Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Juli 2018 - VI ZR 580/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:100718BVIZR580.15.0
10.07.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 17. September 2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: bis 650.000 €

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt die Beklagten gesamtschuldnerisch auf Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall vom 21. August 2005 in Anspruch.

2

Fahrer und Halter des bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten unfallbeteiligten Pkw war der verstorbene Ehemann der Beklagten zu 1 (im Folgenden: E.), die als dessen Rechtsnachfolgerin in Anspruch genommen wird. Am Unfalltag befuhr der Kläger mit einem Fahrrad eine innerörtliche Straße in N. E. fuhr auf dieser Straße in die gleiche Richtung und beabsichtigte, sie nach rechts zu verlassen, um in ein Grundstück einzufahren. Dazu zog er an dem Kläger vorbei, um vor diesem in das Grundstück einzubiegen. Als der Kläger dieses Fahrmanöver bemerkte, unternahm er mit seinem Fahrrad eine Vollbremsung, um eine Kollision mit dem Fahrzeug des E. zu vermeiden. Dabei stürzte er über den Lenker nach vorne, wodurch er sich eine Tossy-I-Verletzung des linken Schultereckgelenks, multiple Schürfwunden, eine leichte Schädelprellung sowie eine HWS-Distorsion zuzog.

3

Zum Unfallzeitpunkt war der Kläger selbständiger Leiter einer Versicherungsagentur. Vom Unfalltag bis zum November 2005 war er zu 100 % arbeitsunfähig erkrankt, danach noch zu 50-60 %. Seit dem 4. Januar 2006 war er wieder vollständig arbeitsfähig. Bereits im Herbst des Jahres 2005 kam es zu ersten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger. Seine Tätigkeit bei der Versicherung beendete der Kläger im Jahr 2010. Inzwischen lebt er von Grundsicherung. Die Beklagte zu 2 hat auf den materiellen Schaden des Klägers 40.000 Euro an Abschlagszahlungen erbracht sowie teilweise dessen Krankenversicherungsbeiträge übernommen.

4

Der Kläger, der den Beklagten die Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz vorwirft, verlangt weitergehenden materiellen Schadenersatz, wobei er von einem Verdienstausfall für die Jahre 2005 bis 2008 in Höhe von ca. 380.000 Euro ausgeht. Hinzu kämen Aufwendungen in Höhe von 2.700,94 Euro für Heilbehandlungen, Medikamente, Schäden an Fahrrad und Kleidung sowie eine Kostenpauschale. Weiter fordert er ein Schmerzensgeld von 55.000 Euro.

5

Das Landgericht hat nach Einholung eines orthopädischen und eines psychiatrischen Gutachtens ein Grund- und Teilurteil erlassen, in dem es die Alleinhaftung der Beklagten dem Grunde nach ausgesprochen und festgestellt hat, dass die Beklagten verpflichtet sind, die Zukunftsschäden des Klägers zu ersetzen. Die materiellen Schäden hat es im Wege eines Teilurteils mit einem Betrag von 2.700,94 Euro zugesprochen, die Höhe des Verdienstausfallschadens dem Schlussurteil vorbehalten. Weiter hat es dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro zuerkannt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht nach ergänzender Beweiserhebung durch Einholung eines neuen schriftlichen psychiatrischen Gutachtens und dessen schriftlicher Ergänzung die landgerichtliche Entscheidung abgeändert. Es hat die Klage bezüglich des Verdienstausfallschadens nur für die Jahre 2005 und 2006 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 15.000 Euro verurteilt. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen, die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

6

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7

1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ansatz des Berufungsgerichts, dass der Schädiger grundsätzlich auch für eine psychische Fehlverarbeitung als haftungsausfüllende Folgewirkung des Unfallgeschehens einzustehen hat, wenn eine hinreichende Gewissheit besteht, dass diese Folge ohne den Unfall nicht eingetreten wäre. Die Zurechnung solcher Schäden scheitert auch nicht daran, dass der Verletzte infolge körperlicher oder seelischer Dispositionen besonders schadensanfällig ist, weil der Schädiger keinen Anspruch darauf hat, so gestellt zu werden, als habe er einen bis dahin Gesunden verletzt (Senatsurteile vom 11. November 1997 - VI ZR 376/96, BGHZ 137, 142, 145; vom 30. April 1996 - VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 346). Der Zurechnungszusammenhang ist ausnahmsweise dann zu verneinen, wenn der Geschädigte den Unfall in neurotischem Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nimmt, um den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen. Eine Zurechnung kann auch dann ausscheiden, wenn das Schadensereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle; vgl. Senatsurteil vom 10. Februar 2015 - VI ZR 8/14, NZV 2015, 281, 282 mwN). Die Haftung kann aus Gründen der Kausalität zudem entfallen oder zeitlich begrenzt sein, wenn der durch den Unfall ausgelöste Schaden auf Grund der Vorschäden auch ohne den Unfall früher oder später eingetreten wäre (Senatsurteil vom 30. April 1996 - VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 347).

8

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass der Kläger durch die Zurückweisung seines Antrags auf mündliche Anhörung des Sachverständigen in seinem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt worden ist. Für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, kommt es nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob ein solcher von einer Partei nachvollziehbar dargetan worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats hat die Partei zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann (vgl. u.a. Senatsurteile vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96, VersR 1997, 509; vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96, NJW 1998, 162; vom 22. Mai 2001 - VI ZR 268/00, VersR 2002, 120, 121 f.; Beschluss vom 21. Februar 2017 - VI ZR 314/15, VersR 2017, 1034 Rn. 3). Dieses Antragsrecht besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (st. Rspr., vgl. Senatsbeschluss vom 25. September 2007 - VI ZR 157/06, VersR 2007, 1697 mwN).

9

Dieser Pflicht zur Anhörung des Sachverständigen ist der Tatrichter nur ausnahmsweise dann enthoben, wenn der Antrag auf Anhörung verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt worden ist. Von letzterem kann nicht die Rede sein, wenn die Partei (wie in § 411 Abs. 4 ZPO vorgesehen) konkret vorgetragen hat, worin sie Unklarheiten und Erläuterungsbedarf im Hinblick auf das schriftliche Sachverständigengutachten sieht und in welcher Richtung sie ihr Fragerecht ausüben will (vgl. Senatsurteil vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96, NJW 1998, 162). Im vorliegenden Fall war der von dem Kläger gestellte Antrag auf Anhörung des Sachverständigen weder verspätet noch rechtsmissbräuchlich. Nach Vorlage des Gutachtens des Dr. K. vom 12. August 2014 hat das Berufungsgericht auf Einwendungen der Beklagten ein Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Dr. K. veranlasst, welches dem Berufungsgericht am 29. April 2015 vorlag und den Parteien ohne Fristsetzung zur Stellungnahme zugeleitet worden ist. Danach hat der Kläger mit Schriftsatz vom 3. Juni 2015 bezogen auf dieses Ergänzungsgutachten Einwendungen vorgetragen und die Anhörung des Sachverständigen beantragt. Das Berufungsgericht hat zur mündlichen Verhandlung am 14. Juli 2015 den Sachverständigen nicht geladen. In einem Schriftsatz vor dem Verkündungstermin hat der Kläger dann nochmals auf die Notwendigkeit einer Erläuterung durch den Sachverständigen hingewiesen. Unter diesen Umständen hätte das Berufungsgericht den Sachverständigen anhören müssen, um dem Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu genügen.

10

Die Gehörsverletzung ist auch erheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Anhörung zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre, zumal es sich in den Entscheidungsgründen nicht zu den Widersprüchen zwischen den Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. und denen des erstinstanzlichen psychiatrischen Sachverständigen Dr. L. verhalten hat (vgl. dazu nur Senatsbeschluss vom 14. Januar 2014 - VI ZR 340/13, VersR 2014, 632). Äußerungen medizinischer Sachverständiger sind kritisch auf ihre Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit zu prüfen. Das gilt sowohl für Widersprüche zwischen einzelnen Erklärungen desselben Sachverständigen (vgl. Senatsurteile vom 7. Dezember 2004 - VI ZR 212/03, BGHZ 161, 255, 264; vom 17. September 1985 - VI ZR 12/84, VersR 1985, 1187, 1188; vom 7. April 1992 - VI ZR 216/91, VersR 1992, 747, 748 sowie vom 14. Dezember 1993 - VI ZR 67/93, VersR 1994, 480, 482) als auch für Widersprüche zwischen Äußerungen mehrerer Sachverständiger, selbst wenn es dabei um Privatgutachten geht (vgl. Senatsurteil vom 3. Oktober 1989 - VI ZR 319/88, VersR 1989, 1296, 1297; Senatsbeschluss vom 21. Januar 2009 - VI ZR 170/08, VersR 2009, 499). Der Tatrichter darf den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (Senatsbeschluss vom 11. März 2014 - VI ZB 22/13, VersR 2014, 895 Rn. 12; BGH, Urteile vom 24. September 2008 - IV ZR 250/06, VersR 2008, 1676 Rn. 11 mwN; vom 22. September 2004 - IV ZR 200/03, VersR 2005, 676, 677 f.; Senatsurteil vom 11. November 2014 - VI ZR 76/13, NJW 2015, 411 Rn. 15).

III.

11

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht nach Anhörung des Sachverständigen Dr. K. und bei der gebotenen Berücksichtigung der Darlegungen der Sachverständigen Dr. K. und Dr. L. zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre, war das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit zum Nachteil des Klägers erkannt wurde, und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei erneuter Befassung Gelegenheit haben, auch das weitere Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen.

Galke     

        

Wellner     

        

von Pentz

        

Oehler      

        

Klein      

        

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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 402 Anwendbarkeit der Vorschriften für Zeugen


Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 397 Fragerecht der Parteien


(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten. (2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf

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(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR8/14 Verkündet am:
10. Februar 2015
Beširović
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur Haftung des Schädigers für psychische Beeinträchtigungen, wenn der Geschädigte
es unterlässt, sich einer (weiteren) Behandlung zu unterziehen.
BGH, Urteil vom 10. Februar 2015 - VI ZR 8/14 - OLG Köln
LG Köln
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Februar 2015 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richterin
Diederichsen, die Richter Pauge und Offenloch und die Richterin Dr. Oehler

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision der Beklagten wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 3. Dezember 2013 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin wurde am 29. September 2005 von Nachbarn herbeigerufen , nachdem ihr fast 4-jähriger Sohn beim Spielen auf die Straße gelaufen und dort von dem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw des Beklagten zu 1 erfasst worden war. Sie fand ihren Sohn mit einer erheblich dislozierten Oberschenkelfraktur, einer Commotio cerebri und einer Platzwunde am Hinterkopf vor und macht geltend, als Reaktion hierauf habe sich bei ihr ein posttrau- matisches Belastungssyndrom entwickelt, das sich in Magersucht, Schlaflosigkeit , Kopfschmerzen und Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule äußere und es ihr unmöglich mache, weiterhin den Haushalt zu führen. Die Klägerin begehrt Ersatz materiellen und immateriellen Schadens.
2
Das Landgericht hat die Klage sachverständig beraten abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht weiteren Beweis erhoben. Es hat der Klage teilweise stattgegeben und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren - mit Abstrichen zur Höhe des geltend gemachten Haushaltsführungsschadens - weiter. Die Beklagten erstreben mit der Anschlussrevision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

I.

3
Das Berufungsgericht führt aus, die Klägerin habe zwar bewiesen, dass bei ihr aus dem Erlebnis der Unfallverletzung ihres Sohnes ein posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) eingetreten sei, als dessen Folge sich eine Magersucht entwickelt habe. Ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem Unfall und den gesundheitlichen Beeinträchtigungen sei jedoch nur bis Ende 2007 gegeben, weil die Klägerin ihr angebotene Therapiemöglichkeiten nicht wahrgenommen habe, auch wenn ihr dies nicht im Sinne eines "Mitverschuldens" vorzuwerfen sei. Die Prognose, dass eine Fortführung der Therapie eine Besserung des Gesundheitszustands erbracht hätte, sei günstig gewesen, da nach einem früheren, verhältnismäßig kurzen stationären Aufenthalt eine erheb- liche Verbesserung ihres Gesundheitszustands eingetreten sei und sich ein deutlicher Rückgang der PTBS-Symptomatik eingestellt habe.

II.

4
Das Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
1. Revision der Klägerin
6
a) Ohne Erfolg wendet sich die Revision allerdings dagegen, dass das Berufungsgericht bei der Bemessung des Schmerzensgeldes allein die durch den Unfall verursachte Magersucht - und diese nur bis Ende 2007 - berücksichtigt hat und nicht auch die übrigen von der Klägerin geltend gemachten Beeinträchtigungen , weil diese nicht über das hinausgingen, was Nahestehende von Unfallopfern in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erlitten , und deshalb unter dem Aspekt eines "Schockschadens" nicht ersatzfähig seien.
7
aa) Die Bemessung des Schmerzensgeldes der Höhe nach ist grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob die Festsetzung Rechtsfehler enthält (st. Rspr.; vgl. Senatsurteil vom 11. Dezember 1973 - VI ZR 189/72, VersR 1974, 489, 490; vom 19. September 1995 - VI ZR 226/94, VersR 1996, 380), insbesondere ob das Gericht sich mit allen für die Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und sich um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen bemüht hat (vgl. Senatsurteile vom 12. Mai 1998 - VI ZR 182/97, BGHZ 138, 388, 391; vom 24. Mai 1988 - VI ZR 159/87, VersR 1988, 943; vom 15. Januar 1991 - VI ZR 163/90, VersR 1991, 350, 351; vom 12. Juli 2005 - VI ZR 83/04, VersR 2005, 1559, 1562 [insoweit in BGHZ 163, 351 nicht abgedruckt] und vom 17. November 2009 - VI ZR 64/08, VersR 2010, 268 Rn. 16).
8
bb) Für die Revision ist zugunsten der Klägerin zu unterstellen, dass bei ihr, wie vom Berufungsgericht festgestellt, aufgrund des Erlebnisses der Unfallverletzungen ihres Sohnes ein posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) eingetreten ist, als dessen Folge sich eine Magersucht entwickelt hat. Auf dieser Grundlage lässt das Berufungsurteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Klägerin erkennen. Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers (Senatsurteil vom 12. Juli 2005 - VI ZR 83/04, aaO). Diese Gesichtspunkte hat das Berufungsgericht beachtet und hinreichend gewürdigt.
9
Entgegen der Auffassung der Revision sind bei der Bemessung des Schmerzensgeldes wegen psychischer Folgen solche Umstände, die für sich allein genommen nicht die Tatbestandsmerkmale des Schadensersatzanspruchs erfüllen, nicht zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats können psychische Beeinträchtigungen wie Trauer und Schmerz beim Tod oder bei schweren Verletzungen naher Angehöriger, mögen sie auch für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sein, nur dann als Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden , wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Hinterbliebene bei der Benachrichtigung von dem Unfall eines nahen Angehörigen oder dem Miterleben eines solchen Unfalls erfahrungsgemäß ausgesetzt sind (vgl. Senatsurteile vom 13. Januar 1976 - VI ZR 58/74, VersR 1976, 539, 540; vom 31. Januar 1984 - VI ZR 56/82, VersR 1984, 439; vom 4. April 1989 - VI ZR 97/88, VersR 1989, 853, 854; vom 6. Februar 2007 - VI ZR 55/06, VersR 2007, 803 Rn. 6, 10; vom 20. März 2012 - VI ZR 114/11, VersR 2012, 634 Rn. 8 und vom 27. Januar 2015 - VI ZR 548/12, zVb; ablehnend: Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb. 2005, § 249 Rn. 46; MünchKommBGB/Oetker, 6. Aufl., § 249 Rn. 148, 151; MünchKommBGB /Wagner, 6. Aufl., § 823 Rn. 144, jeweils mwN). Ist das nicht der Fall, fehlt es mithin insoweit an einem ersatzfähigen Schaden. Dieser wird nicht dadurch ersatzfähig, dass neben den grundsätzlich nicht zum Schadensersatz führenden Beeinträchtigungen auch eine unfallursächliche ersatzfähige Beeinträchtigung besteht. Insoweit geht es nicht um die Frage der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes, sondern um die vorgelagerte Frage der Ersatzfähigkeit eines eingetretenen immateriellen Schadens.
10
b) Die Revision rügt aber mit Erfolg, dass das Berufungsgericht den Zurechnungszusammenhang zwischen dem Unfallgeschehen und den gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin auf die Zeit bis Ende 2007 begrenzt hat.
11
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats hat der Schädiger für eine psychische Fehlverarbeitung als haftungsausfüllende Folgewirkung eines Unfallgeschehens einzustehen, wenn hinreichende Gewissheit besteht, dass die Folge ohne den Unfall nicht eingetreten wäre. Der Zurechnungszusammenhang ist nur ausnahmsweise dann zu verneinen, wenn der Geschädigte den Unfall in neurotischem Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nimmt, um den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen (vgl. nur Senatsurteile vom 30. April 1996 - VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 346; vom 11. November 1997 - VI ZR 376/96, BGHZ 137, 142, 150 und vom 10. Juli 2012 - VI ZR 127/11, VersR 2012, 1133 Rn. 8, 10). Eine Zurechnung kann auch dann ausscheiden, wenn das Schadensereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle).
12
bb) Wie die Revision mit Recht geltend macht, kann auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem Unfall und der über 2007 hinaus andauernden Erkrankung der Klägerin nicht verneint werden. Ihr Unterlassen, sich einer Behandlung zu unterziehen, kann weder mit einer Fehlverarbeitung noch mit einer Begehrensneurose gleichgesetzt werden. Das Unfallgeschehen war keine Bagatelle. Die Kausalität zwischen dem Unfallgeschehen und den Gesundheitsbeeinträchtigungen kann auch nicht wegen fehlender Adäquanz verneint werden. Eine Haftung für die Folgen ab 2008 könnte nur unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht entfallen (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB). Die Voraussetzungen dieser Norm hat das Berufungsgericht jedoch ausdrücklich verneint.
13
c) Die Nichtzuerkennung eines Schmerzensgeldes über das Jahr 2007 hinaus erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig.
14
aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts könnte für die Bemessung des Schmerzensgeldes allerdings der Umstand Gewicht haben, dass die Klägerin die von ihr begonnene Therapie nicht fortgesetzt hat. Wegen der positiven Entwicklung des Gesundheitszustands der Klägerin nach der verhältnismäßig kurzen Vorbehandlung bewertet das Berufungsgericht die Prognose, dass eine Fortführung der Therapie eine Besserung erbracht hätte, als günstig. Es meint jedoch, der Klägerin könne wegen der unterbliebenen Fortsetzung der Therapie kein Mitverschulden angelastet werden, weil sie sich ausweislich der dokumentierten Behandlungsgeschichte um die Heilung, zumindest aber Besserung ihrer nach dem Unfall manifestierten Essstörung bemüht habe. Alles spreche zwar dafür, dass dies nicht in ausreichendem Maße geschehen sei.
Dass ihr dies in dem maßgeblichen Zeitraum subjektiv vorzuwerfen und nicht etwa Ausdruck ihrer auf das Unfallereignis zurückgehenden psychischen Fehlentwicklung sei, lasse sich weder nach dem Vorbringen der insoweit darlegungspflichtigen Beklagten noch dem Sachverhalt im Übrigen feststellen.
15
bb) Möglicherweise hat das Berufungsgericht die für die Annahme eines Mitverschuldens erforderlichen Anforderungen überspannt. Von dem Verletzten muss nämlich verlangt werden, dass er, soweit er dazu imstande ist, zur Heilung oder Besserung seiner Krankheit oder Schädigung die nach dem Stande der ärztlichen Wissenschaft sich darbietenden Mittel anwendet; er darf in der Regel nicht anders handeln, als ein verständiger Mensch, der die Vermögensnachteile selbst zu tragen hat, es bei gleicher Gesundheitsstörung tun würde (RGZ 60, 147, 149; Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 22 Rn. 112). Der Umstand, dass die Klägerin sich nach den getroffenen Feststellungen mit Rücksicht auf die mit einer Behandlung verbundene Trennung von ihren Kindern nicht weiter therapieren ließ, könnte ein Mitverschulden begründen , wenn der Klägerin eine weitere Behandlung der Essstörung zumutbar gewesen wäre (vgl. Senatsurteile vom 4. November 1986 - VI ZR 12/86, VersR 1987, 408 mit zust. Anm. Deutsch, VersR 1987, 559; vom 18. April 1989 - VI ZR 221/88, VersR 1989, 701, 702 und vom 15. März 1994 - VI ZR 44/93, NJW 1994, 1592, 1593). Dazu hat das Berufungsgericht bislang keine ausreichenden Feststellungen getroffen.
16
2. Anschlussrevision der Beklagten
17
a) Das Berufungsgericht ist zu der Überzeugung gelangt, bei der Klägerin sei aus dem Erlebnis der Unfallverletzung ihres Sohnes ein posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) eingetreten, als dessen Folge sich eine Ma- gersucht entwickelt habe. Dagegen wendet sich die Anschlussrevision mit Erfolg.
18
b) Die Beweiswürdigung ist allerdings grundsätzlich Sache des Tatrichters. An dessen Feststellungen ist das Revisionsgericht nach § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Revisionsrechtlich ist lediglich zu überprüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senatsurteile vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 309/10, VersR 2012, 454 Rn. 13; vom 10. Juli 2012 - VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 Rn. 28; vom 11. Dezember 2012 - VI ZR 314/10, VersR 2013, 321 Rn. 16; vom 20. Mai 2014 - VI ZR 187/13, VersR 2014, 1130 Rn. 28 und vom 30. September 2014 - VI ZR 443/13, VersR 2015, 196 Rn. 11). Die vom Berufungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung erweist sich als unvollständig.
19
c) Die Klägerin begehrt Schadensersatz wegen eines Gesundheitsschadens , der nach ihrem Vorbringen mittelbar als (psychische) Folge des Verkehrsunfalls ihres Sohnes eingetreten ist. Ein solcher Schadensersatzanspruch aus § 7 Abs. 1, § 11 Satz 2 StVG, § 823 Abs. 1, § 843 Abs. 1, § 253 BGB i.V.m. § 3 Nr. 1 PflVG in der hier anzuwendenden bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung wäre zwar ein eigener Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung eines eigenen Rechtsguts (vgl. Senatsurteile vom 11. Mai 1971 - VI ZR 78/70, BGHZ 56, 163, 168; vom 20. März 2012 - VI ZR 114/11, BGHZ 193, 34 Rn. 8; vom 13. Januar 1976 - VI ZR 58/74, VersR 1976, 539, 540 und vom 6. Februar 2007 - VI ZR 55/06, VersR 2007, 803 Rn. 10). Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats genügt jedoch nicht jede psychisch vermittelte Beeinträchtigung der körperlichen Befindlichkeit, um einen Schadensersatzanspruch eines dadurch nur "mittelbar" Geschädigten im Falle der Tötung oder schweren Verletzung eines Dritten auszulösen. Dies widerspräche der Intention des Gesetzgebers, die Deliktshaftung gerade in § 823 Abs. 1 BGB sowohl nach den Schutzgütern als auch den durch sie gesetzten Verhaltenspflichten auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken (vgl. Senatsurteile vom 11. Mai 1971 - VI ZR 78/70, aaO; vom 20. März 2012 - VI ZR 114/11, BGHZ 193, 34 Rn. 8; vom 4. April 1989 - VI ZR 97/88, VersR 1989, 853,854 und vom 27. Januar 2015 - VI ZR 548/12, zVb). Deshalb können psychische Beeinträchtigungen naher Angehöriger, mögen sie auch für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sein, wie oben dargelegt nur dann als Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind. Dabei hat der erkennende Senat stets dem Umstand Bedeutung beigemessen, ob die von dem Dritten geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen auf seine direkte Beteiligung an einem Unfall oder das Miterleben eines Unfalls zurückgeführt werden oder ob sie durch den Erhalt einer Unfallnachricht ausgelöst worden sein sollen (vgl. Senatsurteil vom 11. Mai 1971 - VI ZR 78/70, aaO S. 167; vom 22. Mai 2007 - VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 13 f.; vom 12. November 1985 - VI ZR 103/84, VersR 1986, 448 und vom 27. Januar 2015 - VI ZR 548/12, zVb).
20
d) Die Anschlussrevision rügt mit Erfolg, dass sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen lässt, ob das Berufungsgericht bei seiner Annahme, bei der Klägerin sei aus dem Erlebnis der Unfallverletzung ihres Sohnes ein posttraumatisches Belastungssyndrom eingetreten, berücksichtigt hat, dass die Klägerin an dem Unfall weder direkt beteiligt war noch ihn unmittelbar miterlebt hat. Wie die Anschlussrevision mit Recht geltend macht, lässt sich auch den Darlegungen des Sachverständigen Dr. W. nicht entnehmen, ob dieser bei seiner Beurteilung dem von der Klägerin für die psychische Beeinträchtigung verantwortlich gemachten auslösenden Ereignis hinreichend Rechnung getragen hat. Der Sachverständige begründet die nach seiner Bewertung gegebene Ur- sächlichkeit des Erlebens der Unfallverletzung für die eingetretene posttraumatische Belastungsstörung im Wesentlichen mit dem zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Unfallgeschehen und dem Auftreten der Magersucht. Die Anschlussrevision weist jedoch zutreffend daraufhin, dass nach anerkannter medizinischer Definition ein posttraumatisches Belastungssyndrom (ICD10: F43.1) durch ein schwerwiegendes traumatisches Erleben ausgelöst wird. Es handelt sich um eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (Dilling/Mombour/Schmidt, Internationale Klassifikation psychischer Störungen, 9. Aufl., S. 207; vgl. Senatsurteil vom 10. Juli 2012 - VI ZR 127/11, VersR 2012, 1133 Rn. 33). Ob sich das von der Klägerin erlebte Geschehen als ein derart schwerwiegendes traumatisches Erleben darstellt, lassen die Darlegungen des Sachverständigen Dr. W. nicht erkennen.
21
3. Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Die Sache ist unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dieses wird bei erneuter Befassung Gelegenheit haben, auch das weitere Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen.
Galke Diederichsen Pauge
Offenloch Oehler
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 17.11.2009 - 22 O 16/09 -
OLG Köln, Entscheidung vom 03.12.2013 - 15 U 191/09 -

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.

(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.

(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.

Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.

3
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats steht jeder Prozesspartei gemäß §§ 397, 402 ZPO zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs das Recht zu, einen Sachverständigen zu seinem schriftlichen Gutachten mündlich zu befragen (vgl. etwa Senatsurteile vom 21. September 1982 - VI ZR 130/81, NJW 1983, 340, 341; vom 24. Oktober 1995 - VI ZR 13/95, VersR 1996, 211; vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96, VersR 1998, 342, 343; Senatsbeschluss vom 5. September 2006 - VI ZR 176/05, NJW-RR 2007, 212). Der Tatrichter muss dementsprechend dem von einer Partei recht- zeitig gestellten Antrag, den gerichtlichen Sachverständigen nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens zu dessen mündlicher Verhandlung zu laden, selbst dann stattgeben, wenn die schriftliche Begutachtung aus der Sicht des Gerichts ausreichend und überzeugend ist (vgl. Senatsurteil vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96, VersR 1997, 509 mwN). Dieser Pflicht ist der Tatrichter nur ausnahmsweise dann enthoben, wenn der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt worden ist. Von letzterem kann nicht die Rede sein, wenn die Partei (wie in § 411 Abs. 4 ZPO vorgesehen ) konkret vorgetragen hat, worin sie Unklarheiten und Erläuterungsbedarf im Hinblick auf das schriftliche Sachverständigengutachten sieht und in welcher Richtung sie ihr Fragerecht ausüben will (vgl. Senatsurteil vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96, aaO).

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 157/06
vom
25. September 2007
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. September 2007 durch
die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und
Stöhr

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 13. Juli 2006 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert: 202.538,70 €

Gründe:

I.

1
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.
2
1. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, dass das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft von einer mündlichen Befragung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. K. abgesehen hat.
3
a) Für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, kommt es nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob ein solcher von einer Partei nachvollziehbar dargetan worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats hat die Partei zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann (vgl. u.a. Senatsurteile vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 - VersR 1997, 509; vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96 - VersR 1998, 342, 343 und vom 22. Mai 2001 - VI ZR 268/00 - VersR 2002, 120, 121 f.). Dieses Antragsrecht besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04 - VersR 2005, 1555 m.w.N.). Es kann dabei von der Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, dass sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt , in welcher Richtung sie durch entscheidungserhebliche Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (BGHZ 24, 9, 14 f.).
4
b) Im Hinblick darauf reichte die Begründung des Berufungsgerichts, die Feststellungen des Gutachters ließen eine klare Beurteilung zu, für eine Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen nicht aus. Aufgrund des Vorbringens der Klägerin war das Berufungsgericht vielmehr verpflichtet, diesen anzuhören. Die Klägerin hatte bereits im ersten Rechtszug die Anhörung des Sachverständigen beantragt. Darauf hatte sie in ihrer Berufungsbegründung hingewiesen. Zudem hat sie in der Berufungsbegründung und nochmals in der mündlichen Verhandlung am 18. Mai 2006 erneut die Anhörung des Sachverständigen beantragt. Sie hat dabei konkrete Gegenstände der Anhörung, insbesondere auch die Anhörung des Sachverständigen zu der Frage "grober Behandlungsfehler" benannt. Unter diesen Umständen hätte das Berufungsgericht den Sachverständigen anhören müssen, um dem Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör zu genügen.
5
2. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Anhörung zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre, war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
6
Dieses wird bei der neuen Verhandlung und Entscheidung auch das weitere Vorbringen der Klägerin im Revisionsrechtszug zu berücksichtigen haben. Dabei wird insbesondere nochmals zu prüfen sein, worin der konkrete Behandlungsfehler zu sehen ist, der den Anknüpfungspunkt für eine eventuelle Beweislastumkehr bildet. Das Berufungsgericht hat in seiner Begründung lediglich einen Diagnosefehler angenommen, der darin liege, dass die Fehllage des Spans anhand der am 8. Dezember 1999 vorgenommenen Röntgenaufnahme nicht rechtzeitig erkannt worden sei. Es hat jedoch zugleich ausgeführt, der gerichtliche Sachverständige habe es als "eindeutig" fehlerhaft bezeichnet, dass zwischen dem 4. und dem 8. Dezember 1999 keine weitere Diagnostik zum Ausschluss oder Nachweis einer "Raumforderung" erfolgt sei. Im Hinblick darauf wird das Berufungsgericht nochmals zu prüfen haben, ob tatsächlich nur ein Diagnosefehler vorliegt oder nicht vielmehr ein Befunderhebungsfehler, so dass für eine etwaige Beweislastumkehr auf die vom Senat entwickelten Grundsätze zu einer unterlassenen Befunderhebung abzustellen wäre und eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität bereits unterhalb der Schwelle zum groben Behandlungsfehler in Betracht kommt (vgl. Senatsurteile BGHZ 132, 47, 52 ff.; vom 6. Oktober 1998 - VI ZR 239/97 - VersR 1999, 60, 61; vom 23. März 2004 - VI ZR 428/02 - VersR 2004, 790, 792). Das Berufungsgericht wird den Sachverständigen gegebenenfalls auch dazu anhören müssen. Soweit das Berufungsurteil zwischen bloßer Beweiserleichterung und einer Beweislastumkehr unterscheidet, wird auf das Senatsurteil BGHZ 159, 48 hingewiesen. Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr
Vorinstanzen:
LG Koblenz, Entscheidung vom 09.12.2005 - 10 O 293/03 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 13.07.2006 - 5 U 17/06 -

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 340/13
vom
14. Januar 2014
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2014 durch den
Vorsitzenden Richter Galke, die Richterin Diederichsen, den Richter Pauge, die
Richterin von Pentz und den Richter Offenloch

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 1. Juli 2013 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert: 371.000 €

Gründe:

1
1. Der Kläger war seit Anfang 2004 wegen Beschwerden der Lendenwirbelsäule arbeitsunfähig. Er wurde zunächst ambulant und im Jahr 2005 zweimal operativ behandelt. Wegen fortbestehender chronischer Beschwerden wurde ihm im Februar 2006 auf Vorschlag des Beklagten, eines Facharztes für Neurochirurgie , eine so genannte "Schmerzpumpe" implantiert, mit deren Hilfe das Schmerzmittel über einen Katheter direkt in den Wirbelkanal eingebracht wird.
Dieser Eingriff führte zunächst zu einer Schmerzlinderung. Wegen massiver lumbaler Schmerzen nach einem "Verhebetrauma" stellte sich der Kläger am 11. September 2006 erneut bei dem Beklagten vor. Dieser riet ihm zu einer Kontrastmitteluntersuchung, um eine Leckage im Bereich des Katheters auszuschließen. Er wies den Kläger auf die Risiken einer allergischen Reaktion, einer Entzündung und einer neurologischen Komplikation hin, nicht jedoch auf das Risiko des Eintritts einer Querschnittlähmung. Eine Undichtigkeit konnte bei der Untersuchung nicht festgestellt werden. Etwa vier Stunden nach der Untersuchung bemerkte der Kläger zunächst kribbelnde Dysästhesien und sodann eine zunehmende Schwäche in den Beinen. Gegen 17:00 Uhr rief er den Beklagten erstmals an. Bei einem zweiten Anruf gegen 17:30 Uhr empfahl der Beklagte ihm, sich zur Behandlung in das Krankenhaus N. zu begeben. Der Kläger leidet seitdem an einer fortschreitenden Querschnittlähmung mit Blasen- und Mastdarmlähmung. Er macht geltend, die Implantation der Schmerzpumpe sei fehlerhaft gewesen, weil es vorzugswürdigere Alternativen gegeben habe. Bei der Untersuchung am 11. September 2006 habe der Beklagte behandlungsfehlerhaft ein in Deutschland dafür nicht zugelassenes Kontrastmittel verwendet und es versäumt, ihn über das schon damals bekannte Risiko des Eintritts einer nicht traumatischen und nicht entzündlichen Querschnittlähmung aufzuklären. Im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung hätte er sich wegen schlechter Erfahrungen , die seine Ehefrau mit einer Kontrastmitteluntersuchung gemacht habe, und wegen der Abwesenheit seiner Ehefrau am Untersuchungstag in einem Entscheidungskonflikt befunden. Auf seine Anrufe habe der Beklagte falsch reagiert. Er hätte ihn schon bei dem ersten Anruf in ein Krankenhaus einweisen müssen, und zwar in die hierfür spezialisierte Klinik der Medizinischen Hochschule H.. Wäre dies geschehen, hätte die Querschnittlähmung verhindert werden können.
2
Der Kläger begehrt Ersatz materiellen und immateriellen Schadens. Das Landgericht hat der Klage nach Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen Prof. Dr. V. durch Grund- und Teilurteil zunächst überwiegend stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Dieses hat nach weiterer Beweiserhebung durch Einholung schriftlicher und jeweils mündlich erläuterter Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. B. und Prof. Dr. Z. die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Sachverständigen Prof. Dr. B. und Prof. Dr. Z. ergänzend mündlich angehört. Mit dem angefochtenen Urteil hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Er möchte sein Begehren mit der Revision in vollem Umfang weiterverfolgen.
3
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht seine Auffassung begründet hat, ein Ursachenzusammenhang zwischen der von dem Kläger geltend gemachten fehlerhaften Verwendung des Kontrastmittels Ultravist 300 und der eingetretenen Querschnittlähmung sei nicht nachgewiesen, halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand und verletzen den Kläger in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör.
4
a) Ohne Erfolg wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde allerdings dagegen, dass das Berufungsgericht seiner Beweiswürdigung hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs das Beweismaß des § 286 ZPO zugrunde gelegt hat.
5
aa) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass grundsätzlich der Patient den Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden nachzuweisen hat. Dabei ist zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität zu unterscheiden. Erstere betrifft die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für die Rechtsgutverletzung als solche, also für den Primärschaden des Patienten im Sinne einer Belastung seiner gesundheitlichen Befindlichkeit. Insoweit gilt das strenge Beweismaß des § 286 ZPO, das einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit verlangt. Die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität und damit der Ursächlichkeit der Rechtsgutverletzung für alle weiteren (Folge-)Schäden richtet sich hingegen nach § 287 ZPO; hier kann zur Überzeugungsbildung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen (vgl. Senatsurteile vom 12. Februar 2008 - VI ZR 221/06, VersR 2008, 644 Rn. 9 mwN; vom 22. Mai 2012 - VI ZR 157/11, VersR 2012, 905 Rn. 10 mwN; vom 2. Juli 2013 - VI ZR 554/12, VersR 2013, 1174 Rn. 15 und vom 5. November 2013 - VI ZR 527/12, juris Rn. 13; näher Senatsurteile vom 24. Juni 1986 - VI ZR 21/85, VersR 1986, 1121, 1122 f.; vom 4. November 2003 - VI ZR 28/03, VersR 2004, 118, 119 f.; siehe auch Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht , 6. Aufl., Rn. B 189 ff.; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 12. Aufl., Rn. 626 ff.).
6
bb) Rechtsgutsverletzung (Primärschaden), auf die sich die haftungsbegründende Kausalität ausrichtet, ist - entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde - nicht die bloße Einbringung des Kontrastmittels Ultravist 300 in den Katheter und der nachfolgende Austritt des Kontrastmittels in den Spinalraum. Die geltend gemachte Körperverletzung (Primärschaden) ist vielmehr in der durch den behaupteten Behandlungsfehler herbeigeführten gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung zu sehen (vgl. Senatsurteile vom 12. Februar 2008, aaO, Rn. 10; vom 21. Juli 1998 - VI ZR 15/98, VersR 1998, 1153 - juris Rn. 11 und vom 2. Juli 2013 - VI ZR 554/12, aaO Rn. 16). Das heißt im Streitfall ist Primärschaden die nach Behauptung des Klägers durch die fehlerhafte Verwendung des Kontrastmittels Ultravist 300 eingetretene Querschnittlähmung.
7
b) Die Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich jedoch mit Erfolg gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts.
8
aa) Allerdings ist die Würdigung der Beweise grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr. vgl. z.B. Senatsurteile vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96, VersR 1997, 362, 364, vom 8. Juli 2008 - VI ZR 274/07, VersR 2008, 1126 Rn. 7 und vom 16. April 2013 - VI ZR 44/12, VersR 2013, 1045 Rn. 13; BGH, Urteil vom 5. Oktober 2004 - XI ZR 210/03, BGHZ 160, 308, 317 mwN).
9
bb) Zutreffend macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, dass das Berufungsgericht den Prozessstoff nicht vollständig hinsichtlich aller für die Überzeugungsbildung heranzuziehenden Aspekte gewürdigt hat. Insbesondere hat es nicht hinreichend berücksichtigt, dass die in erster Instanz zunächst beauftragte gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. V., gegen deren Sachkunde das Berufungsgericht keine durchgreifenden Bedenken gesehen hat, gewichtige Anhaltspunkte dargelegt hat, die dafür sprechen könnten, entgegen der Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. B. eine Ursächlichkeit der Verwendung des Kontrastmittels Ultravist 300 für die eingetretene Querschnittlähmung doch näher in Betracht zu ziehen.
10
Die Sachverständige Prof. Dr. V. hat bei ihrer Beurteilung nicht nur den zeitlichen Zusammenhang zwischen der Kontrastmitteluntersuchung und dem ersten Auftreten der Dysästhesien als auffällig bewertet, sondern die vorliegende Brückensymptomatik als typisch für den Zusammenhang zwischen der Kontrastmittelgabe und der Lähmung bezeichnet. Dies ergebe sich daraus, dass der Kläger zunächst etwa vier Stunden beschwerdefrei gewesen und dann die Lähmung fortschreitend eingetreten sei. Wären die Lähmungserscheinungen hingegen erst drei oder mehrere Tage später aufgetreten, käme auch eine andere Ursache in Betracht. Insbesondere hat die Sachverständige hervorgehoben , dass der Liquorbefund vom 21. September 2006 keinen Hinweis auf eine bakterielle Entzündung gebe. Der festgestellte Laktatwert passe vielmehr zu der angenommenen Rückenreizung. Für einen bakteriologischen Befund würde sie zudem eine deutliche Erhöhung der Zellzahlen im Liquor erwarten, wie sie in dem - knapp vier Wochen später - in H. entnommenen Liquor festgestellt worden sei. Daran fehle es jedoch bei dem zeitnah zum Beginn der Lähmungserscheinungen in N. entnommenen Liquor.
11
Diese für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs durchaus beachtenswerten Darlegungen der erstinstanzlich vor Erlass des ersten landgerichtlichen Urteils beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. V. hat das Berufungsgericht bei seiner Beweiswürdigung nicht hinreichend berücksichtigt. Es wägt sehr sorgfältig die in den entscheidenden Fragen voneinander abweichenden Beurteilungen der von ihm ausführlich persönlich angehörten Gutachter Prof. Dr. B. und Prof. Dr. Z. gegeneinander ab, ohne dabei jedoch auch die nicht zu vernachlässigende Einschätzung der Sachverständigen Prof. Dr. V. in den Blick zu nehmen, wie es eine umfassende Würdigung des Prozessstoffs verlangt hätte. Das Berufungsgericht hat wohl auch nicht hinreichend bedacht, dass sich eine Partei die bei einer Beweisaufnahme zutage tretenden ihr günstigen Umstände regelmäßig zumindest hilfsweise zu Eigen macht (vgl. Senatsurteil vom 8. Januar 1991 - VI ZR 102/90, VersR 1991, 467, 468 mit Anm. Jaeger ; Senatsbeschlüsse vom 10. November 2009 - VI ZR 325/08, VersR 2010, 497 Rn. 5 und vom 4. Dezember 2012 - VI ZR 320/11, juris Rn. 4). Auch deshalb hätte es auf die von der Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. B. abweichende , dem Kläger günstigere Beurteilung der Sachverständigen Prof. Dr. V. näher eingehen und deren Bewertung in die Gesamtbetrachtung des möglichen Geschehensablaufs einbeziehen müssen. Die Nichtberücksichtigung des für den Kläger günstigen Beweisergebnisses der ersten Begutachtung bedeutet für die Beweiswürdigung, dass erhebliches Vorbringen des Klägers im Ergebnis übergangen und damit dessen verfassungsrechtlich gewährleisteter Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt worden ist.
12
3. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung der Darlegungen der Sachverständigen Prof. Dr. V. zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei erneuter Befassung Gelegenheit haben, auch das weitere wechselseitige Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen. Galke Diederichsen Pauge von Pentz Offenloch
Vorinstanzen:
LG Verden, Entscheidung vom 26.10.2012 - 5 O 212/09 -
OLG Celle, Entscheidung vom 01.07.2013 - 1 U 91/12 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 212/03 Verkündet am:
7. Dezember 2004
Böhringer-Mangold
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Zur Haftung des Betreibers eines Geburtshauses, in dessen Prospekt neben der
Betreuung durch Hebammen auch ärztliche Leistungen in Aussicht gestellt werden.
BGH, Urteil vom 7. Dezember 2004 - VI ZR 212/03 - OLG Hamm
LG Arnsberg
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. Dezember 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter
Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 18. Juni 2003 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als über die Klage gegen die Beklagte zu 2 zum Nachteil des Klägers entschieden worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der am 5. Januar 1997 geborene Kläger begehrt u.a. von der Beklagten zu 2 (nachfolgend: die Beklagte) Schadensersatz wegen fehlerhafter Geburtshilfe. Die Beklagte ist Hebamme und betreibt ein Geburtshaus.
Die Schwangerschaft der Mutter des Klägers war zunächst von dem niedergelassenen Gynäkologen Dr. P., dem früheren Beklagten zu 1, betreut worden. Am 26. November 1996 stellte dieser einen Einweisungsschein "zur Verordnung von Krankenhausbehandlungen" aus, mit dem die Mutter des Klägers sich am selben Tage in dem Geburtshaus der Beklagten anmeldete. In dem Prospekt, den die Beklagte den Eltern des Klägers aushändigte, heißt es u.a.: "... Schwangere, die eine unkomplizierte Geburt erwarten, haben alle Freiheiten zur Selbstbestimmung des Geburtsvorganges. Andererseits haben sie aber auch die Gewißheit, daß alle notwendigen Sicherheitsvorkehrungen für eventuelle Risikofälle bereitgehalten werden. ... ... Auch bei allen Alternativen werden keinesfalls die Sicherheit oder ärztliche Betreuung außer acht gelassen: ein Team von erfahrenen Hebammen ... wird ergänzt durch ortsansässige und schnell verfügbare Gynäkologen, Anästhesisten und Kinderärzte. Unmittelbare Notfälle (Kaiserschnitt, Nachgeburtsretension, Dammrisse) können in hauseigenen OP-Räumen behandelt werden." In dem von der Mutter des Klägers unterzeichneten Anmeldeformular zur ambulanten Geburt sind als betreuende Hebamme die Beklagte und als die Geburt betreuender Arzt der frühere Beklagte zu 1 eingetragen. Am 5. Januar 1997 begab sich die Mutter des Klägers nach vorheriger Ankündigung seitens des früheren Beklagten zu 1 um 12.30 Uhr in das Geburtshaus der Beklagten und wurde dort von dieser betreut. Nach dem Abgang von grünem Fruchtwasser gab der telefonisch verständigte Dr. P. der Beklagten um 13.40 Uhr die Anweisung, die Patientin nicht zu verlegen. Um 15.00 Uhr erschien er im Geburtshaus und untersuchte sie. Um 17.45 Uhr ordnete er an,
den Kläger vaginal-operativ mit Vakuumextraktion zu entwickeln und begann um 18.05 Uhr mit der Extraktion. Nach 65 Minuten wurde der Kläger geboren. Er ist körperlich und geistig schwerstbehindert. Dr. P. hatte für eine Tätigkeit als Geburtshelfer keine Haftpflichtversicherung. Während des Rechtsstreits ist über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Kläger, der seine Schädigung auch der Beklagen anlastet, verlangt von dieser als Gesamtschuldnerin mit Dr. P. die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 255.646 € nebst Zinsen sowie die Feststellung ihrer gesamtschuldnerischen Ersatzpflicht für alle in der Vergangenheit entstandenen und künftig entstehenden materiellen sowie für alle künftigen immateriellen Schäden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind. Das Landgericht hat der gegenüber dem früheren Beklagten zu 1 auf Feststellung zur Insolvenztabelle umgestellten Klage durch inzwischen rechtskräftiges Teilversäumnisurteil unter Bemessung des Schmerzensgeldes auf 260.000 € nebst Zinsen stattgegeben, aber die Klage gegen die Beklagte, deren als Anästhesist im Geburtshaus tätigen Ehemann – den früheren Beklagten zu 3 – und eine weitere Hebamme – frühere Beklagte zu 4 – abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat lediglich hinsichtlich der früheren Beklagten zu 2 zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dem Kläger stehe gegen die Beklagte weder aus §§ 823 Abs. 1, 847 BGB (a.F.) noch aus Schlechterfüllung des Behandlungsvertrags ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Zwar sei die ärztliche Geburtsleitung grob fehlerhaft gewesen. Das Fehlverhalten von Dr. P. sei der Beklagten jedoch nicht zuzurechnen. Einer Hebamme obliege im Geburtshaus ebenso wie in einem Krankenhaus die selbständige Betreuung und Leitung nur einer komplikationslosen Geburt. Das Behandeln regelwidriger Vorgänge sei einem Arzt vorbehalten. Damit sei die Hebamme dem Arzt grundsätzlich untergeordnet und dessen Gehilfin, sobald der Arzt die Behandlung übernommen habe. Von diesem Zeitpunkt an treffe ihn die vertragliche und deliktische Verantwortung, während für die Hebamme eine solche Verantwortlichkeit grundsätzlich entfalle, solange sie sich weisungsgemäß verhalte. Dr. P. habe spätestens mit seinem Erscheinen im Geburtshaus die Geburtsleitung übernommen. Die Hebamme müsse und dürfe allenfalls in ganz außergewöhnlichen Situationen in die ärztliche Geburtsleitung eingreifen. Auch wenn der grob fehlerhafte Einsatz der Saugglocke durch den früheren Beklagten zu 1 von dem gerichtlichen Sachverständigen als das "Reißen eines Verrückten über 65 Minuten" bezeichnet worden sei, sei nicht festzustellen, daß die Beklagte die fundamentale Falschplanung der Geburt durch Dr. P. erkannt habe. Die Beklagte treffe ferner kein Aufklärungsversäumnis. Selbst wenn sie gewußt haben sollte, daß Dr. P. keine Berufshaftpflichtversicherung für die Ent-
bindung gehabt habe, sei es nicht ihre Pflicht gewesen, der Patientin die Vermögens - und Haftpflichtsituation des geburtsleitenden Arztes mitzuteilen.

II.

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen kann ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte nicht ausgeschlossen werden. 1. Das Berufungsgericht verneint Ansprüche der Mutter des Klägers aus Schlechterfüllung des Behandlungsvertrags, geht also ersichtlich vom Abschluß eines solchen Vertrags zwischen der Patientin und der Beklagten aus. Über dessen Inhalt hat es jedoch keinerlei Feststellungen getroffen und auch in rechtlicher Hinsicht nicht ausgeführt, weshalb eine Vertragsverletzung nicht vorliege. Vielmehr hat es sich auf eine deliktische Würdigung der Tätigkeit der Beklagten als Hebamme beschränkt, obwohl auf der Hand liegt, daß sie als Betreiberin des Geburtshauses auch vertragliche Pflichten gegenüber der von ihr aufgenommenen Patientin treffen können. Der Umfang dieser Pflichten kann vom Revisionsgericht mangels tatsächlicher Feststellungen über den Inhalt des Behandlungsvertrags nicht abschließend beurteilt werden. Diese Feststellungen wird das Berufungsgericht nachzuholen und dabei neben dem Inhalt des Prospekts auch den Text des Anmeldeformulars und eventuelle mündliche Absprachen zwischen der Beklagten und der Mutter des Klägers zu berücksichtigen haben. Der von der Revision in Bezug genommene Prospekt weist jedenfalls darauf hin, daß der Beklagten als Betreiberin des Geburtshauses eigene Pflichten zur Organisation oblagen, die über die Pflichten einer bei der Geburt tätigen Hebamme hinausgehen und möglicherweise dazu führen könnten, das
Fehlverhalten des Dr. P. bei der Entbindung der Beklagten gemäß § 278 BGB zuzurechnen. Dafür sprechen im vorliegenden Fall mehrere Anhaltspunkte, die das Berufungsgericht bisher nicht berücksichtigt hat. So hat es nicht geprüft, ob bei einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung (vgl. Senatsurteil BGHZ 109, 19, 22; ebenso BGHZ 131, 136, 138; 152, 153, 156; Urteil vom 28. Juli 2004 - XII ZR 292/02 - z.V.b.), die auch den Vertragszweck gebührend berücksichtigt, der zwischen der Mutter des Klägers und der Beklagten abgeschlossene Vertrag alle medizinisch erforderlichen Maßnahmen der Geburtshilfe einschließlich des ärztlichen Beistandes und gegebenenfalls einer erforderlichen Verlegung der Patientin in eine Klinik umfaßte. Die Angaben im Prospekt legen die Annahme nahe, daß die Patientin bei Aufnahme in ein Geburtshaus ähnlich wie bei der Aufnahme in ein Krankenhaus eine umfassende Unterstützung bei der Geburt unter Berücksichtigung aller nach dem medizinischen Standard gebotenen Maßnahmen erwarten und davon ausgehen durfte, der Betreiber des Geburtshauses treffe die hierfür erforderlichen organisatorischen Maßnahmen und werde insbesondere die erforderlichen Räume, Instrumente und Apparate vorhalten sowie das benötigte Personal bereitstellen. Im Prospekt heißt es nämlich, daß das Team der Hebammen durch rasch verfügbare Ärzte ergänzt und unmittelbare Notfälle in hausei genen Operationsräumen behandelt werden könnten. Sind diese Angaben Vertragsinhalt geworden, was das Revisionsgericht nicht selbst feststellen kann, könnte die Mutter des Klägers sie dahin verstanden haben, daß auch eine etwa erforderliche Tätigkeit von Ärzten von Seiten des Geburtshauses gewährleistet w erde. Bei einem solchen Verständnis des Behandlungsvertrags könnte Dr. P. als Erfüllungsgehilfe der Beklagten - in ihrer Eigenschaft als Betreiberin des Geburtshauses - anzusehen sein (§ 278 BGB).

a) Dem stünde nicht entgegen, daß die Mutter des Klägers bereits vor Aufnahme in das Geburtshaus von Dr. P. behandelt worden war. Erfüllungsgehilfe im Sinne des § 278 BGB ist jeder, der nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Falles und mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird. Es kommt nicht darauf an, welche rechtliche Beziehung zwischen dem Schuldner und seiner Hilfsperson besteht und ob die Hilfsperson einem Weisungsrecht des Schuldners unterliegt; maßgebend ist allein das rein tatsächliche Moment, daß der Schuldner sich im eigenen Interesse eines Dritten zur Erfüllung seiner eigenen Pflichten bedient (vgl. Senat BGHZ 13, 111, 113 f.; ebenso BGHZ 62, 119, 124 f.; BGH Urteil vom 13. Januar 1984 - V ZR 205/82 - NJW 1984, 1748, 1749). Sollte der Erfüllungsgehilfe auf Grund einer eigenen Verpflichtung gegenüber dem Leistungsempfänger oder als Erfüllungsgehilfe von zwei Schuldnern in Bezug auf ein und dieselbe Leistungspflicht tätig werden, stünde dies seiner Erfüllungsgehilfeneigenschaft nicht entgegen (vgl. Senatsurteile BGHZ 13, 111, 114; 89, 263, 271 ff.; und vom 22. Oktober 1957 - VI ZR 231/56 - LM Nr. 24 zu § 278 BGB; ebenso BGH, Urteil vom 18. Oktober 1951 - III ZR 138/50 - NJW 1952, 217, 218).
b) Bei der rechtlichen Beurteilung der vertraglichen Abmachungen zwischen der Mutter des Klägers und der Beklagten wird das Berufungsgericht auch zu beachten haben, daß die Interessenlage nicht ohne weiteres mit der eines gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrags wie etwa bei einem Belegkrankenhaus (vgl. Senatsurteile BGHZ 129, 6, 13 f.; vom 14. Juli 1992 - VI ZR 214/91 - VersR 1992, 1263, 1264) vergleichbar ist. Kennzeichnend für solche gespaltene Vertragsverhältnisse ist, daß der Patient die medizinischen Leistungen allein vom Belegarzt erwartet, was eine Leistungspflicht des Krankenhausträgers insoweit ausschließt. Demgegenüber liegt es nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen nahe, daß die Mutter des Klägers sich des-
gen tatsächlichen Feststellungen nahe, daß die Mutter des Klägers sich deshalb in ein Geburtshaus begab, weil sie grundsätzlich eine Entbindung ohne ärztlichen Beistand anstrebte. Andererseits weist der Prospekt darauf hin, daß sie erwarten konnte, daß die Leiterin des Geburtshauses bei Auftreten von Komplikationen einen Arzt hinzuziehen werde, so daß diese Pflicht zum Organisationsbereich der Beklagten als Betreiberin des Geburtshauses gehören kann. Denn nach dem ausgehändigten Prospekt entsprach es dem Leistungsangebot der Beklagten, das "Team von erfahrenen Hebammen ... durch ortsansässige und schnell verfügbare Gynäkologen" zu ergänzen. Darin kam nicht zum Ausdruck, die betriebliche Organisation und Erbringung der ärztlichen Leistungen werde in einer einem Belegkrankenhaus vergleichbaren Weise von den übrigen Leistungen des Geburtshauses abgetrennt und etwa von dem hinzuzuziehenden Arzt selbst geschuldet.
c) Der Annahme einer umfassenden Organisations- und Leistungspflicht der Beklagten als Trägerin des Geburtshauses stünde schließlich auch nicht entgegen, daß bei der geburtshilflichen Tätigkeit von Hebamme und Arzt eine Aufgabenverteilung mit Weisungskompetenz besteht. Mit der Einengung seines Blickwinkels auf diese Funktion der Beklagten bei der Entbindung nach Einschaltung eines Arztes hat sich das Berufungsgericht eine interessengerechte Betrachtungsweise verstellt und die Doppelfunktion nicht hinreichend berücksichtigt, die der Beklagten aus dem Betreiben des Geburtshauses einerseits und ihrer geburtshilflichen Tätigkeit als Hebamme andererseits zukam. Im Rahmen ihrer Organisationspflichten hatte die Beklagte eine selbständige und von den Weisungen zugezogener Ärzte unabhängige Stellung , für die sie allein verantwortlich ist. Daraus kann sich eine Haftung für Fehler des Arztes ergeben (§ 278 BGB), wenn dieser zur Erfüllung der Vertragspflichten des Geburtshauses aus einem umfassenden Aufnahmevertrag eingeschaltet worden ist.
Auch wenn eine geburtshilflich tätige Hebamme ab der Übernahme der Behandlung durch den Arzt dessen Weisungen unterworfen und insoweit von einer eigenen Verantwortung grundsätzlich befreit ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 89, 263, 272; BGHZ 129, 6, 11; BGHZ 144, 296, 302; vom 22. Februar 1966 - VI ZR 202/64 - VersR 1966, 580; OLG Koblenz, VersR 2001, 897, 898 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 13. März 2001 - VI ZR 298/00 -; a.A. für den Fall einer normalen Geburt: Horschitz/Kurtenbach, Hebammengesetz , 3. Aufl., § 4 HebammenG, Anm. 4) und sie verpflichtet ist, bei Auftreten von Regelwidrigkeiten einen Arzt hinzuziehen (vgl. OLG Bremen, VersR 1979, 1060, 1062; OLG Hamm, VersR 1991, 228, 229 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 25. September 1990 - VI ZR 315/89; OLG Stuttgart, VersR 1994, 1114; Hiersche, Die rechtliche Position der Hebamme bei der Geburt, 2002, S. 80), wird doch mit dieser Aufgabenverteilung zwischen Arzt und Hebamme lediglich bestimmt, welche Personen bei der Geburtshilfe wann handeln müssen und welche Weisungs- und Leitungsrechte für einen hinzugezogenen Arzt gegenüber der Hebamme in der konkreten geburtshilflichen Situation bestehen. Davon zu trennen ist die Frage, wer sich in welchem Umfang zur Bereitstellung geburtshilflicher Leistungen verpflichten kann. Insoweit konnte sich die Beklagte als Betreiberin des Geburtshauses ebenso wie ein Krankenhausträger vertraglich gegenüber der Patientin verpflichten, die in Aussicht gestellten ärztlichen Leistungen durch einen weisungsfreien und ihr gegenüber fachlich weisungsberechtigten Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) zu erbringen und im übrigen organisatorisch für einen fachgerechten Ablauf der Geburtshilfe zu sorgen und einzustehen.
d) Sollte die nach alldem erforderliche Prüfung der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien durch das Berufungsgericht - eventuell nach weiterem Vortrag der Parteien - ergeben, daß das unter den Parteien unstreitige und
vom Berufungsgericht festgestellte grobe Fehlverhalten des Dr. P. der Beklagten nach § 278 BGB zuzurechnen ist, wird dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens zuzusprechen sein. Der Kläger ist in den Schutzumfang des Behandlungsvertrags zwischen seiner Mutter und der Beklagten einbezogen. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats, daß dem Kind bei einer Verletzung im Mutterleib, sofern auch die weiteren Haftungsvoraussetzungen vorliegen, mit der Vollendung der Geburt ein Schadenersatzanspruch wegen Gesundheitsverletzung zusteht. Das gilt in gleicher Weise für eine Schädigung in der Geburt (vgl. Senatsurteile BGHZ 58, 48, 49 ff.; 89, 263, 266; 106, 153, 162 und vom 14. Juli 1992 - VI ZR 214/91 - VersR 1992, 1263). Ein Ersatz des immateriellen Schadens ist hiervon jedoch nicht umfaßt; § 253 Abs. 2 BGB n.F. findet noch keine Anwendung (vgl. Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB). 2. Soweit die Revision beanstandet, daß das Berufungsgericht lediglich eine Pflicht der Beklagten zum Hinweis auf das Fehlen eines Versicherungsschutzes für Schäden aus der geburtshilflichen Tätigkeit des hinzugezogenen Arztes geprüft und verneint hat, ist jedenfalls auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen zweifelhaft, ob sich eine solche Pflicht - etwa als Nebenpflicht - aus dem Behandlungsvertrag zwischen der Mutter des Klägers und der Beklagten ergeben kann und ob dies zu einem Anspruch des Klägers auf Schadloshaltung wegen der Insolvenz des Dr. P. führen kann, der gegebenenfalls auch den Ersatz immateriellen Schadens umfassen würde. Sollte es hierauf ankommen, wird das Berufungsgericht auch insoweit seine tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Überlegungen zu ergänzen haben.
3. Die Revision rügt ferner zu Recht, daß nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts deliktsrechtliche Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte nicht ausgeschlossen werden können.
a) Allerdings ergibt sich entgegen der Ansicht der Revision aus dem Gesichtspunkt einer mangelhaften Aufklärung der Mutter des Klägers über das Fehlen einer Haftpflichtversicherung für die Geburtshilfe kein Anspruch (§ 823 Abs. 1 BGB). Die ärztliche Aufklärungspflicht betrifft lediglich die Risiken, die sich aus einem ordnungsgemäßen Vorgehen ergeben können. Über einen Organisationsfehler , wie ihn der Einsatz eines Arztes ohne ausreichende Haftpflichtversicherung darstellen könnte, ist dagegen nicht aufzuklären (vgl. Senatsurteile vom 19. März 1985 - VI ZR 227/83 - VersR 1985, 736 und vom 3. Dezember 1991 - VI ZR 48/91 - VersR 1992, 358, 359).
b) Mit Erfolg wendet sich die Revision jedoch gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Beklagte die Mutter des Klägers nicht schon beim Abgang grünen Fruchtwassers in eine Klinik habe überweisen müssen. Das Berufungsgericht wird bei erneuter Beurteilung der Sache zu prüfen haben, ob die Beklagte als Betreiberin des Geburtshauses insoweit ein Organisationsverschulden (vgl. dazu Senatsurteile BGHZ 88, 248, 257; vom 30. Mai 1989 - VI ZR 200/88 - VersR 1989, 851 f.; vom 10. März 1992 - VI ZR 64/91 - VersR 1992, 742, jeweils m.w.N.) trifft. Soweit sie geltend macht, daß sie der Mutter des Klägers zur Verlegung geraten, diese sich jedoch geweigert habe, ist nach den bisherigen Feststellungen hierzu nichts dokumentiert; das könnte dafür sprechen, daß von einem solchen Rat nicht ausgegangen werden kann. Auch wenn bislang nicht festgestellt ist, daß das Auftreten von grünem Fruchtwasser die Kompetenz des Geburtshauses überstieg, hat doch der Kläger in
den Tatsacheninstanzen unter Hinweis auf die von ihm vorgelegten Privatgutachten vorgetragen, daß die Beklagte die Patientin in diesem Fall hätte verlegen müssen. Das Berufungsgericht ist bei seiner abweichenden Auffassung dem gerichtlichen Sachverständigen gefolgt, der sich jedoch auch insoweit in erster Linie mit dem Weisungsverhältnis zwischen Arzt und Hebamme befaßt hat. Ob er mit seiner Bemerkung, die Verlegung sei beim Auftreten von grünem Fruchtwasser ratsam, aber nicht notwendig gewesen, die Kompetenz des Geburtshauses angesprochen hat, hätte das Berufungsgericht klären müssen, zumal der Privatsachverständige O. sich eindeutig für die Notwendigkeit einer Verlegung ausgesprochen hat und unter diesem Blickpunkt ein - möglicherweise grober - Organisationsfehler der Beklagten als Betreiberin des Geburtshauses nicht ausgeschlossen werden kann. Ein solcher könnte auch darin bestehen, daß sie in dieser Eigenschaft nicht gegen das Verhalten des Dr. P. eingeschritten ist, das der gerichtliche Sachverständige als "Reißen eines Verrückten über 65 Minuten" bezeichnet hat. Insoweit könnte der Beklagten durch die Aufnahme der Mutter des Klägers in ihr Geburtshaus eine Garantenstellung erwachsen sein mit der Folge, daß sie ein derart unsachgemäßes Vorgehen im Interesse der in ihrer Obhut befindlichen Patientin nicht dulden durfte. Auch insoweit hat das Berufungsgericht in tatsächlicher Hinsicht Widersprüche zwischen dem gerichtlichen Sachverständigen und den vom Kläger vorgelegten Privatgutachten nicht hinreichend aufgeklärt, obwohl gerade im Arzthaftungsprozeß die Äuß erungen medizinischer Sachverständiger kritisch auf ihre Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit zu prüfen und auch von der Partei vorgelegte Privatgutachten zu berücksichtigen sind (vgl. Senatsurteile vom 9. Januar 1996 - VI ZR 70/95 - VersR 1996, 647 und vom 23. März 2004 - VI ZR 428/02 - VersR 2004, 790, 791). Deshalb hätte das Berufungsgericht den Sachverständigen dazu befragen
müssen, ob die Beklagte nicht schon angesichts der Absicht des ärztlichen Geburtshelfers, die Vakuumextraktion nach dem ersten Abreißen der Saugglocke fortzusetzen, von einem grob fehlerhaften Geburtsmanagement ausgehen mußte. Die Privatsachverständige R.-L. hatte hierzu ausgeführt, die Beklagte habe ihre Mitwirkung bei der Wiederholung des Saugglockenversuchs verweigern müssen. Unter diesem Blickpunkt hätte das Berufungsgericht den Sachverständigen befragen müssen, ob die Fehler des Arztes bei der Vakuumextraktion der Beklagten nicht Anlaß zum Einschreiten als Betreiberin des Geburtshauses , möglicherweise aber auch im Sinn einer Remonstrationspflicht als bei der Entbindung mitwirkende Hebamme (hierzu unten c)) geben mußten. Dem steht nicht entgegen, daß der Sachverständige der Beklagten geglaubt hat, daß sie den Höhenstand des Kopfes nicht wußte und somit eine grobe Fehlplanung nicht erkannt habe. Seine dahingehenden Erwägungen beziehen sich sämtlich auf die Situation vor dem ersten Extraktionsversuch und sind deshalb für den späteren Zeitraum keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Tatrichters (§ 286 ZPO; vgl. Senatsurteil vom 13. Februar 2001 - VI ZR 272/99 - VersR 2001, 722, 723). Von daher erscheint es beim gegenwärtigen Sachstand nicht ausgeschlossen, daß die gebotene weitere Sachaufklärung Pflichtverletzungen der Beklagten ergibt, die - wenn sie als grob zu beurteilen wären - zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität ihres Unterlassens für die Schädigung des Klägers führen könnten.
c) Soweit das Berufungsgericht auch in deliktischer Hinsicht allein das Verhalten der Beklagten als Hebamme nach Übernahme der Geburtsleitung durch den Arzt geprüft hat, macht die Revision mit Recht geltend, daß eine "Remonstrationspflicht" der Hebamme nicht von vornherein ausgeschlossen ist, auch wenn sie im Hinblick auf die übergeordnete Kompetenz des Arztes nur dann in Betracht kommen kann, wenn die beabsichtigte Behandlung grob feh-
lerhaft ist und die damit einhergehenden Gefahren vermeidbar und gravierend sind (vgl. Wilhelm, Verantwortung und Vertrauen in der Arbeitsteilung in der Medizin, 1984, S. 125 f.). Insofern ist die Würdigung des Berufungsgerichts, es sei nicht nachgewiesen , daß die Beklagte die Befunde rechtzeitig gekannt habe oder habe kennen müssen, aus denen sie eine grobe Fehlplanung des ärztlichen Geburtshelfers bei der Vakuumextraktion hätte folgern müssen, nicht frei von Rechtsfehlern. Zwar ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht im Anschluß an die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen zu dem Ergebnis kommt, es seien keine Umstände dafür ersichtlich , daß die Beklagte den Höhenstand des kindlichen Kopfes im Becken der Mutter gekannt habe, was für das Erkennen einer Fehlplanung erforderlich gewesen sei. Hinsichtlich der weitergehenden Feststellung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe den kindlichen Höhenstand als Voraussetzung für eine Vakuumextraktion nicht in Erfahrung bringen müssen, fehlt es aber bisher an einer ausreichenden tatsächlichen Grundlage (§ 286 ZPO). Das Berufungsgericht hätte angesichts der Darlegungen des Sachverständigen, üblicherweise informiere die Hebamme sich über den kindlichen Höhenstand, prüfen müssen, ob diese Übung nicht auch einen zur Sorgfalt verpflichtenden medizinischen Standard (vgl. Senatsurteil vom 10. März 1954 - VI ZR 123/52 - LM Nr. 2 zu § 286 (D) ZPO) beschreibt und deshalb möglicherweise ein Widerspruch in den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen vorliegt, dem das Berufungsgericht hätte nachgehen müssen.

III.

Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der Kosten der zurückgewiesenen Nichtzulassungsbeschwerde, zurückzuverweisen.
Müller Greiner Diederichsen
Pauge Zoll

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 170/08
vom
21. Januar 2009
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Januar 2009 durch die
Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Zoll, die Richterin Diederichsen, den
Richter Pauge sowie die Richterin von Pentz

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 29. Mai 2008 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert: 134.432,44 €

Gründe:


1
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.
2
2. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, dass die Auffassung des Berufungsgerichts, die Unterlassung der Serientopografie vor der Operation der Klägerin stelle einen groben Befunderhebungsfehler dar, auf einer unzureichend aufgeklärten Tatsachengrundlage beruht, weil die Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen die erforderliche Klarheit vermissen lassen und eine Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Beklagten, die (im Einzelnen benannte) Fachliteratur stütze die Auffassung der Sachverständigen zur Notwendigkeit einer Serientopografie nicht sowie ein Keratokonus habe jedenfalls 1996 mangels der entsprechenden Symptome nicht vorgelegen, im Berufungsurteil fehlt. Die Sachverständige hat erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 19. März 2007 die Auffassung vertreten, die Unterlassung einer Serientopographie vor der streitgegenständlichen Operation sei ein grober Fehler. Obwohl die Beklagten daraufhin im Schriftsatz vom 29. Juni 2007 im Einzelnen dargelegt haben, dass die Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen von der von ihr selbst zitierten einschlägigen Fachliteratur nicht gestützt wird, ist dem das Landgericht nicht nachgegangen. Trotz der Wiederholung der Einwendungen in der Berufungsbegründung hat sich das Berufungsgericht damit nur unzureichend auseinandergesetzt. Zwar hat es die gerichtliche Sachverständige erneut mündlich angehört. Vom Inhalt des Schriftsatzes vom 29. Juni 2007 hatte sich die Sachverständige jedoch zuvor keine ausreichende Kenntnis verschaffen können, da ihr mit der Ladung lediglich das landgerichtliche Urteil, die Berufungsbegründung mit der Bezugnahme auf den nicht beigefügten Schriftsatz vom 29. Juni 2007 und das Protokoll über die Anhörung vor dem Landgericht zugeleitet worden sind.
3
a) Die Beklagten haben im Schriftsatz vom 29. Juni 2007 darauf hingewiesen , dass von der Fachliteratur die Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen nicht gestützt werde, es seien bereits 1996 Anhaltspunkte für einen beidseitigen Keratokonus aufgrund der hohen Werte der Hornhautbrechkraft, des unterschiedlichen Astigmatismus zwischen beiden Augen und der Achslage des stärker brechenden Meridians gegeben gewesen, denen mittels einer Serientopografie hätte nachgegangen werden müssen. Der ehemalige gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. Dr. S. habe trotz der Untersuchung der Klägerin im Jahre 2001 einen Keratokonus nicht feststellen können. Ebenso habe der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. G. aufgrund der gegebenen Befunde keine Anzeichen für eine derartige Erkrankung gesehen.
4
In der mündlichen Anhörung vor dem Berufungsgericht wiederholte Prof. Dr. Sp. ihre im schriftlichen Gutachten und in der Anhörung vor dem Landgericht vertretene Auffassung. Der Frage nach der Vereinbarkeit mit abweichenden wissenschaftlichen Meinungen dazu, ab welchem Brechungswert ein Verdacht auf einen Keratokonus anzunehmen sei, wich die Sachverständige unter Hinweis darauf aus, dass wegen der fehlenden Linsentragepause ein belastbarer Wert für den Zustand des linken Auges vor der Operation im Jahr 1996 nicht vorhanden sei. Die Einwendungen der Beklagten erledigten sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht schon deshalb, weil eine krankhafte Verformung der Hornhaut durch das Tragen der linken Kontaktlinse bis kurz vor der Untersuchung durch Prof. Dr. Dr. S. , wie dies die Klägerin auf Nachfrage des Gerichts behauptet hat, verdeckt worden sein konnte. Die gerichtliche Sachverständige vermochte nämlich nicht auszuschließen, dass es seit 2001 zu einer Progression der Keratokonusbildung am linken Auge gekommen ist. Wäre aber im Jahr 2001 die angebliche Erkrankung noch nicht erkennbar gewesen, so könnte dies noch viel weniger im Jahr 1996 der Fall gewesen sein.
5
b) Die Beklagten haben außerdem geltend gemacht, dass ein Keratokonus in erster Linie an dem operierten Auge nachweisbar sein müsste, weil dort die Hornhaut verdünnt worden sei. Dem hat die gerichtliche Sachverständige nicht widersprochen. Sie konnte aber auf dem operierten rechten Auge auch im Januar 2007 einen Keratokonus nicht feststellen. Hierzu steht außerdem in Widerspruch , dass sich nach der Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen bei einer Serientopographie im Jahre 1996 der Keratokonus im linken Auge im rechten Auge wieder gespiegelt hätte.
6
Das Berufungsgericht hätte danach dem unter Beweis durch Sachverständigengutachten gestellten Vorbringen der Beklagten im nachgelassenen Schriftsatz vom 13. Mai 2008 nachgehen müssen, dass es sich bei dem angeblich linksseitig festgestellten Keratokonus wegen der fehlenden Anzeichen für einen Keratokonus am rechten Auge um eine Fehldiagnose der gerichtlichen Sachverständigen handle. Die Auffassung der Beklagten wird noch dadurch gestützt, dass die Untersuchung im Januar 2007 nicht unter den von der gerichtlichen Sachverständigen für eine valide Diagnose für erforderlich gehaltenen Voraussetzungen erfolgte. Nach der Auffassung von Prof. Dr. Sp. könnte ein Keratokonus durch das Tragen von Kontaktlinsen bis zu einer Tragepause von sechs Monaten vorgetäuscht und maskiert werden. Außerdem erfordere eine gesicherte Diagnose mehrfache Topografien der Augenoberfläche im wöchentlichen Abstand. Die Klägerin hat aber vor der Untersuchung im Januar 2008 nur eine Tragepause von drei Wochen eingehalten. Außerdem wurde lediglich eine einzige Untersuchung durch die Sachverständige durchgeführt.
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3. Der erkennende Senat hat wiederholt ausgeführt, dass gerade in Arzthaftungsprozessen Äußerungen medizinischer Sachverständiger kritisch auf ihre Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit zu prüfen sind. Das gilt sowohl für Widersprüche zwischen einzelnen Erklärungen desselben Sachverständigen (vgl. Senatsurteile BGHZ 161, 255, 264; vom 17. September 1985 - VI ZR 12/84 - VersR 1985, 1187, 1188; vom 7. April 1992 - VI ZR 216/91 - VersR 1992, 747, 748 sowie vom 14. Dezember 1993 - VI ZR 67/93 - VersR 1994, 480, 482) als auch für Widersprüche zwischen Äußerungen mehrerer Sachverständiger , selbst wenn es dabei um Privatgutachten geht (vgl. Senatsurteil vom 4. Oktober 1989 - VI ZR 319/88 - VersR 1989, 1296, 1297). Auch der beklagte Arzt hat Anspruch auf eine ordnungsgemäße Befassung des Gerichts mit seinem Vortrag (vgl. Senatsurteil vom 13. Februar 2001 - VI ZR 272/99 - VersR 2001, 722). Eine eigene Sachkunde des Berufungsgerichtes ist nicht ausgewiesen und auch nicht anzunehmen. Unter diesen Umständen bedurfte es einer weiteren Aufklärung des Sachverhaltes. Diese kann einer Partei im Arzthaftungsprozess nicht deswegen verwehrt werden, weil sie kein dem gerichtlichen Sachverständigengutachten entgegenstehendes Privatgutachten vorgelegt oder einen anderen Sachverständigen nicht benannt hat. Hierzu waren die Beklagten nicht verpflichtet. Ausreichend ist, dass neue und ernst zu nehmende Bedenken gegen Teile des Gutachtens erhoben werden. Dem entspricht die Pflicht des Gerichtes, von sich aus verbleibende Zweifel zu klären. Das Berufungsgericht hätte dem rechtzeitigen Vortrag der Beklagten nachgehen und die Widersprüche und Unklarheiten in den Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen zumindest durch deren nochmalige Anhörung oder auch durch Beauftragung eines weiteren Gutachters (§ 412 ZPO) aufklären müssen (vgl. Senatsurteile vom 3. Juni 1985 - VI ZR 95/85 - VersR 1986, 1079, 1080 und vom 23. März 2004 - VI ZR 428/02 - VersR 2004, 790, 792).
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5. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsurteil auf der unterbliebenen Aufklärung der Unklarheiten und Widersprüche in den Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen und der hierdurch gegebenen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) beruht, war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Müller Zoll Diederichsen Pauge von Pentz
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 25.07.2007 - 9 O 11447/98 -
OLG München, Entscheidung vom 29.05.2008 - 1 U 4499/07 -
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bb) Mit dieser Rüge hat die Klägerin hinreichend konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten können. Das Gericht hat in Arzthaftungsprozessen die Pflicht, sich mit von der Partei vorgelegten Privatgutachten auseinanderzusetzen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken, wenn sich ein Widerspruch zum Gerichtsgutachten ergibt (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteile vom 14. Dezember 1993 - VI ZR 67/93, VersR 1994, 480, 482; vom 10. Mai 1994 - VI ZR 192/93, VersR 1994, 984, 986; vom 9. Januar 1996 - VI ZR 70/95, VersR 1996, 647, 648; vom 24. September 1996 - VI ZR 303/95, VersR 1996, 1535, 1536; vom 28. April 1998 - VI ZR 403/96, VersR 1998, 853, 854; vom 10. Oktober 2000 - VI ZR 10/00, VersR 2001, 525, 526; vom 16. Januar 2001 - VI ZR 408/99, VersR 2001, 783, 784 und vom 23. März 2004 - VI ZR 428/02, VersR 2004, 790, 791; Senatsbeschluss vom 21. Januar 2009 - VI ZR 170/08, VersR 2009, 499 Rn. 7). Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so ist vom Tatrichter besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall - wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger - den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden , dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (BGH, Urteile vom 22. September 2004 - IV ZR 200/03, VersR 2005, 676, 677 f. und vom 24. September 2008 - IV ZR 250/06, VersR 2008, 1676 Rn. 11, jeweils mwN).
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1. Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so ist vom Tatrichter besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall - wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger - den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (Senatsurteil vom 22. September 2004 - IV ZR 200/03 - VersR 2005, 676 unter II 2 b m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteile vom 23. September 1986 - VI ZR 261/85 - VersR 1987, 179 unter II 2 a; 9. Juni 1992 - VI ZR 222/91 - VersR 1992, 1015 unter II 2 c; 11. Mai 1993 - VI ZR 243/92 - VersR 1993, 899 unter II 2 a; 14. Dezember 1993 - VI ZR 67/93 - VersR 1994, 480 unter II 1 b; 13. Februar 2001 - VI ZR 272/99 - VersR 2001, 722 unter II 2 a).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 200/03 Verkündet am:
22. September 2004
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat dur ch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert und Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 22. September 2004

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 15. Juli 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 25. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Versicherungsnehmer einer bei der B eklagten gehaltenen Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Versicherte Person ist seine Ehefrau. Die Parteien streiten darum, ob der Kläger von der Beklagten die vertraglich für den Fall einer Berufsunfähigkeit von mindestens 50% zugesagten Versicherungsleistungen (Berufsunfähigkeitsrente von jährlich 12.082 DM/6.174,43 € ab dem 1. Au-

gust 1996 und Beitragsfreistellung in der Lebensversicherung) beanspruchen kann.
Nach der Behauptung des Klägers leidet seine Ehefr au an Bronchialasthma und einer Allergie gegen Latex. Weil sie in ihrem zuletzt ausgeübten Beruf als Krankenschwester regelmäßig mit Latex in Kontakt gekommen sei (insbesondere durch das Tragen von Latex-Handschuhen ), habe sie bei der Arbeit unter ständigen Atembeschwerden gelitten und sei seit dem 15. Dezember 1995 zu jedenfalls 50% berufsunfähig.
Die Beklagte, die das bestreitet, hat den Rücktrit t vom Zusatzversicherungsvertrag erklärt und ihre auf den Vertragsschluß gerichteten Willenserklärungen wegen arglistiger Täuschung angefochten, weil der Kläger beim Vertragsschluß arglistig Vorerkrankungen seiner Ehefrau verschwiegen habe.
Das Landgericht hat die Anfechtung für wirksam era chtet und die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zwar festgestellt, der Berufsunfähigkeitszusatzversicherungsvertrag sei weder durch die Anfechtung noch durch den Rücktritt der Beklagten aufgelöst worden, im übrigen hat es die Klagabweisung aber bestätigt. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht nimmt an, der Kläger habe den Eintritt einer Berufsunfähigkeit seiner Ehefrau von mindestens 50% nicht bewiesen. Dabei sei es nicht entscheidungserheblich, ob die Ehefrau des Klägers an einer spezifischen Latex-Allergie oder aber an einer unspezifischen Hyperreagibilität leide, wie sie der gerichtlich bestellte Sachverständige Prof. Dr. Dr. K. angenommen habe. Denn obwohl der Sachverständige davon ausgegangen sei, daß eine durch unterschiedlichste Stoffe (unspezifisch) ausgelöste Atemwegsverengung für den Betroffenen zu einem sogar ungünstigeren Beschwerdebild führe und schwerer beherrschbar sei als eine allein durch den Stoff Latex ausgelöste (spezifische ) Hyperreagibilität, sei er zu dem Ergebnis gelangt, die von ihm diagnostizierte Lungenerkrankung schränke die Fähigkeit der Ehefrau des Klägers, als Krankenschwester zu arbeiten, um höchstens 30% ein. Der Sachverständige, an dessen Sachkompetenz nicht zu zweifeln sei, habe diese Einschätzung in seiner mündlichen Anhörung ergänzend damit begründet, daß es möglich sei, im Krankenhaus in einem Bereich mit weniger Reizstoffen zu arbeiten, etwa als Stationsschwester. Seine Feststellung zum Grad der Berufsunfähigkeit stehe im Einklang mit vom Kläger vorgelegten Äußerungen des Gutachters Prof. Dr. B. , der eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20% angenommen habe.

Im übrigen habe der Kläger nicht ausreichend zu de r Frage vorgetragen , ob seine Ehefrau aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten nicht wenigstens zu 50% in der Lage sei, eine andere Tätigkeit auszuüben , die ihrer bisherigen Lebensstellung entspreche. Ihr Bemühen um eine Beschäftigung auf anderen Gebieten zeige, daß sie sich eine andere Tätigkeit zutraue.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die vom Berufungsgericht als letztlich allein e ntscheidend angesehene Annahme des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. K. , die Ehefrau des Klägers sei zu höchstens 30% in ihrer Fähigkeit eingeschränkt, als Krankenschwester zu arbeiten, beruht nicht auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 119, 2 63, 266; Urteil vom 29. November 1995 - IV ZR 233/94 - NJW-RR 1996, 345 unter 2 a) kommt es bei der Beurteilung, ob der Versicherte bedingungsgemäß berufsunfähig geworden ist, zunächst darauf an, wie sich seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen in seiner konkreten Berufsausübung auswirken. Deshalb muß bekannt sein, wie das Arbeitsfeld des Versicherten tatsächlich beschaffen ist und welche Anforderungen es an ihn stellt. Insoweit ist es Sache desjenigen, der den Eintritt von Berufsunfähigkeit geltend machen will, hierzu substantiiert vorzutragen und im Falle des Bestreitens Beweis für sein Vorbringen anzutreten. Als Sachvortrag genügt dazu nicht die Angabe des Berufstyps und der Arbeitszeit, vielmehr muß eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung verlangt werden, mit der

die anfallenden Tätigkeiten ihrer Art, ihres Umfangs wie ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden.
Sache des Gerichts ist es dann zu entscheiden, ob zunächst eine Beweisaufnahme zu dem vorgetragenen Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung geboten ist, deren Ergebnis einem anschließend einzuschaltenden Sachverständigen vorzugeben ist - sei es in alternativer Form, sei es aufgrund von Feststellungen, die das Gericht bereits zu treffen vermag. Jedenfalls muß der Sachverständige wissen, welchen - für ihn unverrückbaren - Sachverhalt er zugrunde zu legen hat. Erst dann erscheint es unbedenklich, ihn auch zu Frage und Ausmaß einer gesundheitsbedingten Einschränkung der Fähigkeit des Versicherten, den vorgegebenen Anforderungen gerecht zu werden, Stellung nehmen zu lassen (BGHZ aaO).

b) Das Berufungsgericht hat hier vor der Beauftrag ung des gerichtlich bestellten Sachverständigen keine Feststellungen dazu getroffen oder Vorgaben dazu gemacht, wie sich die berufliche Tätigkeit der Ehefrau des Klägers zuletzt konkret gestaltete und welchen Anforderungen sie im einzelnen unterlag. Insoweit bleibt offen, an welchen tatsächlichen Vorgaben sich die Einschätzung des Sachverständigen orientiert hat, die Versicherte sei in ihrer Berufsausübung zu maximal 30% beeinträchtigt. Das Berufungsgericht hätte aufgrund der Behauptungen des Klägers insbesondere Feststellungen treffen und dem Sachverständigen Vorgaben dazu machen müssen, mit welcher Häufigkeit die Ehefrau des Klägers im Rahmen der zuletzt ausgeübten Tätigkeit notwendigerweise mit dem Stoff Latex in Berührung kommen mußte. Erst danach hätte weiter geprüft werden können, ob die vom Kläger behauptete spezifische Latex-

Allergie sich angesichts der konkreten Ausgestaltung der beruflichen Tätigkeit der Versicherten entscheidend auf den Grad der Berufsunfähigkeit hätte auswirken können und ob es hier offen bleiben konnte, ob eine solche spezifische Latex-Allergie bei der Ehefrau des Klägers vorliegt.

c) Soweit die Revisionserwiderung im Rahmen der vo n ihr erhobenen Gegenrüge geltend macht, der Kläger sei bislang seiner Vortragslast nur unvollständig nachgekommen und habe insbesondere bisher die Arbeitsabläufe im zuletzt von seiner Ehefrau ausgeübten Beruf nicht ausreichend beschrieben (vgl. dazu BGH, Urteil vom 12. Juni 1996 - IV ZR 118/95 - VersR 1996, 1090 unter II 2 a; Urteil vom 29. November 1995 aaO unter 2 a), kann der Senat die Klage nicht abweisen. Da das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers für ausreichend erachtet und demgemäß auf dessen Unvollständigkeit auch nicht hingewiesen, sondern stattdessen Beweis erhoben hat, ist dem Kläger nunmehr Gelegenheit zur Ergänzung seines Vorbringens zu geben (vgl. dazu BGHZ 119, 263, 267; BGH, Urteile vom 29. November 1995 aaO unter 3 und vom 12. Juni 1996 aaO unter II 2 d). Schon deshalb bedarf die Sache neuer Verhandlung.
2. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts zur F rage des Grades der Berufsunfähigkeit ist auch aus weiteren Gründen rechtsfehlerhaft.

a) Das Berufungsgericht meint, das Ergebnis des Gu tachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. Dr. K. finde seine Bestätigung darin, daß die vom Kläger vorgelegten Privatgutachten des Sachverständigen Prof.Dr. B. sogar nur zur Annahme einer Min-

derung der Erwerbsfähigkeit von 20% gelangten. Es hat dabei nicht bedacht , daß es sich bei der hier maßgeblichen Berufsunfähigkeit im privatversicherungsrechtlichen Sinn um einen eigenständigen Rechtsbegriff handelt, der nicht mit der Berufsunfähigkeit oder gar der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des gesetzlichen Rentenversicherungsrechts gleichgesetzt werden kann (vgl. dazu BGH, Urteil vom 12. Juni 1996 - IV ZR 116/95 - VersR 1996, 959 unter II 1 und 2 a).

b) Zu Recht beanstandet die Revision im übrigen, d aß das Berufungsurteil sich unzureichend mit weiteren ärztlichen Stellungnahmen auseinandersetzt, die dem Ergebnis des gerichtlich bestellten Sachverständigen zur Einschätzung des Grades der Berufsunfähigkeit widersprechen. Es verletzt damit jedenfalls das dem Tatrichter bei Erhebung des Sachverständigenbeweises eingeräumte Ermessen und den Grundsatz freier tatrichterlicher Beweiswürdigung (§§ 412, 286 ZPO). Daneben lässt das Berufungsurteil besorgen, der Tatrichter habe auch den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt.
aa) Legt eine Partei ein privat eingeholtes medizi nisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so ist vom Tatrichter besondere Sorgfalt gefordert (vgl. BGH, Urteile vom 15. Juni 1994 - IV ZR 126/93 - VersR 1994, 1054 unter 1; vom 11. Mai 1993 - VI ZR 243/92 - VersR 1993, 899 unter II 2 a, vom 19. Mai 1981 - VI ZR 220/79 - VersR 1981, 752 unter II 1 und vom 10. Dezember 1991 - VI ZR 234/90 - VersR 1992, 722 unter 2). Er darf in diesem Fall - wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger - den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, daß er ohne einleuchtende

und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (BGH, Urteile vom 11. Mai 1993 aaO und vom 23. September 1986 - VI ZR 261/85 - VersR 1987, 179 unter II 2 a; vgl. auch BGH, Urteil vom 9. Juni 1992 - VI ZR 222/91 - VersR 1992, 1015 unter II 2 c).
bb) Der Kläger hat im vorliegenden Rechtsstreit me hrere ärztliche Stellungnahmen vorgelegt, mit denen sich das Berufungsurteil nach den vorgenannten Maßstäben nicht ausreichend auseinandersetzt. So hatte der Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. L. der Ehefrau des Klägers am 5. Juni 1998 bescheinigt, sie könne als Krankenschwester in einer neurologischen Station nur noch "2 Stunden bis unterhalbschichtig" arbeiten. Der Internist Dr. C. hatte am 21. Januar 2001 berichtet, die Patientin leide trotz intensiver medikamentöser Therapieversuche unter erheblichen rezidivierenden obstruktiven Beschwerden, welche eine systematische Corticoid-Therapie unumgänglich machten. Der Direktor der Medizinischen Hochschule H. , Prof. Dr. F. hatte , am 14. Februar 2001 im Rahmen einer kurzen gutachtlichen Stellungnahme ausgeführt, es lasse sich trotz maximaler Asthma-Therapie weiterhin eine deutliche Einschränkung der Lungenfunktion nachweisen. Aufgrund dessen und wegen der Vorgeschichte halte er die Ehefrau des Klägers für erwerbsunfähig in ihrem Beruf und in einem vergleichbaren Beruf.
Den Widerspruch der genannten ärztlichen Stellungn ahmen zu der Annahme des gerichtlich bestellten Gutachters Prof. Dr. Dr. K. , es liege eine gut therapierbare und nur mittelschwere, geringgradige Ventilationsstörung vor, hat das Berufungsgericht nicht ansatzweise aufgelöst. Das Berufungsurteil läßt nicht einmal erkennen, ob und inwieweit das

Berufungsgericht den betreffenden Klägervortrag überhaupt zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen hat.
3. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, daß die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger allein trage die Darlegungslast dafür, daß seine Ehefrau auch nicht in einem der früheren beruflichen Tätigkeit vergleichbaren Beruf arbeiten könne, so nicht richtig ist.
Zwar trifft den Versicherungsnehmer grundsätzlich mit der Beweislast für den Eintritt von Berufsunfähigkeit auch die Beweislast dafür, daß keine andere Erwerbstätigkeit in einem die Berufsunfähigkeit ausschließenden Umfange ausgeübt werden kann. Diesen Negativbeweis kann der Versicherungsnehmer im Regelfall aber nur dann ordnungsgemäß antreten, wenn der Versicherer den von ihm beanspruchten Vergleichsberuf bezüglich der ihn prägenden Merkmale näher konkretisiert (Senatsurteile vom 29. Juni 1994 - IV ZR 120/93 - VersR 1994, 1095 unter 2 b und vom 12. Januar 2000 - IV ZR 85/99 - VersR 2000, 349 unter 3 a). Denn nur dann kann der Versicherungsnehmer das Bestreiten von Berufsunfähigkeit mit substantiierten Beweisangeboten bekämpfen. Der Umfang der Darlegungslast des Versicherers zu den prägenden Merkmalen des Vergleichsberufs hängt dabei jeweils davon ab, was der Versicherer beim Versicherungsnehmer insoweit an Kenntnissen voraussetzen darf.
Wenn der Versicherungsnehmer eine vom Versicherer als Vergleichsberuf in Anspruch genommene Tätigkeit schon tatsächlich ausübt, hat er - und nicht der Versicherer - Kenntnis davon, welche Anforderun-

gen diese im einzelnen an ihn stellt. Dann genügt es nicht mehr, wenn der Versicherungsnehmer die Vergleichbarkeit der anderen Tätigkeit nur summarisch bestreitet, vielmehr muß er in einem solchen Fall von Anfang an vortragen und erforderlichenfalls beweisen, daß und warum er diese Tätigkeit nicht ausüben kann oder warum sie sonst den bedingungsgemäßen Anforderungen an eine Vergleichstätigkeit nicht genügt (Senatsurteile vom 12. Januar 2000 aaO und vom 30. November 1994 - IV ZR 300/93 - VersR 1995, 159 unter 3). Der vorliegende Fall, in welchem sich die Ehefrau des Klägers unstreitig lediglich erfolglos um andere Beschäftigungen beworben hatte, ist damit jedoch nicht zu vergleichen. Die bloße Bewerbung um andere Tätigkeiten, deren Ausübung sich auch als überobligationsmäßig darstellen könnte, besagt über deren Vergleichbarkeit nichts, noch verschafft sie allein dem Versicherungsnehmer die erforderlichen Kenntnisse über die konkreten Anforderungen der angestrebten Tätigkeiten.
Terno Seiffert Wendt Dr. Kessal-Wulf Felsch
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(1) In Arzthaftungsprozessen hat der Tatrichter nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung die Pflicht, Widersprüchen zwischen Äußerungen mehrerer Sachverständiger von Amts wegen nachzugehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, auch wenn es sich um Privatgutachten handelt (z.B. Senatsbeschlüsse vom 11. März 2014 - VI ZB 22/13, VersR 2014, 895 Rn. 12; vom 9. Juni 2009 - VI ZR 261/08, VersR 2009, 1406 Rn. 7; Senatsurteile vom 10. Oktober 2000 - VI ZR 10/00, VersR 2001, 525, 526; vom 28. April 1998 - VI ZR 403/96, VersR 1998, 853, 854; vom 24. September 1996 - VI ZR 303/95, VersR 1996, 1535, 1536; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 12. Aufl., Rn. 765). Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so darf der Tatrichter den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (Senatsbeschluss vom 11. März 2014 - VI ZB 22/13, VersR 2014, 895 Rn. 12; BGH, Urteile vom 24. September 2008 - IV ZR 250/06, VersR 2008, 1676 Rn. 11 mwN; vom 22. September 2004 - IV ZR 200/03, VersR 2005, 676, 677 f.).