Tatbestand

1

Der 1973 geborene Kläger ist syrisch-orthodoxer Christ türkischer Staatsangehörigkeit. Er reiste im Alter von sechs Jahren in die Bundesrepublik Deutschland ein und lebte zunächst bei seinen Eltern. Ihm wurde ein befristeter Aufenthaltstitel erteilt und in der Folge mehrfach verlängert; mehrere Geschwister haben inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Seine Schulausbildung beendete er ohne Abschluss. Seit seinem 13. Lebensjahr konsumierte er Drogen und wurde vielfach straffällig. Im Zeitraum zwischen 1991 und 2010 verbrachte er insgesamt etwa 15 Jahre in Untersuchungs- und Strafhaft; maßgeblich hierfür waren überwiegend Verurteilungen zu Freiheitsstrafen von jeweils bis zu zwei Jahren. Eine höhere Freiheitsstrafe, nämlich eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren, war lediglich durch das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 24. Januar 2001 ausgesprochen worden. Diesem Urteil lagen eine am 30. Oktober 2000 begangene versuchte schwere räuberische Erpressung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in einem minderschweren Fall (Einzelstrafe zwei Jahre zehn Monate) und eine am 1. Juli 2000 begangene Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung (Einzelstrafe sechs Monate) zu Grunde.

2

Die Ausländerbehörde der Stadt Hamburg hörte den Kläger seit 1992 mehrfach zu einer beabsichtigten Ausweisung an. Durch Bescheid vom 29. Dezember 1999 wies sie ihn aus, weil er innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheitsstrafen von zusammen mindestens drei Jahren verurteilt worden sei (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990). Seine hiergegen gerichtete Anfechtungsklage blieb erfolglos. In der Folge wurden ihm Duldungen erteilt. Einen im Jahre 1996 aus der Haft heraus gestellten Asylantrag lehnte die Beklagte als offensichtlich unbegründet ab, wurde jedoch durch das zuständige Verwaltungsgericht verpflichtet, den Kläger wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der syrisch-orthodoxen Christen als asylberechtigt anzuerkennen.

3

Durch Bescheid vom 25. Januar 2006 widerrief die Beklagte die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter (Ziffer 1 des Bescheids) sowie die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorlägen (Ziffer 2). Zusätzlich stellte sie fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorlägen (Ziffer 3). Zur Begründung verwies sie auf die Verurteilung des Klägers zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe (§ 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG). Die weitere Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 4), begründete sie damit, dass syrisch-orthodoxe Christen in der Türkei nicht mehr mit Verfolgung oder menschenrechtswidriger Behandlung rechnen müssten.

4

Das Verwaltungsgericht Hamburg wies die gegen diesen Bescheid gerichtete Anfechtungsklage durch Urteil vom 11. Dezember 2008 ab. Das Oberverwaltungsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Verwaltungsgerichts durch Beschluss vom 2. Januar 2012 geändert und den Bescheid der Beklagten aufgehoben. Ein Widerrufsgrund könne nicht nur dann vorliegen, wenn nachträglich die Anerkennungsvoraussetzungen wegfielen, sondern auch dann, wenn nachträglich Ausschlussgründe verwirklicht worden seien, etwa wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden sei. Ein solcher Fall sei hier jedoch nicht gegeben. Denn § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erfasse nicht den Fall, dass im Wege der Gesamtstrafenbildung auf eine dreijährige Freiheitsstrafe erkannt worden sei. Dies folge aus dem Wortlaut der Norm und werde durch Entstehungsgeschichte und Gesetzeszweck bestätigt. Die Möglichkeit eines Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung als Folge einer Gesamtstrafenbildung könne im Übrigen zu Gleichheitsverstößen führen. Denn derjenige Straftäter, bei dem die Ahndung mehrerer Straftaten verbunden werde und in eine dreijährige Gesamtstrafe münde, werde ohne sachlichen Grund gegenüber demjenigen benachteiligt, bei dem dieselben Straftaten verfahrensmäßig getrennt und mit Strafen von jeweils unter drei Jahren abgeurteilt würden. Die Frage, ob der Widerruf der Asylanerkennung auch darauf gestützt werden könne, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei auf Grund einer Veränderung der Umstände keine asylrelevante Verfolgung oder Folter bzw. unmenschliche Behandlung mehr drohe, habe die Beklagte in ihren Bescheid weder angesprochen noch habe sie entsprechende Überlegungen im Gerichtsverfahren vorgetragen. Die Möglichkeit einer derartigen Veränderung der maßgeblichen Umstände in der Türkei liege auch nicht ohne Weiteres auf der Hand.

5

Die Beklagte rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts sowie die Verletzung der Amtsaufklärungspflicht. Sie ist der Auffassung, dass auch die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingseigenschaft begründen könne.

6

Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts und hält hilfsweise sein Begehren auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung unionsrechtlicher bzw. nationaler Abschiebungsverbote aufrecht.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und unterstützt die Revision.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist begründet. Das Berufungsgericht hat allerdings ohne Verstoß gegen revisibles Recht entschieden, dass die Beklagte den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung des Klägers nicht auf § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG stützen durfte. Es hat jedoch die im Verfahren ebenfalls aufgeworfene Frage, ob der Widerruf stattdessen auf den Wegfall der verfolgungsbegründenden Umstände gestützt werden konnte (§ 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG), nicht im Einklang mit revisiblem Recht beantwortet. Da hinreichende Sachverhaltsfeststellungen hierzu fehlen, kann der Senat die Frage, ob sich die Berufungsentscheidung aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO), nicht abschließend beantworten. Der Rechtsstreit ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO.

9

1. Gegenstand des Verfahrens ist der Widerrufsbescheid der Beklagten vom 25. Januar 2006. Auf die Anfechtungsklage des Klägers ist die Rechtmäßigkeit dieses Bescheids uneingeschränkt zu überprüfen. Eine Beschränkung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle auf einen von mehreren möglichen Widerrufsgründen würde der Verpflichtung des Verwaltungsgerichts widersprechen, die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen unteilbaren Verwaltungsakts umfassend zu prüfen. Dabei muss das Verwaltungsgericht zum einen auch solche Anfechtungsgründe berücksichtigen, die der Kläger nicht geltend gemacht hat (stRspr seit Urteil vom 20. Februar 1956 - BVerwG 5 C 36.55 - NJW 1956, 804; vgl. auch Urteil vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - BVerwGE 139, 109, Rn. 14 a.E. im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505 Rn. 76). Zum anderen hat es die Rechtmäßigkeit eines nicht im Ermessen der Behörde stehenden Verwaltungsakts auch unter Gesichtspunkten zu prüfen, die von der Behörde im Bescheid oder im Gerichtsverfahren nicht angeführt worden sind. Denn die Aufhebung eines solchen Verwaltungsakts setzt nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO u.a. seine objektive Rechtswidrigkeit voraus; daran fehlt es auch dann, wenn er unter einem im Bescheid oder im Verfahren nicht angesprochenen Grund rechtmäßig ist. Die vorliegende Klage ist also nicht schon dann begründet, wenn der im Widerrufsbescheid allein angeführte Widerrufsgrund des § 60 Abs. 8 AufenthG nicht vorliegt, sondern nur dann, wenn der Bescheid auch unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten nicht haltbar ist und er den Adressaten in seinen Rechten verletzt, insbesondere also wenn auch andere in Betracht kommende Widerrufsgründe ausscheiden. Nur diese Sichtweise wird im Übrigen der im Asylverfahren geltenden Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime gerecht, nach der alle in einem Asylprozess typischerweise relevanten Fragen in einem Prozess abschließend geklärt werden sollen (Urteil vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 10; Beschluss vom 10. Oktober 2011 - BVerwG 10 B 24.11 - juris Rn. 4).

10

2. Ohne Verstoß gegen revisibles Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Beklagte den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung im vorliegenden Fall zu Unrecht auf § 60 Abs. 8 AufenthG gestützt hat.

11

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG müssen die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (§ 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 1 AufenthG) oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist (§ 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG). Im letztgenannten Fall muss zusätzlich eine konkrete Wiederholungsgefahr bestehen. Diese liegt nur vor, wenn von dem Ausländer in Zukunft neue vergleichbare Straftaten ernsthaft drohen (vgl. Urteil vom 16. November 2000 - BVerwG 9 C 6.00 - BVerwGE 112, 185 <188 ff.> noch zu § 51 Abs. 3 Alt. 2 AuslG 1990).

12

Die nach § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erforderliche rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren kann grundsätzlich unabhängig davon vorliegen, ob die verhängte Freiheitsstrafe auf tateinheitlich oder tatmehrheitlich begangene und gleichzeitig abgeurteilte Delikte (§ 52 oder §§ 53 bis 55 StGB) zurückgeht. Bei der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe ist jedoch erforderlich, dass zumindest eine der Einzelstrafen, aus denen die Gesamtstrafe gemäß §§ 54 oder 55 StGB gebildet wird, eine wenigstens dreijährige Freiheitsstrafe ist. Falls hingegen die Gesamtfreiheitsstrafe ausschließlich aus Einzelstrafen hervorgegangen ist, die jeweils für sich genommen die Mindestdauer von drei Jahren nicht erreichen, ist der Anwendungsbereich des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG nicht eröffnet. Dies folgt aus dem Wortlaut der Norm und einer teleologisch-systematischen Auslegung im Einklang mit den relevanten völker- und unionsrechtlichen Vorschriften (anders OVG Lüneburg, Urteil vom 8. Februar 2012 - 13 LB 50/09 - und OVG Schleswig, Urteil vom 21. Juni 2012 - 1 LB 10/10).

13

Nach dem Wortlaut des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG stellt ein Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, wenn er wegen "eines" Verbrechens oder besonders schweren Vergehens verurteilt worden ist; ein entsprechender Sprachgebrauch findet sich auch in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (vormals Richtlinie 2004/83/EG, "wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt") sowie in Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK, "weil er wegeneines Verbrechens oder eines besonderes schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde"). Im Hinblick darauf, dass das Aufenthaltsgesetz in einem vergleichbaren Zusammenhang Rechtsfolgen ausdrücklich an das Vorliegen "einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten" knüpft (§ 53 Nr. 1, § 54 Nr. 1 AufenthG), spricht der Wortlaut des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG eher für als gegen die Annahme, dass die Gefahrenschwelle der Vorschrift nicht überschritten wird, wenn die Verurteilung zu einer mindestens dreijährigen Gesamtstrafe auf einer Zusammenfassung mehrerer Freiheitsstrafen von jeweils unter dreijähriger Dauer beruht.

14

Diese Annahme wird durch den Zweck der Vorschrift bestätigt. Sie geht auf Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG zurück, der Art. 33 Abs. 2 GFK und der darin normierten Ausnahme vom völkerrechtlichen Refoulement-Verbot nachgebildet ist: Sie soll Gefahren von dem Aufnahmestaat eines Flüchtlings abwehren, die durch dessen kriminelles Verhalten verursacht werden. Im Hinblick darauf, dass § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG und Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU darüber hinausgehend sogar die Möglichkeit eines Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung vorsehen (krit. dazu Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, Kap. IV 3, S. 1133 f. Rn. 15; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 37 Rn. 47 ff.), muss die Vorschrift jedoch restriktiv so ausgelegt werden, dass die Sicherungen insbesondere des völkerrechtlichen Flüchtlingsrechts gegen eine Abschiebung in den Verfolgerstaat nicht relativiert werden. Der Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsgewährung kann deshalb gegenüber kriminellen Flüchtlingen nur als ultima ratio in Betracht kommen, wenn ihr kriminelles Verhalten die Schwelle der besonders schweren Strafbarkeit überschreitet (vgl. Urteil vom 7. Oktober 1975 - BVerwG 1 C 46.69 - BVerwGE 49, 202 <208 ff.> zu § 14 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965).

15

Aus diesen Gründen kommt es nach der Konzeption des deutschen Rechts für die Anwendung des § 60 Abs. 8 AufenthG unabhängig davon, dass die Umsetzung der Mindestgewährleistung des Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG in nationales Recht durch die Mitgliedstaaten eine erhebliche Bandbreite aufweist (vgl. European Council on Refugees and Exilies, The Impact oft the EU Qualification Directive on International Protection, 2008, S. 171 ff., 179 bis 182 mit einer Zusammenstellung der Umsetzungsmaßnahmen, vgl. auch ebda. S. 33 f.), im Übrigen auch nicht auf die abstrakte Strafdrohung, sondern auf die konkret verhängte Freiheitsstrafe an. Denn die Mindeststrafenregelung soll sicherstellen, dass der Entzug des Asyl- und Flüchtlingsstatus nur gegenüber besonders gefährlichen Tätern in Betracht kommt. Nur sie bedeuten eine Gefahr für die Allgemeinheit, die gegenüber dem Ziel des Flüchtlingsschutzes im Ausnahmefall überwiegen kann, nicht aber solche Täter, die sich zwar eines mit hoher Strafdrohung bewehrten Vergehens oder Verbrechens schuldig gemacht haben, dabei aber im unteren oder mittleren Bereich der Strafbarkeit geblieben sind, so dass sie eine Freiheitsstrafe von weniger als drei Jahren verwirkt haben. Ist ein Flüchtling rechtskräftig zu einer mindestens dreijährigen (Einzel-)Freiheitsstrafe verurteilt worden, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles weiter zu prüfen, ob diese Verurteilung die Annahme rechtfertigt, dass er tatsächlich eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG darstellt.

16

Aus demselben Grund reicht es nicht aus, wenn ein Täter nur deshalb zu einer mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, weil mehrere von ihm begangene Taten geringeren oder mittleren Gewichts im Rahmen eines einzigen Strafverfahrens oder - wenn eine frühere Strafe noch nicht vollstreckt ist - im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung abgeurteilt worden sind. Die von der Beklagten für richtig gehaltene Auslegung des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG würde hingegen dazu führen, dass die von rein verfahrenspraktischen Aspekten, nicht aber von der Gefährlichkeit des Täters abhängige Frage, ob eine Straftat in einem Strafverfahren für sich genommen oder zusammen mit anderen Straftaten abgeurteilt wird, ausschlaggebend dafür werden könnte, ob der Täter die Voraussetzungen für einen Widerruf seines Asyl- oder Flüchtlingsstatus erfüllt oder nicht.

17

Auch die Entstehungsgeschichte der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Takkenberg/Tahbaz, The collected travaux préparatoires of the 1951 Geneva convention relating to the status of refugees, 1990, III S. 89 f., 344 ff., sowie Weis, The travaux préparatoires analysed with a commentary, abrufbar bei www.unhcr.org/4ca34be29.html, ab Seite 233) bestätigt die Erforderlichkeit einer restriktiven Auslegung des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG. Während im ursprünglichen Textentwurf eine Einschränkung des Refoulement-Verbots (Art. 28 des Entwurfs) noch nicht vorgesehen war, setzte sich der Gedanke, dass Staaten zur Hinnahme von Gefahren für ihre Sicherheit oder für die Allgemeinheit nicht unbeschränkt gezwungen sein dürften, erst nach einer intensiven Debatte über die Grenzen des Refoulement-Schutzes durch. Der schließlich verabschiedeten Textfassung lag die Einschätzung zu Grunde, dass die Abschiebung eines Flüchtlings nur ausnahmsweise und als Reaktion auf besonders schwerwiegendes kriminelles Verhalten des Flüchtlings zulässig sei, wenn eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder der Allgemeinheit bestehe. Die Auffassung des Vertreters des Bundesinteresses, auch in derartigen Fällen könne über die Merkmale einer Gefahr für die Allgemeinheit oder der Wiederholungsgefahr im Rahmen einer Einzelfallwürdigung eine Unterschreitung des völker- und unionsrechtlich gebotenen Mindeststandards verhindert werden (ebenso OVG Schleswig a.a.O. Rn. 45), wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Denn sie verschiebt die untere Grenze für die Möglichkeit eines Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung in einen Bereich, der bereits die durch eine Mehrzahl von Taten der mittleren Kriminalität ausgelösten Gefahren erfasst und sich damit gerade nicht auf Fälle besonders schwerer Verbrechen (Art. 14 Abs. 4 Buchst. b Richtlinie 2011/95/EU) beschränkt.

18

Aus der Entstehungsgeschichte des § 60 Abs. 8 AufenthG ergibt sich nichts Abweichendes. Die Mindeststrafengrenze des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG war weder im Ausländergesetz vom 28. April 1965 (AuslG 1965, dort § 14 Abs. 1 Satz 2, gültig bis Ende 1990) noch in der bis Oktober 1997 gültigen Fassung des Ausländergesetzes vom 9. Juli 1990 (AuslG 1990, dort § 51 Abs. 4) enthalten und fehlt auch in Art. 33 Abs. 2 der durch das AuslG 1965 in Bezug genommenen Genfer Flüchtlingskonvention. Sie wurde erst durch Gesetz vom 29. Oktober 1997 als § 51 Abs. 3 AuslG (gültig bis Ende 2004) mit der Begründung in das Gesetz eingefügt, die bisher nur selten angewandte Vorschrift solle konkretisiert und ihre praktische Anwendung angesichts der aktuellen politischen Lage erleichtert werden (BTDrucks 13/4948 S. 9). Weder durch das Aufenthaltsgesetz in der Fassung vom 30. Juli 2004 noch durch das erste Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 ist sie nachfolgend geändert worden. Aus diesem Ablauf lässt sich lediglich die Absicht des Normgebers ableiten, die Ausweisung von Straftätern durch eine leicht handhabbare Regelung zu erleichtern, nicht aber eine Aussage zu der - in den Materialien nicht angesprochenen - Frage, ob die Mindeststrafengrenze auch durch eine aus mehreren Einzelstrafen von jeweils unter drei Jahren gebildete Gesamtstrafe erfüllt werden sollte oder nicht. Vielmehr folgt aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf Art. 33 Abs. 2 GFK in der Begründung für die Einführung einer Mindestfreiheitsstrafe (BTDrucks 13/4948 S. 9), dass die dort verbindlich vereinbarte hohe Schwelle für eine Relativierung des Flüchtlingsschutzes nicht angetastet werden sollte.

19

3. Das Berufungsgericht hat jedoch die im vorliegenden Verfahren ebenfalls aufgeworfene Frage, ob der angegriffene Widerrufsbescheid auf § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG gestützt werden kann, nicht im Einklang mit revisiblem Recht beantwortet. Dabei kann offenbleiben, ob das Berufungsgericht dieser Frage überhaupt nicht nachgegangen ist oder ob es die Frage zwar aufgeworfen, aber unter Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO - da ohne jede Sachverhaltsaufklärung - beantwortet hat.

20

Der Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auch dann geboten, wenn der Ausländer es nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt (§ 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Nach der Rechtsprechung kann dies allerdings erst dann angenommen werden, wenn sich die verfolgungsbegründenden Umstände erheblich und dauerhaft verändert haben (Urteile vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 und vom 24. Februar 2011 a.a.O. Rn. 16 ff.; EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505 Rn. 72 ff.). Die bei der Anerkennung als Asylberechtigter oder der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft festgestellte Verfolgungsgefahr fällt also erst weg, wenn durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte und zugleich stabile Grundlage für die Verfolgungsprognose entstanden ist, so dass keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Betroffenen nach seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mehr besteht. Die einen Wegfall der Verfolgungslage begründenden Tatsachen müssen zur Überzeugung des Gerichts feststehen, wenn auch nicht - wie das Berufungsgericht es formuliert hat - "auf der Hand liegen".

21

4. Das Berufungsgericht hat keine Tatsachen festgestellt, aus denen sich ein Wegfall der Verfolgungslage ableiten ließe. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass im angegriffenen Bescheid Ausführungen zur Situation von Angehörigen der syrisch-orthodoxen Kirche in der Türkei enthalten sind, wenn auch lediglich im Zusammenhang mit einem denkbaren Anspruch des Klägers auf subsidiären Schutz. Denn es wäre Aufgabe des Verwaltungsgerichts und des Berufungsgerichts gewesen, die Richtigkeit dieser Ausführungen durch eigene tatsächliche Feststellungen zu überprüfen. Deshalb kann der Senat die Frage, ob die Berufungsentscheidung aus anderen Gründen richtig ist (§ 144 Abs. 4 VwGO) nicht beantworten und auch nicht zu Lasten des Klägers in der Sache selbst entscheiden. Vielmehr ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um diesem die Gelegenheit zu geben, die für § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG maßgeblichen Tatsachen aufzuklären.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

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(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. (2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag ka

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 53 Ausweisung


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Strafgesetzbuch - StGB | § 52 Tateinheit


(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt. (2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie d

Strafgesetzbuch - StGB | § 55 Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe


(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen h

Strafgesetzbuch - StGB | § 53 Tatmehrheit


(1) Hat jemand mehrere Straftaten begangen, die gleichzeitig abgeurteilt werden, und dadurch mehrere Freiheitsstrafen oder mehrere Geldstrafen verwirkt, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt. (2) Trifft Freiheitsstrafe mit Geldstrafe zusammen, so wi

Strafgesetzbuch - StGB | § 54 Bildung der Gesamtstrafe


(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft sie das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß.

(2) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundesverwaltungsgericht die Revision zurück.

(3) Ist die Revision begründet, so kann das Bundesverwaltungsgericht

1.
in der Sache selbst entscheiden,
2.
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
Das Bundesverwaltungsgericht verweist den Rechtsstreit zurück, wenn der im Revisionsverfahren nach § 142 Abs. 1 Satz 2 Beigeladene ein berechtigtes Interesse daran hat.

(4) Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.

(5) Verweist das Bundesverwaltungsgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 49 Nr. 2 und nach § 134 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Oberverwaltungsgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht anhängig geworden wäre.

(6) Das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

(7) Die Entscheidung über die Revision bedarf keiner Begründung, soweit das Bundesverwaltungsgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend hält. Das gilt nicht für Rügen nach § 138 und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.

(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.

(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.

(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.

(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Dabei werden die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.

(2) Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Sie darf bei zeitigen Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre und bei Geldstrafe siebenhundertzwanzig Tagessätze nicht übersteigen.

(3) Ist eine Gesamtstrafe aus Freiheits- und Geldstrafe zu bilden, so entspricht bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe.

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – Einzelrichter der 14. Kammer – vom 20. April 2010 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der am 12. März 1963 geborene Kläger ist nach eigenen Angaben armenischer Volkszugehöriger. Er ist verheiratet und im April 2012 von einer Firma im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung als Produktionshelfer eingestellt worden.

2

Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik stellte er unter dem Namen … einen Asylantrag und gab an, er sei in Getashen (jetzt: Çaykənd, Rayon Goygol in Aserbaidschan) geboren. Diesen Ort habe er 1990 verlassen und bis 1998 in Pyatigorsk (Пятигорск) in Russland illegal gelebt, um von dort aus (über Moskau) nach Deutschland auszureisen.

3

Die Beklagte lehnte diesen Asylantrag mit Bescheid vom 18. Dezember 1998 ab, stellte aber das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG fest. Auf die dagegen erhobenen Klagen des Klägers - unter dem Namen … - und des Bundesbeauftragten verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte durch Urteil vom 13. Oktober 1999, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen. Der dagegen gerichtete Zulassungsantrag des Bundesbeauftragten blieb erfolglos. Mit Bescheid vom 05. Januar 2000 erkannte die Beklagte den Kläger - unter dem Namen … - als Asylberechtigten an.

4

Sowohl in dem Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 1998 (zu § 51 Abs. 1 AuslG) als auch in dem Verpflichtungsurteil des Verwaltungsgerichts vom 13. Oktober 1999 (bezüglich Art. 16 Abs. 1 GG) wurde davon ausgegangen, dass der Kläger aserbaidschanischer Staatsangehöriger ist.

5

Der Kläger trat wiederholt strafrechtlich in Erscheinung:

6

Im Jahr 1999 wurde er von verschiedenen Amtsgerichten in Schleswig-Holstein insgesamt viermal wegen Diebstahls zu Geldstrafen zwischen 10 und 30 Tagessätzen verurteilt. Aus diesen vier Entscheidungen würde später eine Gesamtstrafe in Höhe von 55 Tagessätzen gebildet. Am 13.01.2000 verurteilte ihn das Amtsgericht Niebüll wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Am 14.01.2000 verurteilte ihn das Amtsgericht Schleswig wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen und verhängte eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis. Am 11.02.2000 verurteilte ihn das Amtsgericht Rendsburg wegen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen. Am 26.06.2000 verurteilte ihn das Amtsgericht Flensburg wegen Diebstahls in Tateinheit mit Urkundenunterdrückung unter Einbeziehung der Entscheidungen der Amtsgerichte Schleswig und Rendsburg zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Am 19.12.2000 verurteilte ihn das Amtsgericht Rendsburg wegen gewerbsmäßigen Diebstahls in 2 Fällen unter Einbeziehung der Entscheidungen der Amtsgerichte Niebüll, Schleswig und Flensburg zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafaussetzung wurde widerrufen, später wurde ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt. Auch diese Strafaussetzung wurde widerrufen. Nachdem die Vollstreckung des Strafrestes zurückgestellt worden war, wurde dieser erneut zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit lief bis zum 03.03.2011. Am 10.10.2001 verurteilte ihn das Amtsgericht Schleswig wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten und verhängte eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis. Am 29.08.2005 verurteilte ihn das Landgericht Flensburg wegen schweren Bandendiebstahls in 16 Fällen sowie versuchten schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen, wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten (104 Js 2299/05 I KLS 12/05); das Gericht nahm insoweit eine Gesamtstrafenbildung (§ 54 StGB) vor. Nachdem die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zurückgestellt wurde; wurde ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt, die Bewährungszeit läuft nach einer Verlängerung bis zum 20.04.2013. Der Kläger nahm an einer Drogenentwöhnungstherapie teil. Am 13.04.2010 verurteilte ihn das Amtsgericht Flensburg wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten und 2 Wochen, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit läuft bis zum 13.09.2013.

7

Am 20.06.2011 wurden der Kläger und seine Ehefrau vom Amtsgericht Schleswig wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 5 bzw. 4 Monaten verurteilt. In den Gründen des - noch nicht rechtskräftigen - Strafurteils wird zur Strafzumessung ausgeführt:

8

Vor dem Hintergrund der erheblichen und einschlägigen strafrechtlichen Vorerkenntnisse und der laufenden Bewährungen war die Verhängung von kurzen Freiheitsstrafen unerlässlich zur Einwirkung auf die Angeklagten ... . Das Gericht hegt keine Hoffnung, durch die Verhängung von Geldstrafen die Angeklagten von der Begehung weiterer Straftaten abhalten zu können. Hinsichtlich beider Angeklagter konnte die Vollstreckung der Freiheitsstrafen nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden ..., weil nicht erwartet werden kann, dass die Angeklagten sich die Verurteilung allein zur Warnung dienen lassen und künftig keine weiteren Straftaten mehr begehen werden. Den Angeklagten kann gegenwärtig keine positive Sozialprognose zugesprochen werden. Beide standen zur Tatzeit bereits unter Bewährung wegen einschlägiger Taten. Die Verurteilung zu jenen Bewährungsstrafen erfolgte nur acht Monate vor der hier abgeurteilten Tat. Den Angeklagten wurde die Chance gegeben zu zeigen, dass sie ein straffreies Leben führen können. Indem sie nur so kurze Zeit darauf erneut straffällig wurden, haben sie gezeigt, dass sie diese Chance nicht in der Lage sind zu nutzen. Dass die beiden Angeklagten Kinder haben, ändert an der Einschätzung der Sozialprognose nichts, da dies kein neu eingetretener Umstand ist, sondern diese Situation auch bereits bei der Begehung früherer Taten bestand.

9

Im April 2007 leitete die Beklagte ein Widerrufsverfahren gegen den Kläger ein. Nach dessen Anhörung widerrief die Beklagte mit Bescheid vom 11. Januar 2008 die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Weiterhin wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen.

10

Zur Begründung wurde ausgeführt, die widerrufenen Entscheidungen hätten im Wesentlichen auf der Annahme beruht, dass der Kläger aserbaidschanischer Staatsangehöriger sei, obwohl er 1990 mit der gesamten Familie über Eriwan (Republik Armenien) nach Russland übergesiedelt sei. Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter bzw. für Feststellungen eines Abschiebungsverbotes nach § 51 Abs. 1 AuslG lägen nicht mehr vor. Der Kläger sei zu keinem Zeitpunkt aserbaidschanischer Staatsangehöriger gewesen, nachdem er Aserbaidschan bereits 1990 in Richtung Armenien und sodann in Richtung Russische Föderation verlassen habe. Für armenische Volkszugehörige aus dem Staatsgebiet Aserbaidschans bestehe eine zumutbare inländische Flucht- oder Aufenthaltsalternative in Berg-Karabach.

11

Der Kläger hat dagegen am 28. Januar 2008 Klage erhoben.

12

Im Laufe des erstinstanzlichen Klageverfahrens teilte die Ausländerbehörde des Kreises Schleswig-Flensburg am 14. Dezember 2009 mit, dass durch Ermittlungen der deutschen Botschaft in Armenien „die tatsächliche Identität von Herrn ‚…‘ … geklärt werden“ konnte; es handele sich tatsächlich um den armenischen Staatsangehörigen mit dem Namen … . (Vatersname …).

13

Das Verwaltungsgericht - Einzelrichter der 14. Kammer - hat den Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 2008 durch Urteil vom 20. April 2010 aufgehoben und zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen für einen Widerruf der Asylanerkennung und der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG lägen nicht vor. Ein Widerruf komme nur in Betracht, wenn sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse nachträglich geändert hätten. Eine Änderung der Erkenntnislage oder deren abweichende rechtliche Würdigung reichten demgegenüber nicht aus. Unerheblich seien auch die gegen den Kläger verhängten Freiheitsstrafen und die Tatsache, dass der Kläger über seine wahre Identität getäuscht habe.

14

Gegen das ihr am 27. April 2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27. Mai 2010 die Zulassung der Berufung beantragt. Diesem Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 27. Juli 2010 entsprochen.

15

Die Beklagte ist der Ansicht, Berg-Karabach sei für armenische Volkszugehörige aus Aserbaidschan eine zumutbar erreichbare inländische Fluchtalternative. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes seien die verhängte Freiheitsstrafe sowie die Tatsache, dass der Kläger über seine wahre Identität getäuscht habe, als Widerrufsgründe zu berücksichtigen. Die strafgerichtliche Verurteilung rechtfertigten den Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 S. 1 2. Alternative AufenthG. Angesichts der zahlreichen Straftaten in dichter Folge seit 1998 sei davon auszugehen, dass von dem Kläger auch in Zukunft eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 60 Abs. 8 AufenthG ausgehe.

16

Die Beklagte beantragt,

17

das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

18

Der Kläger beantragt,

19

die Berufung zurückzuweisen.

20

Er hält eine Umdeutung des Widerrufs in eine Rücknahme für unzulässig. Ein Asylwiderruf setze eine nachhaltige und erhebliche Änderung der der Anerkennung zugrundeliegenden Lage voraus. Eine solche Änderung sei hier nicht erkennbar; geändert habe sich lediglich die Beurteilung der Lage. Der Widerruf könne daher ausschließlich auf § 60 Abs. 8 AufenthG (ggf. i. V. m. § 30 Abs. 4 AsylVfG) gestützt werden. Insoweit sei eine Prognose zur Widerholungsgefahr erforderlich. Soweit dafür auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen sei, habe die Beklagte den angefochtenen Bescheid nicht auf die Straftat des Klägers gestützt. Soweit auf den jetzigen Zeitpunkt abgestellt werde, habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass er - der Kläger - eine Therapie erfolgreich absolviert, eine feste Arbeit habe und nunmehr seit über vier Jahren in Freiheit lebe. Es sei nur zu zwei kleineren Strafverfahren wegen Ladendiebstahls gekommen.

21

Durch gerichtliche Verfügung vom 12. August 2010 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass im Berufungsverfahren von der Identität des Klägers auszugehen sein wird, die im Schreiben der Ausländerbehörde vom 14. Dezember 2009 angegeben worden ist. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit, dazu bis zum 10. September 2010 Tatsachen und Beweismittel vorzutragen; späteres Vorbringen könne gem. § 87 b Abs. 3 VwGO unberücksichtigt bleiben.

22

Vorbringen der Beteiligten dazu ist nicht erfolgt.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringen der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze - nebst Anlagen - sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und - ferner - die Verwaltungsvorgänge der Beklagten zum vorangegangenen - zum Namen … … geführten - Asylverfahren Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

24

Die zugelassene Berufung der Beklagten ist begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 11.01.2008 ist rechtmäßig.

25

Dabei kann offen bleiben, ob die Aufhebung der Anerkennung als Asylberechtigter und der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a. F. (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) als „Widerruf“ nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ergehen konnte (unten 1.), weil die Bescheide insoweit ohne Veränderung ihres rechtlichen Gehalts und der den Kläger betreffenden Rechtsfolge in Rücknahmebescheide umgedeutet werden können (unten 2.). Die Voraussetzungen einer Rücknahme liegen vor (unten 3.). Die (neu ergangenen) Feststellungen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und des § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG nicht vorliegen, sind rechtmäßig (unten 4.).

26
1. Die Anerkennung als Asylberechtigter bzw. die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a. F. (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) ist nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zu widerrufen, wenn die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.
27
1.1 Einem Widerruf steht das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts vom 13.10.1999 (VG 14 A 24/99), das die Beklagte zur Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten verpflichtet hat, nicht entgegen. Die Rechtskraftwirkung dieses Urteils (§ 121 VwGO) ist hinfällig, weil eine wesentliche Änderung der für die Anerkennung maßgeblichen Tatsachen vorliegt. Insoweit ist die dem Verpflichtungsurteil vom 13.10.1999 zugrunde gelegten Tatsachenlage (s. dazu auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.07.2012, 8 LA 132/12, Juris) mit der Tatsachenlage zum Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung - des erkennenden Senats - über den angefochtenen Bescheid vom 11.01.2008 zu vergleichen (BVerwG, Urt. v. 22.11.2011, 10 C 29.10, AuAS 2012, 42 ff. [bei Juris Tn. 19]). Insoweit ergeben sich maßgebliche Änderungen:
28

Das Verpflichtungsurteil nahm eine aserbaidschanische Staatsangehörigkeit des Klägers an (s. S. 2 und 5 des Urteilsabdrucks, wo auf das auf die Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten ergangene Urteil vom selben Tage [14 A 19/99] Bezug genommen wird, das ausführlich zur Staatsangehörigkeit des Klägers Stellung nimmt [S. 7-8 des Urt.-Abdr.]). Davon ist jetzt nicht mehr auszugehen, ohne dass es noch auf die Überlegungen der Beklagten zu der Frage, ob der Kläger die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit jemals besessen hat, ankommt, denn nach den Ermittlungen der deutschen Botschaft Eriwan ist der Kläger in Wahrheit armenischer Staatsangehöriger (Bl. 75-77 d. A.); die früheren Angaben zu seiner Identität - seinem Namen, seinem Geburtsdatum und zu seiner Staatsangehörigkeit - waren mithin falsch. Der Kläger hat den diesbezüglichen Ermittlungsergebnissen der deutschen Botschaft zu keinem Zeitpunkt widersprochen; er hat zu der im Berufungsverfahren ergangenen Verfügung vom 12.08.2010 (Bl. 144 d. A.) geschwiegen und in der mündlichen Berufungsverhandlung nach dem Sachbericht die Richtigkeit - auch - der ermittelten Identität und Staatsangehörigkeit bestätigt. Damit liegt eine wesentliche Änderung der Sachlage gegenüber dem Urteil vom 13.10.1999 vor.

29
1.2 Die Voraussetzungen der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung sind weggefallen, wenn sich die für die (frühere) Entscheidung maßgeblichen Verhältnisse im „Verfolgerland“ nachträglich signifikant und entscheidungserheblich so verändert haben, dass dem Kläger dort - unter Zugrundelegung seiner im Erstverfahren angenommenen aserbaidschanischen Herkunft - die seinerzeit festgestellte asyl- und flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung nicht mehr droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011, 10 C 25.10, NVwZ 2011, 1463 [bei Juris Tn. 19 - 24]).Die Beklagte hat dies in ihrem Bescheid vom 11.01.2008 (S. 3, 5) daraus abgeleitet, dass sich die bisherige „Prognose drohender politischer Verfolgung“ sich nicht mehr treffen lasse, weil der Kläger zu keinem Zeitpunkt aserbaidschanischer Staatsangehöriger gewesen sei und für armenische Volkszugehörige aus dem Staatsgebiet Aserbaidschans eine zumutbare inländische Flucht- oder Aufenthaltsalternative in Berg-Karabach bestehe.
30

Soweit es die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit betrifft, begegnet die Argumentation der Beklagten Zweifeln, weil die Zuordnung zu einer Staatsangehörigkeit aus einer rechtlichen Beurteilung der - bekannten und seit dem Verpflichtungsurteil vom 13.10.1999 nicht veränderten - Staatsangehörigkeitsgesetze der Republik Aserbaidschan aus den Jahren 1990 bzw. 1998 hervorgeht.

31

Soweit die Beklagte - unabhängig davon - argumentiert, der Kläger könne als armenischer Volkszugehöriger - nunmehr - auf eine zumutbare inländische Flucht- oder Aufenthaltsalternative in Berg-Karabach verwiesen werden, liegt darin - jedenfalls - eine Änderung gegenüber dem (der Anerkennung zugrundeliegenden) Verpflichtungsurteil vom 13.10.1999): Dort (S. 5 des Urt.-Abdr.) war auf das (Parallel-)Urteil vom gleichen Tage verwiesen worden (VG 14 A 19/99, S. 13 - 15), in dem eine Erreichbarkeit des Gebiets Berg-Karabach verneint worden war. Ihre nunmehr abweichende Annahme der Erreichbarkeit dieses Gebiets und der Zumutbarkeit eines Aufenthalts dort stützt die Beklagte auf einen Hinweis auf ein Urteil des VG Regensburg vom 11.03.2005 (RN 9 K 04.30778). In diesem Urteil heißt es, dass Berg-Karabach, obwohl Teil des aserbaidschanischen Staatsgebietes, generell für armenische Volkszugehörige als verfolgungsfreie und zumutbare inländische Fluchtalternative in Betracht komme. Eine Ansiedlung dort sei auch im Hinblick auf kriegerische Auseinandersetzungen zumutbar.

32

Es kann dahinstehen, ob damit genügend Tatsachen bezeichnet sind und auch vorliegen, die - ggf. nach weiterer Prüfung (auch) der im genannten Urteil des VG Regensburg verwerteten Tatsachen - zu begründen vermögen, dass die Anerkennungs- bzw. Feststellungsvoraussetzungen i. S. d. § 73 Abs. 1 AsylVfG weggefallen sind. Lediglich anzumerken ist, dass der Senat - im Ergebnis - die Zumutbarkeit des „Reiseweges“ und auch des Aufenthalts in dem völkerrechtlich weiterhin zur Republik Aserbaidschan gehörenden Gebiet Berg-Karabach annimmt (Urt. v. 21.06.2012, 1 LB 12/10, S. 9 ff. des Urt.-Abdr.). Selbst wenn der Ansicht des Klägers zu folgen wäre, dass die entgegenstehenden Annahmen zur Zumutbarkeit der Erreichbarkeit und des Aufenthalts in Berg-Karabach lediglich einer geänderten Beurteilung der Lage entspringen, ließe dies die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 11.01.2008 unberührt. Entgegen der im Schriftsatz des Klägers vom 18.06.2012 (S. 1) vertretenen Ansicht kann der auf einen Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG gestützte Bescheid in eine Rücknahme nach § 73 Abs. 2 AsylVfG umgedeutet werden (§ 47 Abs. 1 VwVfG).

33
2. Anders als in den Fällen der §§ 116, 117 LVwG (§§ 48, 49 VwVfG) stehen Widerruf und Rücknahme nicht im Ermessen der Behörde, sondern sind nach § 73 Abs. 1 und Abs. 2 AsylVfG - gleichermaßen - gebundene - Entscheidungen. Eine Ermessensentscheidung nach § 73 Abs. 2a AsylVfG war im vorliegenden Fall (noch) nicht zu treffen, denn die Beklagte hat im Falle des Klägers Aufhebungsgründe erstmals ab 2007 - und damit vor Ablauf der Frist nach § 73 Abs. 7 AsylVfG - geprüft. Zuvor hatte eine solche Prüfung nicht stattgefunden. Soweit eine solche nach § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG „spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu erfolgen“ hatte, d. h. bis Ende 2003, ist diese Zeitvorgabe im öffentlichen Interesse gesetzt worden und nicht im Interesse des Klägers. Eine Ermessensentscheidung über Widerruf und Rücknahme wäre erst eröffnet, nachdem die Beklagte solche Entscheidungen in dem seit dem 01.01.2005 vorgeschriebenen Verfahren sachlich geprüft und verneint hat (BVerwG, Urt. v. 12.06.2007, 10 C 24.07, NVwZ 2007, 1330 [bei Juris Tn. 11 - noch offen gelassen]; Beschl. v. 27.11.2007, 10 B 86.07 [bei Juris Tn. 9]; Urt. v. 25.11.2008, 10 C 53.07, NVwZ 2009, 328 [bei Juris Tn. 13]). Das ist vorliegend nicht erfolgt. Sind somit sowohl ein Widerruf als auch eine Rücknahme nur als gebundene Entscheidungen der Beklagten möglich, ist eine Umdeutung der einen in die andere Entscheidung zulässig, zumal die Rechtsfolgen in beiden Fällen identisch sind (VG Hannover, Gerichtsbescheid vom 06.04.2009, 13 A 1655/08, Juris; Hailbronner, AuslR, Kommentar (Lbl.), Stand August 2008, § 73 AsylVfG Rn. 74).
34

Der Möglichkeit der Umdeutung im o. a. Sinne steht auch nicht entgegen, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 22.11.2011 (a.a.O., bei Juris Tn. 26) - zu dem dort entschiedenen Fall - ausgeführt hat, eine „Umdeutung des Widerrufs in eine Rücknahme der Anerkennungen“ komme nicht in Betracht, um „die Rechtmäßigkeit der Anerkennungen im Nachhinein anders zu beurteilen.“ Eine solche „andere“ Beurteilung steht nicht an, wenn es - wie hier - um unrichtige Angaben bzw. verschwiegene Tatsachen geht, die - aus den oben zu 1.1 ausgeführten Gründen - auch zum Wegfall der Wirkungen des § 121 VwGO führen.

35
3. Die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (§ 51 Abs. 1 AuslG a. F. bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG) sind zurückzunehmen, wenn sie aufgrund unrichtiger Angaben oder infolge des Verschweigens wesentlicher Tatsachen erlangt worden sind. Diese Voraussetzungen liegen vor.
36

Der Kläger hat sowohl die Asyl- als auch die Flüchtlingsanerkennung aufgrund unrichtiger Angaben oder infolge des Verschweigens wesentlicher Tatsachen erlangt (unten 3.1). Er kann auch aus anderen Gründen nicht anerkannt werden bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erlangen (unten 3.2), ungeachtet dessen greifen zu Lasten des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 AufenthG ein (unten 3.3).

37
3.1 Aufgrund der Ermittlungen der deutschen Botschaft Eriwan (Bl. 75-77 d. A.) stehen - für das vorliegende Verfahren - der wahre Name und das richtige Geburtsdatum des Klägers fest, ferner ist festzustellen, dass der Kläger in Wahrheit armenischer Staatsangehöriger ist.
38

Die früheren Angaben zur Identität des Klägers - seinem Namen, seinem Geburtsdatum und zu seiner Staatsangehörigkeit - waren mithin falsch (s. o. 1.1).

39

Die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beruhen auf der falschen Namensangabe und der falschen Angabe zur Staatsangehörigkeit. Der Kläger hat zwar in seiner Anhörung am 05.10.1998 über die armenische Staatsangehörigkeit seines Vaters und die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit seiner Mutter gesprochen (Bl. 3 der Anhörungsniederschrift der Beklagten vom 05.10.1998), sich selbst dabei aber (ausdrücklich) als aserbaidschanischer Staatsangehöriger bezeichnet (a.a.O., Bl. 2). Er hat im weiteren Verlauf des Verfahrens bis zu dessen Abschluss wesentliche Tatsachen verschwiegen, nämlich diejenigen, die seine - erst 2009 bekannt gewordene - armenische Staatsangehörigkeit begründen. Insoweit hatte der Kläger von sich aus, von Anbeginn an und ungefragt an der Aufklärung des - richtigen - entscheidungserheblichen Sachverhalts mitzuwirken (§ 15 AsylVfG).

40

Die Nichtangabe der richtigen Identität und der Staatsangehörigkeit bzw. der zu ihrer Ermittlung maßgeblichen Tatsachen war kausal für die - (letztlich) mit Bescheid vom 05. Januar 2000 erfolgte - Asyl- und Flüchtlingsanerkennung. Dabei ist unerheblich, ob die Nichtangabe dem Kläger - im Sinne eines Verschuldens - vorwerfbar ist (vgl. Bergmann, in: Renner, AuslR (Komm.), 2011, § 73 AsylVfG Rn. 22).

41
3.2 Ausgehend von der jetzt zugrunde zu legenden Identität und Staatsangehörigkeit kann der Kläger weder als Asylberechtigter anerkannt werden noch die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen. Infolge der - nachgewiesenen - Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit ist der Asylantrag offensichtlich unbegründet (§ 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG). Abgesehen davon sind Schutzgründe im Sinne des Art. 16 a GG oder des § 60 Abs. 1 AufenthG für den anwaltlich vertretenen Kläger nicht ersichtlich. Er hat weder nach Bekanntwerden der Ermittlungsergebnisse der deutschen Botschaft zu seiner Identität bzw. Staatsangehörigkeit noch in der mündlichen Verhandlung etwas in dieser Hinsicht vorgetragen.
42
3.3 Unabhängig davon gelten - gem. § 30 Abs. 4 AsylVfG - für das Asylbegehren wie auch für die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG die den Schutzanspruch einschränkenden Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 AufenthG. Nach dieser Vorschrift kann der Schutz nach Art. 16a GG und nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht beansprucht werden, wenn „der Ausländer... eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist.“
43

Diese Einschränkung der genannten Schutzrechte ist auch im Hinblick auf den Verfassungsrang des Art. 16a GG und die völker- und europarechtliche Grundlage des § 60 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden. Das Grundgesetz schützt nicht nur das Asylrecht, sondern auch andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte. Dazu gehört auch die „Sicherheit des Staates als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit seiner Bevölkerung“ (BVerwG, Urt. v. 07.10.1975, I C 46.69, BVerwGE 49, 202 ff. = NJW 1976, 490 ff. [bei Juris Tn. 43]). Das wird auch im Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) vom 28. Juli 1951 (Art. 2, 33 Nr. 2 GK) und in der europäischen Richtlinie 2004/83/EG über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtling vom 29.04.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie; dort: Art.14 Abs. 4) - im gleichen Sinne - anerkannt (ebenso: OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2012, 13 LB 50/09, Juris [Tn. 33]).

44
3.3.1 Die Anwendungsvoraussetzungen des § 60 Abs. 8 AufenthG liegen vor. Der - ausweislich der aus dem Tatbestand zu entnehmenden Verurteilungen - wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getretene Kläger ist durch das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 29.08.2005 (104 Js 2299/05 I KLS 12/05) zu einer Freiheitsstrafe von (deutlich) mehr als drei Jahren verurteilt worden. Der Umstand, dass die Verurteilung nicht wegen sog. „Kapitaldelikte“ erfolgt ist, steht der Anwendung des § 60 Abs. 8 AufenthG - jedenfalls vorliegend - nicht entgegen, weil die Straftaten (schwerer Bandendiebstahl in 16 Fällen und in zwei Fällen versuchter schwerer Bandendiebstahl, gefährliche Körperverletzung Freiheitsberaubung) von besonderem Gewicht sind (vgl. Bergmann, in: Renner, a.a.O., § 60 AufenthG, Rn. 29) und eine erhebliche kriminelle Energie belegen.
45
3.3.2 Der Anwendung des § 60 Abs. 8 AufenthG steht nicht entgegen, dass die mehr als 3-jährige Freiheitsstrafe aus einer Gesamtstrafenbildung (§ 54 StGB) hervorgegangen ist. Die Bildung einer Gesamtstrafe von mehr als drei Jahren wegen mehrerer Einzelstraftaten, schließt den Anwendungsbereich der Vorschrift auch dann nicht aus, wenn jede Einzeltat für sich die Mindeststrafe von drei Jahren nicht erreicht. Die bisherige Rechtsprechung hat in dieser Hinsicht - zu Recht - keinen Ansatzpunkt für eine Differenzierung gesehen (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 01.12.2006, 10 A 10887/06, Juris [Tn. 24]; OVG Münster, Urt. v. 29.07.2008, 15 A 620/07.A, Juris [Tn. 5, 31]). Allein der Umstand, dass im Wortlaut des § 60 Abs. 8 AufenthH die Verurteilung wegen „eines“ Verbrechens oder Vergehens angesprochen wird, schließt die Anwendung der Norm auf die Einbeziehung mehrheitlich begangener Straftaten (§ 53 Abs. 1 StGB) nicht aus (ebenso Treiber, in: Fritz u. a., GK-AufenthG, Stand Juli 2012, § 60 Rn. 230). Das folgt bereits daraus, dass die Regelung in § 60 Abs. 8 - primär - daran anknüpft, dass der Ausländer „eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet“, was - nach dem „Weil“-Satz - im Fall einer Verurteilung zu einer mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe der Fall ist. Das Gesetz enthält damit die Möglichkeit, dass der Ausländer auch nach einer Verurteilung zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe aus besonderen Gründen im Einzelfall keine „Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet“. Das Vorliegen einer solchen Gefahr bedarf also einer eigenständigen Prüfung, die durch eine Verurteilung in der genannten Höhe nur veranlasst, nicht aber quasi automatisch determiniert wird. Die Prüfung der „Gefahr für die Allgemeinheit“ muss sich - prognostisch - sowohl auf die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten beziehen als auch darauf, ob diese ein vergleichbares Gefahrenpotential wie die bisherigen bergen. Ob der Verurteilung nur „eine“ Straftat oder mehrheitlich begangene Straftaten zugrundeliegen, ist im Rahmen der gebotenen Prognose zu berücksichtigen; auf die Frage, ob die in eine Gesamtstrafe eingeflossenen Einzelstrafen „für sich genommen“ länger als drei Jahre gewesen wären, kommt es nicht an (a. A. OVG Hamburg, Beschl. v. 02.01.2012, 4 Bf 26/09.A, DöV 2012, 367 Ls.). Das OVG Lüneburg hat dazu in seinem Urteil vom 08.02.2012 (a.a.O., Tn. 26) ausgeführt:
46

» Durch die Einführung einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren durch Art. 1 Nr. 13 des Gesetzes zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 29. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2584) wollte der Gesetzgeber die Anwendung der Vorschrift in der Praxis erleichtern (BTDrucks. 13/4948 S. 9). ... Dieses Anliegen des Gesetzgebers macht deutlich, dass mit der Festlegung einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren in § 51 Abs. 3 AuslG nicht nur der unbestimmte Rechtsbegriff einer "besonders schweren Straftat" konkretisiert und damit für unterhalb dieser Grenze bleibende Straftäter die Anwendung der Vorschrift ausgeschlossen werden sollte, sondern dass auch für die diese Grenze überschreitenden Straftäter eine konsequentere Anwendung der Vorschrift in der Praxis erreicht werden sollte (vgl. BVerwG, Urt. v. 16. 11.2000 - 9 C 6/00 -, BVerwGE 112, 185). ... Vor diesem Hintergrund muss es auch nach dem insoweit unveränderten Wortlaut des § 60 Abs. 8 Satz 1 2. Alternative AufenthG genügen, wenn im Einzelfall eine konkrete Wiederholungs- oder Rückfallgefahr vorliegt. Der Wortlaut der Vorschrift unterscheidet insbesondere nicht danach, ob sich die Verurteilung auf eine einzige Straftat oder auf mehrere begangene Straftaten bezieht. Deshalb ist die Vorschrift nicht nur dann anwendbar, wenn der Ausländer wegen eines einzigen Verbrechens oder besonders schweren Vergehens zu einer mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Sie gilt vielmehr ohne weiteres auch dann, wenn - wie hier - im Rahmen einer Gesamtstrafenbildung eine Freiheitsstrafe von vier Jahren verhängt worden ist.«

47

Der Senat folgt dieser Rechtsprechung. Danach kommt es - maßgeblich - darauf an, ob der Kläger - weiterhin - eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet.

48
3.3.3 Die strafrechtliche Verurteilung vom 29.08.2005 veranlasst zu der Prüfung, ob für die Zukunft eine Wiederholungsgefahr zu besorgen ist (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2012, a.a.O., Tn. 27; Hailbronner, AuslR [Losebl.-Komm., Stand Mai 2012], § 60 AufenthG Rn. 207; Treiber, a.a.O, § 60 AufenthG Rn. 228. Die Gefahrenprognose ist auf die Abwehr künftiger Risiken orientiert, nicht etwa darauf, dass gewissermaßen eine „Neben- oder Zusatzstrafe für vergangenes Fehlverhalten“ begründet wird (BVerwG, Urt. v. 07.10.1975, a.a.O., Tn. 44).
49

Die Beklagte hat in ihrem Schriftsatz vom 27. Mai 2010 (S. 4) eine negative Gefahrenprognose vertreten; der Kläger habe sich angesichts der zahlreichen Straftaten in dichter Folge seit 1998 von jeweils vorhergehenden Verurteilungen unbeeindruckt gezeigt und die Art und Intensität seines strafbaren Verhaltens gesteigert. Er habe zuletzt direkt Menschen gefährdet.

50

Diesen Beurteilungserwägungen ist - zu Gunsten des Klägers - entgegenzusetzen, dass zwischen 2001 und 2005 keine strafrechtlichen Verurteilungen erfolgt sind; weiter hat der Kläger 2005 an einer Drogenentwöhnungstherapie teilgenommen. Andererseits ist der Verurteilung 2005 eine größere Anzahl von Straftaten vorausgegangen. Allein die Teilnahme an einer Drogentherapie begründet noch nicht den Wegfall einer Wiederholungsgefahr in Bezug auf die (zumindest) sei 2005 zu beobachtende „Steigerung“ der Kriminalitätskurve (vgl. VGH München, Beschl. v. 18.08.2011, 10 ZB 10.2989, Juris; OVG Koblenz, Urt. v. 01.12.2006, a.a.O., Tn. 27). Die Prognose ist ungünstig belastet, weil der Kläger seine strafbaren Handlungen ungeachtet der zahlreichen früheren Verurteilungen mit (stark) steigender Intensität fortgesetzt hat. Dies gilt - leider - bis in die jüngste Zeit hinein, wie die Verurteilung vom 13.04.2010 zeigt. Der Umstand, dass insoweit (noch) eine Bewährungsstrafe verhängt worden ist, steht der - aufrechterhaltenen - Beurteilung der Beklagten, dass die Wiederholungsgefahr auch für schwerere Straftaten fortbesteht, nicht entgegen (vgl. OVG Münster, Urt. v. 29.07.2008, 15 A 620/07.A [bei Juris Tn. 56]). Soweit der Kläger - terminsvorbereitend - hat vortragen lassen, es sei nach der Verurteilung durch das Landgericht Flensburg (2005) nur zu „zwei kleineren Strafverfahren wg. Ladendiebstahls“ gekommen, muss die darin liegende Bewertung irritieren, soweit sie die Verurteilung durch das Amtsgericht Flensburg vom 13.05.2010 betrifft. Vom Kläger und auch „für“ den Kläger ist nichts vorgebracht worden, was die Erwartung begründen könnte, dass er sich die bisher ausgesprochenen Verurteilung zur Warnung dienen lässt und er insoweit von der Begehung weiterer Straftaten Abstand nehmen wird.

51

Bei der Beurteilung bleibt das jüngste gegen den Kläger (und dessen Ehefrau) verhängte Strafurteil vom 20.06.2011 unberücksichtigt, weil es noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist. Die - aufrechterhaltene - negative Gefahrenprognose des Beklagten kann - unabhängig davon - nicht beanstandet werden: Die zahlreichen und sich (jedenfalls bis zu der Verurteilung 2005 steigernden) Straftaten - v. a. Eigentumsdelikte - sind typischerweise mit einem hohen Wiederholungsrisiko verbunden. Das hätte sich evtl. ändern können, wenn der Kläger durch seinen familiären Hintergrund und durch eine - zumindest - beginnende dauerhafte Erwerbstätigkeit „stabilisiert“ worden wäre. Das ist indes nicht zu erkennen, nachdem der Kläger ungeachtet seiner Familie (mit Kindern) weiter „einschlägig“ straffällig geworden ist. Zur Erwerbstätigkeit hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung - zwar - einen vor kurzem abgeschlossenen Arbeitsvertrag mit einer Zeitarbeitsfirma vorgelegt, ohne jedoch Angaben über Einsätze und Einkünfte zu machen. Eine günstige und stabile soziale Basis ist damit nicht erkennbar.

52
4. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und des § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG nicht vorliegen, sind rechtmäßig. Zwar enthalten die Gründe des angefochtenen Bescheides in diesem Zusammenhang keine Bezugnahme auf einen bestimmten Staat - etwa die Russische Föderation, die Republik Aserbaidschan oder die Republik Armenien - . Dies ist indes unschädlich: Die Republik Aserbaidschan ist angesichts der inzwischen geklärten Identität, Herkunft und Staatsangehörigkeit des Klägers nicht mehr als Bezugspunkt der Prüfung von Schutzansprüchen heranzuziehen. Für die Russische Föderation (in deren Gebiet der Kläger bis Herbst 1998 gelebt hat) bzw. für die Republik Armenien ist kein Ansatz für Gefährdungen des im Sinne des § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG ersichtlich. In Bezug auf § 60 Abs. 7 AufenthG ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger in Armenien lebende Verwandte hat. Es sind damit keinerlei Ansatzpunkt dafür ersichtlich, dass der Kläger im Falle einer Ausreise bzw. Abschiebung nach Armenien dort existenziellen Gefährdungen oder Lebensbedrohungen ausgesetzt werden würde.
53
5. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 11.01.2008 ist nach alledem rechtlich nicht zu beanstanden. Das erstinstanzliche Urteil ist deshalb zu ändern und die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG insgesamt abzuweisen.
54

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

55

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.

(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft sie das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß.

(2) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundesverwaltungsgericht die Revision zurück.

(3) Ist die Revision begründet, so kann das Bundesverwaltungsgericht

1.
in der Sache selbst entscheiden,
2.
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
Das Bundesverwaltungsgericht verweist den Rechtsstreit zurück, wenn der im Revisionsverfahren nach § 142 Abs. 1 Satz 2 Beigeladene ein berechtigtes Interesse daran hat.

(4) Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.

(5) Verweist das Bundesverwaltungsgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 49 Nr. 2 und nach § 134 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Oberverwaltungsgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht anhängig geworden wäre.

(6) Das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

(7) Die Entscheidung über die Revision bedarf keiner Begründung, soweit das Bundesverwaltungsgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend hält. Das gilt nicht für Rügen nach § 138 und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.