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Diese Version der Angeklagten ist unrichtig.
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Der rechtsmedizinische Sachverständige, Dr. G. P. , hat diverse wissenschaftliche Studien über kindliche Oberschenkelbrüche erläutert. In einer Untersuchung über biomechanische Voraussetzungen für kindliche Oberschenkelbrüche wurde das Ergebnis erzielt, dass bei Stürzen aus einer Höhe von 90 cm keine ausreichenden Kräfte zustande kommen, die einen Bruch des Oberschenkels erwarten lassen. Auch kann hiernach die Entstehung eines unfallbedingten isolierten Oberschenkelbruches beim Spielen oder bei der Pflege eines gesunden Säuglings ausgeschlossen werden.
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Eine zweite Untersuchung ergab, dass bei 176 Stürzen aus Höhen von 90 - 150 cm in 97 % der Fälle keine oder nur geringe Verletzungen wie Schürfungen oder Beulen berichtet wurden. In drei Fällen sei es zu Schlüsselbeinbrüchen gekommen, zweimal zu Schädeldachbrüchen und einmal zu einem Bruch eines Oberarmknochens, nie aber zu einem Bruch des Oberschenkelknochens.
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Weiter erläuterte der rechtsmedizinische Sachverständige in Übereinstimmung mit dem Neonatologen, dem Sachverständigen Prof. Dr. P. sowie dem Zeugen Dr. F. , dass der Oberschenkelknochen eines Säuglings der stabilste Knochen ist und zum Bruch dieses Knochens Kräfte von 500 Newton aufgewendet werden müssen.
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Vorliegend hat die Vernehmung des Zeugen KOK V. ergeben, dass das Kind aus einer Höhe von 66 cm heruntergefallen sein müsste. Bereits diese Fallhöhe spricht gegen die von der Angeklagten geschilderten Entstehung.
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KOK V. hat im Zuge der Ermittlungen den Tatort besichtigt und sich von der Angeklagten die Stellung des Sofas, des Stillkissens und des Couchtischs zum Tatzeitpunkt erläutern lassen. Die sich hieraus ergebenden örtlichen Bedingungen hat er nachgestellt und vermessen. An seinen Ergebnissen über die von der Angeklagten geschilderte Fallhöhe besteht daher kein Zweifel.
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Weiter spricht auch das von der Angeklagten behauptete Beschwerdebild gegen die Richtigkeit ihrer Einlassung. Wie die Sachverständigen Prof. P. und Dr. G. P. sowie der Zeuge Dr. F. übereinstimmend erläuterten, muss M. unmittelbar nach der Entstehung des Bruches bereits sehr starke Schmerzen und ein hochaufgeschwollenes Oberbein gehabt haben. Der Oberschenkelknochen ist nämlich längs gebrochen; die Bruchenden standen kreuzförmig nach oben und dehnten die Oberschenkelhaut nach außen. Angesichts dessen kann es ausgeschlossen werden, dass die Angeklagte, hätte sie tatsächlich nach der Verletzung das Kind ausgezogen und auf Verletzungen untersucht, dies nicht festgestellt hätte.
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Schließlich hat der rechtsmedizinische Sachverständige weiter ausgeführt, dass die Art des Bruches für eine abrupte Gewaltanwendung spricht. Das kreuzförmige Auseinanderklaffen der in Längsrichtung des Knochens laufenden Bruchränder könnten nur so erklärt werden.
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Hiermit steht zur Überzeugung der Strafkammer fest, dass die Schilderung der Angeklagten über den Ursprung des Bruches unzutreffend ist.
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Weiter steht fest, dass der Bruch nur durch eine abrupte, heftige Gewalteinwirkung entstanden sein kann.
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Die genannten Sachverständigen Dr. G. P. und Prof. P. sowie der Zeuge Dr. F. erläuterten, dass Oberschenkelbrüche bei Säuglingen häufig ein Indikator für Misshandlungen seien. Verursacht würden sie etwa entweder, indem der Erwachsene dem Kind die Hüfte fixiert und das Bein verdreht oder indem er den Säugling unmittelbar über dem Knie anfasst und ruckartig nach oben zieht, ohne den Rest des Körpers abzustützen.
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Für die Ausführung dieser Gewalt kommt ausschließlich die Angeklagte in Betracht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und auch nach ihrer eigenen Einlassung kann ausgeschlossen werden, dass der zum Tatzeitpunkt sich in der Wohnung aufhaltende Lebensgefährte der Angeklagten dem Kind die Verletzung zugefügt hat. Andere Personen scheiden ebenfalls aus.
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2.2. Bezüglich des Vorfalls am 16.11.2002 hat sich die Angeklagte in Übereinstimmung mit ihrem Lebensgefährten dahin eingelassen, dass sie in der Waschküche gewesen sei, als der Alarmton des Monitors ertönt sei. Sie sei daraufhin sofort ins Wohnzimmer gelaufen, habe M. kurz hochgenommen, mit dem Finger den Mund wegen eventuell verschluckter Gegenständen ausgewischt, ihm Schlafsack und Bekleidung ausgezogen und mit Reanimationsmaßnahmen begonnen. Zu diesem Zeitpunkt sei auch ihr Lebensgefährte nach Hause gekommen, der sie bei den Reanimationsmaßnahmen unterstützt habe. M. sei dann kurz wieder zu sich gekommen, habe aber nach wenigen Sekunden wieder das Bewusstsein verloren. Deswegen sei E. S. zum Kinderarzt, Herrn G. , gelaufen, um Hilfe zu holen. In dieser Zeit habe die Angeklagte M. weiter reanimiert, ohne ihn aber wieder ins Bewusstsein zurückholen zu können.
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Diese Darstellung ist mit den Aufzeichnungen des Heimmonitors nicht in Übereinstimmung zu bringen. Aus diesen ergibt sich vielmehr eindeutig, wie die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. P. ergaben, dass die Atemwege des Kindes zweimal verlegt wurden und zwischenzeitlich abwechselnd reanimiert bzw. nichts unternommen wurde.
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Der Heimmonitor zeichnet nicht nur die Atem- und Herzfrequenzen sowie das EKG des überwachten Säuglings auf, sondern durch senkrechte Balken auch die Zeiträume, in denen der Alarmton aktiviert war. Aus der Breite dieser Balken kann somit entnommen werden, innerhalb welchen Zeitraumes nach Ertönen des Alarmtons dieser wieder ausgestellt wurde.
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Der erste Alarmton im Zusammenhang mit dem ersten Absinken der Herzfrequenz des M. K. wurde nach einer Dauer von ca. 2 ½ Sekunden abgestellt.
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Dies schließt es aus, dass die Angeklagte, wie sie angab, zu diesem Zeitpunkt in der Waschküche war. Zwar befand sich die damalige Wohnung der Angeklagten im Souterrain gegenüber der Waschküche. Dennoch kann es angesichts der in Augenschein genommenen Lichtbilder der örtlichen Verhältnisse und der Messergebnisse des Zeugen KOK V. ausgeschlossen werden, dass die Angeklagte innerhalb von 2 ½ Sekunden den Alarmton hört, hierauf reagiert, beim Kind ankommt und den Alarmton ausstellt.
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Bereits dies widerlegt die Einlassung der Angeklagten.
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Der Sachverständige Prof. Dr. P. erläuterte, dass die Herzfrequenz eines Menschen dann absinkt, das Herz also seltener schlägt, wenn im Blut Sauerstoffmangel herrscht.
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Auslösendes Ereignis für den ersten Alarmton war das Absinken der Herzfrequenz. Gleichzeitig zeichnete das Gerät starke Atembewegungen des Kindes auf. Dies kann nur damit erklärt werden, dass das Kind versuchte, Luft zu bekommen, ohne dass aber tatsächlich eine Sauerstoffzufuhr stattfand.
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Ein solcher Vorgang ist möglich, wenn das Kind auf dem Bauch liegt und das Gesicht in weichen Unterlagen liegt, die die Luftzufuhr verhindern. Ebenfalls kann ein solches Phänomen auftreten, wenn die Atemwege durch ein internes Hindernis, beispielsweise verschluckte Gegenstände, verschlossen sind.
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Diese beiden Ursachen können vorliegend bereits deswegen ausgeschlossen werden, weil die Angeklagte angab, dass sie in dem Laufstall des M. nur eine dünne Matratze und keine weichen Kissen gehabt habe, wie dies auch von der Klinik empfohlen worden sei. Verschluckt habe er nichts.
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Außerdem kann eine solche Entstehungsweise deswegen ausgeschlossen werden, weil wenige Minuten später der gleiche Vorgang erneut ablief. Es ist lebensfremd anzunehmen, dass sich ein solcher Unfall wenige Minuten, nachdem er bemerkt und von der Mutter abgestellt wurde, wiederholt.
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Der Sachverständige Prof. Dr. P. hat angegeben, dass auch ein zentrales Atemversagen ausgeschlossen werden kann, da dies nicht mit Atembewegungen der Bauchdecke verbunden ist.
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Ebenfalls kann nach seinen Ausführungen ausgeschlossen werden, dass die Luftröhre zusammengefallen war und deswegen das Kind keine Luft mehr bekommen hat. Ein Zusammenfallen der Luftröhre könne bei Säuglingen zwar vorkommen, aber nur, wenn sie tief schlafen. Die heftigen Atembewegungen ebenso wie die Bewegungsartefakte, die im EKG erkennbar sind, beweisen nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, denen die Kammer sich angeschlossen hat, dass das Baby im Zeitraum dieser Aufzeichnungen nicht schlief, sondern im Gegenteil strampelte.
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Die einzig verbleibende Möglichkeit für dieses Beschwerdebild ist demnach, dass die Atemwege von außen aktiv verlegt wurden. Hierfür kommt ausschließlich die Angeklagte in Betracht, da nach ihrer eigenen Einlassung und nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme andere Menschen zu diesem Zeitpunkt nicht in der Wohnung waren.
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Bestätigt wird dies durch den folgenden Ablauf, der vom Heimmonitor minutiös aufgezeichnet wurde. Hieraus wird deutlich, dass die Angeklagte die Atemwege des Kindes ca. nach einer Minute wieder freimachte und das Kind schüttelte, um es wieder zu sich zu bringen, sowie anschließend kurz eine Mund-zu-Mund-Beatmung durchführte. Danach wartete sie, ob das Kind wieder zu sich käme. M. hatte eine kurze Schnapp-Atmung und atmete danach nicht mehr. Deswegen begann die Angeklagte erneut mit einer Mund-zu-Mund-Beatmung, die sie nach kurzer Zeit wieder beendete. M. atmete aber dennoch nicht wieder selbständig, sondern hatte lediglich nach wenigen Sekunden eine Schnappatmung. In dieser Zeit kam auch ihr Lebensgefährte nach Hause, woraufhin beide gemeinsam die Reanimationsmaßnahmen durchführten. Hierdurch kam M. letztlich wieder zu sich. Die Aufzeichnung des Monitors enden daraufhin für vier Minuten. Dies bedeutet, dass die überwachten Parameter, nämlich die Atem- und Herzfrequenz, sich in diesem Zeitraum wieder stabilisiert hatten.
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Nur deswegen lief auch der Lebensgefährte der Angeklagten zu dem Kinderarzt. Dies hat er zwar in der Hauptverhandlung anders geschildert:: Hier hatte er ausgesagt, dass M. schon wieder bewusstlos gewesen sei, als er losgerannt sei.
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Die Kammer ist davon überzeugt, dass M. tatsächlich zu diesem Zeitpunkt wieder bei Bewusstsein war und seine Werte sich stabilisiert hatten. Allerdings dürfte der Zeuge S. insofern subjektiv die Wahrheit gesagt haben. Er hat ausgesagt, mit seiner Lebensgefährtin häufig über den Ablauf dieses Ereignisses gesprochen zu haben; sie habe sich teilweise an die Ereignisse besser erinnert als er. Hieraus wird deutlich, dass er sich ihrer Vorstellung der Ereignisse angepasst hat. Tatsächlich hatte der Zeuge S. in seiner ersten polizeilichen Vernehmung, die durch den Vernehmungsbeamten KOK B. eingeführt wurde, angegeben, dass M. bei Bewusstsein gewesen sei, als er zum Kinderarzt gelaufen sei. Nur dies entspricht auch den Ratschlägen, die die Kinderklinik den Eltern mit nach Hause gegeben hatte.
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Während der Abwesenheit des Zeugen S. wiederholte sich der Vorgang, der bereits zm ersten Auslösen des Alarmtons geführt hatte. Auch hier gibt es keine andere Erklärung als diejenige, dass die Angeklagte dem Kind die Atemwege verlegt hat.
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Der Sachverständige Prof. Dr. P. machte ergänzend Angaben über eine pädiatrische Diagnose namens Münchhausen-by-proxy-Syndrom. In diesem Zusammenhang verwies er auf diverse Veröffentlichungen und eigene Forschungen im Rahmen seiner wissenschaftlichen Laufbahn.
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Mit dem Begriff des Münchhausen-by-proxy-Syndroms werden Kindesmisshandlungen bezeichnet, die durch Erwachsene (meist die Mütter) zugefügt werden, welche hierdurch die Aufmerksamkeit ihrer Umgebung auf sich ziehen wollen. Die Misshandlungen können verschiedenste Formen annehmen, finden aber häufig auch in Form des Erstickens bzw. Beinahe-Erstickens eines Säuglings statt. Hierdurch erwecken die Mütter den Eindruck, ihr Säugling sei durch den plötzlichen Kindstod gefährdet oder gar an ihm gestorben, was ihnen eine erhöhte Aufmerksamkeit und Fürsorge durch die Umwelt einbringt.
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Die Ausführungen des sachverständigen Neonatologen Prof. Dr. P. einerseits, des psychiatrischen Sachverständigen Prof. K. andererseits überzeugten die Schwurgerichtskammer davon, dass bei der Angeklagten die Persönlichkeitsstörung der Angeklagten hier zu einer Misshandlung ihres Kindes im Rahmen eines Münchhausen-by-proxy-Syndroms geführt hat.
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Die Angeklagte selbst hat dies nach der Exploration durch den Sachverständigen Prof. Dr. K. zumindest nicht mehr ausschließen können und sich betroffen und therapiebereit gezeigt.
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2.3. Vor dem Hintergrund der Persönlichkeitsstörung der Angeklagten und der Erkenntnisse über das Münchhausen-by-proxy-Syndrom, die der Kammer durch Prof. Dr. P. vermittelt wurden, kann nicht sicher festgestellt werden, dass die Angeklagte den Tod ihres Kindes durch die Verlegung der Atemwege am 16.11.2002 zumindest billigend in Kauf genommen hat. Zwar handelt es sich um eine äußerst gefährliche Vorgehensweise. Andererseits ist den Monitoraufzeichnungen zu entnehmen, dass die Angeklagte den Sauerstoffentzug jeweils beendete, bevor das Kind tot war, und mit Reanimationsmaßnahmen begann. Auch ist davon auszugehen, dass sie ihr Kind, ohne allerdings die erforderliche persönliche Abgrenzung aufbringen zu können, liebte. Es ist daher zu ihren Gunsten davon auszugehen, dass sie annahm, angesichts der ständigen Monitorüberwachung und ihrer eigenen Kenntnisse in Reanimation, die sie wenige Tage zuvor in der Klinik erworben hatte, einen tödlichen Ausgang selbst abwenden zu können.
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Dass sie ihr Kind in Todesgefahr brachte, wenn sie ihm die Atemwege verlegt, war für sie aber erkennbar.
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2.4. Bei der schweren Persönlichkeitsstörung handelt es sich nach Überzeugung der Schwurgerichtskammer im Anschluss an die Auffassung des psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. K. um eine so genannte schwere andere seelische Abartigkeit i.S.d. § 20, 4. Alt. StGB.
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Auch folgte die Kammer nach eigener Überprüfung der Einschätzung des Sachverständigen Prof. K. , dass angesichts der Persönlichkeitsstörung der Angeklagten nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie zum Zeitpunkt der Begehung der beiden Taten in ihrer Steuerungsfähigkeit jeweils erheblich eingeschränkt war.
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Die Unrechtseinsichtsfähigkeit der Angeklagten wird durch ihre Persönlichkeitsstruktur nicht beeinträchtigt.
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Ein Ausschluss der Steuerungsfähigkeit liegt, ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen, nicht vor.
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- im Fall Nr. 1 vorsätzlich eine andere Person körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt,
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- im Fall Nr. 2 vorsätzlich eine andere Person körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt und hierdurch den Tod der verletzten Person verursacht sowie tateinheitlich hierzu eine Person unter 18 Jahren, die ihrer Fürsorge und Obhut untersteht und ihrem Hausstand angehört, gequält und hierdurch die schutzbefohlene Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht.
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Die Staatsanwaltschaft hat das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung im Fall Nr. 1 bejaht.
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Im Fall Nr. 1 hat die Strafkammer die Voraussetzungen der Misshandlung von Schutzbefohlenen gem. § 225 StGB nicht angenommen. Voraussetzung für die Tathandlung des „Quälens“ im Sinne dieser Vorschrift ist nämlich die Verursachung länger dauernder oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden. Dies kann bei dem einmaligen Ereignis des Oberschenkelbruchs noch nicht bejaht werden.
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Die Tatvariante der rohen Misshandlung ist hier ebenfalls nicht erfüllt. Voraussetzung hierfür ist nämlich eine gefühllose, fremde Leiden missachtende Gesinnung, die zwar keine dauernde Charaktereigenschaft sein muss, aber zur Tatzeit vorliegen muss. Dies kann angesichts der besonderen psychischen Umstände, in denen die Angeklagte die Taten im Zweifel begangen hat, nicht bejaht werden.
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Dem gegenüber stellt das mehrfache Verlegen der Atemwege, das zu einem mehr als 15 Minuten langen Überlebenskampf geführt hat, ein länger dauerndes Leiden des Kleinkindes und somit ein „Quälen“ im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB dar.
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Bezüglich der Tat vom 16.11.2002 hat die Strafkammer zunächst geprüft, ob ohne Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB ein minder schwerer Fall zu bejahen war.
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Hierfür sprach zwar, dass die Angeklagte durch den Verlust ihres Kindes glaubhaft schwer getroffen wurde und dass sie eine höchst problematische Biographie hat.
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Gegen die Annahme eines minder schweren Falles sprach aber entscheidend, dass die Schuldform am oberen Rande der Fahrlässigkeit, nahe am Vorsatz, liegt, dass es sich um ein hilfloses Opfer handelte und die Angeklagte ihre Pflichtenstellung als Mutter gröblich verletzt hat, wie auch durch die tateinheitliche Verwirklichung des § 225 StGB deutlich wird.
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Unter Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit erschien es der Strafkammer als angemessen, den Strafrahmen des § 227 Abs. 1 gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu mildern, anstatt deswegen einen minder schweren Fall anzunehmen. Das gleiche gilt für den Strafrahmen des § 225 Abs. 3 StGB.
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2. Strafzumessung im Einzelnen
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Bei der Strafzumessung war in beiden Fällen zugunsten der Angeklagten zu berücksichtigen, dass sie aufgrund ihrer sehr schwierigen Lebensbedingungen nicht in die Lage versetzt wurde, ein stabiles Persönlichkeitsgefüge aufzubauen und eine ausreichende Differenzierung zwischen den Nöten ihres Kindes und ihren eigenen Nöten vornehmen zu können.
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Auch der glaubhafte Schmerz über den Verlust ihres Kindes ist, entsprechend dem Rechtsgedanken des § 60 StGB, zu ihren Gunsten zu berücksichtigen.
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Strafmildernd war auch die Verfahrensdauer zu berücksichtigen. Die Taten lagen zum Urteilszeitpunkt ca. 2 ½ Jahre zurück; die Angeklagte war nahezu ebenso lange der Belastung durch das Ermittlungsverfahren ausgesetzt. Auch verliert der staatliche Strafanspruch durch die lange Dauer des Verfahrens an Gewicht.
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Zu ihren Gunsten ist weiter zu sehen, dass die Angeklagte zum Tatzeitpunkt erst Ende 21 bzw. Anfang 22 Jahre alt und somit noch sehr jung war. Angesichts der schwierigen Biographie und der damit verbundenen Entwicklungsverzögerungen fällt dies besonders ins Gewicht.
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Weiter konnte strafmildernd berücksichtigt werden, dass sie bislang nicht vorbestraft war.
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Zu ihren Lasten ist aber, wie bereits erwähnt, die mindestens bewusste Fahrlässigkeit zu werten sowie die Tatsache, dass es sich bei dem Opfer um einen hilflosen und ihr anvertrauten Säugling gehandelt hat, für den sie als Mutter eine besondere Fürsorgepflicht hatte.
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Insgesamt erschien der Strafkammer unter Berücksichtigung dieser Strafzumessungsgesichtspunkte und des jeweiligen Tatbildes für die Tat Nr. 1 eine Freiheitsstrafe von acht Monaten als tat- und schuldangemessen, für die Tat vom 16.11.2002 eine solche von einem Jahr und neun Monaten.
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Unter nochmaliger Berücksichtigung sämtlicher Strafzumessungsgesichtspunkte wurde hieraus gemäß § 54 StGB durch Erhöhung der Einsatzstrafe von einem Jahr und neun Monaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren als noch tat- und schuldangemessen festgesetzt.
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Die Vollstreckung dieser Strafe konnte zur Bewährung ausgesetzt werden, weil die gemäß § 56 Abs. 1 StGB erforderliche positive Prognose letztlich gestellt werden kann.
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Zwar ist nach den vorliegenden Forschungsergebnissen bei Müttern, die ihre Kinder im Rahmen eines Münchhausen-by-proxy-Syndroms misshandeln, von einer hohen Wiederholungsgefahr auszugehen. Diese Untersuchungen beziehen sich aber überwiegend auf Mütter, die die bereits stattgefundenen Misshandlungen nach wie vor bestreiten und auch emotional aus ihrer Erinnerung dissoziativ ausblenden bzw. ausblenden wollen. Diese auch bei der Angeklagten zunächst bestehende Dissoziation konnte im Laufe des Hauptverfahrens gelockert werden, so dass die sehr besorgniserregenden empirischen Befunde über die hohe Wiederholungsgefahr von Kindesmisshandlungen im Rahmen eines Münchhausen-by-proxy-Syndroms auf die Angeklagte nicht uneingeschränkt zu übertragen sind.
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Bei ihr löste sich nämlich im Laufe der sich über drei Wochen hinziehenden Hauptverhandlung, insbesondere nach dem Explorationsgespräch mit dem psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. K. , glaubhaft ein Teil der Affektdissoziation und sie konnte der für sie sicher nur schwer erträglichen Vorstellung näher treten, die Taten wie festgestellt begangen zu haben.
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Sie äußerte in einer Erklärung am letzten Verhandlungstag nicht nur dies, sondern auch die Sorge, dass sie auch für ihr zweites Kind eine Gefahr darstellen könnte. Deswegen hat sie sich bereit erklärt, eine Psychotherapie durchzuführen.
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Bei dieser Sachlage besteht die begründete Erwartung, dass Frau K. sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen wird und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird.
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Es liegen auch gemäß § 56 Abs. 2 StGB nach der Gesamtwürdigung beider Taten und der Persönlichkeit der Angeklagten besondere Umstände vor, die die Aussetzung der Vollstreckung erlauben.
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Die Angeklagte ist Mutter eines inzwischen neunmonatigen zweiten Kindes. Dieses hat sie bislang ohne jeden Zwischenfall versorgt. Es kann, wie dargestellt, bei Durchführung einer Psychotherapie erwartet werden, dass dies auch weiterhin so sein wird. Angesichts dessen erscheint die Strafaussetzung zur Bewährung der einzige Weg, um die während der mehrtägigen Hauptverhandlung in Gang gekommenen psychische Entwicklung bei der Angeklagten zu unterstützen. Eine Inhaftierung zum jetzigen Zeitpunkt würde vermutlich bei der Angeklagten jede Therapiebereitschaft zum Versiegen bringen. Dies wäre um so bedenklicher, als sie noch jung ist und nach der Verbüßung ihrer Strafe erneut Kinder bekommen könnte.
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Eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB kam bereits deswegen nicht in Betracht, weil nicht sicher festgestellt werden konnte, dass die Angeklagte in einem Zustand verminderter Schuldfähigkeit gehandelt hat, sondern dies nur zu ihren Gunsten angenommen wurde.
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