Landessozialgericht Baden-Württemberg Beschluss, 05. Juni 2018 - L 7 AS 178/16

bei uns veröffentlicht am05.06.2018

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch im Berufungsverfahren zu erstatten.

Gründe

 
I.
Umstritten ist ein Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten nach § 34 Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).
Der 1979 geborene, ledige Kläger war bis Februar 2014 versicherungspflichtig beschäftigt und seit dem 1. März 2014 arbeitslos. Die Agentur für Arbeit… bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 1. März 2014 bis zum 30. Oktober 2014 Arbeitslosengeld mit einem täglichen Leistungsbetrag in Höhe von 23,00 EUR nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung - (SGB III). Durch Bescheid vom 11. August 2014 stellte die Agentur für Arbeit ... fest, dass eine Sperrzeit von zwei Wochen eingetreten und sein Anspruch auf Arbeitslosengeld erloschen ist, und hob die Entscheidung über Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 22. Juli 2014 auf.
Bereits am 28. Juli 2014 hatte der Kläger bei dem Beklagten vorgesprochen und geltend gemacht, sein Anspruch auf Arbeitslosengeld sei wegen des Eintritts einer Sperrzeit erloschen. Er beantragte bei dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Er gab an, seit der Einstellung der Arbeitslosengeldzahlungen im Mai 2014 und dem endgültigen Ende des Anspruchs auf Arbeitslosengeld im Juli 2014 habe er von seinem Ersparten gelebt und kein sonstiges Einkommen erzielt.
Durch Bescheid vom 23. September 2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli 2014 bis zum 31. Dezember 2014 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 607,23 EUR (Juli 2014), 529,03 EUR (August und September 2014), 564,22 EUR (Oktober 2014) und 646,33 EUR (November und Dezember 2014) und berücksichtigte dabei den Regelsatz in Höhe von monatlich 391,00 EUR sowie Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von 255,33 EUR (tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung monatlich 295,00 EUR) und setzte Minderungsbeträge auf Grund von Sanktionen in Höhe von monatlich 39,10 EUR (Juli 2014), 117,30 EUR (August und September 2014) und 82,11 EUR (Oktober 2014) ab. Mit Bescheid vom 24. September 2014 stellte der Beklagte für die Zeit vom 22. Juli 2014 bis zum 21. Oktober 2014 eine Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II um 30 % des maßgebenden Regelbedarfs in Höhe von monatlich 117,30 EUR fest, weil der Kläger seine Hilfebedürftigkeit grob fahrlässig herbeigeführt habe, da der Anspruch auf Arbeitslosengeld auf Grund von insgesamt 21 Wochen Sperrzeit erloschen sei (unter Hinweis auf § 31 Abs. 4 Nr. 3a SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung). Mit Schreiben vom 24. September 2014 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass dieser seine Hilfebedürftigkeit selbst herbeigeführt habe und er daher die Leistungen nach dem SGB II einschließlich der Beiträge zur Sozialversicherung nach § 34 Abs. 1 SGB II zu erstatten habe. Er gab dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme.
Nachdem der Kläger am 24. September 2014 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen und im Oktober 2014 aus dieser Beschäftigung sein erstes Arbeitsentgelt bezogen hatte, hob der Beklagte durch Bescheid vom 4. Dezember 2014 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom 1. November 2014 bis zum 30. November 2014 ganz auf. Wegen des im Oktober 2014 zugeflossenen Erwerbseinkommens hob er außerdem durch Bescheid vom 5. Januar 2015 die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. Oktober 2014 bis zum 31. Oktober 2014 teilweise in Höhe von 148,82 EUR auf und forderte die Erstattung dieses Betrages. Mit diesen Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden erklärte sich der Kläger einverstanden.
Zum Schreiben des Beklagten vom 24. September 2014 nahm der Kläger mit Schreiben vom 22. Oktober 2014 dahingehend Stellung, dass er bei seiner Vorsprache im September 2014 das ganze Thema angesprochen und gefragt habe, ob er mit Sanktionen zu rechnen habe. Ihm sei vermittelt worden, dass er sich keine Sorgen machen müsse. Er habe weder grob fahrlässig noch vorsätzlich seine Hilfebedürftigkeit herbeigeführt. Im Februar 2014 sei er unverschuldet aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung arbeitslos geworden. Im März 2014 habe er mit einem Mitarbeiter der Agentur für Arbeit seine Situation besprochen und diesem mitgeteilt, dass er sich drei bis vier Monate - entsprechend seinem Studienabschluss - gezielt auf Stellen als Wirtschaftsingenieur, speziell im Telekommunikationsbereich, bewerben werde. Dies habe zur Folge gehabt, dass er die in der Eingliederungsvereinbarung festgehaltenen zwölf Bewerbungen in jeweils zwei Wochen nicht geschafft habe. Dass dadurch jeweils zweiwöchige Sperrzeiten entstanden seien, habe er in Kauf genommen und von seinem Ersparten gelebt. Dass es zu einer Sperrzeit von 21 Wochen und somit zum Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosengeld gekommen sei, habe einen anderen Hintergrund. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass es einerseits unverbindliche, andererseits verbindliche Vermittlungsvorschläge gebe. Er habe sich auf drei verbindliche Vermittlungsvorschläge nicht beworben. Daraus hätten Sperrzeiten in Höhe von drei, sechs und zwölf Wochen resultiert, wobei ihm nicht bekannt gewesen sei, dass sich diese Sperrzeiten aufaddierten. Dies sei ihm erst im Juli 2014 mitgeteilt worden. Er habe sich um Arbeit bemüht mit der Folge, dass er seit Ende September 2014 wieder in Arbeit sei. Er werde selbstverständlich das erhaltene Arbeitslosengeld II für Oktober 2014 und auch einen Teil des September 2014 zurückerstatten. Da er einen Fehler gemacht habe, sehe er auch ein, dass er eine Sanktion über 30 % erhalte. Jedoch fehle ihm jedes Verständnis dafür, dass ihm sozialwidriges Verhalten, gepaart mit grober Fahrlässigkeit und Absicht, unterstellt werde.
Durch Bescheid vom 4. Dezember 2014 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass dieser die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zumindest grob fahrlässig herbeigeführt habe und er deshalb zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet sei. Durch Bescheid vom 5. Januar 2015 stellte der Beklagte sodann fest, dass der Kläger zum Ersatz der für die Zeit vom 1. Juli 2014 bis zum 31. Oktober 2014 gezahlten Leistungen nach dem SGB II in Höhe von insgesamt 2.731,33 EUR verpflichtet sei. Nach den vorliegenden Unterlagen habe der Kläger seine Bedürftigkeit herbeigeführt, indem er durch sein Verhalten die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit nach dem SGB III erfüllt habe mit der Folge, dass sein Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhe oder erloschen sei. Er habe dabei zumindest grob fahrlässig gehandelt, weil er insgesamt 21 Wochen Sperrzeit erhalten habe, was zum Erlöschen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld geführt habe. Gegen diesen Bescheid vom 5. Januar 2015 legte der Kläger Widerspruch ein (Schreiben vom 4. Februar 2015 und vom 9. März 2015; vgl. ferner Schreiben vom 21. Dezember 2014) und berief sich auf „den Vertrauenstatbestand“ nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). Er merkte an, dass er zur Rückzahlung der Leistungen, die er verbraucht habe, gar nicht im Stande wäre, über kein Vermögen verfüge und seine aktuellen Einkommensverhältnisse nur sehr wenig Spielraum zuließen.
Der Beklagte nahm im Widerspruchsverfahren einen Ausdruck aus dem Vermittlungs-, Beratungs- und Informationssystem der Bundesagentur für Arbeit (VerBIS) zu den Akten, wonach der Kläger in der Zeit vom 1. März 2014 bis zum 18. April 2014 Arbeitslosengeld bezogen und für die Zeit vom 29. April 2014 bis zum 19. Mai 2014 eine Sperrzeit bei Arbeitsablehnung nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III, für die Zeit vom 20. Mai 2014 bis zum 2. Juni 2014 eine Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühungen nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III, für die Zeit vom 3. Juni 2014 bis zum 14. Juli 2014 eine Sperrzeit bei Arbeitsablehnung nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III, für die Zeit vom 15. Juli 2014 bis zum 28. Juli 2014 eine Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühungen nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III, für die Zeit vom 29. Juli 2014 bis zum 11. August 2014 eine Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühungen nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III, für die Zeit vom 12. August 2014 bis zum 25. August 2014 eine Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühungen nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III, für die Zeit vom 26. August 2014 bis zum 8. September 2014 eine Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühungen nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III, für die Zeit vom 9. September 2014 bis zum 15. September 2014 eine Sperrzeit bei Meldeversäumnis nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB III sowie für die Zeit vom 16. September 2014 bis zum 29. September 2014 eine Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühungen nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III festgestellt worden sei. Weiterhin hat er den Bescheid der Agentur für Arbeit ... vom 10. März 2014 über die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 1. März 2014 mit einer Anspruchsdauer von 240 Kalendertagen und einem täglichen Leistungsbetrag von 23,00 EUR zu den Akten genommen. Mit Änderungsbescheid vom 17. März 2015 setzte der Beklagte den Erstattungsbetrag für die Zeit vom 1. Juli 2014 bis zum 23. September 2014 auf 2.085,28 EUR fest. Anschließend wies er durch Widerspruchsbescheid vom 19. März 2015 den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Nachdem die Agentur für Arbeit den Eintritt mehrerer Sperrzeiten festgestellt habe und der Anspruch auf Arbeitslosengeld ab 22. Juli 2014 endgültig erloschen sei, habe der Kläger zumindest grob fahrlässig seine Hilfebedürftigkeit verursacht. Der Kläger sei seinen Pflichten gegenüber der Bundesagentur für Arbeit nicht nachgekommen. Aus den Unterlagen ergebe sich, dass er darüber belehrt worden sei, welche Rechtsfolgen eintreten würden, sollte er diesen Verpflichtungen nicht nachkommen. Es sei dem Kläger klar gewesen, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhe bzw. sogar ganz erlösche, sollte er Anlass zum Eintritt einer Sperrzeit nach § 159 SGB III geben.
Dagegen hat der Kläger am 20. April 2015 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass er mit dem Vermittler der Bundesagentur für Arbeit besprochen habe, dass er zunächst drei bis vier Monate selbst versuchen solle, eine Arbeitsstelle zu finden, und zwar in seinem erlernten Beruf als Wirtschaftsingenieur. Trotz dieser Absprache habe der Vermittler ihm - dem Kläger - Vermittlungsvorschläge für Stellen in Call-Centern übersandt, auf die er sich aufgrund der Absprache mit dem Vermittler nicht beworben habe. Obwohl er den Beklagten von Anfang an über diesen Sachverhalt informiert habe, habe der Beklagte ihm Leistungen bewilligt. Er habe nicht grob fahrlässig gehandelt, da er mit seinem Vermittler bei der Agentur für Arbeit besprochen habe, dass es für die langfristige Stabilisierung auf dem Arbeitsmarkt sinnvoll sei, dass er eine Stelle in seinem Ausbildungsberuf Wirtschaftsingenieur finde und sich hierum intensiv bemühe, anstatt wieder eine Stelle in einem Call-Center anzunehmen.
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Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Zum Eintritt der Sperrzeiten bei der Agentur für Arbeit könne keine Stellung genommen werden. Offensichtlich seien die Sperrzeitbescheide bestandskräftig. Soweit für den Beklagten erkennbar, seien Sperrzeiten überwiegend wegen unzureichenden Eigenbemühungen eingetreten.
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Das SG hat die Akten der Akten der Agentur für Arbeit Rastatt beigezogen und durch Urteil vom 14. Dezember 2015 den Bescheid des Beklagten vom 5. Januar 2015 in der Fassung des Bescheids vom 17. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. März 2015 aufgehoben. Dem Kläger sei kein sozialwidriges Verhalten, welches seine Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II herbeigeführt habe, vorzuwerfen. Die Bundesagentur für Arbeit habe zu Unrecht das ihm bewilligte Arbeitslosengeld ab dem 22. Juli 2014 aufgehoben. Der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld sei nicht gemäß § 161 Abs. 1 Nr. 2 SGB III erloschen. Die gegenüber dem Kläger von Seiten der Bundesagentur für Arbeit festgestellten Sperrzeiten erreichten zwar eine Dauer von insgesamt 21 Wochen. Diese Sperrzeiten seien jedoch teilweise zu Unrecht festgestellt. Der Beklagte könne sich nicht auf die Bestandskraft der gegenüber dem Kläger ergangenen Sperrzeitbescheide berufen. Eine Bindung an die Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit müsste gesetzlich ausreichend normiert sein. Allein das Nichteinlegen von Rechtsbehelfen gegen die teilweise zu Unrecht festgestellten Sperrzeiten begründe nicht den Vorwurf sozialwidrigen Verhaltens (Hinweis auf Bayerisches Landessozialgericht , Urteil vom 21. März 2012 - L 16 AS 616/10 - Rdnr. 39). Die Bescheide der Bundesagentur für Arbeit über den Eintritt von Sperrzeiten für die Zeit vom 13. Mai 2014 bis zum 26. Mai 2014, 28. Mai 2014 bis zum 10. Juni 2014, 11. Juni 2014 bis zum 24. Juni 2014, 1. Juli 2014 bis zum 14. Juli 2014, 15. Juli 2014 bis zum 28. Juli 2014, 29. Juli 2014 bis zum 11. August 2014, 26. August 2014 bis zum 8. September 2014 und 12. August 2014 bis zum 25. August 2014 wegen fehlender Nachweise von Eigenbemühungen zur Beendigung seiner Arbeitslosigkeit (Bescheide vom 18. Juni 2014, 23. Juni 2014 und 11. August 2014) seien rechtswidrig. Zu Unrecht habe die Bundesagentur für Arbeit des Weiteren durch Bescheid vom 11. August 2014 gegenüber dem Kläger den Eintritt einer Sperrzeit für die Dauer von sechs Wochen wegen des Nichtbewerbens auf einen Vermittlungsvorschlag festgestellt, da die beigefügte Rechtsfolgenbelehrung unzureichend gewesen sei.
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Gegen das dem Beklagten am 22. Dezember 2015 zugestellte Urteil wendet sich dieser mit seiner am 14. Januar 2016 beim LSG Baden-Württemberg eingelegten Berufung. Durch die Agentur für Arbeit seien mehrere Sperrzeiten festgestellt worden: 29. April 2014 bis zum 19. Mai 2014 drei Wochen Nichtbewerbung Vermittlungsvorschlag Firma B.; 20. Mai 2014 bis zum 2. Juni 2014 zwei Wochen fehlende Eigenbemühungen zum 12. Mai 2014, 3. Juni 2014 bis zum 14. Juli 2014 sechs Wochen Nichtbewerbung Firma T. AG, 15. Juli 2014 bis zum 28. Juli 2014 zwei Wochen fehlende Eigenbemühungen zum 27. Mai 2014, 29. Juli 2014 bis zum 11. August 2014 zwei Wochen fehlende Eigenbemühungen zum 10. Juni 2014, 12. August 2014 bis zum 25. August 2014 zwei Wochen fehlende Eigenbemühungen zum 23. Juni 2014, 26. August 2014 bis zum 8. September 2014 zwei Wochen fehlende Eigenbemühungen zum 7. Juli 2014, 9. September 2014 bis zum 15. September 2014 eine Woche Meldeversäumnis zum 14. Juli 2014, 16. September 2014 bis zum 29. September 2014 zwei Wochen fehlende Eigenbemühungen zum 21. Juli 2014. Unter Vorlage der von der Agentur für Arbeit ... am 24. April 2014 erstellten Eingliederungsvereinbarung hat der Beklagte weiter ausgeführt, dass diese den Vorgaben des SGB III entspreche. Auch die Rechtsfolgenbelehrung des Vermittlungsvorschlages der Agentur für Arbeit ... für die Firma T. AG entspreche den Regelungen des SGB III. Die Agentur für Arbeit habe zu Recht das Erlöschen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld festgestellt. Der Beklagte hat verschiedene VerBIS-Ausdrucke vorgelegt.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. Dezember 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
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Der Kläger verweist zur Begründung auf das Urteil des SG.
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Der Berichterstatter hat den Beklagten durch Verfügung vom 15. Dezember 2016 darauf hingewiesen, dass weder ersichtlich noch den angefochtenen Bescheiden zu entnehmen sei, auf welchen konkreten Sachverhalt der Beklagte den streitigen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II stützten möchte. Der Beklagte habe offensichtlich ohne hinreichende Ermittlungen und ohne Auswertung der vollständigen Verwaltungsakten der Bundesagentur für Arbeit einen Ersatzanspruch angenommen. Auf welchen konkreten Sachverhalt er diesen stützen möchte, sei nicht im Anhörungsschreiben vom 24. September 2014 und in den Bescheiden vom 5. Januar 2015 und 17. März 2015 umrissen. Im Widerspruchsbescheid vom 19. März 2015 werde lediglich pauschal auf das Erlöschen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld zum 23. Juli 2014 Bezug genommen. Der Verweis auf bestandskräftige Entscheidungen der Bundesagentur für Arbeit dürfte zu kurz greifen.
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Der Beklagte hat insbesondere auf eine Bindung an die Entscheidungen der Agentur für Arbeit ... verwiesen (Schreiben vom 9. März 2017).
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Der Berichterstatter hat die Beteiligten durch Verfügung vom 26. April 2018 darauf hingewiesen, dass das LSG die Berufung durch Beschluss zurückweisen kann, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz), und beabsichtigt sei, entsprechend zu verfahren. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und den Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.
II.
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Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.
23 
1. Der Senat hat über die Berufung gegen das Urteil des SG vom 14. Dezember 2015 ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden können, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 SGG). Der Beklagte hat keine Gründe vorgebracht, die eine mündliche Verhandlung notwendig erscheinen lassen, zumal das SG am 14. Dezember 2015 eine mündliche Verhandlung und der Berichterstatter am 31. März 2017 einen Erörterungstermin durchgeführt haben und der Beklage in diesem Rahmen jeweils die Möglichkeit hatte, sich zu äußern.
24 
2. Die gem. § 143 SGG statthafte und gem. § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG, denn die Klage betrifft einen Ersatzanspruch in Höhe von 2.085,28 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).
25 
3. Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das SG hat in der Sache zu Recht den Bescheid vom 5. Januar 2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 17. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. März 2015 aufgehoben.
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a. Gegenstand des Rechtsstreits bildet der Bescheid vom 5. Januar 2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 17. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. März 2015, mit dem der Beklagte gegenüber dem Kläger hinsichtlich der für die Zeit vom 1. Juli 2014 bis zum 23. September 2014 erbrachten Leistungen nach dem SGB II einen Ersatzanspruch in Höhe von 2.085,28 EUR festgesetzt hat. Dieser Bescheid hat, unabhängig von der Frage, ob der Beklagte zum Erlass eines Feststellungsbescheids überhaupt ermächtigt gewesen ist (verneinend Sozialgericht Augsburg, Urteil vom 20. November 2017 - S 8 AS 1095/17 - juris Rdnrn. 24 ff.; Sozialgericht Oldenburg, Urteil vom 14. September 2016 - S 47 AS 422/14 - juris Rdnrn. 24 ff.; vgl. ferner Bundessozialgericht , Urteil vom 16. April 2013 - B 14 AS 55/12 R - juris Rdnr. 12 zur Befugnis zum Erlass eines sog. Leistungsbescheids), den Feststellungsbescheid vom 4. Dezember 2014 ersetzt und den Rechtsweg insofern neu eröffnet (sog. Zweitbescheid; vgl. dazu z.B. nur BSG, Urteil vom 7. April 2016 - B 5 R 26/15 R - juris Rdnr. 21), da er ohne Bezugnahme auf den zuvor erlassenen Bescheid vom 4. Dezember 2014 in dem Bescheid vom 5. Januar 2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 17. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. März 2015 über den festgesetzten Erstattungsanspruch nunmehr sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach entschieden hat. Dagegen wendet sich der Kläger mit der isolierten Anfechtungsklage.
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b. Das SG hat der Anfechtungsklage im Ergebnis zu Recht stattgegeben und den Bescheid vom 5. Januar 2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 17. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. März 2015 aufgehoben. Denn dieser belastende Verwaltungsakt war im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2015 rechtwidrig und hat den Kläger in seinen Rechten verletzt.
28 
aa. Als Rechtsgrundlage für den vom Beklagten festgesetzten Ersatzanspruch kommt § 34 SGB II in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung in Betracht (BSG, Urteil vom 8. Februar 2017 - B 14 AS 3/16 R - juris Rdnrn. 14 f.). Dieser lautet:
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„(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Von der Geltendmachung des Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.
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(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.
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(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.“
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Nach der Rechtsprechung des BSG führt nicht jedes verwerfliche Verhalten, das eine Hilfebedürftigkeit oder Leistungserbringung nach dem SGB II verursacht, zur Erstattungspflicht nach § 34 SGB II (Urteil vom 2. November 2012 - B 4 AS 39/12 R - BSGE 112, 135 - juris Rdnr.16). Erfasst wird nur ein Verhalten mit spezifischem Bezug, d.h. "innerem Zusammenhang", zur Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit bzw. Leistungserbringung (BSG, Urteil vom 2. November 2012, a.a.O. Rdnr. 15). § 34 SGB XII stellt einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand dar (BSG, Urteil vom 2. November 2012, a.a.O. Rdnr. 17) und normiert eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit zu leisten sind. Dieser Grundsatz darf nicht durch eine weitreichende und nicht nur auf begründete und eng zu fassende Ausnahmefälle begrenzte Ersatzpflicht der Leistungsberechtigten konterkariert werden (BSG, Urteil vom 8. Februar 2017, a.a.O. Rdnr. 25; Urteil vom 16. April 2013, a.a.O. Rdnr. 18; Urteil vom 2. November 2012, a.a.O. Rdnr. 19; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. Juni 2017 - L 19 AS 822/16 - juris Rdnr. 33). Der - mit einer höheren Belastung verbundene - Ersatzanspruch nach § 34 Abs. 1 SGB II setzt nicht nur ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten voraus, vielmehr muss das konkret vorgeworfene Verhalten nach den Wertungen des SGB II sozialwidrig sein, was nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist (BSG, Urteil vom 2. November 2012, a.a.O. Rdnr. 21; Bayerisches LSG, Urteil vom 21. März 2012 - L 16 AS 616/10 - juris Rdnr. 34; Silbermann in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 34 Rdnr. 27). Es muss ein spezifischer Bezug zwischen dem Verhalten und dem Erfolg bestehen, um das Verhalten selbst als "sozialwidrig" bewerten zu können. Die Sozialwidrigkeit des Verhaltens ist deshalb auch nicht erst eine Frage des Nichtvorliegens eines wichtigen Grundes im Einzelfall (BSG, Urteil vom 16. April 2013, a.a.O. Rdnr. 18; Silbermann, a.a.O. Rdnr. 26). Das BSG hat das Tatbestandsmerkmal des "sozialwidrigen Verhaltens" dahingehend umschrieben, dass nur ein Verhalten umfasst wird und damit sozialwidrig ist, das (1) in seiner Handlungstendenz auf die Einschränkung bzw. den Wegfall der Erwerbsfähigkeit oder der Erwerbsmöglichkeit oder (2) die Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit bzw. der Leistungserbringung gerichtet war bzw. hiermit in "innerem Zusammenhang" stand oder (3) ein spezifischer Bezug zu anderen nach den Wertungen des SGB II zu missbilligenden Verhaltensweisen bestand (BSG, Urteil vom 16. April 2013, a.a.O. Rdnr. 20; Urteil vom 2. November 2012, a.a.O. Rdnr. 20). Entgegen den Grundsätzen des SGB II und damit sozialwidrig verhält sich der Betroffene, wenn es ihm aus eigener Kraft möglich gewesen wäre, die Hilfebedürftigkeit i.S. des §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 9 Abs. 1 SGB II abzuwenden und sein Verhalten diesen Möglichkeiten zuwiderläuft. Diesem Verständnis von sozialwidrigem Verhalten entsprechen u.a. die in § 31 SGB II genannten Tatbestände, die zur Absenkung bzw. zum Wegfall des Arbeitslosengeldes II führen. In den dort genannten Fallgruppen drückt sich aus, welches Verhalten als dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zuwiderlaufend angesehen wird und damit sozialwidrig ist (BSG, Urteil vom 16. April 2013, a.a.O. Rdnr. 22). Dabei ist die Anwendbarkeit des § 34 SGB II nicht dadurch ausgeschlossen, dass der SGB II-Träger wegen des dem Ersatzanspruch zugrunde liegenden Lebenssachverhalts bereits auf Grundlage des § 31 SGB II eine Pflichtverletzung festgestellt und das Arbeitslosengeld II gemindert hat (BSG, Urteil vom 8. Februar 2017 - B 14 AS 3/16 R - juris Rdnr. 18). Ein Verhalten, das die Voraussetzungen für die Minderung eines Leistungsanspruchs nach § 31 SGB II erfüllt, kann, muss aber nicht ein sozialwidriges Verhalten i.S. des § 34 SGB II darstellen.
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bb. Die dargestellten Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch lassen sich nicht dem Bescheid vom 5. Januar 2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 17. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. März 2015 entnehmen. Der Beklagte hat in dem Bescheid vom 4. Dezember 2014 auf den Eintritt einer Sperrzeit nach den Vorschriften des SGB III und das Ruhen bzw. Erlöschen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld verwiesen und in der Sache die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 Nr. 3 SGB II wiederholt. Ein konkretes Verhalten des Klägers hat er nicht beschrieben. Auch seinen Bescheid vom 5. Januar 2015 hat er mit im Wesentlichen vergleichbaren Gründen versehen. Auch dort wird in der Sache lediglich auf die Feststellung einer Sperrzeit und des Erlöschens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld durch den SGB III-Träger verwiesen. Durch Änderungsbescheid vom 17. März 2015 hat der Beklagte lediglich die Höhe der Ersatzforderung reduziert. Im Widerspruchsbescheid vom 19. März 2015 hat der Beklagte auf seinen Minderungsbescheid vom 24. September 2014 sowie das von der Agentur für Arbeit ... festgestellte Erlöschen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen des Eintritts von Sperrzeiten nach dem SGB III mit einer Gesamtdauer von mindestens 21 Wochen verwiesen und ergänzend ausgeführt, dass der Kläger grob fahrlässig seinen Pflichten gegenüber der Bundesagentur für Arbeit nicht nachgekommen sei. Ein ansatzweise umrissenes konkretes Verhalten des Klägers, das er - der Beklagte - als sozialwidrig werten will, hat er nicht aufgeführt. Dies war ihm auch schon deshalb nicht möglich, weil er sich damit begnügt hat, die Bescheide der Agentur für Arbeit ... vom 10. März 2014 und 11. August 2014 sowie VerBIS-Vermerke der Agentur für Arbeit ... über Beginn, Dauer und Rechtsgrundlage der von der Agentur festgestellten Sperrzeiten beizuziehen. Wie sich das Sozialrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Agentur für Arbeit ... konkret entwickelt und wie sich der Kläger in diesem Rahmen im Einzelnen verhalten hat, hat der Beklagte weder ermittelt noch festgestellt. Vor diesem Hintergrund war er von vornherein nicht in der Lage, ein konkretes Verhalten des Klägers in dem angefochtenen Bescheid zu benennen und als sozialwidrig zu bewerten. Mithin hat der Beklagte dem Kläger in der Sache lediglich die durch Bescheid der Agentur für Arbeit ... vom 11. August 2014 getroffene Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit von zwei Wochen und des Erlöschens seines Anspruchs auf Arbeitslosengeld sowie die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld zum 22. Juli 2014 entgegengehalten. Diese Begründung trägt jedoch nicht den durch den Beklagten verfügten Ersatzanspruch nach § 34 SGB II.
34 
Zunächst begründet der auf § 31 Abs. 2 Nr. 3 SGB II gestützte Minderungsbescheid vom 24. September 2014 kein sozialwidriges Verhalten. Zwar schließt ein Sanktionsbescheid nach §§ 31 ff. SGB II eine an dasselbe Verhalten anknüpfende Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nach § 34 SGB II nicht aus, jedoch unterscheiden sich die Regelungen der §§ 31 ff. SGB II einerseits und § 34 SGB II andererseits nach Systematik, Sinn und Zweck; sie stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis nur insoweit, als Leistungsminderungen nach §§ 31 ff. SGB II einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II mindern, weil dieser nur die tatsächlich gezahlten Leistungen erfasst (BSG, Urteil vom 8. Februar 2017, a.a.O. Rdnr. 18). Der Sanktionsbescheid des Beklagten vom 24. September 2014 führt also lediglich dazu, dass der Kläger von vornherein ein gemindertes Arbeitslosengeld II bezogen hat und der Minderungsbetrag nicht der Erstattung nach § 34 SGB II unterliegen kann. Weiterhin begründet allein der Umstand, dass die Agentur für Arbeit ... durch Bescheid vom 11. August 2014 das Erlöschen des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld wegen des Eintritts einer (weiteren) Sperrzeit zum 22. Juli 2014 festgestellt und die Bewilligung von Arbeitslosengeld zum 22. Juli 2014 aufgehoben hat, kein sozialwidriges Verhalten. Diese Entscheidung der Agentur für Arbeit entfaltet keine Feststellungswirkung (so im Ergebnis LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. April 2013 - L 19 AS 1303/12 - juris; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26. Juni 2012 - L 3 AS 159/12 - juris; Sozialgericht Braunschweig, Urteil vom 23. November 2016 - S 52 AS 456/16 - juris; SG Kassel, Urteil vom 2. Juli 2014 - S 6 AS 873/12 - juris; Reichel in jurisPK-SGB III, 1. Aufl. 2014 , § 161 Rdnr. 30.1). Vielmehr hatte der Beklagte einzelfallbezogene Feststellungen und Bewertungen zu dem konkreten Verhalten des Klägers, das er diesem als vorsätzliches oder grob fahrlässiges sozialwidriges Verhalten entgegenhalten möchte, zu treffen.
35 
Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt dem Bescheid der Agentur für Arbeit ... vom 11. August 2014 sowie den vorangegangenen Sperrzeitbescheiden keine Feststellungswirkung zu. Gem. § 77 SGG ist der Verwaltungsakt, gegen den ein Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt worden ist, für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Danach binden die bestandskräftigen Entscheidungen der Agentur für Arbeit ... bezogen auf den jeweiligen Verfügungssatz über den Eintritt einer Sperrzeit bzw. das Erlöschen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, nicht jedoch hinsichtlich der Begründungselemente und der zugrunde gelegten Sachverhalte (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 1997 – 3 RK 15/96 - BSGE 80, 136 - juris Rdnr. 12; Urteil vom 26. Juni 1990 - 5 RJ 62/89 - juris Rdnr. 19; Urteil vom 26. November 1992 - 7 RAr 38/92 - BSGE 71, 256 - juris Rdnr.18) den Kläger als jeweiligen Adressaten der Verwaltungsakte sowie die Agentur für Arbeit (vgl. § 12 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -). Eine Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten besagt lediglich, dass Behörden und Gerichte die in einem bindenden Bescheid getroffene Regelung, solange sie Bestand hat, als verbindlich hinzunehmen und ohne Prüfung der Rechtmäßigkeit ihren Entscheidungen zugrunde zu legen haben (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 - B 1 KR 25/16 R - juris Rdnr.11; Urteil vom 8. September 2015 - B 1 KR 16/15 R - BSGE 119, 298 - juris Rdnr. 22; Urteil vom 17. September 2009 - B 6 KA 16/08 R - BSGE 103, 243 - juris Rdnr. 42; Urteil vom 19. März 1998 - B 7 AL 86/96 R - juris Rdnr. 21; vgl. ferner zur Bindungswirkung von Entscheidungen des SGB III-Trägers im Rahmen des § 31 Abs. 2 Nr. 3 SGB II LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23. Juni 2016 - L 5 AS 838/15 - juris Rdnr. 33; Berlit in LPK-SGB II, 6. Aufl. 2017, § 31 Rdnr. 101; S. Knickrehm/Hahn in Eicher/Luik, a.a.O., § 31 Rdnr. 81). Im Gegensatz zur sog. Tatbestandswirkung, bei der eine Rechtsvorschrift an die Tatsache anknüpft, dass eine bestimmte Entscheidung, sei es Verwaltungsakt oder Urteil, ergangen ist, zieht die Feststellungswirkung auch Sachverhaltsmerkmale und rechtliche Wertungen in die Bindung mit ein; durch sie wird die betroffene Behörde (oder das Gericht) daran gehindert, über einen Sachverhalt oder eine Rechtsfrage abweichend von dieser Feststellung zu entscheiden (BSG, Urteil vom 19. März 1998, a.a.O.). Eine Feststellungswirkung hinsichtlich der einem Verwaltungsakt zugrundeliegenden Sachverhaltsmerkmale und rechtlichen Wertungen bedarf einer gesetzlichen Grundlage (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016, a.a.O.; Urteil vom 8. September 2015, a.a.O.; Urteil vom 19. März 1998, a.a.O. Rdnr. 22), die vorliegend aber nicht gegeben ist. Wie bereits dargelegt, unterscheiden sich die Regelungen der §§ 31 ff. SGB II einerseits und § 34 SGB II andererseits nach Systematik, Sinn und Zweck, sodass die im Rahmen des § 31 Abs. 2 Nr. 3 SGB II angenommene Bindungswirkung nicht auf § 34 SGB II übertragen werden kann, zumal der Tatbestand des § 31 Abs. 2 Nr. 3 SGB II ausdrücklich an eine entsprechende Feststellung der Agentur für Arbeit anknüpft.
36 
Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend davon auszugehen, dass die Agentur für Arbeit ... durch Bescheid vom 11. August 2014 gegenüber dem Kläger das Erlöschen seines Anspruchs auf Arbeitslosengeld und den Eintritt einer Sperrzeit von zwei Wochen festgestellt und die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 22. Juli 2014 ganz aufgehoben hat, mithin die genannten Regelungen gegenüber dem Kläger verfügt hat. Daraus kann allenfalls abgeleitet werden, dass die Bewilligung des Arbeitslosengeldes mit Wirkung zum 22. Juli 2014 ganz aufgehoben worden ist, der Kläger deshalb kein Einkommen mehr bezogen hat und deshalb Hilfebedürftigkeit eingetreten ist (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2017 - B 14 AS 3/16 R - juris Rdnrn. 19 ff.). Daraus kann jedoch nicht automatisch ein sozialwidriges Verhalten i.S. des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II abgeleitet werden. Dazu hätte der Beklagte den der Feststellung einer (weiteren) Sperrzeit und des Erlöschens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld zum 22. Juli 2014 zugrunde liegenden Sachverhalt konkret feststellen und einer einzelfallbezogenen Bewertung im Hinblick auf eine Sozialwidrigkeit des Verhaltens des Klägers unterziehen müssen. Dies hat er - wie dargelegt - nicht getan.
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cc. Es ist Aufgabe des Beklagten, alle Tatsachen zu ermitteln, die zum Erlass eines Verwaltungsakts notwendig sind. Dies folgt aus dem in § 20 SGB X festgeschriebenen Untersuchungsgrundsatz, dessen Reichweite sich nach dem jeweiligen Gegenstand des Verwaltungsverfahrens richtet (BSG, Urteil vom 25. Juni 2015 - B 14 AS 30/14 R - juris Rdnr. 18 m.w.N.). Es müssen somit alle Tatsachen ermittelt werden, die für die Verwaltungsentscheidung wesentlich im Sinne von entscheidungserheblich sind. Ein Absehen von Ermittlungen ist nur zulässig, wenn es auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, sie offenkundig ist oder als wahr unterstellt werden kann oder das Beweismittel unerreichbar ist.
38 
Dementsprechend durfte es der Beklagte bei seiner Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 34 SGB II für einen Ersatzanspruch vorlagen, nicht ungeklärt lassen, wie sich der Kläger im Sozialrechtsverhältnis mit der Agentur für Arbeit... konkret verhalten hat und welche Verhaltensweisen zur Verfügung der Sperrzeit, des Erlöschens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld und zur Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld zum 22. Juli 2014 geführt haben. Im Ausgangspunkt noch zutreffend ist der Beklagte nach Beiziehung der Bescheide der Agentur für Arbeit ... vom 10. März 2014 und 11. August 2014 davon ausgegangen, dass die Bewilligung des Arbeitslosengeldes mit Wirkung zum 22. Juli 2014 ganz aufgehoben worden ist und der Kläger deshalb kein Einkommen mehr bezogen hat. Es kam dann bei der weiteren Prüfung eines Ersatzanspruchs nach § 34 SGB II aber nicht - wie der Beklagte offensichtlich meint - auf die vom SGB III-Träger verfügten Sperrzeiten und das festgestellte Erlöschen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld an, sondern der Beklagte war gehalten, selbst die erforderlichen Ermittlungen zu dem den Entscheidungen der Agentur für Arbeit... zugrunde liegenden Sachverhalten durchzuführen.
39 
Nach den allgemeinen Regeln für die Darlegungs- und Beweislast gilt, dass derjenige die objektiven Tatsachen darlegen muss, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Dies betrifft sowohl das Vorhandensein von positiven, als auch das Fehlen von negativen Tatbestandsvoraussetzungen (BSG, Urteil vom 25. Juni 2015, a.a.O. Rdnr. 20 m.w.N.). Damit trägt der Beklagte nicht nur die objektive Beweislast für die belastende Feststellung des Ersatzanspruchs, sondern er ist bereits im vorherigen Verfahrensstadium verpflichtet, die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Norm, auf die er seine Verwaltungsentscheidung stützt, zu ermitteln und entsprechend festzustellen, damit sich der Leistungsberechtigte im Verfahren mit seiner Argumentation auf die die Entscheidung tragenden Gründe einrichten kann (BSG, Urteil vom 25. Juni 2015, a.a.O. Rdnr. 20).
40 
Der Senat war aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG nicht verpflichtet, die vom Beklagten unterlassene Ermittlung zu dem Verhalten des Klägers im Sozialrechtsverhältnis nach dem SGB III als Voraussetzung für die Annahme eines sozialwidrigen Verhaltens nachzuholen. Die Gerichte sind grundsätzlich verpflichtet, den angefochtenen Verwaltungsakt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend nachzuprüfen (vgl. §§ 54 Abs. 2 Satz 1, 103 SGG); die beklagte Behörde kann deshalb im Laufe des Gerichtsverfahrens neue Tatsachen und Rechtsgründe "nachschieben" (BSG, Urteil vom 25. Juni 2015, a.a.O. Rdnr. 23 m.w.N auch zum Folgenden.). Hinsichtlich eines solchen Nachschiebens von Gründen gibt es jedoch bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angefochten werden, Einschränkungen, wenn die Verwaltungsakte dadurch in ihrem Wesen verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann. Da die Aufrechterhaltung eines Verwaltungsakts mit einer völlig neuen tatsächlichen Begründung dem Erlass eines neuen Verwaltungsakts gleichkommt, würde das Gericht andernfalls entgegen dem Grundsatz der Gewaltentrennung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz) selbst aktiv in das Verwaltungsgeschehen eingreifen. Eine solche Änderung des "Wesens" eines Verwaltungsakts, das in Anlehnung an den Streitgegenstand eines Gerichtsverfahrens bestimmt werden kann, ist u.a. angenommen worden, wenn die Regelung auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird, z.B. bei einem Streit um die Höhe einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Laufe des Gerichtsverfahrens ein weiteres Element der Rentenberechnung vom Rentenversicherungsträger in Abrede gestellt wird, oder wenn auf eine andere Rechtsgrundlage zurückgegriffen werden soll, die einem anderen Zweck dient. In reinen Anfechtungssachen ist das Nachschieben eines Grundes durch die Behörde regelmäßig unzulässig, wenn dieser umfassende Ermittlungen seitens des Gerichts erfordert, die Behörde ihrerseits insofern keine Ermittlungen angestellt hat und der Verwaltungsakt hierdurch einen anderen Wesenskern erhält, weil dann der angefochtene Verwaltungsakt - bei einem entsprechenden Ergebnis der Ermittlungen - mit einer wesentlich anderen Begründung Bestand hätte.
41 
Nach diesen Voraussetzungen zielt der Vortrag des Beklagten aus dem Schriftsatz vom 24. Februar 2016 unter Vorlage der von der Agentur für Arbeit ... am 24. April 2014 erstellten Eingliederungsvereinbarung, VerBIS-Vermerken zu Stellenangeboten sowie Beratungsvermerken der Agentur für Arbeit ... auf eine Wesensänderung des angefochtenen Bescheids über den Ersatzanspruch ab, weil dieser ausschließlich auf die vorangegangen Entscheidungen des SGB III-Trägers über Sperrzeit, das Erlöschen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld und die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld gestützt und mangels weiterer Ermittlungen des Beklagten zum konkreten Verhalten des Klägers offenkundig rechtswidrig war. Trotz des Zusammenhangs zwischen dem Herbeiführen der Hilfebedürftigkeit infolge der Feststellung des Eintritts einer (weiteren) Sperrzeit und des Erlöschens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld seitens der Agentur für Arbeit ... sowie einem sozialwidrigen Verhalten des Klägers sind es grundlegend verschiedene Prüfungspunkte, bei denen eigenständige Ermittlungen erforderlich sind. Unter Berücksichtigung des Inhalts der angefochtenen Bescheide sowie der Verwaltungsakten des Beklagten ist nicht ersichtlich, von welchem konkreten Verhalten des Klägers der Beklagte ausgeht und was er als sozialwidrig bewerten möchte. Es handelt sich mithin nicht nur um eine Ergänzung des Sachverhalts, auf den der Beklagte seine Entscheidung gestützt hat, sondern um die umfassende Prüfung einer weiteren Voraussetzung für den angefochtenen Bescheid über den Ersatzanspruch, die der Beklagte bisher nicht beachtet hatte und deren Prüfung und Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht in erster Linie von ihm durchzuführen war. Außerdem wären hierdurch die Verteidigungsmöglichkeiten des Klägers erheblich erschwert worden, weil die gesonderte Ermittlung und Bewertung der tatsächlichen Vorkommnisse im Jahr 2014 im Sozialrechtsverhältnis nach dem SGB III allein wegen des Zeitablaufs mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre. Im Rahmen einer Anfechtungsklage ist es Aufgabe des Gerichts, die Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu überprüfen, nicht aber die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts erst zu schaffen.
42 
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
43 
5. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

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Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 31 Pflichtverletzungen


(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis1.sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,2.sich weigern, eine zu

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(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. (2) Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch

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(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen müssen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person mu

Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594) - SGB 3 | § 159 Ruhen bei Sperrzeit


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(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grun

Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594) - SGB 3 | § 161 Erlöschen des Anspruchs


(1) Der Anspruch auf Arbeitslosengeld erlischt1.mit der Entstehung eines neuen Anspruchs,2.wenn die oder der Arbeitslose Anlass für den Eintritt von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen gegeben hat, über den Eintritt der Spe

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Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. Juni 2013 geändert.

Bundessozialgericht Urteil, 16. Apr. 2013 - B 14 AS 55/12 R

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Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. April 2012 geändert und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 23. April 2010 und der Bescheid vo

Bundessozialgericht Urteil, 02. Nov. 2012 - B 4 AS 39/12 R

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Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. März 2012 aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am M

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 26. Juni 2012 - L 3 AS 159/12

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1. Das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 15.02.2012 sowie der Bescheid des Beklagten vom 26.10.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2011 werden aufgehoben. 2. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beid

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(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind, auch wenn sie in Form eines Gutscheins erbracht wurden, in Geld zu ersetzen. § 40 Absatz 6 Satz 2 gilt entsprechend. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.

(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben, ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit. Versicherungswidriges Verhalten liegt vor, wenn

1.
die oder der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe),
2.
die bei der Agentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldete (§ 38 Absatz 1) oder die arbeitslose Person trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine von der Agentur für Arbeit unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht annimmt oder nicht antritt oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches, durch ihr Verhalten verhindert (Sperrzeit bei Arbeitsablehnung),
3.
die oder der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die von der Agentur für Arbeit geforderten Eigenbemühungen nicht nachweist (Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühungen),
4.
die oder der Arbeitslose sich weigert, trotz Belehrung über die Rechtsfolgen an einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung (§ 45) oder einer Maßnahme zur beruflichen Ausbildung oder Weiterbildung oder einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben teilzunehmen (Sperrzeit bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme),
5.
die oder der Arbeitslose die Teilnahme an einer in Nummer 4 genannten Maßnahme abbricht oder durch maßnahmewidriges Verhalten Anlass für den Ausschluss aus einer dieser Maßnahmen gibt (Sperrzeit bei Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme),
6.
die oder der Arbeitslose sich nach einer Aufforderung der Agentur für Arbeit weigert, trotz Belehrung über die Rechtsfolgen an einem Integrationskurs nach § 43 des Aufenthaltsgesetzes oder an einem Kurs der berufsbezogenen Deutschsprachförderung nach § 45a des Aufenthaltsgesetzes teilzunehmen, der jeweils für die dauerhafte berufliche Eingliederung notwendig ist (Sperrzeit bei Ablehnung eines Integrationskurses oder einer berufsbezogenen Deutschsprachförderung),
7.
die oder der Arbeitslose die Teilnahme an einem in Nummer 6 genannten Kurs abbricht oder durch maßnahmewidriges Verhalten Anlass für den Ausschluss aus einem dieser Kurse gibt (Sperrzeit bei Abbruch eines Integrationskurses oder einer berufsbezogenen Deutschsprachförderung),
8.
die oder der Arbeitslose einer Aufforderung der Agentur für Arbeit, sich zu melden oder zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen (§ 309), trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht nachkommt oder nicht nachgekommen ist (Sperrzeit bei Meldeversäumnis),
9.
die oder der Arbeitslose der Meldepflicht nach § 38 Absatz 1 nicht nachgekommen ist (Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung).
Die Person, die sich versicherungswidrig verhalten hat, hat die für die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, wenn diese Tatsachen in ihrer Sphäre oder in ihrem Verantwortungsbereich liegen.

(2) Die Sperrzeit beginnt mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, oder, wenn dieser Tag in eine Sperrzeit fällt, mit dem Ende dieser Sperrzeit. Werden mehrere Sperrzeiten durch dasselbe Ereignis begründet, folgen sie in der Reihenfolge des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 1 bis 9 einander nach.

(3) Die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe beträgt zwölf Wochen. Sie verkürzt sich

1.
auf drei Wochen, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb von sechs Wochen nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, ohne eine Sperrzeit geendet hätte,
2.
auf sechs Wochen, wenn
a)
das Arbeitsverhältnis innerhalb von zwölf Wochen nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, ohne eine Sperrzeit geendet hätte oder
b)
eine Sperrzeit von zwölf Wochen für die arbeitslose Person nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde.

(4) Die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsablehnung, bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme, bei Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme, bei Ablehnung eines Integrationskurses oder einer berufsbezogenen Deutschsprachförderung oder bei Abbruch eines Integrationskurses oder einer berufsbezogenen Deutschsprachförderung beträgt

1.
im Fall des erstmaligen versicherungswidrigen Verhaltens dieser Art drei Wochen,
2.
im Fall des zweiten versicherungswidrigen Verhaltens dieser Art sechs Wochen,
3.
in den übrigen Fällen zwölf Wochen.
Im Fall der Arbeitsablehnung oder der Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme nach der Meldung zur frühzeitigen Arbeitsuche (§ 38 Absatz 1) im Zusammenhang mit der Entstehung des Anspruchs gilt Satz 1 entsprechend.

(5) Die Dauer einer Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühungen beträgt zwei Wochen.

(6) Die Dauer einer Sperrzeit bei Meldeversäumnis oder bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung beträgt eine Woche.

(1) Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

(2) Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebender Partnerin oder lebenden Partners zu berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, dabei bleiben die Bedarfe nach § 28 außer Betracht. In den Fällen des § 7 Absatz 2 Satz 3 ist Einkommen und Vermögen, soweit es die nach Satz 3 zu berücksichtigenden Bedarfe übersteigt, im Verhältnis mehrerer Leistungsberechtigter zueinander zu gleichen Teilen zu berücksichtigen.

(3) Absatz 2 Satz 2 findet keine Anwendung auf ein Kind, das schwanger ist oder sein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres betreut.

(4) Hilfebedürftig ist auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde.

(5) Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.

(1) Der Anspruch auf Arbeitslosengeld erlischt

1.
mit der Entstehung eines neuen Anspruchs,
2.
wenn die oder der Arbeitslose Anlass für den Eintritt von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen gegeben hat, über den Eintritt der Sperrzeiten schriftliche Bescheide erhalten hat und auf die Rechtsfolgen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt mindestens 21 Wochen hingewiesen worden ist; dabei werden auch Sperrzeiten berücksichtigt, die in einem Zeitraum von zwölf Monaten vor der Entstehung des Anspruchs eingetreten sind und nicht bereits zum Erlöschen eines Anspruchs geführt haben.

(2) Der Anspruch auf Arbeitslosengeld kann nicht mehr geltend gemacht werden, wenn nach seiner Entstehung vier Jahre verstrichen sind.

(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind, auch wenn sie in Form eines Gutscheins erbracht wurden, in Geld zu ersetzen. § 40 Absatz 6 Satz 2 gilt entsprechend. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.

(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 1. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. September 2017 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid über die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs bei sozialwidrigem Verhalten dem Grunde nach. Der 1958 geborene Kläger erhält seit Jahren (ergänzend) laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom beklagten Jobcenter. Mit Bescheid vom 1. Juni 2017 wurden vorläufig Leistungen für den Zeitraum April bis September 2017 bewilligt und mit Bescheid vom 5. Oktober 2017 vorläufige Leistungen für die Monate Oktober 2017 bis März 2018.

Der Kläger wohnt in einem Haus, dessen hälftiger Eigentümer er ist, zusammen mit seiner 1933 geborenen Tante S. Nach seinen Angaben hat er das Haus zusammen mit seiner früheren Ehefrau 2002 gekauft und seine Tante zahlte etwa 20.000 EUR für die Renovierung der von ihr bewohnten Wohnung in diesem Haus. Das Haus soll über eine Wohnfläche von etwa 160 qm verfügen, wovon die Tante des Klägers 27 qm bewohnt. Die Tante beteiligte sich im Zeitraum ab April 2017 mit monatlich 278,72 EUR an den Nebenkosten. Neben dem Kläger und seiner Tante wohnt ein 1999 geborener Sohn mit im Haus und bis Mai 2017 noch ein weiterer 1997 geborener Sohn sowie bis einschließlich April 2017 außerdem eine Frau mit zwei Kleinkindern.

Der Beklagte forderte den Kläger schon mehrfach auf, von seiner Tante Miete zu verlangen, um die Hilfebedürftigkeit zu verringern.

Mit Bescheid vom 1. Juni 2017 stellte der Beklagte fest, dass der Kläger zum Ersatz der Leistungen spätestens ab 19. April 2017 verpflichtet sei, weil er seine Bedürftigkeit mindestens grob fahrlässig herbeigeführt habe, indem er von seiner Tante keine ortübliche Miete verlange. Ein wichtiger Grund dafür liege nicht vor. Der Kläger hätte erkennen können, dass dadurch Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts und des Lebensunterhalts der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen erbracht werden müssten. Über diesen Sachverhalt habe der Kläger spätestens mit Zugang des Schreibens vom 13. April 2017 Bescheid gewusst, jedoch immer noch keine Miete verlangt. Umfang und Höhe der zu ersetzenden Leistungen würden in einem gesonderten Bescheid mitgeteilt werden.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 2017 zurückgewiesen. Aus Sicht der Gemeinschaft sei zu missbilligen, dass der Kläger Wohnraum kostenfrei zur Verfügung stelle und daneben Grundsicherungsleistungen beziehe. Das Interesse der Allgemeinheit an einer Verringerung der Hilfebedürftigkeit wiege hier höher als das Interesse des Klägers an einer Nichtvermietung. Der Kläger könne auch nicht auf der anderen Seite von seiner Tante Gelder für Umbaumaßnahmen vereinnahmen, um auf Kosten der Allgemeinheit sein Vermögen zu steigern.

Dagegen hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten am 26. September 2017 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Der Kläger gehe davon aus, dass seine Tante genügend bezahle. Zudem habe seine Tante selbst schon 20.000 EUR in die Renovierung der Wohnung investiert und 10.000 EUR für den Hauskauf geschenkt. Die Tante beteilige sich außerdem weiter an Renovierungs- und Umbaumaßnahmen.

Der Beklagte hat erwidert, gemäß der fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit sei ein Ersatzanspruch mittels Feststellungs- und Leistungsbescheid geltend zu machen. Hier sei nur ein Feststellungsbescheid erlassen worden. Der Kläger sei entsprechend beraten worden, ihm seien der Sachverhalt und die Rechtsfolgen mitgeteilt worden. Der Kläger sei „sozialhilferechtlich“ erfahren. Durch einfachste Überlegungen hätte er recherchieren können, was für eine vergleichbare Wohnung zu verlangen sei. Zudem sei 2011 eine Vereinbarung mit seiner Tante getroffen worden, wonach diese für drei Jahre gegen Übernahme der Renovierungskosten mietfrei wohnen könne. Dies sei inzwischen abgewohnt. Der Kläger habe auch mitgeteilt, dass er zur Vermietung nicht bereit sei.

Für den Kläger wird beantragt,

Der Bescheid des Beklagten vom 1. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. September 2017 wird aufgehoben.

Für den Beklagten wird beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig. Insbesondere liegt eine Klagebefugnis vor, auch wenn noch kein der Höhe nach bestimmter oder bestimmbarer Betrag vom Kläger als Ersatz gefordert wird. Denn - zumindest wohl nach der Vorstellung des Beklagten - soll mit dem Bescheid vom 1. Juni 2017 gleichsam als Grundlagenbescheid das Bestehen eines Ersatzanspruchs mit Bindungswirkung für etwaige spätere Leistungsbescheide festgestellt werden. Dies stellt einen rechtserheblichen Eingriff in die Rechtsposition des Klägers dar.

Die Klage hat auch in der Sache Erfolg.

Der Bescheid des Beklagten vom 1. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. September 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Denn der Beklagte ist nicht zur Geltendmachung eines Ersatzanspruchs im Wege eines Feststellungsbescheids berechtigt.

Als Grundlage für die Geltendmachung des Ersatzanspruchs kommt allein § 34 Abs. 1 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) infrage, der eine Befugnis zur Geltendmachung eines Ersatzanspruchs durch Verwaltungsakt enthält (vgl. BSG, Urteil vom 16. April 2013, B 4 AS 55/12 R). Danach ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II an sich oder an Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat. Als Herbeiführung gilt nach der seit dem 1. August 2016 geltenden Fassung des § 34 Abs. 1 Satz 2

SGB II (zur abweichenden vorherigen Rechtslage vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2017, B 14 AS 3/16 R) auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. § 34 Abs. 1 Satz 6 und Abs. 3 SGB II bestimmen, dass von der Geltendmachung abzusehen ist, soweit sie eine Härte bedeuten würde, und dass der Ersatzanspruch drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht wurde, erlischt.

Ob der Bescheid vom 1. Juni 2017, mit dem ein Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten geltend gemacht wird, formell ordnungsgemäß zustande gekommen ist, insbesondere der Kläger angehört wurde bzw. eine fehlende Anhörung durch das Vorverfahren geheilt wurde, kann dahinstehen. Der Bescheid ist jedenfalls materiell rechtswidrig.

Bei dem Ersatzanspruch nach § 34 SGB II handelt es sich wie schon bei der früheren Regelung in § 92a des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) um einen quasi-deliktischen Anspruch, weil der Ersatzanspruch von einem schuldhaften Verhalten des Ersatzpflichtigen abhängt. Das den Kostenersatzanspruch auslösende Verhalten muss nicht notwendig ein „rechtswidriges“ im Sinne der unerlaubten Handlung oder des Strafrechts sein. Das Erfordernis des „vorsätzlichen oder grob fahrlässigen“ Verhaltens ist vielmehr mit der Maßgabe zu lesen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen objektiv „sozialwidrig“ herbeigeführt sein müssen. Diese ungeschriebene und eingrenzende Tatbestandsvoraussetzung der Sozialwidrigkeit ist deswegen zur Eingrenzung erforderlich. Denn es gilt der Grundsatz, dass existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit zu leisten sind. Dieser Grundsatz einer verschuldensunabhängigen Deckung des Existenzminimums darf nicht durch eine weitreichende und nicht nur auf begründete und eng zu fassende Ausnahmefälle begrenzte Ersatzpflicht konterkariert werden. Schuldhaft (vorsätzlich oder grob fahrlässig) verhält sich ferner nur, wer sich der Sozialwidrigkeit seines Verhaltens bewusst (oder grob fahrlässig nicht bewusst) ist. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalles an, ob ein Verhalten sozialwidrig ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Heranziehung zum Kostenersatz als Mittel zur Durchsetzung des Nachranggrundsatzes die Ausnahme darstellt. Ein Tun (Unterlassen) begründet einen Anspruch auf Kostenersatz daher nur dann, wenn es aus der Sicht der Gemeinschaft, die - was die Sicherstellung von Mitteln für eine Hilfeleistung in Notlagen angeht - eine Solidargemeinschaft ist, zu missbilligen ist. (vgl. BSG, Urteil vom 16. April 2013, B 4 AS 55/12 R; BVerwG, Urteil vom 23. September 1999, 5 C 22/99).

Nach diesen Grundsätzen ist für das Gericht schon ein schuldhaftes sozialwidriges Verhalten des Klägers nicht nachgewiesen. So ist schon fraglich, ob der Beklagte dem Kläger überhaupt vorhalten kann, er verringere seine Hilfebedürftigkeit nicht dadurch, dass er von seiner Tante eine (ortsübliche) Miete verlange. Denn der Beklagte hat dem Kläger, obwohl dieser das auch verlangt hat, nicht weiter dahin beraten, was er sich unter ortsüblich vorstellt, wie dieser vorgehen soll und ob er angesichts dessen, dass er nur hälftiger Eigentümer des Hauses ist, überhaupt als Vermieter gegenüber seiner Tante auftreten kann. Der Verweis auf Recherchemöglichkeiten und Vordrucke greift dazu nach Meinung des Gerichts zu kurz. Insbesondere die Frage der Berechtigung zur Vermietung wird so gänzlich dem Kläger zur Beantwortung überlassen. Selbst wenn man diesen als „sozialhilferechtlich erfahrene Person“ ansehen wollte, wie es der Beklagte tut, kann daraus nicht auf mietrechtliche Kenntnisse geschlossen werden.

Hinzu kommt, dass sich das Verhalten des Klägers in den Augen des Gerichts sich nicht als aus Sicht der Solidargemeinschaft zu missbilligen darstellt. Nach den insoweit unbestrittenen Angaben des Klägers, die das Gericht zugrunde legt, erhält dieser von seiner Tante monatlich knapp 279 EUR als Beteiligung an den Nebenkosten des Hauses. Geht man weiter von den Angaben des Klägers aus, die in den Akten enthalten sind und die in der mündlichen Verhandlung gemacht wurden, ergeben sich an monatlichen Kosten für das von ihm und seiner Tante bewohnte Haus (einschließlich der Heizkosten) im streitigen Zeitraum etwa 495 EUR bzw. ohne den Stromabschlag 370 EUR (der Beklagte hat in seiner vorläufigen Bewilligung im April 2017 238,19 EUR und ab Mai 2017 387,72 EUR anerkannt). Die Tante des Klägers leistet damit einen im Verhältnis zu der von ihr bewohnte Fläche von rund 28 qm im Vergleich zur Wohnfläche des Klägers und seines Sohnes von über 130 qm einen derart hohen Beitrag, dass dies nicht allein als Beitrag zu den grundsicherungsrechtlich relevanten Nebenkosten der Unterkunft abgetan werden kann. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich der von ihr gezahlte Monatsbetrag daraus ergibt, dass sie sich an den Tilgungsleistungen für die laufenden Kredite beteiligt. Dies muss bei der Beurteilung berücksichtigt werden. Nachdem in Bezug auf das Verhältnis der bewohnten Flächen auf die Tante des Klägers lediglich ein Anteil an den Nebenkosten von etwa 18% entfallen dürfte, dies wären hier um die 89 EUR (ohne Strom an die 67 EUR), trifft der Vorwurf fehlender Einnahmeerzielung durch Nichtvermietung so nicht zu. Der jenseits des relevanten Nebenkostenanteils verbleibende Betrag erscheint dem Gericht mit über 200 EUR nicht von vornherein erkennbar hinter dem zurückzubleiben, was bei einer angemessenen ortsüblichen Vermietung zu erlösen wäre. Unberücksichtigt bleibt unter diesem Aspekt sogar noch, dass sich die Tante des Klägers ferner immer wieder an Renovierungskosten für das Haus beteiligen soll.

Letztgenannter Umstand könnte zudem als wichtiger Grund für das Verhalten des Klägers gewertet werden, vor allem unter Einbeziehung der persönlichen Bindung des Klägers an seine Tante, deren Alter und des langen Zusammenwohnens in dem Haus.

Ein sozialwidriges, also im Hinblick auf die Gewährung existenzsichernder Mittel zu missbilligendes Verhalten kann das Gericht bei diesem Sachverhalt noch nicht bejahen.

Ungeachtet dessen, dass damit schon kein Ersatzanspruch vorliegt, ist dem Beklagten die Geltendmachung in der erfolgten Form, nämlich mittels Feststellungsbescheid verwehrt. Der Beklagte beruft sich hierbei auf die einschlägigen fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 34 SGB II. Abgesehen davon, dass diese für die Beurteilung durch das Gericht nicht bindend sind, lässt sich daraus lediglich ersehen, dass der Erlass eines Feststellungsbescheids im Sinn eines Grundlagenbescheids für möglich gehalten wird und als einziger rechtlicher Vorteil abgeleitet wird, dadurch könne einer Verwirkung eines Ersatzanspruchs vorgebeugt werden. Nicht herauslesen kann das Gericht jedoch, dass ein Feststellungsbescheid zwingend erlassen werden müsste.

Anhand des Wortlauts der Norm lässt sich die Berechtigung zum Erlass eines Feststellungbescheids weder bejahen noch verneinen. Zwar enthält § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II, wie bereits erwähnt, die Befugnis zur Geltendmachung eines Ersatzanspruchs durch Verwaltungsakt. Welcher Art dieser sein muss, kann unmittelbar aber nicht ersehen werden. Jedoch spricht etwa der Blick auf § 34 Abs. 1 Satz 6 SGB II dafür, nur die Befugnis zum Erlass eines Leistungsbescheids anzunehmen. Denn die Prüfung einer Härte stellt maßgeblich auch auf die Höhe des etwaigen Ersatzanspruchs ab (vgl. Hauck/Noftz, SGB II, § 34 Rz. 65). Damit ist eine (ausreichende) Prüfung nur schwer vorstellbar, wenn Umfang und Höhe des geltend zu machenden Ersatzanspruchs noch nicht konkretisiert bzw. absehbar sind. Ferner ist der Erlass eines reinen Feststellungsbescheids nicht geeignet, den Ablauf der Erlöschensfrist nach § 34 Abs. 3 SGB II zu hemmen. Das ergibt sich deutlich aus dem letzten Halbsatz von § 34 Abs. 3 SGB II, der (nur) von einem Leistungsbescheid spricht. Ein dementsprechender Leistungsbescheid muss, um als hinreichend bestimmt angesehen zu werden und um vollstreckbar zu sein, jedoch den geforderten Betrag konkret angeben (vgl. Hauck/Noftz, a.a.O., Rz. 95).

Schließlich ist gegen die Befugnis zum Erlass eines bloßen Feststellungsbescheids anzuführen, dass das Grundsicherungsrecht nicht ausdrücklich festlegt, dass ein Feststellungsbescheid die vom Beklagten angenommene Bindungswirkung für spätere Leistungsbescheide hätte. Im Bereich des Steuerrechts etwa, aus dem eine derartige Konstruktion bekannt ist, regeln die §§ 179 ff. der Abgabenordnung (AO), dass bestimmte Feststellungen für andere Steuerbescheide bindend sind, die wiederum als Folgebescheide bezeichnet werden (§ 182 Abs. 1 AO). Entscheidungen in solchen feststellenden Bescheiden, nach der Legaldefinition des § 171 Abs. 10 AO als Grundlagebescheide bezeichnet, können nach § 351 Abs. 2 AO auch nur durch Anfechtung dieses Bescheids angegriffen werden. Ein derartiges Regelungskonstrukt weist das Grundsicherungsrecht jedoch nicht ausdrücklich auf. Nachdem aber sowohl die steuerrechtlichen Regelungen als auch diejenigen über Ersatzansprüche seit Längerem bestehen (§ 34 SGB II ist der Vorgängervorschrift des § 92a BSHG nachgebildet), hätte es nahe gelegen, wenn der Gesetzgeber dies im Sinn gehabt hätte, ein der AO entsprechendes Vorgehen auch für das Grundsicherungsrecht vorzusehen. Dass dergleichen unterblieben ist, auch bei der letzten Änderung des § 34 SGB II zum 1. August 2016, deutet das Gericht so, dass gesetzgeberisch kein Feststellungsbescheid gewollt war.

Das lässt sich auch daraus erklären, dass ein solcher nicht erforderlich ist. Denn ebenso gut lässt sich mit einem Leistungsbescheid das Bestehen eines Ersatzanspruchs feststellen, nachdem ohnedies in einem weiteren Schritt die Prüfung der Kausalität des sozialwidrigen Verhaltens und deswegen erbrachter Leistungen beurteilt werden muss. Gerade auch im Hinblick auf die zeitliche Korrelation zwischen diesen beiden Voraussetzungen stellt sich eine einheitliche Prüfung unter Umständen sogar als der einfachere Weg dar.

Eine legislative Intention zur Ermöglichung eines Feststellungsbescheids lässt sich ebenso wenig mit Blick auf die Situation bei Änderungsbescheiden feststellen. Zwar wird für Änderungsbescheid eine eingeschränkte Regelungsreichweite angenommen (vgl. Hauck/Noftz, SGB X, § 48, Rz. 9), woraus eine nur teilweise Angreifbarkeit bzw. anders formuliert eine Bindungswirkung der abgeänderten, ursprünglichen Entscheidung abgeleitet werden kann. Jedoch ist dies vor dem Hintergrund des Instrumentariums zur Durchbrechung der Bestandskraft bindend gewordener Bescheide zu sehen, die für sich genommen einen Lebenssachverhalt bereits umfassend geregelt haben. So liegt die Situation bei der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs aber nicht, weil die abschließende Regelung aus den oben dargelegten Gründen die Angabe einer konkreten Forderung beinhalten muss. Ein einem feststellenden Grundlagenbescheid nachfolgender Leistungsbescheid wäre daher nicht einem Änderungsbescheid vergleichbar.

Wegen der bereits erörterten gegenseitigen Beziehungen bei der Prüfung des Bestehens eines sozialwidrigen Verhaltens und der darauf kausal zurückzuführenden Leistungen, deren Ersatz gefordert werden soll, die nach Auffassung des Gerichts sinnvoll nur einheitlich erfolgen kann, ist eine Teilbarkeit der Entscheidung in Feststellungsbescheid und späteren Leistungsbescheid ebenfalls abzulehnen. Insbesondere würde die Prüfung einer Härte und auch der Sozialwidrigkeit des Verhaltens deutlich erschwert, ohne dass dem eine nennenswerte verwaltungspraktische Erleichterung gegenüberstünde.

Zudem würde die mit zunehmendem zeitlichen Abstand immer kritischer zu betrachtende Kausalitätsprüfung das einmal bindend festgestellten Vorliegen eines Ersatzanspruchs dem Grunde nach immer mehr in den Hintergrund treten lassen, so dass dies zunehmend an Bedeutung verlieren würde. Damit ließe sich ohne entsprechende normative Festschreibung eine Bindungswirkung immer weniger rechtfertigen und hätte immer geringeren Vorteil.

In der Gesamtschau geht das Gericht deshalb davon aus, dass § 34 Abs. 1 SGB II nicht zur Geltendmachung eines Ersatzanspruchs durch bloßen Feststellungsbescheid, wie ihn der Beklagte hier mit dem im Streit stehenden Bescheid erlassen hat, berechtigt.

Der Klage ist deshalb stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. April 2012 geändert und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 23. April 2010 und der Bescheid vom 30. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juli 2009 aufgehoben.

Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen einen Ersatzanspruch, den der Beklagte für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) geltend macht, die ihm (dem Kläger) und seinen Familienangehörigen während der Verbüßung einer Haftstrafe gewährt worden sind.

2

Der 1974 geborene Kläger ist verheiratet und hat zwei 1995 und 2006 geborene Kinder; die Familie lebte bis Januar 2007 in einer gemeinsamen Wohnung und bestritt ihren Lebensunterhalt im Wesentlichen mit seinem Einkommen aus einer abhängigen Beschäftigung im Schichtdienst. Der Kläger verbüßte vom 3.1.2007 bis zum 19.12.2008 eine Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen des vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (500g Kokain) und des gewerbsmäßigen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 24 Fällen (Haschisch) unter Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung. Ab dem 1.8.2008 war er dabei als Freigänger bei seinem bisherigen Arbeitgeber beschäftigt, erzielte aber ein niedrigeres Einkommen als vor seiner Inhaftierung. Die Ehefrau teilte dem Beklagten insoweit mit, dass das Arbeitsentgelt nicht ausgezahlt werde, sondern der Justizvollzugsanstalt zustehe. Nach der Haftentlassung nahm der Kläger die ursprüngliche Tätigkeit im Schichtdienst wieder auf.

3

Auf entsprechende Anträge der Ehefrau bewilligte der Beklagte für diese und die gemeinsamen Kinder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Bewilligungsabschnitte vom 19.2.2007 bis zum 30.8.2007, vom 1.9.2007 bis zum 28.2.2008, vom 1.3.2008 bis zum 31.7.2008 und vom 1.8.2008 bis zum 31.1.2009; für den zuletzt genannten Zeitraum bewilligte der Beklagte Leistungen auch für den Kläger. Daneben zahlte er die Beiträge der Ehefrau zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung und zur sozialen Pflegversicherung. Das vom Kläger ab dem 1.8.2008 erzielte Einkommen berücksichtigte er nicht.

4

Nach seiner Haftentlassung forderte der Beklagte von dem Kläger Ersatz für die ihm, seiner Ehefrau und seinen Kindern gewährten Leistungen (einschließlich der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung und zur sozialen Pflegversicherung) in Höhe von 23 823,51 Euro (Bescheid vom 30.1.2009). Im Widerspruchsverfahren setzte er den Kostenersatzanspruch auf 23 938,51 Euro fest und wies den Widerspruch als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 1.7.2009).

5

Die Klage hiergegen hat das Sozialgericht (SG) Augsburg abgewiesen (Urteil vom 23.4.2010). Auf die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide aufgehoben, soweit ein Erstattungsbetrag von mehr als 23 538,43 Euro gefordert werde, und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 26.4.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ua ausgeführt, der Kläger habe durch den von ihm betriebenen Drogenhandel seine Verhaftung verursacht, dadurch den Verlust seines Erwerbseinkommens bewirkt, das angesichts der sonstigen geringen Einkünfte der Familie die tragende Säule des Familienunterhalts gewesen sei, und damit für den Zeitraum bis zum 31.7.2008 die Hilfebedürftigkeit seiner Familie iS des § 34 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II(in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung des Art 1 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 ; alte Fassung ) herbeigeführt. Soweit die Leistungen infolge der Nichtanrechnung des Einkommens des Klägers ab dem 1.8.2008 teilweise rechtswidrig gewährt worden seien, habe der Kläger durch sein Verhalten die Zahlung von Leistungen an die Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft entsprechend § 34 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II aF herbeigeführt. Das leistungsverursachende Verhalten sei sozialwidrig, weil keine wirtschaftliche Notwendigkeit bestanden habe, "um jeden Preis" weiteres Einkommen zu erzielen, schon gar nicht aufgrund einer regelmäßigen illegalen Einnahmequelle. Der Höhe nach ergebe sich aber ein geringerer Ersatzanspruch.

6

Mit seiner Revision macht der Kläger die Verletzung von § 34 Abs 1 SGB II aF geltend.

7

Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. April 2012 zu ändern und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 23. April 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 30. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2009 aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers hat auch in der Sache Erfolg. Zu Unrecht hat der Beklagte ihm gegenüber einen Ersatzanspruch für die während seiner Haft an die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gezahlten Leistungen nach dem SGB II geltend gemacht. Die Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs nach § 34 Abs 1 SGB II aF liegen nicht vor, weil es an einem sozialwidrigen Verhalten des Klägers im Sinne der Norm fehlt.

11

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 30.1.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.7.2009, soweit der Beklagte damit gegen den Kläger einen Ersatzanspruch in Höhe von (noch) 23 538,43 Euro für die im Zeitraum vom 19.2.2007 bis zum 31.1.2009 an ihn, seine Ehefrau und die beiden gemeinsamen Kinder gewährten Leistungen geltend macht. Hiergegen wendet sich der Kläger zutreffend mit der (isolierten) Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz).

12

2. Ob der angefochtene Bescheid in allen Punkten formell rechtmäßig ist, kann offen bleiben. Der Beklagte war jedenfalls berechtigt, den Anspruch auf Kostenersatz durch Verwaltungsakt iS des § 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) geltend zu machen(zur Befugnis zum Erlass des Verwaltungsakts als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung Luthe in jurisPK-SGB X, Stand 1.12.2012, § 31 RdNr 15 ff; Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Dezember 2011, K § 31 RdNr 13 ff; Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 31 RdNr 5, jeweils mwN). Die Befugnis zum Erlass eines solchen Verwaltungsaktes zur Durchsetzung von Ersatzansprüchen (sog Leistungsbescheid) auch gegenüber demjenigen, der nicht selbst Empfänger der Sozialleistungen ist, kommt in den materiellen Regelungen des SGB II ausreichend zum Ausdruck. Nach § 34 Abs 3 Satz 2 SGB II (in seiner alten wie neuen Fassung) steht wegen der entsprechenden Anwendbarkeit der Verjährungsregelungen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) der Erlass eines Leistungsbescheides der Erhebung einer Klage gleich; die Vorschrift setzt also die Befugnis zum Erlass eines solchen Verwaltungsaktes voraus (Hänlein in Gagel, SGB II/SGB III, Stand Juni 2009, § 34 SGB II RdNr 38).

13

Ungeachtet der Frage, ob der Verwaltungsakt auch im Übrigen formell rechtmäßig war (zu weiteren Verfahrensfragen in diesem Zusammenhang H. Schellhorn in Gemeinschaftskommentar zum SGB II , Stand Januar 2008, § 34 RdNr 39 ff), insbesondere ob der Kläger vor Erlass der angegriffenen Entscheidung gemäß § 24 Abs 1 SGB X zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen ordnungsgemäß angehört bzw ein entsprechender Verfahrensmangel gemäß § 41 Abs 1 Nr 3, Abs 2 SGB X durch die Nachholung im Widerspruchsverfahren geheilt worden ist(vgl hierzu nur BSG Urteil vom 9.11.2010 - B 4 AS 37/09 R - SozR 4-1300 § 41 Nr 2 mwN), ist der Leistungsbescheid des Beklagten vom 30.1.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.7.2009 materiell rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

14

3. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch nach § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF als einzig denkbare Anspruchsgrundlage liegen nicht vor. Ein Anspruch des Beklagten auf Kostenersatz scheitert daran, dass der Kläger nicht sozialwidrig im Sinne dieser Norm gehandelt hat. Der Bescheid und die Urteile des SG und des LSG waren deshalb aufzuheben, soweit sie den Kläger nicht begünstigen.

15

Nach § 34 Abs 1 SGB II aF ist, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für seine Hilfebedürftigkeit oder die Hilfebedürftigkeit von Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben (Nr 1), oder die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an sich oder an Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben (Nr 2) ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet (Satz 1). Von der Geltendmachung des Ersatzanspruches ist abzusehen, soweit sie den Ersatzpflichtigen künftig von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch oder von Leistungen nach dem Zwölften Buch abhängig machen würde (Satz 2).

16

a) Zutreffend sind der Beklagte und die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der (volljährige) Kläger iS von § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF mit seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft gelebt hat und also als Ersatzpflichtiger für an diese gezahlte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Betracht kommt. Der Begriff der Bedarfsgemeinschaft iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF wird durch den in § 7 Abs 3 SGB II umschriebenen Personenkreis definiert. Ein anderes Verständnis des Begriffs der Bedarfsgemeinschaft im Zusammenhang mit § 34 Abs 1 SGB II aF widerspräche seinem Sinn und Zweck(vgl BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen = SozR 4-4200 § 34 Nr 1 RdNr 14). Die Eheleute waren auf Grundlage der Feststellungen des LSG während des gesamten Leistungsbezuges, der dem Ersatzanspruch zugrunde liegt, nicht dauernd getrennt lebend iS des § 1567 Abs 1 BGB, sodass zwischen ihnen durchgehend eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II bestand(vgl dazu BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 4 AS 49/09 R - BSGE 105, 291 = SozR 4-4200 § 7 Nr 16 RdNr 13 f und BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 RdNr 23). Vermittelt über diese Partnerschaft bestand - unabhängig davon, ob der Kläger während der Haft (durchgehend) dem Haushalt der Familie angehörte - auch eine Bedarfsgemeinschaft mit den Kindern, die iS des § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II jedenfalls in den Haushalt der Ehefrau aufgenommen waren. Offen bleiben kann, ob eine Trennung der Eheleute Auswirkungen - und ggf welche - auf die in Rede stehende Ersatzpflicht des Klägers gehabt hätte.

17

b) Mit den von ihm vorsätzlich begangenen strafbaren Handlungen, die zu seiner Inhaftierung und damit zum Verlust seines Arbeitsplatzes bzw zu den nur eingeschränkten Verdienstmöglichkeiten während des Freigangs geführt haben, hat der Kläger die Hilfebedürftigkeit seiner Angehörigen nicht iS des § 34 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II aF herbeigeführt.

18

Wegen der Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit im Sinne der Nr 1 bzw der Herbeiführung einer Zahlung im Sinne der Nr 2 setzt § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF als objektives Tatbestandsmerkmal ein sozialwidriges Verhalten des Erstattungspflichtigen voraus. Diese ungeschriebene und eingrenzende Tatbestandsvoraussetzung ist erforderlich, weil es sich bei § 34 SGB II in gleicher Weise wie bei § 103 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) und zuvor § 92a Bundessozialhilfegesetz (BSHG) um eine Ausnahme von dem Grundsatz handelt, dass existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit zu leisten sind(dazu BVerfG Beschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, 803; vgl auch Klinge in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand Februar 2012, K § 103 RdNr 9). Verschuldensgesichtspunkte spielen bei der Feststellung eines Hilfebedarfs keine Rolle (vgl etwa BSG SozR 4-4200 § 23 Nr 5 RdNr 15; BSG Urteil vom 19.8.2010 - B 14 AS 36/09 R - juris RdNr 17). Dieser Grundsatz einer verschuldensunabhängigen Deckung des Existenzminimums darf nicht durch eine weitreichende und nicht nur auf begründete und eng zu fassende Ausnahmefälle begrenzte Ersatzpflicht konterkariert werden (BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen = SozR 4-4200 § 34 Nr 1 RdNr 17 ff). Die "Sozialwidrigkeit" des Verhaltens ist deshalb auch nicht (erst) eine Frage des Nichtvorliegens eines wichtigen Grundes im Einzelfall (Hänlein in Gagel, SGB II/SGB III, Stand Juni 2009, § 34 SGB II RdNr 12; anders wohl Grote-Seifert, jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 34 RdNr 26; Hölzer in Estelmann, SGB II, Stand Dezember 2011, § 34 RdNr 29). Diesem Verständnis entspricht schließlich die Entstehungsgeschichte der Norm und die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu den Vorgängervorschriften (etwa BVerwG Urteil vom 24.6.1976 - V C 41.74 - BVerwGE 51, 61; BVerwG Urteil vom 10.4.2003 - 5 C 4/02 - BVerwGE 118, 109), wie der 4. Senat im Einzelnen dargelegt hat (BSG aaO).

19

Das Erfordernis eines nicht nur schuldhaften, sondern objektiv "sozialwidrigen" Verhaltens gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Ersatzanspruch nach § 34 SGB II - jedenfalls nach dem Wortlaut - der Höhe nach nicht begrenzt ist. Die Notwendigkeit einer einschränkenden Voraussetzung hat der Gesetzgeber offenbar selbst gesehen. § 34 SGB II ist durch Art 14 Abs 3 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453; Regelbedarfsermittlungsgesetz ) mit Wirkung zum 1.4.2011 ausdrücklich als "Ersatzanspruch wegen sozialwidrigen Verhaltens" bezeichnet worden und dieses Merkmal in den zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien ausdrücklich erwähnt worden (vgl BT-Drucks 17/3404 S 113). Ob wegen der Höhe der möglichen Ersatzansprüche und vor dem Hintergrund ihrer nunmehr erleichterten Durchsetzung durch Aufrechnung mit laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (vgl § 43 Abs 1 SGB II idF des RBEG) über den Wortlaut hinaus weitergehend Einschränkungen zu machen sind, kann vorliegend offen bleiben.

20

Zusammenfassend hat der 4. Senat das Tatbestandsmerkmal des "sozialwidrigen Verhaltens" unter Heranziehung der Rechtsprechung des BVerwG für den Regelungsbereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende dahingehend umschrieben, dass nur ein Verhalten umfasst wird und damit sozialwidrig ist, das (1) in seiner Handlungstendenz auf die Einschränkung bzw den Wegfall der Erwerbsfähigkeit oder der Erwerbsmöglichkeit oder (2) die Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit bzw der Leistungserbringung gerichtet war bzw hiermit in "innerem Zusammenhang" stand oder (3) ein spezifischer Bezug zu anderen nach den Wertungen des SGB II zu missbilligenden Verhaltensweisen bestand (BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen = SozR 4-4200 § 34 Nr 1 RdNr 16 und 22).

21

Dem schließt sich der Senat an. Für die Annahme eines sozialwidrigen Verhaltens ist erforderlich, dass die Existenzgrundlage, deren Erhalt das SGB II vor allem auch mit aktiven Leistungen schützt, durch das maßgebliche Verhalten selbst unmittelbar beeinträchtigt wird oder wegfällt. Nicht jedes strafbare Verhalten, das absehbar zu einer Inhaftierung und also regelmäßig zum Wegfall von Erwerbsmöglichkeiten führt, ist damit sozialwidrig. Wenn das strafbare Verhalten nicht zugleich auch den Wertungen des SGB II zuwider läuft, besteht neben der Strafe als solcher für eine (zumindest nach dem Wortlaut des § 34 Abs 1 SGB II aF) zeitlich und betragsmäßig unbegrenzte Haftung im Hinblick auf den dadurch verursachten Wegfall der finanziellen Lebensgrundlage keine Rechtfertigung. Eine andere Sichtweise widerspricht - wie bereits dargelegt - der vorbehaltlosen Hilfegewährung als Regelfall.

22

Entgegen den Grundsätzen des SGB II und damit "sozialwidrig" verhält sich der Betroffene dagegen, wenn es ihm aus eigener Kraft möglich (gewesen) wäre, die Hilfebedürftigkeit iS des § 2 Abs 1 Satz 1, § 9 Abs 1 SGB II abzuwenden und sein Verhalten diesen Möglichkeiten zuwiderläuft. Der Vorwurf der Sozialwidrigkeit ist daher nicht in der Strafbarkeit einer Handlung, sondern darin begründet, dass der Betreffende - im Hinblick auf die von der Solidargemeinschaft aufzubringenden Mittel der Grundsicherung für Arbeitsuchende - in zu missbilligender Weise sich selbst oder seine mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen in die Lage gebracht hat, Leistungen nach dem SGB II in Anspruch nehmen zu müssen. Verwendet der Leistungsberechtigte etwa erzielte Einnahmen nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts und wird dadurch die (teilweise) Hilfebedürftigkeit herbeigeführt, kann dies einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II auslösen, wenn ein anderes Ausgabeverhalten grundsicherungsrechtlich abverlangt war(BSG Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 57 RdNr 17 f), obwohl ein solches Verhalten regelmäßig keinen Straftatbestand erfüllt. Diesem Verständnis von "sozialwidrigem Verhalten" entsprechen ferner die in § 31 SGB II genannten Tatbestände, die zur Absenkung bzw des Wegfalls des Arbeitslosengeldes II führen. In den dort genannten Fallgruppen drückt sich - ähnlich wie im Sozialversicherungsrecht in den § 52 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung -, §§ 103 f Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - und § 101 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - aus, welches Verhalten als dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zuwiderlaufend angesehen wird und damit sozialwidrig ist(BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen = SozR 4-4200 § 34 Nr 1 RdNr 20 f).

23

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Verhalten des Klägers nicht als sozialwidrig iS des § 34 SGB II aF einzustufen. Durch das hier maßgebliche Verhalten des Klägers - den Handel mit Kokain in nicht geringer Menge und das gewerbsmäßige Handeltreiben mit Haschisch - ist seine berufliche Existenzgrundlage nicht unmittelbar beeinträchtigt worden oder weggefallen. Die Tat war zwar in verwerflicher Weise darauf gerichtet, die Einkommens- und Vermögenssituation zu verbessern; die (legale) Beschäftigung als schützenswerte Existenzgrundlage im Sinne des SGB II war aber davon nicht betroffen. Weil es nach den genannten Maßstäben allein darauf ankommt, ob durch das Verhalten selbst die Existenzgrundlage unmittelbar beeinträchtigt wird oder wegfällt, liegt kein sozialwidriges Verhalten vor. Aus dem gleichen Grunde stellt die Verbüßung der Haftstrafe als lediglich mittelbare Folge eines (strafbaren) Verhaltens von vornherein kein "Verhalten" dar, das für sich genommen als sozialwidrig gelten könnte.

24

c) Soweit für die Zeit ab dem 1.8.2008 Leistungen nach dem SGB II gewährt worden sind, obwohl Hilfebedürftigkeit wegen des erzielten und der Familie offenbar auch zugeflossenen, aber dem Beklagten gegenüber nicht angegebenen Einkommens teilweise nicht bestand, kann dieser Sachverhalt gegenüber dem Kläger keinen Ersatzanspruch auslösen. War schon sein Verhalten, das zum gänzlichen Verlust der Beschäftigung ab dem 3.1.2007 geführt hat, nicht sozialwidrig, gilt dies auch für die Zeit, in der er während des Freigangs wegen der fehlenden Verdienstmöglichkeiten durch Schichtdiensttätigkeiten Einkommen nur in geringerem Umfang als vor der Inhaftierung erzielen konnte.

25

Die fehlerhaften Angaben im Hinblick auf dieses Einkommen, die nach Auffassung des LSG neben der Inhaftierung des Klägers kausal für die teilweise rechtswidrige Leistungsgewährung waren, sind nach den von den Beteiligten unangegriffenen und den Senat bindenden Feststellungen des LSG durch die Ehefrau erfolgt. Schuldhaftes Verhalten des Vertreters einer Bedarfsgemeinschaft (§ 38 SGB II) löst einen Ersatzanspruch gegenüber dem Vertretenen nicht ohne Weiteres aus; im Anwendungsbereich des § 34 Abs 1 SGB II aF, der als quasi-deliktischer Anspruch ausgestaltet ist(vgl bereits BVerwG vom 23.9.1999 - 5 C 22/99 - BVerwGE 109, 331 = juris RdNr 12 mwN), genügt - wie im Anwendungsbereich des § 823 BGB bei natürlichen Personen - unerlaubtes Handeln des Vertreters für die Haftung des Vertretenen nicht. Eine § 831 BGB entsprechende Norm ist im SGB II nicht erkennbar.

26

Steht mithin ein Fehlverhalten des Klägers (zu dem der Beklagte ohnehin nicht angehört hat) insoweit nicht im Raum, ist unerheblich, ob und unter welchen Voraussetzungen schuldhaft fehlerhafte Angaben einen Ersatzanspruch nach § 34 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II aF auslösen können. Ob diese Norm - wie das LSG meint - auch (oder gerade) im Falle von rechtswidrig gewährten Leistungen Anwendung finden kann (zu dieser Problematik Fügemann in Hauck/Noftz, SGB II, Stand April 2008, K § 34 RdNr 34 ff; H. Schellhorn in GK-SGB II, Stand Januar 2008, § 34 RdNr 7; nunmehr § 34a SGB II idF des RBEG) und ob die Geltendmachung eines solchen Ersatzanspruches die vorherige Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen nach Maßgabe der §§ 45, 48 SGB X voraussetzen würde(verneinend Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 34 RdNr 11a; Fügemann in Hauck/Noftz, SGB II, Stand April 2008, K § 34 RdNr 39 ff; bejahend Hänlein in Gagel, SGB II/SGB III, Stand Juni 2009, § 34 SGB II RdNr 6 f; zu § 92a BSHG, vgl BVerwGE 105, 374), kann offen bleiben.

27

d) Da der Tatbestand des § 34 Abs 1 SGB II aF nicht erfüllt ist, braucht nicht entschieden zu werden, ob die Höhe des geltend gemachten Ersatzanspruches zutreffend ermittelt worden ist und insbesondere die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge zu den "gezahlten Leistungen" iS des § 34 Abs 1 SGB II aF gehören(vgl seit dem 1.4.2011 ausdrücklich § 34 Abs 1 Satz 2 SGB II idF des RBEG; verneinend für die Zeit davor Conradis in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 34 RdNr 14).

28

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, der Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin der Beklagten überzahlte Rente erstatten muss.

2

Die 1962 geborene Klägerin war ab dem 7.4.2010 arbeitsunfähig krank, nahm vom 9.9.2010 bis zum 5.10.2010 an einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teil und erhielt in dieser Zeit Übergangsgeld. Die Beigeladene zu 1 gewährte ihr vom 19.5.2010 bis zum 8.9.2010 und vom 6.10.2010 bis zum 9.9.2011 Krankengeld; die Beigeladene zu 2 zahlte vom 10.9.2011 bis zum 31.12.2011 Arbeitslosengeld I.

3

Die Beklagte gewährte der Klägerin ab dem 1.8.2010 ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung längstens bis zum 31.5.2029, setzte dessen monatlichen Wert ab dem 1.6.2011 auf 288,95 Euro und den Nachzahlbetrag für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 31.5.2011 unter Berücksichtigung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf 2367,60 Euro fest (Rentenbescheid vom 8.4.2011). Gleichzeitig wies sie auf Seite 7 des Bescheids auf Folgendes hin:

        

"Zurzeit prüfen wir noch, ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes besteht. Sobald wir die Prüfung abgeschlossen haben, erhalten Sie einen weiteren Bescheid".

4

Aus dem Nachzahlbetrag erfüllte die Beklagte den geltend gemachten Erstattungsanspruch der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 12.4.2011 iHv 1952,19 Euro komplett und überwies der Klägerin den Restbetrag von 415,41 Euro.

5

Nach Abschluss der Ermittlungen zur Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1.11.2010 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 31.10.2013. Auf Seite 3 des Bescheids verlautbarte sie unter der Überschrift "Mehrere Rentenansprüche" das Folgende:

        
        

"Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, leisten wir nur die höchste Rente. Bei gleich hohen Renten gilt eine gesetzliche Rangfolge. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist daher nicht zu zahlen."

6

Aus dem Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro erfüllte sie die Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro, sodass 1756,72 Euro verblieben.

7
        

Mit Bescheid vom 23.5.2012 verfügte die Beklagte Folgendes:

        

"Der Bescheid vom 08.04.2011 über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 01.11.2010-31.10.2013 nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben.

        

Für die Zeit 01.11.2010-31.12.2011 ergibt sich eine Überzahlung von 3520,92 Euro. Der überzahlte Betrag ist zu erstatten (§ 50 Abs. 1 SGB X). Den überzahlten Betrag haben wir in Ihrem Interesse bereits mit der Rentennachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 verrechnet, die nach Erfüllung der Ansprüche anderer Stellen verblieben ist. Die restliche Überzahlung beträgt noch 1764,20 Euro. Dieser Betrag ist von Ihnen an uns zurückzuzahlen."

8
        

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012) und führte zur Begründung ua aus:

        

"Nach sorgfältiger Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Rückzahlung und Ihren privaten Interessen muss die Deutsche Rentenversicherung Bund von ihrem Rückforderungsanspruch Gebrauch machen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund ist verpflichtet, das Vermögen der Versichertengemeinschaft nach bestem Wissen und Gewissen treuhänderisch zu verwalten. Das zwingt zu einer sparsamen Haushaltsführung, so dass auf eine Rückforderung nicht verzichtet werden kann.

        

Andere Gesichtspunkte, auf die geltend gemachten Ansprüche teilweise oder ganz zu verzichten, sind nicht erkennbar. Die Rechtslage ist eindeutig, es liegt weder ein Verschulden der Deutschen Rentenversicherung Bund vor, noch ist davon auszugehen, dass Sie durch die rückwirkende Bescheidaufhebung mit Erstattungsforderung in persönliche Not geraten oder, dass Ihnen andere Sozialleistungen entgangen sind, die jetzt durch Ablauf von Fristen nicht mehr erlangt werden können."

9

Nachdem die Klägerin im Klageverfahren erklärt hatte, aus der Vorschrift des § 51 SGB I derzeit keine Rechtsverletzung geltend zu machen, hat das SG München die Klage abgewiesen(Urteil vom 28.11.2013), die darauf gerichtet gewesen ist, "den Bescheid vom 23.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2012 aufzuheben und die Nachzahlungen der Bescheide vom 04.11.2011 und 08.04.2011 neu zu berechnen".

10

Das Bayerische LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 21.5.2015), mit der sie neben der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der angefochtenen Bescheide die Verurteilung der Beklagten erstrebte, "eine neue Abrechnung der Rentennachzahlung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 vorzunehmen mit der Maßgabe, dass zunächst die geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung mindernd vor Erfüllung der Erstattungsansprüche berücksichtigt wird". Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, zu Recht habe die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X aufgehoben und die daraus resultierende Überzahlung von 3520,92 Euro zurückgefordert. Mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente rückwirkend ab November 2010 durch Bescheid vom 4.11.2011 sei eine wesentliche Änderung eingetreten, die sich auf den mit Bescheid vom 8.4.2011 zuerkannten Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ausgewirkt habe. Denn bestünden - wie vorliegend - für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, werde nach § 89 Abs 1 S 1 SGB VI nur die höchste Rente geleistet. Dies führe im Ergebnis zu einer Zahlungssperre, sodass der Anspruch auf die niedrigere Rente zwar dem Grunde nach bestehen bleibe, aber während des Bezugs der höheren Rente nicht geltend gemacht werden könne. Bei rückwirkender Bewilligung einer höheren Rente entfalle dann nachträglich der Zahlungsanspruch der niedrigeren Rente. Vorliegend sei die Zahlungssperre erst mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente mit der Folge eingetreten, dass der Bescheid vom 8.4.2011 über die Gewährung einer teilweisen Erwerbsminderungsrente hinsichtlich seines Zahlungsausspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nachträglich rechtswidrig geworden sei. Die Beklagte sei auch berechtigt gewesen, den Rentenbescheid vom 8.4.2011 mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise aufzuheben. Denn die Klägerin habe nach Erlass dieses Bescheids mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung Einkommen iS des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt, das zum Wegfall des Zahlungsanspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in der Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 geführt habe. Die maßgeblichen Fristen seien eingehalten und ein atypischer Fall liege nicht vor. Die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids vom 8.4.2011 habe zur Folge, dass die Klägerin die bereits geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung iHv 3520,92 Euro nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X erstatten müsse. Dagegen könne die Klägerin nicht einwenden, dass der Anspruch auf Zahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe der bereits geleisteten niedrigeren Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als erfüllt gelte und daher eine Erstattung der letztgenannten Rente ausscheide. Eine solche Erfüllungsfiktion enthalte auch § 89 SGB VI nicht, wie das BSG(Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2)in ähnlichem Zusammenhang bereits entschieden habe. Darüber hinaus sei zu bedenken, dass ein Versicherter neben einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung einen Anspruch auf Zahlung von (gekürztem) Krankengeld (§ 50 Abs 2 SGB V) oder Arbeitslosengeld (§ 125 Abs 1 SGB III) haben könne, während ein Anspruch auf Krankengeld oder auf Arbeitslosengeld neben einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgeschlossen sei (§ 50 Abs 1 S 1 SGB V, § 125 Abs 1 SGB III). Dies könne - wie im Fall der Klägerin - dazu führen, dass die Summe der nebeneinander gezahlten Sozialleistungen (Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung plus Krankengeld oder Arbeitslosengeld) höher sei als der später für denselben Zeitraum zuerkannte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Stelle sich im Nachhinein heraus, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bestanden habe und damit die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie das Kranken- und Arbeitslosengeld zu Unrecht gezahlt worden seien, sei es im Ergebnis auch interessengerecht, den Nachzahlungsbetrag aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung in vollem Umfang - und nicht nur in Höhe des Betrags, der nach Abzug der geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung verbleibe - zur Erfüllung der Erstattungsansprüche der anderen Leistungsträger zu verwenden. Denn nach der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X gelte in einem solchen Fall der Anspruch des Versicherten auf Rente wegen voller Erwerbsminderung durch das gezahlte Kranken- oder Arbeitslosengeld als (zumindest teilweise) erfüllt. Auf diese Weise sei sichergestellt, dass der Versicherte im Ergebnis jedenfalls den Betrag erhalte, der ihm aufgrund seines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zugestanden habe. Nachdem die Klägerin eine Rechtsverletzung aus der Vorschrift des § 51 SGB I ausdrücklich nicht geltend mache, könne dahinstehen, ob die im Bescheid erklärte Aufrechnung den gesetzlichen Anforderungen gerecht werde.

11

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 48 Abs 1 S 1 und 2 Nr 3 iVm § 50 Abs 1 SGB X, § 89 SGB VI und § 103 SGB X. In der rückwirkenden Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung sei schon keine wesentliche Änderung iS von § 48 Abs 1 S 1 SGB X zu sehen. Aber selbst wenn man mit den Vorinstanzen das Gegenteil annähme und davon ausginge, dass durch die rückwirkende Gewährung von voller Erwerbsminderungsrente Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt worden sei, könne der Rückforderungsbescheid nicht auf § 50 Abs 1 S 1 SGB X gestützt werden. Denn ausweislich des Wortlautes von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X dürfe ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nur aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung Einkommen erzielt worden sei. Die Wendung "soweit" beinhalte eine Einschränkung des Aufhebungs- und Rückforderungsrechts der Behörde dergestalt, dass vom Versicherten nicht mehr zurückgefordert werden könne als das ihm zugeflossene Einkommen. Das Aufhebungsrecht sei mithin der Höhe nach auf die nachträglich bewilligte Sozialleistung beschränkt. Hieraus folge zwingend auch eine Begrenzung des korrespondierenden Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X. Das Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2) sei auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht übertragbar, weil es ausschließlich einen Erstattungsstreit zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Rentenversicherungsträger betreffe und keine Ausführungen zu einer Rückforderung auf Grundlage von § 48 Abs 1 S 2 SGB X enthalte. Darüber hinaus beruhten die angefochtenen Urteile auf einer Verletzung von § 89 SGB Vl, weil sie eine Erfüllungswirkung der ausbezahlten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Hinblick auf die später rückwirkend gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung verneinten. Denn die Renten wegen teilweiser und voller Erwerbsminderung erfassten weder unterschiedliche Versicherungsfälle noch unterschiedliche Versicherungsziele. Sowohl die teilweise als auch die volle Erwerbsminderungsrente bezweckten den Ausgleich wirtschaftlicher Einbußen, wenn der Versicherte aufgrund gesundheitsbedingter Einschränkungen nicht (in vollem Umfang) am Erwerbsleben teilnehmen könne. Es handele sich daher nicht um zwei eigenständige Rentenarten, sondern lediglich um eine "zweistufige Rente". Diese funktionelle Identität beider Renten spreche für eine Erfüllungsfunktion der bereits geleisteten teilweisen Erwerbsminderungsrente. Außerdem verstoße die Berechnungsweise der Nachzahlungsforderung gegen § 103 SGB X, wonach die Erstattungspflicht des zuständigen Leistungsträgers auf die im selben Zeitraum an den Berechtigten erbrachten Leistungen begrenzt sei. Zudem habe das LSG übersehen, dass die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie der Rückzahlungsanspruch an Vertrauensgesichtspunkten scheitern müsse. Schützenswertes Vertrauen auf das Behaltendürfen der erlangten Leistungen an teilweiser Erwerbsminderungsrente sowie Kranken- bzw Arbeitslosengeld ergebe sich daraus, dass nach der bisherigen Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger bei Bewilligung einer höheren Rente im Anschluss an eine niedrigere Rente bzw anstatt einer niedrigeren Rente die bereits gezahlte Rente in Abzug gebracht worden sei. Zu berücksichtigen seien zudem Erwägungen des billigen Ermessens, welche die Überzahlungsforderung als unstatthaft erscheinen ließen. Zuvörderst sei es allein der Beklagten anzulasten, dass sie erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung die Prüfung der Voraussetzungen für eine volle Erwerbsminderungsrente im Hinblick auf die Verschlossenheit des Teilarbeitsmarktes aufgenommen habe. Diese habe mithin die Überzahlung selbst schuldhaft verursacht, indem sie zunächst im April 2011 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt, aber erst im November des gleichen Jahres die volle Erwerbsminderungsrente zuerkannt habe. Dem Vorgesagten müsse umso mehr Gewicht beigemessen werden, als die Klägerin selbst keine Verrentung beantragt habe, sondern ihr Antrag auf medizinische Rehabilitation auf Veranlassung der Beigeladenen zu 1 umgedeutet worden sei. Infolge dieser Einschränkung ihres Dispositionsrechts habe die Klägerin weder selbst über den Rentenbeginn bestimmen noch auf die Gewährung einer Rente verzichten können.

12
        

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und den Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufzuheben.

13
        

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

14

Der Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei erst dadurch weggefallen, dass am 4.11.2011 mit der Festsetzung des Auszahlungsanspruchs der Rente wegen voller Erwerbsminderung eine Anspruchskonkurrenz eingetreten sei. Damit habe sich in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsakts über den Auszahlungsanspruch der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung am 8.4.2011 vorgelegen hätten, iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eine wesentliche Änderung ergeben. Diese wesentliche Änderung habe die Beklagte ermächtigt, rückwirkend (ab dem 1.11.2010) den Verwaltungsakt über den Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufzuheben. Denn mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung habe die Klägerin Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt. Folglich sei die Beklagte auch befugt gewesen, die Rückzahlung der zwischen November 2010 und Dezember 2011 geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Umfang von 3520,92 Euro zu verlangen. Auch wenn davon auszugehen sei, dass kein "atypischer Fall" iS der Rechtsprechung zu § 48 Abs 1 S 2 SGB X vorliege, der ausnahmsweise eine Ermessensausübung erfordere, seien im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 Erwägungen angestellt worden, die auf eine Ermessensausübung hindeuteten. Dieser Umstand gehe aber nicht zu Lasten der Klägerin. Allerdings sei sie vor Erlass der angefochtenen Bescheide nicht iS des § 24 Abs 1 SGB X angehört worden. Da aber die Aufhebung des Verwaltungsakts wegen einer Änderung einkommensabhängiger Leistungen erfolgt sei, sei eine Anhörung gemäß § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X entbehrlich gewesen. Auf jeden Fall habe die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 der Klägerin die Sach- und Rechtslage derart umfangreich geschildert, dass dies als nachgeholte Anhörung gelten müsse und der Widerspruch der Klägerin als nachgeholte Stellungnahme auf diese Anhörung. Anders als der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung sei der Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bereits im April 2011 entscheidungsreif und deshalb - auch mit Blick auf interne Vorgaben zur Verfahrensbeschleunigung sowie mit Rücksicht auf die vom Bundesrechnungshof überwachten und beanstandeten Rentenantragslaufzeiten, die ihrerseits in eine Leistungsvergleichsstatistik zwischen den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung eingingen ("Benchmarking" iS von § 69 Abs 5 SGB IV) - sofort zu bescheiden gewesen. Gleichzeitig sei die Beklagte durch den Bundesrechnungshof gehalten, zumindest in Einzelfällen konkret zu prüfen, ob der Teilzeitarbeitsmarkt tatsächlich verschlossen und deshalb eine Rente wegen voller Erwerbsminderung abhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage zu zahlen sei. Dieser Prüfpflicht komme die Beklagte vor allem bei Versicherten, die in Bundesländern mit niedriger Arbeitslosenquote wohnten, routinemäßig durch entsprechende Anfragen bei der Bundesagentur für Arbeit nach.

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Die Beigeladenen zu 1 und 2 haben keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist begründet, sodass der Senat in der Sache selbst zu entscheiden hat (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG unter Verletzung von Bundesrecht (§ 162 SGG) zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, beschweren die Klägerin und sind deshalb aufzuheben (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Der Beklagten steht kein Erstattungsanspruch zu.

17

A. Der Bescheid vom 23.5.2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 verlautbaren ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro auf der Grundlage einer (erneuten) Aufhebung des Verwaltungsakts über die Festsetzung von monatlichen Zahlungsansprüchen aus einem Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X. Mit dem erneuten Aufhebungs-Verwaltungsakt wiederholt die Beklagte im Sinne eines ersetzenden und den Rechtsweg erneut eröffnenden sog Zweitbescheids eine Regelung, die sie der Sache nach bereits im Bescheid vom 4.11.2011 bindend (§ 77 SGG) getroffen hatte. Denn dort hatte sie bereits verlautbart, die Klägerin erhalte "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit der Folge, dass "die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung … daher nicht zu zahlen" sei. Mit dem Wort "anstelle" und der unmissverständlichen Regelung auf Seite 3 des Bescheids vom 4.11.2011, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, soweit für denselben Zeitraum Ansprüche (im Sinne von Stammrechten) auf mehrere Renten aus eigener Versicherung bestünden, verdeutlichte die Beklagte hinreichend, dass die monatlichen Zahlungsansprüche, die aus dem nunmehr zuerkannten (Stamm-)Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung erwachsen, diejenigen monatlichen Zahlungsansprüche im Zeitraum vom 1.11.2010 bis 30.10.2013 komplett ersetzen (dh an ihre Stelle treten) sollen, die ansonsten aus dem fortbestehenden (Stamm-)Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultieren und zu einer Überversorgung der Klägerin führen würden. Mit der Regelung, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, negierte die Beklagte ihre gegenteilige Regelung im Bescheid vom 8.4.2011, wonach ab dem 1.6.2011 die monatliche Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung 288,95 Euro beträgt. Da sich beide Aussagen widersprechen, kann ein verständiger und die Zusammenhänge berücksichtigender ("objektiver") Empfänger die zweite Aussage (kein Zahlungsanspruch) im Zusammenhang mit der Präposition "anstelle" nur als Beseitigung der ersten Aussage (Zahlungsanspruch: 288,95 Euro) durch einen entsprechenden Gegenakt (actus contrarius) verstehen (vgl dazu bereits Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 33; zum sog objektivierten Empfängerhorizont vgl Senatsurteil vom 8.2.2012 - B 5 R 38/11 R - SozR 4-5075 § 3 Nr 1 RdNr 15; BSG Urteile vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, RdNr 18 mwN, vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R - BSGE 115, 57 = SozR 4-2500 § 103 Nr 13, RdNr 24 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18). Zu dieser Auslegung des Verwaltungsakts ist der Senat befugt (vgl zu den Auslegungsgrundsätzen BSG Urteile vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 RdNr 25, vom 23.1.2008 - B 10 LW 1/07 R - SozR 4-5868 § 3 Nr 3 RdNr 19, vom 16.6.1999 - B 9 V 13/98 R - SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 26 und vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11). § 39 Abs 1 S 2 SGB X stellt auf den "Inhalt" ab, mit dem ein Verwaltungsakt bekannt gegeben worden ist: Den maßgeblichen Inhalt (iS von "rechtliche Bedeutung" oder "Regelungsgehalt") zu ermitteln, ist im Streitfall nicht (mehr) Sache der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde, sondern allein der Gerichte, in letzter Instanz also des BSG, das seinerseits nicht an die Auslegung des Bescheids durch das LSG gebunden ist(stRspr - vgl Senatsurteile vom 27.5.2014 - B 5 RE 8/14 R - Juris RdNr 21 und vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, RdNr 11 mwN sowie BSG Urteile vom 29.2.2012 - B 12 KR 19/09 R - Juris RdNr 21 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18 mwN; BVerwG Urteile vom 3.11.1998 - 9 C 51/97 - NVwZ-RR 1999, 277 , vom 25.8.2009 - 1 C 30/08 - BVerwGE 134, 335 RdNr 18 und vom 9.5.2012 - 6 C 3/11 - BVerwGE 143, 87 RdNr 39). Dieser (Gegen-)Verwaltungsakt (actus contrarius) im Bescheid vom 4.11.2011 wurde für die Beteiligten gemäß § 77 Halbs 1 SGG in der Sache bindend, weil ihn die Klägerin - trotz entsprechender Belehrung(§ 66 Abs 1 SGG) - nicht mit dem gegebenen Rechtsbehelf (Widerspruch, § 83 SGG) innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist (§ 84 Abs 1 S 1 SGG) angefochten hat.

18

Bindungswirkung und Wirksamkeit dieses (Gegen-)Verwaltungsakts entfielen jedoch "auf andere Weise" (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl dazu BSG Urteil vom 7.7.2005 - B 3 P 8/04 R - BSGE 95, 57 RdNr 10 = SozR 4-1300 § 48 Nr 6, RdNr 11) durch die erneut verlautbarte Aufhebung im Bescheid vom 23.5.2012, die weder als wiederholende Verfügung (nachfolgend 1.) noch als negative Zugunstenentscheidung (nachfolgend 2.) in dem Sinne zu verstehen ist, dass die Beklagte das Verwaltungsverfahren, das mit dem Erlass des Gegenverwaltungsakts im Rentenbescheid vom 4.11.2011 bereits abgeschlossen war (§ 8 SGB X), von Amts wegen gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB X wieder aufgegriffen, aber dessen Rücknahme abgelehnt hat. Stattdessen hat die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 eine neue Aufhebungsentscheidung getroffen, die die bestandskräftige Aufhebungsentscheidung im Bescheid vom 4.11.2011 ersetzt (nachfolgend 3.).

19

1. Gegen die Annahme einer wiederholenden Verfügung, die wegen fehlender Rechtsfolgensetzung keine Regelung und damit kein Verwaltungsakt iS des § 31 S 1 SGB X ist, spricht bereits, dass sich die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 23.5.2012 an keiner Stelle auf die Bestandskraft (§ 77 SGG) ihrer Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 berufen hat (BSG Urteile vom 14.9.1989 - 4 REg 7/88 - BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 und vom 11.3.2009 - B 6 KA 15/08 R - SozR 4-2500 § 96 Nr 1; BVerwG Urteil vom 10.10.1961 - VI C 123.59 - BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Soweit sie im Bescheid vom 23.5.2012 auf den Bescheid vom 4.11.2011 zurückkommt, verweist sie lediglich auf ihre dortigen Mitteilungen, wonach die Klägerin im Hinblick auf die bereits gezahlten Rentenbeträge und die Abrechnung der Nachzahlung jeweils "weitere Nachricht" erhalte. Eine Bezugnahme auf eine bereits früher getroffene Rücknahmeentscheidung enthält der Bescheid vom 23.5.2012 dagegen nicht.

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2. Dieser fehlende Bezug verdeutlicht gleichzeitig, dass die Beklagte die Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 keinesfalls im Zugunstenverfahren nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X überprüft, sondern im Bescheid vom 23.5.2012 eine hiervon unabhängige neue Sachentscheidung getroffen hat, wie sich insbesondere aus dem ersten Verfügungssatz und der dazugehörenden Begründung ergibt (vgl zur Abgrenzung nur BSG Urteil vom 23.3.1999 - B 2 U 8/98 R - BSGE 84, 22 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5).

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3. Diese neue Aufhebungsentscheidung ersetzt die alte Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 und eröffnet den Rechtsweg neu (vgl dazu BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 sowie BSG Urteile 20.11.1996 - 3 RK 7/96 - SozR 3-2500 § 109 Nr 3 und vom 21.9.1962 - 10 RV 1059/59 - BSGE 18, 22 = SozR Nr 35 zu § 77 SGG), wie ua auch die entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung belegt (zu diesem Gesichtspunkt BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Zum Erlass einer solchen, die Altentscheidung wiederholenden und ersetzenden Neuentscheidung (Zweitbescheid) war die Beklagte ohne Weiteres befugt (vgl BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7; BSGE 84, 22, 23 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5 S 12 mwN; kritisch zur Rechtsfigur des Zweitbescheids Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB X, § 44 RdNr 13 ff). Der Zulässigkeit der Klage gegen die erneute Aufhebungsentscheidung steht dabei die frühere Bestandskraft (§ 77 SGG) der Erstentscheidung nicht entgegen (BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 81/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 24 RdNr 15; BVerwG Urteil vom 27.2.1963 - V C 105.61 - BVerwGE 15, 306, 311 - Juris RdNr 28). Dies gölte selbst dann, wenn der Zweitbescheid in Unkenntnis der Erstentscheidung ergangen wäre (Sachs in Stelkens/ Bonk/Sachs, 8. Aufl 2014, VwVfG, § 51 RdNr 60), was hier naheliegt.

22

Das maßgebliche Begehren (§ 123 SGG) der Klägerin ist folglich darauf gerichtet, im Wege der zulässigen objektiven Häufung (§ 56 SGG)zweier isolierter Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG)die beiden Verwaltungsakte (§ 31 S 1 SGB X) im Bescheid vom 23.5.2012 zu beseitigen, mit denen die Beklagte den Verwaltungsakt über die monatlichen Zahlungsansprüche im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 (sog Zweitbescheid) aufgehoben und ihr auf dieser Grundlage ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro erteilt hat. Diesen Betrag hat die Beklagte - entgegen der Ansicht der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - korrekt berechnet: Aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung ergab sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 ein Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro (s zur Berechnung Anl 1 S 1 bis 3 des Bescheids vom 4.11.2011). Daraus erfüllte die Beklagte die geltend gemachten Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro gemäß § 125 Abs 3 S 1 SGB III in seiner bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung iVm § 103 SGB X entsprechend(s dazu ausführlich Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), sodass 1756,72 Euro verblieben. Diesen Restbetrag kehrte sie indessen nicht an die Klägerin aus, sondern rechnete - entgegen dem vordergründigen Wortlaut ihrer Mitteilung ("haben wir … verrechnet") - mit ihrem Rückzahlungsanspruch aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 51 SGB I auf, woraus ausdrücklich keine Rechtsverletzung geltend gemacht wird. Dieser Rückzahlungsanspruch beläuft sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 auf 3520,92 Euro, sodass sich ein Überzahlungsbetrag von 1764,20 Euro (= 3520,92 Euro - 1756,72 Euro) errechnet.

23

B. Die Klagen sind begründet. Die Beklagte war nicht befugt, das Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro zu erlassen, weil ihr weder nach § 42 Abs 2 S 2 SGB I(nachfolgend 1.) noch nach § 50 Abs 3 S 1 iVm Abs 1 S 1 SGB X(nachfolgend 2.) ein Erstattungsanspruch zusteht.

24

1. Ein Erstattungsanspruch in unmittelbarer oder analoger Anwendung von § 42 Abs 2 S 2 SGB I scheidet schon deshalb aus, weil die Beklagte der Klägerin im Bescheid vom 8.4.2011 monatliche Zahlungsansprüche endgültig zuerkannt und das Verwaltungsverfahren insofern abgeschlossen hatte. Dagegen hat sie keine im Sozialrecht ohnehin nur begrenzt mögliche vorläufige Entscheidung getroffen (BSGE 67, 104, 118 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2, RdNr 51) und insbesondere weder einen Vorschuss iS von § 42 Abs 1 SGB I gewährt(nachfolgend a) noch eine Vorwegzahlung geleistet (nachfolgend b). Die Merkmale derartiger vorläufiger Verwaltungsakte sind durch die oberstgerichtliche Rechtsprechung geklärt (vgl dazu Senatsurteile vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 und vom 17.7.1996 - 5 RJ 42/95 - BSGE 79, 61 = SozR 3-1200 § 42 Nr 5 S 13 sowie BSG Urteile vom 29.4.1997 - 4 RA 46/96 - SozR 3-1200 § 42 Nr 9 S 37 f, 40 mwN und vom 14.8.1996 - 13 RJ 9/95 - SozR 3-1200 § 42 Nr 6 S 19 ff). Sie dürfen nicht etwa deshalb unbeachtet bleiben, weil sich die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung faktisch und/oder rechtlich Beschleunigungsgeboten ausgesetzt sehen. Insbesondere erfahren die inhaltlichen Anforderungen an vorläufige Verwaltungsakte nicht dadurch eine Änderung, dass die Träger nach § 69 Abs 5 SGB IV "in geeigneten Bereichen ein Benchmarking" durchzuführen haben und hierfür nach der verbindlichen Entscheidung des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 21.3.2013 (RVaktuell 2013, 140) iVm ihrer Anlage (Festlegung der zentralen Kennziffern in der 1. Ebene des Benchmarking-Tools ) für das Benchmarking-Tool Kennziffern bzw Kennzahlen nach einheitlichen Maßstäben zu ermitteln sind (nachfolgend c).

25

a) Anhand des Bescheids vom 8.4.2011 wird für einen objektiven Empfänger gerade nicht hinreichend deutlich, ihm werde lediglich vorschussweise und im Vorgriff auf dem Grunde nach zustehende monatliche "Rentenansprüche" eine vorläufige Leistung eigener Art zuerkannt, die mit der endgültigen nicht identisch ist und in jedem Fall noch durch deren Festsetzung ersetzt wird. Vielmehr hat die Beklagte der Klägerin nach Grund und Höhe endgültige Zahlungsansprüche ausdrücklich zuerkannt, indem sie verfügte, dass ab dem 1.8.2010 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung "laufend monatlich" und "längstens bis zum 31.05.2029 (Monat des Erreichens der Regelaltersrente) gezahlt" werde. Dies wird nicht durch den gleichzeitig verlautbarten Hinweis auf Seite 7 des Bescheids relativiert, dass zurzeit noch geprüft werde, "ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes" bestehe, und die Klägerin nach Abschluss dieser Prüfung "einen weiteren Bescheid" erhalte. Damit wird gerade nicht verfügt, dass eine auf jeden Fall nur vorläufige und der Ersetzung bedürftige Entscheidung getroffen werde. Der Hinweis, möglicherweise auf die Entscheidung zurückzukommen und einen weiteren Bescheid zu erlassen, kann im Kontext eines abschließenden Rentenbescheids dem behördlichen Willen, nur eine einstweilige Regelung zu treffen, nicht hinreichend bestimmt Ausdruck verleihen (vgl dazu BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16).

26

b) Erst recht hat die Beklagte nicht zu erkennen gegeben, sie wolle ausnahmsweise im Wege der Vorwegzahlung Zahlungsansprüche nur einstweilig bewilligen, ohne zuvor geprüft zu haben, ob diese auch nur dem Grunde nach zustehen (s dazu ebenfalls BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 sowie BSGE 67, 104, 109 f = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 und BSG Urteil vom 28.11.1990 - 4 RLw 5/90 - SozR 3-1300 § 32 Nr 4 S 34). Unter diesen Umständen ist nicht näher darauf einzugehen, dass der genannte Hinweis ohne drucktechnische Hervorhebung in der Vielzahl der dem Rentenbescheid beigefügten Belehrungen, Hinweise und Erläuterungen allenfalls bei Anwendung besonderer Sorgfalt durch einen geschulten Leser in seiner potentiellen Bedeutung erkannt werden konnte.

27

c) Soweit sich die Beklagte durch die "Bemerkungen 2010" des Bundesrechnungshofs zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes am Erlass eines "vorläufigen Verwaltungsakts" gehindert gesehen bzw zum vorzeitigen Erlass eines abschließenden Verwaltungsakts gedrängt gefühlt hat, hat sie die eigentliche Zielrichtung dieser Bemerkungen, jedenfalls deren rechtliche Bedeutung, verkannt. Der Bundesrechnungshof führt dort unter der Überschrift "Rentenversicherungsträger scheuen Leistungsvergleiche" (Ziffer 21) zum "Stand des Benchmarkings in der Rentenversicherung" (Ziffer 21.1.1) ua aus, er habe die von den Trägern ermittelten Daten über "die Zeiten für die Bearbeitung von Rentenanträgen (Rentenantragslaufzeiten)" geprüft, "da sie für einen Vergleich zwischen den Trägern geeignet sind". "Voraussetzung für einen aussagefähigen Vergleich" seien indes "Daten, die nach einheitlichen Maßstäben gesammelt sind" (Ziffer 21.1). Diese "einheitlichen Maßstäbe" und der darauf basierende Vergleich von Prozessen und Leistungen der Rentenversicherungsträger untereinander mit dem Ziel, Rationalisierungs- bzw Verbesserungspotentiale zu erkennen und auf breiter Grundlage umzusetzen ("Benchmarking") sieht der Bundesrechnungshof dadurch gefährdet, dass "einige Träger … vorläufige Rentenbescheide" erlassen und damit die Rentenantragslaufzeiten gekürzt hätten, "obwohl die zugrunde liegenden Sachverhalte noch nicht abschließend ermittelt waren". Die betroffenen Träger hätten auch nicht untersucht, ob ein solches Vorgehen "wirtschaftlich" gewesen sei.

28

Der Bundesrechnungshof hat damit weder den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte generell verboten noch hat er etwa erklärt, dass stattdessen der vorzeitige Erlass endgültiger Verwaltungsakte stets ein erlaubtes Mittel zur Beeinflussung von Rentenantragslaufzeiten sein könnte. Sein Anliegen, allein statistisch-quantitativ motivierte - und damit "wettbewerbswidrige" - Laufzeitverkürzungen durch eine "Flucht in den vorzeitigen Verwaltungsakt" zu verhindern, steht lediglich der rechtsgrundlosen Laufzeitverkürzung durch den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte entgegen. Dagegen bleiben vorläufige Verwaltungsakte in der Form von Vorschuss und Vorwegzahlung, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass bei ihrem Erlass noch keine Gewissheit über den rechtlich maßgeblichen Sachverhalt besteht, unverändert erlaubt. Dessen ungeachtet wäre die Beklagte an abweichende Anmerkungen nicht gebunden gewesen (vgl BVerfG Urteil vom 7.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - BVerfGE 137, 108 ff = SozR 4-4200 § 6a Nr 1, RdNr 100 mwN).

29

2. Der Beklagten steht auch nach § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X kein Erstattungsanspruch in der festgestellten Höhe zu. Nach diesen Vorschriften sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist; die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen.

30

Die Beklagte hat zwar den Verwaltungsakt im Bescheid vom 8.4.2011 über die Festsetzung des monatlichen Rentenzahlbetrags mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 aufgehoben. Hierauf kann jedoch der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht gestützt werden, weil weder § 48 Abs 1 SGB X(nachfolgend a) noch § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend b) - auch nicht im Wege der Umdeutung (nachfolgend c) - einschlägig sind und auch die Aufhebung deshalb jedenfalls materiell rechtswidrig und mithin durch Gestaltungsurteil ihrerseits aufzuheben ist (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Auf etwaige formelle Mängel, die ebenfalls zur Aufhebung des (Gegen-)Verwaltungsakts führen könnten (§ 42 S 2 iVm S 1, § 24 Abs 1 SGB X), kommt es deshalb nicht mehr an (nachfolgend d).

31

a) Soweit sich die Beklagte sowohl im Bescheid vom 23.5.2012 als auch im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 für die Aufhebungsentscheidung auf § 48 Abs 1 SGB X beruft, lagen dessen Voraussetzungen nicht vor. Nach S 1 dieser bundesrechtlichen Norm ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wegen einer nach seinem Erlass (Bekanntgabe) eingetretenen wesentlichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben; unter weiteren Voraussetzungen soll er mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden (S 2). Eine derartige Änderung ist nach Bekanntgabe des Bescheids vom 8.4.2011 indessen nicht eingetreten. Denn ein befristetes Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2, § 102 Abs 2 S 2 SGB VI mit der Folge hieraus monatlich entstehender Einzelansprüche ab dem 1.11.2010 war bereits kraft Gesetzes entstanden, als die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 erließ. Bereits damals stand folglich "bei objektiver Betrachtung" und unabhängig von der Kenntnis der Beklagten fest, dass durchsetzbare Ansprüche auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht gleichzeitig bestehen konnten (§ 89 Abs 1 Nr 7 und 11 SGB VI), sondern im Hinblick auf den zeitgleich entstandenen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ruhten (BSG Urteil vom 31.10.2002 - B 4 RA 9/01 R - SozR 3-2600 § 101 Nr 2; Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, 09/11, § 89 RdNr 11; Jentsch, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl 2013, § 89 RdNr 7; Kreikebohm/Dankelmann in Kreikebohm, SGB VI, 4. Aufl 2013 § 89 RdNr 3; Wehrhahn in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB VI, § 89 RdNr 4). Das hat zur Folge, dass die aus dem Stammrecht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultierenden Einzelansprüche während der Dauer des Bezugs der vollen Erwerbsminderungsrente nicht zur Entstehung gelangten (BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2). Der Verwaltungsakt über die Festsetzung des monatlichen Zahlbetrags der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung war damit schon in seinem Erlasszeitpunkt materiell und zudem wegen Verstoßes gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses (Senatsurteil vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 20 mwN) rechtswidrig, ohne dass Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit und Beschleunigungsgebote hieran etwas ändern könnten. Kein Beschleunigungsgebot vermag nämlich den Gegenstand der Beschleunigung (das Verwaltungsverfahren) inhaltlich zu verändern, sondern hat Einfluss allenfalls auf dessen äußeren Ablauf. In diesem Sinne bezieht sich etwa auch § 17 Abs 1 Nr 1 SGB I allein auf die "zügige" Gewährung "zustehender" Sozialleistungen. Zur Rücknahme anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakte ermächtigt aber allein § 45 SGB X.

32

Die Entscheidung des Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), der unzweifelhaft eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse (im Gesundheitszustand des dortigen Versicherten) zugrunde lag, ist insofern nicht einschlägig. Ihr ist auch nicht etwa ein Rechtssatz des Inhalts zu entnehmen, dass in Fällen des § 89 SGB VI stets § 48 SGB X zur Anwendung kommen müsse. Zu Unrecht nimmt die Beklagte daher an, dass der Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst entfiel, als sie der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannte. Denn im Rahmen des § 48 Abs 1 SGB X kommt es nach geklärter Rechtslage weder auf die im aufzuhebenden Bescheid genannten noch auf die damals von der Behörde zugrunde gelegten Verhältnisse noch auf die Kenntnis der Behörde von der Änderung der Verhältnisse an, sondern allein auf die in Wirklichkeit vorliegenden Verhältnisse und deren objektive Änderung. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 48 Abs 1 S 1 SGB X, der von der Änderung der Verhältnisse spricht, die beim Erlass des Verwaltungsakts "vorgelegen haben"(BSG Urteil vom 11.10.1994 - 9 RVs 2/93 - SozR 3-3870 § 4 Nr 10 S 42). Keinesfalls kann die Behörde durch Verwaltungshandeln selbst bestimmen, ob ein (bestandskräftiger) Verwaltungsakt unter erschwerten (§ 45 SGB X) oder erleichterten Bedingungen (§ 48 SGB X) beseitigt werden darf.

33

b) Die Aufhebungsentscheidung lässt sich auch nicht auf § 45 Abs 1 SGB X stützen und damit aufrechterhalten. Ein solches Aufrechterhalten ist hier nicht durch schlichte Anwendung dieser Rechtsvorschrift oder mithilfe des Nachschiebens von (Rechts-)Gründen, sondern nur durch Umdeutung gemäß § 43 SGB X möglich, dessen Tatbestandsvoraussetzungen indessen nicht erfüllt sind. Ob ein bloßes Auswechseln der Rechtsgrundlage (vgl dazu BSG Urteile vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39, RdNr 34 und vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr 12, RdNr 23)und/oder ein Nachschieben von Gründen (dazu BSG Urteile vom 23.8.1956 - 3 RJ 293/55 - BSGE 3, 209, 216, vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 279 f, vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 4-4200 § 60 Nr 1, vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23 sowie vom 21.9.2000 - B 11 AL 7/00 R - BSGE 87, 132, 139 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10 S 87 f: nicht nur "Kassation", sondern auch "Reformation") genügen, hängt bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angegriffen werden, davon ab, ob sie dadurch in ihrem "Wesen" verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157, 159 = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSGE 3, 209, 216; 9, 277, 279 f; BSG Urteile vom 31.1.1969 - 2 RU 234/66 - BSGE 29, 129, 132 = SozR Nr 123 zu § 54 SGG; vom 1.12.1977 - 12 RK 13/77 - BSGE 45, 206, 208 = SozR 2200 § 1227 Nr 10; vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8, 12 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; vom 12.2.1980 - 7 RAr 107/78 - SozR 4100 § 119 Nr 12; BVerwGE 38, 191, 195; 64, 356, 358 und Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; vgl Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 35 f mwN). Eine solche Änderung des "Wesens" eines Verwaltungsakts ist in Anlehnung an den zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff zu bestimmen (vgl dahingehend BSG Urteile vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 280 und vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23; s auch Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 113 RdNr 69) und demzufolge anzunehmen, wenn die Regelung auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird (BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9) oder die Angabe der Rechtsgrundlage zum Tenor (Verfügungssatz) des Bescheids gehört und deshalb die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts einen Eingriff in den Tenor erfordert (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157 f = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSG Urteile vom 22.9.1981 - 1 RA 109/76 - SozR 1500 § 77 Nr 56 und vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; BVerwG Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; Krause in ders/vonMutius/ Schnapp/Siewert, 1991, GK-SGB X 1, § 43 RdNr 11), also Lebenssachverhalt und/oder Verfügungssatz nicht dieselben bleiben (BSG Urteil vom 11.4.2002 - B 3 P 8/01 R - Juris RdNr 25). So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat im Tenor des Bescheids vom 23.5.2012 ausdrücklich verfügt, der Verwaltungsakt über den Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 werde "nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben". Folglich würde die Heranziehung von § 45 Abs 1 SGB X als Rechtsgrundlage einen Eingriff in den Entscheidungssatz und folglich dessen Änderung erfordern. Schon deshalb scheidet die bloße Auswechslung der Rechtsgrundlage bzw ein Nachschieben von (Rechts-)Gründen aus, und es kommt allenfalls eine Umdeutung gemäß § 43 SGB X in Betracht.

34

c) Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts (Abs 2 S 1). Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte (Abs 2 S 2). Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (Abs 3). § 24 SGB X ist entsprechend anzuwenden(Abs 4).

35

Zwar wären der fehlerhafte Verwaltungsakt nach § 48 SGB X und der Ersatzakt nach § 45 SGB X auf dasselbe Ziel gerichtet, nämlich auf die Beseitigung eines Verwaltungsakts (hier: als Rechtsgrund für den Bezug bzw das Behaltendürfen der bewilligten Zahlungsansprüche aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung). Soweit der Verwaltungsakt über die Bewilligung der monatlichen Zahlungsansprüche für die Vergangenheit zurückgenommen werden soll, fehlen aber bereits die (materiell-rechtlichen) Voraussetzungen iS des § 43 Abs 1 S 1 SGB X für den Erlass des Ersatzakts gemäß § 45 Abs 1 SGB X anstelle von § 48 Abs 1 S 2 SGB X(nachfolgend aa); soweit die Rücknahme für die Zukunft wirken soll, verbietet § 43 Abs 3 SGB X die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X in eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend bb). Nach der zuletzt genannten Vorschrift darf ein (im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe) rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

36

aa) Mit Wirkung für die Vergangenheit wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von § 45 Abs 2 S 3 und Abs 3 S 2 SGB X zurückgenommen(§ 45 Abs 4 S 1 SGB X). Soweit die Beklagte den Verwaltungsakt über den monatlichen Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt vom 23.5.2012 rückwirkend, dh für die Zeit vom 1.11.2010 bis zum 31.5.2012 aufgehoben hat, geben die Feststellungen des LSG von vornherein keinen Anlass, die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X (Ausschluss von Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts, den der Begünstigte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat) und des § 45 Abs 3 S 2 SGB X(Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 ZPO) zu prüfen. Der Verwaltungsakt vom 8.4.2011 beruht auch nicht auf "Angaben", die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X). Ebenso wenig kannte sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts oder war ihr dessen Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 Halbs 1 SGB X).

37

bb) Aber auch soweit der (Gegen-)Verwaltungsakt in die Zukunft wirkt, liegen die Umdeutungsvoraussetzungen nicht vor. Denn die Aufhebung eines (Dauer-)Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" ergeht gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X als gesetzlich gebundene Entscheidung, während die Rücknahme eines ursprünglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" nach § 45 Abs 1 SGB X im pflichtgemäßen Ermessen(§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) der Behörde steht. Eine gebundene Entscheidung kann nach § 43 Abs 3 SGB X aber nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden(BSG Urteile vom 10.2.1993 - 9/9a RV 43/91 - SozR 3-3660 § 1 Nr 1 und vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3). Eine gebundene und keine Ermessensentscheidung läge nur dann vor, wenn ausnahmsweise nur eine bestimmte Entscheidung rechtmäßig wäre, wenn sich also das Ermessen durch "Verdichtung der Ermessensgrenzen" auf Null reduziert hätte und jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre (BSG Urteil vom 20.5.2014 - B 10 EG 2/14 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 27 RdNr 29; BVerwG Urteil vom 23.1.1975 - III C 40.74 - Buchholz 427.3. § 335a LAG Nr 54). Nur dann läge eine umdeutbare Entscheidung vor. Dass die Komplettrücknahme des zahlungsanspruchsgewährenden Verwaltungsakts im Rentenbescheid vom 8.4.2011 die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensschrumpfung auf Null), ist angesichts der "Gutgläubigkeit" der Klägerin (vgl dazu BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 13 R 15/13 R - Juris RdNr 12) und der Möglichkeit, eine zeitlich, summen- oder quotenmäßig differenzierte Rücknahmeentscheidung zu treffen (vgl dazu Waschull in Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Aufl 2011, § 45 RdNr 61; ders in Fichte/Plagemann/Waschull, Sozialverwaltungsverfahrensrecht, 2008, § 4 RdNr 180), von vornherein auszuschließen.

38

Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 das öffentliche "Interesse an der Rückzahlung" mit den "privaten Interessen" der Klägerin abgewogen hat. Diese pauschalen Ausführungen der Widerspruchsstelle, die sich als überschießende Begründung darstellen, sich dabei im Kern auf den Erstattungsanspruch und die damit verbundene "Rückzahlung" bzw den "Rückforderungsanspruch" beziehen und damit vordergründig auf der Ebene des Haushaltswesens und der Forderungsdurchsetzung bewegen (§ 76 Abs 2 SGB IV), genügen weder zeitlich noch inhaltlich für eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) im Rahmen des § 45 Abs 1 SGB X. Zwar haben die §§ 45, 48 SGB X denselben Ausgangspunkt (der Erlass des jeweiligen Aufhebungs- bzw Rücknahmebescheids teilt Vergangenheit und Zukunft); beide Vorschriften haben in der Vergangenheit jedoch verschiedene Bezugspunkte, sodass sich etwaige Ermessenserwägungen notwendigerweise auf verschiedene Zeiträume beziehen: Im Rahmen des § 48 SGB X ist dies der Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, während es im Rahmen des § 45 SGB X auf den Erlasszeitpunkt des rechtswidrigen Verwaltungsakts ankommt. Deshalb braucht auf die Frage, ob die Umdeutung einer Ermessensentscheidung in eine andere Ermessensentscheidung überhaupt denkbar ist (vgl dazu Krause, aaO, § 43 RdNr 25; Laubinger, VerwArch, 1987, 365; Schenke, DVBl 1987, 650; Schütze in von Wulffen/Schütze, 8. Aufl 2014, § 43 RdNr 12; Steinwedel, KassKomm, SGB X, § 43 RdNr 18, Stand 7/2011; Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 43 RdNr 16; zweifelnd Littmann in: Hauck/Noftz, SGB X, K § 43 RdNr 28, Stand X/2009; Wirth, Umdeutung fehlerhafter Verwaltungsakte, 1999, S 208), nicht weiter eingegangen zu werden.

39

d) Da die Klage bereits aus anderen Gründen Erfolg hat, kann schließlich auch dahingestellt bleiben, ob die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen beiden Verwaltungsakte im Bescheid vom 23.5.2012 gemäß § 42 S 2 iVm S 1 SGB X auch aus formellen Gründen beanspruchen kann, weil die nach § 24 Abs 1 SGB X erforderlichen Anhörungen unterblieben und nicht wirksam nachgeholt(§ 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X) worden sind (vgl Senatsurteil vom 4.12.2014 - B 5 RE 12/14 R - SozR 4-2600 § 165 Nr 1 RdNr 17).

40

Da somit der (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 gerichtlich aufzuheben ist, entfällt gleichzeitig die Anwendbarkeit von § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X als einzig in Betracht kommende Grundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch.

41

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG.

(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind, auch wenn sie in Form eines Gutscheins erbracht wurden, in Geld zu ersetzen. § 40 Absatz 6 Satz 2 gilt entsprechend. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.

(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 10. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten nach § 34 SGB II.

2

Der Kläger bezog mit seiner Ehefrau und den beiden Kindern als Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Während des Leistungsbezugs (Bewilligungszeitraum Februar bis Juni 2011) schloss der Kläger einen unbefristeten Arbeitsvertrag ab dem 14.2.2011 mit einer Zeitarbeitsfirma als Schweißer, nach dem ihm auch vorübergehend andere Tätigkeiten zugewiesen werden konnten. Am 23.2.2011 wurde dem Kläger zum 28.2.2011 gekündigt, weil er - nach Angaben der Zeitarbeitsfirma - am 22.2.2011 mitgeteilt habe, er wolle die Arbeit bei dem Entleiher nicht fortsetzen, da er nicht als Schweißer eingesetzt werde, und weil er trotz Aufforderung, die Arbeit fortzusetzen, diese nicht wieder aufgenommen habe. Hierauf stellte der Beklagte eine Pflichtverletzung des Klägers fest und minderte dessen Alg II um 30 % des für ihn maßgebenden Regelbedarfs ab Juni 2011 für drei Monate (Bescheid vom 12.5.2011). Der Kläger nahm während des fortdauernden Leistungsbezugs (Bewilligungszeitraum Juli bis Dezember 2011) zum 31.8.2011 eine Arbeit auf, worauf der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Bedarfsgemeinschaft ab Oktober 2011 wegen bedarfsdeckenden Einkommens ganz aufhob.

3

Nach Anhörung des Klägers und seiner Ehefrau machte die vom Beklagten herangezogene Samtgemeinde S gegenüber beiden einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II in Höhe von 7520,97 Euro für die an die Bedarfsgemeinschaft von April bis September 2011 gezahlten Leistungen geltend(Bescheid vom 18.5.2012). Durch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 28.2.2011 aufgrund arbeitsvertragswidrigen Verhaltens des Klägers sei der Anspruch der Bedarfsgemeinschaftsmitglieder auf Leistungen nach dem SGB II durch sozialwidriges Verhalten verursacht worden. Die hiergegen erhobenen Widersprüche des Klägers und seiner Ehefrau wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 26.9.2012).

4

Im Klageverfahren des Klägers und seiner Ehefrau vor dem SG stellte der Beklagte klar, dass sich der Ersatzanspruch allein gegen den Kläger richte, und er anerkannte in der mündlichen Verhandlung vom 28.4.2014 den Klageanspruch gegenüber dessen Frau, was diese annahm. Das SG hat die Klage des Klägers abgewiesen (Urteil vom 28.4.2014). Das LSG hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG und den Bescheid vom 18.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.9.2012 und in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 28.4.2014 aufgehoben (Urteil vom 10.12.2015): Der Kläger habe die Voraussetzungen für den Leistungsbezug nicht iS des § 34 SGB II herbeigeführt, weil das Herbeiführen nicht auch das Aufrechterhalten der Hilfebedürftigkeit umfasse; Hilfebedürftigkeit habe bereits zum Zeitpunkt des in Rede stehenden Verhaltens des Klägers bestanden.

5

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Beklagte die Verletzung von § 34 SGB II geltend. Für das Herbeiführen bzw das "Aufrechterhalten" sei auf den Abschluss des Arbeitsvertrags abzustellen; hierdurch sei bereits die Hilfebedürftigkeit entfallen.

6

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 10. Dezember 2015 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 28. April 2014 zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Sein angefochtener Bescheid über einen Ersatzanspruch gegen den Kläger ist vom LSG zu Recht aufgehoben worden.

9

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG, durch das auf die Berufung des Klägers das klageabweisende Urteil des SG und der vom Kläger angefochtene Bescheid des Beklagten aufgehoben wurden, und damit das Begehren des Beklagten, unter Aufhebung des Urteils des LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Durch dieses war seine Klage gegen den Bescheid vom 18.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.9.2012 abgewiesen worden, durch die der Beklagte einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II gegen den Kläger geltend gemacht hatte.

10

2. Hiergegen wendet sich zutreffend allein der Kläger mit der reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG; vgl BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - BSGE 112, 135 = SozR 4-4200 § 34 Nr 1, RdNr 11). Der angefochtene Bescheid regelt die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nur noch gegenüber dem Kläger und nicht mehr gegenüber seiner Ehefrau, nachdem der Beklagte vor dem SG ein entsprechendes Teilanerkenntnis abgegeben und die zunächst klagende Ehefrau dieses angenommen hat.

11

Zutreffend auch richtet sich die Anfechtungsklage gegen das Jobcenter des beklagten Landkreises E Zwar ist der Bescheid vom 18.5.2012 von der Samtgemeinde S erlassen worden, doch liegt dem weder eine abweichende Trägerschaft für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende noch eine Wahrnehmungszuständigkeit der Samtgemeinde zugrunde (vgl zu einer solchen BSG Urteil vom 28.10.2014 - B 14 AS 65/13 R - BSGE 117, 186 = SozR 4-4200 § 7 Nr 39, RdNr 9 f). Nur der beklagte Landkreis ist ein zugelassener kommunaler Träger nach § 6a SGB II(Anlage zu § 1 der Kommunalträger-Zulassungsverordnung). Die Samtgemeinde ist vom Beklagten zur Durchführung der diesem als zugelassenen kommunalen Träger obliegenden Aufgaben nur in dessen Namen herangezogen worden (vgl § 3 Abs 1 Niedersächsisches Gesetz zur Ausführung des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs und des § 6b des Bundeskindergeldgesetzes vom 16.9.2004 ).

12

3. Als Rechtsgrundlage der angefochtenen Geltendmachung eines Ersatzanspruchs kommt allein § 34 SGB II in Betracht, der eine Befugnis zur Geltendmachung eines Ersatzanspruchs durch Erlass eines Verwaltungsakts iS des § 31 SGB X vorsieht(vgl BSG Urteil vom 16.4.2013 - B 14 AS 55/12 R - SozR 4-4200 § 34 Nr 2 RdNr 12). § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II(idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850; im Folgenden: aF) bestimmt: Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet.

13

Diese am 1.4.2011 in Kraft getretene Fassung findet hier Anwendung, obwohl der in 2012 geltend gemachte Ersatzanspruch an einen Lebenssachverhalt - die arbeitgeberseitige Kündigung des Arbeitsvertrags mit dem Kläger im Februar 2011 - vor dem 1.4.2011 anknüpft. Denn weder § 34 SGB II aF noch den einschlägigen Übergangsregelungen in § 77 SGB II ist zu entnehmen, dass die am 1.4.2011 in Kraft getretene Fassung des § 34 SGB II nicht auf vorherige Lebenssachverhalte Anwendung findet. Dies unterscheidet § 34 SGB II aF von § 31 SGB II(idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850), dessen Neufassung ebenfalls am 1.4.2011 in Kraft getreten ist, denn insoweit ist in § 77 Abs 12 SGB II bestimmt, dass § 31 SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden ist für Pflichtverletzungen, die vor dem 1.4.2011 begangen worden sind. Verfassungsrecht steht dem unter dem Gesichtspunkt einer Rückwirkung nicht entgegen, weil schon nicht erkennbar ist, dass insoweit ein Vertrauen auf den Fortbestand der vorherigen Rechtslage sachlich gerechtfertigt und daher schutzwürdig ist (zur Unterscheidung von unechter Rückwirkung als tatbestandlicher Rückanknüpfung und echter Rückwirkung als Rückbewirkung von Rechtsfolgen sowie zur Schutzwürdigkeit von Vertrauen vgl letztens etwa BVerfG Beschluss vom 16.12.2015 - 2 BvR 1958/13 - juris RdNr 43 f, 51 f). Zudem enthielt auch § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung (Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954) eine Rechtsgrundlage für einen Ersatzanspruch, deren Tatbestandsmerkmale trotz teils abweichender Formulierungen mit denen des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF übereinstimmen, insbesondere das Herbeiführen der Hilfebedürftigkeit erfordern.

14

Der Anwendung des § 34 SGB II aF steht auch nicht entgegen, dass § 34 SGB II im Zeitpunkt der Revisionsentscheidung nicht mehr in dieser, sondern in der am 1.8.2016 in Kraft getretenen Fassung gilt (Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.7.2016, BGBl I 1824). Denn in Rechtsstreitigkeiten über in der Vergangenheit liegende Zeiträume bzw über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte ist das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden.

15

Zwar ist eine frühere, durch eine Änderung des Gesetzes abgelöste alte Fassung des Gesetzes kein aktuell geltendes Recht mehr. Aufgrund der gesetzlichen Konzeption der Übergangsvor-schriften im SGB II, die Ausdruck des aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art 20 Abs 3 GG folgenden Grundsatzes des Vertrauensschutzes auch bei Rechtsänderungen sind, ist jedoch im SGB II vom sog Geltungszeitraumprinzip auszugehen, nach dem das Recht anzuwenden ist, das zu der Zeit galt, in der die maßgeblichen Rechtsfolgen eingetreten sind, wenn es an einer speziellen Regelung mangelt (BSG Urteil vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - RdNr 15). Die Anordnung einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen für vergangene Zeiträume lässt sich indes weder § 34 SGB II noch den einschlägigen Übergangsregelungen in § 80 SGB II entnehmen, weshalb es für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids vom 18.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.9.2012 allein auf das Recht ankommt, das der Beklagte noch im Zeitpunkt seines Widerspruchsbescheids vom 26.9.2012 anzuwenden hatte.

16

4. In formeller Hinsicht ist der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden. Der Kläger ist angehört worden (§ 24 Abs 1 SGB X). Auch ist die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X), zumal der Beklagte anerkannt hat, dass der Bescheid eine Regelung nur gegenüber dem Kläger enthält.

17

5. Der angefochtene Bescheid ist materiell rechtswidrig. Die Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs nach § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF liegen nicht vor, denn der Kläger hat nicht im Sinne dieser Vorschrift die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung herbeigeführt.

18

a) Die Anwendbarkeit des § 34 SGB II ist nicht deshalb gesperrt, weil der Beklagte wegen des dem Ersatzanspruch zugrunde liegenden Lebenssachverhalts - die arbeitgeberseitige Kündigung des Arbeitsvertrags mit dem Kläger im Februar 2011 - bereits eine Pflichtverletzung des Klägers festgestellt und dessen Alg II gemindert hatte(Bescheid vom 12.5.2011). Denn ein "Sanktionsbescheid" nach §§ 31 ff SGB II schließt eine an dasselbe Verhalten anknüpfende Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nach § 34 SGB II nicht aus. Weder lässt sich eine solche Anwendungssperre dem Wortlaut und der Systematik der gesetzlichen Regelungen entnehmen. Noch ist sie durch deren je eigenständigen Sinn und Zweck geboten. Während die "Sanktionen" (so Unterabschnitt 5 in Kapitel 3 Abschnitt 2) nach §§ 31 ff SGB II an näher bestimmte Pflichtverletzungen anknüpfen und auf diese in ausdifferenzierter Weise mit künftigen Leistungsminderungen reagieren, knüpft § 34 SGB II an die "Verpflichtung Anderer"(so Unterabschnitt 6 in Kapitel 3 Abschnitt 2) wegen der Herbeiführung der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung durch sozialwidriges Verhalten an und ermöglicht durch die Geltendmachung des Ersatzanspruchs die nachträgliche Wiederherstellung des Nachrangs der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. In einem Abhängigkeitsverhältnis stehen §§ 31 ff SGB II und § 34 SGB II nur insoweit, als Leistungsminderungen einen Ersatzanspruch mindern, weil dieser nur die gezahlten Leistungen erfasst.

19

b) Zum Ersatz der gezahlten Leistungen ist - bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - nur verpflichtet, wer die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung herbeigeführt hat.

20

"Herbeiführen" bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch "etwas bewirken" (durch gezieltes Handeln bewirken, dass etwas geschieht, dass es zu etwas kommt; vgl Paul, Deutsches Wörterbuch, 10. Aufl 2002, 467; Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 3. Aufl 1999, Bd 4, 1748; Duden. Das Bedeutungswörterbuch, 4. Aufl 2010, 485). Das Herbeiführen unterscheidet sich vom "Aufrechterhalten"; etwas aufrechterhalten ist kein Synonym zu etwas herbeiführen (Synonyme zu herbeiführen sind: anrichten, auslösen, bedingen, bewirken, entstehen lassen, erregen, erreichen, erwecken, erzeugen, erzwingen, geschehen lassen, heraufbeschwören, hervorbringen, hervorrufen, in Gang setzen, stiften, veranlassen, vermitteln, verursachen, wachrufen, wecken, zustande bringen; vgl Duden. Das Synonymwörterbuch, 5. Aufl 2010, 497).

21

Dem entspricht der besondere Gebrauch des Wortes "Herbeiführen" in der Rechtssprache. Nach den Gesetzesmaterialien zur Erstfassung des § 34 SGB II ist zum Ersatz der Leistungen verpflichtet, wer die Hilfebedürftigkeit "verursacht hat"(BT-Drucks 15/1516 S 62). Das BSG hat unter der Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit iS des § 34 SGB II(idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954) die "Schaffung" einer Leistungsvoraussetzung des SGB II verstanden (BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - BSGE 112, 135 = SozR 4-4200 § 34 Nr 1, RdNr 14).

22

Der Begriff des Herbeiführens der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung findet sich im Existenzsicherungsrecht auch außerhalb des SGB II in § 103 Abs 1 Satz 1 SGB XII(idF des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, BGBl I 3022), der im Wesentlichen inhaltsgleich den § 92a Abs 1 Satz 1 BSHG(in der bis zum 31.12.2004 gegoltenen Fassung) übertragen hat (BT-Drucks 15/1514 S 68 zu § 98 der Entwurfsfassung). Unter "Herbeiführen" iS des § 92a Abs 1 Satz 1 BSHG hat das BVerwG verstanden, dass der Ersatzpflichtige sich selbst oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen "in die Lage gebracht hat, Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen"(BVerwG Urteil vom 10.4.2003 - 5 C 4.02 - BVerwGE 118, 109, juris RdNr 16).

23

Soweit sich der Begriff des Herbeiführens im Sozialversicherungsrecht (§§ 103, 105 SGB VI, § 101 Abs 1 SGB VII) und im Privatversicherungsrecht (§ 162 VVG) findet, wird dieser verstanden im Sinne des "etwas bewirken" durch aktives Handeln, was hier schon deshalb nahe liegt, weil jeweils ein Leistungsausschluss an die Herbeiführung einer eigenen gesundheitlichen Beeinträchtigung oder des Todes eines Dritten anknüpft (vgl Voelzke, Die Herbeiführung des Versicherungsfalls im Sozialversicherungsrecht, 2004, 160 ff). Auch soweit sich der Begriff des Herbeiführens im Unterhaltsrecht findet (§ 1579 Nr 4 BGB) und eine Beschränkung oder Versagung des Unterhalts wegen grober Unbilligkeit vorsieht, wenn der Berechtigte seine Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hat, wird dieser Begriff in der Weise verstanden, dass mit ihm die Schaffung einer Bedürftigkeit gemeint ist und nicht deren bloße Aufrechterhaltung (vgl BGH Urteil vom 21.2.2001 - XII ZR 34/99 - BGHZ 146, 391, juris RdNr 19).

24

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II hat danach nur der iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF herbeigeführt, der diese Voraussetzungen geschaffen bzw sie bewirkt hat. Wer diese Leistungsvoraussetzungen bereits erfüllt und deren Vorliegen nicht beseitigt, führt die Voraussetzungen nicht erst herbei, sondern erhält sie aufrecht. Das Aufrechterhalten der Leistungsvoraussetzungen wird vom Begriff des Herbeiführens der Leistungsvoraussetzungen nicht umfasst (wie hier: Fügemann in Hauck/Noftz, K § 34 RdNr 30, Stand Juni 2014; Grote-Seifert in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 34 RdNr 21; Link in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 34 RdNr 21; Schnitzler in Harich, Handbuch der Grundsicherung für Arbeitsuchende, 2014, Stichwort "Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten" RdNr 10; aA Hänlein in Gagel, SGB II/SGB III, § 34 SGB II RdNr 11, Stand Juni 2009).

25

Dagegen, das Herbeiführen der Voraussetzungen für die Gewährung von SGB II-Leistungen iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF weiter als vorstehend beschrieben zu verstehen, sprechen nicht nur der allgemeine Sprachgebrauch und der besondere Gebrauch in der Rechtssprache. Für das wortlautnahe Verständnis des Herbeiführens als "etwas bewirken" spricht vielmehr auch, dass es sich bei dem Ersatzanspruch um eine eng auszulegende Ausnahme vom Grundsatz handelt, dass der Anspruch auf existenzsichernde Leistungen unabhängig von der Ursache der Hilfebedürftigkeit und einem Verschulden besteht (vgl BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - BSGE 112, 135 = SozR 4-4200 § 34 Nr 1, RdNr 17 ff; vgl auch BSG Urteil vom 16.4.2013 - B 14 AS 55/12 R - SozR 4-4200 § 34 Nr 2 RdNr 18).

26

Etwas anderes folgt nicht aus der Neufassung des § 34 Abs 1 SGB II mit Wirkung zum 1.8.2016 (BGBl I 1824). Nach dessen Satz 2 gilt als Herbeiführung iS des Satzes 1 auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Bei dieser gesetzlichen Fiktion ("gilt auch") handelt es sich nach dem Vorstehenden um eine echte Rechtsänderung, selbst wenn die Gesetzesmaterialien den neuen § 34 Abs 1 Satz 2 SGB II lediglich als Klarstellung bezeichnen(BT-Drucks 18/8041 S 45). Sie stellt nicht bloß klar, was schon immer galt. Dies zeigt schon der Vergleich der Wörter „herbeiführen“ und „aufrechterhalten“; auch geht die Neufassung über die Auslegung des § 34 SGB II in der bisherigen Rechtsprechung des BSG hinaus(zweifelnd an einer bloßen Klarstellung auch Groth/Siebel-Huffmann, NJW 2016, 3404, 3408).

27

c) Ausgehend hiervon hat der Kläger im Februar 2011 die Voraussetzungen für die Gewährung von SGB II-Leistungen nicht iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF herbeigeführt, weil er und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen bereits zuvor diese Voraussetzungen erfüllten, insbesondere hilfebedürftig waren, und deshalb vom Beklagten auch laufend Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts bewilligt und gezahlt erhielten. Diese bestehende Hilfebedürftigkeit blieb durch das im Februar 2011 begonnene und sogleich wieder beendete Arbeitsverhältnis unverändert aufrechterhalten. An dieses bloße Aufrechterhalten kann nach § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF nicht mit der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs durch den Beklagten angeknüpft werden.

28

d) Entgegen dem Revisionsvorbringen lässt sich vorliegend ein Herbeiführen iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF nicht damit begründen, dass die Hilfebedürftigkeit des Klägers und der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen bereits durch den Abschluss des Arbeitsvertrags im Februar 2011 entfallen und deshalb durch die Aufgabe der Arbeitstätigkeit im Februar 2011 neu entstanden sei. Denn für das Entfallen der Hilfebedürftigkeit kommt es nicht auf den Abschluss eines Arbeitsvertrags, sondern auf den Zufluss bereiter Mittel zur Deckung des Lebensunterhalts im jeweiligen Monat an (zu bereiten Mitteln zur Existenzsicherung vgl nur BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 43/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 74 RdNr 15 f; zum im SGB II maßgebenden Monatsprinzip vgl nur BSG Urteil vom 9.4.2014 - B 14 AS 23/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 75 RdNr 27 sowie BSG Urteil vom 28.10.2014 - B 14 AS 36/13 R - BSGE 117, 179 = SozR 4-4200 § 37 Nr 7, RdNr 25). Auch nach dem Vorbringen des Beklagten war indes ein Zufluss von Einkommen beim Kläger aus dem im Februar 2011 begründeten Arbeitsverhältnis erst im Folgemonat zu erwarten.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind, auch wenn sie in Form eines Gutscheins erbracht wurden, in Geld zu ersetzen. § 40 Absatz 6 Satz 2 gilt entsprechend. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.

(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. März 2012 aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. Mai 2011 zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Kostenersatzanspruch des Beklagten für SGB II-Leistungen.

2

Der 1973 geborene Kläger wurde wegen einer im Juli 2003 begangenen Straftat (räuberischer Diebstahl in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung) durch das AG Frankfurt am Main zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde (Urteil vom 18.10.2004). Aufgrund eines Haftbefehls desselben Gerichts vom 28.12.2004, das einen dringenden Verdacht der erneuten Belästigung der Geschädigten durch den Kläger sah, wurde er vom 17.1.2005 bis zum 18.3.2005 wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft genommen. Sein Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis zum 24.1.2005. Arbeitslosengeld erhielt der Kläger ab 22.3.2005.

3

Auf Antrag der Ehefrau des Klägers vom 15.2.2005 bewilligte der Beklagte für diese und die gemeinsame Tochter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 15.2. bis 31.3.2005. Von dem Kläger verlangte er "Kostenersatz wegen schuldhaften Verhaltens" für den Zeitraum vom 15.2. bis 21.3.2005 in Höhe von 1477,41 Euro (Bescheide vom 14.4.2005 und 23.3.2006). Im Widerspruchsverfahren setzte der Beklagte den Kostenersatz auf 1513,34 Euro fest und wies den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 15.5.2007). Dabei ging er davon aus, dass der Kläger seinen Arbeitsplatz aufgrund der Inhaftierung verloren und damit grob fahrlässig die Hilfebedürftigkeit seiner Ehefrau und des Kindes herbeigeführt habe.

4

Das SG hat die angefochtenen Bescheide vom 14.4.2005 und 23.3.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2007 aufgehoben, soweit der Zeitraum vom 15.2. bis 17.3.2005 betroffen war und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 24.5.2011), weil der Kläger während der Zeit der Untersuchungshaft nicht in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau und dem Kind gelebt habe. Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG das Urteil des SG abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen (Urteil vom 16.3.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, als Fallgruppe eines sozialwidrigen Verhaltens komme die Verletzung der Unterhaltspflicht durch Herbeiführung von Untersuchungs- oder Strafhaft in Betracht. Durch seine strafbare Handlung habe der Kläger sozialwidrig gehandelt, ohne dass ihm ein wichtiger Grund zur Seite gestanden habe. Es liege ein zumindest grob fahrlässiges Verhalten vor, weil für den Kläger vorhersehbar gewesen sei, dass sein Verhalten Hilfebedürftigkeit herbeiführen werde. Sowohl im Zeitpunkt des sozialwidrigen Verhaltens (Straftat im Jahre 2003) als auch im Zeitpunkt des Herbeiführens der Hilfebedürftigkeit (Untersuchungshaft Januar 2005) habe die Bedarfsgemeinschaft bestanden und während der Haft auch fortbestanden.

5

Mit seiner Revision rügt er die Verletzung von § 34 Abs 1 SGB II, der enger gefasst sei als die Vorgängerregelung des § 92a BSHG. Konstitutiv für das Bestehen eines Kostenersatzanspruchs sei das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft, die ohne Bezug zu beantragten oder gewährten Leistungen nicht existiere. Zwar habe er bei seiner Inhaftierung mit Frau und Kind in einem Haushalt gelebt, mangels Leistungsberechtigung aber keine Bedarfsgemeinschaft gebildet. Auch zum Zeitpunkt des Antrags auf SGB II-Leistungen und der tatsächlichen Leistungserbringung habe er nicht mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft gelebt. Auch verletze das Urteil den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, weil sein Verhalten wegen einer von der Bundesagentur für Arbeit verhängten Sperrzeit ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zweifach sanktioniert werde.

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Der Kläger beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. März 2012 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. Mai 2011 zurückzuweisen.

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Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Er hält die Ausführungen des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

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Auf die Revision des Klägers war das Urteil des LSG vom 16.3.2012 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG vom 24.5.2011 zurückzuweisen. Das SG hat die angefochtenen Bescheide vom 14.4.2005 und 23.3.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2007 im Ergebnis zu Recht aufgehoben, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Kostenersatzanspruch nach § 34 SGB II nicht vorliegen.

10

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 14.4.2005 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 23.3.2006 und des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2007, mit dem der Beklagte von dem Kläger zunächst für die Zeit vom 15.2.2005 bis 19.4.2005 Ersatz für die an seine Ehefrau und Tochter gewährten Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 2595,45 Euro, anschließend für die Zeit vom 15.2.2005 bis 21.3.2005 in Höhe von 1477,41 Euro und mit Widerspruchsbescheid vom 15.5.2007 zuletzt für die Zeit vom 15.2.2005 bis 21.3.2005 in Höhe von 1513,34 Euro verlangt hat.

11

Hiergegen wendet sich der Kläger zu Recht mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG). Da nur der Beklagte Berufung gegen das beide Beteiligte beschwerende Urteil des SG eingelegt hat, war ein Kostenersatzanspruch des Beklagten für den Zeitraum vom 18.3.2005 bis 21.3.2005 nicht (mehr) Gegenstand des Berufungsverfahrens. Nach Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und vollständiger Klageabweisung durch das LSG erstreckt sich die Überprüfung im Revisionsverfahren daher nur auf die Rechtmäßigkeit des für die Zeit vom 15.2.2005 bis 17.3.2005 von dem Beklagten geltend gemachten Ersatzanspruches.

12

2. Unabhängig von einer etwaigen teilweisen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide schon wegen einer Erhöhung des Kostenersatzanspruchs im Widerspruchsverfahren von 1477,41 Euro auf 1513,34 Euro ist die Revision des Klägers schon deshalb begründet, weil die Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch nach § 34 Abs 1 SGB II nicht vorliegen.

13

Nach § 34 Abs 1 SGB II in der vom 1.1.2005 bis 31.3.2011 geltenden Fassung des Art 1 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954) ist, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für seine Hilfebedürftigkeit oder die Hilfebedürftigkeit von Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben (Nr 1), oder die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an sich oder an Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben (Nr 2) ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet (Satz 1). Von der Geltendmachung des Ersatzanspruches ist abzusehen, soweit sie den Ersatzpflichtigen künftig von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch oder von Leistungen nach dem Zwölften Buch abhängig machen würde (Satz 2). Zwar scheitert ein Ersatzanspruch des Beklagten nicht schon daran, dass der Kläger mit seiner leistungsberechtigten Ehefrau sowie der gemeinsamen Tochter nicht in einer Bedarfsgemeinschaft iS des § 34 Abs 1 SGB II lebte. Es liegt jedoch kein sozialwidriges Verhalten des Klägers vor.

14

3. Der Kläger erfüllt die persönlichen Voraussetzungen der Ersatzpflicht. Der Kläger hat auch iS von § 34 Abs 1 SGB II mit seiner Ehefrau und Tochter in einer Bedarfsgemeinschaft iS des SGB II gelebt. Hiervon ist das LSG zu Recht ausgegangen. Der Ersatzanspruch nach § 34 SGB II setzt nicht voraus, dass schon vor Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit SGB II-Leistungen bezogen wurden und eine „Bedarfsgemeinschaft im Leistungsbezug“ vorlag. Es genügt, dass bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit dem Grunde nach eine Bedarfsgemeinschaft bestanden hätte. Der Begriff der Bedarfsgemeinschaft iS von § 34 Abs 1 S 1 SGB II wird insofern durch den in § 7 Abs 3 SGB II umschriebenen Personenkreis definiert. Ein anderes Verständnis der Bezugnahme auf den Begriff der Bedarfsgemeinschaft widerspräche dem Sinn und Zweck des § 34 SGB II, der gerade an die Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit - und somit die Schaffung einer Leistungsvoraussetzung des SGB II - für die Annahme einer Ersatzpflicht anknüpft. Vor der Inhaftierung am 17.1.2005 bildete der Kläger dem Grunde nach eine Bedarfsgemeinschaft mit seiner Familie nach § 7 Abs 3 Nr 3a, Nr 4 SGB II.

15

Es kann offen bleiben, ob die Voraussetzungen des § 34 Abs 1 SGB II auch (noch) vorliegen, wenn - etwa während eines längeren Leistungsbezugs - eine Lösung der Bedarfsgemeinschaft stattgefunden hat. Der Kläger hat hier auch während der Untersuchungshaft mit seiner Ehefrau und Tochter eine Bedarfsgemeinschaft iS des SGB II gebildet. Zwar war er selbst in der Zeit seiner Inhaftierung nach § 7 Abs 4 SGB II(idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954, gültig vom 1.1.2005 bis 31.7.2006) grundsätzlich von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen (vgl zur bis 31.7.2006 geltenden Rechtslage BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 5). Mangels eines erkennbaren Trennungswillens als nur vorübergehend räumlich getrennt lebender Ehegatte war er aber weiterhin als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 Nr 3a, Nr 4 SGB II anzusehen(vgl § 1567 Abs 1 BGB, BSGE 105, 291 = SozR 4-4200 § 7 Nr 16, jeweils RdNr 13 f; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 7 RdNr 41).

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4.a) Eine Heranziehung zum Kostenersatz scheitert jedoch daran, dass ein sozialwidriges Verhalten iS des § 34 Abs 1 SGB II hier nicht vorliegt. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift sowie ihrem jetzigen systematischen Kontext mit weiteren Regelungen des SGB II ergibt sich, dass nicht jedes - hier in hohem Maße gegebene - verwerfliche Verhalten, das eine Hilfebedürftigkeit oder Leistungserbringung nach dem SGB II verursacht, zur Erstattungspflicht führt. Erfasst wird nur ein Verhalten mit spezifischem Bezug, dh "innerem Zusammenhang", zur Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit bzw Leistungserbringung. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des als Ausnahmefall vorgesehenen Kostenersatzanspruchs gegenüber einem Leistungsberechtigten sowie dem jetzigen systematischen Kontext des § 34 SGB II mit weiteren SGB II-Regelungen. Das Verhalten des Klägers erfüllte die insofern zu stellenden Anforderungen nicht.

17

b) Aus der Entstehungsgeschichte des § 34 SGB II ergibt sich, dass es sich um einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand handelt. Während die jetzige Parallelregelung zum Kostenersatz bei schuldhaftem Verhalten in § 103 SGB XII die bis zum 31.12.2004 geltende Vorschrift des § 92a BSHG im Wesentlichen inhaltsgleich übernommen hat(BT-Drucks 15/1514 S 68 zu § 98), soll sich § 34 SGB II nach dem Willen des Gesetzgebers (lediglich) an die sozialhilferechtliche Regelung "anlehnen"(BT-Drucks 15/1516 S 62 zu § 34). Dies findet seinen Ausdruck in der zT unterschiedlichen Ausgestaltung beider Vorschriften, etwa darin, dass § 34 Abs 1 SGB II in seiner hier maßgebenden Fassung bis zum 31.3.2011 keine § 103 Abs 1 S 2 SGB XII entsprechende Regelung zum Wegfall einer Heranziehung zum Kostenersatz, sondern - mit dem Absehen von seiner Geltendmachung bei zu erwartenden Leistungsberechtigung nach dem SGB II oder dem SGB XII - lediglich eine "spezielle Härteregelung"(§ 34 Abs 1 S 2 SGB II aF)enthielt (Simon in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl 2010, § 103 RdNr 14). Auch setzt § 103 Abs 1 S 1 SGB XII im Unterschied zu § 34 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II nicht das Fehlen eines wichtigen Grundes voraus. Trotz dieser Unterschiede ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der gemeinsamen Vorgängervorschrift zu § 103 SGB XII und § 34 SGB II in § 92a BSHG, dass auch für den Ersatzanspruch nach § 34 SGB II ein sozialwidriges Verhalten des Erstattungspflichtigen notwendig vorauszusetzen ist.

18

Bereits bei Festsetzung eines Kostenersatzes bei schuldhaftem Verhalten nach § 92a BSHG(in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung), wonach zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet war, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Voraussetzungen für die Gewährung der Sozialhilfe an sich selbst oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hatte, war zu berücksichtigen, dass mit der Einführung des BSHG die frühere Verpflichtung zum Kostenersatz im Grundsatz beseitigt werden sollte. Eine Regelung wie diejenige zur Rückerstattungspflicht in den § 25 Abs 1, § 25a der Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht (RFV), die vorsah, dass der Unterstützte "dem Fürsorgeverband" die Kosten zu ersetzen hatte, war bewusst nicht in das BSHG übernommen worden(vgl hierzu bereits Wehlitz in NDV 1964, 152 ff, 153 mit Bezug auf die Diskussion bei Einführung des BSHG, bei der überwiegend die Auffassung vertreten worden sei, dass "die Aufrechterhaltung der Rückerstattungspflicht des Hilfeempfängers … mit dem Charakter einer modernen Sozialhilfe nicht zu vereinbaren sei und die gesetzliche Neukodifikation nicht mit einer erneuten Verankerung der Kostenerstattungspflicht des Hilfeempfängers belastet werden dürfe, die ein Relikt aus einer nunmehr überholten Entwicklungsphase des Fürsorgerechts darstelle"). Die neu aufgenommene Kostenersatzpflicht nach § 92a BSHG beschränkte sich daher auf einen "engen deliktähnlichen Ausnahmetatbestand" mit dem Ziel, "gewisse Unbilligkeiten" auszuschließen, die sich aus der uneingeschränkten Beseitigung der Kostenersatzpflicht des Hilfebedürftigen ergeben hätten(BVerwGE 51, 61 ff, 63). § 92a BSHG diene - so das BVerwG - der Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe, weshalb für diesen Nachranggrundsatz unterlaufendes Verhalten das Merkmal "sozialwidrig" zusätzlich zu dem in § 92a Abs 1 S 1 BSHG normierten Erfordernis eines "vorsätzlichen oder grob fahrlässigen" Verhaltens zu lesen sei(BVerwG aaO, S 61: "etwa wegen Arbeitsscheu oder Verschwendungssucht des Unterhaltspflichtigen").

19

Eine einschränkende Auslegung hält der Senat auch bei der Anwendung des § 34 Abs 1 SGB II für geboten, weil es sich bei § 34 SGB II in gleicher Weise wie bei § 92a BSHG bzw nunmehr § 103 Abs 1 SGB XII um eine Ausnahme von dem Grundsatz handelt, dass existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit zu leisten sind(BVerfG Beschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, 803; sa BSG SozR 4-4200 § 23 Nr 13, RdNr 12 mwN; vgl auch Klinge in Hauck/Noftz, SGB XII, § 103 RdNr 9, Stand 2/2012). Dieser Grundsatz einer "verschuldensfreien" Deckung des Existenzminimums darf nicht durch eine weitreichende und nicht nur auf begründete und eng zu fassende Ausnahmefälle begrenzte Ersatzpflicht der Leistungsberechtigten und ihrer Angehörigen konterkariert werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Ersatzanspruch nach § 34 SGB II seiner Höhe nach nicht begrenzt war.

20

c) Unter systematischen Gesichtspunkten sind auch die im SGB II festgeschriebenen Wertmaßstäbe bei der Einordnung eines Verhaltens als sozialwidrig iS des § 34 SGB II einzubeziehen(so ausdrücklich Hänlein in Gagel, SGB II/SGB III, § 34 RdNr 12 f, Stand 2009). In diesen Normen drückt sich - ähnlich wie im Sozialversicherungsrecht in den § 52 SGB V, §§ 103 f SGB VI und § 101 SGB VII(vgl hierzu insgesamt: Voelzke, Die Herbeiführung des Versicherungsfalls im Sozialversicherungsrecht, 2004) - aus, welches Verhalten als dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zuwiderlaufend angesehen wird. Insofern enthält das SGB II detaillierte Regelungen zur Refinanzierung zu Unrecht erbrachter SGB II-Leistungen bzw zu Leistungskürzungen bei einem Verhalten, das dem für die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts geltenden Nachranggrundsatz (§ 2 SGB II) widerspricht. So finden sich in § 31 SGB II zahlreiche Tatbestände einer Absenkung bzw eines Wegfalls des Alg II bei aus Sicht des SGB II nicht zu billigendem Verhalten. Diese stehen in engem Zusammenhang mit dem Merkmal des vom Leistungsberechtigten geforderten Einsatzes seiner Erwerbsfähigkeit (§ 31 Abs 1 und 2 SGB II) bzw einer gezielten Herbeiführung der Bedürftigkeit (§ 31 Abs 4 Nr 1 und 2 SGB II). Soweit § 31 Abs 4 Nr 3b SGB II für eine Minderung bzw einen Wegfall des SGB II-Anspruchs an die Sperrzeitregelungen des SGB III anknüpft, ist eine Sperrzeit bei einem arbeitsvertragswidrigen Verhalten, nicht jedoch einer - hier wohl allein in Betracht kommenden - personenbedingten Kündigung vorgesehen(§ 144 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB III; vgl zur Abgrenzung BSGE 91, 18 ff = SozR 4-4300 § 144 Nr 2).

21

Aus diesen Regelungen ist abzuleiten, dass ein - mit einer höheren Belastung verbundener - Ersatzanspruch nach § 34 Abs 1 SGB II nicht nur ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten voraussetzt. Das konkret vorgeworfene Verhalten muss vielmehr - auch im Rahmen der weitreichenden Ersatzpflicht nach § 34 SGB II - nach den Wertungen des SGB II sozialwidrig sein. Dies ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (BVerwG Urteil vom 24.6.1976 - V C 41.74 - BVerwGE 51, 61 ff, 65). Es muss ein spezifischer Bezug zwischen dem Verhalten selbst und dem Erfolg bestehen, um das Verhalten selbst als "sozialwidrig" bewerten zu können (vgl BVerwG Urteil vom 10.4.2003 - 5 C 4/02 - BVerwGE 118, 109 ff, 111).

22

d) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Verhalten des Klägers als moralisch in höchstem Maße verwerflich, nicht jedoch als sozialwidrig iS des § 34 SGB II einzustufen. Anders als möglicherweise bei Vermögensdelikten besteht bei den hier im Zentrum stehenden Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit kein spezifischer Bezug zur Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit der Ehefrau des Klägers und seines Kindes. Bei dem mit den Straftaten in Zusammenhang stehenden Verhalten des Klägers, das zu seiner Inhaftierung im Januar 2005 führte, handelt es sich nicht um ein solches, das in seiner Handlungstendenz auf die Einschränkung bzw den Wegfall der Erwerbsfähigkeit oder -möglichkeit bzw die Herbeiführung von Bedürftigkeit gerichtet war oder hiermit in innerem Zusammenhang stand. Es besteht auch kein Bezug zu anderen nach den Wertungen des SGB II zu missbilligenden Verhaltensweisen.

23

Dies steht auch nicht im Widerspruch zu der von beiden Beteiligten jeweils für ihren Rechtsstandpunkt herangezogenen Entscheidung des BVerwG vom 10.4.2003 (5 C 4/02, BVerwGE 118, 109 ff). Auch das BVerwG ist davon ausgegangen, dass nicht die Inhaftierung an sich, sondern nur die konkrete Feststellung und Würdigung der zur Inhaftierung führenden Umstände ggf eine sozialwidrige Verursachung der Bedürftigkeit von Angehörigen begründen können (BVerwG aaO S 112 f). Anders als in dem hier zu beurteilenden Sachverhalt hatte das BVerwG über die Einstufung eines strafbaren geschäftswidrigen Verhaltens (Untreue, Betrug, Verletzung der Buchführungspflicht, Bankrott, verspätete Konkursanmeldung) mit der Folge des Wegfalls einer selbständigen Existenzgrundlage zu entscheiden, bei dem ein spezifischer Bezug bzw ein innerer Zusammenhang zum SGB II (zB zu einer Arbeitsplatzaufgabe) möglicherweise näher liegen könnte.

24

5. Da es schon an einem sozialwidrigen Verhalten iS des § 34 SGB II fehlt, brauchte der Senat nicht zu prüfen, ob der Kläger für sein Verhalten einen wichtigen Grund vorweisen kann(vgl zu dessen Berücksichtigung als eigenständiges Tatbestandsmerkmal: Cantzler in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl 2011, § 34 RdNr 7; Link in Eicher/Spellbrink, aaO, § 34 RdNr 15; aA Hölzer in Estelmann, SGB II, § 34 RdNr 29, Stand 12/2011; Fügemann in Hauck/Noftz, SGB II, § 34 RdNr 33 ff, Stand 1/2012), zwischen dem sozialwidrigen Verhalten und der Notwendigkeit von Leistungen nach dem SGB II ein ursächlicher Zusammenhang bestand und das als sozialwidrig einzustufende Verhalten zumindest grob fahrlässig gewesen ist.

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Bedarfe für Bildung nach den Absätzen 2 bis 6 von Schülerinnen und Schülern, die eine allgemein- oder berufsbildende Schule besuchen, sowie Bedarfe von Kindern und Jugendlichen für Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft nach Absatz 7 werden neben den maßgebenden Regelbedarfsstufen gesondert berücksichtigt. Leistungen hierfür werden nach den Maßgaben des § 34a gesondert erbracht.

(2) Bedarfe werden bei Schülerinnen und Schülern in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt für

1.
Schulausflüge und
2.
mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen.
Für Kinder, die eine Tageseinrichtung besuchen oder für die Kindertagespflege geleistet wird, gilt Satz 1 entsprechend.

(3) Bedarfe für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf werden bei Schülerinnen und Schülern für den Monat, in dem der erste Schultag eines Schuljahres liegt, in Höhe von 100 Euro und für den Monat, in dem das zweite Schulhalbjahr eines Schuljahres beginnt, in Höhe von 50 Euro anerkannt. Abweichend von Satz 1 ist Schülerinnen und Schülern für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf ein Bedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 100 Euro für das erste Schulhalbjahr, wenn die erstmalige Aufnahme innerhalb des Schuljahres nach dem Monat erfolgt, in dem das erste Schulhalbjahr beginnt, aber vor Beginn des Monats, in dem das zweite Schulhalbjahr beginnt,
2.
in Höhe des Betrags für das erste und das zweite Schulhalbjahr, wenn die erstmalige Aufnahme innerhalb des Schuljahres in oder nach dem Monat erfolgt, in dem das zweite Schulhalbjahr beginnt,
3.
in Höhe von 50 Euro, wenn der Schulbesuch nach dem Monat, in dem das Schuljahr begonnen hat, unterbrochen wird und die Wiederaufnahme nach dem Monat erfolgt, in dem das zweite Schulhalbjahr beginnt.

(3a) Der nach Absatz 3 anzuerkennende Teilbetrag für ein erstes Schulhalbjahr eines Schuljahres wird kalenderjährlich mit dem in der maßgeblichen Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung nach den §§ 28a und 40 Nummer 1 bestimmten Prozentsatz fortgeschrieben; der fortgeschriebene Wert ist bis unter 0,50 Euro auf den nächsten vollen Euro abzurunden und ab 0,50 Euro auf den nächsten vollen Euro aufzurunden (Anlage). Der Teilbetrag für das zweite Schulhalbjahr eines Schuljahres nach Absatz 3 beträgt 50 Prozent des sich nach Satz 1 für das jeweilige Kalenderjahr ergebenden Teilbetrags (Anlage). Liegen die Ergebnisse einer bundesweiten neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vor, ist der Teilbetrag nach Satz 1 durch Bundesgesetz um den Betrag zu erhöhen, der sich aus der prozentualen Erhöhung der Regelbedarfsstufe 1 nach § 28 für das jeweilige Kalenderjahr durch Bundesgesetz ergibt, das Ergebnis ist entsprechend Satz 1 zweiter Teilsatz zu runden und die Anlage zu ergänzen. Aus dem sich nach Satz 3 ergebenden Teilbetrag für das erste Schulhalbjahr ist der Teilbetrag für das zweite Schulhalbjahr des jeweiligen Kalenderjahres entsprechend Satz 2 durch Bundesgesetz zu bestimmen und die Anlage um den sich ergebenden Betrag zu ergänzen.

(4) Bei Schülerinnen und Schülern, die für den Besuch der nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs auf Schülerbeförderung angewiesen sind, werden die dafür erforderlichen tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigt, soweit sie nicht von Dritten übernommen werden. Als nächstgelegene Schule des gewählten Bildungsgangs gilt auch eine Schule, die aufgrund ihres Profils gewählt wurde, soweit aus diesem Profil eine besondere inhaltliche oder organisatorische Ausgestaltung des Unterrichts folgt; dies sind insbesondere Schulen mit naturwissenschaftlichem, musischem, sportlichem oder sprachlichem Profil sowie bilinguale Schulen, und Schulen mit ganztägiger Ausrichtung.

(5) Für Schülerinnen und Schüler wird eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Auf eine bestehende Versetzungsgefährdung kommt es dabei nicht an.

(6) Bei Teilnahme an einer gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung werden die entstehenden Aufwendungen berücksichtigt für

1.
Schülerinnen und Schüler und
2.
Kinder, die eine Tageseinrichtung besuchen oder für die Kindertagespflege geleistet wird.
Für Schülerinnen und Schüler gilt dies unter der Voraussetzung, dass die Mittagsverpflegung in schulischer Verantwortung angeboten wird oder durch einen Kooperationsvertrag zwischen Schule und Tageseinrichtung vereinbart ist. In den Fällen des Satzes 2 ist für die Ermittlung des monatlichen Bedarfs die Anzahl der Schultage in dem Land zugrunde zu legen, in dem der Schulbesuch stattfindet.

(7) Für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft werden pauschal 15 Euro monatlich berücksichtigt, sofern bei Leistungsberechtigten, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, tatsächliche Aufwendungen entstehen im Zusammenhang mit der Teilnahme an

1.
Aktivitäten in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit,
2.
Unterricht in künstlerischen Fächern (zum Beispiel Musikunterricht) und vergleichbare angeleitete Aktivitäten der kulturellen Bildung und
3.
Freizeiten.
Neben der Berücksichtigung von Bedarfen nach Satz 1 können auch weitere tatsächliche Aufwendungen berücksichtigt werden, wenn sie im Zusammenhang mit der Teilnahme an Aktivitäten nach Satz 1 Nummer 1 bis 3 entstehen und es den Leistungsberechtigten im Einzelfall nicht zugemutet werden kann, diese aus den Leistungen nach Satz 1 und aus dem Regelbedarf zu bestreiten.

(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind, auch wenn sie in Form eines Gutscheins erbracht wurden, in Geld zu ersetzen. § 40 Absatz 6 Satz 2 gilt entsprechend. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.

(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen müssen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person muss aktiv an allen Maßnahmen zu ihrer Eingliederung in Arbeit mitwirken, insbesondere einen Kooperationsplan abschließen. Im Rahmen der vorrangigen Selbsthilfe und Eigenverantwortung sollen erwerbsfähige leistungsberechtigte Personen eigene Potenziale nutzen und Leistungen anderer Träger in Anspruch nehmen.

(2) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen haben in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten zu nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte müssen ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen einsetzen.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind, auch wenn sie in Form eines Gutscheins erbracht wurden, in Geld zu ersetzen. § 40 Absatz 6 Satz 2 gilt entsprechend. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.

(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 10. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten nach § 34 SGB II.

2

Der Kläger bezog mit seiner Ehefrau und den beiden Kindern als Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Während des Leistungsbezugs (Bewilligungszeitraum Februar bis Juni 2011) schloss der Kläger einen unbefristeten Arbeitsvertrag ab dem 14.2.2011 mit einer Zeitarbeitsfirma als Schweißer, nach dem ihm auch vorübergehend andere Tätigkeiten zugewiesen werden konnten. Am 23.2.2011 wurde dem Kläger zum 28.2.2011 gekündigt, weil er - nach Angaben der Zeitarbeitsfirma - am 22.2.2011 mitgeteilt habe, er wolle die Arbeit bei dem Entleiher nicht fortsetzen, da er nicht als Schweißer eingesetzt werde, und weil er trotz Aufforderung, die Arbeit fortzusetzen, diese nicht wieder aufgenommen habe. Hierauf stellte der Beklagte eine Pflichtverletzung des Klägers fest und minderte dessen Alg II um 30 % des für ihn maßgebenden Regelbedarfs ab Juni 2011 für drei Monate (Bescheid vom 12.5.2011). Der Kläger nahm während des fortdauernden Leistungsbezugs (Bewilligungszeitraum Juli bis Dezember 2011) zum 31.8.2011 eine Arbeit auf, worauf der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Bedarfsgemeinschaft ab Oktober 2011 wegen bedarfsdeckenden Einkommens ganz aufhob.

3

Nach Anhörung des Klägers und seiner Ehefrau machte die vom Beklagten herangezogene Samtgemeinde S gegenüber beiden einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II in Höhe von 7520,97 Euro für die an die Bedarfsgemeinschaft von April bis September 2011 gezahlten Leistungen geltend(Bescheid vom 18.5.2012). Durch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 28.2.2011 aufgrund arbeitsvertragswidrigen Verhaltens des Klägers sei der Anspruch der Bedarfsgemeinschaftsmitglieder auf Leistungen nach dem SGB II durch sozialwidriges Verhalten verursacht worden. Die hiergegen erhobenen Widersprüche des Klägers und seiner Ehefrau wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 26.9.2012).

4

Im Klageverfahren des Klägers und seiner Ehefrau vor dem SG stellte der Beklagte klar, dass sich der Ersatzanspruch allein gegen den Kläger richte, und er anerkannte in der mündlichen Verhandlung vom 28.4.2014 den Klageanspruch gegenüber dessen Frau, was diese annahm. Das SG hat die Klage des Klägers abgewiesen (Urteil vom 28.4.2014). Das LSG hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG und den Bescheid vom 18.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.9.2012 und in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 28.4.2014 aufgehoben (Urteil vom 10.12.2015): Der Kläger habe die Voraussetzungen für den Leistungsbezug nicht iS des § 34 SGB II herbeigeführt, weil das Herbeiführen nicht auch das Aufrechterhalten der Hilfebedürftigkeit umfasse; Hilfebedürftigkeit habe bereits zum Zeitpunkt des in Rede stehenden Verhaltens des Klägers bestanden.

5

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Beklagte die Verletzung von § 34 SGB II geltend. Für das Herbeiführen bzw das "Aufrechterhalten" sei auf den Abschluss des Arbeitsvertrags abzustellen; hierdurch sei bereits die Hilfebedürftigkeit entfallen.

6

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 10. Dezember 2015 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 28. April 2014 zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Sein angefochtener Bescheid über einen Ersatzanspruch gegen den Kläger ist vom LSG zu Recht aufgehoben worden.

9

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG, durch das auf die Berufung des Klägers das klageabweisende Urteil des SG und der vom Kläger angefochtene Bescheid des Beklagten aufgehoben wurden, und damit das Begehren des Beklagten, unter Aufhebung des Urteils des LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Durch dieses war seine Klage gegen den Bescheid vom 18.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.9.2012 abgewiesen worden, durch die der Beklagte einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II gegen den Kläger geltend gemacht hatte.

10

2. Hiergegen wendet sich zutreffend allein der Kläger mit der reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG; vgl BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - BSGE 112, 135 = SozR 4-4200 § 34 Nr 1, RdNr 11). Der angefochtene Bescheid regelt die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nur noch gegenüber dem Kläger und nicht mehr gegenüber seiner Ehefrau, nachdem der Beklagte vor dem SG ein entsprechendes Teilanerkenntnis abgegeben und die zunächst klagende Ehefrau dieses angenommen hat.

11

Zutreffend auch richtet sich die Anfechtungsklage gegen das Jobcenter des beklagten Landkreises E Zwar ist der Bescheid vom 18.5.2012 von der Samtgemeinde S erlassen worden, doch liegt dem weder eine abweichende Trägerschaft für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende noch eine Wahrnehmungszuständigkeit der Samtgemeinde zugrunde (vgl zu einer solchen BSG Urteil vom 28.10.2014 - B 14 AS 65/13 R - BSGE 117, 186 = SozR 4-4200 § 7 Nr 39, RdNr 9 f). Nur der beklagte Landkreis ist ein zugelassener kommunaler Träger nach § 6a SGB II(Anlage zu § 1 der Kommunalträger-Zulassungsverordnung). Die Samtgemeinde ist vom Beklagten zur Durchführung der diesem als zugelassenen kommunalen Träger obliegenden Aufgaben nur in dessen Namen herangezogen worden (vgl § 3 Abs 1 Niedersächsisches Gesetz zur Ausführung des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs und des § 6b des Bundeskindergeldgesetzes vom 16.9.2004 ).

12

3. Als Rechtsgrundlage der angefochtenen Geltendmachung eines Ersatzanspruchs kommt allein § 34 SGB II in Betracht, der eine Befugnis zur Geltendmachung eines Ersatzanspruchs durch Erlass eines Verwaltungsakts iS des § 31 SGB X vorsieht(vgl BSG Urteil vom 16.4.2013 - B 14 AS 55/12 R - SozR 4-4200 § 34 Nr 2 RdNr 12). § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II(idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850; im Folgenden: aF) bestimmt: Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet.

13

Diese am 1.4.2011 in Kraft getretene Fassung findet hier Anwendung, obwohl der in 2012 geltend gemachte Ersatzanspruch an einen Lebenssachverhalt - die arbeitgeberseitige Kündigung des Arbeitsvertrags mit dem Kläger im Februar 2011 - vor dem 1.4.2011 anknüpft. Denn weder § 34 SGB II aF noch den einschlägigen Übergangsregelungen in § 77 SGB II ist zu entnehmen, dass die am 1.4.2011 in Kraft getretene Fassung des § 34 SGB II nicht auf vorherige Lebenssachverhalte Anwendung findet. Dies unterscheidet § 34 SGB II aF von § 31 SGB II(idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850), dessen Neufassung ebenfalls am 1.4.2011 in Kraft getreten ist, denn insoweit ist in § 77 Abs 12 SGB II bestimmt, dass § 31 SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden ist für Pflichtverletzungen, die vor dem 1.4.2011 begangen worden sind. Verfassungsrecht steht dem unter dem Gesichtspunkt einer Rückwirkung nicht entgegen, weil schon nicht erkennbar ist, dass insoweit ein Vertrauen auf den Fortbestand der vorherigen Rechtslage sachlich gerechtfertigt und daher schutzwürdig ist (zur Unterscheidung von unechter Rückwirkung als tatbestandlicher Rückanknüpfung und echter Rückwirkung als Rückbewirkung von Rechtsfolgen sowie zur Schutzwürdigkeit von Vertrauen vgl letztens etwa BVerfG Beschluss vom 16.12.2015 - 2 BvR 1958/13 - juris RdNr 43 f, 51 f). Zudem enthielt auch § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung (Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954) eine Rechtsgrundlage für einen Ersatzanspruch, deren Tatbestandsmerkmale trotz teils abweichender Formulierungen mit denen des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF übereinstimmen, insbesondere das Herbeiführen der Hilfebedürftigkeit erfordern.

14

Der Anwendung des § 34 SGB II aF steht auch nicht entgegen, dass § 34 SGB II im Zeitpunkt der Revisionsentscheidung nicht mehr in dieser, sondern in der am 1.8.2016 in Kraft getretenen Fassung gilt (Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.7.2016, BGBl I 1824). Denn in Rechtsstreitigkeiten über in der Vergangenheit liegende Zeiträume bzw über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte ist das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden.

15

Zwar ist eine frühere, durch eine Änderung des Gesetzes abgelöste alte Fassung des Gesetzes kein aktuell geltendes Recht mehr. Aufgrund der gesetzlichen Konzeption der Übergangsvor-schriften im SGB II, die Ausdruck des aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art 20 Abs 3 GG folgenden Grundsatzes des Vertrauensschutzes auch bei Rechtsänderungen sind, ist jedoch im SGB II vom sog Geltungszeitraumprinzip auszugehen, nach dem das Recht anzuwenden ist, das zu der Zeit galt, in der die maßgeblichen Rechtsfolgen eingetreten sind, wenn es an einer speziellen Regelung mangelt (BSG Urteil vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - RdNr 15). Die Anordnung einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen für vergangene Zeiträume lässt sich indes weder § 34 SGB II noch den einschlägigen Übergangsregelungen in § 80 SGB II entnehmen, weshalb es für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids vom 18.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.9.2012 allein auf das Recht ankommt, das der Beklagte noch im Zeitpunkt seines Widerspruchsbescheids vom 26.9.2012 anzuwenden hatte.

16

4. In formeller Hinsicht ist der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden. Der Kläger ist angehört worden (§ 24 Abs 1 SGB X). Auch ist die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X), zumal der Beklagte anerkannt hat, dass der Bescheid eine Regelung nur gegenüber dem Kläger enthält.

17

5. Der angefochtene Bescheid ist materiell rechtswidrig. Die Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs nach § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF liegen nicht vor, denn der Kläger hat nicht im Sinne dieser Vorschrift die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung herbeigeführt.

18

a) Die Anwendbarkeit des § 34 SGB II ist nicht deshalb gesperrt, weil der Beklagte wegen des dem Ersatzanspruch zugrunde liegenden Lebenssachverhalts - die arbeitgeberseitige Kündigung des Arbeitsvertrags mit dem Kläger im Februar 2011 - bereits eine Pflichtverletzung des Klägers festgestellt und dessen Alg II gemindert hatte(Bescheid vom 12.5.2011). Denn ein "Sanktionsbescheid" nach §§ 31 ff SGB II schließt eine an dasselbe Verhalten anknüpfende Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nach § 34 SGB II nicht aus. Weder lässt sich eine solche Anwendungssperre dem Wortlaut und der Systematik der gesetzlichen Regelungen entnehmen. Noch ist sie durch deren je eigenständigen Sinn und Zweck geboten. Während die "Sanktionen" (so Unterabschnitt 5 in Kapitel 3 Abschnitt 2) nach §§ 31 ff SGB II an näher bestimmte Pflichtverletzungen anknüpfen und auf diese in ausdifferenzierter Weise mit künftigen Leistungsminderungen reagieren, knüpft § 34 SGB II an die "Verpflichtung Anderer"(so Unterabschnitt 6 in Kapitel 3 Abschnitt 2) wegen der Herbeiführung der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung durch sozialwidriges Verhalten an und ermöglicht durch die Geltendmachung des Ersatzanspruchs die nachträgliche Wiederherstellung des Nachrangs der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. In einem Abhängigkeitsverhältnis stehen §§ 31 ff SGB II und § 34 SGB II nur insoweit, als Leistungsminderungen einen Ersatzanspruch mindern, weil dieser nur die gezahlten Leistungen erfasst.

19

b) Zum Ersatz der gezahlten Leistungen ist - bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - nur verpflichtet, wer die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung herbeigeführt hat.

20

"Herbeiführen" bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch "etwas bewirken" (durch gezieltes Handeln bewirken, dass etwas geschieht, dass es zu etwas kommt; vgl Paul, Deutsches Wörterbuch, 10. Aufl 2002, 467; Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 3. Aufl 1999, Bd 4, 1748; Duden. Das Bedeutungswörterbuch, 4. Aufl 2010, 485). Das Herbeiführen unterscheidet sich vom "Aufrechterhalten"; etwas aufrechterhalten ist kein Synonym zu etwas herbeiführen (Synonyme zu herbeiführen sind: anrichten, auslösen, bedingen, bewirken, entstehen lassen, erregen, erreichen, erwecken, erzeugen, erzwingen, geschehen lassen, heraufbeschwören, hervorbringen, hervorrufen, in Gang setzen, stiften, veranlassen, vermitteln, verursachen, wachrufen, wecken, zustande bringen; vgl Duden. Das Synonymwörterbuch, 5. Aufl 2010, 497).

21

Dem entspricht der besondere Gebrauch des Wortes "Herbeiführen" in der Rechtssprache. Nach den Gesetzesmaterialien zur Erstfassung des § 34 SGB II ist zum Ersatz der Leistungen verpflichtet, wer die Hilfebedürftigkeit "verursacht hat"(BT-Drucks 15/1516 S 62). Das BSG hat unter der Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit iS des § 34 SGB II(idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954) die "Schaffung" einer Leistungsvoraussetzung des SGB II verstanden (BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - BSGE 112, 135 = SozR 4-4200 § 34 Nr 1, RdNr 14).

22

Der Begriff des Herbeiführens der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung findet sich im Existenzsicherungsrecht auch außerhalb des SGB II in § 103 Abs 1 Satz 1 SGB XII(idF des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, BGBl I 3022), der im Wesentlichen inhaltsgleich den § 92a Abs 1 Satz 1 BSHG(in der bis zum 31.12.2004 gegoltenen Fassung) übertragen hat (BT-Drucks 15/1514 S 68 zu § 98 der Entwurfsfassung). Unter "Herbeiführen" iS des § 92a Abs 1 Satz 1 BSHG hat das BVerwG verstanden, dass der Ersatzpflichtige sich selbst oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen "in die Lage gebracht hat, Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen"(BVerwG Urteil vom 10.4.2003 - 5 C 4.02 - BVerwGE 118, 109, juris RdNr 16).

23

Soweit sich der Begriff des Herbeiführens im Sozialversicherungsrecht (§§ 103, 105 SGB VI, § 101 Abs 1 SGB VII) und im Privatversicherungsrecht (§ 162 VVG) findet, wird dieser verstanden im Sinne des "etwas bewirken" durch aktives Handeln, was hier schon deshalb nahe liegt, weil jeweils ein Leistungsausschluss an die Herbeiführung einer eigenen gesundheitlichen Beeinträchtigung oder des Todes eines Dritten anknüpft (vgl Voelzke, Die Herbeiführung des Versicherungsfalls im Sozialversicherungsrecht, 2004, 160 ff). Auch soweit sich der Begriff des Herbeiführens im Unterhaltsrecht findet (§ 1579 Nr 4 BGB) und eine Beschränkung oder Versagung des Unterhalts wegen grober Unbilligkeit vorsieht, wenn der Berechtigte seine Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hat, wird dieser Begriff in der Weise verstanden, dass mit ihm die Schaffung einer Bedürftigkeit gemeint ist und nicht deren bloße Aufrechterhaltung (vgl BGH Urteil vom 21.2.2001 - XII ZR 34/99 - BGHZ 146, 391, juris RdNr 19).

24

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II hat danach nur der iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF herbeigeführt, der diese Voraussetzungen geschaffen bzw sie bewirkt hat. Wer diese Leistungsvoraussetzungen bereits erfüllt und deren Vorliegen nicht beseitigt, führt die Voraussetzungen nicht erst herbei, sondern erhält sie aufrecht. Das Aufrechterhalten der Leistungsvoraussetzungen wird vom Begriff des Herbeiführens der Leistungsvoraussetzungen nicht umfasst (wie hier: Fügemann in Hauck/Noftz, K § 34 RdNr 30, Stand Juni 2014; Grote-Seifert in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 34 RdNr 21; Link in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 34 RdNr 21; Schnitzler in Harich, Handbuch der Grundsicherung für Arbeitsuchende, 2014, Stichwort "Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten" RdNr 10; aA Hänlein in Gagel, SGB II/SGB III, § 34 SGB II RdNr 11, Stand Juni 2009).

25

Dagegen, das Herbeiführen der Voraussetzungen für die Gewährung von SGB II-Leistungen iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF weiter als vorstehend beschrieben zu verstehen, sprechen nicht nur der allgemeine Sprachgebrauch und der besondere Gebrauch in der Rechtssprache. Für das wortlautnahe Verständnis des Herbeiführens als "etwas bewirken" spricht vielmehr auch, dass es sich bei dem Ersatzanspruch um eine eng auszulegende Ausnahme vom Grundsatz handelt, dass der Anspruch auf existenzsichernde Leistungen unabhängig von der Ursache der Hilfebedürftigkeit und einem Verschulden besteht (vgl BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - BSGE 112, 135 = SozR 4-4200 § 34 Nr 1, RdNr 17 ff; vgl auch BSG Urteil vom 16.4.2013 - B 14 AS 55/12 R - SozR 4-4200 § 34 Nr 2 RdNr 18).

26

Etwas anderes folgt nicht aus der Neufassung des § 34 Abs 1 SGB II mit Wirkung zum 1.8.2016 (BGBl I 1824). Nach dessen Satz 2 gilt als Herbeiführung iS des Satzes 1 auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Bei dieser gesetzlichen Fiktion ("gilt auch") handelt es sich nach dem Vorstehenden um eine echte Rechtsänderung, selbst wenn die Gesetzesmaterialien den neuen § 34 Abs 1 Satz 2 SGB II lediglich als Klarstellung bezeichnen(BT-Drucks 18/8041 S 45). Sie stellt nicht bloß klar, was schon immer galt. Dies zeigt schon der Vergleich der Wörter „herbeiführen“ und „aufrechterhalten“; auch geht die Neufassung über die Auslegung des § 34 SGB II in der bisherigen Rechtsprechung des BSG hinaus(zweifelnd an einer bloßen Klarstellung auch Groth/Siebel-Huffmann, NJW 2016, 3404, 3408).

27

c) Ausgehend hiervon hat der Kläger im Februar 2011 die Voraussetzungen für die Gewährung von SGB II-Leistungen nicht iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF herbeigeführt, weil er und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen bereits zuvor diese Voraussetzungen erfüllten, insbesondere hilfebedürftig waren, und deshalb vom Beklagten auch laufend Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts bewilligt und gezahlt erhielten. Diese bestehende Hilfebedürftigkeit blieb durch das im Februar 2011 begonnene und sogleich wieder beendete Arbeitsverhältnis unverändert aufrechterhalten. An dieses bloße Aufrechterhalten kann nach § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF nicht mit der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs durch den Beklagten angeknüpft werden.

28

d) Entgegen dem Revisionsvorbringen lässt sich vorliegend ein Herbeiführen iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF nicht damit begründen, dass die Hilfebedürftigkeit des Klägers und der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen bereits durch den Abschluss des Arbeitsvertrags im Februar 2011 entfallen und deshalb durch die Aufgabe der Arbeitstätigkeit im Februar 2011 neu entstanden sei. Denn für das Entfallen der Hilfebedürftigkeit kommt es nicht auf den Abschluss eines Arbeitsvertrags, sondern auf den Zufluss bereiter Mittel zur Deckung des Lebensunterhalts im jeweiligen Monat an (zu bereiten Mitteln zur Existenzsicherung vgl nur BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 43/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 74 RdNr 15 f; zum im SGB II maßgebenden Monatsprinzip vgl nur BSG Urteil vom 9.4.2014 - B 14 AS 23/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 75 RdNr 27 sowie BSG Urteil vom 28.10.2014 - B 14 AS 36/13 R - BSGE 117, 179 = SozR 4-4200 § 37 Nr 7, RdNr 25). Auch nach dem Vorbringen des Beklagten war indes ein Zufluss von Einkommen beim Kläger aus dem im Februar 2011 begründeten Arbeitsverhältnis erst im Folgemonat zu erwarten.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind, auch wenn sie in Form eines Gutscheins erbracht wurden, in Geld zu ersetzen. § 40 Absatz 6 Satz 2 gilt entsprechend. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.

(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind, auch wenn sie in Form eines Gutscheins erbracht wurden, in Geld zu ersetzen. § 40 Absatz 6 Satz 2 gilt entsprechend. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.

(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind, auch wenn sie in Form eines Gutscheins erbracht wurden, in Geld zu ersetzen. § 40 Absatz 6 Satz 2 gilt entsprechend. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.

(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.

1. Das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 15.02.2012 sowie der Bescheid des Beklagten vom 26.10.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2011 werden aufgehoben.

2. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen einen auf § 34 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gestützten Erstattungsbescheid.

2

Die 1969 geborene Klägerin stellte am 11.05.2010 für sich und ihre bei ihr lebende, am 1991 geborene Tochter M einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

3

Die Klägerin hatte von März bis Dezember 2009 als Hilfe in der Datenerfassung der Arbeitsgemeinschaft M gearbeitet. Zum 01.01.2010 wechselte sie als Laborhilfe in das M für Laboratoriumsmedizin K GbR. Die Anstellungsverträge waren jeweils auf die Zeit bis zum 28.02.2011 befristet; Hinweise auf die Pflicht, sich innerhalb bestimmter Fristen bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden, enthielten die Verträge nicht. Für die regelmäßig 40 Stunden wöchentlich ausgeübte Tätigkeit erhielt die Klägerin eine Bruttovergütung in Höhe von 1.800,00 € und 59,30 € für eine Fahrkarte; netto wurden ihr 1.343,12 € monatlich ausgezahlt.

4

Vom 04. bis 28.03.2010 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Am 31.03.2010 ging beim Arbeitgeber die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2010 durch die Klägerin ein. Da sie im April nicht mehr zur Arbeit erschien, erfolgte die letzte Lohnzahlung im März 2010.

5

Laut Bescheid der Agentur für Arbeit Koblenz vom 11.05.2010 hatte die Klägerin ab dem 01.05.2010 Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 117 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Für die Zeit vom 01.05. bis zum 23.07.2010 wurde eine Sperrzeit von 12 Wochen wegen Arbeitsaufgabe nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III festgestellt, für die Zeit vom 24. bis 30.07.2010 eine Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB III. Vom 31.07.2010 bis zum 22.04.2011 wurde täglich ein Betrag von 26,44 €, entsprechend 793,20 € monatlich, gewährt. Der Tochter der Klägerin wurde durch Bescheid vom 07.05.2010 für die Zeit vom 22.04. bis 17.09.2010 Berufsausbildungsbeihilfe gemäß § 59 SGB III in Höhe von monatlich 293,00 € und für die Zeit vom 18.09.2010 bis zum 21.02.2011 in Höhe von 272,00 € monatlich gewährt. Ferner wurde für sie Kindergeld bezahlt.

6

Mit Bescheid vom 27.05.2010, laut Aktenvermerk am 01.06.2006 abgesandt, senkte der Beklagte den der Klägerin zustehenden Anteil des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 11.05. bis zum 31.07.2010 um 30 vH der maßgebenden Regelleistung, also 107,70 € monatlich, ab. Das Ruhen des Arbeitslosengeldes aufgrund der Sperrzeit stelle eine Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 4 Nr. 3a SGB II dar. Mit Bescheid vom 01.06.2010 gewährte der Beklagte der Klägerin und ihrer Tochter für die Zeit vom 11. bis 31.05.2010 Leistungen in Höhe von insgesamt 406,57 €, für Juni 2010 von insgesamt 580,81 € und für Juli 2010 in Höhe von insgesamt 555,37 €, wobei der Minderungsbetrag wegen der Sanktion (für Mai anteilig) berücksichtigt wurde. Nachdem M F ihre berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme zum 04.06.2010 beendet hatte, gewährte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 30.06.2010 für Juni und Juli 2010 höhere Leistungen. Für Juni wurden insgesamt 764,54 € bewilligt, für Juli 767,37 €.

7

Mit Schreiben vom 29.06.2009 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid. Sie habe bereits von der Agentur für Arbeit eine dreimonatige Sperre wegen der Eigenkündigung des Beschäftigungsverhältnisses bekommen. Ihr sei nicht bekannt gewesen, dass sie aufgrund des erlittenen Mobbings eigentlich einen Arzt hätte zu Rate ziehen müssen. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 27.07.2010 mit der Begründung zurückgewiesen, ein wichtiger Grund für die Eigenkündigung sei nicht festzustellen.

8

Mit Schreiben vom 24.09.2010 wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass derjenige zum Ersatz der gezahlten Leistungen verpflichtet sei, der nach § 34 SGB II vorsätzlich oder grob fahrlässig entweder die Voraussetzungen für seine Hilfebedürftigkeit oder die Hilfebedürftigkeit von Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, oder die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes an sich oder an Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt habe. Sie habe das Beschäftigungsverhältnis bei der Firma M für Laboratoriumsmedizin K GbR gelöst. Ein wichtiger Grund für die Eigenkündigung habe nicht nachgewiesen werden können. Hierin könnte ein schuldhaftes Verhalten liegen und sich ein Kostenersatzanspruch nach § 34 SGB II ergeben.

9

Mit Schreiben vom 18.10.2010 gab die Klägerin zu den Gründen für ihre Eigenkündigung Folgendes an: Sie sei am 01.03.2009 als Datenerfasserin eingestellt gewesen und habe nach ihrer Probezeit feststellen müssen, dass mehrere Angestellte sie mobbten. In mehrfachen Gesprächen mit ihrem Chef habe sie sich den Anschuldigungen ihrer Kolleginnen stellen müssen. Bis Ende des Jahres 2009 sei die Situation so schlimm geworden, dass sie die Abteilung habe wechseln wollen. Inzwischen habe sie erhebliche Unterleibsprobleme gehabt, weswegen sie Hausarzt, Frauenarzt, Internisten und Urologen aufgesucht habe. Von ihren beruflichen Problemen habe sie allerdings keinem dieser Ärzte erzählt. Ab Januar 2010 sei sie in einer anderen Abteilung beschäftigt gewesen, wegen der Berührungen mit der früheren Abteilung sei sie aber weiterhin den Mobbing-Attacken ihrer Kolleginnen ausgesetzt gewesen. Die Arztbesuche hätten sich weiterhin gehäuft, weil es ihr körperlich sehr schlecht gegangen sei. So habe sie für sich die Entscheidung getroffen zu kündigen, um weitere Schäden zu vermeiden. Sie sei sich eines vorsätzlich schuldhaften Verhaltens nicht bewusst.

10

Mit Bescheid vom 07.10.2010 wurde der Klägerin von der Stadt Koblenz nachträglich Wohngeld in Form eines Mietzuschuss von 138,00 € für die Zeit von Juni bis Dezember 2010 bewilligt. Der Beklagte verlangte daraufhin von der Stadtverwaltung K für die Zeit von Juni bis Juli 2010 Erstattung von insgesamt 276,00 €.

11

Mit Bescheid vom 26.10.2010 machte der Beklagte gegenüber der Klägerin gestützt auf § 34 SGB II einen Erstattungsanspruch geltend. Durch den Bescheid vom 01.06.2010 in der Fassung des Bescheides vom 30.06.2010 seien ihr und den mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen für die Zeit vom 11.05. bis 31.07.2010 1.938,48 € bewilligt worden. Ein wichtiger Grund für die Eigenkündigung des Arbeitsverhältnisses liege nicht vor. Aufgrund der Kündigung sei eine Sperrzeit von der Agentur für Arbeit in K verhängt worden. Ihr habe daher bewusst gewesen sein müssen, dass sie und ihre Tochter durch die Kündigung von Grundsicherungsleistungen abhängig würden.

12

Am 16.07.2010 legte die Klägerin dagegen Widerspruch ein, der durch Widerspruchsbescheid vom 03.02.2011 zurückgewiesen wurde. Schuldhaft im Sinne des § 34 SGB II verhalte sich, wer durch sein Fehlverhalten die Zahlungen von Leistungen nach dem SGB II verursache. Dies sei typischerweise die Aufgabe eines festen Arbeitsplatzes ohne wichtigen Grund. Für das behauptete Mobbing lägen keine Nachweise vor.

13

Am 01.03.2011 hat die Klägerin dagegen Klage beim Sozialgericht Koblenz erhoben und ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Sie hat insbesondere vorgetragen, auch nach dem Wechsel ihrer Beschäftigung zum 01.01.2010 habe sie noch mit den selben Kolleginnen wie früher zu tun gehabt. Es habe nicht lange gedauert, dass sie auch in der neuen Abteilung attackiert worden sei und ein Gespräch mit ihrer neuen Vorgesetzten T S hätte führen müssen. Sie habe erneute körperliche Beschwerden gehabt. Keiner der von ihr aufgesuchten Ärzte habe ihr wirklich helfen können, so dass sie sich schweren Herzens entschlossen habe, sich von der Arbeit zu trennen. Ihr sei klar gewesen, dass sie es körperlich nicht mehr lange in der Firma aushalten würde, ohne sich zu schaden. Zu diesem Zeitpunkt sei ihr nicht klar gewesen, dass sie sich in eine äußerst schlechte Lage bringen würde. Sie habe nicht gewusst, dass sie sich vom Arzt hätte bescheinigen lassen müssen, dass sie aus gesundheitlichen Gründen ihre Tätigkeit nicht mehr ausführen könne. Dies sei ihr dann von der Agentur für Arbeit mitgeteilt und gleichzeitig eine Sperre von 12 Wochen für das Arbeitslosengeld verhängt worden. Dass sie eine "Strafe" vom Arbeitsamt bekommen würde, sei ihr klar gewesen, allerdings nicht in welchem Maß. Im Übrigen habe sie nur aus gesundheitlichen Gründen gekündigt.

14

Das Sozialgericht hat Befundberichte des Klinikums für Frauenheilkunde K K , vom 13.07.2011 des Dr. K , K , vom 13.07.2011 und der Urologen Dr. H und T , K , vom 14.07.2011 sowie des Internisten Dr. S , K , vom 30.07.2011 eingeholt.

15

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 15.02.2011 hat das Sozialgericht T S , J G und Dr. A T als Zeugen vernommen.

16

Dr. T Arzt und einer der früheren Vorgesetzten der Klägerin, hat im Wesentlichen Folgendes ausgesagt: Die Klägerin habe bereits in den neunziger Jahren bei ihnen gearbeitet. Nachdem 2009 in der Abteilung Erfassung wieder Bedarf aufgetreten sei und man erfahren habe, dass die Klägerin an einer erneuten Beschäftigung interessiert sei, sei sie wieder eingestellt worden. Zunächst sei es auch gut gelaufen, dann seien Schwierigkeiten aufgetreten, weil die Klägerin sich gemobbt gefühlt habe. Er, der Zeuge, habe mit der Bereichsleiterin gesprochen, die aber keine Lösung für das Problem in der Abteilung gefunden habe. Die Klägerin sei dann in die Abteilung Proben Präanalytik gewechselt, wo es seines Wissens unproblematischer gelaufen sei und keine Spannungen mit den Mitarbeitern dort gegeben habe. Im März 2010 sei die Klägerin erkrankt, mit gewissen Lücken habe sie Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. Schließlich habe sie zum 30.04.2010 gekündigt.

17

Die Zeugin J G hat angegeben: Sie arbeite in der Abteilung Erfassung des M und habe die Klägerin dort kennengelernt. Man habe über diese gelästert, zum Teil habe es auch offene Bemerkungen negativer Art über ihre Arbeit gegeben, sie sei manchen zu langsam gewesen. Jeder Mitarbeiter habe seinen eigenen PC und mache im Prinzip dieselbe Arbeit. Das Ziel aller sei es, pünktlich zum Feierabend fertig zu sein, da man sonst länger bleiben müsse. Vier oder fünf Kolleginnen hätten die Klägerin aus der Abteilung heraus haben wollen. Diese sei dann in die Probenannahme gewechselt, dort aber auch irgendwann nicht mehr zufrieden gewesen. Die Mitarbeiter von der Erfassung hätten häufig durch den Raum gehen müssen, in dem die Probenannahme arbeite. Was konkret dort vorgefallen sei, wisse sie nicht. Die Klägerin habe sich bei ihr über die geschilderten Vorfälle beschwert; sie, die Zeugin, habe sie aber auch von sich aus schon mal angesprochen, wenn sie bemerkt habe, dass es dieser schlecht gehe. Die Klägerin habe Bauchkrämpfe und Schwierigkeiten mit der Blase gehabt. Ihrem Eindruck nach hätten die Kolleginnen an der Klägerin selbst etwas auszusetzen gehabt, nicht an ihrer Arbeit. Sie seien der Meinung gewesen, dass sie von ihrer Art oder ihrem Charakter her nicht in die Abteilung passe.

18

Die Zeugin T S hat ausgesagt: Sie sei die Bereichsverantwortliche im Bereich Probenannahme. Die Klägerin sei 2010 in die Abteilung gewechselt. Den Grund dafür kenne sie nicht, sie habe Gerüchte gehört, dass es Probleme mit den Kolleginnen in der Erfassung gegeben habe. Die Klägerin selbst habe aber auch von solchen Problemen erzählt und u.a. gesagt, einige andere dort könnten sie nicht leiden. Konkrete Geschehnisse könne sie dazu nicht berichten. In ihrer Abteilung sei es bis auf den Schluss gut gelaufen. Die Klägerin sei oft nicht da gewesen, sie habe sich nicht gemeldet und man habe nicht gewusst, ob sie krank sei oder nicht. Aus ihrer Sicht sei es in der Abteilung gut gelaufen. Sie, die Zeugin, habe gewusst, dass ein oder zwei Kolleginnen die Klägerin nicht hätten leiden können. Sie habe dieser gesagt, bei Schwierigkeiten solle sie zu ihr kommen und darüber sprechen, sie werde ihr zur Seite stehen. Als sich die Klägerin aber dann gar nicht mehr gemeldet habe, sei sie selbst auch "sauer" auf sie gewesen. Die Klägerin sei aber auch nicht mehr zur Arbeit gekommen. Sie könne sich nicht erinnern, dass die Klägerin einmal zu ihr gekommen sei und erzählt habe, dass und mit wem sie in der Abteilung Stress habe. Bezüglich der Gerüchte über die Klägerin habe eigentlich jeder eine andere Meinung. Eine habe gesagt, sie würde Fehler machen, eine andere, sie sei nicht kollegial. Sie habe sich darum nicht gekümmert, weil es ja nicht ihre Abteilung betroffen habe.

19

Durch Urteil vom 15.02.2012 hat das Sozialgericht Koblenz die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 26.10.2010 in Gestalt des dazu ergangenen Widerspruchsbescheides sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Rechtsgrundlage sei § 34 Abs. 1 Nr. 1 SGB II. Die Klägerin habe durch ihre Kündigung die Voraussetzungen für die Hilfebedürftigkeit herbeigeführt, da sie nach Beendigung der Beschäftigung nicht mehr in der Lage gewesen sei, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln zu sichern. Einen neuen Arbeitsplatz habe sie zunächst nicht gefunden. Die Kündigung sei auch kausal für die Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit gewesen, denn die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne wichtigen Grund habe zum Verhängen der Sperrzeit durch die Bundesagentur für Arbeit geführt. Die weitere Sperrzeit sei wegen nicht unverzüglicher Arbeitsuchendmeldung verhängt worden. Dies habe den Eintritt der Hilfebedürftigkeit der Klägerin zur Folge gehabt.

20

Ihr Verhalten sei auch mindestens als grob fahrlässig einzustufen. Nach ihrem eigenen Vorbringen habe die Klägerin gewusst, dass sie für die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses eine "Strafe" von der Bundesagentur für Arbeit bekommen würde. Dass sie in diesem Fall hilfebedürftig im Sinne des SGB II werden würde, sei naheliegend und hätte ihr einleuchten müssen. Eine weitere finanzielle Absicherung habe ihr nicht zur Verfügung gestanden. Dass sie sich keine Gedanken darüber gemacht habe, wer im Falle einer Strafe durch die Bundesagentur für Arbeit ihren Lebensunterhalt sichern werde, stelle eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes dar.

21

Es liege auch kein wichtiger Grund vor, der das Verhalten rechtfertige. Der Vortrag, sie habe wegen Mobbings nicht mehr arbeiten können, sei durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt worden. Zunächst sei bereits fraglich, ob die Klägerin tatsächlich in dem Maß, wie von ihr behauptet, gemobbt worden sei. Lediglich die Zeugin G habe bestätigt, dass die Klägerin in ihrer Abteilung Datenerfassung versteckten oder offenen Bemerkungen negativer Art über ihre Arbeit ausgesetzt gewesen sei. Nach dem Wechsel in die andere Abteilung seien keine konflikthaften Situationen mehr aufgetreten. Dies hätten sowohl der Zeuge Dr. T als auch die Zeugin S erklärt. Die Zeugin S habe der Klägerin auch angeboten, für den Fall des Auftretens von Schwierigkeiten zu ihr zu kommen. Erst wenn es in der neuen Abteilung zu massivem Mobbing gekommen wäre und dies trotz Intervention der Zeugen S nicht hätte unterbunden werden können, hätte man einen wichtigen Grund für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses annehmen können.

22

Aus den vom Gericht eingeholten Befundberichten ergebe sich ein Zusammenhang zwischen den von den behandelnden Ärzten festgestellten Erkrankungen und der konflikthaften Kommunikation am Arbeitsplatz nicht zwingend. Die Klägerin sei wegen Harnwegsinfekten und Blasenentzündungen bzw. wegen Zervikalsyndroms, grippaler Infekte, Pilzerkrankung, allergischem Asthma bei saisonaler Pollinosis und Gastroenteritis behandelt worden. Hierbei handele es sich um körperliche Erkrankungen verschiedener Ursachen, nicht aber um psychosomatische oder psychische Krankheitsbilder, die im Zusammenhang mit seelischen Belastungen auftreten. Auch habe sie gegenüber den behandelnden Ärzten die beruflichen Belastungen nicht thematisiert.

23

Für die verspätete Arbeitsuchendmeldung habe die Klägerin keine Begründung angegeben, so dass auch insoweit ein wichtiger Grund nicht festzustellen sei.

24

Am 29.03.2012 hat die Klägerin gegen das ihr am 29.02.2012 zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, die vernommenen Zeugen hätten bestätigt, dass sie in der Abteilung Datenerfassung schlecht behandelt worden sei und dass vier oder fünf Kolleginnen sie aus der Abteilung heraus haben wollten. Die Angaben des Dr. T und der Zeugin S , dass es in der neuen Abteilung unproblematischer gelaufen sei, ließen nicht darauf schließen, dass sie nunmehr vor den Mobbing-Attacken Ruhe gehabt habe. Die Zeugin G habe dazu ausgesagt, dass die Mitarbeiter der ersten Abteilung häufig durch den Raum hätten gehen müssen, in dem sie gearbeitet habe. Jedenfalls sei sie subjektiv der Auffassung gewesen, dass aufgrund ihres Verhaltens eine Kündigung gerechtfertigt sei, um wieder Ruhe und körperliche Unversehrtheit zu erfahren.

25

Im Einzelnen hat die Klägerin dazu noch vorgetragen: Ihr sei ständig vorgeworfen worden, sie würde die Mitarbeiterin J G und eine andere in irgendeiner Weise negativ beeinflussen, was das Arbeitsklima in der Abteilung verschlechtere. In Wahrheit hätten diese beiden Mitarbeiterinnen eigentlich nur zu ihr gehalten. Ihr selbst seien ständig Fehler vorgeworfen worden, die auch von anderen Mitarbeitern gemacht würden. Ständig sei hinter ihrem Rücken über sie geredet und gelästert worden, etwa derart, dass sie das Arbeitsklima verschlechtere, zu viele Fehler mache oder Fehler auf die leichte Schulter nehme. Sie habe mehrmals zum Gespräch mit der Abteilungsleiterin und der stellvertretenden Abteilungsleiterin gemusst, die ihr aber sowieso nicht geglaubt hätten. Wenn sie in einen Raum gekommen sei, sei es vorgekommen, dass ihr Name gefallen und dann wieder gelacht und getuschelt worden sei. Zuletzt habe man ihr und den Mitarbeiterinnen J und V auf der Weihnachtsfeier keinen Platz freigehalten, so dass sie sich woanders hätten hinsetzen müssen. Dann habe es wiederum geheißen, sie habe sich mit Absicht woanders hingesetzt. Daraufhin sei sie zu Dr. T gegangen und habe ihm die Lage beschrieben mit der Bitte, die Abteilung zu wechseln. Als sie im Labor angefangen habe, sei ihr mitgeteilt worden, dass in der Abteilung viel gemobbt worden sei. Sie persönlich glaube, ihre Mitarbeiterinnen hätten ein Problem damit, dass sie früher schon mal im Labor gearbeitet habe und bei den Vorgesetzten beliebt gewesen sei. Sie habe auch damals mitbekommen, dass eine Mitarbeiterin gerne ihre Mutter in die Abteilung bringen würde, die tatsächlich dort heute beschäftigt sei. Als sie in der neuen Abteilung gewesen sei, sei das Spiel dort weitergegangen, weil die zwei Abteilungen eng zusammenarbeiteten. Die Erfasserinnen müssten mehrmals am Tag in die Präanalytik, um Überweisungsscheine zu holen oder falsch erfasste Sachen an den PC der Abteilung nachzuziehen. Dabei seien ständig irgendwelche "blöden" Bemerkungen über sie gemacht oder provokativ gelacht worden. Ihr sei es zu diesem Zeitpunkt körperlich richtig schlecht gegangen. Sie sei von einem Arzt zum anderen gelaufen, bis ihr bewusst gewesen sei, dass die Krankheiten von der nicht zu ertragenden Situation an der Arbeitsstelle gekommen seien. Daraufhin habe sie sich entschlossen, zu kündigen.

26

Die Klägerin beantragt,

27

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 15.02.2012 sowie den Bescheid des Beklagten vom 26.10.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2011 aufzuheben.

28

Der Beklagte beantragt,

29

die Berufung zurückzuweisen.

30

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine neuen Erkenntnisse.

31

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten sowie der vorliegenden Prozessakte verwiesen, der Gegen-stand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

32

Die Berufung ist gemäß den §§ 143 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und auch begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 26.10.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2011 ist rechtwidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

33

Die Voraussetzungen für den Erlass des Erstattungsbescheides nach § 34 SGB II in der vom 01.01.2005 bis zum 31.03.2011 geltenden Fassung liegen hier nicht vor. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig
die Voraussetzungen für seine Hilfebedürftigkeit oder die Hilfebedürftigkeit von Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, oder
die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes an sich oder an Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat.

34

Die über 18 Jahre alte Klägerin hat unstreitig durch die von ihr ausgesprochene Kündigung ihr Vollzeit-Beschäftigungsverhältnis gelöst, durch das sie ihren und den Lebensunterhalt ihrer Tochter sichern konnte. Dies hat zudem zur Verhängung einer zwölfwöchigen Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III durch die Agentur für Arbeit geführt. Während dieses Zeitraum vom 01.05. bis zum 23.07.2010, in dem Arbeitslosengeld nicht gezahlt wurde, bestand Hilfebedürftigkeit gemäß den §§ 7, 9 SGB II. Die Klägerin hat damit die Voraussetzungen für die Hilfebedürftigkeit herbeigeführt.

35

Ein Ersatzanspruch nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II besteht aber nur, wenn kein wichtiger Grund für das Verhalten des Ersatzpflichtigen vorgelegen hat. Hier ist ein solcher zur Überzeugung des Senats zu bejahen.

36

Wann ein wichtiger Grund im Sinne der Regelung gegeben ist, ist im Gesetz nicht näher definiert. Zum Teil wird vorgeschlagen, diesen Begriff in Anlehnung an das Sperrzeitrecht auszulegen. (Link in Eicher/Spellbrink, Komm. zum SGB II, 2. Aufl. 2008, § 34 Rz 16). Der wichtige Grund im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III in vom 01.01.2009 bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Sperrzeitregelung, die Versichertengemeinschaft typisierend gegen Risikofälle zu schützen, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat oder deren Behebung er unbegründet unterlässt, zu bestimmen (vgl BSGE 84, 225, 230). Die Sperrzeit greift dabei Obliegenheitsverletzungen des Versicherten auf. Ein wichtiger Grund liegt danach vor, wenn dem Arbeitslosen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten nicht zugemutet werden konnte.

37

Die zum SGB III entwickelten Grundsätze können nach Ansicht des Senats nicht in vollem Umfang auf die Auslegung des "wichtigen Grundes" im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II übertragen werden. Eine vorbehaltlose Anwendung dieser Grundsätze und der hierzu ergangenen Rechtsprechung würde die Besonderheiten der jeweiligen - den Versicherten nach dem SGB III und den Hilfebedürftigen nach dem SGB II zustehenden - Leistungen nicht berücksichtigen. Maßgeblich ist insoweit, dass die Leistungen nach dem SGB II anders als die nach dem SGB III keine Versicherungsleistungen sind. Die SGB II-Leistungen sind steuerfinanziert, werden jedem bedürftigen Erwerbsfähigen bzw. dessen Angehörigen unabhängig von Vorleistungen wie früherer Erwerbstätigkeit gewährt und sollen den Lebensunterhalt sicherstellen, der anders nicht bestritten werden kann. Dies bedeutet, dass im Rahmen der Auslegung des "wichtigen Grundes" keine Interessen der Versichertengemeinschaft, die vor einer ohne wichtigen Grund selbst verursachten Arbeitslosigkeit zu schützen ist, in den Blick zu nehmen sind. Zwar sind bei der Verwendung von Steuermitteln fiskalische Interessen zu berücksichtigen, dies rechtfertigt gleichwohl, dass an den wichtigen Grund geringere Anforderungen zu stellen sind als bei Anwendung der Sperrzeitregelung. Ein "wichtiger Grund" im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist nach Ansicht des Senates daher zu bejahen, wenn den Hilfebedürftigen vernünftige und aus der Sicht eines objektiven Dritten nachvollziehbare Erwägungen zu dem konkreten Verhalten bewogen haben. Schon von daher kommt es nicht darauf an, ob der Bescheid der Agentur für Arbeit über die Verhängung der Sperrzeit rechtmäßig erlassen oder bestandskräftig geworden ist.

38

Mit dieser Auslegung des Tatbestandsmerkmals „ohne wichtigen Grund“ begrenzt die Regelung die Kostenerstattung auf die Fälle, in denen das Verhalten aus der Sicht der Solidargemeinschaft zu missbilligen ist, und trägt damit dem quasi-deliktischen Charakter der Norm Rechnung. In der Sache handelt es sich dabei um nichts anderes als die Prüfung der Sozialwidrigkeit des Verhaltens, wie sie die Rechtsprechung im Rahmen des alten § 92a Bundessozialhilfegesetz (BSHG) für erforderlich hielt, um die Erstattungspflicht auf die Fälle zu beschränken, in denen das Tun oder Unterlassen aus der Sicht der Gemeinschaft zu missbilligen ist, die - was die Sicherstellung von Mitteln für eine Notlage angeht - eine Solidargemeinschaft ist(vgl. Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil vom 10.04.2003, 5 C 4/02, in juris). Entsprechend wird teilweise die Auffassung vertreten, dass das Erfordernis der Sozialwidrigkeit ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 34 SGB II darstellt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.07.2007, L 5 B 410/07 AS, Link a.a.O. § 34 Rz. 10), was zum selben Ergebnis führt.

39

Nach dem Vortrag der Klägerin und dem Ergebnis der Ermittlungen hatte die Klägerin für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses einen wichtigen Grund, weil sie Anfeindungen ihrer Kollegen ausgesetzt war, die ihr seelisch und letztlich auch körperlich so zugesetzt haben, dass ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten war. Die Klägerin hat dies bereits im Verwaltungsverfahren dargelegt und dazu im gerichtlichen Verfahren nähere Einzelheiten geschildert. Nach ihrem Vorbringen sind ihr von vier (im Berufungsschriftsatz namentlich benannten) Kolleginnen in besonderem Maße Fehler vorgeworfen worden; man hat hinter ihrem Rücken geredet, etwa dass sie das Arbeitsklima verschlechtere, zu viele Fehler mache oder diese auf die leichte Schulter nehme. Auch durch weitere Maßnahmen ist sie von den Kollegen ausgegrenzt worden, etwa durch abfällige Bemerkungen über sie, durch Tuscheln, provokatives Gelächter oder durch Verweigerung von Plätzen am Tisch bei Betriebsfeiern. Trotz des Wechsels der Abteilung ist sie wegen der räumliche Nähe und den Begegnungen mit den Kolleginnen der alten Abteilung nicht vor deren Repressalien sicher gewesen. Die Klägerin hat auch nachvollziehbar berichtet, dass sie in der Folge an diversen gesundheitlichen Problemen gelitten hat, zB an verschiedene Infekten wie Harnwegs- oder Blasenentzündungen, grippalen Infekten und Gastroenteritis.

40

Die Zeugenvernehmung durch das Sozialgericht hat diese Angaben bestätigt. Die Angaben der Zeugen belegen eindeutig, dass es in der Abteilung Datenerfassung, in der die Klägerin zunächst bis Ende 2009 tätig war, zu Konflikten mit Kolleginnen gekommen ist. Die Zeugin J G , die in der Erfassung mit der Klägerin zusammengearbeitet hat, hat ausgesagt, dass Kolleginnen über die Klägerin gelästert und negative Bemerkungen über ihre Arbeit gemacht haben. In welcher Intensität und Häufigkeit dies stattgefunden hat, ergibt sich aus der Aussage nicht. Da die Zeugin erklärt hat, die Klägerin sei "schlecht behandelt" worden, und angegeben hat, vier oder fünf Kolleginnen hätten sie aus der Abteilung heraus haben wollen, ist aber zu schließen, dass es sich nicht um gelegentliche Einzelfälle gehandelt hat. Auch der Vorgesetzte der Klägerin in der Abteilung Erfassung, der als Zeuge vernommene Dr. A T , hat berichtet, dass es Schwierigkeiten gegeben hat. Die Zeugin S hat in ihrer Zeugenvernehmung angegeben, Gerüchte über Probleme mit Kolleginnen in der Abteilung Erfassung gehört zu haben; ferner hat sie ausgeführt, die Klägerin selbst habe ihr von derartigen Problemen erzählt. Dies und die Tatsache, dass die Klägerin Anfang 2010 die Abteilung gewechselt hat, belegen, dass es tatsächlich zu erheblichen Konflikten gekommen ist.

41

Soweit das Sozialgericht darauf abgestellt hat, dass in der neuen Abteilung, in der die Klägerin ab Januar 2010 tätig war, keine Probleme mehr aufgetreten seien, ist dem nicht zu folgen. Zwar haben die Zeugen S und Dr. T ausgeführt, mit den Mitarbeiterinnen dort habe es keine Spannungen gegeben. Die Klägerin hat insoweit aber vorgetragen, dass die Kolleginnen aus der alten Abteilung ihr aufgrund der Berührungspunkte mit der neuen Abteilung weiterhin zugesetzt haben. Dies deckt sich mit den Angaben der Zeugin G die zwar aus eigener Wahrnehmung nichts über die dortigen Konflikte hat sagen können, die aber ebenfalls angegeben hat, dass die Mitarbeiter der alten Abteilung häufig durch den Raum gehen mussten, in dem die Klägerin tätig war, und auch ausgesagt hat, dass die Klägerin sich bei ihr über die weiter bestehenden Probleme beklagt hat. Die Zeugin hat zudem geschildert, dass es der Klägerin teilweise ersichtlich schlecht gegangen ist und sie Bauchkrämpfe und Blasenentzündungen gehabt hat.

42

Der Senat hat keinen Anlass, die schlüssigen und nachvollziehbaren Angaben der Klägerin und der Zeugen in Zweifel zu ziehen, die vom Sozialgericht ausführlich protokolliert worden sind. Auch der Beklagte hat die Glaubhaftigkeit der Aussagen nicht in Frage gestellt, sodass kein Grund für eine erneute Einvernahme bestanden hat.

43

Nach dem Obengesagten hatte die Klägerin an ihrem Arbeitsplatz durch herabsetzendes und damit letztlich beleidigendes Verhalten zahlreiche Verletzungen ihres Persönlichkeitsrechtes hinzunehmen, sodass ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten gewesen ist. Es kann nicht unterstellt werden, die Klägerin habe nicht alles Erforderliche getan, um die belastenden Umstände am Arbeitsplatz zu beseitigen. Die Klägerin hat im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber die Abteilung gewechselt, um den Diskriminierungen durch die Kolleginnen zu entgehen. Dies spricht dafür, dass auch dieser letztlich keine Möglichkeiten gesehen hat, auf andere Art eine Lösung des Problems herbeizuführen, etwa auf die Kolleginnen einzuwirken, damit sie ihr Verhalten ändern. Die Klägerin ist aber dennoch nicht vor deren Herabsetzungen sicher gewesen. Bei dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, dass ein Gespräch mit einem oder einer Vorgesetzten, etwa der Zeugin Sch , geholfen hätte, die Situation zu verbessern. Unabhängig davon kann leicht ausgeschlossen werden, dass die Anfeindungen bei der Klägerin zu gesundheitlichen Problemen geführt haben. Dies kann jedoch offenstehen, weil bereits aufgrund der Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Klägerin ein wichtiger Grund vorliegt.

44

Da sich die Klägerin auf einen wichtigen Grund für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses berufen kann, kommt es nicht darauf an, ob die sonstigen Voraussetzungen des geltend gemachten Erstattungsanspruchs erfüllt sind.

45

Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II sind auch nicht bezüglich eines Teils der gewährten Leistungen gegeben, nämlich soweit Leistungen nach dem SGB II aufgrund der Verhängung einer Sperrzeit wegen einer verspäteten Arbeitsuchendmeldung zu zahlen waren. Es ist bereits fraglich, ob die Voraussetzungen für die Verhängung der Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB III in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung gegeben waren. Nach § 38 Abs. 1 Satz 2 SGB III in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung hat eine Person, deren Arbeitsverhältnis endet, sich innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes zu melden, wenn zwischen Kenntnis von der Beendigung und der Beendigung weniger als drei Monate liegen. Die Verhängung einer Sperrzeit wegen der Versäumung dieser Pflicht greift eine Obliegenheitsverletzung des Versicherten auf und setzt ein subjektiv vorwerfbares Verhalten (mindestens leichte Fahrlässigkeit nach einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab) voraus (vgl. BSG, Urteil vom 25.08.2011, B 11 AL 30/10 R, in juris). Ein Verschulden in diesem Sinne erfordert die Kenntnis dieser Verpflichtung. Dass die Klägerin über diese Obliegenheit und die zu beachtenden Fristen belehrt worden wäre, etwa durch einen Hinweis des Arbeitgebers gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III, ist hier aber nicht erkennbar. In den vorliegenden Arbeitsverträgen sind derartige Belehrungen nicht enthalten, auch sonst gibt es dafür keine Anhaltspunkte.

46

Unabhängig davon kann der Klägerin bei einer solchen Sachlage jedenfalls kein Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 34 SGB II vorgeworfen werden.

47

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

48

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(1) Beteiligte sind

1.
Antragsteller und Antragsgegner,
2.
diejenigen, an die die Behörde den Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat,
3.
diejenigen, mit denen die Behörde einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen will oder geschlossen hat,
4.
diejenigen, die nach Absatz 2 von der Behörde zu dem Verfahren hinzugezogen worden sind.

(2) Die Behörde kann von Amts wegen oder auf Antrag diejenigen, deren rechtliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können, als Beteiligte hinzuziehen. Hat der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung für einen Dritten, ist dieser auf Antrag als Beteiligter zu dem Verfahren hinzuzuziehen; soweit er der Behörde bekannt ist, hat diese ihn von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen.

(3) Wer anzuhören ist, ohne dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, wird dadurch nicht Beteiligter.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 5. November 2015 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 10 272,49 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Aufwendungen für Sozialleistungen.

2

Die Beigeladene ist bei beklagten Krankenkasse (KK) versichert. Sie stieg bei der Arbeit als angestellte Lehrerin im M.-Gymnasium am Morgen des 6.3.2006 eine Treppe herab, um das Klassenbuch zu holen, rutschte ab und verdrehte sich das rechte Bein. Der H-Arzt ging von einer Distorsion des rechten Kniegelenks aus. Der Durchgangsarzt veranlasste ihre stationäre Aufnahme. Sie erhielt eine Kreuzbandersatzplastik und eine Meniskusnachresektion. Die klagende Unfallkasse erkannte das Ereignis vom 6.3.2006 als Arbeitsunfall mit einer folgenlos ausgeheilten Distorsion des rechten Kniegelenks an. Der Riss des vorderen Kreuzbandes und die notwendige Teilresektion des Innenmeniskushinterhorns seien unter Berücksichtigung eines Freizeitunfalls 2005 nicht Folge dieses Unfalls. Unfallbedingt habe Behandlungsbedürftigkeit bis 9.3.2006 und Arbeitsunfähigkeit bis 10.3.2006 bestanden (Bescheid vom 2.11.2006; Widerspruchsbescheid vom 15.6.2007). Die Beklagte lehnte es ab, der Klägerin 10 272,49 Euro Kosten der chirurgischen Behandlung des Kreuzbandrisses, der Folgebehandlungen und des Verletztengeldes nebst Beitragstragung zu erstatten. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.3.2012). Das LSG hat die Beklagte zur Zahlung eines Erstattungsbetrags in Höhe der "nach dem SGB V zu übernehmenden Leistungen" verurteilt. Die Beklagte sei verpflichtet, der Klägerin die verauslagten Kosten zu erstatten. Sie habe als unzuständige Leistungsträgerin Sozialleistungen anstelle der Beklagten erbracht. Das folge aus der Bindung an den Bescheid der Klägerin gegenüber der Beigeladenen (Urteil vom 5.11.2015).

3

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 105 SGB X, § 11 Abs 5 SGB V und § 27 SGB V. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erstattung der erbrachten Sozialleistungen, da der Kreuzbandriss und die erneute Innenmeniskusläsion Unfallfolgen seien. Die Leistungsablehnung gegenüber der Beigeladenen entfalte gegenüber der Beklagten keine Bindungswirkung.

4

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landesssozialgerichts vom 5. November 2015 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 29. März 2012 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Sächsischen Landesssozialgerichts vom 5. November 2015 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

5

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene vorinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

7

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das LSG-Urteil ist aufzuheben, weil es auf einer Verletzung materiellen Rechts beruht und sich nicht aus anderen Gründen als rechtmäßig erweist. Der erkennende Senat ist für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig (dazu 1.). Er kann wegen fehlender Tatsachenfeststellungen des LSG zu den Voraussetzungen des streitigen Erstattungsanspruchs nicht abschließend in der Sache entscheiden (dazu 2.). Das LSG wird bei Bestehen des Erstattungsanspruchs auch über dessen Höhe zu entscheiden haben (dazu 3.).

9

1. Der erkennende 1. Senat des BSG ist geschäftsplanmäßig für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig. In Streitigkeiten zwischen dem Bund, den Ländern, Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie Behörden entscheidet nach dem Geschäftsverteilungsplan des BSG (GVPl) - vorbehaltlich der Regelungen unter Abschnitt I - derjenige Senat, der für das Rechtsgebiet zuständig ist, dem der erhobene Anspruch angehört. Bei Erstattungsstreitigkeiten ist der zugrunde liegende Leistungsanspruch maßgeblich; im Zweifel entscheidet derjenige Senat, der für die Streitigkeiten aus dem Aufgabengebiet des Beklagten zuständig ist (vgl RdNr 24 aller Fassungen der GVPl 2016, entsprechend RdNr 23 aller Fassungen der GVPl 2015). Das entspricht auch den Grundsätzen der Rechtsprechung des BSG: Ein Erstattungsanspruch ist demjenigen Rechtsgebiet zuzuordnen, aus dem sich die Leistungspflicht ergibt, auf die der Erstattungsanspruch letztlich gründet; denn dieses Rechtsgebiet gibt dem Erstattungsbegehren sein Gepräge (stRspr, vgl BSGE 18, 18, 21 = SozR Nr 2 zu § 31 SGG; BSGE 44, 133, 134 f = SozR 1500 § 31 Nr 1; BSGE 57, 15 = SozR 4100 § 105b Nr 1). Der GVPl trifft unter Abschnitt I für das streitige Erstattungsbegehren keine Regelung. Die Klägerin stützt ihren Erstattungsanspruch auf die Rechtsbehauptung, sie habe den Leistungsanspruch der Beigeladenen aus dem SGB V auf Krankenbehandlung und Krankengeld nebst Beitragstragung ab 10.3. und ab 11.3.2006 erfüllt. Dieser behauptete Leistungsanspruch liegt dem geltend gemachten Erstattungsanspruch zugrunde. Es bedarf auch keiner Anrufung des Großen Senats wegen Divergenz (vgl § 41 Abs 2 SGG). Soweit der 2. Senat des BSG über einen Erstattungsanspruch einer Berufsgenossenschaft gegen eine KK entschieden hat, hat er keinen von Vorstehendem abweichenden Rechtssatz aufgestellt (vgl BSG SozR 4-2700 § 8 Nr 49).

10

2. Ob die Klägerin einen - zulässigerweise mit der echten Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG, vgl BSG SozR 4-3250 § 14 Nr 23 RdNr 7)verfolgten - Anspruch auf Erstattung gegen die Beklagte aus der allein in Betracht kommenden Regelung des § 105 Abs 1 S 1 SGB X hat, kann der erkennende Senat mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen des LSG nicht entscheiden. § 105 Abs 1 S 1 SGB X regelt, dass wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 102 Abs 1 SGB X vorliegen, der zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig ist, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Der Erstattungsanspruch setzt ua voraus, dass ein unzuständiger Leistungsträger in der Annahme seiner Leistungszuständigkeit Sozialleistungen an den Leistungsberechtigten nicht nur vorläufig erbracht hat (dazu BSGE 58, 263, 273 f = SozR 2200 § 1237 Nr 20 S 55 f). Für die Leistung zuständig ist der Sozialleistungsträger, der im Hinblick auf den erhobenen Sozialleistungsanspruch nach materiellem Recht richtigerweise anzugehen, dh sachlich befugt (passiv legitimiert) ist (vgl BSG SozR 1300 § 105 Nr 5 S 13; BSGE 65, 31, 33 = SozR 1300 § 111 Nr 6 S 19; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 43 S 176; BSGE 84, 61, 62 = SozR 3-1300 § 105 Nr 5 S 14; BSG SozR 4-4300 § 126 Nr 3 RdNr 11). Die Klägerin ist in diesem Sinne nicht schon aufgrund ihrer Entscheidung gegenüber der Beigeladenen unzuständiger Leistungsträger (dazu a). Das LSG hat - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, dass die Voraussetzungen einer Unzuständigkeit der Klägerin nach materiellem Recht erfüllt sind (dazu b).

11

a) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist sie nicht schon wegen ihrer Verwaltungsentscheidung gegenüber der Beigeladenen ab 10. und 11.3.2006 "unzuständiger Leistungsträger". Die Beklagte war an der Verwaltungsentscheidung der Klägerin nicht beteiligt (§ 12 SGB X). Die "Tatbestandswirkung" der Entscheidung der Klägerin gegenüber der Beigeladenen ist ohne Belang. Eine denkbare Tatbestandswirkung der Entscheidung ist allein auf den Verfügungssatz beschränkt, hier also das Bestehen der festgestellten Leistungsansprüche der Beigeladenen gegen die Klägerin bis zum 9. und 10.3.2006. Die Tatbestandswirkung (Drittbindungswirkung) von Verwaltungsakten besagt lediglich, dass Behörden und Gerichte die in einem bindenden Bescheid getroffene Regelung, solange sie Bestand hat, als verbindlich hinzunehmen und ohne Prüfung der Rechtmäßigkeit ihren Entscheidungen zugrunde zu legen haben (vgl BSG SozR 4-1300 § 48 Nr 11 RdNr 16; BSGE 103, 243 = SozR 4-2500 § 95b Nr 2, RdNr 42 f; BSGE 119, 298 = SozR 4-2500 § 16 Nr 1, RdNr 22 mwN). Die Erstattungsansprüche nach den §§ 102 ff SGB X sind keine von der Rechtsposition des Berechtigten abgeleiteten, sondern eigenständige Ansprüche(stRspr, vgl zB BSGE 57, 146, 147 = SozR 1300 § 103 Nr 2 S 3; BSGE 58, 119, 125 f mwN = SozR 1300 § 104 Nr 7 S 24 mwN; BSG SozR 1300 § 104 Nr 6; BSGE 61, 66, 68 mwN = SozR 2200 § 182 Nr 104 S 222 mwN; BVerwGE 89, 39, 45 f; BVerwGE 91, 177, 185; BVerwGE 118, 52, 57 f). Eine Feststellungswirkung der Entscheidung besteht nicht. Sie müsste gesetzlich geregelt sein, sieht das Gesetz aber nicht vor. Nur die Feststellungswirkung schließt auch Sachverhaltsmerkmale und rechtliche Wertungen in die "Bindung" mit ein (vgl BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 29 S 136; BSGE 119, 298 = SozR 4-2500 § 16 Nr 1, RdNr 22 mwN).

12

Das Gesetz steckt die Systemgrenzen der einzelnen Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs - vorbehaltlich abweichender Spezialregelungen - regelmäßig nach objektiv zu ermittelnden Kriterien ab und nicht schon danach, was zB ein anderer Leistungsträger insoweit für zutreffend oder vertretbar erachtet hat; dies gilt im Kern in gleicher Weise für die sich dann ergebenden Konsequenzen in Gestalt von Erstattungsansprüchen (vgl bereits BSG Urteil vom 16.11.1984 - 8 RK 33/84 - USK 84213; BSG SozR 4-3100 § 18c Nr 2 RdNr 30). Es gibt keine durchgreifenden Gründe, die es rechtfertigen, in Fällen der vorliegenden Art ausnahmsweise von der Maßgeblichkeit objektiver Kriterien abzuweichen. Die Beklagte hat nur eine objektiv rechtmäßige Leistungsentscheidung der Klägerin hinzunehmen.

13

Anders, als die Klägerin meint, greift die Rechtsprechung nicht ein, wonach der auf Erstattung in Anspruch genommene Leistungsträger diejenigen Einwendungen, die ihm gegenüber dem Leistungsanspruch des Berechtigten zustehen, im Falle der Geltendmachung auch gegenüber dem Erstattung begehrenden Leistungsträger erheben kann (BSGE 58, 119, 126 = SozR 1300 § 104 Nr 7 S 24; BSGE 70, 99, 104 = SozR 3-1500 § 54 Nr 15 S 41; BSG SozR 1300 § 105 Nr 5 S 12; BFH Urteil vom 14.5.2002 - VIII R 88/01 - Juris RdNr 16 ff). Diese Rechtsprechung, die auch für den Einwand gilt, dass der Bescheid des auf Erstattung in Anspruch genommenen Leistungsträgers gegenüber dem Berechtigten in "Rechtskraft" erwachsen ist (vgl BSGE 58, 119, 126 = SozR 1300 § 104 Nr 7 S 24 f), stützt sich darauf, dass der nachrangige oder unzuständige Leistungsträger bei der Geltendmachung der Erstattung die Entscheidung des vorrangigen oder zuständigen Leistungsträgers zu beachten hat. Dem korrespondiert das Recht des in Anspruch genommenen Leistungsträgers, sich auf seine bindenden Verwaltungsakte zu berufen (vgl BSGE 101, 86 = SozR 4-2500 § 51 Nr 2, RdNr 14; BSG SozR 4-2600 § 116 Nr 1 RdNr 13; BSGE 84, 80, 83 f = SozR 3-1300 § 104 Nr 15 S 56 f; BSGE 82, 226, 228 = SozR 3-2600 § 99 Nr 2 S 4; BSGE 72, 163, 166 = SozR 3-2200 § 183 Nr 6 S 14 f; BSGE 57, 146, 149 f = SozR 1300 § 103 Nr 2 S 5). Hierbei handelt es sich um Erfordernisse der Funktionsfähigkeit des auf dem Prinzip der Aufgabenteilung beruhenden gegliederten Sozialleistungssystems (vgl BSG SozR 4-3100 § 18c Nr 2 RdNr 30; BSGE 84, 80, 83 f = SozR 3-1300 § 104 Nr 15 S 57; BSG SozR 3-1300 § 112 Nr 2 S 5; BSGE 57, 146, 149 f = SozR 1300 § 103 Nr 2 S 5). Eine entsprechende Bindungswirkung im Erstattungsstreit besteht hierbei grundsätzlich selbst dann, wenn der Verwaltungsakt fehlerhaft ist (vgl BSGE 72, 163, 166 = SozR 3-2200 § 183 Nr 6 S 15; BSGE 82, 226, 228 = SozR 3-2600 § 99 Nr 2 S 4). Der auf Erstattung in Anspruch genommene Leistungsträger ist nur dann nicht befugt, auf der Bindungswirkung seiner Entscheidung zu beharren, wenn diese sich als offensichtlich fehlerhaft erweist und sich dies zum Nachteil des anderen Leistungsträgers auswirkt (vgl BSGE 101, 86 = SozR 4-2500 § 51 Nr 2, RdNr 14; BSG SozR 4-3100 § 18c Nr 2 RdNr 30; BSGE 72, 163, 168 = SozR 3-2200 § 183 Nr 6 S 17; BSGE 57, 146, 149 f = SozR 1300 § 103 Nr 2 S 6). Um aufwendige Ermittlungen im Erstattungsstreit und damit Doppelprüfungen zu vermeiden, ist bei der Beurteilung einer offensichtlichen Unrichtigkeit (nur) auf die verfügbaren Entscheidungsgrundlagen abzustellen (vgl BSGE 101, 86 = SozR 4-2500 § 51 Nr 2, RdNr 15; BSG SozR 4-2600 § 116 Nr 1 RdNr 14, 18; BSG SozR 3-1300 § 86 Nr 3 S 6).

14

Vorliegend geht es demgegenüber um die Erheblichkeit der Verwaltungsentscheidung des als Erstattungsgläubiger Auftretenden. Insoweit bedarf es keiner Vertiefung, inwieweit die generelle Kritik an der aufgezeigten Rechtsprechung berechtigt ist (vgl dazu Kater in Kasseler Komm, Stand Juni 2016, § 105 SGB X RdNr 49; Krasney, KrV 2014, 1 ff; Prange in juris-PK-SGB X, Online-Ausgabe, § 105 RdNr 64 ff, Stand 1.9.2016).

15

Der faktisch in Vorleistung getretene (vermeintlich unzuständige) Leistungsträger ist weniger schutzwürdig als der Leistungsträger, der von diesem auf Erstattung in Anspruch genommen wird. Dem Erstattungsbegehren des (vermeintlich unzuständigen) Leistungsträgers nach § 105 SGB X geht nämlich ein Verwaltungsverfahren voraus, in dem dieser seine Leistungszuständigkeit prüfte und (zunächst) bejahte. Er hatte hierbei den Sachverhalt von Amts wegen bis zur Entscheidungsreife aufzuklären (§ 20 SGB X). Bei unklarer Zuständigkeit konnte er eine (nur) vorläufige Leistungsbewilligung nach Maßgabe des § 43 SGB I vornehmen(dazu BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 3 RdNr 5). Bejaht ein solcher Leistungsträger danach seine Zuständigkeit und bewilligt er dem Berechtigten Sozialleistungen, setzt er selbst die Ursache für den späteren Erstattungsstreit, falls dieser im Nachhinein zur Auffassung gelangt, doch nicht leistungszuständig zu sein. Der Umstand, dass der Erstattungsstreit aus der Sphäre des Erstattung begehrenden Trägers herrührt, ist ein wesentlicher Grund für die Auffassung, dass dem auf Erstattung in Anspruch genommenen Leistungsträger der Einwand erhalten bleiben muss, bestandskräftig über den Leistungsanspruch des Versicherten entschieden zu haben. Würde man auch dem Erstattung begehrenden Leistungsträger das Recht einräumen, sich im Erstattungsstreit gegenüber dem auf Erstattung in Anspruch genommenen Leistungsträger auf die Bindungswirkung seiner Bescheide zu berufen, würde dieser Gesichtspunkt ausgeblendet.

16

Auch erlangt in einem solchen Fall der grundsätzliche Einwand besonderes Gewicht, dass die Bindungswirkung die Rechtsschutzmöglichkeiten des anderen Leistungsträgers einschränkt (vgl Krasney, KrV 2014, 1, 4, 9). Dem bislang nicht mit dem Leistungsbegehren des Berechtigten konfrontierten (vermeintlich zuständigen) Leistungsträger würden hierdurch regelmäßig sämtliche Einwendungen genommen, die er dem Berechtigten hätte entgegenhalten können. Diese Folge träte ein, obwohl er keine Möglichkeit hatte, den Sachverhalt eigenständig aufzuklären. Das wäre besonders gravierend, wenn er sich nur auf eine offensichtliche Fehlerhaftigkeit der Verwaltungsentscheidung des Erstattungsgläubigers berufen könnte und bei dieser Prüfung (nur) auf die vorhandenen Ermittlungsergebnisse abzustellen wäre. Der als Erstattungsgläubiger Auftretende hätte es in der Hand, den Ausgang des Erstattungsstreits durch den Umfang der eigenen Sachverhaltsermittlungen zu determinieren. Eine solch weitgehende einseitige Gestaltungsmöglichkeit ist missbrauchsanfällig. Sie gäbe Leistungsträgern die Gelegenheit, eine der gesetzlichen Aufgabenverteilung im gegliederten Leistungssystem entsprechende Lastenverteilung zu vereiteln. Dies widerspräche erkennbar der Pflicht der Leistungsträger, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch eng zusammenzuarbeiten (§ 86 SGB X), und der Zielsetzung der Erstattungsansprüche nach den §§ 102 ff SGB X. Auch die Funktionsfähigkeit des gegliederten Systems spricht dafür, der Verwaltungsentscheidung des als Erstattungsgläubiger Auftretenden gegenüber dem Leistungsberechtigten im Erstattungsstreit keine Bedeutung beizumessen.

17

Das Ergebnis steht in Einklang mit der früheren Rechtsprechung des BSG zum spezialgesetzlich geregelten Erstattungsanspruch des unzuständigen Krankenversicherungsträgers gegenüber dem zuständigen Unfallversicherungsträger nach § 1504 RVO. Hiernach entfalteten auch bestandskräftige Verwaltungsakte des Unfallversicherungsträgers gegenüber dem Versicherten für das Erstattungsbegehren der KK keine Bindung. Die KK war danach auch nicht Beteiligte iS des § 77 SGG. Der Bescheid des Unfallversicherungsträgers griff gegenüber dem Versicherten nicht unmittelbar in die Rechtsphäre der KK ein (zB BSGE 24, 155, 156 = SozR Nr 2 zu § 1504 RVO; BSG Urteil vom 26.5.1966 - 2 RU 91/62 - Juris RdNr 22). Das BSG übertrug diese Rechtsprechung auch auf Konstellationen, in denen ein Unfallversicherungsträger nach § 1509a RVO von der zuständigen KK Ersatz seiner Aufwendungen verlangte(BSG Urteil vom 27.1.1976 - 8 RU 64/75 - Juris RdNr 17; in SozR 2200 § 1509a Nr 1 nur in Auszügen wiedergegeben).

18

b) Es fehlen Feststellungen dazu, um zu entscheiden, ob die Klägerin für die ab 10. und 11.3.2006 erbrachten Sozialleistungen die unzuständige Trägerin nach materiellem Recht war. Auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) besteht kein Anspruch, wenn sie als Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen sind (vgl § 11 Abs 4 SGB V, hier anzuwenden idF durch Art 1 Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen vom 20.12.1988, BGBl I 2477, gemäß Art 79 Abs 4 GRG am 1.1.1991 in Kraft getreten). Durch einen Arbeitsunfall geschädigte Versicherte haben gegenüber dem zuständigen Unfallversicherungsträger ua Anspruch auf stationäre Behandlung und Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln sowie auf Zahlung von Verletztengeld nebst Sozialversicherungsbeiträgen (§ 26 Abs 1 S 1 iVm § 27 Abs 1 Nr 4 und 6, § 30, § 31, § 34 sowie §§ 45 ff SGB VII; Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft in der GKV durch Verletztengeldbezug, § 192 Abs 1 Nr 3 SGB V, Beitragstragung nach § 251 Abs 1 SGB V idF durch Art 5 Nr 32 Buchst a Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.6.2001, BGBl I 1046, mWv 1.7.2001; zur sozialen Pflegeversicherung vgl § 49 Abs 2 SGB XI idF durch Art 10 Nr 3 Gesetz zur Reform der Arbeitsförderung vom 24.3.1997, BGBl I 594, mWv 1.1.1998 iVm § 59 Abs 4 S 2 Nr 1 SGB XI idF durch Art 4 Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 15.12.1995, BGBl I 1824, mWv 1.1.1995; zur Arbeitsförderung vgl § 347 Nr 5 SGB III idF durch Art 1 Nr 3e Zweites Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 4621, mWv 1.4.2003 iVm § 26 Abs 2 Nr 1 SGB III idF durch Art 1 Nr 1 Buchst a Viertes Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19.11.2004, BGBl I 2902, mWv 1.1.2004; zur gesetzlichen Rentenversicherung vgl § 170 Abs 1 Nr 2 Buchst a SGB VI idF durch Art 5 Nr 5 Buchst a Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl I 2848, mWv 1.1.2004 iVm § 3 S 1 Nr 3 SGB VI idF durch Art 6 Nr 2 Buchst a Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954, mWv 1.1.2005). Die Unfallversicherungsträger gewähren Heilbehandlung einschließlich ärztlich verordneter Heil- und Hilfsmittel, um den durch den Versicherungsfall iS des § 7 SGB VII verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern(§ 26 Abs 2 Nr 1, § 30, § 31, § 34 SGB VII). Dazu, dass die Behandlung ab 10.3.2006 und die Zahlung von Verletztengeld nebst Beitragstragung ab 11.3.2006 nicht wesentlich aufgrund der Unfallfolgen erfolgten, hat das LSG keine Feststellungen getroffen. Es wird diese nun nachzuholen haben.

19

3. In prozessrechtlicher Hinsichtlich gilt Folgendes: Sollte das LSG auf der Grundlage der nachzuholenden Sachverhaltsermittlungen zum Ergebnis gelangen, dass die Klägerin unzuständige Leistungsträgerin ist und die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs dem Grunde nach bejahen, wird es auch abschließend über die Höhe des Erstattungsanspruchs zu entscheiden haben. In Fällen echter Leistungsklagen (§ 54 Abs 5 SGG) - wie vorliegend - wird der Rechtsstreit durch den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 SGG) nämlich nicht in vollem Umfang beendet. In der Sache handelt es sich bei einem solchen Grundurteil lediglich um ein Zwischenurteil iS von § 130 Abs 2 SGG(idF des ab 2.1.2002 geltenden 6. SGG-Änderungsgesetzes vom 17.8.2001, BGBl I 2144; zuvor § 202 SGG iVm § 304 Abs 1 ZPO, vgl BSG SozR 4-3100 § 18c Nr 2 RdNr 13). Es ist lediglich ein vorweggenommener und unselbstständiger Teil des Endurteils. Anders als ein echtes Grundurteil (§ 130 Abs 1 S 1 SGG) beendet es den Rechtsstreit nicht in vollem Umfang und ergeht daher ohne Kostenentscheidung (vgl zB Behrend in Hennig, SGG, Stand September 2016, § 130 RdNr 105). Der Erlass eines echten Grundurteils als Vollendurteil scheidet demgegenüber bei reinen Leistungsklagen aus, mit denen - wie im vorliegenden Fall - unter Leistungsträgern über einen bezifferten Erstattungsanspruch gestritten wird; in derartigen Fällen ist vielmehr die Durchführung eines Nachverfahrens über die Höhe des Erstattungsanspruchs erforderlich (vgl zB BSGE 74, 36, 44 = SozR 3-1300 § 104 Nr 8 S 24; BSGE 61, 217, 221 ff = SozR 3100 § 19 Nr 18 S 57 f; BSGE 29, 69 f = SozR Nr 7 zu § 130 SGG). Hier ist der Rechtsstreit auf die Berufung gegen das ohne Einschränkung klageabweisende SG-Urteil hin prozessual insgesamt beim LSG angefallen. Er ist dort hinsichtlich der Entscheidung über die Höhe des Erstattungsbetrages anhängig geblieben und nach der aus anderen Gründen - wie oben dargelegt - gebotenen Aufklärung mit der Notwendigkeit einer (formellen) abschließenden Kostenentscheidung fortzuführen (vgl entsprechend BSG SozR 4-3100 § 18c Nr 2 RdNr 13).

20

4. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Mai 2014 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über das Ruhen des Leistungsanspruchs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

2

Der Kläger war bei der Rechtsvorgängerin der beigeladenen Krankenkasse (KK; im Folgenden einheitlich: Beigeladene) ab 1.1.2008 in der Auffangversicherung versichert (§ 5 Abs 1 Nr 13 SGB V). Die Beigeladene errechnete die Monatsbeiträge (Bescheid vom 6.5.2008: GKV 115,14 Euro/Monat; vom 1.1. bis 31.3.2008 insgesamt 345,42 Euro; Zahltag: 15. eines Monats für den Vormonat). Sie mahnte rückständige Beiträge, Säumniszuschläge und Mahngebühren in Höhe von insgesamt 538,18 Euro an und wies darauf hin, der Leistungsanspruch ruhe, wenn für mindestens zwei Monate die fälligen Beiträge nicht entrichtet worden seien. Eine Leistungsgewährung sei dann nicht mehr möglich. Sie bat vergeblich darum, den gesamten Rückstand innerhalb einer Woche zu überweisen (Schreiben vom 19.5.2008) und stellte das Ruhen der Leistungsansprüche ab dem dritten Tag nach Zugang des Bescheides fest (Bescheid vom 3.6.2008, laut Postzustellungsurkunde am 5.6.2008 in den zur Wohnung L.-Str. 124 in W. gehörenden, mit dem Namen des Klägers versehenen Briefkasten eingelegt). Die Beigeladene mahnte den Kläger in der Folge mehrfach. Er wechselte ab 1.11.2011 zur Rechtsvorgängerin der beklagten KK (im Folgenden einheitlich: Beklagte). Sie stellte fest, wegen der Beitragsrückstände bei der Beigeladenen ruhe sein Leistungsanspruch (§ 16 Abs 3a SGB V) ab Zugang des Bescheides, bis der Kläger alle rückständigen Beiträge gezahlt habe oder hilfebedürftig im Sinne des SGB II oder SGB XII geworden sei (Bescheid vom 11.11.2011; Widerspruchsbescheid vom 17.2.2012).

3

Mit seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, er habe keine Mitteilung über Beitragsrückstände, keine Mahnung und keine Schreiben seit 2007 erhalten, da er vor deren Zugang aus der L.-Str. 124 in W. verzogen sei. Dies habe auch ein vergleichsweise beendetes Verfahren (SG Freiburg - S 14 KR 4808/11 ER) gezeigt. Im Übrigen rechtfertigten Beitragsrückstände bei der Beigeladenen nicht, dass die Beklagte das Ruhen der Ansprüche feststelle. Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 14.2.2013). Der Kläger hat mit seiner Berufung vorgetragen, er habe einen der Gewerberäume in der L.-Str. 83 in W. bewohnt (entsprechend dem vorgelegten Vertrag ab 1.1.2008 gemietet). Er sei 2009 nach S. verzogen. Er habe sich nicht umgemeldet. Der Zeuge T. F. könne seinen Wegzug aus der L.-Str. 124 bestätigen, da dieser dort vor und nach dem Umzug gewohnt habe. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Die bestandskräftige Feststellung des Ruhens der Leistungsansprüche (§ 16 Abs 3a SGB V) durch die Beigeladene begründe die Voraussetzungen der Ruhensfeststellung der Beklagten. Der Kläger habe die Indizwirkung der Postzustellungsurkunde nicht widerlegt. Der Zeuge sei nicht zu vernehmen (§ 106a Abs 3 SGG). Der Kläger habe ihn erst lange nach Ablauf der gesetzten Frist benannt (Urteil vom 27.5.2014).

4

Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung des § 16 Abs 3a SGB V, des gesetzlichen Richters, des § 106a Abs 3 SGG und sinngemäß des § 137 SGG. Der Ruhensbeschluss einer KK habe nach einem KK-Wechsel keine Folgen. Die ihm beim LSG gesetzte Frist für weiteres Vorbringen habe der Vorsitzende weder unterschrieben noch zustellen lassen.

5

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Mai 2014 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 14. Februar 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2012 aufzuheben,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Mai 2014 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

6

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).

9

Der erkennende Senat kann darüber, ob die beklagte KK rechtmäßig das Ruhen der Leistungsansprüche des Klägers feststellte, mangels ausreichender Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Es beruht auf der Verletzung des § 16 Abs 3a S 2 SGB V und der Präklusionsregelung des § 106a SGG. Das LSG hat zwar im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Beklagte das Ruhen der Leistungsansprüche des Klägers auch wegen Beitragsrückständen bei der beigeladenen KK mit einem Betrag in Höhe von Beitragsanteilen für zwei Monate feststellen darf, wenn er sie trotz Mahnung nicht zahlte (dazu 1.). Die Feststellungen des LSG reichen aber nicht aus, um zu entscheiden, ob die Ruhensfeststellung der Beklagten rechtmäßig ist, weil die genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Der Kläger hat zudem die vom LSG hierzu getroffenen Feststellungen mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen, während die weiteren prozessualen Rügen unzulässig sind (dazu 2.). Das LSG wird nun die noch erforderlichen Feststellungen zu treffen haben (dazu 3.).

10

1. Die Beklagte durfte das Ruhen der Leistungsansprüche des Klägers auch dann feststellen, wenn er Beitragsrückstände nicht bei ihr, sondern nur bei der Beigeladenen mit einem Betrag in Höhe von Beitragsanteilen für zwei Monate hatte, die er trotz Mahnung nicht bezahlte.

11

a) Nach § 16 Abs 3a SGB V(hier anzuwenden idF durch Art 15 Nr 01 Buchst a Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17.7.2009, BGBl I 1990 mWv 23.7.2009) ruht der Anspruch auf Leistungen für nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) Versicherte, die mit einem Betrag in Höhe von GKV-Beitragsanteilen für zwei Monate im Rückstand sind und trotz Mahnung nicht zahlen, nach näherer Bestimmung des § 16 Abs 2 KSVG(Satz 1). Entsprechendes gilt für Mitglieder nach den Vorschriften des SGB V, die mit einem Betrag in Höhe von Beitragsanteilen für zwei Monate im Rückstand sind und trotz Mahnung nicht zahlen, ausgenommen sind Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten nach den §§ 25 und 26 SGB V und Leistungen, die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind; das Ruhen endet, wenn alle rückständigen und die auf die Zeit des Ruhens entfallenden Beitragsanteile gezahlt sind oder wenn Versicherte hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buches werden (Satz 2).

12

§ 16 Abs 2 KSVG(idF durch Art 12 6. SGGÄndG vom 17.8.2001, BGBl I 2144 mWv 2.1.2002) bestimmt: Ist der Versicherte mit einem Betrag in Höhe von GKV-Beitragsanteilen für zwei Monate im Rückstand, hat ihn die Künstlersozialkasse (KSK) zu mahnen. Ist der Rückstand zwei Wochen nach Zugang der Mahnung noch höher als der Beitragsanteil für einen Monat, stellt die KSK das Ruhen der Leistungen fest; das Ruhen tritt drei Tage nach Zugang des Bescheides beim Versicherten ein. Voraussetzung ist, dass der Versicherte in der Mahnung nach S 1 auf diese Folge hingewiesen worden ist. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Ruhensbescheid haben keine aufschiebende Wirkung. Das Ruhen endet, wenn alle rückständigen GKV-Beitragsanteile und die auf die Zeit des Ruhens entfallenden Beitragsanteile nach Abs 1 (betreffend den Beitragsanteil zur GKV) sowie nach § 16a Abs 1 KSVG (betreffend den Beitragsanteil zur sozialen Pflegeversicherung) gezahlt sind. Die KSK kann bei Vereinbarung von Ratenzahlungen das Ruhen vorzeitig für beendet erklären. Die zuständige KK ist von der Mahnung sowie dem Eintritt und dem Ende des Ruhens zu unterrichten.

13

b) Die Beklagte ist als KK nach § 16 Abs 3a S 2 SGB V entsprechend § 16 Abs 2 S 2 KSVG ermächtigt, das Ruhen der Leistungen festzustellen, wenn der gesetzlich geregelte Beitragsrückstand trotz Mahnung besteht(vgl Peters in Kasseler Komm, Stand 1.4.2015, § 16 SGB V RdNr 27).

14

c) Der für eine Ruhensfeststellung erforderliche Beitragsrückstand trotz Mahnung muss sich nicht auf die KK beziehen, der der betroffene Versicherte angehört. Das folgt aus dem aufgezeigten Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, dem Regelungssystem und dem Zweck der Norm.

15

aa) Schon der Wortlaut des § 16 Abs 3a S 2 SGB V beschränkt den relevanten Beitragsrückstand nicht auf Beiträge bei der KK, deren Mitglied der betroffene Versicherte ist. Der einbezogene § 16 Abs 2 S 5 KSVG verdeutlicht vielmehr, dass das Ruhen erst endet, wenn alle rückständigen und die auf die Zeit des Ruhens entfallenden Beitragsanteile gezahlt sind.

16

bb) Auch die Entstehungsgeschichte unterstreicht, dass für die Ruhensfeststellung der Beitragsrückstand trotz Mahnung als solcher genügt, unabhängig vom Beitragsgläubiger. Die Regelung des § 16 Abs 3a S 2 SGB V beruht auf der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit(<14. Ausschuss>; BT-Drucks 16/4200 S 12 zu Nr 9a zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD eines GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100). Danach sollte neben der Erhebung von Säumniszuschlägen die Nichtzahlung von Beiträgen weiterhin für den Versicherten im Interesse der Versichertengemeinschaft spürbare Konsequenzen haben. Entsprechend des über § 16 Abs 3a S 1 SGB V in Bezug genommenen § 16 Abs 2 KSVG sollte das Ruhen erst enden, wenn alle rückständigen und die auf die Zeit des Ruhens entfallenden Beitragsanteile gezahlt sind(vgl Bericht des 14. Ausschusses, BT-Drucks 16/4249 S 31 Zu Nummer 9 <§ 16>).

17

cc) Das Regelungssystem spricht ebenfalls dafür, generell Beitragsrückstände des Versicherten für die GKV und nicht nur Rückstände bei seiner KK ausreichen zu lassen. Ähnlich liegt es nämlich bei der Grundregelung für die Künstlersozialversicherung in § 16 Abs 3a S 1 SGB V. Die Versicherten nach dem KSVG schulden ihren Beitragsanteil zur GKV der KSK (vgl § 16 Abs 1 S 1 Halbs 1 KSVG), nicht aber der KK, der sie angehören. Dies ist grundsätzlich die gewählte KK (vgl zur Mitgliedschaft § 173 Abs 1, § 186 Abs 3 und § 190 Abs 5 SGB V). Für die Ruhensfeststellung genügt dementsprechend der Beitragsrückstand bei einem dritten Träger, der KSK. Hierfür ist es ohne Belang, ob der Versicherte nach Entstehen des Beitragsrückstands seine KK wechselt.

18

dd) Der Regelungszweck der Ruhensfeststellung zielt schließlich darauf ab, dass die Nichtzahlung von Beiträgen für die Versicherten im Interesse der Versichertengemeinschaft spürbare Konsequenzen hat. Dieser Zweck würde unterlaufen, wenn für die Ruhensfeststellung nur Beitragsrückstände bei der KK relevant wären, der das betroffene Mitglied angehört.

19

2. Wechselt ein nach den Vorschriften des SGB V versichertes Mitglied die KK, ist die neue KK dementsprechend berechtigt, das Ruhen der Leistungsansprüche des Versicherten auch wegen dessen Beitragsrückständen bei der zuvor für ihn zuständigen KK mit einem Betrag in Höhe von Beitragsanteilen für zwei Monate festzustellen, wenn er diese trotz Mahnung nicht zahlte. Es steht nicht fest, dass diese Voraussetzungen für den Erlass der angefochtenen Ruhensfeststellung der Beklagten erfüllt waren (dazu a). Die weiteren Verfahrensrügen sind unzulässig (dazu b).

20

a) Der Kläger war nach den unangegriffenen, den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) seit 1.1.2008 nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V pflichtversichert. Es steht aber weder fest, in welcher Höhe der Kläger deshalb der Beigeladenen Beiträge schuldete, noch dass er seine Beitragsschuld trotz Mahnung nicht bezahlte. Das LSG hat hierzu keine eigenen Feststellungen getroffen, sondern sich auf die "Tatbestandswirkung" der Ruhensfeststellung der Beigeladenen (Bescheid vom 3.6.2008) gestützt und den Beweisantrag des Klägers auf Einvernahme eines Zeugen als präkludiert zurückgewiesen (§ 106a SGG). Das verletzt den Kläger in seinen Rechten.

21

aa) Im betroffenen Zeitraum erfolgte die Beitragsbemessung der nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V in der GKV pflichtversicherten Personen, zu denen auch der Kläger gehört, gemäß § 227 SGB V in entsprechender Anwendung des § 240 SGB V(vgl zB BSG SozR 4-2500 § 240 Nr 21 RdNr 11). Die Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen (§ 22 Abs 1 S 1 SGB IV). Dennoch ist es zulässig, wenn die aktuell zuständige KK - oder im Rechtsstreit das Gericht - nicht aufgrund eigenständiger eigener Ermittlungen die rechtmäßige Beitragshöhe und -schuld feststellt, sondern hierzu etwa auf bestandskräftige - und seien es auch nur deklaratorische - Bescheide der früher zuständigen KK zur Beitragshöhe zurückgreift, um den Umfang der Beitragsschuld festzustellen, jedenfalls wenn ihre Rechtmäßigkeit nicht angezweifelt ist.

22

bb) Das LSG hat sich aber nicht auf Beitragsbescheide gestützt, sondern lediglich auf die "Tatbestandswirkung" der Ruhensfeststellung der Beigeladenen. Dieser Ansatz trägt schon deshalb nicht, weil sich eine denkbare Tatbestandswirkung einer Ruhensfeststellung allein auf den Verfügungssatz beschränkt, hier also die Feststellung des Ruhens der Leistungsansprüche des Klägers gegen die Beigeladene. Die Tatbestandswirkung (Drittbindungswirkung) von Verwaltungsakten besagt lediglich, dass Behörden und Gerichte die in einem bindenden Bescheid getroffene Regelung, solange sie Bestand hat, als verbindlich hinzunehmen und ohne Prüfung der Rechtmäßigkeit ihren Entscheidungen zugrunde zu legen haben (vgl BSG SozR 4-1300 § 48 Nr 11 RdNr 16; s auch zB BSGE 103, 243 = SozR 4-2500 § 95b Nr 2, RdNr 42 f mwN). Eine in der Sache vom LSG angenommene Feststellungswirkung der Ruhensfeststellung müsste gesetzlich geregelt sein, sieht das Gesetz aber nicht vor. Nur die Feststellungswirkung schließt auch Sachverhaltsmerkmale und rechtliche Wertungen in die "Bindung" mit ein (vgl BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 29 S 136).

23

cc) Aber auch, wenn man den in einer Ruhensfeststellung enthaltenen Begründungselementen Indizcharakter beimessen wollte, käme dies vorliegend nicht in Betracht. Das LSG hat nämlich die Präklusionsregelung des § 106a SGG nicht rechtmäßig angewandt. Die Regelung ist zwar auch im Berufungsverfahren anwendbar (vgl zB Hauck in Hennig, SGG, Stand Juni 2015, § 106a RdNr 3). Der LSG-Senat kann die Befugnis entgegen der Auffassung des Klägers auch auf den Berichterstatter übertragen (vgl ebenda RdNr 6). Ihre Anwendung setzt aber ua voraus, dass die Verfügung mit der Fristsetzung vom Vorsitzenden oder - bei Übertragung - vom Berichterstatter unterschrieben ist (vgl entsprechend zB BVerwG Beschluss vom 5.9.1997 - 1 B 166/97 - Juris RdNr 12 ff mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 106a RdNr 4 mwN) und zugestellt wird (§ 63 Abs 1 S 1 SGG; vgl zB Hauck in Hennig, SGG, Stand Juni 2015, § 106a RdNr 7). Schon daran fehlt es.

24

b) Die weiteren prozessualen Rügen des Klägers sind unzulässig. Er rügt mit der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts eine Verletzung von Art 101 Abs 1 S 2 GG. Nach diesem Verfahrensgrundrecht haben die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens Anspruch auf den gesetzlichen Richter, der sich aus dem GVG, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungsplänen und den Besetzungsregelungen ergibt (vgl zB BSG Urteil vom 10.9.1998 - B 7 AL 36/98 R - Juris RdNr 18). Der Kläger bezeichnet hierbei aber nicht iS von § 164 Abs 2 S 3 SGG alle Tatsachen, die den Mangel ergeben sollen(vgl BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 27 f mwN; s ferner BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - Juris RdNr 68 ff mwN, insoweit nicht abgedruckt in BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1). Notwendig ist hierfür eine Darlegung, die das Revisionsgericht in die Lage versetzt, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (stRspr, vgl zB BSG SozR 1500 § 164 Nr 31 S 49; BSG Urteil vom 21.4.2015 - B 1 KR 9/15 R - Juris RdNr 24, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Daran fehlt es. Der Kläger setzt sich schon nicht mit den getroffenen Regelungen des Geschäftsverteilungsplans des LSG auseinander. Gleiches gilt im Ergebnis, soweit der Kläger Mängel der ihm zugestellten Ausfertigung rügt. Das Urteil in der dem Revisionsgericht übersandten Gerichtsakte des LSG trägt die Unterschriften der Richter, die Zustellung einer Ausfertigung ist dort verfügt. Ein Mangel der Ausfertigung ist durch Zustellung einer mangelfreien Ausfertigung geheilt.

25

3. Das LSG wird nunmehr festzustellen haben, dass der Kläger bei Erlass der angegriffenen Ruhensfeststellung der Beklagten mit einem Betrag in Höhe von GKV-Beitragsanteilen für zwei Monate bei der Beigeladenen im Rückstand war und trotz Mahnung nicht zahlte. Hierzu sind die Ermittlungsergebnisse des beim SG Freiburg anhängig gewesenen Verfahrens (S 14 KR 4808/11 ER) und die vorgelegten Vertragsurkunden zu berücksichtigen. Auch die Einvernahme des vom Kläger benannten Zeugen ist notwendig. Das LSG wird zu berücksichtigen haben, dass sich die Beweiskraft der Zustellungsurkunde bei der Ersatzzustellung nicht darauf erstreckt, dass der Zustellungsadressat unter der Zustellungsanschrift wohnt. Die Erklärung des Zustellers begründet nur ein beweiskräftiges Indiz. Dem Zusteller fehlen die Möglichkeiten, vollständig zu überprüfen, ob es sich tatsächlich bei der Zustelladresse um eine Wohnung im Sinne des Zustellungsrechts handelt (vgl BVerfG Beschluss vom 3.6.1991 - 2 BvR 511/89 - NJW 1992, 224, 225; Hauck in Zeihe, SGG, Stand 1.4.2015, Anhang 8, § 178 ZPO Anm 4d). Die Indizwirkung der Postzustellungsurkunde zur Anschrift des Adressaten kann schon durch eine substantiierte, plausible und schlüssige Darstellung entkräftet werden (BVerfG Beschluss vom 5.10.1996 - 2 BvR 2195/95 - NStZ-RR 1997, 70).

26

4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Dauer der Absenkung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) streitig.

2

Der 1959 geborene Kläger ist verheiratet und lebte mit seiner im Folgejahr geborenen Ehefrau in einer Mietwohnung unter der im Rubrum ersichtlichen Anschrift. Hierfür hatten sie im streitgegenständlichen Zeitraum eine Nutzungsgebühr i.H.v. insgesamt 385,15 EUR monatlich (inklusive 47,35 EUR Vorauszahlung Betriebskosten und 52,99 EUR Vorauszahlung Heizung) zu entrichten. Sie gingen – im Falle des Klägers bis zur arbeitgeberseitigen Kündigung zum 21. Januar 2011 – abhängigen Beschäftigungen nach. Hieraus erzielte die Ehefrau des Klägers ein Einkommen in unterschiedlicher Höhe. Der Kläger erhielt am 29. April 2011 349,95 EUR Arbeitslosengeld (Alg) ausbezahlt. Für eine geförderte Altersvorsorge wandten er 15,51 EUR und die Ehefrau 23,25 EUR monatlich auf. Über die Freibeträge übersteigendes Vermögen verfügten sie nicht.

3

Am 3. Februar 2011 stellte der Kläger beim Beklagten einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II.

4

Mit zwei bestandskräftigen Bescheiden vom 9. Februar 2011 stellte die Agentur für Arbeit M. für den Zeitraum vom 22. Januar bis 15. April 2011 den Eintritt einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe fest und bewilligte Alg i.H.v. 23,33 EUR kalendertäglich ab 16. April 2011.

5

Mit Bescheid vom 7. März 2011 senkte der Beklagte den dem Kläger zustehenden Anteil am Alg II für den Zeitraum vom 3. Februar bis 21. April 2011 monatlich um 30 v.H. der maßgebenden Regelleistung ab und teilte mit, dass sich hieraus eine Absenkung i.H.v. 96,90 EUR monatlich ergäbe. Zur Begründung führte er aus, dass das Ruhen des Alg aufgrund einer Sperrzeit eine Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 4 Nr. 3 Buchst. a SGB II i.d. a.F. des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I, S. 1706) darstelle. Mit Bescheid vom selben Tag bewilligte er dem Kläger und seiner Ehefrau für den Zeitraum 3. Februar bis 30. April 2011 vorläufig Leistungen. Für den Monat April 2011 ergab sich ein Leistungsbetrag i.H.v. jeweils 61,22 EUR, wobei der Beklagte gleichzeitig beim Kläger einen Minderungsbetrag wegen der Sanktion in derselben Höhe (61,22 EUR) festsetzte. Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) berücksichtigte er dabei i.H. der tatsächlichen Kosten abzüglich eines Betrages von 11,64 EUR, mithin i.H.v. insgesamt 373,51 EUR. Hinsichtlich der Vorläufigkeit gab er an, dass aufgrund des monatlich schwankenden Einkommens der Ehefrau des Klägers eine endgültige Feststellung des Leistungsanspruchs erst nach Eingang der monatlichen Einkommensbescheinigungen erfolgen könne.

6

Gegen den Absenkungsbescheid erhob der Kläger am 14. März 2011 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, der Absenkungszeitraum sei nicht korrekt. Er habe in Übereinstimmung mit dem Bescheid der Arbeitsagentur zu erfolgen. Die Sanktion dürfe nicht länger laufen als die Sperrzeit. Nur dies entspräche dem Willen des Gesetzgebers. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 2011 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus: Die Dauer der Sanktion betrage drei Monate. Diese seien am 21. April 2011 beendet.

7

Mit Änderungsbescheid vom 26. März 2011 passte der Beklagte die Leistungen an die rückwirkend zum 1. Januar 2011 erhöhten Regelbedarfe an und bestimmte für April 2011 einen Leistungsbetrag für den Kläger und seine Ehefrau i.H.v. jeweils 66,22 EUR. Beim Kläger setzte er einen Minderungsbetrag in derselben Höhe (66,22 EUR) an, sodass ihm weiterhin kein Anspruch verblieb. KdU berücksichtigte der Beklagte wie zuvor im Bescheid vom 7. März 2011 i.H.v. insgesamt 373,51 EUR.

8

Am 11. April 2011 hat der Kläger die hiesige Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben. Zudem hat er um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht (Az.: S 8 AS 1231/11 ER). Mit Beschluss vom 12. Mai 2011 hat das SG den Eilantrag abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Über § 77 Abs. 12 SGB II gelte für Pflichtverletzungen, die vor dem 1. April 2011 begangen worden seien, weiterhin § 31 SGB II in der Fassung bis zum 31. März 2011. Hier habe die Pflichtverletzung im Januar 2011 vorgelegen, weshalb § 31 SGB II a.F. anzuwenden sei. Der Beklagte habe den Zeitraum der Absenkung ordnungsgemäß bestimmt. Zwar sei in der Begründung zur Einfügung des § 31 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 SGB II a.F. (BT-Drs. 16/1410) ausgeführt worden, künftig sei "gewährleistet, dass eine Sanktion nach § 31 Abs. 4 Nr. 3 Buchstabe a zeitgleich mit der zugrunde liegenden Sperrzeit des SGB III abläuft". Die Auffassung des Klägers, Sanktion und Sperrzeit müssten gleichzeitig ablaufen, sei dennoch falsch. Dies ergäbe sich eindeutig aus dem Wortlaut des Gesetzes, wonach der "Beginn" einheitlich sein solle. Das "Ende" sei dort in keiner Weise beschrieben und schon gar nicht als einheitlich. Die umstrittene Vorschrift sei insofern von Bedeutung, als die Sanktion ansonsten mit dem Beginn eines Kalendermonats beginnen würde, die Sperrzeit hingegen taggenau. Auf das in der Gesetzesbegründung niedergelegte Ziel des zeitgleichen Ablaufs von Sperrzeit und Sanktion sei es dem Gesetzgeber nicht angekommen. Denn ansonsten hätte er spätestens mit der Gesetzesänderung zum 1. April 2011 die Möglichkeit genutzt, dies anzupassen. Er habe zwar den alten § 31 SGB II entzerrt, die Regelung des § 31 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 SGB II a.F. jedoch entsprechend in den neuen § 31b SGB II übernommen. Hätte er also tatsächlich eine Anpassung gewollt, hätte er sie hier vorgenommen. Ferner sei es aus anderen Gründen klar und einfach ersichtlich, dass Sanktion und Sperrzeit nie gleichzeitig ablaufen könnten. Denn die Sanktion betrage drei Monate, die Sperrzeit zwölf Wochen. Dass drei Monate und zwölf Wochen nicht gleich sein könnten, sei evident. Und da der Gesetzgeber den Beginn auf den gleichen Tag festgelegt habe, könnten Sperrzeit und Sanktion nie gleichzeitig ablaufen. Die Sanktion sei auch nicht deswegen rechtswidrig, weil sie nicht zeitgleich mit der Sperrzeit beginne. Grundsätzlich laufe die Sanktion vom 22. Januar bis 21. April 2011 und beginne daher zeitgleich mit der Sperrzeit. Der Kläger habe allerdings erst am 3. Februar 2011 einen Antrag auf Alg II gestellt und deshalb zuvor unter keinen Umständen Anspruch hierauf gehabt. Insofern beginne die Sanktion natürlich mit dem Beginn des – grundsätzlich bestehenden – Anspruchs auf Alg II. Denn die Sanktion senke dieses ab. Wenn aber mangels Antragstellung kein Alg II gewährt werde, könne die Sanktion auch nicht früher beginnen. Ansonsten läge es in der Hand des Hilfebedürftigen, durch eine verspätete Antragstellung auf Alg II die Rechtswidrigkeit des Absenkungsbescheids herbeizuführen.

9

Zur Klagebegründung hat der Kläger seinen bisherigen Vortag wiederholt. Ergänzend hat er vorgetragen, die Sanktion habe am 1. Februar 2011 beginnen müssen, da auch der Antrag auf Leistungen gemäß § 37 Abs. 1 SGB II (gemeint wohl: § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II) in der ab 1. Januar 2011 geltenden Fassung zurückzudatieren sei. Entgegen der Meinung des SG im Beschluss vom 11. Mai 2011 sei die Dauer der Sanktion trotz des ungenauen Wortlauts auf die Dauer der Sperrzeit begrenzt. Er hat beantragt, den Bescheid vom 7. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2011 aufzuheben, soweit eine Sanktion über den 15. April 2011 hinaus verfügt wird.

10

Der Beklagte hat seinen bisherigen Vortrag wiederholt und ergänzend auf den Beschluss des SG vom 11. Mai 2011 verwiesen.

11

Nachdem sich die Beteiligten im Erörterungstermin vom 14. Februar 2014 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben, hat das SG mit Urteil vom 12. August 2015 die Klage abgewiesen. Es hat die Gründe aus dem Beschluss vom 11. Mai 2011 wiederholt.

12

Gegen das ihm am 25. August 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. September 2015 Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Berufung eingelegt (Az. L 5 AS 596/15 NZB). Mit Beschluss vom 9. Dezember 2015 hat der Senat die Berufung zugelassen.

13

Zur Begründung der Berufung wiederholt der Kläger seinen bisherigen Vortrag und ergänzt: Gegenstand des Rechtsstreits sei allein die Sanktionsfeststellung. Es handele sich nicht um einen Höhenstreit. Er beantragt,

14

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. August 2015 und den Absenkungsbescheid vom 7. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2011 abzuändern und den Bewilligungsbescheid vom 7. März 2011 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 26. März 2011 abzuändern, soweit eine Sanktion über den 15. April 2011 hinaus verfügt wird.

15

Der Beklagte beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

18

Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist i.S.d. § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig.

19

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

20

1. Der Kläger kann sein Begehren in zulässiger Weise mit der reinen Anfechtungsklage gem. § 54 Abs. 1 SGG verfolgen.

21

Dies folgt aus dem Wortlaut und der darin deutlich werdenden Regelungskonzeption des Sanktionsrechts im SGB II in der bis 31. März 2011 geltenden Fassung (zur Nachfolgeregelung Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 19/14 R –, juris), das hier nach § 77 Abs. 12 SGB II weiter anzuwenden ist. Nach § 31 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 1 SGB II a.F. wird ausdrücklich von einem eigenständigen Verwaltungsakt ausgegangen, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt. Eines solchen Verwaltungsakts bedarf es auch in den Fällen des § 31 Abs. 4 Nr. 3 Buchst. a SGB II a.F., obwohl hieran nicht die Wirkungen des § 31 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 1 SGB II a.F. geknüpft werden. Entsprechend kommt der in dem angefochtenen Absenkungsbescheid gebrauchten Wendung "der Ihnen zustehende Anteil des Arbeitslosengeldes II wird für die Zeit vom bis monatlich um 30 vom Hundert abgesenkt" durch einen gesonderten Verwaltungsakt i.S.d. § 31 SGB X die Feststellung zu, dass die durch die Agentur für Arbeit M. festgestellte Sperrzeit eine Minderung des Alg II-Anspruchs der Klägers in bestimmbarer Höhe (hierzu unten 3. a.) für eine bestimmte Zeit nach sich zieht.

22

Ein solches Vorgehen rechtfertigt sich zudem auch aus dem Bewilligungsbescheid vom 7. März 2011 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 26. März 2011 selbst. Dieser besteht insgesamt aus zwei Teilen: der Verfügung über die Höhe des ungeminderten Alg II und der Angabe des Minderungsbetrags. Diese Trennung erlaubt es, entgegen der bei Klagen auf höhere Leistungen üblicherweise vorzunehmenden vollen Überprüfung aller die Leistungshöhe und auch den -grund bestimmenden Faktoren (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 22. März 2010 – B 4 AS 68/09 R –, SozR 4-4200 § 31 Nr. 4 Rn. 9) einen beschränkten Streitgegenstand des Verfahrens anzunehmen (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2005 – B 7a AL 50/05 R –, BSGE 95, 191).

23

Über die bloße prozessuale Zulässigkeit dieses Vorgehens hinaus muss die Beschränkung des Streitgegenstands muss vom Kläger auch ausdrücklich gewollt sein (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2005 – B 7a AL 50/05 R –, BSGE 95, 191). Hier begehrt er – anwaltlich vertreten – ausdrücklich eine gerichtliche Entscheidung lediglich hinsichtlich der Absenkungsentscheidung, nicht jedoch auch hinsichtlich des im streitigen Zeitraum zu zahlenden Alg II. Das hat er im Schriftsatz vom 21. Juni 2016 und in der mündlichen Verhandlung im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage nochmals klargestellt. Die Verfügung des Beklagten über die Höhe des für den Kläger bestimmten Alg II ist folglich wegen dessen ausdrücklicher Erklärung nicht zu prüfen. Entsprechendes gilt für die Frage, ob die Voraussetzungen der vorläufigen Bewilligung noch vorliegen.

24

2. Streitgegenständlich sind hier entgegen der Ausführungen des SG neben dem Absenkungsbescheid vom 7. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2011 auch die Bewilligungsbescheide vom 7. und 23. März 2011, soweit dort der Minderungsbetrag ausgewiesen ist. Der Absenkungsbescheid und der die Sanktion umsetzende Bewilligungsbescheid bilden eine rechtliche Einheit i.S. eines einheitlichen Bescheids zur Höhe des Alg II in dem von der Absenkung betroffenen Zeitraum (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2010 – B 4 AS 68/09 R –, SozR 4-4200 § 31 Nr. 4). Der Bescheid vom 23. März 2011 ist gem. der §§ 86 bzw. 96 SGG zum Gegenstand des Verfahrens geworden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 96 Rn. 2 m.w.N.). Der Sache nach hat das SG konkludent über die Bewilligungsbescheide mitentschieden.

25

Allerdings hat der Kläger – was das SG übersehen hat – im Erörterungstermin vom 14. Februar 2014 den Antrag aus dem Schriftsatz vom 2. August 2011 wiederholt, in dem er sich nur noch gegen die Minderung seiner Leistungen wandte, soweit eine Sanktion über den 15. April 2011 hinaus verfügt worden sei. Streitgegenständlich kann damit nur noch ein höherer Anspruch wegen eines früheren Endes des Absenkungszeitraums für die Zeitspanne vom 16. bis 21. April 2011 sein.

26

3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Aufhebung der Absenkung für den Zeitraum vom 16. bis 21. April 2011. Der Beklagte hat die Dauer der Sanktion ordnungsgemäß berechnet. Die Absenkung ist auch nicht aus anderen Gründen rechtswidrig.

27

Der Beklagte hat in nicht zu beanstandender Weise gemäß § 31 Abs. 1, 4 Nr. 3 Buchst. a und Abs. 6 SGB II a.F. den Anspruch des Klägers auf Alg II um 30 % der Regelleistung gesenkt.

28

a. Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere bedurfte es zuvor keiner Anhörung des Klägers. Nach § 24 Abs. 1 SGB X bedarf es der Anhörung vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Für die Zeit ab Februar 2011 und damit auch für den streitgegenständlichen Zeitraum lag noch kein Bewilligungsbescheid vor, in dessen Wirkungskreis der Absenkungsbescheid hätte eingreifen können (vgl. zur Entbehrlichkeit der Anhörung in diesen Fällen BSG, Urteil vom 29. November 1990 – 7 RAr 6/90 –, BSGE 68, 42).

29

Der Absenkungsbescheid ist hinsichtlich der Höhe des Absenkungsbetrags hinreichend bestimmt i.S.v. § 33 Abs. 1 SGB X. Dort hat der Beklagte verfügt, dass der dem Kläger zustehende Anteil des Alg II für den Zeitraum vom 3. Februar bis 21. April 2011 um 30 % der Regelleistung, höchstens jedoch in Höhe des dem Kläger zustehenden Gesamtbetrags abgesenkt wird, und dass sich hieraus eine Absenkung i.H.v. 96,90 EUR monatlich ergäbe. Die Sanktionshöhe war damit bestimmt und unter Zuhilfenahme des gleichzeitig ergangenen Bewilligungsbescheids, mit dem der Absenkungsbescheid eine rechtliche Einheit bildet, konnte der Kläger die anteilige Verteilung der Minderung auf die einzelnen Monate erkennen.

30

Der Beklagte muss sich hinsichtlich der Höhe des Minderungsbetrags bei der Anpassung desselben an die höhere Regelleistung rückwirkend zum 1. Januar 2011 nicht an seinen Angaben zur absoluten Höhe des Minderungsbetrags im Absenkungsbescheid vom 7. März 2011 festhalten lassen. Diesen Bescheid hat er im Zuge der Berücksichtigung der höheren Regelleistung durch den Bescheid vom 26. März 2011 konkludent mitgeändert, indem er die maßgeblichen Minderungsbeträge mit angegeben hat. Auch insoweit bedurfte es aus denselben Gründen wie hinsichtlich der Bescheide vom 7. März 2011 keiner Anhörung des Klägers.

31

b. Der Absenkungsbescheid ist auch materiell rechtmäßig. Gem. § 31 Abs. 4 Nr. 3 Buchst. a SGB II a.F. ist § 31 Abs. 1 SGB II a.F. bei einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, dessen Anspruch auf Alg ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit den Eintritt einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, entsprechend anzuwenden. Nach § 31 Abs. 1 SGB II wird das Alg II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II a.F. in einer ersten Stufe um 30 v.H. pro Monat der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regeleistungen abgesenkt.

32

Hier hatte die die Agentur für Arbeit M. mit Bescheiden vom 9. Februar 2011 für den Zeitraum vom 22. Januar bis 15. April 2011 bestandskräftig und damit für die hiesigen Beteiligten bindend den Eintritt einer Sperrzeit festgestellt, sodass die Voraussetzungen der Absenkung erfüllt sind.

33

Gem. § 31 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 SGB II a.F. treten in den Fällen von Absatz 4 Nr. 3 Buchst. a Absenkung und Wegfall mit Beginn der Sperrzeit oder dem Erlöschen des Anspruchs nach dem SGB III ein. Nach Satz 2 dauern Absenkung und Wegfall drei Monate. Hier hat der Beklagte den Zeitraum ordnungsgemäß bestimmt. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Urteil, macht sich diese zu Eigen und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich für den hier streitigen Zeitraum auch die Regelung des § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II in der rückwirkend zum 1. Januar 2011 geltenden Fassung nicht auswirkt. Danach hätte der Kläger zwar schon Anspruch auf SGB II-Leistungen ab 1. Februar 2011 gehabt. Damit würde zwar auch die Absenkung ab diesem Zeitpunkt wirken. Auswirkungen auf deren Ende (drei Monate ab Beginn der Sperrzeit, also ab dem 22. Januar 2011) bestünden jedoch nicht.

34

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

35

5. Die Revision war nicht zuzulassen. Insbesondere liegt keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG vor. Die Auslegung des § 31 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 und Satz 2 SGB II a.F. ist so gut wie unbestritten und ergibt sich aus einem eindeutigen Wortlaut, sodass die Rechtsfrage keiner höchstrichterlichen Klärung bedarf (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 11. Aufl. 2014, § 160 Rn. 8a).


(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind, auch wenn sie in Form eines Gutscheins erbracht wurden, in Geld zu ersetzen. § 40 Absatz 6 Satz 2 gilt entsprechend. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.

(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind, auch wenn sie in Form eines Gutscheins erbracht wurden, in Geld zu ersetzen. § 40 Absatz 6 Satz 2 gilt entsprechend. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.

(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1.
sich weigern, einer Aufforderung gemäß § 15 Absatz 5 oder Absatz 6 nachzukommen,
2.
sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3.
eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn

1.
sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes nach § 19 Absatz 1 Satz 1 herbeizuführen,
2.
sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
3.
ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder
4.
sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 10. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten nach § 34 SGB II.

2

Der Kläger bezog mit seiner Ehefrau und den beiden Kindern als Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Während des Leistungsbezugs (Bewilligungszeitraum Februar bis Juni 2011) schloss der Kläger einen unbefristeten Arbeitsvertrag ab dem 14.2.2011 mit einer Zeitarbeitsfirma als Schweißer, nach dem ihm auch vorübergehend andere Tätigkeiten zugewiesen werden konnten. Am 23.2.2011 wurde dem Kläger zum 28.2.2011 gekündigt, weil er - nach Angaben der Zeitarbeitsfirma - am 22.2.2011 mitgeteilt habe, er wolle die Arbeit bei dem Entleiher nicht fortsetzen, da er nicht als Schweißer eingesetzt werde, und weil er trotz Aufforderung, die Arbeit fortzusetzen, diese nicht wieder aufgenommen habe. Hierauf stellte der Beklagte eine Pflichtverletzung des Klägers fest und minderte dessen Alg II um 30 % des für ihn maßgebenden Regelbedarfs ab Juni 2011 für drei Monate (Bescheid vom 12.5.2011). Der Kläger nahm während des fortdauernden Leistungsbezugs (Bewilligungszeitraum Juli bis Dezember 2011) zum 31.8.2011 eine Arbeit auf, worauf der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Bedarfsgemeinschaft ab Oktober 2011 wegen bedarfsdeckenden Einkommens ganz aufhob.

3

Nach Anhörung des Klägers und seiner Ehefrau machte die vom Beklagten herangezogene Samtgemeinde S gegenüber beiden einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II in Höhe von 7520,97 Euro für die an die Bedarfsgemeinschaft von April bis September 2011 gezahlten Leistungen geltend(Bescheid vom 18.5.2012). Durch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 28.2.2011 aufgrund arbeitsvertragswidrigen Verhaltens des Klägers sei der Anspruch der Bedarfsgemeinschaftsmitglieder auf Leistungen nach dem SGB II durch sozialwidriges Verhalten verursacht worden. Die hiergegen erhobenen Widersprüche des Klägers und seiner Ehefrau wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 26.9.2012).

4

Im Klageverfahren des Klägers und seiner Ehefrau vor dem SG stellte der Beklagte klar, dass sich der Ersatzanspruch allein gegen den Kläger richte, und er anerkannte in der mündlichen Verhandlung vom 28.4.2014 den Klageanspruch gegenüber dessen Frau, was diese annahm. Das SG hat die Klage des Klägers abgewiesen (Urteil vom 28.4.2014). Das LSG hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG und den Bescheid vom 18.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.9.2012 und in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 28.4.2014 aufgehoben (Urteil vom 10.12.2015): Der Kläger habe die Voraussetzungen für den Leistungsbezug nicht iS des § 34 SGB II herbeigeführt, weil das Herbeiführen nicht auch das Aufrechterhalten der Hilfebedürftigkeit umfasse; Hilfebedürftigkeit habe bereits zum Zeitpunkt des in Rede stehenden Verhaltens des Klägers bestanden.

5

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Beklagte die Verletzung von § 34 SGB II geltend. Für das Herbeiführen bzw das "Aufrechterhalten" sei auf den Abschluss des Arbeitsvertrags abzustellen; hierdurch sei bereits die Hilfebedürftigkeit entfallen.

6

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 10. Dezember 2015 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 28. April 2014 zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Sein angefochtener Bescheid über einen Ersatzanspruch gegen den Kläger ist vom LSG zu Recht aufgehoben worden.

9

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG, durch das auf die Berufung des Klägers das klageabweisende Urteil des SG und der vom Kläger angefochtene Bescheid des Beklagten aufgehoben wurden, und damit das Begehren des Beklagten, unter Aufhebung des Urteils des LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Durch dieses war seine Klage gegen den Bescheid vom 18.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.9.2012 abgewiesen worden, durch die der Beklagte einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II gegen den Kläger geltend gemacht hatte.

10

2. Hiergegen wendet sich zutreffend allein der Kläger mit der reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG; vgl BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - BSGE 112, 135 = SozR 4-4200 § 34 Nr 1, RdNr 11). Der angefochtene Bescheid regelt die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nur noch gegenüber dem Kläger und nicht mehr gegenüber seiner Ehefrau, nachdem der Beklagte vor dem SG ein entsprechendes Teilanerkenntnis abgegeben und die zunächst klagende Ehefrau dieses angenommen hat.

11

Zutreffend auch richtet sich die Anfechtungsklage gegen das Jobcenter des beklagten Landkreises E Zwar ist der Bescheid vom 18.5.2012 von der Samtgemeinde S erlassen worden, doch liegt dem weder eine abweichende Trägerschaft für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende noch eine Wahrnehmungszuständigkeit der Samtgemeinde zugrunde (vgl zu einer solchen BSG Urteil vom 28.10.2014 - B 14 AS 65/13 R - BSGE 117, 186 = SozR 4-4200 § 7 Nr 39, RdNr 9 f). Nur der beklagte Landkreis ist ein zugelassener kommunaler Träger nach § 6a SGB II(Anlage zu § 1 der Kommunalträger-Zulassungsverordnung). Die Samtgemeinde ist vom Beklagten zur Durchführung der diesem als zugelassenen kommunalen Träger obliegenden Aufgaben nur in dessen Namen herangezogen worden (vgl § 3 Abs 1 Niedersächsisches Gesetz zur Ausführung des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs und des § 6b des Bundeskindergeldgesetzes vom 16.9.2004 ).

12

3. Als Rechtsgrundlage der angefochtenen Geltendmachung eines Ersatzanspruchs kommt allein § 34 SGB II in Betracht, der eine Befugnis zur Geltendmachung eines Ersatzanspruchs durch Erlass eines Verwaltungsakts iS des § 31 SGB X vorsieht(vgl BSG Urteil vom 16.4.2013 - B 14 AS 55/12 R - SozR 4-4200 § 34 Nr 2 RdNr 12). § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II(idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850; im Folgenden: aF) bestimmt: Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet.

13

Diese am 1.4.2011 in Kraft getretene Fassung findet hier Anwendung, obwohl der in 2012 geltend gemachte Ersatzanspruch an einen Lebenssachverhalt - die arbeitgeberseitige Kündigung des Arbeitsvertrags mit dem Kläger im Februar 2011 - vor dem 1.4.2011 anknüpft. Denn weder § 34 SGB II aF noch den einschlägigen Übergangsregelungen in § 77 SGB II ist zu entnehmen, dass die am 1.4.2011 in Kraft getretene Fassung des § 34 SGB II nicht auf vorherige Lebenssachverhalte Anwendung findet. Dies unterscheidet § 34 SGB II aF von § 31 SGB II(idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850), dessen Neufassung ebenfalls am 1.4.2011 in Kraft getreten ist, denn insoweit ist in § 77 Abs 12 SGB II bestimmt, dass § 31 SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden ist für Pflichtverletzungen, die vor dem 1.4.2011 begangen worden sind. Verfassungsrecht steht dem unter dem Gesichtspunkt einer Rückwirkung nicht entgegen, weil schon nicht erkennbar ist, dass insoweit ein Vertrauen auf den Fortbestand der vorherigen Rechtslage sachlich gerechtfertigt und daher schutzwürdig ist (zur Unterscheidung von unechter Rückwirkung als tatbestandlicher Rückanknüpfung und echter Rückwirkung als Rückbewirkung von Rechtsfolgen sowie zur Schutzwürdigkeit von Vertrauen vgl letztens etwa BVerfG Beschluss vom 16.12.2015 - 2 BvR 1958/13 - juris RdNr 43 f, 51 f). Zudem enthielt auch § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung (Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954) eine Rechtsgrundlage für einen Ersatzanspruch, deren Tatbestandsmerkmale trotz teils abweichender Formulierungen mit denen des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF übereinstimmen, insbesondere das Herbeiführen der Hilfebedürftigkeit erfordern.

14

Der Anwendung des § 34 SGB II aF steht auch nicht entgegen, dass § 34 SGB II im Zeitpunkt der Revisionsentscheidung nicht mehr in dieser, sondern in der am 1.8.2016 in Kraft getretenen Fassung gilt (Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.7.2016, BGBl I 1824). Denn in Rechtsstreitigkeiten über in der Vergangenheit liegende Zeiträume bzw über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte ist das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden.

15

Zwar ist eine frühere, durch eine Änderung des Gesetzes abgelöste alte Fassung des Gesetzes kein aktuell geltendes Recht mehr. Aufgrund der gesetzlichen Konzeption der Übergangsvor-schriften im SGB II, die Ausdruck des aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art 20 Abs 3 GG folgenden Grundsatzes des Vertrauensschutzes auch bei Rechtsänderungen sind, ist jedoch im SGB II vom sog Geltungszeitraumprinzip auszugehen, nach dem das Recht anzuwenden ist, das zu der Zeit galt, in der die maßgeblichen Rechtsfolgen eingetreten sind, wenn es an einer speziellen Regelung mangelt (BSG Urteil vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - RdNr 15). Die Anordnung einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen für vergangene Zeiträume lässt sich indes weder § 34 SGB II noch den einschlägigen Übergangsregelungen in § 80 SGB II entnehmen, weshalb es für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids vom 18.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.9.2012 allein auf das Recht ankommt, das der Beklagte noch im Zeitpunkt seines Widerspruchsbescheids vom 26.9.2012 anzuwenden hatte.

16

4. In formeller Hinsicht ist der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden. Der Kläger ist angehört worden (§ 24 Abs 1 SGB X). Auch ist die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X), zumal der Beklagte anerkannt hat, dass der Bescheid eine Regelung nur gegenüber dem Kläger enthält.

17

5. Der angefochtene Bescheid ist materiell rechtswidrig. Die Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs nach § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF liegen nicht vor, denn der Kläger hat nicht im Sinne dieser Vorschrift die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung herbeigeführt.

18

a) Die Anwendbarkeit des § 34 SGB II ist nicht deshalb gesperrt, weil der Beklagte wegen des dem Ersatzanspruch zugrunde liegenden Lebenssachverhalts - die arbeitgeberseitige Kündigung des Arbeitsvertrags mit dem Kläger im Februar 2011 - bereits eine Pflichtverletzung des Klägers festgestellt und dessen Alg II gemindert hatte(Bescheid vom 12.5.2011). Denn ein "Sanktionsbescheid" nach §§ 31 ff SGB II schließt eine an dasselbe Verhalten anknüpfende Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nach § 34 SGB II nicht aus. Weder lässt sich eine solche Anwendungssperre dem Wortlaut und der Systematik der gesetzlichen Regelungen entnehmen. Noch ist sie durch deren je eigenständigen Sinn und Zweck geboten. Während die "Sanktionen" (so Unterabschnitt 5 in Kapitel 3 Abschnitt 2) nach §§ 31 ff SGB II an näher bestimmte Pflichtverletzungen anknüpfen und auf diese in ausdifferenzierter Weise mit künftigen Leistungsminderungen reagieren, knüpft § 34 SGB II an die "Verpflichtung Anderer"(so Unterabschnitt 6 in Kapitel 3 Abschnitt 2) wegen der Herbeiführung der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung durch sozialwidriges Verhalten an und ermöglicht durch die Geltendmachung des Ersatzanspruchs die nachträgliche Wiederherstellung des Nachrangs der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. In einem Abhängigkeitsverhältnis stehen §§ 31 ff SGB II und § 34 SGB II nur insoweit, als Leistungsminderungen einen Ersatzanspruch mindern, weil dieser nur die gezahlten Leistungen erfasst.

19

b) Zum Ersatz der gezahlten Leistungen ist - bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - nur verpflichtet, wer die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung herbeigeführt hat.

20

"Herbeiführen" bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch "etwas bewirken" (durch gezieltes Handeln bewirken, dass etwas geschieht, dass es zu etwas kommt; vgl Paul, Deutsches Wörterbuch, 10. Aufl 2002, 467; Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 3. Aufl 1999, Bd 4, 1748; Duden. Das Bedeutungswörterbuch, 4. Aufl 2010, 485). Das Herbeiführen unterscheidet sich vom "Aufrechterhalten"; etwas aufrechterhalten ist kein Synonym zu etwas herbeiführen (Synonyme zu herbeiführen sind: anrichten, auslösen, bedingen, bewirken, entstehen lassen, erregen, erreichen, erwecken, erzeugen, erzwingen, geschehen lassen, heraufbeschwören, hervorbringen, hervorrufen, in Gang setzen, stiften, veranlassen, vermitteln, verursachen, wachrufen, wecken, zustande bringen; vgl Duden. Das Synonymwörterbuch, 5. Aufl 2010, 497).

21

Dem entspricht der besondere Gebrauch des Wortes "Herbeiführen" in der Rechtssprache. Nach den Gesetzesmaterialien zur Erstfassung des § 34 SGB II ist zum Ersatz der Leistungen verpflichtet, wer die Hilfebedürftigkeit "verursacht hat"(BT-Drucks 15/1516 S 62). Das BSG hat unter der Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit iS des § 34 SGB II(idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954) die "Schaffung" einer Leistungsvoraussetzung des SGB II verstanden (BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - BSGE 112, 135 = SozR 4-4200 § 34 Nr 1, RdNr 14).

22

Der Begriff des Herbeiführens der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung findet sich im Existenzsicherungsrecht auch außerhalb des SGB II in § 103 Abs 1 Satz 1 SGB XII(idF des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, BGBl I 3022), der im Wesentlichen inhaltsgleich den § 92a Abs 1 Satz 1 BSHG(in der bis zum 31.12.2004 gegoltenen Fassung) übertragen hat (BT-Drucks 15/1514 S 68 zu § 98 der Entwurfsfassung). Unter "Herbeiführen" iS des § 92a Abs 1 Satz 1 BSHG hat das BVerwG verstanden, dass der Ersatzpflichtige sich selbst oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen "in die Lage gebracht hat, Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen"(BVerwG Urteil vom 10.4.2003 - 5 C 4.02 - BVerwGE 118, 109, juris RdNr 16).

23

Soweit sich der Begriff des Herbeiführens im Sozialversicherungsrecht (§§ 103, 105 SGB VI, § 101 Abs 1 SGB VII) und im Privatversicherungsrecht (§ 162 VVG) findet, wird dieser verstanden im Sinne des "etwas bewirken" durch aktives Handeln, was hier schon deshalb nahe liegt, weil jeweils ein Leistungsausschluss an die Herbeiführung einer eigenen gesundheitlichen Beeinträchtigung oder des Todes eines Dritten anknüpft (vgl Voelzke, Die Herbeiführung des Versicherungsfalls im Sozialversicherungsrecht, 2004, 160 ff). Auch soweit sich der Begriff des Herbeiführens im Unterhaltsrecht findet (§ 1579 Nr 4 BGB) und eine Beschränkung oder Versagung des Unterhalts wegen grober Unbilligkeit vorsieht, wenn der Berechtigte seine Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hat, wird dieser Begriff in der Weise verstanden, dass mit ihm die Schaffung einer Bedürftigkeit gemeint ist und nicht deren bloße Aufrechterhaltung (vgl BGH Urteil vom 21.2.2001 - XII ZR 34/99 - BGHZ 146, 391, juris RdNr 19).

24

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II hat danach nur der iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF herbeigeführt, der diese Voraussetzungen geschaffen bzw sie bewirkt hat. Wer diese Leistungsvoraussetzungen bereits erfüllt und deren Vorliegen nicht beseitigt, führt die Voraussetzungen nicht erst herbei, sondern erhält sie aufrecht. Das Aufrechterhalten der Leistungsvoraussetzungen wird vom Begriff des Herbeiführens der Leistungsvoraussetzungen nicht umfasst (wie hier: Fügemann in Hauck/Noftz, K § 34 RdNr 30, Stand Juni 2014; Grote-Seifert in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 34 RdNr 21; Link in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 34 RdNr 21; Schnitzler in Harich, Handbuch der Grundsicherung für Arbeitsuchende, 2014, Stichwort "Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten" RdNr 10; aA Hänlein in Gagel, SGB II/SGB III, § 34 SGB II RdNr 11, Stand Juni 2009).

25

Dagegen, das Herbeiführen der Voraussetzungen für die Gewährung von SGB II-Leistungen iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF weiter als vorstehend beschrieben zu verstehen, sprechen nicht nur der allgemeine Sprachgebrauch und der besondere Gebrauch in der Rechtssprache. Für das wortlautnahe Verständnis des Herbeiführens als "etwas bewirken" spricht vielmehr auch, dass es sich bei dem Ersatzanspruch um eine eng auszulegende Ausnahme vom Grundsatz handelt, dass der Anspruch auf existenzsichernde Leistungen unabhängig von der Ursache der Hilfebedürftigkeit und einem Verschulden besteht (vgl BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - BSGE 112, 135 = SozR 4-4200 § 34 Nr 1, RdNr 17 ff; vgl auch BSG Urteil vom 16.4.2013 - B 14 AS 55/12 R - SozR 4-4200 § 34 Nr 2 RdNr 18).

26

Etwas anderes folgt nicht aus der Neufassung des § 34 Abs 1 SGB II mit Wirkung zum 1.8.2016 (BGBl I 1824). Nach dessen Satz 2 gilt als Herbeiführung iS des Satzes 1 auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Bei dieser gesetzlichen Fiktion ("gilt auch") handelt es sich nach dem Vorstehenden um eine echte Rechtsänderung, selbst wenn die Gesetzesmaterialien den neuen § 34 Abs 1 Satz 2 SGB II lediglich als Klarstellung bezeichnen(BT-Drucks 18/8041 S 45). Sie stellt nicht bloß klar, was schon immer galt. Dies zeigt schon der Vergleich der Wörter „herbeiführen“ und „aufrechterhalten“; auch geht die Neufassung über die Auslegung des § 34 SGB II in der bisherigen Rechtsprechung des BSG hinaus(zweifelnd an einer bloßen Klarstellung auch Groth/Siebel-Huffmann, NJW 2016, 3404, 3408).

27

c) Ausgehend hiervon hat der Kläger im Februar 2011 die Voraussetzungen für die Gewährung von SGB II-Leistungen nicht iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF herbeigeführt, weil er und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen bereits zuvor diese Voraussetzungen erfüllten, insbesondere hilfebedürftig waren, und deshalb vom Beklagten auch laufend Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts bewilligt und gezahlt erhielten. Diese bestehende Hilfebedürftigkeit blieb durch das im Februar 2011 begonnene und sogleich wieder beendete Arbeitsverhältnis unverändert aufrechterhalten. An dieses bloße Aufrechterhalten kann nach § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF nicht mit der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs durch den Beklagten angeknüpft werden.

28

d) Entgegen dem Revisionsvorbringen lässt sich vorliegend ein Herbeiführen iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF nicht damit begründen, dass die Hilfebedürftigkeit des Klägers und der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen bereits durch den Abschluss des Arbeitsvertrags im Februar 2011 entfallen und deshalb durch die Aufgabe der Arbeitstätigkeit im Februar 2011 neu entstanden sei. Denn für das Entfallen der Hilfebedürftigkeit kommt es nicht auf den Abschluss eines Arbeitsvertrags, sondern auf den Zufluss bereiter Mittel zur Deckung des Lebensunterhalts im jeweiligen Monat an (zu bereiten Mitteln zur Existenzsicherung vgl nur BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 43/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 74 RdNr 15 f; zum im SGB II maßgebenden Monatsprinzip vgl nur BSG Urteil vom 9.4.2014 - B 14 AS 23/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 75 RdNr 27 sowie BSG Urteil vom 28.10.2014 - B 14 AS 36/13 R - BSGE 117, 179 = SozR 4-4200 § 37 Nr 7, RdNr 25). Auch nach dem Vorbringen des Beklagten war indes ein Zufluss von Einkommen beim Kläger aus dem im Februar 2011 begründeten Arbeitsverhältnis erst im Folgemonat zu erwarten.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind, auch wenn sie in Form eines Gutscheins erbracht wurden, in Geld zu ersetzen. § 40 Absatz 6 Satz 2 gilt entsprechend. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.

(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.

(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden.

(2) Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.

(3) Die Behörde darf die Entgegennahme von Erklärungen oder Anträgen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb verweigern, weil sie die Erklärung oder den Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet hält.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. Juni 2013 geändert.

Die Berufung der Klägerin wird als unzulässig verworfen, soweit die Aufhebung des Bescheids vom 27. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juni 2007 auch hinsichtlich ihres Sohnes beantragt wurde.

Im Übrigen wird die Revision des Beklagten zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin 3/4 der Kosten des Rechtsstreits in allen drei Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand

1

Umstritten ist die Rücknahme einer Leistungsbewilligung ab dem 1.10.2006. Das beklagte Jobcenter bewilligte der Klägerin und ihrem minderjährigen Sohn mit Bescheid vom 14.7.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom 1.7. bis zum 31.12.2006 in Höhe von 592,23 Euro monatlich. In ihrem Leistungsantrag hatte die Klägerin angegeben, mit ihrem geschiedenen Ehemann K. als Mitmieter in einer gemeinsam ab dem 1.3.2005 angemieteten Wohnung zu leben. K. erklärte nach Antragstellung, er und die Klägerin bildeten keine Bedarfsgemeinschaft. Zugleich legte er Verdienstbescheinigungen für die Monate Oktober 2005 bis April 2006 vor. Nach einem im August 2006 durchgeführten Hausbesuch in der Wohnung der Klägerin ging der Beklagte vom Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem geschiedenen Ehemann aus und forderte beide mit Schreiben vom 20.9.2006 unter Hinweis auf ihre Mitwirkungspflicht nach §§ 60 ff Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) auf, bis zum 26.9.2006 die Verdienstabrechnungen des K. für Mai bis August 2006 sowie seine Kontoauszüge der letzten drei Monate einzureichen. Nach einem Aktenvermerk des Beklagten vom 27.9.2006 hatte die Klägerin auf dieses Schreiben telefonisch mitgeteilt, dass K. seine Unterlagen nicht vorlegen wolle, da keine eheähnliche Gemeinschaft zwischen ihnen bestehe.

2

Daraufhin hat der Beklagte mit Bescheid vom 27.9.2006 die Leistungen ab 1.10.2006 wegen Nichterfüllung der Mitwirkungspflicht nach §§ 60 ff SGB I eingestellt und den Bewilligungsbescheid ab dem 1.10.2006 aufgehoben. Den eingelegten Widerspruch hat der Beklagte nach einem Anhörungsschreiben zu einer Änderung der Rechtsgrundlage mit Widerspruchsbescheid vom 20.6.2007 zurückgewiesen. Der Bewilligungsbescheid sei zu Recht nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aufgehoben worden, da bei dessen Erlass nicht bekannt gewesen sei, dass die Klägerin und K. eine Bedarfsgemeinschaft bildeten. Die Klägerin habe nicht darlegen können, dass sie hilfebedürftig sei. Es sei davon auszugehen, dass die Bedarfsgemeinschaft in der Lage sei, den notwendigen Lebensunterhalt aus dem vorhandenen Einkommen zu bestreiten.

3

Auf ihre am 24.7.2007 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) K. als Zeugen vernommen und die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.7.2010). Im von der Klägerin angestrengten Berufungsverfahren hat K. dem Landessozialgericht (LSG) Einkommensunterlagen zugeschickt mit dem Hinweis, dass diese lediglich für das Gericht bestimmt seien. Daraufhin hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG hilfsweise beantragt, Beweis darüber zu erheben, dass K. im streitigen Zeitraum monatlich weiterhin 1700 Euro brutto an Einkünften gehabt habe, durch die von K. bei Gericht eingereichten Unterlagen und das Zeugnis des K. Das LSG hat das Urteil des SG sowie den Bescheid vom 27.9.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben, weil die Voraussetzungen des § 45 SGB X nicht erfüllt seien(Urteil vom 13.6.2013). Der Beklagte trage die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts nach der genannten Vorschrift und sei verpflichtet gewesen, die Auskünfte bei K. selbst unmittelbar nach § 60 Abs 4 SGB II einzufordern. Da der Beklagte dies unterlassen habe, "greife" sein in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellter Beweisantrag nicht. Eine Leistungsentziehung gegenüber der Klägerin wegen fehlender Mitwirkung komme in einem solchen Fall nicht in Betracht; für die Annahme einer fehlenden Hilfebedürftigkeit sei der Beklagte mangels Umkehr der Beweislast beweispflichtig geblieben. Im Übrigen sei die Aufhebungsentscheidung nicht ausreichend iS von § 35 Abs 1 SGB X begründet worden, da lediglich von dem Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft ausgegangen worden sei; dies allein führe jedoch nicht zur Rechtswidrigkeit der bewilligten Leistungen.

4

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner vom Senat zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung von § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil das LSG dem hilfsweise gestellten Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei. Verfahrensfehlerhaft sei insbesondere, dass das LSG nicht mitgeteilt habe, warum es den Beweisantrag abgelehnt habe. Im Hinblick auf die Aktenlage sei die Tatsachenbehauptung aufgestellt worden, dass der geschiedene Ehemann der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum Bruttobezüge von 1700 Euro gehabt habe. Die Höhe seiner angenommenen Einkünfte ergebe sich aus den von ihm vorgelegten Unterlagen, wonach er zwischen November 2005 und April 2006 konstante Bruttoeinkünfte ("Festlohn") von 1700 Euro gehabt habe, teilweise zuzüglich Urlaubsgeld. Das LSG habe, ausgehend von seiner Auffassung, dass ihm - dem Beklagten - die Beweislast für das Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen einer Rücknahme des Leistungsbescheids, also insbesondere die mangelnde Hilfebedürftigkeit, oblegen habe, dem Beweisantrag nachgehen müssen. Außerdem verletze das Urteil des LSG Bundesrecht, weil es die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 45 SGB X mit Wirkung nur für die Zukunft verkannt habe.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. Juni 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 21. Juli 2010 zurückzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Dieses sei nicht vom Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft ausgegangen, weshalb das Bundessozialgericht (BSG) über die Sache ohne Zurückverweisung an das LSG abschließend entscheiden könne.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Beklagten ist nur zum Teil begründet, insofern ist das Urteil des LSG vom 13.6.2013 zu ändern (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG), im Übrigen ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

9

Die Revision ist begründet und das Urteil des LSG ist zu ändern, soweit in ihm der angefochtene Bescheid vom 27.9.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.6.2007 auch hinsichtlich des Sohnes der Klägerin aufgehoben wurde. Die Berufung der Klägerin war hinsichtlich der vom Beklagten aufgehobenen Einzelansprüche des Sohnes als unzulässig zu verwerfen, weil nur die anwaltlich vertretene Klägerin sich gegen den Bescheid gewandt hat, der Sohn an dem Klageverfahren von Anfang an nicht beteiligt war und die Übergangsfrist bis zum 30.6.2007 (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 11) zur Zeit der Klageerhebung am 24.7.2007 abgelaufen war. Der Bescheid des Beklagten ist insoweit bestandskräftig geworden.

10

Im Verhältnis zur Klägerin ist die Revision des Beklagten unbegründet, weil die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bewilligungsbescheids vom 14.7.2006 durch den angefochtenen Bescheid vom 27.9.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.6.2007 nach § 45 SGB X nicht erfüllt sind.

11

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben dem Urteil des LSG, mit dem das für den Beklagten günstige Urteil des SG aufgehoben worden ist, der Bescheid des Beklagten vom 27.9.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.6.2007, mit dem die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Wirkung ab dem 1.10.2006 eingestellt, der zuvor ergangene Bewilligungsbescheid vom 14.7.2006 für die Klägerin und ihren Sohn für die Zeit ab dem 1.10.2006 aufgehoben und ein gesonderter Bescheid hinsichtlich der Rücknahme der Bewilligung für den Zeitraum von Juli bis September 2006 sowie ein Erstattungsbescheid angekündigt worden sind. Sowohl die Klägerin als auch ihr minderjähriger Sohn waren in dem Bewilligungsbescheid namentlich im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft aufgeführt, gegen sie richtete sich sowohl der ursprüngliche Bescheid vom 27.9.2006 als auch der Widerspruchsbescheid vom 20.6.2007 (im Folgenden: Rücknahmebescheid).

12

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Gegen den genannten Rücknahmebescheid geht die Klägerin zu Recht mit einer reinen Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGG vor. Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage war vorliegend nicht notwendig, denn wenn der Rücknahmebescheid durch das Gericht aufgehoben wird, bleibt es bei der ursprünglichen Leistungsbewilligung des Bescheids vom 14.7.2006 für den Zeitraum vom 1.10.2006 bis 31.12.2006.

13

3. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 27.9.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.6.2007 ist formell rechtmäßig. Insbesondere wurde die Klägerin im Laufe des Widerspruchsverfahrens zu einer Rücknahme nach § 45 SGB X gemäß § 24 SGB X angehört. Ebenso wenig fehlt es dem Bescheid iS von § 35 SGB X deshalb an einer Begründung, weil der Beklagte lediglich Ausführungen zum Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft gemacht hat und im Übrigen davon ausgegangen ist, die Bedarfsgemeinschaft sei in der Lage, den notwendigen Unterhalt aus vorhandenem Einkommen zu bestreiten. Selbst wenn diese Begründung unzureichend oder fehlerhaft ist, würde sich dies als bloßer Begründungsmangel oder Begründungsfehler bei einem gebundenen Verwaltungsakt nicht auf dessen formelle Rechtmäßigkeit selbst auswirken (vgl BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9 mwN).

14

4. Zutreffend hat das LSG entschieden, dass die Feststellungen des Beklagten (zur Ermittlungspflicht des LSG unter 5.) die aufgeführten Rücknahmevoraussetzungen nicht tragen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte, der nach § 85 Abs 2 SGG iVm § 44b Abs 1 Satz 3 und § 6d SGB II für die Widerspruchsentscheidung zuständig war, im Rahmen seiner umfassenden Prüfungskompetenz(siehe nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 85 RdNr 4a) die im Ausgangsbescheid vom 27.9.2006 angeführte Rechtsgrundlage im Widerspruchsbescheid durch eine andere Rechtsgrundlage ersetzen durfte. Jedenfalls liegen die Voraussetzungen von § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II in der in der strittigen Zeit geltenden Fassung sowie von § 45 Abs 1 und Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X als der in dem Widerspruchsbescheid genannten Rechtsgrundlage für den in die Zukunft gerichteten Rücknahmebescheid nicht vor.

15

a) Nach § 45 Abs 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X kann sich der Begünstigte dabei nicht auf sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts nach der genannten Vorschrift setzt nach deren systematischen Stellung im Gefüge der §§ 44 ff SGB X voraus, dass eine ursprüngliche Rechtswidrigkeit vorlag, der Verwaltungsakt also bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war(stRspr, vgl nur BSG Urteil vom 1.6.2006 - B 7a AL 76/05 R - BSGE 96, 285 = SozR 4-4300 § 122 Nr 4, RdNr 13; ebenso Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 45 RdNr 31 mwN).

16

Diese Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bewilligungsbescheids vom 14.7.2006 sind dem Bescheid vom 27.9.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids nicht zu entnehmen. Der Beklagte hat zur Begründung der Rücknahme in dem Widerspruchsbescheid ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt habe, weil sie nicht habe nachweisen können, dass sie hilfebedürftig nach § 9 SGB II gewesen sei, da sie mit ihrem früheren Ehemann eine Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 SGB II gebildet habe. Die Klägerin könne sich nicht auf Vertrauen berufen, da ihr die näheren Umstände ihres Zusammenlebens bekannt gewesen seien.

17

Diese Begründung trägt indes nicht die Rücknahme der Leistungsbewilligung, weil es an einer entscheidenden Voraussetzung für eine solche Rücknahme fehlt. Notwendig für die Verneinung der Hilfebedürftigkeit ist in derartigen Konstellationen nicht nur das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft, sondern ebenfalls, dass innerhalb der Bedarfsgemeinschaft ein ausreichendes zu berücksichtigendes Einkommen erzielt wird (§ 9 Abs 2 SGB II). Zur Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens hat der Beklagte aber keine Feststellungen in den angefochtenen Bescheiden getroffen und insbesondere nicht ein Auskunftsverlangen nach § 60 Abs 4 Satz 1 SGB II gegen den früheren Ehemann K. der Klägerin eingeleitet, sondern nur ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass die Bedarfsgemeinschaft in der Lage sei, den notwendigen Lebensunterhalt aus dem vorhandenen Einkommen zu bestreiten. Dies war keine Feststellung aufgrund von Ermittlungen, sondern eine bloße Vermutung, auf die jedoch ein Rücknahmebescheid nicht gestützt werden kann.

18

b) Dass es Aufgabe des beklagten Jobcenters ist, alle Tatsachen zu ermitteln, die zum Erlass eines Verwaltungsakts notwendig sind, folgt aus dem in § 20 SGB X festgeschriebenen Untersuchungsgrundsatz, dessen Reichweite sich nach dem jeweiligen Gegenstand des Verwaltungsverfahrens richtet(vgl Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 20 RdNr 5). Es müssen somit alle Tatsachen ermittelt werden, die für die Verwaltungsentscheidung wesentlich im Sinne von entscheidungserheblich sind. Ein Absehen von Ermittlungen ist nur zulässig, wenn es auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, sie offenkundig ist oder als wahr unterstellt werden kann oder das Beweismittel unerreichbar ist (siehe Siefert, aaO, § 20 RdNr 15; Luthe in jurisPK-SGB X, 2013, § 20 RdNr 13).

19

Dementsprechend durfte es der Beklagte bei seiner Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 45 SGB X für eine Rücknahme des Leistungsbescheids vorlagen, nicht dahingestellt sein lassen, ob und ggf in welcher Höhe Einkommen vorhanden war, das für die Deckung der Bedarfe der Bedarfsgemeinschaft ganz oder teilweise ausgereicht hätte. Im Ausgangspunkt noch zutreffend ist der Beklagte seiner Ermittlungspflicht hier insoweit nachgekommen, als er nach einem durchgeführten Hausbesuch und Abwägung weiterer Tatsachen, wie der Zeitdauer des Zusammenlebens der Klägerin und des K. und der Übernahme finanzieller Forderungen, zu der Folgerung gelangt ist, dass zwischen der Klägerin und dem K. eine eheähnliche Gemeinschaft und eine Bedarfsgemeinschaft vorgelegen habe. Es kam dann bei der folgenden Prüfung aber nicht - wie der Beklagte im Widerspruchsbescheid nochmals ausgeführt hat - darauf an, ob die Klägerin ihre Hilfebedürftigkeit darlegen konnte, sondern in der Rücknahmesituation war der Beklagte gehalten, die erforderlichen Ermittlungen zum zu berücksichtigenden Einkommen und der sich daraus ergebenden Folgen für die Hilfebedürftigkeit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft anzustellen, wozu er zunächst das angesprochene Verfahren nach § 60 Abs 4 Satz 1 SGB II gegenüber dem K. hätte einleiten müssen.

20

c) Nach den allgemeinen Regeln für die Darlegungs- und Beweislast gilt, dass derjenige die objektiven Tatsachen darlegen muss, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Dies betrifft sowohl das Vorhandensein von positiven, als auch das Fehlen von negativen Tatbestandsvoraussetzungen (vgl allgemein bereits BSG Urteil vom 24.10.1957 - 10 RV 945/55 - BSGE 6, 70). Damit trägt der Beklagte nicht nur die objektive Beweislast für die belastende Rücknahmeentscheidung (siehe nur BSG Urteil vom 13.9.2006 - B 11a AL 13/06 R - RdNr 18; BSG Urteil vom 20.10.2005 - B 7a/7 AL 102/04 R - SozR 4-1500 § 103 Nr 5 RdNr 13 ff; BSG Urteil vom 2.4.2009 - B 2 U 25/07 R - SozR 4-1300 § 45 Nr 8), sondern er ist bereits im vorherigen Verfahrensstadium verpflichtet, die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Norm, auf die er seine Verwaltungsentscheidung stützt, zu ermitteln und entsprechend festzustellen, damit sich der Leistungsberechtigte im Verfahren mit seiner Argumentation auf die die Entscheidung tragenden Gründe einrichten kann.

21

Das ist auch ausnahmsweise deshalb nicht unbeachtlich, weil von Ermittlungen abgesehen werden konnte, da die ungeklärte Tatsache nicht oder nur unter unzumutbar erschwerten Bedingungen zu erreichen war. Vielmehr stand dem Beklagten gerade für Sachverhalte wie dem vorliegenden, bei dem das Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft bestritten wird und mit einer Weigerung des Partners, die geforderte Auskunft über die Einkommens- und Vermögenssituation zu erteilen, einhergeht (§ 60 Abs 4 SGB II), die Möglichkeit zur Verfügung, sich zur Ermittlung des Vorliegens der tatsächlichen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs unmittelbar an den Dritten zu wenden. Der Beklagte kann auf der Grundlage des § 60 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB II einen Verwaltungsakt erlassen und bei unterbliebener oder pflichtwidriger Erfüllung der Auskunftspflicht durch den Dritten die Rechte und Befugnisse nach den §§ 62 und 63 SGB II (Schadenersatz, Ordnungswidrigkeitenrecht) in Anspruch nehmen, zudem wäre ein vollstreckungsrechtlicher Zwangsgeldbescheid gemäß § 40 Abs 6 SGB II nach Erlass des Auskunftsverwaltungsakts gemäß § 60 Abs 4 SGB II zu erwägen(vgl Blüggel in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 60 RdNr 56 ff mwN).

22

5. Das LSG war aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG nicht verpflichtet, die vom Beklagten unterlassene Ermittlung des zu berücksichtigenden Einkommens als Voraussetzung für seinen Rücknahmebescheid hinsichtlich des Bewilligungsbescheids nachzuholen.

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a) Die Gerichte sind grundsätzlich verpflichtet, den angefochtenen Verwaltungsakt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend nachzuprüfen (vgl § 54 Abs 2 Satz 1, § 103 SGG); die beklagte Behörde kann deshalb im Laufe des Gerichtsverfahrens neue Tatsachen und Rechtsgründe "nachschieben" (stRspr: BSGE 3, 209, 216; BSGE 9, 277, 279 f; zuletzt etwa BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 4-4200 § 60 Nr 1; vgl zudem BSG Urteil vom 21.9.2000 - B 11 AL 7/00 R - BSGE 87, 132, 139 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10 S 87 f: nicht nur "Kassation", sondern auch "Reformation"). Hinsichtlich eines solchen Nachschiebens von Gründen gibt es jedoch bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angefochten werden, Einschränkungen, wenn die Verwaltungsakte dadurch in ihrem Wesen verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann (BSGE 3, 209, 216; BSGE 9, 277, 279 f; BSGE 29, 129, 132; BSGE 38, 157, 159; BSGE 87, 8, 12; vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 35 f mwN; Kischel, Folgen von Begründungsfehlern, 2004, 189 ff). Da die Aufrechterhaltung eines Verwaltungsakts mit einer völlig neuen tatsächlichen Begründung dem Erlass eines neuen Verwaltungsakts gleichkommt, würde das Gericht andernfalls entgegen dem Grundsatz der Gewaltentrennung (Art 20 Abs 2 Satz 2 Grundgesetz) selbst aktiv in das Verwaltungsgeschehen eingreifen (BSGE 9, 277, 280). Eine solche Änderung des "Wesens" eines Verwaltungsakts, das in Anlehnung an den Streitgegenstand eines Gerichtsverfahrens bestimmt werden kann (vgl dahingehend schon BSGE 9, 277, 280 sowie Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 113 RdNr 69), ist ua angenommen worden, wenn die Regelung auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird, zB bei einem Streit um die Höhe einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Laufe des Gerichtsverfahrens ein weiteres Element der Rentenberechnung vom Rentenversicherungsträger in Abrede gestellt wird (BSGE 38, 157, 159; BSG SozR 1500 § 77 Nr 56), oder wenn auf eine andere Rechtsgrundlage zurückgegriffen werden soll, die einem anderen Zweck dient (BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 4-4200 § 60 Nr 1, RdNr 16).

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b) Neben dieser Entwicklung der Rechtsprechung hat der Gesetzgeber einerseits in § 41 Abs 2 SGB X die Heilungsmöglichkeiten für Verfahrens- und Formfehler der Behörde bei Erlass eines Verwaltungsakts bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines gerichtlichen Verfahrens erleichtert(vgl dazu kritisch und zum Verhältnis von Verwaltung und Gericht: Dolderer, DÖV 1999, 104 ff) und andererseits die Möglichkeit der Zurückverweisung vom Gericht an die Behörde eingeführt, wenn diese Ermittlungen unterlässt (§ 131 Abs 5 SGG), sowie dem Gericht das Recht eingeräumt, der Behörde die Kosten einer von ihr unterlassenen und vom Gericht nachgeholten Ermittlung aufzuerlegen (§ 192 Abs 4 SGG). Hierdurch sind die Heilungs- und Nachbesserungsmöglichkeiten der Behörde in formeller Hinsicht erweitert worden, während sie auf der anderen Seite ihre Ermittlungsarbeit nicht auf die Gerichte verlagern soll, weil diese für die materielle Entscheidung von zentraler Bedeutung ist und deren Kern und damit das Wesen des erlassenden Verwaltungsakts bestimmt. Ausgehend von diesen Konkretisierungen des Gesetzgebers und der zuvor dargestellten Rechtsprechung ist in reinen Anfechtungssachen das Nachschieben eines Grundes durch die Behörde regelmäßig unzulässig (vgl zur gesetzlich ausdrücklich angeordneten Pflicht der Gerichte zur Nachermittlung neuer Sachverhalte im Asylrecht etwa BVerwG Urteil vom 29.6.2015 - 1 C 2/15 - juris RdNr 14 f), wenn dieser umfassende Ermittlungen seitens des Gerichts erfordert, die Behörde ihrerseits insofern keine Ermittlungen angestellt hat und der Verwaltungsakt hierdurch einen anderen Wesenskern erhält, weil dann der angefochtene Verwaltungsakt - bei einem entsprechenden Ergebnis der Ermittlungen - mit einer wesentlich anderen Begründung bestand hätte (vgl Kischel, Folgen von Begründungsfehlern, 2004, 190 f).

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c) Nach diesen Voraussetzungen zielte der Beweisantrag des Beklagten auf eine Wesensänderung des angefochtenen Rücknahmebescheids in der Gestalt des Widerspruchsbescheids ab, weil dieser ausschließlich auf das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft zwischen der Klägerin und K. sowie die nicht nachgewiesene Hilfebedürftigkeit der Klägerin gestützt und mangels weiterer Ermittlungen des Beklagten zum Einkommen des K. offenkundig rechtswidrig war. Erst wenn das LSG dem gestellten Beweisantrag des Beklagten zur Ermittlung des Einkommens des K. nachgekommen wäre, hätte das Gericht die Grundlagen für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts legen können. Trotz des Zusammenhangs zwischen dem Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft und der Erzielung von Einkommen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs 2 SGB II sind es grundlegend verschiedene Prüfungspunkte, bei denen eigenständige Ermittlungen erforderlich sind, wie zB die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB II zeigen. Es handelt sich also nicht nur um eine Ergänzung des Sachverhalts, auf den der Beklagte seine Entscheidung gestützt hat, sondern um die umfassende Prüfung einer weiteren Voraussetzung für den angefochtenen Rücknahmebescheid, die der Beklagte bisher nicht beachtet hatte und deren Prüfung und Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht in erster Linie von ihm durchzuführen war. Außerdem wären hierdurch die Verteidigungsmöglichkeiten der Klägerin erheblich erschwert worden, weil - zumal im Stadium des Berufungsverfahrens - die gesonderte Prüfung der Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens seitens des Beklagten gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann hinsichtlich des auf der Grundlage von § 60 Abs 4 Satz 1 SGB II zu führenden Verfahrens entfallen wäre. Im Rahmen einer Anfechtungsklage der vorliegenden Art ist es Aufgabe des Gerichts, die Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu überprüfen, nicht aber die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts erst zu schaffen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind, auch wenn sie in Form eines Gutscheins erbracht wurden, in Geld zu ersetzen. § 40 Absatz 6 Satz 2 gilt entsprechend. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.

(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.

Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.