Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 17. Nov. 2015 - 4 K 81/13

ECLI:ECLI:DE:FGST:2015:1117.4K81.13.0A
17.11.2015

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

Streitig ist der Umfang des Unternehmens.

2

Die Klägerin betrieb in den Streitjahren  bis zum 31. Juli 2005 in gepachteten Räumen  das B. Bordell. In dem gleichen Haus befindet sich im Erdgeschoss die C-Bar, die einen anderen Betreiber hat. Verpächter war die Eigentümerin des Gebäudes, die ...GbR, deren Geschäftsführerin die Klägerin als Mitgesellschafterin ist. Die Eigentümerin hatte das Gebäude saniert. Dies sollte den Beginn des Aufbaus eines Amüsierviertels  mit Bordell, Kneipe, Bar, Kino, Solarium u.a. darstellen. Zunächst standen in dem Bordell zwölf Zimmer, je mit Bad/WC, auf zwei Etagen zur Verfügung, im Jahr 2005 wurde die dritte Etage ausgebaut, wodurch sich die Anzahl der Zimmer auf achtzehn erhöhte. Die Klägerin vermietete ihrerseits die Zimmer an Prostituierte, wobei es drei verschiedene Mietvarianten (täglicher Abschluss oder dreitägige Kündigungsfrist) gab. Die Räume waren mit einem Doppelbett, TV, Telefon und teilweise mit einem Whirlpool eingerichtet. Die Hausflure wurden mit Kameras überwacht. Das Entgelt für die Zimmer umfasste Getränke und Verpflegung, die Gestellung von Bettwäsche und Drogerieartikeln, und die kostenlose Zurverfügungstellung von Fahrrädern. Ferner gab es in dem Gebäude einen Waschsalon und draußen einen Grillplatz mit Pool, welche von den Prostituierten genutzt werden konnten. Eine Giebelwand des Gebäudes war mit dem Namen des Bordells beschriftet. Das Gebäude war von morgens 10 Uhr bis 3 bzw. 4 Uhr für Kundschaft geöffnet. Für das Bordell wurde eine Homepage eingerichtet, auf der der Betrieb beschrieben wird. Ferner wurden einige Bewohnerinnen mit Bild vorgestellt, teilweise mit Hinweis auf die Durchwahl des Telefons des genutzten Zimmers. Unter der Rubrik "Jobs" wurde für eine Tätigkeit als Prostituierte in den Räumen des Bordells unter Angabe der Verdienstmöglichkeiten und der weiteren Geschäftsbedingungen geworben. Ferner wurde auf die Möglichkeit eines Gutscheinerwerbs hingewiesen.

3

In ihren Umsatzsteuererklärungen erklärte die Klägerin ausschließlich die Umsätze aus der Zimmervermietung.

4

In der 2009 begonnenen Betriebsprüfung kamen die Prüfer zu der Überzeugung, dass die Klägerin nach außen hin als Erbringer sämtlicher Dienstleistungen aufgetreten sei, so dass ihr als Betreiberin eines Bordellbetriebes umsatzsteuerlich auch die Umsätze der Prostituierten zuzurechnen seien. Anhand der von der Klägerin vorgelegten Tagesabrechnungen, aus denen der Name der Bewohnerin, das von ihr genutzte Zimmer und der gezahlte Betrag hervorgingen, ermittelten die Prüfer die Anzahl der Nutzungsverhältnisse im Jahr mit 2.811 in 2004 und 2.036 bis Ende Juli 2005 und schätzten für jeden Tag pro genutztem Zimmer/Prostituierter ein Entgelt von 90 €. Die Bemessungsgrundlage der Lieferungen und Leistungen zu 16 % wurde um die Differenz des sich so ergebenden Produktes zu den bereits erklärten Umsätzen erhöht (2004:  um 48.426,00 €; 2005: 20.900,00 €). Je mit Bescheid vom 01. April 2011 wurden die Umsatzsteuerfestsetzungen 2004 und 2005 geändert und der Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 3 Abgabenordnung (AO) aufgehoben.

5

Die Einsprüche dagegen wies der Beklagte zurück. Die Klägerin sei nach außen hin, insbesondere im Internet und in der Presse, als Erbringer sämtlicher Dienstleistungen des Bordellbetriebs aufgetreten. Das äußere Erscheinungsbild des Gebäudes habe auf ein Bordell hingewiesen. Die Prostituierten hätten häufig gewechselt und seien in der Regel austauschbar gewesen. Die Klägerin habe durch verschiedene Maßnahmen für den reibungslosen Ablauf im Bordell gesorgt und die Prostituierten organisiert.  Es sei unerheblich, ob die Prostituierten selbstständig oder als Arbeitnehmer tätig geworden seien. Auch der von der Klägerin behauptete Hinweis auf die Selbstständigkeit der Bewohnerinnen lasse angesichts der geschilderten tatsächlichen Umstände keinen anderen Schluss zu. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf die Einspruchsentscheidung vom 27. Dezember 2012 Bezug genommen.

6

Nach Zurückweisung ihrer Einsprüche hat die Klägerin Klage erhoben. Die strittigen Umsätze seien den Prostituierten zuzurechnen, die allein zu den Leistungsempfängern eine schuldrechtliche Vertragsbeziehung gehabt, die Vertragsbedingungen ausgehandelt und die Gegenleistung entgegengenommen hätten. Dies sei nach dem am 01. Januar 2002 in Kraft getretenen Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG) auch legal möglich gewesen. Der Beklagte verkenne dies und habe auch nicht beachtet, dass die von ihm herangezogene Rechtsprechung aus der Zeit vor der Legalisierung stamme. Ferner erzielten die Bewohnerinnen auch außerhalb des Bordells Einnahmen, die jedoch nicht der Klägerin zugerechnet werden könnten. Die werbliche Nutzung der Hauswand habe die Grundstückseigentümerin beschlossen, so dass diese nicht der Klägerin  zugerechnet werden könne. Bei dem einheitlichen Internetauftritt auf der Homepage des Bordells handele es sich um eine gemeinsame Werbemaßnahme, wie sie zum Beispiel bei größeren Einkaufsmärkten üblich sei. Im Übrigen werde dort ausdrücklich auf die Selbstständigkeit der Prostituierten hingewiesen. Das Bordell habe zwar Öffnungszeiten, dies könne aber nicht vorgeschriebenen Arbeitszeiten gleichgestellt werden. Es gebe keine gemeinsamen Verhaltenspflichten oder Preisvorgaben. Ein einheitlicher Preisrahmen habe sich bei den Prostituierten im gemeinsamen Interesse von allein gebildet. Die Bereitstellung von Verbrauchsartikeln würde der Leistung jedes Hotels entsprechen. Die Nachtbar werde nicht von der Klägerin bereitgestellt, sondern sei ein selbstständiges Unternehmen. Der Beklagte habe auch ignoriert, dass seit ca. 2005 im Eingangsbereich deutlich auf die Selbstständigkeit der Prostituierten hingewiesen worden sei. In der Nachtbar, die im Übrigen nichts mit dem Bordell zu tun habe, würden sich die Prostituierten nicht zur Kontaktaufnahme, sondern nur zur Entspannung aufhalten; die Bar sei für den Geschäftserfolg der Prostituierten verzichtbar.

7

Bezüglich der weiteren Einzelheiten hinsichtlich des klägerischen Vortrags wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 10. November 2014 verwiesen.

8

Die Klägerin beantragt,
die Bescheide über Umsatzsteuer 2004 und 2005 jeweils vom 1. April 2011 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 27. Dezember 2012 dahingehend zu ändern, dass die Bemessungsgrundlage der steuerpflichtigen Lieferungen und Leistungen zu 16 % in 2004 um 48.426,00 € und in 2005 um 20.900,00 € gemindert wird.

9

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

10

Der Beklagte wiederholt sein Vorbringen aus dem Vorverfahren.

11

Die Rechtsprechung zur Zuordnung von Bordellumsätzen sei auch nach Einführung des ProstG gleich geblieben. Auch der einheitliche Internetauftritt spreche für ein Auftreten der Klägerin als Leistungserbringerin nach außen, weil die Prostituierten für Außenstehende nicht individualisierbar gewesen seien. Nach Ansicht des Beklagten entsprächen die Öffnungszeiten auch den Arbeitszeiten der Prostituierten, weil es Kunden außerhalb der Öffnungszeiten nicht möglich sei, in das Gebäude zu gelangen. Die Nachtbar gehöre wie das Bordell zu dem einheitlichen Unternehmenskonzept der Klägerin. Die Klägerin sei Mehrheitsgesellschafterin und Geschäftsführerin.

12

Die Verfahren 4 K 81/13 und 4 K 84/13 sind in der Sitzung am 17. November 2015 zur gemeinsamen Verhandlung verbunden worden.

13

Dem Gericht haben die Betriebsprüfungsakten, der Bericht über die Umsatzsteuer-Sonderprüfung vom 09. Dezember 2004, die Umsatzsteuerakte und der Rechtsbehelfsvorgang vorgelegen.

Entscheidungsgründe

14

I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat zu Recht die durch die Prostituierten generierten Umsätze in der zutreffend geschätzten Höhe umsatzsteuerlich der Klägerin zugerechnet.

15

1. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Umsatzsteuergesetz in der in den Streitjahren gültigen Fassung (UStG) ist Unternehmer, wer eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Das Unternehmen umfasst nach § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Unternehmer i.S.d. UStG ist derjenige, der Leistungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG erbringt. Dabei kommt es grundsätzlich darauf an, wer als Unternehmer nach außen hin auftritt (BFH Beschluss vom 20. Februar 2001 – V B 191/00, BFH/NV 2001, 1152 m.w.N.).

16

2. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, der sich das erkennende Gericht angeschlossen hat, ist unter Würdigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen, ob sämtliche Leistungen im Bordell, also auch die der unmittelbar handelnden Prostituierten, im Namen und für Rechnung des Bordellbetreibers ausgeführt werden (BFH Beschluss vom 31. März 2006 – V B 181/05, BFH/NV 2006, 2138; Urteil vom 17. Dezember 2014 - XI R 16/11, BStBl II 2015, 427 [431, Tz 47]). Dies ist der Fall, wenn der Bordellbetreiber nach außen hin als derjenige auftritt, der die Verschaffung von Geschlechtsverkehr im Rahmen seines Betriebes anbietet (BFH Urteil vom 21. Februar 1991 – V R 11/91, UR 1991, 255), und sich nicht auf eine Vermietungsleistung gegenüber den Prostituierten beschränkt.

17

3. Merkmale, die gegen reine  Mietverträge, sondern für das Vorliegen von  Verträgen besonderer Art sprechen, liegen nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung regelmäßig dann vor, wenn der Unternehmer Maßnahmen getroffen oder Einrichtungen geschaffen hat, die eindeutig auf die Förderung des Geschlechtsverkehrs seitens der Bewohnerinnen abzielen und sich nicht auf die Zimmervermietung beschränken. Beispielhaft genannt sind die Bauweise und Ausstattung der Häuser, die Einrichtung von kleinen Zimmern,  Beschriftung der Häuser mit entsprechendem einheitlichen Namen, Bestellung von Hausverwalterinnen, die z.B. mit den Behörden verkehren, bei Auseinandersetzungen die Polizei benachrichtigen oder die Bewohnerinnen mit Getränken versorgen (BFH Urteil vom 10. August 1961 V 95/60 U, BStBl III 1961, 525; Beschluss vom 25. November 2009 – V B 31/09, BFH/NV 2010, 959).

18

4. Nach Würdigung der Gesamtumstände unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin nach außen hin zum Ausdruck gebracht hat, dass sie die Verschaffung von Geschlechtsverkehr im Rahmen des von ihr betriebenen Laufhauses angeboten hat.

19

Bereits die Bauweise und die Ausstattung des Hauses machen deutlich, dass die Klägerin eine Organisation unterhielt, die den gewerbsmäßigen Geschlechtsverkehr der Bewohnerinnen fördern sollte. Es handelt sich um ein Gebäude, in dem bis 2005 auf drei Etagen achtzehn Zimmer (alle mit Bad/WC) ausgebaut und dem Gewerbe entsprechend möbliert wurden (Doppelbett, Whirlpool). Jedes Zimmer hatte ein eigenes Telefon, auf dessen Nummer auf der Homepage unter Bezugnahme auf die jeweilige Bewohnerin hingewiesen wurde. Wie klägerseits in der mündlichen Verhandlung vorgetragen wurde, konnte jedes Telefon nach Bedarf auf ein anderes (zentral zu bedienendes) Telefon umgestellt werden oder stellte sich nach mehrmaligem vergeblichen Klingeln automatisch um. Die Hausflure wurden durch Kameras überwacht. Ferner stand ein Grillplatz mit Pool zur Verfügung. Es gab eine Gemeinschaftsküche für die Bewohnerinnen, in der die Klägerin ihnen freie Kost und Getränke anbot. Die Prostituierten konnten sich dort auch eigenständig Speisen zubereiten. Ferner befand sich zur Nutzung durch die Bewohnerinnen ein eigener Waschsalon im Haus. Papierrollen, Toilettenpapier und Bettwäsche waren frei und es konnten kostenlos Fahrräder genutzt werden.  Als weitere organisatorische Maßnahme  hatte die Klägerin durch die Gestaltung und den Abschluss der Mietverträge Einfluss auf das Angebot des Bordells genommen. So war der - laut Aussage der Klägerin milieutypisch ausschließlich mündlich geschlossene - Mietvertrag mit einer Frist von drei Tagen kündbar. In der mündlichen Verhandlung führte die Klägerin weiter aus, dass die tägliche Miete nicht zu festen Zeiten gezahlt werden musste, sondern die Bewohnerinnen sie an dem betreffenden Tag beliebig bei der Klägerin zu den Öffnungszeiten des Bordells entrichten konnten. Der Betrieb/Eingang war täglich von 10 Uhr bis 3 bzw. 4 Uhr für Kundschaft geöffnet. Für ein Auftreten der Klägerin nach außen spricht weiterhin, dass das Bordell einen einheitlichen Namen hatte und das Haus gut sichtbar an einer Fassade mit diesem Namen beschriftet war. Unerheblich ist, dass auch für die Nachtbar an der Hauswand Werbung gemacht wurde und die Hauseigentümerin die Fassadenbeschriftung beschlossen hatte, denn diese Fakten ändern nichts an dem einheitlichen Auftreten. Auch war im Eingangsbereich des Bordells ein abschließbarer Schaukasten angebracht, in dem Fotos der Bewohnerinnen ausgestellt wurden, welche diese entweder selbst mitgebracht hatten oder welche von der Klägerin gefertigt wurden.  Die Klägerin hatte  sich auch im Internet als Bordellbetreiber dargestellt. Dort wurde der Betrieb präsentiert, die Klägerin warb neue Prostituierte an und unter der Rubrik "Girls" wurden die aktuellen Bewohnerinnen mit Bild und Namen vorgestellt. Mochte auch ein Dritter die Homepage eingerichtet haben, so war doch der Bezug zu dem Gewerbe der Klägerin nicht ohne ihr Einverständnis (welches sie laut ihrer Aussage in der mündlichen Verhandlung auch erteilt hatte) und ihre Zuarbeit (Bilder, Namen und Zimmer-Durchwahl der Prostituierten) möglich, so dass sie sich das Auftreten auf der Homepage zurechnen lassen muss. Bereits vor Aufnahme des Betriebs hatte die Klägerin als zukünftige Betreiberin in Beiträgen in dem Regionalteil einer Tageszeitung von sich reden gemacht. Auch die Gutscheine zur Inanspruchnahme einer (bestimmten) Bewohnerin sind lt. Internetauftritt einheitlich unter dem Namen des Bordells gestaltet worden. Nach dem ergänzenden Vortrag der Klägerin  ist jeder der (wenigen) tatsächlich ausgegebenen Gutscheine individuell gestaltet, einzeln (von der Klägerin) ausgedruckt und der betroffenen Bewohnerin ausgehändigt worden. Eine weitere Maßnahme, die nach außen hin zum Ausdruck brachte, dass die Klägerin eine Organisation unterhalten hat, die den gewerbsmäßigen Geschlechtsverkehr der Bewohnerinnen fördern sollte, war, dass sie sich zu den Öffnungszeiten im Haus befand, um die Organisation wie z.B. das Auffüllen der Vorräte oder die Wäscheausgabe sicherzustellen und bei Streitigkeiten zwischen den Bewohnerinnen und dem Leistungsempfänger auf Bitten eines Beteiligten die Polizei zu rufen. Ferner hat sie nach ihrem Vortrag sich und die Bewohnerinnen über AIDS-Prävention ebenso wie über steuerrechtliche Pflichten unterrichten lassen.

20

Angesichts von Anzahl und Gewicht der dargestellten Merkmale muss der Senat den weiteren Sachverhalt, insbesondere hinsichtlich der streitigen Umstände wie z.B. einheitliche Preisgestaltung, Bargeldbeschaffung, gemeinsames SM-Zimmer nicht mehr aufklären, weil dieser ohne Einfluss auf die Gesamtwürdigung ist.

21

5. Dem Senat ist bewusst, dass die Prostitutionsleistungen ausschließlich durch Dritte ausgeführt wurden, die auch die Gegenleistung vereinnahmten. Jedoch ist dies bei der Beurteilung der von der Klägerin im Rahmen ihres Unternehmens erbrachten Leistungen unerheblich. Es ist ohne Belang, ob die Bewohnerinnen mit den Leistungsempfängern selbstständig verhandelten und die Bezahlung für ihre Leistungen unmittelbar einnahmen (Finanzgericht München Urteil vom 25. Oktober 2011 2 K 1939/08, juris). In höchstrichterlicher Rechtsprechung ist geklärt, dass es bei der Frage, wer als leistender Unternehmer nach außen hin auftritt, ohne Bedeutung ist, ob der Unternehmer seine Leistungsverpflichtung höchstpersönlich ausführt oder durch andere –Subunternehmer- ausführen lässt und inwiefern ihm der wirtschaftliche Erfolg des Geschäfts verbleibt (BFH Beschluss vom 31. Januar 2002 – V B 108/01, BStBl II 2004, 622, zu der vergleichbaren Problematik bei Strohmanngeschäften). Die oben unter I. Nr. 4 der Entscheidungsgründe genannten Abgrenzungsmerkmale sind nach Gewicht und Anzahl derart stark, dass der Senat zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Klägerin eine Organisation unterhielt, die den gewerbsmäßigen Geschlechtsverkehr der Bewohnerinnen fördern sollte. Soweit tatsächlich, wie die Klägerin vorträgt, sich am Schaukasten im Eingangsbereich (und ggf. auf der Homepage) ein Hinweis auf die Selbstständigkeit der Prostituierten befand, ist dieser nur von geringem Beweiswert und tritt hinter dem Gesamteindruck zurück. Auch der Leistungsempfänger musste, ohne die Organisation des Bordells vollständig zu kennen, bereits nach den äußeren Gegebenheiten wie Ausstattung des Gebäudes, Auftreten unter einem einheitlichen Namen, einheitlicher Eingang und Öffnungszeiten und dem Schaukasten im Eingangsbereich, von einer Verpflichtung der Klägerin als  Bordellbetreiberin ausgehen, zumal auch ungewiss ist, ob der durchschnittliche Bordellbesucher diesen Hinweis zur Kenntnis nahm, verstand und damit einverstanden war (zu einer vergleichbaren Weisung siehe Finanzgericht München Urteil vom 25. Oktober 2011 2 K 1939/08, a.a.O.).

22

6. Entsprechend ist es auch ohne Bedeutung, dass der Betrieb als sog. Laufhaus organisiert war. Nach den oben unter I. Nr. 4 der Entscheidungsgründe genannten, vielfältigen Merkmalen, die auf der Straße regelmäßig fehlen, kann das Bordell nicht -wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung meinte- als "erweiterter Straßenstrich" angesehen werden.

23

7. Entgegen der Ansicht der Klägerin sind die Gesamtumstände auch im Lichte der inzwischen durch das Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes (ProstG) am 01. Januar 2002 erfolgten Legalisierung der Prostitution nicht anders als  durch den erkennenden Senat  geschehen zu würdigen. Das ProstG trifft keine Aussage darüber, zwischen wem bei Sachverhalten wie dem vorliegenden eine umsatzsteuerrechtliche Leistungsbeziehung begründet wird (vgl. Finanzgericht Hamburg Urteil vom 12. Dezember 2012 2 K 88/11, juris). Bei der Beurteilung der von der Klägerin erbrachten Leistungen ist nach wie vor maßgeblich, ob die Raumüberlassung durch die Leistungselemente der Vermietung oder durch andere Leistungselemente, die der Förderung der gewerblichen Tätigkeit der Prostituierten dienen, geprägt wird. Für die Vermietung an Prostituierte gelten mithin dieselben Grundsätze wie für jede andere gewerbliche Vermietung an andere Unternehmer auch (BFH Urteil vom 17. Dezember 2014 - XI R 16/11, a.a.O. [431, Tz 45]).

24

8. Infolge der Unterschiedlichkeit der erbrachten Leistungen kann sich die Klägerin auch nicht auf die steuerliche Behandlung von Einkaufszentren berufen, bei denen die Raumüberlassung -anders als im Streitfall- durch die Leistungselemente der Vermietung geprägt ist.

25

9. Der Beklagte war befugt, die durch die Prostituierten erzielten Umsätze im Schätzungswege gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO zu ermitteln, weil die Klägerin darüber keine Einzelaufzeichnungen geführt hatte und damit gegen ihre Aufzeichnungspflicht aus § 22 Abs. 1 UStG verstoßen hat. Unerheblich ist, dass sie die Aufzeichnungen nicht führte, weil sie eine andere Auffassung zur Zurechnung der Umsätze der Prostituierten hatte (Niedersächsisches Finanzgericht Urteil vom 14. Februar 2013 5 K 318/10, juris, m.w.N.).

26

Die Höhe der Schätzung ist nicht zu beanstanden.

27

Schätzungen müssen so zutreffend wie möglich sein, d.h., es sind diejenigen Besteuerungsgrundlagen zu Grunde zulegen, die die höchste Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte aus sachfremden Erwägungen und bewusst zum Nachteil der Klägerin den zulässigen Schätzungsrahmen überschritten hat, sind im Streitfall nicht erkennbar.

28

Mit einem geschätzten Umsatz pro vermietetem Zimmer/Prostituierter pro Tag von 90 € blieb der Beklagte am unteren Rand des Schätzungsrahmens (z.B. Niedersächsisches FG Urteil vom 30.05.2008 16 K 468/05, HI 2114336). Außerhalb des Bordells enthaltene Umsätze der Bewohnerinnen sind darin - entgegen der Vermutung der Klägerin - nicht enthalten.

29

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.


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Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Abgabenordnung - AO 1977 | § 164 Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung


(1) Die Steuern können, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass dies einer Begründung bedarf. Die Festsetzung einer Vorauszahlung ist stets

Abgabenordnung - AO 1977 | § 162 Schätzung von Besteuerungsgrundlagen


(1) Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. (2) Zu schätzen ist insbesondere dann, we

Umsatzsteuergesetz - UStG 1980 | § 1 Steuerbare Umsätze


(1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze: 1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Steuerbarkeit entfällt nicht, wenn der Umsatz auf Grund geset

Umsatzsteuergesetz - UStG 1980 | § 2 Unternehmer, Unternehmen


(1) Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt, unabhängig davon, ob er nach anderen Vorschriften rechtsfähig ist. Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. G

Umsatzsteuergesetz - UStG 1980 | § 22 Aufzeichnungspflichten


(1) Der Unternehmer ist verpflichtet, zur Feststellung der Steuer und der Grundlagen ihrer Berechnung Aufzeichnungen zu machen. Diese Verpflichtung gilt in den Fällen des § 13a Absatz 1 Nummer 2 und 5, des § 13b Absatz 5 und des § 14c Absatz 2 auch f

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Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 17. Nov. 2015 - 4 K 81/13

bei uns veröffentlicht am 17.11.2015

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. Tatbestand 1 Streitig ist der Umfang des Unternehmens. 2 Die Klägerin betrieb in den Streitjahren  bis zum 31. Juli 2005 in gepachteten Räumen  das

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Finanzgericht Hamburg Urteil, 29. Aug. 2014 - 4 K 84/13

bei uns veröffentlicht am 29.08.2014

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Bundesfinanzhof Beschluss, 07. Feb. 2017 - V B 48/16

bei uns veröffentlicht am 07.02.2017

Tenor Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. November 2015  4 K 81/13 wird als unbegründet zurückgewiese

Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 17. Nov. 2015 - 4 K 81/13

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(1) Die Steuern können, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass dies einer Begründung bedarf. Die Festsetzung einer Vorauszahlung ist stets eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung.

(2) Solange der Vorbehalt wirksam ist, kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden. Der Steuerpflichtige kann die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung jederzeit beantragen. Die Entscheidung hierüber kann jedoch bis zur abschließenden Prüfung des Steuerfalls, die innerhalb angemessener Frist vorzunehmen ist, hinausgeschoben werden.

(3) Der Vorbehalt der Nachprüfung kann jederzeit aufgehoben werden. Die Aufhebung steht einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich; § 157 Abs. 1 Satz 1 und 3 gilt sinngemäß. Nach einer Außenprüfung ist der Vorbehalt aufzuheben, wenn sich Änderungen gegenüber der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nicht ergeben.

(4) Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt, wenn die Festsetzungsfrist abläuft. § 169 Absatz 2 Satz 2, § 170 Absatz 6 und § 171 Absatz 7, 8 und 10 sind nicht anzuwenden.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Ausfuhrerstattung durch das beklagte Hauptzollamt.

2

Mit Ausfuhranmeldung vom 31.08.2006 meldete die Klägerin beim Hauptzollamt A 30 lebende Rinder der Marktordnungs-Warenlistennummer 0102 1010 9140 zur Ausfuhr in den Kosovo an und beantragte hierfür beim beklagten Hauptzollamt die Gewährung von Ausfuhrerstattung.

3

Die Tiere des streitgegenständlichen LKW-Tiertransportes verließen am 07.09.2006 gegen 15.15 Uhr B und erreichten am 08.09.2006 den Hafen von C. Dort wurden die Tiere zur Einlegung einer 24-stündigen Ruhezeit entladen. Wann die Ruhezeit konkret begann und endete, ist zwischen den Beteiligten streitig. Ausweislich der Eintragungen im Transportplan wurden die Tiere in C vom 08.09.2006, 1.00 Uhr, bis zum 09.09.2006, 2.00 Uhr, eingestallt (Bl. 84 der Sachakte), bevor sie zum Weitertransport nach D erneut auf einen LKW und sodann auf die Fähre verladen wurden. Die Fähre verließ C gegen 3.00 Uhr am Morgen des 09.09.2006 (Bl. 84 der Sachakte). Seinen Bestimmungsort im Kosovo erreichte der Tiertransport am 11.09.2006 gegen 1.30 Uhr (Bl. 84 der Sachakte).

4

Mit Bescheid vom 10.04.2012 lehnte das beklagte Hauptzollamt den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Ausfuhrerstattung unter Hinweis darauf ab, dass sie die Einhaltung der unionsrechtlichen Vorschriften zum Schutz der Tiere beim Transport nicht nachgewiesen habe. Der von ihr eingereichte Transportplan weise eine Ruhepause in der Zeit vom 08.09.2006, 1.00 Uhr, bis 09.09.2006, 2.00 Uhr, aus. Diese Eintragungen im Transportplan stünden im Widerspruch zu den Angaben im Kontrollexemplar, wonach als Ausgangsdatum der Waren aus der Union der 08.09.2006 ausgewiesen werde. Die Klägerin könne danach die nach der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 vorgeschriebene Ruhepause von 24 Stunden nicht eingehalten haben. Es wäre Sache der Klägerin gewesen, diese widersprüchlichen Angaben aufzuklären.

5

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren, in dessen Verlauf die Klägerin eine Bescheinigung der Spedition E eingereicht hatte, ausweislich derer der Transport in C in der Zeit vom 07.09.2006, 23.00 Uhr, bis zum 08.09.2006, 23.00 Uhr, eine Versorgungspause eingelegt haben soll, hat die Klägerin am 28.06.2013 Klage erhoben. Sie verweist darauf, dass die Tiere in C über eine Freizone aus dem Zollgebiet der Union ausgeführt worden seien. Infolgedessen sei die Ausfuhr aus der Union bereits beim Verbringen in die Freizone - mithin am 08.09.2006 - auf dem Kontrollexemplar bestätigt worden. Die auf dem Kontrollexemplar vermerkte Ausfuhr am 08.09.2006 sei folglich korrekt, obgleich die Tiere tatsächlich erst am 09.09.2006 die Union seewärts nach Albanien verlassen hätten.

6

Die Klägerin beantragt,
das beklagte Hauptzollamt unter Aufhebung des Bescheides vom 10.04.2012 und der Einspruchsentscheidung vom 24.05.2013 zu verpflichten, ihr auf ihren Antrag vom 30.09.2006 Ausfuhrerstattung zu gewähren.

7

Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
die Klage abzuweisen.

8

Es ist der Meinung dass die Widersprüche bezüglich des Transportverlaufs und der Einhaltung der tierschutzrechtlichen Bestimmungen nicht ausgeräumt seien. Denn zum einen weise auch der Frachtvertrag über den Fährtransport von C nach D als "Sailing Date" den 08.09.2006 aus. Zum anderen widerspreche die Bescheinigung der Spedition E den Eintragungen im Transportplan, wonach der Aufenthaltsort C erst am 08.09.2006 erreicht worden sein soll.

9

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakten des beklagten Hauptzollamtes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Verpflichtungsklage führt zum Erfolg. Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf die Gewährung von Ausfuhrerstattung (§ 101 Satz 1 FGO).

11

Der Unionsgesetzgeber hat in Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 639/2003 der Kommission vom 09.04.2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1254/1999 des Rates hinsichtlich des Schutzes lebender Rinder beim Transport als Voraussetzung für die Gewährung von Ausfuhrerstattung (ABl. Nr. L 93/10, in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 354/2006 der Kommission vom 28.02.2006, ABl. Nr. 59/10, im Folgenden: VO Nr. 639/2003) die Zahlung der Ausfuhrerstattung für lebende Rinder des KN-Codes 0102 in zulässiger Weise (vgl. EuGH, Urteil vom 17.01.2008, C-37/06, Rz. 47, juris) davon abhängig gemacht, dass während des Transports der Tiere bis zu ihrer ersten Entladung im Bestimmungsdrittland die Bestimmungen der Richtlinie 91/628/EWG (Richtlinie des Rates vom 19.11.1991 über den Schutz von Tieren beim Transport sowie zur Änderung der Richtlinien 90/425/EWG und 91/496/EWG, ABl. Nr. 340/17, in der Fassung der Richtlinie 95/29/EG des Rates vom 29.06.1995 zur Änderung der Richtlinie 91/628/EWG über den Schutz von Tieren beim Transport, ABl. Nr. L 148/52.) - die zwischenzeitlich durch die Verordnung (EG) Nr. 1/2005 des Rates vom 22.12.2004 über den Schutz von Tieren beim Transport (ABL. Nr. 3/1 vom 05.01.2005, im Folgenden: VO Nr. 1/2005) ersetzt worden ist - und die Bestimmungen der Verordnung Nr. 639/2003 eingehalten werden. Dementsprechend wird die Ausfuhrerstattung nach Art. 5 Abs. 1 Unterabsatz 1 VO Nr. 639/2003 u. a. nicht gezahlt für Tiere, bei denen die zuständige Behörde aufgrund der Unterlagen gemäß Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 639/2003 und/oder sonstiger Informationen über die Einhaltung der VO Nr. 639/2003 zu dem Schluss gelangt, dass die Richtlinie 91/628/EWG bzw. die Verordnung Nr. 1/2005 nicht eingehalten wurde.

12

In Kapitel V des Anhangs der Verordnung Nr. 1/2005 (Zeitabstände für das Füttern und Tränken sowie Beförderungsdauer und Ruhezeiten) ist unter Ziffer 1.4 lit. d) bestimmt, dass Hausrinder bei Verwendung eines - wie hier - unter Ziffer 1.3 genannten Fahrzeuges nach einer Beförderungsdauer von 14 Stunden eine ausreichende, mindestens einstündige Ruhepause erhalten müssen, insbesondere damit sie getränkt und nötigenfalls gefüttert werden können; nach dieser Ruhepause kann die Beförderung für weitere 14 Stunden fortgesetzt werden. Nach der festgesetzten Beförderungsdauer, so ist es in Ziffer 1.5 des Kapitel V des Anhangs der Verordnung Nr. 1/2005 weiter geregelt, müssen die Tiere entladen, gefüttert und getränkt werden und eine Ruhezeit von mindestens 24 Stunden erhalten. Ziffer 48.8 des Kapitels V des Anhangs der Verordnung 1/2005 sieht schließlich vor, dass die Beförderungsdauer nach u. a. Ziffer 1.4 - insbesondere unter Berücksichtigung der Nähe des Bestimmungsortes - im Interesse der Tiere um zwei Stunden verlängert werden darf. Als Beförderung gilt gemäß Art. 2 lit. j) der Verordnung Nr. 1/2005 der gesamte Transportvorgang vom Versand - bis zum Bestimmungsort, einschließlich des Entladens, Unterbringens und Verladens an Zwischenstationen; als Transport wird nach Art. 2 lit. w) der Verordnung Nr. 1/2005 jede Bewegung von Tieren in einem oder mehreren Transportmitteln sowie alle damit zusammenhängenden Vorgänge, einschließlich des Verladens, Entladens, Umladens und Ruhens, bis zum Ende des Entladens der Tiere am Bestimmungsort definiert.

13

Es steht zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits außer Streit, dass die Klägerin entsprechend der Vorgabe des Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 639/2003 das ordnungsgemäß ausgefüllte Dokument nach Art. 2 Abs. 3 VO Nr. 639/2003 sowie den Bericht über die Entladung der Tiere im Endbestimmungsdrittland beigebracht und damit die Bestimmungen der Verordnung Nr. 639/2003 eingehalten hat (vgl. Art. 1 VO Nr. 639/2003). Streitig ist allein die Frage, ob die Klägerin deshalb gegen die Bestimmungen der Richtlinie 91/628/EWG bzw. der Verordnung Nr. 1/2005 verstoßen hat, weil sie nicht nachweisen kann, dass sie die in Kapitel VII des Anhangs der Richtlinie 91/628/EWG vorgeschriebene Ruhepause von mindestens 24 Stunden, während der die Tiere entladen, gefüttert und getränkt werden müssen, eingehalten hat. Im Hinblick auf diese Fragestellung geht der erkennende Senat davon aus, dass sich das beklagte Hauptzollamt nicht auf Informationen berufen kann, die den Schluss zulassen, dass die Richtlinie 91/628/EWG bzw. die Verordnung 1/2005 nicht eingehalten wurde. Insoweit merkt der Senat im Einzelnen Folgendes an:

14

a) Ausweislich des in der Sachakte befindlichen Transportplanes, der die Unterschrift des Fahrers trägt, erreichte der streitgegenständliche Tiertransport in der Nacht vom 07. auf den 08.09.2006 den Hafen von C. Dort wurden die Tiere - so ist es im Transportplan weiter dokumentiert - gegen 1.00 Uhr vom LKW entladen und erhielten eine Ruhezeit von 24 Stunden bis zum 09.09.2006 gegen 2.00 Uhr. Eine Stunde später - gegen 3.00 Uhr - verließ die Fähre den Hafen von C (vgl. Bl. 84 der Sachakte). Dem beklagten Hauptzollamt ist zuzugeben, dass die Unterschrift des Tierarztes des Aufenthaltsortes über die von ihm durchgeführte Kontrolle das Datum des 08.09.2006 trägt. Dieser Umstand lässt indes auch unter Berücksichtigung der Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. des Rates vom 25.06.1997 zur Festlegung gemeinschaftlicher Kriterien für Aufenthaltsorte und zur Anpassung des im Anhang der Richtlinie 91/628/EWG vorgesehenen Transportplans (ABl. Nr. 174/1), wonach der zuständige Tierarzt, bevor die Tiere den Aufenthaltsort verlassen, bestätigt, dass die Tiere für die weitere Verbringung transportfähig sind, nicht den Schluss zu, dass die Bestimmungen der Richtlinie 91/628/EWG bzw. der Verordnung Nr. 1/2005 nicht eingehalten wurden. Dem Senat ist aus einer Vielzahl von Verfahren, die die Gewährung von Ausfuhrerstattung für Lebendvieh zum Gegenstand hatten, bekannt, dass die Fahrer der Tiertransporte um die besondere Bedeutung der Tierschutzvorschriften und deren Einhaltung wissen. Vor diesem Hintergrund ist es schwerlich nachzuvollziehen, dass sich der Fahrer des streitgegenständlichen Tiertransportes mit seinen Angaben betreffend den Beginn und das Ende der 24-stündigen Ruhezeit bewusst in Widerspruch setzt zu dem Eintrag des Veterinärs bezüglich der nach Art. 6 Abs. 1 VO Nr. 1255/97 durchgeführten tierärztlichen Kontrolle. Da italienische Veterinäre - wie dem Senat auch bekannt ist - Fahrer von Tiertransporten mitunter auffordern, den Aufenthaltsort vor Ablauf der 24-stündigen Ruhepause zu verlassen (vgl. EuGH, Urteil vom 17.01.2008, C-37/06), ist eine gewisse Zurückhaltung geboten bezüglich des Vertrauens darauf, dass unionsrechtliche Vorschriften tatsächlich und wahrhaftig umgesetzt werden. Mit Blick auf den in Rede stehende Rechtsstreit bedeutet dies, dass der Senat zwar davon ausgeht, dass die Kontrolle nach Art. 6 Abs. 1 VO Nr. 1255/97 durchgeführt wurde, bevor die Tiere den Aufenthaltsort verließen, dass indes nicht angenommen werden kann, dass die Kontrolle unmittelbar vor Verlassen des Aufenthaltsortes erfolgte, zumal selbst auf der Basis des Eintrags des Fahrers des vorliegenden Tiertransportes die Tiere bereits zwei Stunden nach Mitternacht den Aufenthaltsort verließen. Dass der Sachverhalt insoweit nicht weiter aufgeklärt werden kann, geht zu Lasten des beklagten Hauptzollamtes, das für die Voraussetzungen der Nichtzahlung der Erstattung nach Art. 5 Abs. 1 VO Nr. 639/2003 darlegungs- und beweispflichtig ist.

15

Entsprechend verhält es sich in Bezug auf den Kontrollvermerk des amtlichen Tierarztes an der Ausgangszollstelle der Europäischen Union, der ebenfalls das Datum des 08.09.2006 trägt. Der Senat kann offen lassen, ob die nach Art. 2 Abs. 2 VO Nr. 639/2003 vorgeschriebene Kontrolle der Einhaltung der unionsrechtlichen Tierschutzbestimmungen vom Versandort bis zur Ausgangsstelle bereits bei Einfahrt in die Freizone oder erst bei Verlassen des Aufenthaltsortes durchgeführt wurde. Sollte diese Kontrolle, die im Übrigen von demselben Tierarzt durchgeführt wurde, der später (?) auch die Kontrolle nach Art. 6 Abs. 1 VO Nr. 1255/97 veranlasste, bei Einfahrt in die Freizone erfolgt sein, würde sich das Datum der Kontrolle - scil. der 08.09.2006 - harmonisch einfügen in die Angaben im Transportplan, wonach die 24-stündige Ruhezeit am 08.09.2006 um 1.00 Uhr begann und am 09.09.2006 um 2.00 Uhr endete. Sollte freilich - dieser Variante scheint das beklagte Hauptzollamt zuzuneigen - die fragliche Kontrolle an der Ausgangsstelle erst im Zusammenhang mit der Beendigung der Ruhezeit der Tiere am zugelassenen Aufenthaltsort erledigt worden sein, greifen auch insoweit die vorstehend skizzierten Bedenken bezüglich der Aussagekraft des amtstierärztlichen Vermerks auf dem Transportplan.

16

Das beklagte Hauptzollamt kann sich ferner nicht darauf berufen, dass die Klägerin selbst widersprüchliche Angaben zum Beginn und Ende der 24-stündigen Ruhezeit gemacht hat. Der Erklärung der Spedition E, die die Klägerin im Verlauf des Einspruchsverfahrens eingereicht hat, kommt zur Überzeugung des Senats kein Aussage- und Beweiswert zu. Unter Berücksichtigung dieser Erklärung hätte der in Rede stehende Tiertransport für die Strecke von B bis C, die 713 km (Fahrt über die A9) bzw. 653 km (Fahrt über die A93) beträgt und über die Alpen führt, weniger als 8 Stunden benötigt, was der Senat auch bei Annahme günstigster Verkehrsverbindungen für ausgeschlossen hält, zumal für die Fahrt mit einem PKW - wie eine google-maps-Recherche ergeben hat - wenigstens 6 Stunden und 51 Minuten (A9) bzw. 7 Stunden und 22 Minuten (A93) benötigt werden und vorliegend ein weiteres Zeitfenster für die Kontrolle bei der Einfahrt in der Freizone einzukalkulieren ist.

17

Es verbleibt der Einwand des beklagten Hauptzollamtes, dass der Frachtvertrag als "Sailing Date" den 08.09.2006 ausweise. Aber auch dieser Umstand stellt weder für sich genommen noch in Verbindung mit den weiteren vom beklagten Hauptzollamt vorgebrachten Gesichtspunkten eine Information dar, die den Schluss zulässt, dass die Richtlinie 91/628/EWG bzw. die Verordnung Nr. 1/2005 nicht eingehalten wurde. Insoweit hat sich der Senat zum einen von der Erwägung leiten lassen, dass das im Frachtvertrag ausgewiesene Abfahrtsdatum nicht - gleichsam zwangsläufig - auch dafür steht, dass die Fähre an diesem Tag auch den Hafen von C tatsächlich verlassen hat. Zum anderen - und dieser Gesichtspunkt wiegt schwerer - hat die Klägerin bereits im Oktober 2007 eine Erklärung der Firma eingereicht (vgl. Bl. 93 der Sachakte), die zum damaligen Zeitpunkt Betreiber des Aufenthaltsortes in C sowie als Spedition für die Buchung der Fährschiffe und die zoll- und veterinärrechtliche Abwicklung am Ausgangsort zuständig war. Diese Firma - scil. F - hat bestätigt, dass die LKW, mit denen die Tiere auf der Fähre nach D verschifft wurden, am 09.09.2006 um 3.00 Uhr an Bord verladen waren ("... we confirm that the trucks were loaded on board of Ro/ro "G" on 09/09/2006 03.00 hrs ...", Bl. 94 der Sachakte). Vor dem Hintergrund dieser Erklärung, deren Richtigkeit in Zweifel zu ziehen der Senat keinen Anlass hat, geht der Beweiswert des Frachtvertrages in Bezug auf die Fragestellung, ob die Tiere in der im Transportplan angegebenen Zeit eingestallt waren, gegen Null. Nach dem Dafürhalten des erkennenden Senats kann sich nach alledem das beklagte Hauptzollamt auf keine Informationen stützen, die den Schluss rechtfertigen, die unionsrechtlichen Tierschutzvorschriften seien im Streitfall nicht eingehalten worden. Oder mit anderen Worten: Es erweist sich als reine Spekulation, anzunehmen, die Klägerin habe die Vorschriften der Richtlinie 91/628/EWG bzw. der Verordnung Nr. 1/2005 nicht beachtet.

18

b) Unbeschadet der vorstehenden Darlegungen kann der Klägerin aus einem weiteren, selbständigen Grunde die begehrte Ausfuhrerstattung nicht versagt werden:

19

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 30.06.2011 (C-485/09) ausgeführt, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten die Verordnung Nr. 615/98 (die Vorgängerverordnung zur VO Nr. 639/2003) in Bezug auf den Schutz lebender Rinder beim Transport in einer Weise anzuwenden haben, die im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz steht (vgl. 2. Leitsatz sowie Rz. 41). Die zuständige Behörde habe - so heißt es in dem Urteil weiter - zu prüfen, ob die Bestimmung, die nicht eingehalten worden sei, das Wohlbefinden der Tiere betreffe, ob diese Nichtbeachtung das Wohlbefinden sämtlicher Tiere oder nur einer begrenzten Zahl der Tiere betroffen habe, ob die festgestellte Nichtbeachtung geheilt werden könne und ob der Verstoß gegen diese Bestimmung der Richtlinie 91/628/EWG bzw. Verordnung 1/2005 zum Verlust, zur Kürzung oder zur Aufrechterhaltung der Ausfuhrerstattung führen müsse (Rz. 38). Im Streitfall kann diese Prüfung - ein Verstoß gegen die Ruhezeitanforderung unterstellt - unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur zur Aufrechterhaltung der Ausfuhrerstattung führen. Denn der vorliegende Rechtsstreit ist dadurch geprägt, dass letztlich allein eine Unterschreitung der 24-stündigen Ruhezeit von wenigen Stunden in Rede steht, nachdem der Transport die Strecke vom Versandort zum Ausgangsort in einer Zeit zurückgelegt hatte, die deutlich unterhalb des zulässigen ersten Transportintervalls von 14 Stunden lag; der klägerische Transport musste weder eine Ruhepause, die durchaus mehrere Stunden betragen kann, einlegen noch das zweite Transportintervall von 14 Stunden in Anspruch nehmen. Unter Berücksichtigung dieses besonderen Transportverlaufs kommt mit Blick auf den in Rede stehenden - möglichen - Verstoß gegen die Richtlinie 91/628/EWG bzw. die Verordnung 1/2005 als Entscheidung des beklagten Hauptzollamtes, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht, allein die Gewährung der Erstattung in Betracht.

20

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 MOG findet § 139 Abs. 2 FGO in marktordnungsrechtlichen Streitigkeiten keine Anwendung. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben.

(1) Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt, unabhängig davon, ob er nach anderen Vorschriften rechtsfähig ist. Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird.

(2) Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt,

1.
soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind,
2.
wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Die Wirkungen der Organschaft sind auf Innenleistungen zwischen den im Inland gelegenen Unternehmensteilen beschränkt. Diese Unternehmensteile sind als ein Unternehmen zu behandeln. Hat der Organträger seine Geschäftsleitung im Ausland, gilt der wirtschaftlich bedeutendste Unternehmensteil im Inland als der Unternehmer.

(3) (weggefallen)

(1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:

1.
die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Steuerbarkeit entfällt nicht, wenn der Umsatz auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung ausgeführt wird oder nach gesetzlicher Vorschrift als ausgeführt gilt;
2.
(weggefallen)
3.
(weggefallen)
4.
die Einfuhr von Gegenständen im Inland oder in den österreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg (Einfuhrumsatzsteuer);
5.
der innergemeinschaftliche Erwerb im Inland gegen Entgelt.

(1a) Die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen unterliegen nicht der Umsatzsteuer. Eine Geschäftsveräußerung liegt vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird. Der erwerbende Unternehmer tritt an die Stelle des Veräußerers.

(2) Inland im Sinne dieses Gesetzes ist das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme des Gebiets von Büsingen, der Insel Helgoland, der Freizonen im Sinne des Artikels 243 des Zollkodex der Union (Freihäfen), der Gewässer und Watten zwischen der Hoheitsgrenze und der jeweiligen Strandlinie sowie der deutschen Schiffe und der deutschen Luftfahrzeuge in Gebieten, die zu keinem Zollgebiet gehören. Ausland im Sinne dieses Gesetzes ist das Gebiet, das danach nicht Inland ist. Wird ein Umsatz im Inland ausgeführt, so kommt es für die Besteuerung nicht darauf an, ob der Unternehmer deutscher Staatsangehöriger ist, seinen Wohnsitz oder Sitz im Inland hat, im Inland eine Betriebsstätte unterhält, die Rechnung erteilt oder die Zahlung empfängt. Zollkodex der Union bezeichnet die Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. L 269 vom 10.10.2013, S. 1; L 287 vom 20.10.2013, S. 90) in der jeweils geltenden Fassung.

(2a) Das Gemeinschaftsgebiet im Sinne dieses Gesetzes umfasst das Inland im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 und die Gebiete der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die nach dem Gemeinschaftsrecht als Inland dieser Mitgliedstaaten gelten (übriges Gemeinschaftsgebiet). Das Fürstentum Monaco gilt als Gebiet der Französischen Republik; die Insel Man gilt als Gebiet des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland. Drittlandsgebiet im Sinne dieses Gesetzes ist das Gebiet, das nicht Gemeinschaftsgebiet ist.

(3) Folgende Umsätze, die in den Freihäfen und in den Gewässern und Watten zwischen der Hoheitsgrenze und der jeweiligen Strandlinie bewirkt werden, sind wie Umsätze im Inland zu behandeln:

1.
die Lieferungen und die innergemeinschaftlichen Erwerbe von Gegenständen, die zum Gebrauch oder Verbrauch in den bezeichneten Gebieten oder zur Ausrüstung oder Versorgung eines Beförderungsmittels bestimmt sind, wenn die Gegenstände
a)
nicht für das Unternehmen des Abnehmers erworben werden, oder
b)
vom Abnehmer ausschließlich oder zum Teil für eine nach § 4 Nummer 8 bis 27 und 29 steuerfreie Tätigkeit verwendet werden;
2.
die sonstigen Leistungen, die
a)
nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers ausgeführt werden, oder
b)
vom Leistungsempfänger ausschließlich oder zum Teil für eine nach § 4 Nummer 8 bis 27 und 29 steuerfreie Tätigkeit verwendet werden;
3.
die Lieferungen im Sinne des § 3 Abs. 1b und die sonstigen Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9a;
4.
die Lieferungen von Gegenständen, die sich im Zeitpunkt der Lieferung
a)
in einem zollamtlich bewilligten Freihafen-Veredelungsverkehr oder in einer zollamtlich besonders zugelassenen Freihafenlagerung oder
b)
einfuhrumsatzsteuerrechtlich im freien Verkehr befinden;
5.
die sonstigen Leistungen, die im Rahmen eines Veredelungsverkehrs oder einer Lagerung im Sinne der Nummer 4 Buchstabe a ausgeführt werden;
6.
(weggefallen)
7.
der innergemeinschaftliche Erwerb eines neuen Fahrzeugs durch die in § 1a Abs. 3 und § 1b Abs. 1 genannten Erwerber.
Lieferungen und sonstige Leistungen an juristische Personen des öffentlichen Rechts sowie deren innergemeinschaftlicher Erwerb in den bezeichneten Gebieten sind als Umsätze im Sinne der Nummern 1 und 2 anzusehen, soweit der Unternehmer nicht anhand von Aufzeichnungen und Belegen das Gegenteil glaubhaft macht.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 2. Dezember 2010  5 K 387/07 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) vermietete im Jahr 1998 (Streitjahr) in X und in Y einfach möblierte Zimmer an die dort tätigen Prostituierten. Die Zimmer wurden einzeln ausschließlich an jeweils eine Prostituierte vermietet; sie wurden nicht durch mehrere Prostituierte genutzt. Die Prostituierten hatten dort ihre persönlichen Sachen und zum Teil eigene kleinere Möbel untergebracht. Die Zimmer waren mit einem Alarmknopf und einer Gegensprechanlage ausgestattet. Zur Straßenseite verfügten die Häuser über mit einem Schaufenster versehene sog. "Kober", die von allen Prostituierten genutzt wurden, um mit potentiellen Freiern Kontakt aufzunehmen sowie Leistungen und Preise auszuhandeln.

2

Das Haus in X verfügte über eine Gemeinschaftsküche mit Esstisch und Fernsehgerät sowie über eine EC-Cash-Einrichtung, über die die Freier mit EC-Karte bezahlen konnten; die Häuser in Y trugen die Beschriftung "A" bzw. "B" und hatten jeweils eine Teeküche.

3

Die Überlassungsverträge wurden mündlich und unbefristet abgeschlossen, die Miete betrug --jeweils je Tag-- in X 70 DM und in Y 40 DM. Für den Fall, dass eine Gebrauchsüberlassung an die Prostituierte aufgrund Erkrankung nicht erfolgen konnte, minderte sich die Miete; bei längerer Abwesenheit der Prostituierten wurde die Mietzinsverpflichtung ausgesetzt bis auf einen Mindestanspruch der Klägerin von 360 DM monatlich. Daneben mussten die Prostituierten einen täglichen Beitrag für die "Nachtwache" sowie eine wöchentliche Pauschale für Licht und Papier entrichten. Die Klägerin stellte ihnen und den Freiern gegen gesondertes Entgelt Getränke zur Verfügung; in X mussten die Prostituierten einen täglichen Mindestverzehr für Getränke und Süßwaren tätigen.

4

Das Offenhalten der Häuser erfolgte ausschließlich durch die Prostituierten selbst, nicht durch die Klägerin oder von ihr beauftragte Personen. Für das Haus in X hatte sie eine Wirtschafterin angestellt, die jeden Tag von 8:00 bis 15:00 Uhr anwesend war. Zu deren Aufgaben gehörte neben der Vereinnahmung der Tagesmieten, der Beaufsichtigung von Handwerkern und der Reinigung des Büroraumes auch die Bewirtschaftung der Küche. Dort bereitete sie den Mieterinnen Frühstück und Mittagessen zu; außerdem erledigte sie Einkäufe für die Prostituierten.

5

Die Klägerin behandelte die gegenüber den Prostituierten ausgeführten Umsätze zunächst als umsatzsteuerpflichtig und gab für das Streitjahr eine entsprechende Jahreserklärung mit einer verbleibenden Umsatzsteuer von ... DM (... €) ab. Später reichte sie eine berichtigte Steuererklärung für das Streitjahr ein, in der sie die Umsätze nunmehr als steuerfrei behandelte und eine verbleibende Umsatzsteuer von ... DM (... €) errechnete.

6

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ging mit Bescheid vom 23. September 2004 dagegen weiter von der Steuerpflicht der Umsätze aus (Umsatzsteuer ... €).

7

Mit dem hiergegen eingelegten Einspruch machte die Klägerin geltend, bei der streitgegenständlichen Raumüberlassung handele es sich nicht um eine (steuerpflichtige) kurzfristige Vermietung i.S. des § 4 Nr. 12 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG); es würden keine Wohn- und Schlafräume, sondern Räume zur Ausübung der Prostitution überlassen. Da die von ihr --der Klägerin-- erbrachten Nebenleistungen die Vermietungsleistung nicht überdeckten, liege ein gemischter Vertrag mit klar voneinander getrennten Leistungselementen, jedoch kein Vertrag besonderer Art vor; denn sie habe neben der Zimmervermietung keine Maßnahmen ergriffen, die im Sinne der (älteren) Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die "gewerbsmäßige Unzucht" der Mieterinnen gefördert hätten.

8

Im Einspruchsverfahren setzte das FA --aus anderen, hier nicht streitigen Gründen-- mit Änderungsbescheid vom 19. Juli 2007 die Umsatzsteuer für das Streitjahr auf ... € fest und wies den Einspruch der Klägerin mit Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2007 als unbegründet zurück.

9

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es entschied, die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 UStG seien im Streitfall nicht erfüllt. Die Klägerin habe keine Vermietungsleistung i.S. des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG erbracht.

10

Die Klägerin stützt ihre Revision auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

11

Sie bringt im Wesentlichen vor, sie habe entgegen der Auffassung des FG die Räume im Rahmen einer Vermietung i.S. des § 4 Nr. 12 UStG überlassen. Die Überlassung sei nicht zum "Wohnen und Schlafen", sondern zu gewerbsmäßigen Zwecken erfolgt, weshalb § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG auch nach dem BFH-Urteil vom 22. August 2013 V R 18/12 (BFHE 243, 32, BStBl II 2013, 1058) nicht einschlägig sei. Das FG suggeriere in einer Fehlinterpretation der BFH-Urteile vom 10. August 1961 V 95/60 U (BFHE 73, 714, BStBl III 1961, 525) und V 31/61 U (BFHE 73, 717, BStBl III 1961, 526) zu Unrecht, dass für eine steuerfreie Vermietung stets die Vermietung zu Wohnzwecken erforderlich sei.

12

Nach den Feststellungen des FG seien die Zimmer den Prostituierten jeweils zur alleinigen Nutzung überlassen und damit i.S. des § 4 Nr. 12 UStG vermietet worden --wie in dem vom FG Düsseldorf mit Urteil vom 9. Oktober 1996  5 K 7121/92 U (Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 506) entschiedenen Fall--, wodurch sich der Streitfall von dem vom BFH entschiedenen Sachverhalt im Beschluss vom 13. September 2002 V B 51/02 (BFH/NV 2003, 212) maßgeblich unterscheide.

13

Hinsichtlich der Dauer der Grundstücksnutzung als einem Hauptelement eines Mietvertrags (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- vom 18. Januar 2001 C-150/99, Stockholm Lindöpark, Slg. 2001, I-493, BFH/NV Beilage 2001, 44, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2001, 153) stelle die Vorentscheidung unzutreffend auf die tatsächliche Dauer der Mietverhältnisse anstatt auf die aus den Gesamtumständen ableitbare Absicht des Vermieters ab (z.B. BFH-Urteil vom 25. Januar 1996 V R 6/95, BFH/NV 1996, 583).

14

Die Vermietung werde vorliegend auch nicht im Rahmen eines Vertrages besonderer Art durch andere Dienstleistungselemente überlagert. Für eine solche Überlagerung müssten die Überlassungsleistungen von den sonstigen Leistungsanteilen dominiert werden, nämlich "wenn der Vermieter durch Maßnahmen oder Einrichtungen eine Organisation schafft und unterhält, die die gewerbsmäßige Unzucht der Bewohnerinnen fördert" (BFH-Urteile in BFHE 73, 714, BStBl III 1961, 525, und in BFHE 73, 717, BStBl III 1961, 526). Unabhängig davon, ob sich diese Einordnung der Prostitution unter Berücksichtigung ihres gewandelten gesellschaftlichen Bildes noch halten lasse, unterhalte sie, die Klägerin, weder ein Bordell noch eine diesbezügliche "Organisation", sondern vermiete lediglich Zimmer.

15

Im Übrigen seien die Tatsachenfeststellungen des FG widersprüchlich und lückenhaft; sie verstießen zum Teil gegen den klaren Akteninhalt. Die Schlussfolgerungen des FG seien in wesentlichen Teilen nicht nachvollziehbar.

16

Die Klägerin beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid für 1998 vom 19. Juli 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2007 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf ... € festgesetzt wird,
hilfsweise die Sache unter Aufhebung der Vorentscheidung zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

17

Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

18

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Würdigung des FG, bei den streitigen Leistungen der Klägerin handele es sich nicht um Vermietungsleistungen i.S. von § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

19

1. Von der Steuer befreit ist nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG u.a. die Vermietung von Grundstücken. Die Steuerfreiheit erstreckt sich dabei auch auf die Vermietung einzelner Räume (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 8. Oktober 1991 V R 95/89, BFHE 166, 191, BStBl II 1992, 209, unter II.1.a; vom 21. April 1993 XI R 55/90, BFHE 172, 141, BStBl II 1994, 266, unter II.2.b; vom 24. April 2014 V R 27/13, BFHE 245, 404, BStBl II 2014, 732, Rz 18).

20

Die Vorschrift beruht auf Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG; seit dem 1. Januar 2007 auf Art. 135 Abs. 1 Buchst. l der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem), wonach die Vermietung von Grundstücken grundsätzlich steuerfrei ist.

21

a) Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG für die Vermietung möblierter Räume oder Gebäude bejaht, wenn es sich um eine auf Dauer angelegte und nicht um eine kurzfristige Überlassung handelt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 20. August 2009 V R 21/08, BFH/NV 2010, 473, Rz 15, m.w.N.; vom 8. August 2013 V R 7/13, BFH/NV 2013, 1952, Rz 16, m.w.N.; in BFHE 243, 32, BStBl II 2013, 1058, Rz 12; vom 19. Februar 2014 XI R 1/12, BFH/NV 2014, 1398, Rz 23, m.w.N.). Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG, wonach "die Dauer der Grundstücksnutzung ein Hauptelement eines Mietvertrags" bildet (EuGH-Urteile vom 12. Februar 1998 C-346/95, Blasi, Slg. 1998, I-481, UR 1998, 189, Rz 23, und Stockholm Lindöpark in Slg. 2001, I-493, BFH/NV Beilage 2001, 44, UR 2001, 153, Rz 27).

22

b) Ob eine Vermietungstätigkeit vorliegt, richtet sich umsatzsteuerrechtlich aufgrund richtlinienkonformer Auslegung nicht nach den Vorschriften des nationalen Zivilrechts, sondern nach dem Unionsrecht (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 16. Januar 2003 C-315/00, Maierhofer, Slg. 2003, I-563, BFH/NV Beilage 2003, 104, Rz 26; BFH-Urteile vom 7. Juli 2011 V R 41/09, BFHE 234, 513, BStBl II 2014, 73, Rz 19; vom 21. Februar 2013 V R 10/12, BFH/NV 2013, 1635, Rz 26; vom 13. Februar 2014 V R 5/13, BFHE 245, 92, BFH/NV 2014, 1159, Rz 19, und in BFH/NV 2014, 1398, Rz 26).

23

Das grundlegende Merkmal des unionsrechtlichen Begriffs der "Vermietung von Grundstücken" besteht darin, dass dem Vertragspartner auf bestimmte Zeit gegen eine Vergütung das Recht eingeräumt wird, ein Grundstück so in Besitz zu nehmen, als wäre er dessen Eigentümer, und jede andere Person von diesem Recht auszuschließen (EuGH-Urteile vom 4. Oktober 2001 C-326/99, Goed Wonen, Slg. 2001, I-6831, BFH/NV Beilage 2002, 10, Rz 55; vom 9. Oktober 2001 C-108/99, Cantor Fitzgerald International, Slg. 2001, I-7257, BFH/NV Beilage 2002, 19, Rz 21; vom 12. Juni 2003 C-275/01, Sinclair Collis, Slg. 2003, I-5965, BFH/NV Beilage 2003, 216, Rz 25; vom 18. November 2004 C-284/03, Temco Europe, Slg. 2004, I-11237, BFH/NV Beilage 2005, 86, Rz 19; vom 16. Dezember 2010 C-270/09, MacDonald Resorts, Slg. 2010, I-13179, UR 2011, 462, Rz 46; vgl. auch BFH-Urteil vom 27. September 2007 V R 73/05, BFH/NV 2008, 252, unter II.1., m.w.N.). Maßgebend ist der objektive Inhalt des Vorgangs, unabhängig von der Bezeichnung, die die Parteien ihm gegeben haben (EuGH-Urteil MacDonald Resorts in Slg. 2010, I-13179, UR 2011, 462, Rz 46, m.w.N.).

24

c) Der Begriff "Vermietung von Grundstücken" i.S. von § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG und Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ist eng auszulegen, da diese Bestimmungen eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz vorsehen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt (EuGH-Urteile Goed Wonen in Slg. 2001, I-6831, BFH/NV Beilage 2002, 10, Rz 46, und Temco Europe in Slg. 2004, I-11237, BFH/NV Beilage 2005, 86, Rz 17).

25

d) Allerdings können mehrere Leistungen auch derart untrennbar miteinander verbunden sein, dass sie eine einheitliche (komplexe) Leistung bilden, die nicht als Vermietung von Grundstücken umsatzsteuerfrei, sondern umsatzsteuerpflichtig ist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 31. Mai 2001 V R 97/98, BFHE 194, 555, BStBl II 2001, 658, unter II.2.a; vom 24. Januar 2008 V R 12/05, BFHE 221, 310, BStBl II 2009, 60, unter II.2.a; vom 4. Mai 2011 XI R 35/10, BFHE 233, 379, BStBl II 2011, 836, Rz 25 ff.; EuGH-Urteil vom 27. September 2012 C-392/11, Field Fisher Waterhouse, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2012, 1210, UR 2012, 964, Rz 15 ff.).

26

Steuerfreie Vermietungsleistungen liegen demnach nicht vor, wenn nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse die Überlassung des Grundstücks oder Grundstücksteiles zum Gebrauch von anderen wesentlicheren Leistungen überdeckt wird (vgl. BFH-Urteile in BFHE 73, 714, BStBl III 1961, 525; in BFHE 73, 717, BStBl III 1961, 526; vom 10. August 1961 V 111/60, HFR 1962, 145; BFH-Beschluss vom 26. April 2002 V B 168/01, BFH/NV 2002, 1345, unter II.2.c). Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn Unterkünfte an Prostituierte vermietet werden und nicht die Grundstücksnutzung, sondern die Möglichkeit, die Prostitution auszuüben, aus der Sicht des Leistungsempfängers im Vordergrund steht (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 212, unter II.2.a; BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 1398, Rz 25; vgl. auch BFH-Urteil vom 12. April 1988 VIII R 256/81, BFH/NV 1989, 44 zum Ertragsteuerrecht).

27

2. Das FG ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Seine tatsächlichen Feststellungen tragen im Ergebnis seine Entscheidung, dass im Streitfall die Voraussetzungen einer steuerfreien Vermietung i.S. von § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG nicht vorliegen.

28

a) Die Klägerin rügt zwar zu Recht, dass --entgegen der Auffassung des FG-- in "der dauerhaften Wohnsitznahme der Prostituierten" (S. 10 des Urteils) keine wesentliche Voraussetzung für eine steuerfreie Vermietungsleistung i.S. von § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG liegt. Im Anwendungsbereich dieser Steuerbefreiung kommt es nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nicht darauf an, ob die Prostituierten in dem Objekt ihren Wohnsitz hatten.

29

b) Dies verhilft der Revision allerdings trotzdem nicht zum Erfolg. Denn die Steuerpflicht der von der Klägerin erbrachten Leistungen ergibt sich bereits aus der tatsächlichen Würdigung des FG, dass die von der Klägerin neben der Überlassung der Räume erbrachten Leistungen "der Gesamtleistung der Klägerin ein anderes Gepräge geben als ein reines Mietverhältnis" (S. 10 des Urteils).

30

Das FG hat diese tatsächliche Würdigung darauf gestützt, dass die Klägerin neben der Überlassung der einzelnen Räume an die Prostituierten eine Vielzahl an weiteren Leistungen erbracht hat. Diese umfassten einen Platz in einem der "Kober", der speziell zur Kontaktaufnahme und Vertragsanbahnung mit den Freiern diente und im Gegensatz zu den Räumen durch wechselnde Prostituierte im Schichtbetrieb genutzt wurde, die Ausstattung der Räume mit Alarmknopf und Gegensprechanlage, die Reinigung der Zimmer, den Verkauf von Getränken und Süßwaren gegen gesondertes Entgelt sowie die Nutzung von Gemeinschaftseinrichtungen wie die Küche in X bzw. die Teeküche in Y. Die Prostituierten hatten aufgrund der mündlich und ohne weitere Zeitangabe geschlossenen Verträge hierfür einen einheitlichen Tagespreis von 40 DM in Y bzw. 70 DM in X zu zahlen, der deutlich über einer Wohnungsmiete lag und der sich zum anderen bei Krankheit oder Urlaub minderte. Diese Feststellungen betreffen sowohl das Haus in X als auch die Häuser in Y und sind zwischen den Beteiligten unstreitig.

31

Nach den Feststellungen des FG konnten die Verträge außerdem von beiden Seiten "von einem Tag auf den anderen" (S. 3 des Urteils) gekündigt werden.

32

c) Bereits aufgrund dieser Feststellungen, die sowohl das Haus in X als auch die Häuser in Y betreffen, ist die dem FG obliegende (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 1398, Rz 28) und von ihm im Streitfall vorgenommene tatsächliche Würdigung möglich.

33

Soweit das FG aus diesen Tatsachen den Schluss zieht, dass die neben der Raumüberlassung erbrachten Leistungen der Gesamtleistung der Klägerin das Gepräge geben, ist diese tatsächliche Würdigung verfahrensfehlerfrei zustande gekommen und entgegen der Ansicht der Klägerin weder widersprüchlich, lückenhaft oder mehrdeutig noch verstößt sie gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. Sie bindet damit den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO auch dann, wenn sie nicht die allein in Betracht kommende Würdigung ist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 4. Dezember 2001 IX R 70/98, BFH/NV 2002, 635, unter II.2.; vom 4. September 2003 V R 9-10/02, BFHE 203, 389, BStBl II 2004, 627, unter II.3.; vom 9. Dezember 2009 II R 52/07, BFH/NV 2010, 824, Rz 17; BFH-Beschluss vom 23. September 2014 V B 37/14, BFH/NV 2015, 67, Rz 8). Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 19. Mai 2010 XI R 78/07, BFH/NV 2010, 2132, Rz 33; BFH-Beschluss vom 29. September 2010 XI S 23/10 (PKH), BFH/NV 2010, 2310, Rz 10) liegen im Streitfall nicht vor.

34

aa) Entgegen der Ansicht der Klägerin hat das FG im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen stets zutreffend zwischen dem Haus in X und den beiden Häusern in Y unterschieden. So wird auf S. 3 seines Urteils festgestellt, dass nur in X eine Wirtschafterin angestellt war, zu deren Aufgaben unter anderem die Zubereitung von Frühstück und Mittagessen gehörte. Auch in den Entscheidungsgründen stellt das FG in den Aufzählungen jeweils heraus, dass einzelne Leistungen nur in X erbracht worden sind. Dass in den Entscheidungsgründen teilweise Elemente aller Häuser im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aufgezählt werden, bedeutet nicht, dass das FG diese Unterscheidung aufgegeben hat.

35

bb) Das FG musste nicht feststellen, ob die Klägerin die Absicht hatte, lang- oder kurzfristig zu vermieten.

36

Bei der Abgrenzung zwischen Vermietungsleistung und anderer sonstiger Leistung ist die Mietdauer nicht das allein entscheidende Kriterium (EuGH-Urteil Temco Europe in Slg. 2004, I-11237, BFH/NV Beilage 2005, 86, Rz 21). Es ist deswegen nicht ausgeschlossen, dass auch bei langfristiger Vermietung ein anderes Leistungselement oder andere Leistungselemente als die Raumüberlassung für die Gesamtleistung prägend sind (vgl. EuGH-Urteil Sinclair Collis in Slg. 2003, I-5965, BFH/NV Beilage 2003, 216, Rz 30; BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 1398, Rz 22 bis 25, m.w.N.).

37

cc) Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die von den Prostituierten genutzten "Kober" nicht mit Schaufenstern von Ladenlokalen gleichzustellen, wie keiner näheren Darlegung bedarf.

38

dd) Mit ihrem im Einzelnen begründeten Einwand, es liege kein Vertrag besonderer Art vor, weil die Elemente der Vermietung im Streitfall nicht durch andere Dienstleistungselemente überlagert würden, setzt die Klägerin lediglich ihre Würdigung des Sachverhalts an die Stelle der Würdigung des FG. Dies genügt nicht, um die Bindungswirkung des § 118 Abs. 2 FGO entfallen zu lassen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 15. Juli 1986 VIII R 187/84, BFH/NV 1987, 40; vom 14. Mai 2014 XI R 13/11, BFHE 245, 424, BStBl II 2014, 734, Rz 31).

39

ee) Soweit die Klägerin betont, dass sie die Häuser, in denen sie Zimmer an Prostituierte vermietet, geerbt hat und dass aufgrund der räumlichen Lage der Häuser keine andere Chance bestanden habe, als diese so zu vermieten, wie sie sie vermietet habe, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung der objektiv vorliegenden Gegebenheiten.

40

d) Die von der Klägerin angeführten Urteile stehen dieser Entscheidung nicht entgegen.

41

aa) Die dem Urteil des BFH in BFH/NV 2010, 473 zugrunde liegende Vermietung eines gesamten Seniorenpflegeheims einschließlich Erstausrüstung ist in tatsächlicher Hinsicht nicht mit der hier streitgegenständlichen Raumüberlassung vergleichbar.

42

bb) Der V. Senat des BFH hat zwar im Urteil in BFHE 243, 32, BStBl II 2013, 1058 in Rz 13 ausgeführt, im Streitfall habe "das FG zu Recht die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die aufgrund des Verzichts (§ 9 UStG) steuerpflichtige Leistung verneint". Dem lässt sich aber nicht die Auffassung des V. Senats des BFH entnehmen, im dort entschiedenen Streitfall habe eine steuerfreie Vermietung nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG vorgelegen.

43

Er hat mit dieser Äußerung vielmehr lediglich an die --in Rz 4 seines Urteils wiedergegebene-- Begründung der Vorinstanz angeknüpft, "ob die Leistung als Vermietung nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfrei sei oder eine steuerpflichtige sonstige Leistung eigener Art vorliege, könne offen bleiben, da die Klägerin zumindest auf die Steuerfreiheit nach § 9 Abs. 1 UStG verzichtet habe". Aus der von der Klägerin in Bezug genommenen Anmerkung eines Mitglieds des V. Senats zu diesem Urteil in BFH/PR 2014, 17 ergibt sich nichts anderes.

44

e) Eine andere Beurteilung des Streitfalls ist auch nicht deshalb geboten, weil die Urteile, in denen über die hier streitige Abgrenzung erstmals vom BFH entschieden worden ist, aus dem Jahr 1961 stammen.

45

Der Klägerin ist zuzugeben, dass der darin verwendete Begriff der Förderung der "gewerbsmäßigen Unzucht" spätestens seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz) am 1. Januar 2002 überholt ist (vgl. auch BFH-Beschluss vom 20. Februar 2013 GrS 1/12, BFHE 140, 282, BStBl II 2013, 441; s. aber zur Umsatzsteuer bereits BFH-Urteil vom 4. Juni 1987 V R 9/79, BFHE 150, 192, BStBl II 1987, 653). Maßgeblich ist aber --wie dargelegt-- nach wie vor, ob die Raumüberlassung durch die Leistungselemente der Vermietung oder durch andere Leistungselemente, die der Förderung der gewerblichen Tätigkeit der Prostituierten dienen, geprägt wird. Für die Vermietung an Prostituierte gelten mithin dieselben Grundsätze wie für jede andere gewerbliche Vermietung an andere Unternehmer auch.

46

f) Die von der Klägerin gerügte Ungleichbehandlung ihrer gewerblichen Vermietung gegenüber der langfristigen Vermietung von Räumen zum Betrieb einer Gaststätte, eines Restaurants, eines Erotikshops, eines Swingerclubs liegt offensichtlich schon deshalb nicht vor, weil derartige Räume nicht mit den im Streitfall festgestellten zusätzlichen Leistungen vermietet werden und zudem derartige Mietverhältnisse nicht --wie hier-- Mietminderungen bei Krankheit vorsehen und auch nicht von beiden Seiten "von einem auf den anderen Tag" gekündigt werden können (vgl. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1345, unter II.2.c).

47

3. Eine Vorlage an den EuGH kommt im Streitfall nicht in Betracht. Der EuGH hat bereits entschieden, dass für die Frage, wie ein steuerbarer Umsatz einzuordnen ist, eine Gesamtbetrachtung aller Umstände anzustellen ist, unter denen der Umsatz erfolgt (EuGH-Urteil Sinclair Collis in Slg. 2003, I-5965, BFH/NV Beilage 2003, 216, Rz 26). Die Vornahme dieser Gesamtbetrachtung ist Sache der nationalen Gerichte (EuGH-Urteile Stockholm Lindöpark in Slg. 2001, I-493, BFH/NV Beilage 2001, 44, Rz 28; Temco Europe in Slg. 2004, I-11237, BFH/NV Beilage 2005, 86, Rz 26; vom 18. Juli 2013 C-210/11, C-211/11, Medicon und Maison Patrice Alard, HFR 2013, 853, UR 2014, 404, Rz 33, m.w.N.).

48

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

(1) Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.

(2) Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 verletzt. Das Gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen nach § 158 Absatz 2 nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen und der Steuerpflichtige die Zustimmung nach § 93 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 nicht erteilt. Hat der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 12 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb verletzt, so wird widerlegbar vermutet, dass in Deutschland steuerpflichtige Einkünfte in Bezug zu Staaten oder Gebieten im Sinne des § 3 Absatz 1 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb

1.
bisher nicht erklärt wurden, tatsächlich aber vorhanden sind, oder
2.
bisher zwar erklärt wurden, tatsächlich aber höher sind als erklärt.

(3) Verletzt ein Steuerpflichtiger seine Mitwirkungspflichten nach § 90 Absatz 3 dadurch, dass er keine Aufzeichnungen über einen Geschäftsvorfall vorlegt, oder sind die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar oder wird festgestellt, dass der Steuerpflichtige Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 Satz 5 nicht zeitnah erstellt hat, so wird widerlegbar vermutet, dass seine im Inland steuerpflichtigen Einkünfte, zu deren Ermittlung die Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 dienen, höher als die von ihm erklärten Einkünfte sind. Hat in solchen Fällen die Finanzbehörde eine Schätzung vorzunehmen und können diese Einkünfte nur innerhalb eines bestimmten Rahmens, insbesondere nur auf Grund von Preisspannen bestimmt werden, kann dieser Rahmen zu Lasten des Steuerpflichtigen ausgeschöpft werden. Bestehen trotz Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen durch den Steuerpflichtigen Anhaltspunkte dafür, dass seine Einkünfte bei Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes höher wären als die auf Grund der Aufzeichnungen erklärten Einkünfte, und können entsprechende Zweifel deswegen nicht aufgeklärt werden, weil eine ausländische, nahe stehende Person ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 oder ihre Auskunftspflichten nach § 93 Abs. 1 nicht erfüllt, ist Satz 2 entsprechend anzuwenden.

(4) Legt ein Steuerpflichtiger über einen Geschäftsvorfall keine Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 vor oder sind die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar, ist ein Zuschlag von 5 000 Euro festzusetzen. Der Zuschlag beträgt mindestens 5 Prozent und höchstens 10 Prozent des Mehrbetrags der Einkünfte, der sich nach einer Berichtigung auf Grund der Anwendung des Absatzes 3 ergibt, wenn sich danach ein Zuschlag von mehr als 5 000 Euro ergibt. Der Zuschlag ist regelmäßig nach Abschluss der Außenprüfung festzusetzen. Bei verspäteter Vorlage von verwertbaren Aufzeichnungen beträgt der Zuschlag bis zu 1 000 000 Euro, mindestens jedoch 100 Euro für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung; er kann für volle Wochen und Monate der verspäteten Vorlage in Teilbeträgen festgesetzt werden. Soweit den Finanzbehörden Ermessen hinsichtlich der Höhe des jeweiligen Zuschlags eingeräumt ist, sind neben dem Zweck dieses Zuschlags, den Steuerpflichtigen zur Erstellung und fristgerechten Vorlage der Aufzeichnungen nach § 90 Absatz 3 anzuhalten, insbesondere die von ihm gezogenen Vorteile und bei verspäteter Vorlage auch die Dauer der Fristüberschreitung zu berücksichtigen. Von der Festsetzung eines Zuschlags ist abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Pflichten nach § 90 Abs. 3 entschuldbar erscheint oder ein Verschulden nur geringfügig ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen steht dem eigenen Verschulden gleich.

(4a) Verletzt der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 12 des Steueroasen-Abwehrgesetzes, ist Absatz 4 entsprechend anzuwenden. Von der Festsetzung eines Zuschlags ist abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten entschuldbar erscheint oder das Verschulden nur geringfügig ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen ist dem Steuerpflichtigen zuzurechnen.

(5) In den Fällen des § 155 Abs. 2 können die in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden.

(1) Der Unternehmer ist verpflichtet, zur Feststellung der Steuer und der Grundlagen ihrer Berechnung Aufzeichnungen zu machen. Diese Verpflichtung gilt in den Fällen des § 13a Absatz 1 Nummer 2 und 5, des § 13b Absatz 5 und des § 14c Absatz 2 auch für Personen, die nicht Unternehmer sind, in den Fällen des § 18k auch für den im Auftrag handelnden Vertreter und in den Fällen des § 21a für die gestellende Person. Ist ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb nach § 24 Absatz 3 als gesondert geführter Betrieb zu behandeln, hat der Unternehmer Aufzeichnungspflichten für diesen Betrieb gesondert zu erfüllen. In den Fällen des § 18 Absatz 4c und 4d sind die erforderlichen Aufzeichnungen vom Ende des Jahres an, in dem der Umsatz bewirkt wurde, zehn Jahre lang aufzubewahren und auf Anfrage des Bundeszentralamtes für Steuern auf elektronischem Weg zur Verfügung zu stellen; in den Fällen des § 18 Absatz 4e sind die erforderlichen Aufzeichnungen vom Ende des Jahres an, in dem der Umsatz bewirkt wurde, zehn Jahre lang aufzubewahren und auf Anfrage der für das Besteuerungsverfahren zuständigen Finanzbehörde auf elektronischem Weg zur Verfügung zu stellen; in den Fällen der §§ 18i, 18j, 18k und 21a sind die erforderlichen Aufzeichnungen vom Ende des Jahres an, in dem der Umsatz oder Geschäftsvorgang bewirkt wurde, zehn Jahre lang aufzubewahren und auf Anfrage der im Inland oder im übrigen Gemeinschaftsgebiet für das besondere Besteuerungsverfahren oder für die Sonderregelung zuständigen Finanzbehörde auf elektronischem Weg zur Verfügung zu stellen.

(2) Aus den Aufzeichnungen müssen zu ersehen sein:

1.
die vereinbarten Entgelte für die vom Unternehmer ausgeführten Lieferungen und sonstigen Leistungen. Dabei ist ersichtlich zu machen, wie sich die Entgelte auf die steuerpflichtigen Umsätze, getrennt nach Steuersätzen, und auf die steuerfreien Umsätze verteilen. Dies gilt entsprechend für die Bemessungsgrundlagen nach § 10 Abs. 4, wenn Lieferungen im Sinne des § 3 Abs. 1b, sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9a sowie des § 10 Abs. 5 ausgeführt werden. Aus den Aufzeichnungen muss außerdem hervorgehen, welche Umsätze der Unternehmer nach § 9 als steuerpflichtig behandelt. Bei der Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten (§ 20) treten an die Stelle der vereinbarten Entgelte die vereinnahmten Entgelte. Im Falle des § 17 Abs. 1 Satz 6 hat der Unternehmer, der die auf die Minderung des Entgelts entfallende Steuer an das Finanzamt entrichtet, den Betrag der Entgeltsminderung gesondert aufzuzeichnen;
2.
die vereinnahmten Entgelte und Teilentgelte für noch nicht ausgeführte Lieferungen und sonstige Leistungen. Dabei ist ersichtlich zu machen, wie sich die Entgelte und Teilentgelte auf die steuerpflichtigen Umsätze, getrennt nach Steuersätzen, und auf die steuerfreien Umsätze verteilen.Nummer 1 Satz 4 gilt entsprechend;
3.
die Bemessungsgrundlage für Lieferungen im Sinne des § 3 Abs. 1b und für sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9a Nr. 1. Nummer 1 Satz 2 gilt entsprechend;
4.
die wegen unrichtigen Steuerausweises nach § 14c Abs. 1 und wegen unberechtigten Steuerausweises nach § 14c Abs. 2 geschuldeten Steuerbeträge;
5.
die Entgelte für steuerpflichtige Lieferungen und sonstige Leistungen, die an den Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, und die vor Ausführung dieser Umsätze gezahlten Entgelte und Teilentgelte, soweit für diese Umsätze nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a Satz 4 die Steuer entsteht, sowie die auf die Entgelte und Teilentgelte entfallenden Steuerbeträge;
6.
die Bemessungsgrundlagen für die Einfuhr von Gegenständen (§ 11), die für das Unternehmen des Unternehmers eingeführt worden sind, sowie die dafür entstandene Einfuhrumsatzsteuer;
7.
die Bemessungsgrundlagen für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen sowie die hierauf entfallenden Steuerbeträge;
8.
in den Fällen des § 13b Absatz 1 bis 5 beim Leistungsempfänger die Angaben entsprechend den Nummern 1 und 2. Der Leistende hat die Angaben nach den Nummern 1 und 2 gesondert aufzuzeichnen;
9.
die Bemessungsgrundlage für Umsätze im Sinne des § 4 Nr. 4a Satz 1 Buchstabe a Satz 2 sowie die hierauf entfallenden Steuerbeträge;
10.
in den Fällen des § 21a Namen und Anschriften der Versender und der Sendungsempfänger, die Bemessungsgrundlagen für die Einfuhr von Gegenständen (§ 11), die hierzu von den Versendern, Sendungsempfängern und Dritten erhaltenen Informationen, sowie die Sendungen, die im abgelaufenen Kalendermonat an die jeweiligen Sendungsempfänger ausgeliefert wurden, die je Sendung vereinnahmten Beträge an Einfuhrumsatzsteuer, die Sendungen, die noch nicht ausgeliefert werden konnten und sich noch in der Verfügungsgewalt der gestellenden Person befinden, sowie die Sendungen, die wiederausgeführt oder unter zollamtlicher Überwachung zerstört oder anderweitig verwertet wurden.

(3) Die Aufzeichnungspflichten nach Absatz 2 Nr. 5 und 6 entfallen, wenn der Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist (§ 15 Abs. 2 und 3). Ist der Unternehmer nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt, so müssen aus den Aufzeichnungen die Vorsteuerbeträge eindeutig und leicht nachprüfbar zu ersehen sein, die den zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätzen ganz oder teilweise zuzurechnen sind. Außerdem hat der Unternehmer in diesen Fällen die Bemessungsgrundlagen für die Umsätze, die nach § 15 Abs. 2 und 3 den Vorsteuerabzug ausschließen, getrennt von den Bemessungsgrundlagen der übrigen Umsätze, ausgenommen die Einfuhren und die innergemeinschaftlichen Erwerbe, aufzuzeichnen. Die Verpflichtung zur Trennung der Bemessungsgrundlagen nach Absatz 2 Nr. 1 Satz 2, Nr. 2 Satz 2 und Nr. 3 Satz 2 bleibt unberührt.

(4) In den Fällen des § 15a hat der Unternehmer die Berechnungsgrundlagen für den Ausgleich aufzuzeichnen, der von ihm in den in Betracht kommenden Kalenderjahren vorzunehmen ist.

(4a) Gegenstände, die der Unternehmer zu seiner Verfügung vom Inland in das übrige Gemeinschaftsgebiet verbringt, müssen aufgezeichnet werden, wenn

1.
an den Gegenständen im übrigen Gemeinschaftsgebiet Arbeiten ausgeführt werden,
2.
es sich um eine vorübergehende Verwendung handelt, mit den Gegenständen im übrigen Gemeinschaftsgebiet sonstige Leistungen ausgeführt werden und der Unternehmer in dem betreffenden Mitgliedstaat keine Zweigniederlassung hat oder
3.
es sich um eine vorübergehende Verwendung im übrigen Gemeinschaftsgebiet handelt und in entsprechenden Fällen die Einfuhr der Gegenstände aus dem Drittlandsgebiet vollständig steuerfrei wäre.

(4b) Gegenstände, die der Unternehmer von einem im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmer mit Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zur Ausführung einer sonstigen Leistung im Sinne des § 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe c erhält, müssen aufgezeichnet werden.

(4c) Der Lagerhalter, der ein Umsatzsteuerlager im Sinne des § 4 Nr. 4a betreibt, hat Bestandsaufzeichnungen über die eingelagerten Gegenstände und Aufzeichnungen über Leistungen im Sinne des § 4 Nr. 4a Satz 1 Buchstabe b Satz 1 zu führen. Bei der Auslagerung eines Gegenstands aus dem Umsatzsteuerlager muss der Lagerhalter Name, Anschrift und die inländische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Auslagerers oder dessen Fiskalvertreters aufzeichnen.

(4d) Im Fall der Abtretung eines Anspruchs auf die Gegenleistung für einen steuerpflichtigen Umsatz an einen anderen Unternehmer (§ 13c) hat

1.
der leistende Unternehmer den Namen und die Anschrift des Abtretungsempfängers sowie die Höhe des abgetretenen Anspruchs auf die Gegenleistung aufzuzeichnen;
2.
der Abtretungsempfänger den Namen und die Anschrift des leistenden Unternehmers, die Höhe des abgetretenen Anspruchs auf die Gegenleistung sowie die Höhe der auf den abgetretenen Anspruch vereinnahmten Beträge aufzuzeichnen. Sofern der Abtretungsempfänger die Forderung oder einen Teil der Forderung an einen Dritten abtritt, hat er zusätzlich den Namen und die Anschrift des Dritten aufzuzeichnen.
Satz 1 gilt entsprechend bei der Verpfändung oder der Pfändung von Forderungen. An die Stelle des Abtretungsempfängers tritt im Fall der Verpfändung der Pfandgläubiger und im Fall der Pfändung der Vollstreckungsgläubiger.

(4e) Wer in den Fällen des § 13c Zahlungen nach § 48 der Abgabenordnung leistet, hat Aufzeichnungen über die entrichteten Beträge zu führen. Dabei sind auch Name, Anschrift und die Steuernummer des Schuldners der Umsatzsteuer aufzuzeichnen.

(4f) Der Unternehmer, der nach Maßgabe des § 6b einen Gegenstand aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates befördert oder versendet, hat über diese Beförderung oder Versendung gesondert Aufzeichnungen zu führen. Diese Aufzeichnungen müssen folgende Angaben enthalten:

1.
den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des Erwerbers im Sinne des § 6b Absatz 1 Nummer 1 oder des § 6b Absatz 5;
2.
den Abgangsmitgliedstaat;
3.
den Bestimmungsmitgliedstaat;
4.
den Tag des Beginns der Beförderung oder Versendung im Abgangsmitgliedstaat;
5.
die von dem Erwerber im Sinne des § 6b Absatz 1 oder des § 6b Absatz 5 verwendete Umsatzsteuer-Identifikationsnummer;
6.
den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des Lagers, in das der Gegenstand im Rahmen der Beförderung oder Versendung in den Bestimmungsmitgliedstaat gelangt;
7.
den Tag des Endes der Beförderung oder Versendung im Bestimmungsmitgliedstaat;
8.
die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eines Dritten als Lagerhalter;
9.
die Bemessungsgrundlage nach § 10 Absatz 4 Satz 1 Nummer 1, die handelsübliche Bezeichnung und Menge der im Rahmen der Beförderung oder Versendung in das Lager gelangten Gegenstände;
10.
den Tag der Lieferung im Sinne des § 6b Absatz 2;
11.
das Entgelt für die Lieferung nach Nummer 10 sowie die handelsübliche Bezeichnung und Menge der gelieferten Gegenstände;
12.
die von dem Erwerber für die Lieferung nach Nummer 10 verwendete Umsatzsteuer-Identifikationsnummer;
13.
das Entgelt sowie die handelsübliche Bezeichnung und Menge der Gegenstände im Fall des einer innergemeinschaftlichen Lieferung gleichgestellten Verbringens im Sinne des § 6b Absatz 3;
14.
die Bemessungsgrundlage der nach § 6b Absatz 4 Nummer 1 in den Abgangsmitgliedstaat zurückgelangten Gegenstände und den Tag des Beginns dieser Beförderung oder Versendung.

(4g) Der Unternehmer, an den der Gegenstand nach Maßgabe des § 6b geliefert werden soll, hat über diese Lieferung gesondert Aufzeichnungen zu führen. Diese Aufzeichnungen müssen folgende Angaben enthalten:

1.
die von dem Unternehmer im Sinne des § 6b Absatz 1 Nummer 1 verwendete Umsatzsteuer-Identifikationsnummer;
2.
die handelsübliche Bezeichnung und Menge der für den Unternehmer als Erwerber im Sinne des § 6b Absatz 1 oder des § 6b Absatz 5 bestimmten Gegenstände;
3.
den Tag des Endes der Beförderung oder Versendung der für den Unternehmer als Erwerber im Sinne des § 6b Absatz 1 oder des § 6b Absatz 5 bestimmten Gegenstände im Bestimmungsmitgliedstaat;
4.
das Entgelt für die Lieferung an den Unternehmer sowie die handelsübliche Bezeichnung und Menge der gelieferten Gegenstände;
5.
den Tag des innergemeinschaftlichen Erwerbs im Sinne des § 6b Absatz 2 Nummer 2;
6.
die handelsübliche Bezeichnung und Menge der auf Veranlassung des Unternehmers im Sinne des § 6b Absatz 1 Nummer 1 aus dem Lager entnommenen Gegenstände;
7.
die handelsübliche Bezeichnung der im Sinne des § 6b Absatz 6 Satz 4 zerstörten oder fehlenden Gegenstände und den Tag der Zerstörung, des Verlusts oder des Diebstahls der zuvor in das Lager gelangten Gegenstände oder den Tag, an dem die Zerstörung oder das Fehlen der Gegenstände festgestellt wurde.
Wenn der Inhaber des Lagers, in das der Gegenstand im Sinne des § 6b Absatz 1 Nummer 1 befördert oder versendet wird, nicht mit dem Erwerber im Sinne des § 6b Absatz 1 Nummer 1 oder des § 6b Absatz 5 identisch ist, ist der Unternehmer von den Aufzeichnungen nach Satz 1 Nummer 3, 6 und 7 entbunden.

(5) Ein Unternehmer, der ohne Begründung einer gewerblichen Niederlassung oder außerhalb einer solchen von Haus zu Haus oder auf öffentlichen Straßen oder an anderen öffentlichen Orten Umsätze ausführt oder Gegenstände erwirbt, hat ein Steuerheft nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck zu führen.

(6) Das Bundesministerium der Finanzen kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung

1.
nähere Bestimmungen darüber treffen, wie die Aufzeichnungspflichten zu erfüllen sind und in welchen Fällen Erleichterungen bei der Erfüllung dieser Pflichten gewährt werden können, sowie
2.
Unternehmer im Sinne des Absatzes 5 von der Führung des Steuerhefts befreien, sofern sich die Grundlagen der Besteuerung aus anderen Unterlagen ergeben, und diese Befreiung an Auflagen knüpfen.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.