Gericht

Verwaltungsgericht München

Tenor

I.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. Februar 2013 wird in Nr. 4 insoweit aufgehoben, als festgestellt wurde, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegt.

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Irak vorliegen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 4/5 und die Beklagte zu 1/5.

III.

Dies Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger, ein am … 1963 geborener irakischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den Widerruf u. a. der Anerkennung als Asylberechtigter. Der Kläger reiste nach eigenen Angaben im August 1996 erstmals ins Bundesgebiet ein. Er ist Araber schiitischen Glaubens und wurde in … geboren; dies war auch sein letzter Aufenthaltsort im Irak.

Mit Bescheid vom 11. Oktober 1996 hat die Beklagte festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und § 53 Abs. 4 Ausländergesetz - AuslG - vorliegen. Mit Urteil vom 12. Januar 1998 des Verwaltungsgerichts München (M 9 K 96.53580) wurde die Beklagte verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen. Mit Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 1998 wurde er daraufhin als Asylberechtigter anerkannt. Die seit 8. November 1996 bzw. 20. März 1998 unanfechtbaren Entscheidungen beruhen im Wesentlichen auf individueller politischer Verfolgung unter dem damaligen Saddam-Hussein-Regime. Der Kläger hatte bei seiner damaligen Anhörung im August 1996 u. a. erklärt, er sei aus dem Irak geflohen, da er regimekritische Gedichte auf Tonband gesprochen hätte und diese von Sicherheitskräften gefunden worden seien. Zudem sei er in den Jahren 1992 bis 1996 verfolgt und regelmäßig verhaftet worden, weil sein Bruder beschuldigt worden sei, einen Offizier des irakischen Sicherheitsdienstes ermordet zu haben und der Sicherheitsdienst der Meinung gewesen sei, er wisse über seinen Bruder genau Bescheid. Während seiner Festnahmen sei er auch des Öfteren misshandelt worden.

Mit Verfügung vom 17. September 2012 wurde erstmals ein Widerrufsverfahren eingeleitet; der Kläger wurde in Bezug auf den beabsichtigten Widerruf angehört.

Mit Bescheid vom 20. Februar 2013 widerrief die Beklagte die Anerkennung als Asylberechtigter vom 28. Mai 1998 (Nr. 1), die mit Bescheid vom 11. Oktober 1996 nach altem Recht getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (Nr. 2) und die mit Bescheid vom 11. Oktober 1996 nach altem Recht getroffene Feststellung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliegt (Nr. 3). Des Weiteren stellte die Beklagte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - (Nr. 4) sowie die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 5) nicht vorliegen.

Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass nach dem Sturz des Saddam-Hussein-Regimes im Irak im Jahr 2003 dem Kläger in seinem Heimatland keine individuelle Verfolgung mehr drohe.

Mit Schreiben vom 13. März 2013, bei Gericht am 13. März 2013 eingegangen, erhob die Bevollmächtigte des Klägers Klage mit dem Antrag:

1. Der Bescheid des Bundesamtes vom 20. Februar 2013, zugestellt am 27. Februar 2013, wird aufgehoben.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Mit Schreiben vom 28. Januar 2015 forderte der neue Bevollmächtigte des Klägers die Beklagte zur Aufhebung des Widerspruchsbescheids auf. Zur Begründung stützte er sich im Wesentlichen auf eine Gefährdung u. a. auch der Schiiten durch die Terrororganisation Islamischer Staat - IS - und auf eine vorliegende Behinderung des Klägers.

Mit Schreiben vom 3. September 2015 ergänzte der Bevollmächtigte die Begründung im Hinblick auf die Behinderung/Krankheiten des Klägers.

Mit Bescheid vom 12. Dezember 2002 war beim Kläger ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt worden.

Mit Änderungsbescheid vom 13. August 2015 des Zentrums Bayern Familie und Soziales wurde beim Kläger ein Grad der Behinderung von 70 festgestellt. Aus der Begründung geht hervor, dass folgende Gesundheitsstörung vorliegt:

1. Restfolgen nach Kopfschussverletzung mit teilparetischer funktioneller Beinverkürzung und Krallenzehensymptomatik rechts, Sensibilitätsstörungen in der rechten unteren Extremität, chronische Schmerzen; Einzel-GdB: 40.

2. Posttraumatische Belastungsstörung, seelische Störung; Einzel-GdB: 40.

Mit Beschluss vom 6. August 2015 wurde das Verfahren zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Das Gericht hat am 18. September 2015 mündlich verhandelt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der sonstigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2015 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. In der ordnungsgemäßen Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-).

Die zulässige Klage ist nur insoweit begründet, als die Beklagte in Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ablehnt; insoweit ist der Bescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen ist die Klage unbegründet.

I.

Der Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2013 ist in Nr. 1 und Nr. 2 rechtmäßig.

1. Im Zeitpunkt der vorliegenden gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz -AsylVfG-) liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG für einen Widerruf der Anerkennung als Asyl-berechtigter und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. Art. 16a Grundgesetz a. F., § 51 Abs. 1 AuslG i. V. m. § 3 AsylVfG a. F.) vor.

Der Widerruf der Asylberechtigung und der Flüchtlingsanerkennung setzt voraus, dass in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände weggefallen sind, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung hatte und als Asylberechtigter und Flüchtling anerkannt worden war. Eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände liegt vor, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland deutlich und wesentlich geändert haben. Durch neue Tatsachen muss sich eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben, so dass keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung mehr besteht. Dauerhaft ist eine Veränderung, wenn eine Prognose ergibt, dass sich die Änderung der Umstände als stabil erweist, d. h. der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält. Der Widerruf setzt weiter voraus, dass der Betreffende auch nicht wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung hat (vgl. zuletzt BVerwG v. 31.1.2013 - 10 C 17/12 - NVwZ-RR 2013, 571, juris Rn. 20; BVerwG v. 5.6. 2012 - 10 C 4/11 - BVerwGE 143, 183, juris Rn. 20-22).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor: Weder wegen der unerlaubten Ausreise aus dem Irak, dem unerlaubten Aufenthalt im Ausland und der Asylantragstellung im Ausland, die im Jahr 1996 zur Anerkennung des Klägers als Flüchtling geführt haben, noch wegen politischer Verfolgung durch das Regime von Saddam Hussein, die im Jahr 1998 zur Anerkennung als Asylberechtigter führte, droht ihm lange nach dem Ende dieses Regimes noch irgendeine Verfolgung; diese Veränderung ist auch dauerhaft (siehe BVerwG, U. v. 24.2.2011 - 10 C 3/10 - juris Rn. 20, U. v. 5.6.2012 - 10 C 4/11 - juris Rn. 21; BayVGH, U. v. 2.2.2012 - 13a B 11.30412 - juris Rn. 14; VGH BW, U. v. 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 - juris Rn. 30 ff.).

Dem Kläger droht in seiner Herkunftsregion in seinem Herkunftsland auch nicht aus anderen Gründen eine Verfolgung i. S. des § 60 Abs. 1 AufenthG, insbesondere besteht etwa auch keine Gruppenverfolgung als Angehöriger der schiitischen Volksgruppe durch nichtstaatliche Akteure.

Nach dem Bericht des Auswärtigen Amts -AA- über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom Oktober 2014 (dort S. 5) sind die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen die (arabischen) Schiiten, die 60 bis 65% der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Süd-osten bzw. Süden des Landes bewohnen, die (arabischen) Sunniten (17 bis 22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und ... und die vor allem im Norden des Landes lebenden Kurden (ca. 15 bis 20%), die überwiegend sunnitischen, aber auch yezidischen und in kleinen Teilen schiitischen Glaubens sind.

Zwar ist nach dem Bericht des Auswärtigen Amts (S.12) die Sicherheitslage im Nord- und Zentralirak aufgrund des Einmarsches der Terrororganisation Islamischer Staat -IS- im Juni 2014 seither prekär: Weite Teile der nordwestlichen Provinzen sind nicht oder nur teilweise unter der Kontrolle der Zentralregierung. Das Auswärtige Amt ruft seit Juni 2014 zur sofortigen Ausreise aus den Provinzen ... ... ... ..., ... ... ... sowie aus dem Großraum ... und dem Norden der Provinz ... auf. Seit August 2014 wird der IS von verschiedenen irakischen wie internationalen Akteuren bekämpft. Dies hat bewaffnete Auseinandersetzungen in einigen irakischen Provinzen (...) sowie auch an den Rändern der Region ... zur Folge.

Nach Einschätzungen der britischen regierungsunabhängigen Organisation Iraq Body Count (www.iraqbodycount.org) wurden im Irak im Jahr 2014 17.049 zivile Tote gezählt. Allerdings sind 80% der zivilen Opfer geographisch den vier Provinzen ... und ... zuzuordnen (Iraq 2014: Civilian deaths almost doubling year on year. An overview oft the year´s violence).

Demnach ist der südliche Landesteil des Irak, der überwiegend von Schiiten bewohnt wird, nicht unmittelbar durch den IS bedroht. In diesem Landesteil droht dem schiitischen Kläger, der auch nicht zu den besonders im Irak gefährdeten Personengruppen (Polizisten, Soldaten, Journalisten, Intellektuelle, Richter, Rechtsanwälte, Regierungsmitglieder bzw. -mitarbeiter usw., vgl. Bericht des AA vom Oktober 2014, S. 12 f.) gehört, keine Verfolgung wegen seines Glaubens. Auch kann er sicher und legal in diesen Landesteil einreisen. Da er dort in ... geboren wurde und auch zuletzt vor seiner Ausreise gelebt hat, kann von ihm vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylVfG).

2. Die Rechtskraft des zur Anerkennung des Klägers verpflichtenden verwaltungsgerichtlichen Urteils von 1998 steht einer Widerrufsentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht entgegen, da sich, wie erwähnt, durch den Sturz des Saddam-Hussein-Regimes die zur Zeit des Urteils maßgebliche Sach- oder Rechtslage nachträglich entscheidungserheblich verändert hat (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2011 - 10 C 29/10 - juris Rn. 16 ff.).

3. Auch § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG steht dem Widerruf nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG enthält danach eine einzelfallbezogene Ausnahme von der Beendigung der Flüchtlingseigenschaft, die unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen von Satz 1 der Vorschrift gilt (BVerwG, U. v. 1.11.2005 - 1 C 21/04 - juris Rn. 37). Aber selbst sei erlittener Misshandlung bzw. Folter kann nicht stets ein Ausnahmefall im Sinn von § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG angenommen werden. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist vielmehr, dass Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen vorliegen, die zur Unzumutbarkeit der Rückkehr in das Heimatland auch dann führen, wenn eine Verfolgung nicht mehr droht. Ob eine Ausnahme im Sinne dieser humanitären Klausel vorliegt, ist im Einzelfall jeweils anhand einer Gesamtwürdigung der Umstände festzustellen (zum Vorstehenden OVG Saarland, B. v. 26.9.2011 - 3 A 356/11 - juris Rn. 42, 44). Solche besonderen Gründe liegen nach Auffassung des Gerichts hier nicht vor. Der Kläger hat zwar in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass er gefoltert worden sei. Allerdings hatte dies der Kläger bisher noch nie im Asylverfahren erwähnt, obwohl es sich dabei um eine relevante Tatsache handelt. In seiner Anhörung im Jahr 1996 trug er vor, dass er zwar in Haft gewesen sei und dabei auch misshandelt worden sei. Indes hat er dies nicht weiter konkretisiert oder gar als Folter bezeichnet. Die Ausreise aus dem Irak erfolgte vielmehr aufgrund des Auffindens seiner regimekritischen auf Tonband aufgenommenen Gedichte. Auch in dem asylrechtlichen Gerichtsverfahren im Jahr 1998 (M 9 K 96.53580) wurde ausweislich der Niederschrift von der mündlichen Verhandlung und des Urteils eine Misshandlung oder gar Folter in keiner Weise thematisiert. Dieser Umstand lässt seine Schilderung in Bezug auf die Folter als nicht glaubhaft, zumindest als überzogen erscheinen. Aufgrund des vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks und der Dokumente in den Akten geht das Gericht zwar davon aus, dass der Kläger durchaus gegenwärtig an einer psychischen Störung leidet. Aus den vorgelegten Attesten geht jedoch nicht hervor, dass diese alleine oder ganz überwiegend auf die Haft bzw. die Misshandlungen zurückzuführen sind. Vielmehr beruhen diese Störungen nach den Schilderungen des Klägers wesentlich auf seinen schweren Verletzungen, die er 1983 als Soldat im Krieg des Irak gegen den Iran erlitten hat. Dies deckt sich auch mit den Feststellungen z. B. in den ärztlichen Gutachten vom ... ... 2002 und vom ... 2005. Dort beziehen sich seine Klagen in Bezug auf psychische Leiden auf die Kriegserfahrungen (Alpträume vom Krieg) verbunden mit seiner Einsamkeit und Arbeitslosigkeit. Dabei handelt es sich jedoch um keine frühere Verfolgungshandlung.

4. Die Beklagte war nicht verpflichtet, im Ermessenswege über den Widerruf zu entscheiden, da die Tatbestandsvoraussetzungen für das Erfordernis einer Ermessensentscheidung nach § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG nicht erfüllt sind (vgl. BVerwG, U. v. 5.6.2012 - 10 C 4.11 - Rn. 12 ff.).

II.

Die Regelung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids mit der die mit Bescheid vom 11. Oktober 1996 nach altem Recht getroffene Feststellung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 des Ausländergesetzes (entspricht § 60 Abs. 5 AufenthG) vorliegt, widerrufen wird, ist rechtmäßig, da die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen (§ 73c Abs. 2 AsylVfG). Dem Kläger droht nach dem Sturz des Saddam-Hussein-Regimes in seinem Heimatland keine unmenschliche Behandlung i. S. von Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention, d. h. Misshandlung durch staatliche Organe.

III.

Die Regelung in Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids ist rechtmäßig, da der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG hat. Wie bereits erwähnt droht dem Kläger nach Sturz des Saddam-Hussein-Regimes in seiner Heimat keine Verfolgung i. S.v. § 60 Abs. 1 AufenthG.

IV.

Dem Kläger steht kein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 AufenthG zu (vgl. Regelung Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids).

1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG liegt nicht vor, da keine stichhaltigen Gründe vorliegen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in seine Heimatregion eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. Eine allgemeine Gefahr muss nämlich dafür eine derart hohe Dichte bzw. einen derart hohen Grad aufweisen, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist. Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt muss sich dabei zwar nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Klägers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird (zum Vorstehenden BVerwG, U. v. 14.07.2009 - 10 C 9/08 - juris Rn. 17; VG Saarland, U. v. 20.3.2014 - 6 K 1136/13 - juris Rn. 37).

Zwar ist, wie oben erwähnt, nach dem Bericht des Auswärtigen Amts vom Oktober 2014 (S.12) die Sicherheitslage im Nord- und Zentralirak aufgrund des Einmarsches der Terrororganisation Islamischer Staat -IS- im Juni 2014 seither prekär, so dass man insoweit, d. h. auf die betroffenen Gebiete beschränkt, wohl von einem innerstaatlichen gewaffneten Konflikt ausgehen kann. Allerdings droht dem Kläger keine individuelle Gefahr, da sich der erwähnte Konflikt nicht auf den Südirak erstreckt, aus dem der Kläger stammt und in den er daher typischerweise zurückkehren wird.

2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG liegt nicht vor. Es ist nichts dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass dem Kläger die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe in seinem Heimatland droht.

3. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention -EMRK- besteht nicht, da nach dem Sturz des Saddam-Hussein-Regimes dem Kläger in seinem Heimatland keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (siehe oben).

V.

Allerdings liegt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beim Kläger vor. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätzen ist die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist (BVerwG, U. v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 - juris Rn. 15). Das Gericht ist aufgrund des Eindrucks vom Kläger und seines Vortrags in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der vorgelegten Dokumente in der beigezogenen Akte des Zentrums Bayern Familie und Soziales (Ausweise, Bescheide, fachärztliche Atteste) davon überzeugt, dass der Kläger an einer Behinderung leidet und dieser multiple Krankheiten sowohl körperlicher als auch besonders psychischer Art zugrunde liegen, für die es im Irak an den notwendigen Behandlungsmöglichkeiten fehlt. In diesem sich daraus ergebenden Sonderfall nimmt das Gericht daher eine konkrete und erhebliche Gefahr für Leib und Leben für den Kläger an. Insoweit ist der Bescheid rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten und ist daher aufzuheben.

VI.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 80b AsylVfG).

VII.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 ff ZPO.

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tatbestand

1

Der 1973 geborene Kläger ist syrisch-orthodoxer Christ türkischer Staatsangehörigkeit. Er reiste im Alter von sechs Jahren in die Bundesrepublik Deutschland ein und lebte zunächst bei seinen Eltern. Ihm wurde ein befristeter Aufenthaltstitel erteilt und in der Folge mehrfach verlängert; mehrere Geschwister haben inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Seine Schulausbildung beendete er ohne Abschluss. Seit seinem 13. Lebensjahr konsumierte er Drogen und wurde vielfach straffällig. Im Zeitraum zwischen 1991 und 2010 verbrachte er insgesamt etwa 15 Jahre in Untersuchungs- und Strafhaft; maßgeblich hierfür waren überwiegend Verurteilungen zu Freiheitsstrafen von jeweils bis zu zwei Jahren. Eine höhere Freiheitsstrafe, nämlich eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren, war lediglich durch das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 24. Januar 2001 ausgesprochen worden. Diesem Urteil lagen eine am 30. Oktober 2000 begangene versuchte schwere räuberische Erpressung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in einem minderschweren Fall (Einzelstrafe zwei Jahre zehn Monate) und eine am 1. Juli 2000 begangene Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung (Einzelstrafe sechs Monate) zu Grunde.

2

Die Ausländerbehörde der Stadt Hamburg hörte den Kläger seit 1992 mehrfach zu einer beabsichtigten Ausweisung an. Durch Bescheid vom 29. Dezember 1999 wies sie ihn aus, weil er innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheitsstrafen von zusammen mindestens drei Jahren verurteilt worden sei (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990). Seine hiergegen gerichtete Anfechtungsklage blieb erfolglos. In der Folge wurden ihm Duldungen erteilt. Einen im Jahre 1996 aus der Haft heraus gestellten Asylantrag lehnte die Beklagte als offensichtlich unbegründet ab, wurde jedoch durch das zuständige Verwaltungsgericht verpflichtet, den Kläger wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der syrisch-orthodoxen Christen als asylberechtigt anzuerkennen.

3

Durch Bescheid vom 25. Januar 2006 widerrief die Beklagte die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter (Ziffer 1 des Bescheids) sowie die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorlägen (Ziffer 2). Zusätzlich stellte sie fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorlägen (Ziffer 3). Zur Begründung verwies sie auf die Verurteilung des Klägers zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe (§ 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG). Die weitere Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 4), begründete sie damit, dass syrisch-orthodoxe Christen in der Türkei nicht mehr mit Verfolgung oder menschenrechtswidriger Behandlung rechnen müssten.

4

Das Verwaltungsgericht Hamburg wies die gegen diesen Bescheid gerichtete Anfechtungsklage durch Urteil vom 11. Dezember 2008 ab. Das Oberverwaltungsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Verwaltungsgerichts durch Beschluss vom 2. Januar 2012 geändert und den Bescheid der Beklagten aufgehoben. Ein Widerrufsgrund könne nicht nur dann vorliegen, wenn nachträglich die Anerkennungsvoraussetzungen wegfielen, sondern auch dann, wenn nachträglich Ausschlussgründe verwirklicht worden seien, etwa wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden sei. Ein solcher Fall sei hier jedoch nicht gegeben. Denn § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erfasse nicht den Fall, dass im Wege der Gesamtstrafenbildung auf eine dreijährige Freiheitsstrafe erkannt worden sei. Dies folge aus dem Wortlaut der Norm und werde durch Entstehungsgeschichte und Gesetzeszweck bestätigt. Die Möglichkeit eines Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung als Folge einer Gesamtstrafenbildung könne im Übrigen zu Gleichheitsverstößen führen. Denn derjenige Straftäter, bei dem die Ahndung mehrerer Straftaten verbunden werde und in eine dreijährige Gesamtstrafe münde, werde ohne sachlichen Grund gegenüber demjenigen benachteiligt, bei dem dieselben Straftaten verfahrensmäßig getrennt und mit Strafen von jeweils unter drei Jahren abgeurteilt würden. Die Frage, ob der Widerruf der Asylanerkennung auch darauf gestützt werden könne, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei auf Grund einer Veränderung der Umstände keine asylrelevante Verfolgung oder Folter bzw. unmenschliche Behandlung mehr drohe, habe die Beklagte in ihren Bescheid weder angesprochen noch habe sie entsprechende Überlegungen im Gerichtsverfahren vorgetragen. Die Möglichkeit einer derartigen Veränderung der maßgeblichen Umstände in der Türkei liege auch nicht ohne Weiteres auf der Hand.

5

Die Beklagte rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts sowie die Verletzung der Amtsaufklärungspflicht. Sie ist der Auffassung, dass auch die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingseigenschaft begründen könne.

6

Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts und hält hilfsweise sein Begehren auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung unionsrechtlicher bzw. nationaler Abschiebungsverbote aufrecht.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und unterstützt die Revision.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist begründet. Das Berufungsgericht hat allerdings ohne Verstoß gegen revisibles Recht entschieden, dass die Beklagte den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung des Klägers nicht auf § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG stützen durfte. Es hat jedoch die im Verfahren ebenfalls aufgeworfene Frage, ob der Widerruf stattdessen auf den Wegfall der verfolgungsbegründenden Umstände gestützt werden konnte (§ 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG), nicht im Einklang mit revisiblem Recht beantwortet. Da hinreichende Sachverhaltsfeststellungen hierzu fehlen, kann der Senat die Frage, ob sich die Berufungsentscheidung aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO), nicht abschließend beantworten. Der Rechtsstreit ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO.

9

1. Gegenstand des Verfahrens ist der Widerrufsbescheid der Beklagten vom 25. Januar 2006. Auf die Anfechtungsklage des Klägers ist die Rechtmäßigkeit dieses Bescheids uneingeschränkt zu überprüfen. Eine Beschränkung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle auf einen von mehreren möglichen Widerrufsgründen würde der Verpflichtung des Verwaltungsgerichts widersprechen, die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen unteilbaren Verwaltungsakts umfassend zu prüfen. Dabei muss das Verwaltungsgericht zum einen auch solche Anfechtungsgründe berücksichtigen, die der Kläger nicht geltend gemacht hat (stRspr seit Urteil vom 20. Februar 1956 - BVerwG 5 C 36.55 - NJW 1956, 804; vgl. auch Urteil vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - BVerwGE 139, 109, Rn. 14 a.E. im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505 Rn. 76). Zum anderen hat es die Rechtmäßigkeit eines nicht im Ermessen der Behörde stehenden Verwaltungsakts auch unter Gesichtspunkten zu prüfen, die von der Behörde im Bescheid oder im Gerichtsverfahren nicht angeführt worden sind. Denn die Aufhebung eines solchen Verwaltungsakts setzt nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO u.a. seine objektive Rechtswidrigkeit voraus; daran fehlt es auch dann, wenn er unter einem im Bescheid oder im Verfahren nicht angesprochenen Grund rechtmäßig ist. Die vorliegende Klage ist also nicht schon dann begründet, wenn der im Widerrufsbescheid allein angeführte Widerrufsgrund des § 60 Abs. 8 AufenthG nicht vorliegt, sondern nur dann, wenn der Bescheid auch unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten nicht haltbar ist und er den Adressaten in seinen Rechten verletzt, insbesondere also wenn auch andere in Betracht kommende Widerrufsgründe ausscheiden. Nur diese Sichtweise wird im Übrigen der im Asylverfahren geltenden Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime gerecht, nach der alle in einem Asylprozess typischerweise relevanten Fragen in einem Prozess abschließend geklärt werden sollen (Urteil vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 10; Beschluss vom 10. Oktober 2011 - BVerwG 10 B 24.11 - juris Rn. 4).

10

2. Ohne Verstoß gegen revisibles Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Beklagte den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung im vorliegenden Fall zu Unrecht auf § 60 Abs. 8 AufenthG gestützt hat.

11

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG müssen die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (§ 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 1 AufenthG) oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist (§ 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG). Im letztgenannten Fall muss zusätzlich eine konkrete Wiederholungsgefahr bestehen. Diese liegt nur vor, wenn von dem Ausländer in Zukunft neue vergleichbare Straftaten ernsthaft drohen (vgl. Urteil vom 16. November 2000 - BVerwG 9 C 6.00 - BVerwGE 112, 185 <188 ff.> noch zu § 51 Abs. 3 Alt. 2 AuslG 1990).

12

Die nach § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erforderliche rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren kann grundsätzlich unabhängig davon vorliegen, ob die verhängte Freiheitsstrafe auf tateinheitlich oder tatmehrheitlich begangene und gleichzeitig abgeurteilte Delikte (§ 52 oder §§ 53 bis 55 StGB) zurückgeht. Bei der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe ist jedoch erforderlich, dass zumindest eine der Einzelstrafen, aus denen die Gesamtstrafe gemäß §§ 54 oder 55 StGB gebildet wird, eine wenigstens dreijährige Freiheitsstrafe ist. Falls hingegen die Gesamtfreiheitsstrafe ausschließlich aus Einzelstrafen hervorgegangen ist, die jeweils für sich genommen die Mindestdauer von drei Jahren nicht erreichen, ist der Anwendungsbereich des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG nicht eröffnet. Dies folgt aus dem Wortlaut der Norm und einer teleologisch-systematischen Auslegung im Einklang mit den relevanten völker- und unionsrechtlichen Vorschriften (anders OVG Lüneburg, Urteil vom 8. Februar 2012 - 13 LB 50/09 - und OVG Schleswig, Urteil vom 21. Juni 2012 - 1 LB 10/10).

13

Nach dem Wortlaut des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG stellt ein Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, wenn er wegen "eines" Verbrechens oder besonders schweren Vergehens verurteilt worden ist; ein entsprechender Sprachgebrauch findet sich auch in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (vormals Richtlinie 2004/83/EG, "wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt") sowie in Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK, "weil er wegeneines Verbrechens oder eines besonderes schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde"). Im Hinblick darauf, dass das Aufenthaltsgesetz in einem vergleichbaren Zusammenhang Rechtsfolgen ausdrücklich an das Vorliegen "einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten" knüpft (§ 53 Nr. 1, § 54 Nr. 1 AufenthG), spricht der Wortlaut des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG eher für als gegen die Annahme, dass die Gefahrenschwelle der Vorschrift nicht überschritten wird, wenn die Verurteilung zu einer mindestens dreijährigen Gesamtstrafe auf einer Zusammenfassung mehrerer Freiheitsstrafen von jeweils unter dreijähriger Dauer beruht.

14

Diese Annahme wird durch den Zweck der Vorschrift bestätigt. Sie geht auf Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG zurück, der Art. 33 Abs. 2 GFK und der darin normierten Ausnahme vom völkerrechtlichen Refoulement-Verbot nachgebildet ist: Sie soll Gefahren von dem Aufnahmestaat eines Flüchtlings abwehren, die durch dessen kriminelles Verhalten verursacht werden. Im Hinblick darauf, dass § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG und Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU darüber hinausgehend sogar die Möglichkeit eines Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung vorsehen (krit. dazu Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, Kap. IV 3, S. 1133 f. Rn. 15; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 37 Rn. 47 ff.), muss die Vorschrift jedoch restriktiv so ausgelegt werden, dass die Sicherungen insbesondere des völkerrechtlichen Flüchtlingsrechts gegen eine Abschiebung in den Verfolgerstaat nicht relativiert werden. Der Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsgewährung kann deshalb gegenüber kriminellen Flüchtlingen nur als ultima ratio in Betracht kommen, wenn ihr kriminelles Verhalten die Schwelle der besonders schweren Strafbarkeit überschreitet (vgl. Urteil vom 7. Oktober 1975 - BVerwG 1 C 46.69 - BVerwGE 49, 202 <208 ff.> zu § 14 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965).

15

Aus diesen Gründen kommt es nach der Konzeption des deutschen Rechts für die Anwendung des § 60 Abs. 8 AufenthG unabhängig davon, dass die Umsetzung der Mindestgewährleistung des Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG in nationales Recht durch die Mitgliedstaaten eine erhebliche Bandbreite aufweist (vgl. European Council on Refugees and Exilies, The Impact oft the EU Qualification Directive on International Protection, 2008, S. 171 ff., 179 bis 182 mit einer Zusammenstellung der Umsetzungsmaßnahmen, vgl. auch ebda. S. 33 f.), im Übrigen auch nicht auf die abstrakte Strafdrohung, sondern auf die konkret verhängte Freiheitsstrafe an. Denn die Mindeststrafenregelung soll sicherstellen, dass der Entzug des Asyl- und Flüchtlingsstatus nur gegenüber besonders gefährlichen Tätern in Betracht kommt. Nur sie bedeuten eine Gefahr für die Allgemeinheit, die gegenüber dem Ziel des Flüchtlingsschutzes im Ausnahmefall überwiegen kann, nicht aber solche Täter, die sich zwar eines mit hoher Strafdrohung bewehrten Vergehens oder Verbrechens schuldig gemacht haben, dabei aber im unteren oder mittleren Bereich der Strafbarkeit geblieben sind, so dass sie eine Freiheitsstrafe von weniger als drei Jahren verwirkt haben. Ist ein Flüchtling rechtskräftig zu einer mindestens dreijährigen (Einzel-)Freiheitsstrafe verurteilt worden, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles weiter zu prüfen, ob diese Verurteilung die Annahme rechtfertigt, dass er tatsächlich eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG darstellt.

16

Aus demselben Grund reicht es nicht aus, wenn ein Täter nur deshalb zu einer mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, weil mehrere von ihm begangene Taten geringeren oder mittleren Gewichts im Rahmen eines einzigen Strafverfahrens oder - wenn eine frühere Strafe noch nicht vollstreckt ist - im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung abgeurteilt worden sind. Die von der Beklagten für richtig gehaltene Auslegung des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG würde hingegen dazu führen, dass die von rein verfahrenspraktischen Aspekten, nicht aber von der Gefährlichkeit des Täters abhängige Frage, ob eine Straftat in einem Strafverfahren für sich genommen oder zusammen mit anderen Straftaten abgeurteilt wird, ausschlaggebend dafür werden könnte, ob der Täter die Voraussetzungen für einen Widerruf seines Asyl- oder Flüchtlingsstatus erfüllt oder nicht.

17

Auch die Entstehungsgeschichte der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Takkenberg/Tahbaz, The collected travaux préparatoires of the 1951 Geneva convention relating to the status of refugees, 1990, III S. 89 f., 344 ff., sowie Weis, The travaux préparatoires analysed with a commentary, abrufbar bei www.unhcr.org/4ca34be29.html, ab Seite 233) bestätigt die Erforderlichkeit einer restriktiven Auslegung des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG. Während im ursprünglichen Textentwurf eine Einschränkung des Refoulement-Verbots (Art. 28 des Entwurfs) noch nicht vorgesehen war, setzte sich der Gedanke, dass Staaten zur Hinnahme von Gefahren für ihre Sicherheit oder für die Allgemeinheit nicht unbeschränkt gezwungen sein dürften, erst nach einer intensiven Debatte über die Grenzen des Refoulement-Schutzes durch. Der schließlich verabschiedeten Textfassung lag die Einschätzung zu Grunde, dass die Abschiebung eines Flüchtlings nur ausnahmsweise und als Reaktion auf besonders schwerwiegendes kriminelles Verhalten des Flüchtlings zulässig sei, wenn eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder der Allgemeinheit bestehe. Die Auffassung des Vertreters des Bundesinteresses, auch in derartigen Fällen könne über die Merkmale einer Gefahr für die Allgemeinheit oder der Wiederholungsgefahr im Rahmen einer Einzelfallwürdigung eine Unterschreitung des völker- und unionsrechtlich gebotenen Mindeststandards verhindert werden (ebenso OVG Schleswig a.a.O. Rn. 45), wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Denn sie verschiebt die untere Grenze für die Möglichkeit eines Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung in einen Bereich, der bereits die durch eine Mehrzahl von Taten der mittleren Kriminalität ausgelösten Gefahren erfasst und sich damit gerade nicht auf Fälle besonders schwerer Verbrechen (Art. 14 Abs. 4 Buchst. b Richtlinie 2011/95/EU) beschränkt.

18

Aus der Entstehungsgeschichte des § 60 Abs. 8 AufenthG ergibt sich nichts Abweichendes. Die Mindeststrafengrenze des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG war weder im Ausländergesetz vom 28. April 1965 (AuslG 1965, dort § 14 Abs. 1 Satz 2, gültig bis Ende 1990) noch in der bis Oktober 1997 gültigen Fassung des Ausländergesetzes vom 9. Juli 1990 (AuslG 1990, dort § 51 Abs. 4) enthalten und fehlt auch in Art. 33 Abs. 2 der durch das AuslG 1965 in Bezug genommenen Genfer Flüchtlingskonvention. Sie wurde erst durch Gesetz vom 29. Oktober 1997 als § 51 Abs. 3 AuslG (gültig bis Ende 2004) mit der Begründung in das Gesetz eingefügt, die bisher nur selten angewandte Vorschrift solle konkretisiert und ihre praktische Anwendung angesichts der aktuellen politischen Lage erleichtert werden (BTDrucks 13/4948 S. 9). Weder durch das Aufenthaltsgesetz in der Fassung vom 30. Juli 2004 noch durch das erste Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 ist sie nachfolgend geändert worden. Aus diesem Ablauf lässt sich lediglich die Absicht des Normgebers ableiten, die Ausweisung von Straftätern durch eine leicht handhabbare Regelung zu erleichtern, nicht aber eine Aussage zu der - in den Materialien nicht angesprochenen - Frage, ob die Mindeststrafengrenze auch durch eine aus mehreren Einzelstrafen von jeweils unter drei Jahren gebildete Gesamtstrafe erfüllt werden sollte oder nicht. Vielmehr folgt aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf Art. 33 Abs. 2 GFK in der Begründung für die Einführung einer Mindestfreiheitsstrafe (BTDrucks 13/4948 S. 9), dass die dort verbindlich vereinbarte hohe Schwelle für eine Relativierung des Flüchtlingsschutzes nicht angetastet werden sollte.

19

3. Das Berufungsgericht hat jedoch die im vorliegenden Verfahren ebenfalls aufgeworfene Frage, ob der angegriffene Widerrufsbescheid auf § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG gestützt werden kann, nicht im Einklang mit revisiblem Recht beantwortet. Dabei kann offenbleiben, ob das Berufungsgericht dieser Frage überhaupt nicht nachgegangen ist oder ob es die Frage zwar aufgeworfen, aber unter Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO - da ohne jede Sachverhaltsaufklärung - beantwortet hat.

20

Der Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auch dann geboten, wenn der Ausländer es nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt (§ 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Nach der Rechtsprechung kann dies allerdings erst dann angenommen werden, wenn sich die verfolgungsbegründenden Umstände erheblich und dauerhaft verändert haben (Urteile vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 und vom 24. Februar 2011 a.a.O. Rn. 16 ff.; EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505 Rn. 72 ff.). Die bei der Anerkennung als Asylberechtigter oder der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft festgestellte Verfolgungsgefahr fällt also erst weg, wenn durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte und zugleich stabile Grundlage für die Verfolgungsprognose entstanden ist, so dass keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Betroffenen nach seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mehr besteht. Die einen Wegfall der Verfolgungslage begründenden Tatsachen müssen zur Überzeugung des Gerichts feststehen, wenn auch nicht - wie das Berufungsgericht es formuliert hat - "auf der Hand liegen".

21

4. Das Berufungsgericht hat keine Tatsachen festgestellt, aus denen sich ein Wegfall der Verfolgungslage ableiten ließe. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass im angegriffenen Bescheid Ausführungen zur Situation von Angehörigen der syrisch-orthodoxen Kirche in der Türkei enthalten sind, wenn auch lediglich im Zusammenhang mit einem denkbaren Anspruch des Klägers auf subsidiären Schutz. Denn es wäre Aufgabe des Verwaltungsgerichts und des Berufungsgerichts gewesen, die Richtigkeit dieser Ausführungen durch eigene tatsächliche Feststellungen zu überprüfen. Deshalb kann der Senat die Frage, ob die Berufungsentscheidung aus anderen Gründen richtig ist (§ 144 Abs. 4 VwGO) nicht beantworten und auch nicht zu Lasten des Klägers in der Sache selbst entscheiden. Vielmehr ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um diesem die Gelegenheit zu geben, die für § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG maßgeblichen Tatsachen aufzuklären.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung.

2

Der 1973 geborene Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 1998 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Mit Bescheid vom 23. Juli 1998 stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.

3

Im Juni 2008 fragte das Bundesamt bei der Landeshauptstadt München an, ob beim Kläger die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vorlägen. Das verneinte die Ausländerbehörde, da der Kläger Sozialhilfe beziehe und straffällig geworden sei.

4

Im November 2008 leitete das Bundesamt wegen der veränderten Verhältnisse im Irak ein Widerrufsverfahren ein und gab dem Kläger im Januar 2009 Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger wies im April 2009 darauf hin, dass ihm bei Rückkehr in den Irak asylrelevante Verfolgung durch nichtstaatliche Kräfte drohe. Im Übrigen lebe seine gesamte Familie in Deutschland. Er habe keinerlei Beziehungen mehr zum Irak, sondern sei in Deutschland sozialisiert und Teil dieser Gesellschaft.

5

Mit Bescheid vom 2. Juli 2009 widerrief das Bundesamt die Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG und stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Der Begründung des Bescheids ist zu entnehmen, dass der Widerruf auf § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG gestützt wurde; Ermessenserwägungen enthält der Bescheid nicht.

6

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München abgewiesen. Mit Urteil vom 21. März 2011 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Rechtsgrundlage des Widerrufs sei § 73 Abs. 1 AsylVfG. Danach sei der Widerruf gerechtfertigt, denn die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen beim Kläger nicht mehr vor. Ihm drohe auch keine Verfolgung aus anderen Gründen. Der Widerruf sei nicht schon deshalb aufzuheben, weil er erst nach Ablauf der Frist des § 73 Abs. 7 AsylVfG erfolgt sei. § 73 Abs. 7 AsylVfG enthalte einen Prüfungsauftrag für das Bundesamt und keine Entscheidungsfrist wie § 48 Abs. 4 VwVfG. Zudem dürfe derjenige, bei dem die Erstüberprüfung versäumt worden sei, nicht besser dastehen als derjenige, bei dem diese zu keinem Widerruf geführt habe. Auch die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG mit der Folge eines Übergangs zur Ermessensentscheidung seien nicht erfüllt, denn eine vorangehende Prüfung, aufgrund derer ein Widerruf nicht erfolgt sei, habe nicht stattgefunden. Der bloße Fristablauf könne nicht mit einer abgeschlossenen Negativprüfung gleichgesetzt werden. Der Kläger genieße weder unionsrechtlichen noch nationalen Abschiebungsschutz.

7

Der Kläger wendet sich mit der Revision nur noch gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung. Dieser sei wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig. Versäume das Bundesamt eine fristgerechte Entscheidung, sei dies einer Negativentscheidung gleichzustellen. Denn die Frist des § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG liege nicht nur im öffentlichen, sondern auch im individuellen Interesse des Flüchtlings. Wegen der fehlenden Ermessensentscheidung sei der Widerrufsbescheid aufzuheben.

8

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die in § 73 Abs. 2a und Abs. 7 AsylVfG bestimmte Frist beziehe sich nur auf die Anfangsprüfung, ob überhaupt ein Widerrufsverfahren einzuleiten sei. Der Gesetzgeber habe eine Prüfungs- und keine Entscheidungsfrist gesetzt. Darüber hinaus bestehe die Pflicht zum Widerruf allein im öffentlichen Interesse, denn mit der Gesetzesänderung sei eine Effektivierung der Widerrufsvorschriften beabsichtigt gewesen.

9

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt und verteidigt das angefochtene Urteil. Mit der Regelüberprüfungsfrist hätten den betroffenen Ausländern keine subjektiven Rechte eingeräumt werden sollen. Die Regelung habe ausweislich der Gesetzesbegründung nur eine innerbehördliche verfahrensleitende Bedeutung. Sie diene der Beschleunigung des Asylverfahrens, nicht jedoch integrationspolitischen Zwecken. Da dem Bundesamt für die Prüfung ein Zeitraum von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Anerkennung zuzüglich eines angemessenen Prüfungszeitraums zustehe, müsse dies für die Frist des § 73 Abs. 7 AsylVfG in gleicher Weise gelten. Der Widerruf sei nur zweieinhalb Monate nach der Stellungnahme des Klägers ergangen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Anfechtungsklage gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung ohne Verletzung revisiblen Rechts abgewiesen. Er ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Widerruf nicht schon deshalb aufzuheben ist, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - die Frist des § 73 Abs. 2a Satz 1, Abs. 7 AsylVfG versäumt hat (1.). Infolge der Fristversäumung ist der Widerruf auch nicht in eine Ermessensentscheidung umgeschlagen (2.). Neben den Fristbestimmungen in § 73 Abs. 2a Satz 1 und Abs. 7 AsylVfG ist die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG nicht anwendbar (3.). Schließlich hat der Verwaltungsgerichtshof in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen der materiellen Widerrufsvoraussetzungen gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG bejaht (4.).

11

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Widerrufs ist § 73 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798). Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß Satz 2 der Vorschrift insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Nach Absatz 2a der Vorschrift hat die Prüfung, ob die Voraussetzungen u.a. für einen Widerruf nach Absatz 1 vorliegen, spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu erfolgen (Satz 1). Das Ergebnis ist der Ausländerbehörde mitzuteilen (Satz 2). Ist nach der Prüfung ein Widerruf oder eine Rücknahme nicht erfolgt, steht eine spätere Entscheidung nach Absatz 1 oder Absatz 2 im Ermessen, es sei denn, der Widerruf oder die Rücknahme erfolgt, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Abs. 2 vorliegen (Satz 4). Gemäß Absatz 7 hat die Prüfung nach Absatz 2a Satz 1 spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu erfolgen, wenn - wie hier - die Entscheidung über den Asylantrag vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist.

12

1. Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung im Bescheid vom 2. Juli 2009 in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden ist. Dem Kläger ist gemäß § 73 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG schriftlich mitgeteilt worden, dass wegen der Änderung der Sachlage im Irak ein Widerrufsverfahren eingeleitet wurde, und er hatte ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme. Ob der Widerrufsbescheid unverzüglich erfolgt ist, kann dahinstehen, da der Kläger sich auf diese rein objektivrechtliche Voraussetzung nicht zu berufen vermag (Urteile vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 277 <291> und vom 20. März 2007 - BVerwG 1 C 21.06 - BVerwGE 128, 199 Rn. 18; stRspr). Der Widerrufsbescheid ist auch nicht deshalb aufzuheben, weil das Bundesamt nicht innerhalb der Frist des § 73 Abs. 2a Satz 1, Abs. 7 AsylVfG entschieden hat (1.1). Denn auch diese Fristbestimmung ist rein objektivrechtlicher Natur im Sinne einer Ordnungsvorschrift, so dass ein Versäumen der Frist nicht die Rechtswidrigkeit eines (verspäteten) Widerrufs zur Folge hat (1.2).

13

1.1 Das Bundesamt hat die in § 73 Abs. 2a Satz 1, Abs. 7 AsylVfG enthaltene Prüfungsfrist versäumt. Die Verpflichtung, die Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen innerhalb der vom Gesetzgeber gesetzten Frist zu prüfen, umfasst entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nur eine erste Vorprüfung, ob ein Verfahren eingeleitet wird. Vielmehr muss mit Blick auf die Absicht des Gesetzgebers, die asylverfahrensrechtlichen Vorschriften über Widerruf und Rücknahme in der Praxis durch Einführung einer Überprüfungspflicht von Amts wegen an Bedeutung gewinnen zu lassen (BTDrucks 15/420 S. 107, 112), die Prüfung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen innerhalb der gesetzlichen Frist auch tatsächlich abgeschlossen werden. Die Prüfung ist nach Sinn und Zweck der auf Effektivierung zielenden Regelung aber erst beendet mit einer Negativmitteilung gemäß § 73 Abs. 2a Satz 2 AsylVfG an die Ausländerbehörde oder dem Erlass eines Widerrufsbescheids. An der bisherigen Rechtsprechung, nach der dem Bundesamt über die gesetzliche Frist hinaus noch ein angemessener Prüfungszeitraum zusteht (Urteil vom 12. Juni 2007 - BVerwG 10 C 24.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 Rn. 15; zuletzt Urteil vom 1. März 2012 - BVerwG 10 C 9.11 - Rn. 8 f.), hält der Senat nicht länger fest.

14

1.2 Die Versäumung der Prüfungsfrist führt aber nicht zur Rechtswidrigkeit des Widerrufs. In der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 73 AsylVfG ist offengeblieben, ob die Dreijahresfrist des § 73 Abs. 2a AsylVfG (bzw. die Übergangsfrist für Altanerkennungen in § 73 Abs. 7 AsylVfG) ausschließlich öffentlichen Interessen oder (zumindest auch) dem individuellen Interesse des anerkannten Asylberechtigten oder Flüchtlings dient (vgl. Urteile vom 1. November 2005 a.a.O. S. 292; vom 20. März 2007 a.a.O. Rn. 17 und vom 12. Juni 2007 a.a.O. Rn. 11). Der erkennende Senat entscheidet diese Frage nunmehr dahin, dass die Verpflichtung, die Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen gerade auch innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Zeitraums zu prüfen, insoweit dem Bundesamt ausschließlich im öffentlichen Interesse an der alsbaldigen Entscheidung über den Fortbestand der Asylberechtigung bzw. des Flüchtlingsstatus auferlegt ist und ein Verstoß gegen diesen Prüfungsauftrag einen verspäteten Widerruf nicht ausschließt. Das ergibt sich aus den Materialien des Zuwanderungsgesetzes, in denen die zum 1. Januar 2005 neu eingeführte Dreijahresfrist zur obligatorischen Überprüfung der Widerrufs- oder Rücknahmevoraussetzungen durch das Bundesamt als Maßnahme zur Beschleunigung des Asylverfahrens bezeichnet wird (BTDrucks 15/420 S. 107). Wie bereits ausgeführt wollte der Gesetzgeber damit erreichen, dass die Vorschriften über den Widerruf und die Rücknahme, die in der Praxis bislang weitgehend leergelaufen sind, an Bedeutung gewinnen (BTDrucks 15/420 S. 112). Die Effektivierung der Rechtsgrundlagen für die Aufhebung der Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung dient jedoch - wie auch das Gebot der Unverzüglichkeit - nicht den Interessen der Statusinhaber (Hailbronner, AuslR, Stand: August 2008, B 2 § 73 AsylVfG Rn. 93; Bergmann, in: Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 73 AsylVfG Rn. 29; Wolff, in: Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 2008, § 73 AsylVfG Rn. 41; VGH Kassel, Beschluss vom 1. August 2005 - 7 UE 1364/05.A - InfAuslR 2005, 491).

15

Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Mitteilung des Bundesamts an die Ausländerbehörde gemäß § 73 Abs. 2a Satz 2 AsylVfG, die Voraussetzungen für den Widerruf oder die Rücknahme lägen nicht vor, eine Tatbestandsvoraussetzung für einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 3 AufenthG bildet. Diese aufenthaltsrechtliche Folge knüpft aber nicht an den bloßen Ablauf der asylverfahrensrechtlichen Überprüfungsfrist an, sondern erst an die Negativmitteilung als eine der möglichen Entscheidungen des Bundesamts nach Abschluss seiner obligatorischen Prüfung. Allein der Regelungszusammenhang des § 73 Abs. 2a und Abs. 7 AsylVfG mit § 26 Abs. 3 AufenthG bietet daher noch keinen Anhaltspunkt für ein subjektives Recht auf fristgerechte Prüfung gegenüber der Beklagten (a.A. VG Köln, Urteil vom 10. Juni 2005 - 18 K 4074/04.A - NVwZ-RR 2006, 67 <73>). Auch wenn der Asylberechtigte oder Flüchtling gegenüber der Beklagten kein subjektives Recht auf fristgerechte Prüfung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen durch das Bundesamt hat, ist er - entgegen der Annahme der Revision - im Falle einer Untätigkeit des Bundesamts nicht rechtlos gestellt: Hat das Bundesamt innerhalb der Dreijahresfrist weder eine Negativmitteilung an die Ausländerbehörde übermittelt noch die Anerkennung widerrufen oder zurückgenommen, kann der Betroffene bei der Ausländerbehörde eine Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 3 AufenthG beantragen. Sollte eine Nachfrage beim Bundesamt ohne Rückmeldung bleiben, ist es der Ausländerbehörde allerdings verwehrt, dem Antrag stattzugeben. Der Ausländer kann aber auf Erteilung der Niederlassungserlaubnis klagen; zu dem Verfahren wird die Bundesrepublik Deutschland als Trägerin des Bundesamts beizuladen sein. Kommt das Bundesamt auch während dieses aufenthaltsrechtlichen Klageverfahrens seiner gesetzlichen Überprüfungspflicht nicht nach, hat das Gericht inzident zu prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung vorliegen, und es muss gegebenenfalls die Negativmitteilung des Bundesamts ersetzen. Auf diese Weise kann die vom Gesetzgeber beabsichtigte Verbesserung der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen (vgl. BTDrucks 15/420 S. 80 zu § 26 Abs. 3 AufenthG) auch dann durchgesetzt werden, wenn das Bundesamt seiner behördeninternen Mitwirkungspflicht nicht (rechtzeitig) nachkommen sollte.

16

2. Die Versäumung der in § 73 Abs. 2a Satz 1, Abs. 7 AsylVfG geregelten Prüfungsfrist hat auch nicht zur Folge, dass der gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gebundene Widerruf in eine Ermessensentscheidung umgeschlagen ist. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG, der für die von Amts wegen gebotene Prüfung mit der Formulierung, "ob die Voraussetzungen für einen Widerruf nach Absatz 1 oder eine Rücknahme nach Absatz 2 vorliegen", auf Befugnisnormen verweist, die dem Bundesamt kein behördliches Ermessen einräumen. Zudem knüpft § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG den Übergang zu einer Ermessensentscheidung nicht an den bloßen Zeitablauf von drei Jahren, sondern verlangt dafür eine vorherige sachliche Prüfung und Verneinung der Widerrufs- oder Rücknahmevoraussetzungen seitens des Bundesamtes durch eine formalisierte Negativentscheidung (Urteile vom 20. März 2007 a.a.O. Rn. 15; vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 53.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 31 Rn. 13 und vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 16; Beschlüsse vom 27. November 2007 - BVerwG 10 B 86.07 - juris Rn. 9 und vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 19 Rn. 14). Die gesetzliche Regelung ist mehrtaktig angelegt: Erst nach negativem Abschluss der von Amts wegen gebotenen Widerrufs- und Rücknahmeprüfung steht in einem späteren Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren die Aufhebungsentscheidung im Ermessen des Bundesamts, wenn nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 AufenthG oder des § 3 Abs. 2 AsylVfG vorliegen.

17

3. Die im Verwaltungsverfahrensgesetz geregelte Jahresfrist für den Widerruf von Verwaltungsakten (§ 49 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG) findet auf den angefochtenen Bescheid keine Anwendung. Die bereichsspezifische Fristenregelung für den Widerruf und die Rücknahme von Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen durch das Bundesamt in § 73 Abs. 2a Satz 1 und Abs. 7 AsylVfG verdrängt diese allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Fristbestimmungen. Nach Einführung des § 73 Abs. 2a AsylVfG zum 1. Januar 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass die Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 VwVfG jedenfalls in den Fällen keine Anwendung findet, in denen die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung innerhalb der Dreijahresfrist nach Unanfechtbarkeit der Anerkennungsentscheidung widerrufen wird (Urteil vom 12. Juni 2007 a.a.O. Rn. 14 f.). Die bisher offengelassene Frage, ob dies auch für den Widerruf von Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen nach Ablauf der Dreijahresfrist gilt, bejaht der Senat nunmehr.

18

Zu der vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 geltenden Regelung des § 73 Abs. 1 und 2 AsylVfG hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass die Bestimmungen des allgemeinen Verwaltungsrechts neben den spezialgesetzlichen Regelungen in § 73 AsylVfG anwendbar sind, soweit diese Raum dafür lassen (Urteil vom 19. September 2000 - BVerwG 9 C 12.00 - BVerwGE 112, 80 <88>). Jedenfalls seit Einführung der Dreijahresfrist ist das hinsichtlich der Jahresfrist des § 48 Abs. 4, § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nicht der Fall. Denn der Gesetzgeber hat dem Bundesamt einen bestimmten, auf die Besonderheiten des Asyl- und Ausländerrechts abgestimmten zeitlichen Rahmen vorgegeben, der nach dem Sinn und Zweck der Regelung erkennbar abschließend ist und nicht durch weitere (allgemeine) Fristen verengt werden soll. Dafür spricht auch die bereits erwähnte Absicht des Gesetzgebers, die Vorschriften über den Widerruf und die Rücknahme in der Praxis an Bedeutung gewinnen zu lassen. Mit diesem Anliegen wäre eine neben der Dreijahresfrist vom Bundesamt zusätzlich zu beachtende Ausschlussfrist von einem Jahr schwerlich vereinbar. Im Übrigen genießt ein anerkannter Asylberechtigter oder Flüchtling nach Wegfall der Anerkennungsvoraussetzungen und Vorliegen materieller Erlöschens- oder Widerrufsgründe auch völker- oder unionsrechtlich grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen auf Aufrechterhaltung seines formellen Asyl- bzw. Flüchtlingsstatus, denn mit dem Widerruf wird nicht zugleich über seinen weiteren Aufenthalt entschieden. Damit fehlt ein Anknüpfungspunkt für die Anwendung des § 49 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG, denn im System der verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen über die Aufhebung von Verwaltungsakten ist auch die Fristregelung Ausdruck des Vertrauensschutzes (vgl. Urteil vom 27. April 2006 - BVerwG 3 C 23.05 - BVerwGE 126, 7 <14>).

19

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorliegen der materiellen Widerrufsvoraussetzungen gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise bejaht.

20

Mit § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Daher sind die Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG unionsrechtskonform im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren, und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in seinem Grundsatzurteil vom 2. März 2010 (Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505) auszulegen. Dies gilt auch für Fälle, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind (vgl. Urteil vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - BVerwGE 139, 109 Rn. 9).

21

Der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG setzt demzufolge voraus, dass in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände weggefallen sind, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung hatte und als Flüchtling anerkannt worden war. Eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände liegt vor, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland deutlich und wesentlich geändert haben. Durch neue Tatsachen muss sich eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben, so dass keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung mehr besteht. Dauerhaft ist eine Veränderung, wenn eine Prognose ergibt, dass sich die Änderung der Umstände als stabil erweist, d.h. der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält (Urteile vom 24. Februar 2011 a.a.O. Rn. 14 ff. und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 19 ff.). Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in der angefochtenen Entscheidung an den genannten Maßstäben orientiert. Er ist aufgrund der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger wegen seiner illegalen Ausreise aus dem Irak und seinem Verbleib im Ausland keine Verfolgung mehr droht und sich diese veränderte Sachlage infolge des Sturzes von Saddam Hussein und seines Systems als stabil erweist.

22

Der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung setzt neben dem Wegfall der der Anerkennung zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr weiter voraus, dass der Betreffende auch nicht wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung hat. Auch das hat das Berufungsgericht geprüft und sich unter ausführlicher Verarbeitung von aktuellem Quellenmaterial die Überzeugung gebildet, dass der Kläger im Irak mangels dafür ausreichender Verfolgungsdichte keiner Gruppenverfolgung als Sunnit ausgesetzt ist. Das wird von der Revision nicht gerügt und ist revisionsgerichtlich auch nicht zu beanstanden.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen den Widerruf ihrer Flüchtlingsanerkennungen.

2

Der 1975 geborene Kläger zu 1 und seine 1981 geborene Ehefrau, die Klägerin zu 2, sind irakische Staatsangehörige aus dem Zentralirak. Sie sind arabischer (Kläger) bzw. kurdischer (Klägerin) Volks- und muslimischer Religionszugehörigkeit. Im Januar 2002 reisten die Kläger nach Deutschland ein und beantragten Asyl. Zur Begründung gaben sie an, der Kläger werde als aktives Mitglied der "Demokratischen Volkspartei" vom Geheimdienst gesucht; die Klägerin sei deshalb misshandelt worden. Mit bestandskräftigem Bescheid lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - im Februar 2002 die Anträge der Kläger auf Anerkennung als Asylberechtigte ab, stellte aber fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (jetzt: § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG) vorliegen, weil die Kläger im Irak schon wegen ihrer Asylantragstellung, die von den irakischen Behörden als politische Gegnerschaft bewertet werde, Verfolgung zu befürchten hätten.

3

Nach dem Sturz des Regimes Saddam Husseins leitete das Bundesamt im September 2004 wegen der veränderten politischen Verhältnisse im Irak ein Widerrufsverfahren ein. Nach Anhörung der Kläger widerrief es mit Bescheid vom 20. Januar 2005 die Flüchtlingsanerkennungen der Kläger. Im Klageverfahren hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 5. August 2005 den Widerrufsbescheid des Bundesamtes aufgehoben. Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren haben die Kläger vorgetragen, der Führer der "Demokratischen Volkspartei" sei seit einigen Monaten untergetaucht. Nach schweren Vorwürfen gegen die Schiiten sei er ernstlich bedroht worden. Als Aktivist der Partei wäre auch der Kläger bei Rückkehr gefährdet. Außerdem hätte er Schwierigkeiten mit einer sunnitischen Gruppe namens "Bedr", die mit dem Staat zusammenarbeite, und mit der Familie der Klägerin, die er ohne deren Einverständnis geheiratet habe.

4

Mit Beschluss vom 9. August 2006 hat das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, im Irak sei eine einschneidende und dauerhafte Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten. Die früheren Verfolgungsgefahren seien weggefallen. Das Regime Saddam Husseins sei endgültig beseitigt worden. Von Seiten des irakischen Staates oder staatsähnlicher Herrschaftsstrukturen drohten keine Verfolgungsgefahren mehr, die an die Stellung eines Asylantrags anknüpften. Allgemeine Gefahren würden weder vom Schutzbereich des § 60 Abs. 1 AufenthG noch von Art. 1 C Nr. 5 GFK erfasst. Es drohe auch keine Verfolgung aus anderen Gründen. Aus dem Vorbringen der Kläger ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine abweichende Beurteilung. Es sei nicht ersichtlich, dass der Kläger als einfaches, nicht profiliertes oder in besonderen Funktionen hervorgetretenes Mitglied der "Demokratischen Volkspartei", deren Führer nach den Wahlen vom 30. Januar 2005 im Irak Mitglied des Parlaments gewesen sei, oder die Klägerin, die an den Parteiaktivitäten ihres Ehemanns weder beteiligt gewesen sei noch davon gewusst habe, bei Rückkehr landesweit gefährdet wären. Eine solche Gefährdung gehe weder vom irakischen Staat noch von den multinationalen Streitkräften aus. Für eine schutzrelevante Gefährdung durch nichtstaatliche Akteure - etwa die befürchteten Schwierigkeiten mit einer "Bedr"-Gruppe - fehlten greifbare Anhaltspunkte. Die angedeuteten Schwierigkeiten mit der Familie der Klägerin knüpften nicht an die in § 60 Abs. 1 AufenthG geschützten Rechtsgüter an. § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG stehe der Widerrufsentscheidung nicht entgegen. Zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe, die eine Rückkehr in den Irak unzumutbar erscheinen ließen, seien weder geltend gemacht noch ersichtlich. Die Beklagte habe den Widerrufsbescheid unverzüglich im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlassen. Dieses Gebot diene im Übrigen ausschließlich öffentlichen Interessen. Dahinstehen könne, ob die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG bei Widerrufsentscheidungen zu beachten sei, da sie eingehalten wäre. Einer Ermessensentscheidung habe es nicht bedurft.

5

Die Kläger erstreben mit ihren Revisionen die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Mit Beschluss vom 31. März 2008 - BVerwG 10 C 32.07 - hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Klärung der Voraussetzungen für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG eingeholt. Der Gerichtshof hat die Vorlagefragen mit Urteil vom 2. März 2010 beantwortet.

Entscheidungsgründe

6

Die Revisionen der Kläger sind zulässig und begründet. Der die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Widerrufsentscheidungen bestätigende Beschluss des Berufungsgerichts beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Widerrufe nicht an einem formellen Mangel leiden (1.) und der angefochtene Bescheid nicht schon deshalb rechtswidrig ist, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - kein Ermessen ausgeübt hat (2.). Die Berufungsentscheidung verstößt aber hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen gegen § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG, der seinerseits im Sinne von Art. 11 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in seinem Grundsatzurteil vom 2. März 2010 (Rs. C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Abdulla u.a. - InfAuslR 2010, 188) auszulegen ist (3.). Mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts konnte der Senat nicht selbst abschließend in der Sache entscheiden. Das Verfahren war daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

7

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Widerrufe ist § 73 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. Urteil vom 11. September 2007 - BVerwG 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 <257 f.> Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen (Urteil vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 53.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 31).

8

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist nach § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder wenn er als Staatenloser in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG gilt Satz 2 nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

9

Mit § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Die Voraussetzungen für den Widerruf nach dieser Vorschrift sind deshalb im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren. Dies gilt auch für Fälle, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind (vgl. Vorlagebeschluss des Senats vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl- und Asylrecht Nr. 19).

10

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Widerrufe nicht an einem formellen Mangel leiden. Sie entsprechen insoweit den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG in der zum Zeitpunkt ihres Erlasses und im Übrigen auch jetzt noch unverändert geltenden Fassung des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetzes. Insbesondere begegnen die angefochtenen Entscheidungen weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit der Widerrufe im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG Bedenken. Das Gebot der Unverzüglichkeit dient nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass ein etwaiger Verstoß dagegen keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzt (Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 13 m.w.N.). Der Senat hat auch bereits entschieden, dass die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG jedenfalls in den Fällen keine Anwendung findet, in denen die Flüchtlingsanerkennung innerhalb der Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2a AsylVfG widerrufen wird (Urteil vom 12. Juni 2007 - BVerwG 10 C 24.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 m.w.N.). Diese Vorschrift enthält eine bereichsspezifische Sonderregelung, welche die allgemeine Widerrufsfrist nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz verdrängt und auch für Altanerkennungen gilt.

11

2. Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt kein Ermessen ausgeübt hat. Die für die Zulassung der Revisionen ausschlaggebende Frage, ob der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung einer Ermessensentscheidung (bisher nach § 73 Abs. 2a Satz 3 AsylVfG; nunmehr nach § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG) bedurfte, ist durch die klarstellende Neuregelung in § 73 Abs. 7 AsylVfG geklärt. Danach hat in Fällen, in denen - wie vorliegend - die Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist, die Prüfung nach § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu erfolgen. Damit hat der Gesetzgeber eine Übergangsregelung für Altanerkennungen getroffen, die vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden sind, und festgelegt, bis wann diese auf einen Widerruf oder eine Rücknahme zu überprüfen sind. Daraus folgt, dass es vor einer solchen Prüfung und Verneinung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen in dem seit dem 1. Januar 2005 vorgeschriebenen Verfahren (Negativentscheidung) keiner Ermessensentscheidung bedarf (Urteil vom 25. November 2008 a.a.O. m.w.N.).

12

3. Die Berufungsentscheidung ist hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen aber nicht mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG zu vereinbaren, der im Lichte der inzwischen umgesetzten Richtlinie 2004/83/EG auszulegen ist. Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie ist ein Drittstaatsangehöriger nicht mehr Flüchtling, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Bei der Prüfung dieses Erlöschensgrundes haben die Mitgliedstaaten zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG).

13

a) Die diesen Bestimmungen zu entnehmenden Vorgaben hat der Gerichtshof der Europäischen Union in der im vorliegenden Verfahren eingeholten Vorabentscheidung mit Urteil vom 2. März 2010 (a.a.O.) konkretisiert.

14

Danach erlischt die Flüchtlingseigenschaft, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor "Verfolgung" im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG haben muss (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 76  1. Spiegelstrich).

15

In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof klar, dass der in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG angesprochene "Schutz des Landes" sich nur auf den bis dahin fehlenden Schutz vor den in der Richtlinie aufgeführten Verfolgungshandlungen bezieht (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 67). Gleiches gilt mithin für den in § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG erwähnten "Schutz des Staates". Unerheblich ist, ob dem Betroffenen im Herkunftsland sonstige Gefahren drohen. Das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft hängt insbesondere nicht davon ab, dass auch die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG nicht erfüllt sind. Die Richtlinie verfolgt insoweit zwei unterschiedliche Schutzregelungen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 78 ff.).

16

Dem Urteil des Gerichtshofs ist weiter zu entnehmen, dass die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft wegen Veränderungen im Herkunftsland grundsätzlich das Spiegelbild zur Anerkennung ist. Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG sieht ebenso wie Art. 1 Abschnitt C Ziff. 5 GFK vor, dass die Flüchtlingseigenschaft erlischt, wenn die Umstände, aufgrund derer sie zuerkannt wurde, weggefallen sind, wenn also die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht mehr vorliegen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 65). Nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG ist Flüchtling, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes seiner Staatsangehörigkeit befindet, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Ändern sich die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände und erscheint die ursprüngliche Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG deshalb nicht mehr begründet, kann der Staatsangehörige es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 66). Die Umstände, die zur Zuerkennung oder umgekehrt zum Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft führen, stehen sich mithin in symmetrischer Weise gegenüber (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 68).

17

Der Gerichtshof hebt aber zugleich hervor, dass für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG erheblich und nicht nur vorübergehend sein muss, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 72). Dafür muss feststehen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 73). Dauerhaft ist die Veränderung in der Regel nur, wenn im Herkunftsland ein Staat oder ein sonstiger Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG vorhanden ist, der geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung zu verhindern (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 70 f.).

18

Sind die Umstände, aufgrund derer die Anerkennung als Flüchtling erfolgte, weggefallen, ist vor der Feststellung des Erlöschens der Flüchtlingseigenschaft weiter zu prüfen, ob nicht andere Umstände vorliegen, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung haben kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 82). Dabei ist zu differenzieren, je nachdem, auf welchen der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten (Verfolgungs-)Gründe sich der Flüchtling beruft. Macht er im Widerrufsverfahren unter Berufung auf den gleichen Verfolgungsgrund wie den bei seiner Anerkennung als Flüchtling festgestellten geltend, dass nach dem Wegfall der Tatsachen, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden war, andere Tatsachen eingetreten seien, die eine Verfolgung aus dem gleichen Verfolgungsgrund befürchten ließen, ist dies normalerweise bereits bei Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG zu beachten (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 98). In diesem Fall hat die Behörde die geltend gemachte Verfolgungsgefahr also in der Regel schon bei der Frage mit zu berücksichtigen, ob überhaupt eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der Umstände vorliegt, aufgrund derer die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Beruft sich der Flüchtling hingegen auf einen anderen Verfolgungsgrund als den bei der Anerkennung festgestellten, fehlt es an einem Bezug zu den seiner Anerkennung zugrunde liegenden Umständen. Dieses Vorbringen stellt daher nicht den Wegfall der der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände in Frage. In diesem Fall findet aber die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG Anwendung, wenn frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung eine Verknüpfung mit dem nunmehr geltend gemachten Verfolgungsgrund aufweisen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 96).

19

b) Mit dieser Grundsatzentscheidung hat der Gerichtshof der Europäischen Union die im vorliegenden Verfahren entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Vorgaben geklärt. Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten haben, das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft setze stets - unabhängig von einer konkreten Verfolgungsgefahr - die Möglichkeit der Inanspruchnahme effektiven staatlichen Schutzes voraus, ist dies der Entscheidung des Gerichtshofs nicht zu entnehmen. Der Gerichtshof differenziert vielmehr zwischen den der Anerkennung zugrunde liegenden und anderen Verfolgungsgründen. Nur hinsichtlich der der Anerkennung zugrunde liegenden Verfolgungsgründe findet Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG in der Regel Anwendung. Hinsichtlich anderer Verfolgungsgründe verbleibt es hingegen bei der gleichen Prüfung wie im Anerkennungsverfahren (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 83 und 88). Damit hängt das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nicht davon ab, dass im Herkunftsland umfassender Schutz vor jeglicher Art von Verfolgung gewährt wird.

20

c) In Anwendung der sich aus Art. 11 der Richtlinie 2004/83/EG und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergebenden Vorgaben ist das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht von einem Wegfall der den Flüchtlingsanerkennungen der Kläger zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr ausgegangen. Die Kläger wurden vom Bundesamt mit Bescheid vom 26. Februar 2002 als Flüchtlinge anerkannt, weil das Bundesamt seinerzeit davon ausging, dass die irakischen Behörden schon die Asylantragstellung im Ausland als politische Gegnerschaft werten. Diese die Furcht der Kläger vor einer staatlichen Verfolgung begründende Tatsache ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts dauerhaft beseitigt worden. Die Entmachtung des Diktators Saddam Hussein und seines Regimes ist nach diesen Feststellungen unumkehrbar. Eine Rückkehr des Baath-Regimes wird als ausgeschlossen angesehen. Weder die neue irakische Regierung noch sonstige Akteure knüpfen an die Asylantragstellung im Ausland Verfolgungsmaßnahmen (BA S. 7 f.). Steht damit fest, dass die Kläger wegen der Asylantragstellung von keiner Seite im Irak mehr Verfolgung zu befürchten haben, umfasst dies zugleich die Feststellung, dass mit der neuen irakischen Regierung ein staatlicher Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG vorhanden ist, der die bisherigen staatlichen Sanktionen und Übergriffe aufgrund der Asylantragstellung abgeschafft hat und damit ausreichende geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung dauerhaft zu verhindern.

21

Der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung setzt neben dem Wegfall der der Anerkennung zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr aber weiter voraus, dass der Betreffende auch nicht wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung hat. Insoweit hat der Kläger im Berufungsverfahren schriftsätzlich geltend gemacht, dass ihm unabhängig von der seiner Anerkennung zugrunde gelegten Verfolgungsgefahr bei Rückkehr Verfolgung drohe. In diesem Zusammenhang hat er sich insbesondere auf seine aktive Mitgliedschaft in der "Demokratischen Volkspartei" berufen. Deren Führer habe inzwischen aus Furcht vor Verfolgung untertauchen müssen. Außerdem befürchtet der Kläger, dass er Schwierigkeiten mit einer mit dem Staat zusammenarbeitenden sunnitischen Gruppe namens "Bedr" hätte. Zu diesen anderen Umständen hat das Berufungsgericht den Kläger nicht angehört, sondern ohne mündliche Verhandlung im Beschlusswege festgestellt, dass sich aus diesem Vorbringen keine Anhaltspunkte für eine Verfolgung ergäben (BA S. 11).

22

Diese Feststellung beruht auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage und wird den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 VwGO) nicht gerecht. Nachdem sich der Kläger im Berufungsverfahren darauf berufen hat, er habe im Irak inzwischen wegen anderer Umstände Verfolgung im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG zu befürchten, hätte das Berufungsgericht ihm Gelegenheit geben müssen, hierzu - etwa im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - persönlich Stellung zu nehmen, und die Befürchtungen des Klägers sodann anhand der Erkenntnisquellen auf ihre Glaubhaftigkeit und Entscheidungserheblichkeit überprüfen müssen. Erst auf der Grundlage einer dergestalt aufgearbeiteten Tatsachengrundlage hätte zuverlässig beurteilt werden können, ob insoweit tatsächlich keine Anhaltspunkte für eine Verfolgung bestehen.

23

Darin liegt hinsichtlich des Klägers eine Verletzung materiellen Rechts, da das Berufungsgericht die Anforderungen an einen Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insoweit verkannt hat. Dieser Rechtsfehler wirkt sich auch gegenüber der Klägerin aus. Diese hat im Widerrufsverfahren zwar keine eigenen Verfolgungsgründe geltend gemacht. Sollte ihrem Ehemann jedoch weiterhin Verfolgung drohen und der Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung daher keinen Bestand haben, hätte sie nach § 26 Abs. 4 AsylVfG einen Anspruch auf Familienflüchtlingsschutz. In diesem Fall dürfte aber auch ihre Flüchtlingsanerkennung nicht widerrufen werden.

24

4. Hinsichtlich des weiteren Vorgehens weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht insbesondere zu klären hat, ob dem Kläger nach Wegfall der seiner Anerkennung zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr im Irak wegen anderer Tatsachen oder Umstände Verfolgung droht. Hierzu hat es den Kläger zu den von ihm geltend gemachten anderen Verfolgungsgefahren anzuhören und festzustellen, inwieweit diese auf dem gleichen Verfolgungsgrund im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG beruhen wie seine Anerkennung. Hiervon dürfte vor allem bei einer an die Mitgliedschaft in der "Demokratischen Volkspartei" anknüpfenden Verfolgungsgefahr auszugehen sein. Denn der Kläger hat im Anerkennungsverfahren geltend gemacht, dass er sich schon vor seiner Ausreise für diese - damals in Opposition zum Regime Saddam Husseins stehende - Partei engagiert habe. Seine Anerkennung beruhte zwar nicht auf diesem Vorbringen, knüpfte aber an die wegen der Asylantragstellung von den irakischen Behörden vermutete Gegnerschaft gegen das damalige Regime und damit an den Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung an. Sollte dem Kläger mit Blick auf sein Engagement für die "Demokratische Volkspartei" Verfolgung drohen, wäre dies daher schon im Rahmen der Prüfung nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG bei der Frage zu berücksichtigen, ob die festgestellte Veränderung der Umstände, nämlich die Beseitigung der Verfolgung durch das Regime Saddam Husseins und die Etablierung einer neuen Regierung als Schutzakteur im Sinne von Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG hinreichend erheblich ist, um die Furcht des Klägers vor Verfolgung als nicht mehr begründet ansehen zu können (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 98 f.). Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass dem Kläger zumindest in Teilen des Irak Verfolgung droht, müsste es schließlich auch die Voraussetzungen für eine innerstaatliche Fluchtalternative nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG prüfen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung.

2

Der 1973 geborene Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 1998 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Mit Bescheid vom 23. Juli 1998 stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.

3

Im Juni 2008 fragte das Bundesamt bei der Landeshauptstadt München an, ob beim Kläger die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vorlägen. Das verneinte die Ausländerbehörde, da der Kläger Sozialhilfe beziehe und straffällig geworden sei.

4

Im November 2008 leitete das Bundesamt wegen der veränderten Verhältnisse im Irak ein Widerrufsverfahren ein und gab dem Kläger im Januar 2009 Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger wies im April 2009 darauf hin, dass ihm bei Rückkehr in den Irak asylrelevante Verfolgung durch nichtstaatliche Kräfte drohe. Im Übrigen lebe seine gesamte Familie in Deutschland. Er habe keinerlei Beziehungen mehr zum Irak, sondern sei in Deutschland sozialisiert und Teil dieser Gesellschaft.

5

Mit Bescheid vom 2. Juli 2009 widerrief das Bundesamt die Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG und stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Der Begründung des Bescheids ist zu entnehmen, dass der Widerruf auf § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG gestützt wurde; Ermessenserwägungen enthält der Bescheid nicht.

6

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München abgewiesen. Mit Urteil vom 21. März 2011 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Rechtsgrundlage des Widerrufs sei § 73 Abs. 1 AsylVfG. Danach sei der Widerruf gerechtfertigt, denn die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen beim Kläger nicht mehr vor. Ihm drohe auch keine Verfolgung aus anderen Gründen. Der Widerruf sei nicht schon deshalb aufzuheben, weil er erst nach Ablauf der Frist des § 73 Abs. 7 AsylVfG erfolgt sei. § 73 Abs. 7 AsylVfG enthalte einen Prüfungsauftrag für das Bundesamt und keine Entscheidungsfrist wie § 48 Abs. 4 VwVfG. Zudem dürfe derjenige, bei dem die Erstüberprüfung versäumt worden sei, nicht besser dastehen als derjenige, bei dem diese zu keinem Widerruf geführt habe. Auch die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG mit der Folge eines Übergangs zur Ermessensentscheidung seien nicht erfüllt, denn eine vorangehende Prüfung, aufgrund derer ein Widerruf nicht erfolgt sei, habe nicht stattgefunden. Der bloße Fristablauf könne nicht mit einer abgeschlossenen Negativprüfung gleichgesetzt werden. Der Kläger genieße weder unionsrechtlichen noch nationalen Abschiebungsschutz.

7

Der Kläger wendet sich mit der Revision nur noch gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung. Dieser sei wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig. Versäume das Bundesamt eine fristgerechte Entscheidung, sei dies einer Negativentscheidung gleichzustellen. Denn die Frist des § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG liege nicht nur im öffentlichen, sondern auch im individuellen Interesse des Flüchtlings. Wegen der fehlenden Ermessensentscheidung sei der Widerrufsbescheid aufzuheben.

8

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die in § 73 Abs. 2a und Abs. 7 AsylVfG bestimmte Frist beziehe sich nur auf die Anfangsprüfung, ob überhaupt ein Widerrufsverfahren einzuleiten sei. Der Gesetzgeber habe eine Prüfungs- und keine Entscheidungsfrist gesetzt. Darüber hinaus bestehe die Pflicht zum Widerruf allein im öffentlichen Interesse, denn mit der Gesetzesänderung sei eine Effektivierung der Widerrufsvorschriften beabsichtigt gewesen.

9

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt und verteidigt das angefochtene Urteil. Mit der Regelüberprüfungsfrist hätten den betroffenen Ausländern keine subjektiven Rechte eingeräumt werden sollen. Die Regelung habe ausweislich der Gesetzesbegründung nur eine innerbehördliche verfahrensleitende Bedeutung. Sie diene der Beschleunigung des Asylverfahrens, nicht jedoch integrationspolitischen Zwecken. Da dem Bundesamt für die Prüfung ein Zeitraum von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Anerkennung zuzüglich eines angemessenen Prüfungszeitraums zustehe, müsse dies für die Frist des § 73 Abs. 7 AsylVfG in gleicher Weise gelten. Der Widerruf sei nur zweieinhalb Monate nach der Stellungnahme des Klägers ergangen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Anfechtungsklage gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung ohne Verletzung revisiblen Rechts abgewiesen. Er ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Widerruf nicht schon deshalb aufzuheben ist, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - die Frist des § 73 Abs. 2a Satz 1, Abs. 7 AsylVfG versäumt hat (1.). Infolge der Fristversäumung ist der Widerruf auch nicht in eine Ermessensentscheidung umgeschlagen (2.). Neben den Fristbestimmungen in § 73 Abs. 2a Satz 1 und Abs. 7 AsylVfG ist die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG nicht anwendbar (3.). Schließlich hat der Verwaltungsgerichtshof in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen der materiellen Widerrufsvoraussetzungen gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG bejaht (4.).

11

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Widerrufs ist § 73 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798). Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß Satz 2 der Vorschrift insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Nach Absatz 2a der Vorschrift hat die Prüfung, ob die Voraussetzungen u.a. für einen Widerruf nach Absatz 1 vorliegen, spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu erfolgen (Satz 1). Das Ergebnis ist der Ausländerbehörde mitzuteilen (Satz 2). Ist nach der Prüfung ein Widerruf oder eine Rücknahme nicht erfolgt, steht eine spätere Entscheidung nach Absatz 1 oder Absatz 2 im Ermessen, es sei denn, der Widerruf oder die Rücknahme erfolgt, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Abs. 2 vorliegen (Satz 4). Gemäß Absatz 7 hat die Prüfung nach Absatz 2a Satz 1 spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu erfolgen, wenn - wie hier - die Entscheidung über den Asylantrag vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist.

12

1. Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung im Bescheid vom 2. Juli 2009 in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden ist. Dem Kläger ist gemäß § 73 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG schriftlich mitgeteilt worden, dass wegen der Änderung der Sachlage im Irak ein Widerrufsverfahren eingeleitet wurde, und er hatte ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme. Ob der Widerrufsbescheid unverzüglich erfolgt ist, kann dahinstehen, da der Kläger sich auf diese rein objektivrechtliche Voraussetzung nicht zu berufen vermag (Urteile vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 277 <291> und vom 20. März 2007 - BVerwG 1 C 21.06 - BVerwGE 128, 199 Rn. 18; stRspr). Der Widerrufsbescheid ist auch nicht deshalb aufzuheben, weil das Bundesamt nicht innerhalb der Frist des § 73 Abs. 2a Satz 1, Abs. 7 AsylVfG entschieden hat (1.1). Denn auch diese Fristbestimmung ist rein objektivrechtlicher Natur im Sinne einer Ordnungsvorschrift, so dass ein Versäumen der Frist nicht die Rechtswidrigkeit eines (verspäteten) Widerrufs zur Folge hat (1.2).

13

1.1 Das Bundesamt hat die in § 73 Abs. 2a Satz 1, Abs. 7 AsylVfG enthaltene Prüfungsfrist versäumt. Die Verpflichtung, die Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen innerhalb der vom Gesetzgeber gesetzten Frist zu prüfen, umfasst entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nur eine erste Vorprüfung, ob ein Verfahren eingeleitet wird. Vielmehr muss mit Blick auf die Absicht des Gesetzgebers, die asylverfahrensrechtlichen Vorschriften über Widerruf und Rücknahme in der Praxis durch Einführung einer Überprüfungspflicht von Amts wegen an Bedeutung gewinnen zu lassen (BTDrucks 15/420 S. 107, 112), die Prüfung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen innerhalb der gesetzlichen Frist auch tatsächlich abgeschlossen werden. Die Prüfung ist nach Sinn und Zweck der auf Effektivierung zielenden Regelung aber erst beendet mit einer Negativmitteilung gemäß § 73 Abs. 2a Satz 2 AsylVfG an die Ausländerbehörde oder dem Erlass eines Widerrufsbescheids. An der bisherigen Rechtsprechung, nach der dem Bundesamt über die gesetzliche Frist hinaus noch ein angemessener Prüfungszeitraum zusteht (Urteil vom 12. Juni 2007 - BVerwG 10 C 24.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 Rn. 15; zuletzt Urteil vom 1. März 2012 - BVerwG 10 C 9.11 - Rn. 8 f.), hält der Senat nicht länger fest.

14

1.2 Die Versäumung der Prüfungsfrist führt aber nicht zur Rechtswidrigkeit des Widerrufs. In der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 73 AsylVfG ist offengeblieben, ob die Dreijahresfrist des § 73 Abs. 2a AsylVfG (bzw. die Übergangsfrist für Altanerkennungen in § 73 Abs. 7 AsylVfG) ausschließlich öffentlichen Interessen oder (zumindest auch) dem individuellen Interesse des anerkannten Asylberechtigten oder Flüchtlings dient (vgl. Urteile vom 1. November 2005 a.a.O. S. 292; vom 20. März 2007 a.a.O. Rn. 17 und vom 12. Juni 2007 a.a.O. Rn. 11). Der erkennende Senat entscheidet diese Frage nunmehr dahin, dass die Verpflichtung, die Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen gerade auch innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Zeitraums zu prüfen, insoweit dem Bundesamt ausschließlich im öffentlichen Interesse an der alsbaldigen Entscheidung über den Fortbestand der Asylberechtigung bzw. des Flüchtlingsstatus auferlegt ist und ein Verstoß gegen diesen Prüfungsauftrag einen verspäteten Widerruf nicht ausschließt. Das ergibt sich aus den Materialien des Zuwanderungsgesetzes, in denen die zum 1. Januar 2005 neu eingeführte Dreijahresfrist zur obligatorischen Überprüfung der Widerrufs- oder Rücknahmevoraussetzungen durch das Bundesamt als Maßnahme zur Beschleunigung des Asylverfahrens bezeichnet wird (BTDrucks 15/420 S. 107). Wie bereits ausgeführt wollte der Gesetzgeber damit erreichen, dass die Vorschriften über den Widerruf und die Rücknahme, die in der Praxis bislang weitgehend leergelaufen sind, an Bedeutung gewinnen (BTDrucks 15/420 S. 112). Die Effektivierung der Rechtsgrundlagen für die Aufhebung der Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung dient jedoch - wie auch das Gebot der Unverzüglichkeit - nicht den Interessen der Statusinhaber (Hailbronner, AuslR, Stand: August 2008, B 2 § 73 AsylVfG Rn. 93; Bergmann, in: Renner, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 73 AsylVfG Rn. 29; Wolff, in: Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 2008, § 73 AsylVfG Rn. 41; VGH Kassel, Beschluss vom 1. August 2005 - 7 UE 1364/05.A - InfAuslR 2005, 491).

15

Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Mitteilung des Bundesamts an die Ausländerbehörde gemäß § 73 Abs. 2a Satz 2 AsylVfG, die Voraussetzungen für den Widerruf oder die Rücknahme lägen nicht vor, eine Tatbestandsvoraussetzung für einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 3 AufenthG bildet. Diese aufenthaltsrechtliche Folge knüpft aber nicht an den bloßen Ablauf der asylverfahrensrechtlichen Überprüfungsfrist an, sondern erst an die Negativmitteilung als eine der möglichen Entscheidungen des Bundesamts nach Abschluss seiner obligatorischen Prüfung. Allein der Regelungszusammenhang des § 73 Abs. 2a und Abs. 7 AsylVfG mit § 26 Abs. 3 AufenthG bietet daher noch keinen Anhaltspunkt für ein subjektives Recht auf fristgerechte Prüfung gegenüber der Beklagten (a.A. VG Köln, Urteil vom 10. Juni 2005 - 18 K 4074/04.A - NVwZ-RR 2006, 67 <73>). Auch wenn der Asylberechtigte oder Flüchtling gegenüber der Beklagten kein subjektives Recht auf fristgerechte Prüfung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen durch das Bundesamt hat, ist er - entgegen der Annahme der Revision - im Falle einer Untätigkeit des Bundesamts nicht rechtlos gestellt: Hat das Bundesamt innerhalb der Dreijahresfrist weder eine Negativmitteilung an die Ausländerbehörde übermittelt noch die Anerkennung widerrufen oder zurückgenommen, kann der Betroffene bei der Ausländerbehörde eine Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 3 AufenthG beantragen. Sollte eine Nachfrage beim Bundesamt ohne Rückmeldung bleiben, ist es der Ausländerbehörde allerdings verwehrt, dem Antrag stattzugeben. Der Ausländer kann aber auf Erteilung der Niederlassungserlaubnis klagen; zu dem Verfahren wird die Bundesrepublik Deutschland als Trägerin des Bundesamts beizuladen sein. Kommt das Bundesamt auch während dieses aufenthaltsrechtlichen Klageverfahrens seiner gesetzlichen Überprüfungspflicht nicht nach, hat das Gericht inzident zu prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung vorliegen, und es muss gegebenenfalls die Negativmitteilung des Bundesamts ersetzen. Auf diese Weise kann die vom Gesetzgeber beabsichtigte Verbesserung der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen (vgl. BTDrucks 15/420 S. 80 zu § 26 Abs. 3 AufenthG) auch dann durchgesetzt werden, wenn das Bundesamt seiner behördeninternen Mitwirkungspflicht nicht (rechtzeitig) nachkommen sollte.

16

2. Die Versäumung der in § 73 Abs. 2a Satz 1, Abs. 7 AsylVfG geregelten Prüfungsfrist hat auch nicht zur Folge, dass der gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gebundene Widerruf in eine Ermessensentscheidung umgeschlagen ist. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG, der für die von Amts wegen gebotene Prüfung mit der Formulierung, "ob die Voraussetzungen für einen Widerruf nach Absatz 1 oder eine Rücknahme nach Absatz 2 vorliegen", auf Befugnisnormen verweist, die dem Bundesamt kein behördliches Ermessen einräumen. Zudem knüpft § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG den Übergang zu einer Ermessensentscheidung nicht an den bloßen Zeitablauf von drei Jahren, sondern verlangt dafür eine vorherige sachliche Prüfung und Verneinung der Widerrufs- oder Rücknahmevoraussetzungen seitens des Bundesamtes durch eine formalisierte Negativentscheidung (Urteile vom 20. März 2007 a.a.O. Rn. 15; vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 53.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 31 Rn. 13 und vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 16; Beschlüsse vom 27. November 2007 - BVerwG 10 B 86.07 - juris Rn. 9 und vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 19 Rn. 14). Die gesetzliche Regelung ist mehrtaktig angelegt: Erst nach negativem Abschluss der von Amts wegen gebotenen Widerrufs- und Rücknahmeprüfung steht in einem späteren Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren die Aufhebungsentscheidung im Ermessen des Bundesamts, wenn nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 AufenthG oder des § 3 Abs. 2 AsylVfG vorliegen.

17

3. Die im Verwaltungsverfahrensgesetz geregelte Jahresfrist für den Widerruf von Verwaltungsakten (§ 49 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG) findet auf den angefochtenen Bescheid keine Anwendung. Die bereichsspezifische Fristenregelung für den Widerruf und die Rücknahme von Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen durch das Bundesamt in § 73 Abs. 2a Satz 1 und Abs. 7 AsylVfG verdrängt diese allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Fristbestimmungen. Nach Einführung des § 73 Abs. 2a AsylVfG zum 1. Januar 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass die Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 VwVfG jedenfalls in den Fällen keine Anwendung findet, in denen die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung innerhalb der Dreijahresfrist nach Unanfechtbarkeit der Anerkennungsentscheidung widerrufen wird (Urteil vom 12. Juni 2007 a.a.O. Rn. 14 f.). Die bisher offengelassene Frage, ob dies auch für den Widerruf von Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen nach Ablauf der Dreijahresfrist gilt, bejaht der Senat nunmehr.

18

Zu der vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 geltenden Regelung des § 73 Abs. 1 und 2 AsylVfG hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass die Bestimmungen des allgemeinen Verwaltungsrechts neben den spezialgesetzlichen Regelungen in § 73 AsylVfG anwendbar sind, soweit diese Raum dafür lassen (Urteil vom 19. September 2000 - BVerwG 9 C 12.00 - BVerwGE 112, 80 <88>). Jedenfalls seit Einführung der Dreijahresfrist ist das hinsichtlich der Jahresfrist des § 48 Abs. 4, § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nicht der Fall. Denn der Gesetzgeber hat dem Bundesamt einen bestimmten, auf die Besonderheiten des Asyl- und Ausländerrechts abgestimmten zeitlichen Rahmen vorgegeben, der nach dem Sinn und Zweck der Regelung erkennbar abschließend ist und nicht durch weitere (allgemeine) Fristen verengt werden soll. Dafür spricht auch die bereits erwähnte Absicht des Gesetzgebers, die Vorschriften über den Widerruf und die Rücknahme in der Praxis an Bedeutung gewinnen zu lassen. Mit diesem Anliegen wäre eine neben der Dreijahresfrist vom Bundesamt zusätzlich zu beachtende Ausschlussfrist von einem Jahr schwerlich vereinbar. Im Übrigen genießt ein anerkannter Asylberechtigter oder Flüchtling nach Wegfall der Anerkennungsvoraussetzungen und Vorliegen materieller Erlöschens- oder Widerrufsgründe auch völker- oder unionsrechtlich grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen auf Aufrechterhaltung seines formellen Asyl- bzw. Flüchtlingsstatus, denn mit dem Widerruf wird nicht zugleich über seinen weiteren Aufenthalt entschieden. Damit fehlt ein Anknüpfungspunkt für die Anwendung des § 49 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG, denn im System der verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen über die Aufhebung von Verwaltungsakten ist auch die Fristregelung Ausdruck des Vertrauensschutzes (vgl. Urteil vom 27. April 2006 - BVerwG 3 C 23.05 - BVerwGE 126, 7 <14>).

19

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorliegen der materiellen Widerrufsvoraussetzungen gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise bejaht.

20

Mit § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Daher sind die Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG unionsrechtskonform im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren, und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in seinem Grundsatzurteil vom 2. März 2010 (Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505) auszulegen. Dies gilt auch für Fälle, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind (vgl. Urteil vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - BVerwGE 139, 109 Rn. 9).

21

Der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG setzt demzufolge voraus, dass in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände weggefallen sind, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung hatte und als Flüchtling anerkannt worden war. Eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände liegt vor, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland deutlich und wesentlich geändert haben. Durch neue Tatsachen muss sich eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben, so dass keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung mehr besteht. Dauerhaft ist eine Veränderung, wenn eine Prognose ergibt, dass sich die Änderung der Umstände als stabil erweist, d.h. der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält (Urteile vom 24. Februar 2011 a.a.O. Rn. 14 ff. und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 19 ff.). Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in der angefochtenen Entscheidung an den genannten Maßstäben orientiert. Er ist aufgrund der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger wegen seiner illegalen Ausreise aus dem Irak und seinem Verbleib im Ausland keine Verfolgung mehr droht und sich diese veränderte Sachlage infolge des Sturzes von Saddam Hussein und seines Systems als stabil erweist.

22

Der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung setzt neben dem Wegfall der der Anerkennung zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr weiter voraus, dass der Betreffende auch nicht wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung hat. Auch das hat das Berufungsgericht geprüft und sich unter ausführlicher Verarbeitung von aktuellem Quellenmaterial die Überzeugung gebildet, dass der Kläger im Irak mangels dafür ausreichender Verfolgungsdichte keiner Gruppenverfolgung als Sunnit ausgesetzt ist. Das wird von der Revision nicht gerügt und ist revisionsgerichtlich auch nicht zu beanstanden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der am 1. September 1977 in der Türkei geborene Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Anerkennung als Asylberechtigter und Flüchtling.

2

Der Kläger reiste 1987 als türkischer Staatsangehöriger nach Deutschland ein und lebt seitdem hier. Im Mai 2002 beantragte er, nachdem gegen ihn eine Ausweisungsverfügung ergangen war, beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - Asyl. Er müsse in der Türkei wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten für die PKK in den Jahren 1991 bis 1995 mit seiner sofortigen Inhaftierung und Verurteilung rechnen.

3

Das Bundesamt lehnte im Oktober 2002 den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Auf die dagegen erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 6. November 2003 den ablehnenden Bescheid auf und verpflichtete die Beklagte, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Das Verwaltungsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass der Kläger türkischer Staatsangehöriger sei und ihm aufgrund seiner in Deutschland entwickelten politischen Aktivitäten in den Jahren 1991 bis 1995 zugunsten der PKK bei einer Rückkehr in die Türkei asylerhebliche Verfolgung drohe. Unter Bezugnahme auf die vom Gericht ausgesprochene Verpflichtung erkannte das Bundesamt mit Bescheid vom 17. März 2004 den Kläger als Asylberechtigten an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bezüglich der Türkei vorliegen.

4

Im Rahmen eines vom Kläger durchgeführten Eheschließungsverfahrens wurde dem Landratsamt M. im November 2006 bekannt, dass der Kläger mit Beschluss des türkischen Ministerrats vom 7. Mai 2001 gemäß Art. 25c des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes wegen Wehrdienstentziehung aus der türkischen Staatsangehörigkeit ausgebürgert worden war.

5

Mit Bescheid vom 13. Mai 2008 widerrief das Bundesamt die im März 2004 ausgesprochene Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter und die dort getroffene Feststellung zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (Nr. 1 und 2). Zugleich stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3). Eine Entscheidung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG wurde im Hinblick darauf, dass seitens der Ausländerbehörde keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen beabsichtigt seien, nicht getroffen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Widerruf sei gerechtfertigt, weil sich die für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse in der Türkei inzwischen wesentlich verändert hätten. Die Menschenrechtslage habe sich verbessert. Dem Auswärtigen Amt sei seit vier Jahren kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde. Der Kläger gehöre nicht zu einem gefährdeten Personenkreis. Er sei zwar im Zusammenhang mit PKK-Aktivitäten straffällig geworden, seit 1995 jedoch nicht mehr politisch aktiv. Gegen ihn sei in der Türkei kein Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig.

6

Das Verwaltungsgericht hat den Widerrufsbescheid aufgehoben. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass bei Rückkehr des Klägers in seine Heimat eine asylerhebliche Verfolgung weiterhin nicht ausgeschlossen werden könne. Zwar habe sich die Menschenrechtslage in der Türkei erheblich verbessert. Gleichwohl sei derzeit noch nicht davon auszugehen, dass der Reformprozess bereits weit genug fortgeschritten sei, um eine menschenrechtswidrige Behandlung des Klägers durch türkische Sicherheitsorgane mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 18. Oktober 2010 die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Eine für eine Widerrufsentscheidung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erforderliche erhebliche Änderung der für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse liege nicht vor. Dies sei aber Voraussetzung, um die Rechtskraftwirkung des zur Anerkennung verpflichtenden verwaltungsgerichtlichen Urteils zu überwinden. Maßgebliche Voraussetzung für die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter und Flüchtling sei die Annahme des Verwaltungsgerichts gewesen, dass es sich beim Kläger um einen türkischen Staatsangehörigen handele. Dies sei aber nicht der Fall gewesen, weil der Kläger bereits durch Beschluss des türkischen Ministerrats vom 7. Mai 2001 ausgebürgert worden sei. Ein Staatenloser, für den die Bundesrepublik Deutschland - wie für den Kläger - das Land seines gewöhnlichen Aufenthalts sei, könne aber grundsätzlich nicht als Asylberechtigter anerkannt werden. Am Fehlen der türkischen Staatsangehörigkeit habe sich seit Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils nichts geändert, da der Kläger nach wie vor staatenlos sei. Deshalb komme es für die Entscheidung nicht auf die Frage an, ob die Gefahr asylerheblicher Verfolgung für den Kläger als ehemaligen PKK-Aktivisten im Fall seiner Rückkehr in die Türkei nunmehr entfallen sei.

8

Die Beklagte begründet die gegen das Urteil eingelegte Revision im Wesentlichen damit, dass eine vor Anerkennung erfolgte Ausbürgerung eine nachträgliche Veränderung der verfolgungsrelevanten Tatsachen nicht ausschließe. Die Rechtskraft des zur Anerkennung verpflichtenden Urteils stehe der Berücksichtigung der geänderten Tatsachen zum Verfolgungsrisiko für den Kläger im Rahmen der Widerrufsentscheidung nicht entgegen.

9

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

10

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht schließt sich der Auffassung der Beklagten an, dass das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Bundesrecht verletze. Nach seiner Auffassung erstreckt sich die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsurteils auch auf die im Rahmen seiner Begründung getroffene Feststellung, dass der Kläger türkischer Staatsangehöriger sei. Von der türkischen Staatsangehörigkeit des Klägers sei daher auch bei der Widerrufsentscheidung auszugehen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Berufungsentscheidung beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Widerrufe der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung keine formellen Mängel aufweisen (1.). Es hat aber die materielle Rechtmäßigkeit der Widerrufsentscheidungen mit einer Begründung verneint, die mit Bundesrecht nicht vereinbar ist. Es hat zu Unrecht angenommen, dass die Rechtskraft des zur Asyl- und Flüchtlingsanerkennung verpflichtenden verwaltungsgerichtlichen Urteils einer Widerrufsentscheidung entgegensteht (2.). Mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts konnte der Senat nicht selbst abschließend entscheiden, ob die angefochtenen Widerrufsentscheidungen die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG erfüllen (3.). Das Verfahren war daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Widerrufe ist § 73 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798).

13

1. Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Widerrufe der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung im Bescheid vom 13. Mai 2008 in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden sind. Sie entsprechen insoweit den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG. Insbesondere begegnen die angefochtenen Entscheidungen weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit der Widerrufe im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Prüfungsfrist des § 73 Abs. 7 AsylVfG Bedenken. Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt kein Ermessen ausgeübt hat (Urteil vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - NVwZ 2011, 944 Rn. 11).

14

2. Die Berufungsentscheidung ist aber hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen nicht mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG zu vereinbaren. Nach Satz 1 der Vorschrift sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist nach Satz 2 insbesondere dann der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder wenn er als Staatenloser in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

15

Mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Die Voraussetzungen für den Widerruf nach dieser Vorschrift sind deshalb im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren. Dies gilt auch für Fälle, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind (vgl. Urteil vom 24. Februar 2011 a.a.O. Rn. 9). Diese Auslegung ist - soweit sich aus Art. 16a GG nichts Abweichendes ergibt - auch auf den Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter anzuwenden.

16

Die Rechtskraft des zur Anerkennung des Klägers verpflichtenden verwaltungsgerichtlichen Urteils von 2003 steht einer Widerrufsentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht entgegen, wenn sich die zur Zeit des Urteils maßgebliche Sach- oder Rechtslage nachträglich entscheidungserheblich verändert hat (sog. zeitliche Grenze der Rechtskraft, stRspr, etwa Urteil vom 18. September 2001 - BVerwG 1 C 7.01 - BVerwGE 115, 118 <121> m.w.N.). Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Soweit der personelle und sachliche Umfang der Rechtskraft reicht, ist die im Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage nicht befugt, einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen zu erlassen (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - InfAuslR 2011, 408 Rn. 12 m.w.N.). Die Behörde ist aber bei einer entscheidungserheblichen Änderung des für die Anerkennung maßgeblichen Sachverhalts nicht gehindert, einen Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft zu widerrufen, den sie in Erfüllung ihrer Verpflichtung aus einem rechtskräftigen Verpflichtungsurteil erlassen hat. Das ist im Asylrecht dann der Fall, wenn nach dem für das rechtskräftige Urteil maßgeblichen Zeitpunkt neue für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist (Urteil vom 18. September 2001 a.a.O.).

17

Die Rechtskraftwirkung besteht grundsätzlich unabhängig davon, ob das rechtskräftig gewordene Urteil die seinerzeit bestehende Sach- und Rechtslage erschöpfend und zutreffend gewürdigt hat (Urteil vom 18. September 2001 a.a.O. S. 122 f.). Allerdings entfalten fehlerhafte Urteile keine weitergehende Rechtskraftwirkung als fehlerfreie Urteile. Eine Lösung von der Rechtskraftwirkung eines Urteils, das das Bundesamt zur Anerkennung als Asylberechtigter und Flüchtling verpflichtet hat, ist vielmehr immer dann möglich, wenn sich die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage nachträglich entscheidungserheblich verändert hat, unabhängig davon ob das zur Anerkennung verpflichtende Urteil richtig oder fehlerhaft war.

18

Die Voraussetzungen für eine Beendigung der Rechtskraftwirkung entsprechen damit weitgehend denen, die für den Widerruf einer Anerkennungsentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG gelten. Denn auch § 73 Abs. 1 AsylVfG setzt eine wesentliche Änderung der für die Entscheidung maßgeblichen Verhältnisse voraus. Für den Widerruf einer Behördenentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass es unerheblich ist, ob die Anerkennung rechtmäßig oder rechtswidrig erfolgt ist (vgl. Urteil vom 19. September 2000 - BVerwG 9 C 12.00 - BVerwGE 112, 80 <85 f.>). Der Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf rechtswidrige Verwaltungsakte steht danach auch nicht entgegen, dass die Voraussetzungen einer zu Unrecht erfolgten Asylanerkennung oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Nachhinein scheinbar nicht entfallen sein können, da sie begriffsnotwendig von Anfang an nicht vorlagen. Diese Sicht verstellt den Blick für den eigenständigen, nicht an die Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheids, sondern an die nachträgliche Veränderung der politischen Verhältnisse im Verfolgerland anknüpfenden Regelungszweck der Widerrufsbestimmung. Sie eröffnet die Möglichkeit eines Widerrufs bereits dann, wenn jedenfalls unzweifelhaft eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse feststeht, ohne dass es noch der unter Umständen schwierigeren Prüfung und Entscheidung bedürfte, ob die ursprüngliche Anerkennung rechtmäßig oder rechtswidrig war (vgl. Urteil vom 19. September 2000 a.a.O. S. 86). Dies gilt erst recht für den Widerruf der auf einem Verpflichtungsurteil beruhenden Anerkennung, von deren Rechtmäßigkeit wegen der Rechtskraft des Urteils auch im Rahmen der Widerrufsprüfung auszugehen ist.

19

Mit Bundesrecht nicht vereinbar ist daher die Auffassung des Berufungsgerichts, dass eine wesentliche Änderung der für die Anerkennung maßgeblichen Tatsachen hier nicht vorliegt, weil das zur Anerkennung verpflichtende Urteil von der unzutreffenden Annahme ausging, der Kläger sei türkischer Staatsangehöriger, obwohl er tatsächlich Staatenloser war und geblieben ist. Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine entscheidungserhebliche Änderung vorliegt, ist der Vergleich der dem Verpflichtungsurteil vom 6. November 2003 zugrunde gelegten Tatsachenlage mit derjenigen zum Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung über den Widerruf. Für diesen Vergleich ist der Kläger fiktiv als türkischer Staatsangehöriger zu behandeln, auch wenn er tatsächlich staatenlos war, weil das Gericht dies seiner Verpflichtungsentscheidung zugrunde gelegt hat. Unerheblich ist insoweit, dass die Feststellung zur Staatsangehörigkeit des Klägers nicht von der Rechtskraftwirkung des Urteils umfasst wird, da es sich nur um ein Begründungselement handelt, das - anders als die Verpflichtung zum Erlass des abgelehnten Verwaltungsakts und die Feststellung zur Rechtsverletzung des Klägers durch die damalige ablehnende Behördenentscheidung - nicht in Rechtskraft erwächst (vgl. Beschluss vom 10. Juli 2003 - BVerwG 1 B 338.02 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 87). Das Bundesamt war deshalb durch die Rechtskraftwirkung des Verpflichtungsurteils vom 6. November 2003 nicht an einem Widerruf der Anerkennungen gehindert, wenn sich die Verhältnisse in der Türkei derart grundlegend und dauerhaft geändert haben, dass dem Kläger dort - unter Zugrundelegung seiner fiktiven türkischen Staatsangehörigkeit - die vom Gericht seinerzeit festgestellte asyl- und flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung nicht mehr droht (vgl. hierzu Urteil vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 19 bis 24).

20

Für die Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Anerkennungsentscheidungen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG ist weiter Voraussetzung, dass dem Kläger jetzt nicht aus anderen, vom Verpflichtungsurteil nicht erfassten Gründen Verfolgung droht. Bei der Prüfung derartiger neuer Verfolgungsgründe ist nicht von den dem Verpflichtungsurteil zugrunde liegenden Tatsachen auszugehen, sondern von der nunmehr festgestellten Sachlage - und damit von der Staatenlosigkeit des Klägers.

21

3. Da das Berufungsgericht die streitgegenständlichen Widerrufsentscheidungen allein deshalb als rechtswidrig angesehen hat, weil es den Umfang der Rechtskraft des zur Asyl- und Flüchtlingsanerkennung verpflichtenden Urteils verkannt hat, hat es nicht nach den oben dargestellten Maßstäben geprüft, ob sich die verfolgungsrelevanten Tatsachen mittlerweile entscheidungserheblich verändert haben. Der Senat kann mangels ausreichender Feststellungen hierzu nicht selbst abschließend entscheiden, ob sich das Bundesamt von der Rechtskraftwirkung des zur Anerkennung verpflichtenden Urteils lösen durfte und bei dem Kläger die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung vorliegen. Das Verfahren war daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

22

Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht Folgendes zu berücksichtigen haben:

23

Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab für den Widerruf der Asyl- wie der Flüchtlingsanerkennung entspricht spiegelbildlich dem bei der Anerkennung zugrunde zu legenden Maßstab. Das Bundesverwaltungsgericht hat schon in seiner bisherigen Rechtsprechung keinen sachlichen Grund dafür gesehen, unterschiedliche Anforderungen an die Anerkennungsvoraussetzungen einerseits und an die Widerrufsvoraussetzungen andererseits zu stellen (vgl. Urteil vom 24. November 1992 - BVerwG 9 C 3.92 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG 1992 Nr. 1). Auch der Gerichtshof der Europäischen Union geht für das Flüchtlingsrecht grundsätzlich von einer Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und den Widerruf und damit von einem Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft aus, wenn begründete Befürchtungen dafür fehlen, Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sein (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Abdulla u.a. - Slg. 2010, I-1493 Rn. 65 und 73).

24

Das bedeutet für das nationale Asylrecht: Ist der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt worden, weil er vor seiner Ausreise Verfolgung erlitten hat oder als ihm bevorstehend befürchten musste, so sind die Anerkennungsvoraussetzungen nur dann als weggefallen anzusehen, wenn der Betroffene aufgrund der Veränderung der Umstände vor künftiger Verfolgung hinreichend sicher ist (vgl. Urteil vom 24. November 1992 a.a.O.). Beruht die Anerkennung hingegen - wie hier - allein auf Nachfluchtgründen, sind ihre Voraussetzungen dann entfallen, wenn die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung nach dem allgemeinen Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht mehr droht. Allein die Tatsache, dass der nicht vorverfolgte Ausländer wegen Nachfluchtgründen als Asylberechtigter anerkannt worden ist, rechtfertigt nicht die Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs. Vielmehr spricht der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit von Anerkennungs- und Widerrufsentscheidung dafür, den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab beim Widerruf nur dann anzuwenden, wenn er auch für die Anerkennung maßgeblich war. Humanitäre Gründe stehen dem nicht entgegen, weil der Betroffene bei reinen Nachfluchtgründen im Herkunftsland selbst keine Verfolgung erlitten hat oder unmittelbar von ihr bedroht war. Das Berufungsgericht wird demnach zu prüfen haben, ob mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter zum Zeitpunkt der neuerlichen gerichtlichen Entscheidung aufgrund veränderter Verhältnisse in der Türkei nicht mehr vorliegen und dem Kläger dort auch nicht aus anderen Gründen Verfolgung droht.

25

Für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung gilt seit Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt war oder nicht, der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 22 f.). Die Privilegierung eines vorverfolgten Flüchtlings erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie, auf die § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG verweist. Die Beweiserleichterung greift allerdings nicht bei reinen Nachfluchtgründen, wie sie hier vorliegen, da der Ausländer in diesen Fällen - wie bereits dargelegt - nicht bereits verfolgt worden ist oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, was die Vorschrift voraussetzt.

26

Sollte das Berufungsgericht zu dem Schluss kommen, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG im Fall des Klägers nicht vorliegen, müsste der angefochtene Bescheid aufgehoben werden. Eine Umdeutung des Widerrufs in eine Rücknahme der Anerkennungen kommt, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend festgestellt hat, nicht in Betracht. Dies folgt bereits aus der Rechtskraft des zur Asyl- und Flüchtlingsanerkennung verpflichtenden Urteils vom 6. November 2003, die es verbietet, die Rechtmäßigkeit der Anerkennungen im Nachhinein anders zu beurteilen. Die Frage, ob der Kläger im Hinblick auf seine vor der Anerkennung liegenden Aktivitäten zugunsten der PKK in Deutschland möglicherweise einen Ausschlussgrund nach § 60 Abs. 8 AufenthG, § 3 Abs. 4 oder Abs. 2 AsylVfG verwirklicht haben könnte - was im Übrigen der Sache nach eher fern liegen dürfte -, würde sich schon aus diesem Grund nicht stellen.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2011 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 6 K 49/09 - wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Gründe

I.

Der 1970 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Sein ursprünglicher Asylantrag vom 3.6.2002 wurde vom Bundesamt der Beklagten abgelehnt. Mit Urteil vom 12.12.2003 - A 15 K 11001/03 - verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG vorliegen. Zur Begründung war in dem Urteil ausgeführt, dass der Kläger in der Türkei verdächtigt worden sei, sich aktiv für die kurdische Sache einzusetzen, dass er deshalb erheblichen staatlichen Schikanen ausgesetzt gewesen sei und bei Rückkehr in das Heimatland mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müsse. Mit Bescheid vom 29.3.2004 stellte daraufhin das Bundesamt fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich einer Abschiebung des Klägers in die Türkei vorliegen.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 8.1.2009 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 29.3.2004 getroffenen Feststellungen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliegen. Außerdem stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht gegeben sind. Zur Begründung war in dem Bescheid ausgeführt, seit der Ausreise des Klägers hätten sich Rechtslage und Menschenrechtssituation in der Türkei deutlich zum Positiven verändert. Aufgrund dieser Veränderungen seien die Gründe für die damalige Schutzgewährung heute entfallen.

Hiergegen erhob der Kläger Klage, zu deren Begründung er sich im Wesentlichen darauf berief, dass sich entgegen der Ansicht der Beklagten die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse in der Türkei nicht erheblich geändert hätten. Nach wie vor sei er im Falle einer Rückkehr der Gefahr ausgesetzt, schwere Eingriffe in elementare Rechtsgüter zu erleiden und unmenschlich behandelt zu werden. Darüber hinaus wies er darauf hin, sich in der Bundesrepublik Deutschland exilpolitisch zu betätigen. Insbesondere sei er am 24.2.2008 zum stellvertretenden Vorsitzenden der e.V. gewählt worden. Bei dieser Funktion handele es sich um eine exponierte Betätigung. Im Übrigen sei er im Rahmen seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender der K. e.V. auch in der Öffentlichkeit aufgetreten.

Mit aufgrund mündlicher Verhandlung vom 28.7.2011 ergangenem Urteil - 6 K 49/09 - hat das Verwaltungsgericht des Saarlandes die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist in dem Urteil im Wesentlichen ausgeführt, dass nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Widerrufsverfahren bei der Gefahrenprognose nunmehr von einem einheitlichen Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit auszugehen sei. Dies zugrunde legend ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass in der Türkei im letzten Jahrzehnt hinsichtlich der die Flüchtlingsanerkennung des Klägers begründenden Umstände eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Veränderung stattgefunden habe, die im konkreten Fall des Klägers - auch unter Berücksichtigung der von ihm geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten - zur Folge habe, dass keine beachtliche Gefahr einer politischen Verfolgung mehr bestehe.

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG sowie einen Verfahrensmangel in Gestalt einer Verletzung des Grundsatzes auf Gewährung rechtlichen Gehörs im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 VwGO geltend.

II.

Der gemäß § 78 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG statthafte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28.7.2011 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 6 K 49/09 -, mit dem seine auf Aufhebung des Widerrufsbescheides der Beklagten vom 8.1.2009 gerichtete Klage abgewiesen wurde, ist unbegründet.

Das den Prüfungsumfang im Zulassungsverfahren begrenzende Vorbringen des Klägers in der Antragsbegründung vom 1.9.2011 rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht.

Weder liegen die ausdrücklich geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG bzw. eines Verfahrensfehlers in Gestalt eines Gehörsverstoßes im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 VwGO vor, noch kann dem Vorbringen des Klägers ein anderer Zulassungsgrund entnommen werden.

Nach Auffassung des Klägers stellt sich zunächst die Frage von grundsätzlicher Bedeutung, welcher Prognosemaßstab in asylrechtlichen Widerrufsverfahren Anwendung findet. Darüber hinaus erachtet er die Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die Veränderung der Umstände in der Türkei so erheblich und nicht nur vorübergehend sei, dass eine Furcht vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden könne. Hierzu vertritt er die Auffassung, dass keine Rede von einer deutlichen und wesentlichen - zudem dauerhaften - Veränderung der politischen Verhältnisse in der Türkei sein könne, wenn das erstinstanzliche Gericht wie vorliegend - ungeachtet der angenommenen Verbesserung der Verhältnisse in der Türkei - nach wie vor Defizite im rechtsstaatlichen Bereich, im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit sowie im Bereich der Achtung der Menschenrechte durch die türkischen Sicherheitsbehörden feststelle und auch konstatiere, dass Folter und Misshandlung nicht vollständig unterbunden seien, die gesetzgeberischen Schutzinstrumentarien vielmehr zuweilen unbeachtet blieben und teilweise sogar unterlaufen würden. Des Weiteren misst er der Frage grundsätzliche Bedeutung bei, unter welchen Voraussetzungen für einen Asylbewerber aufgrund exilpolitischer Aktivitäten ein relevanter Nachfluchtgrund zur Seite steht.

Diese vom Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfenen Fragen rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht.

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG hat eine Rechtssache, wenn sie eine für die Berufungsentscheidung erhebliche, klärungsfähige, höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht (hinreichend) geklärte rechtliche oder tatsächliche Frage allgemeiner, fallübergreifender Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder ihrer Fortentwicklung der berufungsgerichtlichen Klärung bedarf.

Ausgehend davon bietet die erste Frage, welcher Prognosemaßstab in asylrechtlichen Widerrufsverfahren Anwendung findet, schon deshalb keinen Anlass zur Zulassung der Berufung, weil diese Frage in der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits hinreichend geklärt ist und keiner weiteren Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.

Mit Urteilen vom 1.6.2011 - 10 C 10.10 und 10 C 25.10 - (juris) hat das Bundesverwaltungsgericht hierzu ausgeführt, dass sich die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft grundsätzlich spiegelbildlich zur Anerkennung verhalte. Wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft könne seit Umsetzung der in Art. 11 und Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der bisherigen, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 73 AsylVfG nicht festgehalten werden. Das in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts entwickelte materiell-rechtliche Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe für die Verfolgungsprognose sei der Richtlinie 2004/83/EG fremd. Sie verfolge vielmehr bei einheitlichem Prognosemaßstab für die Begründung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft einen beweisrechtlichen Ansatz, wie er bei der Nachweispflicht der Mitgliedsstaaten nach Art. 14 Abs. 2 und der tatsächlichen Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zum Ausdruck komme. Demzufolge gelte unionsrechtlich beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten habe. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung …“ des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiere sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und entspreche dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.

Dieser neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat sich auch das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes mit Urteilen vom 25.8.2011 - 3 A 34/10 -und - 3 A 35/10 - angeschlossen.

Eine Abweichung der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts von der dargestellten neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ebenfalls nicht erkennbar; vielmehr hat das Verwaltungsgericht diese dem angefochtenen Urteil ausdrücklich zugrunde gelegt, auch wenn es sich dazu im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nur auf die damals erst veröffentlichte Presseerklärung des Bundesverwaltungsgerichts stützen konnte.

Die vom Kläger des Weiteren als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage, ob die Veränderung der Umstände in der Türkei so erheblich und nicht nur vorübergehend ist, dass eine Furcht vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann, rechtfertigt eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ebenfalls nicht. Denn die vorgenannte Frage würde sich in dieser Form und Allgemeinheit in dem angestrebten Berufungsverfahren nicht stellen. In einem nach Zulassung der Berufung durchzuführenden Rechtsmittelverfahren wäre vielmehr zu prüfen, ob gerade mit Blick auf die konkreten Umstände, die zur Flüchtlingsanerkennung des Klägers geführt haben, die Voraussetzungen für einen Widerruf gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vorliegen.

Nach den entsprechenden unionsrechtlichen Vorgaben müssen sich die zuständigen Behörden und Gerichte mit Blick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern, dass die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben und als dauerhaft beseitigt angesehen werden können

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.2.2011 - 10 C 5/10 - sowie EuGH, Urteil vom 2.3.2010 - C 175/08 u.a. -; juris.

Der anzuwendende Maßstab ist somit ein individueller, d.h. bezogen auf den konkreten Ausländer, der als Flüchtling anerkannt worden ist, und dem dieser Status entzogen werden soll. Das bedeutet: In Abhängigkeit von den Umständen, die zur Zuerkennung des Flüchtlingsstatus geführt haben, sind auch die Anforderungen an die Verbesserung der Verhältnisse im Heimatstaat und die Frage der Gefährdung im Falle einer Rückkehr im Grundsatz individuell unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen

vgl. Urteile des Senats vom 25.8.2011 - 3 A 34/10 und 3 A 35/10 -; OVG Hamburg, Beschluss vom 4.11.2010 - 4 Bf 113/09.AZ -; OVG Lüneburg, Beschluss vom 11.11.2009 - 4 LA 78/09 - und vom 22.6.2009 - 7 LA 132/08 -; OVG Schleswig, Beschluss vom 5.10.2009 - 4 LA 73/09; OVG Greifswald, Beschluss vom 20.11.2007 - 2 L 152/07 -; jeweils juris; sowie Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Oktober 2010, § 73 Rz 19.

Demzufolge geht es auch im vorliegenden Verfahren nicht darum, ob der Reformprozess in der Türkei durchgängig zu einer solchen Verbesserung der Menschenrechtslage geführt hat, dass vorverfolgt ausgereiste Asylbewerber generell bei einer Rückkehr in die Türkei keine weitere Verfolgung mehr zu befürchten haben, sondern um die Frage, ob sich die Verhältnisse, die die Verfolgungsfurcht gerade des Klägers begründeten, erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und deshalb jedenfalls in seinem Falle keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erneuten Verfolgung mehr besteht. So hat der Senat auch bereits in seinen Urteilen vom 25.8.2011 - 3 A 34/10 und 3 A 35/10 – betreffend Widerrufsverfahren türkischer Staatsangehöriger im Einzelnen ausgeführt, dass für den Widerruf einer Flüchtlingsanerkennung nicht die Feststellung erforderlich ist, dass im Heimatland des betroffenen Ausländers - hier der Türkei - seit der Anerkennung derartige Veränderungen stattgefunden haben, dass es dort nunmehr ausnahmslos oder zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt.

Der anzuwendende individuelle Prüfungsmaßstab schließt es allerdings nicht aus, dass unter besonderen Umständen eine Individualprüfung des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung unter Würdigung der allgemeinen Entwicklung in einem Herkunftsstaat für eine größere Zahl von gleich liegenden Fällen verallgemeinerungsfähig ist, wenn und soweit in all diesen Fällen gleich liegende Umstände zur Gewährung des Flüchtlingsstatus geführt haben und personenbezogene Besonderheiten daneben nicht entscheidungsrelevant sind.

Das Vorliegen einer solchen Konstellation hat der Kläger jedoch nicht dargetan und ist auch nicht erkennbar. Die oben genannte, als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage bezieht sich vielmehr ganz allgemein darauf, ob sich die Verhältnisse in der Türkei generell derart verändert haben, dass eine Furcht vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Im vorliegenden Verfahren kommt es aber allein darauf an, ob angesichts der Verbesserung der Menschenrechts- und Sicherheitslage in der Türkei dem Kläger weiterhin eine Gefährdung wegen seines vor seiner Ausreise aus der Türkei gezeigten Einsatzes für die kurdische Sache bzw. mit Blick auf die von ihm konkret angeführten exilpolitischen Aktivitäten droht. Dabei handelt es sich aber - wovon auch das Verwaltungsgericht ausgegangen ist - um eine individuell zu beantwortende Frage.

Auch die dritte vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage, unter welchen Voraussetzungen für einen Asylbewerber aufgrund exilpolitischer Aktivitäten ein relevanter Nachfluchtgrund zur Seite stehe, bietet keinen Anlass, die Berufung zuzulassen. In der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes ist nämlich geklärt, dass nur eine exponierte exilpolitische Betätigung, insbesondere eine Tätigkeit in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation bzw. besonders publizitätsträchtige Aktivitäten im Falle einer Rückkehr eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr begründet

vgl. etwa Urteile vom 25.8.2011 - 3 A 34/10 - und - 3 A 35/10 -; vom 3.4.2008 - 2 A 312/07 - und vom 28.9.2005 - 2 R 1/05 -.

Ob für den jeweiligen Asyl suchenden Ausländer nach den konkreten Umständen seiner Betätigung mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass er sich derart exilpolitisch exponiert hat, dass erwartet werden kann, seine eigene Betätigung sei von der türkischen Auslandsbeobachtung als türkeikritisch - d.h. als kurdisch-separatistisch oder linksextremistisch - angesehen und erfasst worden, sowie ob auch eine genügende Identifizierung als beachtlich wahrscheinlich erscheint, ist dabei nicht weiter allgemein klärungsfähig, vielmehr eine Frage der Einzelfallwertung

vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 16.12.2004 - 2 R 1/04 sowie Beschlüsse vom 29.4.2003 - 2 Q 116/03 und vom 10.4.2003 - 2 Q 110/03.

Die vom Kläger angeführten Angaben des Zeugen A. in der mündlichen Verhandlung vom 16.6.2011 vor dem Verwaltungsgericht im Verfahren 6 K 1645/08 bieten keinen Anlass, diese Rechtsprechung nochmals einer grundsätzlichen Überprüfung in einem Berufungsverfahren zuzuführen. Vielmehr bestätigen diese die bisherige Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts.

Auch erlaubt die Aussage des Zeugen A. keine weitergehende Konkretisierung der bisherigen Rechtsprechung. Insbesondere lässt sich ihr entgegen der Auffassung des Klägers nicht entnehmen, dass allein schon die zeitweilige Mitgliedschaft im Vorstand der K. e.V. bzw. einer ihrer Vorgängerorganisationen im Falle einer Rückkehr die beachtliche Gefahr politischer Verfolgung begründet.

Eine Divergenz der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG gegenüber der bisherigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes ist insoweit ebenfalls nicht erkennbar, so dass eine Zulassung der Berufung auch unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht kommt. Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht davon ausgegangen, dass eine Vorstandsmitgliedschaft in der K. e.V. bzw. in einer ihrer Vorgängerorganisationen per se stets bereits eine exponierte exilpolitische Betätigung darstellt, die bei Rückkehr eines kurdischen Klägers in die Türkei zu politischer Verfolgung führen kann. Einen entsprechenden allgemeinen Grundsatz hat das Oberverwaltungsgericht weder in den vom Kläger zitierten Entscheidungen vom 28.9.2005 - 2 R 2/05 -, vom 16.12.2004 - 2 R 1/04 -, vom 3.4.2008 - 2 A 312/07-, vom 26.3.2010 - 2 A 333/09 -, vom 29.4.2003 - 2 Q 116/03 - oder vom 10.4.2003 - 2 Q 110/03 - (welche teilweise nicht einmal asylrechtliche, sondern lediglich ausländerrechtliche Fragestellungen beinhalten) noch sonst aufgestellt. Vielmehr ist das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes - wie bereits dargestellt - im Grundsatz allgemein davon ausgegangen, dass kurdischen Volkszugehörigen türkischer Staatsangehörigkeit, die sich exilpolitisch exponiert haben, bei ihrer Rückkehr in die Türkei asylrelevante Verfolgung droht und hat darüber hinaus ( insbesondere auch in den vom Kläger zitierten Entscheidungen 2 R 1/04, 2 Q 110/03, 2 Q 116/03) stets betont, dass es jeweils eine Frage der Einzelfallwertung ist, ob für den jeweiligen Asyl suchenden Ausländer nach den konkreten Umständen eine exilpolitische Exponiertheit angenommen werden kann.

Dem entspricht der Sache nach auch der vom Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung formulierte Grundsatz, wonach eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung wegen politischer Auslandsaktivitäten nur für Personen besteht, die sich in besonderem Maße exilpolitisch in herausgehobener Funktion und publizitätsträchtig namentlich für die PKK oder ihr nahestehende Organisationen exponiert haben. Im Übrigen räumt selbst der Kläger ein, dass das Verwaltungsgericht „formal“ bei seinen bisherigen Kriterien „geblieben“ sei. Ausgehend von dem dargestellten - der Sache nach unverändert gebliebenen - allgemeinen Grundsatz ist das Verwaltungsgericht lediglich im Rahmen der vorzunehmenden konkreten Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Beweiserhebung aus dem Verfahren 6 K 1645/08 im Falle des Klägers zu dem Ergebnis gelangt, dass dessen exilpolitische Aktivitäten ungeachtet seiner Mitgliedschaft im Vorstand der K. e.V. nicht als exponiert zu erachten sind.

Lediglich ergänzend wird insoweit darauf hingewiesen, dass das Verwaltungsgericht des Saarlandes auch früher bereits in einzelnen Fällen türkischer Staatsangehöriger, die Mitglied im Vorstand kurdischer Exilorganisationen waren, im Rahmen von Einzelfallbewertungen ein Vorliegen exponierter exilpolitischer Aktivitäten verneint hat

vgl. etwa Urteil vom 24.11.2006 - 6 K 26/06.A -.

Inwiefern die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz, insbesondere dem wiedergegebenen Auszug aus dem Urteil vom 7.11.1999 - 10 A 12044/98 OVG - abweichen soll, erschließt sich nicht.

Auch soweit der Kläger sich auf eine Verletzung des Gebots der Gewährung rechtlichen Gehörs im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO beruft, rechtfertigt dies die Zulassung der Berufung nicht.

Der Kläger macht insoweit geltend, ausweislich des Verpflichtungsurteils des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.12.2003 sei die Flüchtlingsanerkennung vor dem Hintergrund des klägerischen Vortrags erfolgt, in der Türkei gefoltert worden zu sein. Aufgrund dessen komme bei ihm jedenfalls § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG zum Tragen. Zwar habe das Verwaltungsgericht des Saarlandes die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG thematisiert und in den rechtlichen Grundsätzen zutreffend dargestellt. Nicht gefolgt werden könne dem erstinstanzlichen Gericht aber, soweit es unter Subsumtion des klägerischen Vorbringens unter die Vorschrift zu dem Ergebnis gelange, diese sei im Einzelfall nicht einschlägig. Die vom Kläger geschilderten Misshandlungen erfüllten ohne weiteres die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG. Zu seinem abweichenden Ergebnis habe das erstinstanzliche Gericht nur dadurch gelangen können, dass es den klägerischen Vortrag im Asylerstverfahren, wonach er gefoltert und unmenschlich behandelt worden sei, außer Betracht gelassen habe.

Der vom Kläger behauptete Gehörsverstoß ist nicht erkennbar.

Der durch Art. 103 Abs. 1 GG grundgesetzlich gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das angerufene Gericht dazu, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen. Er soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben, gewährleistet jedoch nicht, dass die angegriffene Entscheidung in jeder Hinsicht frei von materiellen Rechtsfehlern ergeht. Fehler der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind grundsätzlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen.

Regelmäßig genügt es dem Gehörsgebot, wenn sich das Verwaltungsgericht in seinem Urteil mit dem nach seiner Auffassung für seine Entscheidung primär relevanten Beteiligtenvorbringen auseinandergesetzt hat. Nur dann, wenn das Verwaltungsgericht erhebliches Vorbringen eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, eindeutig übersehen hat oder in den Entscheidungsgründen nicht darauf eingegangen ist, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach den vom Gericht vertretenen Rechtsstandpunkt ohnehin unerheblich war

vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 2.5.1998 - 2 BvR 378/98 -, NVwZ-RR 1999, 217 m.w.N. sowie Beschluss vom 23.7.2003 - BvR 624/01 -, NVwZ-RR 2004, 3.

Gemessen an diesen Maßstäben liegt der behauptete Gehörsverstoß nicht vor.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist nicht anzunehmen, dass das Verwaltungsgericht sein Vorbringen, gefoltert worden zu sein, außer Acht gelassen hat. Vielmehr ist im Tatbestand des angefochtenen Urteils ausdrücklich ausgeführt, dass der Kläger zur Begründung seines Asylbegehrens angegeben habe, in der Türkei die HADEP unterstützt zu haben und aufgrund seiner Parteiarbeit wiederholt festgenommen und gefoltert worden zu sein. Auch hat das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen die in § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG enthaltene humanitäre Klausel, wonach von einem Widerruf abzusehen ist, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in seinem Heimatstaat abzulehnen, ausdrücklich problematisiert. Dies spricht dafür, dass das Verwaltungsgericht die dem Kläger nach eigenem Vorbringen vor seiner Ausreise aus der Türkei widerfahrenen Geschehnisse zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat. Das Verwaltungsgericht ist lediglich bei der Subsumtion des konkreten Falles des Klägers unter die Vorschrift zu einem anderen Ergebnis gelangt, als der Kläger es gerne gesehen hätte. Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass bei erlittenen Misshandlungen bzw. Folter stets ein Ausnahmefall im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG anzunehmen sei. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist vielmehr, dass Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen vorliegen, die zur Unzumutbarkeit der Rückkehr in das Heimatland auch dann führen, wenn eine Verfolgung nicht mehr droht

vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 24.04 - in DVBl. 2006, Seite 511; OVG des Saarlandes, Urteil vom 25.8.2011 - 3 A 35/10 -, juris.

Dementsprechend ist im Einzelfall jeweils anhand einer Gesamtwürdigung der Umstände festzustellen, ob ein Ausnahmefall im Sinne der humanitären Klausel gegeben ist.

Der Sache nach wendet sich der Kläger letztlich gegen das Ergebnis der dem Verwaltungsgericht obliegenden Würdigung seines konkreten Falles. Mit Blick auf den abschließenden Katalog der Zulassungsgründe im Asylverfahren (§ 73 Abs. 3 Nr. 1 - 3 AsylVfG) vermag dies eine Rechtsmittelzulassung jedoch nicht zu rechtfertigen. Wie die im Vergleich zu § 124 Abs. 2 VwVO eingeschränkte Aufzählung von Gründen für die Zulassung der Berufung in § 78 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 AsylVfG verdeutlicht, hat der Gesetzgeber den gerichtlichen Rechtsschutz in Asylverfahren hinsichtlich der Sachverhaltsbeurteilung grundsätzlich auf eine Instanz beschränkt

vgl. auch Beschlüsse des Senats vom 26.11.2009 - 3 A 268/09 - und vom 3.3.2010 - 3 A 6/10 -.

Für die erstrebte Rechtsmittelzulassung ist nach allem kein Raum.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG.

Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.