Bundesgerichtshof Beschluss, 22. März 2017 - XII ZB 260/16
Gericht
Tenor
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Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 25. April 2016 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
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Beschwerdewert: 5.000 €
Gründe
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I.
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Mit ihrer Rechtsbeschwerde wendet sich die ursprünglich bevollmächtigte Ehefrau des Betroffenen gegen die Bestellung der Tochter des Betroffenen zur Betreuerin.
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Der Betroffene leidet an mittelschwerer Demenz bei rascher Progredienz. Zu einer freien Willensbildung ist der Betroffene krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage. Am 14. Februar 2014 erteilte der Betroffene seiner damaligen langjährigen Lebensgefährtin, der Beteiligten zu 1, eine umfassende Vorsorgevollmacht, während er zugleich in einer Betreuungsverfügung seine Tochter, die Beteiligte zu 2, als Betreuerin vorschlug. Ob er damals noch geschäftsfähig war, ist nach dem Inhalt des vorliegenden Sachverständigengutachtens sehr zweifelhaft. Am 28. August 2015 heiratete der Betroffene die Beteiligte zu 1. Zu diesem Zeitpunkt war er geschäftsunfähig. Die Beteiligte zu 2 widerrief mit Schreiben vom 18. September 2015 die Vorsorgevollmacht zugunsten der Beteiligten zu 1.
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Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 2. Dezember 2014 die Beteiligte zu 2 als Betreuerin mit folgenden Aufgabenkreisen bestellt: Vermögenssorge; Vertretung gegenüber Behörden/Versicherungen/Renten- und Sozialleistungsträgern; Gesundheitsfürsorge; Aufenthaltsbestimmung; Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise; Wohnungsangelegenheiten; Abschluss und Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heim-Pflegevertrages; Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten; Widerruf von erteilten Vollmachten. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der die Beteiligte zu 1 weiterhin gegen die Einrichtung einer Betreuung für den Betroffenen vorgeht.
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II.
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Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
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1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Betreuung müsse zwischen Betreuungsbedürftigkeit und Betreuungsbedarf unterschieden werden. Eine Betreuung gegen den Willen des Betroffenen setze kumulativ voraus: eine psychische Krankheit oder körperliche, geistige oder seelische Behinderung; das hieraus resultierende Unvermögen, seine Angelegenheiten ganz oder teilweise zu besorgen; Erforderlichkeit der Betreuerbestellung wegen Nichtvorhandenseins anderer Hilfen. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Der Betroffene leide an einer zumindest mittelschweren Demenz vom Alzheimer-Typ. Er sei nicht mehr in der Lage, seine Angelegenheiten zu besorgen. Die Vorsorgevollmacht vom 14. Februar 2014 stehe der Einrichtung einer Betreuung nicht entgegen, weil die Beteiligte zu 2 die Vorsorgevollmacht am 18. September 2015 wirksam widerrufen habe. Ob der Betroffene bei der Errichtung der Vorsorgevollmacht geschäftsunfähig gewesen sei, brauche deswegen nicht abschließend entschieden zu werden. Die Auslegung des der Beteiligten zu 2 in der angefochtenen Entscheidung übertragenen Aufgabenkreises ergebe zweifelsfrei, dass ihr die Befugnis zum Widerruf der Vorsorgevollmacht ausdrücklich als eigenständiger Aufgabenkreis zugewiesen worden sei.
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2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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a) Gemäß § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Für welche Aufgabenkreise ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. Februar 2017 - XII ZB 510/16 - juris Rn. 18 und vom 6. Juli 2016 - XII ZB 131/16 - FamRZ 2016, 1668 Rn. 14 mwN).
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Das Beschwerdegericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die der Beteiligten zu 1 erteilte Vorsorgevollmacht vom 14. Februar 2014 der Erforderlichkeit einer Betreuung nicht entgegensteht, nachdem die Beteiligte zu 2 diese Vollmacht wirksam widerrufen hat (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 206, 321 = FamRZ 2015, 1702). Indessen sind die bislang getroffenen Feststellungen hinsichtlich des Aufgabenkreises "Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seiner Bevollmächtigten" nicht ausreichend.
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Soweit das vom Amtsgericht erhobene psychiatrische Sachverständigengutachten vom 12. Januar 2016 (St. Elisabeth Krankenhaus Lahnstein / Psychiatrie / Leitender Arzt Priv.-Doz. Dr. M. ) zu dem Ergebnis kommt, dass der Betroffene bei der Heirat am 28. August 2015 nicht geschäftsfähig war, hat das Amtsgericht durch gesonderten Beschluss vom 29. Februar 2016 den Aufgabenkreis der Betreuung hinsichtlich der Stellung eines Antrags auf Eheaufhebung erweitert. Dieser Aufgabenkreis ist vorliegend nicht streitgegenständlich. Weitere Feststellungen zu konkreten Rechten des Betroffenen, die gegenüber der Beteiligten zu 1 geltend gemacht werden sollen, hat das Beschwerdegericht nicht getroffen.
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b) Kommt das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis, dass die Betreuung zu Recht angeordnet ist, muss es auch die Betreuerauswahl auf ihre Richtigkeit hin überprüfen (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Mai 2016 - XII ZB 579/15 - FamRZ 2016, 1258 Rn. 14). Deshalb hätte sich das Beschwerdegericht mit dem angespannten Verhältnis zwischen der Tochter und der Ehefrau des Betroffenen auseinandersetzen müssen, das durch den Widerruf der Vorsorgevollmacht nicht beseitigt worden ist.
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Auch fehlen jegliche Feststellungen dazu, ob die Beteiligte zu 2 geeignet erscheint, die Rechte des Betroffenen zu wahren, nachdem der ungeklärte Vorwurf im Raum steht, sie habe im Zusammenwirken mit ihrem Bruder versucht, Konten des Betroffenen über insgesamt rund 200.000 € zu kündigen und dieses Geld - ebenso wie insgesamt 20.000 € vom Girokonto des Betroffenen - jeweils hälftig auf Konten der Geschwister zu transferieren.
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3. Der angefochtene Beschluss kann deshalb keinen Bestand haben.
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Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil das Landgericht zunächst die erforderlichen Feststellungen zur Frage des Betreuungsbedarfs und der Betreuerauswahl zu treffen haben wird.
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Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
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Dose
Schilling
Günter
Botur
Krüger
Rechtsanwalt
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(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.