Bundesverfassungsgericht Beschluss, 06. Mai 2014 - 2 BvE 3/12

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2014:es20140506.2bve000312
bei uns veröffentlicht am06.05.2014

Gründe

1

Der Antrag richtet sich gegen Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit der FDP-Fraktion im 17. Deutschen Bundestag.

I.

2

Der Antragsgegner zu 2. versandte im Frühjahr sowie im November 2012 an zahlreiche Haushalte im gesamten Bundesgebiet Schreiben, in denen es um den Abbau der Staatsverschuldung und weitere wirtschaftspolitische Positionen ging. Die Antragsgegnerin zu 1. ließ in diesen Zeiträumen bundesweit in einer Reihe von Kinos zwei Kurzfilme mit Aussagen zu verschiedenen politischen Themen zeigen. Die Antragstellerin hält die Briefe und die Kinospots für unzulässige Wahlwerbung zugunsten der Freien Demokratischen Partei (FDP), sieht sich hierdurch in ihrem Recht auf Neutralität des Staates im Wahlkampf sowie in ihrem Recht auf Chancengleichheit der politischen Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) verletzt und beantragt im Wege der Organklage die im Rubrum wiedergegebenen Feststellungen. Die Antragsgegner halten den Antrag für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.

3

Bei der Bundestagswahl 2013 erreichte die FDP nicht die erforderliche Mindeststimmenzahl und ist daher im 18. Deutschen Bundestag nicht vertreten. Die Antragstellerin verfolgt dessen ungeachtet ihren Antrag weiter. Die Antragsgegner haben sich nicht weiter geäußert.

II.

4

Der Antrag ist unzulässig. Der Antragstellerin fehlt nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Deutschen Bundestag mit Ende der 17. Wahlperiode und der damit verbundenen Liquidation der Antragsgegnerin zu 1. (vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 7 AbgG) jedenfalls das im Organstreitverfahren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BVerfGE 62, 1 <33>; 67, 100 <127>; 68, 1 <77>), so dass es auf Fragen eines Verlusts der Parteifähigkeit auf Antragsgegnerseite nicht ankommt.

5

Der Organstreit ist eine kontradiktorische Parteistreitigkeit mit Antragsteller und Antragsgegner und kein objektives Verfahren. Das Organstreitverfahren dient maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihren Teilen in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht der davon losgelösten Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns (vgl. BVerfGE 126, 55 <67 f.> m.w.N.). Mit der kontradiktorischen Ausgestaltung des Organstreitverfahrens ist eine diskursive Auseinandersetzung der Verfassungsorgane um ihre Kompetenzen intendiert (vgl. Löwer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, 3. Aufl. 2005, § 70 Rn. 12). In der vorliegenden Konstellation kann das Organstreitverfahren die ihm zugedachten Funktionen nicht mehr erfüllen.

6

Die Antragsgegner sind nicht mehr im Deutschen Bundestag vertreten. Das Organstreitverfahren hat sich daher, da es die konkrete Öffentlichkeitsarbeit der FDP-Bundestagsfraktion während der früheren Wahlperiode betrifft, erledigt. Eine - ausschließlich retrospektive - Feststellung der Verletzung organschaftlicher Rechte, wie sie die Antragstellerin in Anlehnung an die Rechtsprechung zum Feststellungsinteresse bei schwerwiegenden Grundrechtsverletzungen (vgl. BVerfGE 104, 220 <233 ff.> m.w.N.) für geboten hält, entspräche nicht der den Organstreit prägenden Zielsetzung, die Kompetenzen von Organen und ihren Teilen abzugrenzen. Vielmehr bedarf es eines über ein bloßes "Rehabilitationsinteresse" hinausgehenden Interesses an der Klärung der aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Auslegungsfrage.

7

Die Antragstellerin kann ihr Rechtsschutzinteresse nicht aus einer absehbaren Wiederholungsgefahr herleiten (vgl. BVerfGE 87, 207 <208 f.>; 99, 332 <336 f.>). Insbesondere gibt es keinen Anhalt dafür, dass die im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen durch ihre Öffentlichkeitsarbeit unter Verstoß gegen die maßgeblichen Rechtsvorschriften (vgl. § 47 Abs. 3, § 50 Abs. 4 Satz 2 AbgG) das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit verletzen könnten.

8

Soweit die Antragstellerin die Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit der Bundestagsfraktionen abstrakt für klärungsbedürftig erachtet, mag dies zutreffen, weil sich dazu bislang lediglich ein Vorprüfungsausschuss des Bundesverfassungsgerichts geäußert hat (vgl. Beschluss vom 19. Mai 1982 - 2 BvR 630/81 -, NVwZ 1982, S. 613). Indes lassen sich diese Grenzen im vorliegenden Organstreitverfahren nicht ohne eine kontradiktorische, anders als bei anderen Rechtsfragen notwendig tatsächliche Umstände einbeziehende Erörterung bestimmen, die gemäß § 25 Abs. 1 BVerfGG grundsätzlich der mündlichen Verhandlung vorbehalten ist. Eine sachgerechte abschließende Erörterung in mündlicher Verhandlung ist hier jedoch nicht mehr gewährleistet. Die mit dem Ende der Wahlperiode erloschene Fraktion (§ 54 Abs. 1 Nr. 3 AbgG) gilt gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 AbgG als fortbestehend, soweit der Zweck der Liquidation dies erfordert. Zweck der Liquidation ist die Abwicklung des Fraktionsvermögens (vgl. § 54 Abs. 2 bis 6 AbgG; BTDrucks 12/4756, S. 9 f.). Die weitere Rechtsverteidigung im vorliegenden Verfahren ist für die Antragsgegner praktisch ohne Belang. Bei objektiver Würdigung kann von einer auf gegenseitige Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen gerichteten Auseinandersetzung nicht mehr ausgegangen werden.

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 21


(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffent

Abgeordnetengesetz - AbgG | § 50 Rückfrage


In Zweifelsfragen ist das Mitglied des Bundestages verpflichtet, sich durch Rückfragen beim Präsidenten über den Inhalt seiner Pflichten nach diesen Verhaltensregeln zu vergewissern.

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 25


(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung, es sei denn, daß alle Beteiligten ausdrücklich auf sie verzichten. (2) Die Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung ergeht als U

Abgeordnetengesetz - AbgG | § 54 Rechtsstellung


(1) Die Fraktionen sind rechtsfähige Vereinigungen von Abgeordneten im Deutschen Bundestag. (2) Die Fraktionen können klagen und verklagt werden. (3) Die Fraktionen sind nicht Teil der öffentlichen Verwaltung; sie üben keine öffentliche Gewal

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(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

(1) Die Fraktionen sind rechtsfähige Vereinigungen von Abgeordneten im Deutschen Bundestag.

(2) Die Fraktionen können klagen und verklagt werden.

(3) Die Fraktionen sind nicht Teil der öffentlichen Verwaltung; sie üben keine öffentliche Gewalt aus.

Die anzeigepflichtigen Angaben gemäß § 45 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 2 bis 4 werden auf den Internetseiten des Bundestages veröffentlicht. Soweit der Wert der Angaben nach § 45 Absatz 3 nicht bezifferbar ist, erfolgt die Veröffentlichung unter Beschreibung der eingeräumten Rechtsposition.

In Zweifelsfragen ist das Mitglied des Bundestages verpflichtet, sich durch Rückfragen beim Präsidenten über den Inhalt seiner Pflichten nach diesen Verhaltensregeln zu vergewissern.

(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung, es sei denn, daß alle Beteiligten ausdrücklich auf sie verzichten.

(2) Die Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung ergeht als Urteil, die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung als Beschluß.

(3) Teil- und Zwischenentscheidungen sind zulässig.

(4) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ergehen "im Namen des Volkes".

(1) Die Fraktionen sind rechtsfähige Vereinigungen von Abgeordneten im Deutschen Bundestag.

(2) Die Fraktionen können klagen und verklagt werden.

(3) Die Fraktionen sind nicht Teil der öffentlichen Verwaltung; sie üben keine öffentliche Gewalt aus.