Bundesgerichtshof Urteil, 26. Aug. 2014 - X ZR 18/11

bei uns veröffentlicht am26.08.2014
vorgehend
Bundespatentgericht, 2 Ni 35/08, 04.11.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X Z R 1 8 / 1 1 Verkündet am:
26. August 2014
Beširović
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. August 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. MeierBeck
, den Richter Gröning, die Richterin Schuster, den Richter Dr. Deichfuß
und die Richterin Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Auf die Anschlussberufung wird das am 4. November 2010 verkündete Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts dahin abgeändert, dass das europäische Patent 727 281 unter Abweisung der Klage im Übrigen mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 und 2 sowie 4, soweit unmittelbar auf 1 und 2 rückbezogen, und 7, soweit unmittelbar auf 1, 2 und 4 rückbezogen, dadurch teilweise für nichtig erklärt wird, dass an die Stelle der genannten Patentansprüche die Patentansprüche 1 und 2 in der Fassung des patentgerichtlichen Urteils mit der Maßgabe treten, dass in Patentanspruch 1 die Wörter "Motorbetriebenes Schleifgerät" ersetzt werden durch "Motorbetriebenes Trockenwand-Schleifgerät" und zwischen den Wörtern "wirkgekoppelten" und "Schleifschuh" das Wort "rotierenden" eingefügt wird. Die weitergehende Anschlussberufung und die Berufung werden zurückgewiesen. Die Kosten der ersten Instanz trägt die Beklagte. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin ein Viertel und die Beklagte drei Viertel zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des am 9. Februar 1996 angemeldeten und mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 727 281 (Streitpatents), das ein motorgetriebenes Schleifgerät betrifft und 10 Patentansprüche umfasst. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache: "A motorized sander (100) of the type having a drive motor (112) mounted on a distal end (106) of a tubular wand (108), a flexible drive shaft (124) operatively coupled to the drive motor (112) and extending along the length of the tubular wand (108) and a sanding head (118) mounted by a pivotal joint to a proximal end (110) of the tubular wand (108), the sanding head (118) including a sanding pad (184) operatively coupled to the flexible drive shaft (124), which shaft (124) ensures the operative coupling at different positions of the head (118) relatively to the tubular wand (108) whereby: the pivotal joint comprising a first (132) and a second (134) flexible joint, the first joint (132) being configured to pivot about a first axis (136) which is different from a second axis (138) about which the second joint (134) pivots, such that the sanding head can pivot through several axes of rotation so that the user does not need to change positions as frequently as when using a motorized sander with a head that pivots about a single axis."
2
Wegen des Wortlauts der jeweils mittelbar oder unmittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 10 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
3
Die aus dem Streitpatent in Anspruch genommene Klägerin hat dieses mit der Nichtigkeitsklage im Umfang der Ansprüche 1, 2 und 4, soweit mittelbar oder unmittelbar auf Ansprüche 1 oder 2 rückbezogen, angegriffen und geltend gemacht, sein Gegenstand sei in diesem Umfang nicht patentfähig. Außerdem sei Anspruch 1 unzulässig erweitert und nicht so deutlich und vollständig offenbart , dass ein Fachmann die Erfindung ausführen könne.
4
Die Klägerin hat beantragt, das Streitpatent im angegriffenen Umfang für nichtig zu erklären. Die Beklagte hat die Abweisung der Klage begehrt und das Streitpatent hilfsweise in der nachstehend wiedergegebenen Fassung verteidigt , die es durch das angefochtene Urteil erhalten hat und in der Patentanspruch 1 um die Merkmale der Unteransprüche 4 und 7 ergänzt ist: "1. Motorbetriebenes Schleifgerät (100) der Art, die einen an einem distalen Ende (106) eines rohrförmigen Stabes (108) angebrachten Antriebsmotor (112), eine flexible, an den Antriebsmotor (112) wirkgekoppelte und sich entlang der Länge des rohrförmigen Stabes (108) erstreckende Antriebswelle (124) und einen über ein Schwenkverbindungsgelenk an einem proximalen Ende (110) des rohrförmigen Stabes (108) montierten Schleifkopf (118) aufweist, der einen an die flexible Antriebswelle (124) wirkgekoppelten Schleifschuh (184) umfasst , wobei die Welle (124) die Wirkkopplung bei unterschiedlichen Positionen des Kopfes (118) in Bezug auf den rohrförmigen Stab (108) gewährleistet, bei dem das Schwenkverbindungsgelenk ein erstes (132) und ein zweites (134) flexibles Gelenk umfasst, wobei das erste Gelenk (132) so ausgelegt ist, dass es um eine erste Achse (136) schwenkt, die sich von einer zweiten Achse (138), um die das zweite Gelenk (134) schwenkt, unterscheidet, sodass der Schleifkopf um mehrere Drehachsen schwenken kann, sodass der Benutzer weniger häufig seine Position ändern muss als bei der Verwendung eines motorbetriebenen Schleifgeräts mit einem um eine einzige Achse schwenkenden Kopf und bei dem der Schleifkopf (118) weiterhin eine einen Umfangsrand des Schleifschuhs (184) umgebende Haube (158) umfasst und die Haube (158) im Schleifkopf (118) mit Federn (180) montiert ist, die eine Lippe (182) der Haube (158) in einer Ebene halten, die sich über eine durch den Schleifschuh (184) gebildete Ebene hinaus- und vom Schwenkverbindungsgelenk wegerstreckt, bis die Lippe (182) zum Schwenkverbindungsgelenk hin so mit einer äußeren Kraft beaufschlagt wird, dass der Schleifschuh (184) bei Beaufschlagung mit der äußeren Kraft freigelegt wird.
2. Motorbetriebenes Schleifgerät (100) nach Anspruch 1, bei dem
a) das erste Gelenk (132) ein U-Gelenk umfasst, bei dem ein starres Rohr (140) in eine drehbare Spannzange (142) an einem U-förmigen Halteglied (144, 146) eingepasst ist, wobei die drehbare Spannzange (142) und das U-förmige Halteglied (144, 146) so ausgelegt sind, dass sie frei um die erste Achse (136) schwenken, und
b) das zweite Gelenk (134) einen zwischen offenen Armen des U-förmigen Halteglieds (144, 146) montierten ersten Stift (148) umfasst, wobei der Schleifkopf (118) so an den ersten Stift (148) gekoppelt ist, dass der Schleifkopf (118) um die zweite Achse (138) schwenkt, die sich entlang der Länge des ersten Stifts (148) erstreckt."
5
Mit ihrer Berufung, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verteidigt die Beklagte das Streitpatent nur noch beschränkt dahin, dass in Patentanspruch 1 die Wörter "Motorbetriebenes Schleifgerät" durch "Motorbetriebenes Trockenwand-Schleifgerät" ersetzt werden und zwischen den Wörtern "wirkgekoppelten" und "Schleifschuh" das Wort "rotierenden" eingefügt wird, und verfolgt ihren Klageabweisungsantrag sowie den erstinstanzlichen Hilfsantrag in diesem Umfang weiter. Die Klägerin hat Anschlussberufung eingelegt, mit der sie die Nichtigerklärung des Streitpatents auch im Umfang des erteilten Patentanspruchs 7 in Rückbezug auf Patentanspruch 4 und 1 begehrt.
6
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. S. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


7
I. 1. Das Streitpatent betrifft ein motorgetriebenes Schleifgerät mit einem Schleifkopf-Schwenkverbindungsgelenk zum Planschleifen von Wandfugen im Trockenwandbau. Solche Geräte haben der Beschreibung des Streitpatents zufolge die dafür ursprünglich eingesetzten Handschleifgeräte ersetzt. In den US-Patentschriften 4 782 632 (D2) und 5 239 783 (D1) werde, so heißt es in der Beschreibung des Weiteren, ein Schwenkmechanismus für den Schleifkopf solcher Geräte beschrieben, bei dem dieser Kopf um eine Achse schwenkbar sei. Seien Wände und Decken zu bearbeiten, müsse sich der Benutzer eines nur um eine einzige Achse schwenkbaren Geräts im Bereich der zu bearbeitenden Flächen hin- und her bewegen und oft die Körperhaltung ändern. Zur Lösung des Problems, wie der Aktionsradius des Bearbeiters aus dem Stand vergrößert werden kann, schlägt Patentanspruch 1 in der in zuletzt in erster Linie (Merkmale 1 bis 4) und hilfsweise (zusätzlich Merkmale 5 und 6) verteidigten Fassung vor: 1. ein motorgetriebenes Trockenwand-Schleifgerät mit
a) einem Antriebsmotor 112 am distalen Ende 106 eines rohrförmigen Stabs 108,
b) einer flexiblen, an den Antriebsmotor 112 wirkgekoppelten und sich entlang des Stabs 108 erstreckenden Antriebswelle 124 und
c) einem über ein Schwenkverbindungsgelenk an einem proximalen Ende 110 des rohrförmigen Stabs montierten Schleifkopf 118,
d) der einen an die flexible Antriebswelle wirkgekoppelten Schleifschuh 184 umfasst. 2. Die Welle 124 gewährleistet die Wirkkopplung bei unterschiedlichen Positionen des Kopfes 118 in Bezug auf den rohrförmigen Stab 108. 3. Das Schwenkverbindungsgelenk umfasst ein erstes und zweites flexibles Gelenk 132 und 134, wobei das erste Gelenk 132 so ausgelegt ist, dass es um eine erste Achse 136 schwenkt, die sich von einer zweiten Achse 138 unterscheidet, um die das zweite Gelenk 134 schwenkt, 4. so dass der Schleifkopf um mehrere Achsen schwenken kann und der Benutzer weniger häufig seine Position ändern muss als bei der Verwendung eines motorgetriebenen Schleifgeräts mit einem um eine einzige Achse schwenkenden Kopf. 5. Der Schleifkopf 118 des Schleifschuhs 184 umfasst eine einen Umfangsrand des Schleifschuhs umgebende Haube 158. 6. Die Haube 158 ist im Schleifkopf mit Federn 180 montiert, die eine Lippe 182 der Haube 158 in einer Ebene halten, die sich jenseits einer durch den Schleifschuh gebildeten Ebene und vom Schwenkverbindungsgelenk entfernt erstreckt, bis die Lippe zum Schwenkverbindungsgelenk hin so mit einer äußeren Kraft beaufschlagt wird, dass der Schleifschuh bei Beaufschlagung mit der äußeren Kraft freigelegt wird.
8
2. Der technische Sinngehalt des in der deutschen Übersetzung der Streitpatentschrift missverständlich übertragenen Merkmals 6 erschließt sich dem jederzeit um ein sinngebendes Verständnis von Patentansprüchen bemühten Fachmann (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 2007 - X ZR 275/02 Rn. 19) jedenfalls bei Lektüre der maßgeblichen Fassung in der Verfahrenssprache. Wenn es dort heißt, "… the shroud (158) is mounted within the sanding head (118) by springs (180) which hold a lip (182) of the shroud (158) in a plane which extends beyond a plane formed by the sanding pad (184) and away from the pivotal joint…", dann verdeutlicht die Präposition "beyond" ("jenseits" [von]), dass die Dichtlippe in ihrer Ausgangsposition auf einer Ebene jenseits - axial verschoben in Richtung weg vom Schwenkverbindungsgelenk - der Ebene des Schleifschuhs 184 angeordnet sein soll. Was damit bezweckt wird, erschließt sich aus den Erläuterungen in Absatz 51 in Verbindung mit Absatz 36 der Beschreibung und Figur 2, die sich auf die in Unteranspruch 8 unter Schutz gestellte besondere Ausführungsform beziehen, in der die Lippe eine Schürze aus Borsten 186 umfasst (vgl. Beschreibung Abs. 36 aE). Die Lippe ragt (axial) über die Ebene des Schleifschuhs hinaus, so dass die zu bearbeitende Fläche beim Aufsetzen der Maschine zuerst mit ihrer Stirnseite in Berührung kommt. Damit soll unter anderem erreicht werden, dass der Schleifkopf ohne zu verkanten parallel zu dieser Fläche aufgesetzt wird, so dass keine mondsichelförmigen Vertiefungen eingeschliffen und Verkratzungen der Oberfläche vermieden werden. Presst der Benutzer das Gerät nach dem Ansetzen der Borsten gegen die zu bearbeitende Oberfläche, weicht die Haube axial gegen den Druck der Federn 180 zurück. Soweit es in Merkmal 6 dazu heißt, dass "der Schleifschuh bei Beaufschlagung mit der äußeren Kraft freigelegt wird", ist dies aus fachlicher Sicht, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, so zu verstehen, dass die Dichtlippe so lange zurückweicht, bis schließlich der Schleifschuh mit dem an seiner Unterseite angebrachten Abrasivmaterial (Körnung) an der zu bearbeitenden Fläche anliegt. In einer Ausführungsform ohne solche Borsten würde bei dem entsprechenden Bearbeitungsvorgang zunächst die Dichtlippe selbst an der zu bearbeitenden Fläche des Werkstücks anliegen.
9
II. Das Patentgericht hat, soweit für das Berufungsverfahren noch von Bedeutung, angenommen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung zwar neu sei, weil motorgetriebenen Schleifgeräten nach D1 und D2 jeweils die Anordnung eines zweiten Gelenks im Sinne von Merkmal 3 fehle und in den übrigen Entgegenhaltungen D3 bis D7 jeweils schon keine flexiblen Antriebswellen (Teil von Merkmal 1) gezeigt würden. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei dem Fachmann - einem Techniker oder DiplomIngenieur mit Fachhochschulabschluss der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Erfahrung im Bereich der Entwicklung von motorisch betriebenen Handwerkzeugen - aber durch den Stand der Technik nahegelegt gewesen. Soweit es das in D1 und D2 fehlende, zwei flexible Gelenke umfassende Schwenkverbindungsgelenk (Element von Merkmal 3) betreffe, erkenne der Fachmann, dass die Bedienung eines motorgetriebenen Schleifgeräts erleichtert werde, wenn die Position des Schleifkopfs ohne Veränderung der Position des Bedieners in einem weiteren Bereich verändert werden könne, als es bei D1 möglich sei. Das hierfür entscheidende Bauteil sei, für den Fachmann sofort erkennbar, das Gelenk zwischen Stab und Schleifkopf. Der Fachmann werde also über eine entsprechende Verbesserung des vorbekannten, einen Freiheitsgrad aufweisenden Gelenkes nachdenken. Wenn ihn nicht allein schon sein Fachwissen dahin führe, dem vorbekannten Gelenk einen weiteren Freiheitsgrad hinzuzufügen, werde er hierzu in jedem Fall durch den Gegenstand der US-Patentschrift 5 144 774 (D5) angeregt. Wende der Fachmann die Lehre von D5 auf den Gegenstand von D1 an, gelange er in naheliegender Weise zu einem motorgetriebenen Schleifgerät mit allen Merkmalen des erteilten Anspruchs 1.
10
Im Übrigen zeigten auch die US-Patentschriften 5 205 079 (D3) und 4 685 252 (D4) prinzipiell die Verwendung von Gelenken mit zwei Freiheitsgraden bei motorgetriebenen Schleifgeräten. Es komme dabei nicht darauf an, dass das Gelenk bei den Lehren dieser Schriften im Unterschied zum Streitpatent und dem Gegenstand von D5 jeweils im Drehmomentpfad des Antriebs angeordnet sei. Im Übrigen offenbarten auch die US-Patentschriften 4 697 389 (D6) und 4 964 243 (D7) die Verwendung derartiger Gelenke, wenn auch bei handbetriebenen Schleifgeräten.
11
III. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Berufung haben keinen Erfolg.
12
1. Die am Prioritätstag um einen im Bewegungsablauf erleichterten und arbeitsökonomischen Einsatz bedachte Weiterentwicklung motorgetriebener Schleifgeräte nahm, wovon ersichtlich auch das Patentgericht ausgegangen ist, ihren Ausgangspunkt bei mit den Merkmalen von D1 und D2 ausgestatteten Schleifgeräten. D5 kam demgegenüber als Ausgangspunkt weniger in Betracht, weil der Antrieb dort am Schleifkopf angebracht ist und die damit einhergehende Gewichtsverlagerung aus fachlicher Sicht einem bedienerfreundlichen Einsatz abträglich erscheint.
13
2. Wie das Patentgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, lag es am Prioritätstag im durchschnittlichen fachmännischen Vermögen zu erkennen, dass der Aktionsradius des Benutzers eines Schleifgeräts durch Ausstattung dieses Werkzeugs mit einem über einen weiteren Freiheitsgrad verfügenden Gelenk vergrößert werden konnte, ohne dass der Benutzer sich von der Stelle bewegen musste. Das korrespondiert mit der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen, dass der Fachmann vor dem Hintergrund der im Stand der Technik bekannten Lösungen erkennen konnte, dass die Beschränkung der Beweglichkeit bei der Arbeit mit Geräten mit einachsigen Gelenken wie in D1 und D2 hinderlich war und dass dafür das (zweite) fehlende Gelenk ursächlich war. Zutreffend hat das Patentgericht es danach als dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt bewertet, ein Gelenk nach Maßgabe von Merkmal 3 vorzusehen.
14
Wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend und von der Beklagten unangegriffen ausgeführt hat, handelt es sich bei dem gemäß Merkmal 3 gestalteten Gelenk um ein Kreuzgelenk ("universal joint"), bei dem zwei Wellen U-förmige Anschlussstücke aufweisen, die mittels zweier Achsen und eines diese Achsen tragenden Mittelteils miteinander verbunden sind (Gutachten S. 18 oben). Ein solches Kreuzgelenk zeigt D4 für ein Trockenbau-Schwingschleifgerät. Dort versetzt ein am bedienerseitigen Ende einer Antriebsachse angebrachter Motor eine Welle in Drehbewegung, die über das Kreuzgelenk in den Schleifkopf übertragen wird. Das Kreuzgelenk ermöglicht es dem Benutzer, den Schleifkopf - über eine Verlängerungsstange - in allen Positionen parallel zu der zu bearbeitenden Fläche auszurichten, ohne sich von der Stelle bewegen zu müssen.
15
Das Patentgericht hat des Weiteren zu Recht angenommen, dass für das Anliegen, die Reichweite des Benutzers eines motorgetriebenen TrockenwandSchleifgeräts zu vergrößern, auch D5 eine hinreichend konkrete Anregung gab. Dort ist am Ende des dem rohrförmigen Stab 108 des Streitpatents entsprechenden Griffteils 12 ein Fassungselement (26) in Form eines Kugelsegments vorgesehen, das gelenkkapselartig mit einer an der Basis des Schleifkopfs angebrachten Kugel (40) zusammenwirkt, die von einem Element 26 teilweise übergriffen wird. Dabei ist im Interesse einer besseren Positionierung des Schleifkopfes insbesondere in Wandecken und im Übergang von Wänden und Deckenflächen auf eine stufenlose Beweglichkeit des Kugelgelenks in alle Richtungen bewusst zugunsten einer Beweglichkeit mit lediglich zwei Freiheitsgra- den verzichtet worden (vgl. D5 Sp. 3 Z. 27 ff.), indem das Element (26) mit vier halbkugelförmigen Anschlägen versehen wird, die in damit korrespondierenden Hohlkehlen der äußeren Oberfläche der Kugel (40) laufen und dadurch eine universelle Verschwenkbarkeit verhindern. Auch wenn bei D5 ein Kugelgelenk anstelle eines Kreuzgelenks vorgesehen ist, ist aus fachlicher Sicht darin das - übertragbare - Prinzip zu erkennen, dass ein Gelenk mit einem zweiten Freiheitsgrad eine komfortablere Handhabung des Schleifgeräts ermöglicht.
16
Zu Recht hat das Patentgericht ferner in den in D6 und D7 vorgeschlagenen Geräten hinreichend konkrete Anregungen für eine Ausgestaltung des Gelenks nach Merkmal 3 gesehen, auch wenn beide Entgegenhaltungen Handschleifgeräte zeigen, die mit unterschiedlichen Vorrichtungen zum Absaugen des Schleifstaubs ausgestattet sind. In beiden Schriften sind die dafür vorgesehene Haube und der darin fixierte und von Hand geführte Schleifblock relativ zu den jeweils vorgesehenen, zu einer Absaugeinheit hinführenden AbsaugAnschlussstücken verschwenkbar. Bei D6 ist die Haube mithilfe einer Y-förmigen Halteklammer, die mit einer kreuzförmigen Halteklammer zusammenwirkt, so gelagert, dass die Arbeitsfläche des Schleifblocks zum einen abgewinkelt und zum anderen in axialer Richtung gegenüber dem Absaugrohr gedreht werden kann (vgl. D6 Figuren 9, 10 und 13 sowie Beschreibung Sp. 7 Z. 31 ff.). Bei D7 sind entsprechende Bewegungsmöglichkeiten durch ein Kreuzgelenk mit um 90 Grad zueinander versetzt liegenden Achsen vorgesehen. Dass der Schleifblock in beiden Fällen selbst nicht motorgetrieben ist, ändert nichts daran, dass D6 und D7 Gelenke mit zwei Freiheitsgraden vorsehen und aus fachmännischer Sicht erkennbar ist, dass dies eine im Sinne des Streitpatents bequemere und flexiblere Handhabung der Geräte erlaubt.
17
Soweit mit der Hinzufügung eines zweiten Gelenks grundsätzlich ein gewisser Stabilitätsverlust insbesondere in der beim Einsatz im Trockenwandbau besonders heiklen Phase des Ansetzens des Geräts einhergeht, könnte die Patentfähigkeit nicht daraus hergeleitet werden, dass die Lehre des Streitpatents in der zuletzt mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung sich über diesen Nachteil hinwegsetzt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht es zur Bejahung der Patentfähigkeit nicht aus, wenn gegenüber der vorgeschlagenen Lösung zu Recht bestehende Bedenken lediglich ignoriert und mit ihr tatsächlich und vorhersehbar verbundene Nachteile einfach in Kauf genommen werden (BGH, Urteil vom 4. Juni 1996 - X ZR 49/94, BGHZ 133, 57 - Rauchgasklappe; Urteil vom 8. Januar 2008 - X ZR 104/04 Rn. 19).
18
IV. Die Anschlussberufung bleibt in der Sache, abgesehen von der weiteren Beschränkung des Streitpatents, im Ergebnis ohne Erfolg.
19
1. Das Patentgericht hat Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags im Wesentlichen mit folgender Begründung für patentfähig erachtet.
20
Die federnd gelagerte Ausbildung der Haube gemäß Merkmal 6 sei aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik weder bekannt noch angeregt. D2 führe den Fachmann nicht zu einer federnd gelagerten Ausbildung der Haube. Soweit die Klägerin für das Freilegen des Schleifschuhs eine funktionale Äquivalenz zwischen der Elastizität des elastischen Elements 19 und der federnd gelagerten Haube des Streitpatents sehe, erfüllten beide Maßnahmen zwar den gleichen Zweck, jedoch sei hierdurch keine Äquivalenz gegeben. Da in D2 die notwendige Beweglichkeit zum Freilegen des Schleifschuhs bereits mittels der Elastizität des elastischen Elements 19 erreicht werde, habe der Fachmann keinen Anlass, zusätzlich auch noch die Haube federnd zu lagern, wenn das Freilegen des Schleifschuhs bereits ohne diese Maßnahme erreicht werde.
21
2. Das greift die Anschlussberufung im Ergebnis ohne Erfolg an. Weder die vom Patentgericht gewürdigte D2, noch die in das Berufungsverfahren eingeführte britische Patentanmeldung 2 260 721 (D8) gaben aus fachmännischer Sicht eine hinreichend konkrete Anregung dafür, eine federnde Haube zur Lösung des technischen Problems vorzusehen, dem der Einsatz nach der Lehre von Patentanspruch 1 in der zuletzt hilfsweise verteidigten, um die Merkmale der Unteransprüche 4 und 7 ergänzten Fassung dient. Wie bereits ausgeführt (oben I 2) soll die Ausgestaltung nach dem erteilten Anspruch 7 (Merkmal 6 der obigen Merkmalsgliederung) ein verkantungsfreies Ansetzen des Schleifschuhs ermöglichen. Dieser soll nicht unmittelbar mit der zu bearbeitenden Fläche in Berührung kommen, sondern es soll zunächst nur die Lippe der Haube angesetzt und das Schleifgerät dadurch möglichst parallel zur zu bearbeitenden Fläche justiert werden, so dass der Schleifschuh, auf diese Weise ausgerichtet, möglichst eben auf die Wandfläche aufsetzt, wenn der Bearbeiter den Anpressruck entsprechend erhöht, und auf diese Weise das Einfräsen von unerwünschten Vertiefungen oder die Verkratzung der Wandoberfläche vermieden werden. Dafür gab D8 keine Anregung. Als besonderer Vorteil der dort gezeigten federnden Lagerung der Abdichtung wird vielmehr herausgestellt, dass die Kupplungsanordnung die Dichtung in Kontakt mit der Oberfläche des zu bearbeitenden Werkstücks hält, wenn das Werkzeug entlang dessen Form gekippt wird.
22
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
23
Die Kosten der ersten Instanz fallen der Beklagten in vollem Umfang zur Last. Die Beklagte hat das Streitpatent im Wesentlichen durch Aufnahme der Merkmale von Patentanspruch 7 in Patentanspruch 1 beschränkt verteidigt. Patentanspruch 7 war erstinstanzlich aber nicht Gegenstand der Nichtigkeitsklage. Es kann dahinstehen, ob an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fest- zuhalten ist, dass Änderungen nicht im Streit stehender Patentansprüche im Nichtigkeitsverfahren im weg der Selbstbeschränkung nicht in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2003 - X ZR 61/99 - Mikroschaber; Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 5. Aufl. Rn. 174 mwN in Fn. 11). Jedenfalls entspricht es dem Rechtsgedanken aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Klägerin vor diesem Hintergrund nicht mit Kosten zu belasten, auch wenn der mit der Anschlussberufung geführte Angriff Patentanspruch 7 nunmehr einschließt.
Meier-Beck Gröning Schuster
Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 04.11.2010 - 2 Ni 35/08 (EU) -

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

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b) Der maßgebliche Fachmann, ein Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau oder Elektrotechnik, der sich über die für die Herstellung von Zündkerzen relevante Laserschweißtechnik durch Rückfragen bei entsprechenden Fachleuten informiert, wird bestrebt sein, dem Patent einen sinnvollen Gehalt zu entnehmen. Er wird die Merkmalsgruppe 3.2 schon deshalb nicht als Be- schreibung einer gewöhnlichen Schweißnaht auffassen, weil ihm die Patentbeschreibung anhand eines Ausführungsbeispiels anschaulich schildert (Sp. 4 Z. 31-47 mit Fig. 3), wie die patentgemäße Schweißnaht erzeugt wird. Danach wird die Berührungsfläche zwischen der Unterseite der Zündspitze und der Oberseite der Mittelelektrode genügend oft Laserstrahlen mit einer Schussenergie von 2 J ausgesetzt, um die Schweißnaht zu erzeugen. Die Laserstrahlen werden in einzelnen Schüssen abgefeuert, während die zu bearbeitende Zündkerze axial gedreht wird (Bezugszeichen X in Fig. 3 des Streitpatents). Die aufeinander folgende Abgabe einzelner Laserschüsse führt dazu, dass die Legierungszone des vorhergehenden Schusses bereits erkaltet, wenn der nächste Schuss auftrifft. Daraus ergibt sich, dass die Schüsse mit einer Frequenz abgefeuert werden müssen, die diesen Erfolg, d.h. voneinander abgrenzbare Schweißpunkte infolge zwischenzeitlichen zumindest teilweisen Erkaltens des letzten Schweißpunktes vor Erzeugung des nächsten, zulassen. Im Zusammenhang mit der Erläuterung der auch in Anspruch 5 enthaltenen Parameter spricht die Streitpatentschrift außerdem von einem bevorzugt intermittierenden Laserschweißen (Sp. 2 Z. 42 f.). Dabei entsteht die patentgemäße Schweißnaht , bei der einzeln erzeugte Schweißpunkte einander überlappen. Damit entspricht die der Patentbeschreibung für das Ausführungsbeispiel zu entnehmende Schweißtechnik der vom gerichtlichen Sachverständigen als unkonventionell bezeichneten Schweißmethode, bei der in der Beschreibung erläuterten Herstellungsart allerdings mit dem Unterschied, dass nicht das Werkzeug, sondern die Zündkerze als Werkstück zwischen dem Setzen der Schweißpunkte um einen definierten Weg bewegt wird und wobei die Relation R > A ≥ R/3 eingehalten wird, um die erforderliche Festigkeit zuverlässig zu erreichen, ohne dass es zu einer vollflächigen, unnötigen Energieeinsatz erfordernden Verschweißung kommen muss (Merkmal 3.3).

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 61/99 Verkündet am:
11. November 2003
Mayer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 11. November 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis,
die Richter Prof. Dr. Jestaedt, Scharen, Keukenschrijver und Asendorf

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten, die im übrigen zurückgewiesen wird, wird das durch Beschluß vom 1. März 1999 berichtigte Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 19. November 1998 im Kostenausspruch und dadurch abgeändert, daß das europäische Patent 0 324 448 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt wird, soweit Patentanspruch 1 und in Ansehung von Patentanspruch 1 die Patentansprüche 2 bis 4, 6 und 7, soweit diese auf Patentanspruch 1 rückbezogen sind, über folgende Fassung des Patentanspruchs 1 hinausgehen: "1. Humanmedizinische Abschabungsvorrichtung zur Ausführung von Mikroabschabungen an menschlichem Gewebe, umfassend einen Griff (1) mit einem Einlaßkanal (5) und einem Auslaßkanal (6), die mit einer Öffnung (4) in Verbindung stehen, welche im Griff (1) vorgesehen ist und auf die zu behandelnde Fläche gelegt werden soll, und Mittel für die dosierte Zufuhr von abtragenden Materialien (S) in einem pneumatischen Träger aus einem mit dem Einlaßkanal (5) verbundenen Versorgungsbehälter (17) zur Öffnung (4) des Griffes (1), dadurch gekennzeichnet, daß
a) die Zuführmittel ausschließlich eine Vakuumquelle (15) umfassen, die mit dem Auslaßkanal (6) des Griffes (1) verbunden ist, um nach dichtem Verschließen der Öff- nung (4) mit der zu behandelnden Fläche die abtragenden Materialien (S) aus dem Versorgungsbehälter (17) zur Öffnung (4) im Griff zu befördern,
b) die Verbindung zwischen Versorgungsbehälter (17) und Einlaßkanal (5) des Griffes (1) derart ausgebildet ist, daß die Vakuumquelle (15) beim Verschließen der Öffnung (4) ein Ansaugen im Inneren des Versorgungsbehälters (17) erzeugt, und
c) der Versorgungsbehälter (17) einen in seinem Luftdurchtritt über eine Ventileinheit (20) regulierbaren Durchlaß (19) aufweist und ein der Vakuumquelle (15) zugeordneter Regulator (14) vorgesehen ist, über welche der Grad der auf der zu behandelnden Fläche erzeugten Mikroabschabungen verstellbar ist." Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die auf Grund übereinstimmender Erklärungen der Parteien an die Stelle der früheren Beklagten getretene jetzige Beklagte ist nach Umschreibung im Register des Deutschen Patent- und Markenamts eingetragene Inhaberin des am 11. Januar 1989 unter Inanspruchnahme der Priorität einer italienischen Patentanmeldung vom 11. Januar 1988 angemeldeten europäischen Patents 0 324 448 (Streitpatents). Das Streitpatent betrifft "Apparatus for making micro-abrasions on human tissue" (eine Vorrichtung zur Ausführung von Mikroabschabungen an menschlichem Gewebe) und umfaßt in der Fassung der neuen europäischen Patentschrift sieben Patentansprüche. Die im Berufungsverfahren allein im Streit stehenden Patentansprüche 1 bis 4, 6 und 7 lauten in der Verfahrenssprache Englisch wie folgt:
"1. Apparatus for making micro-abrasions on human tissue including a handle (1) having an inlet passage (5) and an outlet passage (6) which communicate with an aperture (4) provided in the handle (1) and intended to be positioned on the surface to be treated, and means for the metered supply of reducing substances (S) in a pneumatic carrier to the aperture of the handle (1), characterised in that the supply means comprise exclusively a vacuum source (15) connected to the outlet passage (6) of the handle (11) for drawing the reducing substances (S) from a supply container (17) connected to the inlet passage (5) towards the aperture (4) in the handle (1) as a result of the closure of the aperture (4) against the surface to be treated. 2. Apparatus according to Claim 1, characterised in that the aperture (4) of the handle (1) has a configuration which can be adapted substantially sealingly to the surface to be treated.
3. Apparatus according to Claim 2, characterised in that the aper- ture (4) is inclined at substantially 45° to the inlet passage (5) of the handle (1). 4. Apparatus according to Claim 1 or Claim 2, characterised in that said supply container (17) for the reducing substances (S) has in its base a plurality of air-intake apertures (25) with associated regulation valve means (20), and the outlet passage (6) of the handle (1) is connected to a collecting container (10) which has an outlet aperture (11) connected to a vacuum pump (15). 6. Apparatus according to Claim 3, characterised in that the supply container (17) is provided with electrical means (27) for heating the reducing substances. 7. Apparatus according to Claim 1, characterised in that the handle (1) is provided with an interchangeable head (2) which carries the aperture (4)." In der deutschen Fassung der nach Durchführung eines europäischen Einspruchsverfahrens herausgegebenen neuen europäischen Patentschrift lauten diese Patentansprüche: "1. Vorrichtung zur Ausfü[h]rung von Mikroabschabungen an menschlichem Gewebe umfassend einen Griff (1) mit einem Einlaßkanal (5) und einem Auslaßkanal (6), die mit einer Öffnung (4) in Verbindung stehen, welche im Griff (1) vorgesehen ist und auf die zu behandelnde Fläche gelegt werden soll; und Mittel für die dosierte Zuführ von abtragenden Materialien (S) in einem pneumatischen Träger zur Öffnung (4) des Griffes (1), dadurch gekennzeichnet, daß die Zuführmittel ausschließlich eine Vakuumquelle (15) umfassen, die mit dem Auslaßkanal (6) des Griffes (1) verbunden ist, um, nach dichtem Verschließen der Öffnung (4) mit der zu behandelnden Fläche, die abtragenden Materialien (S) aus einem mit dem Einlaßkanal (5) verbundenen Versorgungsbehälter (17) zur Öffnung (4) im Griff zu befördern.

2. Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Öffnung (4) des Griffes (1) so angeordnet ist, daß sie im wesentlichen dichtend der zu behandelnden Fläche angepaßt werden kann. 3. Vorrichtung nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, daß die Öffnung (4) zum Einlaßkanal (5) des Griffes (1) eine Neigung von ca. 45° aufweist. 4. Vorrichtung nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß der Versorgungsbehälter (17) für die abtragenden Materialien (S) in seinem Boden mehrere Lufteinlaßöffnungen (25) mit zugehörigen Regelventilen (20) aufweist, und der Auslaßkanal (6) des Griffes (1) mit einem Sammelbehälter (10) verbunden ist, der eine mit einer Vakuumpumpe (15) verbundene Auslaßöffnung (11) hat. 6. Vorrichtung nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, daß der Versorgungsbehälter (17) mit elektrischen Mitteln (27) zum Erhitzen der abtragenden Materialien (S) versehen ist. 7. Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß der Griff (1) mit einem austauschbaren Kopf (2) versehen ist, der die Öffnung (4) trägt." Die Klägerinnen (hinsichtlich der Klägerin zu 2 ist das Rubrum auf Grund übereinstimmender Erklärungen der Parteien gegenüber dem Urteil des Bundespatentgerichts geändert worden) haben geltend gemacht, daß das Streitpatent gegenüber dem Stand der Technik, wie ihn insbesondere die USPatentschriften 1 752 664, 2 133 149 und 3 286 406, die italienische Patentschrift 1 184 922 und die französische Patentschrift 1 136 127 bildeten, nicht patentfähig sei. Sie haben beantragt, das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte hat in erster Linie beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Bundespatentgericht hat unter Abweisung der weitergehenden Kla- ge das Streitpatent für die Bundesrepublik Deutschland im Umfang seiner Patentansprüche 1 - 4, 6 und 7 für nichtig erklärt.
Mit ihrer Berufung verteidigt die Beklagte in erster Linie das Streitpatent in der Fassung der neuen europäischen Patentschrift. Sie beantragt, das Urteil des Bundespatentgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen. Hilfsweise verteidigt sie Patentanspruch 1 des Streitpatents nunmehr in folgender Fassung , auf die sich die Patentansprüche 2 - 7 zurückbeziehen sollen:
"1. Humanmedizinische Abschabungsvorrichtung zur Ausführung von Mikroabschabungen an menschlichem Gewebe, umfassend einen Griff (1) mit einem Einlaßkanal (5) und einem Auslaßkanal (6), die mit einer Öffnung (4) in Verbindung stehen , welche im Griff (1) vorgesehen ist und auf die zu behandelnde Fläche gelegt werden soll; und Mittel für die dosierte Zufuhr von abtragenden Materialien (S) in einem pneumatischen Träger aus einem mit dem Einlaßkanal (5) verbundenen Versorgungsbehälter (17) zur Öffnung (4) des Griffes (1), dadurch gekennzeichnet, daß
a) die Zuführmittel ausschließlich eine Vakuumquelle (15) umfassen, die mit dem Auslaßkanal (6) des Griffes (1) verbunden ist, um nach dichtem Verschließen der Öffnung (4) mit der zu behandelnden Fläche die abtragenden Materialien (S) aus dem Versorgungsbehälter (17) zur Öffnung (4) im Griff zu befördern,
b) die Verbindung zwischen Versorgungsbehälter (17) und Einlaßkanal (5) des Griffes (1) derart ausgebildet ist, daß die Vakuumquelle (15) beim Verschließen der Öffnung (4) ein Ansaugen im Inneren des Versorgungsbehälters (17) erzeugt, und

c) der Versorgungsbehälter (17) einen in seinem Luftdurchtritt über eine Ventileinheit (20) regulierbaren Durchlaß (19) aufweist, womit der Grad der auf der zu behandelnden Fläche erzeugten Mikroabschabungen verstellbar ist." Weiter hilfsweise (Hilfsantrag 2) soll das kennzeichnende Merkmal c wie folgt lauten:
"c) der Versorgungsbehälter (17) einen in seinem Luftdurchtritt über eine Ventileinheit (20) regulierbaren Durchlaß (19) aufweist und ein der Vakuumquelle (15) zugeordneter Regulator (14) vorgesehen ist, über welche der Grad der auf der zu behandelnden Fläche erzeugten Mikroabschabungen verstellbar ist." Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen und hält auch die hilfsweise verteidigten Fassungen des Streitpatents nicht für schutzfähig.
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing. U. B. , Institut für Konstruktion , Mikro- und Medizintechnik der T. U. B. , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Beklagte hat ein in einem in Italien geführten, u.a. das auf die Prioritätsanmeldung zum Streitpatent erteilte italienische Patent 1 218 945 betreffenden Parallelverfahren erstelltes Gutachten von Dipl.-Ing. G. L. , Turin, nebst Ergänzung vorgelegt.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg. Sie führt unter Abänderung des angefochtenen Urteils zur Klageabweisung, soweit die Beklagte das Streitpatent mit ihrem zweiten Hilfsantrag verteidigt. Die Rückbeziehung in den angegriffenen , unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Unteransprüchen ist antragsgemäß dahin zu ändern, daß sie nunmehr den neu gefaßten Patentanspruch 1 betrifft. Hinsichtlich des im Berufungsverfahren nicht im Streit stehenden Patentanspruchs 5 war eine derartige Anpassung dagegen nicht möglich, weil Änderungen nicht im Streit stehender Patentansprüche im Nichtigkeitsverfahren auch im Weg der Selbstbeschränkung nicht in Betracht kommen (vgl. Keukenschrijver, Das Patentnichtigkeits- und Nichtigkeitsberufungsverfahren , 2003, Rdn. 133 m.N. in Fn. 346; a.A. Schulte PatG 6. Aufl. § 81 Rdn. 122).
I. 1. Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zur Ausführung von Mikroabschabungen, insbesondere für kosmetische oder therapeutische Behandlungen am menschlichen Gewebe, wie das Entfernen von Narben und Stretchmarks.
Die Beschreibung des Streitpatents schildert eine derartige Vorrichtung als aus der US-Patentschrift 1 752 664 bekannt, die einen Griff mit einem Einlaßkanal und einem Auslaßkanal aufweist, die mit einer Öffnung im Griff in Verbindung stehen und die auf die zu behandelnde Fläche gelegt werden soll, und die weiter Mittel für die dosierte Zufuhr von abtragenden Materialien zur
Grifföffnung in einem pneumatischen Träger aufweist (Beschreibung Sp. 1 Z. 7 - 15).
2. Durch das Streitpatent soll, wie die Beschreibung des Streitpatents angibt, eine einfach und billig herstellbare und effektiv arbeitende Abschabevorrichtung zur Verfügung gestellt werden.
3. Hierzu schlägt Patentanspruch 1 in der in erster Linie verteidigten Fassung der neuen europäischen Patentschrift eine Vorrichtung zur Ausführung von Mikroabschabungen an menschlichem Gewebe vor, die
(1) einen Griff umfaßt (1.1) mit einem Einlaßkanal und (1.2) einem Auslaßkanal, (2) wobei die Kanäle mit einer Öffnung im Griff in Verbindung stehen, die auf die zu behandelnde Fläche gelegt werden soll; (3) sowie Mittel für die dosierte Zufuhr von abtragenden Materialien aufweist, (3.1) wobei die Zufuhr in einem pneumatischen Träger zur Öffnung des Griffs erfolgt und (3.2) die Zuführmittel ausschließlich aus einer Vakuumquelle bestehen ("umfassen"), (3.2.1) die mit dem Auslaßkanal des Griffs verbunden ist, (3.3) und die nach dichtem Verschließen der Öffnung mit der zu behandelnden Fläche die abtragenden Materialien aus ei-
nem mit dem Einlaßkanal verbundenen Versorgungsbehälter zur Öffnung im Griff zu befördert.
4. Dabei handelt es sich bei der Angabe "zur Ausführung von Mikroabschabungen an menschlichem Gewebe" um eine Zweck- und Verwendungsangabe , die bei einem Sachpatent wie hier zunächst eine dem besseren Verständnis der Erfindung dienende Erläuterung darstellt sowie darüber hinaus die Bedeutung einer mittelbaren Umschreibung der räumlich-körperlichen Ausgestaltung der Vorrichtung in dem Sinn hat, daß die Vorrichtung für die angegebene Verwendung jedenfalls geeignet sein muß, woraus sich nähere Aufschlüsse über die konkrete Ausgestaltung, insbesondere im Sinn einer Bioverträglichkeit ergeben, wie der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung überzeugend angegeben hat.
5. Die nachstehend verkleinert wiedergegebene Figur 1 des Streitpatents zeigt eine Ausführungsform der patentgemäßen Vorrichtung:

Dabei bedeuten die Bezugszeichen 1 den schematisch dargestellten Griff, 2 dessen austauschbaren Kopf, 3 dessen Frontwand, 4 die auf die zu behandelnde Fläche aufzulegende Öffnung, 5 die Einlaßöffnung, 6 die Auslaß-
öffnung, 7 und 8 die zugehörigen Leitungen. Bezugszeichen 10 bezeichnet den Rückgewinnungsbehälter, 9 dessen Einlaßverbinder, 11 einen Auslaßverbinder mit zugeordneten Filterelementen 12, der mit der Einlaßleitung 13 verbunden ist, die wiederum über den Unterdruckmesser und -regulator 14 mit der Vakuumpumpe 15 in Verbindung steht. Die Leitung 8 ist über den Basisanschluß 16 mit dem Versorgungsbehälter 17 verbunden, in den eine Menge abtragender Materialien S eingefüllt ist. Die Einlaßleitung 18 steht mit dem Basisanschluß in Verbindung und weist an ihrem unteren Ende eine Öffnung 28 auf. An der Behälterbasis ist ein Durchlaß 19 angeordnet, der über das Ventilsystem 20, 21, 22, 23 mit der Atmosphäre in Verbindung steht und sich in den Verteiler 24 öffnet , der wiederum über Löcher 25 mit Einlaß und Filtern 26 kommuniziert. In den Behälter ist zudem ein Heizwiderstand 27 eingesetzt.
Bei Gebrauch wird der Kopf 2 nach Inbetriebnahme der Vakuumpumpe 15 auf die zu behandelnde Fläche gesetzt. Der Verschluß der Öffnung 4 schließt den Einlaßkreislauf und das an der Öffnung erzeugte Vakuum läßt die zu behandelnde Fläche an den Rändern der Öffnung anhaften. Dabei werden die im Behälter 17 befindlichen abtragenden Materialien S durch die Öffnung 28 gesogen und gelangen über die Leitung 7 zur Öffnung 4, wo sie die zu behandelnde Oberfläche abschabend überstreichen. Über den Auslaßverbinder 6 und die Leitung 8 gelangen sie sodann zu dem Behälter 10, wo sie mit den abgetragenen Partikeln gesammelt werden (Beschreibung Sp. 1 Z. 52 - Sp. 3 Z. 18).
II. Es kann dahinstehen, ob der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in der Fassung, die dieses durch das europäische Ein-
spruchsverfahren erhalten hat, neu ist, weil er jedenfalls im Sinn der Art. 52 Abs. 1, 56 EPÜ für den Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war. Dies füllt den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund des Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a EPÜ aus.
1. Für die Prüfung der Schutzfähigkeit gegenüber dem Stand der Technik gelten dabei die gleichen Grundsätze wie bei der Feststellung des Sinngehalts und bei der Auslegung des Patents im Verletzungsstreit (Sen.Urt. v. 24.9.2003 - X ZR 7/00 - blasenfreie Gummibahn I, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen; vgl. Sen.Urt. v. 7.11.2000, berichtigt durch Beschluß vom 9.1.2001 - X ZR 145/98, GRUR 2001, 232 - Brieflocher). Grundlage für die Bestimmung der danach geschützten Lehre ist das Verständnis der Patentansprüche durch den maßgeblichen Fachmann. Erscheinen - auch unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen - Formulierungen in den Patentansprüchen als mehrdeutig, ist zu ermitteln, welche Vorstellungen der Fachmann mit ihnen verbindet. Im Nichtigkeitsverfahren darf nämlich nicht etwa deshalb eine einengende Auslegung der angegriffenen Patentansprüche zugrunde gelegt werden, weil mit dieser die Schutzfähigkeit eher bejaht werden könnte (BGH - blasenfreie Gummibahn I). Dabei schränkt die bloße Angabe "zur Ausführung von Mikroabschabungen an menschlichem Gewebe" den Schutz nicht ein; auch bei der Prüfung der Rechtsbeständigkeit kann sie deshalb eine positive Beurteilung für sich allein nicht tragen. Allerdings hat sie Besonderheiten bei der Ausgestaltung der Vorrichtung zur Folge, die sie von anderen Abrasionsgeräten, etwa Sandstrahlgeräten nach der US-Patentschrift 3 286 406, unterscheiden. Weiter ist zu berücksichtigen, daß, wie der gerichtliche Sachverständige im Grundsatz übereinstimmend mit dem sachkundig be-
setzten Bundespatentgericht angegeben hat, der kosmetische und therapeutische Anwendungsbereich, auf den die Lehre des Streitpatents abzielt, Auswir- kungen auf die Qualifikation des hier einschlägigen Fachmanns hat. Im wesentlichen in Übereinstimmung mit dem gerichtlichen Sachverständigen und mit dem Bundespatentgericht sieht der Senat deshalb als maßgeblichen Fachmann einen Medizintechniker an, der auf der Grundlage eines Fachhochschulstudiums des Maschinenbaus oder der Elektrotechnik vertiefte Kenntnisse auf dem Gebiet der Medizinmechanik erworben hat, aber auch über Kenntnisse in Konstruktionslehre, Biomaterialien, Strömungstechnik und pneumatischer Förderung von Schüttgütern entweder selbst verfügt oder sich hierzu erforderlichenfalls den Rat von anderen Fachleuten einholt (vgl. hierzu Kroher in Singer /Stauder, EPÜ, 2. Aufl., Art. 56 Rdn. 135, Benkard, EPÜ, Art. 56 Rdn. 42; Schulte, PatG, 6. Aufl., § 4 Rdn. 51 ff.; Busse, PatG 6. Aufl. - im Druck -, § 4 Rdn. 154, je m.w.N.).
2. a) Aus der jedenfalls seit dem 28. Oktober 1987 und damit vor dem Prioritätstag des Streitpatents öffentlich zugänglichen italienischen Patentschrift 1 184 922 (Ginebri) ist ein Gerät zum kontrollierten Auftrag von reduzierenden Substanzen auf menschliches Gewebe zum Durchführen von Mikroabrasionen bekannt. Die nachstehend verkleinert wiedergegebene Figur 2 zeigt eine Schnittansicht eines Ausführungsbeispiels:

Das Gerät hat einen Griff 3 (Merkmal 1) mit einem Einlaßkanal 7 (Merkmal 1.1) und einem Auslaßkanal 8 (Merkmal 1.2). Die Kanäle stehen mit einer Öffnung (Fenster 38) im Griff in Verbindung, die auf die zu behandelnde Fläche gelegt werden soll (Beschreibung, deutsche Übersetzung S. 4 Z. 15 - 18; Merkmal 2). Die Ventile 32, 33, 34 stellen Mittel für die dosierte Zufuhr von abtragenden Materialien dar (Merkmal 3). Die Zufuhr erfolgt wie beim Streitpatent in einem pneumatischen Träger (Druckluft vom Kompressor 24) zur Öffnung 38 des Griffs 3 (Merkmal 3.1). Mit dem Auslaß 8 des Griffs 3 ist eine Vakuumquelle (Saugpumpe 28) verbunden (vgl. Merkmale 3.2 und 3.3). Die reduzierenden Substanzen werden unmittelbar nach der Gewebebehandlung durch die Saugpumpe 28 abgesaugt (Beschreibung, deutsche Übersetzung, S. 5 Z. 14 - 18).
Damit unterscheidet sich die Vorrichtung nach Patentanspruch 1 des Streitpatents von der vorbekannten, wie das Bundespatentgericht zutreffend festgestellt hat, dadurch, daß als Antriebsmittel für den pneumatischen Träger, d.h. im allgemeinen Luft, bei der bekannten Vorrichtung jedenfalls auch ein Drucklufterzeuger neben der Vakuumquelle, beim Streitpatent aber nur die Vakuumquelle dient (Merkmal 3.2), sowie dadurch, daß die Förderung des abtragenden Materials beim Streitpatent ebenfalls ausschließlich durch die Vakuumquelle , bei der vorbekannten Vorrichtung aber jedenfalls auch durch die Druckluft erfolgt (Merkmal 3.3). Dabei beschreiben beide Unterschiede lediglich unterschiedliche Erscheinungsformen desselben technischen Sachverhalts, nämlich das Weglassen der Druckluftquelle und die alleinige Förderung des Trägermediums mittels Unterdrucks.


b) Die ebenfalls die Behandlung der menschlichen Haut betreffende französische Patentschrift 1 136 127 (Jordana) liegt demgegenüber weiter ab; sie beschreibt lediglich eine Förderung von festen Partikeln auf die Haut mittels Druckluft ("... consistant en la projection rapide sur la peau de particules solides ... en vue d’un traitement médical. L’appareil doit être alimenté en air sous pression par un petit compresseur ... "). An verfahrensrelevanten Informationen ist ihr lediglich noch zu entnehmen, daß die Druckluft im Behälter eine Strömung erzeugt, die die Partikel mitreißt, wobei die Regelung des von der Druckerzeugungsvorrichtung ausgehenden Luftdrucks es gestattet, die Intensität des Aufschüttelns der Partikel zu verändern ("L’air sous pression … crée un courant qui entraîne les particules. Le réglage de la pression à partir de l’appareil producteur d’air comprimé permet de faire varier la force de percussion.").
3. a) Der Überschuß der Lehre des Streitpatents gegenüber diesen die Behandlung des menschlichen Körpers betreffenden Entgegenhaltungen besteht mithin in der Umsetzung der Erkenntnis, daß auf ein Antriebsmittel, und zwar auf die Druckluftförderung, verzichtet werden kann, wenn die Vakuumquelle so ausgelegt wird, daß sie die Förderleistung allein erbringen kann, d.h., daß eine Energiequelle, nämlich die Vakuumquelle, zum Betrieb der Vorrichtung ausreicht. Eine erfinderische Leistung kann hierin mit dem Bundespatentgericht nicht gesehen werden.

b) Dem Fachmann kann grundsätzlich zugetraut werden, bekannte Lösungen zu verbessern und aus dem Stand der Technik bekannte Anregungen aufzugreifen (Bernhardt/Kraßer, Lehrbuch des Patentrechts, 4. Aufl.,
S. 171 f.; Busse, § 4 PatG Rdn. 133; Benkard, EPÜ, Art. 56 Rdn. 54). So ist er bestrebt, raumsparend und kostengünstig durch Verwendung weniger Teile zu bauen (Sen.Urt. v. 24.3.1994 - X ZR 86/91, bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen, Bd. 1, 168, 173 - Einphasensynchronmotor; vgl. Schulte § 4 PatG Rdn. 122, 123) und bekannte Vorrichtungen zu vereinfachen (Sen.Urt. v. 5.3.1996 - X ZR 109/93, bei Bausch Bd. 1, 291, 296 - Sammelstation

).



c) Dem Fachmann, der ohne weiteres erkannte, daß die Vorrichtung nach der italienischen Patentschrift 1 184 922 mit ihren beiden Energiequellen Kompressor 24 und Saugpumpe 28 einen erheblichen apparativen Aufwand pflegte, mußte es sich aufdrängen, Überlegungen dahin anzustellen, ob und wie dieser Aufwand verringert werden konnte. Dabei lag es zunächst auf der Hand, Überlegungen dahin anzustellen, ob von den zwei bei der Vorrichtung nach der italienischen Patentschrift vorgesehenen Energiequellen verzichtet werden konnte. Dabei bestand für den Fachmann, wie die mündliche Verhandlung zur Überzeugung des Senats ergeben hat, jedenfalls keine ausgeprägte Präferenz dahin, auf die Saugpumpe und nicht auf den Kompressor zu verzichten. Der gerichtliche Sachverständige hat nach eingehender Erörterung in der mündlichen Verhandlung vielmehr angenommen, beim Fachmann habe eine gewisse Neigung bestanden, die Saugpumpe beizubehalten, weil sich hieraus Vorteile beim Auffangen der Schleifpartikel ergeben konnten. Selbst wenn man nicht soweit gehen wollte, war das Weglassen des Kompressors damit eine Möglichkeit, die der Fachmann bei seinen Überlegungen, die bekannte Vorrichtungen zu vereinfachen, in Betracht zog (vgl. Sen.Urt. v.
18.2.1997 - X ZR 25/95, bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsa- chen Bd. 1, 445, 452 f. - Zerstäubervorrichtung).

d) Der Fachmann hatte mithin Veranlassung, sich im Stand der Technik nach vergleichbaren Lösungen umzusehen, die das Problem der Schleifpartikelzufuhr und der Partikelabfuhr auf einfachere Weise und insbesondere mit nur einer Energiequelle lösten. Deshalb lag es für ihn auch nahe, sich auf Gebieten umzusehen oder auf diesen Gebieten kundige Fachleute zu befragen, auf denen vergleichbare Lösungen zu erwarten waren, insbesondere auf dem Gebiet des mechanischen Abschleifens mit festen Partikeln, etwa beim Sandstrahlen.
Dabei mußte er u.a. auf die US-Patentschrift 3 286 406 (Ashword) stoßen , die u.a. Vorrichtungen zum Abschleifen mit trockenen Partikeln betrifft. Diese Veröffentlichung befaßt sich ausdrücklich mit der Frage, ob auf Druckluft verzichtet werden könne, was den Vorteil geringerer Kosten habe, da teure Druckluftkompressoren entbehrlich seien (Beschreibung Sp. 1 Z. 22 - 27). Konkret beschreibt sie eine Ausführungsform, bei der eine Strahlkammer, eine mit einem Ende der Strahlkammer verbundene Lufteinlaßleitung, Mittel zum Mitreißen des Schleifmittels in der Primärluft, Öffnungen in der Wand der Kammer, die mit dem zu bearbeitenden Werkstück verschlossen werden, Mittel zum Anlegen von Unterdruck an die Kammer, um Primärluft und Schleifmittel in die Kammer zu ziehen und Luft und Schleifmittel von der Kammer abzuziehen, sowie Mittel zum Verhindern des Eintritts von Sekundärluft in die Kammer vorgesehen sind (Beschreibung Sp. 1 Z. 62 - Spalte 2 Z. 12; Übersetzung übergehender Absatz S. 2/3).

Der Fachmann konnte bereits hieraus erkennen, daß die in der USPatentschrift 3 286 406 beschriebene Vorrichtung den Betrieb der Abrasionsvorrichtung ausschließlich mittels Unterdruckerzeugung ermöglichte und eine zusätzliche Drucklufterzeugung überflüssig machte. Dabei mußte er allerdings, worauf der gerichtliche Sachverständige besonders hingewiesen hat, auch erkennen , daß es nicht genügte, den Kompressor wegzulassen, sondern daß eine verschlossene Strahlkammer erzeugt werden mußte, weil nur dadurch die Mitnahme des Schleifmittels aus dem Behälter erreicht werden konnte. Auch das lehrt indessen diese Entgegenhaltung. Wie der gerichtliche Sachverständige hierzu ausgeführt hat, wäre die Abdichtung der Strahlkammer auf der Körperoberfläche mit definierter Zuführung von Sekundärluft aus der Atmosphäre auf Grund der biomechanischen Eigenschaften der menschlichen Haut einfach realisierbar gewesen.
Allerdings sah der Fachmann zugleich, daß er die ersichtlich nicht für Anwendungen am menschlichen Körper vorgesehene Vorrichtung nach der US-Patentschrift nicht ohne weiteres für den nach dem Streitpatent vorgesehenen Zweck einsetzen konnte. Es lag auf der Hand, daß die Behandlung eines empfindlichen Organs wie der menschlichen Haut nicht ohne weiteres auf Vorrichtungen und Verfahrensweisen zurückgreifen konnte, wie sie bei der Bearbeitung von Werkstücken aus toter Materie angezeigt sein mögen. Der gerichtliche Sachverständige hat aber überzeugend ausgeführt, daß diese Anpassungen den Fachmann nicht vor Schwierigkeiten stellten, die ein erfinderisches Handeln erforderlich machten.
Daß die US-Patentschrift auch Ausführungsformen beschreibt, bei denen eine im humanmedizinischen Einsatz ungeeignete Abscheidung und Wiederverwendung des gebrauchten Schleifmittels erfolgen sollte, wie die Berufung geltend macht, stand dem nicht entgegen, wohl aber der Übernahme von Abscheidung und Wiederverwendung. Mit ihrer Verweisung auf das Ausführungsbeispiel , bei dem der Abscheider zwingend notwendig sei, verkennt die Berufung zudem, daß sich der Offenbarungsgehalt der US-Patentschrift nicht auf dieses Beispiel beschränkt. Daß ohne den Abscheider der Materialkreislauf unterbrochen werde, ist schon deshalb nicht von entscheidender Bedeutung, weil auch die Vorrichtung nach der italienischen Patentschrift ohne einen solchen Abscheider und damit ohne Materialkreislauf arbeitet. Der Fachmann erkannte somit, daß er hierauf je nach vorgesehener Anwendung verzichten konnte. Daraus folgte für ihn als weitere nahe liegende Erkenntnis, daß er die erforderliche Zufuhr von Schleifpartikeln auf andere Weise als über einen Materialkreislauf bewerkstelligen mußte. Wie dies zu bewerkstelligen ist, überläßt indessen auch Patentanspruch 1 des Streitpatents in seiner in erster Linie verteidigten Fassung dem Belieben des Fachmanns.
In der Übernahme einer Ausführung, bei der allein mit Unterdruck gefördert wird, auf die aus der italienischen Patentschrift bekannte Vorrichtung kann nach alledem eine erfinderische Leistung nicht gesehen werden. Das hat auch der gerichtliche Sachverständige so gesehen, der insoweit von einer handwerklichen Leistung spricht.
Die gegenteilige Auffassung des im Verfahren vor dem Tribunale Turin herangezogenen Sachverständigen L. beruht darauf, daß dieser davon aus-
gegangen ist, der Fachmann werde das US-Patent nicht heranziehen, weil dieses sich auf einen ganz anderen technischen Sektor beziehe (Gutachten S. 43 = Übersetzung S. 33 f., Ergänzungsgutachten Übersetzung S. 13). Sie ist daher auf der vorstehend dargestellten Grundlage nicht geeignet, die Schutzfähigkeit des Streitpatents zu stützen.
III. Die Unteransprüche 2 bis 4, 6 und 7 werden von der Beklagten, soweit sich Patentanspruch 1 nur in einer der hilfsweise verteidigten Fassungen als rechtsbeständig erweist, ersichtlich nur in Rückbeziehung auf diese verteidigt. Die Patentansprüche 2, 3, 6 und 7 weisen zudem, wie bereits das Bundespatentgericht erkannt und der gerichtliche Sachverständige auch in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Senats bestätigt hat, auch in Verbindung mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 des Streitpatents keinen erfinderischen Gehalt auf. Patentanspruch 4 weist zusätzliche Merkmale auf, die sich auch in der vom Senat als schutzfähig erachteten Fassung von Patentanspruch 1 nach dem zweiten Hilfsantrag teilweise wiederfinden.
Nach Patentanspruch 2 soll die Öffnung des Griffs so angeordnet sein, daß sie im wesentlichen dichtend der zu behandelnden Fläche angepaßt werden kann. Diese Anpassung ist bereits aus der US-Patentschrift 3 286 406 bekannt und für das Funktionieren einer ausschließlich mit Unterdruck arbeitenden Vorrichtung auch notwendig. Auch die italienische Patentschrift legt, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, die Maßnahme jedenfalls nahe.
Patentanspruch 3 bildet die Lehre des Patentanspruchs 2 weiter dahin aus, daß die Neigung der Öffnung zum Einlaßkanal des Griffs etwa 45° beträgt. Das ist, wie der gerichtliche Sachverständige in Übereinstimmung mit dem Bundespatentgericht zur Überzeugung des Senats ausgeführt hat, eine rein handwerkliche Maßnahme ohne erfinderischen Gehalt. Den Neigungswinkel, der für die vorgesehene Anwendung geeignet ist, kann der Fachmann mit wenigen orientierenden Versuchen ermitteln.
Patentanspruch 6 sieht elektrische Mittel zum Erhitzen der abtragenden Materialien im Vorratsbehälter vor. Mit dem Bundespatentgericht und dem gerichtlichen Sachverständigen sieht der Senat hierin eine Routinemaßnahme des Fachmanns ohne erfinderischen Gehalt.
Einen austauschbaren Kopf vorzusehen, wie dies Patentanspruch 7 lehrt, offenbart bereits die italienische Patentschrift (Einsatzplättchen 37; Figur 4). Der gerichtliche Sachverständige hat hierin eine Selbstverständlichkeit gesehen.
IV. 1. Patentanspruch 1 in seinen hilfsweise verteidigten Fassungen unterscheidet sich von Patentanspruch 1 in der Fassung der neuen europäischen Patentschrift zunächst dadurch, daß die Vorrichtung als "humanmedizinische Abschabungsvorrichtung" bezeichnet ist. Dies bedeutet keine sachliche Änderung gegenüber der Bezeichnung in der in erster Linie verteidigten Fassung des Patentanspruchs 1 und kann insbesondere nicht dazu führen, etwa die US-Patentschrift 3 286 406 bei der Prüfung der Patentfähigkeit außer Betracht zu lassen. Im übrigen ergeben sich folgende zusätzliche Merkmale:

(3.4) Die Verbindung zwischen Versorgungsbehälter und Einlaß- kanal ist derart ausgebildet, daß die Vakuumquelle beim Verschließen der Öffnung ein Ansaugen im Inneren des Versorgungsbehälters erzeugt,
(4) (nach dem ersten Hilfsantrag:) der Versorgungsbehälter weist einen in seinem Luftdurchtritt über eine Ventileinheit regulierbaren Durchlaß auf, womit der Grad der auf der zu behandelnden Fläche erzeugten Mikroabschabungen verstellbar ist.
(4’) (nach dem zweiten Hilfsantrag:) der Versorgungsbehälter weist einen in seinem Luftdurchtritt über eine Ventileinheit regulierbaren Durchlaß auf und es ist ein der Vakuumquelle zugeordneter Regulator vorgesehen, über welche der Grad der auf der zu behandelnden Fläche erzeugten Mikroabschabungen verstellbar ist.
Das erste dieser Merkmale (3.4) ergibt sich dabei, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, notwendig aus Merkmal (3.3) und enthält damit als bloße Wirkungsangabe diesem gegenüber keinen Überschuß.
Merkmal (4) nach dem ersten Hilfsantrag ist jedenfalls durch die ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen nicht gedeckt. Die Beklagte kann
sich deshalb auf eine derartig beschränkte Fassung des Patentanspruchs 1 nicht zurückziehen (vgl. BGHZ 21, 8, 12 - Spritzgußmaschine I). Nach ihr wären vom Patentschutz nämlich auch Fälle erfaßt, bei denen der Grad der auf der zu behandelnden Fläche erzeugten Mikroabschabungen allein durch den in seinem Luftdurchtritt über eine Ventileinheit regulierbaren Durchlaß verstellbar ist. Derartiges ist aber in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht offenbart. Dort heißt es zwar (Beschreibung S. 2):
"According to one preferred embodiment of the invention, the inlet passage of the handle is connected to a supply container fort he reducing substances which has in its base a plurality of air-intake apertures with associated regulator valve means, …" (nach der Übersetzung: "Gemäß einer bevorzugten Ausführungsform der Erfindung hat der Versorgungsbehälter für die abtragenden Materialien in seinem Boden mehrere Lufteinlaßöffnungen mit zugehörigen Regelventilen …").
Die weiteren Offenbarungsstellen machen jedoch klar, daß eine Reglung nur mittels dieser Öffnungen nicht beschrieben wird. So heißt es in der ursprünglichen Beschreibung S. 3:
"A passage 19 is situated in the base of the container 17 and communicates with the atmosphere through a valve system, generally indicated 20, including a pair of one-way valves 21, 22 supplied by a solenoid valve 23. The passage 19 opens into an annular manifold 24 formed in the base of the container 17 and communicating
with the interior thereof through a ring of axial holes 24 with associ- ated intake and shaking filters.” (Übersetzung: "An der Basis des Behälters 17 ist ein Durchlaß angeordnet, welcher über ein Ventilsystem , im allgemeinen mit 20 bezeichnet, welches ein Paar über ein Solenoid-Ventil 23 versorgte Eingangsventile 21, 22 beinhaltet, mit der Atmosphäre kommuniziert. Der Durchlaß 19 öffnet sich in einen ringförmigen, in der Basis des Behälters 17 ausgebildeten Verteiler 24, welcher mit dem Inneren des Behälters 17 über einen Ring axialer Löcher 25 mit zugeordnetem Einlaß und aufschüttelnden Filtern 26 kommuniziert.").
Weiter (Beschreibung S. 4/5):
"The degree of micro-abrasion caused on the surface under treatment is adjustable by the operation of both the regulator 14 associated with the vacuum pump 15 and the solenoid valve unit 20, whereby the flow of atmospheric air sucked into the container 17 is regulated automatically ...” (Übersetzung: "Der Grad der Mikroabschabung auf der zu behandelnden Fläche ist durch Betätigung des der Vakuumpumpe zugeordneten Regulators 14 und der SolenoidVentileinheit 20 einstellbar, wobei der Strom der in den Behälter 17 eingesogenen atmosphärischen Luft automatisch geregelt wird...".).
Hieraus ergibt sich, daß die Regulierung nur in der Weise beschrieben ist, daß sie sowohl durch den Regulator 14 und die Ventileinheit 20 erfolgt. Der gerichtliche Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung überzeugend
bestätigt, daß der Fachmann die Offenbarung der Reglung durch beide Regelungsmittel nur kumulativ versteht. Dies wird durch die ursprüngliche Beschreibung S. 5 bestätigt, wonach der Regulator 14 den Strom der eingesogenen Luft beeinflußt, während das Ventil 20 einen Unterdruck im Behälter 17 erzeugt.
Merkmal (4) in der Fassung des zweiten Hilfsantrags trägt den Offenbarungsbedenken Rechnung. Gesichtspunkte, aus denen sich ergeben könnte, daß die ihr entsprechende Anspruchsfassung nicht durch die ursprüngliche Offenbarung oder das erteilte Patent gedeckt sein könnte, haben sich nicht ergeben. Insbesondere mußte sich die Beklagte nicht auf die zumindest teilweise engere Fassung des Patentanspruchs 4 beschränken (vgl. Sen.Urt. v. 18.5.1999 - X ZR 113/96, bei Bausch aaO. Bd. 3, 180, 194 f. - Ventilbetätigungsvorrichtung

).


2. a) Patentanspruch 1 nach dem zweiten Hilfsantrag ist neu. Dies ist auch von den Klägerinnen nicht in Zweifel gezogen worden.

b) Der Senat kann nicht feststellen, daß Patentanspruch 1 in dieser Fassung durch den Stand der Technik nahegelegt ist. Das geht zu Lasten der Klägerin (vgl. nur Sen.Urt. v. 10.11.1998 - X ZR 137/94, Mitt. 1999, 362, 364 - Herzklappenprothese).
Die Maßnahme, zur Verstellbarkeit, d.h. Regulierbarkeit der Abschabungen sowohl einen der Vakuumquelle zugeordneten Regulator als auch einen regulierbaren Durchlaß des Versorgungsbehälters heranzuziehen, ist in dem dem Senat bekannt gewordenen Stand der Technik nicht beschrieben. Die Be-
fragung des gerichtlichen Sachverständigen dazu, ob es sich um eine aus dem Fachwissen und Fachkönnen naheliegende Maßnahme handelt, hat nicht zu einem eindeutigen Ergebnis zu Lasten der beklagten Patentinhaberin geführt. Der gerichtliche Sachverständige hat die Maßnahme zunächst - in einer eher spontanen Reaktion als nicht nahe liegende bezeichnet. Auch bei ins einzelne gehender Diskussion ist er zunächst bei dieser Auffassung geblieben; insbesondere hat er angegeben, eine feinfühlige Regulierung sei auch früher schon möglich gewesen; bei der zweiten Maßnahme (Regulierung des Lufteinlasses in den Vorratsbehälter) gehe es aber um die Dosierung der Zumischung. Reiche die Partikelmenge nicht aus, werde der Fachmann zunächst über die andere Regulierungsmöglichkeit Abhilfe schaffen wollen. Erst auf gezielte Befragung nach der Notwendigkeit eines Luftzutritts auf Grund der Absaugung hat der gerichtliche Sachverständige zunächst seine Auffassung in Frage gestellt und er ist nach längeren Überlegungen auf Grund der Annahme, daß der Fachmann die Bedeutung der Verwirbelung der Schleifpartikel in einem Vakuumsystem erkenne, zu dem Ergebnis gekommen, dieser werde zwei Regelsysteme vorsehen.
Dieses Ergebnis erfordert indessen, wie die Befragung des hochqualifizierten Sachverständigen eindrucksvoll belegt hat, schon für diesen einen erheblichen gedanklichen Aufwand. Umso mehr kann der Senat nicht ausschließen , daß dieser Aufwand für den deutlich geringer qualifizierten Fachmann bereits den Bereich des Erfinderischen berührte.
3. An den demnach schutzfähigen Patentanspruch 1 nach dem zweiten Hilfsantrag können sich die Patentansprüche 2 - 4, 6 und 7 mit entsprechend geänderter Rückbeziehung anschließen.
V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit §§ 91, 92, 97 ZPO. Der Senat hat schon mangels besserer Erkenntnismöglichkeiten die Obsiegens- und Unterliegensanteile auf Kläger- und Beklagtenseite als ungefähr gleich bewertet.
Melullis Jestaedt Scharen
Keukenschrijver Asendorf

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.