Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 30. Okt. 2017 - 3 Sa 323/17

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2017:1030.3Sa323.17.00
30.10.2017

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 04.05.2017, Az.: 3 Ca 1627/16, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung sein Ende gefunden hat, oder aber nicht, sowie darüber, ob der Kläger seine tatsächliche Weiterbeschäftigung zu den arbeitsvertraglichen Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens verlangen kann und schließlich darüber, ob ihm noch Zahlungsansprüche gegenüber der Beklagten zustehen.

2

Die Beklagte betreibt ein Institut für Geschmacksforschung, Lebensmittel- und Umweltanalytik. Sie beschäftigt in ihrem Betrieb regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

3

Der Kläger ist 49 Jahre alt und ledig. Er ist staatlich geprüfter und promovierter Lebensmittelchemiker. Seit dem 01.07.2010 ist er bei der Beklagten gegen ein durchschnittliches monatliches Bruttogehalt von 4.510,00 EUR beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt ein schriftlich abgeschlossener Arbeitsvertrag vom 14./16.06.2010 zugrunde, hinsichtlich dessen weiteren Inhalts auf Blatt 5 ff. d. A. Bezug genommen wird. Zuletzt war der Kläger als Laborleiter für instrumentelle Analytik eingesetzt und hatte die persönliche und fachliche Verantwortung für 4 Mitarbeiter. Daneben nahm er selbst unterschiedliche Analysen vor. Die instrumentelle Analytik befasst sich mit der chemischen Untersuchung von Lebensmitteln, Bedarfsgegenständen, Kosmetika und Abwasserproben und deren Auswertung.

4

Mit Schreiben vom 21.10.2016 hat die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.12.2016 gekündigt; hinsichtlich des Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Blatt 7 d. A. Bezug genommen.

5

Der Kläger hat die soziale Rechtfertigung der Kündigung in Abrede gestellt und die von der Beklagten durchgeführte Sozialauswahl gerügt, insbesondere im Verhältnis zu dem Laborleiter des Labors Umweltchemie, Herrn M.

6

Nach Säumnis der Beklagten im Kammertermin vom 02.02.2017 ist auf Antrag des Klägers Versäumnisurteil mit folgendem Tenor - 3 Ca 1627/16 - ergangen:

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1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 21. Oktober 2016 nicht aufgelöst worden ist.

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2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

9

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 13.530,-- Euro festgesetzt.

10

Gegen das ihr am 16.02.2017 zugestellt Versäumnisurteil hat die Beklagte am 20.02.2017 Einspruch eingelegt.

11

Der Kläger hat beantragt,

12

1. das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 02.02.2017 aufrecht zu erhalten.

13

Klageerweiternd hat der Kläger im erstinstanzlichen Rechtszug beantragt,

14

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu den Bedingungen des Arbeitsvertrags vom 16.06.2010 vorläufig weiter zu beschäftigen.

15

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Januar 2017 Vergütung in Höhe von 4.510,00 € brutto zu zahlen, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2017.

16

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Februar 2017 Vergütung in Höhe von 4.510,00 € brutto zu zahlen, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2017.

17

5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den März 2017 Vergütung in Höhe von 4.510,00 € brutto zu zahlen, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2017.

18

6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den April 2017 Vergütung in Höhe von 4.510,00 € brutto zu zahlen, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2017.

19

Die Beklagte hat beantragt,

20

unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 02.02.2017 - 3 Ca 1627/16 - die Klage insgesamt abzuweisen.

21

Zur Begründung des Einspruchs hat die Beklagte vorgetragen,

22

Schwerpunkt der Tätigkeit des Klägers seien mit einem Anteil von ca. 60 % der Arbeit Pestiziduntersuchungen an zwei Analysegeräten gewesen. Für diese sei die Akkreditierung zum 31.12.2016 abgelaufen. Trotz entsprechender Anweisung habe sich der Kläger nicht um eine Ersatzbeschaffung eines Gaschromatographen gekümmert. Im Hinblick darauf sowie die hohen Anschaffungskosten für einen Liquidchromatographen habe die Geschäftsleitung am 05.10.2016 entschieden, keinen Ersatz zu beschaffen und die an sie gerichteten Aufträge für Pestiziduntersuchungen zukünftig nur noch extern zu vergeben. Sie habe dies mit dem Gesellschafter der Beklagten am 05.10.2016 telefonisch erörtert. Mit der Entscheidung gegen Neuanschaffungen der benötigten Geräte habe sie sich dazu entschlossen, die Abteilung instrumentelle Analytik insgesamt zu schließen. Dazu habe am 07.10.2016 eine Besprechung der Führungsebene bei der Beklagten stattgefunden mit dem Geschäftsführer Herrn K., Herrn Dr. W. und Herrn S.. Der Entschluss des Geschäftsführers und des Gesellschafters, keine neuen Geräte anzuschaffen und die sich daraus ergebenden organisatorischen und personellen Konsequenzen seien besprochen worden. Dazu habe auch die betriebsbedingte Kündigung und eine Erörterung der Umstrukturierung der Betriebsorganisation gehört. Die dem Kläger unterstellten Mitarbeiter (W., N., B und Na.) sollten ab dem 01.01.2017 bezüglich der Personalverantwortung der Abteilung Nasschemie zugeteilt werden.

23

Im Rahmen der vorzunehmenden Sozialauswahl sei der Kläger nicht mit einfachen Chemielaboranten vergleichbar, sondern lediglich mit den beiden anderen Laborleitern der chemischen Labore. Dabei sei jedoch der Laborleiter der Abteilung Umweltanalytik, Herr M. auszunehmen. Dessen Tätigkeit bestehe im Wesentlichen aus einer Außendiensttätigkeit, nämlich dem direkten Kontakt mit Kunden, dem Ziehen von Wasserproben und deren chemische Untersuchung und Auswertung im Hinblick auf Schadstoffe im Labor. Es treffe zwar zu, dass der Kläger als Krankheitsvertretung vom 01.07.2010 bis zum 31.12.2011 den Laborleiter des Bereichs Umweltanalytik aufgrund längerfristiger Erkrankung vertreten habe. Er habe allerdings in diesem Zeitraum keine Prüfberichte und Gutachten im Bereich der Umweltanalytik und speziell von Abwasser erstellt, da ihm dafür die fachliche Kompetenz fehle. Andere Mitarbeiter der Abteilung hätten die entsprechenden Prüfberichte in diesem Zeitraum verfasst. Der Kläger habe also insoweit nur einen Teilbereich der Laborleitung tatsächlich übernommen. Für die Wahrnehmung der weiteren Aufgaben sei eine Spezialisierung im Bereich der Umweltchemie erforderlich, an der es beim Kläger aber fehle. Eine solche Spezialisierung weise demgegenüber Herr M. auf, der Umweltchemie studiert habe und vor Beginn der Tätigkeit bei der Beklagten mehrere Jahre in diesem Bereich tätig gewesen sei.

24

Die Sozialdaten des Laborleiters Herrn M. seien: Eintrittsdatum 04.08.2014, Wochenarbeitszeit 40 Stunden, Alter 31 Jahre, nicht verheiratet und keine Kinder. Des Weiteren sei unstreitig mit dem Kläger vergleichbar, weil austauschbar, der Laborleiter R. mit dem Eintrittsdatum 11.12.2006, Wochenarbeitszeit 40 Stunden, Alter 39 Jahre, verheiratet, keine Kinder. Letzterer habe im Vergleich zum Kläger die besseren Sozialdaten, da er bereits wesentlich länger dem Betrieb angehöre und verheiratet sei. Er sei folglich in höherem Maße sozial Schutzbedürftig. Sie, die Beklagte, habe dabei insbesondere die längere Betriebszugehörigkeit des Herrn R. und seinen Familienstand mit bestehendem Kinderwunsch für ausschlaggebend gegenüber dem etwas höheren Alter des Klägers erachtet.

25

Der Kläger hat sich dazu wie folgt eingelassen:

26

auf die Pestizidanalytik entfielen im Jahr 2012 lediglich 30 %, im Jahr 2016 nur 27 % der Gesamttätigkeit. Neben der Pestizidanalytik übe er weitere Tätigkeiten nach Ziffer 4.2.10 der Akkreditierungsurkunde aus; insoweit wird wegen der Einzelheiten auf Seite 3, 4 des Schriftsatzes des Klägers vom 23.01.2017 (Blatt 53, 54 d. A.) Bezug genommen, die keineswegs entfallen seien. Des Weiteren sei auch die Expertise für HPLC (Hochleistungsflüssigkeitschromatographie) allein der Laborleitung für instrumentelle Analytik vorbehalten. Daran sei auch die Akkreditierung geknüpft.

27

Der Kläger sei am 20. bis 22.02.2017 im Betrieb der Beklagten anwesend gewesen und habe bei dieser Gelegenheit festgestellt, dass auch noch sechs Wochen nach Ablauf der Kündigungsfrist das Labor für instrumentelle Analytik unverändert sei. Der Beschäftigungsbedarf für ihn, den Kläger, könne also gar nicht entfallen sein. Die Methode zur Messung von 3MCPD bedürfe nach ergebnislosen Versuchen einer Umsetzung an einem anderen Gerät. Viele der im Einzelnen aufgeführten und der Akkreditierung entsprechenden Tätigkeiten seien zudem keine einfachen Routineuntersuchungen, die von Chemielaboranten durchgeführt werden könnten. Die Anleitung der Chemielaboranten und die Zusammenarbeit mit diesen sei bei sehr vielen Methoden der Abteilung für instrumentelle Analytik erforderlich gewesen. Die Methoden dürften als Routinemethoden gelten, sofern Proben geliefert würden, die in störungsfreier Weise analysiert werden könnten. Die Praxis habe jedoch gezeigt, dass Aufträge bestanden hätten, deren Proben nicht routinemäßig abgearbeitet hätten werden können, sondern Uneindeutigkeiten zur Folge gehabt hätten, die folglich die gemeinsame Aufmerksamkeit des Personals der Abteilung für instrumentelle Analytik erfordert hätten (sogenanntes troubleshooting). Die Leitungstätigkeit habe neben der Umsetzung der in der Laborleiterbesprechung aufgetragenen auch die Aufrechterhaltung bestehender Tätigkeiten umfasst. Zudem erfordere die Umsetzung neuaufgetragener Tätigkeiten in der Regel mehr als nur eine kurze Besprechung; dies sei Gegenstand stetiger Zusammenarbeit, bis ein Ergebnis eines Auftrages valide sei.

28

Im Hinblick auf die Sozialauswahl gegenüber dem Mitarbeiter Herrn M. sei zu berücksichtigen, dass die langfristige Laborleitervertretung Umweltanalytik entgegen der Darstellung der Beklagten eine Vollvertretung gewesen sei. Er, der Kläger, verfüge auch über Kenntnisse in der Umweltchemie, er habe sich solche in den Jahren 2010 und 2011 sowie danach aneignen können. Dazu gehöre auch die Abwasseranalytik nebst Kenntnissen im Abwasserrecht, soweit sich diese auf die Beurteilung nach Grenzwerten bezögen. Es sei allerdings zutreffend, dass im Rahmen der Vertretung des Laborleiters Umweltanalytik die Prüfberichte anschließend von Herrn K. (Geschäftsführer der Beklagten) finalisiert worden seien. Dieser sei von Beruf Lebensmittelchemiker und habe folglich die gleiche Ausbildung wie der Kläger, verfüge also ebenso nicht über die Qualifikationen des Herrn M., die die Beklagte gleichwohl als wesentlich zur Ausübung der Position "Leiter Umweltanalytik" erachte. Die Herausnahme des Herrn M. aus der Sozialauswahl als Leistungsträger sei zu bestreiten; zumindest im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung seien die Interessen des Klägers aufgrund seiner wesentlich besseren Sozialdaten (vier Jahre längere Betriebszugehörigkeit, 18 Jahre Altersunterschied) gegenüber dem Interesse der Beklagten an der Herausnahme des Herrn M. aus der Sozialauswahl deutlich höher zu gewichten.

29

Demgegenüber hat die Beklagte vorgetragen, am 31.01.2017 sei die unternehmerische Entscheidung bereits umgesetzt worden. Am 02.01.2017 habe eine Mitarbeiterbesprechung stattgefunden, in der die Änderungen bekannt gegeben worden seien. Die vom Kläger vorgenommenen Pestiziduntersuchungen seien auch mittlerweile nicht mehr akkreditiert. Insoweit sei auf eine neue Anlage zur Akkreditierungsurkunde Bezug zu nehmen, hinsichtlich deren Inhalts auf Blatt 92 f d. A. Bezug genommen wird.

30

Es treffe des Weiteren zwar zu, dass die vom Kläger schriftsätzlich vorgetragenen weiteren aufgeführten Analysetätigkeiten durchgeführt würden; es handele sich aber um Arbeiten, die jeder Chemielaborant erledigen könne und zukünftig auch erledigen werde. Der Kläger sei dafür vertretungsweise auch zuständig gewesen und habe zwar die Chemielaboranten mit Rat und Tat bei diesen Analysen unterstützt. Es habe sich aber nicht um die spezifischen Aufgaben des Klägers gehandelt. Die Beklagte verweist insoweit auf eine Auswertung der Analysetätigkeiten des Klägers im Gesamtjahr 2016 (vgl. Blatt 140 d. A.). Danach werde zunächst die Zahl der jeweiligen Analysen monatsweise angegeben, und sodann die Gesamtanzahl aufgeführt. Des Weiteren werde, nach nicht näher erläutertem Schlüssel, eine zeitliche Gewichtung vorgenommen, die danach erfolge, welche Pauschalen gegenüber Kunden für die jeweiligen Analysen abgerechnet werden könnten, denn die Pauschalen seien jeweils nach Aufwand kalkuliert. Grün unterlegt seien im Schaubild die Pestiziduntersuchungen, die zukünftig wegfallen sollten, blau dagegen diejenigen Untersuchungen, die an namentlich aufgeführte Mitarbeiter übertragen würden. Es ergebe sich daraus, dass der Kläger 2016 54,6 % seiner Arbeitszeit für die Durchführung der Pestiziduntersuchungen verwendet habe. Einschließlich der weiter in Wegfall geratenen Analysen durch Verlust der Akkreditierung und Gerätestilllegung seien dies sogar insgesamt 65,7 %. Mit dunklem gelb unterlegt seien die Analysen Aflatoxine und Ochratoxin A mit einem Gesamtanteil an 9,1 %, die dem Kläger nicht regelmäßig oblegen habe, sondern ihm lediglich aufgrund einer Elternzeitvertretung und eines weiteren Vertretungsfalles übertragen worden seien. Damit werde aber auch deutlich, dass es zum einen dem Kläger zeitlich möglich gewesen sei, für drei Monate Arbeiten zusätzlich zu übernehmen. Des Weiteren, dass zum anderen die Mitarbeiter der Beklagten nicht bis an ihre Kapazitätsgrenze belastet würden. Wie bei überwiegend geistigen Arbeiten völlig normal, sei eine exakte Belastung in zeitlicher Hinsicht durch bestimmte Teilaufgaben gar nicht präzise messbar und es zeige sich erst in der Praxis, inwieweit eine Verdichtung der Arbeit durch Übertragung auf einzelne Arbeitnehmer überhaupt möglich sei. Es verblieben allenfalls 40 % der Analysetätigkeiten des Klägers, die nicht durch den Wegfall der beiden Analysegeräte betroffen seien; insoweit handele es sich um die gelb, orange und rot aufgeführten Analysen aus der Anlage B5. Dabei wirkten sich die orange und rot gekennzeichneten Analysen nicht wesentlich auf den Arbeitsumfang des Klägers aus. Von den gelb unterlegten Analysetätigkeiten seien diejenigen in der vorletzten Spalte blau gekennzeichnet, die auf andere Mitarbeiter verteilt werden müssten. Insoweit handele es sich um einen Gesamtumfang von 22,8 %.

31

Die Leitungstätigkeit des Klägers habe im Wesentlichen in der wöchentlich stattfindenden Laborleiterbesprechung von ca. einer Stunde bestanden. Bei Bedarf seien die insoweit besprochenen Dinge, die durch die Mitarbeiter und Untergebenen des Klägers umgesetzt werden sollten, dann zwischen dem Kläger und dem jeweiligen Mitarbeiter kurz besprochen worden. In zeitlicher Hinsicht seien solche Tätigkeiten nicht messbar, da sie auch in Zeiten erfolgen könnten, während derer gerade eine Analyse laufe. Ein wirklicher Mehraufwand sei insoweit nicht entstanden bzw. die Leitungstätigkeit habe auf die drei vorhandenen Laborleiter verdichtet werden können, ohne dass ein merklicher Mehraufwand entstanden sei. Insgesamt komme insoweit allenfalls eine Arbeitszeit von ca. zwei bis drei Stunden wöchentlich in Betracht, die auf die Leitungstätigkeit entfalle.

32

Die unternehmerische Entscheidung sei also bereits seit Januar umgesetzt worden. Richtig sei allerdings auch, dass ausprobiert worden sei, ob noch Messungen einer Methode, nämlich von 3MCPD an anderen zugelassenen Analysegeräten erfolgen könne, was jedoch gescheitert sei. Dies habe freilich mit der Umsetzung der hier streitgegenständlichen Maßnahme nichts zu tun. Aufträge, die nicht routinemäßig abgearbeitet werden könnten, sondern einen höheren Analyseaufwand erforderten, würden zukünftig nicht mehr angenommen. Eine entsprechende Arbeitsanweisung, solche Aufträge nicht mehr anzunehmen, sei bereits am 17.10.2016 in der Mitarbeiterversammlung erfolgt (vgl. Blatt 184 d. A.).

33

Im Hinblick auf die Sozialauswahl sei zu berücksichtigen, dass mit Herrn M. keine alsbaldige Austauschbarkeit bestehe, denn dieser sei Diplomchemiker aus dem Bereich Umweltchemie und habe ein Prüfzeugnis für die Lehrveranstaltungen "Allgemeine Toxikologie" sowie "Spezielle Rechtsgebiete für Chemiker und andere Naturwissenschaftler"; bescheinigt sei die Teilnahme an Vorlesungen in der Gewässerforschung und Monitoring. Folglich könne Herr M. als Leistungsträger von der Sozialauswahl ausgenommen werden. Er habe auch ein besonderes Geschick im Umgang mit Kunden, anders als der Kläger, was gerade für den Bereich der Umweltanalytik besonders wichtig sei. Denn die Umweltanalytik bestehe zu einem Großteil der Tätigkeit in der Kundenkontaktpflege. Herr M. sei für das Unternehmen insoweit von eminenter Wichtigkeit. Durch seine kommunikative Art habe er z. B. einen Großauftrag des Kunden t. beschaffen können, mit dem allein im Kalenderjahr 2016 ein Umsatz von 257.000,00 EUR erzielt worden sei. Dank Herrn M. habe sich die Umweltanalytik zu einem wichtigen und lukrativen Geschäftsfeld der Beklagten entwickelt, was an den Umsatzzahlen ablesbar sei. Bei den Prüfberichten und Gutachtertätigkeiten im Bereich der Umweltanalytik, die der Kläger in der Zeit der Vertretung nicht selbst gemacht habe, handele es sich um ein wesentliches Aufgabenfeld des Leiters der Umweltanalytik. Der Kläger habe dafür nicht die erforderlichen Kenntnisse und könne sich diese auch nicht durch einen Schnupperkurs im Wasserrecht verschaffen.

34

Das Arbeitsgericht Mainz hat das Versäumnisurteil vom 02.02.2017 - 3 Ca 1627/16 - daraufhin durch Urteil vom 04.05.2017 aufrecht erhalten und die Beklagte des Weiteren verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 16.06.2010 weiter zu beschäftigen, sowie 18.040,00 € brutto nebst Zinsen an den Kläger zu zahlen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Blatt 192 bis 208 d. A. Bezug genommen.

35

Gegen das ihr am 22.06.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 05.07.2017 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 22.08.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

36

Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor,
vorliegend sei die organisatorische Entscheidung des Arbeitgebers nicht deckungsgleich und weise auch keine besondere Nähe zum Kündigungsentschluss auf. Ausgangspunkt sei die aus wirtschaftlichen Gründen erfolgte Entscheidung der Geschäftsleitung vom 05.10.2016, die veralteten Geräte für die Durchführung von Pestiziduntersuchungen aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht mehr durch zwei neue Geräte zu ersetzen. Damit verbunden sei die Entscheidung ergangen, entsprechende Aufträge in Zukunft zwar noch anzunehmen, allerdings extern an ein anderes Labor als Subunternehmer zu vergeben. Damit sei ein Großteil und der Kernbestand der anfallenden Arbeiten des Klägers entfallen. Die lediglich noch verbliebenen 40 % der Arbeiten, die dadurch nicht in Wegfall geraten seien, seien einfache Analysen, für die der Kläger als Akademiker überqualifiziert sei. Damit sei ein Arbeitsmangel eingetreten, der sich nur auf den Arbeitsplatz des Klägers beziehe. Die Entscheidung, die beiden Analysegeräte nicht zu ersetzen, unterliege nicht der Überprüfung durch das Arbeitsgericht.

37

Im Übrigen seien die Tätigkeiten des Klägers nicht taktgebunden. Das sei bei akademischen Tätigkeiten auch höchst ungewöhnlich und vermutlich sogar rechtswidrig. Deshalb könne die Beklagte keine exakten und präzisen Zeitangaben für die Tätigkeiten des Klägers machen, sondern lediglich eine bloße Einschätzung abgeben. Gleiches gelte dann infolge dessen auch für eine exakte Verteilung der verbliebenen Aufgaben auf andere Mitarbeiter. Das gelte für die Tätigkeiten im Zusammenhang mit den ausgeführten Analysen ebenso wie für die Leitungstätigkeit des Klägers als Laborleiter mit vier unterstellten Arbeitnehmern, nämlich drei Chemielaboranten und einem geringfügig Beschäftigten. Die Leitungstätigkeit bestehe nicht nur in der Teilnahme an Laborleitersitzungen, sondern natürlich auch in Form von Mitarbeitergesprächen, soweit erforderlich. Das sei nicht zeitlich quantifizierbar, da genügend Zeit nach dem Starten einer Analyse bestehe, um solche Gespräche zwischendurch zu führen. Auch bestünden erhebliche Schwierigkeiten, jeweilige Anteile der Arbeiten des Klägers in Form der Vornahme von Pestiziduntersuchungen, in Form von Leitungstätigkeiten und in Form von anderweitigen Tätigkeiten exakt und präzise in zeitlicher Hinsicht darzulegen. Festzuhalten sei, dass der Kernbereich der Tätigkeit des Klägers, für die er eingestellt worden sei, in Wegfall geraten sei. Die von ihm auch noch wahrgenommenen unterwertigen Tätigkeiten, für die er gar nicht eingestellt worden sei, würden künftig wieder von den vorhandenen, namentlich benannten Chemielaboranten durchgeführt werden und auch werden können. Diese hätten entsprechende Kapazitäten - natürlich - frei und insoweit müsse keine neue Stelle geschaffen werden. Eine überobligatorische Belastung der anderen Mitarbeiter sei nicht gegeben. Im Übrigen habe sich die zum Zeitpunkt des Kündigungsentschlusses getroffene Prognose insoweit in allen Punkten als zutreffend erwiesen. Die Arbeitskraft des Klägers werde nach Abschaffung der beiden Analysegeräte nicht mehr benötigt. Insgesamt bestehe nunmehr bei der Beklagten schlicht überhaupt kein Bedarf mehr für qualifizierte Arbeiten, die dem Ausbildungsstand und der akademischen Vorbildung und auch der Tätigkeitsbeschreibung des Klägers entsprochen hätten. Soweit sie, die Beklagte, in 2017 noch die Methode 3MCPD ausprobiert habe, sei zu berücksichtigen, dass es sich nicht um eine Pestiziduntersuchung handele, die zudem nur 6 % der ehemaligen Tätigkeit des Klägers ausmache. Dieser Versuch sei zudem gescheitert, so dass diese Untersuchungen auch betriebsintern nicht mehr durchgeführt würden, also tatsächlich so, wie dies im Zeitpunkt der Kündigung entschieden gewesen sei. Zur Vertretungstätigkeit des Klägers sei nichts weiter auszuführen, weil dies nicht zu den regelmäßig von ihm übernommenen Tätigkeiten gehört habe. In einem kleinen Betrieb wie bei der Beklagten gebe es kein Vertretungspersonal, das ständig vorgehalten werde. Es müsse notgedrungen von Fall zu Fall entschieden werde, wie Ausfälle bestimmter Arbeitnehmer aufgefangen würden.

38

Zur weiteren Darstellung des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 22.08.2017 (Blatt 223 bis 235 d. A.) Bezug genommen.

39

Die Beklagte beantragt,

40

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 04.05.2017, Az. 3 Ca 1627/16 wird die Klage abgewiesen.

41

Der Kläger beantragt,

42

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

43

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, die Darstellung der Beklagten, die Arbeitsanweisung erteilt zu haben, künftig Routineanalysen im Bereich Pestizidanalytik nur nach vorheriger Absprache mit dem Laborleiter durchführen zu lassen, stehe im deutlichen Widerspruch zu der Behauptung, dass die Tätigkeiten gänzlich entfallen seien. Auch werde nicht schlüssig dargestellt, inwieweit in diesem Bereich der Beschäftigungsbedarf für den Kläger entfallen sei. Insoweit gelinge nicht einmal die Darstellung, zu welchem zeitlichen Anteil der Kläger die Tätigkeiten in der Pestizidanalytik überhaupt ausgeübt habe. Nach ihrem ursprünglichen Vorbringen seien es 60 % der Gesamttätigkeit gewesen, wohin gegen sie sich zuletzt plötzlich auf 77,2 % korrigiere. Auch gelinge es der Beklagten nicht, den zeitlichen Anteil der noch verbleibenden Tätigkeiten schlüssig darzustellen. Dass der Kläger für die Tätigkeiten außerhalb der Pestizidanalytik überqualifiziert gewesen sei, treffe nicht zu. Es handelt sich keineswegs um einfache Routinetätigkeiten. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger ausdrücklich nach Maßgabe seines Arbeitsvertrages als Lebensmittelchemiker mit Versetzungsvorbehalt beschäftigt werde. Des Weiteren sei die behauptete Umorganisation nicht substantiiert dargelegt worden. Die Beklagte führe vollkommen pauschal aus, dass die restlichen Mitarbeiter nach Kapazitäten frei gehabt hätten und eine Verdichtung der Arbeiten problemlos möglich gewesen sei. An keiner Stelle ergehe die Beklagte bezüglich dieser Mitarbeiter auf den Umfang der vertraglichen Bindung, die bisher berichteten Tätigkeiten und den zukünftigen zeitlichen Anteil der vom Kläger übernommenen Tätigkeiten ein. Nichts anderes gelte letztlich für den Wegfall der Leitungstätigkeiten, soweit von der Beklagten behauptet. Nachdem der zeitliche Umfang dieser Tätigkeiten zunächst mit einer Stunde pro Woche angegeben worden sei, behauptet die Beklagte sodann zwei bis drei Stunden. Auch insoweit sei das Vorbringen der Beklagten nicht substantiiert und nicht nachvollziehbar.

44

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 27.09.2017 (Bl. 244 - 246 d. A.) Bezug genommen.

45

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

46

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 30.10.2017.

Entscheidungsgründe

I.

47

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

48

Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

49

Denn das Arbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche ordentliche betriebsbedingte Kündigung rechtsunwirksam, weil sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 KSchG), so dass der Kläger folglich die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Kündigungsschutzverfahrens zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 16.06.2010 und die Verurteilung der Beklagten, an ihn 18.040,00 € brutto nebst Zinsen zu zahlen verlangen kann.

50

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die soziale Rechtfertigung einer ordentlichen betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung (§ 1 KSchG) sind vorliegend nicht erfüllt.

51

Eine arbeitgeberseitige, ordentliche Kündigung kann nach Maßgabe des § 1 Abs. 2 KSchG nur dann das Arbeitsverhältnis rechtswirksam beenden, wenn sie sozial gerechtfertigt ist, sei es aufgrund des Verhaltens oder der Person des Arbeitnehmers, sei es aufgrund dringender betriebsbedingter Gründe.

52

Betriebliche Erfordernisse liegen dann vor, wenn Umstände aus dem wirtschaftlichen oder betriebstechnischen Bereich dazu führen, dass die betriebliche Arbeitsmenge so zurückgeht, dass der Beschäftigungsbedarf für einen oder mehrere Arbeitnehmer entfällt. Erforderlich ist eine konkrete Auswirkung auf die Einsatzmöglichkeit des gekündigten Arbeitnehmers. Es fehlt an einem betrieblichen Erfordernis zur wirksamen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses i. S. d. § 1 Abs. 2 KSchG, wenn außer- oder innerbetriebliche Umstände nicht zu einer dauerhaften Reduzierung des betrieblichen Arbeitskräftebedarfs führen (BAG 23.02.2012 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 166 = NZA 2012, 852; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, DLW/Dörner, Handbuch des Arbeitsrechts, 14. Aufl. 2018, Kap. 4 Rdnr. 2411 ff.).

53

Es muss also zumindest ein Arbeitsplatz weggefallen sein, wobei dies nicht in der Weise zu verstehen ist, dass es sich dabei gerade um den konkret fixierten Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers handeln muss (BAG 30.05.1985 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 36).

54

Vielmehr ist nach Maßgabe der sozialen Auswahl ggf. einem Arbeitnehmer zu kündigen, dessen Arbeitsplatz noch vorhanden ist, wenn nur die Anzahl der vergleichbaren Arbeitsplatze insgesamt zurückgegangen ist mit der Folge, das die Zahl der benötigten Arbeitsplätze aufgrund der Entwicklung der Arbeitsmenge kleiner ist als die Zahl der auf diesen Arbeitsplätzen bislang beschäftigten Arbeitnehmer. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die soziale Rechtfertigung der Kündigung ist grds. der Zeitpunkt des Kündigungszugangs. Grundsätzlich muss dann der Kündigungsgrund - Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit - vorliegen (LAG Düsseld. 16.11.2005 - 12 Sa 1150/05, EzA-SD 1/06 S. 8 LS; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht 13. Aufl. 2016, Kap. 4 Rn. 2523 ff.).

55

Das Merkmal der Dringlichkeit wird dadurch charakterisiert, dass eine Weiterbeschäftigung der nunmehr überzähligen Arbeitnehmer nicht, insbes. nicht unter bestimmten organisatorischen Voraussetzungen möglich ist. Die Kündigung muss in Anbetracht der betrieblichen Situation unvermeidbar sein. Der Betrieb muss sich in einer Zwangslage befinden, die nur durch eine Kündigung, nicht aber durch andere Maßnahmen beseitigt werden kann (APS/Kiel § 1 KSchG Rn. 561 ff.).

56

Diese betrieblichen Erfordernisse müssen dringend sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebes unvermeidbar machen (LAG RhPf 10.05.1988 NZA 1989, 273). Es fehlt an einem betrieblichen Erfordernis zur wirksamen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses i. S. d. § 1 Abs. 2 KSchG, wenn außer- oder innerbetriebliche Umstände nicht zu einer dauerhaften Reduzierung des betrieblichen Arbeitskräftebedarfs führen. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen näher darzulegen, aus denen sich ergeben soll, dass zukünftig auf Dauer mit einem reduzierten Arbeitsvolumen und Beschäftigungsbedarf zu rechnen ist; das Vorliegen von möglicherweise nur kurzfristigen Produktions- oder Auftragsschwankungen muss ausgeschlossen sein. Der Arbeitgeber hat den dauerhaften Rückgang des Arbeitsvolumens nachvollziehbar darzustellen, in dem er die einschlägigen Daten aus repräsentativen Referenzperioden miteinander vergleicht (BAG 23.02.2012 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 166 = NZA 2012, 852; s. Hunold NZA-RR 2013, 57 ff.: Schrader/Siebert NZA-RR 2013, 113 ff.). Die organisatorischen Maßnahmen, die der Arbeitgeber trifft, um seinen Betrieb dem Umsatzrückgang oder der verschlechterten Ertragslage anzupassen (wozu weder der Ausspruch der Kündigung selbst [BAG 20.02.1986 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 37] gehören), sind vom Arbeitsgericht nicht auf ihre Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit, sondern nur daraufhin zu überprüfen, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind (BAG 30.04.1987 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 47; 13.03.2008 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 159; LAG BW 12.08.2004 - 22 Sa 99/03 EzA-SD 1/05, S. 7 LS; LAG Bln.-Bra. 01.03.2007 - 2 Sa 18/07, EzA-SD 19/2007 S. 5; Schrader/Schubert NZA-RR 2004, 393 ff.; Kaiser NZA 2005, Beil. 1/2005 zu Heft 10, S. 31 ff.). Für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht die Vermutung, dass sie aus sachlichen Gründen erfolgt ist und nicht auf Rechtsmissbrauch beruht (BAG 23.04.2008 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 160; 27.01.2011 - 2 AZR 9/10, EzA-SD 13/2011 S. 8 LS; s. Hunold NZA-RR 2013, 57 ff.; Schrader/Siebert NZA-RR 2013, 113 ff.).

57

So erfüllen offensichtlich unsachliche oder willkürliche Rationalisierungsmaßnahmen den Tatbestand der unzulässigen Rechtsausübung des betrieblichen Gestaltungsrechts durch den Arbeitgeber. Es ist missbräuchlich, in diesem Sinne, einen Arbeitnehmer durch die Bildung separater betrieblicher Organisationsstrukturen bei unverändertem Beschäftigungsbedarf aus dem Betrieb zu drängen, indem die tatsächlichen Arbeitsabläufe und die hierarchischen Weisungswege als solche unangetastet gelassen und nur, gewissermaßen pro forma, in allein zu diesem Zweck erdachte rechtliche Gefüge eingepasst werden (BAG 23.04.2008 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 160 = NZA 2008, 939).

58

Läuft die unternehmerische Entscheidung also letztlich nur auf den Abbau einer Hierarchieebene oder die Streichung eines einzelnen Arbeitsplatzes hinaus, verbunden mit einer Umverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, so sind gesteigerte Anforderungen an die Darlegungslast zu stellen (BAG 10.10.2002 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 122; 13.02.2008 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 158; 16.12.2010 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 24.05.2012 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 167 = NZA 2012, 1223; s. Hunold NZA-RR 2013, 57 ff.; Schrader/Siebert NZA-RR 2013, 113 ff.). Der Arbeitgeber muss dann konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen.

59

Er muss- im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast - die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen erledigt werden können. In welcher Weise ein Arbeitgeber darlegt, dass die Umverteilung von Arbeitsaufgaben nicht zu einer überobligatorischen Beanspruchung im Betrieb verbliebener Arbeitnehmer führt, bleibt ihm überlassen. Handelt es sich um nicht taktgebundene Arbeiten, muss nicht in jedem Fall und minutiös dargelegt werden, welche einzelnen Tätigkeiten die fraglichen Mitarbeiter künftig mit welchen Zeitanteilen täglich zu verrichten haben. Es kann - je nach Einlassung des Arbeitnehmers - ausreichend sein, wenn der Arbeitgeber die getroffenen Vereinbarungen zu Umfang und Verteilung der Arbeitszeit darstellt und Anhaltspunkte dafür darlegt, dass Freiräume für die Übernahme zusätzlicher Aufgaben vorhanden sind (BAG 16.12.2010 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 24.05.2012 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 167 = NZA 2012, 1223).

60

Ist die unternehmerische Entscheidung also verbunden mit einer Neuverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, bedarf es - wie beschrieben - der Konkretisierung dieser Entscheidung, damit geprüft werden kann, ob der Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers tatsächlich weggefallen ist und die Entscheidung nicht offensichtlich unsachlich oder willkürlich ist (BAG 13.02.2008 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 158; 10.10.2002 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 122).

61

Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast gilt insgesamt Folgendes:

62

Ist der Rückgang der Beschäftigungsmöglichkeit unmittelbar auf einen organisatorischen Entschluss des Arbeitgebers zurückzuführen (z. B. die ersatzlose Streichung einer Stelle), so muss der Arbeitgeber substantiiert den Inhalt seines Entschlusses, dessen praktische Umsetzung und dessen zahlenmäßige Auswirkungen auf die Beschäftigungsmöglichkeit darlegen (s. Bitter DB 1999, 1214 ff.).

63

Handelt es sich insoweit um eine nur beschränkt überprüfbare Unternehmerentscheidung, so ist der Arbeitgeber nicht an sich verpflichtet, die hierfür maßgeblichen Erwägungen offen zu legen. Andererseits muss der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess konkrete Angaben dazu machen, wie sich die Verringerung bzw. Veränderung der Produktion auf die Arbeitsmenge auswirkt und in welchem Umfang dadurch ein konkreter Arbeitskräfteüberhang entsteht. Zu dem Entscheidungsspielraum des Arbeitgebers gehört dabei die Befugnis, die Zahl der Arbeitskräfte zu bestimmen, mit denen eine Arbeitsaufgabe erledigt werden soll. Der Arbeitgeber kann grds. sowohl das Arbeitsvolumen - die Menge der zu erledigenden Arbeit - als auch das diesem zugeordneten Arbeitskraftvolumen - Arbeitnehmerstunden - und damit auch das Verhältnis dieser beiden Größen zueinander festlegen. Zwar muss nicht ein bestimmter Arbeitsplatz entfallen sein, Voraussetzung ist aber, dass die Organisationsentscheidung ursächlich für den vom Arbeitgeber behaupteten Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Entscheidung sich auf eine nach sachlichen Merkmalen genauer bestimmte Stelle bezieht. Der allgemeine Beschluss, Personalkosten zu senken, erfüllt diese Anforderungen nicht (LAG BW 20.02.2004 AuR 2004, 356 LS).

64

Hingegen hat der Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen, dass die fragliche innerbetriebliche Maßnahme (z. B. eine Rationalisierungsmaßnahme) offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG 09.05.1996 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 85), wobei aber ggf. die Erleichterung des Anscheinsbeweis in Betracht kommt (BAG 24.10.1979 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 13). Denn insoweit spricht für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung die Vermutung, dass sie aus sachlichen Gründen erfolgt ist (BAG 23.04.2008 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 160). Es ist aber andererseits missbräuchlich in diesem Sinne, einen Arbeitnehmer durch die Bildung separater betrieblicher Organisationsstrukturen bei unverändertem Beschäftigungsbedarf aus dem Betrieb zu drängen, indem die tatsächlichen Arbeitsabläufe und die hierarchischen Weisungswege als solche unangetastet gelassen und nur, gewissermaßen pro forma, in allein zu diesem Zweck erdachte rechtliche Gefüge eingepasst werden (BAG 23.04.2008 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 160).

65

Läuft also die unternehmerische Entscheidung dagegen letztlich nur auf den Abbau einer Hierarchieebene hinaus, so sind gesteigerte Anforderungen an die Darlegungslast zu stellen (BAG 13.02.2008 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 158; 24.05.2012 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 167 = NZA 2012, 1223). Ist die unternehmerische Entscheidung verbunden mit einer Neuverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, bedarf es der Konkretisierung dieser Entscheidung, damit geprüft werden kann, ob der Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers tatsächlich weggefallen ist und die Entscheidung nicht offensichtlich unsachlich oder willkürlich ist (BAG 10.10.2002 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 122; 13.02.2008 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 158). Der Arbeitgeber muss insbes. konkret darlegen, in welchem Umfang die bisher von dem Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten zukünftig im Vergleich zum bisherigen Zustand entfallen. Er muss aufgrund seiner unternehmerischen Vorgaben die zukünftige Entwicklung der Arbeitsmenge anhand einer näher konkretisierten Prognose darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligatorische Leistungen erbracht werden können (BAG 13.02.2008 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 158; 24.05.2012 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 167 = NZA 2012, 1223).

66

In Anwendung dieser Grundsätze ist mit dem Arbeitsgericht vorliegend davon auszugehen, dass im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten keine nicht willkürliche, nicht rechtsmissbräuchliche Unternehmerentscheidung gegeben ist, auf die sich die Beklagte zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erfolg berufen kann. Gleiches gilt für etwaige sonstige dringende betriebliche Gründe.

67

Das Arbeitsgericht hat insoweit ausgeführt:

68

"Diesen Anforderungen an den betriebsbedingten Kündigungsgrund wegen prognostisch zu erwartendem geringeren Beschäftigungsbedarfs im Umfang einer Stelle wird das Vorbringen der Beklagten nicht gerecht. Sie hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass zum Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt gewesen wäre, ein in bestimmtem Umfang quantifizierbarer Teil der Arbeitstätigkeit des Klägers werde in Zukunft nicht mehr anfallen, die restlichen Aufgaben würden so auf das dem Kläger bislang nachgeordnete Personal verteilt, dass diese im Rahmen regulärer zeitlicher Verpflichtungen erledigt werden könnten, gleiches gelte für die Verteilung von Leitungstätigkeiten auf andere Laborleiter. Dies führt zur Unwirksamkeit der Kündigung.

69

Dem gesamten Vorbringen der Beklagten im Prozess kann bereits nicht entnommen werden, in welchem zeitlichen Umfang welche Teile der Gesamttätigkeit des Klägers angefallen waren, und wie diese in Zukunft aufgrund der organisatorischen Entscheidung, sei es im Betrieb nicht mehr anfielen, sei es mit bestimmten zeitlichen Inanspruchnahmen auf verbleibende Mitarbeiter verteilt würden, ohne dass diese ausgehend von ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen überobligationsmäßig in Anspruch genommen würden. Wie das Bundesarbeitsgericht in der bereits zitierten Entscheidung vom 20.02.2014 weiter ausgeführt hat, hätte die Beklagte hierzu aufzeigen müssen, wie sich der Arbeitsanfall für die betreffenden Mitarbeiter konkret gestaltete. Sie hätte die Umstände darstellen müssen, aufgrund derer sie bei Ausspruch der Kündigung davon ausgehen konnte, die fraglichen Arbeitnehmer seien innerhalb ihrer regulären Arbeitszeit in der Lage, zusätzliche, bisher vom Kläger verrichtete Arbeiten zu erledigen (aaO, RZ 26). Das Bundesarbeitsgericht führt zu dem dortigen Verfahren weiter aus "Sie hat sich stattdessen auf die Behauptung beschränkt, ihre Entscheidung nach dem Ausscheiden der Klägers umgesetzt zu haben, ohne dass sie zusätzliche Stellen habe schaffen müssen. Dies besagt nichts über die Berechtigung einer entsprechenden Prognose im Kündigungszeitpunkt. Im Übrigen ist das Ausbleiben neuer Stellen kein Beleg dafür, dass die Beschäftigten, die ihn übertragenden zusätzlichen Aufgaben innerhalb ihrer regulären Arbeitszeit ausführen konnten. Dies lässt sich vielmehr nur auf der Grundlage substantiierter Ausführungen zu ihren Arbeitszeiten beurteilen" (BAG, aaO). Auch hier schließt sich die erkennende Kammer an. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass weder die Argumentation der Beklagten tragen kann, sie habe die Maßnahme zum Jahresanfang 2017 umgesetzt ohne nennenswerte Mehrarbeit bei den namentlich benannten Mitarbeitern, noch die Datengrundlage nach Abschluss des Jahres 2016, mehrere Monate nach Ausspruch der Kündigung, heranzuziehen ist.

70

Auch die hiesige Beklagte hat es unterlassen, eine Analyse der Gesamttätigkeiten des Klägers wie auch der zeitlichen Inanspruchnahme durch Einzelteile der Tätigkeit vor Ausspruch der Kündigung vorzunehmen, die eine vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose ermöglicht hätte, dass und in welchem Umfang durch den Wegfall betrieblich nicht mehr ausgeführter Analysen bzw. dass und in welchem Umfang durch Übertragung von Tätigkeiten auf andere Arbeitnehmer ohne überobligationsmäßige Beanspruchung der Beschäftigungsbedarf insgesamt entfallen werde. Eine Betrachtung, dass prognostisch ein die Entlassung erforderlich machender betrieblicher Grund mit Ablauf der Kündigungsfrist vorliegen werde, ist weder zeitlich zutreffend aus Sicht bei Ausspruch der Kündigung im Oktober 2016 noch vollständig vorgenommen worden. Die Auswertung der Analysetätigkeiten des Klägers ist vielmehr im Nachhinein und das Gesamtjahr 2016 betrachtend erfolgt. Sie ist auch nicht hinreichend für die Gesamttätigkeit des Klägers, der neben Analysetätigkeiten auch Personalführungsfunktionen hatte und die Abteilung zu leiten hatte. Die durch diesen Teil der Tätigkeiten gebundene Arbeitszeit hat die Beklagte widersprüchlich im Schriftsatz vom 20.02.2017 quantifiziert mit einer Stunde wöchentlich aufgrund von Laborleitersitzungen zuzüglich nicht messbaren weiteren Führungstätigkeiten, demgegenüber im Kammertermin mit zwei bis drei Stunden wöchentlich. Die Leitungstätigkeit ist im Schaubild Anlage B5 zum Schriftsatz vom 20.02.2017, Blatt 140 d. A. nicht enthalten, obwohl diese in der Spalte "Arbeitszeit A. %" mit 100 % endet. Zur quantitativen Aufschlüsselung der wegfallenden und übertragenden Analysen übernimmt die Beklagte die Prozentsätze aus der Aufstellung der Analysetätigkeit in ihren Schriftsatz und trägt vor, es handele sich um den entsprechenden Prozentsatz von der Gesamtarbeitszeit, obwohl das Schaubild ausweist, dass es lediglich der Prozentsatz im Verhältnis zu 100 % der Analysetätigkeit des Klägers ist. Die Quantifizierungsangaben sind damit insgesamt nicht verwertbar. Hinzu kommt, dass hinsichtlich einer Vielzahl von Analysetätigkeiten die Beklagte die zukünftige Gestaltung weder schriftsätzlich noch mit dem Schaubild darlegt. Blau und grün unterlegt ist nur ein Teil der die Arbeitszeit A. ausmachenden Tätigkeiten (gemeint Analysetätigkeit). Hinsichtlich der dunkelgelb unterlegten Vertretungstätigkeit trägt die Beklagte bereits nicht vor, aufgrund welcher Erwartung sie davon ausgehen kann, dass keinerlei Vertretungstätigkeit in Zukunft mehr anfallen werde, oder welche organisatorische Maßnahme sie zum Abfangen von solchen Ausfällen wie in der Vergangenheit getroffen habe oder treffen werde. Ein großer weiterer Teil der Tätigkeiten, die in der Spalte "Gesamtergebnis" mit den Farben gelb, orange und rot unterlegt waren, und als nicht wegfallend gekennzeichnet wurden, wird in dieser Spalte, die überschrieben ist mit "Arbeitszeit A. %", überhaupt nicht farblich unterlegt und mithin weder durch farbliche Kennung in der Anlage noch im Schriftsatz wird von der Beklagten dargelegt, wie diese Tätigkeiten in der Zukunft wahrgenommen werden sollen. Es handelt sich um Analysetätigkeiten, die zumindest teilweise in Zukunft aufgrund der Neuakkreditierung laut dem eigenen Vortrag mit Vorlage der Anlage B5 zum Schriftsatz vom 31.01.2017 nicht entfallen (Blatt 92 f , Blatt 97 Rückseite d. A. - Hinweis: Die Beklagte verwendet die Bezeichnung B 5 für zwei verschiedene, den Schriftsätzen vom 31.01.2017 bzw. 20.02.2017 beigefügte Anlagen). Wie exemplarisch zu erkennen, sollen danach weiterhin der Neuakkreditierung entsprechend Kreatin- und Kreatininuntersuchungen nach Ziffer 3.2.10 - AHM 605 2009 - 04 vorgenommen werden, die nach der Anlage Blatt 140 d. A. bisher vom Kläger vorgenommen worden sind und hinsichtlich derer eine farbliche Unterlegung und folglich jeglicher Vortrag, wie und durch wen diese Aufgaben zukünftig wahrgenommen werden sollen, fehlt.

71

Widersprüchlich ist der Vortrag der Beklagten auch insoweit als sie in ihrem letzten Schriftsatz am 10.04.2017 eingeräumt hat, dass eine Analyse, die in dem Schaubild Blatt 140 d. A. noch grün unterlegt als wegfallend gekennzeichnet worden ist, "3-MCPD" tatsächlich noch ausprobiert worden ist nach Umsetzung der Maßnahme. Dies sei allerdings gescheitert. Dies steht im Widerspruch zu dem vorherigen Vortrag, aufgrund der unternehmerischen Entscheidung vom 05.10. bzw. 07.10.2016 würden derartige, als Pestiziduntersuchung beschriebene Untersuchungen, fremd vergeben. Auch soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 10.04.2017 nunmehr vorträgt, Aufträge, die nicht routinemäßig abgearbeitet werden konnten, würden nicht mehr angenommen, eine entsprechende Arbeitsanweisung, solche Aufträge nicht mehr anzunehmen, sei am 17.10.2016 in der Mitarbeiterversammlung angewiesen worden, steht dies im Widerspruch zu der als Beleg vorgelegten Anlage B16 - Präsentation der genannten Mitarbeiterbesprechung. Diese enthielt hierzu im Widerspruch die Ausführung "keine Routineanalytik: nur nach vorheriger Absprache mit LL, ansonsten zu vermeiden".

72

Festzuhalten ist deshalb, dass die Beklagte mit einer Prognose aufgrund der Datenbasis eines falschen Zeitpunkts, des Jahresendes statt des Zeitpunkts der unternehmerischen Entscheidung im Oktober 2016, argumentiert und dass auch die Quantifizierungsangaben unvollständig, widersprüchlich und nicht verwertbar sind. Insgesamt hat die Kammer auf Grundlage des Sachvortrages der Beklagten keine Basis, die den Schluss darauf zuließe, im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung sei die auf Tatsachen gestützte, vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt gewesen, mit Ablauf der Kündigungsfrist werde mit hinreichender Sicherheit ein die Entlassung erforderlich machender betrieblicher Grund vorliegen. Die Kündigungsschutzklage ist mithin unabhängig von der vorgenommenen Sozialauswahl begründet."

73

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer voll inhaltlich an und nimmt darauf ausdrücklich Bezug.

74

Das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Lebenssachverhalts. Denn es enthält keinerlei neue, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt der beteiligten Personen substantiierte Tatsachenbehauptungen, die zu einem anderen Ergebnis führen könnten. Gleiches gilt für etwaige Rechtsbehauptungen. Es macht lediglich - wenn auch aus Sicht der Beklagten heraus verständlich - deutlich, dass die Beklagte mit der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des schriftsätzlichen Vorbringens der Parteien im erstinstanzlichen Rechtszug durch das Arbeitsgericht, der die Kammer voll inhaltlich folgt, nicht einverstanden ist. Auch nach dem Berufungsvorbringen bleibt unklar, worin die tatsächlich vom Kläger erbrachte Arbeitsleistung für die Beklagte vom Beginn seines Arbeitsverhältnisses an tatsächlich bestanden hat. Die Darstellung der Beklagten ist insoweit auch im Berufungsverfahren pauschal, unpräzise, teilweise widersprüchlich und insbesondere ohne Angaben nachvollziehbarer Zeitanteile. Welche Einzeltätigkeiten des Klägers konkret aufgrund welcher Entscheidungen der Beklagten entfallen sein sollen, bleibt im Einzelnen unklar. Das gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass das Vorbringen der Beklagten den Eindruck erweckt, als sei der Kläger - wohl kaum vertragsgemäß - lediglich zu 60 % im Rahmen seiner Qualifikation eingesetzt worden und habe im Übrigen Arbeiten verrichtet, für die diese nicht erforderlich gewesen sei. Wobei es sich dabei im Einzelnen gehandelt haben könnte, erschließt sich nach dem Vorbringen der Beklagten in beiden Rechtszügen aber nicht. Zwar ist für die Kammer nachvollziehbar, dass die Beklagte aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus entschieden hat, keine Neuanschaffungen vorzunehmen, um zwei Analysegeräte im Bereich der Pestizidanalyse zu ersetzen. Auch leuchtet es ein, dass damit keine Möglichkeit mehr bestand, mit diesen Geräten Pestizidanalysen für Auftraggeber durchzuführen. Sodann trägt die Beklagte - im Berufungsverfahren wiederholt - vor, dass die nicht mit derartigen Untersuchungen verbundenen Arbeiten, die der Kläger erledigt habe, und die auch nicht in Wegfall geraten seien, mit 40 % anzugeben seien und es sich um einfache Analysen handele, für die der Kläger als Akademiker überqualifiziert gewesen sei. Abgesehen davon, dass die Quantifizierung, worauf der Kläger zutreffend hingewiesen hat, im Laufe des Berufungsverfahrens variiert, bleibt offen, von wem diese verbleibenden Tätigkeiten nach dem von der Beklagten beabsichtigen Ausscheiden des Klägers ausgeführt werden. Dass die dem Kläger unterstellten Mitarbeiter insoweit unterbeschäftigt waren, so dass sie im Rahmen ihrer vertraglichen Verpflichtungen diese Tätigkeiten ohne Weiteres zukünftig übernehmen können, lässt sich dem Vorbringen der Beklagten nicht nachvollziehbar entnehmen. Die Beklagte behauptet dies zwar allgemein, freilich nicht nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiiert. Wenn aber, was der Sachvortrag der Beklagten nahelegt, die Tätigkeit im Rahmen der Pestiziduntersuchungen alleine durch den Kläger durchgeführt wurden, dann veränderte sich durch die Entscheidungen der Beklagten und deren Umsetzung, keine Pestiziduntersuchung mehr betriebsintern durchzuführen, am Arbeitsanfall bezogen auf die dem Kläger unterstellten Mitarbeiter nichts. Dass diese tatsächlich nicht arbeitsmäßig ausgelastet waren, lässt sich dem Vorbringen der Beklagten aber nicht substantiiert entnehmen. Mit einer entsprechenden Darlegung wird der Beklagten auch nichts Unmögliches abverlangt. Zwar endet die Substantiierungspflicht tatsächlichen Vorbringens da, wo eine Partei verpflichtet würde, etwas vorzutragen, was sie gar nicht vortragen kann (vgl. BAG 26.06.2008, 23.10.2008 EzA § 23 KSchG Nr. 32, 33). Diese Voraussetzungen sind hier entgegen der Auffassung der Beklagten aber nicht gegeben. Denn gerade weil es sich um einen nicht allzu großen Betrieb mit überschaubarer Mitarbeiterzahl handelt, worauf die Beklagte selbst hingewiesen hat, ist für die Kammer nicht nachvollziehbar, warum es nicht möglich sein soll, in etwa darzustellen, womit die Beklagte nach Maßgabe der arbeitsvertraglichen Beziehungen und der Ausübung ihres Weisungsrechts die von ihr beschäftigten Arbeitnehmer in dem hier streitgegenständlichen Bereich tatsächlich beschäftigt und wie sich die Übertragung von weiteren verbleibenden Tätigkeiten, die der Kläger zuvor verrichtet hat, auf die insoweit verbliebenen Mitarbeiter auswirkt. Insoweit muss keineswegs in jedem Fall und minutiös dargelegt werden, welche einzelnen Tätigkeiten die fraglichen Mitarbeiter künftig mit welchen Zeitanteilen täglich zu verrichten haben. Gefordert werden kann allerdings, darauf hat die Beklagte in der Berufungsbegründung (S. 6 = Bl. 228 d. A.) zutreffend hingewiesen, dass der Arbeitgeber die getroffenen Vereinbarungen zu Umfang und Verteilung der Arbeitszeit darstellt und Anhaltspunkte dafür darlegt, dass Freiräume für die Übernahme zusätzlicher Aufgaben vorhanden sind. Genau daran fehlt es aber im Vorbringen der Beklagten. Insgesamt bleibt also in beiden Rechtszügen im Tatsächlichen unklar, mit welchen Einzeltätigkeiten der Kläger im Rahmen des Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten beschäftigt wurde, welche tatsächlichen Arbeitstätigkeiten die ihm unterstellten Arbeitnehmer leisteten und prognostisch nach Ausscheiden des Klägers leisten sollten, ohne überobligatorisch in Bezug auf ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen belastet zu sein, so dass mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen ist, dass die Beklagte der ihr insoweit obliegenden Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen ist. Dies gilt nach Maßgabe der vorliegenden Ausführungen auch im Hinblick auf das Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren.

75

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des BAG (21.09.2006 EzA § 2 KschG Nr. 62; 22.09.2005 EzA § 81 SGB IX Nr. 10; vgl. DLW/Dörner, a.a.O., Kap. 4, Rdnr. 2891 ff.) der Arbeitgeber nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor jeder ordentlichen und außerordentlichen Beendigungskündigung dem Arbeitnehmer eine objektiv mögliche und beiden Parteien zumutbare Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien Arbeitsplatz auch zu geänderten Bedingungen anbieten und dementsprechend statt einer Beendigungs- eine Änderungskündigung aussprechen muss; dies gilt auch bei einer vertraglichen Einschränkung des Direktionsrechts (LAG München 27.07.2006 - 2 Sa 255/06, AuR 2007, 59 LS; LAG Baden-Württemberg 07.05.2014 - 21 Sa 67/13, EzA - SD 19/14 S. 3 f. LS). Dies gilt grundsätzlich selbst dann, wenn der betroffene Arbeitnehmer zuvor ein Angebot zur Vertragsänderung abgelehnt hat (LAG Mecklenburg-Vorpommern 19.03.2014 LAGE § 2 KschG Nr.73). Eine Änderungskündigung darf nur in Extremfällen unterbleiben, wenn der Arbeitgeber bei vernünftiger Betrachtung nicht mit der Annahme des neuen Vertragsangebots durch den Arbeitnehmer rechnen konnte, z. B. dem Angebot einer Pförtnerstelle eines bisherigen Personalchefs oder ein derartiges Angebot vielmehr beleidigenden Charakter haben würde. Regelmäßig hat nämlich der Arbeitnehmer selbst zu entscheiden, ob er eine Weiterbeschäftigung unter möglicherweise erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen für zumutbar hält oder nicht (BAG 21.09.2006 EzA § 2 KschG Nr. 62). Deshalb ist eine Beendigungskündigung nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, er werde die geänderten Arbeitsbedingungen im Fall des Ausspruchs einer Änderungskündigung nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung annehmen (BAG 21.04.2005 EzA § 2 KschG Nr.53).

76

Auch im Hinblick auf diese Grundsätze hätte es substantiierten tatsächlichen Vorbringens der Beklagten bedurft, weil sie selbst vorgetragen hat, dass 40 % der vom Kläger zuvor ausgeübten Einzeltätigkeiten auch zukünftig weiterhin anfallen würden. Eine Beendigungskündigung wäre deshalb nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Anwendung der zuvor dargestellten Grundsätze nur dann in Betracht zu ziehen gewesen, wenn die dem Kläger unterstellten Mitarbeiter alle diese verbleibenden Tätigkeiten künftig ohne überobligationsmäßige Belastung nach Maßgabe ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen hätten übernehmen können. Dies lässt sich aber dem Vorbringen der Beklagten, wie dargelegt, nicht hinreichend substantiiert entnehmen.

77

Folglich war auch nach dem Berufungsvorbringen der Beklagten davon auszugehen, dass die streitgegenständliche ordentliche betriebsbedingte Arbeitgeberkündigung sozial ungerechtfertigt ist.

78

Folglich hat, wovon das Arbeitsgericht zutreffend ausgegangen ist, der Kläger Anspruch auf vertragsgerechte Beschäftigung während der Dauer des Kündigungsschutzrechtsstreits; insoweit wird, nachdem sich das Vorbringen beider Parteien im Berufungsverfahren dazu nicht verhält, zur Vermeidung von Wiederholungen auf S. 17 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 207 d. A.) Bezug genommen.

79

Gleiches gilt für den Anspruch auf Zahlung der vertragsgemäßen Vergütung für den Zeitraum Januar bis April 2017; insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf S. 18 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 208 d. A.) Bezug genommen.

80

Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

81

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

82

Für eine Zulassung der Revision war nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

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Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 25. August 2009 - 1 Sa 1/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

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wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

Wird innerhalb der Berufungsfrist ein Urteil durch eine nachträgliche Entscheidung ergänzt (§ 321), so beginnt mit der Zustellung der nachträglichen Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist auch für die Berufung gegen das zuerst ergangene Urteil von neuem. Wird gegen beide Urteile von derselben Partei Berufung eingelegt, so sind beide Berufungen miteinander zu verbinden.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 25. August 2009 - 1 Sa 1/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger macht die Unwirksamkeit einer von der Beklagten zu 1. auf betriebliche Gründe gestützten Kündigung geltend und nimmt die Beklagte zu 2. auf Beschäftigung in Anspruch.

2

Der im Jahre 1958 geborene Kläger ist verheiratet und drei Kindern unterhaltsverpflichtet. Er trat im Jahre 1991 als Instrumentalist (Waldhorn) in die Dienste der Beklagten zu 1., die bis zum Jahre 2008 ein Theater und ein Orchester unterhielt. Nach § 4 des Arbeitsvertrages bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern(TVK) vom 1. Juli 1971 in der jeweils geltenden Fassung und den ihn ergänzenden, ändernden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträgen. Der Bruttomonatsverdienst des Klägers betrug zuletzt ca. 3.500,00 Euro.

3

Bis zum 31. Dezember 2008 erhielt die Beklagte zu 1., die nicht kostendeckend wirtschaften kann, jährliche Gesamtzuwendungen von ca. 8,5 Millionen Euro, die zu ca. 50 vH der Freistaat Thüringen erbrachte. Die übrigen Zuwendungen trugen die Gesellschafter der Beklagten, die E und der W bei. Im Jahr 2006 kündigte der Freistaat eine Kürzung seiner Zuschüsse für die Zeit ab 2009 an. In einer Finanzierungsvereinbarung vom 15. Juni 2007 schrieben der Freistaat, die E und der W die Kürzungen fest. Danach wollte der Freistaat für die Jahre 2009 bis 2012 nur noch 1,5 Millionen Euro beisteuern. Im Fall der Gewährleistung des Dreispartenangebotes durch Zustiftung der Beklagten zu 1. zur Kulturstiftung M - der Beklagten zu 2. -, die ebenfalls ein Orchester unterhält, sollte sich die Landesförderung um etwa eine Million Euro erhöhen. Ebenfalls am 15. Juni 2007 wurde ein Abkommen über die betreffende Zustiftung mit Wirkung zum 1. Januar 2009 geschlossen. Darin ist die angestrebte Struktur des künftigen Theaterbetriebes beschrieben. Im Stellenplan für das Orchester sind nur noch 24 statt bisher 42,5 Stellen und keine Blechbläser mehr vorgesehen.

4

Nach Anhörung des Betriebsrats sprach die Beklagte zu 1. dem Kläger die Kündigung nach § 42 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a TVK zum 31. Juli 2008 aus.

5

Mit seiner Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt. Er hat das Vorliegen einer wirksamen unternehmerischen Entscheidung zur Verkleinerung des Orchesters bestritten. Jedenfalls aber sei die Entscheidung willkürlich und offensichtlich unvernünftig. Ein Spielplan ohne Horn sei nicht möglich. Man könne dann nicht mehr „Peter und der Wolf“ aufführen, sondern nur noch „Peter ohne Wolf“. Die Beklagte habe gezielt bestimmte Stellen wegfallen lassen, um Arbeitnehmer in ihrer sozialen Schutzwürdigkeit zu übergehen. Auch die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten. Die Kündigung habe überdies zu einem späteren Zeitpunkt ausgesprochen werden können. Die Beklagte habe eine Sozialauswahl durchführen müssen, zumindest mit den in M beschäftigten Instrumentalisten. Es bestehe zwischen E und M nach der Zustiftung ein gemeinsamer Betrieb. Auch Betriebsrat und Orchestervorstand seien nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Eine Massenentlassungsanzeige sei, obwohl erforderlich, nicht erfolgt. Schließlich sei die Kündigung auch deswegen unwirksam, weil sie wegen des beabsichtigten Betriebsübergangs erfolgt sei.

6

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch außerordentliche Kündigung mit Schreiben der Beklagten zu 1. vom 5. Juli 2007 zum 31. Juli 2008 beendet worden ist;

                          
        

2.    

die Beklagte zu 2. zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 16. Oktober 1990 in der Fassung des Arbeitsvertrages vom 1. Juli 1991 nach Maßgabe des Tarifvertrages für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) in jeweils geltender Fassung, des Vergütungs-Tarifvertrages mit Vergütungsordnung und Ortszuschlagstabelle in jeweils geltender Fassung, des TV Orchestervorstand in jeweils geltender Fassung, des TV Instrumenten-, Rohr-, Blatt- und Saitengeld in jeweils geltender Fassung, des TV Kleidergeld in jeweils geltender Fassung, des TV Zuwendungen in jeweils geltenden Fassung, des TV Urlaubsgeld in jeweils geltender Fassung und des TV Vermögenswirksame Leistungen ab dem 1. Januar 2009 weiterzubeschäftigen;

                          
        

3.    

festzustellen, dass ab dem 1. Januar 2009 zwischen ihm und der Beklagten zu 2. ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht.

7

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte zu 1. hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei wegen der am 15. Juni 2007 getroffenen unternehmerischen Entscheidung wirksam. Eine Nichtdurchführung dieser Entscheidung hätte zu ihrer Insolvenz geführt. Die ab 1. August 2008 gültige neue Orchesterstruktur sehe den gänzlichen Wegfall sämtlicher Blechbläser vor. Sie sei nicht willkürlich. Man habe verschiedene Modelle geprüft. Dabei habe sich herausgestellt, dass die Holzbläser häufiger gebraucht würden als die Blechbläser. Auch sei eine homogene Klangbalance innerhalb der Gruppe der Holzbläser im Verhältnis zu den Streichern heikler und schwieriger herzustellen als in der Gruppe der Blechbläser. Es gebe keine objektiv zwingend gebotene Zusammensetzung eines Orchesters. Einer Sozialauswahl habe es nicht bedurft, da sämtlichen mit dem Kläger vergleichbaren Arbeitnehmern gekündigt worden sei. Die Musiker des Orchesters in M seien nicht in die soziale Auswahl einzubeziehen gewesen. Ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen, der ggf. eine übergreifende Sozialauswahl erforderlich gemacht hätte, liege ebenso wenig vor wie ein Betriebsübergang. Die Kündigung habe auch zum Ende der Spielzeit 2008 erfolgen können. Die Kündigungsfrist sei eingehalten. Kündigungen seien nur zum Ende des für das Orchester üblichen Beschäftigungsjahres möglich. Der Betriebsrat und die Sprecherin des Orchestervorstandes seien ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Kündigung scheitere nicht an § 17 KSchG. Anzeigepflichtige Massenentlassungen seien zum Zeitpunkt des Ausspruchs der hier streitigen Kündigung nicht erfolgt.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung vom 5. Juli 2007 ist als ordentliche Kündigung anzusehen (I.1). Die in § 42 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a des Tarifvertrages für die Musiker in Kulturorchestern vom 1. Juli 1971 idF vom 4. Dezember 2002 (TVK) niedergelegten Voraussetzungen ihrer Wirksamkeit liegen ebenso vor (I.2) wie diejenigen des § 1 Abs. 2, Abs. 3 KSchG(I.3). Das etwaige Fehlen der Anhörung des Orchestervorstandes führt nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung (I.4). Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß beteiligt worden (I.5). Die Kündigung verstößt weder gegen § 613a Abs. 4 BGB(I.6) noch gegen § 17 KSchG(I.7). Sie hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf der Kündigungsfrist am 31. Juli 2008 aufgelöst. Der Kläger steht nicht in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten zu 2. und hat deshalb auch keinen Anspruch auf Beschäftigung gegen sie (II.).

10

I. Die von der Beklagten zu 1. ausgesprochene Kündigung ist als ordentliche Kündigung wirksam. Sie ist nach § 42 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a TVK iVm. § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt.

11

1. Bei der in § 42 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a TVK geregelten Kündigung handelt es sich nicht um eine außerordentliche, sondern um eine ordentliche Kündigung (so schon für die Vorgängerregelung: Senat 20. März 1969 - 2 AZR 106/68 - AP TOK § 23 Nr. 2). Sie bedurfte deshalb keines wichtigen Grundes iSd. § 626 Abs. 1 BGB. Das ergibt die Auslegung der genannten Tarifnorm.

12

a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist vom Wortlaut auszugehen. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil er Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geben kann. Daneben können die Gerichte weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages und die praktische Tarifübung, ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten, gesetzeskonformen und praktisch brauchbaren Regelung führt (Senat 24. Juni 2004 - 2 AZR 656/02 - AP BGB § 626 Nr. 180 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 7; BAG 3. Mai 2006 - 1 ABR 2/05 - Rn. 33, BAGE 118, 141; 15. Oktober 2003 - 4 AZR 594/02 - EzA TVG § 4 Stahlindustrie Nr. 2).

13

b) Im Streitfall scheint der Wortlaut der maßgeblichen Tarifnorm dafür zu sprechen, die dort geregelte Kündigung als eine außerordentliche Kündigung einzustufen. Der Zusammenhang der Vorschrift mit den übrigen tariflichen Regelungen zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei der Auflösung und Verkleinerung von Orchestern sowie Sinn und Zweck der Regelung und ihre nähere Ausgestaltung und Praktikabilität zeigen jedoch, dass die Vorschrift eine Rückausnahme von der ordentlichen Unkündbarkeit statuieren will und damit unter den in ihr genannten Voraussetzungen die ordentliche Kündigung zulässt.

14

(aa) In § 42 Abs. 1 TVK sind mehrere unterschiedliche Fallgestaltungen geregelt. Zunächst sind die Voraussetzungen benannt, die, abweichend vom Normalfall, zur ordentlichen Unkündbarkeit führen: Einem Arbeitnehmer kann nach 15 Beschäftigungsjahren und Vollendung des 40. Lebensjahrs nur noch unter den Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB gekündigt werden. Alsdann sind drei Fälle beschrieben, von denen gesagt ist, dass sie als wichtige Gründe „gelten“. Der hier maßgebliche „wichtige Grund“ liegt im Beschluss zur Auflösung oder Verkleinerung des Orchesters (§ 42 Abs. 1 Buchst. a TVK). Für diesen Fall ist eine Kündigungsfrist von zwölf Monaten zum Ende des für das Orchester üblichen Beschäftigungsjahres vorgesehen, womit die für ordentliche Kündigungen an sich maßgebliche Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende des für das Orchester üblichen Beschäftigungsjahres (§ 41 Abs. 2 TVK) um ein halbes Jahr verlängert wird. Ferner ist in § 51 TVK festgelegt, dass der Arbeitgeber dem nach § 42 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a TVK gekündigten Musiker eine anderweitige Beschäftigung anbieten muss oder, wenn das nicht möglich ist, ihm über mehrere Jahre hinweg eine Abfindung zu zahlen hat. Unter bestimmten Voraussetzungen wird auch danach, wenn der Arbeitgeber keine angemessene Beschäftigung anbietet oder nachweist, bis zum Erreichen des 65. Lebensjahres eine Abfindung gezahlt, und zwar in Höhe von bis zu 71 vH der Jahresvergütung.

15

(bb) Sowohl die im Fall des § 42 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a TVK vorgesehene lange Kündigungsfrist als auch die im Tarifvertrag vorgesehenen Rechtsfolgen sprechen dagegen, die Kündigung als außerordentliche Kündigung anzusehen. Bei näherem Zusehen erweist sich auch, dass in § 42 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a TVK die Wirksamkeit der Kündigung gar nicht an das Vorliegen eines wichtigen Grundes iSd. § 626 Abs. 1 BGB gebunden ist. Vielmehr ordnet der Tarifvertrag an, dass bestimmte Fälle als wichtige Gründe „gelten“ sollen. Möglicherweise wurde die Formulierung in der Annahme gewählt, die Tarifvertragsparteien könnten das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB fingieren, was aber angesichts des zwingenden Charakters von § 626 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist(Senat 24. Juni 2004 - 2 AZR 656/02 - AP § 626 BGB Nr. 180 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 7). Ist also die tarifvertragliche Fiktion eines zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden wichtigen Grundes rechtlich nicht möglich, so sind Sinn und Zweck der Vorschrift dennoch rechtlich unbedenklich: Die Tarifvertragsparteien wollten eine mit besonders langer Kündigungsfrist auszusprechende Kündigung in den genannten Fällen mit den Folgen des § 51 TVK(Abfindung) ungeachtet der an sich gegebenen ordentlichen Unkündbarkeit ermöglichen. Dieses Ziel ist rechtlich nur dann erreichbar, wenn die Vorschrift des § 42 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a TVK nicht als Fall des § 626 Abs. 1 BGB, sondern als Rückausnahme vom Verbot der ordentlichen Kündigung angesehen, die Kündigung nach dieser Vorschrift also als ordentliche Kündigung unter erschwerten Voraussetzungen eingestuft wird (so schon für die Vorgängerregelung: Senat 20. März 1969 - 2 AZR 106/68 - AP TOK § 23 Nr. 2).

16

2. Die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a TVK liegen vor. Der Rechtsträger des Orchesters, dem der Kläger angehörte, nämlich die Beklagte zu 1., hat die Verkleinerung des Orchesters beschlossen. Wie das Landesarbeitsgericht für den Senat bindend festgestellt hat, haben die Gesellschafter der Beklagten zu 1. einen Beschluss über die „unternehmerische Entscheidung zur Struktur des künftigen Theaterbetriebes E“ gefasst. Er sieht die Beschäftigung von Blechbläsern nicht mehr vor. Nach diesem Konzept ist die Stelle des Klägers als Hornist entfallen.

17

3. Die Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist nicht aus anderen Gründen sozialwidrig. Die von der Beklagten zu 1. getroffene unternehmerische Entscheidung zur Verkleinerung des Orchesters ist nicht missbräuchlich.

18

a) Für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht die Vermutung, dass sie aus sachlichen Gründen erfolgt ist und nicht auf Rechtsmissbrauch beruht (Senat 23. April 2008 - 2 AZR 1110/06 - AP § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 177 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 160; 21. September 2006 - 2 AZR 607/05 - AP KSchG 1969 § 2 Nr. 130 = EzA KSchG § 2 Nr. 62). Deshalb hat im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich der Arbeitnehmer die Umstände darzulegen und im Streitfall zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass die Maßnahme offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (Senat 17. Juni 1999 - 2 AZR 522/98 - BAGE 92, 61; 22. April 2004 - 2 AZR 385/03 - BAGE 110, 188; 23. Juni 2005 - 2 AZR 642/04 - BAGE 115, 149). Dabei zielt die Überprüfung der unternehmerischen Entscheidung durch das Gericht weder darauf ab, dem Arbeitgeber organisatorische Vorgaben zu machen, noch darf sie dazu dienen, die Stichhaltigkeit der Erwägungen zu prüfen, die den Arbeitgeber gerade zu dem von ihm gewählten Konzept geführt haben. Es geht in diesem Zusammenhang allein um die Verhinderung von Missbrauch (Senat 22. Mai 2003 - 2 AZR 326/02 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 128 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 126). Verstöße gegen gesetzliche und tarifliche Normen (vgl. dazu Senat 18. Dezember 1997 - 2 AZR 709/96 - BAGE 87, 327) sollen genauso verhindert, wie Diskriminierung und Umgehungsfälle vermieden werden. Deshalb ist es zB missbräuchlich, einen Arbeitnehmer durch die Bildung separater betrieblicher Organisationsstrukturen bei unverändertem Beschäftigungsbedarf aus dem Betrieb zu drängen (Senat 26. September 2002 - 2 AZR 636/01 - BAGE 103, 31; 22. April 2004 - 2 AZR 385/03 - aaO) oder abstrakte Änderungen von Organisationsstrukturen, denen keine tatsächliche Änderung der realen Abläufe zugrunde liegt, zu benutzen, um den Inhalt von Arbeitsverhältnissen zum Nachteil von Arbeitnehmern zu ändern oder Arbeitsverhältnisse zu beenden.

19

b) Daran gemessen ist die unternehmerische Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat die finanzielle Zwangslage, in die sie durch die vom Freistaat Thüringen angekündigte Reduzierung der staatlichen Förderung geriet, dargestellt. Ihr Konzept, nur noch ein Rumpforchester aus festangestellten Instrumentalisten zu behalten und bei Bedarf die benötigten weiteren Künstler zusätzlich zu engagieren, ist nachvollziehbar, wenn es auch manchen nach künstlerisch-ästhetischen Gesichtspunkten Urteilenden nicht überzeugen mag. Dass die Neuordnung etwa nur unter Verletzung arbeitsrechtlicher Vorgaben zu verwirklichen gewesen wäre oder gar dem Zweck gedient hätte, kündigungsrechtliche Vorschriften - zB die der Sozialauswahl - zu umgehen, hat der Kläger in den Vorinstanzen zwar gelegentlich allgemein geltend gemacht. Konkrete Anhaltspunkte dafür sind aber nicht ersichtlich. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, das Konzept sei - jenseits ins Dunkele reichender Vermutungen - nicht gegen den Kläger gerichtet, hat dieser in der Revision nicht angegriffen.

20

c) Die Kündigung ist nicht nach § 1 Abs. 3 KSchG wegen fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam. Ohne dass der Kläger dem entgegengetreten wäre, hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Beschäftigungsbedarf für sämtliche Hornisten entfallen sei. Der Kläger hat auch keinen mit ihm vergleichbaren, weniger schutzwürdigen Arbeitnehmer der Beklagten zu 1. benannt, dem an seiner Stelle - bei Zugrundelegung des unternehmerischen Konzepts - hätte gekündigt werden müssen. Da die Kündigung etwa eineinhalb Jahre vor dem Wirksamwerden der Zustiftung zur Beklagten zu 2. ausgesprochen wurde, kam eine Einbeziehung der Musiker des M Orchesters von vornherein nicht in Betracht.

21

d) Die in § 42 Abs. 1 Satz 4 TVK vorgesehene Kündigungsfrist von zwölf Monaten zum Ende des Orchesterjahres ist eingehalten. Die Beklagte zu 1. war nicht gehalten, die Kündigung erst zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kürzungen auszusprechen. Maßstab für den richtigen Kündigungstermin bei einer betriebsbedingten Kündigung ist zum einen die geltende Kündigungsfrist und zum anderen die unternehmerische Entscheidung, die der Kündigung zugrunde liegt. Letztere sah den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit zum 31. Juli 2008 vor. Die unternehmerische Entscheidung war auch insoweit nicht missbräuchlich. Zum einen ist es sachgerecht, die notwendige Umstrukturierung eines Orchesters nicht in der Mitte, sondern am Ende einer Spielzeit vorzusehen. Zum anderen hat die Beklagte zu 1. ausgeführt, sie habe die für 2008 noch bewilligten Mittel des Freistaats Thüringen zur - nur teilweisen - Bewältigung der mit den Kündigungen verbundenen finanziellen Lasten - zB Übergangsgelder und Abfindungen - benötigt.

22

4. Ob die Beklagte zu 1. ihren nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 des Tarifvertrages über die Bildung und die Aufgaben des Orchestervorstandes vom 1. Juli 1971 (TV Orchestervorstand) bestehenden Pflichten nachgekommen ist, kann dahin stehen. Selbst wenn sie diese Pflichten verletzt haben sollte, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Den hier in Rede stehenden Vorschriften ist keine Anordnung zu entnehmen, aus der sich die Unwirksamkeit einer unter Verletzung von § 5 Abs. 1, Abs. 2 TV Orchestervorstand erklärten Kündigung ergäbe. Der Tarifvertrag sieht - anders als § 102 BetrVG - nicht die Unwirksamkeit einer ohne Beteiligung des Orchestervorstandes erfolgten Kündigung vor. Bereits dies spricht gegen die vom Kläger vertretene Auffassung. Nach der Rechtsprechung des Senats haben im Übrigen sogar Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften des kollektiven Rechts nur bei entsprechender ausdrücklicher Anordnung des Gesetzgebers die Unwirksamkeit der betreffenden Kündigung zur Folge, da regelmäßig die kollektivrechtliche Seite von der individualrechtlichen zu trennen ist (Senat 22. April 2010 - 2 AZR 491/09 - NZA 2010, 1235). Im Streitfall tritt hinzu, dass die gemeinsame Protokollerklärung der Tarifvertragsparteien deren übereinstimmende Auffassung festhält, der Begriff der „Beteiligung“ in § 5 Abs. 1 TV Orchestervorstand sei nicht im „personalrechtlichen“ Sinne zu verstehen.

23

5. Die Kündigung ist nicht nach § 102 BetrVG unwirksam.

24

a) Die Beklagte zu 1. hat den Betriebsrat mit Schreiben vom 27. Juni 2007 über die dem Kläger nach § 42 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a TVK auszusprechende betriebsbedingte Kündigung unterrichtet. Sie hat den Betriebsrat gebeten, bis zum 13. Juli 2007 Stellung zu nehmen. Sie hat damit die gesetzliche Frist zur Stellungnahme (§ 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) um etwa eine Woche verlängert. Der Betriebsrat erklärte sich jedoch bereits mit Schreiben vom 3. Juli 2007 und widersprach der Kündigung. Darin lag nach der vom Kläger nicht mehr angegriffenen Würdigung des Landesarbeitsgerichts eine abschließende Stellungnahme.

25

b) Ob die Beklagte zu 1. dem Betriebsrat mitgeteilt hat, dass sie - möglicherweise - ihrer Pflicht zur Unterrichtung des Orchestervorstandes nicht nachgekommen ist, bedurfte keiner Aufklärung. Die Beklagte zu 1. war zu einer entsprechenden Mitteilung an den Betriebsrat nicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG verpflichtet. Nach dieser Vorschrift muss der Arbeitgeber den Betriebsrat über die Kündigungsgründe unterrichten. Darunter fallen nur solche Umstände, die für die Wirksamkeit der Kündigung aus Sicht des Arbeitgebers maßgebend sind. Da die Beteiligung des Orchestervorstandes ebenso wie ihr Unterbleiben keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Kündigung ausübt, bedurfte es im Rahmen der Anhörung nach § 102 BetrVG auch keiner Unterrichtung darüber. Die dem entgegenstehende Auffassung des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt (17. November 1998 - 7 Sa 952/95 -) findet weder im Tarifvertrag noch im Gesetz eine Stütze.

26

6. Die Kündigung ist nicht nach § 613a Abs. 4 BGB unwirksam.

27

a) Die Kündigung eines Betriebsveräußerers unterfällt dann nicht dem Verbot des § 613a Abs. 4 BGB, wenn sie der Verwirklichung eines vom Erwerber vorgegebenen und nicht missbräuchlichen Sanierungskonzepts dient(BAG 20. März 2003 - 8 AZR 97/02 - BAGE 105, 338). Die Umsetzung des Konzepts muss bei Zugang der Kündigung allerdings bereits greifbare Formen angenommen haben.

28

b) Nach diesen Grundsätzen verstieß die Kündigung nicht gegen § 613a Abs. 4 BGB.

29

(aa) Es kann dahinstehen, ob, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat, § 613a Abs. 4 BGB schon deshalb nicht anwendbar ist, weil die Kündigung etwa eineinhalb Jahre vor der Zustiftung des Theaterbetriebs E zur Beklagten zu 2. erfolgte.

30

(bb) Offenbleiben mag auch, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Zustiftung als Betriebsübergang angesehen werden kann. Zweifelhaft ist jedenfalls die Annahme, die Zustiftung eines Unternehmens oder Betriebes führe ohne Weiteres zu einem einheitlichen Unternehmen oder gemeinsamen Betrieb mit der kündigungsrechtlichen Folge, dass Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im gesamten Bereich der aufnehmenden Stiftung zu berücksichtigen wären und eine Sozialauswahl sich auf alle bei dieser tätigen vergleichbaren Arbeitnehmer zu beziehen hätte. Vielmehr können unter dem „Dach“ einer Stiftung getrennte - ggf. auch durch Zustiftung hinzugekommene - Unternehmen und Betriebe bestehen. Der Stiftung können uU, wie einem Konzern, mehrere selbständige Unternehmen und Betriebe in der Form von Sondervermögen angehören (vgl. Rawer DNotZ 2008, 5).

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(cc) Jedenfalls lag bei Kündigung ein nachhaltiges, nicht missbräuchliches und in Einzelheiten ausgearbeitetes Konzept für die Fortführung des Orchesters nach dem Wirksamwerden der Zustiftung vor, dessen einzige realistische Alternative die Insolvenz war. Damit erfolgte die Kündigung nicht „wegen des Betriebsübergangs“.

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7. Die Kündigung ist nicht unter Verstoß gegen § 17 KSchG ausgesprochen worden. Das Landesarbeitsgericht hat für den Senat bindend festgestellt, dass die in § 17 Abs. 1 Nr. 2 KSchG vorgesehene Mindestanzahl von Kündigungen nicht erreicht wurde, weshalb keine Anzeigepflicht bestand.

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II. Die Unbegründetheit der gegen die Beklagte zu 2. verfolgten Klageanträge folgt jedenfalls aus der Unbegründetheit der gegen die Beklagte zu 1. erhobenen Klage.

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III. Die Kosten der Revision fallen dem Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

        

    Beckerle    

        

    B. Schipp    

                 

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Die Vorschriften des Ersten und Zweiten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechts, vorbehaltlich der Vorschriften des § 24 für die Seeschiffahrts-, Binnenschiffahrts- und Luftverkehrsbetriebe. Die Vorschriften des Ersten Abschnitts gelten mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden. In Betrieben und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden, gelten die Vorschriften des Ersten Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat; diese Arbeitnehmer sind bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach Satz 2 bis zur Beschäftigung von in der Regel zehn Arbeitnehmern nicht zu berücksichtigen. Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach den Sätzen 2 und 3 sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen.

(2) Die Vorschriften des Dritten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten Rechts sowie für Betriebe, die von einer öffentlichen Verwaltung geführt werden, soweit sie wirtschaftliche Zwecke verfolgen.

Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis und bietet er dem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Kündigung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen an, so kann der Arbeitnehmer dieses Angebot unter dem Vorbehalt annehmen, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 bis 3, Abs. 3 Satz 1 und 2). Diesen Vorbehalt muß der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber innerhalb der Kündigungsfrist, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erklären.

Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten werden erbracht, um Leistungsberechtigten die für sie erreichbare Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Die Leistungen sind insbesondere darauf gerichtet, die Leistungsberechtigten in Fördergruppen und Schulungen oder ähnlichen Maßnahmen zur Vornahme lebenspraktischer Handlungen einschließlich hauswirtschaftlicher Tätigkeiten zu befähigen, sie auf die Teilhabe am Arbeitsleben vorzubereiten, ihre Sprache und Kommunikation zu verbessern und sie zu befähigen, sich ohne fremde Hilfe sicher im Verkehr zu bewegen. Die Leistungen umfassen auch die blindentechnische Grundausbildung.

Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis und bietet er dem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Kündigung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen an, so kann der Arbeitnehmer dieses Angebot unter dem Vorbehalt annehmen, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 bis 3, Abs. 3 Satz 1 und 2). Diesen Vorbehalt muß der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber innerhalb der Kündigungsfrist, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erklären.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.