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Die Familienkasse ist unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide antragsgemäß zu verpflichten, Kindergeld zu gewähren. Denn sie hat das Bestehen eines Kindergeldanspruchs für den allein noch streitigen Zeitraum von Februar 2002 bis September 2003 zu Unrecht verneint. Die Tochter A war zwar in dieser Zeit zur Ausbildung in der Türkei. Sie hatte jedoch weiterhin einen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland und ist dementsprechend nach § 63 Abs. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) zu berücksichtigen.
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Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 EStG hat derjenige, der im Inland über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfügt, einen Kindergeldanspruch nur für diejenigen Kinder, die ebenfalls im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt innehaben. Die Türkei gehört nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten.
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Der hier maßgebliche Wohnsitzbegriff im Sinne von § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumen das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig nutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wenn auch in größeren Zeitabständen - aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken reicht nicht aus (Urteile des BFH vom 23. November 1988 II R 139/87, BStBl II 1989, 182; vom 22. April 1994 III R 22/92, BStBl II 1994, 887). Außerdem Innehaben der Wohnung setzt der Wohnsitzbegriff Umstände voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden solle. Das Innehaben der Wohnung muss unter Umständen stattfinden, die darauf schließen lassen, dass der Inhaber die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Hierbei sind in einer Prognoseentscheidung aus äußeren objektiven Tatsachen Schlüsse auf das zukünftige tatsächliche Verhalten einer Person zu ziehen (vgl. Urteil des BFH vom 17. Mai 1995 I R 8/94, BStBl II 1996, 2).
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Es können auch zwei Wohnsitze nebeneinander bestehen, wenn nach den äußeren Umständen der Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich zwei Wohnungen in verschiedenen Orten zuzuordnen ist und so zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet worden sind (vgl. Urteile des BFH vom 10. August 1983 I R 241/82, BStBl II 1984, 11, 12; vom 19. März 1997 I R 7/96, BStBl II 1997, 446).
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Eine vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort steht einer Beibehaltung eines Wohnsitzes nicht entgegen. Allein die räumliche Trennung von den Eltern während eines Schulbesuchs oder Studiums im Ausland hat keine Auflösung der familiären Bindungen zur Folge und führt zu keiner Verlagerung des Schwerpunkts der Lebensverhältnisse an den Ausbildungsort. Dabei hat die Rechtsprechung Zeiträume von drei bis fünf Jahren als unbedenklich angesehen (Urteil des BFH vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294).
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Dient der zeitlich beschränkte Auslandsaufenthalt - wie hier - ausschließlich der Schul- und Berufsausbildung und hat der Auszubildende die Absicht, nach Abschluss der Ausbildung an den bisherigen Wohnort zurückzukehren, reicht dies allein nicht aus, um vom Fortbestand des bisherigen Wohnsitzes während des Ausbildungsaufenthalts auszugehen. Die Rückkehrabsicht besagt nichts darüber, ob der Wohnsitz im Inland während der Dauer des Auslandsaufenthalts beibehalten oder aber aufgegeben und nach Rückkehr neu begründet wird (Urteil des BFH vom 23. November 2000 VI R 165/99, BStBl II 2001, 279, mit weiteren Nachweisen). Der Inlandswohnsitz wird in solchen Fällen nur dann beibehalten, wenn der Auszubildende entweder seinen Lebensmittelpunkt weiterhin am bisherigen Wohnort hat oder er zwar keinen einheitlichen Lebensmittelpunkt mehr hat, aber nunmehr über zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse (zwei Wohnsitze) verfügt, von denen einer am bisherigen Wohnort liegt. Bei einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt zur Ausbildung reichen kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken nicht dazu aus, um einen Inlandswohnsitz aufrecht zu erhalten. Aufenthalte des Kindes in der elterlichen Wohnung von jeweils zwei bis drei Wochen pro Jahr haben nur Besuchscharakter (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, a.a.O.).
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Nach diesen Rechtsprechungsgrundsätzen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die in Istanbul zum Zwecke der Schul bzw. Hochschulausbildung lebende Tochter ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland ab Februar 2002 beibehalten hat.
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Die Frage, ob ein ausländisches Kind, das im Heimatland der Eltern zur Ausbildung bei Verwandten untergebracht ist, in der Bundesrepublik Deutschland in der Wohnung der Eltern weiterhin über einen Wohnsitz verfügt, war wiederholt Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. Urteile des BFH vom 23. November 2000 VI R 165/99, a.a.O.; VI R 107/99, a.a.O., mit weiteren Nachweisen). Bei Beurteilung dieser Tatfrage kommt es vor allem auf folgende Gesichtspunkte an: Lebensalter des Kindes, Anpassung an die deutschen Lebensverhältnisse, Dauer des Auslandsaufenthalts bzw. dessen von vorne herein bestehende zeitliche Begrenzung, gesellschaftliche und kulturelle Verhältnisse im Ausbildungsland, Art der Unterbringung im Ausbildungsland, Verfügbarkeit von Wohnraum im inländischen Elternhaus. Bei der danach vorzunehmenden Abwägung sprechen vorliegend mehr Beweisanzeichen dafür, dass die Tochter ab Februar 2002 noch ihren Wohnsitz bei der Klägerin beibehalten hat, als dagegen. Diese verkennt die Familienkasse, die sich ebenfalls für ihre abweichende Auffassung auf die angeführte Rechtsprechung des BFH beruft.
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Die Tochter hatte die Familienwohnung in K unter Umständen inne, die darauf schließen lassen, dass sie diese beibehalten und benutzen wolle. Vorliegend sind die objektiven Tatbestandsmerkmale des steuerrechtlichen Wohnsitzbegriffs erfüllt. Denn es war gewährleistet, dass dem Kind bei der Klägerin zu jeder Zeit Wohnraum als Bleibe zur Verfügung stand. Trotz des mehrjährigen Ausbildungsaufenthalts in der Türkei war das Wohnen in der elterlichen Wohnung jedenfalls noch als ein Schwerpunkt des Lebensverhältnisses der Tochter anzusehen. Die familiäre Wohn- und Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrer Tochter bestand auch ab Februar 2002 fort. Dabei kann dahinstehen, da unerheblich, ob neben dem Wohnsitz in Deutschland ein weiterer in der Türkei begründet wurde.
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Die volljährige Tochter ist in Deutschland geboren worden, aufgewachsen und eingebürgert worden. Sie hat auch nahezu ihre gesamte Schulausbildung im Inland absolviert. Hierdurch kommt eine räumliche und kulturelle Ausrichtung der Tochter auf Deutschland zum Ausdruck. Mit dem Schul- und Hochschulbesuch in der Türkei sollte nicht die natürliche sprachliche und gesellschaftliche Bindung an den heimatlichen Kulturkreis der Klägerin hergestellt oder gefestigt werden. Insbesondere sollte die Ausbildung in der Türkei nicht auf den weiteren Lebensweg im früheren Heimatland der Mutter vorbereiten. Denn die Tochter studierte an der Universität in Istanbul das Fach Deutschlehrer mit dem Ziel, den späteren Beruf in Deutschland auszuüben. Entsprechend ihrer Lebensplanung hielt sich die Tochter auch während der Semesterferien in der ausreichend großen Wohnung der Klägerin auf und nahm Aushilfstätigkeiten an. Durch dieses Verhalten hat das Kind den Willen dokumentiert, sein künftiges Leben nach Beendigung der Ausbildung in Deutschland, dessen Staatsbürgerschaft es angenommen hat, fortzusetzen. Diese Prognose wird durch das Verhalten der Tochter bestätigt, die nach Abschluss ihres Studiums in Istanbul zwischenzeitlich wieder nach Deutschland zurückgekehrt ist und an der Universität K ein Ergänzungsstudium aufgenommen hat.
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Allein aus der mehrjährigen Dauer des Auslandsaufenthalts kann nicht auf die Aufgabe des inländischen Wohnsitzes geschlossen werden. Ein solcher Schluss wird auch bei deutschstämmigen Kindern, die im Ausland studieren, regelmäßig nicht gezogen. Die Dauer der Ausbildung im Ausland kann lediglich Indiz für die Lösung der familiären Bindungen sein. Nach der Rechtsprechung kann jedoch hiervon - wie ausgeführt - bei einer Ausbildungsdauer von 5 Jahren (noch) nicht ausgegangen werden. Auch die Unterbringung bei dem Onkel aus Gründen der Kosteneinsparung ist nicht entscheidend. Denn der Aufenthalt bei nahen Angehören ist nur dann von besonderer Bedeutung, wenn es sich um Kinder im jugendlichen Alter handelt, die im besonderen Maße der Betreuung bedürfen. Dies ist bei der volljährigen, d.h. erwachsenen Tochter der Klägerin nicht mehr der Fall. Denn diese kann ihre Lebensverhältnisse selbst bestimmen.
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Nach den gesamten Umständen des Streitfalls hatte die Tochter damit auch während ihres Auslandsaufenthalts einen Wohnsitz im Inland, welchen sie erwiesenermaßen, soweit es ihr möglich war, genutzt hat.
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Dem von der Familienkasse in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag braucht nicht nachgegangen zu werden, denn dieser ist zu unsubstantiiert (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Auflage 2002, § 76, Rz. 17 und 25, mit Rechtsprechungsnachweisen). Bei diesem Antrag handelt es sich um einen unerheblichen Beweisermittlungsantrag (vgl. Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 24. Auflage 2002, § 284 Rz. 3 mit Rechtsprechungsnachweisen). Denn die Familienkasse hat die Beweismittel nicht bezeichnet, durch die die Dauer der Aufenthalte der Tochter im Inland festgestellt werden sollen. Das Gericht hat den Sachverhalt ausreichend durch Auswertung der vorgelegten Nachweise über Inlandsaufenthalte der Tochter erforscht.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO vorliegen.
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