Bundessozialgericht Urteil, 25. Mai 2018 - B 13 R 3/17 R

ECLI:ECLI:DE:BSG:2018:250518UB13R317R0
bei uns veröffentlicht am25.05.2018

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 20. Dezember 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit stehen die Rücknahme eines Verwaltungsakts über Zahlungsansprüche aus einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgrund einer später - zum Teil mit Wirkung für denselben Zeitraum - bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung und eine daraus folgende Erstattungsforderung.

2

Der beklagte Rentenversicherungsträger bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 6.2.2007 eine unbefristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1.9.2006 iHv monatlich 525,28 Euro. Mit Bescheid vom 4.7.2012 bewilligte er ihr rückwirkend ab dem 1.10.2011 "anstelle" der bisherigen Rente eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, ab 1.9.2012 mit einem monatlichen Auszahlungsbetrag iHv 1172,84 Euro. Zugleich hob die Beklagte den Bescheid vom 6.2.2007 "hinsichtlich des Zahlungsanspruchs" für die Zeit ab 1.10.2011 auf und stellte für den Zeitraum vom 1.10.2011 bis 31.8.2012 eine zu erstattende Überzahlung iHv 6337,76 Euro fest (Anlage 10 des Bescheids vom 4.7.2012). Sie wies darauf hin, dass die Nachzahlung für die Zeit vom 1.10.2011 bis 31.8.2012 iHv 12 675,61 Euro vorläufig nicht ausgezahlt werde, da zunächst Ansprüche der Krankenkasse der Klägerin zu klären seien.

3

Nachdem sie der Krankenkasse von dem neben der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit vom 31.10.2011 bis 28.6.2012 gezahlten Krankengeld (insgesamt 11 412,25 Euro) entsprechend deren Gesuch 9142,66 Euro erstattet hatte, hob die Beklagte den Bescheid über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung vom 6.2.2007 "hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit ab 1.10.2011" (erneut) auf und stellte (nochmals) eine zu erstattende Überzahlung iHv 6337,76 Euro fest. Die Forderung aus der "Überzahlung" dieser Rente rechnete sie gegen den nach Erfüllung des Erstattungsanspruchs der Krankenkasse noch verbliebenen Nachzahlungsanspruch aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung auf. Schließlich forderte sie von der Klägerin die Erstattung der "restliche(n) Überzahlung" iHv noch 2804,81 Euro (Bescheid vom 10.8.2012). Die Widersprüche der Klägerin gegen die Bescheide vom Juli und August 2012 blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 17.4.2013).

4

Die hiergegen gerichtete Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom 19.5.2015). Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten vom 4.7.2012 und 10.8.2012 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.4.2013 aufgehoben, "soweit eine Erstattungsforderung in Höhe von 2804,81 EUR festgesetzt wurde". Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die Aufhebungsentscheidungen seien teilweise rechtswidrig. Zwar habe die Klägerin mit der höheren Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Oktober 2011 Einkommen erzielt, welches nach § 89 SGB VI zum Wegfall des Anspruchs auf Zahlung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung geführt habe. Deshalb habe die Beklagte den Auszahlungsanspruch aus dieser Rente nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X aufheben dürfen, jedoch wegen des zuvor befriedigten Erstattungsanspruchs der Krankenkasse nur in Höhe des der Klägerin danach verbliebenen Nachzahlungsbetrags iHv 3532,95 Euro(Urteil vom 20.12.2016).

5

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X. Noch zutreffend gehe das angefochtene Urteil des LSG davon aus, dass sie den Bescheid vom 6.2.2007 grundsätzlich nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X habe aufzuheben dürfen. Entgegen der Auffassung des LSG habe sie aber einen Anspruch auf Erstattung der insgesamt überzahlten 6337,76 Euro. Nur wenn sie berechtigt sei, von der Klägerin auch die streitbefangenen 2804,81 Euro zurückzufordern, verbleibe dieser per Saldo (gezahlte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zzgl Krankengeld abzgl Erstattungsforderung) der Leistungsumfang, der ihr von Rechts wegen zustehe, und ihr - der Beklagten - kein finanzieller Nachteil.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 20. Dezember 2016 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 19. Mai 2015 zurückzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG (§ 170 Abs 4 S 1 SGG) begründet. Der Senat vermochte auf Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht abschließend darüber zu befinden, ob dieses das klageabweisende Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide der Beklagten zu Recht teilweise aufgehoben hat.

10

1. Gegenstand des Rechtsstreits im Revisionsverfahren ist im Hinblick auf die allein von der Beklagten eingelegten Revision deren Bescheid vom 10.8.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.4.2013 nur noch in dem Umfang, in dem das LSG diesen aufgehoben hat. Die im Bescheid vom 4.7.2012 verlautbarten Verwaltungsakte über die vollständige Aufhebung des Zahlungsanspruchs aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit ab 1.10.2011 sowie über die vollständige Erstattung der sich hieraus bis zum 31.8.2012 ergebenden Überzahlung iHv 6337,76 Euro sind durch die gleichlautenden Verwaltungsakte des Bescheids vom 10.8.2012 in Gänze ersetzt worden (sog Zweitbescheid, vgl hierzu zB BSG Urteil vom 7.4.2016 - B 5 R 26/15 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 18 ff mwN)und dadurch "auf andere Weise erledigt" (§ 39 Abs 2 SGB X).

11

Diese beiden Verwaltungsakte des Bescheids vom 10.8.2012 hat das LSG (nur) teilweise aufgehoben. Denn unter Heranziehung der Gründe ist der Tenor des angegriffenen Urteils ("soweit eine Erstattungsforderung in Höhe von 2804,81 EUR festgesetzt wurde") dahingehend auszulegen (zur Auslegung von Urteilen vgl zB BSG Urteil vom 21.6.2016 - B 10 EG 3/15 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 31 RdNr 11 mwN), dass die Aufhebung nicht nur die Feststellung eines Erstattungsanspruchs durch die Beklagte, sondern auch den diesem Anspruch zugrundeliegenden Verwaltungsakt über die Aufhebung des Zahlungsanspruchs aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erfassen sollte. Diesen Verwaltungsakt wie auch den über den Erstattungsanspruch hat das LSG nur insoweit als rechtswidrig angesehen und aufgehoben, als der "Wert" des entfallenden Zahlungsanspruchs die um das erstattete Krankengeld verminderte Nachzahlung aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung - also 3532,95 Euro - überstieg.

12

2. Der Rechtsstreit unterliegt der Zurückverweisung, weil der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden konnte, ob die Aufhebung des Zahlungsanspruchs aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Vergangenheit (hierzu a) und die Erstattungsforderung (hierzu b) - wie von der Beklagten geltend gemacht - in voller Höhe rechtmäßig sind.

13

a) Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Zahlungsanspruchs aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Vergangenheit kommt allein § 48 Abs 1 SGB X(idF der Neubekanntmachung vom 18.1.2001, BGBl I 130) in Betracht. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs 1 S 1 SGB X). Nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X soll ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse - binnen Jahresfrist - aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde(hierzu aa). Die Beklagte war grundsätzlich auch zur Aufhebung des Zahlungsanspruchs in voller Höhe berechtigt (hierzu bb). Jedoch könnte ein atypischer Fall vorliegen, was der Senat aufgrund der Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen kann (hierzu cc).

14

aa) Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse gegenüber denen, die dem Verwaltungsakt über die Leistung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zugrundelagen, besteht in dem ab 1.10.2011 aufgrund einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin (nachträglich) hinzutretenden Zahlungsanspruch aus einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Zu diesem Zeitpunkt waren kraft Gesetzes das (Stamm-)Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2 SGB VI und in dessen Folge monatlich Einzel(zahlungs)ansprüche hieraus entstanden, die die Beklagte rückwirkend mit Bescheid vom 4.7.2012 feststellte (zur Unterscheidung zwischen Renten-Stammrecht und -zahlungsanspruch vgl Senatsurteil vom 21.1.1993 - 13 RJ 19/91 - BSGE 72, 39 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 9; BSG Urteil vom 23.6.1994 - 4 RA 70/93 - SozR 3-2600 § 300 Nr 3; BSG Urteil vom 30.9.1997 - 4 RA 6/96 - SozR 3-2200 § 1304a Nr 3). Neben der höheren Rente wegen voller Erwerbsminderung war die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht (mehr) zu leisten (§ 89 Abs 1 S 1 SGB VI, damals idF durch Gesetz vom 21.7.2004, BGBl I 1791), weshalb die aus dem Stammrecht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultierenden Einzelansprüche während der Dauer des Bezugs der vollen Erwerbsminderungsrente materiell-rechtlich nicht zur Entstehung gelangten (zum Ganzen vgl BSG Urteil vom 7.4.2016 - B 5 R 26/15 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 31 mwN).

15

Damit war die Beklagte nicht nur zur Aufhebung der Verfügung über den Zahlungsanspruch aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zukunft, sondern - zumindest grundsätzlich - auch für die Vergangenheit berechtigt. Denn dieser "Anspruch" aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist durch die nachträglich gewährte höhere Rente iS des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X weggefallen(vgl zur Anwendbarkeit des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X in Fällen des Ruhens einer Sozialleistung aufgrund nachträglicher Rentengewährung BSG Urteil vom 19.2.1986 - 7 RAr 55/84 - SozR 1300 § 48 Nr 22 - Juris RdNr 19; BSG Urteil vom 13.8.1986 - 7 RAr 33/85 - BSGE 60, 180 = SozR 1300 § 48 Nr 26 - Juris RdNr 16 ff). Dabei gilt nach § 48 Abs 1 S 3 SGB X als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse der Beginn des Anrechnungszeitraums, vorliegend also der Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung am 1.10.2011 (vgl BSG Urteil vom 6.11.1985 - 10 RKg 3/84 - BSGE 59, 111 = SozR 1300 § 48 Nr 19 - Juris RdNr 15; BSG Urteil vom 5.6.2003 - B 11 AL 70/02 R - Juris RdNr 15).

16

bb) Anders als das LSG angenommen hat, berechtigt und verpflichtet § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X die Beklagte grundsätzlich auch zur Aufhebung des Zahlungsanspruchs in voller Höhe (6337,76 Euro) und nicht nur iHv 3532,95 Euro. Zwar schränkt diese Vorschrift den Vertrauensschutz in den ursprünglichen Verwaltungsakt ein, "soweit" nachträglich Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde; der Betroffene soll nur in dem Umfang, in dem er oder die für seinen Anspruch relevante Person (auch wirtschaftlich) eine "doppelte" Zahlung erhalten hat, der Aufhebung der Bewilligung ausgesetzt sein (Senatsurteil vom 23.3.1995 - 13 RJ 39/94 - SozR 3-1300 § 48 Nr 37 - Juris RdNr 47; BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 11 AL 57/99 R - SozR 3-4100 § 138 Nr 14 - Juris RdNr 24 mwN). Der Aufhebungstatbestand ist also nur dann erfüllt, wenn der Betroffene sowohl die ursprüngliche Sozialleistung (hier Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung) als auch die andere zum Wegfall des erstgenannten Anspruchs führende Leistung (hier Rente wegen voller Erwerbsminderung) bezogen hat. Voraussetzung der Leistung ist ferner, dass sich die Leistung, die zum Wegfall des Anspruchs geführt haben würde, mit dem weggefallenen Anspruch deckt. Denn in diesem Umfang hat der Betroffene einen doppelten wirtschaftlichen Vorteil. Dementsprechend ist das Aufhebungsrecht für die Vergangenheit im Rahmen des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X auf die Höhe der nachträglich bewilligten Leistung beschränkt, wenn die wegfallende Leistung höher ist als diejenige, die den Wegfall bewirkt(BSG Urteil vom 13.8.1986 - 7 RAr 33/85 - BSGE 60, 180 = SozR 1300 § 48 Nr 26 - Juris RdNr 23).

17

Diese Grenze wird hier nicht deshalb berührt, weil der "Nachzahlungsbetrag" durch die Erstattung des Krankengelds an die Krankenkasse reduziert worden ist. Denn soweit ein Erstattungsanspruch besteht, gilt der Zahlungsanspruch auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung als erfüllt (§ 107 Abs 1 SGB X); auch insoweit liegt eine "Einkommenserzielung" der Klägerin vor. Der Begriff des Einkommens iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X ist weit zu fassen; er umfasst auch geldwerte Zuflüsse (Brandenburg in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl 2017, § 48 SGB X RdNr 136) und mittelbare Einkommens- und Vermögenszuwächse (BSG Urteil vom 31.10.1991 - 7 RAr 46/90 - Juris RdNr 24) wie das Freiwerden von einer Forderung. Als "erzielt" ist daher auch Einkommen anzusehen, das einem Leistungsträger verrechnungsweise durch einen anderen Leistungsträger direkt überwiesen wird (BSG Urteil vom 13.8.1986 - 7 RAr 33/85 - BSGE 60, 180 = SozR 1300 § 48 Nr 26 - Juris RdNr 23; BSG Urteil vom 31.10.1991 - 7 RAr 46/90 - Juris RdNr 23; Merten in Hauck/Noftz, SGB, Stand 05/17, K § 48 SGB X RdNr 46), wie es hier die Beklagte im Hinblick auf die Erstattungsforderung der Krankenkasse der Klägerin getan hat.

18

Unter Einschluss der somit zu berücksichtigenden Erstattung an die Krankenkasse überstieg der Einkommenszuwachs aus der Nachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung den Wert des nach § 48 SGB X aufgehobenen Auszahlungsanspruchs der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Die Klägerin hatte ab dem 1.10.2011 Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung mit einem monatlichen Zahlbetrag iHv 1147,77 Euro bzw ab 1.7.2012 iHv 1172,84 Euro, in Summe 12 675,61 Euro für die Monate Oktober 2011 bis August 2012. In dieser Höhe erzielte sie auch einen Einkommenszuwachs, zum einen durch die Erstattung an die Krankenkasse iHv 9142,66 Euro (§ 107 Abs 1 SGB X) und zum anderen durch die gegen die Rückforderung der Beklagten aufgerechnete verbleibende Nachzahlung iHv 3532,95 Euro. Demgegenüber war ihr zuvor im selben Zeitraum Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nur iHv insgesamt 6337,76 Euro gezahlt worden. Das zeitgleich gezahlte Krankengeld iHv 11 412,25 Euro ist dem nicht hinzuzurechnen. Denn dieses ist nicht Gegenstand des angefochtenen Verwaltungsakts der Beklagten über die rückwirkende Aufhebung des Zahlungsanspruchs aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Vielmehr erfolgt die Rückabwicklung der Bewilligung des Krankengelds - auf welches die Klägerin vom Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung am 1.10.2011 an keinen Anspruch mehr hatte (§ 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V) - durch die Krankenkasse, welche sich dafür richtigerweise mit einem Erstattungsersuchen an die Beklagte gewandt hatte (§ 103 Abs 1 Halbs 1 SGB X; vgl Prange in jurisPK-SGB X, 2. Aufl 2017, § 103 RdNr 75).

19

cc) Wenn jedoch - wie auch hier - die Erstattungsforderung des Rentenversicherungsträgers gegenüber dem Versicherten nicht vollständig aus dem verbliebenen Nachzahlungsbetrag der Rente wegen voller Erwerbsminderung beglichen werden kann, besteht besonderer Anlass zu prüfen (vgl zu der den Gerichten obliegenden Prüfung, ob ein atypischer Fall gegeben ist, zB BSG Urteil vom 5.4.2012 - B 10 EG 10/11 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 14 RdNr 47 mwN), ob ein atypischer Fall vorliegt. Dies vermochte der Senat aufgrund der Feststellungen des LSG nicht zu beurteilen.

20

In ständiger Rechtsprechung geht das BSG in Übereinstimmung mit der einhelligen Auffassung im Schrifttum davon aus, dass das Wort "soll" in § 48 Abs 1 S 2 SGB X bedeutet, dass der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufheben muss, er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen kann(vgl nur BSG Urteil vom 30.6.2016 - B 5 RE 1/15 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 33 RdNr 22 mwN; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 48 RdNr 20 mwN). Ob ein atypischer Fall vorliegt, ist stets nach dem Zweck der jeweiligen Regelung des § 48 Abs 1 S 2 SGB X und nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Diese müssen im Hinblick auf die mit der rückwirkenden Aufhebung des Verwaltungsakts verbundenen Nachteile, insbesondere der aus § 50 Abs 1 SGB X folgenden Pflicht zur Erstattung der erbrachten Leistungen, vom Normalfall derart abweichen, dass der betroffene Leistungsempfänger deutlich schlechter dasteht, als es beim Vorliegen eines Normalfalles der einschlägigen Regelung des § 48 Abs 1 S 2 SGB X der Fall wäre(BSG Urteil vom 6.11.1985 - 10 RKg 3/84 - BSGE 59, 111 = SozR 1300 § 48 Nr 19 - Juris RdNr 19; Senatsurteil vom 31.1.2008 - B 13 R 23/07 R - ZFE 2008, 395 - Juris RdNr 30; BSG Urteil vom 30.6.2016 - B 5 RE 1/15 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 33 RdNr 26 mwN).

21

Ein Anhaltspunkt für das Vorliegen eines atypischen Falls kann hier bereits in dem Umstand gesehen werden, dass die Erstattungsforderung bezüglich der ab 1.10.2011 ruhenden niedrigeren Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht vollständig aus dem verbliebenen Nachzahlungsbetrag der höheren Rente wegen voller Erwerbsminderung für denselben Zeitraum beglichen werden kann. Demgegenüber gewährleistet die beschränkte Ermächtigung des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X, wonach die Aufhebung eines Verwaltungsakts nur "soweit" zulässig ist, wie Einkommen und Vermögen erzielt worden ist(hierzu oben II.2.a)bb), regelmäßig ein zumindest ausgeglichenes Verhältnis von Rückforderung und Nachzahlung. Daher liegt eine "Atypik" gegenüber dem typischen Fall, der wegen Erzielung von Einkommen zur Aufhebung für die Vergangenheit berechtigt, vor, wenn die ursprüngliche Leistung - hier die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung - gutgläubig verbraucht worden sein sollte und die Erstattungsforderung, soweit sie den verbliebenen nachzuzahlenden Betrag der später bewilligten höheren Sozialleistung - hier der Rente wegen voller Erwerbsminderung - übersteigt, aus dem laufenden Bezug dieser Leistung beglichen werden müsste (so bereits BSG Urteil vom 11.1.1989 - 10 RKg 12/87 - SozR 1300 § 48 Nr 53; vgl auch BSG Urteil vom 16.12.2004 - B 9 VG 1/03 R - SozR 4-3800 § 10a Nr 1 RdNr 41 - Juris RdNr 49). Hierzu hat das LSG keine Feststellungen getroffen.

22

b) Da der Senat nicht abschließend beurteilen kann, ob die Beklagte den Zahlungsanspruch aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zurecht in voller Höhe aufgehoben hat, kann zugleich nicht entschieden werden, ob die hieraus folgende Erstattungsforderung (§ 50 Abs 1 S 1 SGB X) - wie von der Beklagten geltend gemacht - in voller Höhe rechtmäßig ist.

23

3. In der wieder eröffneten Tatsacheninstanz wird das LSG die erst mit der Revisionsbegründung beim BSG vorgelegten Bescheide vom 1.6.2011 und 29.6.2012, mit denen die Beklagte die Rente jeweils neu berechnete, berücksichtigen müssen. Zudem wird es festzustellen haben, ob die Klägerin damit rechnen musste, dass sie Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und Krankengeld im Falle der Bewilligung einer höheren Rentenleistung zu erstatten habe und ob ihr nur die laufende Rente wegen voller Erwerbsminderung zur Erfüllung der Erstattungsforderung der Beklagten iHv 2804,81 Euro zur Verfügung steht. Sollte das LSG zur Bejahung eines atypischen Falls gelangen, wird es ferner zu beurteilen haben, ob die Ermessenserwägungen der Beklagten im Hinblick auf die Aufhebung der Verfügung über die Zahlung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung - soweit sie über die Nachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung hinausgeht - ausreichen. Schließlich wird es zu klären haben, ob die Beklagte die Klägerin vor der Erteilung des hier angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheids - wie nach § 24 Abs 1 SGB X erforderlich - angehört hat. Von der Anhörung konnte schon deshalb nicht nach § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X abgesehen werden, weil die Beklagte von der Klägerin auch die Erstattung von Leistungen für die Vergangenheit verlangte(vgl Senatsurteil vom 6.9.2017 - B 13 R 21/15 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 16 RdNr 15). Ggf ist Gelegenheit zu geben, die Anhörung nachzuholen (BSG Urteil vom 16.3.2017 - B 10 LW 1/15 R - SozR 4-1300 § 41 Nr 3 RdNr 16 ff, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).

24

4. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

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bei uns veröffentlicht am 07.04.2016

Tenor Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, der Bescheid der Beklagten

Bundessozialgericht Urteil, 05. Apr. 2012 - B 10 EG 10/11 R

bei uns veröffentlicht am 05.04.2012

Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. April 2011 aufgehoben.

Referenzen

(1) Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird nur die höchste Rente geleistet. Bei gleich hohen Renten ist folgende Rangfolge maßgebend:

1.
Regelaltersrente,
2.
Altersrente für langjährig Versicherte,
3.
Altersrente für schwerbehinderte Menschen,
3a.
Altersrente für besonders langjährig Versicherte,
4.
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit (Fünftes Kapitel),
5.
Altersrente für Frauen (Fünftes Kapitel),
6.
Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute,
7.
Rente wegen voller Erwerbsminderung,
8.
(weggefallen)
9.
Erziehungsrente,
10.
(weggefallen)
11.
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung,
12.
Rente für Bergleute.
Ist eine Rente gezahlt worden und wird für denselben Zeitraum eine höhere oder ranghöhere Rente bewilligt, ist der Bescheid über die niedrigere oder rangniedrigere Rente vom Beginn der laufenden Zahlung der höheren oder ranghöheren Rente an aufzuheben. Nicht anzuwenden sind die Vorschriften zur Anhörung Beteiligter (§ 24 des Zehnten Buches), zur Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 45 des Zehnten Buches) und zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse (§ 48 des Zehnten Buches). Für den Zeitraum des Zusammentreffens der Rentenansprüche bis zum Beginn der laufenden Zahlung nach Satz 3 gilt der Anspruch auf die höhere oder ranghöhere Rente nach Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger bis zur Höhe der gezahlten niedrigeren oder rangniedrigeren Rente als erfüllt. Ein unter Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger verbleibender Nachzahlungsbetrag aus der höheren oder ranghöheren Rente ist nur auszuzahlen, soweit er die niedrigere oder rangniedrigere Rente übersteigt. Übersteigen die vom Rentenversicherungsträger anderen Leistungsträgern zu erstattenden Beträge zusammen mit der niedrigeren oder rangniedrigeren Rente den Betrag der höheren oder ranghöheren Rente, wird der übersteigende Betrag nicht von den Versicherten zurückgefordert.

(2) Für den Zeitraum, für den Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente besteht, wird eine kleine Witwenrente oder eine kleine Witwerrente nicht geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

(3) Besteht für denselben Zeitraum Anspruch auf mehrere Waisenrenten, wird nur die höchste Waisenrente geleistet. Bei gleich hohen Waisenrenten wird nur die zuerst beantragte Rente geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, der Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin der Beklagten überzahlte Rente erstatten muss.

2

Die 1962 geborene Klägerin war ab dem 7.4.2010 arbeitsunfähig krank, nahm vom 9.9.2010 bis zum 5.10.2010 an einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teil und erhielt in dieser Zeit Übergangsgeld. Die Beigeladene zu 1 gewährte ihr vom 19.5.2010 bis zum 8.9.2010 und vom 6.10.2010 bis zum 9.9.2011 Krankengeld; die Beigeladene zu 2 zahlte vom 10.9.2011 bis zum 31.12.2011 Arbeitslosengeld I.

3

Die Beklagte gewährte der Klägerin ab dem 1.8.2010 ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung längstens bis zum 31.5.2029, setzte dessen monatlichen Wert ab dem 1.6.2011 auf 288,95 Euro und den Nachzahlbetrag für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 31.5.2011 unter Berücksichtigung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf 2367,60 Euro fest (Rentenbescheid vom 8.4.2011). Gleichzeitig wies sie auf Seite 7 des Bescheids auf Folgendes hin:

        

"Zurzeit prüfen wir noch, ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes besteht. Sobald wir die Prüfung abgeschlossen haben, erhalten Sie einen weiteren Bescheid".

4

Aus dem Nachzahlbetrag erfüllte die Beklagte den geltend gemachten Erstattungsanspruch der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 12.4.2011 iHv 1952,19 Euro komplett und überwies der Klägerin den Restbetrag von 415,41 Euro.

5

Nach Abschluss der Ermittlungen zur Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1.11.2010 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 31.10.2013. Auf Seite 3 des Bescheids verlautbarte sie unter der Überschrift "Mehrere Rentenansprüche" das Folgende:

        
        

"Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, leisten wir nur die höchste Rente. Bei gleich hohen Renten gilt eine gesetzliche Rangfolge. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist daher nicht zu zahlen."

6

Aus dem Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro erfüllte sie die Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro, sodass 1756,72 Euro verblieben.

7
        

Mit Bescheid vom 23.5.2012 verfügte die Beklagte Folgendes:

        

"Der Bescheid vom 08.04.2011 über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 01.11.2010-31.10.2013 nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben.

        

Für die Zeit 01.11.2010-31.12.2011 ergibt sich eine Überzahlung von 3520,92 Euro. Der überzahlte Betrag ist zu erstatten (§ 50 Abs. 1 SGB X). Den überzahlten Betrag haben wir in Ihrem Interesse bereits mit der Rentennachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 verrechnet, die nach Erfüllung der Ansprüche anderer Stellen verblieben ist. Die restliche Überzahlung beträgt noch 1764,20 Euro. Dieser Betrag ist von Ihnen an uns zurückzuzahlen."

8
        

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012) und führte zur Begründung ua aus:

        

"Nach sorgfältiger Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Rückzahlung und Ihren privaten Interessen muss die Deutsche Rentenversicherung Bund von ihrem Rückforderungsanspruch Gebrauch machen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund ist verpflichtet, das Vermögen der Versichertengemeinschaft nach bestem Wissen und Gewissen treuhänderisch zu verwalten. Das zwingt zu einer sparsamen Haushaltsführung, so dass auf eine Rückforderung nicht verzichtet werden kann.

        

Andere Gesichtspunkte, auf die geltend gemachten Ansprüche teilweise oder ganz zu verzichten, sind nicht erkennbar. Die Rechtslage ist eindeutig, es liegt weder ein Verschulden der Deutschen Rentenversicherung Bund vor, noch ist davon auszugehen, dass Sie durch die rückwirkende Bescheidaufhebung mit Erstattungsforderung in persönliche Not geraten oder, dass Ihnen andere Sozialleistungen entgangen sind, die jetzt durch Ablauf von Fristen nicht mehr erlangt werden können."

9

Nachdem die Klägerin im Klageverfahren erklärt hatte, aus der Vorschrift des § 51 SGB I derzeit keine Rechtsverletzung geltend zu machen, hat das SG München die Klage abgewiesen(Urteil vom 28.11.2013), die darauf gerichtet gewesen ist, "den Bescheid vom 23.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2012 aufzuheben und die Nachzahlungen der Bescheide vom 04.11.2011 und 08.04.2011 neu zu berechnen".

10

Das Bayerische LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 21.5.2015), mit der sie neben der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der angefochtenen Bescheide die Verurteilung der Beklagten erstrebte, "eine neue Abrechnung der Rentennachzahlung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 vorzunehmen mit der Maßgabe, dass zunächst die geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung mindernd vor Erfüllung der Erstattungsansprüche berücksichtigt wird". Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, zu Recht habe die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X aufgehoben und die daraus resultierende Überzahlung von 3520,92 Euro zurückgefordert. Mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente rückwirkend ab November 2010 durch Bescheid vom 4.11.2011 sei eine wesentliche Änderung eingetreten, die sich auf den mit Bescheid vom 8.4.2011 zuerkannten Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ausgewirkt habe. Denn bestünden - wie vorliegend - für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, werde nach § 89 Abs 1 S 1 SGB VI nur die höchste Rente geleistet. Dies führe im Ergebnis zu einer Zahlungssperre, sodass der Anspruch auf die niedrigere Rente zwar dem Grunde nach bestehen bleibe, aber während des Bezugs der höheren Rente nicht geltend gemacht werden könne. Bei rückwirkender Bewilligung einer höheren Rente entfalle dann nachträglich der Zahlungsanspruch der niedrigeren Rente. Vorliegend sei die Zahlungssperre erst mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente mit der Folge eingetreten, dass der Bescheid vom 8.4.2011 über die Gewährung einer teilweisen Erwerbsminderungsrente hinsichtlich seines Zahlungsausspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nachträglich rechtswidrig geworden sei. Die Beklagte sei auch berechtigt gewesen, den Rentenbescheid vom 8.4.2011 mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise aufzuheben. Denn die Klägerin habe nach Erlass dieses Bescheids mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung Einkommen iS des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt, das zum Wegfall des Zahlungsanspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in der Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 geführt habe. Die maßgeblichen Fristen seien eingehalten und ein atypischer Fall liege nicht vor. Die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids vom 8.4.2011 habe zur Folge, dass die Klägerin die bereits geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung iHv 3520,92 Euro nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X erstatten müsse. Dagegen könne die Klägerin nicht einwenden, dass der Anspruch auf Zahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe der bereits geleisteten niedrigeren Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als erfüllt gelte und daher eine Erstattung der letztgenannten Rente ausscheide. Eine solche Erfüllungsfiktion enthalte auch § 89 SGB VI nicht, wie das BSG(Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2)in ähnlichem Zusammenhang bereits entschieden habe. Darüber hinaus sei zu bedenken, dass ein Versicherter neben einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung einen Anspruch auf Zahlung von (gekürztem) Krankengeld (§ 50 Abs 2 SGB V) oder Arbeitslosengeld (§ 125 Abs 1 SGB III) haben könne, während ein Anspruch auf Krankengeld oder auf Arbeitslosengeld neben einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgeschlossen sei (§ 50 Abs 1 S 1 SGB V, § 125 Abs 1 SGB III). Dies könne - wie im Fall der Klägerin - dazu führen, dass die Summe der nebeneinander gezahlten Sozialleistungen (Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung plus Krankengeld oder Arbeitslosengeld) höher sei als der später für denselben Zeitraum zuerkannte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Stelle sich im Nachhinein heraus, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bestanden habe und damit die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie das Kranken- und Arbeitslosengeld zu Unrecht gezahlt worden seien, sei es im Ergebnis auch interessengerecht, den Nachzahlungsbetrag aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung in vollem Umfang - und nicht nur in Höhe des Betrags, der nach Abzug der geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung verbleibe - zur Erfüllung der Erstattungsansprüche der anderen Leistungsträger zu verwenden. Denn nach der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X gelte in einem solchen Fall der Anspruch des Versicherten auf Rente wegen voller Erwerbsminderung durch das gezahlte Kranken- oder Arbeitslosengeld als (zumindest teilweise) erfüllt. Auf diese Weise sei sichergestellt, dass der Versicherte im Ergebnis jedenfalls den Betrag erhalte, der ihm aufgrund seines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zugestanden habe. Nachdem die Klägerin eine Rechtsverletzung aus der Vorschrift des § 51 SGB I ausdrücklich nicht geltend mache, könne dahinstehen, ob die im Bescheid erklärte Aufrechnung den gesetzlichen Anforderungen gerecht werde.

11

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 48 Abs 1 S 1 und 2 Nr 3 iVm § 50 Abs 1 SGB X, § 89 SGB VI und § 103 SGB X. In der rückwirkenden Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung sei schon keine wesentliche Änderung iS von § 48 Abs 1 S 1 SGB X zu sehen. Aber selbst wenn man mit den Vorinstanzen das Gegenteil annähme und davon ausginge, dass durch die rückwirkende Gewährung von voller Erwerbsminderungsrente Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt worden sei, könne der Rückforderungsbescheid nicht auf § 50 Abs 1 S 1 SGB X gestützt werden. Denn ausweislich des Wortlautes von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X dürfe ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nur aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung Einkommen erzielt worden sei. Die Wendung "soweit" beinhalte eine Einschränkung des Aufhebungs- und Rückforderungsrechts der Behörde dergestalt, dass vom Versicherten nicht mehr zurückgefordert werden könne als das ihm zugeflossene Einkommen. Das Aufhebungsrecht sei mithin der Höhe nach auf die nachträglich bewilligte Sozialleistung beschränkt. Hieraus folge zwingend auch eine Begrenzung des korrespondierenden Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X. Das Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2) sei auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht übertragbar, weil es ausschließlich einen Erstattungsstreit zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Rentenversicherungsträger betreffe und keine Ausführungen zu einer Rückforderung auf Grundlage von § 48 Abs 1 S 2 SGB X enthalte. Darüber hinaus beruhten die angefochtenen Urteile auf einer Verletzung von § 89 SGB Vl, weil sie eine Erfüllungswirkung der ausbezahlten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Hinblick auf die später rückwirkend gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung verneinten. Denn die Renten wegen teilweiser und voller Erwerbsminderung erfassten weder unterschiedliche Versicherungsfälle noch unterschiedliche Versicherungsziele. Sowohl die teilweise als auch die volle Erwerbsminderungsrente bezweckten den Ausgleich wirtschaftlicher Einbußen, wenn der Versicherte aufgrund gesundheitsbedingter Einschränkungen nicht (in vollem Umfang) am Erwerbsleben teilnehmen könne. Es handele sich daher nicht um zwei eigenständige Rentenarten, sondern lediglich um eine "zweistufige Rente". Diese funktionelle Identität beider Renten spreche für eine Erfüllungsfunktion der bereits geleisteten teilweisen Erwerbsminderungsrente. Außerdem verstoße die Berechnungsweise der Nachzahlungsforderung gegen § 103 SGB X, wonach die Erstattungspflicht des zuständigen Leistungsträgers auf die im selben Zeitraum an den Berechtigten erbrachten Leistungen begrenzt sei. Zudem habe das LSG übersehen, dass die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie der Rückzahlungsanspruch an Vertrauensgesichtspunkten scheitern müsse. Schützenswertes Vertrauen auf das Behaltendürfen der erlangten Leistungen an teilweiser Erwerbsminderungsrente sowie Kranken- bzw Arbeitslosengeld ergebe sich daraus, dass nach der bisherigen Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger bei Bewilligung einer höheren Rente im Anschluss an eine niedrigere Rente bzw anstatt einer niedrigeren Rente die bereits gezahlte Rente in Abzug gebracht worden sei. Zu berücksichtigen seien zudem Erwägungen des billigen Ermessens, welche die Überzahlungsforderung als unstatthaft erscheinen ließen. Zuvörderst sei es allein der Beklagten anzulasten, dass sie erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung die Prüfung der Voraussetzungen für eine volle Erwerbsminderungsrente im Hinblick auf die Verschlossenheit des Teilarbeitsmarktes aufgenommen habe. Diese habe mithin die Überzahlung selbst schuldhaft verursacht, indem sie zunächst im April 2011 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt, aber erst im November des gleichen Jahres die volle Erwerbsminderungsrente zuerkannt habe. Dem Vorgesagten müsse umso mehr Gewicht beigemessen werden, als die Klägerin selbst keine Verrentung beantragt habe, sondern ihr Antrag auf medizinische Rehabilitation auf Veranlassung der Beigeladenen zu 1 umgedeutet worden sei. Infolge dieser Einschränkung ihres Dispositionsrechts habe die Klägerin weder selbst über den Rentenbeginn bestimmen noch auf die Gewährung einer Rente verzichten können.

12
        

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und den Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufzuheben.

13
        

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

14

Der Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei erst dadurch weggefallen, dass am 4.11.2011 mit der Festsetzung des Auszahlungsanspruchs der Rente wegen voller Erwerbsminderung eine Anspruchskonkurrenz eingetreten sei. Damit habe sich in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsakts über den Auszahlungsanspruch der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung am 8.4.2011 vorgelegen hätten, iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eine wesentliche Änderung ergeben. Diese wesentliche Änderung habe die Beklagte ermächtigt, rückwirkend (ab dem 1.11.2010) den Verwaltungsakt über den Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufzuheben. Denn mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung habe die Klägerin Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt. Folglich sei die Beklagte auch befugt gewesen, die Rückzahlung der zwischen November 2010 und Dezember 2011 geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Umfang von 3520,92 Euro zu verlangen. Auch wenn davon auszugehen sei, dass kein "atypischer Fall" iS der Rechtsprechung zu § 48 Abs 1 S 2 SGB X vorliege, der ausnahmsweise eine Ermessensausübung erfordere, seien im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 Erwägungen angestellt worden, die auf eine Ermessensausübung hindeuteten. Dieser Umstand gehe aber nicht zu Lasten der Klägerin. Allerdings sei sie vor Erlass der angefochtenen Bescheide nicht iS des § 24 Abs 1 SGB X angehört worden. Da aber die Aufhebung des Verwaltungsakts wegen einer Änderung einkommensabhängiger Leistungen erfolgt sei, sei eine Anhörung gemäß § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X entbehrlich gewesen. Auf jeden Fall habe die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 der Klägerin die Sach- und Rechtslage derart umfangreich geschildert, dass dies als nachgeholte Anhörung gelten müsse und der Widerspruch der Klägerin als nachgeholte Stellungnahme auf diese Anhörung. Anders als der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung sei der Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bereits im April 2011 entscheidungsreif und deshalb - auch mit Blick auf interne Vorgaben zur Verfahrensbeschleunigung sowie mit Rücksicht auf die vom Bundesrechnungshof überwachten und beanstandeten Rentenantragslaufzeiten, die ihrerseits in eine Leistungsvergleichsstatistik zwischen den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung eingingen ("Benchmarking" iS von § 69 Abs 5 SGB IV) - sofort zu bescheiden gewesen. Gleichzeitig sei die Beklagte durch den Bundesrechnungshof gehalten, zumindest in Einzelfällen konkret zu prüfen, ob der Teilzeitarbeitsmarkt tatsächlich verschlossen und deshalb eine Rente wegen voller Erwerbsminderung abhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage zu zahlen sei. Dieser Prüfpflicht komme die Beklagte vor allem bei Versicherten, die in Bundesländern mit niedriger Arbeitslosenquote wohnten, routinemäßig durch entsprechende Anfragen bei der Bundesagentur für Arbeit nach.

15

Die Beigeladenen zu 1 und 2 haben keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist begründet, sodass der Senat in der Sache selbst zu entscheiden hat (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG unter Verletzung von Bundesrecht (§ 162 SGG) zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, beschweren die Klägerin und sind deshalb aufzuheben (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Der Beklagten steht kein Erstattungsanspruch zu.

17

A. Der Bescheid vom 23.5.2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 verlautbaren ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro auf der Grundlage einer (erneuten) Aufhebung des Verwaltungsakts über die Festsetzung von monatlichen Zahlungsansprüchen aus einem Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X. Mit dem erneuten Aufhebungs-Verwaltungsakt wiederholt die Beklagte im Sinne eines ersetzenden und den Rechtsweg erneut eröffnenden sog Zweitbescheids eine Regelung, die sie der Sache nach bereits im Bescheid vom 4.11.2011 bindend (§ 77 SGG) getroffen hatte. Denn dort hatte sie bereits verlautbart, die Klägerin erhalte "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit der Folge, dass "die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung … daher nicht zu zahlen" sei. Mit dem Wort "anstelle" und der unmissverständlichen Regelung auf Seite 3 des Bescheids vom 4.11.2011, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, soweit für denselben Zeitraum Ansprüche (im Sinne von Stammrechten) auf mehrere Renten aus eigener Versicherung bestünden, verdeutlichte die Beklagte hinreichend, dass die monatlichen Zahlungsansprüche, die aus dem nunmehr zuerkannten (Stamm-)Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung erwachsen, diejenigen monatlichen Zahlungsansprüche im Zeitraum vom 1.11.2010 bis 30.10.2013 komplett ersetzen (dh an ihre Stelle treten) sollen, die ansonsten aus dem fortbestehenden (Stamm-)Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultieren und zu einer Überversorgung der Klägerin führen würden. Mit der Regelung, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, negierte die Beklagte ihre gegenteilige Regelung im Bescheid vom 8.4.2011, wonach ab dem 1.6.2011 die monatliche Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung 288,95 Euro beträgt. Da sich beide Aussagen widersprechen, kann ein verständiger und die Zusammenhänge berücksichtigender ("objektiver") Empfänger die zweite Aussage (kein Zahlungsanspruch) im Zusammenhang mit der Präposition "anstelle" nur als Beseitigung der ersten Aussage (Zahlungsanspruch: 288,95 Euro) durch einen entsprechenden Gegenakt (actus contrarius) verstehen (vgl dazu bereits Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 33; zum sog objektivierten Empfängerhorizont vgl Senatsurteil vom 8.2.2012 - B 5 R 38/11 R - SozR 4-5075 § 3 Nr 1 RdNr 15; BSG Urteile vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, RdNr 18 mwN, vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R - BSGE 115, 57 = SozR 4-2500 § 103 Nr 13, RdNr 24 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18). Zu dieser Auslegung des Verwaltungsakts ist der Senat befugt (vgl zu den Auslegungsgrundsätzen BSG Urteile vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 RdNr 25, vom 23.1.2008 - B 10 LW 1/07 R - SozR 4-5868 § 3 Nr 3 RdNr 19, vom 16.6.1999 - B 9 V 13/98 R - SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 26 und vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11). § 39 Abs 1 S 2 SGB X stellt auf den "Inhalt" ab, mit dem ein Verwaltungsakt bekannt gegeben worden ist: Den maßgeblichen Inhalt (iS von "rechtliche Bedeutung" oder "Regelungsgehalt") zu ermitteln, ist im Streitfall nicht (mehr) Sache der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde, sondern allein der Gerichte, in letzter Instanz also des BSG, das seinerseits nicht an die Auslegung des Bescheids durch das LSG gebunden ist(stRspr - vgl Senatsurteile vom 27.5.2014 - B 5 RE 8/14 R - Juris RdNr 21 und vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, RdNr 11 mwN sowie BSG Urteile vom 29.2.2012 - B 12 KR 19/09 R - Juris RdNr 21 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18 mwN; BVerwG Urteile vom 3.11.1998 - 9 C 51/97 - NVwZ-RR 1999, 277 , vom 25.8.2009 - 1 C 30/08 - BVerwGE 134, 335 RdNr 18 und vom 9.5.2012 - 6 C 3/11 - BVerwGE 143, 87 RdNr 39). Dieser (Gegen-)Verwaltungsakt (actus contrarius) im Bescheid vom 4.11.2011 wurde für die Beteiligten gemäß § 77 Halbs 1 SGG in der Sache bindend, weil ihn die Klägerin - trotz entsprechender Belehrung(§ 66 Abs 1 SGG) - nicht mit dem gegebenen Rechtsbehelf (Widerspruch, § 83 SGG) innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist (§ 84 Abs 1 S 1 SGG) angefochten hat.

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Bindungswirkung und Wirksamkeit dieses (Gegen-)Verwaltungsakts entfielen jedoch "auf andere Weise" (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl dazu BSG Urteil vom 7.7.2005 - B 3 P 8/04 R - BSGE 95, 57 RdNr 10 = SozR 4-1300 § 48 Nr 6, RdNr 11) durch die erneut verlautbarte Aufhebung im Bescheid vom 23.5.2012, die weder als wiederholende Verfügung (nachfolgend 1.) noch als negative Zugunstenentscheidung (nachfolgend 2.) in dem Sinne zu verstehen ist, dass die Beklagte das Verwaltungsverfahren, das mit dem Erlass des Gegenverwaltungsakts im Rentenbescheid vom 4.11.2011 bereits abgeschlossen war (§ 8 SGB X), von Amts wegen gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB X wieder aufgegriffen, aber dessen Rücknahme abgelehnt hat. Stattdessen hat die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 eine neue Aufhebungsentscheidung getroffen, die die bestandskräftige Aufhebungsentscheidung im Bescheid vom 4.11.2011 ersetzt (nachfolgend 3.).

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1. Gegen die Annahme einer wiederholenden Verfügung, die wegen fehlender Rechtsfolgensetzung keine Regelung und damit kein Verwaltungsakt iS des § 31 S 1 SGB X ist, spricht bereits, dass sich die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 23.5.2012 an keiner Stelle auf die Bestandskraft (§ 77 SGG) ihrer Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 berufen hat (BSG Urteile vom 14.9.1989 - 4 REg 7/88 - BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 und vom 11.3.2009 - B 6 KA 15/08 R - SozR 4-2500 § 96 Nr 1; BVerwG Urteil vom 10.10.1961 - VI C 123.59 - BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Soweit sie im Bescheid vom 23.5.2012 auf den Bescheid vom 4.11.2011 zurückkommt, verweist sie lediglich auf ihre dortigen Mitteilungen, wonach die Klägerin im Hinblick auf die bereits gezahlten Rentenbeträge und die Abrechnung der Nachzahlung jeweils "weitere Nachricht" erhalte. Eine Bezugnahme auf eine bereits früher getroffene Rücknahmeentscheidung enthält der Bescheid vom 23.5.2012 dagegen nicht.

20

2. Dieser fehlende Bezug verdeutlicht gleichzeitig, dass die Beklagte die Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 keinesfalls im Zugunstenverfahren nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X überprüft, sondern im Bescheid vom 23.5.2012 eine hiervon unabhängige neue Sachentscheidung getroffen hat, wie sich insbesondere aus dem ersten Verfügungssatz und der dazugehörenden Begründung ergibt (vgl zur Abgrenzung nur BSG Urteil vom 23.3.1999 - B 2 U 8/98 R - BSGE 84, 22 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5).

21

3. Diese neue Aufhebungsentscheidung ersetzt die alte Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 und eröffnet den Rechtsweg neu (vgl dazu BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 sowie BSG Urteile 20.11.1996 - 3 RK 7/96 - SozR 3-2500 § 109 Nr 3 und vom 21.9.1962 - 10 RV 1059/59 - BSGE 18, 22 = SozR Nr 35 zu § 77 SGG), wie ua auch die entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung belegt (zu diesem Gesichtspunkt BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Zum Erlass einer solchen, die Altentscheidung wiederholenden und ersetzenden Neuentscheidung (Zweitbescheid) war die Beklagte ohne Weiteres befugt (vgl BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7; BSGE 84, 22, 23 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5 S 12 mwN; kritisch zur Rechtsfigur des Zweitbescheids Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB X, § 44 RdNr 13 ff). Der Zulässigkeit der Klage gegen die erneute Aufhebungsentscheidung steht dabei die frühere Bestandskraft (§ 77 SGG) der Erstentscheidung nicht entgegen (BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 81/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 24 RdNr 15; BVerwG Urteil vom 27.2.1963 - V C 105.61 - BVerwGE 15, 306, 311 - Juris RdNr 28). Dies gölte selbst dann, wenn der Zweitbescheid in Unkenntnis der Erstentscheidung ergangen wäre (Sachs in Stelkens/ Bonk/Sachs, 8. Aufl 2014, VwVfG, § 51 RdNr 60), was hier naheliegt.

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Das maßgebliche Begehren (§ 123 SGG) der Klägerin ist folglich darauf gerichtet, im Wege der zulässigen objektiven Häufung (§ 56 SGG)zweier isolierter Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG)die beiden Verwaltungsakte (§ 31 S 1 SGB X) im Bescheid vom 23.5.2012 zu beseitigen, mit denen die Beklagte den Verwaltungsakt über die monatlichen Zahlungsansprüche im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 (sog Zweitbescheid) aufgehoben und ihr auf dieser Grundlage ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro erteilt hat. Diesen Betrag hat die Beklagte - entgegen der Ansicht der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - korrekt berechnet: Aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung ergab sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 ein Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro (s zur Berechnung Anl 1 S 1 bis 3 des Bescheids vom 4.11.2011). Daraus erfüllte die Beklagte die geltend gemachten Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro gemäß § 125 Abs 3 S 1 SGB III in seiner bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung iVm § 103 SGB X entsprechend(s dazu ausführlich Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), sodass 1756,72 Euro verblieben. Diesen Restbetrag kehrte sie indessen nicht an die Klägerin aus, sondern rechnete - entgegen dem vordergründigen Wortlaut ihrer Mitteilung ("haben wir … verrechnet") - mit ihrem Rückzahlungsanspruch aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 51 SGB I auf, woraus ausdrücklich keine Rechtsverletzung geltend gemacht wird. Dieser Rückzahlungsanspruch beläuft sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 auf 3520,92 Euro, sodass sich ein Überzahlungsbetrag von 1764,20 Euro (= 3520,92 Euro - 1756,72 Euro) errechnet.

23

B. Die Klagen sind begründet. Die Beklagte war nicht befugt, das Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro zu erlassen, weil ihr weder nach § 42 Abs 2 S 2 SGB I(nachfolgend 1.) noch nach § 50 Abs 3 S 1 iVm Abs 1 S 1 SGB X(nachfolgend 2.) ein Erstattungsanspruch zusteht.

24

1. Ein Erstattungsanspruch in unmittelbarer oder analoger Anwendung von § 42 Abs 2 S 2 SGB I scheidet schon deshalb aus, weil die Beklagte der Klägerin im Bescheid vom 8.4.2011 monatliche Zahlungsansprüche endgültig zuerkannt und das Verwaltungsverfahren insofern abgeschlossen hatte. Dagegen hat sie keine im Sozialrecht ohnehin nur begrenzt mögliche vorläufige Entscheidung getroffen (BSGE 67, 104, 118 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2, RdNr 51) und insbesondere weder einen Vorschuss iS von § 42 Abs 1 SGB I gewährt(nachfolgend a) noch eine Vorwegzahlung geleistet (nachfolgend b). Die Merkmale derartiger vorläufiger Verwaltungsakte sind durch die oberstgerichtliche Rechtsprechung geklärt (vgl dazu Senatsurteile vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 und vom 17.7.1996 - 5 RJ 42/95 - BSGE 79, 61 = SozR 3-1200 § 42 Nr 5 S 13 sowie BSG Urteile vom 29.4.1997 - 4 RA 46/96 - SozR 3-1200 § 42 Nr 9 S 37 f, 40 mwN und vom 14.8.1996 - 13 RJ 9/95 - SozR 3-1200 § 42 Nr 6 S 19 ff). Sie dürfen nicht etwa deshalb unbeachtet bleiben, weil sich die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung faktisch und/oder rechtlich Beschleunigungsgeboten ausgesetzt sehen. Insbesondere erfahren die inhaltlichen Anforderungen an vorläufige Verwaltungsakte nicht dadurch eine Änderung, dass die Träger nach § 69 Abs 5 SGB IV "in geeigneten Bereichen ein Benchmarking" durchzuführen haben und hierfür nach der verbindlichen Entscheidung des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 21.3.2013 (RVaktuell 2013, 140) iVm ihrer Anlage (Festlegung der zentralen Kennziffern in der 1. Ebene des Benchmarking-Tools ) für das Benchmarking-Tool Kennziffern bzw Kennzahlen nach einheitlichen Maßstäben zu ermitteln sind (nachfolgend c).

25

a) Anhand des Bescheids vom 8.4.2011 wird für einen objektiven Empfänger gerade nicht hinreichend deutlich, ihm werde lediglich vorschussweise und im Vorgriff auf dem Grunde nach zustehende monatliche "Rentenansprüche" eine vorläufige Leistung eigener Art zuerkannt, die mit der endgültigen nicht identisch ist und in jedem Fall noch durch deren Festsetzung ersetzt wird. Vielmehr hat die Beklagte der Klägerin nach Grund und Höhe endgültige Zahlungsansprüche ausdrücklich zuerkannt, indem sie verfügte, dass ab dem 1.8.2010 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung "laufend monatlich" und "längstens bis zum 31.05.2029 (Monat des Erreichens der Regelaltersrente) gezahlt" werde. Dies wird nicht durch den gleichzeitig verlautbarten Hinweis auf Seite 7 des Bescheids relativiert, dass zurzeit noch geprüft werde, "ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes" bestehe, und die Klägerin nach Abschluss dieser Prüfung "einen weiteren Bescheid" erhalte. Damit wird gerade nicht verfügt, dass eine auf jeden Fall nur vorläufige und der Ersetzung bedürftige Entscheidung getroffen werde. Der Hinweis, möglicherweise auf die Entscheidung zurückzukommen und einen weiteren Bescheid zu erlassen, kann im Kontext eines abschließenden Rentenbescheids dem behördlichen Willen, nur eine einstweilige Regelung zu treffen, nicht hinreichend bestimmt Ausdruck verleihen (vgl dazu BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16).

26

b) Erst recht hat die Beklagte nicht zu erkennen gegeben, sie wolle ausnahmsweise im Wege der Vorwegzahlung Zahlungsansprüche nur einstweilig bewilligen, ohne zuvor geprüft zu haben, ob diese auch nur dem Grunde nach zustehen (s dazu ebenfalls BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 sowie BSGE 67, 104, 109 f = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 und BSG Urteil vom 28.11.1990 - 4 RLw 5/90 - SozR 3-1300 § 32 Nr 4 S 34). Unter diesen Umständen ist nicht näher darauf einzugehen, dass der genannte Hinweis ohne drucktechnische Hervorhebung in der Vielzahl der dem Rentenbescheid beigefügten Belehrungen, Hinweise und Erläuterungen allenfalls bei Anwendung besonderer Sorgfalt durch einen geschulten Leser in seiner potentiellen Bedeutung erkannt werden konnte.

27

c) Soweit sich die Beklagte durch die "Bemerkungen 2010" des Bundesrechnungshofs zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes am Erlass eines "vorläufigen Verwaltungsakts" gehindert gesehen bzw zum vorzeitigen Erlass eines abschließenden Verwaltungsakts gedrängt gefühlt hat, hat sie die eigentliche Zielrichtung dieser Bemerkungen, jedenfalls deren rechtliche Bedeutung, verkannt. Der Bundesrechnungshof führt dort unter der Überschrift "Rentenversicherungsträger scheuen Leistungsvergleiche" (Ziffer 21) zum "Stand des Benchmarkings in der Rentenversicherung" (Ziffer 21.1.1) ua aus, er habe die von den Trägern ermittelten Daten über "die Zeiten für die Bearbeitung von Rentenanträgen (Rentenantragslaufzeiten)" geprüft, "da sie für einen Vergleich zwischen den Trägern geeignet sind". "Voraussetzung für einen aussagefähigen Vergleich" seien indes "Daten, die nach einheitlichen Maßstäben gesammelt sind" (Ziffer 21.1). Diese "einheitlichen Maßstäbe" und der darauf basierende Vergleich von Prozessen und Leistungen der Rentenversicherungsträger untereinander mit dem Ziel, Rationalisierungs- bzw Verbesserungspotentiale zu erkennen und auf breiter Grundlage umzusetzen ("Benchmarking") sieht der Bundesrechnungshof dadurch gefährdet, dass "einige Träger … vorläufige Rentenbescheide" erlassen und damit die Rentenantragslaufzeiten gekürzt hätten, "obwohl die zugrunde liegenden Sachverhalte noch nicht abschließend ermittelt waren". Die betroffenen Träger hätten auch nicht untersucht, ob ein solches Vorgehen "wirtschaftlich" gewesen sei.

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Der Bundesrechnungshof hat damit weder den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte generell verboten noch hat er etwa erklärt, dass stattdessen der vorzeitige Erlass endgültiger Verwaltungsakte stets ein erlaubtes Mittel zur Beeinflussung von Rentenantragslaufzeiten sein könnte. Sein Anliegen, allein statistisch-quantitativ motivierte - und damit "wettbewerbswidrige" - Laufzeitverkürzungen durch eine "Flucht in den vorzeitigen Verwaltungsakt" zu verhindern, steht lediglich der rechtsgrundlosen Laufzeitverkürzung durch den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte entgegen. Dagegen bleiben vorläufige Verwaltungsakte in der Form von Vorschuss und Vorwegzahlung, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass bei ihrem Erlass noch keine Gewissheit über den rechtlich maßgeblichen Sachverhalt besteht, unverändert erlaubt. Dessen ungeachtet wäre die Beklagte an abweichende Anmerkungen nicht gebunden gewesen (vgl BVerfG Urteil vom 7.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - BVerfGE 137, 108 ff = SozR 4-4200 § 6a Nr 1, RdNr 100 mwN).

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2. Der Beklagten steht auch nach § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X kein Erstattungsanspruch in der festgestellten Höhe zu. Nach diesen Vorschriften sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist; die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen.

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Die Beklagte hat zwar den Verwaltungsakt im Bescheid vom 8.4.2011 über die Festsetzung des monatlichen Rentenzahlbetrags mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 aufgehoben. Hierauf kann jedoch der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht gestützt werden, weil weder § 48 Abs 1 SGB X(nachfolgend a) noch § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend b) - auch nicht im Wege der Umdeutung (nachfolgend c) - einschlägig sind und auch die Aufhebung deshalb jedenfalls materiell rechtswidrig und mithin durch Gestaltungsurteil ihrerseits aufzuheben ist (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Auf etwaige formelle Mängel, die ebenfalls zur Aufhebung des (Gegen-)Verwaltungsakts führen könnten (§ 42 S 2 iVm S 1, § 24 Abs 1 SGB X), kommt es deshalb nicht mehr an (nachfolgend d).

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a) Soweit sich die Beklagte sowohl im Bescheid vom 23.5.2012 als auch im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 für die Aufhebungsentscheidung auf § 48 Abs 1 SGB X beruft, lagen dessen Voraussetzungen nicht vor. Nach S 1 dieser bundesrechtlichen Norm ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wegen einer nach seinem Erlass (Bekanntgabe) eingetretenen wesentlichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben; unter weiteren Voraussetzungen soll er mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden (S 2). Eine derartige Änderung ist nach Bekanntgabe des Bescheids vom 8.4.2011 indessen nicht eingetreten. Denn ein befristetes Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2, § 102 Abs 2 S 2 SGB VI mit der Folge hieraus monatlich entstehender Einzelansprüche ab dem 1.11.2010 war bereits kraft Gesetzes entstanden, als die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 erließ. Bereits damals stand folglich "bei objektiver Betrachtung" und unabhängig von der Kenntnis der Beklagten fest, dass durchsetzbare Ansprüche auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht gleichzeitig bestehen konnten (§ 89 Abs 1 Nr 7 und 11 SGB VI), sondern im Hinblick auf den zeitgleich entstandenen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ruhten (BSG Urteil vom 31.10.2002 - B 4 RA 9/01 R - SozR 3-2600 § 101 Nr 2; Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, 09/11, § 89 RdNr 11; Jentsch, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl 2013, § 89 RdNr 7; Kreikebohm/Dankelmann in Kreikebohm, SGB VI, 4. Aufl 2013 § 89 RdNr 3; Wehrhahn in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB VI, § 89 RdNr 4). Das hat zur Folge, dass die aus dem Stammrecht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultierenden Einzelansprüche während der Dauer des Bezugs der vollen Erwerbsminderungsrente nicht zur Entstehung gelangten (BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2). Der Verwaltungsakt über die Festsetzung des monatlichen Zahlbetrags der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung war damit schon in seinem Erlasszeitpunkt materiell und zudem wegen Verstoßes gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses (Senatsurteil vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 20 mwN) rechtswidrig, ohne dass Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit und Beschleunigungsgebote hieran etwas ändern könnten. Kein Beschleunigungsgebot vermag nämlich den Gegenstand der Beschleunigung (das Verwaltungsverfahren) inhaltlich zu verändern, sondern hat Einfluss allenfalls auf dessen äußeren Ablauf. In diesem Sinne bezieht sich etwa auch § 17 Abs 1 Nr 1 SGB I allein auf die "zügige" Gewährung "zustehender" Sozialleistungen. Zur Rücknahme anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakte ermächtigt aber allein § 45 SGB X.

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Die Entscheidung des Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), der unzweifelhaft eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse (im Gesundheitszustand des dortigen Versicherten) zugrunde lag, ist insofern nicht einschlägig. Ihr ist auch nicht etwa ein Rechtssatz des Inhalts zu entnehmen, dass in Fällen des § 89 SGB VI stets § 48 SGB X zur Anwendung kommen müsse. Zu Unrecht nimmt die Beklagte daher an, dass der Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst entfiel, als sie der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannte. Denn im Rahmen des § 48 Abs 1 SGB X kommt es nach geklärter Rechtslage weder auf die im aufzuhebenden Bescheid genannten noch auf die damals von der Behörde zugrunde gelegten Verhältnisse noch auf die Kenntnis der Behörde von der Änderung der Verhältnisse an, sondern allein auf die in Wirklichkeit vorliegenden Verhältnisse und deren objektive Änderung. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 48 Abs 1 S 1 SGB X, der von der Änderung der Verhältnisse spricht, die beim Erlass des Verwaltungsakts "vorgelegen haben"(BSG Urteil vom 11.10.1994 - 9 RVs 2/93 - SozR 3-3870 § 4 Nr 10 S 42). Keinesfalls kann die Behörde durch Verwaltungshandeln selbst bestimmen, ob ein (bestandskräftiger) Verwaltungsakt unter erschwerten (§ 45 SGB X) oder erleichterten Bedingungen (§ 48 SGB X) beseitigt werden darf.

33

b) Die Aufhebungsentscheidung lässt sich auch nicht auf § 45 Abs 1 SGB X stützen und damit aufrechterhalten. Ein solches Aufrechterhalten ist hier nicht durch schlichte Anwendung dieser Rechtsvorschrift oder mithilfe des Nachschiebens von (Rechts-)Gründen, sondern nur durch Umdeutung gemäß § 43 SGB X möglich, dessen Tatbestandsvoraussetzungen indessen nicht erfüllt sind. Ob ein bloßes Auswechseln der Rechtsgrundlage (vgl dazu BSG Urteile vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39, RdNr 34 und vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr 12, RdNr 23)und/oder ein Nachschieben von Gründen (dazu BSG Urteile vom 23.8.1956 - 3 RJ 293/55 - BSGE 3, 209, 216, vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 279 f, vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 4-4200 § 60 Nr 1, vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23 sowie vom 21.9.2000 - B 11 AL 7/00 R - BSGE 87, 132, 139 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10 S 87 f: nicht nur "Kassation", sondern auch "Reformation") genügen, hängt bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angegriffen werden, davon ab, ob sie dadurch in ihrem "Wesen" verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157, 159 = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSGE 3, 209, 216; 9, 277, 279 f; BSG Urteile vom 31.1.1969 - 2 RU 234/66 - BSGE 29, 129, 132 = SozR Nr 123 zu § 54 SGG; vom 1.12.1977 - 12 RK 13/77 - BSGE 45, 206, 208 = SozR 2200 § 1227 Nr 10; vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8, 12 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; vom 12.2.1980 - 7 RAr 107/78 - SozR 4100 § 119 Nr 12; BVerwGE 38, 191, 195; 64, 356, 358 und Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; vgl Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 35 f mwN). Eine solche Änderung des "Wesens" eines Verwaltungsakts ist in Anlehnung an den zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff zu bestimmen (vgl dahingehend BSG Urteile vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 280 und vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23; s auch Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 113 RdNr 69) und demzufolge anzunehmen, wenn die Regelung auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird (BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9) oder die Angabe der Rechtsgrundlage zum Tenor (Verfügungssatz) des Bescheids gehört und deshalb die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts einen Eingriff in den Tenor erfordert (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157 f = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSG Urteile vom 22.9.1981 - 1 RA 109/76 - SozR 1500 § 77 Nr 56 und vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; BVerwG Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; Krause in ders/vonMutius/ Schnapp/Siewert, 1991, GK-SGB X 1, § 43 RdNr 11), also Lebenssachverhalt und/oder Verfügungssatz nicht dieselben bleiben (BSG Urteil vom 11.4.2002 - B 3 P 8/01 R - Juris RdNr 25). So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat im Tenor des Bescheids vom 23.5.2012 ausdrücklich verfügt, der Verwaltungsakt über den Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 werde "nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben". Folglich würde die Heranziehung von § 45 Abs 1 SGB X als Rechtsgrundlage einen Eingriff in den Entscheidungssatz und folglich dessen Änderung erfordern. Schon deshalb scheidet die bloße Auswechslung der Rechtsgrundlage bzw ein Nachschieben von (Rechts-)Gründen aus, und es kommt allenfalls eine Umdeutung gemäß § 43 SGB X in Betracht.

34

c) Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts (Abs 2 S 1). Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte (Abs 2 S 2). Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (Abs 3). § 24 SGB X ist entsprechend anzuwenden(Abs 4).

35

Zwar wären der fehlerhafte Verwaltungsakt nach § 48 SGB X und der Ersatzakt nach § 45 SGB X auf dasselbe Ziel gerichtet, nämlich auf die Beseitigung eines Verwaltungsakts (hier: als Rechtsgrund für den Bezug bzw das Behaltendürfen der bewilligten Zahlungsansprüche aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung). Soweit der Verwaltungsakt über die Bewilligung der monatlichen Zahlungsansprüche für die Vergangenheit zurückgenommen werden soll, fehlen aber bereits die (materiell-rechtlichen) Voraussetzungen iS des § 43 Abs 1 S 1 SGB X für den Erlass des Ersatzakts gemäß § 45 Abs 1 SGB X anstelle von § 48 Abs 1 S 2 SGB X(nachfolgend aa); soweit die Rücknahme für die Zukunft wirken soll, verbietet § 43 Abs 3 SGB X die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X in eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend bb). Nach der zuletzt genannten Vorschrift darf ein (im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe) rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

36

aa) Mit Wirkung für die Vergangenheit wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von § 45 Abs 2 S 3 und Abs 3 S 2 SGB X zurückgenommen(§ 45 Abs 4 S 1 SGB X). Soweit die Beklagte den Verwaltungsakt über den monatlichen Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt vom 23.5.2012 rückwirkend, dh für die Zeit vom 1.11.2010 bis zum 31.5.2012 aufgehoben hat, geben die Feststellungen des LSG von vornherein keinen Anlass, die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X (Ausschluss von Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts, den der Begünstigte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat) und des § 45 Abs 3 S 2 SGB X(Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 ZPO) zu prüfen. Der Verwaltungsakt vom 8.4.2011 beruht auch nicht auf "Angaben", die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X). Ebenso wenig kannte sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts oder war ihr dessen Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 Halbs 1 SGB X).

37

bb) Aber auch soweit der (Gegen-)Verwaltungsakt in die Zukunft wirkt, liegen die Umdeutungsvoraussetzungen nicht vor. Denn die Aufhebung eines (Dauer-)Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" ergeht gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X als gesetzlich gebundene Entscheidung, während die Rücknahme eines ursprünglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" nach § 45 Abs 1 SGB X im pflichtgemäßen Ermessen(§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) der Behörde steht. Eine gebundene Entscheidung kann nach § 43 Abs 3 SGB X aber nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden(BSG Urteile vom 10.2.1993 - 9/9a RV 43/91 - SozR 3-3660 § 1 Nr 1 und vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3). Eine gebundene und keine Ermessensentscheidung läge nur dann vor, wenn ausnahmsweise nur eine bestimmte Entscheidung rechtmäßig wäre, wenn sich also das Ermessen durch "Verdichtung der Ermessensgrenzen" auf Null reduziert hätte und jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre (BSG Urteil vom 20.5.2014 - B 10 EG 2/14 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 27 RdNr 29; BVerwG Urteil vom 23.1.1975 - III C 40.74 - Buchholz 427.3. § 335a LAG Nr 54). Nur dann läge eine umdeutbare Entscheidung vor. Dass die Komplettrücknahme des zahlungsanspruchsgewährenden Verwaltungsakts im Rentenbescheid vom 8.4.2011 die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensschrumpfung auf Null), ist angesichts der "Gutgläubigkeit" der Klägerin (vgl dazu BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 13 R 15/13 R - Juris RdNr 12) und der Möglichkeit, eine zeitlich, summen- oder quotenmäßig differenzierte Rücknahmeentscheidung zu treffen (vgl dazu Waschull in Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Aufl 2011, § 45 RdNr 61; ders in Fichte/Plagemann/Waschull, Sozialverwaltungsverfahrensrecht, 2008, § 4 RdNr 180), von vornherein auszuschließen.

38

Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 das öffentliche "Interesse an der Rückzahlung" mit den "privaten Interessen" der Klägerin abgewogen hat. Diese pauschalen Ausführungen der Widerspruchsstelle, die sich als überschießende Begründung darstellen, sich dabei im Kern auf den Erstattungsanspruch und die damit verbundene "Rückzahlung" bzw den "Rückforderungsanspruch" beziehen und damit vordergründig auf der Ebene des Haushaltswesens und der Forderungsdurchsetzung bewegen (§ 76 Abs 2 SGB IV), genügen weder zeitlich noch inhaltlich für eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) im Rahmen des § 45 Abs 1 SGB X. Zwar haben die §§ 45, 48 SGB X denselben Ausgangspunkt (der Erlass des jeweiligen Aufhebungs- bzw Rücknahmebescheids teilt Vergangenheit und Zukunft); beide Vorschriften haben in der Vergangenheit jedoch verschiedene Bezugspunkte, sodass sich etwaige Ermessenserwägungen notwendigerweise auf verschiedene Zeiträume beziehen: Im Rahmen des § 48 SGB X ist dies der Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, während es im Rahmen des § 45 SGB X auf den Erlasszeitpunkt des rechtswidrigen Verwaltungsakts ankommt. Deshalb braucht auf die Frage, ob die Umdeutung einer Ermessensentscheidung in eine andere Ermessensentscheidung überhaupt denkbar ist (vgl dazu Krause, aaO, § 43 RdNr 25; Laubinger, VerwArch, 1987, 365; Schenke, DVBl 1987, 650; Schütze in von Wulffen/Schütze, 8. Aufl 2014, § 43 RdNr 12; Steinwedel, KassKomm, SGB X, § 43 RdNr 18, Stand 7/2011; Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 43 RdNr 16; zweifelnd Littmann in: Hauck/Noftz, SGB X, K § 43 RdNr 28, Stand X/2009; Wirth, Umdeutung fehlerhafter Verwaltungsakte, 1999, S 208), nicht weiter eingegangen zu werden.

39

d) Da die Klage bereits aus anderen Gründen Erfolg hat, kann schließlich auch dahingestellt bleiben, ob die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen beiden Verwaltungsakte im Bescheid vom 23.5.2012 gemäß § 42 S 2 iVm S 1 SGB X auch aus formellen Gründen beanspruchen kann, weil die nach § 24 Abs 1 SGB X erforderlichen Anhörungen unterblieben und nicht wirksam nachgeholt(§ 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X) worden sind (vgl Senatsurteil vom 4.12.2014 - B 5 RE 12/14 R - SozR 4-2600 § 165 Nr 1 RdNr 17).

40

Da somit der (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 gerichtlich aufzuheben ist, entfällt gleichzeitig die Anwendbarkeit von § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X als einzig in Betracht kommende Grundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch.

41

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG.

(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.

Tenor

Auf die Revision des beklagten Freistaats wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Februar 2015 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13. Februar 2014 zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungs- und Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Höhe des Elterngelds nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) sowie die Rückforderung überzahlten Elterngelds.

2

Der Kläger ist persönlich haftender Gesellschafter einer OHG. Seine Beteiligung beläuft sich auf 30 %, die seines einzigen Mitgesellschafters auf 70 %. Vom Jahresüberschuss werden 70 % als "Gewinn vorab Tätigkeit" (Tätigkeitsvergütung) verteilt, 30 % entsprechend der Beteiligung.

3

Der beklagte Freistaat bewilligte dem Kläger vorläufig Elterngeld für den 13. und 14. Lebensmonat seiner am 30.9.2008 geborenen Tochter (30.9.2009 bis 29.11.2009) in Höhe von monatlich 1800 Euro (Bescheid vom 17.8.2009).

4

Auf Basis der zunächst nur vorläufigen Gewinnermittlung für das Jahr 2009 ermittelte der Steuerberater des Klägers einen Gewinnanteil aus der Beteiligung an der OHG in Höhe von 39 819,20 Euro als Jahresbetrag, woraus er einen zeitanteiligen Gewinnanteil für zwei Monate in Höhe von 6636,53 Euro errechnete. Daraufhin setzte der Beklagte das Elterngeld unter Anrechnung eines monatlichen Einkommens von 3318,36 Euro endgültig auf den Mindestbetrag in Höhe von monatlich 300 Euro fest und forderte vom Kläger ein überzahltes Elterngeld in Höhe von 3000 Euro zurück (Bescheid vom 18.3.2010; Widerspruchsbescheid vom 25.5.2010).

5

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13.2.2014). Im Berufungsverfahren hat das LSG den Einkommensteuerbescheid des Klägers für das Jahr 2009 und die zwischenzeitlich erstellte Bilanz einschließlich der Gewinn- und Verlustrechnung der OHG für das Geschäftsjahr 2009 beigezogen. Ausweislich der vom LSG in Bezug genommenen Bilanz besteht im Jahr 2009 folgende Besonderheit:

Herr W hat 12 Monate im Jahr 2009 gearbeitet.
Herr K hat wegen Elternzeit 10 Monate im Jahr 2009 gearbeitet.
Herr K hat … vom 70-prozentigen Jahresüberschuss einen Gewinnanteil von 10/24. Herr W hat vom 70-prozentigen Jahresüberschuss einen Gewinnanteil von 12/24…

6

Das LSG hat daraufhin den Beklagten verpflichtet, dem Kläger Elterngeld für den 13. und 14. Lebensmonat seines Kindes "unter Anrechnung des Einkommens aus Gewerbebetrieb aus dem für das Jahr 2009 geänderten Gewinnverteilungsschlüssel sowie der geleisteten Steuervorauszahlungen zu gewähren" und "im Übrigen" die Berufung des Klägers zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das LSG ausgeführt, dass die sich aus der Bilanz für 2009 ergebende Tätigkeitsvergütung bei der Bemessung des Einkommens in den Bezugsmonaten nicht zu berücksichtigen sei. Dieser auf Lebensmonate umgerechnete durchschnittliche steuerliche Gewinn sei ausnahmsweise dann nicht anzurechnen, wenn der Elterngeldberechtigte im Bezugszeitraum nicht tätig geworden sei und eine gesellschaftsrechtliche Vereinbarung zu einer steuerlichen Reduzierung des Gewinnanteils geführt habe (Urteil vom 11.2.2015).

7

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 2 BEEG). Entgegen der Ansicht des LSG sei auch der in der Bilanz für 2009 als "Gewinn vorab Tätigkeit" (Tätigkeitsvergütung) bezeichnete Gewinnanteil des Klägers anteilig als Einkommen aus Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen und auf das Elterngeld anzurechnen. Trotz einer Reduzierung des Tätigkeitsumfangs trage der Kläger während des Bezugszeitraums weiterhin das Mitunternehmerrisiko und die Mitunternehmerinitiative an dem Gewerbebetrieb. Auch steuerrechtlich sei von einer Mitunternehmerschaft auszugehen, sodass der vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollte Gleichlauf zwischen Elterngeld und Steuerrecht sichergestellt sei.

8

Der beklagte Freistaat beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Februar 2015 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13. Februar 2014 zurückzuweisen.

9

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10

Im Falle einer tätigkeitsbezogenen Gewinnbeteiligung seien nur diejenigen Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einkommen anzurechnen, die tatsächlich aufgrund der Tätigkeit erzielt worden seien. Gestützt werde diese Ansicht durch die gesetzliche Neuregelung in § 3 Abs 1 Nr 5 BEEG(richtig: idF vom 10.9.2012). Darin habe der Gesetzgeber konkretisiert, dass nur der Ersatz für Erwerbseinkommen anzurechnen sei. Gesellschaftsvertraglich seien jedoch entsprechende Ersatzleistungen für den Kläger ausgeschlossen gewesen. Entgegen der Revision bestehe eine Divergenz dahingehend, dass das BEEG auf die Bezugsmonate und den Einkommensausfall in diesen Monaten, das Steuerrecht jedoch auf das Jahresergebnis abstelle.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision des beklagten Freistaats ist begründet (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Das Urteil des LSG war aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG insgesamt zurückzuweisen. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger kann Elterngeld für den 13. und 14. Lebensmonat seiner Tochter (30.9.2009 bis 29.11.2009) entgegen der Rechtsauffassung des LSG nicht über den Sockelbetrag hinaus beanspruchen. Dem war im Urteilstenor Rechnung zu tragen. Nach der Urteilsformel des LSG-Urteils bestehen gewisse Zweifel, ob es nicht das erstinstanzliche Urteil bestätigt. Nur unter Hinzunahme der Entscheidungsgründe (§ 136 Abs 1 Nr 6 SGG)wird überhaupt erkennbar, dass das LSG - anders als das SG - die sich aus der Bilanz für das Jahr 2009 ergebende Gewinnverteilung ohne die Tätigkeitsvergütung der Elterngeldberechnung zugrundelegen, die Tätigkeitsvergütung ("Gewinn vorab Tätigkeit") also bei der Bemessung des Einkommens in den Bezugsmonaten unberücksichtigt lassen will (zur Berücksichtigung der Entscheidungsgründe vgl in stRspr zB BSG Urteil vom 22.11.1956 - 8 RV 23/55 - BSGE 4, 121, 123; BSG Beschluss vom 1.3.1993 - 11/9b BAr 7/92; BSG Beschluss vom 12.2.1998 - B 8 KN 19/97 B; BSG Urteil vom 8.2.2007 - B 9b SO 5/05 R - RdNr 14; zu den Rechtsfolgen bei unauflösbarer Widersprüchlichkeit BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 13 RJ 41/99 R).

12

1. Die vom Kläger erhobene isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG)ist zulässig. Streitgegenständlich ist insoweit der Bescheid vom 18.3.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.5.2010, mit dem der Beklagte das dem Kläger mit Bescheid vom 17.8.2009 vorläufig zugesprochene Elterngeld in Höhe von monatlich 1800 Euro endgültig auf den Sockelbetrag reduziert und einen sich hieraus ergebenden Erstattungsbetrag in Höhe von 3000 Euro festgesetzt hat. Der Bescheid enthält drei gesonderte Regelungen (§ 31 S 1 SGB X). Erstens hebt er den mit Bescheid vom 17.8.2009 erklärten Vorbehalt der Vorläufigkeit auf und entscheidet über den Anspruch auf Elterngeld des Klägers für den 13. und 14. Lebensmonat seiner am 30.9.2008 geborenen Tochter endgültig (Ziffer I). Zweitens setzt er das Elterngeld der Höhe nach auf monatlich 300 Euro fest (Ziffer II) und begründet drittens die Verpflichtung des Klägers zur Erstattung der Überzahlung von 3000 Euro (Ziffer III). Wie vom LSG angenommen ist sinnvollerweise aus Sicht des Klägers nur die zweite und dritte Regelung des Bescheids anzufechten. Denn in diesem Fall erstarkt wegen der verbleibenden Aufhebung des Vorläufigkeitsvorbehalts der ursprünglich mit dem Bescheid vom 17.8.2009 bestimmte und vom Kläger begehrte Elterngeldanspruch in Höhe von monatlich 1800 Euro zu einer endgültigen Festsetzung.

13

Die zulässige Anfechtungsklage ist unbeschadet der Entbehrlichkeit einer vorherigen Anhörung vor Erlass der streitgegenständlichen Bescheide und der Ermächtigung zur Abänderung des vorläufigen Bescheids vom 17.8.2009 (vgl § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X; § 8 Abs 3 BEEG; vgl BSG Urteil vom 15.12.2015 - B 10 EG 6/14 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 30 RdNr 9 mwN) unbegründet, weil der Kläger zwar dem Grunde nach anspruchsberechtigt ist (dazu 2.), seine Gewinnanteile aus der Beteiligung an der OHG jedoch den Elterngeldanspruch auf den Sockelbetrag mindern (dazu 3.).

14

2. Der Kläger erfüllt die Grundvoraussetzungen für Elterngeld. Der Anspruch des Klägers auf Elterngeld für den 13. und 14. Lebensmonat seiner am 30.9.2008 geborenen Tochter richtet sich nach dem BEEG in der Fassung vom 5.12.2006 (BGBl I 2748). Spätere Änderungen des BEEG zu den §§ 1 und 2 etwa durch das Gesetz vom 19.8.2007 (BGBl I 1970) zum 28.8.2007 und das Gesetz vom 17.1.2009 (BGBl I 61) zum 24.1.2009 sind hier nicht einschlägig.

15

Nach § 1 Abs 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld, wer 1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, 2. mit seinem Kind in einem Haushalt lebt, 3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und 4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt. Dies ist nach den vom LSG bindend getroffenen Feststellungen der Fall (§ 163 SGG).

16

3. Für die hier streitige Höhe des Elterngeldanspruchs ist § 2 BEEG maßgebend. Nach § 2 Abs 1 S 1 BEEG wird Elterngeld in Höhe von 67 % des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Als Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist nach § 2 Abs 1 S 2 BEEG die Summe der positiven Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und nichtselbstständiger Arbeit iS von § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 4 EStG nach Maßgabe der Abs 7 bis 9 zu berücksichtigen.

17

a. Unter Zugrundelegung dieser Bestimmungen ist der Bemessungszeitraum hier nicht durch die 12 Monate vor dem Monat der Geburt des Kindes bestimmt. Vielmehr hat der Beklagte für das Einkommen des Klägers vor der Geburt des Kindes am 30.9.2008 zutreffend auf den steuerlichen Veranlagungszeitraum 2007 abgestellt (§ 2 Abs 9 BEEG) und dementsprechend zunächst vorläufig Elterngeld in Höhe von monatlich 1800 Euro bewilligt (§ 2 Abs 1 BEEG).

18

b. Für die Bezugsmonate sind die Gewinnanteile des Klägers aus seiner Beteiligung an der OHG als Einkommen anspruchsmindernd zu berücksichtigen (dazu aa.). Ohne Bedeutung ist es dabei, ob der Kläger in diesem Zeitraum einer Tätigkeit für die OHG nachgegangen ist (dazu bb.). Die Berechnung von Einkommen aus Gewinnanteilen ist anhand des Jahresdurchschnitts (dazu cc.) unter Berücksichtigung tätigkeitsbezogener Gewinnanteile (dazu dd.) vorzunehmen.

19

aa. Für Monate nach der Geburt des Kindes, in denen die berechtigte Person ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt, das durchschnittlich geringer ist als das nach § 2 Abs 1 BEEG berücksichtigte durchschnittlich erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt, wird Elterngeld in Höhe des nach § 2 Abs 1 oder 2 BEEG maßgeblichen Prozentsatzes des Unterschiedsbetrags dieser durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit gezahlt(§ 2 Abs 3 S 1 BEEG).

20

Bei den Einkünften des Klägers aus seiner Beteiligung an der OHG handelt es sich steuerrechtlich um Einkünfte aus Gewerbebetrieb, § 2 Abs 1 S 1 Nr 2, § 15 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG. Diese Einkünfte sind grundsätzlich iS von § 2 Abs 1 S 2 BEEG elterngeldrechtlich beachtlich.

21

bb. Ohne Bedeutung ist es dabei, ob der Kläger im Bezugszeitraum einer Tätigkeit für die OHG nachgegangen ist. Für die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit und Gewerbebetrieb hat der Senat den Begriff des "Erzielens von Einkommen" anhand des - strengen - Zuflussprinzips bestimmt (siehe ausführlich BSG Urteil vom 5.4.2012 - B 10 EG 10/11 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 14 RdNr 32; zuletzt BSG Urteil vom 26.3.2014 - B 10 EG 4/13 R - RdNr 27 ff mwN). § 2 Abs 1 S 2 iVm Abs 7 bis 9 BEEG unterscheidet nur zwischen den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit einerseits und aus nichtselbstständiger Arbeit andererseits. Eine Differenzierung innerhalb der Einkünfte danach, ob die Tätigkeit mehr oder weniger zeitbezogen ausgeübt wird, ist danach ausgeschlossen.

22

Darüber hinaus hat der Senat wiederholt ausgeführt (siehe zuletzt BSG Urteil vom 26.3.2014 - B 10 EG 4/13 R - RdNr 28 mwN), dass § 2 Abs 8 und 9 BEEG in Ausführung von § 2 Abs 1 S 2 BEEG alle typischerweise mit persönlichem Einsatz verbundenen Einkunftsarten erfassen. Das sind nach dem Katalog in § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 3 EStG Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft(§ 13 EStG), Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) und Einkünfte aus selbstständiger Arbeit (§ 18 EStG), bei denen sich die Einkünfte aus dem Gewinn ergeben (§ 2 Abs 2 S 1 Nr 1 EStG). Nach der Definition in § 15 Abs 2 S 1 EStG handelt es sich bei den diesen Einkünften zugrundeliegenden Erwerbstätigkeiten um selbstständige nachhaltige Betätigungen, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen werden und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellen. Dabei können die selbstständigen Erwerbstätigen ua den zeitlichen Umfang ihrer Tätigkeit selbst bestimmen. Dies gilt grundsätzlich auch für den Kläger hinsichtlich seiner Gewinnanteile. Der Kläger trug jedenfalls, auch wenn er im Bezugszeitraum keiner Tätigkeit nachging, das Mitunternehmerrisiko und zeigte auch Mitunternehmerinitiative (vgl hierzu BFH Urteil vom 22.2.2012 - X R 14/10 - BFHE 236, 464 RdNr 36 ff). Dies reicht aus, um seine Einnahmen aus der Beteiligung an der OHG den typischerweise mit persönlichem Arbeitseinsatz verbundenen Einkunftsarten zuzurechnen.

23

cc. Für die Ermittlung des anrechenbaren Einkommens aus einer Beteiligung an einem Gewerbebetrieb im Bezugszeitraum ist nach zutreffender Ansicht des LSG ein durchschnittliches monatliches Einkommen zu ermitteln, indem das steuerrechtlich relevante Jahreseinkommen durch die Zahl der Kalendermonate, in denen es erzielt wurde, geteilt wird. Der Senat berücksichtigt bei Einkommen aus Gewinnanteilen an einer Personengesellschaft insoweit die Besonderheit, dass der einzelne Gesellschafter Gewinne gesellschaftsrechtlich regelmäßig nur am Schluss des Geschäftsjahrs verlangen kann (vgl § 105 Abs 3 und § 120 Abs 1 HGB, § 721 Abs 2 BGB). Hieran ist der steuerlich wirksame Gewinnermittlungszeitraum angelehnt (§ 4a EStG). Dementsprechend errechnet sich das elterngeldrechtlich relevante Einkommen dieser Gewerbetreibenden im Bezugszeitraum anhand des sich aus dem Steuerbescheid ergebenden Jahresgewinns und dem daraus ermittelten monatlichen Durchschnittseinkommen (vgl bereits BSG Urteil vom 26.3.2014 - B 10 EG 4/13 R - RdNr 35). Auch wenn die Neuregelung des § 2d Abs 3 BEEG idF des Gesetzes vom 10.9.2012 (BGBl I 1878) - nicht die davon zu unterscheidende Neuregelung der Einkommensersatzleistungen in § 3 Abs 1 S 1 Nr 5 BEEG - insoweit eine andere Sichtweise gebieten könnte, weil der Steuerbescheid dort nicht mehr als Grundlage der Einkommensermittlung in der Bezugszeit herangezogen wird(vgl hierzu BT-Drucks 17/9841 S 23), hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung im Geltungsbereich der Regelung des § 2 BEEG idF vom 5.12.2006 fest. Diese Berechnungsmethode trägt, worauf das LSG bereits zu Recht hingewiesen hat, dem Entgeltersatzcharakter des Elterngelds bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Prinzips der Jährlichkeit der Einkünfte aus Beteiligungen bestmöglich Rechnung. Überdies vereinfacht sie maßgeblich das Verwaltungsverfahren und ist praktikabel. Weder bedarf es einer umfangreichen Gewinn- und Verlustrechnung noch einer Bilanz. Die Berechnung des durchschnittlichen monatlichen Einkommens kann vielmehr allein anhand des maßgeblichen Steuerbescheids erfolgen. Hierdurch ist wiederum ein Gleichlauf zwischen dem Steuerrecht und dem BEEG hergestellt.

24

dd. Diese Grundsätze gelten entgegen der Annahme des LSG auch im Falle gesellschaftsrechtlich vereinbarter Reduzierung tätigkeitsbezogener Gewinnanteile aus Anlass der Elternzeit. Denn abgesehen davon, dass die im konkreten Fall nachträglich vereinbarte Gewinnverteilung der Tätigkeitsvergütung im Verhältnis von 10/24 zu 12/24 den Verbleib der restlichen Bruchteile ungeklärt lässt und zudem die Bilanz für das Jahr 2009 real im Verhältnis von 10/22 zu 12/22 umgesetzt worden zu sein scheint (S 18 der Bilanz), dienen gesellschaftsrechtliche Umverteilungen der tätigkeitsbezogenen Gewinnanteile vornehmlich den Interessen der Mitgesellschafter und dem Ausgleich ihrer wegen der Elternzeit des Mitgesellschafters erbrachten Mehrarbeit. Der Umstand, dass eine solche Vereinbarung gerade mit Blick auf eine anstehende Elternzeit geschlossen wird, hindert deren Wirksamkeit nicht. Dem legitimen Anliegen nach Inanspruchnahme einer Elternzeit durch einen Gesellschafter entspricht insoweit spiegelbildlich das gleichermaßen berechtigte Anliegen des anderen Mitgesellschafters nach einer abweichenden Gewinnverteilung. Die getroffene gesellschaftsrechtliche Vereinbarung hat aber nicht zur Folge, dass das Mitunternehmerrisiko und die Mitunternehmerinitiative in der Bezugszeit gemindert oder gar aufgehoben wären, wie dies bei einem Verzicht des Elterngeldberechtigten auf Gewinn und Freistellung vom Verlust in der Bezugszeit erwogen werden könnte. Bestehen Mitunternehmerrisiko und Mitunternehmerinitiative des elterngeldberechtigten Gesellschafters in der Elternzeit fort, wird der im Steuerbescheid ausgewiesene Jahresgewinn auch dann anteilig als Einkommen in der Bezugszeit angerechnet, wenn der Gesellschafter wegen der Elternzeit auf einen Bruchteil seines tätigkeitsbezogenen Jahresgewinns verzichtet hat.

25

Der Senat verkennt nicht, dass damit iS von Art 3 Abs 1 GG eine Ungleichbehandlung der Gruppe der Gewerbetreibenden gegenüber der Gruppe der Elterngeldberechtigten mit Einkommen aus abhängiger Beschäftigung zum einen und der Gruppe der Elterngeldberechtigten mit Einkünften aus sonstiger selbstständiger Erwerbstätigkeit zum anderen verbunden sein kann. Die unterschiedliche Behandlung ist indes sachlich gerechtfertigt, da insbesondere die Ausübung der jeweiligen Erwerbstätigkeit und die Art der Erzielung des Einkommens - wie unter II.3.b.cc. dargestellt - wesentlich voneinander abweichen können (vgl auch BSG Urteil vom 29.8.2012 - B 10 EG 18/11 R - RdNr 28 f; BSG Urteil vom 26.3.2014 - B 10 EG 4/13 R - RdNr 29 f).

26

4. Unter anteiliger Berücksichtigung des im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 ausgewiesenen Gewinns abzüglich der geleisteten Steuervorauszahlungen und des Solidaritätszuschlags beläuft sich die berücksichtigungsfähige Differenz (67 %) des Einkommens vor der Geburt auf maximal 2700 Euro (vgl § 2 Abs 3 S 2 BEEG) und in der Bezugszeit (2370,25 Euro) auf einen monatlichen Betrag unter 300 Euro, sodass es bei dem von dem Beklagten endgültig festgesetzten Sockelbetrag verbleiben muss (vgl § 2 Abs 5 S 1 BEEG) und das überzahlte Elterngeld nach Maßgabe des § 42 Abs 2 S 2 SGB I(vgl BSG Urteil vom 15.12.2015 - B 10 EG 6/14 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 30 RdNr 22 mwN) zu erstatten ist.

27

Nach alledem war das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG insgesamt zurückzuweisen.

28

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, wird nur die höchste Rente geleistet. Bei gleich hohen Renten ist folgende Rangfolge maßgebend:

1.
Regelaltersrente,
2.
Altersrente für langjährig Versicherte,
3.
Altersrente für schwerbehinderte Menschen,
3a.
Altersrente für besonders langjährig Versicherte,
4.
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit (Fünftes Kapitel),
5.
Altersrente für Frauen (Fünftes Kapitel),
6.
Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute,
7.
Rente wegen voller Erwerbsminderung,
8.
(weggefallen)
9.
Erziehungsrente,
10.
(weggefallen)
11.
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung,
12.
Rente für Bergleute.
Ist eine Rente gezahlt worden und wird für denselben Zeitraum eine höhere oder ranghöhere Rente bewilligt, ist der Bescheid über die niedrigere oder rangniedrigere Rente vom Beginn der laufenden Zahlung der höheren oder ranghöheren Rente an aufzuheben. Nicht anzuwenden sind die Vorschriften zur Anhörung Beteiligter (§ 24 des Zehnten Buches), zur Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 45 des Zehnten Buches) und zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse (§ 48 des Zehnten Buches). Für den Zeitraum des Zusammentreffens der Rentenansprüche bis zum Beginn der laufenden Zahlung nach Satz 3 gilt der Anspruch auf die höhere oder ranghöhere Rente nach Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger bis zur Höhe der gezahlten niedrigeren oder rangniedrigeren Rente als erfüllt. Ein unter Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen anderer Leistungsträger verbleibender Nachzahlungsbetrag aus der höheren oder ranghöheren Rente ist nur auszuzahlen, soweit er die niedrigere oder rangniedrigere Rente übersteigt. Übersteigen die vom Rentenversicherungsträger anderen Leistungsträgern zu erstattenden Beträge zusammen mit der niedrigeren oder rangniedrigeren Rente den Betrag der höheren oder ranghöheren Rente, wird der übersteigende Betrag nicht von den Versicherten zurückgefordert.

(2) Für den Zeitraum, für den Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente besteht, wird eine kleine Witwenrente oder eine kleine Witwerrente nicht geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

(3) Besteht für denselben Zeitraum Anspruch auf mehrere Waisenrenten, wird nur die höchste Waisenrente geleistet. Bei gleich hohen Waisenrenten wird nur die zuerst beantragte Rente geleistet. Absatz 1 Satz 3 bis 7 gilt entsprechend.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, der Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin der Beklagten überzahlte Rente erstatten muss.

2

Die 1962 geborene Klägerin war ab dem 7.4.2010 arbeitsunfähig krank, nahm vom 9.9.2010 bis zum 5.10.2010 an einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teil und erhielt in dieser Zeit Übergangsgeld. Die Beigeladene zu 1 gewährte ihr vom 19.5.2010 bis zum 8.9.2010 und vom 6.10.2010 bis zum 9.9.2011 Krankengeld; die Beigeladene zu 2 zahlte vom 10.9.2011 bis zum 31.12.2011 Arbeitslosengeld I.

3

Die Beklagte gewährte der Klägerin ab dem 1.8.2010 ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung längstens bis zum 31.5.2029, setzte dessen monatlichen Wert ab dem 1.6.2011 auf 288,95 Euro und den Nachzahlbetrag für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 31.5.2011 unter Berücksichtigung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf 2367,60 Euro fest (Rentenbescheid vom 8.4.2011). Gleichzeitig wies sie auf Seite 7 des Bescheids auf Folgendes hin:

        

"Zurzeit prüfen wir noch, ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes besteht. Sobald wir die Prüfung abgeschlossen haben, erhalten Sie einen weiteren Bescheid".

4

Aus dem Nachzahlbetrag erfüllte die Beklagte den geltend gemachten Erstattungsanspruch der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 1.8.2010 bis zum 12.4.2011 iHv 1952,19 Euro komplett und überwies der Klägerin den Restbetrag von 415,41 Euro.

5

Nach Abschluss der Ermittlungen zur Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1.11.2010 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 31.10.2013. Auf Seite 3 des Bescheids verlautbarte sie unter der Überschrift "Mehrere Rentenansprüche" das Folgende:

        
        

"Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, leisten wir nur die höchste Rente. Bei gleich hohen Renten gilt eine gesetzliche Rangfolge. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist daher nicht zu zahlen."

6

Aus dem Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro erfüllte sie die Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro, sodass 1756,72 Euro verblieben.

7
        

Mit Bescheid vom 23.5.2012 verfügte die Beklagte Folgendes:

        

"Der Bescheid vom 08.04.2011 über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 01.11.2010-31.10.2013 nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben.

        

Für die Zeit 01.11.2010-31.12.2011 ergibt sich eine Überzahlung von 3520,92 Euro. Der überzahlte Betrag ist zu erstatten (§ 50 Abs. 1 SGB X). Den überzahlten Betrag haben wir in Ihrem Interesse bereits mit der Rentennachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 verrechnet, die nach Erfüllung der Ansprüche anderer Stellen verblieben ist. Die restliche Überzahlung beträgt noch 1764,20 Euro. Dieser Betrag ist von Ihnen an uns zurückzuzahlen."

8
        

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012) und führte zur Begründung ua aus:

        

"Nach sorgfältiger Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Rückzahlung und Ihren privaten Interessen muss die Deutsche Rentenversicherung Bund von ihrem Rückforderungsanspruch Gebrauch machen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund ist verpflichtet, das Vermögen der Versichertengemeinschaft nach bestem Wissen und Gewissen treuhänderisch zu verwalten. Das zwingt zu einer sparsamen Haushaltsführung, so dass auf eine Rückforderung nicht verzichtet werden kann.

        

Andere Gesichtspunkte, auf die geltend gemachten Ansprüche teilweise oder ganz zu verzichten, sind nicht erkennbar. Die Rechtslage ist eindeutig, es liegt weder ein Verschulden der Deutschen Rentenversicherung Bund vor, noch ist davon auszugehen, dass Sie durch die rückwirkende Bescheidaufhebung mit Erstattungsforderung in persönliche Not geraten oder, dass Ihnen andere Sozialleistungen entgangen sind, die jetzt durch Ablauf von Fristen nicht mehr erlangt werden können."

9

Nachdem die Klägerin im Klageverfahren erklärt hatte, aus der Vorschrift des § 51 SGB I derzeit keine Rechtsverletzung geltend zu machen, hat das SG München die Klage abgewiesen(Urteil vom 28.11.2013), die darauf gerichtet gewesen ist, "den Bescheid vom 23.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2012 aufzuheben und die Nachzahlungen der Bescheide vom 04.11.2011 und 08.04.2011 neu zu berechnen".

10

Das Bayerische LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 21.5.2015), mit der sie neben der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der angefochtenen Bescheide die Verurteilung der Beklagten erstrebte, "eine neue Abrechnung der Rentennachzahlung aus dem Bescheid vom 04.11.2011 vorzunehmen mit der Maßgabe, dass zunächst die geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung mindernd vor Erfüllung der Erstattungsansprüche berücksichtigt wird". Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, zu Recht habe die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X aufgehoben und die daraus resultierende Überzahlung von 3520,92 Euro zurückgefordert. Mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente rückwirkend ab November 2010 durch Bescheid vom 4.11.2011 sei eine wesentliche Änderung eingetreten, die sich auf den mit Bescheid vom 8.4.2011 zuerkannten Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ausgewirkt habe. Denn bestünden - wie vorliegend - für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, werde nach § 89 Abs 1 S 1 SGB VI nur die höchste Rente geleistet. Dies führe im Ergebnis zu einer Zahlungssperre, sodass der Anspruch auf die niedrigere Rente zwar dem Grunde nach bestehen bleibe, aber während des Bezugs der höheren Rente nicht geltend gemacht werden könne. Bei rückwirkender Bewilligung einer höheren Rente entfalle dann nachträglich der Zahlungsanspruch der niedrigeren Rente. Vorliegend sei die Zahlungssperre erst mit Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente mit der Folge eingetreten, dass der Bescheid vom 8.4.2011 über die Gewährung einer teilweisen Erwerbsminderungsrente hinsichtlich seines Zahlungsausspruchs für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nachträglich rechtswidrig geworden sei. Die Beklagte sei auch berechtigt gewesen, den Rentenbescheid vom 8.4.2011 mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise aufzuheben. Denn die Klägerin habe nach Erlass dieses Bescheids mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung Einkommen iS des § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt, das zum Wegfall des Zahlungsanspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in der Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 geführt habe. Die maßgeblichen Fristen seien eingehalten und ein atypischer Fall liege nicht vor. Die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids vom 8.4.2011 habe zur Folge, dass die Klägerin die bereits geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung iHv 3520,92 Euro nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X erstatten müsse. Dagegen könne die Klägerin nicht einwenden, dass der Anspruch auf Zahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe der bereits geleisteten niedrigeren Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als erfüllt gelte und daher eine Erstattung der letztgenannten Rente ausscheide. Eine solche Erfüllungsfiktion enthalte auch § 89 SGB VI nicht, wie das BSG(Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2)in ähnlichem Zusammenhang bereits entschieden habe. Darüber hinaus sei zu bedenken, dass ein Versicherter neben einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung einen Anspruch auf Zahlung von (gekürztem) Krankengeld (§ 50 Abs 2 SGB V) oder Arbeitslosengeld (§ 125 Abs 1 SGB III) haben könne, während ein Anspruch auf Krankengeld oder auf Arbeitslosengeld neben einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgeschlossen sei (§ 50 Abs 1 S 1 SGB V, § 125 Abs 1 SGB III). Dies könne - wie im Fall der Klägerin - dazu führen, dass die Summe der nebeneinander gezahlten Sozialleistungen (Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung plus Krankengeld oder Arbeitslosengeld) höher sei als der später für denselben Zeitraum zuerkannte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Stelle sich im Nachhinein heraus, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bestanden habe und damit die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie das Kranken- und Arbeitslosengeld zu Unrecht gezahlt worden seien, sei es im Ergebnis auch interessengerecht, den Nachzahlungsbetrag aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung in vollem Umfang - und nicht nur in Höhe des Betrags, der nach Abzug der geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung verbleibe - zur Erfüllung der Erstattungsansprüche der anderen Leistungsträger zu verwenden. Denn nach der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X gelte in einem solchen Fall der Anspruch des Versicherten auf Rente wegen voller Erwerbsminderung durch das gezahlte Kranken- oder Arbeitslosengeld als (zumindest teilweise) erfüllt. Auf diese Weise sei sichergestellt, dass der Versicherte im Ergebnis jedenfalls den Betrag erhalte, der ihm aufgrund seines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zugestanden habe. Nachdem die Klägerin eine Rechtsverletzung aus der Vorschrift des § 51 SGB I ausdrücklich nicht geltend mache, könne dahinstehen, ob die im Bescheid erklärte Aufrechnung den gesetzlichen Anforderungen gerecht werde.

11

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 48 Abs 1 S 1 und 2 Nr 3 iVm § 50 Abs 1 SGB X, § 89 SGB VI und § 103 SGB X. In der rückwirkenden Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung sei schon keine wesentliche Änderung iS von § 48 Abs 1 S 1 SGB X zu sehen. Aber selbst wenn man mit den Vorinstanzen das Gegenteil annähme und davon ausginge, dass durch die rückwirkende Gewährung von voller Erwerbsminderungsrente Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt worden sei, könne der Rückforderungsbescheid nicht auf § 50 Abs 1 S 1 SGB X gestützt werden. Denn ausweislich des Wortlautes von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X dürfe ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nur aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung Einkommen erzielt worden sei. Die Wendung "soweit" beinhalte eine Einschränkung des Aufhebungs- und Rückforderungsrechts der Behörde dergestalt, dass vom Versicherten nicht mehr zurückgefordert werden könne als das ihm zugeflossene Einkommen. Das Aufhebungsrecht sei mithin der Höhe nach auf die nachträglich bewilligte Sozialleistung beschränkt. Hieraus folge zwingend auch eine Begrenzung des korrespondierenden Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X. Das Urteil des erkennenden Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2) sei auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht übertragbar, weil es ausschließlich einen Erstattungsstreit zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Rentenversicherungsträger betreffe und keine Ausführungen zu einer Rückforderung auf Grundlage von § 48 Abs 1 S 2 SGB X enthalte. Darüber hinaus beruhten die angefochtenen Urteile auf einer Verletzung von § 89 SGB Vl, weil sie eine Erfüllungswirkung der ausbezahlten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Hinblick auf die später rückwirkend gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung verneinten. Denn die Renten wegen teilweiser und voller Erwerbsminderung erfassten weder unterschiedliche Versicherungsfälle noch unterschiedliche Versicherungsziele. Sowohl die teilweise als auch die volle Erwerbsminderungsrente bezweckten den Ausgleich wirtschaftlicher Einbußen, wenn der Versicherte aufgrund gesundheitsbedingter Einschränkungen nicht (in vollem Umfang) am Erwerbsleben teilnehmen könne. Es handele sich daher nicht um zwei eigenständige Rentenarten, sondern lediglich um eine "zweistufige Rente". Diese funktionelle Identität beider Renten spreche für eine Erfüllungsfunktion der bereits geleisteten teilweisen Erwerbsminderungsrente. Außerdem verstoße die Berechnungsweise der Nachzahlungsforderung gegen § 103 SGB X, wonach die Erstattungspflicht des zuständigen Leistungsträgers auf die im selben Zeitraum an den Berechtigten erbrachten Leistungen begrenzt sei. Zudem habe das LSG übersehen, dass die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie der Rückzahlungsanspruch an Vertrauensgesichtspunkten scheitern müsse. Schützenswertes Vertrauen auf das Behaltendürfen der erlangten Leistungen an teilweiser Erwerbsminderungsrente sowie Kranken- bzw Arbeitslosengeld ergebe sich daraus, dass nach der bisherigen Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger bei Bewilligung einer höheren Rente im Anschluss an eine niedrigere Rente bzw anstatt einer niedrigeren Rente die bereits gezahlte Rente in Abzug gebracht worden sei. Zu berücksichtigen seien zudem Erwägungen des billigen Ermessens, welche die Überzahlungsforderung als unstatthaft erscheinen ließen. Zuvörderst sei es allein der Beklagten anzulasten, dass sie erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung die Prüfung der Voraussetzungen für eine volle Erwerbsminderungsrente im Hinblick auf die Verschlossenheit des Teilarbeitsmarktes aufgenommen habe. Diese habe mithin die Überzahlung selbst schuldhaft verursacht, indem sie zunächst im April 2011 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt, aber erst im November des gleichen Jahres die volle Erwerbsminderungsrente zuerkannt habe. Dem Vorgesagten müsse umso mehr Gewicht beigemessen werden, als die Klägerin selbst keine Verrentung beantragt habe, sondern ihr Antrag auf medizinische Rehabilitation auf Veranlassung der Beigeladenen zu 1 umgedeutet worden sei. Infolge dieser Einschränkung ihres Dispositionsrechts habe die Klägerin weder selbst über den Rentenbeginn bestimmen noch auf die Gewährung einer Rente verzichten können.

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Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2015, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2013, den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2012 und den Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

14

Der Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei erst dadurch weggefallen, dass am 4.11.2011 mit der Festsetzung des Auszahlungsanspruchs der Rente wegen voller Erwerbsminderung eine Anspruchskonkurrenz eingetreten sei. Damit habe sich in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsakts über den Auszahlungsanspruch der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung am 8.4.2011 vorgelegen hätten, iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eine wesentliche Änderung ergeben. Diese wesentliche Änderung habe die Beklagte ermächtigt, rückwirkend (ab dem 1.11.2010) den Verwaltungsakt über den Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufzuheben. Denn mit der Rente wegen voller Erwerbsminderung habe die Klägerin Einkommen iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X erzielt. Folglich sei die Beklagte auch befugt gewesen, die Rückzahlung der zwischen November 2010 und Dezember 2011 geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Umfang von 3520,92 Euro zu verlangen. Auch wenn davon auszugehen sei, dass kein "atypischer Fall" iS der Rechtsprechung zu § 48 Abs 1 S 2 SGB X vorliege, der ausnahmsweise eine Ermessensausübung erfordere, seien im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 Erwägungen angestellt worden, die auf eine Ermessensausübung hindeuteten. Dieser Umstand gehe aber nicht zu Lasten der Klägerin. Allerdings sei sie vor Erlass der angefochtenen Bescheide nicht iS des § 24 Abs 1 SGB X angehört worden. Da aber die Aufhebung des Verwaltungsakts wegen einer Änderung einkommensabhängiger Leistungen erfolgt sei, sei eine Anhörung gemäß § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X entbehrlich gewesen. Auf jeden Fall habe die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 der Klägerin die Sach- und Rechtslage derart umfangreich geschildert, dass dies als nachgeholte Anhörung gelten müsse und der Widerspruch der Klägerin als nachgeholte Stellungnahme auf diese Anhörung. Anders als der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung sei der Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bereits im April 2011 entscheidungsreif und deshalb - auch mit Blick auf interne Vorgaben zur Verfahrensbeschleunigung sowie mit Rücksicht auf die vom Bundesrechnungshof überwachten und beanstandeten Rentenantragslaufzeiten, die ihrerseits in eine Leistungsvergleichsstatistik zwischen den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung eingingen ("Benchmarking" iS von § 69 Abs 5 SGB IV) - sofort zu bescheiden gewesen. Gleichzeitig sei die Beklagte durch den Bundesrechnungshof gehalten, zumindest in Einzelfällen konkret zu prüfen, ob der Teilzeitarbeitsmarkt tatsächlich verschlossen und deshalb eine Rente wegen voller Erwerbsminderung abhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage zu zahlen sei. Dieser Prüfpflicht komme die Beklagte vor allem bei Versicherten, die in Bundesländern mit niedriger Arbeitslosenquote wohnten, routinemäßig durch entsprechende Anfragen bei der Bundesagentur für Arbeit nach.

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Die Beigeladenen zu 1 und 2 haben keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist begründet, sodass der Senat in der Sache selbst zu entscheiden hat (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG unter Verletzung von Bundesrecht (§ 162 SGG) zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, beschweren die Klägerin und sind deshalb aufzuheben (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Der Beklagten steht kein Erstattungsanspruch zu.

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A. Der Bescheid vom 23.5.2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 verlautbaren ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro auf der Grundlage einer (erneuten) Aufhebung des Verwaltungsakts über die Festsetzung von monatlichen Zahlungsansprüchen aus einem Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 nach § 48 SGB X. Mit dem erneuten Aufhebungs-Verwaltungsakt wiederholt die Beklagte im Sinne eines ersetzenden und den Rechtsweg erneut eröffnenden sog Zweitbescheids eine Regelung, die sie der Sache nach bereits im Bescheid vom 4.11.2011 bindend (§ 77 SGG) getroffen hatte. Denn dort hatte sie bereits verlautbart, die Klägerin erhalte "anstelle" der bisherigen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit der Folge, dass "die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung … daher nicht zu zahlen" sei. Mit dem Wort "anstelle" und der unmissverständlichen Regelung auf Seite 3 des Bescheids vom 4.11.2011, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, soweit für denselben Zeitraum Ansprüche (im Sinne von Stammrechten) auf mehrere Renten aus eigener Versicherung bestünden, verdeutlichte die Beklagte hinreichend, dass die monatlichen Zahlungsansprüche, die aus dem nunmehr zuerkannten (Stamm-)Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung erwachsen, diejenigen monatlichen Zahlungsansprüche im Zeitraum vom 1.11.2010 bis 30.10.2013 komplett ersetzen (dh an ihre Stelle treten) sollen, die ansonsten aus dem fortbestehenden (Stamm-)Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultieren und zu einer Überversorgung der Klägerin führen würden. Mit der Regelung, dass die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht zu zahlen sei, negierte die Beklagte ihre gegenteilige Regelung im Bescheid vom 8.4.2011, wonach ab dem 1.6.2011 die monatliche Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung 288,95 Euro beträgt. Da sich beide Aussagen widersprechen, kann ein verständiger und die Zusammenhänge berücksichtigender ("objektiver") Empfänger die zweite Aussage (kein Zahlungsanspruch) im Zusammenhang mit der Präposition "anstelle" nur als Beseitigung der ersten Aussage (Zahlungsanspruch: 288,95 Euro) durch einen entsprechenden Gegenakt (actus contrarius) verstehen (vgl dazu bereits Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 33; zum sog objektivierten Empfängerhorizont vgl Senatsurteil vom 8.2.2012 - B 5 R 38/11 R - SozR 4-5075 § 3 Nr 1 RdNr 15; BSG Urteile vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, RdNr 18 mwN, vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R - BSGE 115, 57 = SozR 4-2500 § 103 Nr 13, RdNr 24 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18). Zu dieser Auslegung des Verwaltungsakts ist der Senat befugt (vgl zu den Auslegungsgrundsätzen BSG Urteile vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 RdNr 25, vom 23.1.2008 - B 10 LW 1/07 R - SozR 4-5868 § 3 Nr 3 RdNr 19, vom 16.6.1999 - B 9 V 13/98 R - SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 26 und vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11). § 39 Abs 1 S 2 SGB X stellt auf den "Inhalt" ab, mit dem ein Verwaltungsakt bekannt gegeben worden ist: Den maßgeblichen Inhalt (iS von "rechtliche Bedeutung" oder "Regelungsgehalt") zu ermitteln, ist im Streitfall nicht (mehr) Sache der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde, sondern allein der Gerichte, in letzter Instanz also des BSG, das seinerseits nicht an die Auslegung des Bescheids durch das LSG gebunden ist(stRspr - vgl Senatsurteile vom 27.5.2014 - B 5 RE 8/14 R - Juris RdNr 21 und vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, RdNr 11 mwN sowie BSG Urteile vom 29.2.2012 - B 12 KR 19/09 R - Juris RdNr 21 und vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 18 mwN; BVerwG Urteile vom 3.11.1998 - 9 C 51/97 - NVwZ-RR 1999, 277 , vom 25.8.2009 - 1 C 30/08 - BVerwGE 134, 335 RdNr 18 und vom 9.5.2012 - 6 C 3/11 - BVerwGE 143, 87 RdNr 39). Dieser (Gegen-)Verwaltungsakt (actus contrarius) im Bescheid vom 4.11.2011 wurde für die Beteiligten gemäß § 77 Halbs 1 SGG in der Sache bindend, weil ihn die Klägerin - trotz entsprechender Belehrung(§ 66 Abs 1 SGG) - nicht mit dem gegebenen Rechtsbehelf (Widerspruch, § 83 SGG) innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist (§ 84 Abs 1 S 1 SGG) angefochten hat.

18

Bindungswirkung und Wirksamkeit dieses (Gegen-)Verwaltungsakts entfielen jedoch "auf andere Weise" (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl dazu BSG Urteil vom 7.7.2005 - B 3 P 8/04 R - BSGE 95, 57 RdNr 10 = SozR 4-1300 § 48 Nr 6, RdNr 11) durch die erneut verlautbarte Aufhebung im Bescheid vom 23.5.2012, die weder als wiederholende Verfügung (nachfolgend 1.) noch als negative Zugunstenentscheidung (nachfolgend 2.) in dem Sinne zu verstehen ist, dass die Beklagte das Verwaltungsverfahren, das mit dem Erlass des Gegenverwaltungsakts im Rentenbescheid vom 4.11.2011 bereits abgeschlossen war (§ 8 SGB X), von Amts wegen gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB X wieder aufgegriffen, aber dessen Rücknahme abgelehnt hat. Stattdessen hat die Beklagte im Bescheid vom 23.5.2012 eine neue Aufhebungsentscheidung getroffen, die die bestandskräftige Aufhebungsentscheidung im Bescheid vom 4.11.2011 ersetzt (nachfolgend 3.).

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1. Gegen die Annahme einer wiederholenden Verfügung, die wegen fehlender Rechtsfolgensetzung keine Regelung und damit kein Verwaltungsakt iS des § 31 S 1 SGB X ist, spricht bereits, dass sich die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 23.5.2012 an keiner Stelle auf die Bestandskraft (§ 77 SGG) ihrer Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 berufen hat (BSG Urteile vom 14.9.1989 - 4 REg 7/88 - BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 und vom 11.3.2009 - B 6 KA 15/08 R - SozR 4-2500 § 96 Nr 1; BVerwG Urteil vom 10.10.1961 - VI C 123.59 - BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Soweit sie im Bescheid vom 23.5.2012 auf den Bescheid vom 4.11.2011 zurückkommt, verweist sie lediglich auf ihre dortigen Mitteilungen, wonach die Klägerin im Hinblick auf die bereits gezahlten Rentenbeträge und die Abrechnung der Nachzahlung jeweils "weitere Nachricht" erhalte. Eine Bezugnahme auf eine bereits früher getroffene Rücknahmeentscheidung enthält der Bescheid vom 23.5.2012 dagegen nicht.

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2. Dieser fehlende Bezug verdeutlicht gleichzeitig, dass die Beklagte die Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 keinesfalls im Zugunstenverfahren nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X überprüft, sondern im Bescheid vom 23.5.2012 eine hiervon unabhängige neue Sachentscheidung getroffen hat, wie sich insbesondere aus dem ersten Verfügungssatz und der dazugehörenden Begründung ergibt (vgl zur Abgrenzung nur BSG Urteil vom 23.3.1999 - B 2 U 8/98 R - BSGE 84, 22 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5).

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3. Diese neue Aufhebungsentscheidung ersetzt die alte Rücknahmeentscheidung im Rentenbescheid vom 4.11.2011 und eröffnet den Rechtsweg neu (vgl dazu BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7 sowie BSG Urteile 20.11.1996 - 3 RK 7/96 - SozR 3-2500 § 109 Nr 3 und vom 21.9.1962 - 10 RV 1059/59 - BSGE 18, 22 = SozR Nr 35 zu § 77 SGG), wie ua auch die entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung belegt (zu diesem Gesichtspunkt BVerwGE 13, 99, 103 - Juris RdNr 13). Zum Erlass einer solchen, die Altentscheidung wiederholenden und ersetzenden Neuentscheidung (Zweitbescheid) war die Beklagte ohne Weiteres befugt (vgl BSGE 65, 261, 262 = SozR 7833 § 1 Nr 7; BSGE 84, 22, 23 = SozR 3-8100 Art 19 Nr 5 S 12 mwN; kritisch zur Rechtsfigur des Zweitbescheids Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB X, § 44 RdNr 13 ff). Der Zulässigkeit der Klage gegen die erneute Aufhebungsentscheidung steht dabei die frühere Bestandskraft (§ 77 SGG) der Erstentscheidung nicht entgegen (BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 81/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 24 RdNr 15; BVerwG Urteil vom 27.2.1963 - V C 105.61 - BVerwGE 15, 306, 311 - Juris RdNr 28). Dies gölte selbst dann, wenn der Zweitbescheid in Unkenntnis der Erstentscheidung ergangen wäre (Sachs in Stelkens/ Bonk/Sachs, 8. Aufl 2014, VwVfG, § 51 RdNr 60), was hier naheliegt.

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Das maßgebliche Begehren (§ 123 SGG) der Klägerin ist folglich darauf gerichtet, im Wege der zulässigen objektiven Häufung (§ 56 SGG)zweier isolierter Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG)die beiden Verwaltungsakte (§ 31 S 1 SGB X) im Bescheid vom 23.5.2012 zu beseitigen, mit denen die Beklagte den Verwaltungsakt über die monatlichen Zahlungsansprüche im Bescheid vom 8.4.2011 für die Zeit vom 1.11.2010 bis 31.10.2013 (sog Zweitbescheid) aufgehoben und ihr auf dieser Grundlage ein Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro erteilt hat. Diesen Betrag hat die Beklagte - entgegen der Ansicht der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - korrekt berechnet: Aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung ergab sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 ein Nachzahlbetrag iHv 7303,86 Euro (s zur Berechnung Anl 1 S 1 bis 3 des Bescheids vom 4.11.2011). Daraus erfüllte die Beklagte die geltend gemachten Erstattungsansprüche der Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 13.4. bis 9.9.2011 iHv 3959,84 Euro und der Beigeladenen zu 2 für die Zeit vom 10.9. bis 31.12.2011 iHv 1587,30 Euro gemäß § 125 Abs 3 S 1 SGB III in seiner bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung iVm § 103 SGB X entsprechend(s dazu ausführlich Senatsurteil vom 7.9.2010 - B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), sodass 1756,72 Euro verblieben. Diesen Restbetrag kehrte sie indessen nicht an die Klägerin aus, sondern rechnete - entgegen dem vordergründigen Wortlaut ihrer Mitteilung ("haben wir … verrechnet") - mit ihrem Rückzahlungsanspruch aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 51 SGB I auf, woraus ausdrücklich keine Rechtsverletzung geltend gemacht wird. Dieser Rückzahlungsanspruch beläuft sich für den Zeitraum vom 1.11.2010 bis zum 31.12.2011 auf 3520,92 Euro, sodass sich ein Überzahlungsbetrag von 1764,20 Euro (= 3520,92 Euro - 1756,72 Euro) errechnet.

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B. Die Klagen sind begründet. Die Beklagte war nicht befugt, das Zahlungsgebot iHv 1764,20 Euro zu erlassen, weil ihr weder nach § 42 Abs 2 S 2 SGB I(nachfolgend 1.) noch nach § 50 Abs 3 S 1 iVm Abs 1 S 1 SGB X(nachfolgend 2.) ein Erstattungsanspruch zusteht.

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1. Ein Erstattungsanspruch in unmittelbarer oder analoger Anwendung von § 42 Abs 2 S 2 SGB I scheidet schon deshalb aus, weil die Beklagte der Klägerin im Bescheid vom 8.4.2011 monatliche Zahlungsansprüche endgültig zuerkannt und das Verwaltungsverfahren insofern abgeschlossen hatte. Dagegen hat sie keine im Sozialrecht ohnehin nur begrenzt mögliche vorläufige Entscheidung getroffen (BSGE 67, 104, 118 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2, RdNr 51) und insbesondere weder einen Vorschuss iS von § 42 Abs 1 SGB I gewährt(nachfolgend a) noch eine Vorwegzahlung geleistet (nachfolgend b). Die Merkmale derartiger vorläufiger Verwaltungsakte sind durch die oberstgerichtliche Rechtsprechung geklärt (vgl dazu Senatsurteile vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 und vom 17.7.1996 - 5 RJ 42/95 - BSGE 79, 61 = SozR 3-1200 § 42 Nr 5 S 13 sowie BSG Urteile vom 29.4.1997 - 4 RA 46/96 - SozR 3-1200 § 42 Nr 9 S 37 f, 40 mwN und vom 14.8.1996 - 13 RJ 9/95 - SozR 3-1200 § 42 Nr 6 S 19 ff). Sie dürfen nicht etwa deshalb unbeachtet bleiben, weil sich die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung faktisch und/oder rechtlich Beschleunigungsgeboten ausgesetzt sehen. Insbesondere erfahren die inhaltlichen Anforderungen an vorläufige Verwaltungsakte nicht dadurch eine Änderung, dass die Träger nach § 69 Abs 5 SGB IV "in geeigneten Bereichen ein Benchmarking" durchzuführen haben und hierfür nach der verbindlichen Entscheidung des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 21.3.2013 (RVaktuell 2013, 140) iVm ihrer Anlage (Festlegung der zentralen Kennziffern in der 1. Ebene des Benchmarking-Tools ) für das Benchmarking-Tool Kennziffern bzw Kennzahlen nach einheitlichen Maßstäben zu ermitteln sind (nachfolgend c).

25

a) Anhand des Bescheids vom 8.4.2011 wird für einen objektiven Empfänger gerade nicht hinreichend deutlich, ihm werde lediglich vorschussweise und im Vorgriff auf dem Grunde nach zustehende monatliche "Rentenansprüche" eine vorläufige Leistung eigener Art zuerkannt, die mit der endgültigen nicht identisch ist und in jedem Fall noch durch deren Festsetzung ersetzt wird. Vielmehr hat die Beklagte der Klägerin nach Grund und Höhe endgültige Zahlungsansprüche ausdrücklich zuerkannt, indem sie verfügte, dass ab dem 1.8.2010 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung "laufend monatlich" und "längstens bis zum 31.05.2029 (Monat des Erreichens der Regelaltersrente) gezahlt" werde. Dies wird nicht durch den gleichzeitig verlautbarten Hinweis auf Seite 7 des Bescheids relativiert, dass zurzeit noch geprüft werde, "ob ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes" bestehe, und die Klägerin nach Abschluss dieser Prüfung "einen weiteren Bescheid" erhalte. Damit wird gerade nicht verfügt, dass eine auf jeden Fall nur vorläufige und der Ersetzung bedürftige Entscheidung getroffen werde. Der Hinweis, möglicherweise auf die Entscheidung zurückzukommen und einen weiteren Bescheid zu erlassen, kann im Kontext eines abschließenden Rentenbescheids dem behördlichen Willen, nur eine einstweilige Regelung zu treffen, nicht hinreichend bestimmt Ausdruck verleihen (vgl dazu BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16).

26

b) Erst recht hat die Beklagte nicht zu erkennen gegeben, sie wolle ausnahmsweise im Wege der Vorwegzahlung Zahlungsansprüche nur einstweilig bewilligen, ohne zuvor geprüft zu haben, ob diese auch nur dem Grunde nach zustehen (s dazu ebenfalls BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 16 sowie BSGE 67, 104, 109 f = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 und BSG Urteil vom 28.11.1990 - 4 RLw 5/90 - SozR 3-1300 § 32 Nr 4 S 34). Unter diesen Umständen ist nicht näher darauf einzugehen, dass der genannte Hinweis ohne drucktechnische Hervorhebung in der Vielzahl der dem Rentenbescheid beigefügten Belehrungen, Hinweise und Erläuterungen allenfalls bei Anwendung besonderer Sorgfalt durch einen geschulten Leser in seiner potentiellen Bedeutung erkannt werden konnte.

27

c) Soweit sich die Beklagte durch die "Bemerkungen 2010" des Bundesrechnungshofs zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes am Erlass eines "vorläufigen Verwaltungsakts" gehindert gesehen bzw zum vorzeitigen Erlass eines abschließenden Verwaltungsakts gedrängt gefühlt hat, hat sie die eigentliche Zielrichtung dieser Bemerkungen, jedenfalls deren rechtliche Bedeutung, verkannt. Der Bundesrechnungshof führt dort unter der Überschrift "Rentenversicherungsträger scheuen Leistungsvergleiche" (Ziffer 21) zum "Stand des Benchmarkings in der Rentenversicherung" (Ziffer 21.1.1) ua aus, er habe die von den Trägern ermittelten Daten über "die Zeiten für die Bearbeitung von Rentenanträgen (Rentenantragslaufzeiten)" geprüft, "da sie für einen Vergleich zwischen den Trägern geeignet sind". "Voraussetzung für einen aussagefähigen Vergleich" seien indes "Daten, die nach einheitlichen Maßstäben gesammelt sind" (Ziffer 21.1). Diese "einheitlichen Maßstäbe" und der darauf basierende Vergleich von Prozessen und Leistungen der Rentenversicherungsträger untereinander mit dem Ziel, Rationalisierungs- bzw Verbesserungspotentiale zu erkennen und auf breiter Grundlage umzusetzen ("Benchmarking") sieht der Bundesrechnungshof dadurch gefährdet, dass "einige Träger … vorläufige Rentenbescheide" erlassen und damit die Rentenantragslaufzeiten gekürzt hätten, "obwohl die zugrunde liegenden Sachverhalte noch nicht abschließend ermittelt waren". Die betroffenen Träger hätten auch nicht untersucht, ob ein solches Vorgehen "wirtschaftlich" gewesen sei.

28

Der Bundesrechnungshof hat damit weder den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte generell verboten noch hat er etwa erklärt, dass stattdessen der vorzeitige Erlass endgültiger Verwaltungsakte stets ein erlaubtes Mittel zur Beeinflussung von Rentenantragslaufzeiten sein könnte. Sein Anliegen, allein statistisch-quantitativ motivierte - und damit "wettbewerbswidrige" - Laufzeitverkürzungen durch eine "Flucht in den vorzeitigen Verwaltungsakt" zu verhindern, steht lediglich der rechtsgrundlosen Laufzeitverkürzung durch den Erlass vorläufiger Verwaltungsakte entgegen. Dagegen bleiben vorläufige Verwaltungsakte in der Form von Vorschuss und Vorwegzahlung, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass bei ihrem Erlass noch keine Gewissheit über den rechtlich maßgeblichen Sachverhalt besteht, unverändert erlaubt. Dessen ungeachtet wäre die Beklagte an abweichende Anmerkungen nicht gebunden gewesen (vgl BVerfG Urteil vom 7.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - BVerfGE 137, 108 ff = SozR 4-4200 § 6a Nr 1, RdNr 100 mwN).

29

2. Der Beklagten steht auch nach § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X kein Erstattungsanspruch in der festgestellten Höhe zu. Nach diesen Vorschriften sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist; die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen.

30

Die Beklagte hat zwar den Verwaltungsakt im Bescheid vom 8.4.2011 über die Festsetzung des monatlichen Rentenzahlbetrags mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 aufgehoben. Hierauf kann jedoch der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht gestützt werden, weil weder § 48 Abs 1 SGB X(nachfolgend a) noch § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend b) - auch nicht im Wege der Umdeutung (nachfolgend c) - einschlägig sind und auch die Aufhebung deshalb jedenfalls materiell rechtswidrig und mithin durch Gestaltungsurteil ihrerseits aufzuheben ist (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Auf etwaige formelle Mängel, die ebenfalls zur Aufhebung des (Gegen-)Verwaltungsakts führen könnten (§ 42 S 2 iVm S 1, § 24 Abs 1 SGB X), kommt es deshalb nicht mehr an (nachfolgend d).

31

a) Soweit sich die Beklagte sowohl im Bescheid vom 23.5.2012 als auch im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 für die Aufhebungsentscheidung auf § 48 Abs 1 SGB X beruft, lagen dessen Voraussetzungen nicht vor. Nach S 1 dieser bundesrechtlichen Norm ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wegen einer nach seinem Erlass (Bekanntgabe) eingetretenen wesentlichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben; unter weiteren Voraussetzungen soll er mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden (S 2). Eine derartige Änderung ist nach Bekanntgabe des Bescheids vom 8.4.2011 indessen nicht eingetreten. Denn ein befristetes Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs 2, § 102 Abs 2 S 2 SGB VI mit der Folge hieraus monatlich entstehender Einzelansprüche ab dem 1.11.2010 war bereits kraft Gesetzes entstanden, als die Beklagte den Bescheid vom 8.4.2011 erließ. Bereits damals stand folglich "bei objektiver Betrachtung" und unabhängig von der Kenntnis der Beklagten fest, dass durchsetzbare Ansprüche auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht gleichzeitig bestehen konnten (§ 89 Abs 1 Nr 7 und 11 SGB VI), sondern im Hinblick auf den zeitgleich entstandenen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ruhten (BSG Urteil vom 31.10.2002 - B 4 RA 9/01 R - SozR 3-2600 § 101 Nr 2; Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, 09/11, § 89 RdNr 11; Jentsch, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl 2013, § 89 RdNr 7; Kreikebohm/Dankelmann in Kreikebohm, SGB VI, 4. Aufl 2013 § 89 RdNr 3; Wehrhahn in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2015, SGB VI, § 89 RdNr 4). Das hat zur Folge, dass die aus dem Stammrecht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultierenden Einzelansprüche während der Dauer des Bezugs der vollen Erwerbsminderungsrente nicht zur Entstehung gelangten (BSG SozR 3-2600 § 101 Nr 2). Der Verwaltungsakt über die Festsetzung des monatlichen Zahlbetrags der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung war damit schon in seinem Erlasszeitpunkt materiell und zudem wegen Verstoßes gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses (Senatsurteil vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 20 mwN) rechtswidrig, ohne dass Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit und Beschleunigungsgebote hieran etwas ändern könnten. Kein Beschleunigungsgebot vermag nämlich den Gegenstand der Beschleunigung (das Verwaltungsverfahren) inhaltlich zu verändern, sondern hat Einfluss allenfalls auf dessen äußeren Ablauf. In diesem Sinne bezieht sich etwa auch § 17 Abs 1 Nr 1 SGB I allein auf die "zügige" Gewährung "zustehender" Sozialleistungen. Zur Rücknahme anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakte ermächtigt aber allein § 45 SGB X.

32

Die Entscheidung des Senats vom 7.9.2010 (B 5 KN 4/08 R - SozR 4-2600 § 89 Nr 2), der unzweifelhaft eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse (im Gesundheitszustand des dortigen Versicherten) zugrunde lag, ist insofern nicht einschlägig. Ihr ist auch nicht etwa ein Rechtssatz des Inhalts zu entnehmen, dass in Fällen des § 89 SGB VI stets § 48 SGB X zur Anwendung kommen müsse. Zu Unrecht nimmt die Beklagte daher an, dass der Zahlungsanspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst entfiel, als sie der Klägerin mit Bescheid vom 4.11.2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannte. Denn im Rahmen des § 48 Abs 1 SGB X kommt es nach geklärter Rechtslage weder auf die im aufzuhebenden Bescheid genannten noch auf die damals von der Behörde zugrunde gelegten Verhältnisse noch auf die Kenntnis der Behörde von der Änderung der Verhältnisse an, sondern allein auf die in Wirklichkeit vorliegenden Verhältnisse und deren objektive Änderung. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 48 Abs 1 S 1 SGB X, der von der Änderung der Verhältnisse spricht, die beim Erlass des Verwaltungsakts "vorgelegen haben"(BSG Urteil vom 11.10.1994 - 9 RVs 2/93 - SozR 3-3870 § 4 Nr 10 S 42). Keinesfalls kann die Behörde durch Verwaltungshandeln selbst bestimmen, ob ein (bestandskräftiger) Verwaltungsakt unter erschwerten (§ 45 SGB X) oder erleichterten Bedingungen (§ 48 SGB X) beseitigt werden darf.

33

b) Die Aufhebungsentscheidung lässt sich auch nicht auf § 45 Abs 1 SGB X stützen und damit aufrechterhalten. Ein solches Aufrechterhalten ist hier nicht durch schlichte Anwendung dieser Rechtsvorschrift oder mithilfe des Nachschiebens von (Rechts-)Gründen, sondern nur durch Umdeutung gemäß § 43 SGB X möglich, dessen Tatbestandsvoraussetzungen indessen nicht erfüllt sind. Ob ein bloßes Auswechseln der Rechtsgrundlage (vgl dazu BSG Urteile vom 21.6.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39, RdNr 34 und vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr 12, RdNr 23)und/oder ein Nachschieben von Gründen (dazu BSG Urteile vom 23.8.1956 - 3 RJ 293/55 - BSGE 3, 209, 216, vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 279 f, vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 4-4200 § 60 Nr 1, vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23 sowie vom 21.9.2000 - B 11 AL 7/00 R - BSGE 87, 132, 139 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10 S 87 f: nicht nur "Kassation", sondern auch "Reformation") genügen, hängt bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angegriffen werden, davon ab, ob sie dadurch in ihrem "Wesen" verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157, 159 = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSGE 3, 209, 216; 9, 277, 279 f; BSG Urteile vom 31.1.1969 - 2 RU 234/66 - BSGE 29, 129, 132 = SozR Nr 123 zu § 54 SGG; vom 1.12.1977 - 12 RK 13/77 - BSGE 45, 206, 208 = SozR 2200 § 1227 Nr 10; vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8, 12 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; vom 12.2.1980 - 7 RAr 107/78 - SozR 4100 § 119 Nr 12; BVerwGE 38, 191, 195; 64, 356, 358 und Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; vgl Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 35 f mwN). Eine solche Änderung des "Wesens" eines Verwaltungsakts ist in Anlehnung an den zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff zu bestimmen (vgl dahingehend BSG Urteile vom 21.4.1959 - 6 RKa 20/57 - BSGE 9, 277, 280 und vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 23; s auch Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 113 RdNr 69) und demzufolge anzunehmen, wenn die Regelung auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird (BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9) oder die Angabe der Rechtsgrundlage zum Tenor (Verfügungssatz) des Bescheids gehört und deshalb die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts einen Eingriff in den Tenor erfordert (Senatsurteil vom 26.9.1974 - 5 RJ 140/72 - BSGE 38, 157 f = SozR 2200 § 1631 Nr 1; BSG Urteile vom 22.9.1981 - 1 RA 109/76 - SozR 1500 § 77 Nr 56 und vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9; BVerwG Urteil vom 19.8.1988 - 8 C 29/87 - BVerwGE 80, 96, 97; Krause in ders/vonMutius/ Schnapp/Siewert, 1991, GK-SGB X 1, § 43 RdNr 11), also Lebenssachverhalt und/oder Verfügungssatz nicht dieselben bleiben (BSG Urteil vom 11.4.2002 - B 3 P 8/01 R - Juris RdNr 25). So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat im Tenor des Bescheids vom 23.5.2012 ausdrücklich verfügt, der Verwaltungsakt über den Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 werde "nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben". Folglich würde die Heranziehung von § 45 Abs 1 SGB X als Rechtsgrundlage einen Eingriff in den Entscheidungssatz und folglich dessen Änderung erfordern. Schon deshalb scheidet die bloße Auswechslung der Rechtsgrundlage bzw ein Nachschieben von (Rechts-)Gründen aus, und es kommt allenfalls eine Umdeutung gemäß § 43 SGB X in Betracht.

34

c) Nach § 43 Abs 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Absatz 1 gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts (Abs 2 S 1). Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte (Abs 2 S 2). Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (Abs 3). § 24 SGB X ist entsprechend anzuwenden(Abs 4).

35

Zwar wären der fehlerhafte Verwaltungsakt nach § 48 SGB X und der Ersatzakt nach § 45 SGB X auf dasselbe Ziel gerichtet, nämlich auf die Beseitigung eines Verwaltungsakts (hier: als Rechtsgrund für den Bezug bzw das Behaltendürfen der bewilligten Zahlungsansprüche aus der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung). Soweit der Verwaltungsakt über die Bewilligung der monatlichen Zahlungsansprüche für die Vergangenheit zurückgenommen werden soll, fehlen aber bereits die (materiell-rechtlichen) Voraussetzungen iS des § 43 Abs 1 S 1 SGB X für den Erlass des Ersatzakts gemäß § 45 Abs 1 SGB X anstelle von § 48 Abs 1 S 2 SGB X(nachfolgend aa); soweit die Rücknahme für die Zukunft wirken soll, verbietet § 43 Abs 3 SGB X die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X in eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs 1 SGB X(nachfolgend bb). Nach der zuletzt genannten Vorschrift darf ein (im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe) rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

36

aa) Mit Wirkung für die Vergangenheit wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von § 45 Abs 2 S 3 und Abs 3 S 2 SGB X zurückgenommen(§ 45 Abs 4 S 1 SGB X). Soweit die Beklagte den Verwaltungsakt über den monatlichen Rentenzahlbetrag im Bescheid vom 8.4.2011 mit dem (Gegen-)Verwaltungsakt vom 23.5.2012 rückwirkend, dh für die Zeit vom 1.11.2010 bis zum 31.5.2012 aufgehoben hat, geben die Feststellungen des LSG von vornherein keinen Anlass, die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X (Ausschluss von Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts, den der Begünstigte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat) und des § 45 Abs 3 S 2 SGB X(Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 ZPO) zu prüfen. Der Verwaltungsakt vom 8.4.2011 beruht auch nicht auf "Angaben", die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X). Ebenso wenig kannte sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts oder war ihr dessen Rechtswidrigkeit infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 Halbs 1 SGB X).

37

bb) Aber auch soweit der (Gegen-)Verwaltungsakt in die Zukunft wirkt, liegen die Umdeutungsvoraussetzungen nicht vor. Denn die Aufhebung eines (Dauer-)Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" ergeht gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X als gesetzlich gebundene Entscheidung, während die Rücknahme eines ursprünglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts "mit Wirkung für die Zukunft" nach § 45 Abs 1 SGB X im pflichtgemäßen Ermessen(§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) der Behörde steht. Eine gebundene Entscheidung kann nach § 43 Abs 3 SGB X aber nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden(BSG Urteile vom 10.2.1993 - 9/9a RV 43/91 - SozR 3-3660 § 1 Nr 1 und vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3). Eine gebundene und keine Ermessensentscheidung läge nur dann vor, wenn ausnahmsweise nur eine bestimmte Entscheidung rechtmäßig wäre, wenn sich also das Ermessen durch "Verdichtung der Ermessensgrenzen" auf Null reduziert hätte und jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre (BSG Urteil vom 20.5.2014 - B 10 EG 2/14 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 27 RdNr 29; BVerwG Urteil vom 23.1.1975 - III C 40.74 - Buchholz 427.3. § 335a LAG Nr 54). Nur dann läge eine umdeutbare Entscheidung vor. Dass die Komplettrücknahme des zahlungsanspruchsgewährenden Verwaltungsakts im Rentenbescheid vom 8.4.2011 die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensschrumpfung auf Null), ist angesichts der "Gutgläubigkeit" der Klägerin (vgl dazu BSG Urteil vom 11.2.2015 - B 13 R 15/13 R - Juris RdNr 12) und der Möglichkeit, eine zeitlich, summen- oder quotenmäßig differenzierte Rücknahmeentscheidung zu treffen (vgl dazu Waschull in Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Aufl 2011, § 45 RdNr 61; ders in Fichte/Plagemann/Waschull, Sozialverwaltungsverfahrensrecht, 2008, § 4 RdNr 180), von vornherein auszuschließen.

38

Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 13.11.2012 das öffentliche "Interesse an der Rückzahlung" mit den "privaten Interessen" der Klägerin abgewogen hat. Diese pauschalen Ausführungen der Widerspruchsstelle, die sich als überschießende Begründung darstellen, sich dabei im Kern auf den Erstattungsanspruch und die damit verbundene "Rückzahlung" bzw den "Rückforderungsanspruch" beziehen und damit vordergründig auf der Ebene des Haushaltswesens und der Forderungsdurchsetzung bewegen (§ 76 Abs 2 SGB IV), genügen weder zeitlich noch inhaltlich für eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I) im Rahmen des § 45 Abs 1 SGB X. Zwar haben die §§ 45, 48 SGB X denselben Ausgangspunkt (der Erlass des jeweiligen Aufhebungs- bzw Rücknahmebescheids teilt Vergangenheit und Zukunft); beide Vorschriften haben in der Vergangenheit jedoch verschiedene Bezugspunkte, sodass sich etwaige Ermessenserwägungen notwendigerweise auf verschiedene Zeiträume beziehen: Im Rahmen des § 48 SGB X ist dies der Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, während es im Rahmen des § 45 SGB X auf den Erlasszeitpunkt des rechtswidrigen Verwaltungsakts ankommt. Deshalb braucht auf die Frage, ob die Umdeutung einer Ermessensentscheidung in eine andere Ermessensentscheidung überhaupt denkbar ist (vgl dazu Krause, aaO, § 43 RdNr 25; Laubinger, VerwArch, 1987, 365; Schenke, DVBl 1987, 650; Schütze in von Wulffen/Schütze, 8. Aufl 2014, § 43 RdNr 12; Steinwedel, KassKomm, SGB X, § 43 RdNr 18, Stand 7/2011; Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 43 RdNr 16; zweifelnd Littmann in: Hauck/Noftz, SGB X, K § 43 RdNr 28, Stand X/2009; Wirth, Umdeutung fehlerhafter Verwaltungsakte, 1999, S 208), nicht weiter eingegangen zu werden.

39

d) Da die Klage bereits aus anderen Gründen Erfolg hat, kann schließlich auch dahingestellt bleiben, ob die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen beiden Verwaltungsakte im Bescheid vom 23.5.2012 gemäß § 42 S 2 iVm S 1 SGB X auch aus formellen Gründen beanspruchen kann, weil die nach § 24 Abs 1 SGB X erforderlichen Anhörungen unterblieben und nicht wirksam nachgeholt(§ 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X) worden sind (vgl Senatsurteil vom 4.12.2014 - B 5 RE 12/14 R - SozR 4-2600 § 165 Nr 1 RdNr 17).

40

Da somit der (Gegen-)Verwaltungsakt im Bescheid vom 23.5.2012 gerichtlich aufzuheben ist, entfällt gleichzeitig die Anwendbarkeit von § 50 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 S 1 SGB X als einzig in Betracht kommende Grundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch.

41

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Soweit ein Erstattungsanspruch besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt.

(2) Hat der Berechtigte Ansprüche gegen mehrere Leistungsträger, gilt der Anspruch als erfüllt, den der Träger, der die Sozialleistung erbracht hat, bestimmt. Die Bestimmung ist dem Berechtigten gegenüber unverzüglich vorzunehmen und den übrigen Leistungsträgern mitzuteilen.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Soweit ein Erstattungsanspruch besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt.

(2) Hat der Berechtigte Ansprüche gegen mehrere Leistungsträger, gilt der Anspruch als erfüllt, den der Träger, der die Sozialleistung erbracht hat, bestimmt. Die Bestimmung ist dem Berechtigten gegenüber unverzüglich vorzunehmen und den übrigen Leistungsträgern mitzuteilen.

(1) Für Versicherte, die

1.
Rente wegen voller Erwerbsminderung oder Vollrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung,
2.
Ruhegehalt, das nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen gezahlt wird,
3.
Vorruhestandsgeld nach § 5 Abs. 3,
4.
Leistungen, die ihrer Art nach den in den Nummern 1 und 2 genannten Leistungen vergleichbar sind, wenn sie von einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung oder einer staatlichen Stelle im Ausland gezahlt werden,
5.
Leistungen, die ihrer Art nach den in den Nummern 1 und 2 genannten Leistungen vergleichbar sind, wenn sie nach den ausschließlich für das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet geltenden Bestimmungen gezahlt werden,
beziehen, endet ein Anspruch auf Krankengeld vom Beginn dieser Leistungen an; nach Beginn dieser Leistungen entsteht ein neuer Krankengeldanspruch nicht. Ist über den Beginn der in Satz 1 genannten Leistungen hinaus Krankengeld gezahlt worden und übersteigt dieses den Betrag der Leistungen, kann die Krankenkasse den überschießenden Betrag vom Versicherten nicht zurückfordern. In den Fällen der Nummer 4 gilt das überzahlte Krankengeld bis zur Höhe der dort genannten Leistungen als Vorschuß des Trägers oder der Stelle; es ist zurückzuzahlen. Wird eine der in Satz 1 genannten Leistungen nicht mehr gezahlt, entsteht ein Anspruch auf Krankengeld, wenn das Mitglied bei Eintritt einer erneuten Arbeitsunfähigkeit mit Anspruch auf Krankengeld versichert ist.

(2) Das Krankengeld wird um den Zahlbetrag

1.
der Altersrente, der Rente wegen Erwerbsminderung oder der Landabgaberente aus der Alterssicherung der Landwirte,
2.
der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung oder der Teilrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung,
3.
der Knappschaftsausgleichsleistung oder der Rente für Bergleute oder
4.
einer vergleichbaren Leistung, die von einem Träger oder einer staatlichen Stelle im Ausland gezahlt wird,
5.
von Leistungen, die ihrer Art nach den in den Nummern 1 bis 3 genannten Leistungen vergleichbar sind, wenn sie nach den ausschließlich für das in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiets geltenden Bestimmungen gezahlt werden,
gekürzt, wenn die Leistung von einem Zeitpunkt nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der stationären Behandlung an zuerkannt wird.

(1) Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

(2) Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten gegenüber den Trägern der Eingliederungshilfe, der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe nur von dem Zeitpunkt ab, von dem ihnen bekannt war, dass die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht vorlagen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. April 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen, soweit es die Erstattungspflicht des Klägers betrifft.

Im Übrigen wird auch das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 21. Januar 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Höhe des Elterngeldes des Klägers.

2

Der Kläger ist selbstständiger Fernsehredakteur. Auf seinen Antrag bewilligte ihm das Versorgungsamt Köln mit Bescheid vom 3.9.2007 für den 6. und 12. Lebensmonat seines am 13.4.2007 geborenen Sohnes (13.9. bis 12.10.2007 und 13.3. bis 12.4.2008) vorläufig Elterngeld in Höhe von monatlich 1800 Euro unter Hinweis auf § 8 Abs 3 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG). Der Bemessung wurde die vom Kläger vorgelegte betriebswirtschaftliche Auswertung für das Jahr 2006 zugrunde gelegt, die ein Jahresergebnis von 80 668 Euro vor Steuern aufwies. Die Berechnung ist überschrieben mit "Ermittlung des Elterngeldes, sofern nach der Geburt keine Erwerbseinkünfte erzielt werden". Hinweise über eine mögliche Erstattungspflicht enthält der Bescheid nicht.

3

In den Elterngeldbezugszeiträumen erzielte der Kläger nach der Aufstellung seiner Steuerberaterin Überschüsse (Betriebseinnahmen abzüglich Betriebsausgaben) von insgesamt 11 912,85 Euro, im Wesentlichen für im August 2007 und im Februar 2008 geleistete Arbeiten. Nach Abzug der für 2007 und 2008 festgesetzten Steuervorauszahlungen verblieb ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 2501,05 Euro.

4

Mit Bescheid vom 8.1.2009 setzte der inzwischen zuständig gewordene beklagte Kreis das Elterngeld für die beiden Bezugsmonate endgültig auf je 300 Euro fest und verlangte eine Erstattung des überzahlten Betrages in Höhe von 3000 Euro (2 x 1800 = 3600 abzüglich 2 x 300 = 600 Euro). Den Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung Münster mit Widerspruchsbescheid vom 12.6.2009 zurück.

5

Das vom Kläger daraufhin angerufene Sozialgericht Köln (SG) hat den Bescheid vom 8.1.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.6.2009 aufgehoben (Urteil vom 21.1.2010). Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat die dagegen eingelegte Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 12.4.2011). Diese Entscheidung ist im Wesentlichen wie folgt begründet worden:

Der Kläger sei für den 6. und 12. Lebensmonat seines Sohnes dem Grunde nach zum Bezug von Elterngeld berechtigt. Die Voraussetzungen des § 1 BEEG lägen vor. Auch der Höhe nach habe der Kläger für die streitbefangenen Monate Anspruch auf Elterngeld von mehr als 300 Euro monatlich. Die vom Beklagten verfügte Absenkung des Elterngeldbetrages auf den gesetzlichen Mindestbetrag sei daher ebenso rechtswidrig wie die Rückforderung von Elterngeld. Der Berechnung des Elterngeldes des Klägers sei § 2 Abs 1 S 1 und nicht Abs 3 S 1 der Vorschrift zugrunde zu legen, denn der Kläger habe in den Bezugsmonaten kein zu berücksichtigendes Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt, obwohl in diesen Zeiträumen Zahlungen von 7044 Euro bzw 2975 Euro auf seinem Konto eingegangen seien. Denn diese Beträge seien ausdrücklich für Aufträge gezahlt worden, die der Kläger in dem Zeitraum vor dem jeweiligen Elterngeldbezug abgeschlossen und abgerechnet habe. Anders als es der Beklagte meine, genügten allein tatsächliche Einnahmen im Bezugszeitraum für vorher erbrachte Leistungen nicht, um das Tatbestandsmerkmal des Erzielens von Einkommen nach § 2 Abs 3 S 1 BEEG zu erfüllen, wenn der Elterngeldberechtigte - wie hier - im Bezugszeitraum keine Erwerbstätigkeit ausübe. Dies folge aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschriften.

6

§ 2 Abs 3 S 1 BEEG betreffe nach seinem Wortlaut Monate nach der Geburt mit Elterngeldbezug, in denen die berechtigte Person ein Einkommen "aus Erwerbstätigkeit" erzielt. Dieser Wortlaut lasse sich unterschiedlich verstehen: Einerseits so, dass es genüge, wenn ein Elterngeldberechtigter in den Monaten nach der Geburt mit Elterngeldbezug Einnahmen erhalte, möge die Erwerbstätigkeit auch bereits vorher ausgeübt worden sein, andererseits so, dass mit dem Ausdruck "Monate nach der Geburt" eine Beschränkung auf die Erzielung von Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit gemeint sei, die nach der Geburt im Bezugszeitraum ausgeübt werde. Für die letztgenannte Auslegung spreche die systematische Betrachtung. § 2 Abs 3 S 1 BEEG ordne zum Zweck der Elterngeldberechnung die Bildung der Differenz zwischen dem in den Monaten nach der Geburt durchschnittlich erzielten Einkommen aus Erwerbstätigkeit und dem nach § 2 Abs 1 BEEG berücksichtigten durchschnittlich erzielten Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt an. Dieser Gegenüberstellung sei zu entnehmen, dass § 2 Abs 3 S 1 BEEG mit nach der Geburt erzieltem Einkommen spiegelbildlich nur Einkommen aus Erwerbstätigkeit nach der Geburt im Bezugszeitraum des Elterngeldes meine. Entscheidend sei mithin, ob das Einkommen im Bezugszeitraum erarbeitet worden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den Begriff des "Erzielens" im BEEG im Sinne der sog modifizierten Zuflusstheorie verwendet habe. Nach dieser Rechtsprechung sei das Entgelt abhängig Beschäftigter in dem Monat erzielt worden, für den es gezahlt worden sei, selbst wenn es erst nachträglich in Erfüllung des Arbeitsvertrages ausgezahlt werde. Diese Rechtsprechung müsse jedenfalls auf selbstständig Tätige, wie den Kläger, übertragen werden, bei denen sich das erwirtschaftete Einkommen eindeutig festen Zeiträumen zuordnen lasse.

7

Demgegenüber sei es nicht entscheidend, dass die Einkommensberechnung bei Selbstständigen auf der Grundlage anderer Vorschriften erfolge als bei abhängig Beschäftigten, nämlich ausgehend von dem nach § 2 Abs 8 S 1 und 2 oder Abs 9 BEEG ermittelten Gewinn. Aus § 2 Abs 8 S 2 BEEG lasse sich nicht auf die allgemeine Geltung des steuerrechtlichen Zuflussprinzips für Selbstständige im Elterngeldrecht schließen, denn das BEEG nehme nicht Bezug auf § 11 Einkommensteuergesetz (EStG), wonach Einnahmen innerhalb des Kalenderjahres "bezogen" sind, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind.

8

Das vom BSG für die Anwendung des modifizierten Zuflussprinzips bei abhängig Beschäftigten angeführte Argument, nur so seien Zufallsergebnisse zu vermeiden, treffe ebenfalls auf den Fall des Klägers und vergleichbarer selbstständig tätiger Elterngeldberechtigter zu. Es hänge häufig allein von Zufällen ab, wann ein Auftraggeber für eine in einem bestimmten Monat erbrachte Leistung zahle. Folge man demgegenüber der Auslegung des Beklagten, öffne dies Tür und Tor für Manipulationsmöglichkeiten der Elterngeldberechtigten, die dem Zweck des Elterngeldes gerade zuwider liefen. Die Anwendung des steuerrechtlichen Zuflussprinzips brächte die Gefahr mit sich, dass selbstständig tätige Elterngeldberechtigte während des Elterngeldbezugs im vom Gesetz erlaubten Rahmen von 30 Wochenstunden oder - ohne wirksame Kontrollmöglichkeit der Elterngeldbehörden - sogar darüber hinaus erwerbstätig blieben. Durch Abrede mit dem Auftraggeber könnten sie dabei den Zufluss ihrer Einnahmen aus dieser Tätigkeit gezielt auf die Monate nach Ablauf des Elterngeldbezuges verschieben.

9

Schließlich gehe der Hinweis des Beklagten fehl, angesichts des hohen Zuflusses an geschuldeten Leistungen in den Bezugsmonaten des Elterngeldes habe ein Bedarf des Klägers nicht mehr bestanden. Das Elterngeld sei nämlich keine bedarfsabhängige Sozialleistung. Der Senat sehe sich demgegenüber durch die inzwischen in Kraft getretene Neuregelung des § 2 Abs 7 S 2 BEEG idF des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 in seiner Auffassung bestärkt. Zwar habe der Gesetzgeber darin angeordnet, im Lohnsteuerabzugsverfahren als sonstige Bezüge behandelte Einnahmen nicht zu berücksichtigen. Er habe jedoch in Kenntnis der Diskussion um das Zuflussprinzip im Elterngeldrecht davon abgesehen, dieses Prinzip ausdrücklich und ausnahmslos zu verankern. Dafür hätte es einer Regelung bedurft, die auf den Zufluss genau im Bemessungs- bzw Bezugszeitraum und nicht im Kalenderjahr abstelle. In Bezug auf selbstständig Tätige habe der Gesetzgeber im Übrigen gar keine neue Regelung getroffen, sodass es auch nach der gesetzlichen Neuregelung ohnehin bei dem hier zugrunde zu legenden Rechtszustand bleibe.

10

Mit seiner - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 2 BEEG. Durch die in § 2 Abs 8 S 1 und 2 BEEG verwendeten steuerlichen Begriffe "Gewinn" und "Einnahme-Überschuss-Rechnung" stelle das BEEG eine eindeutige Verknüpfung zum Steuerrecht her. Ausdrücklich verlange das Gesetz, dass der Gewinn zu ermitteln sei, "wie er sich aus einer mindestens den Anforderungen des § 4 Abs 3 EStG entsprechenden Berechnung ergibt". Dieser Wortlaut lasse sich sinnvollerweise nur in der Weise verstehen, dass auch die zeitliche Zuordnung nach steuerrechtlichen Regeln erfolgen solle, da andernfalls der ausdrückliche Hinweis auf die Anforderung des § 4 Abs 3 EStG entbehrlich gewesen wäre. Einer zusätzlichen Bezugnahme auf die Regeln des Zuflussprinzips des § 11 EStG bedürfe es vor diesem Hintergrund nicht.

11

Entgegen der Einschätzung des Berufungsgerichts gebe es klare Hinweise auf die Absicht des Gesetzgebers, sich bei der Ermittlung des Einkommens an steuerrechtlichen Vorgaben zu orientieren. Dafür spreche insbesondere der Umstand, dass der im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehene eigenständige elterngeldrechtliche Einkommensbegriff im Laufe des parlamentarischen Verfahrens durch den jetzigen Einkommensbegriff ersetzt worden sei. Vor diesem Hintergrund erscheine auch die Annahme des LSG nicht gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber durch die Auswahl der Regelungsgegenstände im Haushaltsbegleitgesetz 2011 eine Rechtsauslegung stützen wolle, die der gesetzgeberischen Zielsetzung eines möglichst praktikablen Elterngeldvollzugs zuwiderlaufe.

12

Zutreffend führe das LSG zwar aus, dass es das Ziel des Elterngeldes sei, das Einkommen vor der Geburt zu ersetzen. Eine andere Zielsetzung, die im Gesetzgebungsverfahren deutlich zum Ausdruck gekommen sei, sei allerdings das Bestreben, den Elterngeldvollzug und insbesondere die elterngeldrechtliche Einkommensermittlung möglichst praktikabel zu gestalten. Dazu erscheine eine starke Orientierung am steuerlichen Einkommensbegriff erforderlich. Auch gesetzessystematische Erwägungen sprächen dafür, dass bei der elterngeldrechtlichen Einkommensermittlung die zeitliche Zuordnung von Einnahmen grundsätzlich nach steuerrechtlichen Regeln erfolge. Eine andere Auslegung würde zur Funktionslosigkeit der Regelungen, insbesondere in § 2 Abs 7 S 4 und § 2 Abs 8 S 2 BEEG, über die als maßgeblich zu berücksichtigenden Nachweise führen. Sollte nämlich die zeitliche Zuordnung von Einnahmen im Elterngeldrecht anderen Regeln folgen als im Steuerrecht, so könnten die Angaben aus den Lohn- und Gehaltsbescheinigungen und aus der Einnahme-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs 3 EStG nicht zur Grundlage der Einkommensermittlung genommen werden, weil ihnen dann keine Richtigkeits- und Vollständigkeitsvermutung beigemessen werden könnte.

13

Die vom LSG verfolgte Auslegung sei zudem mit einer Reihe von Folgeproblemen verbunden. Das Gericht vertrete lediglich die Auffassung, dass die steuerlichen Regeln der zeitlichen Zuordnung nicht gelten würden, ohne jedoch spezifisch elterngeldrechtliche Kriterien zu nennen, anhand deren die zeitliche Zuordnung dann zu erfolgen habe. Soweit das LSG seine Rechtsauffassung durch die Rechtsprechung des BSG zum modifizierten Zuflussprinzip bei nichtselbstständiger Arbeit bestätigt sehe, sei diese Schlussfolgerung nicht überzeugend. Es bestünden zwischen Einkommen aus selbstständiger und nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit Unterschiede von solchem Gewicht, die eine Gleichbehandlung beider Einkommensarten nicht als notwendigerweise passend erscheinen ließen. So seien Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit im Unterschied zu Einnahmen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit nicht in gleicher Weise eindeutig zeitlich zuzuordnen, da die Vergütung selbstständiger Erwerbstätigkeit nicht notwendigerweise zeitbezogen erfolge.

14

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.4.2011 und das Urteil des SG Köln vom 21.1.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

15

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

16

Er schließt sich dem angefochtenen Urteil an. Ergänzend vertritt er die Auffassung, dass eine unterschiedliche Auslegung des Begriffs des "Erzielens", wie sie der Beklagte für zutreffend halte, je nachdem, ob es sich um einen abhängig Beschäftigten oder einen selbstständig Tätigen handele, gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz verstieße. Denn ein sachlicher Grund sei insoweit nicht ersichtlich.

17

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

18

Die Revision des Beklagten ist zulässig und begründet.

19

Einer Sachentscheidung durch das Revisionsgericht stehen keine verfahrensrechtlichen Hindernisse entgegen. Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Auch die Klage ist zulässig und zwar, wovon auch die Vorinstanzen ausgegangen sind, als reine Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 1 S 1 SGG. Allerdings richtet sie sich nach dem richtig verstandenen Rechtsschutzziel des Klägers nicht - wie die Vorinstanzen angenommen haben - auf die vollständige, sondern nur auf eine teilweise Aufhebung des Bescheides vom 8.1.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.6.2009. Dieser Bescheid enthält mehrere Regelungen (s § 31 SGB X),also auf unmittelbare Rechtswirkungen nach außen gerichtete Entscheidungen des Beklagten. Erstens nimmt er eine endgültige Festsetzung des Anspruchs auf Elterngeld vor. Rechtstechnisch handelt es sich dabei um die Aufhebung der mit dem Bescheid vom 3.9.2007 als Nebenbestimmung nach § 32 Abs 1 SGB X verbundenen Erklärung der Vorläufigkeit. Zweitens setzt der Bescheid vom 8.1.2009 das Elterngeld auf 300 Euro monatlich fest und drittens begründet er die Verpflichtung des Klägers zur Erstattung der rechnerischen Überzahlung von 3000 Euro. Sinnvollerweise anzufechten sind aus der Sicht des Klägers nur die zweite und dritte Regelung des Bescheides. Würden sie aufgehoben, erstarkte wegen der verbleibenden Aufhebung des Vorläufigkeitsvorbehalts die mit dem Bescheid vom 3.9.2007 bestimmte Höhe des Elterngeldanspruchs des Klägers von monatlich 1800 Euro zu einer endgültigen Festsetzung.

20

Das Berufungsurteil des LSG kann insgesamt keinen Bestand haben. Soweit das SG den Bescheid vom 8.1.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.6.2009 auch insoweit aufgehoben hat, als es den Wegfall der im Bescheid vom 3.9.2007 angeordneten Vorläufigkeit betrifft, hätte das erstinstanzliche Urteil schon deshalb nicht vom LSG bestätigt werden dürfen, weil das SG dabei über das richtig verstandene Klagebegehren (vgl § 123 SGG) des Klägers hinausgegangen ist. Ferner ist der angefochtene Verwaltungsakt entgegen der Auffassung der Vorinstanzen rechtmäßig, soweit er den Anspruch des Klägers auf Elterngeld für die beiden Bezugsmonate endgültig auf jeweils 300 Euro festgesetzt hat. Hinsichtlich der des Weiteren erfolgten Rückforderung einer Überzahlung von 3000 Euro kann die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung wegen fehlender Tatsachenfeststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden. In diesem Umfang ist die Sache mithin zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).

21

Die Klage ist nicht deshalb begründet, weil der Bescheid vom 8.1.2009 formal rechtswidrig wäre. Soweit vor Erlass dieses Verwaltungsaktes überhaupt eine Anhörung des Klägers erforderlich war (vgl dazu § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X), ist ihr Unterlassen jedenfalls deshalb gemäß § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X unbeachtlich, weil sie im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt worden ist(vgl Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 41 RdNr 15).

22

Die Klage ist unbegründet, soweit sich der Kläger gegen die Höhe seines mit Bescheid vom 8.1.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.6.2009 festgestellten Elterngeldanspruchs für den sechsten und zwölften Lebensmonat des Kindes wendet. Die Ermächtigung zu einer von dem Bescheid vom 3.9.2007 abweichenden Regelung ergibt sich aus dem gemäß § 8 Abs 3 BEEG zulässigen Vorbehalt der Vorläufigkeit der mit diesem Bescheid erfolgten Bewilligung. Nach dieser Vorschrift (in der hier einschlägigen Fassung vom 5.12.2006, BGBl I 2748) wird Elterngeld bis zum Nachweis des tatsächlich erzielten Einkommens aus Erwerbstätigkeit vorläufig unter Berücksichtigung des glaubhaft gemachten Einkommens gezahlt, wenn das vor der Geburt erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit nicht ermittelt werden kann oder nach den Angaben im Antrag im Bezugszeitraum voraussichtlich Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt wird. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Am 3.9.2007 war insbesondere noch nicht abzusehen, ob und ggf in welcher Höhe der Kläger in den beiden Bezugsmonaten (13.9. bis 12.10.2007 und 13.3. bis 12.4.2008) Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielen würde.

23

Der Beklagte hat dem Kläger ohne Rechtsverstoß für die beiden Bezugsmonate (endgültig) Elterngeld in Höhe von jeweils 300 Euro bewilligt. Ein Anspruch des Klägers auf höhere Leistungen besteht nicht.

24

Der Anspruch des Klägers auf Elterngeld während der Betreuung seines Sohnes richtet sich nach dem BEEG idF vom 5.12.2006 (BGBl I 2748). Soweit die späteren Änderungen des BEEG (erstmals durch das Gesetz vom 19.8.2007 - BGBl I 1970) überhaupt die den streitigen Anspruch berührenden Bestimmungen der §§ 1 und 2 BEEG betreffen, sind sie im vorliegenden Verfahren nicht anwendbar. Die durch das Gesetz vom 19.8.2007 erfolgte Änderung betraf den hier nicht einschlägigen Abs 7 des § 1 BEEG. Bei der ersten Änderung des § 2 BEEG durch das Gesetz vom 17.1.2009 (BGBl I 61) mit Wirkung zum 24.1.2009 war der letzte Elterngeldzahlungszeitraum bereits abgeschlossen (s BSG Urteil vom 18.8.2011 - B 10 EG 5/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 27 mwN), sodass die Neufassung des Gesetzes den vorliegend zu beurteilenden Anspruch des Klägers nicht erfasst.

25

Nach § 1 Abs 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld, wer

1.    

seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,

2.    

mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,

3.    

dieses Kind selbst betreut und erzieht und

4.    

keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.

26

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die für das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG bindend sind, hat der Kläger im sechsten und zwölften Lebensmonat seines Sohnes diese Voraussetzungen erfüllt.

27

Für die Höhe des Elterngeldanspruchs des Klägers ist § 2 BEEG maßgebend. Nach dessen Abs 1 S 1 wird Elterngeld in Höhe von 67 % des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Als Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist nach § 2 Abs 1 S 2 BEEG die Summe der positiven Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und nichtselbstständiger Arbeit iS von § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 4 EStG nach Maßgabe der Abs 7 bis 9 zu berücksichtigen. Gemäß § 2 Abs 3 S 1 BEEG wird für Monate nach der Geburt des Kindes, in denen die berechtigte Person ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt, das durchschnittlich geringer ist als das nach Abs 1 berücksichtigte durchschnittlich erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt, Elterngeld in Höhe des nach Abs 1 (oder 2) maßgeblichen Prozentsatzes des Unterschiedsbetrages dieser durchschnittlich erzielten monatlichen Einkünfte aus Erwerbstätigkeit gezahlt. Die weiter maßgebenden Bestimmungen enthält bei Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit § 2 Abs 7 BEEG, während für Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbstständiger Arbeit die Abs 8 und 9 des § 2 BEEG gelten.

28

Für die Berechnung des Elterngeldes des Klägers ist § 2 Abs 3 BEEG einschlägig, weil der Kläger in den beiden Bezugsmonaten (sechster und zwölfter Lebensmonat seines Sohnes) Einkommen aus (selbstständiger) Erwerbstätigkeit erzielt hat.

29

Zutreffend hat das LSG darauf hingewiesen, dass der nach § 2 Abs 3 S 1 BEEG maßgebliche Begriff des "Erzielens von Einkommen aus Erwerbstätigkeit" allein vom Wortlaut her unterschiedlich verstanden werden kann, und zwar entweder im Sinne eines tatsächlichen Zuflusses des Einkommens (Zuflussprinzip) oder in dem Sinne, dass in dem maßgeblichen Zeitraum auch die Erwerbstätigkeit, mit der das Einkommen erwirtschaftet oder erarbeitet worden ist, ausgeübt worden sein muss (sog modifiziertes Zuflussprinzip).

30

Für das Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit im Bemessungszeitraum vor der Geburt des Kindes hat der erkennende Senat inzwischen mehrfach entschieden, dass ein Einkommen auch dann im Bemessungszeitraum erzielt ist, wenn es in diesem Zeitraum erarbeitet aber erst nach dessen Ablauf in Folge nachträglicher Vertragserfüllung durch den Arbeitgeber ausgezahlt worden ist (BSG Urteile vom 30.9.2010 - B 10 EG 19/09 R - BSGE 107, 18 = SozR 4-7837 § 2 Nr 6; vom 18.8.2011 - B 10 EG 5/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Dieses für Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit entwickelte modifizierte Zuflussprinzip ist indes nicht auf Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit anzuwenden. Ein solches Einkommen ist in dem Zeitraum erzielt, in dem es dem Elterngeldberechtigten tatsächlich zugeflossen ist. Hierfür sind folgende Gründe maßgebend:

Gesetzessystematisch betrachtet wird der Begriff des Erzielens von Einkommen in der allgemeinen Regelung des § 2 Abs 1 S 1 BEEG ohne Differenzierung nach Einkunftsarten(vgl dazu § 2 Abs 1 S 2 BEEG iVm § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 4 EStG) gebraucht. Für das Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständige Arbeit erhält er in § 2 Abs 8 und 9 BEEG jedoch eine besonders deutliche steuerrechtliche Ausprägung. Nach § 2 Abs 8 S 2 BEEG ist auf den Gewinn abzustellen, wie er sich aus einer mindestens den Anforderungen des § 4 Abs 3 EStG entsprechenden Berechnung ergibt. Demzufolge ist insoweit der Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben im steuerrechtlichen Sinne maßgebend. Noch eindeutiger ist der Bezug auf das Steuerrecht in § 2 Abs 9 BEEG verankert. Nach Satz 1 dieser Bestimmung gilt als vor der Geburt des Kindes durchschnittlich erzieltes monatliches Einkommen aus der Erwerbstätigkeit der durchschnittlich monatlich erzielte Gewinn, wie er sich aus dem für den letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum ergangenen Steuerbescheid ergibt. Demgegenüber verweist § 2 Abs 9 S 3 BEEG für die Ermittlung zeitgleich erzielten Einkommens aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit auf die Regelung des § 2 Abs 7 BEEG, wonach gerade nicht auf den Steuerbescheid zurückzugreifen ist.

31

Der Senat hat im Rahmen seiner Rechtsprechung zum modifizierten Zuflussprinzip bei Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit bereits darauf hingewiesen, dass für Einkommen aus selbstständiger Arbeit in § 2 Abs 8 und 9 BEEG eigenständige Regelungen geschaffen sind, die den Besonderheiten dieser Einkunftsarten Rechnung tragen und Rückschlüsse auf die Auslegung des § 2 Abs 7 BEEG nicht zulassen(Urteil vom 30.9.2010, aaO, RdNr 31; Urteil vom 18.8.2011, aaO, RdNr 26).

32

Auch sonst kann sich das LSG für die von ihm für richtig gehaltene Anwendung des modifizierten Zuflussprinzips auch auf Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit nicht auf die Rechtsprechung des BSG berufen. Das vom BSG verfolgte Ziel der Vermeidung von Zufallsergebnissen durch Anwendung des modifizierten Zuflussprinzips hat nur bei Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit Bedeutung. Denn bei abhängig Beschäftigten ist die regelmäßige und zeitnahe Zahlung der Gehälter durch die Arbeitgeber der Regelfall, deren verspätete Zahlung dagegen die Ausnahme. Bei Einkünften aus selbstständiger Arbeit ist das Gegenteil der Fall. Hier ist die unregelmäßige Bezahlung von erbrachten Leistungen die Regel. Darauf hat zB Dau (juris PR-SozR 1/2012 Anm 4) deutlich hingewiesen. Auch sonst bestehen zwischen beiden Einkunftsarten gewichtige Unterschiede. Während bei Arbeitnehmern das vor der Geburt des Kindes laufend erzielte Arbeitsentgelt regelmäßig wegfällt oder sinkt, sobald sie "keine oder keine volle Erwerbstätigkeit" mehr ausüben, um ihr Kind zu betreuen, sind bei Selbstständigen tatsächliche Erwerbstätigkeit und Einkommensverlust nicht so eng verknüpft. Auch wenn sie ihre Arbeit unterbrechen, werden ihnen zumeist noch Betriebseinnahmen zufließen und weitere Betriebsausgaben entstehen. Diese Gegebenheiten rechtfertigen es, für Einkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit das modifizierte Zuflussprinzip anzuwenden (BSG Urteile vom 30.9.2010 und 18.8.2011, aaO), für Einkommen aus selbstständiger Arbeit hingegen am strengen Zuflussprinzip des Steuerrechts festzuhalten (vgl Dau, aaO).

33

Soweit der Kläger meint, die Anwendung des modifizierten Zuflussprinzips sei jedenfalls bei Selbstständigen wie ihm, die zeitbezogene Arbeiten erbringen und abrechnen, geboten, verfängt diese Argumentation nicht. § 2 Abs 1 S 2 iVm Abs 7 bis 9 BEEG unterscheidet nur zwischen den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit einerseits und aus nichtselbstständiger Arbeit andererseits. Eine vom Kläger für möglich angesehene Differenzierung innerhalb der Einkünfte aus selbstständiger Arbeit danach, ob die Tätigkeit mehr oder weniger zeitbezogen ausgeübt wird, ist somit ausgeschlossen. Sie wäre auch kaum praktikabel.

34

Die unterschiedliche Behandlung von Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit einerseits und nichtselbstständiger Arbeit andererseits verstößt nach Auffassung des erkennenden Senats nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG.

35

Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dem Gesetzgeber ist damit aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Er hat gerade auch im Bereich des Sozialrechts, wozu die Bestimmungen über das Elterngeld im ersten Abschnitt des BEEG gehören (§ 6, § 25 Abs 2 S 2, § 68 Nr 15a SGB I), einen weiten Gestaltungsspielraum. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG ist grundsätzlich erst dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (stRspr des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - seit BVerfGE 55, 72, 88; vgl jüngst BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55; BVerfGE 117, 272, 300 f = SozR 4-2600 § 58 Nr 7 RdNr 70). Ebenso verbietet Art 3 Abs 1 GG auch die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem, insbesondere die Gleichbehandlung einer Gruppe von Normadressaten mit einer anderen, obwohl zwischen beiden Gruppen gewichtige Unterschiede bestehen, die deren Gleichbehandlung als sachwidrig erscheinen lassen (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl 2011, Art 3 RdNr 8 mwN).

36

Durch die dargestellte andersartige Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Elterngeldes infolge der Anwendung der modifizierten Zuflusstheorie bei Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit einerseits und der strengen Zuflusstheorie bei Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit andererseits werden die betroffenen Personengruppen rechtlich unterschiedlich behandelt. Diese unterschiedliche Behandlung ist indes sachlich gerechtfertigt, da insbesondere die Ausübung der jeweiligen Erwerbstätigkeit sowie die Art der Erzielung des Einkommens wesentlich voneinander abweichen.

37

Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ergibt sich unter Berücksichtigung des vom Kläger im sechsten und zwölften Lebensmonat seines Sohnes erzielten Einkommens ein Anspruch des Klägers auf Elterngeld lediglich in Höhe des monatlichen Basisbetrages von 300 Euro. Einwände gegen die rechnerische Richtigkeit der vom Beklagten vorgenommenen Bemessung sind vom Kläger nicht vorgebracht worden. Mängel sind auch nicht ersichtlich. Die nach § 2 Abs 3 BEEG vorzunehmende Differenzberechnung ergibt, dass ein zu berücksichtigendes Einkommen des Klägers zwar vorhanden ist, aber zu keinem höheren Zahlbetrag als monatlich 300 Euro führt. Angesichts des Einkommens des Klägers vor der Geburt des Kindes ist davon auszugehen, dass insoweit gemäß § 2 Abs 3 S 2 BEEG der monatliche Höchstbetrag von 2700 Euro anzusetzen ist. In den Bezugsmonaten des Elterngeldes hat der Kläger bei Anwendung des insoweit maßgeblichen Zuflussprinzips nach den Tatsachenfeststellungen des LSG jeweils ein zu berücksichtigendes Einkommen von durchschnittlich 2501,05 Euro gehabt. Ausgehend von der verbleibenden Differenz von 198,95 Euro ergibt sich bei einem Leistungssatz von 67 % kein den Elterngeldmindestbetrag von 300 Euro monatlich übersteigender Zahlbetrag.

38

Die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Feststellung einer Pflicht des Klägers, den überzahlten Elterngeldbetrag von 3000 Euro zu erstatten, vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Sachstand nicht zu bestätigen.

39

Eine Pflicht zur Erstattung des nach Maßgabe der endgültigen Feststellung überzahlten Elterngeldes ist in § 8 Abs 3 BEEG nicht geregelt. Auf die allgemeinen Erstattungsbestimmungen in § 50 SGB X kann ebenfalls nicht ohne Weiteres zurückgegriffen werden. § 50 Abs 1 SGB X ist nicht einschlägig, weil bei einer endgültigen Leistungsbewilligung der Verwaltungsakt über die vorläufige Zahlung nicht aufzuheben ist; vielmehr erledigt sich dieser damit iS von § 39 Abs 2 SGB X auf andere Weise(vgl Buchner/Becker, MuSchG/BEEG, 8. Aufl 2008, § 8 BEEG RdNr 16; Jaritz in Roos/Bieresborn, MuschG, Stand Dezember 2011, § 8 BEEG RdNr 15; allg dazu auch BSGE 96, 119 = SozR 4-2500 § 240 Nr 5, RdNr 12 mwN). Ebenso wenig sind die Voraussetzungen des § 50 Abs 2 SGB X gegeben, weil das Elterngeld dem Kläger nicht ohne Verwaltungsakt, sondern aufgrund des Bescheides vom 3.9.2007 vorläufig erbracht worden ist.

40

Da § 50 Abs 1 SGB X grundsätzlich eine Aufhebungsentscheidung nach § 45 oder § 48 SGB X voraussetzt, während § 50 Abs 2 S 2 SGB X eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmungen anordnet, kann dem Zusammenspiel beider Regelungen entnommen werden, dass einer Leistungsrückforderung - wenn nicht Spezialregelungen etwas anderes vorschreiben - an irgendeiner Stelle des Verfahrens eine Vertrauensschutz- und/oder Ermessensprüfung iS der §§ 45, 48 SGB X voranzugehen hat(vgl Steinwedel in KasselerKomm, Stand Dezember 2011, § 50 SGB X RdNr 8 mwN). In Fällen einer Erledigung der Leistungsbewilligung auf andere Weise kommt daher regelmäßig eine entsprechende Anwendung des § 50 Abs 2 SGB X in Betracht(vgl Steinwedel, aaO).

41

Obwohl demzufolge an sich auch im Rahmen des § 8 Abs 3 BEEG ein Rückgriff auf § 50 Abs 2 SGB X naheliegen mag(so Buchner/Becker, aaO; Jaritz, aaO, RdNr 16), hält es der erkennende Senat für sachgerecht, hier als Ermächtigungsgrundlage für die Erstattungsforderung des Beklagten in erster Linie § 42 Abs 2 S 2 SGB I zur Lückenfüllung heranzuziehen(zur entsprechenden Anwendung des § 42 SGB I vgl allg BSG SozR 3-1200 § 42 Nr 2; BSG SozR 3-1300 § 31 Nr 10). Nach § 42 Abs 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, wenn ein Anspruch auf eine Geldleistung dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist. Gemäß § 42 Abs 2 S 1 SGB I sind die Vorschüsse auf die zustehende Leistung anzurechnen und nach § 42 Abs 2 S 2 SGB I zu erstatten, wenn die Vorschüsse die zustehende Leistung übersteigen.

42

Ein unmittelbarer Anwendungsfall dieser Norm liegt hier zwar - formal betrachtet - nicht vor, weil die Zahlung der 3600 Euro an den Kläger nicht gemäß § 42 Abs 1 SGB I als Vorschuss, sondern aufgrund einer vorläufigen Bewilligung nach § 8 Abs 3 BEEG erfolgt ist. Der Sache nach handelt es sich bei der vorläufigen Zahlung von Elterngeld (§ 8 Abs 3 BEEG) jedoch praktisch um einen Vorschuss iS des § 42 SGB I. Beide Zahlungen setzen voraus, dass ein Geldleistungsanspruch dem Grunde nach besteht und eine endgültige Festsetzung der Höhe noch nicht erfolgen kann. Auch die Interessenlage ist in beiden Fällen vergleichbar. Hier wie dort geht es um die Beschleunigung der Leistungsgewährung im Interesse des Berechtigten, was von vornherein mit dem Risiko einer Überzahlung verbunden ist. Ist dem Empfänger einer solchen Leistung klar, dass er zu viel gezahlte Beträge zurückzuerstatten hat, bedarf er - nach der dem § 42 Abs 2 S 2 SGB I zugrunde liegenden Wertung des Gesetzgebers - keines besonderen Schutzes(vgl dazu BSG SozR 1200 § 42 Nr 4 S 17 f; allg auch BSG SozR 3-4100 § 147 Nr 1 S 4).

43

Dementsprechend kann nach der Rechtsprechung des BSG eine Rückforderung nur dann auf § 42 Abs 2 S 2 SGB I gestützt werden, wenn bei der Bewilligung des Geldbetrages deutlich genug auf die an keine weiteren Voraussetzungen geknüpfte Erstattungspflicht hingewiesen worden ist(vgl zB BSGE 106, 244 = SozR 4-1200 § 42 Nr 2, RdNr 14; BSG SozR 3-1200 § 42 Nr 6 S 18 ff). Die Notwendigkeit eines solchen Hinweises rechtfertigt sich daraus, dass die Erstattung überzahlter Leistungen nach § 50 SGB X stets an die Prüfung eines Vertrauensschutzes für den Empfänger und ggf auch an die Ausübung von Ermessen geknüpft ist. Da der Bescheid vom 3.9.2007 keine Hinweise auf eine zwingende Erstattungspflicht enthält, scheidet hier § 42 Abs 2 S 2 SGB I als spezielle Ermächtigungsgrundlage für die Feststellung einer Erstattungspflicht des Klägers aus.

44

Unter diesen Umständen ist die Erstattungspflicht des Klägers nach § 50 Abs 2 SGB X zu beurteilen, der insoweit (hilfsweise) entsprechend anzuwenden ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach § 50 Abs 2 S 2 SGB X die §§ 45 und 48 SGB X entsprechend gelten. Bezogen auf den vorliegenden Fall wird damit auf § 48 SGB X verwiesen. Da das Elterngeld schon mit Bescheid vom 3.9.2007 für den sechsten und zwölften Lebensmonat, also für die Zeiten vom 13.9. bis 12.10.2007 und 13.3. bis 12.4.2008, in Höhe von monatlich 1800 Euro bewilligt worden war, handelt es sich nämlich bei dem Bezug von Einkommen in diesen Zeiträumen um eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 8.1.2009 ist diese Änderung bei der endgültigen Feststellung der Höhe des Elterngeldes rückwirkend berücksichtigt worden. Demnach ist § 48 Abs 1 S 2 SGB X in entsprechender Anwendung einschlägig. Danach "soll" eine auf den Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse bezogene Aufhebung des Ursprungsverwaltungsakts erfolgen, soweit 1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

45

§ 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB X ist nicht einschlägig. Ob die Voraussetzungen der Nr 2 und/oder der Nr 4 vorliegen, lässt sich den Tatsachenfeststellungen des LSG nicht entnehmen. Letztlich kann diese Frage hier offenbleiben, denn jedenfalls sind die Voraussetzungen der Nr 3 erfüllt. Der Kläger hat nach Erlass des Bewilligungsbescheides vom 3.9.2007 Einkommen erzielt, das zur Minderung des Anspruchs auf Elterngeld geführt haben würde.

46

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG und einhelliger Auffassung in der Literatur bedeutet das Wort "soll" in § 48 Abs 1 S 2 SGB X, dass der Leitungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufheben muss, er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen kann. Die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, ist nicht im Rahmen der Ermessensausübung zu klären, sondern im Rechtsstreit von den Gerichten zu entscheiden (Steinwedel in KasselerKomm, Stand Dezember 2011, § 48 SGB X RdNr 36 mwN; Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 48 RdNr 20). Obwohl der angefochtene Bescheid keine Ausführungen zum Fehlen einer Atypik enthält, ist er deswegen nicht rechtswidrig. In solch einem Fall muss das Gericht zunächst die Prüfung nachholen, ob ein atypischer Fall gegeben ist. Es darf den angefochtenen Bescheid nur dann wegen fehlender Ermessensausübung aufheben, wenn die eigene Prüfung einen atypischen Fall ergibt (Steinwedel, aaO RdNr 38 mwN).

47

Die Frage, ob hier ein atypischer Fall iS des § 50 Abs 2 iVm § 48 Abs 1 S 2 SGB X vorliegt(s dazu Steinwedel, aaO RdNr 37 mwN) ist im bisherigen Verfahren nicht erörtert worden. Die dafür bedeutsamen Tatsachen können vom Revisionsgericht selbst nicht festgestellt werden (§ 163 SGG). Insoweit muss die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.

48

Die Kostenentscheidung betreffend das Revisionsverfahren bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Tenor

Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Dezember 2014 wird berichtigt. Dem ersten Absatz des Tenors wird folgender Satz 2 angefügt: "Die Klage wird abgewiesen, soweit die Klägerin die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 10. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2009 auch für die Zeiten vor dem 1. Januar 2005 und in der Höhe einer Erstattungsforderung von 1267,78 Euro beantragt hat."

Im Übrigen wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Dezember 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids wegen überzahlter Zuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung.

2

Die am 1929 geborene und ursprünglich bei der Barmer Ersatzkasse freiwillig krankenversicherte Klägerin erhielt von der Beklagten eine Regelaltersrente und auf der Grundlage des Bescheids vom 2.5.1994 ab dem 1.6.1994 Beitragszuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung (in Höhe von zunächst 19,55 DM monatlich). Dabei erfolgte der Hinweis, dass der Anspruch auf den Beitragszuschuss mit Aufgabe der freiwilligen Krankenversicherung entfalle; es bestehe die gesetzliche Verpflichtung, jede Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses dem Träger der Rentenversicherung unverzüglich mitzuteilen (S 3 des Bescheids). Zum 1.3.1997 wechselte die Klägerin in die Familienversicherung ihres inzwischen verstorbenen Ehemannes bei der AOK Schleswig-Holstein. In Folge der fehlenden Anzeige dieses Wechsels gewährte die Beklagte weiterhin Beitragszuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung (sowie zwischenzeitlich auch für die Aufwendungen zur Pflegeversicherung).

3

Gemeinsam mit ihrem Ehemann, der ab Juli 2003 eine Altersrente von der Deutschen Rentenversicherung Nord in Höhe von 650 Euro monatlich bezog, führte die Klägerin bis Ende Dezember 2004 einen Hotelbetrieb ("") in K Nach dessen Tod im September 2007 erhielt die Klägerin eine Hinterbliebenenrente in Höhe von monatlich 408,04 Euro.

4

Im Nachgang zum Tod des Ehemanns übermittelte die Deutsche Rentenversicherung Nord der Beklagten mit Schreiben vom 22.11.2007 einen Datensatz, der die Klägerin als in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert auswies. Ermittlungen der Beklagten führten zur "Neuberechnung der Regelaltersrente" der Klägerin ab 8.10.2007 (Bescheid vom 8.2.2008).

5

Aus einer Vermögensaufstellung der Klägerin vom 9.6.2008 ergibt sich, dass jene über Einnahmen in Höhe von monatlich 828 Euro (173 Euro Altersrente, 405 Euro Hinterbliebenenrente und 250 Euro Unterstützungsleistungen der Kinder) verfügt, denen Ausgaben in Höhe von monatlich 770 Euro gegenüberstehen; außerdem ist ein Kredit in Höhe von 8900 Euro zu bedienen.

6

Mit Bescheid vom 27.6.2008 setzte die Beklagte die Regelaltersrente der Klägerin für die Zeit ab 1.8.2008 neu fest und hörte sie wegen der beabsichtigten Aufhebung der Bewilligungsentscheidung über die Zuschüsse zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung für die Vergangenheit (Zeitraum vom 1.3.1997 bis 31.7.2008) und wegen einer entsprechenden Rückforderung in Höhe von 1699,60 Euro an.

7

Mit Bescheid vom 10.9.2008 hob die Beklagte den Bescheid vom 2.5.1994 mit Wirkung für den Zeitraum vom 1.3.1997 bis 31.3.2008 auf und forderte die Erstattung von 1777,03 Euro. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 17.9.2009 zurück. Die Aufhebungsvoraussetzungen für die Vergangenheit seien gegeben; die Tatbestände des § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 bzw Nr 4 SGB X lägen vor. Die Betroffene sei einer gesetzlichen Mitteilungspflicht zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen, ebenso habe sie aufgrund grob fahrlässigen Verhaltens nicht gewusst, dass der Anspruch kraft Gesetzes weggefallen sei. Die Fristen des § 48 Abs 4 SGB X seien gewahrt; die Zehnjahresfrist seit Änderung der Verhältnisse habe nicht ablaufen können, da es sich um wiederkehrende Leistungen handle; die Einjahresfrist sei eingehalten, nachdem die Beklagte erst am 26.11.2007 Kenntnis vom Ende der freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung erlangt habe.

8

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das SG Kiel die Beklagte mit Urteil vom 10.8.2011 unter Aufhebung des Bescheids vom 10.9.2008 und des Widerspruchsbescheids vom 17.9.2009 verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 und 4 SGB X seien erfüllt und die Verfallsfristen nach Maßgabe des § 48 Abs 4 S 1 iVm § 45 Abs 3 S 4 und Abs 4 S 2 SGB X noch nicht verstrichen. Jedoch verletzten die angegriffenen Bescheide der Beklagten die Klägerin insoweit in ihren Rechten, als diese wegen einer Atypik des Falles Ermessen hätte ausüben müssen. § 48 SGB X sei eine Sollvorschrift, dh der Versicherungsträger müsse bei zu Unrecht gewährten Leistungen den Verwaltungsakt - ab Änderung der Verhältnisse - aufheben, in atypischen Fällen könne er hiervon aber ganz oder teilweise nach seinem Ermessen abweichen. Die Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 2.5.1994 würde dazu führen, dass in Folge der eintretenden Erstattungspflicht die Klägerin vermehrt sozialhilfebedürftig würde. Die Beklagte habe die Atypik dieses Falles nicht erkannt und Ermessenserwägungen daher nicht angestellt. In Folge dieses Ermessensnichtgebrauchs sei der rechtswidrige Erstattungsbescheid aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Ausübung von Ermessen und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts eine erneute Sachentscheidung zu treffen.

9

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG mit Urteil vom 10.12.2014 die Entscheidung des SG aufgehoben, soweit der Bescheid der Beklagten vom 10.9.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.9.2009 insgesamt und damit auch für die Zeit vor dem 1.1.2005 und in Höhe einer Erstattungsforderung von 1267,78 Euro aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet worden ist; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Es sei vom Vorliegen einer Anfechtungsklage auszugehen, sodass die Beklagte schon deswegen auf ihre Berufung hin von der Verpflichtung zur Neubescheidung freizustellen sei. Die Klage sei nur für die Zeit ab dem 1.1.2005 begründet. Die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 und 4 SGB X lägen vor. Der zunächst rechtmäßige Bewilligungsbescheid über Zuschüsse zur freiwilligen Kranken- und (später) zur Pflegeversicherung sei infolge einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nachträglich rechtswidrig geworden, und zwar ab dem 1.3.1997 mit dem Ausscheiden der Klägerin aus der freiwilligen Krankenversicherung. Damit fehle es am Tatbestand des § 9 SGB V mit der Folge des Entfallens von Ansprüchen nach §§ 106, 106a SGB VI. Die von der Beklagten getroffene Rechtsfolgenentscheidung sei von der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs 1 S 2 SGB X aber nur gedeckt, soweit sie den Aufhebungszeitraum vom 1.3.1997 bis 31.12.2004 betreffe; insoweit habe es entgegen der Rechtsauffassung des SG keiner Ermessensentscheidung der Beklagten bedurft. § 48 SGB X statuiere ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Der Regelfall sei die Aufhebung ab Eintritt der Änderung der Verhältnisse; eine Aufhebung (nur) für die Vergangenheit komme lediglich in besonderen Ausnahmesituationen in Betracht und nur in diesen sei nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob von einer Rücknahme ganz oder teilweise abzusehen sei. Deshalb sei in den Fällen des § 48 Abs 1 S 2 SGB X neben den Tatbestandsvoraussetzungen auch zu prüfen, ob ein solchermaßen atypischer Fall vorliege, der in Bezug auf die Sondersituation eine Ermessensentscheidung gebiete.

10

Für den Zeitraum bis Ende 2004 liege ein atypischer Fall nicht vor. Für den Aufhebungszeitraum ab dem 1.1.2005 sei dagegen vom Vorliegen eines atypischen Falles iS von § 48 Abs 1 S 2 SGB X auszugehen. Insoweit sei die Aufhebungsentscheidung der Beklagten rechtswidrig, weil es an der erforderlichen Ermessensausübung fehle. Diesbezüglich sei der Rechtsprechung des BSG zu folgen, wonach bei Prüfung eines atypischen Falles die Frage nach einer unbilligen Härte aufzuwerfen sei, wenn das Einkommen der betroffenen Person bei rückwirkender Aufhebung des Rentenbescheids im Nachhinein unter den Sozialhilfesatz sinken würde. Die zur Atypik führende Härte liege in diesem Fall nicht in der durch die Aufhebungsentscheidung eintretenden finanziellen Notlage - diese wäre ggf erst im Vollstreckungsverfahren beachtlich -, sondern darin, dass die von der Aufhebung betroffene Person die Sozialhilfeansprüche, die ihr bei rechtzeitiger Klärung zugestanden hätten, für die Vergangenheit nicht mehr geltend machen könne. Die höchstrichterliche Rechtsprechung knüpfe insoweit an den zusätzlichen Schaden an, der der versicherten Person dadurch entstehe, dass ihr Sozialhilfeansprüche entgangen seien. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten sei von dieser Rechtsprechung nicht abzuweichen. Dass der Grundsatz "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" zwischenzeitlich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht mehr durchgehend aufrechterhalten werde, ändere nichts daran, dass eine rückwirkend erhöhte Sozialhilfebedürftigkeit grundsätzlich einen atypischen Fall zu begründen vermöge. Eine rückwirkende Leistungserbringung sei wegen des Kenntnisgrundsatzes (§ 18 SGB XII)bzw mangels Stellung eines vorherigen Antrags (§ 41 Abs 1 SGB XII) sowie des tatsächlichen Zuflusses von Beitragszuschüssen in der Vergangenheit weiterhin gerade nicht möglich. Die konkreten Voraussetzungen für die Begründung eines atypischen Falles seien auch erfüllt. Die Klägerin und ihr Ehemann hätten seit Aufgabe des Hotelbetriebs ihren sozialhilferechtlichen Bedarf aus ihrem jeweiligen Renteneinkommen und Vermögen nicht mehr decken können. Im Januar 2005 hätten einem Gesamtbedarf in Höhe von mindestens 1200,80 Euro das Renteneinkommen des Ehemanns in Höhe von 650 Euro und tatsächlich geleistete Renten- und Zuschusszahlungen an die Klägerin in Höhe von 205,55 Euro gegenübergestanden, sodass ein ungedeckter Bedarf von 345,25 Euro bestanden hätte. Diese Bedarfslücke sei über den gesamten streitigen Zeitraum mangels Rentenanpassungen und daran gekoppelter Regelsatzerhöhungen nahezu unverändert geblieben. Berücksichtigungsfähiges Vermögen liege nicht vor; denn die Klägerin sei im Juni 2008 in Höhe von 9000 Euro verschuldet gewesen und beziehe zwischenzeitlich auch Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Habe folglich seit Januar 2005 eine durchgehende Sozialhilfebedürftigkeit bestanden, hätte die Nichtgewährung der nunmehr aufgehobenen Beitragszuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung die Hilfebedürftigkeit weiter vergrößert. Dass die Klägerin trotz bestehender Hilfebedürftigkeit über Jahre hinweg keinen Sozialhilfeantrag gestellt und auch im Nachgang zur Aufhebungsentscheidung der Beklagten nicht von der Möglichkeit des § 28 SGB X Gebrauch gemacht habe, spreche nicht gegen die Annahme eines atypischen Falles; diese Gesichtspunkte könnten im Rahmen des auszuübenden Ermessens hinreichende Berücksichtigung finden.

11

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 48 Abs 1 S 2 SGB X. Zur Begründung trägt sie vor: Die Rechtsprechung des BSG zum Vorliegen eines atypischen Falles bei im Nachhinein entstehender Sozialhilfebedürftigkeit sei nur schwer nachvollziehbar und erweise sich als uneinheitlich und inkonsistent. Das LSG habe es versäumt, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Übertragung der Rechtsprechung zur Rückforderung von Urteilsrenten auf die Frage der Atypik iS des § 48 Abs 1 S 2 SGB X sachgerecht gewesen sei. Ferner habe das LSG nicht berücksichtigt, dass mit Verwirklichung der Tatbestände nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 und 4 SGB X zugleich ein zum Kostenersatz nach § 92a BSHG bzw §§ 103 f SGB X führendes Verhalten vorliege; bei vollständiger Betrachtung stünde dem Betroffenen gar kein Anspruch auf Sozialhilfe zu. Weiter sei zu rügen, dass das LSG Urteilsbegründungen von Entscheidungen des BSG zu Unrecht als überholt bezeichnet sowie unzutreffend wiedergegeben habe; insbesondere habe das BSG in seinen Entscheidungen vom 21.7.1988 (7 RAr 21/86 - Juris) und 20.2.1991 (11 RAr 67/89 - Juris) zur Verneinung einer Atypik bei rückwirkend eintretender Sozialhilfebedürftigkeit nicht auf die Besonderheiten des Arbeitsförderungsrechts abgestellt. Entgegen der Ansicht des LSG könne die Typik fehlender Sozialhilfeantragstellung bei aktuell bedarfsdeckenden Renteneinkommen durchaus als Indiz herangezogen werden, das die Annahme eines typischen Falles bei rückwirkend eintretender Sozialhilfebedürftigkeit stütze. Seit Geltung des § 28 SGB X liege die maßgebliche Voraussetzung der Entscheidungen des BSG vom 23.3.1995 (13 RJ 39/94 - SozR 3-1300 § 48 Nr 37) und 12.12.1995 (10 RKg 9/95 - SozR 3-1300 § 48 Nr 42) zur Bejahung eines atypischen Falles, die nicht mögliche Geltendmachung von Sozialhilfeansprüchen für die Vergangenheit, nicht mehr vor. Zudem könne nicht außer Acht bleiben, dass für die Klägerin im streitigen Zeitraum allein Leistungen nach §§ 41 ff SGB XII in Frage gekommen wären; auch insoweit seien die Entscheidungen des BSG aus dem Jahre 1995 (Urteile vom 23.3.1995 aaO und vom 12.12.1995 aaO) angesichts der Vorgaben des Urteils des BSG vom 16.10.2007 (B 8/9b SO 8/06 R - BSGE 99, 137 = SozR 4-1300 § 44 Nr 11)zu überdenken. Abweichend vom Gegenwärtigkeitsprinzip des BVerwG erfolgten Leistungen nach §§ 41 ff SGB XII nicht beschränkt auf die Deckung des gegenwärtig Notwendigen; aufgrund dieser Weiterentwicklung des Sozialhilferechts ab dem 1.1.2005 in Bezug auf die Befriedigung vergangener Bedarfe erscheine es zweifelhaft, ob die Rechtsprechung des 13. Senats (Urteil vom 23.3.1995 aaO) und des 10. Senats (Urteil vom 12.12.1995 aaO) weiter Bestand haben könne. Das Urteil des LSG könne des Weiteren nicht überzeugen, soweit es davon ausgehe, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme eines atypischen Falles vorlägen, weil die Klägerin und ihr Ehemann nach Aufgabe des Hotelbetriebs ihren sozialhilferechtlichen Bedarf mit ihrem Renteneinkommen nicht mehr hätten decken können. Maßgeblicher Zeitpunkt für solche Feststellungen sei nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 25.1.1994 - 4 RA 16/92 - SozR 3-1300 § 50 Nr 16 = Juris RdNr 21 und 26.9.1990 - 9b/7 RAr 30/89 - BSGE 67, 232 = SozR 3-4100 § 155 Nr 2 = Juris Leitsatz 1) der Abschluss des Widerspruchsverfahrens; die Beklagte hätte dann ggf noch Ermessen ausüben können. Bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens sei bezüglich einer Sozialhilfebedürftigkeit in der Vergangenheit aber nichts vorgetragen worden. Die Beklagte sei insoweit nicht verpflichtet, ins Blaue hinein zu ermitteln. Ein Nachweis über die Sozialhilfebedürftigkeit der Klägerin sei nicht erbracht worden. Darüber hinaus schienen vom Berufungsgericht nicht alle Tatsachen ausreichend ermittelt worden zu sein; wenn ein Hotelbetrieb bis Ende 2004 profitabel geführt werde (und anschließend auch weiter geführt werde), müsse bei Übergabe des Betriebs an einen Dritten eine finanzielle Gegenleistung geflossen sein. Insoweit sei ungeklärt, ob die Klägerin (und ihr Ehemann) hieraus herrührend nicht über relevantes Vermögen verfügten. Um diesen Punkt zu klären, müsse die Klägerin Unterlagen zum Übergang des Hotelbetriebs vorlegen.

12

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Dezember 2014 zu ändern, das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 10. August 2011 insgesamt aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

13

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

14

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

15

1. Der Tenor des angefochtenen Urteils ist gemäß § 138 S 1 SGG zu berichtigen.

16

Die Beklagte hat im Berufungsverfahren beantragt, das Urteil des SG Kiel vom 10.8.2011 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Das LSG hat die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben, soweit das SG den Bescheid der Beklagten vom 10.9.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.9.2009 auch für die Zeit vor dem 1.1.2005 und in Höhe einer Erstattungsforderung von 1267,78 Euro aufgehoben hat, ohne die Klage abzuweisen.

17

Da die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils klar ergeben, dass das LSG die Klage insoweit als unbegründet angesehen hat (vgl S 9 Abs 2 des Berufungsurteils), handelt es sich um eine versehentliche Unvollständigkeit des Tenors, die als offenbare Unrichtigkeit iS von § 138 S 1 SGG von Amts wegen berichtigt werden kann(vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 138 RdNr 3c). Hierfür ist das mit der Sache befasste Rechtsmittelgericht zuständig, das im Rahmen der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den gesamten Spruchkörper entscheidet (vgl BSGE 46, 34, 40 = SozR 1500 § 138 Nr 3 S 2; BSG Beschluss vom 6.3.2012 - B 1 KR 43/11 B - Juris RdNr 4; BGH Beschluss vom 8.2.2007 - VII ZR 121/06 - Juris RdNr 2 = BauR 2007, 746; BVerwG Beschluss vom 21.12.2006 - 6 PB 17/06 - Juris RdNr 5 = Buchholz 251.91 § 39 SächsPersVG Nr 1).

18

2. Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Eine Entscheidung in der Sache kann der Senat nicht treffen, weil weitere Tatsachenfeststellungen des LSG erforderlich sind.

19

Im Revisionsverfahren ist nur noch streitig, ob die Beklagte berechtigt war, den Bescheid vom 2.5.1994 für die Zeit vom 1.1.2005 bis 31.3.2008 aufzuheben und die Erstattung von in diesem Zeitraum geleisteter Zuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung in Höhe von 509,25 Euro zu fordern. Eine abschließende Beurteilung dieser Frage ist dem Senat nicht möglich. Es fehlen schlüssige Feststellungen dazu, ob die Klägerin im streitigen Zeitraum über einsetzbares Vermögen verfügte.

20

a) Nach § 48 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich sind alle Änderungen, die dazu führen, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen (BSG Urteil vom 21.3.2007 - B 11a AL 31/06 R - SozR 4-4300 § 118 Nr 1 RdNr 14 mwN). Zutreffend hat das LSG hiernach eine zur Aufhebung der Bewilligung führende wesentliche Änderung in den maßgebenden Verhältnissen angenommen, weil die Klägerin infolge ihres Wechsels in die Familienversicherung ihres Ehemannes ab 1.3.1997 keinen Anspruch auf die Bewilligung von Zuschüssen zur freiwilligen Krankenversicherung nach § 106 SGB VI mehr hatte.

21

aa) Gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist bei Eintritt einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Dagegen soll ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit einer der Tatbestände von § 48 Abs 1 S 2 Nr 1 bis 4 SGB X gegeben ist. Letzteres ist hier der Fall. Ohne erkennbaren Rechtsverstoß konnte das LSG unter Bezugnahme auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 153 Abs 2 SGG) davon ausgehen, dass die Klägerin ihrer sich aus § 60 Abs 1 Nr 2 SGB I ergebenden Pflicht zur Mitteilung ihres Wechsels in die Familienversicherung ihres Ehegatten zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen ist(Nr 2) bzw die behauptete Unkenntnis der Klägerin vom Wegfall ihres Anspruchs auf Beitragszuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung jedenfalls auf grober Fahrlässigkeit beruhte (Nr 4). Anhaltspunkte dafür, dass das LSG den revisionsrechtlich überprüfbaren Entscheidungsspielraum bei der Feststellung der groben Fahrlässigkeit überschritten hat (vgl BSG Urteil vom 1.7.2010 - B 13 R 7/09 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 18 RdNr 31 f), sind nicht ersichtlich.

22

bb) Zutreffend geht das LSG in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BSG und des BVerwG sowie der einhelligen Auffassung im Schrifttum davon aus, dass das Wort "soll" in § 48 Abs 1 S 2 SGB X bedeutet, dass der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufheben muss, er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen kann(vgl BSG Urteile vom 5.10.2006 - B 10 EG 6/04 R - BSGE 97, 144 = SozR 4-1300 § 48 Nr 8 RdNr 18 und vom 13.5.1998 - B 14 EG 9/97 R - SozR 3-7833 § 2 Nr 7 S 38; BVerwG Beschluss vom 20.2.1986 - 5 ER 265/84 - Juris RdNr 5 mwN; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 48 RdNr 20 mwN).

23

(1) Sollvorschriften ermangelt es an einer abstrakt-generellen - die Verwaltung bindenden - normativen Letztentscheidung (vgl BVerwG Urteil vom 17.12.2015 - 1 C 31/14 - Juris RdNr 21). Zwar ist bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen die Rechtsfolge regelmäßig vorgezeichnet. Anders als bei einer Regelung, bei der die tatbestandlichen Voraussetzungen abschließend durch den Gesetzgeber ausformuliert sind, kann der Leistungsträger indes - gleichsam im Sinne einer normativen Offenheit - in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ein striktes Umsetzen von Normbefehlen Folgen haben kann, die vom Gesetzgeber nicht zwingend gewollt und mit Billigkeitsgesichtspunkten bzw dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen wären (vgl auch Dörr, Arbeitshandbuch zum Sozialverwaltungsrecht, 4. Aufl 2009, S 144; Schönenbroicher in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 1. Aufl 2014, § 40 RdNr 33; Mehde, DÖV 2014, 541, 547 f). Dabei ist in der Rechtsprechung des BSG und des BVerwG seit langem geklärt, dass die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, nicht im Wege der Ermessensausübung zu klären, sondern als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden ist (BSG Urteile vom 6.11.1985 - 10 RKg 3/84 - BSGE 59, 111 = SozR 1300 § 48 Nr 19 S 39 f, vom 3.7.1991 - 9b RAr 2/90 - SozR 3-1300 § 48 SGB X Nr 10 S 10 und vom 18.9.1991 - 10 RKg 5/91 - BSGE 69, 233 = SozR 3-5870 § 20 Nr 3 S 8; BVerwG Urteil vom 2.7.1992 - 5 C 39/90 - BVerwGE 90, 275 = Juris RdNr 19; Schütze aaO § 48 RdNr 20 mwN; Steinwedel in KassKomm, Stand August 2012, § 48 SGB X RdNr 36; Lang in Fichte/Plagemann, Sozialverwaltungsverfahrensrecht, 2. Aufl 2016, Kap 4 RdNr 243; Mrozynski, SGB I, 5. Aufl 2014, § 39 RdNr 7; Stuhlfauth in Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 4. Aufl 2014, § 40 RdNr 14 unter Verweis auf die Rspr des BSG; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl 2014, § 40 RdNr 27 unter Verweis auf die Rspr des BSG und des BVerwG; aA Pohl in Eichenhofer/Wenner, SGB I IV X, 1. Aufl 2012, § 48 SGB X RdNr 16; Lilge, SGB I, 4. Aufl 2016, § 39 RdNr 17). Ein Gericht muss, wenn der Leistungsträger einen Regelfall angenommen hat, selbst prüfen, ob ein solcher vorliegt; es darf den angefochtenen Bescheid wegen fehlender Ermessensausübung nur aufheben, wenn die Prüfung einen atypischen Fall ergibt (vgl BSG Urteil vom 11.2.1988 - 7 RAr 55/86 - SozR 1300 § 48 Nr 44 S 125; Waschull in Diering/Timme/Waschull aaO § 48 RdNr 55; Fichte in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl 2015, § 48 SGB X RdNr 48). Daher ist es entgegen dem Vorbringen der Beklagten ohne Belang, ob die Klägerin bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens eine in der Vergangenheit möglicherweise bestehende Sozialhilfebedürftigkeit hinreichend dargetan hat.

24

Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich auch aus den Urteilen des BSG vom 26.9.1990 (9b/7 RAr 30/89 - BSGE 67, 232 = SozR 3-4100 § 155 Nr 2 = Juris Leitsatz 1) und 25.1.1994 (4 RA 16/92 - SozR 3-1300 § 50 Nr 16 S 44 = Juris RdNr 21)nichts zu Gunsten ihres diesbezüglichen Rechtsstandpunkts. Beide Entscheidungen sind zu § 45 SGB X ergangen. Dieser unterscheidet sich strukturell von dem hier maßgeblichen § 48 Abs 1 S 2 SGB X. Der Begriff "soll" in dieser Vorschrift enthält keine doppelte Ermessenseinräumung. Das Ermessen erstreckt sich nur auf die Frage, was im Ausnahmefall zu geschehen hat, dh ob der Verwaltungsakt ganz oder teilweise aufgehoben werden soll. Dagegen ist die Frage, ob ein Ausnahmefall vorliegt, - wie bereits oben erwähnt - nicht Teil der Ermessensentscheidung, sondern dieser als Rechtsvoraussetzung vorgelagert und eröffnet eine solche nur bei Bejahung eines atypischen Sachverhalts (vgl zum Ganzen BSGE 59, 111, 115 = SozR 1300 § 48 Nr 19 S 39; s auch BVerwG Urteil vom 17.9.1987 - 5 C 26/84 - Juris RdNr 19). Die Entscheidung über die Rücknahme eines von Anfang an rechtswidrigen Verwaltungsakts nach § 45 Abs 1 SGB X steht demgegenüber stets im Ermessen der Behörde("darf" - BSGE 59, 157, 169 = SozR 1300 § 45 Nr 19 S 64; BVerwG Urteil vom 17.9.1987 - 5 C 26/84 - Juris RdNr 12) und umfasst die Prüfung, ob und in welchem Umfang bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen von einem Rücknahmerecht Gebrauch gemacht werden soll (vgl BSGE 59, 157, 170 = SozR 1300 § 45 Nr 19 S 65). Anders als bei § 48 Abs 1 S 2 SGB X erfasst das Ermessen bei § 45 Abs 1 SGB X demnach auch die Entscheidung, in welchen Fällen Ermessen ausgeübt werden soll. Die von der Beklagten herangezogenen höchstrichterlichen Urteile beziehen sich nur auf die dem Ermessen der Verwaltung unterliegenden und damit der Gerichtskontrolle lediglich begrenzt zugänglichen Entscheidungen. Um solche geht es im hier maßgeblichen Zusammenhang aber nicht.

25

Nach der Rechtsprechung des 9., 10. und 13. Senats des BSG ist ein atypischer Fall iS des § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 bis 4 SGB X gegeben, wenn der Betroffene infolge des Wegfalls jener Sozialleistungen, deren Bewilligung rückwirkend aufgehoben wurde, im Nachhinein unter den Sozialhilfesatz sinken oder vermehrt sozialhilfebedürftig würde(BSG Urteile vom 26.8.1994 - 13 RJ 29/93 - Juris RdNr 29, vom 23.3.1995 aaO S 83, vom 12.12.1995 aaO S 94, vom 16.12.2004 aaO RdNr 49 zu § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X, vom 1.7.2010 - B 13 R 7/09 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 18 RdNr 60 und vom 20.7.2011 - B 13 R 40/10 R - Juris RdNr 39 zu § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X; so auch: Steinwedel aaO § 48 RdNr 37, 52 und 56; Waschull aaO § 48 RdNr 50; Lang in Plagemann, Münchener Anwaltshandbuch Sozialrecht, 4. Aufl 2013, § 40 RdNr 40; Kallert in Gagel, SGB II/SGB III, Stand Juni 2013, § 330 SGB III RdNr 69; Lang aaO Kap 4 RdNr 245; Dörr/Francke, Sozialverwaltungsrecht, 3. Aufl 2012, Kap I RdNr 121; vgl auch Schütze aaO § 48 RdNr 21). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an.

26

Ob ein atypischer Fall vorliegt, ist stets nach dem Zweck der jeweiligen Regelung des § 48 Abs 1 S 2 SGB X und nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Diese müssen im Hinblick auf die mit der rückwirkenden Aufhebung des Verwaltungsakts verbundenen Nachteile, insbesondere der aus § 50 Abs 1 SGB X folgenden Pflicht zur Erstattung der erbrachten Leistungen, vom Normalfall derart abweichen, dass der betroffene Leistungsempfänger deutlich schlechter dasteht, als es beim Vorliegen eines Normalfalles der einschlägigen Regelung des § 48 Abs 1 S 2 SGB X der Fall wäre(vgl BSGE 59, 111, 116 = SozR 1300 § 48 Nr 19 S 40; BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 9 S 51). § 48 Abs 1 S 2 SGB X und damit auch die hier betroffenen Tatbestände der Nr 2 und 4 zielen darauf ab, dem Sozialversicherungsträger die Möglichkeit der Aufhebung von Dauerverwaltungsakten ab Änderung der Verhältnisse zur Herstellung der materiellen Gerechtigkeit zu geben(vgl dazu BSG Urteil vom 26.9.1991 - 4 RK 5/91 - BSGE 69, 255 = SozR 3-1300 § 48 Nr 13 S 21). Dagegen ist es nicht Sinn und Zweck dieser Regelungen, dem Versicherten ein über die Erstattungspflicht nach § 50 SGB X hinausgehendes zusätzliches "Sonderopfer" abzuverlangen. Ein solches kann bei den oben genannten Fallkonstellationen aber vorliegen. Ein im Vergleich zum Normalfall des § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 und 4 SGB X iVm § 50 Abs 1 SGB X zusätzlicher Schaden ist zu bejahen, wenn der Betroffene (höhere) Sozialhilfeansprüche zur Sicherung seines aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG folgenden Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums(vgl hierzu BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 41 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = Juris RdNr 133 mwN), welche ihm zugestanden hätten, wenn die zurückgeforderten Sozialleistungen nicht zugeflossen wären, rückwirkend nicht mehr geltend machen kann. Er hätte dann im Ergebnis wegen der Pflicht zur Rückzahlung aus seinem gegenwärtigen Einkommen und Vermögen solche Leistungen zu ersetzen, auf die er in der Vergangenheit einen Anspruch gehabt hätte (BSG Urteile vom 23.3.1995 aaO und vom 12.12.1995 aaO). Ein derartiger Anspruchsverlust wird von der Zweckbestimmung der Tatbestände nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 und 4 SGB X nicht eingefordert.

27

b) Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Revision greifen nicht durch.

28

aa) Das LSG konnte sich - in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des erkennenden Senats - der in den Urteilen des BSG vom 23.3.1995 (aaO) und vom 12.12.1995 (aaO) niedergelegten Rechtsauffassung anschließen, ohne dass es hierfür einer Auseinandersetzung mit den Entscheidungen des BSG vom 31.10.1991 (7 RAr 60/89 - SozR 3-1300 § 45 Nr 10), vom 15.5.1985 (5b/1 RJ 34/84 - SozR 1500 § 154 Nr 8) sowie vom 12.9.1984 (4 RJ 79/83 - BSGE 57, 138 = SozR 1300 § 50 Nr 6) zu den sog Urteilsleistungen bedurft hätte. Denn die Begründung des 13. (Urteil vom 23.3.1995 aaO) und 10. (Urteil vom 12.12.1995 aaO) Senats wie auch die Rechtsauffassung des erkennenden Senats zur Annahme eines atypischen Falles im Rahmen von § 48 Abs 1 S 2 SGB X ist aus sich selbst heraus tragend. Zwar ist Rechtsgrundlage für die Erstattung von Urteilsleistungen ebenfalls § 50 SGB X; doch bemisst sich im Rahmen der Geltendmachung von Erstattungsforderungen nach Urteilsleistungen die Vertrauensschutzprüfung nach einer anderen Norm, § 45 SGB X. Im Übrigen wird den von der Beklagten herausgestellten unterschiedlichen Schutzbedürftigkeiten der Beteiligten in beiden Fallkonstellationen durchaus Rechnung getragen: Bei Erstattungsforderungen nach Urteilsleistungen wird - entsprechend der von der Beklagten betonten stärkeren Schutzwürdigkeit der Leistungsempfänger - ein weitergehender Schutz durch die sinngemäße Anwendung von § 42 Abs 3 Nr 3 SGB I(idF bis zum Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Sozialgesetzbuchs über den Schutz der Sozialdaten sowie zur Änderung anderer Vorschriften vom 13.6.1994, BGBl I 1229) gewährt, nach dem eine Rückzahlungspflicht entfällt, soweit der Betroffene ohne die zuerkannte Urteilsleistung auf die Gewährung von Sozialhilfe angewiesen gewesen wäre (vgl Senatsurteil vom 25.2.1992 - 5 RJ 44/91 - Juris RdNr 26). Diese Rechtsprechung hat insoweit dem Merkmal der "besonderen Härte" iS von § 42 Abs 3 Nr 3 SGB I(idF bis zum Gesetz vom 13.6.1994, BGBl I 1229) eine unmittelbar anspruchsvernichtende Wirkung zuerkannt (Meyer in FS Krasney, 319, 328 ff; Steinwedel in KassKomm, Stand September 2013, § 50 SGB X RdNr 39). Demgegenüber ist bei der Annahme eines atypischen Falles im Rahmen des § 48 Abs 1 S 2 SGB X - entsprechend der von der Beklagten herausgestellten höheren Schutzbedürftigkeit des leistenden Trägers - eine rückwirkende Aufhebung rechtlich weder geboten noch ausgeschlossen; sie liegt vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen des Versicherungsträgers.

29

bb) Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten weichen die genannten BSG-Urteile aus dem Jahr 1995 - und damit auch die Entscheidung des erkennenden Senats - nicht von den Urteilen des 11. Senats vom 20.2.1991 (aaO Juris RdNr 29) und des vormaligen 7. Senats vom 21.7.1988 (aaO Juris RdNr 25 f) ab. In diesen wird § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB X erkennbar nur in Bezug auf das Recht der Arbeitsförderung und dessen spezifischen Besonderheiten ausgelegt, ohne dass damit die Aufstellung eines übergreifenden Rechtssatzes verbunden sein sollte. Zur Bestimmung eines atypischen Falles stellt der vormalige 7. Senat (Urteil vom 21.7.1988 aaO) die Betroffenheit des Versicherten ausschließlich in das Verhältnis zu anderen Arbeitslosenhilfeempfängern ("Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass der Kläger durch die Pflicht zur Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Leistungen stärker betroffen wird als andere Alhi-Empfänger") und erachtet es als unerheblich, dass dieser durch den Leistungsentzug möglicherweise sozialhilfebedürftig geworden ist; dies sei keine Besonderheit, sondern typisch für "solche Fälle". An diese fallbezogene Formulierung anknüpfend führt der 11. Senat (Urteil vom 20.2.1991 aaO) aus, dass bei ordnungsgemäßer Mitteilung der Arbeitsaufnahme möglicherweise zustehende Sozialhilfeansprüche im Nachhinein nicht mehr geltend gemacht werden könnten, begründe keine besondere Härte im Sinne eines atypischen Falles, sondern entspreche dem Regelfall bei rückwirkender Erstattung zu Unrecht gezahlter Leistungen. Auch der Gesetzgeber hat die spezifischen Besonderheiten des Rechts der Arbeitsförderung (vgl hierzu BT-Drucks 12/5502 S 37) aufgegriffen und mit Wirkung vom 1.1.1994 § 152 Abs 3 Arbeitsförderungsgesetz eingefügt(Erstes Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21.12.1993, BGBl I 2353), der mit dem heutigen § 330 Abs 3 S 1 SGB III identisch ist. Danach ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs 1 S 2 SGB X der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Die Aufhebungsentscheidung hat seither als gebundene Entscheidung zu ergehen, ohne dass es auf das Vorliegen eines atypischen Falles ankäme. Die vom 11. (Urteil vom 20.2.1991 aaO) und vormaligen 7. Senat (Urteil vom 21.7.1988 aaO) aufgeworfene Rechtsfrage stellt sich demnach im Recht der Arbeitsförderung nicht mehr; sie ist durch die Rechtsentwicklung überholt (vgl BSG Urteil vom 28.11.1996 - 7 RAr 56/96 - SozR 3-4100 § 117 Nr 13 S 93).

30

cc) Die nach Rechtsauffassung des erkennenden Senats gebotene - und für die Atypik der Fallgestaltung auf unwiderruflich entgangene Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB XII abhebende - Auslegung des § 48 Abs 1 S 2 SGB X steht auch nicht in Widerspruch zu den in den §§ 103 f SGB XII normierten Kostenersatzansprüchen bei schuldhaftem Verhalten oder für zu Unrecht erbrachte Leistungen. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt in Fällen wie dem vorliegenden mit Verwirklichung der Tatbestände des § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 und 4 SGB X nicht stets zugleich auch ein Verhalten des Betroffenen vor, das derartige Kostenersatzansprüche auslösen könnte(zu den - hier offensichtlich nicht vorliegenden - Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 103 f SGB XII vgl Bieback in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 103 RdNr 1 ff und § 104 RdNr 1 ff). Grund für die fehlende Möglichkeit des rückwirkenden Bezugs von Sozialhilfeleistungen ist nicht das Fehlverhalten der Klägerin, sondern das im Sozialhilferecht grundsätzlich Geltung beanspruchende Gegenwärtigkeits- und Zuflussprinzip (vgl hierzu ee)).

31

dd) Ebenso wenig vermag die Ansicht der Beklagten zu überzeugen, es sei typisch, dass derjenige, der über ein aktuell bedarfsdeckendes Renteneinkommen verfüge, keinen Sozialhilfeantrag stelle, sodass auch die rückwirkend eintretende Sozialhilfebedürftigkeit bei Erstattung bezogener Leistungen ein typischer Fall sei. Diese Erwägungen werden nicht der Abgrenzung typischer Fälle von atypischen gerecht.

32

Wie bereits oben ausgeführt, entscheidet über das Vorliegen eines atypischen Falles der Zweck der jeweiligen Sollvorschrift nach den Umständen des Einzelfalles (stRspr, BSG Urteile vom 27.7.2000 - B 7 AL 42/99 R - BSGE 87, 31 = SozR 3-4100 § 134 Nr 22 S 85, vom 29.6.1994 - 1 RK 45/93 - BSGE 74, 287 = SozR 3-1300 § 48 Nr 33 S 72 und vom 24.2.1987 - 11b RAr 35/85 - SozR 1300 § 48 Nr 30 = Juris RdNr 12). Sieht dieser - wie bei § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 und 4 SGB X - außer der Herstellung der materiellen Richtigkeit keine weitere Belastung des betroffenen Leistungsempfängers wie den Verlust nachträglich nicht mehr geltend zu machender Sozialhilfeansprüche vor, ist dessen Eintritt als atypisch zu qualifizieren.

33

ee) Der Senat vermag sich auch nicht dem Vorbringen der Beklagten anzuschließen, wonach infolge neuerer sozialhilferechtlicher Rechtsprechung des BSG zur Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit die bisherige Begründung eines atypischen Falles bei rückwirkend eingetretener bzw gesteigerter Hilfebedürftigkeit sich nicht mehr aufrechterhalten ließe und damit auch der bisherigen Rechtsprechung zu § 48 Abs 1 S 2 SGB X die Grundlage entzogen sei(kritisch Merten in Hauck/Noftz, SGB X, Stand März 2016, § 48 RdNr 76). Zwar hat der 8. Senat in seinem Urteil vom 16.10.2007 (B 8/9b SO 8/06 R - BSGE 99, 137 = SozR 4-1300 § 44 Nr 11) ausgeführt, dass Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung abweichend vom Gegenwärtigkeitsprinzip des BVerwG, nicht auf die Deckung des gegenwärtig Notwendigen beschränkt sind (RdNr 20) und nicht allein der Befriedigung eines aktuellen, sondern auch eines künftigen und vergangenen Bedarfs dienten (RdNr 19). Diese Ausführungen sind allerdings im Rahmen eines Zugunstenverfahrens gemäß § 44 SGB X ergangen, ebenso wie das Urteil des 8. Senats vom 29.9.2009 (B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20), auf das sich die Beklagte ebenfalls in der Revisionsbegründung bezieht. Um ein Verfahren nach § 44 SGB X geht es vorliegend jedoch nicht. Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin in der Vergangenheit keinen Antrag auf Sozialhilfe gestellt, der zu Unrecht abgelehnt worden sein könnte.

34

Ob die Klägerin für den hier streitigen, in der Vergangenheit liegenden Zeitraum Ansprüche auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII geltend machen kann, die gemäß § 19 Abs 2 S 2 SGB XII den Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel vorgehen, richtet sich nach den Vorschriften des SGB XII. Gemäß § 41 Abs 1 S 1 SGB XII(idF des Art 3 Nr 22 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453) bzw § 44 Abs 1 S 1 SGB XII(in der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung des Art 1 Nr 14 des Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Vorschriften vom 21.12.2015, BGBl I 2557) sind Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zwingend an die Stellung eines vorherigen Antrags gebunden. Einen solchen hat die Klägerin für den hier streitigen Zeitraum vom 1.1.2005 bis 30.3.2008 nicht gestellt. Zwar besteht nach § 28 SGB X die Möglichkeit einer wiederholenden Antragstellung; unabhängig von der Frage, ob § 28 SGB X im Rahmen der §§ 41 ff SGB XII überhaupt Anwendung findet(vgl hierzu Coseriu in jurisPK-SGB XII, Stand 25.4.2016, § 18 SGB XII RdNr 29; Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 18 RdNr 9), muss ein solcher Antrag, der bis zu einem Jahr zurückwirkt, innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats gestellt werden, in dem die Ablehnung oder die Forderung nach Erstattung einer anderen Sozialleistung bindend geworden ist (§ 28 S 1 SGB X). Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin von der Möglichkeit der rückwirkenden Antragstellung nach § 28 SGB X im Anschluss an die Aufhebungsentscheidung aber keinen Gebrauch gemacht. Darüber hinaus weist das LSG zu Recht darauf hin, dass die Klägerin rückwirkend auch deshalb keine Leistungen der Sozialhilfe geltend machen kann, weil ihr die zu Unrecht gewährten Zuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung im streitigen Zeitraum tatsächlich zugeflossen sind und deshalb im jeweiligen Zuflussmonat als Einkommen iS von § 82 Abs 1 S 1 SGB XII zur Deckung ihrer Bedarfe zur Verfügung gestanden haben(vgl Schmidt in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, Stand 22.1.2016, § 82 SGB XII RdNr 25 unter Verweis auf BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 43 RdNr 23; vgl auch BSG Urteil vom 12.9.1984 aaO RdNr 28).

35

c) Ob die Klägerin im streitigen Zeitraum bedürftig iS des SGB XII gewesen ist, kann der Senat nicht abschließend beurteilen. Es fehlen schlüssige Feststellungen zum einsetzbaren Vermögen der Klägerin.

36

Die Feststellung des LSG, dass die Klägerin im Juni 2008 in Höhe von 9000 Euro verschuldet war und sie zwischenzeitlich Leistungen der Grundsicherung im Alter erhält, lassen keinen Rückschluss darauf zu, ob sie (und ihr Ehemann) in der Zeit vom 1.1.2005 bis 31.3.2008 vermögenslos waren. Wenn das LSG dennoch vom Nichtvorliegen berücksichtigungsfähigen Vermögens iS von § 90 SGB XII ausgeht, verbindet sich damit keine Tatsachenfeststellung, an die das Revisionsgericht gebunden wäre(§ 163 SGG). Bei dem Begriff Vermögen handelt es sich um einen Rechtsbegriff, dessen Inhalt durch die Rechtsanwender und letztlich die Gerichte zu bestimmen ist (Mecke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, Stand 18.4.2016, § 90 RdNr 12).

37

Da die angefochtenen Bescheide nicht schon aus anderen Gründen rechtswidrig sind - etwaige Anhörungsmängel sind geheilt und die Fristen des § 48 Abs 4 S 1 iVm § 45 Abs 3 S 4 bzw Abs 4 S 2 gewahrt - ist der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung zurückzuverweisen. Das LSG wird zum Vermögen der Klägerin (und ihres Ehemannes) weitere tatsächliche Feststellungen zu treffen haben und insbesondere klären müssen, ob die Klägerin durch den Verkauf des Hotelbetriebs im Jahr 2004 nicht Vermögen hat bilden können, das der Annahme einer Sozialhilfebedürftigkeit entgegensteht und damit eine Atypik der Fallgestaltung iS von § 48 Abs 1 S 2 SGB X entfallen lässt.

38

Die streitige Rückforderung des Betrages von 509,25 Euro hat die Beklagte mit Bescheid vom 10.9.2008 auf § 50 Abs 1 SGB X gestützt. Da eine Erstattungspflicht der Klägerin in dieser Höhe nur dann besteht, wenn der Bewilligungsbescheid vom 2.5.1994 für die Zeit vom 1.1.2005 bis 31.3.2008 zu Recht aufgehoben worden ist, kann auch hierüber noch nicht abschließend befunden werden. Demnach ist das Berufungsurteil auch insoweit aufzuheben und dieser Gegenstand in die Zurückverweisung der Sache einzubeziehen.

39

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Sach- und Dienstleistungen sind in Geld zu erstatten.

(2) Soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatten. §§ 45 und 48 gelten entsprechend.

(2a) Der zu erstattende Betrag ist vom Eintritt der Unwirksamkeit eines Verwaltungsaktes, auf Grund dessen Leistungen zur Förderung von Einrichtungen oder ähnliche Leistungen erbracht worden sind, mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen. Von der Geltendmachung des Zinsanspruchs kann insbesondere dann abgesehen werden, wenn der Begünstigte die Umstände, die zur Rücknahme, zum Widerruf oder zur Unwirksamkeit des Verwaltungsaktes geführt haben, nicht zu vertreten hat und den zu erstattenden Betrag innerhalb der von der Behörde festgesetzten Frist leistet. Wird eine Leistung nicht alsbald nach der Auszahlung für den bestimmten Zweck verwendet, können für die Zeit bis zur zweckentsprechenden Verwendung Zinsen nach Satz 1 verlangt werden; Entsprechendes gilt, soweit eine Leistung in Anspruch genommen wird, obwohl andere Mittel anteilig oder vorrangig einzusetzen sind; § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bleibt unberührt.

(3) Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Festsetzung soll, sofern die Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden.

(4) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 unanfechtbar geworden ist. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. § 52 bleibt unberührt.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten bei Berichtigungen nach § 38 entsprechend.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Tenor

Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Dezember 2014 wird berichtigt. Dem ersten Absatz des Tenors wird folgender Satz 2 angefügt: "Die Klage wird abgewiesen, soweit die Klägerin die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 10. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2009 auch für die Zeiten vor dem 1. Januar 2005 und in der Höhe einer Erstattungsforderung von 1267,78 Euro beantragt hat."

Im Übrigen wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Dezember 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids wegen überzahlter Zuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung.

2

Die am 1929 geborene und ursprünglich bei der Barmer Ersatzkasse freiwillig krankenversicherte Klägerin erhielt von der Beklagten eine Regelaltersrente und auf der Grundlage des Bescheids vom 2.5.1994 ab dem 1.6.1994 Beitragszuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung (in Höhe von zunächst 19,55 DM monatlich). Dabei erfolgte der Hinweis, dass der Anspruch auf den Beitragszuschuss mit Aufgabe der freiwilligen Krankenversicherung entfalle; es bestehe die gesetzliche Verpflichtung, jede Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses dem Träger der Rentenversicherung unverzüglich mitzuteilen (S 3 des Bescheids). Zum 1.3.1997 wechselte die Klägerin in die Familienversicherung ihres inzwischen verstorbenen Ehemannes bei der AOK Schleswig-Holstein. In Folge der fehlenden Anzeige dieses Wechsels gewährte die Beklagte weiterhin Beitragszuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung (sowie zwischenzeitlich auch für die Aufwendungen zur Pflegeversicherung).

3

Gemeinsam mit ihrem Ehemann, der ab Juli 2003 eine Altersrente von der Deutschen Rentenversicherung Nord in Höhe von 650 Euro monatlich bezog, führte die Klägerin bis Ende Dezember 2004 einen Hotelbetrieb ("") in K Nach dessen Tod im September 2007 erhielt die Klägerin eine Hinterbliebenenrente in Höhe von monatlich 408,04 Euro.

4

Im Nachgang zum Tod des Ehemanns übermittelte die Deutsche Rentenversicherung Nord der Beklagten mit Schreiben vom 22.11.2007 einen Datensatz, der die Klägerin als in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert auswies. Ermittlungen der Beklagten führten zur "Neuberechnung der Regelaltersrente" der Klägerin ab 8.10.2007 (Bescheid vom 8.2.2008).

5

Aus einer Vermögensaufstellung der Klägerin vom 9.6.2008 ergibt sich, dass jene über Einnahmen in Höhe von monatlich 828 Euro (173 Euro Altersrente, 405 Euro Hinterbliebenenrente und 250 Euro Unterstützungsleistungen der Kinder) verfügt, denen Ausgaben in Höhe von monatlich 770 Euro gegenüberstehen; außerdem ist ein Kredit in Höhe von 8900 Euro zu bedienen.

6

Mit Bescheid vom 27.6.2008 setzte die Beklagte die Regelaltersrente der Klägerin für die Zeit ab 1.8.2008 neu fest und hörte sie wegen der beabsichtigten Aufhebung der Bewilligungsentscheidung über die Zuschüsse zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung für die Vergangenheit (Zeitraum vom 1.3.1997 bis 31.7.2008) und wegen einer entsprechenden Rückforderung in Höhe von 1699,60 Euro an.

7

Mit Bescheid vom 10.9.2008 hob die Beklagte den Bescheid vom 2.5.1994 mit Wirkung für den Zeitraum vom 1.3.1997 bis 31.3.2008 auf und forderte die Erstattung von 1777,03 Euro. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 17.9.2009 zurück. Die Aufhebungsvoraussetzungen für die Vergangenheit seien gegeben; die Tatbestände des § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 bzw Nr 4 SGB X lägen vor. Die Betroffene sei einer gesetzlichen Mitteilungspflicht zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen, ebenso habe sie aufgrund grob fahrlässigen Verhaltens nicht gewusst, dass der Anspruch kraft Gesetzes weggefallen sei. Die Fristen des § 48 Abs 4 SGB X seien gewahrt; die Zehnjahresfrist seit Änderung der Verhältnisse habe nicht ablaufen können, da es sich um wiederkehrende Leistungen handle; die Einjahresfrist sei eingehalten, nachdem die Beklagte erst am 26.11.2007 Kenntnis vom Ende der freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung erlangt habe.

8

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das SG Kiel die Beklagte mit Urteil vom 10.8.2011 unter Aufhebung des Bescheids vom 10.9.2008 und des Widerspruchsbescheids vom 17.9.2009 verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 und 4 SGB X seien erfüllt und die Verfallsfristen nach Maßgabe des § 48 Abs 4 S 1 iVm § 45 Abs 3 S 4 und Abs 4 S 2 SGB X noch nicht verstrichen. Jedoch verletzten die angegriffenen Bescheide der Beklagten die Klägerin insoweit in ihren Rechten, als diese wegen einer Atypik des Falles Ermessen hätte ausüben müssen. § 48 SGB X sei eine Sollvorschrift, dh der Versicherungsträger müsse bei zu Unrecht gewährten Leistungen den Verwaltungsakt - ab Änderung der Verhältnisse - aufheben, in atypischen Fällen könne er hiervon aber ganz oder teilweise nach seinem Ermessen abweichen. Die Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 2.5.1994 würde dazu führen, dass in Folge der eintretenden Erstattungspflicht die Klägerin vermehrt sozialhilfebedürftig würde. Die Beklagte habe die Atypik dieses Falles nicht erkannt und Ermessenserwägungen daher nicht angestellt. In Folge dieses Ermessensnichtgebrauchs sei der rechtswidrige Erstattungsbescheid aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Ausübung von Ermessen und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts eine erneute Sachentscheidung zu treffen.

9

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG mit Urteil vom 10.12.2014 die Entscheidung des SG aufgehoben, soweit der Bescheid der Beklagten vom 10.9.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.9.2009 insgesamt und damit auch für die Zeit vor dem 1.1.2005 und in Höhe einer Erstattungsforderung von 1267,78 Euro aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet worden ist; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Es sei vom Vorliegen einer Anfechtungsklage auszugehen, sodass die Beklagte schon deswegen auf ihre Berufung hin von der Verpflichtung zur Neubescheidung freizustellen sei. Die Klage sei nur für die Zeit ab dem 1.1.2005 begründet. Die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 und 4 SGB X lägen vor. Der zunächst rechtmäßige Bewilligungsbescheid über Zuschüsse zur freiwilligen Kranken- und (später) zur Pflegeversicherung sei infolge einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nachträglich rechtswidrig geworden, und zwar ab dem 1.3.1997 mit dem Ausscheiden der Klägerin aus der freiwilligen Krankenversicherung. Damit fehle es am Tatbestand des § 9 SGB V mit der Folge des Entfallens von Ansprüchen nach §§ 106, 106a SGB VI. Die von der Beklagten getroffene Rechtsfolgenentscheidung sei von der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs 1 S 2 SGB X aber nur gedeckt, soweit sie den Aufhebungszeitraum vom 1.3.1997 bis 31.12.2004 betreffe; insoweit habe es entgegen der Rechtsauffassung des SG keiner Ermessensentscheidung der Beklagten bedurft. § 48 SGB X statuiere ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Der Regelfall sei die Aufhebung ab Eintritt der Änderung der Verhältnisse; eine Aufhebung (nur) für die Vergangenheit komme lediglich in besonderen Ausnahmesituationen in Betracht und nur in diesen sei nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob von einer Rücknahme ganz oder teilweise abzusehen sei. Deshalb sei in den Fällen des § 48 Abs 1 S 2 SGB X neben den Tatbestandsvoraussetzungen auch zu prüfen, ob ein solchermaßen atypischer Fall vorliege, der in Bezug auf die Sondersituation eine Ermessensentscheidung gebiete.

10

Für den Zeitraum bis Ende 2004 liege ein atypischer Fall nicht vor. Für den Aufhebungszeitraum ab dem 1.1.2005 sei dagegen vom Vorliegen eines atypischen Falles iS von § 48 Abs 1 S 2 SGB X auszugehen. Insoweit sei die Aufhebungsentscheidung der Beklagten rechtswidrig, weil es an der erforderlichen Ermessensausübung fehle. Diesbezüglich sei der Rechtsprechung des BSG zu folgen, wonach bei Prüfung eines atypischen Falles die Frage nach einer unbilligen Härte aufzuwerfen sei, wenn das Einkommen der betroffenen Person bei rückwirkender Aufhebung des Rentenbescheids im Nachhinein unter den Sozialhilfesatz sinken würde. Die zur Atypik führende Härte liege in diesem Fall nicht in der durch die Aufhebungsentscheidung eintretenden finanziellen Notlage - diese wäre ggf erst im Vollstreckungsverfahren beachtlich -, sondern darin, dass die von der Aufhebung betroffene Person die Sozialhilfeansprüche, die ihr bei rechtzeitiger Klärung zugestanden hätten, für die Vergangenheit nicht mehr geltend machen könne. Die höchstrichterliche Rechtsprechung knüpfe insoweit an den zusätzlichen Schaden an, der der versicherten Person dadurch entstehe, dass ihr Sozialhilfeansprüche entgangen seien. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten sei von dieser Rechtsprechung nicht abzuweichen. Dass der Grundsatz "keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" zwischenzeitlich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht mehr durchgehend aufrechterhalten werde, ändere nichts daran, dass eine rückwirkend erhöhte Sozialhilfebedürftigkeit grundsätzlich einen atypischen Fall zu begründen vermöge. Eine rückwirkende Leistungserbringung sei wegen des Kenntnisgrundsatzes (§ 18 SGB XII)bzw mangels Stellung eines vorherigen Antrags (§ 41 Abs 1 SGB XII) sowie des tatsächlichen Zuflusses von Beitragszuschüssen in der Vergangenheit weiterhin gerade nicht möglich. Die konkreten Voraussetzungen für die Begründung eines atypischen Falles seien auch erfüllt. Die Klägerin und ihr Ehemann hätten seit Aufgabe des Hotelbetriebs ihren sozialhilferechtlichen Bedarf aus ihrem jeweiligen Renteneinkommen und Vermögen nicht mehr decken können. Im Januar 2005 hätten einem Gesamtbedarf in Höhe von mindestens 1200,80 Euro das Renteneinkommen des Ehemanns in Höhe von 650 Euro und tatsächlich geleistete Renten- und Zuschusszahlungen an die Klägerin in Höhe von 205,55 Euro gegenübergestanden, sodass ein ungedeckter Bedarf von 345,25 Euro bestanden hätte. Diese Bedarfslücke sei über den gesamten streitigen Zeitraum mangels Rentenanpassungen und daran gekoppelter Regelsatzerhöhungen nahezu unverändert geblieben. Berücksichtigungsfähiges Vermögen liege nicht vor; denn die Klägerin sei im Juni 2008 in Höhe von 9000 Euro verschuldet gewesen und beziehe zwischenzeitlich auch Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Habe folglich seit Januar 2005 eine durchgehende Sozialhilfebedürftigkeit bestanden, hätte die Nichtgewährung der nunmehr aufgehobenen Beitragszuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung die Hilfebedürftigkeit weiter vergrößert. Dass die Klägerin trotz bestehender Hilfebedürftigkeit über Jahre hinweg keinen Sozialhilfeantrag gestellt und auch im Nachgang zur Aufhebungsentscheidung der Beklagten nicht von der Möglichkeit des § 28 SGB X Gebrauch gemacht habe, spreche nicht gegen die Annahme eines atypischen Falles; diese Gesichtspunkte könnten im Rahmen des auszuübenden Ermessens hinreichende Berücksichtigung finden.

11

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 48 Abs 1 S 2 SGB X. Zur Begründung trägt sie vor: Die Rechtsprechung des BSG zum Vorliegen eines atypischen Falles bei im Nachhinein entstehender Sozialhilfebedürftigkeit sei nur schwer nachvollziehbar und erweise sich als uneinheitlich und inkonsistent. Das LSG habe es versäumt, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Übertragung der Rechtsprechung zur Rückforderung von Urteilsrenten auf die Frage der Atypik iS des § 48 Abs 1 S 2 SGB X sachgerecht gewesen sei. Ferner habe das LSG nicht berücksichtigt, dass mit Verwirklichung der Tatbestände nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 und 4 SGB X zugleich ein zum Kostenersatz nach § 92a BSHG bzw §§ 103 f SGB X führendes Verhalten vorliege; bei vollständiger Betrachtung stünde dem Betroffenen gar kein Anspruch auf Sozialhilfe zu. Weiter sei zu rügen, dass das LSG Urteilsbegründungen von Entscheidungen des BSG zu Unrecht als überholt bezeichnet sowie unzutreffend wiedergegeben habe; insbesondere habe das BSG in seinen Entscheidungen vom 21.7.1988 (7 RAr 21/86 - Juris) und 20.2.1991 (11 RAr 67/89 - Juris) zur Verneinung einer Atypik bei rückwirkend eintretender Sozialhilfebedürftigkeit nicht auf die Besonderheiten des Arbeitsförderungsrechts abgestellt. Entgegen der Ansicht des LSG könne die Typik fehlender Sozialhilfeantragstellung bei aktuell bedarfsdeckenden Renteneinkommen durchaus als Indiz herangezogen werden, das die Annahme eines typischen Falles bei rückwirkend eintretender Sozialhilfebedürftigkeit stütze. Seit Geltung des § 28 SGB X liege die maßgebliche Voraussetzung der Entscheidungen des BSG vom 23.3.1995 (13 RJ 39/94 - SozR 3-1300 § 48 Nr 37) und 12.12.1995 (10 RKg 9/95 - SozR 3-1300 § 48 Nr 42) zur Bejahung eines atypischen Falles, die nicht mögliche Geltendmachung von Sozialhilfeansprüchen für die Vergangenheit, nicht mehr vor. Zudem könne nicht außer Acht bleiben, dass für die Klägerin im streitigen Zeitraum allein Leistungen nach §§ 41 ff SGB XII in Frage gekommen wären; auch insoweit seien die Entscheidungen des BSG aus dem Jahre 1995 (Urteile vom 23.3.1995 aaO und vom 12.12.1995 aaO) angesichts der Vorgaben des Urteils des BSG vom 16.10.2007 (B 8/9b SO 8/06 R - BSGE 99, 137 = SozR 4-1300 § 44 Nr 11)zu überdenken. Abweichend vom Gegenwärtigkeitsprinzip des BVerwG erfolgten Leistungen nach §§ 41 ff SGB XII nicht beschränkt auf die Deckung des gegenwärtig Notwendigen; aufgrund dieser Weiterentwicklung des Sozialhilferechts ab dem 1.1.2005 in Bezug auf die Befriedigung vergangener Bedarfe erscheine es zweifelhaft, ob die Rechtsprechung des 13. Senats (Urteil vom 23.3.1995 aaO) und des 10. Senats (Urteil vom 12.12.1995 aaO) weiter Bestand haben könne. Das Urteil des LSG könne des Weiteren nicht überzeugen, soweit es davon ausgehe, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme eines atypischen Falles vorlägen, weil die Klägerin und ihr Ehemann nach Aufgabe des Hotelbetriebs ihren sozialhilferechtlichen Bedarf mit ihrem Renteneinkommen nicht mehr hätten decken können. Maßgeblicher Zeitpunkt für solche Feststellungen sei nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 25.1.1994 - 4 RA 16/92 - SozR 3-1300 § 50 Nr 16 = Juris RdNr 21 und 26.9.1990 - 9b/7 RAr 30/89 - BSGE 67, 232 = SozR 3-4100 § 155 Nr 2 = Juris Leitsatz 1) der Abschluss des Widerspruchsverfahrens; die Beklagte hätte dann ggf noch Ermessen ausüben können. Bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens sei bezüglich einer Sozialhilfebedürftigkeit in der Vergangenheit aber nichts vorgetragen worden. Die Beklagte sei insoweit nicht verpflichtet, ins Blaue hinein zu ermitteln. Ein Nachweis über die Sozialhilfebedürftigkeit der Klägerin sei nicht erbracht worden. Darüber hinaus schienen vom Berufungsgericht nicht alle Tatsachen ausreichend ermittelt worden zu sein; wenn ein Hotelbetrieb bis Ende 2004 profitabel geführt werde (und anschließend auch weiter geführt werde), müsse bei Übergabe des Betriebs an einen Dritten eine finanzielle Gegenleistung geflossen sein. Insoweit sei ungeklärt, ob die Klägerin (und ihr Ehemann) hieraus herrührend nicht über relevantes Vermögen verfügten. Um diesen Punkt zu klären, müsse die Klägerin Unterlagen zum Übergang des Hotelbetriebs vorlegen.

12

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Dezember 2014 zu ändern, das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 10. August 2011 insgesamt aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

13

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

14

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

15

1. Der Tenor des angefochtenen Urteils ist gemäß § 138 S 1 SGG zu berichtigen.

16

Die Beklagte hat im Berufungsverfahren beantragt, das Urteil des SG Kiel vom 10.8.2011 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Das LSG hat die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben, soweit das SG den Bescheid der Beklagten vom 10.9.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.9.2009 auch für die Zeit vor dem 1.1.2005 und in Höhe einer Erstattungsforderung von 1267,78 Euro aufgehoben hat, ohne die Klage abzuweisen.

17

Da die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils klar ergeben, dass das LSG die Klage insoweit als unbegründet angesehen hat (vgl S 9 Abs 2 des Berufungsurteils), handelt es sich um eine versehentliche Unvollständigkeit des Tenors, die als offenbare Unrichtigkeit iS von § 138 S 1 SGG von Amts wegen berichtigt werden kann(vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 138 RdNr 3c). Hierfür ist das mit der Sache befasste Rechtsmittelgericht zuständig, das im Rahmen der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den gesamten Spruchkörper entscheidet (vgl BSGE 46, 34, 40 = SozR 1500 § 138 Nr 3 S 2; BSG Beschluss vom 6.3.2012 - B 1 KR 43/11 B - Juris RdNr 4; BGH Beschluss vom 8.2.2007 - VII ZR 121/06 - Juris RdNr 2 = BauR 2007, 746; BVerwG Beschluss vom 21.12.2006 - 6 PB 17/06 - Juris RdNr 5 = Buchholz 251.91 § 39 SächsPersVG Nr 1).

18

2. Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Eine Entscheidung in der Sache kann der Senat nicht treffen, weil weitere Tatsachenfeststellungen des LSG erforderlich sind.

19

Im Revisionsverfahren ist nur noch streitig, ob die Beklagte berechtigt war, den Bescheid vom 2.5.1994 für die Zeit vom 1.1.2005 bis 31.3.2008 aufzuheben und die Erstattung von in diesem Zeitraum geleisteter Zuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung in Höhe von 509,25 Euro zu fordern. Eine abschließende Beurteilung dieser Frage ist dem Senat nicht möglich. Es fehlen schlüssige Feststellungen dazu, ob die Klägerin im streitigen Zeitraum über einsetzbares Vermögen verfügte.

20

a) Nach § 48 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich sind alle Änderungen, die dazu führen, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen (BSG Urteil vom 21.3.2007 - B 11a AL 31/06 R - SozR 4-4300 § 118 Nr 1 RdNr 14 mwN). Zutreffend hat das LSG hiernach eine zur Aufhebung der Bewilligung führende wesentliche Änderung in den maßgebenden Verhältnissen angenommen, weil die Klägerin infolge ihres Wechsels in die Familienversicherung ihres Ehemannes ab 1.3.1997 keinen Anspruch auf die Bewilligung von Zuschüssen zur freiwilligen Krankenversicherung nach § 106 SGB VI mehr hatte.

21

aa) Gemäß § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist bei Eintritt einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Dagegen soll ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit einer der Tatbestände von § 48 Abs 1 S 2 Nr 1 bis 4 SGB X gegeben ist. Letzteres ist hier der Fall. Ohne erkennbaren Rechtsverstoß konnte das LSG unter Bezugnahme auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 153 Abs 2 SGG) davon ausgehen, dass die Klägerin ihrer sich aus § 60 Abs 1 Nr 2 SGB I ergebenden Pflicht zur Mitteilung ihres Wechsels in die Familienversicherung ihres Ehegatten zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen ist(Nr 2) bzw die behauptete Unkenntnis der Klägerin vom Wegfall ihres Anspruchs auf Beitragszuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung jedenfalls auf grober Fahrlässigkeit beruhte (Nr 4). Anhaltspunkte dafür, dass das LSG den revisionsrechtlich überprüfbaren Entscheidungsspielraum bei der Feststellung der groben Fahrlässigkeit überschritten hat (vgl BSG Urteil vom 1.7.2010 - B 13 R 7/09 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 18 RdNr 31 f), sind nicht ersichtlich.

22

bb) Zutreffend geht das LSG in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BSG und des BVerwG sowie der einhelligen Auffassung im Schrifttum davon aus, dass das Wort "soll" in § 48 Abs 1 S 2 SGB X bedeutet, dass der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufheben muss, er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen kann(vgl BSG Urteile vom 5.10.2006 - B 10 EG 6/04 R - BSGE 97, 144 = SozR 4-1300 § 48 Nr 8 RdNr 18 und vom 13.5.1998 - B 14 EG 9/97 R - SozR 3-7833 § 2 Nr 7 S 38; BVerwG Beschluss vom 20.2.1986 - 5 ER 265/84 - Juris RdNr 5 mwN; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 48 RdNr 20 mwN).

23

(1) Sollvorschriften ermangelt es an einer abstrakt-generellen - die Verwaltung bindenden - normativen Letztentscheidung (vgl BVerwG Urteil vom 17.12.2015 - 1 C 31/14 - Juris RdNr 21). Zwar ist bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen die Rechtsfolge regelmäßig vorgezeichnet. Anders als bei einer Regelung, bei der die tatbestandlichen Voraussetzungen abschließend durch den Gesetzgeber ausformuliert sind, kann der Leistungsträger indes - gleichsam im Sinne einer normativen Offenheit - in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ein striktes Umsetzen von Normbefehlen Folgen haben kann, die vom Gesetzgeber nicht zwingend gewollt und mit Billigkeitsgesichtspunkten bzw dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen wären (vgl auch Dörr, Arbeitshandbuch zum Sozialverwaltungsrecht, 4. Aufl 2009, S 144; Schönenbroicher in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 1. Aufl 2014, § 40 RdNr 33; Mehde, DÖV 2014, 541, 547 f). Dabei ist in der Rechtsprechung des BSG und des BVerwG seit langem geklärt, dass die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, nicht im Wege der Ermessensausübung zu klären, sondern als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden ist (BSG Urteile vom 6.11.1985 - 10 RKg 3/84 - BSGE 59, 111 = SozR 1300 § 48 Nr 19 S 39 f, vom 3.7.1991 - 9b RAr 2/90 - SozR 3-1300 § 48 SGB X Nr 10 S 10 und vom 18.9.1991 - 10 RKg 5/91 - BSGE 69, 233 = SozR 3-5870 § 20 Nr 3 S 8; BVerwG Urteil vom 2.7.1992 - 5 C 39/90 - BVerwGE 90, 275 = Juris RdNr 19; Schütze aaO § 48 RdNr 20 mwN; Steinwedel in KassKomm, Stand August 2012, § 48 SGB X RdNr 36; Lang in Fichte/Plagemann, Sozialverwaltungsverfahrensrecht, 2. Aufl 2016, Kap 4 RdNr 243; Mrozynski, SGB I, 5. Aufl 2014, § 39 RdNr 7; Stuhlfauth in Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 4. Aufl 2014, § 40 RdNr 14 unter Verweis auf die Rspr des BSG; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl 2014, § 40 RdNr 27 unter Verweis auf die Rspr des BSG und des BVerwG; aA Pohl in Eichenhofer/Wenner, SGB I IV X, 1. Aufl 2012, § 48 SGB X RdNr 16; Lilge, SGB I, 4. Aufl 2016, § 39 RdNr 17). Ein Gericht muss, wenn der Leistungsträger einen Regelfall angenommen hat, selbst prüfen, ob ein solcher vorliegt; es darf den angefochtenen Bescheid wegen fehlender Ermessensausübung nur aufheben, wenn die Prüfung einen atypischen Fall ergibt (vgl BSG Urteil vom 11.2.1988 - 7 RAr 55/86 - SozR 1300 § 48 Nr 44 S 125; Waschull in Diering/Timme/Waschull aaO § 48 RdNr 55; Fichte in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl 2015, § 48 SGB X RdNr 48). Daher ist es entgegen dem Vorbringen der Beklagten ohne Belang, ob die Klägerin bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens eine in der Vergangenheit möglicherweise bestehende Sozialhilfebedürftigkeit hinreichend dargetan hat.

24

Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich auch aus den Urteilen des BSG vom 26.9.1990 (9b/7 RAr 30/89 - BSGE 67, 232 = SozR 3-4100 § 155 Nr 2 = Juris Leitsatz 1) und 25.1.1994 (4 RA 16/92 - SozR 3-1300 § 50 Nr 16 S 44 = Juris RdNr 21)nichts zu Gunsten ihres diesbezüglichen Rechtsstandpunkts. Beide Entscheidungen sind zu § 45 SGB X ergangen. Dieser unterscheidet sich strukturell von dem hier maßgeblichen § 48 Abs 1 S 2 SGB X. Der Begriff "soll" in dieser Vorschrift enthält keine doppelte Ermessenseinräumung. Das Ermessen erstreckt sich nur auf die Frage, was im Ausnahmefall zu geschehen hat, dh ob der Verwaltungsakt ganz oder teilweise aufgehoben werden soll. Dagegen ist die Frage, ob ein Ausnahmefall vorliegt, - wie bereits oben erwähnt - nicht Teil der Ermessensentscheidung, sondern dieser als Rechtsvoraussetzung vorgelagert und eröffnet eine solche nur bei Bejahung eines atypischen Sachverhalts (vgl zum Ganzen BSGE 59, 111, 115 = SozR 1300 § 48 Nr 19 S 39; s auch BVerwG Urteil vom 17.9.1987 - 5 C 26/84 - Juris RdNr 19). Die Entscheidung über die Rücknahme eines von Anfang an rechtswidrigen Verwaltungsakts nach § 45 Abs 1 SGB X steht demgegenüber stets im Ermessen der Behörde("darf" - BSGE 59, 157, 169 = SozR 1300 § 45 Nr 19 S 64; BVerwG Urteil vom 17.9.1987 - 5 C 26/84 - Juris RdNr 12) und umfasst die Prüfung, ob und in welchem Umfang bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen von einem Rücknahmerecht Gebrauch gemacht werden soll (vgl BSGE 59, 157, 170 = SozR 1300 § 45 Nr 19 S 65). Anders als bei § 48 Abs 1 S 2 SGB X erfasst das Ermessen bei § 45 Abs 1 SGB X demnach auch die Entscheidung, in welchen Fällen Ermessen ausgeübt werden soll. Die von der Beklagten herangezogenen höchstrichterlichen Urteile beziehen sich nur auf die dem Ermessen der Verwaltung unterliegenden und damit der Gerichtskontrolle lediglich begrenzt zugänglichen Entscheidungen. Um solche geht es im hier maßgeblichen Zusammenhang aber nicht.

25

Nach der Rechtsprechung des 9., 10. und 13. Senats des BSG ist ein atypischer Fall iS des § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 bis 4 SGB X gegeben, wenn der Betroffene infolge des Wegfalls jener Sozialleistungen, deren Bewilligung rückwirkend aufgehoben wurde, im Nachhinein unter den Sozialhilfesatz sinken oder vermehrt sozialhilfebedürftig würde(BSG Urteile vom 26.8.1994 - 13 RJ 29/93 - Juris RdNr 29, vom 23.3.1995 aaO S 83, vom 12.12.1995 aaO S 94, vom 16.12.2004 aaO RdNr 49 zu § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X, vom 1.7.2010 - B 13 R 7/09 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 18 RdNr 60 und vom 20.7.2011 - B 13 R 40/10 R - Juris RdNr 39 zu § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X; so auch: Steinwedel aaO § 48 RdNr 37, 52 und 56; Waschull aaO § 48 RdNr 50; Lang in Plagemann, Münchener Anwaltshandbuch Sozialrecht, 4. Aufl 2013, § 40 RdNr 40; Kallert in Gagel, SGB II/SGB III, Stand Juni 2013, § 330 SGB III RdNr 69; Lang aaO Kap 4 RdNr 245; Dörr/Francke, Sozialverwaltungsrecht, 3. Aufl 2012, Kap I RdNr 121; vgl auch Schütze aaO § 48 RdNr 21). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an.

26

Ob ein atypischer Fall vorliegt, ist stets nach dem Zweck der jeweiligen Regelung des § 48 Abs 1 S 2 SGB X und nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Diese müssen im Hinblick auf die mit der rückwirkenden Aufhebung des Verwaltungsakts verbundenen Nachteile, insbesondere der aus § 50 Abs 1 SGB X folgenden Pflicht zur Erstattung der erbrachten Leistungen, vom Normalfall derart abweichen, dass der betroffene Leistungsempfänger deutlich schlechter dasteht, als es beim Vorliegen eines Normalfalles der einschlägigen Regelung des § 48 Abs 1 S 2 SGB X der Fall wäre(vgl BSGE 59, 111, 116 = SozR 1300 § 48 Nr 19 S 40; BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 9 S 51). § 48 Abs 1 S 2 SGB X und damit auch die hier betroffenen Tatbestände der Nr 2 und 4 zielen darauf ab, dem Sozialversicherungsträger die Möglichkeit der Aufhebung von Dauerverwaltungsakten ab Änderung der Verhältnisse zur Herstellung der materiellen Gerechtigkeit zu geben(vgl dazu BSG Urteil vom 26.9.1991 - 4 RK 5/91 - BSGE 69, 255 = SozR 3-1300 § 48 Nr 13 S 21). Dagegen ist es nicht Sinn und Zweck dieser Regelungen, dem Versicherten ein über die Erstattungspflicht nach § 50 SGB X hinausgehendes zusätzliches "Sonderopfer" abzuverlangen. Ein solches kann bei den oben genannten Fallkonstellationen aber vorliegen. Ein im Vergleich zum Normalfall des § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 und 4 SGB X iVm § 50 Abs 1 SGB X zusätzlicher Schaden ist zu bejahen, wenn der Betroffene (höhere) Sozialhilfeansprüche zur Sicherung seines aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG folgenden Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums(vgl hierzu BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 41 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = Juris RdNr 133 mwN), welche ihm zugestanden hätten, wenn die zurückgeforderten Sozialleistungen nicht zugeflossen wären, rückwirkend nicht mehr geltend machen kann. Er hätte dann im Ergebnis wegen der Pflicht zur Rückzahlung aus seinem gegenwärtigen Einkommen und Vermögen solche Leistungen zu ersetzen, auf die er in der Vergangenheit einen Anspruch gehabt hätte (BSG Urteile vom 23.3.1995 aaO und vom 12.12.1995 aaO). Ein derartiger Anspruchsverlust wird von der Zweckbestimmung der Tatbestände nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 und 4 SGB X nicht eingefordert.

27

b) Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Revision greifen nicht durch.

28

aa) Das LSG konnte sich - in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des erkennenden Senats - der in den Urteilen des BSG vom 23.3.1995 (aaO) und vom 12.12.1995 (aaO) niedergelegten Rechtsauffassung anschließen, ohne dass es hierfür einer Auseinandersetzung mit den Entscheidungen des BSG vom 31.10.1991 (7 RAr 60/89 - SozR 3-1300 § 45 Nr 10), vom 15.5.1985 (5b/1 RJ 34/84 - SozR 1500 § 154 Nr 8) sowie vom 12.9.1984 (4 RJ 79/83 - BSGE 57, 138 = SozR 1300 § 50 Nr 6) zu den sog Urteilsleistungen bedurft hätte. Denn die Begründung des 13. (Urteil vom 23.3.1995 aaO) und 10. (Urteil vom 12.12.1995 aaO) Senats wie auch die Rechtsauffassung des erkennenden Senats zur Annahme eines atypischen Falles im Rahmen von § 48 Abs 1 S 2 SGB X ist aus sich selbst heraus tragend. Zwar ist Rechtsgrundlage für die Erstattung von Urteilsleistungen ebenfalls § 50 SGB X; doch bemisst sich im Rahmen der Geltendmachung von Erstattungsforderungen nach Urteilsleistungen die Vertrauensschutzprüfung nach einer anderen Norm, § 45 SGB X. Im Übrigen wird den von der Beklagten herausgestellten unterschiedlichen Schutzbedürftigkeiten der Beteiligten in beiden Fallkonstellationen durchaus Rechnung getragen: Bei Erstattungsforderungen nach Urteilsleistungen wird - entsprechend der von der Beklagten betonten stärkeren Schutzwürdigkeit der Leistungsempfänger - ein weitergehender Schutz durch die sinngemäße Anwendung von § 42 Abs 3 Nr 3 SGB I(idF bis zum Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Sozialgesetzbuchs über den Schutz der Sozialdaten sowie zur Änderung anderer Vorschriften vom 13.6.1994, BGBl I 1229) gewährt, nach dem eine Rückzahlungspflicht entfällt, soweit der Betroffene ohne die zuerkannte Urteilsleistung auf die Gewährung von Sozialhilfe angewiesen gewesen wäre (vgl Senatsurteil vom 25.2.1992 - 5 RJ 44/91 - Juris RdNr 26). Diese Rechtsprechung hat insoweit dem Merkmal der "besonderen Härte" iS von § 42 Abs 3 Nr 3 SGB I(idF bis zum Gesetz vom 13.6.1994, BGBl I 1229) eine unmittelbar anspruchsvernichtende Wirkung zuerkannt (Meyer in FS Krasney, 319, 328 ff; Steinwedel in KassKomm, Stand September 2013, § 50 SGB X RdNr 39). Demgegenüber ist bei der Annahme eines atypischen Falles im Rahmen des § 48 Abs 1 S 2 SGB X - entsprechend der von der Beklagten herausgestellten höheren Schutzbedürftigkeit des leistenden Trägers - eine rückwirkende Aufhebung rechtlich weder geboten noch ausgeschlossen; sie liegt vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen des Versicherungsträgers.

29

bb) Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten weichen die genannten BSG-Urteile aus dem Jahr 1995 - und damit auch die Entscheidung des erkennenden Senats - nicht von den Urteilen des 11. Senats vom 20.2.1991 (aaO Juris RdNr 29) und des vormaligen 7. Senats vom 21.7.1988 (aaO Juris RdNr 25 f) ab. In diesen wird § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB X erkennbar nur in Bezug auf das Recht der Arbeitsförderung und dessen spezifischen Besonderheiten ausgelegt, ohne dass damit die Aufstellung eines übergreifenden Rechtssatzes verbunden sein sollte. Zur Bestimmung eines atypischen Falles stellt der vormalige 7. Senat (Urteil vom 21.7.1988 aaO) die Betroffenheit des Versicherten ausschließlich in das Verhältnis zu anderen Arbeitslosenhilfeempfängern ("Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass der Kläger durch die Pflicht zur Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Leistungen stärker betroffen wird als andere Alhi-Empfänger") und erachtet es als unerheblich, dass dieser durch den Leistungsentzug möglicherweise sozialhilfebedürftig geworden ist; dies sei keine Besonderheit, sondern typisch für "solche Fälle". An diese fallbezogene Formulierung anknüpfend führt der 11. Senat (Urteil vom 20.2.1991 aaO) aus, dass bei ordnungsgemäßer Mitteilung der Arbeitsaufnahme möglicherweise zustehende Sozialhilfeansprüche im Nachhinein nicht mehr geltend gemacht werden könnten, begründe keine besondere Härte im Sinne eines atypischen Falles, sondern entspreche dem Regelfall bei rückwirkender Erstattung zu Unrecht gezahlter Leistungen. Auch der Gesetzgeber hat die spezifischen Besonderheiten des Rechts der Arbeitsförderung (vgl hierzu BT-Drucks 12/5502 S 37) aufgegriffen und mit Wirkung vom 1.1.1994 § 152 Abs 3 Arbeitsförderungsgesetz eingefügt(Erstes Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21.12.1993, BGBl I 2353), der mit dem heutigen § 330 Abs 3 S 1 SGB III identisch ist. Danach ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs 1 S 2 SGB X der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Die Aufhebungsentscheidung hat seither als gebundene Entscheidung zu ergehen, ohne dass es auf das Vorliegen eines atypischen Falles ankäme. Die vom 11. (Urteil vom 20.2.1991 aaO) und vormaligen 7. Senat (Urteil vom 21.7.1988 aaO) aufgeworfene Rechtsfrage stellt sich demnach im Recht der Arbeitsförderung nicht mehr; sie ist durch die Rechtsentwicklung überholt (vgl BSG Urteil vom 28.11.1996 - 7 RAr 56/96 - SozR 3-4100 § 117 Nr 13 S 93).

30

cc) Die nach Rechtsauffassung des erkennenden Senats gebotene - und für die Atypik der Fallgestaltung auf unwiderruflich entgangene Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB XII abhebende - Auslegung des § 48 Abs 1 S 2 SGB X steht auch nicht in Widerspruch zu den in den §§ 103 f SGB XII normierten Kostenersatzansprüchen bei schuldhaftem Verhalten oder für zu Unrecht erbrachte Leistungen. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt in Fällen wie dem vorliegenden mit Verwirklichung der Tatbestände des § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 und 4 SGB X nicht stets zugleich auch ein Verhalten des Betroffenen vor, das derartige Kostenersatzansprüche auslösen könnte(zu den - hier offensichtlich nicht vorliegenden - Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 103 f SGB XII vgl Bieback in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 103 RdNr 1 ff und § 104 RdNr 1 ff). Grund für die fehlende Möglichkeit des rückwirkenden Bezugs von Sozialhilfeleistungen ist nicht das Fehlverhalten der Klägerin, sondern das im Sozialhilferecht grundsätzlich Geltung beanspruchende Gegenwärtigkeits- und Zuflussprinzip (vgl hierzu ee)).

31

dd) Ebenso wenig vermag die Ansicht der Beklagten zu überzeugen, es sei typisch, dass derjenige, der über ein aktuell bedarfsdeckendes Renteneinkommen verfüge, keinen Sozialhilfeantrag stelle, sodass auch die rückwirkend eintretende Sozialhilfebedürftigkeit bei Erstattung bezogener Leistungen ein typischer Fall sei. Diese Erwägungen werden nicht der Abgrenzung typischer Fälle von atypischen gerecht.

32

Wie bereits oben ausgeführt, entscheidet über das Vorliegen eines atypischen Falles der Zweck der jeweiligen Sollvorschrift nach den Umständen des Einzelfalles (stRspr, BSG Urteile vom 27.7.2000 - B 7 AL 42/99 R - BSGE 87, 31 = SozR 3-4100 § 134 Nr 22 S 85, vom 29.6.1994 - 1 RK 45/93 - BSGE 74, 287 = SozR 3-1300 § 48 Nr 33 S 72 und vom 24.2.1987 - 11b RAr 35/85 - SozR 1300 § 48 Nr 30 = Juris RdNr 12). Sieht dieser - wie bei § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 und 4 SGB X - außer der Herstellung der materiellen Richtigkeit keine weitere Belastung des betroffenen Leistungsempfängers wie den Verlust nachträglich nicht mehr geltend zu machender Sozialhilfeansprüche vor, ist dessen Eintritt als atypisch zu qualifizieren.

33

ee) Der Senat vermag sich auch nicht dem Vorbringen der Beklagten anzuschließen, wonach infolge neuerer sozialhilferechtlicher Rechtsprechung des BSG zur Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit die bisherige Begründung eines atypischen Falles bei rückwirkend eingetretener bzw gesteigerter Hilfebedürftigkeit sich nicht mehr aufrechterhalten ließe und damit auch der bisherigen Rechtsprechung zu § 48 Abs 1 S 2 SGB X die Grundlage entzogen sei(kritisch Merten in Hauck/Noftz, SGB X, Stand März 2016, § 48 RdNr 76). Zwar hat der 8. Senat in seinem Urteil vom 16.10.2007 (B 8/9b SO 8/06 R - BSGE 99, 137 = SozR 4-1300 § 44 Nr 11) ausgeführt, dass Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung abweichend vom Gegenwärtigkeitsprinzip des BVerwG, nicht auf die Deckung des gegenwärtig Notwendigen beschränkt sind (RdNr 20) und nicht allein der Befriedigung eines aktuellen, sondern auch eines künftigen und vergangenen Bedarfs dienten (RdNr 19). Diese Ausführungen sind allerdings im Rahmen eines Zugunstenverfahrens gemäß § 44 SGB X ergangen, ebenso wie das Urteil des 8. Senats vom 29.9.2009 (B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20), auf das sich die Beklagte ebenfalls in der Revisionsbegründung bezieht. Um ein Verfahren nach § 44 SGB X geht es vorliegend jedoch nicht. Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin in der Vergangenheit keinen Antrag auf Sozialhilfe gestellt, der zu Unrecht abgelehnt worden sein könnte.

34

Ob die Klägerin für den hier streitigen, in der Vergangenheit liegenden Zeitraum Ansprüche auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII geltend machen kann, die gemäß § 19 Abs 2 S 2 SGB XII den Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel vorgehen, richtet sich nach den Vorschriften des SGB XII. Gemäß § 41 Abs 1 S 1 SGB XII(idF des Art 3 Nr 22 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453) bzw § 44 Abs 1 S 1 SGB XII(in der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung des Art 1 Nr 14 des Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Vorschriften vom 21.12.2015, BGBl I 2557) sind Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zwingend an die Stellung eines vorherigen Antrags gebunden. Einen solchen hat die Klägerin für den hier streitigen Zeitraum vom 1.1.2005 bis 30.3.2008 nicht gestellt. Zwar besteht nach § 28 SGB X die Möglichkeit einer wiederholenden Antragstellung; unabhängig von der Frage, ob § 28 SGB X im Rahmen der §§ 41 ff SGB XII überhaupt Anwendung findet(vgl hierzu Coseriu in jurisPK-SGB XII, Stand 25.4.2016, § 18 SGB XII RdNr 29; Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 18 RdNr 9), muss ein solcher Antrag, der bis zu einem Jahr zurückwirkt, innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats gestellt werden, in dem die Ablehnung oder die Forderung nach Erstattung einer anderen Sozialleistung bindend geworden ist (§ 28 S 1 SGB X). Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin von der Möglichkeit der rückwirkenden Antragstellung nach § 28 SGB X im Anschluss an die Aufhebungsentscheidung aber keinen Gebrauch gemacht. Darüber hinaus weist das LSG zu Recht darauf hin, dass die Klägerin rückwirkend auch deshalb keine Leistungen der Sozialhilfe geltend machen kann, weil ihr die zu Unrecht gewährten Zuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung im streitigen Zeitraum tatsächlich zugeflossen sind und deshalb im jeweiligen Zuflussmonat als Einkommen iS von § 82 Abs 1 S 1 SGB XII zur Deckung ihrer Bedarfe zur Verfügung gestanden haben(vgl Schmidt in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, Stand 22.1.2016, § 82 SGB XII RdNr 25 unter Verweis auf BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 43 RdNr 23; vgl auch BSG Urteil vom 12.9.1984 aaO RdNr 28).

35

c) Ob die Klägerin im streitigen Zeitraum bedürftig iS des SGB XII gewesen ist, kann der Senat nicht abschließend beurteilen. Es fehlen schlüssige Feststellungen zum einsetzbaren Vermögen der Klägerin.

36

Die Feststellung des LSG, dass die Klägerin im Juni 2008 in Höhe von 9000 Euro verschuldet war und sie zwischenzeitlich Leistungen der Grundsicherung im Alter erhält, lassen keinen Rückschluss darauf zu, ob sie (und ihr Ehemann) in der Zeit vom 1.1.2005 bis 31.3.2008 vermögenslos waren. Wenn das LSG dennoch vom Nichtvorliegen berücksichtigungsfähigen Vermögens iS von § 90 SGB XII ausgeht, verbindet sich damit keine Tatsachenfeststellung, an die das Revisionsgericht gebunden wäre(§ 163 SGG). Bei dem Begriff Vermögen handelt es sich um einen Rechtsbegriff, dessen Inhalt durch die Rechtsanwender und letztlich die Gerichte zu bestimmen ist (Mecke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, Stand 18.4.2016, § 90 RdNr 12).

37

Da die angefochtenen Bescheide nicht schon aus anderen Gründen rechtswidrig sind - etwaige Anhörungsmängel sind geheilt und die Fristen des § 48 Abs 4 S 1 iVm § 45 Abs 3 S 4 bzw Abs 4 S 2 gewahrt - ist der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung zurückzuverweisen. Das LSG wird zum Vermögen der Klägerin (und ihres Ehemannes) weitere tatsächliche Feststellungen zu treffen haben und insbesondere klären müssen, ob die Klägerin durch den Verkauf des Hotelbetriebs im Jahr 2004 nicht Vermögen hat bilden können, das der Annahme einer Sozialhilfebedürftigkeit entgegensteht und damit eine Atypik der Fallgestaltung iS von § 48 Abs 1 S 2 SGB X entfallen lässt.

38

Die streitige Rückforderung des Betrages von 509,25 Euro hat die Beklagte mit Bescheid vom 10.9.2008 auf § 50 Abs 1 SGB X gestützt. Da eine Erstattungspflicht der Klägerin in dieser Höhe nur dann besteht, wenn der Bewilligungsbescheid vom 2.5.1994 für die Zeit vom 1.1.2005 bis 31.3.2008 zu Recht aufgehoben worden ist, kann auch hierüber noch nicht abschließend befunden werden. Demnach ist das Berufungsurteil auch insoweit aufzuheben und dieser Gegenstand in die Zurückverweisung der Sache einzubeziehen.

39

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Sach- und Dienstleistungen sind in Geld zu erstatten.

(2) Soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatten. §§ 45 und 48 gelten entsprechend.

(2a) Der zu erstattende Betrag ist vom Eintritt der Unwirksamkeit eines Verwaltungsaktes, auf Grund dessen Leistungen zur Förderung von Einrichtungen oder ähnliche Leistungen erbracht worden sind, mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen. Von der Geltendmachung des Zinsanspruchs kann insbesondere dann abgesehen werden, wenn der Begünstigte die Umstände, die zur Rücknahme, zum Widerruf oder zur Unwirksamkeit des Verwaltungsaktes geführt haben, nicht zu vertreten hat und den zu erstattenden Betrag innerhalb der von der Behörde festgesetzten Frist leistet. Wird eine Leistung nicht alsbald nach der Auszahlung für den bestimmten Zweck verwendet, können für die Zeit bis zur zweckentsprechenden Verwendung Zinsen nach Satz 1 verlangt werden; Entsprechendes gilt, soweit eine Leistung in Anspruch genommen wird, obwohl andere Mittel anteilig oder vorrangig einzusetzen sind; § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bleibt unberührt.

(3) Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Festsetzung soll, sofern die Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden.

(4) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 unanfechtbar geworden ist. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. § 52 bleibt unberührt.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten bei Berichtigungen nach § 38 entsprechend.

(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn

1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint,
2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde,
3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll,
4.
Allgemeinverfügungen oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl erlassen werden sollen,
5.
einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen,
6.
Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen oder
7.
gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70 Euro aufgerechnet oder verrechnet werden soll; Nummer 5 bleibt unberührt.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Juni 2015 aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 1. Juli 2014 zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Berücksichtigung einer Urlaubsabgeltung als Hinzuverdienst bei einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

2

Die 1965 geborene Klägerin arbeitete zuletzt ohne tarifvertragliche Bindung bei der M. GmbH (Arbeitgeber). Seit dem 20.11.2009 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses für einen solchen Fall war im Arbeitsvertrag nicht vereinbart worden. Mit Bescheid vom 11.4.2011 bewilligte die Beklagte der Klägerin auf ihren Antrag vom Januar 2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung - zunächst befristet vom 1.1.2011 bis zum 30.11.2012, daran anschließend auf Dauer (Bescheid vom 6.9.2012). Zum 31.12.2012 wurde das Arbeitsverhältnis durch Kündigung des Arbeitgebers beendet.

3

Im Mai 2011 zahlte der Arbeitgeber der Klägerin eine Urlaubsabgeltung für das Jahr 2010, deren Höhe er im August 2012 gegenüber der Beklagten mit 5500 Euro angab. Auf das Anhörungsschreiben der Beklagten vom September 2012 zur beabsichtigten Anwendung der Hinzuverdienstregelung machte die Klägerin geltend, dass die Urlaubsabgeltung für einen Zeitraum vor Beginn der Rente gezahlt worden sei und sie seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit keine Arbeitsleistung mehr erbracht habe.

4

Mit Bescheid vom 2.10.2012 berechnete die Beklagte die Rente ab 1.5.2011 neu und stellte eine Überzahlung iHv 729,75 Euro fest. In der Anlage 10 zu diesem Bescheid hob die Beklagte den "Rentenbescheid vom 14.04.2011" hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab 1.5.2011 nach § 48 SGB X auf und forderte die Erstattung der dadurch entstandenen Überzahlung. Das einmalig im Mai 2011 gezahlte Arbeitsentgelt sei als Hinzuverdienst iS des § 96a Abs 1 SGB VI zu berücksichtigen, denn es stamme aus einem Beschäftigungsverhältnis, das nach Rentenbeginn noch bestanden habe.

5

Widerspruch und Klage der Klägerin sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 25.11.2013; Urteil vom 1.7.2014).

6

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat das LSG die Berufung zugelassen (Beschluss vom 10.12.2014). Anschließend hat es das Urteil des SG aufgehoben, ebenso den Bescheid der Beklagten vom 2.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2013 insoweit, als darin die Rentenbewilligung für Mai 2011 in Höhe von 729,75 Euro aufgehoben und dieser Betrag zurückgefordert wurde (Urteil vom 16.6.2015). Eine Anrechnung der Urlaubsabgeltung auf die Rente der Klägerin habe nicht zu erfolgen. Zwar handele es sich bei der streitigen Einmalzahlung um Arbeitsentgelt iS des § 96a SGB VI iVm § 14 SGB IV, jedoch stamme dieses nicht aus einer noch bestehenden Beschäftigung iS des § 96a SGB VI. Obwohl das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin nicht aufgrund tarifvertraglicher Bestimmungen zum Ruhen gekommen sei, liege insoweit eine vergleichbare Sachlage iS des Art 3 Abs 1 GG vor, denn es habe wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit der Klägerin an einer Arbeit auf Kosten der Gesundheit und an einer Wahrnehmung des Direktionsrechts durch den Arbeitgeber gefehlt.

7

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 96a SGB VI. Die Norm sei auch auf Arbeitsentgelt aus einer nicht tatsächlich ausgeübten Beschäftigung anzuwenden, sofern das Arbeitsverhältnis nicht infolge arbeits- oder tarifvertraglicher Regelungen ab Rentenbeginn zum Ruhen gebracht werde. Der vorliegende Sachverhalt sei mit diesen Fällen nicht vergleichbar. § 96a SGB VI solle die "Lohnersatzfunktion der Rente" stärken und eine "Übersicherung" beim Versicherten verhindern. Aus der gezahlten Rente und einem Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung solle kein höheres Gesamteinkommen erzielt werden als vor dem Rentenbezug.

8

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Juni 2015 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 1. Juli 2014 zurückzuweisen.

9

Die Klägerin beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

10

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet (§ 170 Abs 2 S 1 SGG).

12

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der mit einer Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Alt 1 SGG) angegriffene Bescheid vom 2.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2013, mit dem die Beklagte ihren Rentenbewilligungsbescheid vom 11.4.2011 hinsichtlich der Rentenhöhe teilweise mit Wirkung ab 1.5.2011 aufgehoben und die Erstattung der entstandenen Überzahlung iHv 729,75 Euro gefordert hat.

13

Das LSG hat das Urteil des SG und die angegriffenen Bescheide der Beklagten zu Unrecht aufgehoben. Die Beklagte war berechtigt, die der Klägerin gezahlte Urlaubsabgeltung für das Jahr 2010 als Hinzuverdienst iS des § 96a Abs 1 SGB VI bei ihrer Rente wegen voller Erwerbsminderung zu berücksichtigen und den Überzahlungsbetrag zurückzufordern.

14

A. Der Bescheid vom 2.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2013 ist formell rechtmäßig.

15

I. Die Klägerin wurde vor Erlass des angefochtenen Bescheids ordnungsgemäß angehört (§ 24 Abs 1 SGB X). Davon konnte schon deshalb nicht nach § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X abgesehen werden, weil die Beklagte von der Klägerin auch die Erstattung von Leistungen für die Vergangenheit verlangt(vgl BSG Urteil vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2, RdNr 19).

16

II. Die Entscheidung der Beklagten ist hinreichend bestimmt iS von § 33 Abs 1 SGB X. Unerheblich ist insoweit, dass die Beklagte die teilweise Aufhebung der Rentenbewilligung und die Erstattung der dadurch entstandenen Überzahlung erst in der Anlage 10 des Bescheids vom 2.10.2012 unter der Überschrift "Bescheidaufhebung und deren Begründung" verfügt hat ( vgl Senatsurteil vom 10.7.2012 - B 13 R 81/11 R - Juris RdNr 24). Denn auch die Anlage 10 ist Bestandteil des Bescheids.

17

Unschädlich ist ebenso, dass die Beklagte den teilweise aufgehobenen Bescheid als "Rentenbescheid vom 14.04.2011" (richtig: 11.4.2011) bezeichnet hat. Hierbei handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler (§ 38 SGB X), der keinen Einfluss auf die Bestimmtheit des angefochtenen Bescheids hat (§ 33 Abs 1 SGB X; vgl BSG Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 196/11 R - SozR 4-1300 § 33 Nr 2 RdNr 18).

18

B. Die teilweise Aufhebung der Rentenbewilligung ist auch materiell rechtmäßig.

19

Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung des Bescheids vom 11.4.2011 ab 1.5.2011 ist § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 und S 3 SGB X iVm § 96a Abs 1, Abs 1a und Abs 2 Nr 2, 3 SGB VI(die Bestimmungen des SGB VI idF des Siebten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 8.4.2008 - BGBl I 681; im Folgenden: aF).

20

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs 1 S 1 SGB X). Nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X soll ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse - binnen Jahresfrist nach § 48 Abs 4 S 1 und 2 iVm § 45 Abs 4 S 2 SGB X - aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Das ist hier der Fall.

21

I. Die von § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X vorausgesetzte wesentliche Änderung der Verhältnisse ist aufgrund der Zahlung der Urlaubsabgeltung im Mai 2011 eingetreten. Bei der Urlaubsabgeltung für das Jahr 2010 handelt es sich um Arbeitsentgelt nach § 96a Abs 1 SGB VI aF iVm § 14 SGB IV(1.), das als Hinzuverdienst aus einem Beschäftigungsverhältnis während des Rentenbezugs anzusehen ist (2.). Aufgrund dessen stand der Klägerin der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung im Monat Mai nur in geminderter Höhe zu, so dass der Rentenbewilligungsbescheid insoweit aufzuheben war (3.).

22

1. Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass die Urlaubsabgeltung grundsätzlich Arbeitsentgelt iS von § 96a Abs 1 SGB VI aF iVm § 14 SGB IV ist.

23

Nach § 96a Abs 1 S 2 SGB VI aF wird die in § 96a Abs 2 SGB VI aF näher bestimmte Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten, wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit oder vergleichbares Einkommen im Monat die in Abs 2 aaO genannten Beträge nicht übersteigt. Danach ist als Hinzuverdienst insbesondere Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung zu berücksichtigen. Was als Arbeitsentgelt iS dieser Bestimmung anzusehen ist, bestimmt sich nach den für alle Versicherungszweige geltenden Regelungen in § 14 SGB IV(vgl Senatsurteil vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 RdNr 30 mwN). Ergänzend sind die Bestimmungen der auf der Grundlage von § 17 Abs 1 SGB IV erlassenen "Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt"(Sozialversicherungsentgeltverordnung - SvEV vom 21.12.2006, BGBl I 3385) heranzuziehen (vgl BSG Urteil vom 16.2.1989 - 4 RA 2/88 - SozR 2200 § 1241 f Nr 2 S 8 - Juris RdNr 14 - noch zu der am 31.12.2006 außer Kraft getretenen Arbeitsentgeltverordnung; s auch Gürtner in Kasseler Kommentar, § 34 SGB VI RdNr 19, Stand der Einzelkommentierung Mai 2017; Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 96a RdNr 11, Stand der Einzelkommentierung Juni 2015; Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 34 RdNr 34, Stand der Einzelkommentierung April 2013). Schließlich ist grundsätzlich zu untersuchen, ob Sonderregelungen außerhalb der §§ 14, 17 SGB IV das Arbeitsentgelt abweichend regeln(§ 1 Abs 3 SGB IV, vgl hierzu zB Knospe in Hauck/Noftz, SGB IV, K § 14 RdNr 70, Stand der Einzelkommentierung Februar 2016). Aus den beiden letztgenannten Prüfungsschritten ergeben sich für die Urlaubsabgeltung jedoch keine Erkenntnisse (s aber Parallelentscheidung des Senats zum Az B 13 R 33/16 R).

24

Nach § 14 Abs 1 S 1 SGB IV sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Diese weite Begriffsbestimmung umfasst alle Einnahmen, die dem Versicherten in ursächlichem Zusammenhang mit einer Beschäftigung zufließen. Hierunter fallen die Gegenleistungen des Arbeitgebers für eine bestimmte Arbeitsleistung, aber auch Zuwendungen, denen ein Anspruch des Arbeitgebers auf eine konkrete Arbeitsleistung nicht gegenübersteht, wie die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder das Urlaubsgeld (vgl BSG Urteil vom 7.3.2007 - B 12 KR 4/06 R - SozR 4-2400 § 14 Nr 8 RdNr 15; BSG Urteil vom 28.1.1999 - B 12 KR 14/98 R - BSGE 83, 266, 267 = SozR 3-2400 § 14 Nr 17 S 38; BSG Urteil vom 12.3.1986 - 5a RKnU 2/85 - BSGE 60, 39, 40 = SozR 2200 § 571 Nr 25 S 58). In Betracht kommen auch einmalige Einnahmen, die - wie hier die Urlaubsabgeltung - nicht für die Arbeit in einem einzelnen Entgeltabrechnungszeitraum gezahlt werden (vgl die Definition des § 23a Abs 1 S 1 SGB IV). Solche Einnahmen müssen sich aber zeitlich der Beschäftigung zuordnen lassen und dürfen sich nicht - wie etwa echte Abfindungen, die als Entschädigung für den Wegfall künftiger Verdienstmöglichkeiten gezahlt werden, oder Ruhegehälter - ihrer Zweckbestimmung nach allein auf die Zeit nach dem beendeten Arbeitsverhältnis beziehen (vgl Senatsurteile vom 14.12.2016 - B 13 R 34/15 R - SozR 4-2600 § 181 Nr 3 RdNr 26; vom 2.11.2015 - B 13 R 17/14 R - SozR 4-2600 § 181 Nr 2 RdNr 21; BSG Urteil vom 7.3.2007 - B 12 KR 4/06 R - SozR 4-2400 § 14 Nr 8 RdNr 15; BSG Urteil vom 28.1.1999 - B 12 KR 14/98 R - BSGE 83, 266, 267 = SozR 3-2400 § 14 Nr 17, Juris RdNr 15; BSG Urteil vom 21.2.1990 - 12 RK 20/88 - BSGE 66, 219 = SozR 3-2400 § 14 Nr 2, Juris RdNr 13; BSG Urteil vom 29.8.1984 - 11 RK 5/83 - SozR 5420 § 2 Nr 31, Juris RdNr 11; Knospe in Hauck/Noftz, SGB IV, Stand Februar 2016, K § 14 RdNr 26; Marschner in Kreikebohm, SGB IV, 2. Aufl 2014, § 14 RdNr 6 f).

25

Nach diesen Maßstäben sieht der Senat Leistungen zur Urlaubsabgeltung weiterhin als Arbeitsentgelt iS des § 14 SGB IV an(vgl Senatsurteil vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 RdNr 33 mwN ). Auch wenn diese grundsätzlich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraussetzen (a), stehen sie nach ihrer Zweckbestimmung noch im Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis (b). An diesem Ergebnis ändert sich durch die Aufgabe der sog Surrogatstheorie nichts (c). Auf die Rechtswidrigkeit der hier erfolgten vorzeitigen Urlaubsabgeltung kommt es nach § 14 SGB IV nicht an(d). Eine spezialgesetzliche Ausnahme von der Einordnung der Urlaubsabgeltung als Arbeitsentgelt liegt nicht vor; sie ergibt sich insbesondere nicht aus § 14 Abs 1 S 3 SGB IV(in der bis zum 22.4.2015 geltenden Fassung) oder § 17 SGB IV iVm § 1 Abs 1 S 1 Nr 1 SvEV in der ab 1.1.2011 geltenden Fassung der Verordnung vom 10.11.2010 (BGBl I 1751).

26

a) Der Anspruch auf Urlaub ist nach § 7 Abs 4 BUrlG zwar nur dann abzugelten, wenn er "wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann". Der Urlaub wandelt sich danach mit (nicht: nach) der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl BAG Urteil vom 9.8.2011 - 9 AZR 365/10 - BAGE 139, 1-14, Juris RdNr 17; vgl bereits BSG Urteil vom 26.1.1967 - 3 RK 44/64 - BSGE 26, 68, 70 = SozR Nr 21 zu § 160 RVO, Juris RdNr 21) in einen Abgeltungsanspruch um, ohne dass es dafür noch einer weiteren Handlung des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers bedarf (vgl BAG Urteil vom 5.12.1995 - 9 AZR 871/94 - BAGE 81, 339, Juris RdNr 23). Es handelt sich bei § 7 Abs 4 BUrlG auch um eine Vorschrift, von der, soweit der gesetzliche Mindesturlaub(§ 3 BUrlG) betroffen ist, nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden kann (§ 13 Abs 1 BUrlG). Dies gilt ebenso für tarifliche Regelungen (vgl BAG Urteil vom 18.6.1980 - 6 AZR 328/78 - Juris RdNr 12). Das dadurch bewirkte Verbot der vorzeitigen Abgeltung des Mindestjahresurlaubs soll gewährleisten, dass der Arbeitnehmer über eine tatsächliche Ruhezeit zum Schutz seiner Sicherheit und Gesundheit verfügen kann (vgl EuGH Urteil vom 16.3.2006 - C-131/04 ua - Slg 2006, I-2531 - Juris RdNr 60).

27

b) Hieraus folgt jedoch andererseits auch, dass die Urlaubsabgeltung stets in einem engen inneren und zeitlichen Zusammenhang mit dem Urlaubsanspruch steht. Für die Einordnung als Arbeitsentgelt iS des § 14 SGB IV ist es daher nicht entscheidend, ob der jeweilige Urlaubsabgeltungsanspruch den Mindesturlaub bzw eventuell darüber hinausgehenden Urlaub betrifft und erst mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses oder eventuell bereits vorher rechtlich entsteht bzw ausgezahlt wird.

28

Denn Voraussetzung für die Urlaubsabgeltung ist grundsätzlich ein bis dahin noch bestehender Urlaubsanspruch. Mit dem Abgeltungsanspruch werden die in einem bestimmten Jahr des Beschäftigungsverhältnisses (Bezugszeitraum bzw Urlaubsjahr) entstandenen, aber bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses noch nicht gewährten und nicht verfallenen Urlaubstage in Geld ersetzt. Nach der neueren Rechtsprechung des BAG verfallen Urlaubsansprüche - auch im Fall der dauernden Arbeitsunfähigkeit - nach § 7 Abs 3 S 3 BUrlG 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres, dh am 31.3. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres (BAG Urteil vom 7.8.2012 - 9 AZR 353/10 - Juris RdNr 23; BAG Urteil vom 15.10.2013 - 9 AZR 302/12 - Juris RdNr 11; EuGH Urteil vom 22.11.2011 - C-214/10 Slg 2011, I-11757 -RdNr 44). Sofern sich eine besondere arbeitsvertragliche Regelung ausschließlich auf solche Urlaubsansprüche bezieht, die wegen Zeitablaufs schon verfallen sind, kommt eine - über die gesetzlichen Regelungen hinausgehende - Abgeltung ausnahmsweise auch im bestehenden Arbeitsverhältnis in Betracht (BAG Urteil vom 18.10.2011 - 9 AZR 303/10 - Juris RdNr 21).

29

Die Entstehung und der Umfang des Urlaubsabgeltungsanspruchs ist in all diesen Fällen eng mit dem Schicksal des Urlaubsanspruchs verknüpft. Auch die Höhe der finanziellen Abgeltung ist in der Weise zu berechnen, dass der Arbeitnehmer so gestellt wird, als hätte er den Urlaubsanspruch während der Dauer seines Arbeitsverhältnisses realisiert (vgl EuGH Urteil vom 20.1.2009 - C-350/06 > - Juris RdNr 61; vgl § 11 BUrlG). Es handelt sich daher bei der Urlaubsabgeltung um eine dem Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis obliegende Gegenleistung (so schon BSG Urteil vom 26.1.1967 - 3 RK 44/64 - BSGE 26, 68 = SozR Nr 21 zu § 160 RVO, Juris RdNr 21), die aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes erst mit dem Verfall bzw der Unmöglichkeit einer Erfüllung des Urlaubsanspruchs anfällt. Da der Abgeltungsanspruch als Sekundäranspruch (vgl Schinz in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 7. Aufl 2016, § 7 BUrlG RdNr 110)an die Stelle des bereits während der Beschäftigung erworbenen Urlaubsanspruchs tritt, unterscheidet er sich damit auch von einer echten Abfindung, die den Arbeitnehmer für den Wegfall erst künftiger Verdienstmöglichkeiten entschädigt.

30

c) Soweit sich frühere Entscheidungen bei ihrer Einordnung des Urlaubsabgeltungsanspruchs als Arbeitsentgelt iS von § 14 SGB IV(vgl ua BSG Urteil vom 1.4.1993 - 1 RK 38/92 - SozR 3-2200 § 182 Nr 16, S 75f, Juris RdNr 14 f; BSG Urteil vom 29.7.1993 - 11 RAr 17/92 - Juris RdNr 15; BAG Urteil vom 14.3.2006 - 9 AZR 312/05 - BAGE 117, 231-247, Juris RdNr 51) auf die sog Surrogatstheorie des BAG bezogen haben, ändert sich durch deren Aufgabe (ua Urteile des BAG vom 13.12.2011 - 9 AZR 399/10 - RdNr 15; vom 19.6.2012 - 9 AZR 652/10 - BAGE 142, 64 in Folge der Rechtsprechung des EuGH Urteil vom 20.1.2009 - C-350/06 und C-520/06 - Slg 2009, I-179) an dem hier gefundenen Ergebnis nichts.

31

Nach der sog Surrogatstheorie (vgl hierzu zusammenfassend BAG Urteil vom 19.6.2012 - 9 AZR 652/10 - BAGE 142, 64, Juris RdNr 16) blieb der Abgeltungsanspruch an die gleichen Voraussetzungen gebunden wie der Urlaubsanspruch selbst. Danach wurde vorausgesetzt, dass der Urlaubsanspruch noch erfüllt werden könnte, wenn das Arbeitsverhältnis (hypothetisch) weiter bestünde. Der Arbeitnehmer sollte trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses finanziell in die Lage versetzt werden, Freizeit zur Erholung zu nehmen (vgl BAG Urteil vom 23.6.1983 - 6 AZR 180/80 - BAGE 44, 75, Juris RdNr 18).

32

Nunmehr wird der Abgeltungsanspruch dagegen als ein reiner Geldanspruch verstanden, der einen Teil des Vermögens des Arbeitnehmers bildet und sich in rechtlicher Hinsicht nicht von anderen Zahlungsansprüchen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber unterscheidet (BAG Urteil vom 19.5.2015 - 9 AZR 725/13 - Juris RdNr 18; BAG Urteil vom 22.9.2015 - 9 AZR 170/14 - BAGE 152, 308). Es kommt nicht mehr darauf an, ob der Urlaubsanspruch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch "erfüllbar" wäre.

33

Damit bleibt trotz der Aufgabe der Surrogatstheorie für die grundsätzliche Einordnung der Urlaubsabgeltung als Arbeitsentgelt iS von § 14 SGB IV entscheidend, dass der Anspruch auf Urlaubsabgeltung eine seiner Grundvoraussetzungen und seinen Umfang dem laufenden Arbeitsverhältnis verdankt. Der Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis kann durch die Aufgabe der Surrogatstheorie demnach als gestärkt betrachtet werden. Der Zweck der Urlaubsabgeltung wird nicht mehr gedanklich mit einer fiktiven nachträglichen Urlaubszeit verknüpft und damit von der Zeit nach dem Arbeitsverhältnis gelöst.

34

Insoweit lässt sich auch aus der speziellen Vorschrift des § 157 Abs 2 SGB III zum Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, die für die Urlaubsabgeltung einen Zeitraum beginnend mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses ansetzt(vgl insoweit auch die vorübergehend vom 1.1.1982 bis 31.12.1985 geltenden Vorschriften des § 1227 Abs 2 RVO, § 2 Abs 3 AVG, § 168 Abs 1 S 2 AFG, § 311 S 3 RVO), kein für § 14 SGB IV verallgemeinerungsfähiger Gedanke ableiten. Die Bedeutung dieser Vorschrift beschränkt sich auf ihren Regelungsbereich.

35

Vereinbar mit dem gefundenen Ergebnis sind insbesondere auch die Entscheidungen anderer Senate, wonach die Urlaubsabgeltung nicht den Charakter eines Arbeitsentgelts für die nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegende Zeit hat und das Arbeits- bzw Beschäftigungsverhältnis insoweit nicht durch die Urlaubsabgeltung verlängert wird (vgl bereits BSG Urteil vom 22.11.1960 - 7 RAr 109/58 - BSGE 13, 155, 158 = SozR Nr 3 zu § 85 AVAVG; soweit sich das Urteil des BSG vom 4.3.2014 - B 1 KR 68/12 R - SozR 4-2500 § 5 Nr 22 Juris RdNr 13 mit der Aussage, die Urlaubsabgeltung stelle kein Arbeitsentgelt dar, auf die Entscheidungen des BSG vom 20.3.1984 - 8 RK 4/83 - BSGE 56, 208, 210 = SozR 2200 § 189 Nr 4, Juris RdNr 13 und BSG Urteil vom 27.6.1984 - 3 RK 9/83 - SozR 2200 § 189 Nr 5 Juris RdNr 10 ff bezieht, geht es dort im Kern darum, dass die Urlaubsabgeltung kein "mit der Krankengeldzahlung zeitlich konkurrierendes Arbeitsentgelt-Surrogat" sei, weil im Krankheitsfall der Urlaub und damit auch der Abgeltungszeitraum unterbrochen werde, sodass während dieser Zeit der Krankengeldanspruch nicht ruhe).

36

d) Im konkreten Fall bestehen an der grundsätzlichen Einordnung der Urlaubsabgeltung als Arbeitsentgelt (§ 14 SGB IV) umso weniger Zweifel, als diese bereits vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses geleistet wurde.

37

Insoweit ist unerheblich, dass die vorzeitige Zahlung - jedenfalls in Bezug auf den gesetzlichen Mindesturlaub - rechtswidrig erfolgt ist (§ 134 BGB). Da der Mindesturlaubsanspruch für 2010 im Mai 2011 noch nicht verfallen war, war dessen Abgeltung vor Ende des Arbeitsverhältnisses rechtlich nicht zulässig (vgl a bzw b). Im Rahmen des § 14 SGB IV kommt es jedoch ausdrücklich nicht darauf an, ob auf die Leistung ein Rechtsanspruch besteht. In einem solchen Fall genügt es, dass die Klägerin - wie hier - die Leistung im Hinblick auf das Beschäftigungsverhältnis tatsächlich erhalten hat (vgl BSG Urteil vom 7.2.2002 - B 12 KR 13/01 R - SozR 3-2400 § 14 Nr 24 S 64, Juris RdNr 22).

38

2. Es handelt sich bei der Urlaubsabgeltung aus dem Jahr 2010 auch um einen Hinzuverdienst iS des § 96a SGB VI aF, der während des Rentenbezugs (a) ungeachtet einer fehlenden tatsächlichen Arbeitsleistung (b) aus einem noch nicht beendeten Beschäftigungsverhältnis (c) erzielt wurde.

39

a) Ein Hinzuverdienst liegt grundsätzlich nur dann vor, wenn das Arbeitsentgelt nicht nur während des Rentenbezugs tatsächlich zugeflossen ist, sondern dieser Zeit auch rechtlich zugeordnet werden kann. Dieses Erfordernis ergibt sich aus Wortlaut und Systematik (aa) sowie aus Sinn und Zweck des § 96a SGB VI aF(bb) und ist bei der Urlaubsabgeltung als einmaligem Arbeitsentgelt unter wertender Betrachtung von deren Art und Charakter hier grundsätzlich gegeben (cc).

40

aa) Die erforderliche zeitlich-rechtliche Kongruenz der beiden Geldleistungen lässt sich bereits aus dem Begriff "Hinzuverdienst" und der systematischen Einordnung des § 96a SGB VI aF im Unterabschnitt "Zusammentreffen von Renten und Einkünften" schlussfolgern.

41

Sowohl die Rente (vgl § 63 Abs 6, § 64 SGB VI) als auch das laufende Arbeitsentgelt werden grundsätzlich monatsweise bezogen. Indem das Gesetz in § 96a Abs 1 SGB VI aF auf das Arbeitsentgelt "im Monat" und damit auf denselben Bezugszeitraum wie für die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit abstellt, geht es ersichtlich von dem Regelfall eines Beschäftigungsverhältnisses mit laufend gezahltem Arbeitsentgelt und damit von gleichzeitig für denselben Zeitraum erzielten Geldleistungen aus(vgl BSG Urteil vom 17.12.2002 - B 4 RA 23/02 R - SozR 3-2600 § 96a Nr 1 Juris RdNr 25). Weitere Anhaltspunkte dafür, dass der Hinzuverdienst auf die Zeit des Rentenbezugs entfallen muss, ergeben sich aus der speziellen Regelung des § 96a Abs 3 S 1 und 2 SGB VI aF zur Berücksichtigung bestimmter Sozialleistungen. Dort wird einleitend formuliert, dass diese bei der Feststellung eines Hinzuverdienstes, der "neben" einer Rente wegen teilweiser bzw voller Erwerbsminderung "erzielt" wird, dem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen gleichstehen.

42

bb) Allein die gleichzeitige Erzielung von Hinzuverdienst und Rente entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 96a SGB VI aF.

43

Die Hinzuverdienstgrenzen für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wurden mit dem Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 15.12.1995 (BGBl I 1824) zum 1.1.1996 eingeführt. Der Gesetzgeber (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 11.10.1995, BT-Drucks 13/2590 S 19) ließ sich im Wesentlichen von der Funktion der Rente wegen Erwerbsminderung als "Lohnersatz" leiten. Ziel der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sei es, dem in seiner Erwerbsfähigkeit geminderten Versicherten den Lohn, der aufgrund der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht mehr erzielt werden könne, in einem Umfang zu ersetzen, der der lebensstandardsichernden Funktion der Rente entspreche. Durch die Hinzuverdienstgrenze solle verhindert werden, dass der Versicherte durch Rente und Hinzuverdienst ein höheres Gesamteinkommen erzielen könne als vor dem Rentenbezug (vgl BR-Drucks 496/95 S 42 f).

44

Wird die Rente als Kompensation für die mit den gesundheitlichen Leistungseinschränkungen verbundenen wirtschaftlichen Nachteile verstanden, ist eine Minderung der Rente aber nur durch einen solchen Hinzuverdienst angebracht, den der Versicherte trotz bzw mit der geminderten Erwerbsfähigkeit im jeweiligen Zahlungsmonat der Rente "gleichzeitig" erwirtschaften kann. Das von der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit abgedeckte Risiko hat sich dann in dem jeweiligen Bezugszeitraum nicht voll verwirklicht. Als Regelung zur Vermeidung einer Übersicherung durch den "gleichzeitigen Bezug" von Arbeitsentgelt und einer als Ersatz für Arbeitsentgelt konzipierten Erwerbsminderungsrente (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 14.6.2007 - 1 BvR 154/05 - Juris RdNr 9; BSG Urteil vom 17.12.2002 - B 4 RA 23/02 R - SozR 3-2600 § 96a Nr 1 Juris RdNr 37) stellt § 96a SGB VI aF auch eine verhältnismäßige Bestimmung von Inhalt und Schranken iS von Art 14 Abs 1 GG dar. Erforderlich ist daher über den (ggf zeitlich zufälligen) Zufluss des Arbeitsentgelts nach Rentenbeginn hinaus auch eine rechtliche Zuordnung des Arbeitsentgelts zum Zeitraum der Rentenleistung.

45

cc) Ob im Einzelfall ein mit der Rentenleistung kongruent erzieltes "einmaliges Arbeitsentgelt" vorliegt, erfordert eine wertende Betrachtung von Art und Charakter der einmaligen Leistung. Danach ist die Urlaubsabgeltung für das Jahr 2010 hier während des Rentenbezugs erzielt worden.

46

Während laufende Leistungen (zB Lohn, Gehalt, Entgeltfortzahlung) in der Regel unproblematisch zeitlich zugeordnet werden können, ist die Einordnung einer einmaligen Einnahme - wie hier der Urlaubsabgeltung - schwieriger. Denn einmalige Einnahmen sind gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht für die Arbeit in einem einzelnen Entgeltabrechnungszeitraum gezahlt werden (vgl die Definition des § 23a Abs 1 S 1 SGB IV).

47

Obwohl der Urlaubsabgeltungsanspruch regelmäßig die Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraussetzt, ist er nicht der Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zuzuordnen (vgl oben zu a). Endet das Arbeitsverhältnis (zum Beschäftigungsverhältnis s unter c) vor oder zeitgleich mit dem Beginn der Rente wegen Erwerbsminderung, so ist eine Urlaubsabgeltung - ungeachtet ihres späteren Zuflusses während des Rentenbezugs - kein rentenschädlicher Hinzuverdienst (vgl Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, SGB VI, Stand Februar 2008 - § 96a RdNr 15c, 15d; KomGRV, Stand März 2013, § 96a SGB VI RdNr 3). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor; das Arbeitsverhältnis der Klägerin endete erst am 31.12.2012.

48

Aus dem Charakter des Urlaubsabgeltungsanspruchs ergibt sich außerdem, dass die Urlaubsabgeltung nicht dem ursprünglichen Urlaubsjahr (hier 2010) zugeordnet werden kann. Denn die Urlaubsabgeltung setzt nicht nur das Entstehen eines Urlaubsanspruchs in einem bestimmten Jahr, sondern vielmehr auch dessen weitere Übertragung im Rahmen eines Verfallzeitraums von 15 Monaten voraus (so a, bb). Die Abgeltung erfolgt gerade deshalb, weil der Urlaub in dem Jahr seiner Entstehung und auch darüber hinaus nicht gewährt werden konnte. Weder der Urlaub noch dessen Abgeltung wird in dem Urlaubsjahr "erdient". Ein abgeltungsfähiger Urlaubsanspruch setzt allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraus und steht nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat (BAG Urteil vom 7.8.2012 - 9 AZR 353/10 - BAGE 142, 371, Juris RdNr 8 mwN).

49

Es handelt sich bei der Urlaubsabgeltung um einen besonders geregelten Fall des Leistungsstörungsrechts (vgl BAG Urteil vom 16.5.2017 - 9 AZR 572/16 - NJW 2017, 2638, 2639). Die Klägerin hat den Urlaubsabgeltungsanspruch somit trotz bzw im Zusammenhang mit der geminderten Erwerbsfähigkeit während des Rentenbezugs im laufenden Arbeitsverhältnis erzielt.

50

b) Die rechtliche Zuordnung des Arbeitsentgelts zum Zeitraum der Rentenleistung setzt dabei nach § 96a Abs 1 S 2 SGB VI aF nicht voraus, dass dieses auf einer tatsächlichen Arbeit während des Rentenbezugs beruht. Dies ergibt sich aus Wortlaut und Zweck der Hinzuverdienstregelung (aa), dem Zusammenhang mit der aufgehobenen Vorschrift des § 94 SGB VI aF(bb) sowie aus einem Vergleich mit anderen Arten des Hinzuverdiensts (cc). Die Bezugnahme des § 96a SGB VI aF iVm § 14 SGB IV auf die "Beschäftigung" ändert daran nichts(dd).

51

aa) Zwar hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 96a SGB VI aF insbesondere mit Blick auf die "Einkünfte aus sogenannter Arbeit auf Kosten der Gesundheit"(vgl BR-Drucks 496/95 S 42 zu Nr 2) eingeführt. Die Versicherten sollten nicht mehr neben dem vollen Lohn für eine Arbeit auf Kosten ihrer Gesundheit zugleich noch eine volle Rente beziehen können. Diese bislang bestehende Möglichkeit habe die Lohnersatzfunktion der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ausgehöhlt (vgl BR-Drucks 496/95 S 43). Auf Anregung des Bundesrechnungshofs wurde daher erstmals die Anrechnung gleichzeitig erarbeiteter Einkünfte auf Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit geregelt.

52

Die tatsächliche Arbeit auf Kosten der Gesundheit stellt aber nach dem Wortlaut des § 96a SGB VI aF sowie nach dessen umfassenderer Zielsetzung (Stärkung der Lohnersatzfunktion bzw Übersicherungseinwand) nur einen Anwendungsfall des Hinzuverdiensts unter mehreren dar.

53

Indem § 96a Abs 1 SGB VI aF den Begriff des Arbeitsentgelts(§ 14 SGB IV) verwendet, umfasst die Regelung gerade nicht nur die Gegenleistungen für eine bestimmte Arbeitsleistung, sondern auch die nicht im synallagmatischen Verhältnis stehenden Zuwendungen des Arbeitgebers wie etwa die Entgeltfortzahlung, das Urlaubsgeld oder wie hier die Urlaubsabgeltung. Hätte der Gesetzgeber ein von § 14 SGB IV abweichendes begriffliches Verständnis des "Arbeitsentgelts" gewollt, hätte er den Begriff durch entsprechende Formulierung (etwa: "ohne Berücksichtigung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt") einschränken müssen(Senatsurteil vom 20.11.2003 - B 13 RJ 43/02 R - BSGE 91, 277 = SozR 4-2600 § 96a Nr 3, RdNr 22). Statt dessen hat er in § 96a Abs 1 S 2 SGB VI eine Regelung zum zulässigen zweimaligen Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze getroffen, von der gerade schwankende Einkommensverhältnisse aufgrund einmalig gezahlten Arbeitsentgelts erfasst werden.

54

Auch nach dem Zweck des § 96a SGB VI aF, Doppelleistungen bzw eine Übersicherung zu verhindern, kann die Berücksichtigungsfähigkeit von Arbeitsentgelt ohne unmittelbar zugrunde liegender Arbeitsleistung nicht in Abrede gestellt werden. Gerade wenn Arbeitsentgelt in Zeiten (weiter)gezahlt wird, in denen eine Beschäftigung tatsächlich nicht ausgeübt wird, hat es dieselbe unterhaltssichernde bzw lohnersetzende Funktion wie die Rente wegen eingeschränkter Erwerbsfähigkeit (vgl BSG Urteil vom 22.7.1987 - 1 RA 33/86 - BSGE 62, 77, 79 f = SozR 2200 § 1284 Nr 2, Juris RdNr 16 - zu § 61 AVG).

55

bb) Dies entspricht auch grundsätzlich der bis zum 31.12.2007 (vorrangig) geltenden Vorschrift des § 94 SGB VI aF, wonach auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit das für denselben Zeitraum erzielte Arbeitsentgelt angerechnet wurde, wenn die Beschäftigung vor Rentenbeginn aufgenommen und solange sie danach nicht ausgeübt worden ist(vgl auch die bis zum 31.12.1991 geltenden ähnlichen Vorschriften des § 61 AVG bzw § 1284 RVO). Mit Streichung des § 94 SGB VI aF durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.4.2007 (BGBl I 554) mit Wirkung zum 1.1.2008 sollten die darin geregelten Fälle nicht von der Berücksichtigung als Hinzuverdienst ausgeschlossen werden. Vielmehr ging der Gesetzgeber davon aus, dass § 94 SGB VI und § 96a SGB VI aF "dem Grunde nach ziel- und wirkungsgleich" seien(vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU und SPD vom 12.12.2006 eines RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes, BT-Drucks 16/3794 S 36 zu Nr 27 - § 94). Dabei schließt § 96a SGB VI aF - anders als § 94 Abs 1 S 2 SGB VI aF - einmalig gezahltes Arbeitsentgelt im Fall einer nicht tatsächlich ausgeübten Beschäftigung nicht aus(vgl oben aa). Insoweit decken sich § 94 SGB VI aF und § 96a SGB VI aF nur "dem Grunde" nach.

56

cc) Auch beim "Arbeitseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit" (§ 96a Abs 1 S 2 Alt 2 SGB VI aF) kommt es nicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung während des Hinzuverdienstes an. Denn Arbeitseinkommen ist der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit (BSG Urteil vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 22). Die Gewinnermittlung erfolgt auf Basis des Wirtschaftsjahres (vgl § 4 Abs 1 S 1 Einkommensteuergesetz). Anders als bei monatlich abgerechneten Arbeitsentgelten aus abhängiger Beschäftigung wird bei einer Gewinnermittlung auf Jahresbasis ein konkreter Gewinn für einzelne Monate im Wege der Division des Jahreseinkommens durch die Zahl der Kalendermonate, in denen es erzielt wurde, ermittelt, dh als ein durchschnittliches Monatseinkommen (BSG Urteil vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 23 mwN). Danach ist es bei selbstständig Tätigen unbeachtlich, ob sie die Arbeitsleistung während des Rentenbezugs tatsächlich erbracht haben.

57

Letztlich zeigt auch die Einbeziehung von Sozialleistungen in den anrechenbaren Hinzuverdienst nach § 96a Abs 3 SGB VI aF, dass es dem Gesetzgeber bei der Erzielung von anrechenbaren Leistungen nicht wesentlich auf die tatsächliche Ausübung einer Tätigkeit während des Rentenbezugs ankommt.

58

dd) Diesem Ergebnis steht auch nicht die Bezugnahme in § 96a Abs 1 SGB VI aF iVm § 14 SGB IV auf den Begriff der "Beschäftigung" entgegen, der an § 7 Abs 1 SGB IV anknüpft( Senatsurteil vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 RdNr 39 mwN ). Merkmale einer Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs 1 S 2 SGB IV). Kennzeichnend für den Bestand eines Beschäftigungsverhältnisses sind damit insbesondere die grundsätzliche Dienstbereitschaft des Arbeitnehmers sowie die Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers (vgl BSG Urteil vom 9.9.1993 - 7 RAr 96/92 - BSGE 73, 90 = SozR 3-4100 § 101 Nr 4, Juris RdNr 19). Dies erfordert aber nicht zwingend den tatsächlichen Einsatz der Arbeitskraft.

59

Der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses erlangt je nach Sinnzusammenhang, in den die einzelne Norm gestellt ist, unterschiedliche Bedeutung. Erforderlich ist eine funktionsdifferente Auslegung, bei der die Essentialia eines Beschäftigungsverhältnisses im Hinblick auf den jeweiligen Normzweck Modifikationen unterliegen können (vgl BSG Beschluss vom 11.12.1973 - GS 1/73 - BSGE 37, 10 = SozR Nr 62 zu § 1259 RVO, Juris RdNr 22; BSG Urteil vom 18.4.1991 - 7 RAr 106/90 - BSGE 68, 236, 240 = SozR 3-4100 § 104 Nr 6, Juris RdNr 24; BSG Urteil vom 9.9.1993 - 7 RAr 96/92 - BSGE 73, 90 = SozR 3-4100 § 101 Nr 4, Juris RdNr 19; BSG Urteil vom 28.9.1993 - 11 RAr 69/92 - BSGE 73, 126 = SozR 3-4100 § 101 Nr 5, Juris RdNr 13; BSG Urteil vom 29.4.1998 - B 7 AL 32/97 R - BSGE 82, 118 = SozR 3-4100 § 101 Nr 8, Juris RdNr 17). Vor dem Hintergrund der jeweiligen Norm kann insbesondere die Auslegung dazu differieren, welche Bedeutung die reale Arbeitsleistung für die Beschäftigung hat. Insoweit hat sich schon früh eine Betrachtungsweise entwickelt, nach der der Begriff der "Beschäftigung" nicht nur in einem tatsächlichen Sinn zu deuten ist (vgl bereits BSG Beschluss vom 11.12. 1973 - GS 1/73 - BSGE 37, 10 = SozR Nr 62 zu § 1259 RVO, Juris RdNr 23). Vielmehr wird je nach beitrags- oder leistungsrechtlicher Fallkonstellation von einem mehr oder weniger an das Arbeitsverhältnis angenäherten "Beschäftigungsverhältnis" ausgegangen. Ein Beschäftigungsverhältnis dauert jedenfalls auch in Zeiten fort, in denen tatsächlich nicht gearbeitet wird, sofern nur der Arbeitsvertrag fortbesteht und die Parteien den Willen haben, das Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen (so zur beitragsrechtlichen Beschäftigung s BSG Urteil vom 18.4.1991 - 7 RAr 106/90 - BSGE 68, 236, 240 = SozR 3-4100 § 104 Nr 6, Juris RdNr 24; so aber auch zur leistungsrechtlichen Beschäftigung BSG Urteil vom 11.3.2014 - B 11 AL 5/13 R - Juris RdNr 12).

60

Da § 96a SGB VI aF iVm § 14 SGB IV nach seinem Sinn und Zweck(s oben aa) gerade keine während des Rentenbezugs fortbestehende tatsächliche Arbeitsleistung fordert und auch einmaliges Arbeitsentgelt als Hinzuverdienst nicht grundsätzlich ausschließt, ist hier von einem eher verrechtlichten Begriff des "Beschäftigungsverhältnisses" als Grundlage der jeweiligen Einkünfte auszugehen. Das "tatsächliche Substrat" des Beschäftigungsverhältnisses hat damit für § 96a SGB VI aF weniger Bedeutung als für die Voraussetzung der Beschäftigungslosigkeit beim Anspruch auf Arbeitslosengeld(vgl hierzu etwa BSG Urteil vom 28.9.1993 - 11 RAr 69/92 - BSGE 73, 126 = SozR 3-4100 § 101 Nr 5, Juris RdNr 14).

61

Erst recht kommt es nicht auf das Fortbestehen der tatsächlichen "Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt" an, für die die spezielle Vorschrift des § 7 Abs 3 SGB IV (bei fortdauerndem Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt) eine zeitlich auf einen Monat begrenzte Fiktion regelt(vgl Peters, SGB IV, Stand Juli 2010, § 7 RdNr 55).

62

c) Sinn und Zweck des Kongruenzprinzips erfordern jedoch, dass das während des Rentenbezugs erzielte Arbeitsentgelt noch dem laufenden Beschäftigungsverhältnis als einer der in § 96a SGB VI aF iVm § 14 SGB IV genannten Quellen des Hinzuverdiensts zugerechnet werden kann. Dieser Zusammenhang ist allerdings erst dann aufgehoben, wenn für die Beendigung bzw Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses klare und eindeutige Anhaltspunkte bestehen, die eine Zurechenbarkeit des Hinzuverdiensts zu dieser Grundlage ausschließen. Dieser Fall ist hier nicht gegeben.

63

Ein Beschäftigungsverhältnis iS von § 96a SGB VI aF(vgl oben b dd) endet - trotz eines rechtlich fortbestehenden Arbeitsverhältnisses - bereits dann, wenn der Arbeitgeber auf seine Verfügungsbefugnis verzichtet bzw der Arbeitnehmer seine Dienstbereitschaft endgültig einstellt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Arbeitsverhältnis wegen des Bezugs einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung nach tarifrechtlichen Regeln oder arbeitsvertraglichen Absprachen ruht (vgl Senatsurteile vom 10.7.2012 - B 13 R 81/11 R - Juris RdNr 29, 33 ff; vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 RdNr 45). Damit wird nach außen deutlich, dass später entstehende Ansprüche nicht mehr dem Beschäftigungsverhältnis zugeordnet werden sollen. Denkbar wäre insoweit auch eine (konkludente) Vereinbarung etwa im Zusammenhang mit einer Kündigung oder mit dem Bezug von Arbeitslosengeld bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit, wenn die Arbeitsvertragsparteien mit ihren Handlungen und Erklärungen nach außen zu erkennen gegeben haben, dass sie ihre Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis als beendet ansehen; dies geschieht in letzterem Fall etwa durch den Arbeitslosengeldantrag und die Erklärung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitsamt, auf die Verfügungsmacht über die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zu verzichten (BAG Urteil vom 9.8.1995 - 10 AZR 539/94 - BAGE 80, 308, 315 - Juris RdNr 23; BAG Urteil vom 14.3.2006 - 9 AZR 312/05 - BAGE 117, 231, 238 - Juris RdNr 28).

64

Vergleichbare Anhaltspunkte für eine Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses liegen hier nicht vor. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin war nach den bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG nicht durch eine tarif- oder arbeitsvertragliche Vereinbarung zum Ruhen gekommen. Auch ein stillschweigend vereinbartes oder auch nur faktisches Ruhen des Arbeitsverhältnisses kann nach den Feststellungen des LSG nicht angenommen werden.

65

Allein die - ggf auch länger andauernde - Arbeitsunfähigkeit führt ohne weitere Anhaltspunkte noch nicht zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses bzw zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses (vgl BAG Urteil vom 23.8.1990 - 6 AZR 124/89 - BAGE 66, 34 - Juris RdNr 17 ; BAG Urteil vom 9.8.1995 - 10 AZR 539/94 - BAGE 80, 308 - Juris RdNr 19 ff; BAG Urteil vom 14.3.2006 - 9 AZR 312/05 - BAGE 117, 231, 239 - Juris RdNr 33 f ). Eine durch Krankheit herbeigeführte dauerhafte Verhinderung zur Arbeitsleistung bewirkt nicht bereits die eindeutige Suspendierung der Hauptpflichten, denn es handelt sich um eine Leistungsstörung im Sinne des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Schuldrechts. Sie berechtigt den Arbeitgeber gegebenenfalls zur Kündigung und den Arbeitnehmer, Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu beantragen. Sie führt aber für sich genommen noch nicht zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses iS von § 96a SGB VI aF oder zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Ohne weitere ausdrückliche oder konkludente Erklärungen der Parteien kann aus der Einstellung von Arbeit und Entgeltleistung bei andauernder Arbeitsunfähigkeit nicht auf eine Ruhensvereinbarung geschlossen werden (Schoof in Kittner/Zwanziger, Arbeitsrecht, 3. Aufl 2005, § 54 RdNr 39; BAG Urteil vom 23.8.1990 - 6 AZR 124/89 - BAGE 66, 34).

66

Ebenso wenig folgt bereits aus dem Rentenantrag gegenüber der Beklagten oder der - hier zunächst befristet bewilligten - Erwerbsminderungsrente, dass die Klägerin ihre Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis als beendet ansah. Vielmehr kommt auch die Deutung in Betracht, dass die Klägerin für den Fall einer Behebung der Erkrankung oder Nicht-(weiter-)Bewilligung der Rente grundsätzlich an der Dienstbereitschaft festhalten wollte. Für die Annahme einer (konkludenten) Ruhensvereinbarung wären darüber hinaus besondere Anhaltspunkte für eine Willensbildung gerade zwischen den Vertragsparteien erforderlich.

67

Entgegen der Ansicht des LSG ist ein Arbeitnehmer, der längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt ist, einem Arbeitnehmer, der mit dem Arbeitgeber das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart hat, auch nicht gleichzustellen. Denn in einer solchen Abrede liegt ein sachlicher Differenzierungsgrund, der eine nach außen verlässliche Rechtslage schafft.

68

3. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ergibt sich, dass die Klägerin nach Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung im Bescheid vom 11.4.2011 im Mai 2011 Einkommen erzielt hat, das zur Minderung der Rentenhöhe um die Hälfte geführt haben würde (§ 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X). Der Rentenbewilligungsbescheid war daher in dieser Höhe aufzuheben (b); es lagen weder ein atypischer Fall (c) noch eine Fristüberschreitung (d) vor.

69

a) Die Urlaubsabgeltung ist in dem Kalendermonat als Hinzuverdienst zu berücksichtigen, in dem es zugeflossen ist (Lepiorz in Löschau, SGB VI, Stand April 2014, § 96a RdNr 79). Nach § 48 Abs 1 S 3 SGB X iVm § 100 Abs 1 S 1 SGB VI ist die Rente bei einem Überschreiten der monatlichen Hinzuverdienstgrenzen im Laufe eines Kalendermonats bereits von Beginn des betreffenden Monats an in angepasster Höhe zu leisten - dh hier ab Anfang Mai.

70

b) Die Klägerin hat mit der Urlaubsabgeltung im Mai 2011 die Hinzuverdienstgrenze für die Rente wegen voller Erwerbsminderung in voller Höhe überschritten und damit Einkommen erzielt, das zur Minderung des Rentenanspruchs geführt haben würde (§ 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X).

71

Nach § 96a Abs 1 S 2 SGB VI aF wird die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten, wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit oder vergleichbares Einkommen im Monat die in Abs 2 genannten Beträge nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Abs 2 im Laufe eines jeden Kalenderjahres außer Betracht bleibt(§ 96a Abs 1 S 2 SGB VI idF vom 27.12.2003 - BGBl I 3019). Ein Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen ist "rentenunschädlich", wenn der Hinzuverdienst innerhalb des Doppelten dieser Hinzuverdienstgrenze liegt (vgl Senatsurteil vom 9.12.2010 - B 13 R 10/10 R - SozR 4-2600 § 96a aF Nr 13 RdNr 22). Abhängig vom erzielten Hinzuverdienst wird gemäß § 96a Abs 1a Nr 2 SGB VI eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in voller Höhe, in Höhe von drei Vierteln, der Hälfte oder in Höhe eines Viertels geleistet.

72

Das im Mai 2011 zugeflossene Entgelt in Höhe von 5500 Euro überschreitet zwar die doppelte Hinzuverdienstgrenze der Vollrente (800 Euro) bzw der Rente in Höhe von drei Vierteln (5208,90 Euro), nicht jedoch die doppelte individuelle Hinzuverdienstgrenze der halben Rente (7047,34 Euro). Das hat zur Folge, dass der Klägerin die Rente gemäß § 96a Abs 1a Nr 2, Abs 2 Nr 3b SGB VI aF im Mai 2011 nur in Höhe der Hälfte zugestanden hat. Statt 1459,83 Euro wären insoweit nur 729,92 Euro zu zahlen gewesen. Dies führt zur Aufhebbarkeit des Bescheids vom 1.4.2011 in dieser Höhe (dass die Beklagte die Überzahlung um 0,17 Euro niedriger festsetzte, beschwert die Klägerin nicht). Die Beschränkung einer Aufhebung nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X auf die Höhe des nachträglich zugeflossenen Hinzuverdiensts(vgl Senatsurteil vom 23.3.1995 - 13 RJ 39/94 - SozR 3-1300 § 48 Nr 37 Juris RdNr 47) kommt hier nicht zum Tragen, da der Hinzuverdienst, der zur Minderung der bereits erhaltenen Vollrente geführt hat, die weggefallene Anspruchshöhe (729,92 Euro) bei weitem überschreitet. Es bedarf daher auch keiner Prüfung mehr, ob hier auch der Tatbestand des § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 bzw 4 SGB X gegeben ist.

73

4. Ein atypischer Fall, der die Beklagte zu einer Ermessensentscheidung hätte veranlassen müssen (§ 48 Abs 1 S 2 SGB X), ist nach den für den Senat bindenden (§ 163 SGG), nicht mit durchgreifenden Revisionsrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht zu erkennen.

74

5. Die Beklagte hat auch die Jahresfrist des § 45 Abs 4 S 2 SGB X iVm § 48 Abs 4 SGB X eingehalten. Denn sie erlangte erst auf Grundlage der Bescheinigung des Arbeitgebers im August 2012 Kenntnis über die Höhe der Urlaubsabgeltung und damit über eine für die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung erhebliche Tatsache (vgl BSG vom 11.6.2003 - B 5 RJ 28/02 R - SozR 4-1300 § 24 Nr 1 RdNr 21), während der angefochtene Bescheid bereits am 2.10.2012 erging.

75

C. War demnach die Teilaufhebungsentscheidung der Beklagten rechtmäßig, steht zugleich fest, dass der angefochtene Bescheid vom 2.10.2012 auch insoweit nicht zu beanstanden ist, als er die Rückforderung der zu viel gezahlten Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Monat Mai 2011 zum Inhalt hat (§ 50 Abs 1 SGB X).

76

D. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. Juli 2015 wird zurückgewiesen.

Kosten für das erneute Revisionsverfahren sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rücknahme eines Rentenbescheides sowie die Erstattung der gezahlten Rente, insbesondere über die Frage, ob die Beklagte eine zunächst unterbliebene Anhörung der Klägerin wirksam nachgeholt hat.

2

Mit Bescheid vom 23.6.2000 bewilligte die Beklagte der Klägerin nach der Verpachtung landwirtschaftlicher Flächen in Oberbayern ab 1.7.2000 vorzeitige Altersrente an Landwirte gemäß § 12 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG). Am 8.3.2007 erklärte der Ehemann der Klägerin gegenüber der Beklagten, die Klägerin sei noch Eigentümerin von circa 5 ha landwirtschaftlicher Nutzflächen in Niederbayern. Diese seien teilweise verpachtet und teilweise selbst genutzt worden.

3

Mit Schreiben vom 9.8.2007 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 23.6.2000 an. Sie habe einen eigenen Betrieb in Niederbayern geführt, den sie nicht nach den Vorschriften des § 21 ALG abgegeben habe. Bis zur Abgabe dieses Betriebs bestehe kein Anspruch auf Rente.

4

Mit Bescheid vom 12.9.2007 hob die Beklagte den Bescheid vom 23.6.2000 gestützt auf § 45 Abs 1 und 2 SGB X für die Zeit ab dem 1.7.2000 auf. Die zu Unrecht erbrachte Leistung in Höhe von (noch nicht verrechneten) 14 191,77 Euro sei gemäß § 50 SGB X zu erstatten. Die Klägerin habe bei der Beantragung der Rente die Frage verneint, ob neben den durch den Ehegatten nachgewiesenen Flächen noch weitere Grundstücke im Eigentum oder Miteigentum beider Ehegatten stünden. Den Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 24.1.2008 zurück. Klage und Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des SG vom 18.11.2008; Urteil des LSG vom 28.9.2011 - L 1 LW 3/09 -).

5

Auf die Revision der Klägerin hat der Senat das Urteil des LSG vom 28.9.2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen. Es sei unklar, ob eine ordnungsgemäße Anhörung iS des § 24 Abs 1 SGB X vorliege oder eine Heilung eingetreten sei. Darüber hinaus fehlten ausreichende Feststellungen, welche die Beurteilung zuließen, dass der Bescheid der Beklagten vom 23.6.2000 auf in wesentlicher Beziehung unrichtigen oder unvollständigen Angaben der Klägerin selbst beruhe und dass die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt habe.

6

Im Laufe des vom LSG fortgesetzten Verfahrens - L 1 LW 7/13 ZVW - hat die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 10.5.2013 zu der fehlenden Abgabe des landschaftlichen Unternehmens, dem Fehlen von schutzwürdigen Vertrauen und der von der Beklagten zu treffenden Ermessensentscheidung mit einer Frist zur Stellungnahme von sechs Wochen angehört. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat hierzu mit Schreiben vom 15.5.2013 Stellung genommen. Daraufhin hat die Beklagte mit Schreiben an die Klägerin vom 18.5.2015 erklärt, sie halte nach erneuter Prüfung unter Berücksichtigung der vorsorglich nachgeholten Anhörung am bisher erlassenen Verwaltungsakt vom 12.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.1.2008 fest. Anschließend hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte habe die Anhörung der Klägerin ordnungsgemäß und mit heilender Wirkung nachgeholt. Die Nachholung der Anhörung sei auch noch im wiedereröffneten Berufungsverfahren möglich gewesen (Urteil vom 22.7.2015).

7

Mit ihrer erneuten Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Der angefochtene Rücknahme- und Erstattungsbescheid sei formell rechtswidrig, weil die Beklagte die unterlassene Anhörung im wiedereröffneten Berufungsverfahren nicht mehr habe wirksam nachholen können.

8

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. Juli 2015 und das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. November 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. September 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2008 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Klägerin war zurückzuweisen. Sie ist zulässig, aber unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).

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1. Streitgegenstand bildet der Rentenrücknahme- und Erstattungsbescheid vom 12.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.1.2008. Die Klägerin wendet sich dagegen zulässigerweise mit einer reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Alt 1 SGG; vgl BSG Urteil vom 20.12.2012 - B 10 LW 2/11 R - SozR 4-5868 § 12 Nr 1; BSG Urteil vom 30.10.2013 - B 12 R 14/11 R - SozR 4-1300 § 45 Nr 15; BSG Urteil vom 2.11.2015 - B 13 R 27/14 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 32).

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2. Die Revision der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet, denn die streitgegenständlichen Bescheide sind formell (dazu unter a.) und materiell rechtmäßig (dazu unter b.).

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a. Wie das LSG zutreffend angenommen hat, ist der Bescheid vom 12.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.1.2008 formell rechtmäßig.

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Zwar hatte die Beklagte die Klägerin nicht - wie es nach § 24 Abs 1 SGB X geboten gewesen wäre - vor Erlass des Bescheides vom 12.9.2007 im erforderlichen Umfang angehört und die Anhörung auch weder im Widerspruchsverfahren noch im Widerspruchsbescheid nachgeholt. Dies hat der erkennende Senat mit bindender Wirkung (§ 170 Abs 5 SGG) für die Beteiligten und das Gericht bereits entschieden (BSG Urteil vom 20.12.2012 - B 10 LW 2/11 R - SozR 4-5868 § 12 Nr 1; zur Selbstbindung des Revisionsgerichts vgl BSG Urteil vom 25.10.1990 - 12 RK 19/90 - SozR 3-1500 SGG § 170 Nr 1).

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Die Beklagte hat die erforderliche Anhörung aber nunmehr im wiedereröffneten Berufungsverfahren wirksam nachgeholt. Wie sich aus den tatsächlichen, mit durchgreifenden Revisionsrügen nicht angegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ergibt, hat die Beklagte im Laufe des wiedereröffneten Berufungsverfahrens das erforderliche Anhörungsverfahren mit Schreiben vom 10.5.2013 in Gang gesetzt und mit Schreiben vom 18.5.2015 abgeschlossen. Die rechtliche Beurteilung des LSG, damit habe die Beklagte in jeder Hinsicht den formellen und inhaltlichen Anforderungen genügt, die an eine im Gerichtsverfahren nachgeholte Anhörung zu stellen sind, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (zu diesen Anforderungen vgl BSG Urteil vom 23.1.2008 - B 10 LW 1/07 R - SozR 3-5868 § 3 Nr 3; BSG Urteil vom 9.11.2010 - B 4 AS 37/09 R - SozR 4-1300 § 41 Nr 2 RdNr 14 f). Diese Beurteilung wird insoweit auch von den Beteiligten nicht infrage gestellt.

17

Entgegen der Ansicht der Klägerin war die Nachholung der Anhörung im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch in zeitlicher Hinsicht wirksam. Denn § 41 Abs 2 SGB X ist auch anwendbar, wenn das LSG die letzte Tatsacheninstanz zwar zunächst mit einer Endentscheidung abschließt, sich dieser Abschluss der Tatsacheninstanz aber nicht als dauerhaft erweist, sondern das Revisionsgericht die Sache (zumindest noch aus einem anderen Grund als dem der unterbliebenen Anhörung) an das LSG zurückverweist.

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Dieses Ergebnis folgt aus Wortlaut (dazu unter aa.), Systematik (dazu unter bb.) und Sinn und Zweck der Vorschrift, wie er sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergibt (dazu unter cc.). Verfassungsrechtliche Erwägungen stehen dieser Auslegung nicht entgegen (dazu unter dd.). Der Einleitung eines Verfahrens zur Vorlage an den Großen Senat bedarf es trotz der anderslautenden Rechtsansicht des 14. Senats des BSG nicht (dazu unter ee.).

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aa. Der Wortlaut von § 41 Abs 2 SGB X ermöglicht es, eine Handlung nach § 41 Abs 1 Nr 2 bis 6 SGB X, also auch die erforderliche Anhörung eines Beteiligten(§ 41 Abs 1 Nr 3 SGB X), bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachzuholen. Die letzte Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens ist üblicherweise das Berufungsverfahren beim LSG, im Fall einer Sprungrevision ausnahmsweise das Klageverfahren beim SG. Sie endet regelmäßig mit dem die Instanz abschließenden Urteil des Berufungsgerichts. Indes steht jede gerichtliche Entscheidung, wenn und soweit ein Rechtsmittel gegeben ist, unter der Bedingung einer Bestätigung durch die höhere Instanz. Wird die gerichtliche Entscheidung von der höheren Instanz aufgehoben, so steht fest, dass die frühere Instanz rechtlich gesehen von Anfang an noch nicht abgeschlossen war. Eine Aufhebung des instanzbeendenden Berufungsurteils und eine Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht (§ 170 Abs 2 S 2 SGG) eröffnet daher die Berufungsinstanz nicht ganz neu, sondern ordnet die Fortsetzung des Verfahrens vor dem Berufungsgericht an (vgl schon RG Beschluss vom 27.9.1938 - VII B 10/38 - RGZ 158, 195, 196; BGH NJW 1967, 203; auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 170 SGG RdNr 9). Das frühere Verfahren vor dem Berufungsgericht bildet mit dem neuen Verfahren eine Einheit. Soweit das LSG keine Verfahrensfehler begangen hat, bleibt der bisherige Prozessstoff angefallen. In diesem verfahrensrechtlichen Kontext lässt sich dem Wortlaut von § 41 Abs 2 SGB X nichts dafür entnehmen, die Heilung eines Anhörungsmangels in der wiedereröffneten, dh fortgesetzten letzten Tatsacheninstanz auszuschließen.

20

bb. Systematische Erwägungen stehen einer Nachholung der Anhörung noch in der wiedereröffneten letzten Tatsacheninstanz nicht entgegen. Insbesondere ergeben sich aus § 114 Abs 2 S 2 SGG keine Hinderungsgründe. § 114 Abs 2 S 2 SGG ermöglicht es dem Gericht, auf Antrag die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern auszusetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist(vgl BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 4 RA 37/00 R - SozR 3-2600 § 243 Nr 9 S 37 f; zuletzt BSG Urteil vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - SozR 4-1500 § 114 Nr 2, vorgesehen für BSGE). § 114 Abs 2 S 2 SGG schließt eine Aussetzung in einem an das Berufungsgericht zurückverwiesenen Verfahren nicht aus. Die Norm ist weder nach ihrem Wortlaut noch nach Sinn und Zweck auf das erstmals eröffnete Klage- oder Berufungsverfahren beschränkt; lediglich im Revisionsverfahren ist sie unanwendbar (vgl BSG Urteil vom 24.7.2001 - B 4 RA 2/01 R - SozR 3-1300 § 41 Nr 9). Zudem setzt die Heilung eines Anhörungsmangels im Tatgerichtsverfahren keine Aussetzung des Verfahrens voraus, sondern kann - im Rahmen eines "mehr oder minder förmlichen Verwaltungsverfahrens" (vgl BSG Urteil vom 6.4.2006 - B 7a AL 64/05 R RdNr 15) - während des laufenden gerichtlichen Verfahrens erfolgen. Nichts anderes ergibt sich aus der Aufhebung der Parallelvorschrift des § 94 S 2 VwGO(durch Gesetz vom 20.12.2001, BGBl I 3987) zum 1.1.2002, denn der gleichlautende § 114 Abs 2 S 2 SGG ist weiterhin in Kraft geblieben. Nicht zuletzt ist in der Rechtsprechung des BSG aber auch anerkannt, dass eine Zurückverweisung auch der Aussetzung zum Zwecke der Nachholung von Verfahrens- und Prozesshandlungen dienen kann, wie der Durchführung eines fehlenden Vorverfahrens (BSG Beschluss vom 1.7.2014 - B 1 KR 99/13 B mwN).

21

cc. Der Sinn und Zweck der Regelung, wie er sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergibt, spricht ebenfalls für die vom Senat befürwortete wortlautgetreue Auslegung des Begriffs der "letzten Tatsacheninstanz" in § 41 Abs 2 SGB X.

22

§ 41 SGB X ist Ausdruck der dienenden Funktion des Verfahrensrechts und der Verfahrenseffizienz. Die Vorschrift dient der Verwaltungsökonomie und der Rechtssicherheit. Deshalb eröffnet sie die Möglichkeit, bestimmte Form- und Verfahrensfehler nachträglich mit heilender Wirkung zu bereinigen und öffnet so den Weg für eine materielle Überprüfung des Verwaltungsakts im Klageverfahren. Die Norm befreit die Behörde zu Lasten des von dem - formell - rechtswidrigen Verwaltungsakt Betroffenen unter bestimmten Voraussetzungen von der Pflicht, wegen ihr unterlaufender Verfahrensfehler ein neues fehlerfreies Verwaltungsverfahren durchzuführen und einen neuen Verwaltungsakt zu erlassen (vgl BSG Beschluss vom 6.10.1994 - GS 1/91 - SozR 3-1300 § 41 Nr 7 S 12; von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 41 RdNr 2). Wie die Gesetzesgeschichte zeigt, hat sich der Gesetzgeber bei der Lösung des Zielkonflikts zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag in den §§ 41, 42 SGB X dafür entschieden, die Anhörung nicht als absolutes Verfahrensrecht auszugestalten, sondern als relatives Versäumnis, das noch im gerichtlichen Verfahren nachgeholt und geheilt werden kann(vgl zur entsprechenden Regelung für das Verwaltungsverfahrensrecht Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl 2014, § 28 RdNr 66; Bonk, NVwZ 1997, 320, 324; Sodan, DVBl 1999, 729, 736 f). Die Möglichkeit, bestimmte Verfahrensfehler - zB eine fehlende Anhörung - durch Nachholung zu heilen, war bis 31.12.2000 auf die Dauer des Verwaltungsverfahrens, also bis zum Ende des Widerspruchsverfahrens mit dem Erlass eines Widerspruchsbescheides, begrenzt. Das 4. Euro-Einführungsgesetz vom 21.12.2000 (BGBl I 1983) hat mit Wirkung ab 1.1.2001 die zeitliche Grenze für die Nachholung von Verfahrenshandlungen auf den Zeitraum bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hinausgeschoben. Eine Einschränkung auf den erstmaligen Abschluss der letzten Tatsacheninstanz erfolgte hingegen nicht.

23

Aus dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers, die Regelung in § 41 Abs 2 SGB X der in § 45 Abs 2 VwVfG enthaltenen Regelung anzupassen(BR-Drucks 531/00 S 147; BT-Drucks 14/4375 S 58), kann eine maßgebliche Anlehnung an das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht und die dort verfolgten Regelungsabsichten gefolgert werden. Dieser Anpassungsprozess spricht maßgeblich für eine Nachholungsmöglichkeit im wiedereröffneten Berufungsverfahren. Im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht war die Heilung von Verfahrensfehlern wie die der unterlassenen Anhörung eines Beteiligten nach der Erstfassung des § 45 VwVfG zunächst ebenfalls auf den vorprozessualen Bereich beschränkt(vgl § 45 Abs 2 VwVfG idF vom 25.5.1976, BGBl I 1253). Das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren vom 12.9.1996 (GenBeschlG, BGBl I 1354) hat § 45 Abs 2 VwVfG mit Wirkung vom 19.9.1996 dann dahingehend geändert, dass ua die erforderliche Anhörung eines Beteiligten bis zum Abschluss eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden konnte (Art 1 Nr 3 GenBeschlG). Dieses Ergebnis wurde durch das Dritte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften (3. VwVfRÄndG) vom 21.8.2002 (BGBl I 3322) mit Wirkung vom 1.2.2003 korrigiert (Art 1 Nr 15 3. VwVfRÄndG). Wie § 41 Abs 2 SGB X eröffnet die Vorschrift die Nachholungsmöglichkeit nunmehr (nur noch) bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Dies sollte systemkonform die zu weit geratene Fassung des § 45 Abs 2 VwVfG beschränken, die bis dahin entgegen § 137 Abs 2 VwGO die Berücksichtigung nachgeholter Verfahrenshandlungen - und damit tatsächlicher Entwicklungen - noch im Revisionsverfahren ermöglichte(s BR-Drucks 343/02 S 77, BT-Drucks 14/9000 S 34). Im Blick hatte der Gesetzgeber dabei insbesondere zeitintensive Zweitverfahren, die entstünden, wenn ein Verwaltungsakt lediglich wegen Verfahrens- oder Formfehlern aufgehoben werden und das Verfahren erneut beginnen müsste, obwohl in der Sache keine andere Entscheidung ergehen könnte (s BT-Plenarprot 13/116 S 10347 ; vgl auch Bonk, NVwZ 1997, 320, 324; Sodan, DVBl 1999, 729, 734). Den berechtigten Belangen des Klägers sollte dadurch Rechnung getragen werden, dass das Gericht die erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erfolgte Heilung bei der Kostenentscheidung berücksichtigt. Über die Kostenentscheidung sei nach wie vor der Druck auf die Behörden, verfahrensfehlerfrei zu arbeiten, gegeben (vgl BT-Drucks 13/5085 S 5). Wegen dieser Entstehungsgeschichte versteht die verwaltungsrechtliche Literatur § 45 Abs 2 VwVfG in seiner aktuellen Fassung überwiegend dahingehend, eine Nachholung der Anhörung sei (nur) im Revisionsverfahren ausgeschlossen(vgl Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl 2014, § 45 RdNr 108; Baumeister in Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 4. Aufl 2014, § 45 RdNr 62; Ramsauer in Ramsauer/Wysk, VwVfG, 17. Aufl 2016, § 45 RdNr 37). Für die maßgeblich an § 45 Abs 2 VwVfG angelehnte Vorschrift des § 41 Abs 2 SGB X kann nichts anderes gelten(vgl Mutschler in Kasseler Kommentar, § 24 SGB X RdNr 36; Franz in Schlegel-Voelzke, juris-PK, § 24 SGB X RdNr 67).

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dd. § 41 Abs 2 SGB X in der vom Senat für richtig gehaltenen, eng am Wortlaut orientierten Begriffsauslegung entspricht Verfassungsrecht. Insbesondere widerspricht die aufgezeigte Heilungsmöglichkeit nicht den Anforderungen des Art 20 Abs 3 GG. Der Verpflichtung der Behörde zur Anhörung des Betroffenen (§ 24 Abs 1 SGB X) steht das Recht des Betroffenen, vor Erlass eines Eingriffsverwaltungsaktes angehört zu werden, gegenüber. Es leitet sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) und dem darin enthaltenen Gebot eines fairen Verfahrens sowie der Menschenwürde (Art 1 Abs 1 GG) ab (vgl BSG Urteil vom 24.7.2001 - B 4 RA 2/01 R - SozR 3-1300 § 24 Nr 18 mwN; vgl auch Franz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 24 SGB X RdNr 10). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einschränkung dieses Rechts durch die Heilungsmöglichkeit in der wiedereröffneten Tatsacheninstanz hat der Senat nicht. Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung schließt auch das Gebot ein, für effektives Verwaltungshandeln zu sorgen. Die Regelung des § 41 Abs 2 SGB X hat Verwaltungseffizienz, insbesondere die Funktionsfähigkeit der Verwaltung (vgl BVerfG Beschluss vom 8.7.1982 - 2 BvR 1187/80 - BVerfGE 61, 82, 116) einerseits und Rechtsschutzauftrag andererseits als zwei widerstreitende (Verfassungs-) Prinzipien zu einem sachgerechten Ausgleich gebracht (vgl Bonk, NVwZ 1997, 320, 322). Sie erweist sich auch bei ihrer Anwendung im wiedereröffneten Berufungsverfahren als verhältnismäßig. Eine unangemessene Privilegierung fehlerhaften Verwaltungshandelns liegt darin insbesondere deshalb nicht, weil die Behörde nach Beseitigung eines Verfahrensfehlers und der Erledigung des Rechtsstreits im Regelfall mit den Kosten des Klägers belastet wird (vgl BT-Drucks 14/4375 S 58). Die Kosten eines wiedereröffneten Berufungsverfahrens sind davon nicht ausgenommen. Demgemäß hat auch die Vorinstanz die bis dahin entstandenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin der Beklagten auferlegt.

25

Letztlich reduziert sich damit die Anhörungspflicht nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers im Kern auf die Gewährleistung eines dem Anspruch auf rechtliches Gehör im Gerichtsverfahren vergleichbaren Rechts, über die beabsichtigte Entscheidung informiert zu werden, sich zu den entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Umständen äußern zu können und mit diesem Vorbringen gehört zu werden. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führt aber nicht zur Unwirksamkeit der getroffenen Entscheidung, solange der Betroffene die Möglichkeit hat, sich das Gehör im Rechtsweg zu verschaffen (so BSG Urteil vom 5.2.2008 - B 2 U 6/07 R - SozR 4-1300 § 41 Nr 1 RdNr 16). Das war bei der Klägerin in ihrem über drei Instanzen geführten Rechtsstreit ersichtlich der Fall.

26

ee. Der Senat ist nicht gehalten, wegen Nichtübereinstimmung mit der Rechtsauffassung eines anderen Senats anzufragen, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält (§ 41 Abs 3 SGG). Eine Divergenz im Sinne des §41 Abs 2 SGG, die dazu zwingen würde, liegt nicht vor. Denn die Vorschrift bezieht sich allein auf Abweichungen in den die jeweilige Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssätzen (vgl BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 6/13 R - SozR 4-7945 § 3 Nr 1 RdNr 22 mwN). Eine dem aufgezeigten Rechtsstandpunkt des erkennenden Senats zuwider laufende Aussage, dass die Heilung einer unterbliebenen Anhörung (§ 41 Abs 2 SGB X) im Geltungsbereich des 4. Euro-Einführungsgesetzes (aaO) nach einer auch auf andere Gründe gestützten Zurückverweisung im Rahmen der wiedereröffneten Tatsacheninstanz nicht mehr möglich ist, wird bisher - soweit ersichtlich - von keinem anderen Senat des BSG in tragendem Zusammenhang vertreten.

27

Der 4. Senat hat seine ursprünglich anderweitige Auffassung (BSG Urteil vom 24.7.2001 - B 4 RA 2/01 R - SozR 3-8850 § 5 Nr 5; BSG Urteil vom 31.10.2002 - B 4 RA 15/01 R - SozR 3-1300 § 24 Nr 22 Juris RdNr 49 f) nicht weiterverfolgt, sondern im Revisionsverfahren eine Zurückverweisung auch zur Klärung der Frage für möglich gehalten, ob die im dortigen Verfahren "bisher nicht erfolgte Anhörung" im weiteren Berufungsverfahren wirksam durchgeführt werden könne (BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 48/07 R - Juris RdNr 19; auch BSG Urteil vom 21.6.2011 - B 4 AS 22/10 R - Juris RdNr 27). Er hat die Heilung im wiedereröffneten Berufungsverfahren damit als möglich vorausgesetzt. Hiervon ist er später nicht abgerückt, sondern hat lediglich klargestellt, dass allein die noch mögliche Heilung eines Anhörungsfehlers das Berufungsgericht nicht zur Aussetzung verpflichtet (BSG Urteil vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - SozR 4-1500 § 114 Nr 2, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).

28

Der 14. Senat vertritt in seinen Urteilen vom 7.7.2011 (= B 14 AS 144/10 R und B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2 RdNr 27 f)zwar die Auffassung, dass der Mangel einer unterbliebenen Anhörung nach einer Zurückverweisung in der wiedereröffneten Tatsacheninstanz unter keinen Umständen mehr geheilt werden könne. Die zuerst genannte Entscheidung betraf indes mangels Zurückverweisungsgrundes eine Durchentscheidung wegen eines vom LSG verbindlich festgestellten Anhörungsmangels. Die zweite Entscheidung war eine Zurückverweisungsentscheidung, in der der 14. Senat seine Rechtsposition zur Heilung eines Anhörungsmangels in der wiedereröffneten Tatsacheninstanz ausschließlich im Rahmen rechtlich nicht verbindlicher Hinweise an das LSG zur weiteren Sachbehandlung (sog "Segelanweisungen"; vgl BSG Urteil vom 17.3.1970 - 9 RV 328/68 - BSGE 31, 74 = SozR Nr 13 zu § 170 SGG)dargelegt hatte. Insoweit stand aber noch gar nicht fest, ob es auf die zu prüfenden Umstände überhaupt ankommen würde. In solchen Fällen zählen die entsprechenden Rechtsausführungen nicht zu den tragenden Gründen und sind kein unabdingbares Glied in der Gedankenkette der Entscheidung. Denn diese besteht in der Zurückverweisung der Sache an das LSG, weil das Tatsachengericht weitere Feststellungen zu treffen hat (vgl BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 13 R 58/06 R - BSGE 98, 162 = SozR 4-1300 § 44 Nr 9 RdNr 36; BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R - BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2 RdNr 18). Eine darüber hinausgehende mögliche Bindungswirkung (vgl BSG Großer Senat Beschluss vom 19.2.1992 - GS 1/89 - BSGE 70, 133 = SozR 3-1300 § 24 Nr 6)ist insoweit erkennbar ohne praktische Relevanz geblieben, unbeschadet des Umstands, dass es hierfür angesichts der Entscheidungen des 4. Senats vom 16.12.2008 und 21.6.2011 (aaO) ohnehin einer näheren Präzisierung bedurft hätte.

29

b. Der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 12.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.1.2008 ist auch materiell rechtmäßig.

30

aa. Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Rentenbescheides vom 23.6.2000 ist § 45 Abs 1 SGB X. Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden.

31

Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, der Bescheid der Beklagten vom 23.6.2000 über die Bewilligung der vorzeitigen Altersrente an die Klägerin sei rechtswidrig. Diese Beurteilung ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf die ihr ab 1.7.2000 zuerkannte vorzeitige Rente aus der Alterssicherung der Landwirte (AdL). Sie erfüllte bei Erlass des Rentenbescheides vom 23.6.2000 die Anspruchsvoraussetzungen des § 12 Abs 1 ALG iVm § 11 Abs 1 Nr 2 und 3 ALG nicht, weil sie - wie der Senat bereits in seiner vorangehenden Revisionsentscheidung(BSG Urteil vom 20.12.2012 - B 10 LW 2/11 R - SozR 4-5868 § 12 Nr 1) ausgeführt hat - ihr Unternehmen der Landwirtschaft zu diesem Zeitpunkt nicht abgegeben hatte. Die zugrunde liegende, mit dem Bezug einer vorzeitigen Altersrente durch die Klägerin notwendig verknüpfte Pflicht zur Hofabgabe begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere verstößt sie weiterhin nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Der erkennende Senat ist - ebenso wie das LSG (§ 170 Abs 5 SGG) - insoweit an sein Urteil vom 20.12.2012 gebunden (vgl zur Selbstbindung BSG Urteil vom 26.4.2007 - B 4 R 89/06 R - SozR 4-1500 § 170 Nr 2 RdNr 42 f). Er hält hieran auch in der Sache fest (vgl zuletzt BSG Beschluss vom 7.9.2016 - B 10 LW 1/16 B - mwN). Eine Aussetzung bis zu einer Entscheidung der unter 1 BvR 97/14 und 1 BvR 2392/14 beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerden zur Verfassungsmäßigkeit der Hofabgabeklausel ist nicht zuletzt mit Blick auf die Dauer des gerichtlichen Verfahrens nicht angezeigt (vgl zur Aussetzung BSG Beschluss vom 1.4.1992 - 7 RAr 16/91 - SozR 3-1500 § 114 Nr 3 RdNr 8 f).

32

bb. Wie das LSG weiter zutreffend angenommen hat, stehen die Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 des § 45 SGB X der vollständigen Rücknahme des Rentenbescheides vom 23.6.2000 mit Wirkung für die Vergangenheit nicht entgegen.

33

Nach § 45 Abs 2 S 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Gemäß § 45 Abs 2 S 2 SGB X ist das Vertrauen (des Begünstigten) in der Regel schutzwürdig, wenn er erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Allerdings kann sich der Begünstigte gemäß § 45 Abs 2 S 3 SGB X auf Vertrauen nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 2. Halbs SGB X), dh wenn dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Es müssen einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden (vgl BSG Urteil vom 11.6.1987 - 7 RAr 105/85 - BSGE 62, 32 = SozR 4100 § 71 Nr 2 mwN). Hierbei ist ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen (stRspr, vgl etwa BSG Urteil vom 24.4.1997 - 11 RAr 89/96 - AuB 1997, 282 mwN).

34

Auf der Grundlage seiner für den Senat bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) ist das LSG fehlerfrei zu der Überzeugung gelangt, der Bescheid der Beklagten vom 23.6.2000 beruhe auf Angaben, die die Klägerin grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Zur Begründung hat sich das LSG maßgeblich auf die Umstände gestützt, die der Unterschrift der Klägerin auf dem Rentenantragsformular und auf ihrer Erklärung vom 16.6.2000 zugrunde liegen. Nach seinen Feststellungen hat der Klägerin der Antrag ihres Ehemanns, dem sie sich später angeschlossen hat, zu Hause mehrere Tage zur Durchsicht und Prüfung vorgelegen. Wie sie zudem selber angegeben hat, hat sich die Klägerin von der Beklagten bei der Rentenantragstellung beraten lassen und bei der Rentenantragstellung eigene Überlegungen angestellt. Schließlich hat die Klägerin mit ihrer Erklärung vom 16.6.2000 von ihr unterzeichnete Angaben zu den zurückbehaltenen Unternehmensteilen gemacht und die Wahrheit ihrer Angaben versichert, allerdings ohne dabei die anspruchsschädlichen landwirtschaftlichen Nutzflächen in Niederbayern zu erwähnen. Infolgedessen kann sich die Klägerin - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - nicht darauf berufen, auf den Bestand des Bescheides vom 23.6.2000 vertraut zu haben. Durchgreifende Revisionsangriffe gegen diese tatsächlichen Feststellungen und ihre stimmige Würdigung durch das LSG hat die Klägerin nicht geführt.

35

cc. Wie das LSG darüber hinaus zutreffend angenommen hat, hat die Beklagte bei Erlass des angefochtenen Bescheides vom 12.9.2007 die Fristen des § 45 Abs 3 und 4 SGB X eingehalten(vgl in dieser Sache bereits BSG Urteil vom 20.12.2012 - B 10 LW 2/11 R - SozR 4-5868 § 12 Nr 1).

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dd. Die im wiedereröffneten Berufungsverfahren vervollständigten Tatsachenfeststellungen des LSG tragen nunmehr auch seinen Schluss, die Beklagte habe das ihr nach § 45 Abs 1 SGB X ("darf") eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Das LSG hat die von den Beteiligten geschilderten Umstände der Rentenantragstellung überprüft und ist zu dem revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Ergebnis gekommen, die Beklagte sei sich jedenfalls nach dem Inhalt des Widerspruchsbescheides vom 24.1.2008 ihres Ermessensspielraums erkennbar bewusst und habe bei der Ausübung ihres Ermessens auch geprüft, ob die Rückforderung der Rentenleistung unter dem Gesichtspunkt der besonderen Härte ausgeschlossen war. Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Interessen der Versichertengemeinschaft auf Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes und dem Interesse der Klägerin am Fortbestehen des Rentenbescheides hat die Beklagte ausgeführt, sie verkenne nicht die finanzielle Belastung der Klägerin durch die Rückforderung, was es aber nicht rechtfertige, von einer Rücknahme des Bewilligungsbescheides abzusehen. Diese Begründung ist ausreichend (vgl BSG Urteil vom 11.6.2003 - B 5 RJ 28/02 R - SozR 4-1300 § 24 Nr 1 RdNr 24 unter Hinweis auf BSG Urteil vom 21.3.1990 - 7 RAr 112/88 - SozR 3-1300 § 45 Nr 2). Es steht der Behörde in den Grenzen ihres Ermessens frei, auf welche Umstände sie abstellen will; diese Grenzen hat die Beklagte nicht überschritten. Wie das LSG ferner zutreffend festgestellt hat, hat die Klägerin im nachgeholten Anhörungsverfahren keine Einwendungen erhoben, die die Ermessensausübung der Beklagten berühren würden, ohne bereits im Widerspruchsbescheid berücksichtigt worden zu sein. Die Erwägung des Senats, auch die Gegebenheiten der Rentenantragstellung könnten im Rahmen der Ermessensentscheidung abzuwägen sein (vgl BSG Urteil vom 20.12.2012 - B 10 LW 2/11 R - SozR 4-5868 § 12 Nr 1), hat das LSG nunmehr tatrichterlich überprüft und mit revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Begründung verworfen.

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ee. Nicht zu beanstanden ist schließlich die mit der Entscheidung über die Rücknahme verbundene - ihr rechtlich nachgeordnete -Erstattungsentscheidung der Beklagten nach § 50 Abs 1 S 1 SGB X. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Ist - wie hier - die Rücknahmeentscheidung sachlich richtig, beschränkt sich die Prüfung der Entscheidung über die Erstattung nur noch darauf, ob dem Erstattungsverlangen selbst Einwendungen entgegengesetzt werden können (vgl BSG Urteil vom 1.7.2010 - B 13 R 77/09 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 18 RdNr 61 f mwN). Dafür ist nichts vorgetragen oder ersichtlich.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Heilung der in § 41 Abs 1 SGB X genannten formellen Mängel durch Nachholung(§ 41 Abs 2 SGB X) führt in aller Regel nach dem Rechtsgedanken des § 63 Abs 1 S 2 SGB X zu einer Kostentragung der Behörde(vgl Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2013, § 193 RdNr 4). Dies kann jedoch nur insoweit gelten als die Klage wegen der zunächst nicht ordnungsgemäßen Anhörung Aussicht auf Erfolg hatte. Dagegen wäre es unbillig, der Beklagten darüber hinaus die Kosten des zweiten Revisionsverfahrens aufzubürden, welches die Klägerin - nach erfolgter Heilung des Anhörungsmangels - auf eigenes Risiko angestrengt hat und damit unterlegen ist.