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| II. Der erkennende Senat legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die im Tenor genannten Fragen zur Auslegung des Unionsrechts zur Vorabentscheidung vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aus. |
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| A. Vorfragen des nationalen Rechts |
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| 1. Zwischen den Beteiligten besteht zu Recht kein Streit darüber, dass der Klägerin dem Grunde nach Kindergeld für A, B und C zusteht. Die Klägerin hat einen Wohnsitz im Inland und ist damit kindergeldberechtigt. A, B und C sind im Streitzeitraum berücksichtigungsfähige Kinder im Sinne des § 63 EStG. |
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| 2. Auch steht der Kindergeldfestsetzung nicht entgegen, dass V und die Klägerin ursprünglich V zum vorrangig kindergeldberechtigten Elternteil bestimmt hatten; denn die FK hat durch den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 18. Oktober 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Dezember 2012 bestandskräftig entschieden, dass V kein Kindergeld für A, B und C zusteht. Es mag zwar sein, dass dieser Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid insoweit teilweise rechtswidrig sein könnte, als V auch Differenzkindergeld versagt wurde, obwohl nach der Rechtsprechung des EuGH § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG --im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU)-- gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstößt (EuGH-Urteil vom 12. Juni 2012 C-612/10, Wawrzyniak, DStRE 2012, 999, Rz. 79 f., 85). Ob dies auch im Verhältnis zur Schweiz gilt, obwohl im Verhältnis zur Schweiz nicht der AEUV, sondern „nur“ das zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits geschlossene Abkommen über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 (BGBl II 2001, 810 ff.; --FZA--) anzuwenden ist (vgl. dazu zuletzt EuGH-Urteil vom 28. Februar 2013 C-425/11, Ettwein, DStR 2013, 514, Rz. 51 m.w.N.), kann und darf vom erkennenden Senat im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden (s. dazu auch das mittlerweile beim EuGH nach Rücknahme des Vorabentscheidungsersuchens nicht mehr anhängige Verfahren C-126/12). |
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| 3. Betrachtete man isoliert nur das nationale Recht, stünde der Klägerin an sich kein Anspruch auf Differenzkindergeld zu. Ein solcher Anspruch wäre nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen (vgl. zur Rechtslage vor Anwendung der Verordnungen 1408/71/EWG und 574/72/EWG auf die Schweiz Urteil des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412). |
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| B. Differenzkindergeldanspruch aufgrund Unionsrechts dem Grunde nach |
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| 1. Jedoch gehen beide Beteiligte ebenfalls zu Recht davon aus, dass der Klägerin aufgrund von Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 574/72/EWG Differenzkindergeld dem Grunde nach zusteht, der § 65 EStG insoweit verdrängt (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. April 2008 III R 36/05, BFHE 221, 50, BStBl II 2009, 921, unter II.2.; vom 26. Juli 2012 III R 97/08, BFHE 238, 120, BStBl II 2013, 24). Dies gilt im Verhältnis zur Schweiz für den gesamten Streitzeitraum (Oktober 2006 bis November 2011), was sich nach Auffassung des erkennenden Senats aus Art. 90 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c der Verordnung 883/2004/EG und aus Art. 96 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c der Verordnung 987/2009/EG ergibt; denn der Gemischte Ausschuss hat erst durch Beschluss Nr. 1/2012 vom 31. März 2012 (ABlEU Nr. L 103 vom 13. April 2012, S. 51) den Anhang II Abschnitt A des FZA über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit dahin gehend geändert, dass auf die Verordnung 883/2004/EG und die Verordnung 987/2009/EG Bezug genommen wird (und den Anhang II Abschnitt B dahin gehend geändert, dass der Beschluss Nr. H3 berücksichtigt wird). Diese Änderungen sind nach Art. 3 des Beschlusses Nr. 1/2012 am Tag nach der Annahme, also erst am 1. April 2012, in Kraft getreten. Ansprüche für die Zeit vor ihrem Inkrafttreten begründen weder die Verordnung 883/2004/EG noch die Verordnung 987/2009/EG (Art. 87 Abs. 1 der Verordnung 883/2004/EG, Art. 93 der Verordnung 987/2009/EG). Soweit sich aus dem BFH-Beschluss vom 11. März 2011 III B 76/10 (BFH/NV 2011, 981) möglicherweise ergeben könnte, dass der BFH der Meinung sein könnte, dass auch im Verhältnis zur Schweiz bereits ab 1. Mai 2010 das neue Verordnungsrecht gilt, könnte der erkennende Senat dem aus den genannten Gründen nicht beipflichten. |
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| 2. Folglich ruht aufgrund des vorrangig anzuwendenden Unionsrechts der Anspruch auf deutsches Kindergeld nur bis zur Höhe der während desselben Zeitraums für dasselbe Familienmitglied aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Beschäftigungslandes Schweiz oder nach Art. 73 ff. der Verordnung 1408/71/EWG geschuldeten Leistungen. Die nach Art. 73 der Verordnung 1408/71/EWG und dem nationalen Recht der Schweiz gegenüber V für A, B und C geschuldeten Familienleistungen gehen folglich dem deutschen Kindergeld der Klägerin vor, so dass dieses (nur) insoweit ausgesetzt wird (vgl. EuGH-Urteil vom 14. Oktober 2010 C-16/09, Schwemmer, Slg. 2010, I-9717). Da beim Kindergeld gemäß § 66 Abs. 2 EStG das Monatsprinzip gilt, wonach die Anspruchsvoraussetzungen für jeden Monat gesondert geprüft und ermittelt werden müssen (siehe dazu BFH-Urteile vom 24. Oktober 2012 V R 43/11, BFHE 239, 327, BFH/NV 2013, 448; vom 26. Juli 2001 VI R 102/99, BFH/NV 2002, 178; vom 16. Dezember 2003 VIII R 76/99, BFH/NV 2004, 933), teilt der erkennende Senat weiter die Auffassung der Beteiligten, dass die von der FK ermittelten Familienleistungen der Schweiz für die Kinder A, B und C in Euro umgerechnet werden müssen, bevor für jedes Kind und jeden Monat gesondert geprüft werden kann, wie hoch der Anspruch auf Differenzkindergeld ist. |
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| C. Vorlagefragen zur Währungsumrechnung |
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| In dieser Ausgangssituation hält es der erkennende Senat für unionsrechtlich zweifelhaft, wie die Familienleistungen der Schweiz zutreffend in Euro umzurechnen sind. |
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| Art. 107 der Verordnung 574/72/EWG bestimmt dazu: |
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(1) Zur Durchführung der folgenden Vorschriften: |
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a) Verordnung: Artikel 12 Absätze 2, 3 und 4, Artikel 14d Absatz 1, Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe b) letzter Satz, Artikel 22 Absatz 1 Ziffer ii) letzter Satz, Artikel 25 Absatz 1 Buchstabe b) vorletzter Satz, Artikel 41 Absatz 1 Buchstaben c) und d), Artikel 46 Absatz 4, Artikel 46a Absatz 3, Artikel 50, Artikel 52 Buchstabe b) letzter Satz, Artikel 55 Absatz 1 Ziffer ii) letzter Satz, Artikel 70 Absatz 1 Unterabsatz 1, Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe a) Ziffer ii) und Buchstabe b) Ziffer ii) vorletzter Satz, |
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b) Durchführungsverordnung: Artikel 34 Absätze 1, 4 und 5 |
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wird für die Umrechnung von auf eine Währung lautenden Beträgen in eine andere Währung der von der Kommission errechnete Kurs verwendet, der sich auf das monatliche Mittel der von der Europäischen Zentralbank veröffentlichten Referenzwechselkurse der Währungen während des in Absatz 2 bestimmten Bezugszeitraums stützt. |
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(2) Bezugszeitraum ist — der Monat Januar für die ab dem darauffolgenden 1. April anzuwendenden Umrechnungskurse, — der Monat April für die ab dem darauffolgenden 1. Juli anzuwendenden Umrechnungskurse, — der Monat Juli für die ab dem darauffolgenden 1. Oktober anzuwendenden Umrechnungskurse, — der Monat Oktober für die ab dem darauffolgenden 1. Januar anzuwendenden Umrechnungskurse. |
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(4) Die Verwaltungskommission setzt auf Vorschlag des Rechnungsausschusses den Zeitpunkt fest, der bei der Festlegung der in den Fällen nach Absatz 1 anzuwendenden Umrechnungskurse zu berücksichtigen ist. |
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(5) Die in den von Absatz 1 erfassten Fällen anzuwendenden Umrechnungskurse werden im vorletzten Monat vor dem Monatsersten, ab dem sie anzuwenden sind, im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht. |
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(6) In den von Absatz 1 nicht erfassten Fällen erfolgt die Umrechnung sowohl bei Leistungszahlung als auch bei Erstattung zum am Tag der Zahlung geltenden amtlichen Wechselkurs. |
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| 1. Zu der Frage, wie in Fällen der Gewährung von Differenzkindergeld nach dieser Bestimmung die Währungsumrechnung zu erfolgen hat, liegt voneinander abweichende Rechtsprechung der nationalen Finanzgerichte (FG) vor: |
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| a) Während das FG Münster (Urteil vom 10. April 2000 4 K 5787/98 Kg, EFG 2000, 878) eine Umrechnung nach Art. 107 Abs. 6 der Verordnung 574/72/EWG (Umrechnung am Tag der Zahlung) für zutreffend erachtet hat, ist dem das FG München durch Urteil vom 31. März 2010 10 K 2102/09 (EFG 2010, 1328) explizit entgegen getreten und hat entschieden, es komme Art. 107 Abs. 1 der Verordnung 574/72/EWG zur Anwendung, obwohl weder Art. 76 der Verordnung 1408/71/EWG noch Art. 10 der Verordnung 574/72/EWG darin genannt sind. Es liege eine unionsrechtliche Regelungslücke vor, die im Wege der Analogie zu füllen sei. Zu einer höchstrichterlichen Klärung der streitigen Umrechnungsfrage ist es nicht gekommen, weil die Finanzverwaltung die zunächst eingelegte Revision (Aktenzeichen des BFH: VIII R 87/00) gegen das Urteil des FG Münster (in EFG 2000, 878) wieder zurückgenommen hat und die gegen das Urteil des FG München (in EFG 2010, 1328) eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde durch BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 981 als unzulässig verworfen worden ist. |
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| Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, dass das FG Köln in seinem Urteil vom 30. Januar 2013 15 K 47/09 (juris; Aktenzeichen des BFH: XI R 10/13) der Berechnung des Differenzkindergelds einen Mittelwert für den Zahlungszeitraum zugrunde gelegt hat. Dies legt es nahe, dass auch das FG Köln unausgesprochen der Auffassung des FG Münster zuzuneigen scheint; denn nach Auffassung der FK und des FG München kann es nicht zum Ansatz eines Mittelwerts kommen, sondern es soll immer der maßgebliche Umrechnungskurs am Tag der Entscheidung der Behörde anzusetzen sein. Da in dem beim BFH anhängigen Verfahren XI R 10/13 die Währungsumrechnung --nach einer tatsächlichen Verständigung-- nicht mehr streitig ist, ist nicht damit zu rechnen, dass sich der BFH zur Umrechnungsfrage im Verfahren XI R 10/13 äußern wird. |
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| Daneben macht die Klägerin geltend, unabhängig davon sei bei Kindergeldbescheiden, die nach dem 1. April 2012 ergehen, Art. 90 der Verordnung 987/2009/EG anzuwenden. |
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| b) Der erkennende Senat neigt dazu, der Auffassung des FG Münster zu folgen. Da Art. 10 der Verordnung 574/72/EWG in Art. 107 Abs. 1 der Verordnung 574/72/EWG nicht genannt ist, greift Art. 107 Abs. 6 ein. Soweit das FG München zur Begründung seiner Gegenauffassung eine analoge Anwendung des Art. 107 Abs. 1 der Verordnung 574/72/EWG befürwortet hat, kann der Senat dem aus mehreren Gründen nicht beipflichten. Zwar wird auch in der Rechtsprechung des EuGH durchaus geprüft, ob eine Regelungslücke des Unionsrechts im Wege der Analogie geschlossen werden kann (z.B. EuGH-Urteile vom 23. März 2000 C-406/98, Met-Trans und Sagpol, Slg 2000, I-1797; vom 1. Oktober 2009 C-247/08, Gaz de France-Berliner Investissement SA, Slg 2009, I-9225, BFH/NV 2009, 1949, beide eine Regelungslücke verneinend). Der Senat hat allerdings schon Zweifel, ob die vom FG München befürwortete Annahme einer Regelungslücke nicht bereits dem EuGH-Urteil vom 1. Oktober 1992 C-201/91, Grisvard und Kreitz (Slg. 1992, I-5009, Randnr. 21 ff.) widerspricht. Der EuGH hat darin ausgeführt, in allen in Abs. 1 nicht genannten Fällen sei die Umrechnung nach Abs. 6 vorzunehmen und der Wortlaut der Bestimmung sei insoweit eindeutig. Schon dies spricht gegen eine Lücke. Hinzu kommt aus Sicht des erkennenden Senats, dass der Verordnungsgeber Art. 107 der Verordnung 574/72/EWG mehrfach, zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 vom 5. Juni 2001 (ABlEG Nr. L 187 vom 10. Juli 2001, S. 1 ff.) --also bereits nach Ergehen des Urteils des FG Münster-- geändert hat. Aus dem Umstand, dass dabei niemals Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 574/72/EWG in den Katalog des Art. 107 Abs. 1 aufgenommen worden ist, zieht der erkennende Senat den Schluss, dass keine Regelungslücke vorliegt, sondern die Umrechnung von ausländischen Familienleistungen nach Art. 107 Abs. 6 bewusst angeordnet worden ist. |
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| Soweit sich die FK in vergleichbaren Verfahren immer wieder auf diverse Beschlüsse der Verwaltungskommission beruft, sieht sich der erkennende Senat durch diese Beschlüsse an seiner Beurteilung nicht gehindert (vgl. EuGH-Urteil vom 14. Mai 1981 Rs. 98/80, Romano, Slg. 1981, 1242, Randnr. 20): Die Verwaltungskommission hat nach Art. 81 Buchst. a der Verordnung 1408/71/EWG zwar u.a. die Aufgabe, alle Verwaltungs- und Auslegungsfragen zu behandeln, die sich ergeben; jedoch wird das Recht der beteiligten Behörden, Träger und Personen, die Verfahren und die Gerichte in Anspruch zu nehmen, die in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in dieser Verordnung sowie im Vertrag vorgesehen sind, nicht berührt. Eine Bindung der Gerichte an die genannten Beschlüsse besteht folglich insoweit nicht. |
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| c) Die von Klägerseite befürwortete Anwendung des Art. 90 der Verordnung 987/2009/EG, auf den Streitfall scheidet aus Sicht des Senats ebenfalls aus. Art. 90 der Verordnung 987/2009/EG bestimmt (nur noch): |
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| Bei der Anwendung der Grundverordnung und der Durchführungsverordnung gilt als Wechselkurs zweier Währungen der von der Europäischen Zentralbank veröffentlichte Referenzwechselkurs. Die Verwaltungskommission bestimmt den Bezugszeitpunkt für die Festlegung des Wechselkurses. |
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| Art. 90 bezieht sich folglich nach seinem eindeutigen Wortlaut nur auf Leistungen nach den Verordnungen 883/2004/EG und 987/2009/EG. Darum geht es jedoch --wie unter II.B.1. dargelegt-- im verbliebenen Teil des Streitfalls (noch) nicht. |
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| d) Allerdings hält der erkennende Senat die Unionsrechtslage umgekehrt nicht für zweifelsfrei, weil zwei divergierende rechtskräftige Urteile zu derselben unionsrechtlichen Rechtsfrage vorliegen, ohne dass die Rechtsfrage trotz (zunächst) eingelegter Rechtsmittel einer höchstrichterlichen Klärung zugeführt werden konnte. In einer solchen Situation kann nicht davon gesprochen werden, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt (so zum „acte clair“ EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, Cilfit u. a. , Slg. 1982, 3415, Randnr. 13 bis 16 und 21). Davon dürfte der Senat nämlich nur ausgehen, wenn er davon überzeugt ist, dass für die Gerichte aller Mitgliedstaaten und den EuGH die gleiche Gewissheit bestünde. Bei einer bestehenden Divergenz ist dies ersichtlich nicht der Fall. |
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| e) Der erkennende Senat ist nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zur Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens zwar nicht verpflichtet, aber berechtigt. Er übt sein Ermessen dahin gehend aus, dass er den EuGH um Vorabentscheidung ersucht. Der Senat verkennt dabei nicht, dass es sich bei Art. 107 der Verordnung 574/72/EWG mittlerweile um ausgelaufenes Recht handelt. Jedoch sind allein beim erkennenden Senat mehrere Verfahren anhängig, bei denen nach Ergehen des EuGH-Urteils Wawrzyniak (in DStRE 2012, 999) die Umrechnungsfrage erstmals entscheidungserheblich geworden ist. Rechnet man die Fallzahl des Senats gerichtsweit hoch, dürfte es sich beim FG Baden-Württemberg insgesamt um eine dreistellige Zahl von Verfahren handeln, auf die dies nun in gleicher Weise zutrifft. Wie hoch die Zahl der dazu anhängigen Verfahren bei den übrigen 17 deutschen Finanzgerichten und beim Bundesfinanzhof ist und wie viele Verfahren darüber hinaus noch bei der Verwaltung im Hinblick auf das EuGH-Urteil Wawrzyniak (in DStRE 2012, 999) geruht haben und nun entschieden werden müssen, vermag der erkennende Senat nicht zu beurteilen. Es dürfte sich allerdings um eine ganz erhebliche Zahl von Verfahren handeln. Der Senat macht in dieser Situation zur Abkürzung der Verfahrensdauern von Verfahren, die bereits schon einmal längere Zeit geruht haben, von seinem eigenen Vorlagerecht Gebrauch, um möglichst rasch eine Klärung durch den EuGH zu erreichen. |
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| 2. Nachdem der erkennende Senat der Auffassung zuneigt, dass die Umrechnung nach Art. 107 Abs. 6 der Verordnung 574/72/EWG vorzunehmen ist, hat er weiter geprüft, wie nach Art. 107 Abs. 6 die Umrechnung zu erfolgen hat. Angesichts des Urteils des FG München (in EFG 2010, 1328) bestehen auch insoweit unionsrechtliche Zweifel: |
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| a) Das FG Münster hat in seinem Urteil (in EFG 2000, 878) stillschweigend die Auffassung vertreten, unter dem „Tag der Zahlung“ i.S. des § 107 Abs. 6 der Verordnung 574/72/EWG sei der Tag der Zahlung der ausländischen Familienleistung zu verstehen. Sie hat deshalb die dortige Beklagte verpflichtet, eine in den Jahren 1996 und 1997 gezahlte britische Familienleistung nach den Umrechnungskursen des Britischen Pfunds in den Jahren 1996 und 1997 (und nicht des Jahres 1998, dem Zeitpunkt der endgültigen Gewährung von deutschem Kindergeld) umzurechnen. Dem Urteil des FG Köln im Verfahren 15 K 47/09 (in juris), das für eine Umrechnung den Mittelwert des polnischen Zloty für den Zahlungszeitraum September 2006 bis August 2007 zugrunde gelegt hat und nicht den Kurs vom November 2008 (dem Zeitpunkt der „Abhilfe“), ist wohl zu entnehmen, dass auch das FG Köln offenbar stillschweigend davon ausgeht, der Tag der Zahlung der ausländischen Familienleistung sei für die Umrechnung maßgeblich. |
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| b) Das FG München (in EFG 2010, 1328) vertritt demgegenüber die Auffassung, mit der Formulierung könne genauso der Zeitpunkt der vorläufigen Auszahlung des inländischen Unterschiedsbetrags, der Zeitpunkt der endgültigen Auszahlung des inländischen Unterschiedsbetrags oder der Zeitpunkt der Erstattung des überzahlten inländischen Unterschiedsbetrags gemeint sein. |
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| c) Der beschließende Senat neigt zwar dazu, der Auffassung des FG Münster beizupflichten, weil damit in optimaler Weise das Ziel erreicht wird, dem Arbeitnehmer und seinen Familienangehörigen im Ergebnis einmal den höheren Betrag der beiden Familienleistungen ungekürzt zur Verfügung zu stellen. Dies ist nach Unionsrecht erforderlich (vgl. EuGH-Urteil Romano, in Slg. 1981, 1242, Randnr. 24 f.), um zu verhindern, dass dem Arbeitnehmer in seinem Wohnsitzstaat dadurch Nachteile entstehen, dass er sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, und dadurch das Recht auf Gleichbehandlung verletzt wird (vgl. dazu EuGH-Urteil vom 15. Dezember 2011 C-257/10, Bergström, ZESAR 2012, 334 ff, Randnr. 27 ff. und 43). Zuletzt sprechen für diese Auslegung auch rein praktische Gründe: Da die Umrechnung üblicherweise einige Tage vor der tatsächlichen Auszahlung des inländischen Unterschiedsbetrags erfolgt, kann die Behörde am Tag der Umrechnung noch gar nicht wissen, wie der Umrechnungskurs am Tag der tatsächlichen Zahlung sein wird. Unmögliches ist (auch) von der FK nicht zu fordern. |
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| Jedoch ist die Unionsrechtslage aufgrund der Gegenauffassung des FG München auch insoweit nicht völlig eindeutig; daraus ergibt sich die zweite Vorlagefrage. |
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| 3. Die Frage 3 wird für den Fall gestellt, dass der EuGH die Frage 1 in der Weise beantwortet, dass Art. 107 Abs. 1 der Verordnung 574/72/EWG anzuwenden ist. Auch dann ist aus Sicht des Senats zu klären, wie die Umrechnung zu erfolgen hat: Insbesondere ist aus Sicht des erkennenden Senats auch dann zu entscheiden, ob der Zeitpunkt, zu dem der Schweizerische Träger der dortigen Familienleistungen seine Entscheidung getroffen hat, für die Umrechnung unerheblich ist. Wäre dieser Zeitpunkt unbeachtlich, wäre in Zeiten eines Kursanstiegs der ausländischen Währung und Verzögerung der Verwaltungsentscheidung des inländischen Trägers (aus welchen Gründen auch immer) nicht mehr sicher gestellt, dass der Arbeitnehmer und seine Familienangehörigen für das jeweilige Kind und den jeweiligen Monat tatsächlich mindestens den vollen Betrag der höheren Familienleistung erhalten. |
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| 4. Die Frage 4 wird für den Fall gestellt, dass der EuGH Art. 90 der Verordnung 987/2009/EG für anwendbar hält. Auch dann ist die Unionsrechtslage zweifelhaft. |
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| a) Während die Klägerin Nr. 3 Buchstabe a des Beschlusses Nr. H3 heranziehen will, teilt die FK mit, aus Verwaltungssicht sei Nr. 3 Buchst. b des Beschlusses anwendbar. Der erkennende Senat vermag weder der einen noch der anderen Auffassung zu folgen. Er hält unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens beide Buchstaben für nicht einschlägig, weil dafür jeweils erforderlich wäre, dass der Träger Beträge „nach nationalem Recht“ berücksichtigt. Dies ist indes hier nicht der Fall: Nach nationalem Recht besteht --wie unter II.A.3. dargelegt-- aufgrund von § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG im Fall des Bezugs ausländischer Familienleistungen ein völliger Leistungsausschluss. Die Familienleistungen der Schweiz sind vielmehr unmittelbar nach Unionsrecht von der FK zu berücksichtigen, weil nur aufgrund von Unionsrecht der inländische Kindergeldanspruch teilweise ruht und teilweise fortbesteht. Damit käme aus Sicht des Senats die Auffangklausel der Nr. 2 des Beschlusses Nr. H3 zur Anwendung, bei der es darauf ankommt, wann „der Träger den entsprechenden Vorgang ausgeführt“ hat. |
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| b) Auch dann wäre aus Sicht des erkennenden Senats weiter unklar, ob auf den inländischen oder den ausländischen Träger abzustellen ist. Zudem wird zu der Regelung vorgebracht, wenn mit ihr der Zeitpunkt gemeint sei, zu dem der Bedienstete des Trägers die Umrechnung durchführt, sei dieser für den Bezieher und Dritte nicht nachprüfbar (Spiegel in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 6. Auflage, S. 556 Rz. 2). |
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| c) Der erkennende Senat weist lediglich beiläufig darauf hin, dass das neue Verordnungsrecht zwar aus seiner Sicht im Streitfall nicht entscheidungserheblich ist und er deshalb keine unbedingte Vorlagefrage zu Art. 90 der Verordnung 987/2009/EG stellen darf. Es erscheint jedoch aus Sicht des erkennenden Senats (schon angesichts der Masse der betroffenen Fälle) wünschenswert, dass auch diese unionsrechtliche Rechtsfrage recht bald durch den EuGH geklärt wird. |
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| 5. Rechtsgrundlage für die Anrufung des EuGH ist Art. 267 Abs. 2 AEUV. |
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| 7. Der Beschluss ergeht trotz § 5 Abs. 3 Satz 2 FGO durch den Senat unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (vgl. dazu Beschluss des FG Hamburg vom 20. April 2010 3 K 3/09, EFG 2010, 1170; Senatsbeschluss vom 18. Juni 2009 3 K 1214/08, EFG 2009, 1958, m.w.N.; siehe auch BFH-Beschluss vom 5. Mai 1994 V R 23/93, BFHE 174, 565, zu § 10 Abs. 3 FGO). |
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