualen Mitwir-kungspflicht nach § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und gegebenenfalls eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht schlüssig erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind (vgl. BSGE 104, 192 <198 f.>). Zur Amtsermittlungspflicht des Gerichts gehört dann der Versuch, vom Grundsicherungsträger die erforderlichen Daten zu erlangen und gegebenenfalls für eine Auswertung zu sorgen (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 27/09 R -, NZS 2010, S. 515 <517>). Steht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Überzeugung des Gerichts fest, dass - etwa durch Zeitablauf - keine weiteren Erkenntnisse erlangt werden können, sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R -, BSGE 104, 192 <199>) vom Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen der Hilfebedürftigen für die Unterkunft zu übernehmen, bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte in § 8 Wohngeldgesetz (WoGG) in der Fassung von Art. 25 Nr. 5a des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl I  S. 2954) beziehungsweise § 12 WoGG in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung des Sozialgesetzbuches vom 24. September 2008 (BGBl I S. 1856).

26

(β) Da es sich bei den Leistungen für Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II um solche Leistungen handelt, die einen anderen Bedarf decken sollen als denjenigen, für den die Regelleistung bestimmt ist (vgl. § 20 Abs. 1 SGB II i.d.F. vor dem 1. Januar 2011 und § 20 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SGB II i.d.F. von Art. 2 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 ), ist die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft im Ausgangsverfahren unabhängig davon zu prüfen gewesen, ob die Normen, nach denen die Höhe der Regelleistung im SGB II bestimmt wird, als verfassungswidrig eingestuft werden. Daher ist es unerheblich, dass das Bundesverfassungsgericht erst in der Entscheidung vom 9. Februar 2010 (BVerfGE 125, 175) hierzu grundlegende Ausführungen gemacht hat.

27

(γ) Ergibt sich, dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind, bedeutet das nicht, dass sie nicht trotzdem in vollem Umfang als Unterkunftsbedarf berücksichtigt werden können. Vom Sozialgericht wäre dann noch zu prüfen, ob eine Übernahme dieser den Beschwerdeführern im fachgerichtlich streitigen Zeitraum entstandenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II in Betracht kommt (BSGE 102, 263<269>).

28

cc) Die Beschwerdeführer selbst haben ebenfalls nicht maßgeblich zur Verzögerung des Verfahrens beigetragen. In ihren Schreiben führten sie regelmäßig neuere Entscheidungen des Bundessozialgerichts zu Leistungen für Kosten der Unterkunft an und gaben deren Inhalt wieder. Hierdurch war das Sozialgericht nicht daran gehindert, Ermittlungen zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft anzustellen. Es ist nicht ersichtlich, dass bei der Kammer, die das zugrunde liegende Verfahren zu bearbeiten hatte beziehungsweise hat, gleichzeitig ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anhängig war, so dass es auch deswegen nicht zu einer Verzögerung gekommen sein kann.

29

dd) Eine gerichtlich zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, etwa gerichtlicher Sachverständiger, hat nicht zu einer Verzögerung beigetragen.

30

ee) Die lange Verfahrensdauer geht vielmehr im Wesentlichen auf Versäumnisse des Gerichts zurück. Das Sozialgericht hat das Verfahren nur in unzu-reichender Weise gefördert.

31

(1) Ob bereits zu beanstanden ist, dass das Sozialgericht zunächst den Abschluss eines bei einer anderen Kammer geführten Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes und dann die weiteren Ermittlungen in einem dort früher anhängig gewordenen Klageverfahren abwarten wollte, mag dahinstehen. Dem Zuwarten könnte die nachvollziehbare Erwägung zugrunde gelegen haben, dass in diesen Verfahren Erkenntnisse gewonnen werden, die auch für das Ausgangsverfahren von Relevanz sind. Denn auch in diesen Verfahren wurde um die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft gestritten, wenn auch für frühere Zeiträume.

32

(2) Hingegen begegnet die Untätigkeit des Sozialgerichts nach der am 14. Juli 2008 eingegangenen Mitteilung der Beschwerdeführer, trotz der Ermittlungen des Gerichts in dem anderen Klageverfahren keinen Antrag auf Ruhen des Verfahrens stellen zu wollen, durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte das Gericht das Verfahren dadurch fördern müssen, dass es selbst das Notwendige veranlasst, um - zunächst - die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft bestimmen zu können. Die Aktivitäten des Gerichts erschöpften sich jedoch darin, eingehende Schriftsätze der jeweils anderen Seite zuzuleiten. Hiervon auszunehmen ist zwar die Zeit vom 19. März bis 11. Juni 2010. Denn am 19. März 2010 trug der Grundsicherungsträger, allerdings ohne vom Sozialgericht zuvor dazu aufgefordert worden zu sein, unter Berücksichtigung mittlerweile ergangener Rechtsprechung des Bundessozialgerichts weiter vor und wies in diesem Zusammenhang auf ein von ihm für das Jahr 2008 in Auftrag gegebenes Gutachten („schlüssiges Konzept“) hin, das auch für die Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft für die Zeit von Dezember 2006 bis Mai 2007 herangezogen werden könne. Das Sozialgericht hat es dann allerdings ver-säumt, nachdem die Beschwerdeführer am 11. Juni 2010 mitgeteilt hatten, der Anregung des Grundsicherungsträgers nicht näher treten zu wollen, einen der Gutachter vor dem Sozialgericht als sachverständigen Zeugen zu hören, das Ver-fahren dergestalt weiter zu fördern, dass es nun selbst Ermittlungen anstellt oder, wenn es von der Entscheidungsreife der Sache ausgeht, über das Klagebegehren zu entscheiden.

33

(3) Die Verzögerungen mögen zu einem gewissen Teil auch durch den Wechsel in der Kammerbesetzung Anfang August 2009 verursacht worden sein. Dem Staat sind solche Verzögerungen zuzurechnen, die durch eine anderweitige Organisation hätten verhindert werden können (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 -, NJW-RR 2010, S. 207 <209>). Insoweit hätte das Sozialgericht durch sein Präsidium prüfen müssen, ob es beispielsweise die Kammer mit einem oder einer erfahreneren Richter oder Richterin besetzt oder ob die Geschäftsverteilung zu ändern ist. Letzteres hat das Präsidium des Sozialgerichts auch mit Wirkung ab 1. Mai 2011 beschlossen.

34

(4) Dem Sozialgericht kommt zudem nicht zugute, dass das Landessozialgericht im Juli 2010 die Verfahrensakten angefordert hatte. Denn ob der langen Verfahrensdauer hätte es eine Zweitakte anlegen müssen.

35

(5) Auch haben die Beschwerdeführer nicht nur mit ihrem mit „Beweisantrag“ überschriebenen Schreiben vom 4. Oktober 2008 Ermittlungen des Sozialgerichts hinsichtlich der Überprüfung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft angeregt. Sie haben zudem in ihren Schreiben vom 9. Februar 2009 und 2. März 2010 sinngemäß darauf hingewiesen, dass solche Ermittlungen immer noch nicht erfolgt seien. Es ist nicht ersichtlich, warum das Gericht dem nicht hätte folgen können.

36

ff) Nach alledem ist eine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Grund-recht aus Art. 19 Abs. 4 GG festzustellen. Das Sozialgericht ist nunmehr gehalten, unverzüglich sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer möglichst raschen Entscheidung führen.

III.

37

Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die von den Beschwerdeführern erstrebte Zuerkennung einer Ausgleichszahlung kommt im Verfassungsbeschwerdeverfahren mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage nicht in Betracht (vgl. § 95 BVerfGG).

IV.

38

Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2, Abs. 3 BVerfGG.

39

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Gründe

1

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

3

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. April 2012 - 5 B 58.11 - juris Rn. 2 m.w.N.). Es bedarf auch der substantiierten Auseinandersetzung mit den Gründen bereits ergangener einschlägiger Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 2017 - 5 B 75.16 - juris Rn. 4 m.w.N.). Gemessen daran erweist sich die Beschwerde als erfolglos.

4

a) Die Revision ist nicht zur Beantwortung der von den Klägern aufgeworfenen Frage zuzulassen:

"In welchem Umfang kann die Nichtförderung eines Verfahrens mit dem Warten auf eine Entscheidung im Parallelverfahren - auch ohne förmliche Aussetzung oder [...] Ruhensbeschluss - vom Gericht gedeckt sein und in welchem Umfang hat das Gericht dies den Verfahrensbeteiligten zu erkennen zu geben [...]".

5

In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass es hinsichtlich des Merkmals der "unangemessenen Dauer" eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG bei Zugrundelegung einer objektivierenden Betrachtungsweise vertretbar ist, wenn das Ausgangsgericht das bei ihm anhängige Verfahren mit Blick auf einen parallel anhängigen Rechtsstreit, der für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens von rechtlicher Relevanz ist, zeitweise "faktisch", d.h. ohne förmliche Anordnung nach § 94 VwGO aussetzt. Dementsprechend kann etwa die mit der Bearbeitung oder Förderung eines Leitverfahrens korrespondierende Zeit der faktischen Aussetzung bei der Bewertung der angemessenen Dauer des parallel anhängigen Ausgangsverfahrens nicht zu Lasten des Staates gehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2016 - 5 C 10.15 D - juris Rn. 155 m.w.N. und Beschluss vom 2. Mai 2017 - 5 B 75.15 D - juris Rn. 8). Es kann dahinstehen, ob die hier in Rede stehende Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung schon deshalb nicht den Darlegungsanforderungen genügt, weil sich die Beschwerde mit dieser Rechtsprechung nicht auseinandersetzt. Jedenfalls ist mit der Frage eine allgemeine Bedeutung nicht ausreichend dargetan. Nach der zitierten Rechtsprechung des Senats steht fest, dass im Fall einer vertretbaren faktischen Aussetzung des Ausgangsverfahrens die Zeit der Bearbeitung oder Förderung eines "Leitverfahrens" bei der Beurteilung der angemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens nicht zu berücksichtigen ist. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalles und deshalb der grundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich. Soweit die hier interessierende Frage den "Umfang der Nichtförderung" anspricht, bezieht sie sich aber im Kern auf solche Umstände des Einzelfalles. Einer Frage ist nicht schon dadurch allgemeine Bedeutung beizumessen, dass ein den konkreten Einzelfall betreffender tatsächlicher Umstand in allgemeine Klageform gekleidet wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Oktober 2016 - 5 B 15.16 - juris Rn. 5 m.w.N.).

6

Eine grundsätzliche Bedeutung ist auch insoweit nicht ausreichend dargelegt, als die Kläger geklärt wissen möchten "in welchem Umfang" das Gericht den Verfahrensbeteiligten "zu erkennen zu geben" hat, dass das Verfahren mit Blick auf eine noch ausstehende Entscheidung in einem Parallelverfahren nicht gefördert werde. Der zitierten Rechtsprechung des Senats ist zu entnehmen, dass für die Nichtberücksichtigung der Dauer der unterlassenen Förderung eines mit Blick auf ein "Leitverfahren" faktisch ausgesetzten Verfahrens eine objektivierende Betrachtungsweise zugrunde zu legen ist. Daraus folgt hinsichtlich des Entschädigungsverfahrens auch, dass für das Entschädigungsgericht erkennbar sein muss, dass das Verfahren wegen eines Parallelverfahrens vorerst nicht gefördert wurde. Klärungsbedarf besteht insoweit also nicht.

7

Die Frage rechtfertigt auch deshalb nicht die Zulassung der Revision, weil die Kläger sich nicht mit den insoweit einschlägigen Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts in ihrer Gesamtheit auseinandersetzen. Die Vorinstanz hat die Nichtförderung des Verfahrens in dem Zeitraum von 30. April 2008 bis 25. Januar 2010 "auch vor dem Hintergrund" als gerechtfertigt angesehen, dass die Kläger ihre Klage erst nach 18 Monaten und erst auf gerichtliche Betreibensaufforderung begründeten und dass "hinzukommt", dass durch eine spezifische Förderung des klägerischen Verfahrens kein Zeitgewinn entstehen konnte. Zu diesen Erwägungen verhält sich die Beschwerde nicht.

8

b) Auch die Frage,

"Rechtfertigt die Nichtweiterverfolgung eines gestellten Akteneinsichtsgesuches und die Inaussichtstellung eines erneuten Akteneinsichtsgesuches die Nichtförderung des Verfahrens",

verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.

9

Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass bei Berücksichtigung des den Ausgangsgerichten bei der Verfahrensführung zukommenden Gestaltungsspielraums die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2016 - 5 C 10.15 D - BVerwGE 156, 229 Rn. 135 m.w.N.). Die hier in Rede stehende Frage bezieht sich auf den bei der Bewertung der Angemessenheit nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auch einzustellenden Gesichtspunkt des "Verhaltens der Verfahrensbeteiligten". Soweit das Oberverwaltungsgericht in der Ankündigung eines Akteneinsichtsantrags einen sachlichen Grund für die unterbliebene Förderung des Verfahrens gesehen hat, ist dies das Ergebnis der Bewertung eines den Einzelfall betreffenden Umstandes. Mithin bezieht sich die darauf gerichtete Frage im Kern ebenfalls auf eine einzelfallbezogene Würdigung und vermag eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht zu begründen.

10

Die Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision auch deshalb nicht, weil ihre Begründung in den in Bezug genommenen Erwägungen des angefochtenen Urteils keine Stütze findet. Entgegen der Auffassung der Kläger hat die Vorinstanz im vorliegenden Zusammenhang nicht angenommen, die Kläger hätten einer - nicht bestehenden (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2015 - 5 C 5.14 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 4 Rn. 37) - Pflicht zuwidergehandelt, aktiv (durch Aufforderungen) darauf hinzuarbeiten, dass das Gericht das Verfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss bringt. Sie hat vielmehr aus dem Umstand, dass die Kläger einen in Aussicht gestellten erneuten Akteneinsichtsantrag nicht gestellt bzw. nicht mitgeteilt haben, auf ihn zu verzichten, einen einzelfallbezogenen Schluss gezogen.

11

c) Schließlich ist die Revision auch nicht wegen der Frage zuzulassen:

"Kann und wenn ja, in welchem Umfang bzw. Ausmaß kann die Verfahrensführung im Rahmen des Entschädigungsverfahrens entscheidungserheblich für die Frage sein, ob die Wiedergutmachung auf andere Weise entsprechend § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist".

12

Den mit der Frage in Bezug genommenen Erwägungen in dem angefochtenen Urteil (UA S. 10 Absatz 2) ist deutlich zu entnehmen, dass das Gericht mit zwei selbstständig tragenden Begründungen angenommen hat, eine Entschädigung scheide nach § 198 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 GVG aus, weil die Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen sei, ausreiche. Es hat darauf abgestellt, dass die Kläger das Entschädigungsverfahren erst mehr als drei Jahre nach Abschluss des Ausgangsverfahrens wieder aufgenommen hätten. Darüber hinaus und ebenfalls eigenständig tragend hat es angenommen, die Feststellung reiche auch wegen der "dilatorischen Verfahrensführung der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren" aus. Bei einer solchen Mehrfachbegründung kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Oktober 2016 - 5 B 15.16 - juris Rn. 8 m.w.N.). Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt. Die hier in Rede stehende Frage wendet sich allein gegen die zuerst genannte Begründung, während Rügen gegen die andere selbstständig tragende Begründung nicht erhoben werden.

13

2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz zuzulassen.

14

Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung der Rechtssätze, die das betreffende Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Gemessen daran ist die Beschwerde nicht ausreichend begründet.

15

Die Kläger sind der Auffassung, das Oberverwaltungsgericht sei in mehrfacher Hinsicht insbesondere von dem in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Februar 2016 - 5 C 31.15 D - enthaltenen abstrakten Rechtssatz abgewichen, Verfahrensbeteiligte sind grundsätzlich nicht verpflichtet, aktiv darauf hinzuarbeiten, dass das Gericht das Verfahren in angemessener Zeit zum Abschluss bringt und ihnen kann mangels einer derartigen Pflicht eine diesbezügliche Passivität bei der im Rahmen der Ermittlung der angemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens erforderlichen Prüfung, ob die Verfahrensbeteiligten durch ihr Verhalten eine Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt haben, nicht angelastet werden (BVerwG, Urteil vom 29. Februar 2016 - 5 C 31.15 D - NJW 2016, 3464 Rn. 21). Ein davon abweichender abstrakter Rechtssatz ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Die Kläger beanstanden in der Sache, dass das Oberverwaltungsgericht dem zitierten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts nicht Rechnung getragen habe. Damit kann eine auf Divergenz gestützte Rüge hingegen nicht erfolgreich begründet werden.

16

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

17

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 GKG.

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an jeden der Kläger wegen überlanger Dauer des Klageverfahrens 4 K 4075/09 beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg für einen Zeitraum von 14 Monaten Entschädigung in Höhe von 1.400 €, jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. Juli 2014 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass das Verfahren im Umfang von weiteren acht Monaten verzögert war.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Tatbestand

1

I. Die Kläger begehren Entschädigung nach § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) für das seit dem 25. März 2009 anhängige und durch Urteil vom 20. Juni 2013, zugestellt am 17. Juli 2013 (Kläger) bzw. 19. Juli 2013 (Finanzamt --FA--), beendete Verfahren 4 K 4075/09 vor dem Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg.

2

Der Kläger war in dem Streitjahr des Ausgangsverfahrens 2007 zunächst angestellter Prokurist bei der X-GmbH. Deren alleinige Gesellschafterin, die Y-GmbH veräußerte mit Wirkung zum 1. März 2007 ihren Gesellschaftsanteil an der X-GmbH an die S AG. In einer Veranstaltung am … März 2007, zu der die Y-GmbH u.a. Mitarbeiter der X-GmbH eingeladen hatte, erhielten diese Schecks in unterschiedlicher Höhe, der Kläger in Höhe von 70.000 €. In einem Begleitschreiben der Y-GmbH hieß es, es handele sich um eine Schenkung, über die das zuständige Finanzamt informiert worden sei.

3

Das Schenkungsteuerfinanzamt vertrat zunächst die Auffassung, der Vorgang unterliege nicht der Schenkung-, sondern der Lohnsteuer, erließ jedoch aufgrund der Schenkungsteuererklärung des Klägers im August 2007 einen entsprechenden Bescheid über 14.904 €, der bestandskräftig wurde. Das Betriebsstättenfinanzamt der X-GmbH forderte vom Kläger im Dezember 2007 Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag für den Monat März 2007 in Höhe von 31.017 € nach. Aussetzungsanträge blieben erfolglos.

4

Das FA veranlagte die Kläger für 2007 zunächst erklärungsgemäß ohne Berücksichtigung des zugewendeten Betrags von 70.000 €, behandelte die Zuwendung aber in dem Änderungsbescheid vom 29. Juli 2008 als steuerpflichtigen Arbeitslohn. Auf Antrag des Klägers hob das Schenkungsteuerfinanzamt im August 2008 den Schenkungsteuerbescheid wegen widerstreitender Steuerfestsetzung auf und erstattete die gezahlte Schenkungsteuer. Den Einspruch der Kläger gegen die Einkommensteuerfestsetzung wies das FA zurück.

5

Am 25. März 2009 erhoben die Kläger Klage, mit der sie ihre Auffassung, es habe sich bei der Zuwendung um eine Schenkung gehandelt, weiterverfolgten.

6

Im Klageverfahren wechselten die Beteiligten zunächst kontinuierlich Schriftsätze, bis das FA mit Schriftsatz vom 25. Januar 2011 auf eine weitere Stellungnahme verzichtete. Mit Schriftsatz vom 4. April 2011 erklärten die Kläger, eine weitere Aufklärung sei vom FA leider nicht zu erwarten, und fragten an, wann mit mündlicher Verhandlung und Beweisaufnahme zu rechnen sei. Ergänzend wiesen sie darauf hin, dass bei einer Vielzahl ähnlich gelagerter Einspruchsverfahren das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden sei, bis über diesen Rechtsstreit rechtkräftig entschieden worden sei. Den Klägern wurde auf richterliche Anordnung am 2. Mai 2011 mitgeteilt, auch unter Berücksichtigung ihrer Ausführungen sei mit einer zeitnahen Terminierung nicht zu rechnen. Das FG wurde daraufhin nicht weiter tätig. Am 21. Dezember 2011 erhoben die Kläger Verzögerungsrüge.

7

Mit Schriftsatz vom 29. Juni 2012 fragte das FG bei den Beteiligten an, ob einem Ruhen des Verfahrens mit Rücksicht auf das anhängige Revisionsverfahren VI R 58/11 zugestimmt werde. Die Kläger lehnten dies am 13. Juli 2012 ab, da auf die --von demselben Bevollmächtigten vertretene-- Revision VI R 58/11 der Rechtsstreit zurückverwiesen werden müsse. Sie beantragten erneut die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung. Hierauf teilte das FG am 18. Juli 2012 den Klägern mit, es sei derzeit noch nicht absehbar, wann ein Termin zur mündlichen Verhandlung durchgeführt werden könne, das Gericht sei jedoch weiter um zügige Behandlung bemüht. Am 18. Oktober 2012 erhoben die Kläger erneut Verzögerungsrüge.

8

Am 20. November 2012 fragte das FG mit Hinweis auf ein bereits von einem anderen Senat des FG (1 K 1102/09) entschiedenes Parallelverfahren, gegen dessen Entscheidung Revision eingelegt worden war, erneut, ob einem Ruhen zugestimmt werde. Die Kläger lehnten dies am 21. November 2012 ab. Das FG wurde vorerst nicht weiter tätig. Ihre dritte Verzögerungsrüge erhoben die Kläger am 9. April 2013.

9

Am 10. Mai 2013 lud das FG zur mündlichen Verhandlung für den 20. Juni 2013 und wies in diesem Termin die Klage ab. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Bundesfinanzhof (BFH) durch Beschluss vom 6. Dezember 2013 VI B 89/13 (BFH/NV 2014, 511) als unbegründet zurückgewiesen.

10

Am 22. Juli 2014 haben die Kläger Entschädigungsklage gegen das Land Berlin erhoben. Sie rügen, die Verfahrensdauer von 51 Monaten müsse nicht hingenommen werden. Sie bewirke einen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 198 Abs. 1 GVG. Während die durchschnittliche Verfahrensdauer finanzgerichtlicher Klagen bei 17 bis 18 Monaten liege, sei das vorliegende Verfahren erst nach über 50 Monaten Verfahrensdauer beendet worden, ohne dass hierfür sachliche Gründe erkennbar seien. Ob die Bediensteten der Justiz hieran ein persönliches Verschulden treffe --wofür nichts spreche--, sei unerheblich. Es sei Angelegenheit des Beklagten, das FG personell hinreichend auszustatten.

11

Die Sache sei bereits mit Erhebung der Klage entscheidungsreif gewesen. Der Sachverhalt sei unstreitig, die Rechtsfrage habe sich auf die Frage beschränkt, ob die Zahlung der 70.000 € durch die Y-GmbH eine Schenkung oder Arbeitslohn gewesen sei. Einer kurzfristigen Anberaumung eines Termins, ggf. mit Zeugenvernehmung, habe nichts entgegengestanden. Spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2010 sei die Anberaumung der mündlichen Verhandlung angezeigt gewesen. Auf Antrag der Beteiligten ruhte das Verfahren durch Beschluss der Berichterstatterin vom 24. Oktober 2014 bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1495/14, die sich gegen das Senatsurteil vom 18. März 2014 X K 4/13 (BFH/NV 2014, 1050) richtete. Mit Beschluss vom 1. Juli 2015 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

12

Anschließend haben die Kläger ausgeführt, da davon auszugehen sei, dass der erkennende Senat an seinen Rechtsgrundsätzen zur Besonderheit und Einzigartigkeit der Finanzgerichtsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) unverändert festhalte, die er im Urteil vom 4. Juni 2014 X K 12/13 (BFHE 246, 136, BStBl II 2014, 933) aufgestellt habe, sei zumindest für einen Zeitraum von elf Monaten eine Entschädigung zuzusprechen. Das FG hätte gut zwei Jahre nach Eingang der Klage mit der Bearbeitung des Verfahrens beginnen müssen. Damit sei das Verfahren von Juli 2011 bis Juni 2012 als verzögert zu betrachten.

13

Die Kläger beantragen,
den Beklagten zu verurteilen, an jeden der Kläger wegen überlanger Dauer des zum Az. 4 K 4075/09 beim FG Berlin-Brandenburg durchgeführten Klageverfahrens eine angemessene Entschädigung, deren Höhe nach freiem Ermessen vom BFH festzusetzen ist, nach § 198 Abs. 2 GVG nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach der Vorschrift des § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
hilfsweise,
den Beklagten zu verurteilen, an jeden der Kläger wegen überlanger Dauer des zum Az. 4 K 4075/09 beim FG Berlin-Brandenburg durchgeführten Klageverfahrens eine Entschädigung in Höhe von mindestens 600 €, somit insgesamt 1.200 €, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB auf diese Entschädigung seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

14

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

15

Die Grundsätze, die der angerufene Senat in seinem Urteil in BFHE 246, 136, BStBl II 2014, 933 in einem parallel gelagerten Verfahren aufgestellt habe, könnten auch auf das hiesige Verfahren übertragen werden. Dies führe dazu, dass sich allenfalls eine Verzögerung für die Zeiträume Mai bis Oktober 2011 (sechs Monate), November 2011 bis Mai 2012 (sieben Monate), August bis Oktober 2012 (drei Monate) und Dezember 2012 bis April 2013 (fünf Monate) ergebe. Für die Wiedergutmachung reiche für die Zeiträume ab November 2011 (insgesamt 15 Monate) die Feststellung der Verzögerung ohne Zuspruch einer Entschädigung in Geld aus.

Entscheidungsgründe

16

II. Die Klage hat Erfolg. Jedem der beiden Kläger steht wegen der überlangen Dauer des Klageverfahrens 4 K 4075/09 beim FG Berlin-Brandenburg für einen Zeitraum von 14 Monaten Entschädigung in Höhe von 1.400 €, jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. Juli 2014 zu. Zudem wird festgestellt, dass das Verfahren im Umfang von weiteren acht Monaten verzögert war.

17

1. Die Entschädigungsklage ist zulässig, obwohl die Kläger die begehrte Entschädigung für die erlittenen immateriellen Nachteile in dem von ihnen formulierten Hauptantrag nicht beziffert haben. Der auf Gewährung einer angemessenen Entschädigung lautende Klageantrag ist indes jedenfalls in Verbindung mit dem weiteren Klagebegehren hinreichend bestimmt.

18

a) Nach § 65 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll die Klage einen bestimmten Antrag enthalten. Es ist daher keine zwingende Anforderung an den Inhalt einer Klage, dass der Kläger einen bestimmten Antrag stellt. Er muss aber sein Klagebegehren so deutlich zum Ausdruck bringen, dass das Ziel seiner Klage ausreichend erkennbar wird, da das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen darf. Daher ist es erforderlich, dass für das Gericht das Ziel der Klage durch eine ausreichende Bezeichnung des Streitgegenstands erkennbar wird, da anderenfalls die Klage unzulässig ist. Wie weitgehend das Klagebegehren jeweils substantiiert werden muss, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. zu dem Vorstehenden Beschluss des Großen Senats des BFH vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99, unter C.).

19

In einer Entschädigungsklage gemäß § 198 GVG muss ein Kläger, um das Erfordernis eines bestimmten Klageantrags zu erfüllen, die für die Bemessung der Höhe des Anspruchs erforderlichen Tatsachen benennen und die Größenordnung der geltend gemachten Entschädigung (etwa einen Mindestbetrag) angeben (so auch Bundesverwaltungsgericht --BVerwG--, Urteil vom 26. Februar 2015  5 C 5/14 D, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungs-Report 2015, 641, Rz 15; ähnlich auch Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. Januar 2014 III ZR 37/13, BFHZ 200, 20, Rz 56).

20

b) Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechungsgrundsätze, denen sich der erkennende Senat anschließt, ist der Klageantrag der Kläger ausreichend bestimmt.

21

Nachdem die Kläger zunächst einen Mindestbetrag für die Entschädigung beziffert hatten, haben sie ihren Klageantrag in der mündlichen Verhandlung so formuliert, dass an jeden der Kläger nach § 198 Abs. 2 GVG eine angemessene Entschädigung zu zahlen sei, deren Höhe nach freiem Ermessen vom BFH festzusetzen sei. Lediglich hilfsweise sollte eine Entschädigung jeweils in Höhe von mindestens 600 € nebst Zinsen zu zahlen sein. Dies ist ausreichend.

22

Das von den Klägern als Hilfsantrag bezeichnete Begehren enthält inhaltlich kein hilfsweises Petitum, das erst dann zum Tragen kommen soll, wenn dem Hauptantrag nicht entsprochen wird. Vielmehr bezieht sich das Begehren auf den Hauptantrag, der hierdurch modifiziert und dergestalt präzisiert wird, dass die im Ermessen des Senats liegende Entschädigungszahlung einen Mindestbetrag von jeweils 600 € nicht unterschreiten darf. Damit haben die Kläger ihren Antrag jedenfalls nach unten durch diesen Betrag begrenzt und somit ausreichend bestimmt.

23

2. Die Klage ist auch begründet.

24

Nach den Maßstäben des Senats, an denen er festhält (dazu unten a), war die Dauer des Ausgangsverfahrens im Umfang von 22 Monaten unangemessen (dazu unten b), von denen aber lediglich für einen Zeitraum von 14 Monaten Entschädigung zu zahlen ist (dazu unten c und d). Hierauf hat jeder der Kläger einen Anspruch (dazu unten e).

25

a) Der Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG setzt u.a. die unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens voraus. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Für die weiteren Grundsätze und Einzelheiten einschließlich der Aufteilung des typischen finanzgerichtlichen Verfahrens in drei Phasen nimmt der Senat auf seine Urteile vom 7. November 2013 X K 13/12 (BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, unter II.2.a bis c), in BFH/NV 2014, 1050, vom 19. März 2014 X K 3/13 (BFH/NV 2014, 1053) sowie X K 8/13 (BFHE 244, 521, BStBl II 2014, 584) und in BFHE 246, 136, BStBl II 2014, 933 Bezug.

26

Der erkennende Senat ist --trotz der Kritik der Kläger-- weiterhin der Meinung, dass seine Rechtsprechung zu derjenigen des BVerwG und des Bundessozialgerichts (BSG) nicht in Widerspruch steht. Zur näheren Begründung verweist er auf sein Urteil in BFHE 246, 136, BStBl II 2014, 933, Rz 27 f. Er sieht sich in dieser Auffassung dadurch bestätigt, dass das BVerfG die gegen das Senatsurteil in BFH/NV 2014, 1050 gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen hat.

27

Auch die von den Klägern in der mündlichen Verhandlung genannten Urteile des BSG sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) stehen der vom Senat zugrunde gelegten Vermutung nicht entgegen, wonach die Dauer des finanzgerichtlichen Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und die damit begonnene ("dritte") Phase des Verfahrensablaufs nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt (grundlegend Senatsurteil in BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, Rz 69 ff.).

28

aa) Soweit die Kläger auf das Urteil des BSG vom 3. September 2014 B 10 ÜG 2/13 R (BSGE 117, 21, Sozialrecht --SozR-- 4-1720, § 198 Nr. 3) verweisen, erkennt der angerufene Senat hierin keine Divergenz zu seiner Rechtsprechung. Das BSG legt vielmehr diese erkennbar den eigenen Erwägungen zugrunde, indem es ebenfalls Vermutungsregelungen aufstellt, die sich aber nach "der besonderen Natur sozialgerichtlicher Verfahren" richten (BSG-Urteil in BSGE 117, 21, SozR 4-1720, § 198 Nr. 3, Rz 45). Da Gegenstand der BSG-Verfahren vor allem die Gewährung von existenzsichernden Leistungen ist, sind die Aussagen des BSG zur Vorbereitungs- und Bedenkzeit des Gerichts von insgesamt zwölf Monaten, die im Übrigen nicht zu einer Gesamtverfahrensdauer von lediglich zwölf Monaten führen, vor diesem Hintergrund zu sehen. Zudem hat der erkennende Senat ebenfalls immer betont, dass die Vermutungsregel von zwei Jahren nicht gilt, wenn der Verfahrensbeteiligte rechtzeitig und in nachvollziehbarer Wiese auf Umstände hinweist, aus denen eine besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens folgt.

29

bb) Auch das Urteil des EGMR vom 2. September 2010  46344/06 (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2010, 3355) steht nicht in Widerspruch zur Senatsrechtsprechung. Die in diesem Urteil ausgesprochene Verletzung des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte (EMRK) beruhte darauf, dass das dortige Verfahren allein beim Oberverwaltungsgericht fast acht Jahre gedauert hatte. Das Verfahren hatte zudem die Verlängerung von waffenrechtlichen Erlaubnissen zum Gegenstand, die für den Kläger, der ein Personenschutzunternehmen betrieb, von besonderer Relevanz waren, worauf der EGMR insbesondere hingewiesen hat (Urteil in NJW 2010, 3355, Rz 45).

30

Die in dem Urteil ausgesprochene Verletzung des Art. 13 EMRK lag darin begründet, dass es in Deutschland bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren am 3. Dezember 2011 keinen wirksamen Rechtsbehelf gegeben hatte, mit dem Abhilfe bei überlangen zivilgerichtlichen Verfahren erlangt werden konnte.

31

b) Die Dauer des Ausgangsverfahrens war im Umfang von 22 Monaten unangemessen.

32

aa) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach Art von Regelbeispielen genannten Kriterien bietet kein eindeutiges Bild. Die Schwierigkeit des Verfahrens war jedenfalls nicht unterdurchschnittlich, während seine Bedeutung angesichts der durch die streitigen Einkünfte verursachten Steuerbelastung der Kläger verhältnismäßig hoch erscheint. Allerdings hat das klägerische Vorbringen mit seinen --unerheblichen-- Beweisantritten den Rechtsstreit für das FG komplexer erscheinen lassen als er tatsächlich war.

33

bb) Die Betrachtung des konkreten Verfahrensablaufs zeigt eine Verzögerung von insgesamt 22 Monaten.

34

(1) Die erste Phase war im Januar 2011 beendet, nachdem sowohl die Kläger in ihrem Schriftsatz vom 25. November 2010 als auch das FA im Schriftsatz vom 25. Januar 2011 davon ausgingen, die Sache sei ausgeschrieben. Das FG hätte damit spätestens zwei Jahre nach Eingang der Klage und damit im April 2011 mit der Bearbeitung des Verfahrens beginnen müssen, was jedoch nicht geschah. Erst Ende Juni 2012 fragte das FG an, ob das Ruhen des Verfahrens beantragt werde, was die Kläger im Juli 2012 ablehnten.

35

Für den Zeitraum von April 2011 bis Mai 2012 (14 Monate) ist das Verfahren daher als verzögert zu betrachten. Die Zeit, die das FG für die Anfrage selbst aufgewandt hat, ist hingegen nicht einzubeziehen, da die Anfrage als solche ohne Weiteres sachgerecht, sogar naheliegend war.

36

(2) Nachdem die Kläger das Ruhen abgelehnt hatten, hätte das FG das Verfahren weiterbetreiben müssen. Daran fehlte es, so dass das Verfahren von August 2012 bis Oktober 2012 und insoweit für drei Monate als verzögert anzusehen ist.

37

(3) Die erneute Ruhensanfrage des FG im November 2012 ist wiederum als zweckmäßige Verfahrensförderung zu betrachten, so dass der November 2012 nicht in die Zeitspanne der Verzögerung einzubeziehen ist. Auch wenn die Kläger zuvor bereits das Ruhen des Verfahrens abgelehnt hatten, war nicht auszuschließen, dass sie in Bezug auf einen anderen Rechtsstreit eine unterschiedliche Entscheidung treffen würden. Es entsprach daher den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verfahrensförderung, wenn das FG hiernach wenigstens fragte.

38

(4) Anschließend hat das FG das Verfahren allerdings von Dezember 2012 bis April 2013 und damit weitere fünf Monate nicht gefördert, bis es am 10. Mai 2013 zur zeitnahen mündlichen Verhandlung lud.

39

c) Von diesen 22 Monaten der Verzögerung ist lediglich für einen Zeitraum von 14 Monaten Entschädigung zu zahlen, während für die verbliebene Zeit von acht Monaten die Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen ist, ausreichende Wiedergutmachung ist.

40

aa) Soweit die Beteiligten auf entsprechende Anfrage des FG einem Ruhen des Verfahrens mit Rücksicht auf ein bei dem BFH anhängiges Revisionsverfahren in einer parallelen Angelegenheit zwar nicht zustimmen, wohl aber objektiv ein Grund vorliegt, ein Verfahren zum Ruhen zu bringen, und gleichzeitig für die fehlende Zustimmung keine Gründe erkennbar sind, kann vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass für die Verfahrensverzögerung in dieser Zeitspanne keine Entschädigung in Geld zu gewähren ist. Vielmehr ist nach § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG die Feststellung des Entschädigungsgerichts ausreichend, dass die Verfahrensdauer unangemessen war.

41

In dieser Konstellation ist ohnehin damit zu rechnen, dass das Verfahren wenigstens diejenige (zusätzliche) Zeitspanne in Anspruch nimmt, für die der Ruhensgrund besteht. Gleich wie das FG entscheidet, hat es im Regelfall die Revision zuzulassen, die wiederum im Regelfall auch eingelegt werden dürfte. Beide Beteiligten schweben in Ungewissheit über den Ausgang des anhängigen Revisionsverfahrens und werden sich der Möglichkeit, dass dieses Verfahrens zu ihren Gunsten ausgeht, nicht begeben. Die Verzögerung, der sie bei fehlender Zustimmung zum Ruhen in der ersten Instanz auszuweichen suchen, wird daher lediglich auf die nächste Instanz verlagert, aber nicht endgültig vermieden. Vor diesem Hintergrund ist die persönliche Betroffenheit durch die Verzögerung deutlich geringer als in einer Verfahrenssituation, in der ein solcher Ruhensgrund nicht besteht.

42

bb) So verhält es sich im Streitfall für einen Zeitraum von acht Monaten.

43

(1) Das Verfahren VI R 58/11, in dem es ebenfalls um die Konkurrenz zwischen Arbeitslohn und Schenkung ging, war ein Parallelfall, der die Verfahrensruhe vom Zeitpunkt der Anfrage des FG im Juni 2012 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des BFH vom 28. Februar 2013 bzw. der darauffolgenden Veröffentlichung gerechtfertigt hätte.

44

Bei dem Revisionsverfahren VI R 57/12 (Vorinstanz FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 1. August 2012  1 K 1102/09, Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 118), auf das sich die zweite Ruhensanfrage bezog, handelte es sich um ein Parallelverfahren, das ebenso wie ein weiteres parallel gelagertes Revisionsverfahren mit Urteilen vom 7. August 2014 VI R 57/12 (BFH/NV 2015, 181) und VI R 58/12 (BFH/NV 2015, 184) entschieden wurde. Das Revisionsverfahren VI R 57/12 hätte damit die Verfahrensruhe bis zur Beendigung des Ausgangsverfahrens gerechtfertigt.

45

Damit war in dem gesamten Zeitraum seit der ersten Ruhensanfrage im Juni 2012 bis zur Entscheidung über die Klage ein Ruhensgrund vorhanden. Dies betrifft die Verzögerungszeiten von August 2012 bis Oktober 2012 sowie vom Dezember 2012 bis April 2013 (s. oben II.2.b bb (2) und (4)) und damit einen Zeitraum von insgesamt acht Monaten.

46

cc) Umstände, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.

47

d) Für die entschädigungspflichtige Zeitspanne von April 2011 bis Mai 2012 sind in Bezug auf die Höhe der Entschädigung Besonderheiten weder erkennbar noch vorgetragen worden, so dass insoweit eine Entschädigung in Geld nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG zu gewähren ist, die für 14 Monate Verzögerung 1.400 € beträgt.

48

e) Diese Entschädigung ist jedem der Kläger zu zahlen. Der Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils ist ein personenbezogener Anspruch. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Er ist als ein Jedermann-Recht konzipiert und steht in Fällen einer subjektiven Klagehäufung jeder am Gerichtsverfahren beteiligten Person einzeln zu (so auch Senatsurteil in BFHE 246, 136, BStBl II 2014, 933, Rz 47).

49

f) Der Anspruch auf Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit der Entschädigungsklage (§ 66 FGO) folgt aus § 291 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Zur näheren Begründung verweist der erkennende Senat auf sein Urteil in BFHE 244, 521, BStBl II 2014, 584, unter II.4.a).

50

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO i.V.m. § 201 Abs. 4 GVG.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben; die §§ 184 bis 195 finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung sind entsprechend anzuwenden. Wird die Klage zurückgenommen, findet § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung keine Anwendung.

(2) Dem Beigeladenen werden die Kosten außer in den Fällen des § 154 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung auch auferlegt, soweit er verurteilt wird (§ 75 Abs. 5). Ist eine der in § 183 genannten Personen beigeladen, können dieser Kosten nur unter den Voraussetzungen von § 192 auferlegt werden. Aufwendungen des Beigeladenen werden unter den Voraussetzungen des § 191 vergütet; sie gehören nicht zu den Gerichtskosten.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, soweit sie an Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Trägern beteiligt sind.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben; die §§ 184 bis 195 finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung sind entsprechend anzuwenden. Wird die Klage zurückgenommen, findet § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung keine Anwendung.

(2) Dem Beigeladenen werden die Kosten außer in den Fällen des § 154 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung auch auferlegt, soweit er verurteilt wird (§ 75 Abs. 5). Ist eine der in § 183 genannten Personen beigeladen, können dieser Kosten nur unter den Voraussetzungen von § 192 auferlegt werden. Aufwendungen des Beigeladenen werden unter den Voraussetzungen des § 191 vergütet; sie gehören nicht zu den Gerichtskosten.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, soweit sie an Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Trägern beteiligt sind.