Bundessozialgericht Urteil, 20. März 2018 - B 2 U 5/16 R

ECLI:ECLI:DE:BSG:2018:200318UB2U516R0
bei uns veröffentlicht am20.03.2018

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 4. November 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung einer Gonarthrose des linken Knies als Berufskrankheit nach Nr 2112 der Anl 1 zur BKV (in Zukunft: BK 2112) ab dem 30.1.2004 hat.

2

Der im Juli 1947 geborene Kläger war während des Arbeitslebens bis Anfang September 2002 Kniebelastungen mit einer kumulativen Einwirkungsdauer von 14 840 Stunden ausgesetzt. Im September 2002 lagen bei ihm ua nach der Klassifikation von Kellgren eine lateral betonte Gonarthrose Grad III des rechten Knies sowie Retropatellararthrosen Grad III bis IV beiderseits vor. Chronische Kniegelenksbeschwerden oder Funktionsstörungen des linken Knies ließen sich erst nach dem 30.9.2002 nachweisen. Im Jahre 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Feststellung einer BK 2112.

3

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen ab, ua weil die Gonarthrose bereits vor dem Stichtag (30.9.2002) vorgelegen habe (Bescheid vom 11.1.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.8.2011). Das SG hat beide Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger seit dem 30.1.2004 an einer BK 2112 am linken Kniegelenk leide (Urteil vom 27.8.2013).

4

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 4.11.2015). Am rechten Kniegelenk sei eine Gonarthrose bereits vor dem 1.10.2002 sowohl in röntgenologischer als auch in klinischer Hinsicht gesichert. Dieser Erkrankungsbeginn wirke auch auf das linke Knie, obgleich Beschwerden und Funktionsstörungen dort erst nach dem 30.9.2002 belegt seien. Nach der Rechtsprechung des BSG handele es sich um eine einheitliche BK, wenn gleichartige Gesundheitsschäden an verschiedenen Organen auf dieselbe gefährdende Tätigkeit zurückzuführen seien. Führe eine einheitliche berufliche Belastung (Exposition), die sich gleichermaßen auf mehrere Zielorgane auswirke, zu einem Erkrankungsbeginn an einem Zielorgan vor dem Stichtag, sei die Annahme eines "Versicherungsfalls" nach dem Stichtag ausgeschlossen. Für diese Auffassung spreche auch, dass bei Feststellung einer BK 2112 aufgrund zunächst einseitig bestehender Symptomatik und späterem Hinzutreten einer klinischen und röntgenologischen Symptomatik am anderen Kniegelenk auch keine weitere BK anzuerkennen. Es wäre dann aufgrund einer wesentlichen Änderung nach § 48 SGB X lediglich eine weitere Folge des Versicherungsfalls anzuerkennen (und allenfalls eine ggf gewährte Verletztenrente zu erhöhen). Nur in Ausnahmefällen sei es zu rechtfertigen, das Vorliegen einer weiteren, gleichen BK festzustellen, etwa wenn nach dem Eintritt der Erkrankung an einem Zielorgan noch zusätzliche berufliche Einwirkungen im Sinne der entsprechenden BK erfolgten und dann im weiteren Verlauf an einem anderen Zielorgan eine entsprechende Erkrankung auftrete.

5

Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung des § 9 Abs 1 S 1, Abs 5 SGB VII iVm § 6 BKV. Das Wesen paariger Gelenke sei es eben, nicht eins zu sein. Selbst wenn in der Regel davon auszugehen sei, dass bei beidseitigem Knien und vergleichbarer Kniebelastung eine Gonarthrose beidseitig auftrete, sei auch eine ungleiche Betroffenheit möglich und schließe nicht per se die Anerkennung der BK 2112 im Einzelfall aus. Daher sei die Manifestation des Beschwerdebildes am rechten Kniegelenk vor dem 1.10.2002 nicht als einheitliche Erkrankung beider Kniegelenke vor dem Stichtag aufzufassen, sodass der unstreitig nicht anerkennungsfähige Schaden rechts nicht zum Ausschluss bzw "Verbrauch" des erst nach dem Stichtag eingetretenen Schadens links führe.

6

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 4. November 2015 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 27. August 2013 zurückzuweisen.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und entschieden, dass keine BK 2112 des linken Kniegelenks ab dem 30.1.2004 festzustellen ist. Der Versicherungsfall der Gonarthrose ist beim Kläger am rechten Knie bereits vor dem 1.10.2002 eingetreten, sodass eine Anerkennung der Gonarthrose am linken Knie nach der Übergangsvorschrift des § 6 BKV nicht mehr möglich ist.

9

Maßgeblich ist hier die Rückwirkungsklausel des § 6 Abs 3 S 1 BKV idF der Vierten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (4. BKVÄndVO) vom 10.7.2017 (BGBl I 2299), die während des Revisionsverfahrens am 1.8.2017 (Art 2 aaO) in Kraft trat und § 6 Abs 2 S 1 BKV idF der 3. BKVÄndVO vom 22.12.2014 (BGBl I 2397) ersetzte, der noch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz gegolten hatte. Treten - wie hier - Rechtsänderungen nach der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz ein, so sind sie in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen, wenn das neue Gesetz nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfassen will (stRspr, vgl Senatsurteil vom 27.10.1976 - 2 RU 127/74 - BSGE 43, 1,5 = SozR 1500 § 131 Nr 4 sowie BSG vom 18.2.2016 - B 3 P 2/14 R - SozR 4-3300 § 42 Nr 1 mwN). Das ist vorliegend der Fall. Denn mit Art 1 Nr 1 Buchst b der 4. BKVÄndVO verschob die Verordnungsgeberin den bisherigen § 6 Abs 2 S 1 BKV ohne geltungserhaltende Übergangsregelung wortidentisch in den § 6 Abs 3 S 1 BKV, der seitdem alle streitigen Rechtsverhältnisse, soweit sie BKen nach Nr 2112 betreffen, regelt.

10

§ 6 Abs 3 S 1 BKV idF der 4. BKVÄndVO lautet: "Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 2112, 4114 oder 4115 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. September 2002 eingetreten ist." Bei dem Kläger lag der Versicherungsfall der BK 2112 bereits im September 2002 - und damit vor dem Stichtag des § 6 Abs 3 S 1 BKV - vor, weil zu diesem Zeitpunkt eine Gonarthrose am rechten Knie bereits voll ausgeprägt war(vgl hierzu unter 1.). Damit kommt im vorliegenden Fall eine Anerkennung eines (weiteren) Versicherungsfalls der Gonarthrose zum 30.1.2004 bezogen nur auf das linke Knie nicht mehr in Betracht (hierzu unter 2.).

11

1. Bei dem Kläger lag bereits im September 2002 der Versicherungsfall der Gonarthrose am rechten Knie vor.

12

Rechtsgrundlage für die Anerkennung einer BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm BK 2112. Nach § 9 Abs 1 S 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet hat (sog Listen-BK) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Nach ständiger Senatsrechtsprechung ist für die Feststellung einer Listen-BK (Versicherungsfall) erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 10 und vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 10 und - B 2 U 10/14 R - BSGE 118, 255 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6 RdNr 11 sowie - B 2 U 20/14 R - BSGE 118, 267 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8, RdNr 10 jeweils mwN). Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht (BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 31/11 R - NZS 2012, 909, Juris RdNr 34 mwN) und ernste Zweifel ausscheiden (BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 5/10 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 3 RdNr 20). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall).

13

Der Versicherungsfall einer Listen-BK setzt somit voraus, dass die Bundesregierung als Verordnungsgeberin die Krankheit als BK in der Anl 1 der BKV bezeichnet hat und sämtliche Merkmale dieses Tatbestandes erfüllt sind (vgl BSG vom 17.5.2011 - B 2 U 19/10 R - SozR 4-5671 § 6 Nr 5 RdNr 11 und vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 17 RdNr 12). Die Bundesregierung hat die BK 2112 mit Art 1 Nr 3 Buchst c der Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (2. BKVÄndVO) vom 11.6.2009 (BGBl I 1273) mit Wirkung zum 1.7.2009 (Art 2 aaO) in die Anl 1 der BKV eingefügt. Die BK 2112 hat folgenden Wortlaut: "Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13 000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht".

14

Eine Gonarthrose iS der BK 2112 iVm § 6 Abs 3 S 1 BKVO lag nach dem Gesamtzusammenhang der den Senat gemäß § 163 SGG bindenden, weil nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen Feststellungen des LSG bereits im September 2002 und damit vor dem maßgeblichen Stichtag 30.9.2002 vor.

15

Dem steht nicht entgegen, dass § 6 Abs 3 S 1 BKV von einem "Versicherungsfall nach dem 30.9.2002" spricht. Denn die Verordnungsgeberin verwendet den Begriff des Versicherungsfalls nicht iSd gesetzlichen Bedeutung des § 7 Abs 1 SGB VII, sondern untechnisch und gleichbedeutend mit "Erkrankung"(BSG vom 17.5.2011- B 2 U 19/10 R - SozR 4-5671 § 6 Nr 5 RdNr 15). Der Versicherungsfall einer BK kann erst dann eintreten, wenn die BK durch Aufnahme in die Anl 1 zur BKV überhaupt rechtlich existent geworden ist. Die BK 2112 ist aber erst mit Wirkung zum 1.7.2009 (Art 2 der 2. BKVÄndVO) in die Anl 1 zur BKV aufgenommen worden und damit in Kraft getreten, sodass ein davor eingetretener Versicherungsfall ausscheidet. Folglich kann bei wirkungserhaltender Auslegung (vgl dazu zB Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl 1991, S 444; Kramer, Juristische Methodenlehre, 5. Aufl 2016, S 109; Möllers, Juristische Methodenlehre, 2017, § 5 RdNr 53; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2016, RdNr 327) des § 6 Abs 3 S 1 BKV mit dem dort verwendeten Begriff des Versicherungsfalls nur der "Erkrankungsfall" gemeint sein(BSG vom 17.5.2011 - B 2 U 19/10 R - SozR 4-5671 § 6 Nr 5 RdNr 15).

16

Der Erkrankungsfall der "Gonarthrose" tritt ein, sobald ein Kniegelenk die diagnostischen Krite-rien dieser Krankheit erfüllt, weil es sich bei den Verschleißerscheinungen an den Kniegelenken um einen einheitlichen Erkrankungsfall handelt. Der Versicherungsfall der Gonarthrose setzt mithin nicht voraus, dass an beiden Knien eine Erkrankung vorliegt. Dafür spricht bereits, dass der Tatbestand der BK 2112 knieübergreifend von einer "Gonarthrose" spricht, ohne dabei zwischen den beiden Kniegelenken zu differenzieren, und gleichzeitig für die Verschleißerkrankung beider Kniegelenke dieselbe Krankheitsbezeichnung verwendet. Zudem entspricht es der Systematik der GUV, mehrere Gesundheitsstörungen - selbst wenn es sich um medizinisch voneinander unabhängige Gesundheitsschäden handelt - als eine einheitliche BK und damit auch als einheitlichen Erkrankungsfall zu behandeln, wenn sie auf derselben Ursache bzw wesentlichen Bedingung beruhen, dh auf ein und dieselbe gefährdende Tätigkeit zurückzuführen sind (BSG vom 18.12.1990 - 8 RKnU 2/90 - SozR 3-2200 § 592 Nr 1 und vom 24.8.1978 - 5 RKnU 6/77 - SozR 5677 Anl 1 Nr 42 Nr 1).

17

Der Erkrankungsfall der BK 2112 - die "Gonarthrose" - lag betreffend das rechte Knie im September 2002 vor, was letztlich auch vom Kläger selbst nicht in Frage gestellt wird. Hierfür müssen die Kriterien vorliegen, die nach den aktuellen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Diagnose sichern. Das Recht knüpft damit an den medizinischen Diagnosebegriff und die dazu entwickelten Kriterien an (s BSG vom 27.6.2017 - B 2 U 17/15 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3102 Nr 1 sowie vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 22, vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20 und vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1, RdNr 15 zum Kehlkopfkarzinom nach ionisierenden Strahlen). Dabei sind zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands und als Interpretationshilfe die Merkblätter heranzuziehen (BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - BSGE 118, 267 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8 RdNr 15, vom 12.4.2005 - B 2 U 6/04 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 5 RdNr 8 vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 85; BSG vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1, RdNr 17 mwN), auch wenn sie weder verbindliche Konkretisierungen der Tatbestandsvoraussetzungen der BK noch antizipierte Sachverständigengutachten oder eine Dokumentation des Standes der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft sind (BSG vom 27.6.2017 - B 2 U 17/15 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3102 Nr 1 sowie vom 11.8.1998 - B 2 U 261/97 B - HVBG-INFO 1999, 1373).

18

Nach dem Merkblatt zur BK 2112 (Bekanntmachung des BMGS vom 30.12.2009, GMBl 2010, 98) hat die Diagnose einer Gonarthrose folgende Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen:

-       

chronische Kniegelenksbeschwerden,

-       

Funktionsstörungen bei der orthopädischen Untersuchung in Form einer eingeschränkten Streckung oder Beugung im Kniegelenk und

-       

die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend Grad 2 - 4 der Klassifikation von Kellgren ua.

19

Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG wurden diese Diagnosekriterien am Stichtag (30.9.2002) erfüllt, auch wenn das LSG seine "Subsumtion" nicht in allen Nuancen im Urteil wiedergegeben hat.

20

2. Dass beim Kläger später - zum 30.1.2004 - auch am linken Knie ein voll ausgeprägtes Krankheitsbild der Gonarthrose auftrat, vermag nichts daran zu ändern, dass der Versicherungsfall der Gonarthrose iS des § 6 Abs 3 S 1 BKV bezogen auf das rechte Knie bereits vor dem Stichtag vorlag, weshalb eine Anerkennung einer BK 2112 nur des linken Knies zu diesem späteren Zeitpunkt nicht mehr möglich ist. Zum Zustand des linken Knies am Stichtag hat das LSG bindend festgestellt, dass "zeitnah zum röntgenologischen Nachweis einer entsprechenden Arthrose im September 2002 keine funktionellen Beeinträchtigungen in Form von chronischen Kniegelenksbeschwerden oder Funktionsstörungen aktenkundig" sind und der Vollbeweis einer Gonarthrose links am 30.9.2002 somit nicht erbracht ist.

21

Dies ändert freilich nichts daran, dass bezogen auf das rechte Knie der Erkrankungsfall der Gonarthrose vor dem Stichtag bindend festgestellt ist (s soeben unter 1.) und damit die "Erkrankung Gonarthrose" iS der BK 2112 insgesamt bereits vor dem Stichtag vorlag. Wie ausgeführt, setzt die BK 2112 nicht zwingend voraus, dass beide Knie gleichzeitig erkranken. Die Frage, ob bei einer sukzessiven Erkrankung beider Knie versicherungsrechtlich ein einheitlicher Erkrankungsfall vorliegt, kann nur mit Blick auf die gefährdende Tätigkeit (die schädigenden Einwirkungen) beantwortet werden (BSG vom 18.12.1990 - 8 RKnU 2/90 - SozR 3-2200 § 592 Nr 1 und vom 24.8.1978 - 5 RKnU 6/77 - SozR 5677 Anl 1 Nr 42 Nr 1). Es kommt mithin darauf an, ob die Gonarthrose des einen Knies auf denselben oder aber auf anderen, davon unabhängigen Belastungen als die Gonarthrose des anderen Knies beruht. Auch wenn faktisch und in aller Regel nur die gesamte Kniebelastung während des Arbeitslebens zu "einer kumulativen Einwirkungsdauer … von mindestens 13 000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht" führen wird, ist - jedenfalls theoretisch - nicht völlig auszuschließen, dass sich in besonders gelagerten Einzelfällen feststellen lässt, dass die Schäden an den einzelnen Knien auf voneinander unabhängige Einwirkungen zurückzuführen sind, sodass sie ausnahmsweise als selbständige Erkrankungsfälle anzusehen wären. So erwähnt auch das Merkblatt zur BK 2112 in der Bekanntmachung des BMGS vom 30.12.2009, GMBl 2010, 98, zB überwiegend einseitige Kniebelastungen (ebenso zutreffend SG München vom 23.9.2015 - S 33 U 572/12). Im vorliegenden Fall trifft das jedoch nicht zu. Die vom Kläger ausgeübten gefährdenden Tätigkeiten bilden eine Einheit und können nur insgesamt sowohl für die Gonarthrose rechts als auch links ursächlich sein, weil die kumulative Einwirkungsdauer von mindestens 13 000 Stunden nach den unangefochtenen und damit bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) lediglich um 1840 Stunden überschritten ist und der Kläger nach dem Jahre 2002 seine Tätigkeit offenbar vollständig aufgegeben hat. Eine erneute nur das linke Knie schädigende Exposition nach der Gonarthrose am rechten Knie scheidet daher aus. Eine damit nur in Frage kommende Belastungsdosis von 1840 Stunden genügt indes nicht, um überhaupt denkbar einen eigenständigen Erkrankungsfall nach dem 1.10.2002 isoliert herbeizuführen. Wären die Gonarthrosen an beiden Knien hier sukzessive, aber beide nach dem Stichtag eingetreten, so wäre für das linke Knie nur eine Erhöhung der MdE gemäß § 48 Abs 1 SGB X als Folge der bereits anerkannten Gonarthrose rechts in Betracht gekommen und gerade keine Anerkennung einer zweiten, neuen BK 2112, weil es insofern an der hinreichenden Kniebelastung (Exposition) gefehlt hätte.

22

Der Senat hat im Übrigen keine Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Übergangsvorschrift des § 6 Abs 3 S 1 BKV. Bei der Einführung neuer BKen darf der Verordnungsgeber die Anerkennung von Erkrankungen, die vor einem Stichtag liegen, grundsätzlich ausschließen (BSG vom 24.2.2000 - B 2 U 43/98 - SozR 3-2200 § 551 Nr 14). Das BVerfG hat (Beschluss vom 9.10.2000 - 1 BvR 791/95 - SozR 3-2200 § 551 Nr 15) die Vereinbarkeit solcher Stichtagsregelungen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG grundsätzlich bestätigt (vgl BVerfG vom 9.10.2000 - 1 BvR 791/95 - SozR 3-2200 § 551 Nr 15; vgl auch BVerfG vom 23.6.2005 - 1 BvR 235/00 - SozR 4-1100 Art 3 Nr 32 sowie Senatsurteil vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2). Anhaltspunkte dafür, dass der hier gewählte Stichtag nicht sachgemäß sein könnte, sind nicht ersichtlich; der Kläger hat hierzu auch nichts vorgetragen. Vielmehr erscheint dieser Stichtag schon wegen der schwierigen Feststellung medizinischer Sachverhalte "im Nachhinein" sachgerecht. Dies zeigt auch die vorliegende Fallgestaltung, denn das rechte Knie des Klägers wurde bereits 2003 vollständig prothetisch versorgt und weitere medizinische Unterlagen waren nicht mehr vorhanden.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs 1 SGG.

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Tatbestand 1 Die Klägerin begehrt von der beklagten Berufsgenossenschaft die Zahlung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversic
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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 24. Jan. 2019 - L 17 U 123/14

bei uns veröffentlicht am 24.01.2019

Tenor I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 18. Februar 2014 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen

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(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Leiden Versicherte am 1. August 2017 an einer Krankheit nach den Nummern 1320, 1321, 2115, 4104 (Eierstockkrebs) oder 4113 (Kehlkopfkrebs) der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn sie vor diesem Tag eingetreten ist.

(2) Leiden Versicherte am 1. Januar 2015 an einer Krankheit nach Nummer 1319, 2113, 2114 oder 5103 der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn sie vor diesem Tag eingetreten ist.

(3) Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 2112, 4114 oder 4115 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. September 2002 eingetreten ist. Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 4113 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. November 1997 eingetreten ist. Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 1318 der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall vor diesem Tag eingetreten ist.

(4) Leidet ein Versicherter am 1. Oktober 2002 an einer Krankheit nach Nummer 4112 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. November 1997 eingetreten ist. Satz 1 gilt auch für eine Krankheit nach Nummer 2106 der Anlage 1, wenn diese nicht bereits nach der Nummer 2106 der Anlage 1 in der am 1. Dezember 1997 in Kraft getretenen Fassung als Berufskrankheit anerkannt werden kann.

(5) Leidet ein Versicherter am 1. Dezember 1997 an einer Krankheit nach Nummer 1316, 1317, 4104 (Kehlkopfkrebs) oder 4111 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten ist. Abweichend von Satz 1 ist eine Erkrankung nach Nummer 4111 der Anlage 1 auch dann als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn die Erkrankung bereits vor dem 1. Januar 1993 eingetreten und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31. Dezember 2009 bekannt geworden ist.

(6) Hat ein Versicherter am 1. Januar 1993 an einer Krankheit gelitten, die erst auf Grund der Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 18. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2343) als Berufskrankheit anerkannt werden kann, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. März 1988 eingetreten ist.

(7) Hat ein Versicherter am 1. April 1988 an einer Krankheit gelitten, die erst auf Grund der Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 22. März 1988 (BGBl. I S. 400) als Berufskrankheit anerkannt werden kann, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1976 eingetreten ist.

(8) Bindende Bescheide und rechtskräftige Entscheidungen stehen der Anerkennung als Berufskrankheit nach den Absätzen 1 bis 7 nicht entgegen. Leistungen werden rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren erbracht; der Zeitraum ist vom Beginn des Jahres an zu rechnen, in dem der Antrag gestellt worden ist.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. August 2013 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit stehen Leistungen zur Kurzzeitpflege im häuslichen Wohnbereich.

2

Der in 2003 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegeversichert. Er leidet an einem Down-Syndrom mit tiefgreifender Entwicklungsstörung, Autismus und einer Harn- und Stuhlinkontinenz. Er bezieht von der Beklagten Leistungen der häuslichen Pflege nach der Pflegestufe III, Leistungen bei Verhinderung der Pflegeperson und Betreuungsleistungen wegen erheblicher Einschränkung der Alltagskompetenz, jeweils nach dem Höchstbetrag.

3

Die Inanspruchnahme von Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI) des Klägers in der Einrichtung Kindervilla D. in K., die auf behinderte Kinder spezialisiert ist, musste aufgrund von Verhaltensstörungen des Klägers nach einem Tag abgebrochen werden. Aus demselben Grund musste auch die Kur seiner Mutter, bei der sie der Kläger begleitet hatte, vorzeitig beendet werden.

4

Im November 2011 beantragte die Mutter des Klägers die Umwandlung des Geldbetrags für Kurzzeitpflege in Leistungen für Verhinderungspflege. Die gesetzlichen Leistungen für die Verhinderungspflege und die Betreuungsleistungen genügten nicht, um die Familie am Wochenende oder nachts ausreichend von der Betreuung zu entlasten. Die Höhe der gewährten Leistungen reiche nicht aus, um eine Pflegeperson zu bezahlen, wenn die Familie einmal ohne den Kläger ein auswärtiges Wochenende verbringen wolle. Der Antrag blieb erfolglos (Bescheid vom 22.3.2012). Der Anspruch auf Kurzzeitpflege bestehe lediglich in einer vollstationären Einrichtung, nicht hingegen im häuslichen Wohnbereich, wo der Kläger gepflegt werde. Eine Umwandlung in Leistungen der Verhinderungspflege sei nicht möglich. Die Betreuung im häuslichen Bereich könne durch zusätzliche Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI berücksichtigt werden. Auch der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6.6.2012).

5

Mit Urteil vom 15.11.2012 hat das SG Koblenz den Bescheid der Beklagten vom 22.3.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 aufgehoben. Es hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI im Rahmen des häuslichen Wohnumfelds bei mehrtägiger Verhinderung der Pflegeperson längstens bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu gewähren. Nach § 42 Abs 3 SGB XI bestehe Anspruch auf Kurzzeitpflege in begründeten Einzelfällen bei zu Hause gepflegten Kindern auch in geeigneten Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen und anderen geeigneten Einrichtungen, wenn die Pflege in von den Pflegekassen zur Kurzzeitpflege zugelassenen Pflegeeinrichtungen nicht möglich oder nicht zumutbar erscheine. Der Begriff der anderen geeigneten Einrichtung sei im Sinne der Kurzzeitpflege weit auszulegen. Dadurch könnte die Entlastung der nicht erwerbsmäßigen Pflegeperson zur Vermeidung des dauerhaften Wechsels des Pflegebedürftigen in eine vollstationäre Pflege verhindert werden. Dies entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers (Hinweis auf BT-Drucks 16/8525 S 97), der mit § 42 Abs 3 SGB XI Versorgungslücken und -engpässe für Kinder beseitigen und dadurch auch den Interessen von Familien entsprechen wollte.

6

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Gewährung von Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI für das häusliche Wohnumfeld zu. Entgegen der Ansicht des SG habe der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass nur stationäre Einrichtungen in den Regelungsbereich von § 42 Abs 3 Satz 1 SGB XI aufgenommen werden sollten. Aus den Gesetzesmaterialien (Hinweis auf BT-Drucks 16/8525 S 97) ergebe sich, dass die Erweiterung des Anspruchs auf Kurzzeitpflege nicht dazu führen sollte, den Aufenthalt von behinderten Menschen in Einrichtungen der Behindertenhilfe jeweils für vier Wochen pro Kalenderjahr durch die Pflegeversicherung zu finanzieren. Die Bezugnahme in § 42 Abs 3 Satz 1 SGB XI auf Abs 1 spreche für diese Regelungsabsicht. Denn nach § 42 Abs 1 Satz 1 SGB XI bestehe Anspruch auf Pflege in einer vollstationären Einrichtung nur dann, wenn die häusliche Pflege zeitweise nicht, noch nicht oder nicht im erforderlichen Umfang erbracht werden könne und teilstationäre Pflege nicht ausreiche. Dieses Ergebnis folge auch aus der Gesetzessystematik. Durch die Begrenzung der Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI aF) auf längstens vier Wochen pro Kalenderjahr habe der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass Ersatz für eine häusliche Pflege längstens nur für diesen Zeitraum geleistet werden soll. Eine Ausdehnung der Kurzzeitpflege auf den häuslichen Bereich überspanne diesen Zeitraum. Dies widerspreche dem Willen des Gesetzgebers (Urteil vom 19.8.2013).

7

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Der Begriff der "anderen geeigneten Einrichtung" iS von § 42 Abs 3 SGB XI sei entsprechend dem Sinn und Zweck der Kurzzeitpflege weit auszulegen. Dazu zähle auch die Pflege des Klägers im häuslichen Wohnumfeld. Der Gesetzgeber habe in § 42 Abs 3 SGB XI auch Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen und andere geeignete Einrichtungen erfasst, weil die übliche vollstationäre Einrichtung der Pflege und den Bedürfnissen von Kindern oftmals nicht gerecht werde. Anders könnte das von § 42 SGB XI verfolgte Ziel, nicht erwerbsmäßige Pflegepersonen zu entlasten und den dauerhaften Wechsel der Pflegebedürftigen in eine vollstationäre Pflege zu vermeiden, nicht erreicht werden(Hinweis auf BT-Drucks 16/8525 S 97). Die Verhaltensstörungen des Klägers und die Unzumutbarkeit seiner Unterbringung in einer auswärtigen Einrichtung stünden der Kurzzeitpflege entgegen. Da § 42 Abs 3 SGB XI keine explizite Regelung enthalte, ob auch das häusliche Umfeld eine Einrichtung im Sinne der Norm sei, liege eine gesetzeswidrige Lücke vor, die über die Einbeziehung von zu Hause gepflegten Kindern, die den Anspruch auf Kurzzeitpflege nicht nutzen könnten, zu schließen sei. Dieser erweiterte Leistungsanspruch diene den Interessen der pflegebedürftigen Kinder und ihren Familien. Da die Verhinderungspflege in Kurzzeiteinrichtungen erfolgen könne, dürfe im Umkehrschluss auch die Kurzzeitpflege im häuslichen Bereich durchgeführt werden. Diese Auslegung trage dem Grundsatz des Vorrangs der häuslichen Pflege (§ 3 SGB XI) Rechnung und entspreche den Rechten des behinderten Kindes unter Berücksichtigung der Menschenwürde, des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit und auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art 1 und Art 2 GG).

8

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. August 2013 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Koblenz vom 15. November 2012 zurückzuweisen,
mit der Maßgabe festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt war, Leistungen der Kurzzeitpflege im häuslichen Wohnbereich des Klägers zu versagen.

9

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10

Sie verteidigt das angefochtene Berufungsurteil. Ergänzend führt sie aus, dass es ihrer Ansicht nach nicht auf die Frage ankomme, ob das häusliche Umfeld eine Einrichtung iS von § 42 Abs 3 SGB XI sei. Nach Ansicht der Beklagten scheitere der Anspruch schon daran, dass sich der Kläger nicht in einer "sonstigen Krisensituation" iS von § 42 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB XI befinde, denn für ihn komme nur die häusliche Pflege in Betracht. Das häusliche Umfeld sei aber auch keine geeignete Einrichtung im Sinne der Kurzzeitpflege. Im Übrigen liege auch keine planwidrige Regelungslücke vor, sodass eine analoge Anwendung von § 42 SGB XI ausscheide. Vorliegend beschränke sich die Problematik darauf, dass der Höchstbetrag für Leistungen der häuslichen Verhinderungspflege ausgeschöpft sei. Weitergehende Ansprüche aus dem Gedanken der Kompensation bzw des Ausgleichs sehe das Gesetz jedoch nicht vor.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Kurzzeitpflege in seiner häuslichen Wohnung zu. Dies hat das LSG zutreffend entschieden, sodass die Revision des Klägers gegen das Berufungsurteil zurückzuweisen war.

12

1. Die von Amts wegen zu prüfenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Es kann offenbleiben, ob die Vorinstanzen das Klagebegehren prozessrechtlich zutreffend ausgelegt haben (§ 123, § 153 Abs 1 SGG). Der ursprünglich im Verwaltungsverfahren geäußerte Wunsch des Klägers auf "Umwandlung" des Geldbetrags für Kurzzeit- in die Verhinderungspflege ist von den Vorinstanzen als Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) mit dem Inhalt einer Verurteilung zur Gewährung von Leistungen zur Kurzzeitpflege für eine mehrtägige Pflege zu Hause interpretiert worden. Ob dies dem Erfordernis eines Antrags auf eine konkretisierte Sachleistung bzw auf einen bezifferten Kostenerstattungsanspruch hinreichend gerecht wird (vgl dazu Senatsurteil vom 24.9.2002 - USK 2002-56; vgl auch BSGE 85, 287 = SozR 3-2500 § 33 Nr 37),mag offenbleiben. Selbst wenn die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zusätzlich beantragt hat, festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt war, Leistungen der Kurzzeitpflege im häuslichen Wohnbereich des Klägers zu versagen (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG), können die aufgezeigten Bedenken im Ergebnis dahinstehen. Die Klage ist nach der im Revisionsverfahren relevanten Rechtslage unter keinem Gesichtspunkt begründet.

13

2. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Leistungen der Kurzzeitpflege iS von § 42 SGB XI nach der bis zum 31.12.2014 maßgeblichen Gesetzeslage nicht zu (3.). Auch wenn eine Krisensituation in der häuslichen Pflege vorgelegen haben mag (4.), scheitert der Anspruch daran, dass der Kläger nicht in einer "anderen geeigneten Einrichtung", sondern im häuslichen Wohnbereich gepflegt wurde, der nicht die an eine Einrichtung zu stellenden strukturellen Anforderungen erfüllt (5.). Die erst während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen gesetzlichen Flexibilisierungs- und Kombinationsmöglichkeiten zwischen der Verhinderungs- und der Kurzzeitpflege können dem Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum noch keine erhöhten Leistungen verschaffen (6.). Verfassungsrechtliche Bedenken stehen dem nicht entgegen (7.).

14

3. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Anspruchs auf ein bestimmtes Verwaltungshandeln ist grundsätzlich die letzte mündliche Verhandlung in der Tatsacheninstanz (hier am 19.8.2013). Zu diesem Zeitpunkt war die Vorschrift der Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI in den bis zum 31.12.2014 gültigen Gesetzesfassungen in Kraft (idF des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes vom 28.5.2008, BGBl I 874 mWv 1.7.2008 bzw idF des Pflege-Neuausrichtungsgesetzes -PNG- vom 23.10.2012, BGBl I 2246 mWv 30.10.2012). Spätere, in der Revisionsinstanz eingetretene Rechtsänderungen sind zwar zu berücksichtigen, aber nur wenn das neue Gesetz nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfassen will (stRspr vgl BSGE 43, 1, 5 = BSG SozR 1500 § 131 Nr 4; BSG SozR 2200 § 355 Nr 1; BSGE 73, 25 = SozR 3-2500 § 116 Nr 4; BSGE 89, 294 = SozR 3-2500 § 111 Nr 3; BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 3). Das ist vorliegend nicht der Fall. Die den Kläger begünstigende, neue Rechtslage bei nicht genutzten Ansprüchen der Kurzzeitpflege (§ 39 Abs 3, § 42 Abs 2 SGB XI idF des Ersten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 17.12.2014 > , BGBl I 2222) ist erst zum 1.1.2015 in Kraft getreten.

15

Die im Streit stehende Kurzzeitpflege begründet aber kein über den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung fortwirkendes Dauerleistungsverhältnis. Dies ergibt sich schon aus der Bezeichnung dieser Leistungsart. § 42 Abs 1 Satz 2 SGB XI sieht die Kurzzeitpflege "für eine Übergangszeit" bzw in sonstigen Krisensituationen "vorübergehend" vor(anders die Dauerleistungen bei häuslicher Pflege nach §§ 36-38 SGB XI, vgl Senatsurteil vom 17.12.2009 - BSG SozR 4-3300 § 37 Nr 3 RdNr 14 mwN). Sie bedarf daher einer auf kurze Zeiträume gerichteten Bewilligung. Der maximale Bewilligungszeitraum ist auf vier Wochen pro Kalenderjahr beschränkt (§ 42 Abs 2 Satz 1 SGB XI). Für nachfolgende Zeiträume im nächsten Kalenderjahr ist eine gesonderte Bewilligung erforderlich. Auch wenn es dem Kläger darauf ankommt, dass ihm die Leistungen der Kurzzeitpflege nicht deshalb versagt werden, weil er sie im häuslichen Wohnbereich in Anspruch nehmen will, kann er keine durchgängige, zeitlich unbefristete Dauerleistung erhalten. Es ist vielmehr für jeden Bewilligungszeitraum eine gesonderte Verwaltungsentscheidung zu treffen. Aus diesem Grund ist der Streitzeitraum bis zur letzten mündlichen Verhandlung am 19.8.2013 beschränkt und reicht nicht - wie bei unbefristeten Dauerleistungen - darüber hinaus fort. Vorliegend wurden Leistungen der Kurzzeitpflege im November 2011 beantragt, über die das LSG zutreffend nach der bis 31.12.2014 gültigen Rechtslage (aF) entschieden hat.

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4. Der Anspruch auf Kurzzeitpflege setzt voraus, dass die häusliche Pflege zeitweise nicht, noch nicht oder nicht im erforderlichen Umfang erbracht werden kann und auch teilstationäre Pflege nicht ausreichend ist, sodass Anspruch auf Pflege in einer vollstationären Einrichtung besteht (§ 42 Abs 1 Satz 1 SGB XI). Dies gilt für eine Übergangszeit im Anschluss an eine stationäre Behandlung des Pflegebedürftigen oder in sonstigen Krisensituationen, in denen vorübergehend häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich oder nicht ausreichend ist (§ 42 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und Nr 2 SGB XI).

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Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist der Kläger durchgängig zu Hause in der Wohnung seiner erziehungsberechtigten Eltern gepflegt worden. Ausgehend von seiner Rechtsansicht hat das LSG zutreffend keine Feststellungen getroffen, ob im streitgegenständlichen Zeitraum eine Situation bzw eine Krise iS von § 42 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB XI vorlag, die häusliche oder teilstationäre Pflege unmöglich gemacht hat. Solche Konstellationen liegen in Zeiten der Krankheit, des Urlaubs oder einer sonstigen Verhinderung der Pflegeperson vor oder bei völligem Ausfall der bisherigen Pflegeperson oder kurzfristiger erheblicher Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit (vgl BT-Drucks 12/5262 zu § 38 - Kurzzeitpflege zu Absatz 1 S 115). Entgegen der Ansicht der Beklagten kann eine solche Situation unter Berücksichtigung der - nicht näher festgestellten - Angaben der Mutter des Klägers aber nicht generell verneint werden, die auf die besondere familiäre Belastung infolge der 24-stündigen notwendigen Betreuung ihres Sohnes hingewiesen hat und die die Kurzzeitpflege zur temporären Entlastung der häuslichen Pflegesituation wünscht.

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5. Bei Unmöglichkeit von häuslicher bzw teilstationärer Pflege - wobei letztere hier nicht in Betracht kommt - besteht nach § 42 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB XI Anspruch auf Pflege "in einer vollstationären Einrichtung". Der Anspruch auf Kurzzeitpflege ist als Sachleistung zur Verfügung zu stellen (vgl Leitherer in Kasseler Komm, Stand Einzelkommentierung Dezember 2014, § 42 SGB XI RdNr 11; vgl auch BT-Drucks 17/9369 zu Nummer 16: "der Anspruch auf die Sachleistung der Kurzzeitpflege", S 41). Nach § 42 Abs 3 Satz 1 SGB XI aF besteht abweichend hiervon der Anspruch auf Kurzzeitpflege in begründeten Einzelfällen bei zu Hause gepflegten Kindern bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres auch in geeigneten Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen und anderen geeigneten Einrichtungen, wenn die Pflege in einer von den Pflegekassen zur Kurzzeitpflege zugelassenen Pflegeeinrichtung nicht möglich ist oder nicht zumutbar erscheint. Der vorliegende Rechtsstreit konzentriert sich daher auf die Frage, ob die Pflege im häuslichen Wohnumfeld eine Kurzzeitpflege "in einer anderen geeigneten Einrichtung" ist. Hiergegen sprechen der Wortlaut (a), die Gesetzessystematik (b) das Regelungskonzept (c) und schließlich Sinn und Zweck der Norm (d).

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a) § 42 Abs 3 Satz 1 SGB XI aF enthält keine nähere Bestimmung des Begriffs der "anderen geeigneten Einrichtung". Allerdings enthält der Wortlaut der Norm die Gegenüberstellung von zu Hause gepflegten Kindern und solchen Kindern, die in geeigneten Einrichtungen gepflegt werden. Diese Differenzierung des Aufenthaltsorts deutet bereits darauf hin, dass der häusliche Bereich des pflegebedürftigen Kindes nicht mit einer geeigneten Einrichtung gleichzusetzen ist.

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b) Die im SGB XI angelegte strukturelle Unterscheidung zwischen häuslicher (ambulanter) Pflege und stationärer Pflege in Einrichtungen ergibt sich insbesondere aus der Gesetzessystematik. Leistungen der häuslichen Pflege finden sich zusammengefasst im Ersten Titel des Dritten Abschnitts des Vierten Kapitels über die Leistungen der Pflegeversicherung (§§ 36 bis 40 SGB XI). Hierzu zählt - neben der Pflegesachleistung und dem Pflegegeld - ua die häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson (§ 39 SGB XI). Kurzzeitpflege, wie auch Tages- und Nachtpflege sind hiervon getrennt im Zweiten Titel des Dritten Abschnitts zusammengefasst (in §§ 41 und 42 SGB XI), während die vollstationäre Pflege (§ 43 SGB XI) und die Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen (§ 43a SGB XI) jeweils in eigenen Titeln Drei und Vier im Dritten Abschnitt verortet sind. Aus dieser Gesetzessystematik ergibt sich, dass die Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI nicht zur häuslichen Pflege zählt, sondern als Vorstufe der zeitlich nicht befristeten vollstationären Pflege zuzuordnen ist. Zu letzterer zählt auch die Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen (§ 43a SGB XI). Diese Systematik entspricht § 3 SGB XI, der zwischen Leistungen der häuslichen und der stationären Pflege unterscheidet und den Grundsatz des Vorrangs der häuslichen Pflege aufstellt(ambulant vor stationär, vgl § 3 Satz 1 SGB XI). Leistungen der teilstationären und der Kurzzeitpflege gehen dabei den Leistungen der vollstationären Pflege vor (§ 3 Satz 2 SGB XI).

21

c) Unter Berücksichtigung des Regelungskonzepts im SGB XI erfordert die Pflege im häuslichen Bereich keine vergleichbare strukturelle Organisation, wie sie für die stationäre Pflege in Einrichtungen vorausgesetzt wird. Hierbei muss das häusliche Wohnumfeld des Pflegebedürftigen nicht auf die vorhandene Wohnung (Mietwohnung, Eigentumswohnung oder Eigenheim) begrenzt sein, weil - in der Abgrenzung zum dauerhaften oder kurzzeitigen Aufenthalt in einer stationären Einrichtung - jedes Wohnen in einem privaten häuslichen Bereich erfasst wird (vgl Senatsurteil vom 26.4.2001- SozR 3-3300 § 40 Nr 5 S 25).

22

aa) Zwar definiert das SGB XI nur Pflegeeinrichtungen iS von § 71 SGB XI(vgl dazu Senatsurteil vom 18.5.2011- SozR 4-3300 § 71 Nr 2 RdNr 27 ff mwN). "Pflegeeinrichtungen" ist der Oberbegriff für die durch Versorgungsverträge mit den Pflegekassen zugelassenen Pflegedienste und zugelassenen Pflegeheime (vgl § 72 SGB XI). Das Gesetz unterscheidet zwischen ambulanten Pflegeeinrichtungen (Pflegedienste), die als selbstständig wirtschaftende Einrichtungen, unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegekraft Pflegebedürftige in ihrer Wohnung pflegen und hauswirtschaftlich versorgen. Dem gegenüber stehen stationäre Pflegeeinrichtungen (Pflegeheime) im Sinne selbstständig wirtschaftender Einrichtungen, in denen Pflegebedürftige unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegekraft gepflegt werden und entweder ganztätig (vollstationär) oder tagsüber oder nachts (teilstationär) untergebracht und verpflegt werden können. Hierzu zählen auch zugelassene Einrichtungen der Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI(vgl Schütze in Udsching , 4. Aufl 2015, § 71 SGB XI RdNr 9; vgl auch Leitherer in Kasseler Komm, Stand Einzelkommentierung Dezember 2013, § 71 SGB XI RdNr 23). Sowohl ambulante als auch stationäre Pflegeeinrichtungen setzen voraus, dass eine Organisationsstruktur vorgehalten wird. Die zugelassene Pflegeeinrichtung zeichnet sich durch ein Mindestmaß an vorhandener organisatorischer Zusammenfassung von Personen und Sachmitteln aus (vgl Schütze aaO § 71 SGB XI RdNr 3, 14; vgl Leitherer aaO § 71 SGB XI RdNr 6).

23

bb) Von einem Mindestmaß an Organisationsstruktur kann aber auch bei anderen geeigneten Einrichtungen iS von § 42 Abs 3 SGB XI nicht abgesehen werden(vgl auch Leitherer aaO § 42 SGB XI RdNr 19). Zu diesen Einrichtungen zählen ua auch Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen (§ 43a SGB XI; vgl auch § 55 SGB XII), selbst wenn sie nicht dem Leistungserbringerrecht des SGB XI unterliegen (vgl § 71 Abs 4 SGB XI; vgl auch Senatsurteil vom 13.3.2001 - B 3 P 10/00 R - SozR 3-3300 § 38 Nr 2). Der im Sozialhilferecht verwendete Begriff der "Einrichtung" (vgl § 13 SGB XII) wird zudem ähnlich interpretiert. Die Einrichtung ist der in einer besonderen Organisationsform zusammengefasste Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist (vgl BSG vom 23.7.2015 - SozR 4-3500 § 98 Nr 3 RdNr 18; vom 13.7.2010 - BSGE 106, 264 = SozR 4-3500 § 19 Nr 2, RdNr 13 und bereits BVerwGE 95, 149, 152; BVerwG vom 24.2.1994 - FEVS 45, 52 und 45, 183; BVerwG ZfSH/SGB 1995, 535).

24

cc) Bei anderen geeigneten Einrichtungen iS von § 42 Abs 3 SGB XI wird die für die Kurzzeitpflege vorgehaltene Organisationsstruktur durch ein in § 42 Abs 3 Satz 3 und 4 SGB XI normiertes - vereinfachtes - Abrechnungsverfahren finanziert(anders bei nach § 72 SGB XI zugelassenen Pflegeheimen, vgl Senatsurteil vom 10.3.2011 - BSGE 108, 14 = SozR 4-3300 § 82 Nr 5; und zu § 43a vgl Senatsurteil vom 25.2.2015 - SozR 4-2500 § 37 Nr 13 RdNr 25 - für BSGE vorgesehen). Sind in dem Entgelt für die Einrichtung Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Aufwendungen für Investitionen enthalten, ohne gesondert ausgewiesen zu sein, so sind 60 vH des Entgelts zuschussfähig. In begründeten Einzelfällen kann die Pflegekasse in Ansehnung der Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie für Aufwendungen für Investitionen davon abweichende pauschale Abschläge vornehmen. Die Pflege im häuslichen Bereich - selbst durch ambulante Pflegeeinrichtungen - setzt aber keine vergleichsweise aufwändig zu finanzierende Organisationsstruktur voraus.

25

dd) Dem steht nicht entgegen, dass eine stationäre Einrichtung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§ 55 SGB XII) auch ein geeigneter Ort für häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V(idF des Gesetzes vom 26.3.2007, BGBl I 378) sein kann (so Senatsurteil vom 25.2.2015 - SozR 4-2500 § 37 Nr 13 RdNr 11 ff - für BSGE vorgesehen und vom 22.4.2015 - B 3 KR 16/14 R - Juris RdNr 21 ff). Die Erbringung von Kurzzeitpflege nach § 42 Abs 3 Satz 1 SGB XI unterscheidet sich von der häuslichen Krankenpflege ua dadurch, dass erstere nicht wie nach § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V "an einem geeigneten Ort", sondern wie ausgeführt "in anderen geeigneten Einrichtungen" durchgeführt werden muss. Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es daher auch nicht entscheidend darauf an, ob die ambulante häusliche Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI) andernorts als im häuslichen Umfeld erfolgen kann.

26

d) Entgegen der Ansicht des Klägers liegt keine planwidrige Gesetzeslücke vor. Dies belegt der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende Zweck von § 42 Abs 3 SGB XI aF, aus dem das Festhalten an der strukturellen Differenzierung zwischen stationärer Kurzzeitpflege in einer Einrichtung und häuslicher Pflege deutlich hervorgeht. Danach soll die erleichterte Kurzzeitpflege bei zu Hause gepflegten Kindern in anderen als von den Pflegekassen durch Versorgungsvertrag zugelassenen Einrichtungen grundsätzlich zur Bewältigung von Krisensituationen in der häuslichen Pflege dienen, weil bei pflegebedürftigen Kindern der Anspruch auf Kurzzeitpflege mangels ausreichend vorhandener zugelassener Kurzzeitpflegeeinrichtungen für Kinder häufig nicht zur Verfügung steht und faktisch ins Leere läuft, sodass im Ergebnis meist nur die Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI) zur Entlastung und zur Bewältigung von Krisensituationen in Anspruch genommen werden konnte. Als nicht zugelassene, dennoch geeignete Einrichtung werden beispielsweise Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen genannt. Geeignet für die Kurzzeitpflege sind danach Einrichtungen, die mit einem Sozialleistungsträger eine Leistungsvereinbarung abgeschlossen haben und in der Lage sind, die Pflege für die Dauer der Kurzzeitpflege ggf auch unter Einbeziehung externer Unterstützung, etwa durch einen ambulanten Pflegedienst, sicherzustellen (vgl BT-Drucks 16/8525 zu Nummer 22 <§ 42> S 97). Diese Öffnung des Anspruchs auf Kurzzeitpflege zielt nicht darauf ab, den Aufenthalt von behinderten Menschen in Einrichtungen der Behindertenhilfe jeweils für vier Wochen zu finanzieren, dadurch dass vier Wochen im Jahr als Kurzzeitpflege deklariert werden (vgl BT-Drucks 16/8525 aaO).

27

Für die vom Kläger vertretene Sichtweise, dass er sein Klagbegehren auf die oben genannten Gesetzmaterialien stützen könne, ergeben sich keine tragfähigen Anhaltspunkte. Die Erleichterung der häuslichen Pflegesituation und Entlastung der Familie mittels einer temporären stationären Unterbringung des zu Hause gepflegten Pflegebedürftigen in einer geeigneten Einrichtung dient letztlich auch der Stärkung der dauerhaften häuslichen Pflege.

28

6. Auf die tatsächlichen Schwierigkeiten einer zeitweiligen auswärtigen Unterbringung in geeigneten Einrichtungen hat der Gesetzgeber - über die in § 42 Abs 3 Satz 1 SGB XI aF eingeführte Öffnung der Kurzzeitpflege für nicht zugelassene Einrichtungen - mit einem neuen Gesetzeskonzept bei zu Hause gepflegten, auch erwachsenen Pflegebedürftigen reagiert. Er hat bis dahin nicht vorgesehene gesetzliche Flexibilisierungs- und Kombinationsmöglichkeiten zwischen Ansprüchen der Verhinderungspflege nach § 39 Abs 3 SGB XI und denen der Kurzzeitpflege nach § 42 Abs 2 Satz 3 bis 5 SGB XI unter gegenseitiger Anrechnung der Erhöhungsbeträge eingeführt(durch das Erste Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 17.12.2014 , BGBl I 2222). Dies zeigt zugleich, dass die vom Kläger erwünschte Kurzzeitpflege in häuslicher Umgebung auch nach aktueller Rechtslage nicht möglich ist, weil die aufgezeigte strukturelle Trennung von häuslicher Pflege und (stationärer) Pflege in Einrichtungen nach neuem Recht beibehalten worden ist.

29

Seit 1.1.2015 kann die - hier nicht streitgegenständliche - Verhinderungspflege für sechs Wochen (anstelle von bisher vier Wochen) im Kalenderjahr in Anspruch genommen werden. Ergänzend zum Leistungsbetrag für die Verhinderungspflege können zudem bis zu 50 % des Kurzzeitpflegebetrags nach § 42 Abs 2 Satz 2 SGB XI (= 806 Euro) für häusliche Verhinderungspflege genutzt werden. Dies kommt insbesondere den Anspruchsberechtigten zugute, die eine längere Ersatzpflege benötigen und für die es keine Betreuung in einer geeigneten vollstationären Kurzzeitpflegeeinrichtung gibt und somit der Anspruch nach § 42 SGB XI bisher nicht genutzt werden konnte. Auch Pflegebedürftige und deren Angehörige, die eine stundenweise Verhinderungspflege nutzen, werden durch die Erweiterung des Zeitrahmens auf sechs Wochen und die Nutzbarkeit des 50%igen Kurzzeitpflegebetrags bessergestellt (vgl BT-Drucks 18/1798 zu Nummer 9 <§ 39> S 26 f). Bei einer Ersatzpflege durch Pflegepersonen, die mit dem Pflegebedürftigen verwandt oder verschwägert sind oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben, wird die verlängerte Verhinderungspflege ebenfalls flexibler ausgestaltet. Die Aufwendungen sind dann grundsätzlich auf den 1,5fachen Betrag des Pflegegeldes der festgestellten Pflegestufe nach § 37 Abs 1 Satz 3 SGB XI beschränkt(vgl BT-Drucks 18/1798 zu Nummer 9 <§ 39> S 27).

30

Die Beklagte hat sich hinsichtlich dieser neuen Rechtslage und des hier nicht streitgegenständlichen Zeitraums in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bereit erklärt, nachgewiesene Kosten einer notwendigen Ersatzpflege iS von § 39 Abs 1 SGB XI aus nicht in Anspruch genommenen Mitteln der Kurzzeitpflege nach § 42 Abs 2 Satz 2 SGB XI bis zur Ausschöpfung des gesetzlichen Maximalbetrags nach § 39 Abs 3 Satz 1 SGB XI dem Kläger zu erstatten. Damit können die Leistungen um bis zu 806 Euro auf insgesamt 2418 Euro pro Jahr erhöht werden.

31

7. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen dem fehlenden Anspruch des Klägers auf Leistungen der Kurzzeitpflege nach der bis zum 31.12.2014 gültigen Rechtslage nicht entgegen. Die Revision hat keine Gründe substantiiert vorgetragen, die auf eine Grundrechtsverletzung des Klägers (Art 1 Abs 1 GG bzw Art 2 Abs 1 GG) oder seiner Familie (Art 6 Abs 1 GG) hindeuten könnten. Allein der Wunsch nach einer höheren Unterstützung in der häusliche Pflege begründet keine Verfassungswidrigkeit des Normkonzepts. Die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit ist besonders groß, wenn ein Sozialleistungssystem - wie die soziale Pflegeversicherung - ohnehin nur die Teilabsicherung eines Risikos bewirken soll (vgl auch BVerfGE 103, 242, 244) und auch Lücken im Leistungskatalog unter bestimmten Voraussetzungen teilweise anderweitig geschlossen werden können. Auch das BVerfG prüft regelmäßig nicht, ob der Gesetzgeber unter mehreren möglichen Lösungen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat (vgl BVerfGE 81, 156, 206). Ebenso wenig kann im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung darauf abgestellt werden, was aus Sicht der Menschen, die einen nachvollziehbaren Unterstützungsbedarf haben, und aus der Sicht ihrer Angehörigen wünschenswert oder gar unerlässlich erscheint (so BVerfG vom 22.5.2003 - 1 BvR 1077/00 - SozR 4-3300 § 14 Nr 1). Der Gesetzgeber ist im Übrigen den Wünschen nach Entlastung der Familien von Zuhause gepflegten Pflegebedürftigen durch die aufgezeigten Gesetzesänderungen im bestimmten Umfang nachgekommen. Nicht zu übersehen ist, dass das PSG I - neben den Kombinationsmöglichkeiten zwischen Verhinderungs- und Kurzzeitpflege - nicht nur die Leistungsbeträge dynamisiert hat, sondern auch bestehende Betreuungsleistungen in der ambulanten Pflege ausgebaut und Entlastungsleistungen zugunsten Pflegebedürftiger und ihrer Angehörigen eingeführt hat, um die Bereitschaft der häuslichen Versorgung hilfebedürftiger Menschen zu stärken (vgl BT- Drucks 18/1798, S 17).

32

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Leiden Versicherte am 1. August 2017 an einer Krankheit nach den Nummern 1320, 1321, 2115, 4104 (Eierstockkrebs) oder 4113 (Kehlkopfkrebs) der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn sie vor diesem Tag eingetreten ist.

(2) Leiden Versicherte am 1. Januar 2015 an einer Krankheit nach Nummer 1319, 2113, 2114 oder 5103 der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn sie vor diesem Tag eingetreten ist.

(3) Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 2112, 4114 oder 4115 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. September 2002 eingetreten ist. Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 4113 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. November 1997 eingetreten ist. Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 1318 der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall vor diesem Tag eingetreten ist.

(4) Leidet ein Versicherter am 1. Oktober 2002 an einer Krankheit nach Nummer 4112 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. November 1997 eingetreten ist. Satz 1 gilt auch für eine Krankheit nach Nummer 2106 der Anlage 1, wenn diese nicht bereits nach der Nummer 2106 der Anlage 1 in der am 1. Dezember 1997 in Kraft getretenen Fassung als Berufskrankheit anerkannt werden kann.

(5) Leidet ein Versicherter am 1. Dezember 1997 an einer Krankheit nach Nummer 1316, 1317, 4104 (Kehlkopfkrebs) oder 4111 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten ist. Abweichend von Satz 1 ist eine Erkrankung nach Nummer 4111 der Anlage 1 auch dann als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn die Erkrankung bereits vor dem 1. Januar 1993 eingetreten und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31. Dezember 2009 bekannt geworden ist.

(6) Hat ein Versicherter am 1. Januar 1993 an einer Krankheit gelitten, die erst auf Grund der Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 18. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2343) als Berufskrankheit anerkannt werden kann, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. März 1988 eingetreten ist.

(7) Hat ein Versicherter am 1. April 1988 an einer Krankheit gelitten, die erst auf Grund der Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 22. März 1988 (BGBl. I S. 400) als Berufskrankheit anerkannt werden kann, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1976 eingetreten ist.

(8) Bindende Bescheide und rechtskräftige Entscheidungen stehen der Anerkennung als Berufskrankheit nach den Absätzen 1 bis 7 nicht entgegen. Leistungen werden rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren erbracht; der Zeitraum ist vom Beginn des Jahres an zu rechnen, in dem der Antrag gestellt worden ist.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1.
Beschäftigte,
2.
Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
3.
Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind,
4.
behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
5.
Personen, die
a)
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
b)
im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige sind,
c)
in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
d)
ehrenamtlich in Unternehmen tätig sind, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
e)
ehrenamtlich in den Berufsverbänden der Landwirtschaft tätig sind,
wenn für das Unternehmen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig ist.
6.
Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
7.
selbständig tätige Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeugs gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigen, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
8.
a)
Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen, während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 des Achten Buches sowie während der Teilnahme an vorschulischen Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt,
b)
Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
c)
Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
9.
Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
10.
Personen, die
a)
für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
b)
für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
11.
Personen, die
a)
von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen werden,
b)
von einer dazu berechtigten öffentlichen Stelle als Zeugen zur Beweiserhebung herangezogen werden,
12.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen,
13.
Personen, die
a)
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
b)
Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden,
c)
sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
d)
Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben
aa)
einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder
bb)
einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung
ausgeübt werden,
14.
Personen, die
a)
nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,
b)
an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird,
15.
Personen, die
a)
auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten,
b)
zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen,
c)
auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung teilnehmen,
d)
auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse oder eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen,
16.
Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes oder entsprechender landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
17.
Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 des Elften Buches genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches.

(1a) Versichert sind auch Personen, die nach Erfüllung der Schulpflicht auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung im Dienst eines geeigneten Trägers im Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und für die Dauer von mindestens sechs Monaten als Freiwillige einen Freiwilligendienst aller Generationen unentgeltlich leisten. Als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet sind inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts oder unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallende Einrichtungen zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung), wenn sie die Haftpflichtversicherung und eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Stunden je Jahr sicherstellen. Die Träger haben fortlaufende Aufzeichnungen zu führen über die bei ihnen nach Satz 1 tätigen Personen, die Art und den Umfang der Tätigkeiten und die Einsatzorte. Die Aufzeichnungen sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Satz 1 gilt auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund einer strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden.

(3) Absatz 1 Nr. 1 gilt auch für

1.
Personen, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder der Länder oder bei deren Leitern, Mitgliedern oder Bediensteten beschäftigt und in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 des Sechsten Buches pflichtversichert sind,
2.
Personen, die
a)
im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes Entwicklungsdienst oder Vorbereitungsdienst leisten,
b)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. August 2007 (BAnz. 2008 S. 1297) leisten,
c)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie Internationaler Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Dezember 2010 (GMBl S. 1778) leisten,
3.
Personen, die
a)
eine Tätigkeit bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation ausüben und deren Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst während dieser Zeit ruht,
b)
als Lehrkräfte vom Auswärtigen Amt durch das Bundesverwaltungsamt an Schulen im Ausland vermittelt worden sind oder
c)
für ihre Tätigkeit bei internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention als Sekundierte nach dem Sekundierungsgesetz abgesichert werden.
Die Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a und c erstreckt sich auch auf Unfälle oder Krankheiten, die infolge einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft eintreten oder darauf beruhen, dass der Versicherte aus sonstigen mit seiner Tätigkeit zusammenhängenden Gründen, die er nicht zu vertreten hat, dem Einflussbereich seines Arbeitgebers oder der für die Durchführung seines Einsatzes verantwortlichen Einrichtung entzogen ist. Gleiches gilt, wenn Unfälle oder Krankheiten auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei der Tätigkeit oder dem Einsatz im Ausland zurückzuführen sind. Soweit die Absätze 1 bis 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie abweichend von § 3 Nr. 2 des Vierten Buches für alle Personen, die die in diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben; § 4 des Vierten Buches gilt entsprechend. Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

(4) Familienangehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 Buchstabe b sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade,
3.
Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches)
der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner.

(1) Die Satzung kann bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen sich die Versicherung erstreckt auf

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
2.
Personen, die sich auf der Unternehmensstätte aufhalten; § 2 Absatz 3 Satz 4 erster Halbsatz gilt entsprechend,
3.
Personen, die
a)
im Ausland bei einer staatlichen deutschen Einrichtung beschäftigt werden,
b)
im Ausland von einer staatlichen deutschen Einrichtung anderen Staaten zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt werden;
Versicherungsschutz besteht nur, soweit die Personen nach dem Recht des Beschäftigungsstaates nicht unfallversichert sind,
4.
ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich Engagierte,
5.
Kinder und Jugendliche während der Teilnahme an Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt.

(2) Absatz 1 gilt nicht für

1.
Haushaltsführende,
2.
Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien oder Imkereien und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
3.
Personen, die aufgrund einer vom Fischerei- oder Jagdausübungsberechtigten erteilten Erlaubnis als Fischerei- oder Jagdgast fischen oder jagen,
4.
Reeder, die nicht zur Besatzung des Fahrzeugs gehören, und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner.

(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien, von nicht gewerbsmäßig betriebenen Unternehmen nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 und ihre Ehegatten oder Lebenspartner sowie Fischerei- und Jagdgäste,
2.
Personen, die in Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
3.
gewählte oder beauftragte Ehrenamtsträger in gemeinnützigen Organisationen,
4.
Personen, die in Verbandsgremien und Kommissionen für Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften sowie anderen selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- oder berufspolitischer Zielsetzung (sonstige Arbeitnehmervereinigungen) ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
5.
Personen, die ehrenamtlich für Parteien im Sinne des Parteiengesetzes tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen.
In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 kann auch die Organisation, für die die Ehrenamtsträger tätig sind, oder ein Verband, in dem die Organisation Mitglied ist, den Antrag stellen; eine namentliche Bezeichnung der Versicherten ist in diesen Fällen nicht erforderlich. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 4 und 5 gilt Satz 2 entsprechend.

(2) Die Versicherung beginnt mit dem Tag, der dem Eingang des Antrags folgt. Die Versicherung erlischt, wenn der Beitrag oder Beitragsvorschuß binnen zwei Monaten nach Fälligkeit nicht gezahlt worden ist. Eine Neuanmeldung bleibt so lange unwirksam, bis der rückständige Beitrag oder Beitragsvorschuß entrichtet worden ist.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. März 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung der Berufskrankheit "Druckschädigung der Nerven" nach der Nummer 2106 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BK 2106).

2

Der 1952 geborene Kläger war seit 1970 als mithelfendes Familienmitglied auf einem Obstbauernhof erwerbstätig. 1985 übernahm er dieses Unternehmen und führte es bis 2004. Im Jahre 2002 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er seit 1997 an Beschwerden im Bereich des Halses und der linken Schulter mit Ausstrahlung in den linken Arm und Brustkorb leide, was er auf seine berufliche Tätigkeit zurückführe. Die Beklagte lehnte die Anerkennung einer BK 2106 ab (Bescheid vom 7.10.2003, Widerspruchsbescheid vom 1.2.2005).

3

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 5.5.2010 die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, das Thoracic-Outlet-Syndrom (TOS) ab 10.11.2005 als BK 2106 anzuerkennen und den Kläger mit einer Verletztenrente nach einer MdE von 25 vH zu entschädigen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG durch Urteil vom 27.3.2014 den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben sowie die Klage ab- und die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Beim Kläger lasse sich das Vorliegen einer BK 2106 nicht feststellen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der ersten Instanz sei zwar davon auszugehen, dass beim Kläger ein TOS vorliege. Zweifelhaft erscheine hingegen, ob der Kläger die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2106 erfülle. Letztlich könnten diese Zweifel jedoch dahinstehen, weil das beim Kläger festgestellte TOS nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch seine Tätigkeit als Obstbauer und insbesondere nicht durch das Tragen einer Pflückschürze bei der Apfelernte verursacht worden sei. Es spreche insbesondere gegen den ursächlichen Zusammenhang, dass das TOS nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. F. kein Störungsbild sei, bei dem die Nervenfasern durch direkte Einwirkung von außen geschädigt werden, sondern es sich vielmehr um ein Engpasssyndrom handele. Die Besonderheit des TOS liege darin, dass die Reibung nicht durch Druck von außen, sondern durch die körpereigenen Strukturen selbst verursacht werde, während die unter die BK 2106 fallenden Krankheitsbilder typischerweise durch eine Bedrückung des Nerven in Gelenknähe bedingt durch die unphysiologische Beanspruchung des Gelenks geprägt seien. Die anders lautende Einschätzung des Sachverständigen Dr. K. überzeuge nicht, weil dieser selbst dargelegt habe, dass es in der medizinischen Wissenschaft kaum Literatur zur Beurteilung exogener Einflüsse auf die Verursachung eines TOS gebe. Dies erlaube zwar nicht den Umkehrschluss, dass die Entstehung eines TOS durch äußere Belastung nicht möglich sei. Für die Anerkennung einer BK 2106 genüge die bloße Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs jedoch nicht. Nach der Rechtsprechung des BSG sei bei der Beurteilung von Ursachenzusammenhängen der jeweils neueste anerkannte Stand des einschlägigen Erfahrungswissens zugrundezulegen. Wenn sich nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Amtsermittlung ein solcher von der Mehrheit der Fachwissenschaftler anerkannter neuester Erfahrungsstand nicht feststellen lasse, komme grundsätzlich eine Entscheidung nach Beweislast in Betracht. Der Kläger trage hier die Beweislast für die berufliche Verursachung seiner Erkrankung. Dass das Merkblatt zur BK 2106 auch das Krankheitsbild des TOS als durch arbeitsbedingte Belastungen verursachte Druckschädigung der Nerven nenne, führe nicht zu einer anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Den Merkblättern komme nur die Bedeutung einer Informationsquelle für die Praxis zu, ohne dass sie rechtliche Verbindlichkeit hätten. Schließlich spreche gegen eine Verursachung des beim Kläger vorliegenden TOS durch seine frühere Tätigkeit als Obstbauer, dass nach den Angaben der Beklagten in den Jahren 2002 bis 2008 zwar sechs Verdachtsfälle eines TOS als BK 2106 der DGUV gemeldet worden seien, sich hierunter jedoch kein Angehöriger der Berufsgruppe des Klägers befunden habe. Bei gleichartigen Arbeitsmethoden sei hinsichtlich des Einsatzes von Pflückschürzen statistisch mit dem Auftreten weiterer TOS-Erkrankungen zu rechnen gewesen.

4

Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 9 Abs 1 SGB VII iVm BK 2106. Das LSG habe sein Urteil im Wesentlichen auf das in erster Instanz eingeholte Gutachten des Dr. F. gestützt, nach dem das Vorliegen der BK 2106 einen Druck von außen voraussetze. Damit habe das LSG zu Unrecht die Formulierung "Druckschädigung der Nerven" ausschließlich einer Druckeinwirkung von außen gleichgestellt. Tatsächlich habe der Verordnungsgeber Nervenschädigungen sowohl durch Druck von außen als auch von innen berücksichtigen wollen, wie der wissenschaftlichen Begründung des Ärztlichen Sachverständigenrates beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Sektion Berufskrankheiten vom 1.8.2001 zu entnehmen sei. Unter Ziffer 3 dieser wissenschaftlichen Begründung werde das TOS ausdrücklich als typisches Krankheitsbild der BK 2106 genannt. Soweit es sich auf die Stellungnahme des Dr. S. stütze, der das Vorliegen eines TOS verneint habe, habe das LSG nicht ohne Verstoß gegen die Denkgesetze einerseits das Vorliegen eines TOS annehmen, andererseits aber deren Ablehnung als BK mit der Auffassung des Dr. S. begründen können. Auch der Verweis auf die Statistiken der DGUV habe angesichts der Vielzahl an Berufsgruppen, bei denen das Vorliegen eines beruflich bedingten TOS in Betracht komme, keinerlei Aussagekraft.

5

Der Kläger beantragt,

1.    

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. März 2014 aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

2.    

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 5. Mai 2010 zu ändern und ihm Verletztenrente in Höhe von mehr als 25 vH zu bewilligen.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Zutreffend sei das LSG davon ausgegangen, dass ein TOS in der Ausprägung des Syndroms der kosto-klavikulären Enge nicht zu den von der BK 2106 erfassten Krankheiten zähle, weil dieses nicht durch Druck von außen, sondern durch körpereigene Strukturen verursacht werde. Im Übrigen komme weder der wissenschaftlichen Begründung noch den Merkblättern rechtliche Verbindlichkeit zu.

Entscheidungsgründe

8

Die statthafte und zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung durch den Senat nicht aus. Weder lässt sich danach beurteilen, welchen versicherten Einwirkungen iS der BK 2106 der Kläger im Einzelnen unterlegen ist noch ob diese nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft geeignet waren, das beim Kläger bestehende (aber noch näher zu spezifizierende) TOS zu verursachen, das ebenfalls in seiner konkreten Ausprägung nicht festgestellt ist.

9

Die erhobenen Klagen sind als Anfechtungsklage gegen die ablehnenden Entscheidungen in dem Bescheid vom 7.10.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.2.2005, verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Klage und der auf Verurteilung zu der abgelehnten Rentenzahlung gerichteten unechten Leistungsklage zulässig (BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 14).

10

Rechtsgrundlage für die Anerkennung der BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm BK 2106. BK 2106 (in der mit Wirkung vom 1.10.2002 geltenden Fassung vom 5.9.2002 ) lautet: "Druckschädigungen der Nerven". Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK (Versicherungsfall) erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität ) und diese Einwirkungen eine Krankheit (dazu unter B) verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität ). Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (zuletzt Urteile des erkennenden Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 10, B 2 U 10/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6 RdNr 11 sowie B 2 U 20/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8 RdNr 10; s auch BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN; BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall).

11

A. Nach den bindenden Feststellungen des LSG arbeitete der Kläger neben seiner Beschäftigung als Schriftsetzer und medizinisch-technischer Assistent seit 1970 als mithelfendes Familienmitglied auf einem Obstbauernhof, den er zum 1.10.1985 übernahm und bis 2004 führte. Er war daher bei dieser Tätigkeit "Versicherter" iS von zunächst § 2 Abs 1 Nr 5b SGB VII und sodann § 2 Abs 1 Nr 5a SGB VII.

12

Den Feststellungen des LSG lässt sich noch hinreichend entnehmen, dass der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit der durch das Tatbestandsmerkmal "Druckschädigung ..." in der BK 2106 vorausgesetzten Einwirkung "Druck" in Form des Tragens einer mit bis zu 20 kg Äpfel gefüllten Pflückschürze während 8 bis 10 Wochen im Jahr unterlag. Der Tatbestand der BK 2106 enthält darüber hinaus keine normativen Vorgaben in Form einer Dosis oder Mindestdauer der erforderlichen Einwirkung.

13

B. Beim Kläger besteht auch nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) eine Schädigung der Nerven als vom Verordnungstext vorausgesetzte Erkrankung in Form eines TOS, wenngleich das LSG die konkrete Variante dieses Symptoms nicht festgestellt hat (hierzu noch unter C).

14

Bei der BK 2106 handelt es sich um eine sog offene BK-Bezeichnung (vgl Spellbrink, BPUVZ 2012, 360, 362; ders SozSich 2013, 431 f; Bieresborn, NZS 2008, 354, 359), bei der die erforderliche Erkrankung nicht präzise umschrieben, sondern nur eine Krankheitsgruppe, nämlich "Druckschädigungen der Nerven", genannt wird. Anerkennungsfähig sind mithin hier alle Krankheiten dieser Gruppe, die durch die betreffende Einwirkung potentiell verursacht werden können. Um ein bestimmtes Krankheitsbild aus dem Schutzbereich dieser BK ausschließen zu können, muss demgegenüber feststehen, dass entweder diese Krankheit nach dem Willen des Verordnungsgebers nicht vom Schutzbereich der Norm umfasst sein sollte oder durch die jeweilige Einwirkung nicht verursacht werden kann. Ein solcher Ausschluss kann sich nur aus den Verordnungsmaterialien oder der wissenschaftlich festgestellten und allgemein anerkannten Wirkungsweise bestimmter Belastungen oder Expositionen ergeben (vgl Becker in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky/Heinz, SGB VII, § 9 RdNr 149 f).Dabei genügt es nicht, diejenigen Erkenntnisse zugrundezulegen, die den Verordnungsgeber zur Aufnahme der Krankheit in die BK-Liste bewogen haben, sondern es sind die fortschreitenden Erkenntnisse der Wissenschaft hinsichtlich der Wirkungsweise der genannten Einwirkung zur Bestimmung des Schutzbereichs zugrundezulegen (s BSG vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 240 Nr 1, RdNr 15, zum Kehlkopfkarzinom nach ionisierenden Strahlen).

15

Beim TOS, das auch als neurovaskuläres oder Schultergürtel-Kompressionssyndrom bezeichnet wird, handelt es sich laut ICD-10, G54.1 um eine durch äußeren oder inneren Druck bewirkte Läsion des Plexus brachialis. Dass dieses Erkrankungsbild nach dem Willen des VO-Gebers nicht vom Schutzbereich der BK 2106 erfasst sein soll, lässt sich weder den Verordnungsmaterialien noch der wissenschaftlich festgestellten und allgemein anerkannten Wirkungsweise bestimmter Belastungen oder Expositionen entnehmen. So wird das TOS sowohl in der wissenschaftlichen Begründung (Wissenschaftliche Begründung zur BK Nr 2106: Druckschädigung der Nerven, Bekanntmachung des BMA vom 1.8.2001 - IVa 4-45222-2106; BArbBl 9/2001, S 59-63; 1.3.2.1.) als auch im Merkblatt (Bekanntmachung des BMA vom 1.10.2002, BArbBl 11/2002, S 62) ausdrücklich unter der Rubrik "Nervenschaden an der oberen Extremität" als "Armplexusschaden im Wurzelbereich (C4) C5-Th1" in Form einer "Engpassproblematik im Bereich der Skalenuslücken, der kosto-klavikulären Passage und/oder des Korakoids" aufgelistet. Dies zeigt, dass bei Einführung der BK 2106 mit dem jetzigen Wortlaut der für die wissenschaftliche Begründung von BKen maßgebliche Ärztliche Sachverständigenbeirat - Sektion "Berufskrankheiten" - beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung davon ausging, dass dieses Krankheitsbild vom Schutzbereich der BK 2106 umfasst sein sollte.

16

Zutreffend hat das LSG zwar darauf hingewiesen, dass diese Merkblätter weder verbindliche Konkretisierungen der Tatbestandsvoraussetzungen der BK noch antizipierte Sachverständigengutachten oder eine Dokumentation des Standes der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft sind (BSG vom 11.8.1998 - B 2 U 261/97 B - HVBG-Info 1999, 1373). Sie sind jedoch als Interpretationshilfe und zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands heranzuziehen (zuletzt BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8 RdNr 15; BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 6/04 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 5 RdNr 15; BSG vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1, RdNr 17 mwN; BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 85 = NZS 2001, 605, 606; s auch BSG vom 22.8.2000 - B 2 U 34/99 R - SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 2).

17

Anhaltspunkte dafür, dass inzwischen neuere wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, nach denen ein TOS nicht durch Druckbelastung verursacht werden kann und dementsprechend als anerkennungsfähiges Krankheitsbild aus dem Schutzbereich der BK 2106 ausscheidet, wurden dem Senat weder vorgetragen noch sind sie gerichtsbekannt. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats sind die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für alle einschlägigen BKen-Fälle gleichermaßen von Bedeutung sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands auch revisionsrechtlich überprüfbar (zuletzt BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 20, B 2 U 10/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6 RdNr 20, B 2 U 20/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8 RdNr 33; dort auch mit Nachweisen zur älteren Senatsrechtsprechung und zur Rechtsprechung anderer Senate des BSG). Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also, von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (vgl zuletzt BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 22; BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291, 295 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20).

18

Der Senat hat bereits in anderem Zusammenhang entschieden, dass einzelne Gegenstimmen nicht geeignet sind, einen einmal gebildeten wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erschüttern, solange nicht die Mehrheit der Fachwissenschaftler den Erkenntnisstand aufkündigt. Diese Ausführungen bezogen sich zwar auf einen durch schriftliche Konsensempfehlungen konkretisierten wissenschaftlichen Erkenntnisstand (s jeweils zur BK 2108 BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6 sowie BSG vom 25.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 22), sie gelten aber auch bei anderen BKen für die in der wissenschaftlichen Begründung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, in Merkblättern und in der einschlägigen Fachliteratur geäußerten wissenschaftlichen Meinungen. Aus diesen Quellen folgt, dass ein TOS zumindest in den dort genannten Varianten des Krankheitsbildes durch äußeren Druck verursacht werden kann. Die einzige Quelle dafür, dass der dort zum Ausdruck kommende wissenschaftliche Erkenntnisstand veraltet sein könnte und daher nicht zugrunde gelegt werden dürfte, scheint das Gutachten des Dr. F. zu sein. Dieser behauptet ohne kritische Auseinandersetzung mit dem Inhalt der oben aufgeführten anderslautenden wissenschaftlichen Begründung, ein TOS könne ausschließlich durch innere Reibung ohne äußeren Druck verursacht werden. Dieser Aussage ist dann aber letztlich auch das LSG nicht gefolgt, weil es selbst die Verursachung eines TOS durch äußere Belastungen zumindest für möglich hält. Eine Änderung des in der wissenschaftlichen Begründung sowie in dem Merkblatt manifestierten Erkenntnisstands konnte das LSG schließlich auch nicht aus der Aussage des Sachverständigen Dr. K. ableiten, dass kaum Literatur zur Verursachung des TOS durch äußere Druckeinwirkung existiere.

19

C. Der Senat kann mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen aber nicht entscheiden, ob das LSG zu Recht den Ursachenzusammenhang zwischen den gefährdenden Einwirkungen iS der BK 2106 und dem festgestellten TOS verneint hat. Für die Anerkennung einer BK im konkreten Einzelfall ist neben der Kausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Für die streitige BK 2106 bedeutet dies, dass das beim Kläger festgestellte TOS durch die im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit erfolgte Einwirkung von Druck verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im BKen-Recht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (s zum Arbeitsunfall die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 34 ff sowie BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; zu BKen s BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - juris RdNr 32; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 sowie - B 2 U 26/04 R - juris RdNr 17), die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestands fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils die Versicherung begründenden Norm zu beurteilen (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - ; BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff).

20

Vorliegend kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht entscheiden, ob im Fall des Klägers die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine positive Kausalitätsbeurteilung vorliegen, die das LSG - aus seiner Sicht konsequent - hat dahinstehen lassen (dazu unter 1.), sowie ob das LSG zu Recht die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen verneint hat (dazu unter 2.).

21

1. Der Senat kann anhand der Feststellungen des LSG nicht entscheiden, ob die (weiteren) arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine Anerkennung des TOS als BK 2106 gegeben sind. Bei den arbeitstechnischen Voraussetzungen handelt es sich um ein Element der Anspruchsprüfung einer BK, das zwei miteinander in Zusammenhang stehende Aspekte umfasst: das Vorhandensein der hier gegebenen (s oben A.) tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen und die Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung (BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8 RdNr 13; vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 179, 193). Eine wissenschaftlich begründete Ursachenbeurteilung erfordert, dass neben der Feststellung der vorliegenden Gesundheitsstörungen klar festgestellt wird, worin das oder die schädigenden Ereignisse lagen. Dem Urteil des LSG ist lediglich zu entnehmen, dass der Kläger im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit 8 bis 10 Wochen pro Jahr Kernobst mittels einer ca 20 kg Obst fassenden Pflückschürze geerntet hat.

22

Das Urteil des LSG enthält jedoch keine Feststellungen dazu, an welcher Stelle des Körpers die Druckeinwirkung erfolgte, insbesondere ob sich diese in Nähe des unteren Plexus brachialis befindet, den das LSG offenbar als geschädigt ansieht. Ohne diesbezügliche exakte Feststellung des oder der schädigenden Ereignisse und der naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhänge hinsichtlich der geltend gemachten Gesundheitsstörung kann eine zuverlässige Ursachenbeurteilung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und in Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache nicht erfolgen, weil die Ereignisse und Ursachen nicht zueinander in Verhältnis gesetzt und nicht in die Krankheitsgeschichte des Verletzten eingeordnet werden können (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 30).

23

Dies gilt umso mehr, als nach der einschlägigen arbeitsmedizinischen Literatur für das Vorliegen einer BK 2106 eine eindeutige Beziehung zwischen der Lokalisation des einwirkenden Drucks und dem anatomisch zuzuordnenden klinisch-neurologischen Befund kennzeichnend ist (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, S 232). Erst wenn diesbezügliche Feststellungen nachgeholt wurden, kann entschieden werden, ob eine Dauer dieser belastenden Tätigkeit von 8 bis 10 Wochen im Jahr bei ebenfalls noch festzustellender Tagesdauer geeignet war, das beim Kläger bestehende Krankheitsbild zu verursachen. Hierbei wird das LSG zu beachten haben, dass weder der Verordnungstext, noch die wissenschaftliche Begründung zur Abänderung des VO-Textes der BK 2106 (Druckschädigung der Nerven, Bekanntmachung des BMA vom 1.8.2001 - IVa 4-45222-2106; BArbBl 9/2001, S 59-63; 1.3.2.1.), das hierzu zuletzt veröffentlichte Merkblatt (Bekanntmachung des BMA vom 1.10.2002, BArbBl 11/2002, S 62) oder die aktuelle Fachliteratur zur BK 2106 Angaben in Hinblick auf Höhe und Intensität (Dosis) der Einwirkung enthalten.

24

Das LSG wird aber auch Feststellungen dazu nachzuholen haben, ob bei dem Kläger - abgesehen vom Tragen der Obstschürze - weitere beruflich veranlasste Bewegungsabläufe vorlagen, die geeignet waren, ein TOS zu verursachen.Sowohl in der wissenschaftlichen Begründung, als auch in dem hierzu zuletzt veröffentlichten Merkblatt sowie der einschlägigen Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, S 235) werden neben "Lastendruck auf der Schulter" auch "repetitive Abduktions- und Adduktionsbewegungen im Schultergelenk" sowie "Überkopfarbeiten mit nach hinten gestrecktem Arm"als bekannte arbeitsbedingte Gelenkbelastungen aufgelistet, die bei Pflücktätigkeiten eines Obstbauern zumindest nicht gänzlich fernliegend erscheinen.

25

Auf das Vorhandensein einer in Höhe und Intensität geeigneten Druckeinwirkung lässt sich hingegen nicht alleine aufgrund des bindend festgestellten Krankheitsbildes des TOS schließen, weil dieses wiederum nicht zwingend durch eine äußere Druckeinwirkung verursacht wird. Vielmehr ergibt sich aus weiteren, dem jeweiligen Rechtsanwender zugänglichen Quellen, dass das TOS durchaus aufgrund innerer Ursachen wie anatomischer Varianten oder sonstiger Dispositionen entstehen kann (Sadeghi-Azandaryani, Das Thoracic-Outlet-Syndrom: Diagnostik, Therapie und Ergebnisse der Münchner Studie, Dissertation München, 2004, S 8 f; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, S 234).

26

2. Der Senat kann mangels ausreichender Feststellungen des LSG ebenso wenig entscheiden, ob die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Bejahung des erforderlichen Ursachenzusammenhangs zwischen gefährdenden Einwirkungen iS der BK 2106 und dem beim Kläger festgestellten TOS, dessen Vorliegen das Berufungsgericht als nicht hinreichend wahrscheinlich abgelehnt hat, gegeben sind (dazu unter a). Ferner wird das LSG ggf bei einer erneuten Beweiswürdigung die Anwendbarkeit des § 9 Abs 3 SGB VII zu erwägen haben(dazu unter b).

27

a) Die sogenannten arbeitsmedizinischen Voraussetzungen betreffen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit (was hier gegeben ist, s oben B.), zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 18).

28

Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung ist zwar eine der revisionsrechtlichen Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte (vgl Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, § 163 RdNr 9). Eine solche bindende Wirkung besteht jedoch dann nicht, wenn das LSG von einem offenkundig falschen medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen ist oder bestehende Erfahrungssätze nicht angewandt hat (vgl BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6 RdNr 20, sowie BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - UV-Recht Aktuell 2010, 418) oder eine solche fehlerhafte Anwendung zulässig gerügt wird (vgl hierzu BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 20). Die heranzuziehenden Quellen-, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc hat das Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin - ggf durch Sachverständige - zu überprüfen (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 24 RdNr 18; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 69; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 mwN).

29

Das LSG hat hierbei die Grenzen der Befugnis zur freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten. Bei seiner Entscheidungsfindung, ob im Falle des Klägers die Verursachung des TOS durch die durch das Tragen der Obstschürze entstandene Druckbelastung hinreichend wahrscheinlich ist, durfte es nicht davon ausgehen, dass das Merkblatt zur BK 2106 nicht mehr den tatsächlichen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand wiedergebe und mangels vorhandener weiterer Literatur kein aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand zur Verursachung des TOS durch exogene Einflüsse existiere. Soweit das LSG deshalb nach Beweislastgrundsätzen entschieden hat, verkürzt es in unzulässiger Weise die zu diesem Themenkomplex anzuwendenden medizinischen Erfahrungssätze. Wie oben ausgeführt, werden sowohl in der wissenschaftlichen Begründung zur Abänderung des VO-Textes der BK 2106 als auch in dem hierzu zuletzt veröffentlichten Merkblatt sowie der einschlägigen Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, S 235) jeweils "Lastendruck auf der Schulter" neben "repetitiven Abduktions- und Adduktionsbewegungen im Schultergelenk, Überkopfarbeiten mit nach hinten gestrecktem Arm, Spielen von Streichinstrumenten und damit Gelenkbelastungen" als bekannte arbeitsbedingte Belastungen im Zusammenhang mit typischen morphologischen Schädigungsmöglichkeiten genannt.

30

Soweit das LSG nach den Grundsätzen der sog objektiven Beweislast entschieden hat, vermischt es zudem in unzulässiger Weise die Frage, ob ein konkretes Sachverständigengutachten als verwertbares Beweismittel die Kausalität im Einzelfall stützt mit der Frage, ob bei sich widersprechenden Gutachten mangels aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands letztlich nicht entschieden werden kann, welchem der Gutachten zu folgen ist. Die Grundsätze der objektiven Beweislast (Feststellungslast) greifen erst ein, wenn der Tatrichter keine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitigen und entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung gewinnen kann ("non liquet") (vgl zB BSG vom 26.11.1992 - 7 RAr 38/92 - BSGE 71, 256 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7, RdNr 23). Im sozialgerichtlichen Verfahren stellt sich die Frage der Beweislastverteilung daher erst, wenn es dem Tatrichter trotz Erfüllung seiner insbesondere durch § 103 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG begründeten Pflicht zur eingehenden Erforschung des Sachverhalts und zur sorgfältigen Würdigung der erhobenen Beweise nicht gelungen ist, eine in tatsächlicher Hinsicht bestehende Ungewissheit zu beseitigen(stRspr, BSG vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - juris RdNr 20; Urteil vom 8.9.2010 - B 11 AL 4/09 R - juris RdNr 17; BSG vom 24.5.2006 - B 11a AL 7/05 R - BSGE 96, 238 = SozR 4-4220 § 6 Nr 4, RdNr 32). Dies gilt auch, wenn der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand im Streit steht, dessen fehlende Existenz mit der Folge einer Beweislastentscheidung erst nach entsprechenden Anstrengungen und der Sichtung staatlicher Merkblätter, Empfehlungen der Fachverbände, wissenschaftlicher Literatur etc festgestellt werden darf (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 61).

31

Das LSG führt zwar zutreffend aus, dass die Kausalitätsfeststellung nicht alleine auf das Vorliegen einer geeigneten Einwirkung und eines klinisch definierten Krankheitsbildes gestützt werden kann, weil angesichts der multifaktoriellen Entstehung vieler BKen es keinen Automatismus der Bejahung des Ursachenzusammenhangs allein aufgrund des Vorliegens entsprechender Einwirkungen und einer bestimmten Erkrankung gibt (s BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 19 sowie BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2 RdNr 23). Es existiert keine zwingende Regel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen regelmäßig zu einer Anerkennung der BK führen würde (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 20; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - juris RdNr 22; s zur Unfallkausalität beim Arbeitsunfall BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 52). Andererseits ist es grundsätzlich denkbar, dass bei einem klar erkennbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung dieser alleine für die Bejahung der Kausalität genügt, wenn keine Anhaltspunkte für eine alternative (innere oder äußere) Ursache für die Erkrankung bestehen (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 20; vgl zu typischen Geschehensabläufen beim Arbeitsunfall BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 43 RdNr 30; s auch bereits BSG vom 21.11.1958 - 5 RKn 33/57 - BSGE 8, 245, 247; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 128 RdNr 9 ff; s zum zulässigen Schluss von einer berufsbedingt erhöhten Ansteckungsgefahr auf eine berufliche Ursache der aufgetretenen Infektionskrankheit, wenn neben der Gefährdung durch die versicherte Tätigkeit keine anderen, dem privaten Lebensbereich zuzuordnenden Infektionsrisiken bestanden haben BSG vom 21.3.2006 - B 2 U 19/05 R - juris RdNr 16; vgl zur Verursachung von Meniskusschäden bei Bergleuten BSG vom 27.11.1986 - 5a RKnU 3/85 - SozR 5670 Anl 1 Nr 2102 Nr 2 RdNr 12). Daher ist es weder dem Gutachter noch dem erkennenden Gericht verwehrt, im Einzelfall anhand der Gesamtumstände bei Vorliegen einer für die Schadensverursachung geeigneten Einwirkung sowie einem belastungskonformen Schadensbild bei fehlenden Anhaltspunkten für eine alternative äußere oder innere Verursachung die naturwissenschaftliche Kausalität zu bejahen.

32

Daher wird das LSG nicht nur Feststellungen dazu, an welcher Stelle des Körpers Druck auf den Kläger eingewirkt hat und ob dieser Druck in Höhe und Intensität zur Verursachung des TOS ausreichte, nachzuholen haben, sondern auch dazu, ob im Falle des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass das bei ihm diagnostizierte TOS auch ohne Druckbelastung von außen zB alleine durch innere schicksalhafte oder degenerative Ursachen entstanden ist (vgl BSG vom 27.11.1986 - 5a RKnU 3/85 - SozR 5670 Anl 1 Nr 2102 Nr 2 RdNr 12). Hierzu wird das LSG auch festzustellen haben, welche Variante des TOS beim Kläger besteht und insbesondere an welcher Stelle der Plexus brachialis geschädigt ist. Bereits aus der wissenschaftlichen Begründung und dem Merkblatt ergibt sich - wie bereits ausgeführt -, dass ein durch Druckeinwirkung verursachbares TOS in verschiedenen Varianten bekannt ist, nämlich in Form einer Engpassproblematik im Bereich der Skalenuslücken, der kosto-klavikulären Passage und/oder des Korakoids. Aus der einschlägigen Fachliteratur ergeben sich darüber hinaus weitere Differenzierungen wie das Scalenus-anterior-Syndrom, wenn der Musculus scalenus anterior betroffen ist, sowie das Hyperabduktionssyndrom oder Pectoralis-minor-Syndrom, wenn das Gefäßnervenbündel im Korakopektoralraum betroffen ist. Schließlich ist das Thoracic-inlet-Syndrom als Sonderform des TOS bekannt, das durch die Kompression der Vena subclavia und dadurch entstehende venöse Abflussstörungen verursacht wird (s zum Vorstehenden Sadeghi-Azandaryani, Das Thoracic-Outlet-Syndrom: Diagnostik, Therapie und Ergebnisse der Münchner Studie, Dissertation München, 2004, S 8 f).

33

Erst nach Feststellung der genauen Variante des beim Kläger bestehenden TOS und des Ortes der Druckeinwirkungen lassen sich Aussagen zum Pathomechanismus und damit dazu, ob die Druckeinwirkung überhaupt Wirkursache für das konkrete Erkrankungsbild war, treffen. In diesem Zusammenhang wird das LSG unter Umständen auch den zeitlichen Verlauf der Erkrankung im Verhältnis zum Einwirkungszeitraum zu würdigen haben. Da es selbst vom Vorliegen des Krankheitsbildes TOS ausgeht, wird es nicht den Beweiswert etwaiger positiver Gutachten mit dem Hinweis auf die Stellungnahme von Dr. S. negieren können, der offenkundig das Bestehen des TOS verneint. Auch wird das LSG dem Umstand, dass 2002 bis 2008 nur sechs Verdachtsfälle eines TOS als BK 2106 gemeldet worden sind, worunter sich kein Angehöriger der Berufsgruppe des Klägers befunden hat, keine den Kausalitätsnachweis ausschließende Wirkung beimessen können, weil entscheidend alleine die konkrete Belastung und das Erkrankungsbild sind (vgl aber zu erforderlichen, auf eine bestimmte Berufsgruppe bezogene Erkenntnisse zur Bejahung einer Wie BK nach § 9 Abs 2 SGB VII: BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 6/12 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 22 RdNr 17 ff).

34

b) Wäre die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer allein wesentlichen außerberuflichen wie zB einer inneren Verursachung zu verneinen, käme durchaus der Schluss in Betracht, dass eine vorhandene geeignete berufliche Einwirkung - die vom LSG offengelassen wurde - auch ein geeignetes Krankheitsbild verursacht hat. In diesem Zusammenhang wird das LSG auch zu erwägen haben, ob die in § 9 Abs 3 SGB VII vorgegebenen normativen Voraussetzungen in Form des Bestehens einer erhöhten Gefahr der Erkrankung aufgrund besonderer Bedingungen der versicherten Tätigkeit unter Umständen aufgrund der Kumulation verschiedener gefährdender Tätigkeiten iS der BK 2106 gegeben sind.

35

Im Anschluss daran wäre ggf über die Wesentlichkeit der beruflichen Ursache zu entscheiden. Erst wenn die bei versicherten Tätigkeiten erfahrene Einwirkung als eine der Wirkursachen feststeht, kommt es auf der zweiten Stufe darauf an, dass die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr ist. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks des die Unfallversicherung jeweils begründenden normativen Tatbestands zu beurteilen. Die Wesentlichkeit einer Bedingung ist eine reine (im Übrigen nicht durch den Sachverständigen beantwortbare) Rechtsfrage (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff).

36

Ist jedoch nicht mehr aufklärbar, ob beim Kläger die Verursachung des TOS in seiner konkreten Ausprägung durch die beruflich erworbene Exposition gegenüber Druck hinreichend wahrscheinlich ist, käme eine Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen hingegen durchaus in Betracht.

37

Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger unter Anerkennung einer "mittelgradigen depressiven Störung" als Unfallfolge ab 1.3.1998 Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH zu zahlen ist.

2

Der Kläger war ab August 1995 als Gepäckabfertiger bei der damaligen Flughafen AG beschäftigt. Am 13.1.1997 wurde er bei der Ausübung der Beschäftigung zwischen einem Containertransporter sowie einem Gepäckcontainer-Anhänger eingeklemmt. Dadurch wurden sein dritter Finger links und sein Kniegelenk links gequetscht. Folgen dieser Verletzungen lagen über den 18.7.1997 hinaus nicht mehr vor.

3

Der Kläger wurde wegen des Unfalls zunächst ambulant, wegen anhaltender Beschwerden im linken Kniegelenk ab April 1997 in einer Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik stationär behandelt. Danach wurde eine Arbeitserprobung durchgeführt, die wegen gesundheitlicher Beschwerden abgebrochen wurde.

4

Anschließend fand eine Vielzahl von Behandlungen statt, die bis November 1999 überwiegend durch Durchgangsärzte erfolgten und im Auftrag und zulasten der Beklagten durchgeführt wurden. Diese Maßnahmen zur Diagnose und zur Heilbehandlung waren aber rückwirkend betrachtet nur zum Teil durch die Unfallfolgen bedingt. Zum anderen Teil beruhten sie auf unfallunabhängigen Vorschäden am linken Kniegelenk.

5

Der Kläger befand sich unter der Diagnose einer chronifizierten Depression ab März 1998 bei einer Diplom-Psychologin und ab April 1998 bei einem Psychiater in Behandlung. Vom 8.9. bis 3.10.1998 fand eine stationäre Behandlung in einer Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie statt, wo eine Angstneurose mit Panikattacken sowie eine Störung der Impulskontrolle diagnostiziert wurden.

6

Die Beklagte bewilligte dem Kläger einen ersten Vorschuss auf die voraussichtlich zu zahlende Verletztenrente (Vorschussbescheid vom 8.9.1998). Weitere Vorschusszahlungen folgten. Die Beklagte lehnte zunächst dennoch die "Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 18.7.1997 hinaus" ab (Bescheid vom 27.9.2002). Den hiergegen vom Kläger erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 11.3.2005 zurück. Später bewilligte und zahlte die Beklagte dem Kläger rückwirkend und durchgängig vom Unfalltag bis zum 30.9.2002 Verletztengeld.

7

Das SG Gießen hat die Beklagte durch Urteil vom 3.7.2008 verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung einer mittelgradigen depressiven Störung als Folge des Arbeitsunfalls ab 19.7.1997 Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH zu zahlen.

8

Das Hessische LSG hat der Berufung der Beklagten insoweit stattgegeben, als die Verletztenrente erst am 1.3.1998 beginne, und sie im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 26.9.2011). Bei dem Kläger liege eine dauerhafte psychische Erkrankung im Sinne einer chronifizierten depressiven Episode vor. Diese sei in "rechtlich-wesentlichem Umfang" durch den Verlauf der Heilbehandlung der unmittelbaren körperlichen Verletzungen aufgrund des Arbeitsunfalls verursacht worden. Die Heilbehandlung sei zwar rückwirkend betrachtet durch erhebliche degenerative Vorschäden bedingt gewesen. Für die Zurechnung mittelbarer Unfallfolgen komme es aber nicht darauf an, dass die Maßnahmen der Heilbehandlung von der Beklagten angeordnet worden seien. Vielmehr reiche es für die Zurechnung im Rahmen des § 11 Abs 1 SGB VII aus, wenn der Unfallversicherungsträger oder der ihm rechtlich zuzuordnende Durchgangsarzt bei seinem Handeln den objektivierbaren Anschein oder den Rechtsschein gesetzt habe, dass die Behandlung oder Untersuchung zur berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung oder zur Untersuchung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordnet werde und der Versicherte der Auffassung sein könne, dass die Heilbehandlung geeignet sei, die Unfallfolgen zu bessern oder zu beseitigen.

9

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügt die Verletzung der §§ 11 Abs 1, 56 Abs 1, 72 Abs 1 sowie 74 Abs 2 SGB VII. Das LSG habe durch seine Auslegung § 11 Abs 1 SGB VII verletzt, da als Ursache der Erkrankung letztlich nicht die Durchführung einer Heilbehandlung oder eine Untersuchung zur Klärung des Versicherungsfalls gesehen werde, sondern vielmehr die Art und Weise des Ablaufs der Heilbehandlung, die - jedenfalls aus Sicht des Klägers - zu Problemen geführt habe. Die Zurechnung zu den Unfallfolgen dürfe nicht aufgrund der subjektiven Einschätzung des Klägers erfolgen, weil dieser die Maßnahmen aus seiner Sicht für undurchschaubar halte und sich durch Zuständigkeitsfragen zwischen Ärzten oder Trägern belastet fühle. Unsicherheiten, die aus dem Wechsel der behandelnden Ärzte oder deren Diagnosestellung herrührten, seien aber durch § 11 SGB VII nicht geschützt. Das LSG habe auch weder festgestellt, dass die Maßnahmen zulasten des Unfallversicherungsträgers angeordnet worden seien, noch festgestellt, dass es sich um die Behandlung von Unfallfolgen gehandelt habe, noch dass diese durchgangsärztlich zu ihren Lasten angeordnet worden seien. Darüber hinaus verletze die Festlegung des Rentenbeginns durch das LSG §§ 72 Abs 1, 74 Abs 2 SGB VII, da dem Kläger rückwirkend bis einschließlich 30.9.2002 Verletztengeld gezahlt worden sei. Das Urteil beruhe zudem auf Verfahrensfehlern (Verletzung von §§ 62, 103 SGG).

10

Die Beklagte beantragt,

        

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2011 und des Sozialgerichts Gießen vom 3. Juli 2008 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

11

Der Kläger beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

12

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Insbesondere handele es sich bei der diagnostizierten mittelgradigen Depression um eine mittelbare Unfallfolge iS des § 11 SGB VII.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung durch das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

14

In dem Rechtsstreit wegen Feststellung einer Unfallfolge und Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH (1.) kann der Senat auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob und ggf welche psychischen Gesundheitsstörungen gemäß § 8 Abs 1 SGB VII unmittelbar durch den Arbeitsunfall wesentlich verursacht worden sind (2. a>) oder ob und ggf welche psychischen Gesundheitsstörungen als mittelbare Unfallfolgen iSd § 11 Abs 1 SGB VII festzustellen sind (2. b>). Es kann auch nicht abschließend beurteilt werden, ob ein Anspruch auf Verletztenrente iSd § 56 Abs 1 SGB VII besteht (3. a>). Soweit das LSG erneut zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass ein Anspruch auf Verletztenrente gegeben ist, kann ein solcher gemäß § 72 Abs 1 SGB VII nicht für Zeiten vor dem 1.10.2002 bestehen (3. b>).

15

1. Die Beklagte wendet sich mit der Revision gegen das Urteil des LSG, mit dem dieses die Berufung gegen das den Anfechtungsklagen wegen der ablehnenden Verwaltungsakte in den Bescheiden der Beklagten (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), den Klagen auf Feststellung einer chronifizierten depressiven Episode als Unfallfolge (§ 55 Abs 1 Nr 3 SGG) sowie auf Zahlung einer Verletztenrente (§ 54 Abs 4 SGG)nach einer MdE um 30 vH stattgebende Urteil des SG im Wesentlichen bestätigt hat. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob das LSG Bundesrecht verletzt hat, da dessen tatsächliche Feststellungen keine abschließende Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche erlauben.

16

Die Beklagte hat (spätestens) in dem angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides festgestellt, dass der Kläger am 13.1.1997 einen Arbeitsunfall mit den Gesundheitserstschäden am dritten Finger links und am Kniegelenk links erlitten hat. Daher richten sich dessen Anfechtungsklagen gegen die Ablehnung eines Anspruchs auf Feststellung einer chronifizierten depressiven Episode als Unfallfolge und die Ablehnung eines Rechts auf Verletztenrente.

17

Mit der Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 3 SGG kann der Kläger den behaupteten materiellen Anspruch auf Feststellung der Unfallfolge durchsetzen, ohne dass er daran durch seine Befugnis zur Erhebung einer Verpflichtungsklage gehindert wäre. Denn er kann zwischen beiden Rechtsschutzformen wählen, weil sie, soweit um Ansprüche auf Feststellung von Unfallfolgen (oder Versicherungsfällen) gestritten wird, grundsätzlich gleich rechtsschutzintensiv sind (vgl BSG Urteil vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274, RdNr 12 f). Für das Begehren auf Verletztenrente hat er die Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 4 SGG zulässig mit der unechten Leistungsklage auf Gewährung einer Verletztenrente kombiniert.

18

2. Nach § 102 SGB VII haben die Versicherten gegen den zuständigen Unfallversicherungsträger einen Anspruch auf Feststellung einer Unfallfolge (oder eines Versicherungsfalls), wenn ein Gesundheitsschaden durch den Gesundheitserstschaden eines Versicherungsfalls oder infolge der Erfüllung eines Tatbestandes des § 11 SGB VII rechtlich wesentlich verursacht wird. Der Gesundheitsschaden muss sicher feststehen (Vollbeweis) und durch Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme (zB ICD-10, DSM IV) unter Verwendung der dortigen Schlüssel exakt bezeichnet werden.

19

a) Es steht schon nicht sicher fest, welche Gesundheitsstörung bei dem Kläger genau vorliegt.

20

Zwar steht aufgrund der Feststellungen des LSG fest, dass auf "orthopädisch/chirurgischem und neurologischem" Fachgebiet über den 18.7.1997 hinaus keine Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.1.1997 vorliegen. Das LSG hat aber nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit festgestellt, welche psychische Gesundheitsstörung beim Kläger vorliegt, denn die Bezeichnung der Erkran-kung im Tenor weicht von derjenigen in den Gründen ab. Nach den Gründen der Entscheidung liegt beim Kläger eine mittelgradige depressive Episode nach "F 33.1" des ICD-10 vor. Im Tenor hat das LSG dagegen als Unfallfolge eine "mittelgradige depressive Störung" festgestellt.

21

b) Der Senat kann auch nicht abschließend beurteilen, ob eine ggf vorliegende mittelgradige depressive Episode iSv F 33.1 ICD-10 "infolge" des Versicherungsfalls besteht.

22

Das LSG hat nicht geprüft, ob die psychische Gesundheitsstörung eine solche iSd § 8 Abs 1 SGB VII ist. Das wäre anzunehmen, wenn sie unmittelbar durch den beim Versicherungsfall ausgelösten Gesundheitserstschaden verursacht worden ist. Die genau zu bezeichnende Gesundheitsstörung ist also als Unfallfolge festzustellen, wenn im wieder eröffneten Berufungsverfahren festzustellen ist, dass zwischen dem beim Arbeitsunfall vom 13.1.1997 eingetretenen Erstschaden und der psychischen Gesundheitsstörung ein unmittelbarer und rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang besteht (haftungsausfüllende Kausalität).

23

c) Der Senat kann schon mangels Klarheit über das Vorliegen einer unmittelbaren Unfallfolge auch nicht abschließend entscheiden, ob die psychische Störung dem Versicherungsfall vom 13.1.1997 nach § 11 SGB VII als mittelbare Unfallfolge zuzurechnen ist. Das wird das LSG bei Verneinung einer unmittelbaren Unfallfolge aber zu prüfen haben.

24

Nach § 11 Abs 1 Nr 1 und 3 SGB VII sind Folgen eines Versicherungsfalls auch solche Gesundheitsschäden oder der Tod eines Versicherten, die durch die Durchführung einer Heilbehandlung nach dem SGB VII oder durch Maßnahmen wesentlich verursacht wurden, welche zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordnet wurden. Diese Vorschrift regelt, dass auch solche Gesundheitsschäden, die durch die Erfüllung der in ihr umschriebenen Tatbestände wesentlich verursacht werden, dem Versicherungsfall rechtlich zugerechnet werden. Diese mittelbaren Folgen müssen - anders als nach § 8 Abs 1 SGB VII - nicht durch den Gesundheitserstschaden verursacht worden sein(vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 mwN).

25

Mit dieser Entscheidung hat der Senat seine Rechtsprechung zum früheren Recht fortgeführt. Bereits für die Bejahung des nach § 555 Abs 1 RVO erforderlichen ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und der Heilbehandlung genügte es, dass der Verletzte, der einen Arbeitsunfall erlitten hat, von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein konnte, dass die Heilbehandlung, zu deren Durchführung er sich begeben hat, geeignet ist, der Beseitigung oder Besserung der durch den Arbeitsunfall verursachten Gesundheitsstörungen zu dienen. Schon zu jener Vorschrift hat das BSG entschieden, dass es nicht erforderlich ist, dass die Heilbehandlung wegen Folgen des Arbeitsunfalls objektiv geboten war (BSG vom 24.6.1981 - 2 RU 87/80 - BSGE 52, 57, 58 = SozR 2200 § 555 Nr 5).

26

Hieran ist mit der Maßgabe festzuhalten, dass § 11 Abs 1 SGB VII nun darauf abstellt, dass die Mitwirkung an einer vom Träger angeordneten ärztlichen Maßnahme sich auch dann als versichert erweist, wenn sich später herausstellt, dass in Wirklichkeit kein Versicherungsfall vorlag. Allerdings setzt die Zurechnung eines Gesundheitsschadens, der rechtlich wesentlich durch eine iSv § 11 Abs 1 SGB VII vom Unfallversicherungsträger angeordnete Maßnahme verursacht wurde, die bisherige Rechtsprechung eingrenzend voraus, dass der Träger oder seine Leistungserbringer gegenüber dem durch die Verrichtung einer bestimmten versicherten Tätigkeit Versicherten durch (festgestellte) Handlungen den Anschein begründet haben, die Behandlungs- oder Untersuchungsmaßnahme erfolge zur Behandlung von Unfallfolgen (oder zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalles oder einer Unfallfolge). Hieran hält der Senat auch im Hinblick auf die an seiner Rechtsprechung geäußerte Kritik (vgl Gundolf Wagner in juris PraxisReport 9/12 Anm 2) fest (wie der Senat wohl auch Krasney, in Becker ua, Kommentar zum SGB VII, § 11 RdNr 15; aA auch Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 11 RdNr 3; G. Wagner in jurisPK-SGB VII, § 11 RdNr 15; Holtstraeter in K/S/W, Kommentar zum Sozialrecht, § 11 SGB VII RdNr 2; Rapp in LPK-SGB VII, § 11 RdNr 1; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 11 RdNr 4; Schwerdtfeger in Lauterbach, UV-SGB VII, Stand April 2007, § 11 SGB VII RdNr 4).

27

Auch die Prüfung des Ursachenzusammenhangs zwischen einer Gesundheitsstörung und einer der nach § 11 Abs 1 SGB VII tatbestandlichen Maßnahmen erfolgt nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Dabei ist auf einer ersten Prüfungsstufe zu fragen, ob der Versicherungsfall eine naturwissenschaftlich-philosophische Bedingung für den Eintritt der Gesundheitsstörung ist. Dabei ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nach den einschlägigen Erfahrungssätzen nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (aa). Wenn festzustellen ist, dass der Versicherungsfall eine (von möglicherweise vielen) Bedingungen für den Erfolg - hier die psychische Störung - ist, ist auf der ersten Prüfungsstufe weiter zu fragen, ob es für den Eintritt des Erfolgs noch andere Ursachen iS der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie gibt (bb); das können Bedingungen aus dem nicht versicherten Lebensbereich wie zB Vorerkrankungen, Anlagen, nicht versicherte Betätigungen oder Verhaltensweisen sein (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15). Erst wenn sowohl der Versicherungsfall als auch andere Umstände als Ursachen des Gesundheitsschadens feststehen, ist auf einer zweiten Prüfungsstufe rechtlich wertend zu entscheiden, welche der positiv festzustellenden adäquaten Ursachen für die Gesundheitsstörung die rechtlich "Wesentliche" ist (cc). Dasselbe gilt für die Frage, ob eine MdE vorliegt und im Wesentlichen durch Unfallfolgen verursacht wurde.

28

aa) Der Senat kann nicht entscheiden, ob die Erkrankung des Klägers eine mittelbare Unfallfolge nach § 11 Abs 1 Nr 1 oder Nr 3 SGB VII ist oder keine Unfallfolge war.

29

Ob sich eine medizinische Maßnahme als Durchführung einer Heilbehandlung (§ 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII) oder als Maßnahme zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls (§ 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII)durch die Beklagte darstellt, beurteilt sich danach, wie der Versicherte ein der Beklagten zuzurechnendes Verhalten bei verständiger Würdigung der objektiven Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Durchführung verstehen kann und darf (vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274, RdNr 43).

30

Ob der Kläger zum Zeitpunkt der jeweiligen ärztlichen Behandlungen diese nach den objektiven Gegebenheiten als solche der Beklagten verstehen musste, steht nicht sicher fest. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 Abs 1 SGB VII spricht zwar, dass die fraglichen Maßnahmen durch D-Ärzte und BG-Kliniken veranlasst wurden und die Beklagte deren Kosten trug. Das LSG hat aber nicht mit der gebotenen Deutlichkeit festgestellt, dass die verschiedenen von Ärzten veranlassten Maßnahmen sich nicht nur nach der subjektiven Wahrnehmung des Klägers zur Zeit ihrer Erbringung, sondern auch nach den objektiven Gegebenheiten für den Kläger als Heilbehandlung der Beklagten oder als deren Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls darstellten.

31

bb) Das LSG hat auch keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob und ggf welche anderen Ursachen als der Versicherungsfall das Vorliegen der psychischen Erkrankung naturwissenschaftlich-philosophisch verursacht haben.

32

Aus dem Fehlen solcher Feststellungen kann andererseits nicht gefolgert werden, dass die Verwirklichung eines Tatbestands nach § 11 Abs 1 Nr 1 und 3 SGB VII die einzige Ursache der bestehenden Gesundheitsstörung war. Denn das LSG hat bei der Abwägung der Beiträge, die verschiedene Ursachen für das Entstehen der MdE haben, also auf der (zweiten) Stufe zur Prüfung der "Wesentlichkeit" von (verschiedenen) Ursachen, Vorerkrankungen des Klägers auf psychischem Gebiet sowie das Bestehen weiterer, nicht mit dem Arbeitsunfall in Verbindung stehender Faktoren, zB familiäre Probleme, bejaht. Ohne (ausdrückliche) Feststellung dazu, ob und inwieweit diese nicht dem versicherten Risiko zuzurechnenden Ursachen naturwissenschaftlich-philosophisch wirksam geworden sind, ist das LSG sogleich in die rechtliche Wertung eingetreten und hat den Versicherungsfall als die wesentliche Ursache für das Bestehen der Erkrankung bezeichnet.

33

cc) Falls bei erneuter Prüfung des Klagebegehrens festgestellt werden sollte, dass für die Erkrankung sowohl der Versicherungsfall als auch andere Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne vorliegen, ist nach der Theorie der wesentlichen Bedingung (zweite Stufe) zu prüfen, ob der Versicherungsfall die psychische Störung "wesentlich" verursacht hat. Unter Berücksichtigung der verschiedenen nach Erfahrungssätzen notwendigen oder hinreichenden Ursachen ist abzuwägen, welche von ihnen die rechtlich Wesentliche ist.

34

Bei der Überzeugungsbildung des Tatsachengerichts genügt für die Feststellung des naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachenzusammenhangs der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit (stRspr BSG vom 2.2.1978 - 8 RU 66/77 - BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr 38 S 105 f; BSG vom 30.4.1985 - 2 RU 43/84 - BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1 S 3 f). Dieser ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht; allein die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs genügt dagegen nicht (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 20; BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 5/10 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 3).

35

3. a) Aus den gleichen Gründen kann der Senat nicht entscheiden, ob der Kläger einen Anspruch auf Verletztenrente hat.

36

Gemäß § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier des anerkannten Arbeitsunfalls vom 13.1.1997 - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert (MdE) ist, Anspruch auf Rente. Die Höhe der Rente richtet sich ua nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII).

37

Auch insoweit wird das LSG zu prüfen haben, ob eine MdE "infolge" des Arbeitsunfalls besteht. Hierfür gelten die oben zu 2. dargelegten Grundsätze entsprechend.

38

b) Sollte das LSG in dem erneuten Berufungsverfahren einen Anspruch auf Verletztenrente nach § 56 Abs 1 SGB VII bejahen, wird zu beachten sein, dass dieser erst am Tag nach Erlöschen des dem Kläger bewilligten Rechts auf Verletztengeld beginnen kann.

39

Zwar kann der Anspruch auf Verletztenrente - anders als das LSG meint - grundsätzlich bereits am Tag nach dem Versicherungsfall beginnen, wenn bereits zu diesem Zeitpunkt feststeht, dass eine MdE über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus vorliegen wird (zB bei Verlust eines Körperteils) und ein gesetzlich vorrangiger Anspruch nicht besteht.

40

Hier hat das LSG seine Entscheidung aber unter Verletzung von § 72 Abs 1 Nr 1 SGB VII getroffen. Nach dieser Vorschrift beginnt ein Rentenanspruch erst, nachdem der Anspruch auf Verletztengeld geendet hat. Renten werden danach an Versicherte erst von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld geendet hat. Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob Verletztengeld gezahlt worden ist, sondern darauf, ob ein Anspruch auf diese Leistung bestand. Die Regelung verfolgt den Zweck, Doppelleistungen aus dem System der GUV, insbesondere den zeitgleichen Bezug von Verletztengeld und Verletztenrente, zu vermeiden.

41

Für die vom Kläger geführte Anfechtungs- und Leistungsklage wegen Verletztenrente ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich. Zu diesem Zeitpunkt stand und steht zwischen den Beteiligten durch Verwaltungsakt bindend fest, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Verletztengeld vom Unfalltag durchgehend bis 30.9.2002 hat. Eine mögliche Verletztenrente (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII) kann daher erst nach dem 30.9.2002, also nach dem Ende des Zeitraums beginnen, für den Verletztengeld zustand (§ 72 Abs 1 Nr 1 SGB VII; § 74 Abs 2 SGB VII ist nicht anwendbar, da der Anspruch auf Verletztengeld nicht aufgrund einer erneuten Arbeitsunfähigkeit infolge Wiedererkrankung eingetreten ist; siehe dazu Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 74 RdNr 13).

42

4. Da das Urteil des LSG aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden ist, bedarf es keiner Entscheidung mehr über die Frage, ob die Beklagte zulässige und begründete Verfahrensrügen gegen das Urteil des LSG erhoben hat.

43

5. Das LSG hat mit der im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden. Dabei wird ggf zu berücksichtigen sein, dass dem Kläger eine Verletztenrente nicht - wie begehrt - ab Juli 1997, sondern erst ab 1.10.2002 zusteht.

Tenor

Das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 20. Mai 2009 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte zu verurteilen ist, der Klägerin Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 50 vH zu zahlen.

2

Die Klägerin befand sich am 15.5.2000 auf dem Weg von ihrer Arbeitsstätte, dem Amt für Landwirtschaft in G, zu ihrer Wohnung. Aufgrund eines Staus musste sie anhalten. Ein Ford Transit fuhr auf ihr stehendes Kraftfahrzeug (Kfz) auf und schob es auf das davor stehende Kfz. Die angeschnallte Klägerin wurde bei dem Unfall nach vorne und wieder zurück geschleudert. Sie konnte am Unfallort mit dem Unfallgegner und der Polizei die Formalitäten abwickeln und fuhr mit dem Pkw nach Hause. Wegen starker Schmerzen an der Wirbelsäule musste sie sich drei Stunden später in die ambulante Notfallbehandlung im Kreiskrankenhaus Meißen begeben. Die Erstdiagnose der dortigen Ärzte lautete: "HWS - Schleudertrauma, Schädelprellung". Vom 19. bis 27.5.2000 schloss sich eine stationäre Krankenhausbehandlung an. In der Folge weiteten sich die Beschwerden aus. Die Beklagte zahlte der Klägerin bis 4.4.2002 Verletztengeld.

3

Mit Schreiben vom 25.1.2001 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie beabsichtige die Einholung eines unfallchirurgischen Haupt- und eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens. Sie schlug drei namentlich benannte Haupt- sowie einen namentlich benannten Zusatzgutachter, sonst solche der jeweiligen Einrichtung, vor und wies die Klägerin auf ihr Widerspruchsrecht hin. Die Klägerin widersprach den Vorschlägen der Beklagten und schlug vor, das Evangelische Stift St. M. in K. solle mit der Begutachtung beauftragt werden, da sie dort bereits behandelt wurde. Die Beklagte ernannte Prof. Dr. B. vom Evangelischen Stift St. M. zum Hauptgutachter. Auf dessen Veranlassung wurde bei Dr. S. (Dr S) das neurologische Gutachten vom 18.3.2001 eingeholt.

4

Mit Bescheid vom 4.3.2002 erkannte die Beklagte den Unfall als Arbeitsunfall an. In dem Bescheid regelte sie weiter: "Wegen der Folgen des Arbeitsunfalls besteht kein Anspruch auf Rente." Zur Begründung führte sie aus, Unfallfolgen lägen nach ausgeheilter "Zerrung der Halswirbelsäule (HWS) und der Halsweichteile“ nicht mehr vor. Unfallunabhängig bestehe eine Konversionsneurose mit dadurch bedingter Bewegungseinschränkung der HWS, der Schultergelenke sowie Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich. Der Widerspruch der Klägerin blieb im Widerspruchsbescheid vom 2.7.2002 ohne Erfolg.

5

Die Klägerin hat beim SG Dresden Klage erhoben. Sie hat Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 vH begehrt. Mit Schriftsatz vom 13.2.2004 hat die Beklagte dem SG die "Beratungsärztliche Stellungnahme" der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. (Dr H) vom 29.12.2003 vorgelegt, die das SG der klägerischen Seite übersandt hat. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19.7.2006 abgewiesen. Ein Zusammenhang zwischen den umfangreichen Beschwerden und dem Unfall bestehe nicht. Der Unfall habe über den Zeitpunkt der Zahlung von Verletztengeld hinaus keine objektivierbaren Folgen hinterlassen.

6

Die Klägerin hat gegen das Urteil des SG beim Sächsischen LSG Berufung eingelegt. Sie hat ihr Begehren dahingehend erweitert, dass ihr Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 vH zu zahlen sei. Das LSG müsse ein Unfallrekonstruktions- und ein biomechanisches Gutachten einholen, um die Kräfte festzustellen, die auf ihre HWS eingewirkt hätten. Die Diagnose einer Konversionsneurose sei abzulehnen, da sie von einem Orthopäden gestellt worden sei.

7

Das LSG hat die Berufung mit Urteil vom 20.5.2009 zurückgewiesen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Gesundheitsstörungen und dem Unfall habe sich nicht wahrscheinlich machen lassen. Das Unfallgeschehen sei an sich in der Lage gewesen, ein whiplash-syndrome zu verursachen. Die Klägerin habe durch den Arbeitsunfall nicht näher bezeichnete Gesundheitserstschäden erlitten, denn sie sei bei der Kollision erheblichen Beschleunigungskräften ausgesetzt gewesen. Ein solches Trauma bewirke "in der Regel" eine Zerrung im Hirnstamm, was sich in messbaren Versagungszuständen äußern könne. Die Klägerin weise aber nur zum Teil eine spezifische Symptomatik auf. Daneben bestehe eine damit verwandte Symptomatik, welche keineswegs dem Unfallgeschehen zuzuordnen sei. Über die Ursachen des vorhandenen eher untypischen Beschwerdebilds könne nur spekuliert werden. In der Urteilsbegründung hat sich das LSG überwiegend auf eigene Recherchen gestützt und ist den Gerichtsgutachtern, zB Prof. St., ausdrücklich nicht gefolgt. Es sei wahrscheinlich, dass die bestehenden Beschwerden in den Zusammenhang mit den von Dr H dokumentierten gesundheitlichen Auffälligkeiten einzuordnen seien.

8

Die Klägerin hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 8 Abs 1 Satz 1, Abs 2 iVm § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII. Der Wegeunfall habe zu Gesundheitsfolgeschäden geführt, die eine Verletztenrente nach einer MdE mit wenigstens 50 vH bedingten. Das LSG habe bei der Klägerin Gesundheitsschäden festgestellt. Dagegen habe es eine Konkurrenzursache, also einen Vorschaden, nicht bejaht. Ausdrücklich habe das LSG ein pseudoneurasthenisches Syndrom, eine Konversionsneurose, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung und einen psychischen Konflikt verneint und den Unfall als Gelegenheitsursache ausgeschlossen. Damit seien die Voraussetzungen einer Rentengewährung zu bejahen.

9

Des Weiteren erhebt die Klägerin Verfahrensrügen. Das LSG habe die Berufung nicht aufgrund eigener Auswertung medizinischer Fachliteratur und aufgrund eigenen Erfahrungswissens zurückweisen dürfen. Dies sei aber geschehen, da das Gericht sich weder auf eines der eingeholten gerichtlichen Gutachten gestützt noch ein weiteres ärztliches Zusammenhangsgutachten auf aktuellem wissenschaftlichen Kenntnisstand eingeholt habe. Wenn das LSG sich auf eigene Sachkunde und selbst ausgewertete Veröffentlichungen stützen wolle, müsse es die Klägerin auf seine Kenntnisse und Erfahrungen sowie die herangezogene Literatur hinweisen. Da dies nicht geschehen sei, verletze das Urteil das rechtliche Gehör der Klägerin. Das LSG habe ein Beweisverwertungsverbot nicht beachtet. Es habe sich auf die Stellungnahme der Dr H vom 29.12.2003 gestützt, die aber nicht verwertbar sei. Es könne dahin stehen, ob es sich um eine beratungsärztliche Stellungnahme oder ein Gutachten handele, denn auch als Stellungnahme nehme die Äußerung Bezug auf das Zusatzgutachten des Dr S vom 18.3.2001, das unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften eingeholt worden sei. Nach der Rechtsprechung des Senats bestehe deshalb bezüglich des Gutachtens Dr S ein Beweisverwertungsverbot, das sich auf alle weiteren Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen erstrecke, die hierauf aufbauten.

10

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen LSG vom 20. Mai 2009, das Urteil des SG Dresden vom 19. Juli 2006 sowie den ablehnenden Verwaltungsakt im Bescheid der Beklagten vom 4. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juli 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 50 vH seit 5. April 2002 zu zahlen.

11

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12

Ausgehend von einer Vielzahl in Betracht kommender Erkrankungen fehle es an der Feststellung konkreter Gesundheitsstörungen auf der Grundlage eines üblichen Diagnosesystems und unter Verwendung der dortigen Begriffe und Bezeichnungen. Im Recht der Versicherungsfälle nach dem SGB VII gebe es keine Beweisregel, wonach bei fehlender Alternativursache die versicherte Ursache automatisch die wesentliche Ursache sei (unter Hinweis auf BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R). Die beratungsfachärztliche Stellungnahme der Dr H sei verwertbar, da die Klägerin von ihrem höchstpersönlichen Widerspruchsrecht keinen Gebrauch gemacht habe. Die Stellungnahme sei beim SG in den Rechtsstreit eingeführt worden. Die Klägerin habe die Nichtverwertbarkeit der Stellungnahme bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem SG nicht gerügt und dadurch ihr Rügerecht verloren.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist sowohl wegen Verletzung von materiellem Bundesrecht (dazu 1.) als auch wegen durchgreifender Verfahrensrügen (dazu 2.) im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie der darin getroffenen Feststellungen und Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sächsische LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

14

1. Über die mit der Revision weiterverfolgten Anfechtungsklagen wegen der ablehnenden Verwaltungsakte in den Bescheiden der Beklagten und die Leistungsklage auf Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 vH kann der Senat nicht abschließend entscheiden, da die tatsächlichen Feststellungen des LSG keine abschließende Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche erlauben.

15

a) Nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier eines Arbeitsunfalls - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Um das Vorliegen einer MdE beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen beeinträchtigt ist. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden.

16

Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft(stRspr zB BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 2). Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1).

17

Vorliegend würde die Einschätzung der MdE der Klägerin voraussetzen, dass der als Arbeitsunfall anerkannte Verkehrsunfall bei der Klägerin eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens hervorgerufen hat. Das Bestehen einer Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens muss ausgehend von konkreten Funktionseinbußen beurteilt werden. Soweit die MdE sich nicht ausnahmsweise unmittelbar aus den Unfallfolgen erschließt, bilden festgestellte und eindeutig nach gängigen Diagnosesystemen konkret zu bezeichnende Krankheiten (BSG 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 22)die Tatsachengrundlage, von der ausgehend die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Leistungsvermögens auf dem Gebiet des gesamten Erwerbslebens zu beurteilen ist (vgl BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 50/02 R - Juris RdNr 23; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 22).

18

Nach diesen Maßstäben kann der Senat über das Bestehen eines Rentenanspruchs der Klägerin nicht entscheiden, da das LSG keine Feststellungen über die bei der Klägerin bestehende MdE getroffen hat. Es verneint zwar eine Reihe von Gesundheitsstörungen der Klägerin und diskutiert eine Reihe anderer als möglicherweise gegeben, stellt aber nicht positiv fest, welche Funktionseinschränkungen aufgrund welcher Gesundheitsstörungen aktuell vorliegen. Deshalb kann der Senat nicht entscheiden, ob und ggf in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit der Klägerin eingeschränkt ist.

19

b) Der Senat kann auch nicht dahingestellt lassen, ob und ggf welche Beeinträchtigungen des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens vorliegen. Auf die Feststellung dieser Tatsachen könnte nur verzichtet werden, wenn der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einer vorliegenden MdE sicher auszuschließen wäre. Auch hierzu hat das LSG die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen.

20

Voraussetzung eines Rentenanspruchs ist ua, dass der Versicherungsfall die Arbeitsmöglichkeiten von Versicherten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert, bei dem jeweiligen Versicherten also eine MdE verursacht (BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 2; Burchardt in Becker ua, Gesetzliche Unfallversicherung - Kommentar, § 56 RdNr 11). Zur Feststellung des Ursachenzusammenhangs ist zunächst zu prüfen, ob die MdE durch einen nachgewiesenen Versicherungsfall im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne verursacht worden ist. Bejahendenfalls ist weiter zu fragen, ob auch andere - ebenfalls sicher feststehende - Faktoren, wie Vorerkrankung, Nacherkrankung, innere Ursache usw, im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne kausal für das Bestehen einer MdE geworden sind. Wird die MdE sowohl durch den Versicherungsfall als auch durch andere Faktoren verursacht, ist nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilen, ob die MdE "wesentlich" durch den Versicherungsfall (mit)verursacht worden ist. Für diese Feststellung genügt bei der Überzeugungsbildung des Tatsachengerichts der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit (stRspr BSG vom 2.2.1978 - 8 RU 66/77 - BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr 38 S 105 f; BSG vom 30.4.1985 - 2 RU 43/84 - BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1 S 3 f). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Allein die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs genügt dagegen nicht (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 20).

21

Zwar hat das LSG vorliegend den Arbeitsunfall sowie andere Umstände als Ursachen diskutiert, es hat aber nicht festgestellt, dass entweder der Arbeitsunfall oder eine andere Ursache (zB Vorerkrankungen) oder beide Umstände für eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens eine Ursache gesetzt haben.

22

Mithin fehlt es für eine abschließende Entscheidung über den Anspruch auf Rente nach § 56 SGB VII neben der Feststellung einer MdE (oben a) auch daran, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen Versicherungsfall und einer möglichen MdE weder festgestellt noch auszuschließen ist (oben b). Daher kann der Senat nicht entscheiden, ob ein Anspruch auf Verletztenrente nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII besteht oder nicht besteht.

23

3. Das Urteil des LSG und die darin getroffenen Feststellungen sind auch wegen zulässig und begründet erhobener Verfahrensrügen aufzuheben.

24

a) Das LSG hat, wie von der Klägerin im Einzelnen dargelegt wurde, deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) verletzt.

25

Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung des Gerichts überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl BSG vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 mwN; BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190). Wenn ein Gericht - wie hier - eigene Sachkunde bei der Urteilsfindung berücksichtigen will, muss es den Beteiligten die Grundlagen für seine Sachkunde offenbaren. Das Gericht muss darlegen, worauf seine Sachkunde beruht und was diese beinhaltet, damit die Beteiligten dazu Stellung nehmen und ihre Prozessführung hierauf einrichten können (zur Gehörsverletzung bei Unterlassung dieses Hinweises: BSG vom 5.3.2002 - B 2 U 27/01 R - Juris RdNr 20 f mwN).

26

Das LSG hat eine Überraschungsentscheidung getroffen, da es nicht den eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten gefolgt ist, sondern seine Zusammenhangsbeurteilung allein auf eine von ihm selbst unter Auswertung der unfallmedizinischen Literatur entwickelte Beurteilung, also auf eigene Sachkunde, gestützt hat. Vor der Entscheidung hat es die Beteiligten nicht auf das Bestehen eigener medizinischer Sachkunde hingewiesen und ihnen nicht erläutert, was diese beinhaltet. Damit liegt der gerügte Verfahrensfehler vor. Die Entscheidung kann auf dem Verfahrensfehler beruhen, da nicht auszuschließen ist, dass die Klägerin, hätte sie Kenntnis von der Sachkunde des LSG und deren Inhalten erhalten, die von ihr aufgezeigten Einwendungen vorgebracht und dadurch das LSG zu einer anderen Entscheidung gebracht hätte.

27

b) Das LSG hat die Pflicht zur Sachaufklärung (§ 103 SGG) verletzt.

28

Der Senat hat wiederholt entschieden, dass die Frage, ob ein Ursachenzusammenhang - zB zwischen beruflichen Einwirkungen und einer Erkrankung - zu bejahen ist, vom Tatsachengericht unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach dem im Entscheidungszeitpunkt bestehenden aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu beantworten ist (vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 RdNr 21). Nichts anderes kann gelten, wenn es bei einem geltend gemachten Rentenanspruch um die Beurteilung geht, ob ein Ursachenzusammenhang zwischen einem Versicherungsfall und einer geltend gemachten MdE besteht.

29

Diesen Anforderungen an die Sachaufklärung ist das LSG nicht gerecht geworden. Zwar hat es medizinische Sachverständigengutachten eingeholt, ist diesen aber nicht gefolgt. Da das LSG nach seiner Rechtsauffassung kein Gutachten eingeholt hatte, das den Ursachenzusammenhang dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechend beurteilte, hätte es (weitere) medizinische Ermittlungen durchführen müssen, die diesen Anforderungen entsprechen. Zwar können die Gerichte zur Entscheidungsfindung auch einschlägige wissenschaftliche Publikationen heranziehen (vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 21). Diese dienen aber regelmäßig nicht der Beurteilung eines Ursachenzusammenhangs durch das Gericht selbst, sondern der kritischen Überprüfung eingeholter Gutachten daraufhin, ob sie dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen.

30

c) Demgegenüber wird das LSG die Stellungnahme der Dr H bei seiner erneuten Beweiswürdigung verwerten dürfen. Denn die weitere von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge, diese Stellungnahme sei wegen eines Verstoßes gegen § 200 Abs 2 SGB VII nicht verwertbar, ist unbegründet.

31

Die Klägerin rügt, das LSG habe die Äußerung der Ärztin Dr H vom 29.12.2003 nicht verwerten dürfen, da diese einem Beweisverwertungsverbot unterliege. Auch wenn es sich bei dieser Äußerung um eine beratungsärztliche Stellungnahme handele, sei sie nicht verwertbar, da darin auf das Gutachten des Dr S abgestellt werde, das seinerseits unter Verletzung datenschutzrechtlicher Vorschriften eingeholt worden sei. Aufgrund der Fernwirkung des Beweisverwertungsgebots bezüglich des Gutachtens Dr S sei auch die beratungsärztliche Stellungnahme der Dr H unverwertbar, was sie rechtzeitig gerügt habe.

32

Das LSG durfte und darf die ärztliche Stellungnahme der Dr H verwerten, denn weder hat die Beklagte die Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht (§ 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII; dazu aa) noch hat sie das Auswahlrecht der Klägerin (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII; dazu bb) verletzt.

33

aa) Die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII iVm § 76 Abs 2 SGB X kann ein Beweisverwertungsverbot auslösen (BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 8/07 R - BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1, RdNr 50 f). Zwar besteht kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig ist (vgl BVerfG vom 19.9.2006, 2 BvR 2115/01, BVerfGK 9, 174, 196). Ein Beweisverwertungsverbot ist aber bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen geboten, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen außer Acht gelassen worden sind (vgl BVerfG vom 12.4.2005, 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29, 61). Ein solches unmittelbar aus den Grundrechten abgeleitetes Beweisverwertungsverbot ist allerdings nur anzunehmen, wenn der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist (vgl BVerfG vom 3.3.2004, 1 BvR 2378/98, BVerfGE 109, 279, 320; BVerfG vom 9.11.2010, 2 BvR 2101/09).

34

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Recht, Widerspruch gegen die Weitergabe von Sozialdaten einlegen zu können, den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 1 Abs 1 GG; dazu zuletzt BVerfG vom 21.9.2010, 1 BvR 1865/10) berührt. Aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dürfte sich kein verfassungsrechtliches Gebot ableiten lassen, die Betroffenen ausdrücklich über ihr gesetzliches Widerspruchsrecht belehren zu müssen. Auch außerhalb des SGB VII können Betroffene der Weitergabe von Sozialdaten widersprechen, wenn diese besonders schutzwürdig sind (§ 76 Abs 2 SGB X). Eine Belehrungspflicht bei jeder Weitergabe von Sozialdaten ist außerhalb des SGB VII nicht geregelt. Verletzungen des Sozialdatenschutzes führen dort vielmehr in erster Linie zu den in §§ 81 f SGB X normierten Rechtsfolgen. Die Regelung des § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII dürfte daher eine spezifisch verfahrensrechtliche Belehrungspflicht im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung begründen. Eine Verletzung der Belehrungspflicht könnte danach als einfachrechtlicher Verfahrenfehler zu qualifizieren sein (vgl auch Köhler ZFSH/SGB 2009, 451, 455).

35

Vor diesem Hintergrund ist weiter fraglich, ob die Verletzung datenschutzrechtlicher Regelungen ggf nur zum Verbot der Verwertung des rechtswidrig erhobenen Beweismittels führt, oder ob dies Beweisverwertungsverbot - kraft Fernwirkung - sogar auf später erhobene Beweismittel durchschlägt, die auf das unter Verletzung von Datenschutz- oder Verfahrensrechten eingeholte Gutachten Bezug nehmen (so BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 8/07 R - BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1, RdNr 62 f).

36

Die Annahme einer solchen Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots ist in der Literatur auf Kritik gestoßen (kritisch Bieresborn, Anm zu B 2 U 8/07 R, SGb 2009, 49, 51; Behrens/Froede, NZS 2009, 129, 134; zum Vergleich mit fehlender Belehrungspflicht im Strafrecht: Köhler in ZFSH/SGB 2009, 451, 460 f; "schwer erträglich" Kunze, VSSR 2009, 205, 216; "nicht überzeugend" C. Wagner in jurisPR-SozR 25/2008 Anm 6). Diese Kritik führt vor allem an, dass in der Rechtsprechung des BVerfG und der obersten Gerichtshöfe des Bundes eine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten in aller Regel abgelehnt wird (vgl BVerfG vom 8.12.2005 - 2 BvR 1686/04 - BVerfGK 7, 61; BGH vom 28.4.1987 - 5 StR 666/86 - BGHSt 34, 362; BGH vom 24.8.1983 - 3 StR 136/83 - BGHSt 32, 68, 71; BGH vom 6.8.1987 - 4 StR 333/87 - BGHSt 35, 32). Diese Kritik sowie die ständige Rechtsprechung dieser Gerichte werden bei erneuter Prüfung der Problematik zu bedenken sein.

37

Vorliegend kommt es auf diese grundsätzlichen Erwägungen nicht an. Das LSG durfte die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr H vielmehr schon deshalb verwerten, weil eine Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht nicht vorliegt.

38

Eine Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht besteht nach dem Tatbestand des § 200 Abs 2 SGB VII nur für ärztliche "Gutachten". Auf ärztliche Stellungnahmen von Beteiligten ist die Regelung nicht anwendbar. Dr H hat aber für die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme abgegeben. Die Beklagte hat die Ärztin nicht zur Sachverständigen bestellt, sondern nur ihre fachliche Bewertung des Gutachtens eines bestellten Sachverständigen eingeholt. Dr H hat ihre Stellungnahme als beratungsärztliche Äußerung bezeichnet. Auch ihrem Inhalt nach hat sie die Klägerin nicht untersucht und kein Gutachten nach Aktenlage abgegeben. Jeder Beteiligte ist nach dem SGG vielmehr berechtigt, sein Vorbringen auch auf Äußerungen von Beratungsärzten, Hausärzten oder behandelnde Fachärzte zu stützen.

39

Die Stellungnahme der Dr H, in der auf das Gutachten des Dr S hingewiesen wird, ist auch schon deshalb nicht unverwertbar, weil dieses Gutachten seinerseits nicht unter Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht eingeholt wurde.

40

Der Senat hatte auf die zulässig erhobene Verfahrensrüge zu prüfen, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler tatsächlich vorliegt und dabei festgestellt, dass die Klägerin vor Einholung des Gutachtens Dr S mit Schreiben vom 25.1.2001 nach § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII über ihr Widerspruchsrecht belehrt worden war. Die Beklagte schlug der Klägerin mit Schreiben vom 25.1.2001 Gutachter zur Auswahl vor und belehrte sie in demselben Schreiben über ihr Widerspruchsrecht. Diese Belehrung erfolgte zwar nicht in Bezug auf einen namentlich benannten Arzt, hier zB Dr S. Dies ist nach dem Wortlaut der Vorschrift aber auch nicht geboten, denn diese fordert eine im Zusammenhang mit dem Vorschlag von Gutachtern oder deren Beauftragung zu erteilende Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 76 Abs 2 SGB X. Diesen Anforderungen genügte die Beklagte, als sie die Klägerin allgemein, rechtzeitig und vollständig darüber belehrt hat, dass ihre Sozialdaten an die zu beauftragenden Gutachter weitergegeben werde und sie der Weitergabe der Daten widersprechen kann.

41

bb) Die Beklagte hat auch nicht das Auswahlrecht der Klägerin (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII) verletzt.

42

Der Senat ließ in der Entscheidung vom 5.2.2008 (B 2 U 8/07 R, BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1) offen, ob die Verletzung des Auswahlrechts (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII) ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht (BSG aaO, RdNr 57). Inzwischen hat er entschieden, dass die Verletzung des Auswahlrechts nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führt, wenn der Betroffene die Verletzung des Auswahlrechts nicht rechtzeitig rügt (Rügeobliegenheit). Durch die Rüge wird der Unfallversicherungsträger in die Lage versetzt, die eingetretene Rechtsverletzung zu beseitigen sowie zeitnah und nach Maßgabe der §§ 20, 67 ff SGB X, 200 f SGB VII neue Ermittlungen durchzuführen, um dem Beschleunigungsgebot aus § 9 Satz 2 SGB X entsprechend zügig über geltend gemachte Ansprüche zu entscheiden(§ 2 Abs 2 SGB I). Hier kann aber dahingestellt bleiben, ob die anwaltlich vertretene Klägerin rechtzeitig die Verletzung des Auswahlrechts bei Einholung des Gutachtens Dr S gerügt und der Begutachtung durch diesen Arzt widersprochen hätte (vgl auch BSG vom 20.7.2010 - B 2 U 17/09 R - Juris RdNr 33 f; zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen), denn die Beklagte hat schon das Auswahlrecht der Klägerin nicht verletzt.

43

Zwar dürfte das Auswahlrecht der Versicherten nach § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII auch bezüglich der Zusatzgutachter zu beachten sein(vgl Dahm in Lauterbach, UV , Stand August 2009, § 200 RdNr 17 mwN). Die Verletzung kommt in Betracht, denn die Beklagte hat der Klägerin nicht mehrere namentlich benannte Zusatzgutachter vorgeschlagen. Das Auswahlrecht der Klägerin ist dennoch nicht verletzt, denn der Vorschlag mehrerer Zusatzgutachter zur Auswahl war im vorliegenden Fall entbehrlich ("soll").

44

Der Verzicht der Beklagten auf Benennung von mehreren Zusatzgutachtern zur Auswahl war nicht rechtswidrig, denn es lag ein atypischer Fall vor. Die Beklagte teilte der Klägerin mit, dass die Einholung eines orthopädischen und eines Haupt- und eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens beabsichtigt sei. Hierzu schlug sie der Klägerin drei Hauptgutachter und einen Zusatzgutachter zur Auswahl vor. Die Klägerin wandte sich gegen die Begutachtung durch einen der vorgeschlagenen Gutachter und teilte mit, sie wolle durch einen Arzt des Evangelischen Stifts St. M. in K. begutachtet werden. Die Beklagte folgte dem Vorschlag der Klägerin und beauftragte Chefarzt Prof. Dr. B. vom Evangelischen Stift St. M. mit dem Hauptgutachten. Sie bat ihn, bei einem namentlich nicht benannten Arzt ein neurologisch-psychiatrisches Zusatzgutachten einzuholen. Der Hauptgutachter wählte Dr S als Zusatzgutachter aus und beauftragte ihn.

45

Zur Erreichung der mit der Vorschlagspflicht verfolgten Zwecke war es vorliegend nicht geboten, der Klägerin mehrere Zusatzgutachter zur Auswahl zu benennen. § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII bezweckt die Gewährleistung eines transparenten Verfahrens, die Bereitstellung eines Pools von Gutachtern und die Sicherung des Datenschutzes(BT-Drucks 13/4853, S 22). Möglicherweise dient die Regelung, ohne dass dies allerdings Erwähnung in der Gesetzesbegründung gefunden hätte, auch der Verhinderung einer Übermacht des Unfallversicherungsträgers im Verfahren (so der Senat im Urteil vom 5.2.2008 aaO, RdNr 37 bis 39; kritisch dazu Kunze, VSSR 2009, 205, 209 f).

46

Die Versicherte schlug der Beklagten selbst vor, die Begutachtung solle in einer von ihr gewählten Einrichtung erfolgen. Die Beklagte folgte dem Vorschlag. Sie musste, da die Einrichtung weit außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs lag, dort keinen Pool von zur Begutachtung kompetenten Ärzten vorhalten. Die Beklagte nahm auch keinen Einfluss auf die Auswahl der Person des Zusatzgutachters, denn sie überließ die Auswahl dem von der Klägerin gewünschten Hauptgutachter und griff nicht in die Auswahl des Zusatzgutachters ein (vgl auch Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2011, § 200 SGB VII Anm 4.3; kritisch C. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII § 200 RdNr 39). Vorliegend kommt hinzu, dass Dr S kein Hauptgutachten erstattet hat, sondern als Zusatzgutachter für den Hauptgutachter tätig geworden ist. Die Beauftragung eines vom Versicherten gewünschten Arztes löst auch kein weiteres/neues Auswahlverfahren aus.

47

Nach allem ist die Verfahrensrüge der Klägerin unbegründet; das LSG durfte und darf die Stellungnahme der Dr H verwerten.

48

4. In dem wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das LSG aktuelle medizinische Gutachten zu der Frage einzuholen haben, ob konkret zu bezeichnende Gesundheitsstörungen vorliegen, die zu bestimmten Funktionseinschränkungen führen, die bei der Klägerin eine MdE verursachen. Soweit dies zu bejahen ist, ist weiter gutachtlich zu klären, ob zwischen Versicherungsfall und der MdE ein Ursachenzusammenhang besteht und ob daneben andere Ursachen die MdE begründen. Falls mehrere Ursachen für die MdE festgestellt werden, wird zu beurteilen sein, ob der Arbeitsunfall für den Eintritt der MdE eine rechtlich wesentliche Ursache war. Dabei ist das LSG nicht gehindert, die von der Beklagten erhobenen Gutachten und die von ihr vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahmen zu verwerten.

49

5. Das LSG hat in der einheitlich zu treffenden Kostenentscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 30. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist der Umfang des Rechts auf eine Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit nach Nr 4111 (im Folgenden: BK 4111) der Anlage (ab 1.7.2009 Anlage 1) zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) streitig.

2

Der Kläger war im Bergbau vorwiegend als Maschinenhauer tätig. Auf eine ärztliche Anzeige über den Verdacht des Vorliegens einer BK 4111 vom 26.10.1998 lehnte die Beklagte die Feststellung und Entschädigung dieser BK ab, weil der Versicherungsfall entgegen § 6 Abs 1 BKV(idF vom 31.10.1997 , BGBl I 2623) nicht nach dem 31.12.1992 eingetreten sei (Bescheid vom 23.9.1999, Widerspruchsbescheid vom 4.2.2000). Der Kläger hat hiergegen Klage zum SG Gelsenkirchen erhoben.

3

Durch Art 1 Nr 2 Buchst d iVm Art 2 der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom 11.6.2009 (2. BKV-ÄndV; BGBl I 1273) wurde zum 1.7.2009 § 6 Abs 3 Satz 2 BKV eingefügt. Danach waren, falls alle sonstigen Voraussetzungen der BK 4111 vorlagen, auch bereits vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankungen als BK 4111 anzuerkennen, sofern sie einem Unfallversicherungsträger bis zum 31.12.2009 bekannt wurden. Die Beklagte stellte daraufhin während des Klageverfahrens das Recht auf eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH fest. Sie räumte Zahlungsansprüche für Zeiten ab 1.1.2005 ein und teilte mit, dass als Zeitpunkt des Versicherungsfalls der 17.2.1983 "gilt" (Bescheid vom 25.9.2009).

4

Das SG hat die Klagen, im Wesentlichen auf Verurteilung zur Zahlung der Verletztenrente bereits für Zeiten ab 26.10.1998 gerichtet, abgewiesen (Urteil vom 30.7.2010). Nach § 6 Abs 6 Satz 2 BKV könnten Leistungen rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor dem Jahr erbracht werden, in dem der Antrag gestellt worden sei. Dieser Antrag hätte wirksam nicht vor dem 1.7.2009 gestellt werden können, da erst zu diesem Zeitpunkt durch die 2. BKV-ÄndV die Anerkennung einer vor dem 1.1.1993 eingetretenen Erkrankung als BK 4111 ermöglicht worden sei.

5

Mit der Sprungrevision rügt der Kläger eine Verletzung des § 6 Abs 6 BKV. Die Vierjahresregelung des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV gelte wegen des Sachzusammenhangs mit § 6 Abs 6 Satz 1 BKV lediglich im Falle bindender Bescheide oder rechtskräftiger Entscheidungen. Davon gehe auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in einer Stellungnahme vom 14.6.2010 aus. Bei einem generellen Leistungsausschluss für Zeiten vor dem 1.1.2005 ginge die zum 1.7.2009 eingeführte Regelung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV über die Anerkennung einer vor dem 1.1.1993 eingetretenen Erkrankung als BK 4111 für viele Versicherte und Hinterbliebene ins Leere.

6

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 30. Juli 2010 sowie die Regelung über Zahlungsansprüche aus dem Recht auf Verletztenrente im Bescheid der Beklagten vom 23. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2000 sowie des Änderungsbescheides vom 25. September 2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente unter Berücksichtigung auch der Zeiten vom 26. Oktober 1998 bis zum 31. Dezember 2004 zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. § 6 Abs 6 Satz 2 BKV entspreche § 44 Abs 4 SGB X. Auf diese Vorschrift werde bereits im Entwurf der BKV vom 29.8.1997 (BR-Drucks 642/97) hingewiesen. Eine Differenzierung nach abgeschlossenen und nicht abgeschlossenen Verfahren hätte die Verordnungsgeberin eindeutig zum Ausdruck gebracht.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Sprungrevision ist nicht begründet. Das SG hat die zulässig kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Regelung der Beklagten über die Zahlungsansprüche des Klägers im Bescheid vom 23.9.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.2.2000 und des Änderungsbescheides vom 25.9.2009 ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten. Ein Zahlungsanspruch unter Berücksichtigung auch von Zeiten vor dem 1.1.2005 steht ihm nicht zu.

10

Der geltend gemachte Anspruch beurteilt sich nach den Vorschriften des SGB VII, denn der Versicherungsfall der BK 4111 ist nicht vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 eingetreten (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.8.1996, BGBl I 1254, § 212 SGB VII). Nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf eine Rente.

11

Das Gesetz unterscheidet zwischen dem Anspruch auf Feststellung (sog Anerkennung) eines Versicherungsfalls iS des § 7 Abs 1 iVm §§ 8 oder 9 SGB VII(bis zum 31.12.1996: §§ 548, 550, 551 RVO)und den aufgrund eines Versicherungsfalls ggf unter weiteren Voraussetzungen entstehenden Ansprüchen auf bestimmte Leistungen (vgl BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 12/06 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4302 Nr 2 RdNr 19 und vom 16.3.2010 - B 2 U 4/09 R - Juris RdNr 19). Der Versicherungsfall einer Listen-BK setzt voraus, dass die Verordnungsgeberin die Krankheit als BK in einem in Kraft getretenen Tatbestand der BKV bezeichnet hat und sämtliche Merkmale dieses Tatbestandes erfüllt sind (vgl BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 17 RdNr 12). Das war beim Kläger nicht schon am 17.2.1983, weder aufgrund eines feststellenden Verwaltungsakts (dazu 1.) noch kraft normativer Regelung (dazu 2.), oder am 1.12.1997 (dazu 3.), sondern erst seit dem 1.7.2009 der Fall (dazu 4.). Die Verletztenrente ist daher nach § 72 Abs 1 Nr 2 SGB VII ab 2.7.2009, wegen der Sonderregelung des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV allerdings auch unter Berücksichtigung von Zeiten ab 1.1.2005 zu zahlen (dazu 5.).

12

1. Der Bescheid der Beklagten vom 25.9.2009 enthält keine feststellende Regelung iS des § 31 Satz 1 SGB X über einen am 17.2.1983 eingetretenen Versicherungsfall der BK 4111. Den rechtlichen Inhalt eines Verwaltungsaktes hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit festzustellen. Dabei ist Maßstab der Auslegung der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (BSG vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, jeweils RdNr 11 mwN). Gemessen daran ist die Formulierung, als "Zeitpunkt des Versicherungsfalls gilt der 17.02.1983", nur ein Hinweis darauf, dass seit diesem Tag die eine rentenberechtigende MdE bedingende Erkrankung vorliegt. Unabhängig davon, dass der Versicherungsfall nur fiktiv angenommen worden ist ("gilt"), wird hierzu unter Ziffer 5 der Erläuterungen zum Bescheid vom 25.9.2009 ausgeführt, dass bei BKen für Leistungen als Zeitpunkt des Versicherungsfalls der Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, sofern dies für den Versicherten günstiger ist, der Beginn der rentenberechtigenden MdE gilt. Zudem hat die Beklagte unter Ziffer 4 dieser Erläuterungen darauf hingewiesen, dass eine bereits vor dem 1.1.1993 eingetretene und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31.12.2009 bekannt gewordene Erkrankung erst "ab dem 01.07.2009" als BK 4111 anzuerkennen ist. Damit hat die Beklagte gerade nicht erklärt, dass bereits am 17.2.1983 sämtliche Voraussetzungen der BK 4111 infolge einer vor dem 1.1.1993 eingetretenen Erkrankung erfüllt gewesen wären.

13

2. Der Versicherungsfall der BK 4111 lag auch nicht kraft normativer Bestimmungen mit dem Eintritt der Erkrankung am 17.2.1983 vor. Nach der zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschrift des § 551 Abs 1 Satz 2 RVO iVm § 1 der Siebenten Berufskrankheiten-Verordnung vom 20.6.1968 (BKVO; BGBl I 721) sind BKen nur diejenigen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet (Listen-BK). In der Anlage zur BKVO war die BK 4111 indes nicht enthalten. Die Erkrankung "Chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren [(mg/m³) x Jahre]" ist erst mit Wirkung zum 1.12.1997 (§ 8 Abs 1 BKV) als BK 4111 in die Anlage der BKV vom 31.10.1997 (BGBl I 2623) aufgenommen worden.

14

3. Allerdings war der Versicherungsfall der BK 4111 auch nicht mit dem Inkrafttreten der BKV am 1.12.1997 nach der § 551 Abs 1 Satz 2 RVO entsprechenden Nachfolgeregelung des § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII iVm § 1 BKV und der Anlage hierzu eingetreten. Allein mit dem Vorliegen der seit 17.2.1983 bestehenden Erkrankung am 1.12.1997 war, auch wenn sie infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit verursacht wurde, der Tatbestand der BK 4111 noch nicht erfüllt. Er setzte außerdem voraus, dass die Erkrankung nach dem 31.12.1992 aufgetreten war. Das ergibt sich aus § 6 Abs 1 BKV aF, wonach eine am 1.12.1997 bestehende Krankheit nach Nr 4111 nur dann auf Antrag als BK anzuerkennen ist, wenn der Versicherungsfall "nach dem 31. Dezember 1992" eingetreten ist. Der Versicherungsfall der BK 4111 hing zu Beginn seiner Einführung davon ab, dass zu dem genannten Stichtag der Betroffene noch nicht erkrankt war. Neben der Erkrankung an sich war daher auch ihr Auftreten nach dem 31.12.1992 Tatbestandsvoraussetzung für den Eintritt des Versicherungsfalls. Der Kläger war indes bereits am 17.2.1983 erkrankt.

15

Dass trotz der Einführung der BK 4111 zum 1.12.1997 in § 6 Abs 1 BKV aF und in § 6 Abs 3 Satz 1 BKV nF vom "Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992" die Rede ist, steht dem nicht entgegen. Die Verordnungsgeberin hat den Begriff des Versicherungsfalls nicht in seiner gemäß § 7 Abs 1 SGB VII gesetzlichen Bedeutung, sondern untechnisch und gleichbedeutend mit "Erkrankung" verwendet. Der Versicherungsfall einer BK kann erst dann eintreten, wenn die BK durch ihre in Kraft gesetzte Aufnahme in die Anlage zur BKV überhaupt rechtlich existent ist. Die BK 4111 ist aber erst mit Wirkung zum 1.12.1997 in die Anlage zur BKV aufgenommen worden, so dass ein davor eingetretener Versicherungsfall ausscheidet. Den ungenauen Wortgebrauch hat die Verordnungsgeberin in dem zum 1.7.2009 eingeführten § 6 Abs 3 Satz 2 BKV vermieden. Danach ist die Anerkennung der BK 4111 für den Fall vorgesehen, dass die "Erkrankung" bereits vor dem 1.1.1993 eingetreten und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31.12.2009 bekannt geworden ist. Auch unter dem "Versicherungsfall" iS des § 6 Abs 1 BKV aF und des § 6 Abs 3 Satz 1 BKV nF ist also der "Erkrankungsfall" zu verstehen.

16

4. Der Versicherungsfall der BK 4111 ist beim Kläger am 1.7.2009 eingetreten. Erst zu diesem Zeitpunkt ist deren Anerkennung für vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankungen eröffnet worden. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen für die Feststellung eines Versicherungsfalls vor, tritt der Versicherungsfall frühestens zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Bundesregierung als Verordnungsgeberin aufgrund ihrer Ermächtigung in § 9 Abs 1 SGB VII mit Zustimmung des Bundesrates den BK-Tatbestand eingeführt hat.

17

Die Regelung des § 6 Abs 1 BKV aF ist zum 1.10.2002 in § 6 Abs 2 BKV(Art 1 Nr 2 Buchst a und b und Art 2 der Verordnung zur Änderung der BKV vom 5.9.2002 ) und zum 1.7.2009 in § 6 Abs 3 Satz 1 BKV(Art 1 Nr 2 Buchst a, b und d sowie Art 2 der 2. BKV-ÄndV) fortgeführt worden. Nach § 6 Abs 3 Satz 2 BKV ist abweichend von § 6 Abs 3 Satz 1 BKV eine Erkrankung nach Nr 4111 auch dann als BK anzuerkennen, wenn die Erkrankung bereits vor dem 1.1.1993 eingetreten und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31.12.2009 bekannt geworden ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Von der 1983 beim Kläger aufgetretenen Erkrankung hat die Beklagte 1998 Kenntnis erlangt.

18

§ 6 Abs 3 Satz 2 BKV ist indes am 1.7.2009 in Kraft getreten (Art 2 der 2. BKV-ÄndV) und entfaltet daher erst ab diesem Tag Rechtswirkungen. Erst das Inkrafttreten einer Rechtsnorm gemäß Art 82 Abs 2 Satz 1 und 2 GG führt zur Wirksamkeit der Geltungsanordnung (vgl hierzu BSG vom 16.3.2010 - B 2 U 8/09 R - SozR 4-2700 § 63 Nr 5 RdNr 17). § 6 Abs 3 Satz 2 BKV knüpft zwar an vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankungen iS einer tatbestandlichen Rückanknüpfung (vgl hierzu BVerfG vom 14.5.1986 - 2 BvL 2/83 - BVerfGE 72, 200, 242 f) an, enthält aber keine Rückbewirkung von Rechtsfolgen, weil sein Inkrafttreten nicht auf einen Zeitpunkt vor seiner Verkündung festgelegt wurde. Die mit "Rückwirkung" überschriebene Übergangsbestimmung regelt lediglich ab ihrem Inkrafttreten am 1.7.2009 eine Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs auf Sachverhalte iS der BK 4111, die vor ihrem Inkrafttreten eingetreten sind (vgl BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 1/08 U R - BSGE 102, 121 = SozR 4-2700 § 9 Nr 12, jeweils RdNr 17). Dadurch, dass § 6 Abs 3 Satz 2 BKV die Anerkennung der BK 4111 unabhängig vom Zeitpunkt der rechtzeitig bekannt gewordenen Erkrankung ermöglicht, misst sich die Norm in zeitlicher Hinsicht keine Geltung bereits vor dem 1.7.2009 oder sogar vor dem 1.12.1997, dem Tag des Inkrafttretens der BKV, zu. Vielmehr macht sie das nach ihrer Verkündung liegende Eintreten von Rechtsfolgen (Versicherungsfall BK 4111) auch von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig.

19

Aus dem Entwurf der Bundesregierung zur 2. BKV-ÄndV ergibt sich nichts anderes. Darin wird ausgeführt, dass die zeitliche Begrenzung der rückwirkenden Anerkennung bereits bestehender Erkrankungsfälle bei der BK 4111 nicht sachgerecht sei (vgl BR-Drucks 242/09 S 12 zu Nr 2 Buchst d). Indem von der "rückwirkenden Anerkennung" die Rede ist, wird nicht schon der in der BKV nicht erklärte Wille verdeutlicht, dass die Rechtsfolge des Eintritts des Versicherungsfalls der BK 4111 wegen einer vor dem 1.1.1993 aufgetretenen Erkrankung bereits vor dem 1.7.2009 eintreten soll. § 6 Abs 3 Satz 2 BKV zielt darauf ab, entgegen dem früheren Recht ab dem 1.7.2009 die Anerkennung einer vor dem 1.1.1993 aufgetretenen Erkrankung als Versicherungsfall der BK 4111 zu eröffnen, ohne den Zeitpunkt der Einführung der BK 4111 zum 1.12.1997 oder der Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs zum 1.7.2009 in Frage zu stellen. Nicht die rückwirkende Anerkennung der BK 4111, sondern lediglich die Anerkennung der zurück-, vor dem 1.1.1993 liegenden Erkrankungen als BK 4111 sollte eingeräumt werden. Hätte die Bundesregierung bei einer vor dem 1.1.1993 aufgetretenen Erkrankung den Versicherungsfall der BK 4111 bereits vor dem 1.7.2009 einführen wollen, hätte es einer rückwirkenden Inkraftsetzung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV bedurft.

20

5. Wegen des am 1.7.2009 eingetretenen Versicherungsfalls der BK 4111 sind Zahlungsansprüche für Zeiten vor dem 1.1.2005 ausgeschlossen.

21

Die Verletztenrente wird gemäß § 72 Abs 1 SGB VII von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet (Nr 1) oder der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist (Nr 2). Danach ist die Verletztenrente dem Kläger mangels Anspruchs auf Verletztengeld ab 2.7.2009 zu zahlen. Allerdings sind aufgrund der Sonderregelung des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV bereits Zeiten ab 1.1.2005 zu berücksichtigen.

22

§ 6 Abs 1 bis 5 BKV regelt die Anerkennung von BKen, die im Rahmen der Neufassung der BKV oder einer Änderungs-Verordnung zur BKV oder BKVO neu in die Anlage (1) aufgenommen oder bezeichnet worden sind. Diese neuen BKen sind auch dann festzustellen, wenn die Erkrankungen in der Vergangenheit eingetreten sind. Soweit die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach § 6 Abs 1 bis 5 BKV erfüllt sind, stehen einer solchen Feststellung gemäß § 6 Abs 6 Satz 1 BKV bindende Bescheide und rechtskräftige Entscheidungen nicht entgegen. Während diese, hier mangels bestands- oder rechtskräftiger Ablehnung der BK 4111 nicht einschlägige Vorschrift allein die Anerkennung eines Versicherungsfalls betrifft, indem sie frühere bindende Bescheide und rechtskräftige Entscheidungen für nicht mehr rechtswirksam erklärt, legt § 6 Abs 6 Satz 2 BKV den Umfang des erst aufgrund der Inkraftsetzung des neuen BK-Tatbestandes entstandenen Leistungsanspruchs fest. Danach werden Leistungen rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren ab Beginn des Jahres erbracht, in dem der Antrag gestellt worden ist. Diese Vorschrift regelt nicht den durch Parlamentsgesetz in § 72 SGB VII bestimmten Rentenbeginn, dessen Modifikation der Verordnungsgeberin ohne gesetzliche Ermächtigung verwehrt ist. Sie räumt vielmehr Zahlungsansprüche in dem Umfang ein, als wäre der Versicherungsfall bereits vor dem Tag seiner rechtswirksamen Aufnahme in die BK-Liste, frühestens vier Jahre vor Beginn des Jahres der Antragstellung eingetreten.

23

Im Falle der BK 4111 iS des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV werden Versicherte - und hier der Kläger - aufgrund des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV so gestellt, als wäre der Versicherungsfall bereits am 31.12.2004 und ein Leistungsanspruch am 1.1.2005 entstanden. Der in der letztgenannten Bestimmung geregelte Vierjahreszeitraum ist zwar vom Beginn des Jahres an zu rechnen, in dem ein Antrag gestellt worden ist. Da § 6 Abs 6 BKV nicht nur für einen speziellen BK-Tatbestand, sondern für sämtliche Fallgestaltungen des § 6 Abs 1 bis 5 BKV gilt, ist unter dem "Antrag" iS des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV nur ein, aber auch jeder Antrag iS des § 6 Abs 1 bis 5 BKV zu verstehen, mit dem eine durch diese Vorschriften eingeführte Begünstigung durch Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs einer bestimmten BK auf vor deren Inkrafttreten eingetretene Sachverhalte geltend gemacht wird. Ein solcher Antrag des Klägers ist vom SG zwar nicht festgestellt worden. Die Vorschrift des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV ist aber auch auf den in § 6 Abs 3 Satz 2 BKV geregelten Fall anzuwenden, dass einem Unfallversicherungsträger die vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankung (bis zum 31.12.2009) auch ohne Antrag bekannt wird. Denn anders als die Regelungen in § 6 Abs 1, 2, 3 Satz 1, 4 und 5 BKV, die sämtlich einen Antrag auf Anerkennung der jeweils genannten BK voraussetzen, lässt § 6 Abs 3 Satz 2 BKV das rechtzeitige Bekanntwerden genügen. Dass sich § 6 Abs 6 Satz 2 BKV nach dem Willen der Verordnungsgeberin nicht auf die Fallgestaltung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV erstrecken sollte, hat sie weder in der BKV noch im Entwurf zur 2. BKV-ÄndV (BR-Drucks 242/09) verdeutlicht. Da die BK 4111 iS des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV allerdings rechtswirksam erst zum 1.7.2009 eingeführt worden ist, ist bei der Bemessung der Verletztenrente nur der zurückliegende Zeitraum bis 1.1.2005 zu berücksichtigen.

24

Zu einer anderen Beurteilung führt nicht die vom Kläger vorgelegte Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 14.6.2010. Dessen Einschätzung, an die der Senat nicht gebunden ist, verkennt, dass § 6 Abs 3 Satz 2 BKV nicht rückwirkend, sondern am 1.7.2009 in Kraft getreten ist.

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der beklagten Berufsgenossenschaft die Zahlung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

2

Sie ist die Witwe des am 8.8.2000 an einem Bronchialkarzinom des rechten Lungenlappens verstorbenen Versicherten. Dieser war von August 1958 bis 31.12.1994 als Schweißer bei einem Werftunternehmer, der Mitglied der Beklagten ist, in Hamburg beschäftigt. Zur Arbeitsausrüstung gehörte ein Kniekissen, in das Asbesttuch eingenäht war. Er schweißte mit hochlegiertem Chrom-/Nickel-Stahl, unlegiertem Stahl und Aluminium. Als Schweißverfahren kamen mit jeweils zu einem Drittel das Wolfram-Inert-Gas-Schweißen, das Lichtbogenhandschweißen mittels Stabelektrode und das Metall-Aktiv-Gas-Schweißen mit Fülldraht-Elektrode zur Anwendung, eingesetzt wurden thoriumhaltige Zündelektroden und "Thermanit-X-Elektroden".

3

Der Versicherte teilte der Beklagten unter dem 23.12.1999 mit, bei ihm sei im Oktober 1999 ein Lungentumor festgestellt worden. Er habe zeitlebens nicht geraucht und bringe die Erkrankung mit seiner Arbeit als Schweißer in Verbindung. Die Beklagte forderte noch im Juli 2000 von dem behandelnden Hausarzt des Versicherten Dr. K. eine Benachrichtigung für den Fall der Verschlechterung des Gesundheitszustands des Versicherten an. Am 8.8.2000 ist der Versicherte an dem Lungentumor verstorben. Am 31.8.2000 erhielt die Beklagte die Nachricht, der Versicherte sei ohne vorherige Sektion eingeäschert worden. Die Beklagte lehnte die "Gewährung von Witwenrente" im Hinblick auf die Berufskrankheiten (BKen) 1103, 4104 und 4109 an die Klägerin ab (Bescheid vom 23.1.2001, Widerspruchsbescheid vom 1.6.2001).

4

Die Klägerin hat bei dem Sozialgericht (SG) Itzehoe Klage erhoben (S 1 U 71/01). Während des Verfahrens hat die Beklagte die Feststellung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenrente auch im Blick auf eine inzwischen geprüfte BK 2402 abgelehnt (Bescheid vom 7.12.2001, Widerspruchsbescheid vom 15.3.2002). Die auch hiergegen erhobene Klage (S 1 U 32/02) hat das SG mit dem schon anhängigen Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Klagen abgewiesen (Urteil vom 24.2.2003).

5

Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG sowie die angefochtenen Ablehnungsentscheidungen aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin unter Anerkennung der Lungenkrebserkrankung des Versicherten als BK 1103, BK 4109 und BK 2402 ab 8.8.2000 Hinterbliebenenrente zu zahlen. Hingegen hat es die Berufung zurückgewiesen, soweit die Verurteilung zur Zahlung von Hinterbliebenenrente aufgrund einer BK 4104 begehrt wurde (Urteil vom 13.9.2007). Die Klägerin habe Anspruch auf Hinterbliebenenrente, da der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten sei. Zwar liege keine der genannten Listen-BKen monokausal vor, es sei aber anzunehmen, dass die Einwirkungen von Chromat, Nickeloxid, ionisierender Strahlung und Asbest im Sinne einer Synkanzerogenese mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Bronchialkarzinom beim Versicherten verursacht hätten und er infolge der anerkannten BKen verstorben sei.

6

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 9 Abs 1 und 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Die schädigenden Einwirkungen durch Chromat, Nickeloxid, ionisierende Strahlen sowie Asbest stellten keine BK dar. Lediglich für das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) sei eine Dosis-Wirkungs-Beziehung festgelegt. Zwar gebe es Hinweise in der medizinischen Wissenschaft, dass auch das Zusammenwirken anderer Stoffe karzinogene Wirkung habe. Welche Stoffe im Einzelnen mit welcher Dosis eingewirkt haben müssten, damit sie im Zusammenwirken einen Lungenkrebs hervorrufen könnten, sei wissenschaftlich aber noch nicht geklärt. Auch wenn das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 27.6.2006 (B 2 U 9/05 R) die Einwirkungen der BKen 2108 und 2110 zusammengefasst habe, könne dies nicht auf den Fall des Zusammenwirkens von vier Arbeitsstoffen übertragen werden. Im Übrigen habe das LSG die Berufung hinsichtlich der BK 4104 zurückgewiesen, aber die Einwirkungen durch Asbest in die Berechnung des Risikos des Versicherten einbezogen.

7

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. September 2007 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 24. Februar 2003 zurückzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung der Entscheidung des LSG und Zurückverweisung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz).

10

Das Urteil des LSG verletzt Bundesrecht, soweit es das Urteil des SG und die ablehnenden Entscheidungen in den Bescheiden der Beklagten vom 23.1.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.6.2001 sowie vom 7.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.3.2002 aufgehoben und die Beklagte verurteilt hat, der Klägerin ab 8.8.2000 Hinterbliebenenrente aufgrund einer Gesamtbetrachtung der BKen 1103, 4109 und 2402 zu zahlen. Ob die Klägerin aufgrund einer der BKen 1103, 4109 oder 2402 oder mehrerer von diesen einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente hat, kann der Senat nicht abschließend entscheiden, da das LSG hierzu die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat.

11

1. Nach § 63 Abs 1 SGB VII haben Hinterbliebene ua Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist. Nach § 7 Abs 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und BKen. Beim Versicherten konnten als Versicherungsfall nur BKen vorgelegen haben.

12

Bei BKen ist nach § 9 SGB VII zwischen "Listen-BKen" und "Wie-BKen" zu unterscheiden. Eine Listen-BK nach § 9 Abs 1 SGB VII setzt voraus, dass die Krankheit als BK in einem Tatbestand der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) erfasst ist und diesen erfüllt. Hingegen ist eine Wie-BK nach § 9 Abs 2 SGB VII als Versicherungsfall anzuerkennen, wenn die Krankheit nicht in der BKV bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht erfüllt, aber nach neuen Erkenntnissen der Wissenschaft die Voraussetzungen für ihre Bezeichnung als BK in der Anlage zur BKV durch den Verordnungsgeber gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII vorliegen. Das Gesetz definiert für die BK also zwei Arten von Versicherungsfällen (BSG vom 25.7.2001 - B 8 KN 1/00 U R - BSGE 88, 226 = SozR 3-2700 § 63 Nr 1 - juris RdNr 15; BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 2/07 U R - juris RdNr 15) . Jeder dieser Versicherungsfälle kann iS des § 63 Abs 1 Satz 2 SGB VII zum Tod des Versicherten führen und Leistungen an Hinterbliebene auslösen.

13

2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente wegen eines Todes des Versicherten infolge des Versicherungsfalls einer BK 4104, weil dieser nicht vorgelegen hat (a). Es hat auch nicht der Versicherungsfall einer Art "Gesamt-BK" aufgrund einer Gesamtbetrachtung oder Kombination von mehreren Listen-BKen (b) oder der Versicherungsfall einer Wie-BK vorgelegen (c). Ob der Versicherte an den Folgen des Versicherungsfalls einer Listen-BK 1103 oder 4109 oder 2402 (§ 9 Abs 1 SGB VII iVm der Anlage 1 zur BKV) verstorben ist (d), kann der Senat nicht abschließend entscheiden, weshalb das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen ist.

14

a) Aus § 9 Abs 1 SGB VII lassen sich für eine Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oä auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität; vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14) .

15

Von den in der Anlage zur BKV bezeichneten Listen-BKen kommt im Falle des Versicherten, der als Schweißer gearbeitet hat, berufsbedingt den Stoffen Chromat, Nickeloxid, ionisierender Strahlung und Asbest ausgesetzt war und an einem Lungentumor verstorben ist, ein Versicherungsfall nach folgenden BK-Tatbeständen in Betracht:

Nr 1103:

Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen

Nr 2402:

Erkrankungen durch ionisierende Strahlen

Nr 4104:

Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs
- in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder
- in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder
- bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren

Nr 4109:

Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen

16

Die BK Nr 4104 scheidet schon deswegen aus, weil bei dem Versicherten weder das Bild einer Asbestose noch einer durch Asbeststaub verursachten Erkrankung der Pleura noch eine Einwirkung von 25 Asbestfaserjahren vorgelegen hat (zu den anderen Listen-BKen unten d).

17

b) Entgegen der Auffassung des LSG ist der Versicherte nicht infolge eines Versicherungsfalls einer Art "Gesamt-BK" aufgrund einer Gesamtbetrachtung oder Kombination der Listen-BKen 1103, 4109 und 2402 verstorben.

18

Zwar ist der Klägerin darin zu folgen, dass das LSG nicht nur die BKen 1103 und 4109, sondern - ausweislich des Tenors - auch die BK 2402 bejaht hat. Die Beklagte hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Art und Weise, wie das LSG die Verursachungswahrscheinlichkeit gemeinsam für die BKen 1103, 2402 und 4109 errechnet hat, zu beanstanden ist.

19

Es widerspricht dem Bundesrecht, wenn die Verwaltung oder die Gerichte Tatbestände mehrerer Listen-BKen zu einer neuen Gesamt-BK verbinden. Zur Bezeichnung einer neuen (Listen-)BK ist nur die Bundesregierung als Verordnungsgeberin - mit Zustimmung des Bundesrates - ermächtigt (§ 9 Abs 1 SGB VII) und neben diesem Listenprinzip gibt es nur die sog Öffnungsklausel unter den eingeschränkten Voraussetzungen des § 9 Abs 2 SGB VII.

20

Indem der Verordnungsgeber mit Wirkung zum 1.7.2009 durch Art 1 Nr 3 Buchst d der 2. Verordnung zur Änderung der BKV vom 11.6.2009 (BGBl I, 1273) einen BK-Tatbestand geschaffen hat, der nun eine Erkrankung nach schädigenden Einwirkungen zweier synkanzerogen wirkender Stoffe als Versicherungsfall bezeichnet (BK 4114: Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die eine Verursachungswahrscheinlichkeit von mindestens 50 vH nach Anlage 2 der BKV begründet), wird deutlich, dass er durchaus auch die berufsbedingte Verursachung einer Erkrankung durch das Zusammenwirken verschiedener gefährdender Stoffe als BK bezeichnen kann.

21

In dem Urteil vom 27.6.2006 (B 2 U 9/05 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 8) zum Verhältnis der BKen 2108 und 2110 hat der Senat "nicht eine aus den Tatbeständen der Nr 2108 und 2110 zusammengesetzte neue BK gebildet, sondern dem Umstand Rechnung getragen, dass in Bezug auf die Wirbelsäulenerkrankung die Tatbestandsvoraussetzungen beider BKen (nebeneinander) vorliegen" (RdNr 18). Soweit Mell in seiner Anmerkung zu dem Urteil (SGb 2007, 562 f) von einer "Verklammerung" des BK-Geschehens schreibt, ändert dies nichts an der getrennten Betrachtung beider BKen durch den Senat. Klarzustellen ist jedoch, dass bei einem Versicherten, der an einer Krankheit leidet, die Gegenstand mehrerer BKen ist, wenn er zudem Einwirkungen ausgesetzt war, die von jeder dieser BKen erfasst werden, schon nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu prüfen ist, ob die Einwirkungen die in der BK bezeichnete Erkrankung verursacht haben. Diese Einwirkungen können nicht isoliert gesehen werden, sondern sind sich wechselseitig beeinflussende konkurrierende Ursachen (vgl nur BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 16) . Ob der Tod des Versicherten in diesem Sinne wesentlich durch die Einwirkungen nach einer der möglichen BKen Nr 1103, 2402, 4109 verursacht wurde, hat das LSG jedoch nicht geprüft (siehe nachfolgend d).

22

c) Der Versicherte ist auch nicht infolge des Versicherungsfalls einer Wie-BK (§ 9 Abs 2 SGB VII) verstorben.

23

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Senat nicht gehindert, über den Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente wegen einer Wie-BK zu entscheiden (aa). Zum maßgeblichen Zeitpunkt (bb) hat beim Versicherten der Versicherungsfall einer Wie-BK nicht vorgelegen (cc), denn die Voraussetzungen für die Bezeichnung der Erkrankung Lungenkrebs infolge der gemeinsamen Einwirkungen von Chromat, Nickeloxid, ionisierender Strahlung und Asbeststaub in der Anlage zur BKV als BK waren nicht gegeben.

24

aa) Der von der Klägerin bestimmte Streitgegenstand umfasst das Begehren auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Witwenrente unter jedem rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkt. Diesen Anspruch hat die Beklagte mit den Ablehnungsentscheidungen in ihren Bescheiden verneint.

25

Die Beklagte verweist zu Unrecht auf die Rechtslage, die gilt, wenn ein Versicherter selbst die Feststellung eines Versicherungsfalls einer BK durch die Verwaltung begehrt oder Versicherungsansprüche gegen sie erhebt. Dabei bilden jede Listen- und jede Wie-BK jeweils einen eigenständigen Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, über den der zuständige Träger einen feststellenden Verwaltungsakt (positiver oder negativer Art) zu erlassen hat. Die Feststellung des Versicherungsträgers, eine BK liege vor oder nicht vor, kann sich wegen der völlig verschiedenen Voraussetzungen der Listen-BKen in der Anlage zur BKV untereinander und den dazu und untereinander ebenfalls völlig unterschiedlichen Voraussetzungen der eventuell zu prüfenden Wie-BKen nach § 9 Abs 2 SGB VII immer nur auf einzelne Listen- oder Wie-BKen beziehen. Daher kann der Versicherte eine Anfechtungsklage nur gegen einen Verwaltungsakt erheben, mit dem der Versicherungsträger die Feststellung einer bestimmten BK oder Wie-BK (oder mehrerer solcher Versicherungsfälle) abgelehnt hat (vgl BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 3/07 U R - SozR 4-2700 § 9 Nr 13 RdNr 12; BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 2/07 U R - juris RdNr 15 f) .

26

Anders ist die Rechtslage bei Hinterbliebenen, die ein abgeleitetes, aber eigenständiges Recht gegen den Träger geltend machen. Nach § 63 Abs 1 SGB VII ist Voraussetzung eines jeden Hinterbliebenenrechts(§§ 64 bis 71 SGB VII) , dass in der Person des Versicherten ein Versicherungsfall eingetreten war und er infolgedessen verstorben ist. Die Frage, ob ein Versicherungsfall vorgelegen hat und welcher es genau war, ist kein selbstständiger Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, über den durch Verwaltungsakt entschieden werden dürfte, sondern nur eine Tatbestandsvoraussetzung des streitgegenständlichen Anspruchs. Wird dieser Anspruch durch negativ feststellenden Verwaltungsakt verneint, ist die Äußerung des Trägers, ein Versicherungsfall, zB eine bestimmte BK oder Wie-BK habe nicht vorgelegen, nur ein unselbstständiges Begründungselement des Verwaltungsakts. Der Hinterbliebene kann sich daher darauf beschränken vorzutragen, beim Versicherten habe irgendein Versicherungsfall (Arbeitsunfall, Listen-BK, Wie-BK) vorgelegen, der seinen Tod herbeigeführt habe. Der Träger muss dann allein darüber entscheiden, ob das vom Hinterbliebenen verfolgte Recht auf Hinterbliebenenleistungen besteht oder nicht besteht. Hingegen ist er schon mangels einer gesetzlichen Ermächtigung nicht befugt, einen feststellenden Verwaltungsakt darüber zu erlassen, ob der Versicherte einen Versicherungsfall erlitten hatte. Es gibt auch keine Anspruchsgrundlage für einen Anspruch des Hinterbliebenen auf eine isolierte Vorabentscheidung des Trägers über das frühere Vorliegen eines Versicherungsfalles beim Versicherten. Hierfür besteht im Übrigen auch kein Bedürfnis, weil nach dem Tod des Versicherten der Eintritt weiterer Versicherungsfälle, deren Folgen voneinander abzugrenzen sein könnten, ausgeschlossen ist. Auch hier hat die Beklagte zwar mehrfach im Blick auf verschiedene Sachverhalte, aber jeweils nur einheitlich festgestellt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Witwenrente habe.

27

bb) Für die Entscheidung, ob der Versicherte infolge eines Versicherungsfalls verstorben ist, ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Versicherte verstorben ist.

28

Der Senat hat zwar im Zusammenhang mit Ansprüchen von Versicherten entschieden, neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssen sich im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten noch nicht bis zur Aufnahme in die BK-Liste verdichtet haben. Es reiche aus, wenn dies im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch geschehen sei (BSG vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 253; BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 16/01 R - juris RdNr 17) .

29

Dies ist aber auf die Rechte der Hinterbliebenen eines Versicherten nicht übertragbar, weil sie aus dessen letzter Rechtsstellung abgeleitet sind. Gemäß § 63 Abs 1 Satz 2 SGB VII muss der Tod des Versicherten "infolge eines Versicherungsfalls eingetreten" sein. Der Todestag des Versicherten ist der späteste Zeitpunkt, an dem er einen Versicherungsfall erlitten haben kann.

30

cc) Der Versicherte ist am 8.8.2000 nicht infolge des Versicherungsfalls einer Wie-BK verstorben.

31

Nach § 9 Abs 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit (Wie-BK) als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. Diese "Öffnungsklausel" des § 9 Abs 2 SGB VII soll nur die Regelungslücken in der BKV schließen, die sich aus den zeitlichen Abständen zwischen den Änderungen der BKV ergeben. Die Regelung ist aber keine allgemeine Härteklausel, für deren Anwendung es genügen würde, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der BK-Liste bezeichneten Krankheit sind (vgl BSG vom 30.1.1986 - 2 RU 80/84 - BSGE 59, 295 = SozR 2200 § 551 Nr 27) . Vielmehr soll die Anerkennung einer Wie-BK nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen (vgl § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) erfüllt sind, der Verordnungsgeber aber noch nicht tätig geworden ist (vgl BT-Drucks 13/2204, 77 f) .

32

Der Versicherungsfall einer Wie-BK ist eingetreten, wenn neben den Voraussetzungen der schädigenden Einwirkungen aufgrund der versicherten Tätigkeit, der Erkrankung und der haftungsbegründenden Kausalität im Einzelfall auch die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfüllt sind. Der Versicherungsfall der Wie-BK lässt sich zwar nachträglich feststellen, er ist aber objektiv zu dem Zeitpunkt eingetreten, zu dem die Voraussetzungen des § 9 Abs 2 SGB VII gegeben sind(vgl noch zu § 551 Abs 1 Satz 2 RVO: BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 1/08 U R - SozR 4-2700 § 9 Nr 12 RdNr 23) . Im vorliegenden Fall kommt es also entscheidend darauf an, ob es spätestes am 8.8.2000 wissenschaftliche Erkenntnisse gab, nach denen die Erkrankung Lungenkrebs, wenn sie durch die Einwirkungen von Chromat, Nickeloxid, Asbest und ionisierender Strahlung gemeinsam verursacht worden ist, in die Liste der BKen aufzunehmen war. Dies ist indes nach den Feststellungen des LSG, das eine Auskunft des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften eingeholt hat, nicht der Fall (vgl im Übrigen: Schneider, ASUMed 2008, 326; Ergebnisse des Fachgesprächs "Synkanzerogenese" in der BG Akademie Hennef am 25./26.11.2005, BGFA-Info 01-06, S 17; Thomas Brüning, SYNERGIE - ein Beitrag zur Klärung der Synkanzerogenese - fordert vor der BGFA der DGUV am 27.1.2009 die Einrichtung epidemiologischer Datenbanken zur Beurteilung der synkanzerogenen Wirkung von Stoffen wie Asbest, PAK, Chrom und Nickel; http: www.igf-bbg.de/schlema6/tag2/Brüning_BGFA.pdf ; Pesch, Weiss, Westphal, Brüning, Berufliche Chrom- Exposition und Lungenkrebsrisiko, BGFA, August 2008, S 23) .

33

d) Ob der Tod des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls nach § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 1103, 2402 oder 4109 der Anlage zur BKV, der durch das Miteinwirken des Listenstoffes als wesentliche Teilursache für die Erkrankung des Versicherten verursacht wurde, eingetreten ist, kann der Senat nicht abschließend entscheiden.

34

Nach den Feststellungen des LSG ist der Versicherte berufsbedingt schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen. Allerdings hat das LSG für jeden der in den angeführten Listen-BKen bezeichneten Arbeitsstoffe monokausal die haftungsbegründende Kausalität verneint. Keiner der Stoffe hat allein die in der jeweiligen Listen-BK bezeichnete Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verursacht. Für die BK 1103 ist eine Einwirkung in der Größenordnung von 2000 µg/m³ x Jahre erforderlich, einer solchen Dosis ist der Versicherte bei weitem nicht ausgesetzt gewesen. Bei der Einwirkung durch ionisierende Strahlen (BK 2402) wird anhand der Einwirkungsdosen (Bql, mSv) die Verursachungswahrscheinlichkeit in Prozent ermittelt, die beim Versicherten maximal 23 vH erreicht hat. Bei der BK 4109 ist eine berufliche Einwirkung durch Nickel von 5000 µg/m³ x Jahre erforderlich, die ebenfalls nicht - auch nicht iS des Halbwerts - erreicht worden ist.

35

Eine dieser Listen-BKen liegt aber nicht nur dann vor, wenn die in ihrem Tatbestand genannten Einwirkungen durch einen bestimmten Stoff auf die Gesundheit schon monokausal die dort bestimmten Voraussetzungen erfüllen. Denn selbst wenn diese Einwirkungen bei isolierter Betrachtung nicht die Voraussetzungen an die Einwirkungsdauer, -intensität, -häufigkeit oder -weise erfüllen, können sie dennoch eine wesentliche Teilursache der als BK anerkannten Krankheit nach der Theorie der wesentlichen Bedingung sein (vgl zur Prüfung des Versicherungsfalls einer Listen-BK: BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 33/07 R - BSGE 103, 54 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 5; zur Theorie der wesentlichen Bedingung: BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 13 ff) .

36

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst wenn feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier Einwirkungen durch einen Arbeitsstoff - eine naturphilosophische Teilursache der Krankheit ist, stellt sich die Frage nach einer rechtlich wesentlichen Verursachung des Erfolgs durch das Ereignis. Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist in diesem zweiten Schritt zwischen Ursachen zu unterscheiden, denen der Erfolg zugerechnet wird und die für den Erfolg rechtlich unerheblich sind. Als kausal und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 13 f mwN; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - juris RdNr 12) .

37

Erfüllen die Einwirkungen eines bestimmten Arbeitsstoffs nicht die im BK-Tatbestand genannten Einwirkungsvoraussetzungen - so wie hier der Asbest die 25 Faserjahre nach der BK 4104 Alternative 3 (siehe oben a) -, können sie zwar die anerkannte Krankheit mitverursacht haben, eine Anerkennung dieser BK scheidet aber aus, weil die Mindestanforderungen des jeweiligen BK-Tatbestandes nicht gegeben sind.

38

Für die Arbeitsstoffe der hier in Betracht kommenden BKen 1103, 2402, 4109, deren Bezeichnung keine Dosis enthält, ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob der Stoff des jeweiligen BK-Tatbestands nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass das Entstehen der Erkrankung entfiele. Ist ein Listenstoff in diesem naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne ursächlich geworden, ist weiter zu prüfen, ob er eine wesentliche (Teil-)Ursache für den Eintritt der Erkrankung gesetzt hat. Denn die Theorie der wesentlichen Bedingung verlangt bei der Prüfung, ob eine Einwirkung einen wesentlichen Kausalbeitrag gesetzt hat, nicht abstrakt eine mindestens gleichwertige Bedeutung für den Erfolg. Vielmehr lässt sie es zu, ihre "Wesentlichkeit" für die festgestellte Erkrankung auch bei einem naturphilosophisch notwendigen Zusammenwirken mehrerer in der Anlage zur BKV bezeichneter schädigender Einwirkungen zu bejahen. Dem Zusammenwirken einzelner Mitbedingungen in einer Gruppe, die als Kollektiv für einen Erfolg wesentlich ist, kann so viel Eigenbedeutung zukommen, dass auch dem einzelnen Listenstoff des Einwirkungsgemischs wesentliche Bedeutung für den Erfolg iS eines BK-Tatbestands zukommt (vgl BSG vom 12.6.1990 - 2 RU 14/90 - juris RdNr 21; Becker in MedSach 2005, 115) .

39

3. Auf die Revision der Beklagten ist die Entscheidung des LSG, die § 9 SGB VII verletzt, aufzuheben. Der Rechtsstreit ist an das LSG zurückzuverweisen, damit geklärt werden kann, ob die Einwirkungen durch Chromat, Nickeloxid oder ionisierende Strahlung unter Einbeziehung der Einwirkungen von Asbest zusammen oder - wenn nicht alle - ob möglicherweise mehrere dieser Listenstoffe gemeinsam den Lungenkrebs des Versicherten im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne verursacht haben. Ist dies anzunehmen, ist weiter zu prüfen, ob die Einwirkungen nach den genannten BKen Nr 1103, 2402, 4109 - jede für sich und nicht alle zusammen als Gesamt-BK betrachtet - eine rechtlich wesentliche Teilursache für den Eintritt der Lungenerkrankung waren. Ist auch dies zu bejahen, ist entweder ein Versicherungsfall nach BK 1103 oder BK 2402 oder BK 4109 oder aber mehrere Versicherungsfälle dieser Listen-BKen nebeneinander (nicht kumulativ) gegeben (vgl BSG aaO) . Schließlich ist zu prüfen, ob der Tod des Versicherten infolge dieses Versicherungsfalls oder eines dieser Versicherungsfälle eingetreten ist. Hierzu hat das Berufungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, sodass der Senat nicht abschließend entscheiden konnte.

40

Dagegen steht für die abschließende Entscheidung des LSG bindend fest, dass bei dem Versicherten keine BK 4104, keine Gesamt-BK aus einer Kombination der BKen 1103, 2402, 4109 und keine entsprechende Wie-BK vorgelegen hat.

41

Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(1) Leiden Versicherte am 1. August 2017 an einer Krankheit nach den Nummern 1320, 1321, 2115, 4104 (Eierstockkrebs) oder 4113 (Kehlkopfkrebs) der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn sie vor diesem Tag eingetreten ist.

(2) Leiden Versicherte am 1. Januar 2015 an einer Krankheit nach Nummer 1319, 2113, 2114 oder 5103 der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn sie vor diesem Tag eingetreten ist.

(3) Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 2112, 4114 oder 4115 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. September 2002 eingetreten ist. Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 4113 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. November 1997 eingetreten ist. Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 1318 der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall vor diesem Tag eingetreten ist.

(4) Leidet ein Versicherter am 1. Oktober 2002 an einer Krankheit nach Nummer 4112 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. November 1997 eingetreten ist. Satz 1 gilt auch für eine Krankheit nach Nummer 2106 der Anlage 1, wenn diese nicht bereits nach der Nummer 2106 der Anlage 1 in der am 1. Dezember 1997 in Kraft getretenen Fassung als Berufskrankheit anerkannt werden kann.

(5) Leidet ein Versicherter am 1. Dezember 1997 an einer Krankheit nach Nummer 1316, 1317, 4104 (Kehlkopfkrebs) oder 4111 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten ist. Abweichend von Satz 1 ist eine Erkrankung nach Nummer 4111 der Anlage 1 auch dann als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn die Erkrankung bereits vor dem 1. Januar 1993 eingetreten und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31. Dezember 2009 bekannt geworden ist.

(6) Hat ein Versicherter am 1. Januar 1993 an einer Krankheit gelitten, die erst auf Grund der Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 18. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2343) als Berufskrankheit anerkannt werden kann, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. März 1988 eingetreten ist.

(7) Hat ein Versicherter am 1. April 1988 an einer Krankheit gelitten, die erst auf Grund der Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 22. März 1988 (BGBl. I S. 400) als Berufskrankheit anerkannt werden kann, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1976 eingetreten ist.

(8) Bindende Bescheide und rechtskräftige Entscheidungen stehen der Anerkennung als Berufskrankheit nach den Absätzen 1 bis 7 nicht entgegen. Leistungen werden rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren erbracht; der Zeitraum ist vom Beginn des Jahres an zu rechnen, in dem der Antrag gestellt worden ist.

(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

(2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 30. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist der Umfang des Rechts auf eine Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit nach Nr 4111 (im Folgenden: BK 4111) der Anlage (ab 1.7.2009 Anlage 1) zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) streitig.

2

Der Kläger war im Bergbau vorwiegend als Maschinenhauer tätig. Auf eine ärztliche Anzeige über den Verdacht des Vorliegens einer BK 4111 vom 26.10.1998 lehnte die Beklagte die Feststellung und Entschädigung dieser BK ab, weil der Versicherungsfall entgegen § 6 Abs 1 BKV(idF vom 31.10.1997 , BGBl I 2623) nicht nach dem 31.12.1992 eingetreten sei (Bescheid vom 23.9.1999, Widerspruchsbescheid vom 4.2.2000). Der Kläger hat hiergegen Klage zum SG Gelsenkirchen erhoben.

3

Durch Art 1 Nr 2 Buchst d iVm Art 2 der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom 11.6.2009 (2. BKV-ÄndV; BGBl I 1273) wurde zum 1.7.2009 § 6 Abs 3 Satz 2 BKV eingefügt. Danach waren, falls alle sonstigen Voraussetzungen der BK 4111 vorlagen, auch bereits vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankungen als BK 4111 anzuerkennen, sofern sie einem Unfallversicherungsträger bis zum 31.12.2009 bekannt wurden. Die Beklagte stellte daraufhin während des Klageverfahrens das Recht auf eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH fest. Sie räumte Zahlungsansprüche für Zeiten ab 1.1.2005 ein und teilte mit, dass als Zeitpunkt des Versicherungsfalls der 17.2.1983 "gilt" (Bescheid vom 25.9.2009).

4

Das SG hat die Klagen, im Wesentlichen auf Verurteilung zur Zahlung der Verletztenrente bereits für Zeiten ab 26.10.1998 gerichtet, abgewiesen (Urteil vom 30.7.2010). Nach § 6 Abs 6 Satz 2 BKV könnten Leistungen rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor dem Jahr erbracht werden, in dem der Antrag gestellt worden sei. Dieser Antrag hätte wirksam nicht vor dem 1.7.2009 gestellt werden können, da erst zu diesem Zeitpunkt durch die 2. BKV-ÄndV die Anerkennung einer vor dem 1.1.1993 eingetretenen Erkrankung als BK 4111 ermöglicht worden sei.

5

Mit der Sprungrevision rügt der Kläger eine Verletzung des § 6 Abs 6 BKV. Die Vierjahresregelung des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV gelte wegen des Sachzusammenhangs mit § 6 Abs 6 Satz 1 BKV lediglich im Falle bindender Bescheide oder rechtskräftiger Entscheidungen. Davon gehe auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in einer Stellungnahme vom 14.6.2010 aus. Bei einem generellen Leistungsausschluss für Zeiten vor dem 1.1.2005 ginge die zum 1.7.2009 eingeführte Regelung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV über die Anerkennung einer vor dem 1.1.1993 eingetretenen Erkrankung als BK 4111 für viele Versicherte und Hinterbliebene ins Leere.

6

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 30. Juli 2010 sowie die Regelung über Zahlungsansprüche aus dem Recht auf Verletztenrente im Bescheid der Beklagten vom 23. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2000 sowie des Änderungsbescheides vom 25. September 2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente unter Berücksichtigung auch der Zeiten vom 26. Oktober 1998 bis zum 31. Dezember 2004 zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. § 6 Abs 6 Satz 2 BKV entspreche § 44 Abs 4 SGB X. Auf diese Vorschrift werde bereits im Entwurf der BKV vom 29.8.1997 (BR-Drucks 642/97) hingewiesen. Eine Differenzierung nach abgeschlossenen und nicht abgeschlossenen Verfahren hätte die Verordnungsgeberin eindeutig zum Ausdruck gebracht.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Sprungrevision ist nicht begründet. Das SG hat die zulässig kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Regelung der Beklagten über die Zahlungsansprüche des Klägers im Bescheid vom 23.9.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.2.2000 und des Änderungsbescheides vom 25.9.2009 ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten. Ein Zahlungsanspruch unter Berücksichtigung auch von Zeiten vor dem 1.1.2005 steht ihm nicht zu.

10

Der geltend gemachte Anspruch beurteilt sich nach den Vorschriften des SGB VII, denn der Versicherungsfall der BK 4111 ist nicht vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 eingetreten (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.8.1996, BGBl I 1254, § 212 SGB VII). Nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf eine Rente.

11

Das Gesetz unterscheidet zwischen dem Anspruch auf Feststellung (sog Anerkennung) eines Versicherungsfalls iS des § 7 Abs 1 iVm §§ 8 oder 9 SGB VII(bis zum 31.12.1996: §§ 548, 550, 551 RVO)und den aufgrund eines Versicherungsfalls ggf unter weiteren Voraussetzungen entstehenden Ansprüchen auf bestimmte Leistungen (vgl BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 12/06 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4302 Nr 2 RdNr 19 und vom 16.3.2010 - B 2 U 4/09 R - Juris RdNr 19). Der Versicherungsfall einer Listen-BK setzt voraus, dass die Verordnungsgeberin die Krankheit als BK in einem in Kraft getretenen Tatbestand der BKV bezeichnet hat und sämtliche Merkmale dieses Tatbestandes erfüllt sind (vgl BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 17 RdNr 12). Das war beim Kläger nicht schon am 17.2.1983, weder aufgrund eines feststellenden Verwaltungsakts (dazu 1.) noch kraft normativer Regelung (dazu 2.), oder am 1.12.1997 (dazu 3.), sondern erst seit dem 1.7.2009 der Fall (dazu 4.). Die Verletztenrente ist daher nach § 72 Abs 1 Nr 2 SGB VII ab 2.7.2009, wegen der Sonderregelung des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV allerdings auch unter Berücksichtigung von Zeiten ab 1.1.2005 zu zahlen (dazu 5.).

12

1. Der Bescheid der Beklagten vom 25.9.2009 enthält keine feststellende Regelung iS des § 31 Satz 1 SGB X über einen am 17.2.1983 eingetretenen Versicherungsfall der BK 4111. Den rechtlichen Inhalt eines Verwaltungsaktes hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit festzustellen. Dabei ist Maßstab der Auslegung der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (BSG vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, jeweils RdNr 11 mwN). Gemessen daran ist die Formulierung, als "Zeitpunkt des Versicherungsfalls gilt der 17.02.1983", nur ein Hinweis darauf, dass seit diesem Tag die eine rentenberechtigende MdE bedingende Erkrankung vorliegt. Unabhängig davon, dass der Versicherungsfall nur fiktiv angenommen worden ist ("gilt"), wird hierzu unter Ziffer 5 der Erläuterungen zum Bescheid vom 25.9.2009 ausgeführt, dass bei BKen für Leistungen als Zeitpunkt des Versicherungsfalls der Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, sofern dies für den Versicherten günstiger ist, der Beginn der rentenberechtigenden MdE gilt. Zudem hat die Beklagte unter Ziffer 4 dieser Erläuterungen darauf hingewiesen, dass eine bereits vor dem 1.1.1993 eingetretene und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31.12.2009 bekannt gewordene Erkrankung erst "ab dem 01.07.2009" als BK 4111 anzuerkennen ist. Damit hat die Beklagte gerade nicht erklärt, dass bereits am 17.2.1983 sämtliche Voraussetzungen der BK 4111 infolge einer vor dem 1.1.1993 eingetretenen Erkrankung erfüllt gewesen wären.

13

2. Der Versicherungsfall der BK 4111 lag auch nicht kraft normativer Bestimmungen mit dem Eintritt der Erkrankung am 17.2.1983 vor. Nach der zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschrift des § 551 Abs 1 Satz 2 RVO iVm § 1 der Siebenten Berufskrankheiten-Verordnung vom 20.6.1968 (BKVO; BGBl I 721) sind BKen nur diejenigen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet (Listen-BK). In der Anlage zur BKVO war die BK 4111 indes nicht enthalten. Die Erkrankung "Chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren [(mg/m³) x Jahre]" ist erst mit Wirkung zum 1.12.1997 (§ 8 Abs 1 BKV) als BK 4111 in die Anlage der BKV vom 31.10.1997 (BGBl I 2623) aufgenommen worden.

14

3. Allerdings war der Versicherungsfall der BK 4111 auch nicht mit dem Inkrafttreten der BKV am 1.12.1997 nach der § 551 Abs 1 Satz 2 RVO entsprechenden Nachfolgeregelung des § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII iVm § 1 BKV und der Anlage hierzu eingetreten. Allein mit dem Vorliegen der seit 17.2.1983 bestehenden Erkrankung am 1.12.1997 war, auch wenn sie infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit verursacht wurde, der Tatbestand der BK 4111 noch nicht erfüllt. Er setzte außerdem voraus, dass die Erkrankung nach dem 31.12.1992 aufgetreten war. Das ergibt sich aus § 6 Abs 1 BKV aF, wonach eine am 1.12.1997 bestehende Krankheit nach Nr 4111 nur dann auf Antrag als BK anzuerkennen ist, wenn der Versicherungsfall "nach dem 31. Dezember 1992" eingetreten ist. Der Versicherungsfall der BK 4111 hing zu Beginn seiner Einführung davon ab, dass zu dem genannten Stichtag der Betroffene noch nicht erkrankt war. Neben der Erkrankung an sich war daher auch ihr Auftreten nach dem 31.12.1992 Tatbestandsvoraussetzung für den Eintritt des Versicherungsfalls. Der Kläger war indes bereits am 17.2.1983 erkrankt.

15

Dass trotz der Einführung der BK 4111 zum 1.12.1997 in § 6 Abs 1 BKV aF und in § 6 Abs 3 Satz 1 BKV nF vom "Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992" die Rede ist, steht dem nicht entgegen. Die Verordnungsgeberin hat den Begriff des Versicherungsfalls nicht in seiner gemäß § 7 Abs 1 SGB VII gesetzlichen Bedeutung, sondern untechnisch und gleichbedeutend mit "Erkrankung" verwendet. Der Versicherungsfall einer BK kann erst dann eintreten, wenn die BK durch ihre in Kraft gesetzte Aufnahme in die Anlage zur BKV überhaupt rechtlich existent ist. Die BK 4111 ist aber erst mit Wirkung zum 1.12.1997 in die Anlage zur BKV aufgenommen worden, so dass ein davor eingetretener Versicherungsfall ausscheidet. Den ungenauen Wortgebrauch hat die Verordnungsgeberin in dem zum 1.7.2009 eingeführten § 6 Abs 3 Satz 2 BKV vermieden. Danach ist die Anerkennung der BK 4111 für den Fall vorgesehen, dass die "Erkrankung" bereits vor dem 1.1.1993 eingetreten und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31.12.2009 bekannt geworden ist. Auch unter dem "Versicherungsfall" iS des § 6 Abs 1 BKV aF und des § 6 Abs 3 Satz 1 BKV nF ist also der "Erkrankungsfall" zu verstehen.

16

4. Der Versicherungsfall der BK 4111 ist beim Kläger am 1.7.2009 eingetreten. Erst zu diesem Zeitpunkt ist deren Anerkennung für vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankungen eröffnet worden. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen für die Feststellung eines Versicherungsfalls vor, tritt der Versicherungsfall frühestens zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Bundesregierung als Verordnungsgeberin aufgrund ihrer Ermächtigung in § 9 Abs 1 SGB VII mit Zustimmung des Bundesrates den BK-Tatbestand eingeführt hat.

17

Die Regelung des § 6 Abs 1 BKV aF ist zum 1.10.2002 in § 6 Abs 2 BKV(Art 1 Nr 2 Buchst a und b und Art 2 der Verordnung zur Änderung der BKV vom 5.9.2002 ) und zum 1.7.2009 in § 6 Abs 3 Satz 1 BKV(Art 1 Nr 2 Buchst a, b und d sowie Art 2 der 2. BKV-ÄndV) fortgeführt worden. Nach § 6 Abs 3 Satz 2 BKV ist abweichend von § 6 Abs 3 Satz 1 BKV eine Erkrankung nach Nr 4111 auch dann als BK anzuerkennen, wenn die Erkrankung bereits vor dem 1.1.1993 eingetreten und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31.12.2009 bekannt geworden ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Von der 1983 beim Kläger aufgetretenen Erkrankung hat die Beklagte 1998 Kenntnis erlangt.

18

§ 6 Abs 3 Satz 2 BKV ist indes am 1.7.2009 in Kraft getreten (Art 2 der 2. BKV-ÄndV) und entfaltet daher erst ab diesem Tag Rechtswirkungen. Erst das Inkrafttreten einer Rechtsnorm gemäß Art 82 Abs 2 Satz 1 und 2 GG führt zur Wirksamkeit der Geltungsanordnung (vgl hierzu BSG vom 16.3.2010 - B 2 U 8/09 R - SozR 4-2700 § 63 Nr 5 RdNr 17). § 6 Abs 3 Satz 2 BKV knüpft zwar an vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankungen iS einer tatbestandlichen Rückanknüpfung (vgl hierzu BVerfG vom 14.5.1986 - 2 BvL 2/83 - BVerfGE 72, 200, 242 f) an, enthält aber keine Rückbewirkung von Rechtsfolgen, weil sein Inkrafttreten nicht auf einen Zeitpunkt vor seiner Verkündung festgelegt wurde. Die mit "Rückwirkung" überschriebene Übergangsbestimmung regelt lediglich ab ihrem Inkrafttreten am 1.7.2009 eine Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs auf Sachverhalte iS der BK 4111, die vor ihrem Inkrafttreten eingetreten sind (vgl BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 1/08 U R - BSGE 102, 121 = SozR 4-2700 § 9 Nr 12, jeweils RdNr 17). Dadurch, dass § 6 Abs 3 Satz 2 BKV die Anerkennung der BK 4111 unabhängig vom Zeitpunkt der rechtzeitig bekannt gewordenen Erkrankung ermöglicht, misst sich die Norm in zeitlicher Hinsicht keine Geltung bereits vor dem 1.7.2009 oder sogar vor dem 1.12.1997, dem Tag des Inkrafttretens der BKV, zu. Vielmehr macht sie das nach ihrer Verkündung liegende Eintreten von Rechtsfolgen (Versicherungsfall BK 4111) auch von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig.

19

Aus dem Entwurf der Bundesregierung zur 2. BKV-ÄndV ergibt sich nichts anderes. Darin wird ausgeführt, dass die zeitliche Begrenzung der rückwirkenden Anerkennung bereits bestehender Erkrankungsfälle bei der BK 4111 nicht sachgerecht sei (vgl BR-Drucks 242/09 S 12 zu Nr 2 Buchst d). Indem von der "rückwirkenden Anerkennung" die Rede ist, wird nicht schon der in der BKV nicht erklärte Wille verdeutlicht, dass die Rechtsfolge des Eintritts des Versicherungsfalls der BK 4111 wegen einer vor dem 1.1.1993 aufgetretenen Erkrankung bereits vor dem 1.7.2009 eintreten soll. § 6 Abs 3 Satz 2 BKV zielt darauf ab, entgegen dem früheren Recht ab dem 1.7.2009 die Anerkennung einer vor dem 1.1.1993 aufgetretenen Erkrankung als Versicherungsfall der BK 4111 zu eröffnen, ohne den Zeitpunkt der Einführung der BK 4111 zum 1.12.1997 oder der Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs zum 1.7.2009 in Frage zu stellen. Nicht die rückwirkende Anerkennung der BK 4111, sondern lediglich die Anerkennung der zurück-, vor dem 1.1.1993 liegenden Erkrankungen als BK 4111 sollte eingeräumt werden. Hätte die Bundesregierung bei einer vor dem 1.1.1993 aufgetretenen Erkrankung den Versicherungsfall der BK 4111 bereits vor dem 1.7.2009 einführen wollen, hätte es einer rückwirkenden Inkraftsetzung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV bedurft.

20

5. Wegen des am 1.7.2009 eingetretenen Versicherungsfalls der BK 4111 sind Zahlungsansprüche für Zeiten vor dem 1.1.2005 ausgeschlossen.

21

Die Verletztenrente wird gemäß § 72 Abs 1 SGB VII von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet (Nr 1) oder der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist (Nr 2). Danach ist die Verletztenrente dem Kläger mangels Anspruchs auf Verletztengeld ab 2.7.2009 zu zahlen. Allerdings sind aufgrund der Sonderregelung des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV bereits Zeiten ab 1.1.2005 zu berücksichtigen.

22

§ 6 Abs 1 bis 5 BKV regelt die Anerkennung von BKen, die im Rahmen der Neufassung der BKV oder einer Änderungs-Verordnung zur BKV oder BKVO neu in die Anlage (1) aufgenommen oder bezeichnet worden sind. Diese neuen BKen sind auch dann festzustellen, wenn die Erkrankungen in der Vergangenheit eingetreten sind. Soweit die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach § 6 Abs 1 bis 5 BKV erfüllt sind, stehen einer solchen Feststellung gemäß § 6 Abs 6 Satz 1 BKV bindende Bescheide und rechtskräftige Entscheidungen nicht entgegen. Während diese, hier mangels bestands- oder rechtskräftiger Ablehnung der BK 4111 nicht einschlägige Vorschrift allein die Anerkennung eines Versicherungsfalls betrifft, indem sie frühere bindende Bescheide und rechtskräftige Entscheidungen für nicht mehr rechtswirksam erklärt, legt § 6 Abs 6 Satz 2 BKV den Umfang des erst aufgrund der Inkraftsetzung des neuen BK-Tatbestandes entstandenen Leistungsanspruchs fest. Danach werden Leistungen rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren ab Beginn des Jahres erbracht, in dem der Antrag gestellt worden ist. Diese Vorschrift regelt nicht den durch Parlamentsgesetz in § 72 SGB VII bestimmten Rentenbeginn, dessen Modifikation der Verordnungsgeberin ohne gesetzliche Ermächtigung verwehrt ist. Sie räumt vielmehr Zahlungsansprüche in dem Umfang ein, als wäre der Versicherungsfall bereits vor dem Tag seiner rechtswirksamen Aufnahme in die BK-Liste, frühestens vier Jahre vor Beginn des Jahres der Antragstellung eingetreten.

23

Im Falle der BK 4111 iS des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV werden Versicherte - und hier der Kläger - aufgrund des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV so gestellt, als wäre der Versicherungsfall bereits am 31.12.2004 und ein Leistungsanspruch am 1.1.2005 entstanden. Der in der letztgenannten Bestimmung geregelte Vierjahreszeitraum ist zwar vom Beginn des Jahres an zu rechnen, in dem ein Antrag gestellt worden ist. Da § 6 Abs 6 BKV nicht nur für einen speziellen BK-Tatbestand, sondern für sämtliche Fallgestaltungen des § 6 Abs 1 bis 5 BKV gilt, ist unter dem "Antrag" iS des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV nur ein, aber auch jeder Antrag iS des § 6 Abs 1 bis 5 BKV zu verstehen, mit dem eine durch diese Vorschriften eingeführte Begünstigung durch Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs einer bestimmten BK auf vor deren Inkrafttreten eingetretene Sachverhalte geltend gemacht wird. Ein solcher Antrag des Klägers ist vom SG zwar nicht festgestellt worden. Die Vorschrift des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV ist aber auch auf den in § 6 Abs 3 Satz 2 BKV geregelten Fall anzuwenden, dass einem Unfallversicherungsträger die vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankung (bis zum 31.12.2009) auch ohne Antrag bekannt wird. Denn anders als die Regelungen in § 6 Abs 1, 2, 3 Satz 1, 4 und 5 BKV, die sämtlich einen Antrag auf Anerkennung der jeweils genannten BK voraussetzen, lässt § 6 Abs 3 Satz 2 BKV das rechtzeitige Bekanntwerden genügen. Dass sich § 6 Abs 6 Satz 2 BKV nach dem Willen der Verordnungsgeberin nicht auf die Fallgestaltung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV erstrecken sollte, hat sie weder in der BKV noch im Entwurf zur 2. BKV-ÄndV (BR-Drucks 242/09) verdeutlicht. Da die BK 4111 iS des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV allerdings rechtswirksam erst zum 1.7.2009 eingeführt worden ist, ist bei der Bemessung der Verletztenrente nur der zurückliegende Zeitraum bis 1.1.2005 zu berücksichtigen.

24

Zu einer anderen Beurteilung führt nicht die vom Kläger vorgelegte Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 14.6.2010. Dessen Einschätzung, an die der Senat nicht gebunden ist, verkennt, dass § 6 Abs 3 Satz 2 BKV nicht rückwirkend, sondern am 1.7.2009 in Kraft getreten ist.

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Leiden Versicherte am 1. August 2017 an einer Krankheit nach den Nummern 1320, 1321, 2115, 4104 (Eierstockkrebs) oder 4113 (Kehlkopfkrebs) der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn sie vor diesem Tag eingetreten ist.

(2) Leiden Versicherte am 1. Januar 2015 an einer Krankheit nach Nummer 1319, 2113, 2114 oder 5103 der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn sie vor diesem Tag eingetreten ist.

(3) Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 2112, 4114 oder 4115 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. September 2002 eingetreten ist. Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 4113 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. November 1997 eingetreten ist. Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 1318 der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall vor diesem Tag eingetreten ist.

(4) Leidet ein Versicherter am 1. Oktober 2002 an einer Krankheit nach Nummer 4112 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. November 1997 eingetreten ist. Satz 1 gilt auch für eine Krankheit nach Nummer 2106 der Anlage 1, wenn diese nicht bereits nach der Nummer 2106 der Anlage 1 in der am 1. Dezember 1997 in Kraft getretenen Fassung als Berufskrankheit anerkannt werden kann.

(5) Leidet ein Versicherter am 1. Dezember 1997 an einer Krankheit nach Nummer 1316, 1317, 4104 (Kehlkopfkrebs) oder 4111 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten ist. Abweichend von Satz 1 ist eine Erkrankung nach Nummer 4111 der Anlage 1 auch dann als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn die Erkrankung bereits vor dem 1. Januar 1993 eingetreten und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31. Dezember 2009 bekannt geworden ist.

(6) Hat ein Versicherter am 1. Januar 1993 an einer Krankheit gelitten, die erst auf Grund der Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 18. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2343) als Berufskrankheit anerkannt werden kann, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. März 1988 eingetreten ist.

(7) Hat ein Versicherter am 1. April 1988 an einer Krankheit gelitten, die erst auf Grund der Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 22. März 1988 (BGBl. I S. 400) als Berufskrankheit anerkannt werden kann, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1976 eingetreten ist.

(8) Bindende Bescheide und rechtskräftige Entscheidungen stehen der Anerkennung als Berufskrankheit nach den Absätzen 1 bis 7 nicht entgegen. Leistungen werden rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren erbracht; der Zeitraum ist vom Beginn des Jahres an zu rechnen, in dem der Antrag gestellt worden ist.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 30. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist der Umfang des Rechts auf eine Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit nach Nr 4111 (im Folgenden: BK 4111) der Anlage (ab 1.7.2009 Anlage 1) zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) streitig.

2

Der Kläger war im Bergbau vorwiegend als Maschinenhauer tätig. Auf eine ärztliche Anzeige über den Verdacht des Vorliegens einer BK 4111 vom 26.10.1998 lehnte die Beklagte die Feststellung und Entschädigung dieser BK ab, weil der Versicherungsfall entgegen § 6 Abs 1 BKV(idF vom 31.10.1997 , BGBl I 2623) nicht nach dem 31.12.1992 eingetreten sei (Bescheid vom 23.9.1999, Widerspruchsbescheid vom 4.2.2000). Der Kläger hat hiergegen Klage zum SG Gelsenkirchen erhoben.

3

Durch Art 1 Nr 2 Buchst d iVm Art 2 der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom 11.6.2009 (2. BKV-ÄndV; BGBl I 1273) wurde zum 1.7.2009 § 6 Abs 3 Satz 2 BKV eingefügt. Danach waren, falls alle sonstigen Voraussetzungen der BK 4111 vorlagen, auch bereits vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankungen als BK 4111 anzuerkennen, sofern sie einem Unfallversicherungsträger bis zum 31.12.2009 bekannt wurden. Die Beklagte stellte daraufhin während des Klageverfahrens das Recht auf eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH fest. Sie räumte Zahlungsansprüche für Zeiten ab 1.1.2005 ein und teilte mit, dass als Zeitpunkt des Versicherungsfalls der 17.2.1983 "gilt" (Bescheid vom 25.9.2009).

4

Das SG hat die Klagen, im Wesentlichen auf Verurteilung zur Zahlung der Verletztenrente bereits für Zeiten ab 26.10.1998 gerichtet, abgewiesen (Urteil vom 30.7.2010). Nach § 6 Abs 6 Satz 2 BKV könnten Leistungen rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor dem Jahr erbracht werden, in dem der Antrag gestellt worden sei. Dieser Antrag hätte wirksam nicht vor dem 1.7.2009 gestellt werden können, da erst zu diesem Zeitpunkt durch die 2. BKV-ÄndV die Anerkennung einer vor dem 1.1.1993 eingetretenen Erkrankung als BK 4111 ermöglicht worden sei.

5

Mit der Sprungrevision rügt der Kläger eine Verletzung des § 6 Abs 6 BKV. Die Vierjahresregelung des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV gelte wegen des Sachzusammenhangs mit § 6 Abs 6 Satz 1 BKV lediglich im Falle bindender Bescheide oder rechtskräftiger Entscheidungen. Davon gehe auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in einer Stellungnahme vom 14.6.2010 aus. Bei einem generellen Leistungsausschluss für Zeiten vor dem 1.1.2005 ginge die zum 1.7.2009 eingeführte Regelung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV über die Anerkennung einer vor dem 1.1.1993 eingetretenen Erkrankung als BK 4111 für viele Versicherte und Hinterbliebene ins Leere.

6

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 30. Juli 2010 sowie die Regelung über Zahlungsansprüche aus dem Recht auf Verletztenrente im Bescheid der Beklagten vom 23. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2000 sowie des Änderungsbescheides vom 25. September 2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente unter Berücksichtigung auch der Zeiten vom 26. Oktober 1998 bis zum 31. Dezember 2004 zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. § 6 Abs 6 Satz 2 BKV entspreche § 44 Abs 4 SGB X. Auf diese Vorschrift werde bereits im Entwurf der BKV vom 29.8.1997 (BR-Drucks 642/97) hingewiesen. Eine Differenzierung nach abgeschlossenen und nicht abgeschlossenen Verfahren hätte die Verordnungsgeberin eindeutig zum Ausdruck gebracht.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Sprungrevision ist nicht begründet. Das SG hat die zulässig kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Regelung der Beklagten über die Zahlungsansprüche des Klägers im Bescheid vom 23.9.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.2.2000 und des Änderungsbescheides vom 25.9.2009 ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten. Ein Zahlungsanspruch unter Berücksichtigung auch von Zeiten vor dem 1.1.2005 steht ihm nicht zu.

10

Der geltend gemachte Anspruch beurteilt sich nach den Vorschriften des SGB VII, denn der Versicherungsfall der BK 4111 ist nicht vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 eingetreten (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.8.1996, BGBl I 1254, § 212 SGB VII). Nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf eine Rente.

11

Das Gesetz unterscheidet zwischen dem Anspruch auf Feststellung (sog Anerkennung) eines Versicherungsfalls iS des § 7 Abs 1 iVm §§ 8 oder 9 SGB VII(bis zum 31.12.1996: §§ 548, 550, 551 RVO)und den aufgrund eines Versicherungsfalls ggf unter weiteren Voraussetzungen entstehenden Ansprüchen auf bestimmte Leistungen (vgl BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 12/06 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4302 Nr 2 RdNr 19 und vom 16.3.2010 - B 2 U 4/09 R - Juris RdNr 19). Der Versicherungsfall einer Listen-BK setzt voraus, dass die Verordnungsgeberin die Krankheit als BK in einem in Kraft getretenen Tatbestand der BKV bezeichnet hat und sämtliche Merkmale dieses Tatbestandes erfüllt sind (vgl BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 17 RdNr 12). Das war beim Kläger nicht schon am 17.2.1983, weder aufgrund eines feststellenden Verwaltungsakts (dazu 1.) noch kraft normativer Regelung (dazu 2.), oder am 1.12.1997 (dazu 3.), sondern erst seit dem 1.7.2009 der Fall (dazu 4.). Die Verletztenrente ist daher nach § 72 Abs 1 Nr 2 SGB VII ab 2.7.2009, wegen der Sonderregelung des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV allerdings auch unter Berücksichtigung von Zeiten ab 1.1.2005 zu zahlen (dazu 5.).

12

1. Der Bescheid der Beklagten vom 25.9.2009 enthält keine feststellende Regelung iS des § 31 Satz 1 SGB X über einen am 17.2.1983 eingetretenen Versicherungsfall der BK 4111. Den rechtlichen Inhalt eines Verwaltungsaktes hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit festzustellen. Dabei ist Maßstab der Auslegung der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (BSG vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, jeweils RdNr 11 mwN). Gemessen daran ist die Formulierung, als "Zeitpunkt des Versicherungsfalls gilt der 17.02.1983", nur ein Hinweis darauf, dass seit diesem Tag die eine rentenberechtigende MdE bedingende Erkrankung vorliegt. Unabhängig davon, dass der Versicherungsfall nur fiktiv angenommen worden ist ("gilt"), wird hierzu unter Ziffer 5 der Erläuterungen zum Bescheid vom 25.9.2009 ausgeführt, dass bei BKen für Leistungen als Zeitpunkt des Versicherungsfalls der Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, sofern dies für den Versicherten günstiger ist, der Beginn der rentenberechtigenden MdE gilt. Zudem hat die Beklagte unter Ziffer 4 dieser Erläuterungen darauf hingewiesen, dass eine bereits vor dem 1.1.1993 eingetretene und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31.12.2009 bekannt gewordene Erkrankung erst "ab dem 01.07.2009" als BK 4111 anzuerkennen ist. Damit hat die Beklagte gerade nicht erklärt, dass bereits am 17.2.1983 sämtliche Voraussetzungen der BK 4111 infolge einer vor dem 1.1.1993 eingetretenen Erkrankung erfüllt gewesen wären.

13

2. Der Versicherungsfall der BK 4111 lag auch nicht kraft normativer Bestimmungen mit dem Eintritt der Erkrankung am 17.2.1983 vor. Nach der zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschrift des § 551 Abs 1 Satz 2 RVO iVm § 1 der Siebenten Berufskrankheiten-Verordnung vom 20.6.1968 (BKVO; BGBl I 721) sind BKen nur diejenigen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet (Listen-BK). In der Anlage zur BKVO war die BK 4111 indes nicht enthalten. Die Erkrankung "Chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren [(mg/m³) x Jahre]" ist erst mit Wirkung zum 1.12.1997 (§ 8 Abs 1 BKV) als BK 4111 in die Anlage der BKV vom 31.10.1997 (BGBl I 2623) aufgenommen worden.

14

3. Allerdings war der Versicherungsfall der BK 4111 auch nicht mit dem Inkrafttreten der BKV am 1.12.1997 nach der § 551 Abs 1 Satz 2 RVO entsprechenden Nachfolgeregelung des § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII iVm § 1 BKV und der Anlage hierzu eingetreten. Allein mit dem Vorliegen der seit 17.2.1983 bestehenden Erkrankung am 1.12.1997 war, auch wenn sie infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit verursacht wurde, der Tatbestand der BK 4111 noch nicht erfüllt. Er setzte außerdem voraus, dass die Erkrankung nach dem 31.12.1992 aufgetreten war. Das ergibt sich aus § 6 Abs 1 BKV aF, wonach eine am 1.12.1997 bestehende Krankheit nach Nr 4111 nur dann auf Antrag als BK anzuerkennen ist, wenn der Versicherungsfall "nach dem 31. Dezember 1992" eingetreten ist. Der Versicherungsfall der BK 4111 hing zu Beginn seiner Einführung davon ab, dass zu dem genannten Stichtag der Betroffene noch nicht erkrankt war. Neben der Erkrankung an sich war daher auch ihr Auftreten nach dem 31.12.1992 Tatbestandsvoraussetzung für den Eintritt des Versicherungsfalls. Der Kläger war indes bereits am 17.2.1983 erkrankt.

15

Dass trotz der Einführung der BK 4111 zum 1.12.1997 in § 6 Abs 1 BKV aF und in § 6 Abs 3 Satz 1 BKV nF vom "Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992" die Rede ist, steht dem nicht entgegen. Die Verordnungsgeberin hat den Begriff des Versicherungsfalls nicht in seiner gemäß § 7 Abs 1 SGB VII gesetzlichen Bedeutung, sondern untechnisch und gleichbedeutend mit "Erkrankung" verwendet. Der Versicherungsfall einer BK kann erst dann eintreten, wenn die BK durch ihre in Kraft gesetzte Aufnahme in die Anlage zur BKV überhaupt rechtlich existent ist. Die BK 4111 ist aber erst mit Wirkung zum 1.12.1997 in die Anlage zur BKV aufgenommen worden, so dass ein davor eingetretener Versicherungsfall ausscheidet. Den ungenauen Wortgebrauch hat die Verordnungsgeberin in dem zum 1.7.2009 eingeführten § 6 Abs 3 Satz 2 BKV vermieden. Danach ist die Anerkennung der BK 4111 für den Fall vorgesehen, dass die "Erkrankung" bereits vor dem 1.1.1993 eingetreten und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31.12.2009 bekannt geworden ist. Auch unter dem "Versicherungsfall" iS des § 6 Abs 1 BKV aF und des § 6 Abs 3 Satz 1 BKV nF ist also der "Erkrankungsfall" zu verstehen.

16

4. Der Versicherungsfall der BK 4111 ist beim Kläger am 1.7.2009 eingetreten. Erst zu diesem Zeitpunkt ist deren Anerkennung für vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankungen eröffnet worden. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen für die Feststellung eines Versicherungsfalls vor, tritt der Versicherungsfall frühestens zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Bundesregierung als Verordnungsgeberin aufgrund ihrer Ermächtigung in § 9 Abs 1 SGB VII mit Zustimmung des Bundesrates den BK-Tatbestand eingeführt hat.

17

Die Regelung des § 6 Abs 1 BKV aF ist zum 1.10.2002 in § 6 Abs 2 BKV(Art 1 Nr 2 Buchst a und b und Art 2 der Verordnung zur Änderung der BKV vom 5.9.2002 ) und zum 1.7.2009 in § 6 Abs 3 Satz 1 BKV(Art 1 Nr 2 Buchst a, b und d sowie Art 2 der 2. BKV-ÄndV) fortgeführt worden. Nach § 6 Abs 3 Satz 2 BKV ist abweichend von § 6 Abs 3 Satz 1 BKV eine Erkrankung nach Nr 4111 auch dann als BK anzuerkennen, wenn die Erkrankung bereits vor dem 1.1.1993 eingetreten und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31.12.2009 bekannt geworden ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Von der 1983 beim Kläger aufgetretenen Erkrankung hat die Beklagte 1998 Kenntnis erlangt.

18

§ 6 Abs 3 Satz 2 BKV ist indes am 1.7.2009 in Kraft getreten (Art 2 der 2. BKV-ÄndV) und entfaltet daher erst ab diesem Tag Rechtswirkungen. Erst das Inkrafttreten einer Rechtsnorm gemäß Art 82 Abs 2 Satz 1 und 2 GG führt zur Wirksamkeit der Geltungsanordnung (vgl hierzu BSG vom 16.3.2010 - B 2 U 8/09 R - SozR 4-2700 § 63 Nr 5 RdNr 17). § 6 Abs 3 Satz 2 BKV knüpft zwar an vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankungen iS einer tatbestandlichen Rückanknüpfung (vgl hierzu BVerfG vom 14.5.1986 - 2 BvL 2/83 - BVerfGE 72, 200, 242 f) an, enthält aber keine Rückbewirkung von Rechtsfolgen, weil sein Inkrafttreten nicht auf einen Zeitpunkt vor seiner Verkündung festgelegt wurde. Die mit "Rückwirkung" überschriebene Übergangsbestimmung regelt lediglich ab ihrem Inkrafttreten am 1.7.2009 eine Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs auf Sachverhalte iS der BK 4111, die vor ihrem Inkrafttreten eingetreten sind (vgl BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 1/08 U R - BSGE 102, 121 = SozR 4-2700 § 9 Nr 12, jeweils RdNr 17). Dadurch, dass § 6 Abs 3 Satz 2 BKV die Anerkennung der BK 4111 unabhängig vom Zeitpunkt der rechtzeitig bekannt gewordenen Erkrankung ermöglicht, misst sich die Norm in zeitlicher Hinsicht keine Geltung bereits vor dem 1.7.2009 oder sogar vor dem 1.12.1997, dem Tag des Inkrafttretens der BKV, zu. Vielmehr macht sie das nach ihrer Verkündung liegende Eintreten von Rechtsfolgen (Versicherungsfall BK 4111) auch von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig.

19

Aus dem Entwurf der Bundesregierung zur 2. BKV-ÄndV ergibt sich nichts anderes. Darin wird ausgeführt, dass die zeitliche Begrenzung der rückwirkenden Anerkennung bereits bestehender Erkrankungsfälle bei der BK 4111 nicht sachgerecht sei (vgl BR-Drucks 242/09 S 12 zu Nr 2 Buchst d). Indem von der "rückwirkenden Anerkennung" die Rede ist, wird nicht schon der in der BKV nicht erklärte Wille verdeutlicht, dass die Rechtsfolge des Eintritts des Versicherungsfalls der BK 4111 wegen einer vor dem 1.1.1993 aufgetretenen Erkrankung bereits vor dem 1.7.2009 eintreten soll. § 6 Abs 3 Satz 2 BKV zielt darauf ab, entgegen dem früheren Recht ab dem 1.7.2009 die Anerkennung einer vor dem 1.1.1993 aufgetretenen Erkrankung als Versicherungsfall der BK 4111 zu eröffnen, ohne den Zeitpunkt der Einführung der BK 4111 zum 1.12.1997 oder der Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs zum 1.7.2009 in Frage zu stellen. Nicht die rückwirkende Anerkennung der BK 4111, sondern lediglich die Anerkennung der zurück-, vor dem 1.1.1993 liegenden Erkrankungen als BK 4111 sollte eingeräumt werden. Hätte die Bundesregierung bei einer vor dem 1.1.1993 aufgetretenen Erkrankung den Versicherungsfall der BK 4111 bereits vor dem 1.7.2009 einführen wollen, hätte es einer rückwirkenden Inkraftsetzung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV bedurft.

20

5. Wegen des am 1.7.2009 eingetretenen Versicherungsfalls der BK 4111 sind Zahlungsansprüche für Zeiten vor dem 1.1.2005 ausgeschlossen.

21

Die Verletztenrente wird gemäß § 72 Abs 1 SGB VII von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet (Nr 1) oder der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist (Nr 2). Danach ist die Verletztenrente dem Kläger mangels Anspruchs auf Verletztengeld ab 2.7.2009 zu zahlen. Allerdings sind aufgrund der Sonderregelung des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV bereits Zeiten ab 1.1.2005 zu berücksichtigen.

22

§ 6 Abs 1 bis 5 BKV regelt die Anerkennung von BKen, die im Rahmen der Neufassung der BKV oder einer Änderungs-Verordnung zur BKV oder BKVO neu in die Anlage (1) aufgenommen oder bezeichnet worden sind. Diese neuen BKen sind auch dann festzustellen, wenn die Erkrankungen in der Vergangenheit eingetreten sind. Soweit die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach § 6 Abs 1 bis 5 BKV erfüllt sind, stehen einer solchen Feststellung gemäß § 6 Abs 6 Satz 1 BKV bindende Bescheide und rechtskräftige Entscheidungen nicht entgegen. Während diese, hier mangels bestands- oder rechtskräftiger Ablehnung der BK 4111 nicht einschlägige Vorschrift allein die Anerkennung eines Versicherungsfalls betrifft, indem sie frühere bindende Bescheide und rechtskräftige Entscheidungen für nicht mehr rechtswirksam erklärt, legt § 6 Abs 6 Satz 2 BKV den Umfang des erst aufgrund der Inkraftsetzung des neuen BK-Tatbestandes entstandenen Leistungsanspruchs fest. Danach werden Leistungen rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren ab Beginn des Jahres erbracht, in dem der Antrag gestellt worden ist. Diese Vorschrift regelt nicht den durch Parlamentsgesetz in § 72 SGB VII bestimmten Rentenbeginn, dessen Modifikation der Verordnungsgeberin ohne gesetzliche Ermächtigung verwehrt ist. Sie räumt vielmehr Zahlungsansprüche in dem Umfang ein, als wäre der Versicherungsfall bereits vor dem Tag seiner rechtswirksamen Aufnahme in die BK-Liste, frühestens vier Jahre vor Beginn des Jahres der Antragstellung eingetreten.

23

Im Falle der BK 4111 iS des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV werden Versicherte - und hier der Kläger - aufgrund des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV so gestellt, als wäre der Versicherungsfall bereits am 31.12.2004 und ein Leistungsanspruch am 1.1.2005 entstanden. Der in der letztgenannten Bestimmung geregelte Vierjahreszeitraum ist zwar vom Beginn des Jahres an zu rechnen, in dem ein Antrag gestellt worden ist. Da § 6 Abs 6 BKV nicht nur für einen speziellen BK-Tatbestand, sondern für sämtliche Fallgestaltungen des § 6 Abs 1 bis 5 BKV gilt, ist unter dem "Antrag" iS des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV nur ein, aber auch jeder Antrag iS des § 6 Abs 1 bis 5 BKV zu verstehen, mit dem eine durch diese Vorschriften eingeführte Begünstigung durch Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs einer bestimmten BK auf vor deren Inkrafttreten eingetretene Sachverhalte geltend gemacht wird. Ein solcher Antrag des Klägers ist vom SG zwar nicht festgestellt worden. Die Vorschrift des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV ist aber auch auf den in § 6 Abs 3 Satz 2 BKV geregelten Fall anzuwenden, dass einem Unfallversicherungsträger die vor dem 1.1.1993 eingetretene Erkrankung (bis zum 31.12.2009) auch ohne Antrag bekannt wird. Denn anders als die Regelungen in § 6 Abs 1, 2, 3 Satz 1, 4 und 5 BKV, die sämtlich einen Antrag auf Anerkennung der jeweils genannten BK voraussetzen, lässt § 6 Abs 3 Satz 2 BKV das rechtzeitige Bekanntwerden genügen. Dass sich § 6 Abs 6 Satz 2 BKV nach dem Willen der Verordnungsgeberin nicht auf die Fallgestaltung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV erstrecken sollte, hat sie weder in der BKV noch im Entwurf zur 2. BKV-ÄndV (BR-Drucks 242/09) verdeutlicht. Da die BK 4111 iS des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV allerdings rechtswirksam erst zum 1.7.2009 eingeführt worden ist, ist bei der Bemessung der Verletztenrente nur der zurückliegende Zeitraum bis 1.1.2005 zu berücksichtigen.

24

Zu einer anderen Beurteilung führt nicht die vom Kläger vorgelegte Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 14.6.2010. Dessen Einschätzung, an die der Senat nicht gebunden ist, verkennt, dass § 6 Abs 3 Satz 2 BKV nicht rückwirkend, sondern am 1.7.2009 in Kraft getreten ist.

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. April 2015 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung einer Lyme-Borreliose als Berufskrankheit (BK) nach Nr 3102 der Anl 1 zur BK-Verordnung (; "Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten", nachfolgend BK 3102) bei nachgewiesener Borrelieninfektion hat.

2

Der im Jahre 1959 geborene Kläger ist als forstwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten unfallversichert und bewirtschaftet seit Jahren regelmäßig seinen 4,28 ha großen Wald. Ihm ist seit 1998 ein Schilddrüsenmedikament verordnet, das als Nebenwirkung Herzrhythmusstörungen hervorrufen kann. Eine entsprechende Verdachtsdiagnose wurde Mitte 2003 erstmals gestellt. Im Dezember 2007 ließ er sich wegen eines seit mehr als zwei Monaten bestehenden Vorhofflimmerns stationär behandeln.

3

Im Juni 2008 stellte sich der Kläger wegen eines Zeckenbisses bei seinem Hausarzt vor, dem er bereits Mitte 2007 über einen Zeckenstich am Hals berichtet hatte. Laut Laborbericht waren im Immunoblot wenige spezifische Antikörper gegen Borrelia burgdorferi nachweisbar inklusive Spätmarker; der serologische Befund passe sowohl zu einer Serumnarbe nach ausgeheilter Infektion als auch zu einer aktiven Infektion der Stadien II oder III. Daraufhin wurde wegen nicht ganz ausgeschlossener Borreliose mit kardialer Beteiligung eine Antibiotikabehandlung für drei Wochen eingeleitet und später mittels Infusionstherapie für zwei Wochen wiederholt, ohne dass sich eine Besserung einstellte.

4

2010 teilte der Kläger der Rechtsvorgängerin der Beklagten mit, er habe im Mai 2007 nach Arbeiten im eigenen Wald einen Zeckenbiss bemerkt; Hautveränderungen seien in der Umgebung der Stichstelle nicht aufgetreten. Die Beklagte verneinte das Vorliegen einer BK 3102 sowie Ansprüche auf Leistungen (Bescheid vom 18.1.2011). Nachdem der Kläger im Widerspruchsverfahren den Arztbrief eines sog Borreliosezentrums vorgelegt hatte, wies die Beklagte den Widerspruch zurück, weil dessen Befunde schulmedizinisch und wissenschaftlich nicht anerkannt seien (Widerspruchsbescheid vom 22.9.2011).

5

Das SG hat die Klage nach Einholung von Sachverständigengutachten abgewiesen, weil Hinweise auf eine krankheitsaktive Borreliose fehlten und der Antikörperbefund allein noch keine Krankheit iS der BKV sei (Urteil vom 28.10.2013). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 15.4.2015): Der Kläger sei bei seiner versicherten Tätigkeit als Forstwirt einem deutlich erhöhten Infektionsrisiko für Borreliose ausgesetzt gewesen. Eine Lyme-Borreliose sei bei ihm aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorhanden; insbesondere reiche die nachgewiesene Borrelieninfektion allein nicht aus, um eine BK 3102 anzuerkennen. Krankheit iS des § 9 SGB VII sei ein regelwidriger Zustand des Körpers, des Geistes oder der Seele. Dagegen führe weder die bloße Aufnahme von Erregern in den Körper noch die körpereigene Bildung von Antikörpern gegen diesen Erreger zu einem regelwidrigen Gesundheitszustand und damit zu einer Krankheit iS des BK-Rechts. Vielmehr sei neben den Einwirkungen und der durchaus positiven und wünschenswerten Abwehr der Erreger eine negative körperliche Reaktion mit Krankheitswert erforderlich, die den Beschreibungen der jeweiligen BK-Tatbestände bzw den hierzu erlassenen Merkblättern und wissenschaftlichen Begründungen entspreche. Unter Berücksichtigung des Verordnungstextes, der Entstehungsgeschichte und des Gesamtzusammenhangs setze die Feststellung einer Lyme-Borreliose als BK 3102 den labortechnischen Nachweis einer Borrelieninfektion und einen klinischen Befund voraus, der zum Krankheitsbild der Borreliose passe. Zwar sei hier eine Borrelieninfektion serologisch bewiesen. Allein der positive Nachweis borrelienspezifischer Antikörper belege aber keine aktive Infektion mit dem Bakterium Borrelia burgdorferi, weil nach der entsprechenden Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zur Neuroborreliose, auf die das Merkblatt ua verweise, Borrelieninfektionen mit asymptomatischer Serokonversion vorkämen und über Jahre anhaltende erhöhte Antikörpertiter (in Serum oder Liquor) nach ausreichend behandelter Borreliose bei gesunden Personen keine Seltenheit darstellten. Der überwiegenden Mehrzahl infizierter Personen gelinge es, die Infektion mit der eigenen Immunabwehr durch Bildung der ggf jahrzehntelang messbaren Antikörper erfolgreich abzuwehren, sodass sie zu keinem Zeitpunkt an Borreliose erkrankten. Man spreche in diesen Fällen von einer sog Seronarbe. Soweit das Merkblatt als typische Krankheitsbilder einer Lyme-Borreliose ua "wandernde Arthralgien" und "Herzbeschwerden" benenne, hätten die beim Kläger vorhandenen Gelenkbeschwerden und Herzrhythmusstörungen andere Ursachen. Die Gelenkbeschwerden seien auf degenerative Veränderungen zurückzuführen. Das Vorhofflimmern sei für eine Lyme-Karditis völlig untypisch, trete in der Altersgruppe des Klägers häufig ohne benennbare Ursache auf und habe sich erst vier Monate nach dem angeschuldigten Zeckenstich manifestiert, zudem sei eine zweimalige Antibiotikatherapie erfolglos geblieben und es bestünden Schilddrüsenprobleme mit entsprechender Medikation, die als Nebenwirkung typischerweise Herzrhythmusstörungen hervorrufe.

6

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen (§ 9 SGB VII iVm Nr 3102 der Anl 1 zur BKV) und sinngemäß auch formellen Rechts (§ 128 Abs 1 S 1 SGG): Schon aufgrund der Borrelieninfektion liege eine feststellungsfähige BK vor. Denn unter Krankheit sei ein regelwidriger Körper- und Geisteszustand zu verstehen. Regelwidrig sei ein Körperzustand, der von der Norm abweiche, die dem Leitbild des gesunden Menschen entspreche. Hierfür sei es notwendig, dass die Aufnahme einer schädigenden Substanz in den Organismus zu negativen körperlichen Reaktionen mit Krankheitswert führe. Dies sei der Fall, wenn entsprechende Antikörper nachgewiesen seien, die das Immunsystem als Reaktion auf bestimmte Stoffe bilde. Dagegen sei die Rechtsansicht des LSG zu weitgehend, neben der Existenz von Antikörpern auch den Vollbeweis einer Infektionskrankheit zu fordern. Denn nach der Rechtsprechung des BSG sei zB auch die bloße HIV-Infektion bereits eine als BK anzuerkennende Erkrankung. Aber auch bei Zugrundelegung der Auffassung des LSG könne man sich auch auf den Standpunkt stellen, dass mit den Herzrhythmusstörungen bereits das Stadium II der Borreliose-Erkrankung erreicht und die Krankheit somit ausgebrochen sei, wie den einschlägigen Ausführungen des Robert Koch-Instituts entnommen werden könne.

7

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. April 2015 und des Sozialgerichts Landshut vom 28. Oktober 2013 aufzuheben sowie den Bescheid vom 18. Januar 2011 und den Widerspruchsbescheid vom 22. September 2011 aufzuheben und eine Borreliose als Berufskrankheit nach Nr 3102 der Anl 1 zur BKV festzustellen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Die Gelenkbeschwerden des Klägers beruhten nicht auf einem Borrelienkontakt, sondern auf degenerativen Veränderungen. Auch die Herzrhythmusstörungen seien kein Ausdruck dafür, dass bereits das Stadium II der Borreliose-Erkrankung erreicht sei. Soweit sich die Revisionsbegründung auf den gegenteiligen Standpunkt stelle, habe sie eine Verletzung der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG)nicht formgerecht gerügt. Die erhöhten Antikörperwerte belegten eine Inkorporation von Infektionserregern und damit den Tatbestand der Exposition, aber nicht den Versicherungsfall. Der Nachweis von Antikörpern habe für sich gesehen keinen Krankheitswert. Würde man der Argumentation des Klägers folgen, wäre jeder, der den Ausbruch einer Infektionskrankheit durch sein Immunsystem erfolgreich abgewendet habe, gleichwohl krank. Jedenfalls sei das Vorhandensein von Antikörpern gegen Borrelia burgdorferi ohne krankheitsaktive Borreliose für die Unfallversicherung irrelevant.

Entscheidungsgründe

10

A. Die Revision ist zulässig, soweit sie sich gegen die Anwendung materiellen Rechts wendet. Dagegen berücksichtigt das Rechtsmittel nicht ausreichend, dass Verfahrensverstöße grundsätzlich nur auf Rüge geprüft werden, die bis zum Ablauf der Begründungsfrist - vorliegend am 23.11.2015 - ordnungsgemäß erhoben sein muss (§ 202 S 1 SGG iVm § 557 Abs 3 S 2 ZPO).

11

Soweit die Revisionsbegründung ausführt, "man könnte sich allerdings auch auf den Standpunkt stellen, dass … mit den bei dem Kläger diagnostizierten Herzrhythmusstörungen bereits das Stadium II der Borreliose-Erkrankung erreicht" sei, macht sie sinngemäß eine Verletzung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) geltend, worauf die Beklagte zutreffend hinweist. Eine formgerechte Verfahrensrüge liegt indes nicht vor, weil die Revision lediglich ihre Beweiswürdigung alternativ an die Stelle derjenigen des LSG setzt und ihren Standpunkt unausgesprochen als vorzugswürdig bezeichnet. Dies reicht für eine formgerechte Rüge der Verletzung des Rechts der freien richterlichen Beweiswürdigung nicht aus (BSG Urteile vom 7.2.2006 - B 2 U 31/04 R - SozR 4-2700 § 63 Nr 3 RdNr 24 und vom 7.12.2004 - B 1 KR 10/03 R - Juris RdNr 18). Denn dem Revisionsgericht ist es nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen oder diese sonst zu bewerten (stRspr, vgl nur BSG Urteile vom 7.4.1987 - 11b RAr 56/86 - SozR 1500 § 164 Nr 31 S 50, vom 19.12.2001 - B 11 AL 50/01 R - Juris RdNr 16 und vom 23.7.2015 - B 5 R 32/14 R - Juris RdNr 10). Stattdessen hätte die Revisionsbegründung entweder aufzeigen müssen, dass das LSG das "Gesamtergebnis des Verfahrens" unzureichend berücksichtigt hat, oder schlüssig darlegen müssen, dass der festgestellte Sachverhalt nur eine Folgerung erlaubt, jede andere nicht denkbar ist und das Gericht gerade die einzig denkbare Schlussfolgerung nicht gezogen, mithin gegen Denkgesetze verstoßen hat. Da dies nicht geschehen ist, ist das BSG an die gegenteiligen Feststellungen des LSG gebunden (§ 163 SGG), wonach die Herzrhythmusstörungen gerade keine Erscheinungsform einer Lyme-Borreliose sind.

12

B. Die im Übrigen zulässige Revision ist unbegründet, sodass sie zurückzuweisen ist (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Zu Recht hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen, weil die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Var 1, § 55 Abs 1 Nr 1, § 56 SGG) unbegründet ist. Die Entscheidung der Beklagten in dem Bescheid vom 18.1.2011, die Feststellung einer BK 3102 abzulehnen, und der Widerspruchsbescheid vom 22.9.2011 sind rechtmäßig.

13

Rechtsgrundlage für die Anerkennung einer BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm BK 3102. Nach § 9 Abs 1 S 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Nach ständiger Senatsrechtsprechung ist für die Feststellung einer Listen-BK (Versicherungsfall) erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" iS des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG Urteile vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 10 mwN, vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 10 und - B 2 U 10/14 R - BSGE 118, 255 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6 RdNr 11 sowie - B 2 U 20/14 R - BSGE 118, 267 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8, RdNr 10; s auch BSG Urteile vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12, vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN, vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN, vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412, vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151 RdNr 14 sowie vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14). Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht (BSG Urteil vom 15.5.2012 - B 2 U 31/11 R - Juris RdNr 34 mwN) und ernste Zweifel ausscheiden (BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 2 U 5/10 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 3 RdNr 20). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall).

14

Der Verordnungsgeber hat die BK 3102 unter der Abschnittsüberschrift "Durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten sowie Tropenkrankheiten" wie folgt bezeichnet: "Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten". Die Voraussetzungen dieses Tatbestandes iVm § 9 Abs 1 SGB VII sind nicht erfüllt, weil der Kläger nicht an seiner solchen "Krankheit" leidet. Deshalb kann dahinstehen, ob dem LSG auch insoweit zu folgen gewesen wäre, als es für die "Einwirkung" keinen konkreten Nachweis von Zeckenstichen gerade bei der versicherten Tätigkeit gefordert, sondern es für ausreichend erachtet hat, dass der Kläger als Forstwirt generell "einem deutlich erhöhten Infektionsrisiko für Borreliose" ausgesetzt gewesen ist. Anders als bei der BK 3101, die für den Nachweis der Einwirkung bei Infektionskrankheiten von Versicherten im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium eine "besondere Infektionsgefahr" schon tatbestandlich voraussetzt (hierzu BSG Urteile vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 und - B 2 U 33/07 R - BSGE 103, 54 = SozR 4-5671 Anl 1 3101 Nr 5 sowie vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151), ist die erforderliche Einwirkung in der hier zu beurteilenden BK 3102 vom Verordnungsgeber offengelassen und gerade nicht definiert worden. Der vom LSG offensichtlich beabsichtigte Verzicht auf die Feststellung jeder konkreten Einwirkung und das bloße Abstellen auf die abstrakte Gefahr des Arbeitens im Wald in einem Gebiet mit regional erhöhtem Zeckenbefall dürfte aber den Anforderungen einer im Vollbeweis festzustellenden Einwirkung kaum mehr genügen (vgl hierzu Bieresborn, NZS 2008, 354). Letztlich kann dies aber dahinstehen, weil bei dem Kläger schon keine Krankheit iS der BK 3102 vorliegt.

15

Bei der BK 3102 handelt es sich um eine sog offene BK-Bezeichnung (vgl Spellbrink, BPUVZ 2012, 360, 362; ders SozSich 2013, 431 f; Bieresborn, NZS 2008, 354, 359), bei der die erforderliche Erkrankung nicht präzise umschrieben, sondern nur eine Krankheitsgruppe, nämlich "von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten", genannt wird. Anerkennungsfähig sind mithin hier alle Krankheiten dieser Gruppe, die durch die betreffende Einwirkung potentiell verursacht werden können. Um ein bestimmtes Krankheitsbild aus dem Schutzbereich dieser BK ausschließen zu können, muss demgegenüber feststehen, dass entweder diese Krankheit nach dem Willen des Verordnungsgebers nicht vom Schutzbereich der Norm umfasst sein sollte oder durch die jeweilige Einwirkung nicht verursacht werden kann (vgl iE BSG Urteil vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR, aaO, RdNr 14), was bei der Lyme-Borreliose nicht der Fall ist, die hier allein als eine anerkanntermaßen von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheit in Betracht kommt.

16

Werden - wie vorliegend - die Rechtsbegriffe "durch Infektionserreger … verursachte Krankheiten" und "von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten" durch einen fachmedizinischen Diagnosebegriff ("Lyme-Borreliose") ausgefüllt, so bedeutet dies, dass diesem Diagnosebegriff der Bedeutungs- bzw Sinngehalt zukommt, den ihm der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand beimisst: Es müssen die Diagnosekriterien vorliegen, die krankheitsbeweisend sind, also nach den aktuellen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft erfüllt sein müssen, um die Diagnose zu sichern. Das Recht knüpft damit an den medizinischen Diagnosebegriff und die dazu entwickelten Kriterien an, die die überwiegende Mehrheit der Fachmediziner, die auf dem jeweils in Betracht kommenden Gebiet über spezielle Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, wissenschaftlich fundiert vertreten ( s BSG Urteil vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1, RdNr 15, zum Kehlkopfkarzinom nach ionisierenden Strahlen; vgl zuletzt BSG Urteile vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 22 und vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20). Auf dieser Grundlage ist der Kläger nicht an einer Lyme-Borreliose erkrankt (nachfolgend 1.). Die Borrelieninfektion als solche stellt keine von Tieren auf Menschen übertragbare "Krankheit" im Rechtssinne dar (nachfolgend 2.). Sie liegt auch nicht deshalb vor, weil die behandelnden Ärzte aufgrund des Verdachts, es könnte eine Lyme-Borreliose bestehen, Laborbefunde erhoben und Therapiemaßnahmen in Form einer zweimaligen Antibiotikatherapie eingeleitet haben (nachfolgend 3.).

17

1. Der Kläger leidet nicht an einer Lyme-Borreliose, weil deren medizinisch-diagnostischen Kriterien nicht erfüllt sind. Auf der Grundlage der medizinischen Beweisaufnahme und unter Heranziehung der aktuellen S1-Leitlinie der DGN (zur Neuroborreliose, Stand September 2012, AWMF-Registernummer 030/071, S 2) hat das LSG für das BSG bindend festgestellt (§ 163 Halbs 1 SGG), dass die Diagnose einer Lyme-Borreliose sowohl den (indirekten) Erregernachweis mittels Laboruntersuchung (Serodiagnostik, Antikörpernachweis) als auch den Nachweis einer typischen klinischen Symptomatik erfordert. Dass diese Diagnosekriterien nicht (mehr) dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen, ist weder mit zulässigen und begründeten Revisionsgründen gerügt worden (§ 163 Halbs 2 SGG)noch für den Senat offenkundig (zur insofern bestehenden Prüfungskompetenz vgl BSG Urteil vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 20 mwN). Die Feststellung einer Lyme-Borreliose als BK 3102 setzt mithin voraus, dass ihre typischen klinischen Symptome und die Borrelieninfektion im Vollbeweis belegt sind und diese Leitsymptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf der Borrelieninfektion beruhen. Das LSG hat den (indirekten) Erregernachweis für erbracht erachtet (nachfolgend a) und das Vorliegen von klinischen Symptomen beschrieben, die für eine Borreliose-Erkrankung typisch sind (nachfolgend b). Es hat jedoch die hinreichende Wahrscheinlichkeit zwischen der nachgewiesenen Borrelieninfektion und den Gelenkbeschwerden bzw Herzrhythmusstörungen rechtsfehlerfrei verneint (nachfolgend c).

18

a) Das LSG hat unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Beweisaufnahme wegen der nachweislich erhöhten IgG-Antikörper-Werte im Antikörper-Suchtest IgG-ELISA und im Bestätigungstest IgG-Immunoblot einen Kontakt des Immunsystems mit Borrelia burgdorferi zu einem unbekannten Zeitpunkt und damit eine Borrelieninfektion bejaht.

19

b) Zum Krankheitsbild einer Lyme-Borreliose zählen nach der Lfd Nr 15 des Anhangs zum Merkblatt der BK 3102 (Bekanntmachung des BMGS vom 1.9.2003, BArbBl 10/2003, 26) ua "Erythema migrans", "wandernde Arthralgien", "Arthritis" sowie "Herzbeschwerden". Die Merkblätter sind zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands und als Interpretationshilfe heranzuziehen (BSG Urteile vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - BSGE 118, 267 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8 RdNr 15, vom 12.4.2005 - B 2 U 6/04 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 5 RdNr 8, vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 85; BSG Urteil vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1, RdNr 17 mwN), auch wenn sie weder verbindliche Konkretisierungen der Tatbestandsvoraussetzungen der BK noch antizipierte Sachverständigengutachten oder eine Dokumentation des Standes der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft sind (BSG Beschluss vom 11.8.1998 - B 2 U 261/97 B - HVBG-INFO 1999, 1373), was auch das LSG nicht verkannt hat. Hautveränderungen iS einer Wanderröte (Erythema migrans) hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG weder selbst bemerkt noch sind sie ärztlich dokumentiert. Auch fehlt der Nachweis von Schwellungszuständen und Gelenkergüssen als Zeichen einer manifesten Arthritis (Gelenkentzündung). Dagegen liegen wiederkehrende (rezidivierende) Gelenkbeschwerden ("Arthralgien") vor, die nicht auf eine bestimmte Körperstelle beschränkt sind, sondern nach Angaben des Hausarztes vor allem im Lendenwirbelsäulenbereich ("Lumbalgie"), in der Nacken-Schulter-Arm-Region ("Cervicobrachialgie") sowie dem rechten Ellenbogen (Epicondylitis humeri radialis, sog Tennisellenbogen) auftreten und damit als "wandernd" bezeichnet werden können. Darüber hinaus leidet der Kläger unter "Vorhofflimmern mit absoluter Arrhythmie" und damit auch an "Herzbeschwerden".

20

c) Unter Berufung auf den Hausarzt und das internistische Sachverständigengutachten ist das LSG indes ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, dass im Fall des Klägers gerade nicht mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang zwischen der Borrelieninfektion und den beschriebenen Gelenkbeschwerden in mehreren Körperregionen spricht, sondern ein solcher wegen der gleichfalls nachgewiesenen degenerativen Veränderungen (Bandscheibenvorfall L5/S1, Bandscheibenschaden C5/6) ernsthaft bezweifelt werden muss. Ebenfalls ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das LSG den Zusammenhang zwischen der Borrelieninfektion und dem Vorhofflimmern mit absoluter Arrhythmie verneint hat, weil diese Erkrankung für eine Lyme-Karditis völlig untypisch ist, in der Altersgruppe des Klägers häufig ohne benennbare Ursache auftritt, sich erst vier Monate nach dem Zeckenstich manifestiert hat, eine zweimalige Antibiotikatherapie erfolglos geblieben ist und Schilddrüsenprobleme mit entsprechender Medikation bestehen, die als Nebenwirkung Herzrhythmusstörungen hervorrufen kann.

21

2. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die symptomlose Borrelieninfektion als solche nicht unter den unfallversicherungsrechtlichen Begriff der "Krankheit" iS des § 9 Abs 1 S 1 SGB VII und der BK 3102 subsumieren. Gesetz- und Verordnungsgeber haben den im Recht der BKen vorausgesetzten Krankheitsbegriff nicht näher festgelegt, sondern von einer Definition abgesehen, weil der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt ständige Änderungen dessen bewirkt, was als "Krankheit" erkannt werden kann (BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 3 KR 14/14 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr 29; Hauck, NJW 2016, 2695, 2700). In der Sozialversicherung umschreiben Rechtsprechung (BSG Urteile vom 24.7.1985 - 9b RU 36/83 - SozR 5670 Anl 1 Nr 3102 Nr 1, vom 26.11.1987 - 2 RU 20/87 - SozR 2200 § 551 Nr 31, vom 30.9.2015, aaO sowie zuletzt vom 8.3.2016 - B 1 KR 35/15 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 28 RdNr 9 mwN) und Literatur (Becker, SGb 2010, 131, 135; Brandenburg in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl 2014, § 9 RdNr 50; Knispel, SGb 2016, 632; Koch in Lauterbach, Unfallversicherung, Stand November 2016, § 9 RdNr 54; Mehrtens/Brandenburg, BKV, § 9 SGB VII Anm 6; Ricke in Kasseler Kommentar, SGB VII, Stand 1.12.2016, § 9 RdNr 9; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand Februar 2017, K § 9 RdNr 8a; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 9 RdNr 5; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und BK, 9. Aufl 2017, S 66; Spellbrink, SR 2014, 140, 143) Krankheit auch im BK-Recht als regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, wovon die Beteiligten und die Vorinstanzen ebenfalls ausgehen.

22

"Regelwidrig" ist jeder Zustand, der von der Norm abweicht (normativer Krankheitsbegriff), die ihrerseits durch das Leitbild des gesunden Menschen geprägt ist (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 28 RdNr 9 und SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr 29). "Gesundheit" wiederum ist derjenige Zustand, der dem Einzelnen die Ausübung der (aller) körperlichen Funktionen ermöglicht (BSG aaO). Folglich kommt nicht jeder körperlichen Regelwidrigkeit (hier: Vorhandensein von Antikörpern gegen Borrelia burgdorferi) Krankheitswert im Rechtssinne zu (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 28 RdNr 10). Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird (funktioneller Krankheitsbegriff). Ausgehend von diesem normativ-funktionellen Krankheitsbegriff reicht die bloße Aufnahme schädigender Substanzen (zB Infektionserreger, Asbest, Quarzstaub) in den Körper allein im Regelfall nicht aus (anders offenbar LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.5.2014 - L 3 U 228/12 - Juris RdNr 41 f und Bayerisches LSG Urteil vom 13.12.1989 - L 10 U 144/88 - Juris, zur BK 1101). Vielmehr ist es grundsätzlich notwendig, dass diese Einwirkung über zunächst rein innerkörperliche Reaktionen (iS normabweichender physiologischer oder biologischer Prozesse) oder Strukturveränderungen hinaus zu (irgend)einer Funktionsstörung führt (zB leistungsmindernde Beeinträchtigung von Atmung oder Kreislauf, vgl dazu BSG Urteil vom 11.1.1989 - 8 RKnU 1/88 - SozR 2200 § 551 Nr 34). Diese Auffassung wird durch die Gesetzessystematik des BK-Rechts bestätigt (dazu ausführlich Mehrtens/Brandenburg, aaO, § 9 Anm 6.3). Denn das Gesetz unterscheidet zwischen einer bereits eingetretenen BK, einer individuell drohenden - also noch nicht eingetretenen - BK sowie der generellen Gesundheitsgefahr am Arbeitsplatz. Dementsprechend differenziert das Unfallversicherungsrecht zwischen der Generalprävention (§§ 14 ff SGB VII) zur Vermeidung von schädigenden Einwirkungen auf die Versicherten am Arbeitsplatz, den individualpräventiven Maßnahmen nach § 3 BKV bei einer drohenden Gefahr der Entstehung, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens einer BK sowie Maßnahmen(Heilbehandlung, berufliche Rehabilitation, Entschädigung, §§ 26 ff SGB VII) bei einer anerkannten BK. Die individualpräventiven Maßnahmen nach § 3 BKV stehen somit an der Nahtstelle zwischen stattgehabter Einwirkung und dem Eintritt des Versicherungsfalls. Eine Schadstoffinkorporierung, zu der auch die Aufnahme von Krankheitserregern zählt, kann im Einzelfall die Voraussetzung einer drohenden Gefahr iS des § 3 BKV erfüllen, wenn die Gefahr des Eintritts eine mehr als entfernte Möglichkeit darstellt. Aus der normativen Differenzierung zwischen drohender BK iS des § 3 BKV und eingetretener BK iS des § 9 SGB VII folgt zugleich, dass die bloße Aufnahme eines schädlichen Stoffes grundsätzlich der erstgenannten Fallgruppe zuzuordnen ist(Mehrtens/Brandenburg, aaO).

23

Hier führte die Aufnahme von Borrelia burgdorferi in den Organismus des Klägers zu einer körperlichen Abwehrreaktion des Immunsystems, die laborchemisch belegbar ist. Damit waren jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Störungen irgendwelcher Körperfunktionen verbunden; die Gelenkbeschwerden und Herzrhythmusstörungen hatten - wie unter 1. dargestellt - nach den bindenden Feststellungen des LSG andere Ursachen. Hat die körpereigene Immunabwehr des Klägers nach der Aufnahme von Borrelia burgdorferi das Auftreten von Funktionsstörungen gerade verhindert und ist die Infektion deshalb stumm (symptomlos, asymptomatisch) verlaufen, so liegt keine "Krankheit" im Rechtssinne und damit kein Versicherungsfall (§ 7 Abs 1 SGB VII)in der gesetzlichen Unfallversicherung vor. Mit dem positiven Ergebnis im Antikörper-Suchtest IgG-ELISA und im Bestätigungstest IgG-Immunoblot ist somit allenfalls eine körperliche Einwirkung, nicht jedoch eine (Berufs-)"Krankheit" belegt. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass niemand, dessen Immunsystem den Ausbruch einer Infektionskrankheit erfolgreich abgewendet habe, gleichwohl als "krank" im Rechtssinne bezeichnet werden könne. Vielmehr tritt der Versicherungsfall der BK erst ein, wenn die Infektionskrankheit zu Funktionsstörungen führt, weil die körpereigene Immunabwehr überfordert ist.

24

Soweit die Revision geltend macht, das BSG (Urteil vom 18.11.1997 - 2 RU 15/97 - Juris RdNr 19: "HIV-Infektion ist eine Infektionskrankheit") sei bereits bei der nachgewiesenen Infektion mit dem HI-Virus vom Vorliegen einer BK 3101 ausgegangen, lässt sie unbeachtet, dass es nach einer HIV-Infektion meist zu ersten Krankheitszeichen (zB Fieber, Nachtschweiß, Abgeschlagenheit, Hautausschläge, Gelenkschmerzen usw) kommt und die medizinische Wissenschaft daher konsequenterweise bereits von einer akuten "HIV-Krankheit" (nicht gleichbedeutend mit "AIDS") spricht (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, HIV und AIDS, Heft 31 Juni 2006, Robert Koch-Institut in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt, S 8), während die Infektion mit Borrelia burgdorferi typischerweise symptomlos verläuft. Zudem handelt es sich bei der Ansteckung mit dem HI-Virus um eine Infektion, die ohne ärztliche Behandlung zu einer lebensbedrohlichen AIDS-Erkrankung führen kann, weil das körpereigene Immunsystem allein regelmäßig nicht in der Lage ist, die Infektionserreger vollständig abzuwehren (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, aaO). Dagegen erkrankt die Mehrzahl der Menschen mit dem Nachweis borrelienspezifischer Antikörper nicht an Borreliose, weil es ihrer Immunabwehr - wie hier - gelingt, die Infektion erfolgreich zu bekämpfen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die sich auf das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme und auf die aktuelle S1-Leitlinie der DGN (zur Neuroborreliose, Stand September 2012, AWMF-Registernummer 030/071, S 2) stützen, kommen borrelienspezifische Antikörper auch bei gesunden Personen vor, sodass ihr serologischer Nachweis allein noch keine aktive Infektion mit aktiven Borrelia burgdorferi belegt.

25

3. Soweit die Rechtsprechung in einem Einzelfall schon den bloßen Krankheitsverdacht als "Krankheit" iS des BK-Rechts angesehen hat, ohne dass schon akute Funktionsbeeinträchtigungen vorlagen (BSG Urteil vom 24.7.1985 - 9b RU 36/83 - SozR 5670 Anl 1 Nr 3102 Nr 1), vermag dies an dem gefundenen Ergebnis nichts zu ändern. In dem genannten Fall (BSG Urteil vom 24.7.1985, aaO) hatte der als Forstwart beschäftigte Kläger ohne Schutzhandschuhe ein an Tollwut erkranktes Reh zerwirkt. Auf die darauf erfolgte Tollwutimpfung erkrankte der Kläger an mit Wahrscheinlichkeit auf diese Impfung zurückzuführenden Herzbeschwerden. Das BSG hat insofern die Notwendigkeit der "Heilbehandlung" (Impfung) aufgrund des bloßen Krankheitsverdachts bejaht. In einer vergleichbaren Situation befand sich der Kläger hier im Juni 2008, nachdem Herzrhythmusstörungen aufgetreten, die serologischen Laborbefunde positiv gewesen waren und sein Hausarzt "wegen nicht ganz ausgeschlossener Borreliose mit kardialer Beteiligung" eine medikamentöse Antibiotikabehandlung für drei Wochen einleitete, die später mittels Infusionstherapie für zwei Wochen wiederholt wurde. Dies ändert aber nichts daran, dass die "Krankheit" iS des jeweiligen Tatbestands der in der Anl 1 zur BKV aufgelisteten Krankheiten für die isolierte Feststellung einer BK jeweils iS des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen muss. Ein bloßer Krankheitsverdacht, der sich rückblickend nicht bestätigt hat, kann daher nicht zu der hier erstrebten und mit der Revision verfolgten Feststellung einer BK führen, wenngleich für die aufgrund des "Verdachts" durchgeführten Diagnosemaßnahmen etc eine Zuständigkeit der Beklagten - etwa auch gemäß § 3 BKV- gegeben sein kann.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr 2108 (BK 2108) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

2

Die 1947 geborene Klägerin war seit 1986 als Beschäftigte einer Garten- und Landschaftsbau GmbH tätig, wobei sie insbesondere bei Anpflanzungsarbeiten im Autobahnbau Bäume und Solitärsträucher mit Ballen mit einem Gewicht von 20 bis 50 kg, manchmal 70 kg, bewegen musste. Im Jahre 2003 beantragte sie bei der Beklagten die Anerkennung einer BK 2108 und gab an, dass sie ihre Tätigkeit wegen Rückenbeschwerden im Sommer 2002 habe aufgeben müssen. Durch Bescheid vom 7.9.2004 stellte die Beklagte fest, dass keine BK nach Nr 2108 der BK-Liste vorliege. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.12.2004). Durch Urteil vom 19.6.2006 hat das SG die Klage abgewiesen.

3

Das LSG hat nach Durchführung arbeitstechnischer und medizinischer Ermittlungen die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 31.1.2013 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin zwar im Zeitraum zwischen 1986 und 2002 einer kumulativen Belastung von 18,5 Meganewtonstunden (MNh), also mehr als dem Lebensdosisrichtwert nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) für Frauen von 17 MNh, ausgesetzt gewesen sei, weshalb die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien. Die Klägerin leide auch an einer monosegmentalen bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS in Form eines Bandscheibenprolapses im Segment L5/S1. Es bestehe jedoch keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass diese Erkrankung der LWS durch die Berufstätigkeit zumindest als wesentliche Teilursache hervorgerufen worden sei. Die Spondylose übersteige im Nativröntgenbild entsprechend Ziffer 1.2 A der Konsensempfehlungen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3 S 211, 214 ff) nicht das alterstypische Maß. Daneben liege eine beginnende Chondrose der HWS geringer als an der LWS vor. Damit sei die Konstellation B3 der Konsensempfehlungen gegeben, weil ein monosegmentaler Befund ohne Begleitspondylose vorliege, keine konkurrierenden Ursachenfaktoren ersichtlich seien und keines der in der Konstellation B2 genannten Zusatzkriterien erfüllt sei. Für ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen iS der B2-Konstellation ergäben sich aus den Berechnungen des Präventionsdienstes der Beklagten keinerlei Anhaltspunkte. Bei der Klägerin liege auch das weitere Zusatzkriterium der B2-Konstellation der besonders intensiven Belastung mit Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren nicht vor. Unter Zugrundelegung ihrer eigenen Angaben sei eine Belastung iHv maximal 8,42 MNh in einem Zeitraum von zehn Jahren, dh iHv 49,53 % des nach dem MDD angenommenen Richtwertes für die Lebensdosis bei Frauen, nachgewiesen. Die B2-Konstellation sei vom Wortlaut her eindeutig und lasse es nicht zu, einen halbierten Bezugswert statt den in den Konsensempfehlungen bezeichneten Bezugswert von 17 MNh für Frauen zugrunde zu legen. Dass sich ein Konsens dahingehend gebildet hätte, bei monosegmentalen Schadensbildern von Zusatzkriterien abzusehen, sei nicht ersichtlich. Nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft spreche bei der Konstellation B3 deutlich mehr gegen als für einen Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter Erkrankung der Wirbelsäule.

4

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung des § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV. Die Auffassung des LSG, bei der Konstellation B3 des sog Konsensmodells spreche nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft mehr gegen als für einen Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter Erkrankung der Wirbelsäule, sei rechtsfehlerhaft. Aus dem Konsensmodell ließen sich für die Konstellation B3 gerade keine Schlussfolgerungen ableiten. Es treffe nicht zu, dass bei einer Reduzierung der Anforderungen an eine besonders intensive Belastung auf die Hälfte des Dosiswertes das Konsensmodell seinen Sinn verliere. Das BSG habe die Dosiswerte halbiert, um den Erkenntnissen der Wirbelsäulenforschung Rechnung zu tragen. Diese habe zu dem Ergebnis geführt, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen der Wirbelsäule auch bei Unterschreitung der im MDD vorgeschlagenen Orientierungswerte beruflich verursacht sein könnten. Die Ergebnisse der Deutschen Wirbelsäulen-Studie deuteten darauf hin, dass auch unterhalb des Orientierungswertes nach dem MDD ein erhöhtes Risiko für bandscheibenbedingte Erkrankungen bestehen könnte. Es biete sich an, die Reduzierung des Dosiswerts um die Hälfte im Sinne der Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 2007 auch hier zu übernehmen.

5

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 2013 sowie das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19. Juni 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 7. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2004 aufzuheben und festzustellen, dass bei der Klägerin seit dem 12. März 2003 eine Berufskrankheit nach der Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV besteht.

6

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

7

Eine Übertragung der Rechtsprechung des BSG zur Halbierung des Richtwertes für die Gesamtbelastungsdosis auf das Kriterium der Konstellation B2 der Konsensvereinbarungen würde diese insgesamt infrage stellen. Selbst bei einer Halbierung des Richtwertes für die Gesamtbelastungsdosis und einer Übertragung auf das zweitbenannte Kriterium der Konstellation B2 werde dieser Wert durch die Klägerin mit 8,42 MNh nicht erreicht. Anhaltspunkte für ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen im Sinne des drittbenannten Kriteriums seien nicht festgestellt worden. Zwar bestehe bei Vorliegen der Konstellation B3 bezüglich der Zusammenhangsbeurteilung kein Konsens, jedoch stimme das Ergebnis des LSG mit der überwiegenden Meinung der Teilnehmer der Arbeitsgruppe sowie der Rechtsprechung überein.

Entscheidungsgründe

8

Die statthafte und zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), weil die vom LSG festgestellten Tatsachen für eine abschließende Entscheidung durch den Senat nicht ausreichen. Weder lässt sich danach beurteilen, ob der isolierte Bandscheibenvorfall der Klägerin unter Zugrundelegung des neuesten Standes der medizinischen Wissenschaft ohne die in der Konstellation B2 genannten Zusatzkriterien durch schweres Heben- und Tragen verursacht wurde, noch ob die erforderliche Regelmäßigkeit der Einwirkungen gegeben ist.

9

Die erhobenen Klagen sind als Anfechtungsklage gegen die ablehnenden Entscheidungen verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Feststellungsklage zulässig (BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151 ff RdNr 10).

10

Der erhobene Anspruch beurteilt sich gemäß § 212 SGB VII nach den Vorschriften des SGB VII, weil nicht ersichtlich ist, dass der Versicherungsfall bereits vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.8.1996, BGBl I 1254) eingetreten sein könnte. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGBl I 2623), die lautet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie dass eine Krankheit vorliegt (dazu unter A.). Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht worden sein (haftungsbegründende Kausalität ). Schließlich ist Anerkennungsvoraussetzung, dass der Versicherte deshalb seine Tätigkeit aufgeben musste sowie alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN; zuletzt BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14).

11

A.1. Die Klägerin war vom 1.8.1986 bis Sommer 2002 in einer Firma für Garten- und Landschaftsbau als Arbeitnehmerin tätig. Sie war damit als "Beschäftigte" iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versichert.

12

2. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) unterlag die Klägerin in diesem Zeitraum bei der Ausübung der Beschäftigung einer kumulativen Einwirkungs-Belastung in Form von Hebe- und Tragevorgängen iHv 18,5 MNh (vgl zur Feststellung der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkung in Form von Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

13

3. Diese Belastungen erfolgten - wie der Tatbestand der BK 2108 voraussetzt - auch langjährig, nämlich von 1986 bis 2002 und damit 16 Jahre. Langjährig bedeutet, dass zehn Berufsjahre als im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (so wörtlich das aktuelle Merkblatt 2108, BArbBl 2006, Heft 10, S 30, Abschnitt IV; vgl zum Merkmal "langjährig" bei der BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15; s zur BK 2108 bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 10; BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 22/03 R - juris RdNr 25; vgl auch: Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 08/2012, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 7 mwN; Ricke in Kasseler Kommentar, Stand 5/2014, § 9 SGB VII RdNr 42; Mehrtens/Brandenburg, BKV, Stand 12/13, M 2108 Anm 2.2.2).

14

4. Nach den weiteren Feststellungen des LSG leidet die Klägerin an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS. Bei ihr liegt im Segment L5/S1 ein altersuntypischer Befund in Form eines Bandscheibenprolapses vor. Darüber hinaus sind keine altersuntypischen Veränderungen auch nicht in Form einer Spondylose vorhanden. An die Feststellung dieses monosegmentalen Befundes ist der Senat mangels zulässiger Rügen gebunden (§ 163 SGG).

15

B. Der Senat kann hingegen mangels hinreichender Tatsachengrundlage nicht entscheiden, ob das LSG zu Recht den Ursachenzusammenhang zwischen gefährdenden Einwirkungen iS der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung der Klägerin verneint hat. Für die Anerkennung einer BK ist neben der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Für die umstrittene BK 2108 bedeutet dies, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung der Klägerin durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Rahmen ihrer versicherten Tätigkeit verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (siehe zum Arbeitsunfall die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 34 ff sowie BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; zu BKen s BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - juris RdNr 32; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 sowie - B 2 U 26/04 R - juris RdNr 17), die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG, vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 f sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff).

16

Vorliegend ist das LSG in durch das Revisionsgericht nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die Klägerin einer in der Höhe zur Erzeugung des Bandscheibenschadens genügenden Einwirkungsbelastung unterlag (dazu unter 1). Mangels ausreichender Feststellungen kann der Senat jedoch nicht entscheiden, ob die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für eine positive Kausalitätsbeurteilung gegeben sind (dazu unter 2.). Ebenso wenig kann der Senat aufgrund der Feststellungen entscheiden, ob die erforderliche Regelmäßigkeit der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit vorliegt (dazu unter 3).

17

1. Unter Zugrundelegung des bindend festgestellten Einwirkungs-Wertes iHv 18,5 MNh ist das LSG ausgehend vom MDD zutreffend davon ausgegangen, dass die versicherten Einwirkungen durch schweres Heben und Tragen, denen die Klägerin unterlag, in der Höhe ausreichten, um einen Bandscheibenschaden zu verursachen. Mit der Heranziehung des MDD zur Bestimmung der für eine Krankheitsverursachung erforderlichen Belastungsdosis folgt das LSG der Rechtsprechung des erkennenden Senats, der seit 2003 (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 11 ff; BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 1/02 R - USK 2003-219 RdNr 15; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 18 und zuletzt BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 25) dieses Modell als eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau und allenfalls nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen angesehen hat. Die auf Grund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen (s zur Handhabung der hälftigen Orientierungswerte als Mindestbelastungswerte BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 31; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25; sowie die Urteile vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R und B 2 U 10/14 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Für Frauen legt das MDD als Gesamtbelastungsdosis 17 MNh fest, die mit den bindend festgestellten 18,5 MNh sogar überschritten werden, sodass es im hier zu entscheidenden Fall nicht darauf ankommt, ob bereits ein geringerer, ggf hälftiger Wert dieses Orientierungswertes ausreichen würde, um von einem erhöhten Erkrankungsrisiko auszugehen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen nicht mehr verzichtet werden kann (vgl für Männer BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25). Es kommt deshalb auch nicht drauf an, ob aufgrund der mittlerweile vorliegenden Ergebnisse der DWS-Richtwertestudie (DWS II; "Erweiterte Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie mit dem Ziel der Ableitung geeigneter Richtwerte", Kurztitel: "DWS-Richtwerteableitung", veröffentlicht unter http://www.dguv.de/ifa/Forschung/Projektverzeichnis/ FF-FB_0155A.jsp) eine weitere Absenkung der Orientierungswerte angezeigt ist. Der Senat weist aber in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII generelle Voraussetzung für die Einführung eines BK-Tatbestandes die gruppenspezifische Risikoerhöhung gegenüber der Gesamtbevölkerung ist, deren Annahme jedenfalls bei Werten iHv 3 MNh bedenklich erscheint(s nur Kranig, Was schadet den Bandscheiben?, DGUV Forum 2013, Nr 6 S 27, 31; vgl auch LSG Baden-Württemberg vom 25.9.2008 - L 10 U 5965/06 - Breith 2009, 307, RdNr 34 ff).

18

2. Der Senat kann allerdings nicht entscheiden, ob die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Bejahung des erforderlichen Ursachenzusammenhangs zwischen gefährdenden Einwirkungen iS der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung der Klägerin, die das Berufungsgericht verneint hat, vorliegen, weil hierfür die Feststellungen des LSG nicht ausreichen. Während die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK zum einen das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen, zum anderen die potentielle Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung beinhalten, betreffen die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit, zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 179, 193, 199). Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 26) nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 19; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2, RdNr 23; vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 7/05 R - juris RdNr 16 zur BK nach Nr 4302 der Anlage zur BKV; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - juris RdNr 22).

19

Das Berufungsgericht hat in nicht zu beanstandender Weise bei der Bestimmung des maßgeblichen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands sowohl die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 zugrunde gelegt (dazu unter a) als auch das festgestellte Schadensbild diesen Erkenntnissen zugeordnet, mit dem Ergebnis, dass ein belastungskonformes Schadensbild iS der Konsensempfehlungen nicht vorliegt (dazu unter b). Hingegen ist die Aussage des Berufungsgerichts, in Fällen der B3-Konstellation spreche mehr gegen als für eine Verursachung durch die spezifischen beruflichen Einwirkungen iS der BK 2108 nicht haltbar (dazu unter c). Ob bei der festgestellten Befundkonstellation ein Anspruch auf Anerkennung einer BK 2108 besteht, kann der Senat mangels hinreichender Feststellungen dazu, ob nach dem neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisstand Umstände vorliegen, die ausnahmsweise trotz Fehlens der B2-Zusatzkriterien der Konsensempfehlungen den Verursachungszusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und LWS-Schaden stützen, nicht entscheiden, weshalb der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen ist (dazu unter d).

20

a) Nicht zu beanstanden ist, dass das LSG die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 216 ff, 228 ff) zugrunde gelegt hat. Diese bilden nach Überzeugung des Senats weiterhin den aktuellen Erkenntnisstand ab.Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung ist zwar eine der Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte (vgl Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 9), jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für alle einschlägigen BK-Fälle gleichermaßen von Bedeutung sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands auch revisionsrechtlich überprüfbar (grundlegend: BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, RdNr 19 sowie BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 23; s auch BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23; s zur älteren Senatsrechtsprechung, wonach diesbezügliche Feststellungen dem Anwendungsbereich des § 163 SGG zugerechnet wurden: BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 83 = SozR 3-2700 § 9 Nr 4 = SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 4, juris RdNr 28; BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 15, jeweils mwN). Dies muss zunächst jedenfalls immer dann gelten, wenn diese - wie hier - zulässig gerügt werden (vgl BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 15; s zur Problematik der Überprüfung von allgemeinen Tatsachen auf ihre offensichtliche Unrichtigkeit auch das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Inwieweit in der Rechtsprechung anderer Senate des BSG (zur Überprüfung sog "genereller Tatsachen" in der sonstigen Rechtsprechung des BSG vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 7 sowie speziell im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung BSG vom 16.6.1999 - B 1 KR 4/98 R - BSGE 84, 90, 94 = SozR 3-1500 § 163 Nr 7, juris RdNr 17 sowie BSG vom 12.8.2009 - B 3 KR 10/07 R - BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 27 und zuletzt BSG vom 12.9.2012 - B 3 KR 10/12 R - BSGE 112, 15 = SozR 4-2500 § 137 Nr 1, RdNr 55; s zu "Rechtstatsachen" BSG vom 25.10.1994 - 3/1 RK 57/93 - SozR 3-1500 § 163 Nr 5, juris RdNr 27, zu "allgemeinkundigen Tatsachen historischer Natur" BSG vom 7.2.1985 - 9a RV 5/83 - BSGE 58, 38, 42 = SozR 3100 § 5 Nr 7, juris RdNr 17 sowie zu "gerichtskundigen Tatsachen" BSG vom 27.1.1977 - 7 RAr 16/75 - BSGE 43, 124, 127 = SozR 4100 § 41 Nr 28, juris RdNr 30) eine solche Überprüfung genereller Tatsachen erfolgt, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls im Bereich des Rechts der BKen hat das BSG aufgrund der in den Normtexten der jeweiligen BKen in der Anlage zur BKV regelmäßig vertypisierten wissenschaftlichen Aussagen die Existenz der einschlägigen Erfahrungssätze selbst festzustellen. Das über das Vorliegen von BKen befindende Gericht muss sich folglich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist. Die heranzuziehenden Quellen, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc hat das jeweilige Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin ggf durch Sachverständige zu überprüfen (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 24 RdNr 18; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 68 f; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 mwN).

21

Hierbei ist zunächst die Zugrundelegung der Konsensempfehlungen durch das LSG als Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob der Bandscheibenschaden der Klägerin nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch die festgestellten beruflichen Einwirkungen verursacht wurde, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 sind nach wie vor eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands, wie der Senat zuletzt 2009 klargestellt hat (BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 15). Seitdem wurden zwar in Folge der Veröffentlichung der DWS II Fachaufsätze publiziert, die Zweifel an den Aussagen auch der Konsensempfehlungen äußern. Weder aus der DWS II noch den sonstigen Veröffentlichungen ist jedoch zu entnehmen, dass die Erkenntnisse der Konsensarbeitsgruppe aus dem Jahre 2005 gerade hinsichtlich der hier zugrunde gelegten Befundkonstellation inzwischen veraltet sein könnten. Sofern vertreten wird, dass inzwischen die Ergebnisse der DWS II die wesentlichen Grundannahmen aus den Konsenskriterien widerlegten, etwa weil die bisher angenommenen Einwirkungsgrößen zu hoch seien, die Lokalisation und Häufigkeit der Verteilung von Bandscheibenschäden zu 96 % mit denen der Normalbevölkerung identisch sei, die Auswertungen der DWS II keine deutliche Abhängigkeit der Begleitspondylose von der MDD-Gesamtbelastungsdosis gezeigt habe oder Schäden an der HWS keine Aussagekraft zur Verursachung von LWS-Schäden hätten (M. Kentner und K. Frank, Kommentar zur DWS-Richtwertestudie und Implikationen hinsichtlich BK 2108 - Biomechanik vs. Pathophysiologie, Manuskript, erscheint in ASUMed 8/2015); Linhardt/Grifka, Auswirkungen der Deutschen Wirbelsäulenstudie auf die Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule , MedSach 111 <2015>, 20, 21; Bergmann, Bolm-Audorff, Ditchen, Ellegast, Haerting, Kersten, Jäger, Skölziger, Kuß, Morfeld, Schäfer, Seidler, Luttmann, Lumbaler Bandscheibenvorfall mit Radikulärsyndrom und fortgeschrittene Osteochondrose, ZblArbeitsmed 2014, 233 - 238) handelt es sich erkennbar um wissenschaftliche Einzelmeinungen.

22

Die zitierten Publikationen setzen sich zum einen jeweils inhaltlich nicht mit der grundsätzlichen Kritik an der angewandten Methodik der Nachuntersuchung auseinander (s nur Grosser, Ergebnisse der Konsensusarbeitsgruppe zur Begutachtung der BK 2108 - Status quo und Konsequenzen aus der DWS, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 84 - 104; Zagrodnik, Fragliche Belastungsdosis, DGUV Forum 2014, Nr 7/8 S 10 - 13), zum anderen schöpfen sie ihre Kritik an den Aussagen der Konsensempfehlungen alleine aus den Ergebnissen der DWS II, und wenden sich im Wesentlichen gegen die Bestimmung und Höhe der Einwirkungsgrößen, nicht aber gegen die Grundaussage der Konsensempfehlungen, dass Bandscheibenschäden aufgrund beruflich erworbener Druckbelastungs-Dosen entstehen können. Der Senat verkennt nicht, dass ein wissenschaftlicher Erkenntnisstand auch dadurch erschüttert werden kann, dass grundlegende und fundierte Zweifel seitens der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler diesem den Boden entziehen, ohne dass sich diese in ihrer Mehrheit auf einen neuen Konsens geeinigt hätten. Einzelne Gegenstimmen sind demgegenüber nicht geeignet, einen einmal gebildeten und sich in schriftlichen Beurteilungskriterien manifestierenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erschüttern, solange nicht die daran beteiligten Autoren in ihrer Mehrheit diesen Konsens in wesentlichen Punkten aufkündigen oder eine (zumindest teilweise) personell anders zusammengesetzte große Mehrheit von mit dieser Materie befassten Fachwissenschaftlern diesem Konsens entgegentritt.

23

b) Sofern das LSG davon ausgeht, dass bei der Klägerin keine Befundkonstellation besteht, für die die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 eine Anerkennungsempfehlung aussprechen, ist dies ebenfalls nicht zu beanstanden. So wie der erkennende Senat im Recht der BKen nicht gehindert ist, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Verursachungszusammenhängen festzustellen, ist er ebenso wenig gehindert, die korrekte Zuordnung des Sachverhalts seitens des Berufungsgerichts unter diesen einschlägigen Erkenntnisstand zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, wenn dieser in Konsensempfehlungen verdichtet ist. Bei diesen handelt es sich freilich nicht um einen normativen Text oder ein antizipiertes Sachverständigengutachten, weil die Konsensempfehlungen weder vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber erlassen noch von unabhängigen und der Neutralität verpflichteten Autoren verfasst wurden (P. Becker, ASUMed 2009, 592, 595). Daher sind sie für Verwaltung, Gerichte oder Gutachter auch nicht unmittelbar verbindlich (Siefert, ASR 2011, 45, 48) und es verbietet sich deren Auslegung unter strikter Anwendung der Regeln der juristischen Methodenlehre (vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht aaO; S 199).Konsensempfehlungen dienen lediglich zur Erleichterung der Beurteilung im Einzelfall, um typische Befundkonstellationen im Hinblick auf die Kausalbeziehungen unter Zugrundelegung des aktuell wissenschaftlichen Erkenntnisstandes einordnen zu können (Duell, Kranig, Palfner, BK-Begutachtungsempfehlungen - Wissen von Experten für Experten, DGUV Forum 2012, Nr 4 S 14, 16). Andererseits muss bei diesem Erkenntnisvorgang überprüfbar bleiben, ob das LSG nach allgemeinem Verständnis den von ihm festgestellten Sachverhalt (noch) vertretbar den in den Konsensempfehlungen aufgeführten Kategorien zugeordnet hat.

24

Nicht zu beanstanden ist im Rahmen des soeben aufgezeigten Prüfumfangs jedenfalls die Aussage des LSG, dass bei der Klägerin keine Befundkonstellation besteht, für die die Konsensempfehlungen eine Anerkennungsempfehlung aussprechen. Für sämtliche B-Konstellationen wird dort vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder als Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B1) gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich. Liegt hingegen - wie hier nach den bindenden Feststellungen des LSG - keine Begleitspondylose vor, so wird der Zusammenhang nach den Konsensempfehlungen ua dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht (Befundkonstellation "B2" 1. Spiegelstrich 1. Alt). Alternativ müssen bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten "black discs" vorliegen (Befundkonstellation "B2" 1. Spiegelstrich, 2. Alt). Als weitere Alternativen genügt für die Konstellation B2 entweder das Bestehen einer besonders intensiven Belastung, wobei hierfür als "Anhaltspunkt" das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren (Befundkonstellation "B2" 2. Spiegelstrich), oder ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen, wofür als "Anhaltspunkt" das Erreichen der Hälfte des "MDD-Tagesdosis-Richtwertes" durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 1/2 kN) verlangt wird (Befundkonstellation "B2" 3. Spiegelstrich). Nach den bindenden, weil nicht mit zulässigen Rügen angegriffenen Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen keiner dieser Alternativen der Befundkonstellation B2 vor. Insbesondere hat das LSG bei fehlender Begleitspondylose lediglich einen - keinesfalls ausreichenden - monosegmentalen Befund sowie das Fehlen von black discs in zwei benachbarten Segmenten festgestellt. Es kommt daher für den vorliegenden Fall nicht darauf an, ob als "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" (Befundkonstellation "B2" 1. Spiegelstrich, 1. Alt) auch ein bisegmentaler Befund ausreichen würde (so LSG Sachsen vom 21.6.2010 - L 2 U 170/08 LW - juris, das Gegenstand des Urteils des erkennenden Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - ist; anders Hessisches LSG vom 27.3.2012 - L 3 U 81/11 - juris). Auch kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob im Rahmen der Anwendung der Befundkonstellation B2 2. Spiegelstrich für die dort erwähnte "Lebensdosis" das Erreichen der hälftigen MDD-Dosis genügt (vgl ebenfalls das Urteil des erkennenden Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, in dem der Senat im Ergebnis die dahingehende Interpretation der Konsensempfehlungen durch das LSG als nicht offensichtlich falsch angesehen hat).

25

Das LSG hat freilich im vorliegenden Fall für den Senat bindend (§ 163 SGG) eine Belastung durch schweres Heben und Tragen innerhalb von 10 Jahren von maximal 8,42 MNh und damit nur iHv 49,53 % des nach dem MDD angenommenen Richtwertes für die Lebensdosis bei Frauen festgestellt, womit selbst der hälftige MDD-Wert nicht erreicht wurde. Anhaltspunkte dafür, dass auf Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands die rechtlich wesentliche Verursachung eines monosegmentalen Bandscheibenprolaps im Segment L5/S1 durch die in der BK 2108 genannten Einwirkungen bei Erreichen einer Gesamtbelastungsdosis iHv 8,42 MNh in einem Zeitraum von 10 Jahren ohne die sonstigen Zusatzerfordernisse der B2-Konstellation als hinreichend wahrscheinlich angenommen werden könnte, sind dem Senat nicht bekannt. Das LSG ist jedenfalls diesbezüglich bei Anwendung der Konsensempfehlungen weder von einem erkennbar falschen medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen, noch hat es einen dem Senat bekannten oder vorgetragenen vorhandenen Erfahrungssatz nicht angewandt, als es unter Zugrundelegung der B3-Konstellation das Vorliegen einer mit einer Anerkennungsempfehlung konsentierten Befundkonstellation nach den Konsensempfehlungen verneint hat (vgl hierzu insbesondere das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, sowie BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 27).

26

c) Soweit die Klägerin allerdings geltend macht, das LSG habe bei der Ablehnung des Ursachenzusammenhangs die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten, weil es davon ausgegangen ist, bei Vorliegen der Konstellation B3 spreche deutlich mehr gegen als für den Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter Erkrankung, hat sie zulässig und zutreffend die Anwendung eines nicht existierenden Erfahrungssatzes gerügt. Ein solcher Erfahrungssatz, wie ihn das LSG angenommen hat, ist nicht allgemeinkundig oder dem Senat gerichtsbekannt. Soweit weder eine Begleitspondylose noch eines der zuvor genannten Zusatzkriterien der Konstellation B2 vorliegen und keine konkurrierenden Faktoren erkennbar sind, war die Einschätzung des Zusammenhangs durch die Arbeitsgruppenteilnehmer der Konsensarbeitsgruppe offensichtlich unterschiedlich und es wurde folglich auch keine Anerkennungsempfehlung ausgesprochen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 221 f).Dieser fehlende Konsens in der Arbeitsgruppe kann aber nicht so gedeutet werden, dass damit eine Anerkennung des Verursachungszusammenhangs im Einzelfall unmöglich wäre. Zwar wird die Schlussfolgerung des LSG häufig zutreffen, jedoch ist die vom LSG zugrunde gelegte generelle Aussage wissenschaftlich nicht belegt, so dass es im Einzelfall nicht ausgeschlossen und dementsprechend jeweils erst im Rahmen der Amtsermittlung festzustellen ist, ob individuelle, dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende Umstände vorliegen, die im konkreten Einzelfall den Ursachenzusammenhang als hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen(BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 52). Dies lässt sich anhand der tatsächlichen Feststellungen des LSG indes nicht beurteilen, das - von seiner Rechtsansicht her konsequent - die Ermittlungen bereits mit der Bejahung der Konstellation B3 beendet hat. Das LSG wird daher erst zu ermitteln haben, ob es einen nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft anerkannten Erfahrungssatz gibt, nach dem isolierte Bandscheibenvorfälle ohne die in der Konstellation B2 genannten Zusatzkriterien durch schweres Heben und Tragen verursacht werden können.

27

3. Für den Fall, dass ein solcher Erfahrungssatz feststellbar ist, wird das LSG auch weitere Feststellungen dazu treffen müssen, ob die erforderliche Regelmäßigkeit der Einwirkungen gegeben ist. Die von der Klägerin während ihrer Berufstätigkeit ausgeführten Hebe- und Tragevorgänge erfolgten in der Regel bei saisonbedingten Anpflanzungstätigkeiten, ohne dass sich der zeitliche Umfang bzw die Häufigkeit dieser Tätigkeiten den Urteilsgründen entnehmen lässt. Die Regelmäßigkeit der Einwirkung durch Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung ist kein geschriebenes Tatbestandsmerkmal der BK 2108, sondern lässt sich als Bestandteil der arbeitstechnischen Voraussetzungen dem Merkblatt 2006 (BArbBl 2006 Nr 10, S 30 ff, Abschnitt IV) entnehmen. Hintergrund ist, dass bei nicht regelmäßiger Belastung den Bandscheiben genügend Zeit zur Regeneration bleibt und deshalb keine Ursächlichkeit zwischen Druckbelastung und Schädigung besteht. Hierfür reicht es aber aus, dass die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten in der ganz überwiegenden Anzahl der Arbeitsschichten erfolgten, ohne dass eine genaue Zeitgrenze pro Arbeitsschicht genannt werden kann. Vorausgesetzt wird, dass der Betroffene mindestens 60 Schichten im Jahr mit relevanter Wirbelsäulenbelastung ausgesetzt war. Wie bei der Belastungsdauer können geringere oder fehlende Einwirkungen in einer Arbeitsschicht durch stärkere oder länger dauernde Belastungen in anderen Schichten ausgeglichen werden (zum Verzicht auf eine Mindesttagesdosis bei BK 2108 auch BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 24; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 08/2012, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 11a, sowie zur BK 2109: BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15). In tatsächlicher Hinsicht hat das LSG insoweit nur festgestellt, dass die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten im genannten Umfang insbesondere bei Anpflanzungsarbeiten an der Autobahn erfolgt sind. Insoweit wird das LSG ggf die Feststellung nachzuholen haben, ob diese Anpflanzungsarbeiten mindestens 60 Schichten umfassten, oder ob die Klägerin weitere diesen Kriterien entsprechende wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten ausführte.

28

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr 2108 (BK 2108) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

2

Der im Jahre 1953 geborene Kläger absolvierte bis Juli 1972 eine Lehre zum Kfz-Mechaniker und arbeitete in diesem Beruf anschließend bis Januar 1979. Danach war er bis zum 15.9.2008 als Schlosser mit der Instandsetzung eines Maschinenparks und der Wartung von Maschinen befasst. Seit 1.10.2008 erhält der Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit unter Zugrundelegung des Beginns einer Arbeitsunfähigkeit wegen Lumboischialgien am 15.9.2008als Leistungsfall. Im Februar 2009 beantragte der Kläger die Anerkennung einer BK 2108. Die Beklagte lehnte das Vorliegen einer BK 2108 und eines Anspruchs auf Leistungen ab, der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 7.12.2009; Widerspruchsbescheid vom 15.3.2010). Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 3.1.2011 abgewiesen.

3

Das LSG hat auf die Berufung des Klägers nach Durchführung medizinischer Ermittlungen den Gerichtsbescheid aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, das Vorliegen einer BK 2108 anzuerkennen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei während seiner versicherten Tätigkeit Belastungen durch Heben von Lasten iHv insgesamt 9,71 Meganewtonstunden (MNh) ausgesetzt gewesen. Darüber hinaus seien Belastungen in extremer Rumpfbeugehaltung im Umfang von zumindest 8,83 MNh zu berücksichtigen. Eine relevante Belastung im Sinne der BK 2108 sei auch bei einem Beugewinkel von 90 Grad oder etwas weniger gegeben, zumal das Referenzdosismodell der Deutschen Wirbelsäulenstudie (DWS) II bereits Rumpfbeugehaltungen ab 45 Grad einbeziehe. Es ergebe sich weder aus dem Wortlaut der BK 2108 noch aus dem Merkblatt, dass Beugewinkel von ca 90 Grad allenfalls im Bergbau zu finden sowie belastende Tätigkeiten nur zu berücksichtigen seien, sofern sie unter Zwang vorgenommen würden. Der Kläger habe jeweils 3 bis 4 Minuten in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet, womit er insgesamt 30 bis 45 Minuten in einzelnen Arbeitsschichten Belastungen durch extreme Rumpfbeugehaltungen unterlegen, sowie die Mindestschichtanzahl iHv 60 Schichten mit relevanter Wirbelsäulenbelastung pro Jahr erfüllt sei. Mit der Gesamtbelastungsdosis von zumindest 18,54 MNh liege er nicht nur weit über dem in der DWS II offenbar angenommenen Schwellenwert von 7 MNh für Männer, sondern auch über dem vom BSG in seinem Urteil vom 30.10.2007 (B 2 U 4/06 R) vorgeschlagenen Orientierungswert von 12,5 MNh. Beim Kläger bestehe eine bandscheibenbedingte Erkrankung in Form eines chronischen degenerativen Lumbalsyndroms mit pseudoradikulärer Lumboischialgie, die unter Berücksichtigung des späten Manifestationszeitpunktes der Erkrankung, des altersvorauseilenden Verschleißes an der Lendenwirbelsäule (LWS), des Verteilungsmusters der Veränderungen unter Mitbeteiligung der Segmente L3/L4 und L1/L2 bei gleichzeitiger Schwerpunktbildung im beruflich meist belasteten Wirbelsäulenabschnitt sowie mit der eindeutigen Akzentuierung der Umformung im Lendenkreuzbeinübergang im Vergleich zur nicht belasteten Wirbelsäule jedenfalls mitursächlich auf die berufliche Exposition bei der versicherten Tätigkeit kausal zurückzuführen sei. Es liege eine altersüberschreitende Chondrose Grad II im "Segment L 5/5" sowie vom Grad III im Segment L5/S1 vor. Das Schadensbild sei mit schwächer ausgeprägten Bandscheibenschäden an der Halswirbelsäule (HWS) der Konstellation B4 der Konsensempfehlungen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma Berufskrankheit 2005/3, S 211, 214 ff) zuzuordnen, bei der ein Zusammenhang mit den beruflichen Einwirkungen im Sinne der BK 2108 wahrscheinlich sei. Der Aufgabezwang für die exponierende Tätigkeit sei ab dem 15.9.2008 gesichert.

4

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 9 SGB VII iVm der BK 2108. Zur Begründung führt sie aus, eine Lebensbelastungsdosis des Klägers in Höhe von 18,5 MNh liege nicht vor. Das LSG setze die sog arbeitstechnischen Voraussetzungen in dem Tatbestandsmerkmal "Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung" zu niedrig an. Zum einen müssten hierfür Arbeiten mit einer Rumpfbeuge von mindestens 90 Grad in einer Zwangshaltung erfolgen, zum anderen genüge ein zeitlicher Umfang von wöchentlich 30 bis 45 Minuten keinesfalls den Anforderungen der Regelmäßigkeit, die ca 60 Arbeitsschichten voraussetze. Die vom BSG abgesenkte Gesamtbelastungsdosis von 12,5 MNh für Männer stelle keinen Orientierungswert, sondern ein Ausschlusskriterium dar. Wenn dieser Wert überschritten werde, habe dies keine positive Indizwirkung. Es hätte eine Einzelfallprüfung durchgeführt werden müssen, während das LSG sich mit dem Überschreiten von 12,5 MNh und der Einordnung des Krankheitsbildes in die Kategorie B4 der Konsensempfehlungen zufrieden gegeben habe. Die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 seien zudem durch die BSG-Entscheidung vom 30.10.2007 überholt und nicht mehr durch die daran beteiligten Wissenschaftler und Ärzte autorisiert. Es sei ungewiss, ob die Autoren ihre Konsensempfehlung überhaupt abgegeben hätten, wenn von deutlich niedrigeren beruflichen Belastungen als 25 MNh auszugehen sei.

5

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG auf die Berufung den die Klage abweisenden Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und das Vorliegen einer BK 2108 festgestellt.

9

Die erhobenen Klagen sind als Anfechtungsklage gegen die ablehnenden Entscheidungen verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Feststellungsklage zulässig (BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151 ff RdNr 10).

10

Der erhobene Anspruch beurteilt sich gemäß § 212 SGB VII nach den Vorschriften des SGB VII, weil nicht ersichtlich ist, dass der Versicherungsfall bereits vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.8.1996, BGBl I 1254) eingetreten sein könnte. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGBl I 2623), die lautet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang; dazu unter A.) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität, dazu unter B.) und diese Einwirkungen eine Krankheit (dazu unter C.) verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität, dazu unter D.). Schließlich ist Anerkennungsvoraussetzung, dass der Versicherte deshalb seine Tätigkeit aufgeben musste sowie alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt (dazu unter E.). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN; zuletzt BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14).

11

A. Nach den bindenden Feststellungen des LSG absolvierte der Kläger von August 1968 bis Juni 1972 eine Lehre als Kfz-Mechaniker und arbeitete anschließend in diesem Beruf bis Januar 1979. Seitdem war er als Bau- und Instandhaltungsschlosser bis zum Eintritt dauerhafter Arbeitsunfähigkeit am 15.9.2008 tätig. Den Feststellungen lässt sich gerade noch hinreichend entnehmen, dass diese Tätigkeiten im Rahmen eines Arbeitsvertrags erfolgten und der Kläger damit als Beschäftigter iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versichert war.

12

B. Der Kläger unterlag im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit auch den nach dem Tatbestand der BK 2108 vorausgesetzten Einwirkungen. Danach muss der Versicherte aufgrund einer versicherten Tätigkeit entweder langjährig schwer gehoben und getragen oder in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet haben, ansonsten ist der Tatbestand der BK 2108 nicht erfüllt (zur Bestimmung des Ausmaßes der beruflichen Einwirkungen bei der BK 2108 vgl auch BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/08 R - juris RdNr 23; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 16 f). Dies zu überprüfen war der Senat trotz des Inhalts der angefochtenen Bescheide nicht gehindert (dazu unter 1.). Die danach tatbestandlich alternativ vorausgesetzten Einwirkungen in Form des schweren Hebens und Tragens (dazu unter 2.) bzw von Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (dazu unter 3.) liegen beim Kläger beide vor. Sie erfolgten zudem langjährig (dazu unter 4.).

13

1. Der Senat ist zunächst nicht gehindert, sowohl die Subsumtion der seitens des LSG festgestellten Einwirkungen unter den Tatbestand der BK 2108, als auch deren Geeignetheit zur Erzeugung eines Bandscheibenschadens zu überprüfen (vgl zur BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15 ff), obwohl die Beklagte im Rahmen der Begründung des Verwaltungsakts vom 7.12.2009 das Vorliegen der "arbeitstechnischen Voraussetzungen" bejaht hat. Diese Aussage der Beklagten nimmt nicht an der Bindungswirkung des Verwaltungsakts (§ 77 SGG) teil, weil in dem Bescheid durch bindenden Verfügungssatz (Regelung) alleine das Nichtbestehen der BK 2108 sowie von Ansprüchen auf Leistungen geregelt wurde (vgl BSG vom 20.11.1996 - 3 RK 5/96 - BSGE 79, 261, 265; vgl BSG vom 6.2.1958 - 8 RV 449/56 - BSGE 6, 288, 291; BSG vom 21.1.1959 - 11/8 RV 181/57 - BSGE 9, 80, 84; BSG vom 24.2.1960 - 9 RV 286/56 - BSGE 12, 25, 26). Zwar kann auch einem Satz aus der Begründung eines Verwaltungsakts die Bedeutung einer bindenden Feststellung zukommen (BSG vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R - BSGE 115, 256 = SozR 4-2700 § 136 Nr 6, RdNr 16; BSG vom 20.11.1996 - 3 RK 5/96 - BSGE 79, 261, 265; BSGE 66, 168, 173 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1; s zum Verbot der Schlechterstellung - reformatio in peius - BSG vom 20.2.1956 - 10 RV 75/55 - BSGE 2, 225, 228 f; BSG vom 20.4.1961 - 4 RJ 217/59 - BSGE 14, 154, 158; BSG vom 23.4.1964 - 9/11 RV 318/62 - SozR Nr 44 zu § 77 SGG). Bei den sog "arbeitstechnischen Voraussetzungen" handelt es sich aber nur um ein Element der Anspruchsprüfung einer BK, das zwei miteinander in Zusammenhang stehende Aspekte umfasst: das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen und die potentielle Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung (vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 179, 193; s auch BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Somit kommt der Feststellung des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Rahmen der Bescheidbegründung, die nicht als selbständiger Verfügungssatz formuliert ist, nicht die Eigenschaft einer bindenden Regelung zu, sondern nur die eines seitens des Gerichts vollständig überprüfbaren Elements der Anspruchsprüfung (s zur Überprüfbarkeit von Berechnungselementen beim Höhenstreit betr das Arbeitslosengeld: BSG vom 18.8.2005 - B 7a AL 4/05 R - SozR 4-1500 § 95 Nr 1 RdNr 13).

14

2. Nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) unterlag der Kläger im Zeitraum seiner versicherten Tätigkeit Belastungen durch Heben und Tragen von Lasten in Höhe von insgesamt 9,71 MNh (BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 13/05 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 9, SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 4, RdNr 10).

15

3. Darüber hinaus hat das LSG ebenfalls bindend festgestellt, dass der Kläger ca einmal in der Woche Tätigkeiten in Form des Wechsels von Schaufeln und Blechen in einem zeitlichen Umfang von etwa 30 bis 45 Minuten verrichtet hat. Diese Arbeiten erfolgten mit einer Rumpfbeuge von ca 90 Grad. Da es sich hierbei um Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung gehandelt habe, sei der Kläger dadurch einer weiteren Belastung iHv 8,83 MNh ausgesetzt gewesen. Die Subsumtion dieser weiteren Belastung unter den Tatbestand der BK 2108 seitens des LSG ist nicht zu beanstanden. Auch das Tatbestandsmerkmal der BK 2108 "Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung" wird nicht anhand exakter numerischer Einwirkungsgrößen definiert (vgl zu dem insoweit vergleichbaren Problem bei BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 14 sowie zur BK 2108 BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 23 ff), so dass es grundsätzlich Aufgabe der Versicherungsträger und Gerichte ist, unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien (vgl zu den Motiven bei der Aufnahme der BK 2108 in die BKV die amtliche Begründung: BR-Drucks 773/92, S 7) sowie anhand der Vorgaben des vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Merkblatts für die ärztliche Untersuchung zur BK 2108 (BArbBl 10/2006, S 30 ff), die für diese BK vorausgesetzten beruflichen Einwirkungen näher zu konkretisieren, wenn es auch Aufgabe des Verordnungsgebers ist, eine dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende und für den Rechtsanwender handhabbare gesetzliche Grundlage zu schaffen, die dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot genügt (vgl hierzu insb das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 28). Den Merkblättern kommt zwar keine rechtliche Verbindlichkeit zu (BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 6/04 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 5 RdNr 15), sie sind jedoch als Interpretationshilfe und zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands heranzuziehen (BSG vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1 RdNr 17 mwN).

16

Hinsichtlich der Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung nennt das Merkblatt (BArbBl 10/2006, S 30 ff) Arbeiten in Bodenhöhe oder unter der Standfläche, bei denen es zu einer Beugung des Oberkörpers aus der aufrechten Körperhaltung um ca 90 Grad oder mehr kommt. Ferner zählen danach Arbeiten in Arbeitsräumen dazu, die niedriger als ca 100 cm sind und somit andauernde Zwangshaltungen mit Arbeiten im Knien, Hocken, im Fersensitz oder gebeugter bzw verdrehter Körperhaltung bedingen. Beispielhaft werden unter Nennung weiterer wissenschaftlicher Quellen Berufsgruppen, bei denen solche Tätigkeiten vorkommen, aufgeführt. Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Sinne der BK 2108 erfordern - unter Zugrundelegung des Merkblatts als maßgebliche Erkenntnisquelle bzw Interpretationshilfe - weder eine Zwangshaltung (dazu unter a) noch eine Rumpfbeuge von mindestens 90 Grad oder mehr (dazu unter b).

17

a) Sofern die Revision nur solche Tätigkeiten für berücksichtigungsfähig hält, die in einer "Zwangshaltung", also ohne Möglichkeit des Aufrichtens, ausgeübt werden, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Das Erfordernis einer solchen Zwangshaltung lässt sich weder den Materialien noch dem Merkblatt zur BK 2108, weiteren wissenschaftlichen Veröffentlichungen noch sonstigen Hinweisen zur Auslegung des Tatbestands der BK 2108 entnehmen (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 19). Lediglich beispielhaft werden im Merkblatt Tätigkeiten im Bergbau genannt, ohne dass diese Aufzählung erkennbar abschließend ist und eine Zwangshaltung zwingend vorausgesetzt wird.

18

b) Ebenso wenig ist der Revision darin zu folgen, dass sich nur Tätigkeiten mit einer Rumpfbeuge von mindestens 90 Grad in die Berechnung einbeziehen ließen. Auch Tätigkeiten mit einer etwas weniger als 90 Grad ausgeprägten Rumpfbeuge sind zum einen mit dem Wortlaut des Verordnungstextes, der eine "extreme" und somit eine das Maß der im Alltag gewöhnlich vorkommenden überschreitende Rumpfbeugehaltung verlangt, vereinbar. Sofern das BSG in einer älteren Entscheidung ausgeführt hat, dass unter einer extremen Rumpfbeugehaltung iS der BK Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV eine Beugung des Oberkörpers aus der aufrechten Haltung um mehr als 90 Grad zu verstehen sei (BSG vom 1.7.1997 - 2 BU 106/97 - juris RdNr 7) und sich dieser Auffassung das BVerwG angeschlossen hat (BVerwG vom 16.4.2013 - 2 B 150/11 - juris RdNr 7), liegt diesen Entscheidungen offensichtlich das mittlerweile veraltete Merkblatt zur BK 2108 aus dem Jahre 1993 (BArbBl 3/1993, S 50) zugrunde. Der Senat hat bereits an anderer Stelle klargestellt, dass Grundlage der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung einer BK stets der im Entscheidungszeitpunkt aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand zu sein hat (BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 14; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2103 Nr 1, RdNr 15; BSG vom 27.6 2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, SozR 4-2700 § 9 Nr 6, RdNr 17; s zum Arbeitsunfall: BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44, RdNr 61).

19

Dies gilt insbesondere bei der Auslegung unbestimmter, die erforderliche Einwirkung bezeichnender Rechtsbegriffe, sofern im Rahmen der möglichen Wortbedeutung die Geeignetheit zur Verursachung des Gesundheitsschadens zu bestimmen ist. Das aktuelle Merkblatt zur BK 2108 (BArbBl 10/2006, S 30 ff) verlangt aber lediglich eine Rumpfbeuge von "ca 90 Grad". Hierbei handelt es sich um einen mittleren Schätzwert, bei dem Abweichungen nach oben und unten gleich verteilt sind (vgl zur Dosis "in der Regel 100 Feinstaubjahre" der BK 4111: BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3, SozR 4-2700 § 9 Nr 20, RdNr 19). Im vorliegenden Fall kommt es mithin nicht darauf an, ob eine Rumpfbeuge von 45 Grad - wie sie in der DWS-Folgestudie bereits als wirbelsäulenschädigend dargestellt wird - mit der möglichen Wortbedeutung des Attributs "extrem" vereinbar wäre (vgl zum Problem der Mindestbelastung bei Heben und Tragen durch Frauen das Senatsurteil vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

20

4. Die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten erfolgten darüber hinaus - wie tatbestandlich vorausgesetzt - langjährig. Langjährig bedeutet, dass zehn Berufsjahre als die im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (so wörtlich das aktuelle Merkblatt 2108 BArbBl 2006, Heft 10, S 30, Abschnitt IV; vgl zum Merkmal "langjährig" bei der BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15; s zur BK 2108 bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 10; BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 22/03 R - juris RdNr 25; vgl auch: Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 8/2012, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 7 mwN; "mindestens 10 Jahre" fordern Ricke in Kasseler Kommentar, Stand 7/2014, § 9 SGB VII RdNr 42; Mehrtens/Brandenburg, BKV, Stand 12/2013, M 2108 Anm 2.2.2.). Auch dieses Merkmal erfüllt der Kläger bei ca 30 Jahren festgestellter wirbelsäulenbelasteter Tätigkeit.

21

Das LSG hat davon ausgehend zu Recht angenommen, dass beim Kläger die Anforderungen an die tatbestandlich vorausgesetzte berufliche Exposition iS der BK 2108 erfüllt sind (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 21).

22

C. Beim Kläger besteht nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) auch eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS in Form eines chronischen degenerativen Lumbalsyndroms mit pseudoradikulärer Lumboischialgie an vier Lendenbandscheiben mit einer altersüberschreitenden Chondrose Grad III im Segment L5/S1 unter Mitbeteiligung der Segmente L3/L4 und L1/L2 mit Akzentuierung der Umformung im Lendenkreuzbeinübergang. Damit liegt ein dreisegmentaler Schaden der LWS vor. Die zusätzliche Feststellung einer Chondrose Grad II in einem ersichtlich nicht existierenden "Segment L5/5" ist für die Bejahung des erforderlichen Gesundheitsschadens unerheblich. Darüber hinaus existieren demgegenüber schwächer ausgeprägte Bandscheibenschäden an der HWS.

23

D. Die Beurteilung des LSG, dass die festgestellten LWS-Schäden rechtlich wesentlich durch die versicherten Einwirkungen verursacht wurden, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Für die Anerkennung einer BK ist neben der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen einerseits und der Erkrankung andererseits erforderlich. Für die umstrittene BK 2108 bedeutet dies, dass die LWS-Erkrankung des Klägers durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (s zum Arbeitsunfall die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 34 ff sowie BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; zu BKen s BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - juris RdNr 32; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 sowie - B 2 U 26/04 R - juris RdNr 17), die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestands fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 f sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff). Vorliegend hat das LSG zu Recht sowohl die (sonstigen) arbeitstechnischen (dazu unter 1.) als auch arbeitsmedizinischen Voraussetzungen (dazu unter 2.) bejaht.

24

1. Unter Zugrundelegung der bindend festgestellten Einwirkungs-Werte iHv 9,71 MNh durch Heben und Tragen von Lasten sowie 8,83 MNh durch Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung ist das LSG in durch das Revisionsgericht nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen auch im Hinblick auf die generelle Eignung der festgestellten Einwirkung zur Krankheitsverursachung im Sinne einer BK 2108 im Falle des Klägers gegeben sind. Die Belastungen der unterschiedlichen Einwirkungsformen "schweres Heben und Tragen" einerseits sowie "Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung" hat das LSG zu Recht addiert (dazu unter a). Zutreffend hat das LSG für die Berechnung der in der Höhe und Intensität zur Erzeugung des Bandscheibenschadens genügenden Einwirkungsbelastung das Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) zugrunde gelegt (dazu unter b). Darüber hinaus erfolgten diese Belastungen auch regelmäßig (dazu unter c). Einer Mindest-Tagesdosis bedurfte es hingegen nicht (dazu unter d).

25

a) Zutreffend hat das LSG eine kumulative Einwirkungs-Belastung iHv 18,54 MNh zugrunde gelegt. Die vom LSG vorgenommene Addition der Belastungen durch Heben und Tragen einerseits sowie Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung andererseits in zeitlicher wie in physischer Hinsicht ist nicht zu beanstanden (s Merkblatt vom 21.9.2006 - BArbBl 2006, Heft 10, S 30, 33 aE). Angesichts der auf dasselbe Zielorgan wirkenden Belastungen, für die der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand feststehende Dosis-Wirkungsbeziehungen annimmt, geht der Senat davon aus, dass diese zusammenzurechnen sind (s zur Addition von Hebe- und Tragebelastung einerseits und Schwingungsbelastung andererseits BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 9/05 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 8 RdNr 21).

26

b) Mit der Heranziehung des MDD zur Bestimmung der für eine Krankheitsverursachung erforderlichen Belastungsdosis folgt das LSG der Rechtsprechung des erkennenden Senats, der seit 2003 (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23, 27 f = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 10; BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 1/02 R - USK 2003-219 RdNr 15; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 18 und zuletzt BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 25) dieses Modell als eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der Nr 2108 Anl BKV mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau umschriebenen Einwirkungen angesehen hat. Die aufgrund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD sind indes nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen (s zur Handhabung der hälftigen Orientierungswerte als Mindestbelastungswerte BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 31; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25; sowie die Urteile vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R und B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Orientierungswerte sind andererseits keine unverbindlichen Größen, die beliebig unterschritten werden können. Ihre Funktion besteht in dem hier interessierenden Zusammenhang darin, zumindest die Größenordnung festzulegen, ab der die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten als potentiell gesundheitsschädlich einzustufen sind. Die Mindestbelastungswerte müssen naturgemäß niedriger angesetzt werden, weil sie ihrer Funktion als Ausschlusskriterium auch noch in besonders gelagerten Fällen, etwa beim Zusammenwirken des Hebens und Tragens mit anderen schädlichen Einwirkungen, gerecht werden müssen. Werden die Orientierungswerte jedoch so deutlich unterschritten, dass das Gefährdungsniveau nicht annähernd erreicht wird, so ist das Vorliegen einer BK 2108 zu verneinen, ohne dass es weiterer Feststellungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang im Einzelfall bedarf (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 19).

27

Der Senat hat deshalb in der soeben genannten Entscheidung seine frühere Rechtsprechung auf der Grundlage der Erkenntnisse der "Deutschen Wirbelsäulenstudie" (www.dguv.de/inhalt/leistungen/versschutz/bk/wirbelsaeule/index.html) weiterentwickelt und entschieden, dass das MDD in seiner Funktion als Konkretisierung des Ausmaßes der für die BK 2108 erforderlichen beruflichen Einwirkung derzeit nicht durch ein anderes gleichermaßen geeignetes Modell ersetzt werden kann. Der Senat hat indes im Lichte der Erkenntnisse der Ergebnisse der DWS I das MDD in mehreren Punkten modifiziert und insbesondere als unteren Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der LWS ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis bei Männern von 25 MNh, also 12,5 MNh, angenommen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25).

28

Das LSG hat insoweit zur Berechnung der erforderlichen Mindestbelastungsdosis das MDD zutreffend unter Berücksichtigung der Modifikationen, die dieses durch die Rechtsprechung des Senats erfahren hat, angewandt (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 22; BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 29 ff). Mit einer festgestellten Gesamtbelastungsdosis iHv 18,5 MNh wurde vorliegend der genannte untere Grenzwert erheblich überschritten. Es kommt daher nicht darauf an, ob eine weitere Absenkung im Lichte der Ergebnisse der DWS-Richtwertestudie (DWS II) (korrekte Bezeichnung des Forschungsvorhabens: "Erweiterte Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie mit dem Ziel der Ableitung geeigneter Richtwerte", Kurztitel: "DWS-Richtwerteableitung", veröffentlicht unter http://www.dguv.de/ifa/Forschung/Projektverzeichnis/FF-FB_0155A.jsp) angezeigt ist oder mit den Voraussetzungen des § 9 Abs 1 SGB VII unvereinbar wäre(vgl zur Mindestbelastungsdosis bei Frauen Urteil vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

29

c) Auch die erforderliche Regelmäßigkeit der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten, die sich als Element der arbeitstechnischen Voraussetzungen dem Merkblatt 2006 (BArbBl 2006, S 30 ff Abschnitt IV) entnehmen lässt, ist gegeben. Hierbei reicht es entgegen der Auffassung der Revision aus, dass diese in der ganz überwiegenden Anzahl - mindestens 60 - der Arbeitsschichten erfolgten, ohne dass eine genaue Zeitgrenze pro Arbeitsschicht genannt werden kann (s Merkblatt BArbBl 10/2006, S 30 ff Abschnitt IV aE; vgl BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15 zur BK 2109). Hintergrund ist, dass bei nicht regelmäßiger Belastung den Bandscheiben genügend Zeit zur Regeneration bleibt und deshalb keine Ursächlichkeit zwischen Druckbelastung und Schädigung besteht (vgl hierzu das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Den Feststellungen des LSG lässt sich gerade noch hinreichend entnehmen, dass der Kläger in mindestens 60 Schichten im Jahr einer relevanten Wirbelsäulenbelastung ausgesetzt war. Auch insoweit ist die vom LSG vorgenommene Addition der Belastungen durch das Heben und Tragen schwerer Lasten und der Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung in zeitlicher wie in physischer Hinsicht - wie bereits dargelegt - nicht zu beanstanden.

30

d) Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat, lässt sich das Erfordernis des Erreichens einer Mindesttagesdosis anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands nicht begründen. Wie bei der Belastungsdauer können geringere oder fehlende Einwirkungen in einer Arbeitsschicht durch stärkere oder länger dauernde Belastungen in anderen Schichten ausgeglichen werden. Daher ist es nach wie vor nicht zu beanstanden, alle Hebe- und Tragebelastungen, die die Mindestbelastung von 2700 N bei Männern erreichen, entsprechend dem quadratischen Ansatz zu berechnen und aufzuaddieren (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 24; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 8/2012, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 11a, sowie zur BK 2109: BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15). Dementsprechend steht es der Verursachung der Erkrankung durch die wirbelsäulenbelastende Tätigkeit auch nicht entgegen, dass sich die Gesamtbelastungsdosis über 40 Jahre akkumuliert hat.

31

2. Schließlich hat das LSG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Bejahung des Ursachenzusammenhangs zwischen den gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung des Klägers bejaht. Die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen betreffen zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit, zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 179, 193, 199). Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 26; BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 19; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2 RdNr 23; vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 7/05 R - juris RdNr 16 zur BK nach Nr 4302 der Anlage zur BKV; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - juris RdNr 22).

32

Das Berufungsgericht hat zutreffend den wesentlichen Ursachenzusammenhang zwischen den gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung des Klägers unter Anwendung der arbeitsmedizinischen Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 214 ff, 228 ff) bejaht. Die Konsensempfehlungen sind nach wie vor eine geeignete Grundlage, um den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand bezüglich bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS zu bestimmen (dazu unter a). Sie können auch dann angewandt werden, wenn der MDD-Orientierungswert für die Gesamtbelastungsdosis nicht erreicht wurde (dazu unter b). Das LSG hat schließlich in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise das von ihm bindend festgestellte Schadensbild unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands als belastungskonform angesehen (dazu unter c).

33

a) Nicht zu beanstanden ist, dass das LSG die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 zugrunde gelegt hat. Diese bilden zur Überzeugung des Senats weiterhin den aktuellen Erkenntnisstand ab. Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung ist zwar eine der Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte (vgl Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 9), jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für alle einschlägigen BK-Fälle gleichermaßen von Bedeutung sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands auch revisionsrechtlich überprüfbar (grundlegend: BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, RdNr 19 sowie BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 23; s auch BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23; s zur älteren Senatsrechtsprechung, wonach diesbezügliche Feststellungen dem Anwendungsbereich des § 163 SGG zugerechnet wurden: BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 83 = SozR 3-2700 § 9 Nr 4 = SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 4 RdNr 28; BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 22, jeweils mwN). Dies muss zunächst jedenfalls immer dann gelten, wenn diese - wie hier - zulässig gerügt werden (vgl BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 14; s zur Problematik der Überprüfung von allgemeinen Tatsachen auf ihre offensichtliche Unrichtigkeit auch das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Inwieweit in der Rechtsprechung anderer Senate des BSG (zur Überprüfung sog "genereller Tatsachen" in der sonstigen Rechtsprechung des BSG vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 7 sowie speziell im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung BSG vom 16.6.1999 - B 1 KR 4/98 R - BSGE 84, 90, 94 = SozR 3-1500 § 163 Nr 7, RdNr 17 sowie BSG vom 12.8.2009 - B 3 KR 10/07 R - BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 135 Nr 4, RdNr 27 und zuletzt BSG vom 12.9.2012 - B 3 KR 10/12 R - BSGE 112, 15, 37 = SozR 4-2500 § 137 Nr 1 RdNr 55; s zu "Rechtstatsachen" BSG vom 25.10.1994 - 3/1 RK 57/93 - SozR 3-1500 § 163 Nr 5, juris RdNr 27, zu "allgemeinkundigen Tatsachen historischer Natur" BSG vom 7.2.1985 - 9a RV 5/83 - BSGE 58, 38, 42 = SozR 3100 § 5 Nr 7, RdNr 17 sowie zu "gerichtskundigen Tatsachen" BSG vom 27.1.1977 - 7 RAr 16/75 - BSGE 43, 124, 127 = SozR 4100 § 41 Nr 28 RdNr 30) eine solche Überprüfung genereller Tatsachen erfolgt, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls im Bereich des Rechts der BKen hat das BSG aufgrund der in den Normtexten der jeweiligen BKen in der Anlage zur BKV regelmäßig vertypisierten wissenschaftlichen Aussagen die Existenz der einschlägigen Erfahrungssätze selbst festzustellen. Das über das Vorliegen von BKen befindende Gericht muss sich folglich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist. Die heranzuziehenden Quellen - Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc - hat das jeweilige Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin zu überprüfen (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 24 RdNr 18; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 68 f; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 mwN).

34

Hierbei ist zunächst die Zugrundelegung der Konsensempfehlungen durch das LSG als Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob der Bandscheibenschaden des Klägers nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch die festgestellten beruflichen Einwirkungen verursacht wurde, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 sind nach wie vor eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands, wie der Senat zuletzt 2009 klargestellt hat (BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 15). Seitdem wurden zwar in Folge der Veröffentlichung der DWS II Fachaufsätze publiziert, die Zweifel an den Aussagen auch der Konsensempfehlungen äußern. Weder der DWS II noch den sonstigen Veröffentlichungen ist jedoch zu entnehmen, dass die Erkenntnisse der Konsensarbeitsgruppe aus dem Jahre 2005 gerade hinsichtlich der hier zugrunde gelegten Befundkonstellation inzwischen veraltet sein könnten. Sofern vertreten wird, dass inzwischen die Ergebnisse der DWS II die wesentlichen Grundannahmen aus den Konsenskriterien widerlegten, etwa weil die bisher angenommenen Einwirkungsgrößen zu hoch seien, die Lokalisation und Häufigkeit der Verteilung von Bandscheibenschäden zu 96% mit denen der Normalbevölkerung identisch sei, die Auswertungen der DWS II keine deutliche Abhängigkeit der Begleitspondylose von der MDD-Gesamtbelastungsdosis gezeigt habe oder Schäden an der HWS keine Aussagekraft zur Verursachung von LWS-Schäden hätten (M. Kentner und K. Frank, Kommentar zur DWS-Richtwertestudie und Implikationen hinsichtlich BK 2108 - Biomechanik vs. Pathophysiologie, Manuskript, erscheint in ASUMed 8/2015; Linhardt/Grifka, Auswirkungen der Deutschen Wirbelsäulenstudie auf die Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule , MedSach 111 <2015>, 20, 21; Bergmann, Bolm-Audorff, Ditchen, Ellegast, Haerting, Kersten, Jäger, Skölziger, Kuß, Morfeld, Schäfer, Seidler, Luttmann, Lumbaler Bandscheibenvorfall mit Radikulärsyndrom und fortgeschrittene Osteochondrose, ZblArbeitsmed 2014, 233 - 238) handelt es sich erkennbar um wissenschaftliche Einzelmeinungen.

35

Die zitierten Publikationen setzen sich zum einen jeweils inhaltlich nicht mit der grundsätzlichen Kritik an der angewandten Methodik der Nachuntersuchung auseinander (s nur Grosser, Ergebnisse der Konsensusarbeitsgruppe zur Begutachtung der BK 2108 - Status quo und Konsequenzen aus der DWS, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 84 - 104; Zagrodnik, Fragliche Belastungsdosis, DGUV Forum 2014, Nr 7/8 S 10 - 13), zum anderen schöpfen sie ihre Kritik an den Aussagen der Konsensempfehlungen alleine aus den Ergebnissen der DWS II, und wenden sich im Wesentlichen gegen die Bestimmung und Höhe der Einwirkungsgrößen, nicht aber gegen die Grundaussage der Konsensempfehlungen, dass Bandscheibenschäden aufgrund beruflich erworbener Druckbelastungs-Dosen entstehen können. Der Senat verkennt nicht, dass ein wissenschaftlicher Erkenntnisstand auch dadurch erschüttert werden kann, dass grundlegende und fundierte Zweifel seitens der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler diesem den Boden entziehen, ohne dass sich diese in ihrer Mehrheit auf einen neuen Konsens geeinigt hätten. Einzelne Gegenstimmen sind demgegenüber nicht geeignet, einen einmal gebildeten und sich in schriftlichen Beurteilungskriterien manifestierenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erschüttern, solange nicht die daran beteiligten Autoren in ihrer Mehrheit diesen Konsens in wesentlichen Punkten aufkündigen oder eine (zumindest teilweise) personell anders zusammengesetzte große Mehrheit der mit dieser Materie befassten Fachwissenschaftler diesem Konsens entgegentritt.

36

Dem Senat liegen im Rahmen seiner eigenen Ermittlungen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die Konstellation B4 der Konsensempfehlungen nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht. Zwar wird hierzu kritisch geäußert, aus Schäden an der HWS könnten keine Aussagen über die Verursachung von Schäden an der LWS durch Druck abgeleitet werden (M. Kentner und K. Frank, Kommentar zur DWS-Richtwertestudie und Implikationen hinsichtlich BK 2108 - Biomechanik vs. Pathophysiologie, Manuskript, erscheint in ASUMed 8/2015). Dies vermag jedoch den Aussagewert der Befundkonstellation B4 nach Überzeugung des Senats nicht zu erschüttern, weil die Konsensempfehlungen gerade davon ausgehen, dass kein belastungstypisches, sondern nur ein belastungskonformes Schadensbild existiert. Damit können bestimmte Befundkonstellationen, in denen andere anatomisch nicht in gleichem Maße druckbelastete Segmente wie die der LWS genauso oder stärker geschädigt sind, den Verursachungszusammenhang nicht ausschließen, sie können allenfalls den Verdacht erzeugen, dass die Schäden der LWS wesentlich auf anlagebedingten Faktoren beruhen.

37

b) Entgegen der Revision ist auch nicht zu beanstanden, dass sich das LSG auf die Aussagen der Konsensempfehlungen stützt, obwohl nach seinen eigenen Feststellungen die nach dem MDD für Männer geforderte Gesamtbelastungsdosis iHv 25 MNh durch den Kläger mit 18,54 MNh nicht erreicht wurde. So wie der erkennende Senat im Recht der BKen nicht gehindert ist, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Verursachungszusammenhängen festzustellen, ist er ebenso wenig gehindert, die korrekte Zuordnung des Sachverhalts seitens des Berufungsgerichts unter diesen einschlägigen Erkenntnisstand zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, wenn dieser in Konsensempfehlungen verdichtet ist. Bei diesen handelt es sich freilich nicht um einen normativen Text oder ein antizipiertes Sachverständigengutachten, weil die Konsensempfehlungen weder vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber erlassen, noch von unabhängigen und der Neutralität verpflichteten Autoren verfasst wurden (P. Becker, ASUMed 2009, 592, 595). Daher sind sie für Verwaltung, Gerichte oder Gutachter auch nicht unmittelbar verbindlich (Siefert, ASR 2011, 45, 48) und es verbietet sich deren Auslegung unter strikter Anwendung der Regeln der juristischen Methodenlehre (vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht aaO, S 199). Konsensempfehlungen dienen lediglich zur Erleichterung der Beurteilung im Einzelfall, um typische Befundkonstellationen im Hinblick auf die Kausalbeziehungen unter Zugrundelegung des aktuell wissenschaftlichen Erkenntnisstands einordnen zu können (Duell, Kranig, Palfner, BK-Begutachtungsempfehlungen - Wissen von Experten für Experten, DGUV Forum 2012, Nr 4 S 14, 16). Andererseits muss bei diesem Erkenntnisvorgang überprüfbar bleiben, ob das LSG nach allgemeinem Verständnis den von ihm festgestellten Sachverhalt (noch) vertretbar den in den Konsensempfehlungen aufgeführten Kategorien zugeordnet hat.

38

Nicht zu beanstanden ist im Rahmen des soeben aufgezeigten Prüfumfangs jedenfalls die Aussage des LSG, dass die Konsensempfehlungen bereits bei einem Gesamtbelastungswert von 18,54 MNh Anwendung finden können. Den Konsensempfehlungen selbst lässt sich das Erreichen der MDD-Gesamtbelastungsdosiswerte von 25 MNh jedenfalls nicht als Anwendungsvoraussetzung entnehmen. So nehmen die Konsensempfehlungen nur an wenigen Stellen Bezug auf das MDD. Auf dessen Orientierungswert wird sogar nur an einer Stelle verwiesen, nämlich als Alternative 3 der Konstellation B2, die vorliegend allerdings unerheblich ist, weil sich das LSG zur Anerkennung auf die Alternative 1 in Verbindung mit der Konstellation B4 bezogen hat. Soweit die Konsensempfehlungen unter 1.4 "Zusammenhangsbeurteilung" eine "ausreichende berufliche Belastung" fordern, lässt sich dieser Formulierung nicht entnehmen, dass damit das Erreichen des MDD-Orientierungswertes zur Gesamtbelastungsdosis vorausgesetzt wird. So führen die Autoren der Konsensempfehlungen im Vorspann aus, dass zum Zeitpunkt der Initiierung ihres Projekts die zentrale Frage der Expositionsbeurteilung ebenso wenig gelöst war, wie die der Begutachtung. Erklärtes Ziel ihrer Tätigkeit war die Formulierung konkretisierter Begutachtungskriterien, obwohl konkrete Forschungsergebnisse aus dem Parallelprojekt der DWS, mit dem die Dosis-Wirkungsbeziehungen zwischen beruflichen Belastungen und der Entstehung von bandscheibenbedingten Wirbelsäulenerkrankungen in einer Fallkontrollstudie einer besseren epidemiologischen Klärung zugeführt werden sollten, erst zu einem späteren Zeitpunkt erwartet wurden. Bereits dies spricht dagegen, dass die Konsensempfehlungen die Werte des MDD als Anwendungsbedingung voraussetzen.Vielmehr überlassen sie erkennbar die Beurteilung der ausreichenden Belastungen dem jeweiligen Gutachter, an den diese "Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung" adressiert sind. Jedenfalls folgt hieraus, dass die vom LSG vorgenommene "Interpretation" des Einstiegswerts der Konsensempfehlungen nicht offensichtlich falsch ist (zum Prüfansatz vgl insoweit das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R).

39

c) Es ist ferner nicht zu beanstanden, dass das LSG das Vorliegen der Konstellation B4 der Konsensempfehlungen bejaht hat. Für sämtliche B-Konstellationen wird vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B1) gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich. Liegt hingegen keine Begleitspondylose vor, so wird nach der ersten Alternative der Befundkonstellation B2 der Zusammenhang dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn eine Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht.

40

Nach den bindenden Feststellungen des LSG bestehen beim Kläger Erkrankungen in Form einer altersüberschreitenden Chondrose Grad III im Segment L5/S1 unter Mitbeteiligung der Segmente L3/L4 und L1/L2 mit Akzentuierung der Umformung im Lendenkreuzbeinübergang. Damit liegt nach den nicht mit beachtlichen Rügen angegriffenen Feststellungen des LSG ein jedenfalls drei- und damit mehrsegmentaler Schaden der LWS und damit die Voraussetzungen der B2-Konstellation in der 1. Alternative des ersten Spiegelstrichs vor. Es kommt mithin nicht darauf an, ob auch eine weitere Alternative der B2-Konstellation gegeben ist. Auch die in der auf der B2-Konstellation aufbauenden B4-Konstellation vorausgesetzten schwächer ausgeprägten Bandscheibenschäden an der HWS sind nach den Feststellungen des LSG gegeben. Bei der B4-Konstellation ist nach den Konsensempfehlungen der Zusammenhang wahrscheinlich, weshalb die darauf gestützte Feststellung des Vorliegens einer BK 2108 revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden ist, weil gerade insoweit (betreffend die Konstellation B4) wie ausgeführt - keine wissenschaftlich beachtliche Kritik geübt wird, die die Anwendbarkeit dieser Konstellation insgesamt in Zweifel ziehen könnte (vgl zu den Grenzen der revisionsgerichtlichen Erkenntnismöglichkeiten bei der Zugrundelegung der Konsensempfehlungen Senatsurteile vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R sowie B 2 U 10/14 R -, beide zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

41

E. Schließlich hat der Kläger nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts auch sämtliche wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten unterlassen, weshalb die Revision der Beklagten insgesamt zurückzuweisen war.

42

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. April 2015 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung einer Lyme-Borreliose als Berufskrankheit (BK) nach Nr 3102 der Anl 1 zur BK-Verordnung (; "Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten", nachfolgend BK 3102) bei nachgewiesener Borrelieninfektion hat.

2

Der im Jahre 1959 geborene Kläger ist als forstwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten unfallversichert und bewirtschaftet seit Jahren regelmäßig seinen 4,28 ha großen Wald. Ihm ist seit 1998 ein Schilddrüsenmedikament verordnet, das als Nebenwirkung Herzrhythmusstörungen hervorrufen kann. Eine entsprechende Verdachtsdiagnose wurde Mitte 2003 erstmals gestellt. Im Dezember 2007 ließ er sich wegen eines seit mehr als zwei Monaten bestehenden Vorhofflimmerns stationär behandeln.

3

Im Juni 2008 stellte sich der Kläger wegen eines Zeckenbisses bei seinem Hausarzt vor, dem er bereits Mitte 2007 über einen Zeckenstich am Hals berichtet hatte. Laut Laborbericht waren im Immunoblot wenige spezifische Antikörper gegen Borrelia burgdorferi nachweisbar inklusive Spätmarker; der serologische Befund passe sowohl zu einer Serumnarbe nach ausgeheilter Infektion als auch zu einer aktiven Infektion der Stadien II oder III. Daraufhin wurde wegen nicht ganz ausgeschlossener Borreliose mit kardialer Beteiligung eine Antibiotikabehandlung für drei Wochen eingeleitet und später mittels Infusionstherapie für zwei Wochen wiederholt, ohne dass sich eine Besserung einstellte.

4

2010 teilte der Kläger der Rechtsvorgängerin der Beklagten mit, er habe im Mai 2007 nach Arbeiten im eigenen Wald einen Zeckenbiss bemerkt; Hautveränderungen seien in der Umgebung der Stichstelle nicht aufgetreten. Die Beklagte verneinte das Vorliegen einer BK 3102 sowie Ansprüche auf Leistungen (Bescheid vom 18.1.2011). Nachdem der Kläger im Widerspruchsverfahren den Arztbrief eines sog Borreliosezentrums vorgelegt hatte, wies die Beklagte den Widerspruch zurück, weil dessen Befunde schulmedizinisch und wissenschaftlich nicht anerkannt seien (Widerspruchsbescheid vom 22.9.2011).

5

Das SG hat die Klage nach Einholung von Sachverständigengutachten abgewiesen, weil Hinweise auf eine krankheitsaktive Borreliose fehlten und der Antikörperbefund allein noch keine Krankheit iS der BKV sei (Urteil vom 28.10.2013). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 15.4.2015): Der Kläger sei bei seiner versicherten Tätigkeit als Forstwirt einem deutlich erhöhten Infektionsrisiko für Borreliose ausgesetzt gewesen. Eine Lyme-Borreliose sei bei ihm aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorhanden; insbesondere reiche die nachgewiesene Borrelieninfektion allein nicht aus, um eine BK 3102 anzuerkennen. Krankheit iS des § 9 SGB VII sei ein regelwidriger Zustand des Körpers, des Geistes oder der Seele. Dagegen führe weder die bloße Aufnahme von Erregern in den Körper noch die körpereigene Bildung von Antikörpern gegen diesen Erreger zu einem regelwidrigen Gesundheitszustand und damit zu einer Krankheit iS des BK-Rechts. Vielmehr sei neben den Einwirkungen und der durchaus positiven und wünschenswerten Abwehr der Erreger eine negative körperliche Reaktion mit Krankheitswert erforderlich, die den Beschreibungen der jeweiligen BK-Tatbestände bzw den hierzu erlassenen Merkblättern und wissenschaftlichen Begründungen entspreche. Unter Berücksichtigung des Verordnungstextes, der Entstehungsgeschichte und des Gesamtzusammenhangs setze die Feststellung einer Lyme-Borreliose als BK 3102 den labortechnischen Nachweis einer Borrelieninfektion und einen klinischen Befund voraus, der zum Krankheitsbild der Borreliose passe. Zwar sei hier eine Borrelieninfektion serologisch bewiesen. Allein der positive Nachweis borrelienspezifischer Antikörper belege aber keine aktive Infektion mit dem Bakterium Borrelia burgdorferi, weil nach der entsprechenden Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zur Neuroborreliose, auf die das Merkblatt ua verweise, Borrelieninfektionen mit asymptomatischer Serokonversion vorkämen und über Jahre anhaltende erhöhte Antikörpertiter (in Serum oder Liquor) nach ausreichend behandelter Borreliose bei gesunden Personen keine Seltenheit darstellten. Der überwiegenden Mehrzahl infizierter Personen gelinge es, die Infektion mit der eigenen Immunabwehr durch Bildung der ggf jahrzehntelang messbaren Antikörper erfolgreich abzuwehren, sodass sie zu keinem Zeitpunkt an Borreliose erkrankten. Man spreche in diesen Fällen von einer sog Seronarbe. Soweit das Merkblatt als typische Krankheitsbilder einer Lyme-Borreliose ua "wandernde Arthralgien" und "Herzbeschwerden" benenne, hätten die beim Kläger vorhandenen Gelenkbeschwerden und Herzrhythmusstörungen andere Ursachen. Die Gelenkbeschwerden seien auf degenerative Veränderungen zurückzuführen. Das Vorhofflimmern sei für eine Lyme-Karditis völlig untypisch, trete in der Altersgruppe des Klägers häufig ohne benennbare Ursache auf und habe sich erst vier Monate nach dem angeschuldigten Zeckenstich manifestiert, zudem sei eine zweimalige Antibiotikatherapie erfolglos geblieben und es bestünden Schilddrüsenprobleme mit entsprechender Medikation, die als Nebenwirkung typischerweise Herzrhythmusstörungen hervorrufe.

6

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen (§ 9 SGB VII iVm Nr 3102 der Anl 1 zur BKV) und sinngemäß auch formellen Rechts (§ 128 Abs 1 S 1 SGG): Schon aufgrund der Borrelieninfektion liege eine feststellungsfähige BK vor. Denn unter Krankheit sei ein regelwidriger Körper- und Geisteszustand zu verstehen. Regelwidrig sei ein Körperzustand, der von der Norm abweiche, die dem Leitbild des gesunden Menschen entspreche. Hierfür sei es notwendig, dass die Aufnahme einer schädigenden Substanz in den Organismus zu negativen körperlichen Reaktionen mit Krankheitswert führe. Dies sei der Fall, wenn entsprechende Antikörper nachgewiesen seien, die das Immunsystem als Reaktion auf bestimmte Stoffe bilde. Dagegen sei die Rechtsansicht des LSG zu weitgehend, neben der Existenz von Antikörpern auch den Vollbeweis einer Infektionskrankheit zu fordern. Denn nach der Rechtsprechung des BSG sei zB auch die bloße HIV-Infektion bereits eine als BK anzuerkennende Erkrankung. Aber auch bei Zugrundelegung der Auffassung des LSG könne man sich auch auf den Standpunkt stellen, dass mit den Herzrhythmusstörungen bereits das Stadium II der Borreliose-Erkrankung erreicht und die Krankheit somit ausgebrochen sei, wie den einschlägigen Ausführungen des Robert Koch-Instituts entnommen werden könne.

7

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. April 2015 und des Sozialgerichts Landshut vom 28. Oktober 2013 aufzuheben sowie den Bescheid vom 18. Januar 2011 und den Widerspruchsbescheid vom 22. September 2011 aufzuheben und eine Borreliose als Berufskrankheit nach Nr 3102 der Anl 1 zur BKV festzustellen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Die Gelenkbeschwerden des Klägers beruhten nicht auf einem Borrelienkontakt, sondern auf degenerativen Veränderungen. Auch die Herzrhythmusstörungen seien kein Ausdruck dafür, dass bereits das Stadium II der Borreliose-Erkrankung erreicht sei. Soweit sich die Revisionsbegründung auf den gegenteiligen Standpunkt stelle, habe sie eine Verletzung der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG)nicht formgerecht gerügt. Die erhöhten Antikörperwerte belegten eine Inkorporation von Infektionserregern und damit den Tatbestand der Exposition, aber nicht den Versicherungsfall. Der Nachweis von Antikörpern habe für sich gesehen keinen Krankheitswert. Würde man der Argumentation des Klägers folgen, wäre jeder, der den Ausbruch einer Infektionskrankheit durch sein Immunsystem erfolgreich abgewendet habe, gleichwohl krank. Jedenfalls sei das Vorhandensein von Antikörpern gegen Borrelia burgdorferi ohne krankheitsaktive Borreliose für die Unfallversicherung irrelevant.

Entscheidungsgründe

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A. Die Revision ist zulässig, soweit sie sich gegen die Anwendung materiellen Rechts wendet. Dagegen berücksichtigt das Rechtsmittel nicht ausreichend, dass Verfahrensverstöße grundsätzlich nur auf Rüge geprüft werden, die bis zum Ablauf der Begründungsfrist - vorliegend am 23.11.2015 - ordnungsgemäß erhoben sein muss (§ 202 S 1 SGG iVm § 557 Abs 3 S 2 ZPO).

11

Soweit die Revisionsbegründung ausführt, "man könnte sich allerdings auch auf den Standpunkt stellen, dass … mit den bei dem Kläger diagnostizierten Herzrhythmusstörungen bereits das Stadium II der Borreliose-Erkrankung erreicht" sei, macht sie sinngemäß eine Verletzung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) geltend, worauf die Beklagte zutreffend hinweist. Eine formgerechte Verfahrensrüge liegt indes nicht vor, weil die Revision lediglich ihre Beweiswürdigung alternativ an die Stelle derjenigen des LSG setzt und ihren Standpunkt unausgesprochen als vorzugswürdig bezeichnet. Dies reicht für eine formgerechte Rüge der Verletzung des Rechts der freien richterlichen Beweiswürdigung nicht aus (BSG Urteile vom 7.2.2006 - B 2 U 31/04 R - SozR 4-2700 § 63 Nr 3 RdNr 24 und vom 7.12.2004 - B 1 KR 10/03 R - Juris RdNr 18). Denn dem Revisionsgericht ist es nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen oder diese sonst zu bewerten (stRspr, vgl nur BSG Urteile vom 7.4.1987 - 11b RAr 56/86 - SozR 1500 § 164 Nr 31 S 50, vom 19.12.2001 - B 11 AL 50/01 R - Juris RdNr 16 und vom 23.7.2015 - B 5 R 32/14 R - Juris RdNr 10). Stattdessen hätte die Revisionsbegründung entweder aufzeigen müssen, dass das LSG das "Gesamtergebnis des Verfahrens" unzureichend berücksichtigt hat, oder schlüssig darlegen müssen, dass der festgestellte Sachverhalt nur eine Folgerung erlaubt, jede andere nicht denkbar ist und das Gericht gerade die einzig denkbare Schlussfolgerung nicht gezogen, mithin gegen Denkgesetze verstoßen hat. Da dies nicht geschehen ist, ist das BSG an die gegenteiligen Feststellungen des LSG gebunden (§ 163 SGG), wonach die Herzrhythmusstörungen gerade keine Erscheinungsform einer Lyme-Borreliose sind.

12

B. Die im Übrigen zulässige Revision ist unbegründet, sodass sie zurückzuweisen ist (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Zu Recht hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen, weil die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Var 1, § 55 Abs 1 Nr 1, § 56 SGG) unbegründet ist. Die Entscheidung der Beklagten in dem Bescheid vom 18.1.2011, die Feststellung einer BK 3102 abzulehnen, und der Widerspruchsbescheid vom 22.9.2011 sind rechtmäßig.

13

Rechtsgrundlage für die Anerkennung einer BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm BK 3102. Nach § 9 Abs 1 S 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Nach ständiger Senatsrechtsprechung ist für die Feststellung einer Listen-BK (Versicherungsfall) erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" iS des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG Urteile vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 10 mwN, vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 10 und - B 2 U 10/14 R - BSGE 118, 255 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6 RdNr 11 sowie - B 2 U 20/14 R - BSGE 118, 267 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8, RdNr 10; s auch BSG Urteile vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12, vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN, vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN, vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412, vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151 RdNr 14 sowie vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14). Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht (BSG Urteil vom 15.5.2012 - B 2 U 31/11 R - Juris RdNr 34 mwN) und ernste Zweifel ausscheiden (BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 2 U 5/10 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 3 RdNr 20). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall).

14

Der Verordnungsgeber hat die BK 3102 unter der Abschnittsüberschrift "Durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten sowie Tropenkrankheiten" wie folgt bezeichnet: "Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten". Die Voraussetzungen dieses Tatbestandes iVm § 9 Abs 1 SGB VII sind nicht erfüllt, weil der Kläger nicht an seiner solchen "Krankheit" leidet. Deshalb kann dahinstehen, ob dem LSG auch insoweit zu folgen gewesen wäre, als es für die "Einwirkung" keinen konkreten Nachweis von Zeckenstichen gerade bei der versicherten Tätigkeit gefordert, sondern es für ausreichend erachtet hat, dass der Kläger als Forstwirt generell "einem deutlich erhöhten Infektionsrisiko für Borreliose" ausgesetzt gewesen ist. Anders als bei der BK 3101, die für den Nachweis der Einwirkung bei Infektionskrankheiten von Versicherten im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium eine "besondere Infektionsgefahr" schon tatbestandlich voraussetzt (hierzu BSG Urteile vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 und - B 2 U 33/07 R - BSGE 103, 54 = SozR 4-5671 Anl 1 3101 Nr 5 sowie vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151), ist die erforderliche Einwirkung in der hier zu beurteilenden BK 3102 vom Verordnungsgeber offengelassen und gerade nicht definiert worden. Der vom LSG offensichtlich beabsichtigte Verzicht auf die Feststellung jeder konkreten Einwirkung und das bloße Abstellen auf die abstrakte Gefahr des Arbeitens im Wald in einem Gebiet mit regional erhöhtem Zeckenbefall dürfte aber den Anforderungen einer im Vollbeweis festzustellenden Einwirkung kaum mehr genügen (vgl hierzu Bieresborn, NZS 2008, 354). Letztlich kann dies aber dahinstehen, weil bei dem Kläger schon keine Krankheit iS der BK 3102 vorliegt.

15

Bei der BK 3102 handelt es sich um eine sog offene BK-Bezeichnung (vgl Spellbrink, BPUVZ 2012, 360, 362; ders SozSich 2013, 431 f; Bieresborn, NZS 2008, 354, 359), bei der die erforderliche Erkrankung nicht präzise umschrieben, sondern nur eine Krankheitsgruppe, nämlich "von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten", genannt wird. Anerkennungsfähig sind mithin hier alle Krankheiten dieser Gruppe, die durch die betreffende Einwirkung potentiell verursacht werden können. Um ein bestimmtes Krankheitsbild aus dem Schutzbereich dieser BK ausschließen zu können, muss demgegenüber feststehen, dass entweder diese Krankheit nach dem Willen des Verordnungsgebers nicht vom Schutzbereich der Norm umfasst sein sollte oder durch die jeweilige Einwirkung nicht verursacht werden kann (vgl iE BSG Urteil vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR, aaO, RdNr 14), was bei der Lyme-Borreliose nicht der Fall ist, die hier allein als eine anerkanntermaßen von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheit in Betracht kommt.

16

Werden - wie vorliegend - die Rechtsbegriffe "durch Infektionserreger … verursachte Krankheiten" und "von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten" durch einen fachmedizinischen Diagnosebegriff ("Lyme-Borreliose") ausgefüllt, so bedeutet dies, dass diesem Diagnosebegriff der Bedeutungs- bzw Sinngehalt zukommt, den ihm der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand beimisst: Es müssen die Diagnosekriterien vorliegen, die krankheitsbeweisend sind, also nach den aktuellen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft erfüllt sein müssen, um die Diagnose zu sichern. Das Recht knüpft damit an den medizinischen Diagnosebegriff und die dazu entwickelten Kriterien an, die die überwiegende Mehrheit der Fachmediziner, die auf dem jeweils in Betracht kommenden Gebiet über spezielle Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, wissenschaftlich fundiert vertreten ( s BSG Urteil vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1, RdNr 15, zum Kehlkopfkarzinom nach ionisierenden Strahlen; vgl zuletzt BSG Urteile vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 22 und vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20). Auf dieser Grundlage ist der Kläger nicht an einer Lyme-Borreliose erkrankt (nachfolgend 1.). Die Borrelieninfektion als solche stellt keine von Tieren auf Menschen übertragbare "Krankheit" im Rechtssinne dar (nachfolgend 2.). Sie liegt auch nicht deshalb vor, weil die behandelnden Ärzte aufgrund des Verdachts, es könnte eine Lyme-Borreliose bestehen, Laborbefunde erhoben und Therapiemaßnahmen in Form einer zweimaligen Antibiotikatherapie eingeleitet haben (nachfolgend 3.).

17

1. Der Kläger leidet nicht an einer Lyme-Borreliose, weil deren medizinisch-diagnostischen Kriterien nicht erfüllt sind. Auf der Grundlage der medizinischen Beweisaufnahme und unter Heranziehung der aktuellen S1-Leitlinie der DGN (zur Neuroborreliose, Stand September 2012, AWMF-Registernummer 030/071, S 2) hat das LSG für das BSG bindend festgestellt (§ 163 Halbs 1 SGG), dass die Diagnose einer Lyme-Borreliose sowohl den (indirekten) Erregernachweis mittels Laboruntersuchung (Serodiagnostik, Antikörpernachweis) als auch den Nachweis einer typischen klinischen Symptomatik erfordert. Dass diese Diagnosekriterien nicht (mehr) dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen, ist weder mit zulässigen und begründeten Revisionsgründen gerügt worden (§ 163 Halbs 2 SGG)noch für den Senat offenkundig (zur insofern bestehenden Prüfungskompetenz vgl BSG Urteil vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 20 mwN). Die Feststellung einer Lyme-Borreliose als BK 3102 setzt mithin voraus, dass ihre typischen klinischen Symptome und die Borrelieninfektion im Vollbeweis belegt sind und diese Leitsymptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf der Borrelieninfektion beruhen. Das LSG hat den (indirekten) Erregernachweis für erbracht erachtet (nachfolgend a) und das Vorliegen von klinischen Symptomen beschrieben, die für eine Borreliose-Erkrankung typisch sind (nachfolgend b). Es hat jedoch die hinreichende Wahrscheinlichkeit zwischen der nachgewiesenen Borrelieninfektion und den Gelenkbeschwerden bzw Herzrhythmusstörungen rechtsfehlerfrei verneint (nachfolgend c).

18

a) Das LSG hat unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Beweisaufnahme wegen der nachweislich erhöhten IgG-Antikörper-Werte im Antikörper-Suchtest IgG-ELISA und im Bestätigungstest IgG-Immunoblot einen Kontakt des Immunsystems mit Borrelia burgdorferi zu einem unbekannten Zeitpunkt und damit eine Borrelieninfektion bejaht.

19

b) Zum Krankheitsbild einer Lyme-Borreliose zählen nach der Lfd Nr 15 des Anhangs zum Merkblatt der BK 3102 (Bekanntmachung des BMGS vom 1.9.2003, BArbBl 10/2003, 26) ua "Erythema migrans", "wandernde Arthralgien", "Arthritis" sowie "Herzbeschwerden". Die Merkblätter sind zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands und als Interpretationshilfe heranzuziehen (BSG Urteile vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - BSGE 118, 267 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8 RdNr 15, vom 12.4.2005 - B 2 U 6/04 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 5 RdNr 8, vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 85; BSG Urteil vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1, RdNr 17 mwN), auch wenn sie weder verbindliche Konkretisierungen der Tatbestandsvoraussetzungen der BK noch antizipierte Sachverständigengutachten oder eine Dokumentation des Standes der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft sind (BSG Beschluss vom 11.8.1998 - B 2 U 261/97 B - HVBG-INFO 1999, 1373), was auch das LSG nicht verkannt hat. Hautveränderungen iS einer Wanderröte (Erythema migrans) hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG weder selbst bemerkt noch sind sie ärztlich dokumentiert. Auch fehlt der Nachweis von Schwellungszuständen und Gelenkergüssen als Zeichen einer manifesten Arthritis (Gelenkentzündung). Dagegen liegen wiederkehrende (rezidivierende) Gelenkbeschwerden ("Arthralgien") vor, die nicht auf eine bestimmte Körperstelle beschränkt sind, sondern nach Angaben des Hausarztes vor allem im Lendenwirbelsäulenbereich ("Lumbalgie"), in der Nacken-Schulter-Arm-Region ("Cervicobrachialgie") sowie dem rechten Ellenbogen (Epicondylitis humeri radialis, sog Tennisellenbogen) auftreten und damit als "wandernd" bezeichnet werden können. Darüber hinaus leidet der Kläger unter "Vorhofflimmern mit absoluter Arrhythmie" und damit auch an "Herzbeschwerden".

20

c) Unter Berufung auf den Hausarzt und das internistische Sachverständigengutachten ist das LSG indes ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, dass im Fall des Klägers gerade nicht mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang zwischen der Borrelieninfektion und den beschriebenen Gelenkbeschwerden in mehreren Körperregionen spricht, sondern ein solcher wegen der gleichfalls nachgewiesenen degenerativen Veränderungen (Bandscheibenvorfall L5/S1, Bandscheibenschaden C5/6) ernsthaft bezweifelt werden muss. Ebenfalls ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das LSG den Zusammenhang zwischen der Borrelieninfektion und dem Vorhofflimmern mit absoluter Arrhythmie verneint hat, weil diese Erkrankung für eine Lyme-Karditis völlig untypisch ist, in der Altersgruppe des Klägers häufig ohne benennbare Ursache auftritt, sich erst vier Monate nach dem Zeckenstich manifestiert hat, eine zweimalige Antibiotikatherapie erfolglos geblieben ist und Schilddrüsenprobleme mit entsprechender Medikation bestehen, die als Nebenwirkung Herzrhythmusstörungen hervorrufen kann.

21

2. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die symptomlose Borrelieninfektion als solche nicht unter den unfallversicherungsrechtlichen Begriff der "Krankheit" iS des § 9 Abs 1 S 1 SGB VII und der BK 3102 subsumieren. Gesetz- und Verordnungsgeber haben den im Recht der BKen vorausgesetzten Krankheitsbegriff nicht näher festgelegt, sondern von einer Definition abgesehen, weil der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt ständige Änderungen dessen bewirkt, was als "Krankheit" erkannt werden kann (BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 3 KR 14/14 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr 29; Hauck, NJW 2016, 2695, 2700). In der Sozialversicherung umschreiben Rechtsprechung (BSG Urteile vom 24.7.1985 - 9b RU 36/83 - SozR 5670 Anl 1 Nr 3102 Nr 1, vom 26.11.1987 - 2 RU 20/87 - SozR 2200 § 551 Nr 31, vom 30.9.2015, aaO sowie zuletzt vom 8.3.2016 - B 1 KR 35/15 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 28 RdNr 9 mwN) und Literatur (Becker, SGb 2010, 131, 135; Brandenburg in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl 2014, § 9 RdNr 50; Knispel, SGb 2016, 632; Koch in Lauterbach, Unfallversicherung, Stand November 2016, § 9 RdNr 54; Mehrtens/Brandenburg, BKV, § 9 SGB VII Anm 6; Ricke in Kasseler Kommentar, SGB VII, Stand 1.12.2016, § 9 RdNr 9; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand Februar 2017, K § 9 RdNr 8a; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 9 RdNr 5; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und BK, 9. Aufl 2017, S 66; Spellbrink, SR 2014, 140, 143) Krankheit auch im BK-Recht als regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, wovon die Beteiligten und die Vorinstanzen ebenfalls ausgehen.

22

"Regelwidrig" ist jeder Zustand, der von der Norm abweicht (normativer Krankheitsbegriff), die ihrerseits durch das Leitbild des gesunden Menschen geprägt ist (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 28 RdNr 9 und SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr 29). "Gesundheit" wiederum ist derjenige Zustand, der dem Einzelnen die Ausübung der (aller) körperlichen Funktionen ermöglicht (BSG aaO). Folglich kommt nicht jeder körperlichen Regelwidrigkeit (hier: Vorhandensein von Antikörpern gegen Borrelia burgdorferi) Krankheitswert im Rechtssinne zu (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 28 RdNr 10). Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird (funktioneller Krankheitsbegriff). Ausgehend von diesem normativ-funktionellen Krankheitsbegriff reicht die bloße Aufnahme schädigender Substanzen (zB Infektionserreger, Asbest, Quarzstaub) in den Körper allein im Regelfall nicht aus (anders offenbar LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.5.2014 - L 3 U 228/12 - Juris RdNr 41 f und Bayerisches LSG Urteil vom 13.12.1989 - L 10 U 144/88 - Juris, zur BK 1101). Vielmehr ist es grundsätzlich notwendig, dass diese Einwirkung über zunächst rein innerkörperliche Reaktionen (iS normabweichender physiologischer oder biologischer Prozesse) oder Strukturveränderungen hinaus zu (irgend)einer Funktionsstörung führt (zB leistungsmindernde Beeinträchtigung von Atmung oder Kreislauf, vgl dazu BSG Urteil vom 11.1.1989 - 8 RKnU 1/88 - SozR 2200 § 551 Nr 34). Diese Auffassung wird durch die Gesetzessystematik des BK-Rechts bestätigt (dazu ausführlich Mehrtens/Brandenburg, aaO, § 9 Anm 6.3). Denn das Gesetz unterscheidet zwischen einer bereits eingetretenen BK, einer individuell drohenden - also noch nicht eingetretenen - BK sowie der generellen Gesundheitsgefahr am Arbeitsplatz. Dementsprechend differenziert das Unfallversicherungsrecht zwischen der Generalprävention (§§ 14 ff SGB VII) zur Vermeidung von schädigenden Einwirkungen auf die Versicherten am Arbeitsplatz, den individualpräventiven Maßnahmen nach § 3 BKV bei einer drohenden Gefahr der Entstehung, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens einer BK sowie Maßnahmen(Heilbehandlung, berufliche Rehabilitation, Entschädigung, §§ 26 ff SGB VII) bei einer anerkannten BK. Die individualpräventiven Maßnahmen nach § 3 BKV stehen somit an der Nahtstelle zwischen stattgehabter Einwirkung und dem Eintritt des Versicherungsfalls. Eine Schadstoffinkorporierung, zu der auch die Aufnahme von Krankheitserregern zählt, kann im Einzelfall die Voraussetzung einer drohenden Gefahr iS des § 3 BKV erfüllen, wenn die Gefahr des Eintritts eine mehr als entfernte Möglichkeit darstellt. Aus der normativen Differenzierung zwischen drohender BK iS des § 3 BKV und eingetretener BK iS des § 9 SGB VII folgt zugleich, dass die bloße Aufnahme eines schädlichen Stoffes grundsätzlich der erstgenannten Fallgruppe zuzuordnen ist(Mehrtens/Brandenburg, aaO).

23

Hier führte die Aufnahme von Borrelia burgdorferi in den Organismus des Klägers zu einer körperlichen Abwehrreaktion des Immunsystems, die laborchemisch belegbar ist. Damit waren jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Störungen irgendwelcher Körperfunktionen verbunden; die Gelenkbeschwerden und Herzrhythmusstörungen hatten - wie unter 1. dargestellt - nach den bindenden Feststellungen des LSG andere Ursachen. Hat die körpereigene Immunabwehr des Klägers nach der Aufnahme von Borrelia burgdorferi das Auftreten von Funktionsstörungen gerade verhindert und ist die Infektion deshalb stumm (symptomlos, asymptomatisch) verlaufen, so liegt keine "Krankheit" im Rechtssinne und damit kein Versicherungsfall (§ 7 Abs 1 SGB VII)in der gesetzlichen Unfallversicherung vor. Mit dem positiven Ergebnis im Antikörper-Suchtest IgG-ELISA und im Bestätigungstest IgG-Immunoblot ist somit allenfalls eine körperliche Einwirkung, nicht jedoch eine (Berufs-)"Krankheit" belegt. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass niemand, dessen Immunsystem den Ausbruch einer Infektionskrankheit erfolgreich abgewendet habe, gleichwohl als "krank" im Rechtssinne bezeichnet werden könne. Vielmehr tritt der Versicherungsfall der BK erst ein, wenn die Infektionskrankheit zu Funktionsstörungen führt, weil die körpereigene Immunabwehr überfordert ist.

24

Soweit die Revision geltend macht, das BSG (Urteil vom 18.11.1997 - 2 RU 15/97 - Juris RdNr 19: "HIV-Infektion ist eine Infektionskrankheit") sei bereits bei der nachgewiesenen Infektion mit dem HI-Virus vom Vorliegen einer BK 3101 ausgegangen, lässt sie unbeachtet, dass es nach einer HIV-Infektion meist zu ersten Krankheitszeichen (zB Fieber, Nachtschweiß, Abgeschlagenheit, Hautausschläge, Gelenkschmerzen usw) kommt und die medizinische Wissenschaft daher konsequenterweise bereits von einer akuten "HIV-Krankheit" (nicht gleichbedeutend mit "AIDS") spricht (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, HIV und AIDS, Heft 31 Juni 2006, Robert Koch-Institut in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt, S 8), während die Infektion mit Borrelia burgdorferi typischerweise symptomlos verläuft. Zudem handelt es sich bei der Ansteckung mit dem HI-Virus um eine Infektion, die ohne ärztliche Behandlung zu einer lebensbedrohlichen AIDS-Erkrankung führen kann, weil das körpereigene Immunsystem allein regelmäßig nicht in der Lage ist, die Infektionserreger vollständig abzuwehren (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, aaO). Dagegen erkrankt die Mehrzahl der Menschen mit dem Nachweis borrelienspezifischer Antikörper nicht an Borreliose, weil es ihrer Immunabwehr - wie hier - gelingt, die Infektion erfolgreich zu bekämpfen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die sich auf das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme und auf die aktuelle S1-Leitlinie der DGN (zur Neuroborreliose, Stand September 2012, AWMF-Registernummer 030/071, S 2) stützen, kommen borrelienspezifische Antikörper auch bei gesunden Personen vor, sodass ihr serologischer Nachweis allein noch keine aktive Infektion mit aktiven Borrelia burgdorferi belegt.

25

3. Soweit die Rechtsprechung in einem Einzelfall schon den bloßen Krankheitsverdacht als "Krankheit" iS des BK-Rechts angesehen hat, ohne dass schon akute Funktionsbeeinträchtigungen vorlagen (BSG Urteil vom 24.7.1985 - 9b RU 36/83 - SozR 5670 Anl 1 Nr 3102 Nr 1), vermag dies an dem gefundenen Ergebnis nichts zu ändern. In dem genannten Fall (BSG Urteil vom 24.7.1985, aaO) hatte der als Forstwart beschäftigte Kläger ohne Schutzhandschuhe ein an Tollwut erkranktes Reh zerwirkt. Auf die darauf erfolgte Tollwutimpfung erkrankte der Kläger an mit Wahrscheinlichkeit auf diese Impfung zurückzuführenden Herzbeschwerden. Das BSG hat insofern die Notwendigkeit der "Heilbehandlung" (Impfung) aufgrund des bloßen Krankheitsverdachts bejaht. In einer vergleichbaren Situation befand sich der Kläger hier im Juni 2008, nachdem Herzrhythmusstörungen aufgetreten, die serologischen Laborbefunde positiv gewesen waren und sein Hausarzt "wegen nicht ganz ausgeschlossener Borreliose mit kardialer Beteiligung" eine medikamentöse Antibiotikabehandlung für drei Wochen einleitete, die später mittels Infusionstherapie für zwei Wochen wiederholt wurde. Dies ändert aber nichts daran, dass die "Krankheit" iS des jeweiligen Tatbestands der in der Anl 1 zur BKV aufgelisteten Krankheiten für die isolierte Feststellung einer BK jeweils iS des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen muss. Ein bloßer Krankheitsverdacht, der sich rückblickend nicht bestätigt hat, kann daher nicht zu der hier erstrebten und mit der Revision verfolgten Feststellung einer BK führen, wenngleich für die aufgrund des "Verdachts" durchgeführten Diagnosemaßnahmen etc eine Zuständigkeit der Beklagten - etwa auch gemäß § 3 BKV- gegeben sein kann.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

(1) Leiden Versicherte am 1. August 2017 an einer Krankheit nach den Nummern 1320, 1321, 2115, 4104 (Eierstockkrebs) oder 4113 (Kehlkopfkrebs) der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn sie vor diesem Tag eingetreten ist.

(2) Leiden Versicherte am 1. Januar 2015 an einer Krankheit nach Nummer 1319, 2113, 2114 oder 5103 der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn sie vor diesem Tag eingetreten ist.

(3) Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 2112, 4114 oder 4115 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. September 2002 eingetreten ist. Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 4113 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. November 1997 eingetreten ist. Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 1318 der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall vor diesem Tag eingetreten ist.

(4) Leidet ein Versicherter am 1. Oktober 2002 an einer Krankheit nach Nummer 4112 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. November 1997 eingetreten ist. Satz 1 gilt auch für eine Krankheit nach Nummer 2106 der Anlage 1, wenn diese nicht bereits nach der Nummer 2106 der Anlage 1 in der am 1. Dezember 1997 in Kraft getretenen Fassung als Berufskrankheit anerkannt werden kann.

(5) Leidet ein Versicherter am 1. Dezember 1997 an einer Krankheit nach Nummer 1316, 1317, 4104 (Kehlkopfkrebs) oder 4111 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten ist. Abweichend von Satz 1 ist eine Erkrankung nach Nummer 4111 der Anlage 1 auch dann als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn die Erkrankung bereits vor dem 1. Januar 1993 eingetreten und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31. Dezember 2009 bekannt geworden ist.

(6) Hat ein Versicherter am 1. Januar 1993 an einer Krankheit gelitten, die erst auf Grund der Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 18. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2343) als Berufskrankheit anerkannt werden kann, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. März 1988 eingetreten ist.

(7) Hat ein Versicherter am 1. April 1988 an einer Krankheit gelitten, die erst auf Grund der Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 22. März 1988 (BGBl. I S. 400) als Berufskrankheit anerkannt werden kann, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1976 eingetreten ist.

(8) Bindende Bescheide und rechtskräftige Entscheidungen stehen der Anerkennung als Berufskrankheit nach den Absätzen 1 bis 7 nicht entgegen. Leistungen werden rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren erbracht; der Zeitraum ist vom Beginn des Jahres an zu rechnen, in dem der Antrag gestellt worden ist.

Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Leiden Versicherte am 1. August 2017 an einer Krankheit nach den Nummern 1320, 1321, 2115, 4104 (Eierstockkrebs) oder 4113 (Kehlkopfkrebs) der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn sie vor diesem Tag eingetreten ist.

(2) Leiden Versicherte am 1. Januar 2015 an einer Krankheit nach Nummer 1319, 2113, 2114 oder 5103 der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn sie vor diesem Tag eingetreten ist.

(3) Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 2112, 4114 oder 4115 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. September 2002 eingetreten ist. Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 4113 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. November 1997 eingetreten ist. Leiden Versicherte am 1. Juli 2009 an einer Krankheit nach Nummer 1318 der Anlage 1, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall vor diesem Tag eingetreten ist.

(4) Leidet ein Versicherter am 1. Oktober 2002 an einer Krankheit nach Nummer 4112 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. November 1997 eingetreten ist. Satz 1 gilt auch für eine Krankheit nach Nummer 2106 der Anlage 1, wenn diese nicht bereits nach der Nummer 2106 der Anlage 1 in der am 1. Dezember 1997 in Kraft getretenen Fassung als Berufskrankheit anerkannt werden kann.

(5) Leidet ein Versicherter am 1. Dezember 1997 an einer Krankheit nach Nummer 1316, 1317, 4104 (Kehlkopfkrebs) oder 4111 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten ist. Abweichend von Satz 1 ist eine Erkrankung nach Nummer 4111 der Anlage 1 auch dann als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn die Erkrankung bereits vor dem 1. Januar 1993 eingetreten und einem Unfallversicherungsträger bis zum 31. Dezember 2009 bekannt geworden ist.

(6) Hat ein Versicherter am 1. Januar 1993 an einer Krankheit gelitten, die erst auf Grund der Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 18. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2343) als Berufskrankheit anerkannt werden kann, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. März 1988 eingetreten ist.

(7) Hat ein Versicherter am 1. April 1988 an einer Krankheit gelitten, die erst auf Grund der Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 22. März 1988 (BGBl. I S. 400) als Berufskrankheit anerkannt werden kann, ist die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1976 eingetreten ist.

(8) Bindende Bescheide und rechtskräftige Entscheidungen stehen der Anerkennung als Berufskrankheit nach den Absätzen 1 bis 7 nicht entgegen. Leistungen werden rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren erbracht; der Zeitraum ist vom Beginn des Jahres an zu rechnen, in dem der Antrag gestellt worden ist.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.