Bundesgerichtshof Urteil, 24. Apr. 2018 - X ZR 50/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:240418UXZR50.16.0
bei uns veröffentlicht am24.04.2018
vorgehend
Bundespatentgericht, 7 Ni 1/15, 25.02.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 50/16 Verkündet am:
24. April 2018
Zöller
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Gurtstraffer

a) Eine in dem Sachanspruch eines Patents enthaltene Zweck- oder Funktionsangabe
für die beanspruchte Vorrichtung bringt regelmäßig zum Ausdruck,
dass die Vorrichtung für den genannten Zweck oder die genannte Funktion
objektiv geeignet sein muss. Damit bleibt der Patentanspruch ein Sachanspruch
, der sich auf eine Vorrichtung richtet, mit der die genannten Zwecke
oder Funktionen realisiert werden können.

b) Zur Bejahung der Patentfähigkeit reicht es nicht aus, dass die vom Streitpatent
vorgeschlagene technische Lösung aus Sicht des Standes der Technik
mit Nachteilen oder ihre Realisierung mit Schwierigkeiten verbunden ist,
wenn die vom Erfinder vorgeschlagene Lösung diese Nachteile oder Schwierigkeiten
in Kauf nimmt (Bestätigung von BGH, Urteil vom 4. Juni 1996
- X ZR 49/94, BGHZ 133, 57 - Rauchgasklappe).
BGH, Urteil vom 24. April 2018 - X ZR 50/16 - Bundespatentgericht
ECLI:DE:BGH:2018:240418UXZR50.16.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. April 2018 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Dr. Grabinski, Hoffmann und Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das Urteil des 7. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 25. Februar 2016 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist die eingetragene Inhaberin des deutschen Patents 10 2006 026 734 (Streitpatents), das am 8. Juni 2006 angemeldet wurde. Das Patent umfasst fünf Ansprüche, von denen Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut hat: "Gurtstrafferantrieb, welcher einen Elektromotor (2), eine Getriebewelle (3) und ein Abtriebselement (4) aufweist, wobei - der Elektromotor (2) die Getriebewelle (3) über ein Schneckengetriebe (2d, 3b) antreibt, - die Getriebewelle (3) ihrerseits über ein zweites Getriebe (3d, 4a) das Abtriebselement (4) antreibt, - das zweite Getriebe (3d, 4a) ein Schneckengetriebe oder ein Stirnradgetriebe ist und - das erste Getriebe ein 90°-Umlenkgetriebe ist, dadurch gekennzeichnet, dass - auch das zweite Getriebe (3d, 4a) ein 90°-Umlenkgetriebe ist und - das Abtriebselement (4) ein Abtriebsrad ist, dessen Axialrichtung parallel zur Welle (2c) des Elektromotors (2) verläuft."
2
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Lehre des Streitpatents sei nicht in einer Weise offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Weiterhin sei diese Lehre nicht neu und beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
3
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit vier Hilfsanträgen verteidigt, von denen die beiden letzten Hilfsanträge den beiden ersten der fünf in erster Instanz gestellten Hilfsanträgen entsprechen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


4
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
5
I. Das Streitpatent betrifft einen Antrieb zum Straffen von Sicherheitsgurten in einem Fahrzeug. 1. Nach der Beschreibung des Streitpatents weisen im Stand der Tech6 nik bekannte Gurtstrafferantriebe einen Elektromotor, eine Getriebewelle und ein Abtriebsrad auf; Letzteres ist mit der Wickelwelle des Gurtes gekoppelt. Der Elektromotor treibt das Abtriebsrad über zwei Getriebe an, so dass die Achse des Motors parallel zur Wickelwelle des Gurtes angeordnet werden kann. Hierbei ist das erste Getriebe ein Kronenradgetriebe und das zweite ein Schneckenradgetriebe. Das Streitpatent sieht es als nachteilig an, dass durch das Kronenradgetriebe ein harter Verzahnungseingriff gegeben und dies mit einer starken Geräuschentwicklung sowie mit Vibrationen verbunden sei.
7
2. Dem Streitpatent liegt das Problem zugrunde, einen Gurtstrafferantrieb zu verbessern, insbesondere dessen Geräuschemissionen beim Einsatz des Elektromotors zu reduzieren. 3. Zur Lösung schlägt Patentanspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden
8
Merkmalen vor (die Nummerierung folgt der Merkmalsgliederung im angegriffenen Urteil): 1. Gurtstrafferantrieb mit einem Elektromotor (2), einer Getriebewelle (3) und einem Abtriebselement (4), wobei 2. der Elektromotor (2) die Getriebewelle (3) über ein erstes Getriebe (2d, 3b) antreibt und 3. die Getriebewelle (3) ihrerseits über ein zweites Getriebe (3d, 4a) das Abtriebselement (4) antreibt. 5. Das erste Getriebe (2d, 3b) ist
a) ein 90°-Umlenkgetriebe und zwar
b) in Form eines Schneckengetriebes. 4. Das zweite Getriebe (3d, 4a) ist
a) ein 90°-Umlenkgetriebe und zwar in Form b1) eines Schneckengetriebes oder b2) eines Stirnradgetriebes. 7. Das Abtriebselement (4) ist ein Abtriebsrad, dessen Axialrichtung parallel zur Welle (2c) des Elektromotors (2) verläuft.
9
Das Streitpatent zeigt mit der nachfolgenden Figur 1 ein Ausführungsbeispiel.


10
4. Einige Merkmale bedürfen näherer Erläuterung:
11
a) Das Patentgericht sieht in Merkmal 1 mit dem Begriff "Gurtstrafferantrieb" eine Verwendungsangabe, wonach der Antrieb der Straffung eines Sicherheitsgurtes dienen solle. Ob es damit Patentanspruch 1 letzten Endes als einen Verwendungsanspruch oder als einen Sachanspruch auffasst, wird vom Patentgericht nicht weiter spezifiziert.
12
Merkmal 1 beginnt mit der Funktionsangabe, dass es sich bei dem Patentgegenstand um einen "Gurtstrafferantrieb" handelt. Zweck- und Funktionsangaben in einem Sachanspruch beschränken dessen Gegenstand regelmäßig nicht auf den angegebenen Zweck oder die angegebene Funktion. Solche An- gaben sind aber gleichwohl nicht bedeutungslos. Sie definieren den durch das Patent geschützten Gegenstand regelmäßig dahin, neben der Erfüllung der weiteren räumlich-körperlichen Merkmale auch so ausgebildet zu sein, dass er für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendet werden oder die angegebene Funktion erfüllen kann. Er muss mithin objektiv geeignet sein, den angegebenen Zweck oder die angegebene Funktion zu erfüllen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - X ZR 88/09, GRUR 2012, 475 Rn. 17 mwN - Elektronenstrahltherapiesystem). Mit der Konkretisierung des Patentgegenstandes anhand einer mit der Zweck- oder Funktionsangabe zum Ausdruck gebrachten objektiven Eignung bleibt der auf eine Vorrichtung gerichtete Anspruch ein Sachanspruch. Es kommt weder auf die tatsächliche Verwendung einer Sache an, noch für welche Verwendung sie "dient".
13
In diesem Sinne konkretisiert Merkmal 1 den Patentgegenstand auf Vorrichtungen , die geeignet sind, als Gurtstraffer verwendet zu werden. Der Gegenstand muss demnach objektiv in der Lage sein, den losen oder am Körper des Fahrzeuginsassen nicht anliegenden Teil des Sicherheitsgurtes, die "Gurtlose" , zu verringern, indem der Gurt weiter auf die Gurtspule gezogen wird.
14
b) Merkmal 4 b2 umfasst ein Stirnradgetriebe in der Form eines Stirnrad -Schraubgetriebes.
15
Das Patentgericht hat zur Frage der Ausführbarkeit eines Gegenstandes gemäß Patentanspruch 1 in der Alternative des Merkmals 4 b2 ausgeführt, bei einem Stirnradgetriebe handele es sich um die Paarung zweier außenverzahnter Stirnräder mit parallelen Drehachsen. Es gebe zwar weitere Getriebeformen wie unter anderem ein Stirnrad-Schraubgetriebe oder ein Schraubenradgetriebe , die sich kreuzende Achsen aufwiesen. Der Fachmann werde die im Patentanspruch verwendeten Begriffe aber entsprechend ihrem fachlich genauen Bedeutungsinhalt interpretieren, zumal im Streitpatent keine Hinweise auf ein davon abweichendes Verständnis enthalten seien. Er werde deshalb den Be- griff Stirnradgetriebe in Merkmal 4 b2 nicht durch Stirnrad-Schraubgetriebe ersetzen.
16
Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Patentschrift in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und der Patentanspruch im Zweifel so zu verstehen , dass sich keine Widersprüche zu den Ausführungen in der Beschreibung und den bildlichen Darstellungen in den Zeichnungen ergeben (BGH, Urteile vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330 Rn. 24 - Okklusionsvorrichtung ; vom 2. Juni 2015 - X ZR 103/13, GRUR 2015, 972 Rn. 22 - Kreuzgestänge , jeweils mwN). Diese Maßgabe für die Auslegung gilt erst recht zur Vermeidung von Widersprüchen zwischen mehreren Merkmalen eines Patentanspruchs.
17
Nach den Feststellungen des Patentgerichts steht die Deutung des Merkmals 4 b2 im Sinne eines (typischen) Stirnradgetriebes mit parallelen Drehachsen im Widerspruch zu Merkmal 4a, wonach es sich auch bei dem zweiten Getriebe um ein 90°-Umlenkgetriebe handeln muss. Des Weiteren erkennt das Patentgericht zutreffend, dass der Fachmann unter dem Begriff "Stirnradgetriebe" auch ein Stirnrad-Schraubgetriebe verstehen kann, wenn er für den Begriff des "Stirnradgetriebes" nicht auf den fachlich genauen Bedeutungsgehalt abstellt, sondern auch eine weitere, weniger genaue Interpretation dieses Begriffs in den Blick nimmt. In diesem Sinne bezeichnet der Begriff "Stirnradgetriebe" als Oberbegriff auch Stirnrad-Schraubgetriebe. Diese weisen zwar hinsichtlich ihrer Verzahnung erhebliche Unterschiede zu Stirnradgetrieben mit parallelen Achsen auf. Gleichwohl rechtfertigen es die verbleibenden Gemeinsamkeiten beider Getriebearten, diese Getriebe mit dem gemeinsamen Wortbestandteil "Stirnrad-" zu bezeichnen.
18
Ein Stirnradgetriebe mit parallelen Drehachsen kann kein 90°-Umlenkgetriebe sein; hingegen ist eine solche Funktion mit einem Stirnrad-Schraubgetriebe ohne weiteres zu erzielen. Merkmal 4 b2 ist deshalb nicht nur zur Vermeidung von Widersprüchen innerhalb eines Patentanspruchs, sondern auch nach den Grundsätzen einer funktionsgerechten Auslegung (vgl. dazu BGH, Urteil vom 14. Juni 2016 - X ZR 29/15, BGHZ 211, 1 Rn. 31 f. - Pemetrexed) dahin zu verstehen, dass es Stirnrad-Schraubgetriebe umfasst.
19
II. Das Patentgericht hat - soweit es für das Berufungsverfahren von Bedeutung ist - die Nichtigerklärung des Streitpatents wie folgt begründet:
20
Die Lehre des Patentanspruchs 1 sei im Hinblick auf die Alternative nach Merkmal 4 b2 nicht ausführbar. Ein Stirnradgetriebe weise ein Paar von zwei außenverzahnten Stirnrädern mit parallelen Drehachsen auf. Wegen der parallelen Drehachsen könne ein solches Getriebe nicht zugleich ein 90°-Umlenkgetriebe sein. Eine Kombination von Merkmal 4a mit Merkmal 4 b2 sei daher nicht möglich, womit es an einer ausführbaren Offenbarung dieser Lehre insoweit fehle.
21
Die deutsche Offenlegungsschrift 36 16 847 (D3) offenbare eine Aufrollvorrichtung für Sicherheitsgurte mit sämtlichen Merkmalen von Patentanspruch 1 mit Ausnahme des Einsatzzwecks, diese Vorrichtung als Gurtstraffer einsetzen zu können. Die in D3 gezeigte Vorrichtung werde dafür eingesetzt, eine gewisse Lockerung des Gurtes zu bewirken. Wegen dieses vom Gegenstand des Streitpatents abweichenden Einsatzzweckes nehme die D3 den Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht vorweg.
22
Ausgehend von der internationalen Patentanmeldung 03/099619 (D2) sei die Lehre des Streitpatents indessen nahegelegt gewesen. In dieser Entgegenhaltung werde eine Gurtstraffervorrichtung für Sicherheitsgurte mit den Merkmalen 1, 2, 3, 4a und 4b1 sowie 5a und 7 gezeigt. Die in D2 offenbarte Vorrichtung unterscheide sich vom Gegenstand des Streitpatents dadurch, dass lediglich das zweite Getriebe als Schneckengetriebe ausgeführt sei, während für das erste Winkelgetriebe ein Kronenradgetriebe vorgeschlagen werde.
23
Vor die Aufgabe gestellt, einen Gurtstrafferantrieb platzsparend sowie geräusch- und vibrationsarm auszuführen, habe es für den Fachmann, bei dem es sich um einen Diplomingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau mit Spezialkenntnissen in der Entwicklung von Schutzeinrichtungen für Fahrzeuginsassen handele, auf der Hand gelegen, auch das erste Getriebe als ein Schneckengetriebe auszubilden. Dem Fachmann sei bekannt gewesen, dass Schneckengetriebe geräuscharmer seien. Das Hintereinanderschalten von zwei Schneckengetrieben sei ihm zudem aus der D3 bekannt gewesen, auch wenn diese Vorrichtung nicht dem Straffen eines Gurtes diene.
24
III. Dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren stand.
25
1. Einen Mangel hinsichtlich der Ausführbarkeit der Lehre des Patentanspruchs 1 hat das Patentgericht nach dem zu I 4 b Ausgeführten jedoch zu Unrecht festgestellt.
26
Die Lehre des Patentanspruchs 1 in der Alternative nach Merkmal 4 b2 (Stirnradgetriebe als zweites Getriebe) umfasst auch die Ausführung mit einem Stirnrad-Schraubgetriebe. Solche Getriebe können sich kreuzende Drehachsen mit einer Umlenkung von 90° entsprechend Merkmal 4a aufweisen. Der Gegenstand des Patentanspruchs ist deshalb auch in dieser Alternative ausführbar.
27
2. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist jedoch nicht patentfähig, weil er jedenfalls ausgehend von dem in D2 dokumentierten Stand der Technik nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
28
a) Mit der D2 gehört zum Stand der Technik eine Gurtstraffervorrichtung entsprechend den nachfolgenden Figuren 2 und 11 der D2, wobei die Figur 2 eine Gesamtansicht von der Seite und die Figur 11 eine Detailansicht auf die Getriebewelle (18) zeigt.


29
Entsprechend den zutreffenden Ausführungen des Patentgerichts, die von den Parteien nicht in Zweifel gezogen werden, weist das Ausführungsbeispiel der D2 sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 mit Ausnahme des Merkmals 5b auf. Die D2 hebt dabei hervor, dass die Verwendung eines Schneckengetriebes als zweites Getriebe bei einer geeigneten Auslegung der Schneckenverzahnung eine Selbsthemmung bewirken kann, die ein von der Gurtwelle ausgehendes Drehmoment hemmt (D2, S. 3 Abs. 4 bis S. 4 Abs. 1). Die D2 beschreibt das erste Getriebe zwischen Elektromotor und Getriebewelle zunächst allgemein als ein Winkelgetriebe, mit dem sich eine besonders platzsparende Bauweise realisieren lasse (D2, S. 5 Abs. 2). Konkret werden hierfür sodann ein Kronenradgetriebe sowie ein Kegelradgetriebe als mögliche Ausführungsformen angegeben (D2, S. 5 Abs. 3).
30
b) Für den Fachmann, den das Patentgericht zutreffend definiert hat, bestand Veranlassung, auch das erste in der D2 gezeigte Winkelgetriebe als ein Schneckengetriebe entsprechend Merkmal 5b auszubilden.
31
aa) Wie auch das Streitpatent erwähnt, ist mit einem Kronenradgetriebe ein harter Verzahnungseingriff verbunden, der Geräusche und Vibrationen zur Folge hat (Streitpatent, Abs. 4). Gemäß den insoweit nicht in Zweifel gezogenen Ausführungen des Patentgerichts waren dem Fachmann diese nachteiligen Geräuschemissionen eines Kronenradgetriebes ebenso bekannt wie die geringeren Geräuschemissionen bei anderen Umlenkgetrieben wie einem Schneckengetriebe. Er hatte deshalb aufgrund seines allgemeinen Fachwissens Anlass , Überlegungen zur Behebung der nachteiligen Geräuschemissionen anzustellen und hierfür die Wahl eines anderen Getriebes in Betracht zu ziehen.
32
Aus der D2 selbst ergab sich hierfür die Anregung, ein (weiteres) Schneckengetriebe als erstes Getriebe anstelle des in der D2 vorgesehenen Kronenrad - oder Kegelradgetriebes zu verwenden. Die D2 zeigt für das erste Getriebe ein 90°-Umlenkgetriebe. Weiterhin zeigt sie als zweites Getriebe ein Schneckenradgetriebe , das ebenso eine 90°-Umlenkung aufweist. Aus den beiden Umlenkgetrieben resultiert eine parallele Anordnung von Elektromotor und Gurtspule. Um für das erste Getriebe mit einer 90°-Umlenkung ein geräuscharmes Getriebe zu finden, war vom Fachmann deshalb zu erwarten, hierfür ebenfalls ein Schneckenradgetriebe vorzusehen, wie es die D2 schon für das zweite Getriebe zeigt.
33
Des Weiteren zeigt die D3 eine solche Anordnung von zwei Schneckenradgetrieben hintereinander zur Beeinflussung der Gurtlose. Auch wenn die dort gezeigte Aufrollvorrichtung für Sicherheitsgurte für einen Einsatz als Gurtstraffer nicht geeignet ist, offenbart die D3 dem Fachmann gleichwohl das Prinzip der Verwendung von zwei Schneckengetrieben als 90°-Umlenkgetriebe, um damit geräuscharm eine parallele Anordnung von Gurtspule und Elektromotor zu erzielen. Der D2 entnimmt er hierzu, dass solche Getriebe für eine Selbsthem- mung gegen ein von der Gurtspule ausgehendes Drehmoment verwendet werden können (D2, S. 3 Abs. 4 bis S. 4 Abs. 1). Zusammen mit der in D3 prinzipiell gezeigten Anordnung eines Elektromotors, zweier Schneckengetriebe und einer Gurtspule vermittelte dies dem Fachmann die Kenntnis, wie er eine Gurtvorrichtung mit der Funktion einer Gurtstraffung erzielen konnte. Entsprechend den zutreffenden und insoweit nicht in Zweifel gezogenen Ausführungen des Patentgerichts musste er nur den Elektromotor umpolen, um eine andere Drehrichtung und damit statt einer Gurtlose eine Gurtstraffung zu erreichen.
34
Der Fachmann hatte folglich Anlass, den aus der D2 bekannten Gurtstraffer mit dem Ziel einer Reduzierung der Geräuschemissionen weiterzuentwickeln , und fand hierzu Anregungen im Stand der Technik, wie eine solche Verbesserung konkret realisiert werden könnte.
35
bb) Entgegen der Auffassung der Berufung steht dem Naheliegen einer solchen Weiterentwicklung nicht entgegen, dass ein zweites Schneckengetriebe im Antriebsstrang zu einer noch höheren Untersetzung führt, als diese sich bereits aus einem Schneckengetriebe zusammen mit einem Kronenradgetriebe entsprechend dem Ausführungsbeispiel der D2 ergab.
36
Nach der Erörterung in der Berufungsverhandlung ist davon auszugehen, dass ein Schneckengetriebe regelmäßig zu einer deutlich größeren Untersetzung führt als ein Kronenradgetriebe oder ein Kegelradgetriebe. Demnach muss der Elektromotor beim Gegenstand des Streitpatents mit höheren Drehzahlen drehen als bei der D2. Dem Streitpatent ist indessen kein Hinweis zu entnehmen, dass dies eine Schwierigkeit darstellte und wie dieser zu begegnen wäre. Soweit es sich tatsächlich um einen nicht nur marginalen Nachteil handeln sollte, würde dieser Nachteil von der Lehre des Streitpatents schlicht hingenommen.
37
Zur Bejahung der Patentfähigkeit reicht es nicht aus, wenn die vom Streitpatent vorgeschlagene technische Lösung aus der Sicht des Standes der Technik mit Nachteilen oder ihre Realisierung mit Schwierigkeiten verbunden ist, die vom Erfinder vorgeschlagenen Lösungsbeispiele diese Nachteile oder Schwierigkeiten aber ignorieren und schlicht in Kauf nehmen (vgl. BGH, Urteile vom 4. Juni 1996 - X ZR 49/94, BGHZ 133, 57 unter III 2 c - Rauchgasklappe; vom 8. Januar 2008 - X ZR 110/04, juris Rn. 19; vom 26. August 2014 - X ZR 18/11, juris Rn. 17). Auf technische Schwierigkeiten oder Nachteile kann deshalb eine erfinderische Tätigkeit nicht gestützt werden, wenn das Streitpatent wie im Streitfall hinsichtlich der sich aus dem zweiten Schneckenradgetriebe ergebenden höheren Untersetzung keine Hinweise zu deren Überwindung aufzeigt (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2012 - X ZR 46/09, CR 2012, 768 Rn. 47).
38
cc) Des Weiteren greifen die Ausführungen der Berufung nicht durch, dass es nicht nahegelegen habe, den aus der D2 bekannten Gurtaufroller ohne eine Beweglichkeit der Getriebewelle in axialer Richtung zu konstruieren. Die Berufung will dies darauf stützen, dass die D2 zur Hemmung eines von der Gurtspule ausgehenden Drehmoments verschiedene Ausführungsbeispiele zeige , die eine Beweglichkeit voraussetzten. Eine solche Beweglichkeit ließe sich aber mit einem Schneckengetriebe als erstes Getriebe nicht vereinbaren.
39
Die D2 zeigt zwar solche Ausführungsbeispiele mit einer in axialer Richtung beweglichen Getriebewelle. Die D2 führt aber auch aus, dass eine Selbsthemmung allein durch eine geeignete Auslegung der Schneckenverzahnung und mit einem axiale Kräfte aufnehmenden Widerlager zu erzielen ist, ohne dass die Getriebewelle hierfür in axialer Richtung verschiebbar sein müsste (D2, S. 3 Abs. 4 bis S. 4 Abs. 1). Weiterhin offenbart die D2 auch die Möglichkeit , den Elektromotor in einem anderen Leistungsbereich anzusteuern, so dass dieser sich nicht dreht, gleichwohl aber ein von der Antriebswelle kommendes Drehmoment hemmt (D2, S. 7 Abs. 4). Die D2 ist deshalb nicht dahin zu verstehen , dass eine Selbsthemmung allein mit einer Verschiebbarkeit der Getriebewelle zu erzielen wäre.
40
Zudem gibt das Streitpatent keine Hinweise, wie etwaige technische Schwierigkeiten zum Erzielen einer Selbsthemmung bei zwei im Antriebsstrang hintereinander angeordneten Schneckengetrieben zu überwinden wären. Sollten sich solche Schwierigkeiten oder Nachteile hinsichtlich der Selbsthemmung für den Fachmann bei einem patentgemäßen Gegenstand stellen, nimmt das Streitpatent diese in Kauf und ignoriert sie. Wie oben bereits ausgeführt, kann hierauf eine erfinderische Tätigkeit nicht gestützt werden.
41
Soweit die Berufungsbegründung geltend macht, es habe für den Fachmann wegen der Schwierigkeiten zur Erzielung einer Selbsthemmung näher gelegen, als erstes Getriebe kein Schneckenradgetriebe und stattdessen andere Maßnahmen zur Geräuschdämmung vorzusehen, steht dies einem Naheliegen der patentgemäßen Lehre nicht entgegen. Kommen für den Fachmann zur Lösung eines Problems mehrere Alternativen in Betracht, können mehrere von ihnen naheliegend sein. Hierbei ist es grundsätzlich ohne Bedeutung, welche der Lösungsalternativen der Fachmann als erste in Betracht zöge (BGH, Urteile vom 16. Februar 2016 - X ZR 5/14, GRUR 2016, 1023 Rn. 19 - Anrufroutingverfahren ; vom 6. März 2012 - X ZR 50/09, juris Rn. 19 mwN).
42
3. Gesonderte Gründe für die Rechtsbeständigkeit einzelner Unteransprüche des Streitpatents werden von der Beklagten nicht geltend gemacht. Vielmehr verteidigt sie das Streitpatent in denjenigen beschränkten Fassungen, die sich aus den von ihr gestellten Hilfsanträgen ergeben. Es kommt mithin auf die Rechtsbeständigkeit ganzer Anspruchssätze an (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - X ZB 6/05, BGHZ 173, 47 Rn. 22 - Informationsübermittlungsverfahren II; Urteil vom 13. September 2016 - X ZR 64/14, GRUR 2017, 57 Rn. 27 - Datengenerator), an der es in der erteilten Fassung in Bezug auf Patentanspruch 1 fehlt.
43
IV. Auch die Hilfsanträge der Beklagten haben keinen Erfolg.
44
1. Es kann offen bleiben, ob die erstmals im Berufungsverfahren gestellten Hilfsanträge Ia bis Ic sowie der aus der ersten Instanz fortgeführte Hilfs- antrag II zulässig sind; sie beschreiben jedenfalls keinen patentfähigen Gegenstand.
45
2. Die Hilfsanträge Ia bis Ic beschränken den in der erteilten Fassung mit Patentanspruch 1 definierten Gegenstand mit folgenden weiteren Merkmalen : 4 c1 Das zweite Getriebe wird von der Getriebewelle mittels einer in Kunststoff ausgeführten Schnecke und dem Abtriebsrad gebildet. 7 a Das Abtriebsrad ist mit einer Außenverzahnung versehen. 8 Beide Getriebe sind derart ausgelegt, dass durch sie die Selbsthemmung des Antriebs im Sinne einer Schwergängigkeit in getriebener Richtung unterstützt wird.
46
Hilfsantrag Ia ist durch Merkmale 4c1 und 7a sowie Hilfsantrag Ib ist durch Merkmale 7a und 8 beschränkt. Hilfsantrag Ic ist durch alle drei Merkmale 4c1, 7a und 8 beschränkt.
47
Das Patentgericht hat zur Fassung von Hilfsantrag Ic zutreffend ausgeführt , dass eine Konkretisierung des Gegenstandes von Patentanspruch 1 hinsichtlich der Merkmale 4c1 und 8 für den Fachmann aus dem Stand der Technik - insbesondere der D2 - nahegelegt waren. Auf diese Ausführungen wird verwiesen. Dies gilt entsprechend für die Hilfsanträge Ia und Ib. Das Versehen des Antriebsrads mit einer Außenverzahnung wird von den Ausführungsbeispielen der D2 gezeigt, weshalb auch insoweit eine erfinderische Tätigkeit nicht vorliegt.
48
3. Hilfsantrag II beschränkt den Gegenstand von Hilfsantrag Ic durch folgende weitere Merkmale: 2a Der Elektromotor weist ein Rotorpaket und einen Kommutator auf.
7a Das Antriebsrad ist mit der Wickelwelle des Sicherheitsgurtes eines Kraftfahrzeugs gekuppelt. 8a Die Selbsthemmung des Antriebs in getriebener Richtung wird beim Bremsen des Kraftfahrzeugs durch den von einem Fahrzeuginsassen auf den Sicherheitsgurt ausgeübten Druck unterstützt.
49
Zudem tritt anstelle des Merkmals 4c aus Hilfsantrag Ic das folgende Merkmal: 4c2 Das zweite Getriebe wird von der Getriebewelle mittels einer in Kunststoff ausgeführten und in die Getriebewelle eingebrachten Schnecke und dem Abtriebsrad gebildet.
50
Das Patentgericht hat auch diesen Gegenstand mit zutreffenden Gründen als aus dem Stand der Technik nahegelegt angesehen; auf diese Ausführungen wird verwiesen.
51
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Grabinski Hoffmann
Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 25.02.2016 - 7 Ni 1/15 (EP) -

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Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.

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Bundesgerichtshof Urteil, 13. Sept. 2016 - X ZR 64/14

bei uns veröffentlicht am 13.09.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 64/14 Verkündet am: 13. September 2016 Hartmann Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:

Bundesgerichtshof Urteil, 14. Juni 2016 - X ZR 29/15

bei uns veröffentlicht am 14.06.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 29/15 Verkündet am: 14. Juni 2016 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR:

Bundesgerichtshof Urteil, 16. Feb. 2016 - X ZR 5/14

bei uns veröffentlicht am 16.02.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 5/14 Verkündet am: 16. Februar 2016 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: n
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 24. Apr. 2018 - X ZR 50/16.

Bundesgerichtshof Urteil, 19. Feb. 2019 - X ZR 15/17

bei uns veröffentlicht am 19.02.2019

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 15/17 Verkündet am: 19. Februar 2019 Zöller Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache ECLI:DE:BGH:2019:190219UXZR15.17.0

Referenzen

Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.

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Der Hinweis auf die intraoperative Elektronenstrahltherapie hebt zunächst den Zweck des erfindungsgemäßen Gegenstands hervor. Zweckangaben in einem Sachanspruch beschränken als solche dessen Gegenstand zwar regelmäßig nicht (BGH, Urteil vom 12. Juli 1990 - X ZR 121/88, BGHZ 112, 140, 155 f. - Befestigungsvorrichtung II). Die Zweckangabe ist damit aber nicht bedeutungslos. Mittelbar hat sie regelmäßig die Wirkung, den durch das Patent geschützten Gegenstand dahin zu definieren, dass er nicht nur die räumlichkörperlichen Merkmale erfüllen, sondern auch so ausgebildet sein muss, um für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendbar zu sein (BGH, Urteil vom 7. November 1978 - X ZR 58/77, GRUR 1979, 149, 151 - Schießbolzen; Urteil vom 2. Dezember 1980 - X ZR 16/79, GRUR 1981, 259, 260 - Heuwerbungsmaschine II; Urteil vom 7. Juni 2006 - X ZR 105/04, GRUR 2006, 923 Rn .15 - Luftabscheider für Milchsammelanlage; Urteil vom 28. Mai 2009 - Xa ZR 140/05, GRUR 2009, 837 Rn. 15 - Bauschalungsstütze), wie es Merkmal 1.1.1 auch mit den Worten "ist … ausgelegt" zum Ausdruck bringt.
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Patentschrift in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und ihren Gesamtinhalt im Zweifel so zu verstehen, dass sich Widersprüche nicht ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2008 - X ZB 13/06, GRUR 2008, 887 - Momentanpol II; Urteil vom 31. März 2009 - X ZR 95/05, BGHZ 180, 215 = GRUR 2009, 653 - Straßenbaumaschine), führt hier nicht zu einer Einbeziehung der insoweit übereinstimmenden angegriffenen Ausführungsformen in den Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Klagepatents. Dieser Grundsatz wird nämlich durch den Vorrang des Patentanspruchs eingegrenzt. Kann, wie hier, der Wortlaut des Patentanspruchs mit einer Beschreibungsstelle nicht in Einklang gebracht werden , kann die Beschreibung nicht zur "Korrektur" des Patentanspruchs herangezogen werden; andernfalls würde gegen den Grundsatz des Vorrangs des Patentanspruchs verstoßen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X Z R 1 03/ 1 3 Verkündet am:
2. Juni 2015
Hartmann
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Kreuzgestänge
EPÜ Art. 69; PatG § 14

a) Das Verletzungsgericht hat das Klagepatent selbständig auszulegen und ist
weder rechtlich noch tatsächlich an die Auslegung durch den Bundesgerichtshof
in einem das Klagepatent betreffenden Patentnichtigkeitsverfahren
gebunden.

b) Werden in der Beschreibung eines Patents mehrere Ausführungsbeispiele
als erfindungsgemäß vorgestellt, sind die im Patentanspruch verwendeten
Begriffe im Zweifel so zu verstehen, dass sämtliche Beispiele zu ihrer Ausfüllung
herangezogen werden können. Nur wenn und soweit sich die Lehre des
Patentanspruchs mit der Beschreibung und den Zeichnungen nicht in Einklang
bringen lässt und ein unauflösbarer Widerspruch verbleibt, dürfen diejenigen
Bestandteile der Beschreibung, die im Patentanspruch keinen Niederschlag
gefunden haben, nicht zur Bestimmung des Gegenstands des Patents
herangezogen werden.
BGH, Urteil vom 2. Juni 2015 - X ZR 103/13 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 2. Juni 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und die Richter
Gröning, Dr. Grabinski, Dr. Bacher und Hoffmann

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das am 8. August 2013 verkündete Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4b-Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 16. Februar 2012 wird zurückgewiesen. Die Kosten der Rechtsmittel trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


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Der Kläger ist eingetragener Inhaber des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 366 968 (nachfolgend: Klagepatent). Er nimmt die Beklagte wegen Verletzung des Klagepatents auf Unterlassung, Auskunftserteilung , Rechnungslegung und Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz in Anspruch. Patentanspruch 1 des Klagepatents hat folgenden Wortlaut: "Zusammenklappbarer Schiebewagen für Kinder und/oder Puppen mit einem Wagengestell (1), das mindestens aufweist: - zwei obere, spiegelbildlich angeordnete, von vorn nach hinten ansteigend und im Wesentlichen V-förmig verlaufende, durchgehende oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildete Gestellholme (2a, 2b), deren untere Enden zum Verbringen aus einer zusammengelegten Stellung in eine Aufstellposition schwenkbar an einem Verbindungsteil (3) angekoppelt sind, - an welchem Verbindungsteil (3) zwei untere, spiegelbildlich angeordnete , von vorn nach hinten im Wesentlichen V-förmig verlaufende , durchgehende oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildete verschwenkbare Gestellholme (4a, 4b) angeordnet sind, an deren hinteren Enden Radlagerhalter (5) für hintere Räder oder Räderanordnungen (6) befestigt sind, - mindestens eine vordere Radanordnung (7) mit mindestens einem Rad, die mittels mindestens eines Radlagerhalters (8) an dem Verbindungsteil (3) oder einem Brückenteil der unteren Gestellholme (4a, 4b) befestigt ist, gekennzeichnet durch: - ein aufstellbares Spreizgestänge (9) in Form eines Kreuzgestänges , das in einem bestimmten Abstand zum Verbindungsteil (3) an den Holmen (2a, 2b; 4a, 4b) und diese verbindend vorgesehen und derart ausgebildet ist, dass nach dem Aufstellen des Wagengestells die oberen und die unteren Holme (2a, 2b) in die charakteristische V-Position sowohl zueinander als auch gegeneinander verbracht sind und beim Zusammenlegen des Spreizgestänges (9) die oberen und unteren Holme (4a, 4b) gleichzeitig aufeinander zu verschwenken."
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Die Patentansprüche 2 bis 19 sind unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen.
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Die Beklagte vertreibt einen Kinderwagen unter der Modellbezeichnung "Futura" über das Internet, dessen nähere Ausgestaltung sich aus den als Anlage K 13 zu den Akten gereichten, teilweise nachfolgend wiedergegebenen Fotografien ergibt (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform). Die angegriffene Ausführungsform stellte sie auch auf der Messe "Kind und Jugend 2009" in Köln aus.


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Das Landgericht hat die Klageansprüche im Wesentlichen zuerkannt. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision be- gehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Urteils des
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Berufungsgerichts und zur Wiederherstellung des Urteils erster Instanz, soweit dieses der Klage stattgegeben hat. I. Das Klagepatent betrifft einen zusammenklappbaren Wagen für Kinder
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oder Puppen mit einem Wagengestell.
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Nach der Beschreibung ist u.a. aus der französischen Patentanmeldung 2 310 910, aus der die nachfolgende Zeichnung stammt, ein Kinderwagen mit einer Rahmenkonstruktion bekannt, die ein unteres, scherenartig an einem Gelenkstück angelenktes Paar von Seitenholmen (1, 1') aufweist, die durch zusammenklappbare Querholme miteinander verbunden sind. Die Rücken- holme (14, 14') sind an festen Lagern an den Seitenholmen schwenkbeweglich gelagert und unterhalb eines zusammenlegbaren Scherengestänges (18, 18'; 19, 19'), das als Spreizgestänge zwischen den Rückenholmen vorgesehen ist, geteilt und gegeneinander verschwenkbar ausgeführt, so dass sie zusammen mit den Sitzholmen ein Kräfteparallelogramm bildeten. Für die Spreizung der Seitenholme ist zusätzlich ein zusammenlegbarer Querholm (17) zwischen den unteren Abschnitten der Rückenholme vorgesehen.
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Dem Streitpatent liegt das Problem ("die Aufgabe") zugrunde, die bekannten zusammenklappbaren Schiebewagen derart fortzuentwickeln, dass diese bei vereinfachter Konstruktion leicht aufgestellt und zusammengeklappt werden können.
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Das soll nach der Lehre aus Patentanspruch 1 durch eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen erreicht werden: 1. Zusammenklappbarer Schiebewagen für Kinder und/oder Puppen mit einem Wagengestell, das aufweist: 1.1 zwei obere Gestellholme (2a, 2b), 1.2 zwei untere Gestellholme (4a, 4b), 1.3 ein Verbindungsteil (3), 1.4 ein Spreizgestänge (9), 1.5 eine vordere Radanordnung (7) und 1.6 hintere Räder oder Räderanordnungen (6).
2. Die oberen Gestellholme (2a, 2b) 2.1 sind durchgehend oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildet, 2.2 sind spiegelbildlich angeordnet und 2.3 verlaufen von vorn nach hinten ansteigend und im Wesentlichen V-förmig.

3. Die unteren Gestellholme (4a, 4b), 3.1 sind durchgehend oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildet, 3.2 sind spiegelbildlich angeordnet, 3.3 verlaufen von vorn nach hinten im Wesentlichen V-förmig, 3.4 sind verschwenkbar und 3.5 weisen hintere Enden auf, an denen Radlager (5) für hintere Räder oder Räderanordnungen (6) befestigt sind.
4. An dem Verbindungsteil (3) sind 4.1 die unteren Enden der oberen Gestellholme (2a, 2b) zum Verbringen aus einer zusammengelegten Stellung in eine Aufstellposition schwenkbar gekoppelt und 4.2 die unteren Gestellholme (4a, 4b) angeordnet.
5. Die vordere Radanordnung (7) 5.1 weist mindestens ein Rad auf und 5.2 ist mittels mindestens eines Radlagerhalters (8) an dem Verbindungsteil (3) oder einem Brückenteil der unteren Gestellholme (4a, 4b) befestigt.
6. Das Spreizgestänge (9) ist 6.1 aufstellbar und 6.2 in Form eines Kreuzgestänges ausgebildet. 6.3 Das Kreuzgestänge ist 6.3.1 an den Holmen (2a, 2b; 4a, 4b) in einem bestimmten Abstand zum Verbindungsteil (3) und die Holme (2a, 2b; 4a, 4b) verbindend vorgesehen,
6.3.2 derart ausgebildet, dass nach dem Aufstellen des Wagengestells (1) die oberen und die unteren Holme (2a, 2b; 4a, 4b) in die charakteristische V-Position sowohl zueinander als auch gegeneinander verbracht sind, und 6.3.3 derart ausgebildet, dass beim Zusammenlegen des Spreizgestänges (9) die oberen und unteren Holme (2a, 2b; 4a, 4b) gleichzeitig aufeinander zu verschwenken.
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Die nachfolgend wiedergegebene Zeichnung stammt aus der Klagepatentschrift und zeigt ein erfindungsgemäßes Ausführungsbeispiel: II. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt
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begründet: Das Klagepatent sei nicht verletzt, weil die angegriffene Ausführungsform we12 der ein Kreuzgestänge aufweise, das die Merkmalsgruppe 6.3 wortsinngemäß verwirkliche , noch ein Ersatzmittel, das als patentrechtlich äquivalent angesehen werden könne. Als Durchschnittsfachmann sei ein Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau
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anzusehen, der bei einem Hersteller von Kinderwagengestellen mit Konstruktions- aufgaben befasst sei und auf diesem Gebiet über mehrjährige Berufserfahrung verfüge. Eine wortsinngemäße Verwirklichung scheide schon deshalb aus, weil für das
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Berufungsgericht aufgrund des im Nichtigkeitsverfahren der Parteien ergangenen Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 22. Mai 2012 - X ZR 58/11) faktisch feststehe, dass ein Kreuzgestänge, dessen Streben wie bei der angegriffenen Ausführungsform lediglich in einer Ebene zueinander verschwenkt werden könnten, nicht als Kreuzgestänge im Sinne der Merkmalsgruppe 6.3 angesehen werden könne. Um keinen Zulassungsgrund zu schaffen, bestehe für das Berufungsgericht eine tatsächliche Bindung an die Auslegung des Bundesgerichtshofs im Nichtigkeitsverfahren. Unabhängig hiervon treffe die Auslegung des Bundesgerichthofs auch zu. Es
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möge zwar sein, dass die Übertragung der auf das Kreuzgestänge wirkenden Kraft auf die Holme unabhängig davon ermöglicht werden könne, ob das Kreuzgestänge in nur einer Ebene ("zweidimensional") oder in zwei Ebenen ("dreidimensional") bewegbar sei. Das Klagepatent habe sich aber auf letztere Lösung festgelegt. Rückschlüsse allgemeiner Art auf das erfindungsgemäße Kreuzgestänge aus den Unteransprüchen 6 und 7, wie sie das Landgericht gezogen habe, seien nicht gerechtfertigt , weil sich diese Patentansprüche letztlich nur mit den Schwenklagerhaltern und nicht mit dem Kreuzgestänge als solchem befassten. Dass es möglich wäre, bei der in diesen Ansprüchen gelehrten Konstruktion auch ein zweidimensional wirkendes Kreuzgestänge zu verwenden, bedeute nicht, dass dies auch erfindungsgemäß wäre. Entsprechendes gelte für Unteranspruch 11. Seine Besonderheit bestehe nicht darin, dass dort erstmals ein dreidimensional wirkendes Kreuzgestänge an sich gelehrt würde, sondern (unter anderem) darin, dass zusätzlich Arretierungsmittel für die Stützstrebenenden vorgesehen seien. Die Angabe in der Beschreibung (Abs. 7, Satz 3), ein erfindungsgemäßes
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Wagengestell sei ähnlich aufgebaut wie ein Schirmgestänge, es sei aber auch möglich , dass nur die oberen gegenüber den unteren Holmen verschwenkbar seien, sei nicht mit dem Patentanspruch in Einklang zu bringen. Dieser setze in Merkmal 6.3.3 voraus, dass bei Zusammenlegen des Spreizgestänges die oberen und die unteren Holme gleichzeitig aufeinander zu verschwenkten. Verlangt werde damit eine aktive Beteiligung aller Holme einschließlich der unteren, weshalb auch diese verschwenkbar sein müssten. Auch aus den Ausführungen der Beschreibung (Abs. 9), ein Spreizgestänge in
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Form eines Kreuzgestänges, z.B. in X-Form, sei besonders vorteilhaft, wenn das Gestänge aus geteilten Stützstreben bestehe, die schwenkbeweglich einerseits an Schwenkhaltern an den Holmen und andererseits an einem zentrischen Lagerhalter angelenkt seien, so dass - wie bei einem Regenschirm - die Streben durch Bewegung des Lagerhalters in Längsrichtung aufgestellt und zusammengefaltet werden könnten, lasse sich nicht der Umkehrschluss ziehen, dem Patentanspruch 1 unterfielen auch zweidimensional wirkende Kreuzgestänge. Vielmehr betreffe die besondere Eignung spezielle dreidimensional wirkende Kreuzgestänge, nämlich X-förmige. Selbst wenn "besonders vorteilhaft" ursprünglich als Herausstellungsmerkmal gegenüber nicht schirmartig konstruierten Kreuzgestängen gemeint gewesen sein sollte , habe diese Formulierung angesichts des bei der Auslegung zu beachtenden Primats des Anspruchs ihren Sinn eingebüßt. Das Klagepatent wolle sich damit von dem aus der französischen Patentanmeldung 2 310 910 bekannten, nach dem Prinzip eines Scherengestänges arbeitenden Lösung, bei dem die Holme lediglich in einer Ebene zueinander verschwenkt werden könnten, durch eine Bewegungskopplung in mehr als nur einer Ebene abgrenzen. III. Diese Auslegung des Patentanspruchs hält der revisionsrechtlichen Über18 prüfung nicht stand. 1. Das Berufungsgericht hat sich zu Unrecht an einer zutreffenden Ermittlung
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des Sinngehalts des Patentanspruchs 1 dadurch gehindert gesehen, dass es sich an die vermeintliche Erkenntnis des Senats im Nichtigkeitsverfahren gebunden gesehen hat, die Merkmalsgruppe 6.3 erfordere ein Kreuzgestänge, dessen Stützstreben in zwei Ebenen zueinander verschwenkt werden können. Eine solche Bindung besteht jedoch weder rechtlich noch tatsächlich. Die Bestimmung des Sinngehalts eines Patentanspruchs ist Rechtserkenntnis
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und vom Verletzungsgericht, wie von jedem anderen damit befassten Gericht, eigenverantwortlich vorzunehmen (BGH, Urteil vom 31. März 2009 - X ZR 95/05, BGHZ 180, 215 Rn. 16 - Straßenbaumaschine; BGH, Beschluss vom 29. Juni 2010 - X ZR 193/03, BGHZ 186, 90 Rn. 15 - Crimpwerkzeug III). Dies schließt die Möglichkeit ein, dass das Verletzungsgericht zu einem Auslegungsergebnis gelangt, das von demjenigen abweicht, das der Bundesgerichtshof in einem dasselbe Patent betreffenden Patentnichtigkeitsverfahren gewonnen hat. Eine solche Divergenz rechtfertigt zwar, wenn sie entscheidungserheblich ist, die Zulassung der Revision (BGHZ 186, 90 Rn. 11 ff. - Crimpwerkzeug III). Sie unterscheidet sich darin aber nicht von anderen Fällen einer von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs abweichenden und deshalb nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Zulassung der Revision rechtfertigenden Beurteilung einer Rechtsfrage durch ein Berufungsgericht. In diesen wie in jenen Fällen hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob es an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält oder die besseren Gründe für die Beurteilung des Berufungsgerichts streiten. Eine solche bessere Erkenntnis kann sich im Patentstreitverfahren zudem aus vom Berufungsgericht festgestellten, der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legenden Tatsachen ergeben, die im Nichtigkeitsverfahren nicht festgestellt worden sind, sich aber auf die Auslegung des Patents auswirken (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2005 - X ZR 76/04, BGHZ 164, 261 Rn. 19 - Seitenspiegel; Urteil vom 12. Februar 2008 - X ZR 153/05, GRUR 2008, 779 Rn. 31 - Mehrgangnabe). 2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht das Klagepatent dahin ausge21 legt, Patentanspruch 1 verlange in Merkmal 6.3.3 ein in zwei Ebenen ("dreidimensional" ) verschwenkbares Kreuzgestänge.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats sind Beschreibung und Zeichnun22 gen, die dem Fachmann die Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschauli- chen, nicht nur für die Bestimmung des Schutzbereichs (Art. 69 Abs. 1 EPÜ, § 14 PatG), sondern ebenso für die Auslegung des Patentanspruchs heranzuziehen, und zwar unabhängig davon, ob diese Auslegung die Grundlage der Verletzungsprüfung, der Prüfung des Gegenstandes des Patentanspruchs auf seine Patentfähigkeit oder der Prüfung eines anderen Nichtigkeitsgrundes ist (BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 27 - Polymerschaum I; Urteil vom 12. Mai 2015 - X ZR 43/13, juris Rn. 15 - Rotorelemente). Dabei ist die Patentschrift in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und der Patentanspruch im Zweifel so zu verstehen, dass sich keine Widersprüche zu den Ausführungen in der Beschreibung und den bildlichen Darstellungen in den Zeichnungen ergeben (BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330 Rn. 24 - Okklusionsvorrichtung). Patentschriften stellen im Hinblick auf die dort verwendeten Begriffe gleichsam ihr eigenes Lexikon dar. Weichen diese vom allgemeinen Sprachgebrauch ab, ist letztlich nur der sich aus der Patentschrift ergebende Begriffsinhalt maßgebend (BGH, Urteil vom 2. März 1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909 - Spannschraube). Nur wenn und soweit sich die Lehre des Patentanspruchs mit der Beschreibung und den Zeichnungen nicht in Einklang bringen lässt und ein unauflösbarer Widerspruch verbleibt, dürfen diejenigen Bestandteile der Beschreibung, die im Patentanspruch keinen Niederschlag gefunden haben, nicht zur Bestimmung des Gegenstands des Patents herangezogen werden (BGHZ 189, 330 Rn. 23 - Okklusionsvorrichtung). Demgemäß kommt eine Auslegung des Patentanspruchs, die zur Folge hätte,
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dass keines der in der Patentschrift geschilderten Ausführungsbeispiele vom Gegenstand des Patents erfasst würden, nur dann in Betracht, wenn andere Auslegungsmöglichkeiten , die zumindest zur Einbeziehung eines Teils der Ausführungsbeispiele führen, zwingend ausscheiden oder wenn sich aus dem Patentanspruch hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass tatsächlich etwas beansprucht wird, das so weitgehend von der Beschreibung abweicht (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2014 - X ZR 35/11, GRUR 2015, 159 Rn. 26 - Zugriffsrechte). Werden in der Beschreibung mehrere Ausführungsbeispiele als erfindungsgemäß vorgestellt, sind die im Patentanspruch verwendeten Begriffe im Zweifel so zu verstehen, dass sämtliche Ausführungsbeispiele zu ihrer Ausfüllung herangezogen werden können.
b) Patentanspruch 1 stellt einen zusammenklappbaren Schiebewagen unter
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Schutz, der neben vorderen und hinteren Radanordnungen im Wesentlichen aus zwei oberen und zwei unteren Gestellholmen besteht, die jeweils am unteren Ende an einem Verbindungsteil angelenkt und jeweils oberhalb in einem bestimmten Abstand von dem Verbindungsteil durch ein Spreizgestänge in Gestalt eines Kreuzgestänges verbunden sind. Dabei soll das Kreuzgestänge derart ausgebildet sein, dass die oberen und unteren Holme nach dem Aufstellen des Wagengestells in die charakteristische V-Position sowohl zueinander als auch gegeneinander verbracht sind (Merkmal 6.3.2) und beim Zusammenlegen des Spreizgestänges gleichzeitig aufeinander zu verschwenken (Merkmal 6.3.3). Damit ist zwar für die oberen und unteren Holme festgelegt, dass diese beim
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Zusammenlegen gleichzeitig untereinander und gegenüber dem anderen Holmpaar aus einer V-Position aufeinander zu verschwenken. Dies gilt aber nicht für die Stützstreben des Kreuzgestänges, zu dessen Ausgestaltung Patentanspruch 1 alleine vorsieht, dass dieses jeweils mit den oberen und unteren Holmen verbunden ist und beim Zusammenlegen des Gestells ein gleichzeitiges Aufeinanderzuverschwenken der Holme bewirkt. Ob die Stützstreben des Kreuzgestänges dabei in einer oder in zwei Ebenen bewegbar sind, bleibt offen. Patentanspruch 1 erwähnt dies mit keinem Wort, und auch der Beschreibung lässt sich insoweit kein Anhalt für eine solche Konkretisierung entnehmen. In der Beschreibung wird zwar ein Kreuzgestänge erwähnt, bei dem die Streben - wie bei einem Regenschirm - durch Bewegen eines zentrischen Lagerhalters in Längsrichtung aufgestellt und zusammengefaltet werden (Abs. 9). Dabei handelt es sich aber lediglich um ein besonders vorteilhaftes Ausführungsbeispiel , das die Beschreibung auch ausdrücklich als solches kenntlich macht und das den weiter gefassten Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht zu beschränken vermag. Nichts anderes gilt für die in Unteranspruch 11 beschriebene Ausführungsform.
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Hinsichtlich der in Merkmal 6.3.3 enthaltenen Anweisung an den Fachmann, das Kreuzgestänge so auszubilden, dass die oberen und die unteren Holme beim Zusammenlegen des Spreizgestänges "gleichzeitig" aufeinander zu verschwenken, ist der Beschreibung zunächst zu entnehmen, dass ein erfindungsgemäßes Wagengestell ähnlich wie ein Schirmgestänge aufgebaut ist und aus vier Holmen besteht, die aus einer zusammengeklappten Position in eine aufgestellte Position schwenkbar sind (Abs. 7, Z. 29 bis 33). Anschließend wird aber auch die Möglichkeit erwähnt, nicht die unteren, sondern nur die oberen gegenüber den unteren Holmen in einer Weise verschwenkbar anzuordnen, dass diese aus einer zusammengeklappten Position , in der sie nahezu parallel zu den unteren Holmen verlaufen, in eine Schrägposition verbracht werden, in der das Wagengestell aufgestellt ist (Abs. 7, Z. 34 bis 41). Dies rechtfertigt den Schluss, dass an dem in Merkmal 6.3.3 vorgesehenen gleichzeitigen Aufeinanderzuverschwenken nicht zwingend sowohl die unteren als auch die oberen Gestellholme beteiligt sein müssen, sondern dass es ausreichend ist, wenn es zu einer gleichzeitigen Relativbewegung aller vier Holme komme. Ein solches Verständnis ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts mit dem Wortlaut des Patentanspruchs nicht unvereinbar, sondern entspricht einer funktionsorientierten Auslegung. Denn für das mit der patentgemäßen Lehre verfolgte Ziel, eine leichte Handhabung des Wagengestells beim Aufstellen und Zusammenklappen zu erreichen (Abs. 6), ist es unerheblich, ob sich dabei allein die oberen auf die unteren oder auch die unteren auf die oberen Holme zu bewegen. Ein solches Verständnis des "gleichzeitigen" Aufeinanderzuverschwenkens
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der oberen und unteren Holme wird, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, zusätzlich durch die Patentansprüche 6 und 7 gestützt, die Schwenklagerhalter für Stützstreben des Spreizgestänges an den unteren oder oberen Holmen vorsehen, wobei ein Schwenklagerhalterpaar an den unteren oder oberen Holmen längsverschieblich und in der Aufstellposition des Spreizgestänges arretierbar angeordnet ist. Dies erlaubt, wie das Berufungsgericht an sich nicht verkennt, ein gleichzeitiges Aufeinanderzuverschwenken der Holme durch eine Bewegung des Kreuzgestänges in einer Ebene. Weder dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 noch der Beschreibung sind Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass eine derartige Ausgestaltung von Patentanspruch 1 nicht erfasst sein soll.
c) Ein solches Verständnis des Merkmals 6.3.3 setzt sich, ohne dass es hier28 auf entscheidend ankäme, auch nicht in Widerspruch zu tragenden Erwägungen im Urteil des Senats vom 22. Mai 2012. Soweit es darin heißt, dass ein Kreuzgestänge, dessen "Holme" (Stützstreben) - wie in der französischen Patentanmeldung 2 310 910 - lediglich in einer Ebene zueinander verschwenkt werden können, nicht als ein Kreuzgestänge im Sinne der Merkmalsgruppe 6.3 angesehen werden könne, weil es nicht derart ausgebildet sei, dass beim Zusammenlegen obere und untere Holme gleichzeitig aufeinander zu verschwenkt werden können, steht dies in Einklang mit der vorstehenden Auslegung des Merkmals 6.3.3. Denn bei der in der Entgegenhaltung offenbarten Ausgestaltung sind die beiden Stützstreben (18 und 19' sowie 18' und 19) mit ihren beiden Enden allein an den oberen Holmen (14 und 14') des Gestänges angelenkt (Rn. 15 des Senatsurteils), so dass diese, wie auch das Landgericht ausgeführt hat, weder ein Aufeinanderzuverschwenken der oberen und unteren Holme bewirken können, bei dem sich beide Holmpaare bewegen, noch ein solches, bei dem sich allein das obere Holmpaar auf das untere zu bewegt. Die Bemerkung des Senats, dass das Konstruktionsprinzip des erfindungsgemäßen Wagengestelles im Wesentlichen darin liege, dass die vier Holme zum einen an demselben Verbindungsteil angelenkt seien und zum anderen untereinander durch ein als Kreuzgestänge ausgebildetes Spreizgestänge verbunden seien, so dass die oberen und die unteren Holme wie ein Regenschirm bei Aufstellen sowohl zu- als auch gegeneinander in eine V-Position gebracht und beim Zusammenlegen gleichzeitig aufeinander zu verschwenkt werden, kann zwar im Hinblick auf den (dem in den Zeichnungen dargestellten Ausführungsbeispiel der Patentschrift entlehnten) Vergleich mit dem Zusammenfalten und Öffnen eines Regenschirms für sich genommen dahin verstanden werden, dass sich die oberen und die unteren Holme beim Zusammenlegen gleichzeitig bewegen (müssen). Für die Beurteilung der beiden geltend gemachten Nichtigkeitsgründe ist dies jedoch nach den Urteilsgründen ohne Bedeutung geblieben. IV. Das Urteil des Berufungsgerichts kann danach keinen Bestand haben und
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ist aufzuheben. Der Senat kann die Sache selbst entscheiden, weil zusätzliche Feststellungen weder erforderlich noch zu erwarten sind und die Sache daher entscheidungsreif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). 1. Nach den nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts und
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des Landgerichts sind die oberen und unteren Holme durch das Kreuzgestänge derart verbunden, dass sie sich beim Zusammenlegen jeweils aufeinander zu bewegen. Zudem bewirken Verbindungsschenkel, dass auch die oberen Holme jeweils auf die unteren Holme zu schwenken, so dass eine Verschiebung auf der Längsachse bewirkt wird und ein einziger Kraftakt für das Zusammenlegen des Kinderwagens ausreicht. Wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, steht es einer wort31 sinngemäßen Verwirklichung des Merkmals 6.3.3 nicht entgegen, dass bei der angegriffenen Ausführungsform an dem Verschwenken der oberen auf die unteren Holme neben dem Kreuzgestänge zusätzliche Gestängeteile in Gestalt der Verbindungsschenkel beteiligt sind. Für ein solches Verständnis sprechen nicht nur der Wortlaut des Patentanspruchs 1, der eine solche Ausgestaltung nicht ausschließt, sondern auch die Unteransprüche 6 bis 9, die Beschreibung (Abs. 14) und dieZeichnungen (Figuren 1 bis 3), wonach das Aufeinanderzuverschwenken der Holme neben dem Kreuzgestänge (9) auch durch die Schwenklagerhalter (16a, 16b und 17a und 17b) bewirkt werden kann. Außerdem ist es für eine wortsinngemäße Verwirklichung des Merkmals 6.3.3
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unerheblich, ob die Verschwenkung der oberen auf die unteren Holme während der gesamten Zeit oder nur während eines Teils der Zeit erfolgt, in der sich die oberen und die unteren Holme jeweils aufeinander zu bewegen, weil, wie das Landgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, "gleichzeitig" im Sinne der erfindungsgemäßen Lehre nicht notwendigerweise meint, dass beim Zusammenlegen alle Verschwenkbewegungen ununterbrochen zeitlich parallel erfolgen müssen. Entscheidend ist insoweit allein, dass die Verschwenkungen durch eine Bewegung des Kreuzgestänges bzw. eine Kraftausübung des Benutzers bewirkt werden, so wie dies auch bei der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht ist. 2. Da die angegriffene Ausführungsform auch im Übrigen, wie das Landge33 richt rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, mit Patentanspruch 1 übereinstimmt, fällt der Beklagten eine Verletzung des Klagepatents zur Last. 3. Sie rechtfertigt nach den weiteren, ebenfalls rechtsfehlerfreien Ausführun34 gen des Landgerichts und den ergänzenden Ausführungen des Berufungsgerichts hierzu im zuerkannten Umfang die Klageansprüche, so dass auf die Revision das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen ist.
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V. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Gröning Grabinski Bacher Hoffmann
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 16.02.2012 - 4b O 212/09 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 08.08.2013 - I-2 U 22/12 -
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In der von der Revision angeführten Entscheidung "Spannschraube" hat der Senat ausgeführt, die Auslegung eines Merkmals habe sich entscheidend an dessen in der Patentschrift zum Ausdruck gekommenen Zweck zu orientieren (BGH, Urteil vom 2. März 1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 911 - Spannschraube). Hieraus kann nicht entnommen werden, dass im Patentanspruch enthaltene Festlegungen zur räumlich-körperlichen oder - wie hier - stofflichen Ausgestaltung eines Merkmals stets in den Hintergrund zu treten haben. Im damals entschiedenen Fall ging es vielmehr darum, dass ein bestimmter Gesichtspunkt - nämlich die Frage, in welcher Weise eine Unterlegscheibe zwischen einen Flansch und einen Schraubenkopf "eingeführt" sein muss - im Patentanspruch keine ausdrückliche Festlegung erfahren hatte. Bei dieser Ausgangslage sah es der Senat nicht als rechtsfehlerhaft an, dass das Berufungsgericht in funktionsorientierter Auslegung zu dem Ergebnis gelangt war, das Einführen müsse durch eine Linearbewegung erfolgen.
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3. Patentschutz kann entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht wegen der gewählten Befestigung der Bügel an den ketteneinwärts gerichteten Rastvorsprüngen (Merkmalsgruppen 2 und 3.4) gewährt werden. Diese Befestigungsart ist für die Verbindung der Seitenlaschen und Querstege von Basiskettengliedern aus der deutschen Offenlegungsschrift 35 31 066 bekannt. Auf diese Weise auch die rechtwinklig abgebogenen Bügel des Streitpatents zu befestigen , mag aus fachmännischer Sicht in Anbetracht der starken Kräfte, die phasenweise an neuralgischen Punkten auf die Bügel wirken, gewagt erscheinen. Die Lehre des Streitpatents nimmt dieses Risiko jedoch lediglich in Kauf; spezifische Anweisungen zu seiner Verminderung enthält die Lehre nicht. Dass insoweit eine Fehlvorstellung der Übernahme einer solchen Konstruktion entgegengestanden hätte, deren Überwindung nicht ohne erfinderisch tätig zu sein möglich war, ist nicht ersichtlich, zumal das Streitpatent Einsatzzweck und Einsatzweise der Energiezuführungskette offenlässt.
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Soweit mit der Hinzufügung eines zweiten Gelenks grundsätzlich ein gewisser Stabilitätsverlust insbesondere in der beim Einsatz im Trockenwandbau besonders heiklen Phase des Ansetzens des Geräts einhergeht, könnte die Patentfähigkeit nicht daraus hergeleitet werden, dass die Lehre des Streitpatents in der zuletzt mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung sich über diesen Nachteil hinwegsetzt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht es zur Bejahung der Patentfähigkeit nicht aus, wenn gegenüber der vorgeschlagenen Lösung zu Recht bestehende Bedenken lediglich ignoriert und mit ihr tatsächlich und vorhersehbar verbundene Nachteile einfach in Kauf genommen werden (BGH, Urteil vom 4. Juni 1996 - X ZR 49/94, BGHZ 133, 57 - Rauchgasklappe; Urteil vom 8. Januar 2008 - X ZR 104/04 Rn. 19).
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Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Durchführung dieser Anregung technische Schwierigkeiten im Wege standen. Solche könnten abstrakt daraus resultieren , dass das Programm für eine Übermittlung über ein Datennetz zu groß wird und/oder sein Ablauf auf dem Anwendercomputer zu langsam geraten könnte. Der Fachmann kann insoweit versuchen, entsprechend der Anregung in der K19 zu Anfang nicht gleich das gesamte Anwenderprogramm, sondern nur die jeweils benötigten Programmmodule über das Datennetz auf den Anwendercomputer zu laden. Darüber hinaus lässt die Beschreibung des Streitpatents solche technischen Schwierigkeiten weder erkennen, noch enthält die Lehre des Streitpatents Anweisungen, mit denen ihnen begegnet werden könnte. Vielmehr weist die Beschreibung darauf hin, dass das Anwendergrafikprogramm in einer Netzwerksprache wie Java zur Ausführung kommen kann (Beschreibung, Sp. 2 Z. 13 bis 18). Für die Kombination des Verfahrens gemäß der K5 mit einer Übermittlung des Anwenderprogramms als ein JavaApplet , wie es abstrakt in der K3 und der K19 beschrieben wird, ist deshalb auch nicht wegen damit verbundener technischer Schwierigkeiten eine erfinderische Tätigkeit zu erkennen, nachdem für deren Überwindung das Streitpatent keine Hinweise gibt.
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e) Mit einer SRI-Nachricht gemäß Merkmal 3.3 fragt die Vermittlungsstelle GMSC das Register HLR nach weiteren Routinginformationen. Um nicht (nur) die Nachricht zu erhalten, dass das angerufene Mobilgerät mit der gewählten Rufnummer sowohl in der CS-Domäne als auch in der IMS-Domäne erreichbar ist, wird ein T-CSI-Parameter im Schritt gemäß Merkmal 3.3 gesendet. Dies veranlasst das Register, eine Roaming-Nummer MSRN zu senden, an- hand deren die Vermittlungsstelle und andere Funktionseinheiten des Mobilfunknetzes eine Verbindung zu dem angerufenen Mobilfunkgerät (UE) nach standardisierten Prozeduren herstellen.
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Der gerichtliche Sachverständige hat die Mikronisierung als die nächstliegende Maßnahme zur Verbesserung der Löslichkeit und damit der Bioverfügbarkeit angesehen. Er hat insbesondere darauf hingewiesen, dass es sich um eine Maßnahme handele, die verhältnismäßig einfach und jedenfalls einfacher als die Bereitstellung einer geeigneten Salzform durchgeführt und daraufhin überprüft werden könne, ob und gegebenenfalls unter welchen Modifikationen sie sich im konkreten Fall als zielführend erweise. Danach ist aber nicht zweifelhaft, dass eine Mikronisierung des Wirkstoffs aus fachmännischer Sicht zumindest zu erwägen war. Darauf, ob die Mikronisierung für den Fachmann die "nächstliegende" Lösung des Problems war, Ebastin in hoher Bioverfügbarkeit bereitzustellen, kommt es im Ergebnis nicht an. Der Patentfähigkeit ermangelt nicht nur das nächstliegende Vorgehen, sondern jede für den Fachmann naheliegende Lösung eines technischen Problems (BGH, Urteil vom 7. Dezember 1999 - X ZR 40/95, GRUR 2000, 591, 596 - Inkrustierungsinhibitoren; vom 10. Dezember 2002 - X ZR 68/99, GRUR 2003, 317, 320 - kosmetisches Sonnenschutzmittel I). Es gibt auch keinen Rechtssatz, dass nur die Lösungsalternative, die der Fachmann voraussichtlich zunächst ausprobieren würde, naheliegend sei (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 - X ZR 25/95, bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen, BGH 1994 bis 1998, 445 - Zerstäubervorrichtung; vom 26. Juli 2001 - X ZR 93/95, Mitt. 2002, 16 - Filtereinheit). Kommen für den Fachmann Alternativen in Betracht, können somit mehrere von ihnen naheliegend sein (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 2003 - X ZR 113/00 [Flachantenne], juris Rn. 47). 4. Die von der Beklagten gegen das Naheliegen der Mikronisierung
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Beantragt hingegen der Patentinhaber, das Patent in beschränktem Umfang mit einem bestimmten Anspruchssatz oder bestimmten Anspruchssätzen aufrechtzuerhalten, so ist dieser Antrag des Patentinhabers maßgeblich. In einem solchen Fall rechtfertigt es grundsätzlich den Widerruf des Patents, wenn sich auch nur der Gegenstand eines Patentanspruchs aus dem vom Patentinhaber verteidigten Anspruchssatz als nicht patentfähig erweist (Sen.Beschl. v. 26.9.1996 - X ZB 18/95, GRUR 1997, 120, 122 - elektrisches Speicherheizgerät
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aa) Allerdings hat das Patentgericht zu Recht angenommen, dass die in dieser Entscheidung entwickelten Maßstäbe auch im Patentnichtigkeitsverfahren anwendbar sind. Beantragt der Patentinhaber im Einspruchsverfahren, das Patent in beschränktem Umfang mit einem bestimmten Anspruchssatz oder bestimmten Anspruchssätzen aufrechtzuerhalten, ist dieser Antrag des Patentinhabers maßgeblich und rechtfertigt grundsätzlich den Widerruf des Patents, wenn sich auch nur der Gegenstand eines Patentanspruchs aus dem vom Patentinhaber verteidigten Anspruchssatz als nicht patentfähig erweist (BGHZ 173, 47 Rn. 22 - Informationsübermittlungsverfahren II). Im Patentnichtigkeitsverfahren gilt Entsprechendes. Der Patentinhaber kann nach § 64 Abs. 1 PatG das Patent durch (zulässige) Änderungen der Patentansprüche beliebig beschränken , und er kann auch den vollständigen Widerruf des Patents erwirken, ohne dass es auf einen Widerrufsgrund im Sinne des § 21 Abs. 1 PatG ankäme. Die Befugnisse, die ihm § 64 Abs. 1 PatG einräumt, kann er auch im Patentnichtigkeitsverfahren wahrnehmen; die Bestimmungen des § 83 Abs. 4 und des § 116 Abs. 2 PatG legen dies zugrunde. Entspricht eine teilweise oder voll- ständige Nichtigerklärung des Streitpatents dem Antrag des Patentinhabers, kommt es mithin nicht mehr darauf an, ob ein Nichtigkeitsgrund vorliegt oder nicht.

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)