Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 12. März 2014 - 7 Sa 530/13

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2014:0312.7SA530.13.0A
bei uns veröffentlicht am12.03.2014

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Tenor

Auf die Berufung des beklagten Landes wird unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 23. Oktober 2013, Az.: 1 Ca 645/13, geringfügig abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 29. April 2013 aufgelöst worden ist.

Das beklagte Land wird verurteilt, den Kläger bis zum 30. Juni 2014 zu den bisherigen Bedingungen weiter zu beschäftigen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer vom beklagten Land ausgesprochenen fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen ihnen sowie die Weiterbeschäftigung des Klägers.

2

Der 1956 geborene, ledige Kläger ist Vater eines 1984 geborenen Sohnes. Er absolvierte von 1971 bis 1974 eine Lehre im Raumausstatterhandwerk mit dem Berufsabschluss "Gesellenbrief zum Facharbeiter". Für diesen ursprünglich erlernten Beruf ist der Kläger infolge eines Bandscheibenvorfalls berufsunfähig. Nach einer Umschulungsmaßnahme zum Jugend- und Heimerzieher und einem Berufspraktikum bis 2003 ist er seit dem 30. August 2004 als pädagogische Fachkraft im Schuldienst des beklagten Landes in B-Stadt, konkret in der J.-W.-Schule als staatliche Förderschule beschäftigt. Zu den Aufgaben des Klägers gehörte insbesondere die Vor- und Nachbereitung selbstständigen Unterrichts in eigener pädagogischer Verantwortung in Zusammenarbeit mit der Sonderschulkraft sowie die Führung von Aufsichten und die Übernahme von Bereitschaften.

3

Im Jahr 2011 wurde der Kläger wegen Körperverletzung im Amt (körperlicher Übergriff auf den Schüler N. F. am 23. November 2011) angezeigt. Die Staatsanwaltschaft stellte zunächst das Ermittlungsverfahren gegen die Auflage zur Zahlung eines Geldbetrages ein (Anlage B 3, Bl. 127 ff. d. A.). Da der Kläger diesen Betrag nicht fristgemäß zahlte, beantragte die Staatsanwaltschaft den Erlass eines Strafbefehls mit einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen à 40,00 €, im Falle der Uneinbringlichkeit an Stelle eines Tagessatzes 1 Tag Freiheitsstrafe. Diesen - zwischenzeitlich rechtskräftigen - Strafbefehl erließ das Amtsgericht B-Stadt am 7. September 2012 (Az. 0000, Anlage B 2, Bl. 121 ff. d. A.). Nach Erhalt des Strafbefehls wandte sich der Kläger erstmals an die Schulleiterin der J.-W.-Schule und unmittelbare Vorgesetzte, Frau Z.. Auf Nachfrage erklärte er dieser, er habe wegen eines defekten Briefkastenschlosses seinen Briefkasten erst jetzt öffnen können. Mit Schreiben vom 11. Oktober 2012 bewilligte die Staatsanwaltschaft Y.-Stadt dem Kläger vorläufig monatliche Teilzahlungen in Höhe von 100,00 €, beginnend am 1. November 2012. Zahlungen erbrachte der Kläger nicht.

4

Mit Schreiben vom 20. November 2012 teilte das beklagte Land dem Kläger mit, dass ihm gegenüber eine Abmahnung ausgesprochen werden solle. Am 12. Dezember 2012 wurde der Kläger angehört. Im Laufe dieses Gesprächs teilte er mit, dass er vorhabe, die Ersatzfreiheitsstrafe anzutreten, da er nicht in der Lage sei, die geforderte Summe zu zahlen. Er wurde darüber belehrt, dass für die Dauer der Ersatzfreiheitsstrafe eine Beurlaubung ohne Bezüge erforderlich und entsprechend zu beantragen sei. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2012 (Anlage B 5, Bl. 130 f. d. A.) wies das beklagte Land den Kläger bezugnehmend auf das Gespräch vom 12. Dezember 2012 unter anderem auf Folgendes hin:

5

"Ich weise Sie jedoch darauf hin, dass Sie für den Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe eine Beurlaubung ohne Bezüge benötigen. Für die Dauer der Beurlaubung wird Ihnen kein Entgelt gezahlt.

6

Sollten Sie in Kenntnis der Rechtsfolgen weiterhin die Ersatzfreiheitsstrafe antreten wollen, bitte ich Sie, diese - sofern möglich - in die Sommerferien zu legen um den Unterrichtsausfall möglichst gering zu halten.

7

Ich bitte Sie, sich hinsichtlich der Einzelheiten Ihres Dienstausfalls zu Klärungszwecken mit dem Fachreferat in Verbindung zu setzen. Das Fachreferat erhält einen Abdruck dieses Schreibens zur Kenntnis."

8

Unter dem 6. Februar 2013 wurde der Kläger wegen des Begehens einer Körperverletzung im Amt abgemahnt. Mit Verfügung vom 13. März 2013 wurde er ab dem 9. April 2013 für den Unterricht eingeplant. Durch Verfügung vom 13. März 2013 wurde der Kläger zum Strafantritt für den 15. April 2013 geladen (Anlage B 6, Bl. 133 d. A.). Diesem Schreiben waren Hinweise einschließlich "Schwitzen statt Sitzen" und das Merkblatt für den offenen Vollzug (Bl. 137 d. A.) beigefügt. In diesem heißt es auszugsweise:

9

"Darüber, ob Sie weiterbeschäftigt werden können, entscheidet die Leitung der Justizvollzugsanstalt alsbald nach Strafantritt.

10

Um eine Weiterbeschäftigung ohne Unterbrechung zu gewährleisten, wird Ihnen dringend empfohlen, sich rechtzeitig noch vor Strafantritt mit der Justizvollzugsanstalt schriftlich, telefonisch oder persönlich in Verbindung zu setzen. Dabei ist die unter Buchstabe b) genannte Bescheinigung Ihres Arbeitgebers mitzubringen oder an die Justizvollzugsanstalt zu übersenden.

11

Bitte planen Sie einen Urlaub bzw. arbeitsfreie Zeit von 4 bis 5 Werktagen bei Strafantritt ein, weil in den ersten Tagen im Vollzug eine Vielzahl von Verwaltungsvorgängen anfallen, die Ihre Anwesenheit in der Justizvollzugsanstalt erfordern, z. B. anstaltsärztliche Untersuchungen."

12

In der Zeit vom 20. März bis 5. April 2013 waren in Rheinland-Pfalz Osterferien. Frau Z. war in dieser Zeit unter einer dem Kläger bekannten Handynummer erreichbar. In der Zeit vom 10. bis 19. April 2013 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Am 11. April 2013 brachte der Kläger die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sekretariat vorbei und wünschte die Schulleiterin zu sprechen. Diese erreichte den Kläger auf seinem Handy am 13. April 2013. In diesem Telefonat informierte der Kläger über seinen bevorstehenden Haftantritt und kündigte an, in der Justizvollzugsanstalt sofort einen Antrag auf „offenen Vollzug“ zu stellen, um seinen Dienst in der J.-W.-Schule fortsetzen zu können. Einen Antrag auf Beurlaubung stellte der Kläger nicht. Nach seinem Haftantritt am 15. April 2013 rief der Kläger am 16. oder 17. April 2013 die Schulleiterin an, um mitzuteilen, dass der Antrag länger als erwartet brauche. Am 18. April 2013 unterrichtete die Schulleiterin die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion vom Haftantritt des Klägers. Am folgenden Tag hinterließ der Kläger sodann auf der Mailbox der Schulleiterin die Nachricht, dass sie ihm eine Arbeitsbescheinigung zuschicken solle. Zu einer Übersendung der Arbeitsbescheinigung kam es nicht.

13

Am 22. April 2013 hörte das beklagte Land den Bezirkspersonalrat zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung an (Anlage B 14, Bl. 152 f. d. A.). In diesem Anhörungsschreiben heißt es abschließend:

14

"Herr B. hat bis zum heutigen Datum keinen Antrag auf Beurlaubung ohne Bezüge gestellt. Dieses Verhalten stellt kein arbeitsvertraglich konformes Verhalten dar, daher ist die außerordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt vorgesehen." Der Bezirkspersonalrat hat die beabsichtigte außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Kenntnis genommen (Stellungnahme Anlage B 16, Bl. 155 d. A.).

15

Unter dem 29. April 2013 (Anlage K 1, Bl. 3 ff. d. A.) sprach das beklagte Land gegenüber dem Kläger eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung zum 30. September 2013 aus. Diese wurde dem Kläger am 29. April 2013 in die Justizvollzugsanstalt Y.-Stadt gegen Empfangsbekenntnis (Anlage B 17, Bl. 156 d. A.) zugestellt.

16

Gegen diese fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung wendet sich der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit.

17

Mit Datum vom 6. Dezember 2013 hat das beklagte Land gegenüber dem Kläger eine weitere ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2014 ausgesprochen. Hinsichtlich dieser Kündigung ist ein Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern unter dem Az. 8 Ca 1736/13 anhängig.

18

Der Kläger hat vorgetragen,
die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Weder verhaltens-, personen- noch betriebsbedingte Kündigungsgründe lägen vor. Der Kläger hat die ordnungsgemäße Anhörung des Personalrates bestritten.

19

Er hat erstinstanzlich beantragt,

20

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 29. April 2013 und die darin enthaltene ordentliche Kündigung nicht beendet wurde;
das beklagte Land zu verurteilen, ihn zu den bisherigen Bedingungen weiter zu beschäftigen.

21

Das beklagte Land hat beantragt,

22

die Klage abzuweisen.

23

Es hat vorgetragen,
der Kläger habe im Zusammenhang mit dem Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe eine bemerkenswerte Pflichtvergessenheit gegenüber dem beklagten Land offenbart, die zu erheblichen Störungen in den Abläufen des Schulbetriebs geführt und das Vertrauen in die zukünftige ordnungsgemäße Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten durch den Kläger irreparabel zerstört habe. Die Kündigung sei aus verhaltens-, nicht aus personenbedingten Gründen erfolgt.

24

Der Kläger habe es unterlassen, die lediglich ersatzweise zu verbüßende Freiheitsstrafe und den dadurch verursachten Ausfall seiner Arbeitskraft dem Grunde nach abzuwenden, so durch Zahlung der 300,00 € oder durch rechtzeitige Kommunikation mit der Staatsanwaltschaft. Er habe außerdem seine Hauptleistungspflicht nicht erfüllt, indem er es unterlassen habe, am Montag, 22. April 2013 seine Arbeitsleistung anzubieten. Er sei gegenüber dem beklagten Land nicht von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung befreit gewesen, da er es unterlassen habe, bei Haftantritt einen Urlaub von vier bis fünf Werktagen einzuplanen, vor Haftantritt einen Antrag auf Beurlaubung bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion zu stellen. Es erscheine fernliegend, dass der Kläger Vollzugslockerungen erhalten hätte. Er besitze die für die Eignung für den offenen Vollzug erforderlichen Charaktereigenschaften Selbständigkeit, Selbstdisziplin, Gemeinschaftsfähigkeit, Verantwortungsgefühl und Bereitschaft zu aktiver Mitarbeit nicht. Im Übrigen wäre der Kläger in jedem Fall für mindestens vier bis fünf Werktage bei Strafantritt ausgefallen.

25

Aufgrund des Fernbleibens des Klägers von seinem Arbeitsplatz sei es zu Ausfällen im Schulbetrieb der J.-W.-Schule in B-Stadt gekommen. Im Bereich des Differenzierungsunterrichts in den Klassen 3 - 4 und 10 sei die spezifische Betreuung von betreuungsbedürftigen Schülern weggefallen. Auch im Bereich der Ganztagsschule habe sich das Fernbleiben des Klägers ausgewirkt. Das Auffinden einer qualifizierten pädagogischen Fachkraft als Vertretungskraft sei realiter nur im Vorfeld der Einstellungstermine 1. Februar bzw. 1. August möglich. In der Praxis könnten daher Ausfälle von pädagogischen Fachkräften im laufenden Schuljahr kurzfristig nur durch die Abordnung von Förderschullehrern von anderen Schulen erfolgen. Dieses Vorgehen erfordere jedoch schon unter Berücksichtigung der personalvertretungsrechtlichen Beteiligungsrechte einen gewissen zeitlichen Vorlauf. Hätte der Kläger sich umgehend nach Erhalt der Ladung zum Haftantritt an Frau Z. oder die ADD gewendet, hätte letztere nach einer Interessenabwägung unter Bedarfsgesichtspunkten die Förderschullehrerin M. L. an die J.-W.-Schule anstatt an eine Grundschule abordnen können. Im Ergebnis hätte damit der eingetretene Unterrichtsausfall vermieden werden können. Die Lücke habe unter anderem durch persönliche und unbezahlte Mehrarbeit der Schulleiterin minimiert werden müssen.

26

Aus seiner Sicht könne nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass es bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zu Problemen von oder mit Schüler/innen kommen werde, die der Kläger schlicht ignoriere und/oder nicht angemessen im Team kommuniziere. Außerdem könne der Kläger wohl kaum einer Schülerin oder einem Schüler vermitteln, dass man zu seinen Fehlern stehen und offensiv an seine Probleme herangehen müsse. Außerdem bestünden Zweifel, ob der Kläger zukünftig Ratschläge und Anweisungen seiner Vorgesetzten befolgen werde.

27

Der Kläger hat erwidert,
er sei mit dem Antritt einer Haftstrafe konfrontiert gewesen, was in ihm eine massive Existenzangst ausgelöst und ihn in seinen Handlungen gelähmt habe. Er sei in einem psychischen Ausnahmezustand gewesen. Bereits im Jahr 2008 habe er sich in einer vergleichbaren Belastungssituation befunden mit der Folge, dass er sich unter anderem einer mehrwöchigen Therapie in der Psychiatrie habe unterziehen müssen. Er habe sich in der Vergangenheit in Rahmen seiner Tätigkeit bei dem beklagten Land freiwillig in vielerlei Hinsicht sozial engagiert. Am letzten Wochenende der Ferien habe er nach seiner Erinnerung über sein Handy der Schulleiterin den Zeitpunkt des Antritts der Ersatzfreiheitsstrafe mitgeteilt. Am 13. April 2013 wäre auch noch genug Zeit gewesen, Frau L. an die J.-W.-Schule abzuordnen. Außerdem stünde die pädagogische Fachkraft Frau X. gerade für solche Fälle zum Teil auf Abruf vertretungsweise zur Verfügung. Hätte man ihm die Arbeitsbescheinigung unmittelbar nach der Anforderung zukommen lassen, wäre allenfalls mit einem Ausfall bis maximal 23. April zu rechnen gewesen.

28

Das Arbeitsgericht Kaiserslautern hat durch Urteil vom 23. Oktober 2013 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 29. April 2013 aufgelöst worden ist. Es hat das beklagte Land weiter verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen weiter zu beschäftigen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt: Voraussetzung einer außerordentlichen Kündigung wegen haftbedingter Arbeitsverhinderung sei, dass der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein werde, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Die Nichterfüllung der Arbeitspflicht müsse sich außerdem nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Da der Arbeitgeber im Fall der haftbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers typischerweise von der Lohnzahlungspflicht befreit sei, hänge es von der Dauer sowie Art und Ausmaß der betrieblichen Auswirkungen ab, ob die Inhaftierung geeignet sei, einen Grund zur Kündigung abzugeben. Im vorliegenden Fall sei die Dauer der gegen den Kläger verhängten Ersatzfreiheitsstrafe von vier Monaten relativ gering. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es aufgrund des haftbedingten Fernbleibens des Klägers von seinem Arbeitsplatz zu Störungen und Ausfällen im Schulbetrieb gekommen sei, erweise sich die außerordentliche Kündigung als unverhältnismäßig. Zwar hätte der Kläger bei rechtzeitiger Kommunikation mit der Staatsanwaltschaft die Chance gehabt, den Strafantritt abzuwenden oder doch zumindest durch Stellung eines rechtzeitigen Urlaubsantrages bei dem beklagten Land die organisatorischen Probleme im Zusammenhang mit der notwendigen Vertretung verringern können. Angesichts des seit mehr als 8 Jahren störungsfrei verlaufenen Arbeitsverhältnisses und seiner angeschlagenen gesundheitlichen Verfassung würde er jedoch durch die außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig hart getroffen. Zumindest die Einhaltung der bis zum 30. September 2013 dauernden ordentlichen Kündigungsfrist sei dem beklagten Land zumutbar gewesen. Die von dem beklagten Land ausgesprochene ordentliche Kündigung erweise sich jedoch mangels ordnungsgemäßer Beteiligung des Personalrats als unwirksam. Dieser sei ausschließlich zum geplanten Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung beteiligt worden. Auch die dem Personalrat gemäß § 83 Abs. 1 in Verbindung mit § 82 Abs. 2 LPersVG im Mitwirkungsverfahren zustehende Frist von 10 Werktagen habe das beklagte Land nicht abgewartet. Da der Bezirkspersonalrat der außerordentlichen Kündigung auch nicht vorbehaltslos zugestimmt, sondern lediglich am 30. April 2013 mitgeteilt habe, die beabsichtigte Personalmaßnahme zur Kenntnis genommen zu haben, könne nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Personalrat der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vorbehaltslos zugestimmt hätte. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern (Bl. 199 ff. d. A.) Bezug genommen.

29

Das genannte Urteil ist dem beklagten Land am 11. November 2013 zugestellt worden. Es hat hiergegen mit einem am 21. November 2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese mit am 8. Januar 2014 eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag begründet.

30

Zur Begründung der Berufung macht das beklagte Land nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 229 ff. d. A.) zusammengefasst geltend,
der Kläger habe seine Vertragspflichten, die sich aus seiner besonderen Position als pädagogische Fachkraft mit einer Vorbildfunktion der Schule gegenüber den Schülern und übrigen Kollegen ergäben, schuldhaft verletzt. Auch eine erhebliche Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, insbesondere eine Verletzung der vertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme könnten einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Ergänzt werde dies durch die Interessen der Schüler, die einen Anspruch darauf hätten, ordnungsgemäß unterrichtet zu werden. Der Kläger habe aber auch gegen seine Hauptleistungspflichten verstoßen. Er habe vorsätzlich die Optionen der gemeinnützigen Arbeit am Wochenende sowie des offenen Vollzuges nicht wahrgenommen, damit vorsätzlich dem beklagten Land seine Tätigkeit entzogen, seinen Arbeitsplatz bewusst gefährdet und seiner Arbeit bewusst nicht nachkommen wollen. Die außerordentliche Kündigung sei auch nicht unverhältnismäßig gewesen.

31

Das beklagte Land beantragt,

32

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern abzuändern und die Klage abzuweisen.

33

Der Kläger beantragt,

34

die Berufung zurückzuweisen.

35

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seines Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 6. Februar 2014, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 238 f. d. A.), als rechtlich zutreffend. Dass es letztlich nicht zu dem Freigang gekommen sei, sei auf ein Versäumnis des beklagten Landes zurückzuführen, da dieses die Arbeitsbescheinigung nicht ausgestellt und Bemühungen der Schulleiterin, ihn zu unterstützen, durch ein Kontaktverbot verhindert habe.

36

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Sitzung vom 12. März 2014 (Bl. 240 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

37

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des beklagten Landes ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

38

In der Sache hatte die Berufung des beklagten Landes weit überwiegend keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 29. April 2013 aufgelöst worden ist. Im Hinblick auf die zwischenzeitlich vom beklagten Land ausgesprochene weitere Kündigung war lediglich der Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers zeitlich zu begrenzen.

39

Die Berufungskammer folgt zunächst den Gründen des angefochtenen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen veranlasst lediglich folgende Ausführungen:

40

1. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist nicht durch die außerordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 29. April 2013 aufgelöst worden. Ein wichtiger Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung gegenüber dem Kläger ist nicht gegeben.

41

a) Maßstab für die rechtliche Beurteilung einer außerordentlichen Kündigung ist § 626 Abs. 1 BGB. Dieser setzt voraus, dass Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dabei ist die Prüfung, ob ein wichtiger Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in zwei Stufen vorzunehmen. Zum einen muss ein Grund vorliegen, der an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung siehe BAG, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - NZA 2004, 486). Des Weiteren muss dieser Kündigungsgrund im Rahmen einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu einem Überwiegen der Interessen des Kündigenden führen. Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz keine "absoluten" Kündigungsgründe kennt. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", das heißt typischerweise als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227).

42

b) Das beklagte Land stützt die außerordentliche Kündigung weder auf den - abgemahnten - Vorfall mit dem Schüler N. F. aus dem Jahr 2011, wegen dem der Kläger zu einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen à 40,00 €, ersatzweise an Stelle eines Tagessatzes 1 Tag Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Kündigungsgrund ist ebenfalls nicht die Verurteilung als solche. Kündigungsgrund ist aus Sicht des beklagten Landes vielmehr, dass der Kläger seine arbeitsvertraglichen Pflichten im Zusammenhang mit dem Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe verletzt hat. So hat der Kläger die Beklagte nicht unverzüglich nach dem Erhalt der Ladung zum Strafantritt am 15. April 2013 informiert. Auch hat er sich - entgegen den Hinweisen im Merkblatt zum offenen Vollzug - weder rechtzeitig noch vor Strafantritt mit der Justizvollzugsanstalt in Verbindung gesetzt noch eine Bescheinigung des beklagten Landes in die Justizvollzugsanstalt mitgebracht oder an diese übersandt noch Urlaub für die ersten Tage im Vollzug beantragt. Eine solche Nichtbeachtung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht kann grundsätzlich auch einen wichtigen Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. für eine eigenmächtige Urlaubsnahme durch den Arbeitnehmer BAG, Urteil vom 20. Januar 1994 - 2 AZR 521/93 - AP Nr. 115 zu § 626 BGB). Auch unterlassene Bemühungen des Klägers, die Ersatzfreiheitsstrafe nicht absitzen zu müssen, können an sich in Form der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, insbesondere der Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) ein verhaltensbedingter wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein (BAG, Urteil vom 23. Mai 2013 - 2 AZR 120/12 - NJW 2013, 3325, 3326 Rn. 22).

43

Das Unterlassen eines Arbeitsangebots durch den Kläger am 22. April 2013 stellt dagegen keinen verhaltensbedingten wichtigen Grund dar. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass der Kläger in der Zeit der Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe - unabhängig davon, ob er zuvor unbezahlten Urlaub beantragt hat - arbeitsunfähig ist. Die Verbüßung der Freiheitsstrafe ist nicht als ein vom Arbeitnehmer schuldhaft herbeigeführter Fall der Arbeitsverhinderung, sondern als personenbedingter Grund für eine außerordentliche Kündigung einzuordnen. Das Bundesarbeitsgericht hat eine Arbeitsverhinderung, die auf einer Straf- oder Untersuchungshaft beruht, nicht als verhaltensbedingten Kündigungsgrund angesehen (BAG, Urteil vom 23. Mai 2013 - 2 AZR 120/12 - NZA 2013, 1211).

44

c) Dem beklagten Land ist nach Auffassung der Kammer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar. Zwar hat der Kläger vor dem Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe seine vertraglichen Pflichten verletzt und sich nicht in ausreichendem Umfang um die Klärung der Situation mit Staatsanwaltschaft und Justizvollzugsanstalt sowie mit seinem Arbeitgeber gekümmert. Doch muss die Interessenabwägung trotz seines Verhaltens und der hierauf beruhenden Beeinträchtigungen im Schulbetrieb der Jakob-Weber-Schule letztendlich unter anderem im Hinblick auf die langjährige Betriebszugehörigkeit des Klägers seit 2004 zu dessen Gunsten ausfallen.

45

Zugunsten des Klägers ist ein erhebliches Interesse am Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen. Er ist 56 Jahre alt und hat sich erst aufgrund einer Umschulungsmaßnahme zum Jugend- und Heimerzieher für die Tätigkeit beim beklagten Land qualifiziert, nachdem er für seinen ursprünglich erlernten Beruf als Raumausstatter infolge eines Bandscheibenvorfalls berufsunfähig ist. Schon aufgrund seines Lebensalters und seiner angeschlagenen gesundheitlichen Verfassung stellt eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Kläger vor existentielle Probleme, gegebenenfalls droht sogar eine längere Arbeitslosigkeit. Auch ist der Antritt einer (Ersatz-)Freiheitsstrafe für einen strafrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Bürger eine sicherlich nicht alltägliche Situation und mit besonderen psychischen Belastungen verbunden.

46

Dagegen sind an den Kläger als pädagogische Fachkraft aber auch besondere Anforderungen im Hinblick auf seine pädagogische Verantwortung, seine Vorbildfunktion gegenüber den Schülern, Umsicht, kommunikative Kompetenzen, Teamgeist und Zuverlässigkeit zu stellen.

47

Soweit der Kläger seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen dadurch verletzt hat, dass er dem beklagten Land den Termin seines Haftantritts nicht unverzüglich nach Erhalt der Ladung zum Strafantritt mitgeteilt hat, ist zu seinen Lasten zu berücksichtigen, dass ihn das beklagte Land bereits im Rahmen des Gesprächs vom 12. Dezember 2012 sowie in der Folge durch Schreiben vom 14. Dezember 2012 gebeten hatte, sich hinsichtlich der Einzelheiten des Dienstausfalls zu Klärungszwecken mit dem Fachreferat in Verbindung zu setzen und ihn auf die - aus damaliger Sicht des beklagten Landes - Erforderlichkeit einer Beurlaubung ohne Dienstbezüge hingewiesen hatte. Zu Gunsten des Klägers ist dagegen zu berücksichtigen, dass er bereits bei diesem Gespräch vom Dezember 2012 mitgeteilt hatte, die Ersatzfreiheitsstrafe antreten zu müssen. Dem beklagten Land war es daher bereits zu diesem Zeitpunkt möglich, langfristig Vorkehrungen für den - gegebenenfalls kurzfristig eintretenden - Fall des Strafantritts des Klägers zu treffen. Schließlich teilte der Kläger zwar nicht unverzüglich, aber noch vor dem Strafantritt spätestens am 13. April 2013 diesen der Schulleiterin mit, nachdem er bereits am 11. April 2013 versucht hatte, Frau Z. zu sprechen. Da der Kläger zudem noch bis einschließlich 19. April 2013 arbeitsunfähig erkrankt war, war der 22. April 2013 der erste Tag, an dem der Kläger infolge der Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe fehlte und aus diesem Grund vertreten werden musste. Der Schule stand somit zumindest ein Zeitraum von mehr als einer Woche zur Verfügung um den Vertretungsplan zu organisieren. Eine Neueinstellung wäre auch nach dem Vortrag des beklagten Landes ohnedies während des laufenden Schulhalbjahres nicht mehr möglich gewesen. Ebenfalls war im Kündigungszeitpunkt noch offen, ob dem Kläger die Ableistung der Ersatzfreiheitsstrafe im offenen Vollzug bewilligt werden würde. Im Fall der Bewilligung des offenen Vollzuges hätte der Kläger seine Tätigkeit für das beklagte Land in der Förderschule mit einer Unterbrechung von nur wenigen Tagen fortsetzen können. Nach dem Merkblatt über den offenen Vollzug werden als Voraussetzungen für die Weiterbeschäftigung am bisherigen Arbeitsplatz während der Strafverbüßung genannt: "u. a. dass Sie a) der anliegenden Ladung Folge leisten und sich pünktlich in der Justizvollzugsanstalt zum Strafantritt stellen, b) eine Bescheinigung Ihres Arbeitgebers bzw. Ausbilders beibringen, dass Sie in einem festen Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis stehen und dieses auch nach dem Strafantritt fortsetzen können, und sich ihr Arbeitgeber bzw. Ausbilder bereit erklärt, der Justizvollzugsanstalt auf Nachfrage Auskunft darüber zu geben, ob Sie sich an Ihrem Arbeitsplatz befinden, c) Ihre Arbeitsstelle von der Justizvollzugsanstalt aus - in der Regel mit öffentlichen Verkehrsmitteln - in angemessener Zeit erreichen können." Ein entsprechender Antrag war im Kündigungszeitpunkt gestellt, der Kläger hatte die Haft pünktlich angetreten. Seitens des beklagten Landes wurde aber nach dem Haftantritt des Klägers nicht der Versuch unternommen, das Bestreben des Klägers, seine Ersatzfreiheitsstrafe im offenen Vollzug abzuleisten, zu unterstützen. Ohne eine vom beklagten Land ausgestellte Arbeitsbescheinigung und die Erklärung, der Justizvollzugsanstalt auf Nachfrage Auskunft darüber zu geben, ob der Kläger sich an seinem Arbeitsplatz befindet, konnte der Antrag auf Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe keinesfalls Erfolg haben. Soweit das beklagte Land dem Kläger vorwirft, dass dieser sich nicht frühzeitig um die Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe im offenen Vollzug bemüht habe, ist zu berücksichtigen, dass es andererseits in seinem Schriftsatz vom 30. August 2013 (dort auf S. 2 f.) selbst vorgetragen hat, dass es fernliegend erscheine, dass der Kläger Vollzugslockerungen erhalten hätte.

48

Zwar hat der Kläger keine Anstrengungen hinsichtlich der Option "Sitzen statt schwitzen" unternommen hat. Er durfte aber aus Sicht der Kammer insbesondere in Anbetracht des Umfangs der abzuleistenden 120 Tagessätze à in der Regel 6 Stunden unentgeltlicher gemeinnütziger Arbeit und der bestehenden Beschäftigung beim beklagten Land, versuchen, die Ersatzfreiheitsstrafe im offenen Vollzug abzuleisten.

49

Soweit das beklagte Land im Hinblick auf die Vorkommnisse vor dem Haftantritt befürchtet, dass es zu Problemen mit Schüler/innen kommen könne, die der Kläger ignorieren oder nicht im Team kommunizieren könnte, kann dies zwar nicht ausgeschlossen werden. Der Umgang mit dem eigenen bevorstehenden Haftantritt lässt jedoch nicht unbedingt auf den Umgang des Klägers mit Problemen der Schüler/innen schließen. In der Vergangenheit ist es - mit Ausnahme des zum Strafbefehl führenden, in seinem Hergang zwischen den Parteien streitigen Vorfalls - zu keinem Fehlverhalten des Klägers im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern und in der Kommunikation mit Vorgesetzten und im Team gekommen.

50

Im Rahmen der Interessenabwägung war zu Gunsten des Klägers auch zu berücksichtigen, dass in den Zeitraum der Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe die Sommerferien 2013 fielen und dadurch der Unterrichtsausfall begrenzt wurde Schließlich war das Land für den Zeitraum der Ableistung der Ersatzfreiheitsstrafe nicht zur Lohnzahlung verpflichtet (§§ 616 Abs. 1, 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB). Zwischen dem Zeitpunkt der Haftentlassung und dem Ende der vom Kündigungszeitpunkt aus gerechneten ordentlichen Kündigungsfrist von 4 Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres (§ 34 Abs. 1 S. 2 TV-L) lag lediglich ein Zeitraum von etwa sieben Wochen.

51

Die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist war dem beklagten Land daher nach alledem nicht unzumutbar.

52

2. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist auch nicht durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 29. April 2013 aufgelöst worden. Diese erweist sich mangels ordnungsgemäßer Beteiligung des Personalrats (§ 83 Abs. 1 in Verbindung mit § 82 Abs. 2 LPersVG RhPf) als unwirksam. Die Berufungskammer folgt insoweit Gründen des angefochtenen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen des beklagten Landes veranlasst keine weiteren Ausführungen hierzu.

53

3. Die Verurteilung des beklagten Landes zur Weiterbeschäftigung des Klägers war im Hinblick auf die nach dem erstinstanzlichen Urteil ausgesprochene weitere ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2014 zu begrenzen.

54

Nach der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgericht (Beschluss vom 27. Februar 1985 - GS 1/84 - AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) hat der gekündigte Arbeitnehmer auch außerhalb der Regelungen der §§ 102 Abs. 5, 79 Abs. 2 BPersVG einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Außer im Fall einer offensichtlich unwirksamen Kündigung begründe die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsprozesses. Dieses überwiege in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsprozess ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht. Solange ein solches Urteil bestehe, könne die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen.

55

Hat aber ein Arbeitsgericht festgestellt, dass eine bestimmte Kündigung unwirksam ist und hat es deshalb den Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung verurteilt, führt eine weitere Arbeitgeberkündigung jedenfalls dann zu einer zusätzlichen Unsicherheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, wenn diese auf einen neuen Lebenssachverhalt gestützt wird, der es möglich erscheinen lässt, dass die erneute Kündigung eine andere rechtliche Beurteilung erfährt. Diese zusätzliche Unsicherheit lässt das schutzwürdige Interesse des Arbeitgebers wieder überwiegen (DLW/Dörner, 11. Aufl. 2014, Kap. 4 Rn. 3523). Eine solche zusätzliche Unsicherheit ist im vorliegenden Rechtsstreit infolge der weiteren Arbeitgeberkündigung vom 6. Dezember 2013 nach dem Ablauf der Kündigungsfrist gemäß § 34 Abs. 1 S. 2 TV-L am 30. Juni 2013 gegeben, da die Frage des Vorliegens einer ordnungsgemäßen Personalratsanhörung neu zu prüfen ist.

56

Nach allem war die Berufung des beklagten Landes weitgehend zurückzuweisen und das angefochtene Urteil nur hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrags teilweise abzuändern.

III.

57

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 72 Grundsatz


(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 64 Grundsatz


(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt. (2) Die Berufung kann nur eingelegt werden, a) wenn sie in dem Urtei

Zivilprozessordnung - ZPO | § 520 Berufungsbegründung


(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen. (2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der

Zivilprozessordnung - ZPO | § 519 Berufungsschrift


(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. (2) Die Berufungsschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;2.die Erklärung, dass gegen dieses Urtei

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(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. (2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung


(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Mona

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund


(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unte

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 69 Urteil


(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Woch

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis


(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen. (2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Re

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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 616 Vorübergehende Verhinderung


Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhind

Bundespersonalvertretungsgesetz - BPersVG | § 79


(1) Der Personalrat wirkt bei der ordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber mit. § 77 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend. Der Personalrat kann gegen die Kündigung Einwendungen erheben, wenn nach seiner Ansicht 1.bei der Auswahl des zu kündigenden Arb

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Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 18. Oktober 2011 - 15 Sa 33/11 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09

bei uns veröffentlicht am 10.06.2010

Tenor 1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

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(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 18. Oktober 2011 - 15 Sa 33/11 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte produziert Automobile. Der Kläger war bei ihr seit 1997 als Fahrzeugpolsterer beschäftigt. Im Betrieb ist ein Betriebsrat gebildet.

3

In der Zeit vom 12. März bis zum 10. April 2008 befand sich der Kläger wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz in Untersuchungshaft. Am 23. September 2008 wurde er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

4

Am 17. September 2010 wurde der Kläger erneut vorläufig festgenommen. Im Anschluss daran befand er sich in Untersuchungshaft. Am 20. September 2010 teilte seine Ehefrau dies der Beklagten mit. Grund für die Verhaftung war, dass der Kläger zusammen mit einer weiteren Person eine „Haschisch-Plantage“ betrieb. Dort hatte die Polizei 18 Kilogramm Cannabispflanzen gefunden. Eine solche Menge enthält ca. zwei bis drei Kilogramm des Wirkstoffs THC.

5

In den Folgetagen versuchte die Beklagte erfolglos, mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers Kontakt aufzunehmen. Mit Schreiben vom 24. September 2010 forderte sie den Kläger auf, zum Sachstand Stellung zu nehmen. Am 27. September 2010 erhielt sie Kenntnis von einem Zeitungsartikel, aus welchem sich ua. die gefundene Cannabismenge ergab. Am 1. Oktober 2010 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, zu einem Haftprüfungstermin, einem Termin zur Hauptverhandlung und einem zu erwartenden Strafmaß könne er sich frühestens nach Akteneinsicht äußern. Über eine Haftverschonung werde noch verhandelt. Am 7. Oktober 2010 teilte er mit, dass ein Ende der Inhaftierung nicht absehbar sei und sich eine etwaige weitere Verurteilung aller Voraussicht nach negativ auf die Aussetzung der ersten Haftstrafe zur Bewährung auswirke.

6

Am 8. Oktober 2010 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung zum 30. Juni 2011 an. Dieser äußerte Bedenken.

7

Mit Schreiben vom 12. Oktober 2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos. Mit Schreiben vom 15. Oktober 2010 kündigte sie hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin und gab diesen mit dem 30. Juni 2011 an. Gegen beide Kündigungen hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben.

8

Am 1. Februar 2011 fand der erste Hauptverhandlungstermin im Strafverfahren statt. Das Amtsgericht verhängte gegen den Kläger mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 17. Februar 2011 eine Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen gemeinschaftlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

9

Mit Schreiben vom 28. Juni 2011 beantragte der Kläger die Zurückstellung der Freiheitsstrafe ab September 2011 zwecks Durchführung einer Drogentherapie gem. § 35 BtMG. Am 21. Juli 2011 entschied die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts, die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 17. Februar 2011 gem. § 35 Abs. 1 und Abs. 3 BtMG für die Behandlung in einer Therapieeinrichtung ab dem 19. September 2011 für die Dauer von längstens zwei Jahren zurückzustellen. Die nachgewiesene Zeit des Aufenthalts sollte gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 BtMG auf die Strafe angerechnet werden, bis infolge der Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt wären. Am 19. September 2011 nahm der Kläger die (teilstationäre) Therapie auf.

10

Die Staatsanwaltschaft beantragte, die Aussetzung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 23. September 2008 zu widerrufen. Über den Antrag des Klägers, die Verbüßung dieser Strafe zurückzustellen, war zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht noch nicht entschieden.

11

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, sein haftbedingtes Fehlen sei kein Kündigungsgrund. Bei einer Zurückstellung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 17. Februar 2011 sei damit zu rechnen gewesen, dass er spätestens im Jahr 2012 seiner Arbeitsverpflichtung wieder würde nachkommen können. Genauere und sichere Angaben zum Zeitpunkt seiner Einsatzfähigkeit seien ihm nicht möglich gewesen. Er habe beantragen wollen, die noch zu verbüßende Reststrafe zur Bewährung auszusetzen. Üblicherweise werde einem solchen Antrag stattgegeben, wenn eine Drogentherapie mit Erfolg abgeschlossen worden sei.

12

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung vom 12. Oktober 2010, noch durch die Kündigung vom 15. Oktober 2010 aufgelöst worden ist.

13

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, zum Zeitpunkt der Kündigung habe sie damit rechnen müssen, dass der Kläger durch die zu erwartende neuerliche Haftstrafe über Jahre an der Wiederaufnahme seiner Arbeit gehindert wäre. Da die sichergestellte Drogenmenge höher gewesen sei als bei der Straftat im Jahr 2008, habe sie davon ausgehen müssen, dass eine längere Haftstrafe verhängt würde. Diese Prognose habe sich durch die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren bestätigt. Das Fehlen des Klägers habe zu betrieblichen Beeinträchtigungen geführt. Das Arbeitsverhältnis sei zudem seit Jahren durch verspätete Arbeitsaufnahmen und erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten belastet gewesen.

14

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 12. Oktober 2010 nicht aufgelöst worden ist. Die gegen die ordentliche Kündigung gerichtete Klage hat es abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger, die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die ordentliche Kündigung vom 15. Oktober 2010 zu Recht für sozial gerechtfertigt gehalten.

16

I. Die Revision ist zulässig. Sie ist rechtzeitig eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

17

1. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss die Revisionsbegründung den vermeintlichen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Sie muss dazu eine Auseinandersetzung mit den tragenden Argumenten des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert die konkrete Darlegung der Gründe, aus denen das Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 811/11 - Rn. 12; 16. November 2011 - 4 AZR 234/10 - Rn. 15).

18

2. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung - noch - gerecht. Der Kläger hat dargelegt, dass und aus welchen Gründen er die tragende Annahme des Landesarbeitsgerichts, bei Ausspruch der Kündigung sei mit einer Haftdauer von mehr als zwei Jahren zu rechnen gewesen, für rechtsfehlerhaft hält.

19

II. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die ordentliche Kündigung vom 15. Oktober 2010 aufgelöst worden.

20

1. Die Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe in der Person des Klägers bedingt.

21

a) Als Kündigungsgrund in der Person des Arbeitnehmers kommen Umstände in Betracht, die auf einer in dessen persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften liegenden „Störquelle“ beruhen (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 13; 5. Juni 2008 - 2 AZR 984/06 - Rn. 27 mwN). Zu diesen zählt eine Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers, die auf einer Straf- oder Untersuchungshaft beruht (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 12, BAGE 136, 213; 22. September 1994 - 2 AZR 719/93 - zu II 1 der Gründe). Deren Qualifizierung als Grund in der Person des Arbeitnehmers lässt es zu, auf eine mögliche Resozialisierung des straffällig gewordenen Arbeitnehmers Bedacht zu nehmen. Nicht jede Freiheitsstrafe kann ohne Rücksicht auf ihre Dauer und ihre Auswirkungen zum Verlust des Arbeitsplatzes führen (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 13).

22

b) Eine Würdigung des der Haft zugrunde liegenden Tatgeschehens unter verhaltensbedingten Gesichtspunkten ist nur veranlasst, wenn dieses einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat oder der Arbeitnehmer auf andere Weise arbeitsvertragliche Pflichten, insbesondere seine Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzt hat (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 14). Das ist hier nicht der Fall. Das Landesarbeitsgericht hat das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen verneint. Dagegen wendet sich die Beklagte nicht. Sie stützt die Kündigung nurmehr auf die im Erklärungszeitpunkt zu erwartenden haftbedingten Abwesenheitszeiten des Klägers.

23

c) Voraussetzung einer Kündigung wegen haftbedingter Arbeitsverhinderung ist, dass der Arbeitnehmer aller Voraussicht nach für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein wird, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 15).

24

aa) Maßgebend für die vom Arbeitgeber insoweit anzustellende Prognose sind die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung. Die tatsächliche Entwicklung nach Kündigungsausspruch kann nur in engen Grenzen Berücksichtigung finden (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 17; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 52, BAGE 134, 349).

25

bb) Grundlage für die Prognose muss nicht zwingend eine bereits erfolgte - rechtskräftige - strafgerichtliche Verurteilung sein. Die Erwartung, der Arbeitnehmer werde für längere Zeit an der Erbringung seiner Arbeitsleistung gehindert sein, kann auch im Fall der Untersuchungshaft berechtigt sein. Dann kommt es darauf an, ob die der vorläufigen Inhaftierung zugrunde liegenden Umstände bei objektiver Betrachtung mit hinreichender Sicherheit eine solche Prognose rechtfertigen. Da ohne rechtskräftige Verurteilung nicht auszuschließen ist, dass sich die Annahme als unzutreffend erweist, muss der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben.

26

d) Die (prognostizierte) Nichterfüllung der Arbeitspflicht muss sich nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Da der Arbeitgeber im Fall der haftbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers typischerweise von der Lohnzahlungspflicht befreit ist (§ 616 Abs. 1, § 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 BGB), hängt es von der Dauer der Haft sowie Art und Ausmaß der betrieblichen Auswirkungen ab, ob die Inhaftierung geeignet ist, einen Grund zur Kündigung abzugeben. Das ist sie nicht, wenn es dem Arbeitgeber zuzumuten ist, für die Zeit des haftbedingten Arbeitsausfalls Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und dem Arbeitnehmer den Arbeitsplatz bis zur Rückkehr aus der Haft frei zu halten (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 15; 20. November 1997 - 2 AZR 805/96 - zu II 3 der Gründe). Jedenfalls dann, wenn im Kündigungszeitpunkt mit einer mehrjährigen haftbedingten Abwesenheit des Arbeitnehmers gerechnet werden muss, kann dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugemutet werden, lediglich vorläufige Maßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubesetzung des Arbeitsplatzes zu verzichten (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 23).

27

e) Liegt eine beachtliche Störung vor, bedarf es der abschließenden, alle Umstände des Einzelfalls einbeziehenden Abwägung, ob es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsteile dennoch zumutbar war, das Arbeitsverhältnis bis zum Wegfall des Hinderungsgrundes fortzusetzen. Sowohl bei der Frage, ob von einer erheblichen Störung des Austauschverhältnisses auszugehen ist, als auch bei der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer die haftbedingte Arbeitsverhinderung in aller Regel selbst zu vertreten hat (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 15).

28

f) Danach ist die Kündigung vom 15. Oktober 2010 sozial gerechtfertigt. Das Arbeitsverhältnis war im Kündigungszeitpunkt durch die zu erwartende haftbedingte Arbeitsverhinderung des Klägers erheblich belastet. Das Freihalten des Arbeitsplatzes war der Beklagten nach den Umständen des Falls nicht zumutbar.

29

aa) Im Kündigungszeitpunkt musste die Beklagte mit hoher Gewissheit damit rechnen, dass der Kläger für die Dauer mehrerer Jahre an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert wäre.

30

(1) Der Kläger befand sich bei Zugang der Kündigung bereits seit vier Wochen in Untersuchungshaft. Der Beklagten war das dem Kläger vorgeworfene Delikt bekannt. Sie hatte alle ihr möglichen Maßnahmen zur Klärung einer möglichen Haftdauer ergriffen, insbesondere dem Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten Gelegenheit gegeben, zum Tatvorwurf Stellung zu nehmen. Der Kläger hat zu keiner Zeit bestritten, die Straftat begangen zu haben. Sein Prozessbevollmächtigter hatte erklärt, ein kurzfristiges Ende der Inhaftierung sei nicht abzusehen.

31

(2) Unter diesen Umständen und nach den ihr vorliegenden Informationen musste die Beklagte davon ausgehen, der Kläger habe die ihm vorgeworfene Straftat tatsächlich begangen. Aus ihrer - objektiv berechtigten - Sicht stand deshalb als sicher zu erwarten, dass der Kläger strafrechtlich verurteilt würde. Ungewiss war allenfalls das Maß der zu erwartenden Strafe. Für deren mögliche Höhe gab es allerdings objektive Anhaltspunkte. Der Kläger war im Jahr 2008 wegen eines ähnlichen Delikts zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. In Anbetracht seiner erneuten Straffälligkeit noch innerhalb des Bewährungszeitraums und der ihr bekannten Tatumstände, insbesondere der Menge der aufgefundenen Cannabispflanzen und des in ihnen enthaltenen Wirkstoffs, musste die Beklagte damit rechnen, dass das Strafmaß für die erneute Straftat jedenfalls nicht geringer als zuvor ausfiele und zudem die Aussetzung der Vorstrafe zur Bewährung widerrufen würde.

32

(3) Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger gleichwohl vorzeitig und alsbald seine Tätigkeit wieder würde aufnehmen können, waren bei Kündigungszugang nicht ersichtlich. Der Kläger hatte zu diesem Zeitpunkt einen Antrag auf Durchführung einer Therapie nach § 35 BtMG noch nicht gestellt, dementsprechend hatte die Beklagte keine Kenntnis von seiner späteren Einsicht und Therapiebereitschaft. Der Kläger hat im Übrigen nicht behauptet, er sei während der Durchführung der - teilstationären - Therapie arbeitsfähig gewesen. Ob und ggf. wann ein Rest der zu verbüßenden Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt würde, war deshalb im Kündigungszeitpunkt völlig unklar.

33

bb) Angesichts dessen war der Beklagten ein Festhalten am Arbeitsverhältnis über die ordentliche Kündigungsfrist hinaus nicht zuzumuten.

34

(1) Die Beklagte musste mit der Erklärung der Kündigung als solcher nicht noch zuwarten. Sie war nicht etwa verpflichtet, den Arbeitsplatz bis zur Entscheidung über eine mögliche Strafaussetzung zur Bewährung frei zu halten. Zwar kann sich aus § 241 Abs. 2 BGB eine Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, den Arbeitnehmer bei seinem Streben nach Vollzugslockerungen zu unterstützen(BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 28, BAGE 136, 213 ; 9. März 1995 - 2 AZR 497/94 - zu II 5 der Gründe). Im Streitfall war aber völlig ungewiss, ob und wann dem Kläger eine Aussetzung seiner Strafe gewährt würde. Die Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer in seinem Resozialisierungsbemühen zu unterstützen, geht nicht so weit, diesem auf die vage Aussicht hin, in ferner Zukunft eine Vollzugslockerung zu erreichen, bis zum Zeitpunkt einer Klärung, dh. möglicherweise über Monate hinweg die Rückkehr auf den Arbeitsplatz zu ermöglichen.

35

(2) Der Darlegung konkreter Betriebsablaufstörungen bedurfte es wegen der für den Kläger zu erwartenden mehr als zweijährigen Freiheitsstrafe und der damit verbundenen hohen Wahrscheinlichkeit einer entsprechend langen Abwesenheit nicht.

36

(a) Der Arbeitsvertrag ist auf den ständigen Austausch von Leistung und Gegenleistung gerichtet. Die Verpflichtung des Arbeitnehmers geht dahin, dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, damit dieser sie im Rahmen seiner arbeitsteiligen Betriebsorganisation sinnvoll einsetzen kann. Ist der Arbeitnehmer dazu nicht in der Lage, tritt hinsichtlich seiner Arbeitsleistung Unmöglichkeit ein, wenn - wie bei lang andauernder Arbeitsverhinderung die Regel - eine Nachleistung beiden Seiten nicht zugemutet werden kann (ErfK/Preis 13. Aufl. § 611 BGB Rn. 676). Zugleich ist der Arbeitgeber gehindert, von seinem Weisungsrecht Gebrauch zu machen, und muss, wenn er seine bisherige Arbeitsorganisation unverändert aufrechterhalten will, für eine anderweitige Erledigung der Arbeit sorgen. Bereits darin liegt eine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 20).

37

(b) Zumindest dann, wenn im Kündigungszeitpunkt noch eine Haftstrafe von mehr als zwei Jahren zu verbüßen ist und eine Entlassung vor Ablauf von zwei Jahren nicht sicher zu erwarten steht, kann dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugemutet werden, lediglich Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubesetzung des Arbeitsplatzes zu verzichten. Dabei ist neben den bereits angesprochenen Unwägbarkeiten zu berücksichtigen, dass dem Arbeitgeber die Möglichkeit zur Beschäftigung einer Aushilfskraft im sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnis lediglich für einen Zeitraum von 24 Monaten eröffnet ist. Er kann deshalb bei längerer Haftzeit nicht damit rechnen, die Abwesenheit des Arbeitnehmers einigermaßen problemlos überbrücken zu können. Hinzu kommt, dass mit zunehmender Haftdauer die Verwirklichung des Vertragszwecks in Frage gestellt wird. Eine mehrjährige Abwesenheit des Arbeitnehmers geht typischerweise mit einer Lockerung seiner Bindungen an den Betrieb und die Belegschaft sowie dem Verlust von Erfahrungswissen einher, das aus der täglichen Routine resultiert. Dementsprechend muss der Arbeitgeber bei der Rückkehr eines langjährig inhaftierten Arbeitnehmers mit Einarbeitungsaufwand rechnen (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 23).

38

(c) Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, selbst bei mehrjähriger Haftstrafe bloße Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen, besteht auch nicht aus Gründen der Resozialisierung. Zwar hat er bei kurzzeitigen Inhaftierungen oder in Fällen, in denen nach Ablauf der Kündigungsfrist zeitnah eine Weiterbeschäftigung im offenen Vollzug möglich ist, auf die entsprechenden Belange des Arbeitnehmers angemessen Rücksicht zu nehmen. Dies rechtfertigt es aber nicht, vom Arbeitgeber zu verlangen, den Arbeitsplatz für den inhaftierten Arbeitnehmer für voraussichtlich mehr als zwei Jahre frei zu halten und ihm die damit verbundenen Lasten aufzuerlegen (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 24). Die durchaus strengeren Anforderungen an eine Kündigung wegen lang anhaltender Erkrankung (vgl. BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 27 mwN, BAGE 123, 234; 29. April 1999 - 2 AZR 431/98 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 91, 271) beruhen darauf, dass eine schwere Krankheit - anders als eine Freiheitsstrafe - für den Betroffenen in der Regel unvermeidbar war (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 26, BAGE  136, 213 ).

39

(3) Die Interessenabwägung führt nicht zu einem Überwiegen der Belange des Klägers. Zwar ist zu seinen Gunsten eine fast dreizehnjährige Dauer der Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Gleichwohl geht das Beendigungsinteresse der Beklagten vor. Im Jahr 2008 befand sich der Kläger schon einmal für die Dauer von vier Wochen in Untersuchungshaft. Seinen neuerlichen, aller Voraussicht nach langdauernden Ausfall hat der Kläger selbst verschuldet. Dabei wiegt besonders schwer, dass er während einer laufenden Bewährungsphase erneut straffällig geworden ist. Im Rahmen der Interessenabwägung erhebliche, ihn entlastende besondere Umstände hat der Kläger nicht vorgetragen. Von der Beklagten kann deshalb nicht verlangt werden, das Arbeitsverhältnis mit ihm fortzusetzen.

40

2. Andere Gründe, aus denen die Kündigung vom 15. Oktober 2010 unwirksam sein könnte, sind nicht ersichtlich. Den Betriebsrat hat die Beklagte ordnungsgemäß nach § 102 Abs. 1 BetrVG angehört.

41

III. Die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

        

        

    Beckerle    

        

    Torsten Falke    

                 

Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Er muss sich jedoch den Betrag anrechnen lassen, welcher ihm für die Zeit der Verhinderung aus einer auf Grund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Kranken- oder Unfallversicherung zukommt.

*

(1) Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist.

(2) Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat.

(3) Der Schuldner kann die Leistung ferner verweigern, wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann.

(4) Die Rechte des Gläubigers bestimmen sich nach den §§ 280, 283 bis 285, 311a und 326.

(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

(2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

(1) Die Personalvertretungen sind in angemessenen Zeitabständen neu zu wählen.

(2) Die Personalvertretungen können wegen grober Vernachlässigung ihrer gesetzlichen Befugnisse oder wegen grober Verletzung ihrer gesetzlichen Pflichten durch gerichtliche Entscheidung aufgelöst werden. Das gleiche gilt für den Ausschluß einzelner Mitglieder.

(1) Der Personalrat wirkt bei der ordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber mit. § 77 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend. Der Personalrat kann gegen die Kündigung Einwendungen erheben, wenn nach seiner Ansicht

1.
bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt worden sind,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie im Sinne des § 76 Abs. 2 Nr. 8 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweiges an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebietes weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt.
Wird dem Arbeitnehmer gekündigt, obwohl der Personalrat nach Satz 3 Einwendungen gegen die Kündigung erhoben hat, so ist dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Personalrates zuzuleiten, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung nach § 72 Abs. 4 Satz 2 die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.

(2) Hat der Arbeitnehmer im Falle des Absatzes 1 Satz 4 nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muß der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Arbeitsgericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Personalrates offensichtlich unbegründet war.

(3) Vor fristlosen Entlassungen und außerordentlichen Kündigungen ist der Personalrat anzuhören. Der Dienststellenleiter hat die beabsichtigte Maßnahme zu begründen. Hat der Personalrat Bedenken, so hat er sie unter Angabe der Gründe dem Dienststellenleiter unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Arbeitstagen schriftlich mitzuteilen.

(4) Eine Kündigung ist unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.