Bundesgerichtshof Urteil, 24. Jan. 2012 - X ZR 88/09

bei uns veröffentlicht am24.01.2012
vorgehend
Bundespatentgericht, 2 Ni 34/07, 05.03.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 88/09 Verkündet am:
24. Januar 2012
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Patentnichtigkeitsverfahren
Berichtigter Leitsatz
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Elektronenstrahltherapiesystem
EPÜ Art. 56; PatG § 4
Dass die mobile Ausgestaltung eines klinischen Geräts zur wechselnden Verwendung
in mehreren Operationssälen dem Fachmann grundsätzlich wünschenswert
erscheint, rechtfertigt für sich genommen nicht, eine solche Ausgestaltung als nahegelegt
anzusehen, wenn die im Stand der Technik verwendeten Geräte aufgrund ihres
Umfangs und Gewichts weit davon entfernt sind, eine mobile Ausgestaltung zu
erlauben, und der Stand der Technik keine Hinweise bietet, dass bestimmte technische
Veränderungen eine solche Ausgestaltung erreichbar machen könnten.
BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - X ZR 88/09 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 24. Januar 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. MeierBeck
, die Richter Gröning, Dr. Bacher, Hoffmann und die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 5. März 2009 verkündete Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert.
Das europäische Patent 0 700 578 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass in Patentanspruch 1 nach den Worten "A mobile electron beam therapy system" die Worte "which is suitable for intraoperative electron beam therapy (IOEBT)" eingefügt werden und sich die weiteren Ansprüche auf den geänderten Anspruch 1 rückbeziehen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 700 578 (Streitpatents), das am 22. Februar 1994 unter Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Priorität international angemeldet worden ist. Das Streitpatent umfasst 15 Ansprüche, von denen Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut hat: "A mobile electron beam therapy system including: a housing (18); an electron generating means (12) disposed within said housing for generating an electron beam; a linear accelerator (14, 16) positioned in the housing relative to the electron generating means (12) so that the generated electron beam exits said linear accelerator collinearly in the direction electrons travel within said accelerator ; and applicator means (19) disposed at the electron beam exit region of the housing (18) for defining the treatment field size; characterised in that the electron beam generated by the electron generating means (12) follows a straight-line path to said applicator means (19); and in that means (50) is provided for positioning the housing (18) so that the applicator means (19) directs the electron beam to a predetermined location in patient treatment."
2
Die deutsche Übersetzung des Patentanspruchs 1 in der Patentschrift lautet: "Therapiesystem mit beweglichem Elektronenstrahl, aufweisend: Ein Gehäuse (18); eine Elektronenerzeugungseinrichtung (12), die in dem Gehäuse zum Erzeugen eines Elektronenstrahls angeordnet ist; einen Linearbeschleuniger (14, 16), der in dem Gehäuse relativ zu der Elektronenerzeugungseinrichtung (12) derart angeordnet ist, dass der erzeugte Elektronenstrahl den Linearbeschleuniger kolinear in Richtung der Elektronenbahn in dem Beschleuniger verlässt; und eine Applikatoreinrichtung (19), die in dem Elektronenstrahlaustrittbe- reich des Gehäuses (18) zum Festlegen der Behandlungsfeldgröße angeordnet ist; d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t, dass der durch die Elektronenerzeugungseinrichtung (12) erzeugte Elektronenstrahl einem gradlinigen Pfad zu der Applikatoreinrichtung (19) folgt; und dass eine Einrichtung (50) zum Positionieren des Gehäuses (18) derart vorgesehen ist, dass die Applikatoreinrichtung (19) den Elektronenstrahl zu einer vorbestimmten Stelle bei der Patientenbehandlung richtet."
3
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus. Weiterhin sei die Lehre des Streitpatents nicht patentfähig, weil sie nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
4
Das Patentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
5
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die das Streitpatent in der erteilten Fassung mit der Maßgabe verteidigt, dass Patentanspruch 1 um das Merkmal ergänzt werden soll, dass das Elektronenstrahltherapiesystem für die intraoperative Elektronenstrahltherapie ausgelegt ist. Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in beschränkten Fassungen mit sechs Hilfsanträgen.
6
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Berufung - auch hinsichtlich der Hilfsanträge - zurückzuweisen.
7
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Professor N. , Technische Universität M. , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


8
Die zulässige Berufung führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage, soweit sie sich gegen das Streitpatent in seiner zuletzt verteidigten Fassung richtet.
9
I. Das Streitpatent betrifft ein mobiles Gerät zur Erzeugung eines Elektronenstrahls.
10
1. Die Beschreibung des Streitpatents bezieht sich hierbei auf Geräte , die während einer Operation in einer Klinik am Patienten für therapeutische Zwecke eingesetzt werden können. Strahlung wird genutzt, um bei Krebserkrankungen während einer Operation nach der Entfernung des Großteils eines Tumors den minimalen Rest der Erkrankung einer krebszerstörenden Strahlungsdosis auszusetzen. In früheren Behandlungsverfahren wurden hierfür Röntgenstrahlen verwendet. Neuere Therapiemethoden nutzen hochenergetische Elektronenstrahlen, von denen eine homogene Strahlungsdosis ausgeht, deren Strahlungsintensität rasch abfällt, je tiefer der Strahl in das Gewebe eindringt. Dies minimiert die Strahlung auf krebsfreies Gewebe (Streitpatent Sp. 1 Abs. 2 und 3).
11
Der Streitpatentschrift zur Folge wiegt eine Anlage, die zum Anmeldetag einer an einem solchen System interessierten Klinik angeboten wurde, 5 bis 10 Tonnen und ist mit einem Linearbeschleuniger ausgestattet, der mit 5 bis 20 MeV betrieben wird sowie entsprechend der nebenstehenden Figur 1 aus der in der Streitpatentschrift zitierten US-amerikanischen Patentschrift 4 987 309 (NK 5) in einer kranartigen Halterung ("gantry") montiert ist. Um die Strahlen senkrecht von oben auf den Patienten auftreffen zu lassen, muss dabei der Elektronenstrahl mittels eines Umlenkmagneten (11) umgelenkt werden (Streitpatent Sp. 1 Abs. 4 und 5). Wegen des hohen Gewichts eines solchen Systems und dessen noch verbleibender Streustrahlung bedarf dieses eines speziellen Operationsraums mit einer starken Strahlungsabschirmung in den Wänden und der Decke sowie einem stark belastbaren Boden. Das System kann damit nur in dem jeweiligen Operationsraum eingesetzt werden, in dem es installiert ist.
12
Das Patentgericht hat in Anlehnung an Absatz 8 der Beschreibung als Aufgabe formuliert, ein für die intraoperative Elektronenstrahltherapie verwendbares System bereitzustellen, das in einem oder mehreren existierenden chirurgischen Räumen eingesetzt werden kann, ohne dass zusätzlich eine aufwendige Strahlungsabschirmung und eine bauliche Abstützung der Operationsräume erforderlich ist. Dies nimmt die erfindungsgemäße Lösung teilweise vorweg , weil es das Lösungsmittel eines mobilen Systems zumindest andeutet, und bedarf daher der Korrektur. Das objektiv der Erfindung zugrunde liegende Problem kann dahin beschrieben werden, den Aufwand für die Abschirmung und die baustatische Verstärkung durch ein leichteres und kleineres System zu verringern, das in der Elektronenstrahltherapie intraoperativ eingesetzt werden kann.
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2. Das erfindungsgemäße Elektronenstrahltherapiesystem nach der zuletzt verteidigten Fassung des Patentanspruchs 1 lässt sich wie folgt in Merkmale gliedern (in eckigen Klammern die Gliederung des Patentgerichts): 1. Das Elektronenstrahltherapiesystem [M1], 1.1 ist mobil [M1.1] und 1.1.1 für die intraoperative Elektronenstrahltherapie ausgelegt, 1.2 weist ein Gehäuse (18) auf [M2], 1.3 ist mit einer Einrichtung (50) zum Positionieren des Gehäuses (18) versehen [aus M7]. 2. In dem Gehäuse (18) sind angeordnet [M3.1; M4.1] 2.1 eine Elektronenerzeugungseinrichtung (12) zum Erzeugen eines Elektronenstrahls [M3], 2.2 ein Linearbeschleuniger (14, 16) [M4], 2.3 eine Applikatoreinrichtung (19) [M5]. 3. Der Linearbeschleuniger ist relativ zu der Elektronenerzeugungseinrichtung (12) derart angeordnet, dass der erzeugte Elektronenstrahl den Beschleuniger kolinear in Richtung der Elektronenbahn im Beschleuniger verlässt [M4.2]. 4. Der durch die Elektronenerzeugungseinrichtung (12) erzeugte Elektronenstrahl folgt einem gradlinigen Pfad zu der Applikatoreinrichtung (19) [M6], die 4.1 im Elektronenstrahlaustrittsbereich des Gehäuses (18) zum Festlegen der Behandlungsfeldgröße angeordnet ist [M5.1] und 4.2 mittels der Einrichtung (50) zum Positionieren des Gehäuses (18) den Elektronenstrahl bei der Patientenbehandlung auf eine vorbestimmte Stelle richtet [M7].
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3. Einige Merkmale bedürfen näherer Erörterung.
15
a) Die Mobilität des Elektronenstrahlsystems gemäß Merkmal 1.1 bezieht sich auf das gesamte System. Soweit der - nicht maßgebliche - Wortlaut der deutschen Fassung von Patentanspruch 1 mit "Therapiesystem mit be- weglichem Elektronenstrahl" beginnt, handelt es sich um eine fehlerhafte Übersetzung.
16
b) Merkmal 1.1.1 setzt voraus, dass das Elektronenstrahltherapiesystem für die intraoperative Elektronenstrahltherapie geeignet sein muss.
17
Der Hinweis auf die intraoperative Elektronenstrahltherapie hebt zunächst den Zweck des erfindungsgemäßen Gegenstands hervor. Zweckangaben in einem Sachanspruch beschränken als solche dessen Gegenstand zwar regelmäßig nicht (BGH, Urteil vom 12. Juli 1990 - X ZR 121/88, BGHZ 112, 140, 155 f. - Befestigungsvorrichtung II). Die Zweckangabe ist damit aber nicht bedeutungslos. Mittelbar hat sie regelmäßig die Wirkung, den durch das Patent geschützten Gegenstand dahin zu definieren, dass er nicht nur die räumlichkörperlichen Merkmale erfüllen, sondern auch so ausgebildet sein muss, um für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendbar zu sein (BGH, Urteil vom 7. November 1978 - X ZR 58/77, GRUR 1979, 149, 151 - Schießbolzen; Urteil vom 2. Dezember 1980 - X ZR 16/79, GRUR 1981, 259, 260 - Heuwerbungsmaschine II; Urteil vom 7. Juni 2006 - X ZR 105/04, GRUR 2006, 923 Rn .15 - Luftabscheider für Milchsammelanlage; Urteil vom 28. Mai 2009 - Xa ZR 140/05, GRUR 2009, 837 Rn. 15 - Bauschalungsstütze), wie es Merkmal 1.1.1 auch mit den Worten "ist … ausgelegt" zum Ausdruck bringt.
18
Daraus folgt, dass das System die erforderliche Elektronenstrahlenergie aufbringen muss, um den Zwecken dieser Therapie genügen zu können. Zudem muss es die spezifischen Vorrichtungen aufweisen, die bei einer intraoperativen Bestrahlung mit Elektronen für die Abschirmung des Strahls und in Bezug auf die hygienischen Anforderungen bei einer Behandlung in einer offenen Operationswunde zu beachten sind.
19
c) Merkmal 3 enthält die Anweisung, wie der Linearbeschleuniger mit den Elementen 14 (prebuncher - Vorbündelungseinrichtung) und 16 (standing wave cavaties - Stehwellenhohlräume) relativ zur Elektronenerzeugungseinrichtung 12 zu positionieren ist, so dass der Elektronenstrahl den Linearbeschleuniger an seinem Ende kolinear, also entsprechend der Richtung des Strahls innerhalb des Beschleunigers verlässt.
20
Eine Fokussierung des Elektronenstrahls auf das Zentrum des Linearbeschleunigers , was nach der Beschreibung mit der Solenoid- oder Fokussierwicklung 20 bewirkt werden kann (Streitpatent, Sp. 3 Abs. 14), ist damit nicht gemeint. Die Beschreibung des Streitpatents gibt zu einer solchen, weitergehenden Auslegung keinen Anlass.
21
d) Als Applikatoreinrichtung im Sinne der Merkmale 2.3 und 4 ist ein Bauteil zu verstehen, das tubusförmig im Elektronenstrahlaustrittsbereich die Behandlungsfeldgröße für den intraoperativen Einsatz an einer offenen Operationswunde begrenzt und bestimmt, indem es mit seinem Ende in die offene Operationswunde hineingehalten werden kann.
22
Aufgrund der Definition des Gegenstands des Streitpatents als gemäß Merkmal 1.1.1 für eine intraoperative Strahlentherapie geeignete Vorrichtung kommen für die Merkmale 2.3 und 4 nur solche Applikatoreinrichtungen in Betracht , die in einer offenen Operationswunde verwendet werden können. Dabei liegt der Begrenzung des Bestrahlungsfeldes gemäß Merkmal 4.1 das Prinzip zugrunde, umliegende gesunde Körperteile vor einer Bestrahlung abzuschirmen und dabei wegen des Kontaktes mit dem inneren Körpergewebe auch hygienischen Anforderungen zu genügen. Wegen diesen Anforderungen wurden zum Zeitpunkt der Anmeldung des Streitpatents abnehmbare, tubusförmige Begrenzungen aus Metall oder Kunststoff verwendet. Dies war dem Fachmann, den das Patentgericht zutreffend als einen mit der Entwicklung von Strahlensystemen für die Medizintechnik vertrauten Diplom-Physiker definiert hat, welcher bei klinisch-medizinischen Fragestellungen einen Strahlenmediziner hinzuzieht, aus dem Stand der Technik allgemein bekannt. Der Begriff Applikatoreinrichtung hatte deshalb zu diesem Zeitpunkt für ihn die konkrete Bedeutung eines solchen , tubusförmig bis zur Operationswunde reichenden Bauteils, wie es auch in Figur 1 des Streitpatents mit dem Bezugszeichen 19 schematisch dargestellt wird.
23
II. Das Patentgericht hat angenommen, die Lehre des Streitpatents sei nicht patentfähig, weil sie nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
24
Dem Fachmann sei aus den Aufsätzen von E.L. Ginzton u.a. "History of Microwave Electron Linear Accelerators for Radiotherapy" in Int. J. Radiation Oncology Biol. Phys., Vol. 11 (1985), S. 205-216 (NK8) und "The Stanford Medical Linear Accelerator" in Stanford Medical Bulletin, Vol. 15 (1957), S. 123140 (NK9) der Stanford-Beschleuniger bekannt, welcher sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 aufweise mit Ausnahme der Mobilität des Systems (Merkmal 1.1).
25
Der Stanford-Beschleuniger sei nicht nur als Röntgenstrahlbehandlungssystem , sondern auch als reines Elektronenstrahlsystem verwendet worden. Es komme dabei nicht darauf an, ob im Stand der Technik wie beim StanfordBeschleuniger ein geringerer Spannungsbereich vorzufinden sei als nach der Lehre des Streitpatents, denn Patentanspruch 1 stelle für den Gegenstand des Streitpatents nicht auf bestimmte Spannungsbereiche ab.
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Im Stanford-Beschleuniger wirke die "beam defining unit" wie eine Applikationseinrichtung , indem diese in dem Elektronenstrahlaustrittsbereich zum Festlegen der Behandlungsfeldgröße angeordnet sei. Diese Einrichtung sei deshalb im Sinne der vom Patentanspruch beanspruchten Applikationseinrichtung (Merkmal 2.3) auszulegen.
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Der technische Überschuss der Lehre des Patentanspruchs 1 liege somit allein im Merkmal der technischen Ausgestaltung des Elektronenstrahltherapiegeräts. Es könne dahinstehen, ob der Stanford-Beschleuniger nicht bereits durch seine Aufhängung (moving mount) mobil (beweglich) ausgestaltet sei. Denn dieses Merkmal sei jedenfalls nahegelegt. Der Gegenstand des Streitpatents bestehe vorzugsweise aus zumindest teilweise kommerziell erhältlichen Einzelkomponenten, welche quasi als Katalogware baukastengleich zur fertigen Vorrichtung zusammengestellt würden. Dabei gehöre es zur stetigen technischen Weiterentwicklung, solche Komponenten kleiner und leichter auszugestalten. In dem Handbuch von S.C. Klevenhagen "Physics of Electron Beam Therapy" (NK 16) sei dazu auf Seite 11 die Anregung enthalten, moderne Einrichtungen mit stehender Welle zu nutzen, die zu einem kürzeren Aufbau führten , und damit das Elektronenstrahltherapiegerät mit einem gradlinigen Elektronenstrahlverlauf (ohne einen Ablenkmagneten) kleiner und leichter auszugestalten. Infolge eines solchen Aufbaus entspreche es dem fachmännischen Handeln , das Gerät wie bei anderen vergleichbaren medizinischen Großgeräten (z.B. einem mobilen Computertomografiegerät oder Röntgen- oder Gammabestrahlungsgerät ) mobil zu gestalten.
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III. Dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren, soweit die Beklagte das Streitpatent noch verteidigt, nicht stand.
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1. Patentanspruch 1 geht nicht über den Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus (Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG). Auch ist er in der nunmehr von der Beklagten beschränkt verteidigten Fassung hinreichend deutlich gefasst (Art. 84 Satz 2 EPÜ).
30
a) Eine unzulässige Erweiterung ergibt sich nicht aus den Merkmalen 3 und 4.
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aa) Den Inhalt der für die Frage einer unzulässigen Erweiterung maßgeblichen ursprünglichen Anmeldung bildet alles, was ihr der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik als zur angemeldeten Erfindung gehörend entnehmen kann. Eine Lehre zum technischen Handeln geht somit über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus, wenn die Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen nicht erkennen lässt, dass sie als Gegenstand von dem mit der Anmeldung verfolgten Schutzbegehren umfasst sein soll (BGH, Urteil vom 21. September 1993 - X ZR 50/91, Mitt. 1996, 204 unter 3 a - Spielfahrbahn; Beschluss vom 5. Oktober 2000 - X ZR 184/98, GRUR 2001, 140 unter II B 2 a - Zeittelegramm ). Hierfür sind nur die Anmeldungsunterlagen zu berücksichtigen, die zuerst eingereicht wurden. Im Streitfall ist die spätere Hinzufügung vom 8. August 1994 gemäß Art. 19 des Vertrages über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens (PCT) zur ursprünglichen Anmeldung vom 22. Februar 1994 (NK 6), mit der die Patentansprüche durch eine neue Fassung ersetzt wurden, für diesen Vergleich nicht zu berücksichtigen, weil es sich hierbei bereits um eine Änderung der ursprünglichen Fassung handelt , die deren ursprüngliche Priorität in Anspruch nimmt.
32
bb) Merkmal 3, das einen kolinearen Austritt des Elektronenstrahls nach Verlassen des Linearbeschleunigers vorsieht, ergibt sich aus der nachfolgenden (Figur 1 des Streitpatents entsprechenden) Figur 1 der Patentanmeldung , die einen gradlinigen Austritt des Elektronenstrahls am Ende des Linearbeschleunigers 16 zeigt, wobei die Elektronenkanone 12 und die Vorbündelungseinrichtung 14 ebenfalls geradlinig zu dieser Richtung angeordnet sind. Die Zeichnungen einer Anmeldung dienen wie der Text der Beschreibung der Erläuterung einer erfindungsgemäßen Ausführungsform und sind daher ein grundsätzlich ausreichendes Offenbarungsmittel (BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 - Xa ZR 52/08, GRUR 2010, 599 Rn. 22 - Formteil). Zudem liest der Fachmann eine solche Austrittsrichtung aus dem Linearbeschleuniger bei der Beschreibung des Streitpatents in der Patentanmeldung ohne weiteres mit, wie es die Klägerin erstinstanzlich zu Recht vorgetragen hat, denn der Elektronenstrahl kann den Beschleuniger kaum unter einem nennenswerten Winkel zur Beschleunigungsrichtung verlassen. Eine weitergehende Bedeutung kommt dem Merkmal 3 nicht zu.
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Ebenso zeigt Figur 1 der Patentanmeldung einen gradlinigen Verlauf des Elektronenstrahls bis hin zur Applikatoreinrichtung 19 entsprechend dem Merkmal 4. Insbesondere fehlt es insoweit an einem Umlenkmagneten, der dem Elektronenstrahl eine andere Richtung geben könnte. Diese damit ebenfalls aus der Zeichnung erkennbare erfindungsgemäße Ausgestaltung wird mit Merk- mal 4 zulässigerweise im Wortlaut des Patentanspruchs 1 zum Ausdruck gebracht. Entgegen der Auffassung der Klägerin unterliegt es keinen Bedenken, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in Merkmal 4 nicht gleichzeitig auf die konkrete Ausgestaltung des Elektronenstrahltherapiesystems mit einem X-Band-Mikrowellengenerator beschränkt worden ist, wie es dem Ausführungsbeispiel der Patentanmeldung entspricht, auf die sich die Figur 1 bezieht.
34
Wird eine in einem Ausführungsbeispiel gezeigte vorteilhafte Ausgestaltung zu einer Beschränkung des Gegenstands des Patentanspruchs herangezogen , ist der Anmelder nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht gezwungen, sämtliche Merkmale dieses Ausführungsbeispiels in den Patentanspruch zu übernehmen. Er kann sich vielmehr, wenn mehrere Merkmale des Ausführungsbeispiels gemeinsam, aber auch je für sich dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, darauf beschränken, einzelne dieser Merkmale in den Patentanspruch aufzunehmen. Es darf sich hieraus lediglich kein Gegenstand ergeben, den der Fachmann den Ursprungsunterlagen nicht als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann (BGH, Beschluss vom 11. September 2001 - X ZB 18/00, GRUR 2002, 49 unter II 3 b cc - Drehmomentübertragungseinrichtung ).
35
Nach diesen Grundsätzen musste im Streitfall die Schutzbeanspruchung nicht auf einen bestimmten Linearbeschleuniger beschränkt werden. Auch wenn die Patentanmeldung an verschiedenen Stellen zum Ausdruck bringt, dass ein X-Band-Generator zu bevorzugen sei, lässt die Anmeldung keinen Zweifel daran, dass die Erfindung sich auch auf Ausgestaltungen mit einem S-Band-Generator bezieht (NK 6, S. 4 Z. 16-19). Der Hinweis in der Patentanmeldung , die Verwendung eines S-Band-Generators führe zu einer Gewichtszunahme , mit der der Nutzer zurecht kommen muss (NK 6, S. 4 Z. 19-20: "… users will be forced to contend with"), eine solche Anordnung werde aber gleichwohl ihre Funktion erfüllen (NK 6, S. 4 Z. 20-21: "Yet such a unit will be functional within the hospital environment."), zeigt deutlich, dass die Verwendung eines S-Band-Generators aus der Sicht des Anmelders zwar mit Nachteilen verbunden ist, diese Verwendung aber gleichwohl von der offenbarten Erfindung erfasst sein soll. Unabhängig davon, ob aus fachmännischer Sicht das mit einem X-Band-Generator gezeigte konkrete Beispiel dahin verstanden werden kann, dass hierfür ebenso ein S-Band-Generator Verwendung finden kann, ist aus der zeichnerischen Darstellung jedenfalls der mit dem Verzicht auf einen Umlenkmagneten verbundene gradlinige Pfad zur Applikatoreinrichtung als für sich vorteilhaftes Merkmal der Erfindung erkennbar.
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b) Der mit Merkmal 1.1.1 (Ausgestaltung für den intraoperativen Einsatz ) einhergehenden Beschränkung von Patentanspruch 1 fehlt nicht die gemäß Art. 84 Satz 2 EPÜ erforderliche (BGH, Urteil vom 18. März 2010 - Xa ZR 54/06, GRUR 2010, 709 = BlPMZ 2010, 360 - Proxyserversystem) Deutlichkeit. Mit der oben zur Auslegung dieses Merkmals gefundenen Bedeutung wird dem Fachmann dessen Sinngehalt hinreichend klar. Der intraoperative Einsatz der Elektronenstrahltherapie setzt für den Fachmann klar erkennbare Bedingungen voraus, die ein solches System aufweisen muss, um hierfür in Frage zu kommen. Eine weitere Konkretisierung dieser Bedingungen ist daher nicht erforderlich.
37
2. Der Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 ist patentfähig. Neben der nicht in Zweifel gezogenen Neuheit beruht er auch auf erfinderischer Tätigkeit, denn die Lehre des Streitpatents war durch den Stand der Technik nicht nahegelegt (Art. 56 EPÜ).
38
a) Aus den Entgegenhaltungen NK8 und NK9, welche den StanfordBeschleuniger beschreiben, war dem Fachmann ein Elektronenstrahltherapie- system mit den Merkmalen 1.2 bis 2.2 sowie 3 und 4 des Patentanspruchs 1 bekannt. Nicht verwirklicht waren bei diesem System die Merkmale 1.1 (Mobilität ), 1.1.1 (Auslegung für intraoperativen Einsatz) und 2.3 (Applikatoreinrichtung ). Der Stanford-Beschleuniger war nicht mit einer Applikatoreinrichtung im Sinne eines Applikatortubus gemäß Merkmal 2.3 ausgestattet. Die "beam defining units" waren vielmehr Blenden, die weder bestimmt noch geeignet waren, bis in eine offene Operationswunde hineinzuragen.
39
b) Die erste Auflage des Handbuchs "Linear Accelerators for Radiation Therapie" von Greene aus dem Jahre 1986 (Anl. NK42 = E2) beschreibt verschiedene Elemente eines Elektronenstrahltherapiesystems und dessen Ausgestaltung, die zusammen genommen sämtliche Merkmale des Streitpatents mit Ausnahme des Merkmals 1.1 (Mobilität) erkennen lassen. Gleichwohl offenbaren sie dem Fachmann kein solches System als eine konkrete Kombination. Zwar wird ein Elektronenstrahlsystem mit einem gradlinigen Elektronenstrahlpfad ohne Umlenkmagneten dargestellt (NK42, S. 5 Abs. 2). Für diese Variante stellt das Handbuch indessen deutlich heraus, dass sie nur für das untere Ende des Energiebereichs brauchbar sei ("arrangement shown in figure 1.3(a) is only usable for linear acceleration at the lower end of the energy range" ), und genauer wird bei der Beschreibung des Behandlungskopfs auf Seite 53 ausgeführt, dass die Konfiguration nach Figur 1.3 a nur für Röntgenstrahlengeneratoren (mit festem target) und mit einer Leistung bis zu 6 MeV verwendet worden sei, was für einen intraoperativen Einsatz nicht genügt, so dass einer solchen Ausgestaltung auch das Merkmal 1.1.1 fehlt. Wählt der Fachmann hingegen anhand der NK42 eine Ausgestaltung mit höheren Elektronenenergien , die für einen intraoperativen Einsatz geeignet sind, bedarf es eines längeren Linearbeschleunigers, der aufgrund der Raumhöhen für Operationssäle nicht mehr vertikal angeordnet werden kann. Die damit erforderliche horizontale Anordnung des Linearbeschleunigers bedingt einen Umlenkmagneten, der den Elektronenstrahl vertikal auf den Patienten ausrichtet. Dieser, ebenfalls in der Entgegenhaltung dargestellten Variante fehlt das Merkmal 4 (geradliniger Elektronenstrahlpfad

).

40
c) Diese drei Anordnungen eines Elektronenstrahltherapiesystems vermittelten dem Fachmann keine Anregung, die ihn zur Lehre des Streitpatents gelangen lassen konnte. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist und weder im angefochtenen Urteil noch von der Klägerin aufgezeigt wird, was den Fachmann hätte veranlassen können, anstelle der im Prioritätszeitpunkt entwickelten und im klinischen Bereich verwendeten Elektronenbeschleunigersysteme den nahezu vierzig Jahre alten Stanford-Beschleuniger zum Ausgangspunkt seiner Bemühungen zu nehmen (s. zur Notwendigkeit dieser Prüfung BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 Rn. 51 - Olanzapin; Urteil vom 18. Juni 2009 - Xa ZR 138/05, GRUR 2009, 1039 - Fischbissanzeiger ), gaben die Beschreibungen der NK8 und NK9 zum Stanford-Beschleuniger und die Ausgestaltung eines Systems mit einem gradlinigen Elektronenstrahlpfad nach der NK42 keinen Hinweis, dass und wie das System so gestaltet werden konnte, dass die Elektronenenergie für eine intraoperative Elektronenbestrahlung genügt hätte. Umgekehrt zeigte die Beschreibung der NK42 für ein intraoperativ verwendbares System mit Umlenkmagneten nicht, wie auf eine solche Umlenkung hätte verzichtet werden können.
41
Ein solcher Hinweis ergab sich auch nicht aus der Zusammenschau mit anderen Druckschriften aus dem Stand der Technik wie dem Aufsatz von McCullough/Biggs in Radiation Oncology Physics 1986, Intraoperative Electron Beam Radiation Therapy (S. 333, Anl. P5). Darin wurde zwar ein Elektronenstrahltherapiesystem für den intraoperativen Einsatz gefordert, das ausschließlich für diese Therapie verwendet werden sowie kleiner und leichter sein sollte als bisherige Systeme, so dass es in übliche Operationssäle nachträglich instal- liert werden könnte (P5, S. 335 Abs. 4). Die Hinweise zur Realisierung dieser Anforderungen erschöpften sich aber, wie die Anhörung des Sachverständigen bestätigt hat, darin, statt einem Klystron ein Magnetron als Mikrowellengenerator zu verwenden und auf eine isozentrische Aufhängung des Linearbeschleunigers zu verzichten. Beides verringert das Gesamtgewicht des Systems und führt zu einer kompakteren Bauweise. Indessen lehrt die P5 weder, auf einen Umlenkmagneten zu verzichten und den Elektronenpfad geradlinig zu gestalten noch sich - wie hierfür nötig - mit einer Elektronenenergie von höchstens 12 bis 13 MeV zu begnügen. Damit war eine Bauweise, die ein mobiles, in mehreren Operationssälen verwendbares Gerät erlaubt hätte, nicht realisierbar.
42
Dem Fachmann war zwar bekannt, dass bisherige Elektronenstrahltherapiesysteme auf unterschiedliche Energiestufen von 6 MeV bis 18 MeV eingestellt werden können, wie es beispielsweise in den Performance Specifications für das Mevatron-ME (Anl. P2) dargestellt war. Daraus ergab sich aber keine Anregung, eine Vorrichtung auf eine Höchstenergie von etwa 12 MeV auszulegen. Auch den weiteren von den Parteien vorgelegten Druckschriften war ein Hinweis in diese Richtung nicht zu entnehmen. Ein solcher Hinweis war auch nicht aus den Anforderungen zu erwarten, die von der Strahlenmedizin für das aus Anwendersicht erforderliche Leistungsvermögen eines Geräts für die intraoperative Strahlentherapie formuliert wurden. Wie sich aus der P5, Seite 334 Abs. 2 und der Schrift von Tepper und Million, Radiation Therapy and Surgery, Cancer Treatment Symposia, 1984, Seite 111, 115 ergibt und die Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen bestätigt hat, wurde im Prioritätszeitpunkt ein System mit einer Leistung von mindestens 18 MeV erwartet, weil dies eine Anwendungstiefe von bis zu 6 cm versprach und damit die Bandbreite der Anwendungsfälle für eine intraoperative Elektronenstrahltherapie vollständig abdeckte. Zwar mag schon damals bekannt gewesen sein, dass, wie sich aus nach dem Prioritätstag erschienenen Veröffentlichungen ergibt (s. etwa Biggs, Enzyclope- dia of Medical Devices and Instrumentation, Second Edition, 2006, S. 21, Anl. P17[18]), in etwa 80 bis 90 % aller Fälle tatsächlich nur eine Elektronenenergie von bis zu 12 MeV für die Bestrahlung verwendet und benötigt wird. Solange aber kein Grund dafür erkennbar war, sich mit einer Vorrichtung zu begnügen, die nur einen, wenn auch wesentlichen Teil der üblichen (und möglicherweise künftig zu erwartenden) Einsatzmöglichkeiten eines Elektronenstrahltherapiesystems abdeckte, gab es weder für den Anwender einen Anlass, sich hiermit zu begnügen, noch bestand für den Konstrukteur Veranlassung auszuloten, ob anderweitige Vorteile, die mit einer Vorrichtung verringerter Leistungsfähigkeit verbunden waren, aus strahlenmedizinischer Sicht möglicherweise geeignet waren, den Nachteil eines in der Spitze beschränkten Leistungsspektrums auszugleichen oder jedenfalls hinnehmbar erscheinen zu lassen.
43
d) Die tatsächliche Entwicklung bestätigt, dass bis zum Prioritätstag auch bei ausschließlich für die intraoperative Elektronenstrahltherapie konzipierten Systemen an der Verwendung von Umlenkmagneten und aufwendigen und massiven Abschirmungsmaßnahmen sowohl am System selbst als auch bei den zur Aufnahme des Systems vorgesehenen Räumlichkeiten festgehalten worden ist. Belegt wird dies sowohl durch das S. -Gerät Mevatron-ME (s. Anl. P4) als auch - beispielsweise - durch die Beiträge zum 4. Internationalen IORT-Symposium 1992 in München (P10), auf dem verschiedene neuere Konzepte für speziell für die intraoperative Elektronenstrahltherapie ausgerüstete Operationssäle vorgestellt wurden.
44
e) Angesichts dieses Befundes war der Gegenstand der Erfindung auch nicht dadurch nahegelegt, dass dem Fachmann, wie der Sachverständige annimmt , bekannt gewesen sein mag, dass er mit einem X-Band-Beschleuniger die Beschleunigungsstrecke zumindest theoretisch deutlich verkürzen konnte.
Bei Green (NK42 S. 26 unten) wird die Verwendung von X-Band-Beschleunigern noch als unpraktikabel bezeichnet ("In theory the use of the higher frequency has the advantage of bringing down the dimensions of the accelerating waveguide and thus permitting the design of a more compact system. It also has the disadvantage of bringing down the dimensional tolerances by the same factor. This, plus difficulties in finding reliable microwave generators to work at the required power level, has made it impracticable to operate X Band accelerators up to the present time."). Dies bestätigt das von der Klägerin in der mündli- chen Verhandlung nicht (konkret) bestrittene Vorbringen der Beklagten, dass 6-MeV-S-Band-Beschleuniger trotz der niedrigeren Shunt-Impedanz wegen der unterschiedlichen Leistung der verfügbaren Magnetrone in der Praxis sogar deutlich kürzer als vergleichbare X-Band-Beschleuniger gewesen seien.
45
Auch wenn am Prioritätstag verbesserte Magnetrone verfügbar gewesen sein mögen - worauf zumindest die Beschreibung des Streitpatents hindeutet - und der Fachmann grundsätzlich Anlass hatte, bei der Entwicklung eines intraoperativen Bestrahlungssystems einer solchen Entwicklung Beachtung zu schenken, genügt dies nicht, um die erfindungsgemäße Lösung als nahegelegt ansehen zu können. Der Sachverständige hat unwidersprochen und einleuchtend erläutert, dass die Auslegung einer geeigneten Kombination von Linearbeschleuniger und Magnetron eine komplexe Aufgabe darstellt und nicht schlicht aus der höheren Frequenz eines X-Band-Beschleunigers auf seine bessere Eignung für den Linearbeschleuniger eines intraoperativen Bestrahlungssystems geschlossen werden kann. Es kommt hinzu, dass ein mobiles System erst dann in den Bereich des Realisierbaren geriet, wenn nicht nur der Linearbeschleuniger geeignet ausgewählt wurde und für diesen ein geeignetes Magnetron zur Verfügung stand, sondern außerdem die maximale Elektronenenergie auf deutlich weniger als 18 bis 20 MeV reduziert wurde und insofern, wie es der Sachverständige ausgedrückt hat, ein Kompromiss zwischen den Wünschen der Anwender nach einem "Allround-System" und den technischen Möglichkeiten einer mobilen Lösung eingegangen wurde. Obwohl andere Schwierigkeiten hinzugekommen sein könnten (s. die Stellungnahme des Parteigutachters Prof. M. , Anl. BP13 S. 2: "I was more concerned whether a straight through design could deliver multiple energies with sufficient stability. Up until then, all multienergy units, in my experience, used a bend magnet to help select the correct energy and to provide stable operation"), mag ein solcher Kompromiss nicht fernliegend erscheinen, wenn der Gedanke gefasst ist, dass es möglich sein könnte, die voluminösen und tonnenschweren Linearbeschleunigersysteme, die man bislang verwendet hatte, "auf Räder zu setzen". In diese Richtung wies indessen nichts, und da ohnehin ein erheblicher Aufwand zur Abschirmung erforderlich war und auch keine anderen Vorrichtungen verfügbar waren, mit denen man den Energie-Spitzenbereich, wenn nötig, erreichen konnte, gab es auch keinen Grund zu erwägen, diesen zugunsten einer mobilen Ausgestaltung des Gesamtsystems entfallen zu lassen. Soweit der gerichtliche Sachverständige dies in seinem schriftlichen Gutachten anders gesehen hat, ist diese Beurteilung vor dem Hintergrund der auch dem Urteil des Patentgerichts zugrunde liegenden unzutreffenden Prämisse zu sehen, das der Fachmann vor der Aufgabe stand, einen mobilen Linearbeschleuniger für die intraoperative Elektronenbestrahlung zur Verfügung zu stellen.
46
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es vor diesem Hintergrund auch nicht zu beanstanden, dass Patentanspruch 1 - auch in der verteidigten Fassung - den geschützten Gegenstand weder auf ein System mit X-Band-Beschleuniger beschränkt noch sonst, außer dem geradlinigen Elektronenpfad und dem damit verbundenen Verzicht auf einen Umlenkmagneten, konkrete Mittel angibt, mit denen ein mobiles System für die intraoperative Elektronenstrahltherapie erreicht werden kann. Die Ausführbarkeit der Erfindung steht nicht in Streit, und die Beschreibung gibt hierfür - was ausreicht - nähere Hin- weise. Im Übrigen gilt: Was die Klägerin als "aufgabenhafte Formulierung" des Patentanspruchs rügt, nämlich das - in der verteidigten Fassung durch die Eignung zur intraoperativen Behandlung ergänzte - Merkmal der Mobilität, bezeichnet nach dem Vorstehenden den Kern der erfindungsgemäßen Lösung, der es gelungen ist, einen Weg zur Bereitstellung eines mobilen Systems aufzuzeigen. Angesichts dessen liegt kein Fall vor, in dem es geboten wäre, den geschützten Gegenstand auf die konkret offenbarte Ausführungsform eines solchen mobilen Systems zu beschränken (s. dazu BGH, Urteil vom 25. Februar 2010 - Xa ZR 100/05, BGHZ 184, 300 - Thermoplastische Zusammensetzung).
47
3. Die Patentfähigkeit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 begründet ebenso die Rechtsbeständigkeit der von diesem abgeleiteten Unteransprüche 2 bis 12, soweit sie sich auf die von der Beklagten beschränkt verteidigten Fassung des Patentanspruchs 1 rückbeziehen. Ebenso begründet sie die Rechtsbeständigkeit der Nebenansprüche 14 und 15, zu denen ein den Ansprüchen 1 bis 13 entsprechendes Elektronenstrahltherapiesystem gehört.
48
IV. Die Kosten des Rechtsstreits sind der Klägerin gemäß § 121 Abs. 2 PatG, § 91 Abs. 1 ZPO, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO aufzuerlegen.
Meier-Beck Richter am Bundesgerichtshof Bacher Gröning kann wegen Urlaubs nicht unterschreiben. Meier-Beck Hoffmann Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 05.03.2009 - 2 Ni 34/07 (EU) -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

Patentgesetz - PatG | § 4


Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Gehören zum Stand der Technik auch Unterlagen im Sinne des § 3 Abs. 2, so werden diese

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 89/07 Verkündetam: 16. Dezember 2008 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR:

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Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Gehören zum Stand der Technik auch Unterlagen im Sinne des § 3 Abs. 2, so werden diese bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht gezogen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 105/04 Verkündet am:
7. Juni 2006
Potsch
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: nein
Luftabscheider für Milchsammelanlage
PatG (1981) § 9
Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben können als Bestandteile eines Patentanspruchs
an dessen Aufgabe teilnehmen, den geschützten Gegenstand gegenüber
dem Stand der Technik abzugrenzen, wenn sie das Vorrichtungselement, auf das sie
sich beziehen, als ein solches definieren, das so ausgebildet sein muss, dass es die
betreffende Funktion erfüllen kann. (Fortführung von BGHZ 112, 140, 155 f.
- Befestigungsvorrichtung II; Sen.Urt. v. 07.11.1978 - X ZR 58/77, GRUR 1979, 149,
151 - Schießbolzen).
PatG (1981) § 139; GebrMG § 24; BGB § 242 Cd
Im Verhältnis der an einem Verletzungsstreit beteiligten Parteien gelten die allgemeinen
Grundsätze des Verbots treuwidrigen Handelns. Erklärungen, die eine der Parteien
im patentrechtlichen Einspruchs- oder gebrauchsmusterrechtlichen Löschungsverfahren
gegenüber der anderen Partei abgibt, sind nicht nur dann unter dem Aspekt
von Treu und Glauben relevant, wenn sie in der Entscheidung im Einspruchsoder
Löschungsverfahren dokumentiert sind. Vielmehr ist die Feststellung des Erklärungstatbestands
in gleicher Weise auch durch andere Beweismittel möglich. (Fortführung
von Sen.Urt. v. 05.06.1997 - X ZR 73/95, NJW 1997, 3377
- Weichvorrichtung II u. Sen.Urt. v. 20.04.1993 - X ZR 6/91, GRUR 1993, 886
- Weichvorrichtung I)
BGH, Urt. v. 7. Juni 2006 - X ZR 105/04 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. Juni 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den
Richter Scharen, die Richterin Mühlens und die Richter Asendorf und
Dr. Kirchhoff

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 24. Juni 2004 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin ist Inhaberin des deutschen Patents 196 20 510, das einen Luftabscheider für eine Milchsammelanlage betrifft, sowie des parallelen deutschen Gebrauchsmusters 296 23 713. Das Klagepatent ist in Kraft, das Klagegebrauchsmuster ist am 22. Mai 2006 abgelaufen. Aus dem Klagepatent nimmt die Klägerin die Beklagten auf Unterlassung, Rechnungslegung, Vernichtung der angegriffenen Erzeugnisse und Schadensersatz in Anspruch; außerdem begehrt sie von der Beklagten zu 1 eine angemessene Nutzungsentschädigung. Die Schadensersatz- und Rechnungslegungsansprüche stützt sie für die Zeit bis zum 22. Mai 2006 auch auf das Klagegebrauchsmuster.
2
Anspruch 1 des Klagepatents in der erteilten und Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters in der ursprünglich eingetragenen und jeweils vor dem Landgericht geltend gemachten Fassung lauten übereinstimmend wie folgt: "Luftabscheider für eine einen Sammeltank aufweisende Milchsammelanlage , bestehend aus einem über eine Leitung (2 a, 2 b) von einer Vakuumpumpe (3) mit Unterdruck beaufschlagbaren Luftabscheidebehälter (1), in dessen oberen Bereich eine Saugleitung (4) für die von einem Lieferanten anzunehmende Milch einmündet und von dessen unterem Bereich eine eine gegen den Unterdruck der Vakuumpumpe (3) arbeitende Förderpumpe aufweisende Förderleitung (6) ausgeht, die in den Sammeltank mündet, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass in der Leitung (2 a, 2 b) zwischen dem Luftabscheidebehälter (1) und der Vakuumpumpe (3) ein Schaumsammelbehälter (7) angeordnet ist, von dessen un- terem Bereich eine zum Luftabscheidebehälter (1) führende, absperrbare Rücklaufleitung (8) ausgeht, und dass die vom Luftabscheidebehälter (1) ausgehende und zur Vakuumpumpe (3) führende Leitung (2 a, 2 b) mit ihrem ersten Leitungsabschnitt (2 a) in den oberen Bereich des Schaumsammelbehälters (7) einmündet, wobei an dem Schaumsammelbehälter (7) eine Belüftung (12) zum Abbau des im Schaumsammelbehälter (7) herrschenden Unterdrucks angeschlossen ist."
3
Im Löschungsverfahren wurde das Klagegebrauchsmuster in der Weise teilweise gelöscht, dass im kennzeichnenden Teil des Schutzanspruchs 1 zwischen den Worten "ein" und "Schaumsammelbehälter" das Wort "einziger" eingefügt wurde.
4
Durch rechtskräftiges Urteil des Bundespatentgerichts vom 5. März 2002 ist das Klagepatent für nichtig erklärt worden, soweit Patentanspruch 1 über eine Fassung hinausgeht, in welcher der kennzeichnende Teil bei unverändert gebliebenem Oberbegriff (ohne Bezugszeichen, Änderungen gegenüber der erteilten Fassung kursiv) lautet: "…, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass in der Leitung zwischen dem Luftabscheidebehälter und der Vakuumpumpe ein Schaumsammelbehälter angeordnet ist, von dessen unterem Bereich eine zum Luftabscheidebehälter führende, durch ein Ventil absperrbare Rücklaufleitung ausgeht, die den Leitungsabschnitt zwischen dem Luftabscheidebehälter und dem Schaumsammelbehälter überbrückt, und dass in dem Leitungsabschnitt zwischen dem Luftabscheidebehälter und dem Schaumsammelbehälter ein umgekehrt zum Ventil in der Rücklaufleitung wirkendes Ventil angeordnet ist, und dass die vom Luftabscheidebehälter ausgehende und zur Vakuumpumpe führende Leitung mit ihrem ersten Leitungsabschnitt in den oberen Bereich des Schaumsammelbehälters einmündet, wobei an dem Schaumsammelbehälter eine Belüftung zum Abbau des im Schaumsammelbehälter herrschenden Unterdrucks angeschlossen ist."
5
Die nachstehenden Fig. 1 und 2 zeigen ein Ausführungsbeispiel der Erfindung. Sie sind sowohl in der Klagegebrauchsmuster- als auch in der Klagepatentschrift enthalten. In Fig. 1 ist der erfindungsgemäße Luftabscheider bei der Milchannahme dargestellt, wie er Milchschaum aus dem Luftabscheidebehälter absaugt, in Fig. 2 dagegen während der Rückförderung des zur Milch rückverflüssigten Schaums aus dem Schaumsammel- in den Luftabscheidebehälter.
6
Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer die Beklagten zu 2 und 3 sind, stellt her und vertreibt Luftabscheider für Milchsammelanlagen, deren Funktionsweise aus nachstehender Prinzipzeichnung ersichtlich ist.


7
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Diese Verurteilung hat das Berufungsgericht auf Antrag der Klägerin nach Maßgabe der im Nichtigkeits- bzw. im Löschungsverfahren aufrechterhaltenen Fassung der Klageschutzrechte bestätigt. Hiergegen wendet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten, der die Klägerin entgegentritt.

Entscheidungsgründe:


8
Die Revision erweist sich als begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens.
9
I. 1. Das Berufungsgericht nimmt eine wortsinngemäße Verletzung des Klagepatents an. Dabei geht es von folgenden Erwägungen aus:
10
Mit Luftabscheidern ausgerüstete Lastkraftwagen holen Milch von verschiedenen Erzeugern ab und sammeln sie in einem Sammeltank, um sie zur Molkerei zu fahren. Luftabscheider sollen die Milch von der insbesondere gegen Ende des Annahmevorgangs beim Ansaugen zwangsläufig mit aufgenommenen und zu Schaumbildungen führenden Luft trennen. Zum Absaugen des Schaums wird über eine Vakuumpumpe Unterdruck erzeugt. Das Berufungsgericht erkennt die technische Aufgabe der Erfindung darin, den Luftabscheider so zu verbessern, dass der rückverflüssigte Milchschaum der volumetrischen Messung zugänglich gemacht und die Vakuumpumpe vor dem Ansaugen von Milchschaum geschützt werde. Patentanspruch 1 (in der Fassung des Nichtigkeitsurteils ) sehe zur Lösung dieser Aufgabe einen Luftabscheider mit folgenden Merkmalen vor: 1. Der Luftabscheider besteht aus einem über eine Leitung von einer Vakuumpumpe mit Unterdruck beaufschlagbaren Luftabscheidebehälter; 1.1 im oberen Bereich des Luftabscheidebehälters mündet eine Saugleitung für die von einem Lieferanten anzunehmende Milch ein; 1.2 vom unteren Bereich des Luftabscheidebehälters geht eine eine gegen den Unterdruck der Vakuumpumpe arbeitende Förderpumpe aufweisende Förderleitung aus; 1.2.1 die Förderleitung mündet in den Sammeltank; 2. in der Leitung zwischen dem Luftabscheidebehälter und der Vakuumpumpe ist ein einziger Schaumsammelbehälter angeordnet; 2.1 vom unteren Bereich des Schaumsammelbehälters geht eine zum Luftabscheidebehälter führende, absperrbare Rücklaufleitung aus; 2.1.1 die Rücklaufleitung ist durch ein Ventil absperrbar und 2.1.2 überbrückt den Leitungsabschnitt zwischen dem Luftabscheidebehälter und dem Schaumsammelbehälter; 2.2 in dem Leitungsabschnitt zwischen dem Luftabscheidebehälter und dem Schaumsammelbehälter ist ein umgekehrt zum Ventil in der Rücklaufleitung wirkendes Ventil angeordnet ; 2.3 die vom Luftabscheidebehälter ausgehende zur Vakuumpumpe führende Leitung mündet mit ihrem ersten Leitungsabschnitt in den oberen Bereich des Schaumsammelbehälters ein; 2.4 an dem Schaumsammelbehälter ist eine Belüftung zum Abbau des im Schaumsammelbehälter herrschenden Unterdrucks angeschlossen.
11
Das Berufungsgericht sieht den Kern der Erfindung in den Merkmalen 2.1.1, 2.1.2 und 2.2, und zwar in dem gegenläufigen Wirken der Ventile in der Vakuumleitung (9) und der Rücklaufleitung (10). Zur Vakuumbeaufschlagung (Absaugen von Schaum) werde die Vakuumleitung geöffnet und die Rücklaufleitung geschlossen, während zum Entleeren des Schaumsammelbehälters umgekehrt die Rücklaufleitung geöffnet und die Vakuumleitung geschlossen werde. Auf diese Weise werde beim Belüften des Schaumsammelbehälters mittels der Belüftung (12) (vgl. Merkmal 2.4) ein Druckgefälle erzeugt. Denn der Luftabscheidebehälter stehe weiterhin unter Unterdruck, der weder durch die abgesperrte Vakuumleitung noch durch die geöffnete Rücklaufleitung entweichen könne. Das Entweichen des Unterdrucks verhindere die vor der Einmündung der Rücklaufleitung im Schaumsammelbehälter anstehende Milch. Sie schließe aus, dass die in den Schaumsammelbehälter über die Belüftung (12) eingeströmte Luft in den Luftabscheidebehälter gelangen könne. Aufgrund der Druckdifferenz werde die wieder verflüssigte Milch durch die Rücklaufleitung vom Schaumsammelbehälter in den Luftabscheidebehälter gesaugt. Das Berufungsgericht bemerkt, dass man bei dieser Betriebsweise zur Milchrückführung keine Schwerkraftwirkung benötige und den Schaumsammelbehälter nicht gegenüber dem Luftabscheidebehälter höher anordnen müsse. Dies schließe jedoch nicht aus, dass die zurückgesaugte Milch auf dem Weg vom Schaumsammel - in den Luftabscheidebehälter gleichzeitig auch ein Höhengefälle zurücklege.
12
Nach Auffassung des Berufungsgerichts kommt es für das Merkmal 2.2 allein darauf an, ob in der Unterdruck- und in der Rücklaufleitung jeweils gegenläufig einstellbare Ventile vorhanden sind. Das Klagepatent stelle es in das Belieben des Fachmanns, welche Ventile er für dieses gegenläufige Öffnen und Schließen verwende; sie müssten lediglich die Eignung aufweisen, gegenläufig im Sinne des Merkmals 2.2 arbeiten zu können. Das Berufungsgericht hat festgestellt , dass die angegriffene Ausführungsform mit Ventilen ausgestattet ist, die im Sinne des Klagepatents mit Hilfe einer geeigneten Steuerung gegenläufig eingestellt werden könnten. Diese Möglichkeit der Einstellung hält das Berufungsgericht auch vor dem Hintergrund seiner Interpretation zur gegenläufigen Wirkung der Ventile für ausreichend, um eine Patentverletzung festzustellen. Keine Bedeutung misst es dabei dem Vortrag der Beklagten zu, die von ihnen beigestellte elektronische Steuerung der angegriffenen Anlage ermögliche die gegenläufige Arbeitsweise nicht und sei für sie und ihre Abnehmer unveränderbar so eingestellt, dass beim Belüften des Schaumsammelbehälters neben der Rücklaufleitung auch der zwischen Luftabscheide- und Schaumsammelbehälter verlaufende Abschnitt der Vakuumleitung geöffnet sei, so dass über diesen geöffneten Abschnitt der Unterdruck im Luftabscheidebehälter sofort zusammenbreche und die aus dem Schaum rückverflüssigte Milch ausschließlich schwer- kraftbedingt aus dem höher gelegenen Schaumsammel- in den tiefer liegenden Luftabscheidebehälter fließe. Hierauf komme es nicht an, weil für eine wortlautgemäße Benutzung die bloße Eignung der Ventile zu der beschriebenen gegenläufigen Wirkung ausreiche; dass diese tatsächlich verwirklicht werde, sei nicht erforderlich. Das Berufungsgericht hält es daher auch für unerheblich, dass nach Vortrag der Beklagten für die angegriffene Vorrichtung eine Steuerung, welche die Nutzung der erfindungsgemäßen Vorteile ermöglicht, weder angeboten noch hergestellt werde.
13
2. Diese Auslegung des Klagepatents durch das Berufungsgericht hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Wie ein Patent auszulegen ist, ist eine Rechtsfrage. Deshalb ist die Auslegung eines Patents vom Revisionsgericht in vollem Umfang überprüfbar (st. Rspr.; s. nur BGHZ 142, 7, 15 - Räumschild; BGHZ 160, 204, 213 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).
14
Für den Verletzungsprozess ist Patentanspruch 1 in der Fassung maßgeblich , die er im Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht gefunden hat. Im Nichtigkeitsverfahren ist gegenüber der erteilten Fassung das Merkmal 2.2 "umgekehrt zum Ventil in der Rücklaufleitung wirkendes Ventil" im Kennzeichen hinzugefügt worden. Die vom Berufungsgericht vertretene Auslegung ist mit dem Wortlaut dieser maßgeblichen Fassung des Klagepatents und dem Funktionszusammenhang seiner Lehre, der bei der Auslegung des Klagepatents zu beachten ist, unvereinbar.
15
In der aufrechterhaltenen Fassung lehrt das Klagepatent in Merkmal 2.2 zwei Ventile, die in einem gegenläufigen Wirkungszusammenhang stehen, also gegenläufig funktional miteinander verbunden sind. Vom Patentanspruch nicht erfasst werden deshalb Vorrichtungen mit zwei Ventilen, denen eine solche funktionale Verbindung zur gegenläufigen Wirkung fehlt und erst durch Hinzufügen einer tatsächlich nicht vorhandenen Steuerung verliehen werden kann. Entgegen der Auffassung der Klägerin steht ein solches Verständnis nicht im Gegensatz zu früheren Entscheidungen des Senats. Zwar haben die Merkmale eines Sachanspruchs, wie ihn Patentanspruch 1 darstellt, die Funktion, die geschützte Sache als solche zu beschreiben, so dass der auf diese Weise - regelmäßig räumlich-körperlich - definierte Gegenstand unabhängig davon geschützt ist, wie er hergestellt worden ist und zu welchem Zweck er verwendet wird (Sen.Urt. v. 07.11.1978 - X ZR 58/77, GRUR 1979, 149, 151 - Schießbolzen; Sen.Urt. v. 22.11.2005 - X ZR 79/04, Umdr. S. 17 - extracoronales Geschiebe). Deswegen sind im Patentanspruch enthaltene Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben jedoch nicht schlechthin bedeutungslos. Sie können vielmehr als Bestandteile des Patentanspruchs an dessen Aufgabe teilnehmen, den geschützten Gegenstand zu bestimmen und damit zugleich zu begrenzen, wenn sie das Vorrichtungselement, auf das sie sich beziehen , als ein solches definieren, das so ausgebildet sein muss, dass es die betreffende Funktion erfüllen kann (BGHZ 112, 140, 155 f. - Befestigungsvorrichtung II; Sen.Urt. v. 07.11.1978 - X ZR 58/77, GRUR 1979, 149, 151 - Schießbolzen). Versteht man mit dem Berufungsgericht die gegenläufige Ventilwirkung als Angabe einer notwendigen Funktion oder Wirkung, so erfordert die patentgemäße Lehre daher eine Ventilanordnung, die entweder räumlich-körperlich oder durch eine entsprechende Steuerung so eingerichtet ist, dass die erfindungsgemäße gegenläufige Wirkung der beiden Ventile erzielt werden kann. Hingegen reicht es nicht aus, dass der Ventilanordnung diese Eignung erst durch weitere Maßnahmen wie eine Änderung der Steuerung verliehen werden kann.
16
Die Klägerin macht in diesem Zusammenhang geltend, bei der angegriffenen Ausführungsform müssten notwendig während der Anfangs- und Hauptphase der Milchannahme die Rücklaufleitung (8) durch das Ventil (10) geschlossen und die Vakuumleitung (2 a) durch das Ventil (9) geöffnet sein, weil anderenfalls ein Ansaugen der Milch nicht möglich sei; diese gegenläufige Stellung der Ventile sei daher für die Funktion der patentgemäßen Vorrichtung selbstverständlich. Mit dieser Bewertung verkennt die Klägerin die Bedeutung des Merkmals 2.2 im Gefüge des Patentanspruchs. Schon seine Aufnahme in den Kennzeichnungsteil des Anspruchs deutet darauf hin, dass ihm eine wesentliche Bedeutung im Hinblick auf das mit der Fassung des Anspruchs verfolgte Ziel der Abgrenzung der beanspruchten Lehre vom Stand der Technik zukommen soll. Bereits das spricht dagegen, dass mit ihm eine bloße Selbstverständlichkeit mitgeteilt werden soll. Das gilt um so mehr, als der gegenläufigen Wirkung der Ventile im Gesamtgefüge der beschriebenen Lehre durchaus Bedeutung bei Erzeugung, Aufrechterhaltung oder Abbau des jeweiligen Unterdrucks zukommt. Diese Wirkung der Ventile während der Entleerungsphase des Schaumsammelbehälters ermöglicht es, die dort gesammelte Milch patentgemäß unter Ausnutzung von Unterdruck in den Luftabscheider zurückzusaugen. Ein solches Verständnis des Fachmanns von der Bedeutung des Merkmals 2.2 wird auch dadurch bestätigt, dass das einzige in der Patentschrift erläuterte Ausführungsbeispiel eine solche gegenläufige Wirkung der Ventile beim Rücklauf der Milch aus dem Schaumsammelbehälter beschreibt (Klagepatent, Sp. 3 Z. 5-8). Dahinstehen kann in diesem Zusammenhang, ob auch andere Mittel für die Rückführung der Milch in Betracht kommen. Denn die Einfügung des Merkmals 2.2 im Nichtigkeitsverfahren lässt allein gegenläufig wirkende Ventile als Mittel für die Rückführung zu. Bestätigt wird diese Einschätzung dadurch , dass das Merkmal im Verlaufe des Nichtigkeitsverfahrens in den Anspruch aufgenommen wurde, um die beanspruchte Lehre vom Stand der Tech- nik weiter abzugrenzen und so Bedenken gegenüber der Schutzfähigkeit der erteilten Ansprüche zu begegnen. Diese durch die Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren mit Gestaltungswirkung vorgenommene Abgrenzung ist durch Aufnahme eines Merkmals, das sich in Selbstverständlichkeiten erschöpft, nicht möglich. Vielmehr muss dem Merkmal ein den Patentanspruch kennzeichnender , unterscheidungskräftiger Sinn zukommen.
17
Das Berufungsgericht hat bisher nicht festgestellt, ob die angegriffene Ausführungsform über eine Ventilanordnung verfügt, die ohne weitere Maßnahmen wie etwa eine Änderung der Steuerung die erfindungsgemäße gegenläufige Wirkung der beiden Ventile auch beim Rücksaugen der Milch aus dem Schaumsammelbehälter erzielt. Die Verurteilung der Beklagten wegen wortsinngemäßer Patentverletzung kann deshalb keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht wird nunmehr die erforderlichen Feststellungen zu dem beim Betrieb der angegriffenen Ausführungsform, insbesondere während der Rückführung von Milch aus dem Schaumsammel- in den Luftabscheidebehälter, anzutreffenden Ventilstellungen zu treffen haben. Sollte sich danach eine wortsinngemäße Benutzung nicht feststellen lassen, wird das Berufungsgericht gegebenenfalls auch eine Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln zu prüfen haben, die bei dem der Revisionsentscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint.
18
II. Auch die Verurteilung der Beklagten wegen Verletzung des Klagegebrauchsmusters hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
19
1. Der im Löschungsverfahren für schutzfähig erachtete Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters kombiniert folgende Merkmale: 1. Der Luftabscheider besteht aus einem über eine Leitung von einer Vakuumpumpe mit Unterdruck beaufschlagbaren Luftabscheidebehälter; 1.1 im oberen Bereich des Luftabscheidebehälters mündet eine Saugleitung für die von einem Lieferanten anzunehmende Milch ein; 1.2 vom unteren Bereich des Luftabscheidebehälters geht eine eine gegen den Unterdruck der Vakuumpumpe arbeitende Förderpumpe aufweisende Förderleitung aus; 1.2.1 die Förderleitung mündet in den Sammeltank; 2. in der Leitung zwischen dem Luftabscheidebehälter und der Vakuumpumpe ist ein einziger Schaumsammelbehälter angeordnet; 2.1 vom unteren Bereich des Schaumsammelbehälters geht eine zum Luftabscheidebehälter führende, absperrbare Rücklaufleitung aus; 2.2 die vom Luftabscheidebehälter ausgehende zur Vakuumpumpe führende Leitung mündet mit ihrem ersten Leitungsabschnitt in den oberen Bereich des Schaumsammelbehälters ein; 2.3 an dem Schaumsammelbehälter ist eine Belüftung zum Abbau des im Schaumsammelbehälter herrschenden Unterdrucks angeschlossen.
20
Im Klagegebrauchsmuster fehlen daher die Merkmale 2.1.1, 2.1.2 und 2.2 des Klagepatents; die Merkmale 2.3 und 2.4 des Patents erscheinen im Gebrauchsmuster als Merkmale 2.2 und 2.3.
21
2. a) Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters hat damit einen anderen Inhalt als Anspruch 1 des Klagepatents. Dem Gebrauchsmuster fehlt das Merkmal "umgekehrt wirkende Ventile". Entgegen dem Berufungsgericht ist dem Wortlaut des Gebrauchsmusters kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass für den Rückfluss der im Schaumsammelbehälter angesammelten Milch in den Luftabscheidebehälter außer der Einwirkung der Schwerkraft zumindest auch die Erzeugung eines Druckgefälles erforderlich sein soll. Vielmehr ergibt sich aus den Merkmalen 2.1 und 2. 3 lediglich, dass während der Milchannahme zum Ansaugen der Milch ein Unterdruck besteht, der in der Rückflussphase der gesammelten Milch in den Luftabscheidebehälter mittels der Belüftung gemäß Merkmal 2.3 abgebaut wird, so dass die gesammelte Milch über die dann geöffnete Rücklaufleitung gemäß Merkmal 2.1 in den Luftabscheidebehälter zurückfließen kann. Das kann wegen des Abbaus des Unterdrucks bei entsprechenden , durch das Schutzrecht nicht ausgeschlossenen Gefällen auch durch die Schwerkraft bewirkt werden. Danach setzt Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters nicht voraus, dass der Rückfluss der Milch durch Erzeugung eines Druckgefälles bewirkt wird.
22
b) Merkmal 2.3 des Gebrauchsmusters (identisch mit Merkmal 2.4 des Klagepatents) setzt nicht voraus, dass die Belüftung zum Abbau des im Schaumsammelbehälter herrschenden Unterdrucks unmittelbar und direkt an dem Schaumsammelbehälter angeschlossen ist. Entscheidend ist vielmehr, dass die mit der Belüftung angestrebte Wirkung, den Unterdruck abzubauen, erzielt wird. Dafür reicht es aus, wenn die Belüftung über zwischengeschaltete Leitungsabschnitte mit dem Schaumsammelbehälter verbunden ist, wie es im Übrigen auch die Fig. 1 und 2 darstellen, die sowohl in den Unterlagen der Gebrauchsmusteranmeldung als auch in der Klagepatentschrift enthalten sind.
23
Damit hat das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die angegriffene Ausführungsform wortsinngemäß von Schutzanspruch 1 des Gebrauchsmusters Gebrauch macht.
24
3. Auch die Verurteilung der Beklagten wegen Gebrauchsmusterverletzung kann jedoch keinen Bestand haben, weil das Berufungsgericht dem unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten nicht nachgegangen ist, die Klägerin habe ihnen gegenüber im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren erklärt, sie beanspruche für Vorrichtungen mit schwerkraftbedingter Milchrückführung keinen Schutz.
25
Nach der Rechtsprechung des Senats können Erklärungen des Patentanmelders im Einspruchsverfahren unter bestimmten Umständen zugunsten eines an diesem Verfahren beteiligten Dritten einen Einwand aus Treu und Glauben gegen die Inanspruchnahme wegen einer Patentverletzung begründen (Sen.Urt. v. 05.06.1997 - X ZR 73/95, NJW 1997, 3377 - Weichvorrichtung II; Sen.Urt. v. 20.04.1993 - X ZR 6/91, GRUR 1993, 886 - Weichvorrichtung I). Lässt sich der Anmelder im Einspruchsverfahren angesichts des sich bereits anbahnenden Verletzungsstreits auf die Erörterung einer entgegengehaltenen konkreten Ausführungsform des Einsprechenden ein und gibt er dann ernsthaft, in einer Vertrauen begründenden Weise die Erklärung ab, diese Ausführungsform werde von dem begehrten Schutz nicht erfasst, um seine Chancen zu erhöhen , das Patent erfolgreich verteidigen zu können, so muss er sich nach der Senatsentscheidung "Weichvorrichtung II" an dieser Erklärung festhalten lassen. Für das gebrauchsmusterrechtliche Löschungsverfahren kann insoweit nichts anderes gelten.
26
Die Beklagten haben hinreichend substantiiert einen Vertrauenstatbestand vorgetragen, der ihnen im Hinblick auf die angegriffene Ausführungsform gegen eine Inanspruchnahme aus dem Gebrauchsmuster einen Einwand aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) eröffnen würde. Sie haben geltend gemacht, dass der Vertreter der Klägerin anlässlich der mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht im Löschungsverfahren am 16. Juli 2003 ausdrücklich erklärt habe, die Gebrauchsmusterinhaberin beanspruche keinen Schutz für solche Vorrichtungen, bei denen die Milch lediglich durch Höhengefälle vom Schaumsammelbehälter in den Luftabscheider zurücklaufe; sie werde aus dem Klagegebrauchsmuster keine Rechte gegen solche Ausführungsformen geltend machen, die nicht das Rücksaugprinzip, sondern nur das Schwerkraftprinzip verwirklichten. Zum Beleg für dieses Vorbringen haben die Beklagten Beweis durch Vernehmung des Vorsitzenden Richters am Bundespatentgericht G. sowie des Patentanwalts Dipl.-Ing. E. angeboten.
27
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend, dass sich aus dem Beschluss des Bundespatentgerichts im Löschungsverfahren nichts dafür ergibt, dass die behauptete einschränkende Erklärung der Klägerin Grundlage für die Aufrechterhaltung des Gebrauchsmusters war. Zwar wurde in der vom Senat gebilligten Auslegung des Berufungsgerichts in der Entscheidung "Weichvorrichtung II" die Feststellung des Erklä- rungstatbestands maßgeblich auf den Beschluss des Bundespatentgerichts im Löschungsverfahren gestützt. Bei der Prüfung des Einwands aus Treu und Glauben geht es aber nicht um den durch Auslegung des Patentanspruchs gemäß § 14 PatG zu bestimmenden (objektiven) Schutzbereich des Patents gegenüber jedermann, sondern ausschließlich um das Verhältnis der am Einspruchsverfahren und an dem Verletzungsstreit beteiligten Parteien zueinander (Sen.Urt, aaO, 3380 - Weichvorrichtung II). In diesem Verhältnis gelten die allgemeinen Grundsätze des Verbots treuwidrigen Handelns. Deshalb kann nicht verlangt werden, dass eine Erklärung im patentrechtlichen Einspruchs- oder gebrauchsmusterrechtlichen Löschungsverfahren nur dann unter dem Aspekt von Treu und Glauben relevant sein kann, wenn sie in der in einem solchen Verfahren ergehenden Entscheidung dokumentiert ist. Vielmehr ist die Feststellung des Erklärungstatbestands in gleicher Weise auch durch andere Beweismittel möglich, wie etwa den von der Beklagten angebotenen Zeugenbeweis.
28
Das Berufungsgericht wird in diesem Zusammenhang auch zu erwägen haben, ob die durch den Wortlaut des Gebrauchsmusters nicht veranlassten Ausführungen des Bundespatentgerichts in dem Beschluss vom 16. Juli 2003 im Löschungsverfahren zu Schwerkraftwirkung und Unterdruckdifferenz (s. dort S. 12) ihre Ursache in entsprechenden Erklärungen in der vorhergehenden mündlichen Verhandlung finden könnten.
29
Das Berufungsgericht hat sich mit Vortrag und Beweisantritt der Beklagten zu der Erklärung der Klägerin im Löschungsverfahren nicht in der gebotenen Weise befasst und deshalb den Prozessstoff entgegen § 286 ZPO nicht ausgeschöpft. Damit kann auch die Verurteilung der Beklagten wegen Verletzung des Gebrauchsmusters keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht wird nunmehr zu prüfen haben, ob bei der angegriffenen Ausführungsform die ge- sammelte Milch durch Schwerkraft in den Luftabscheider zurückfließt oder ob dabei noch weitere Kräfte, etwa ein Druckgefälle, wirksam werden. Gegebenenfalls wird es sodann Beweis zu dem Vortrag der Beklagten über den ihnen gegenüber im Löschungsverfahren geschaffenen Vertrauenstatbestand erheben müssen.
Melullis Scharen Mühlens
Asendorf Kirchhoff
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 28.11.2000 - 4 O 23/00 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 24.06.2004 - I-2 U 6/01 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZR 184/98 Verkündet am:
5. Oktober 2000
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Zeittelegramm

a) Wenn der durch den erteilten Patentanspruch festgelegte Gegenstand
lediglich enger als in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen definiert
ist, kommt eine Nichtigerklärung regelmäßig nicht in Betracht; eine
Streichung oder Ersetzung von Merkmalen im Patentanspruch scheidet
aus.

b) In einem solchen Fall dürfen zur positiven Beantwortung der Frage der
Patentfähigkeit des Anspruchs Erkenntnisse, die erst die nachträgliche
Ä nderung vermittelt, nicht herangezogen werden.
BGH, Beschluß vom 05. Oktober 2000 – X ZR 184/98 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 5. Oktober 2000
durch den Richter Dr. Jestaedt als Vorsitzenden sowie die Richter Dr. Melullis,
Scharen, Keukenschrijver und die Richterin Mühlens

beschlossen:
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe:


I. Der Beklagte war eingetragener Inhaber des deutschen Patents 30 15 312 (Streitpatents), das auf einer am 22. Oktober 1981 offengelegten Anmeldung vom 21. April 1980 beruht und acht Patentansprüche umfaßt, wobei Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut hat:
"Verfahren zum Anzeigen der Empfangsverhältnisse bei Funkuhrempfängern für die binärkodierten Zeitsignale des Senders DCF 77 nach dem Einschalten, mit einer Anzeigevorrichtung für die Uhrzeit, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t, daß bei jedem Sekundenimpuls die durch Störungen verursachten Abweichungen der Zeitsignale von idealen Rechtecksignalen im Empfänger selbst automatisch ermittelt werden und davon Qualitätskennzahlen ab-
geleitet werden, die auf der Anzeigevorrichtung im Sekundentakt zur Anzeige gebracht werden und daß diese Anzeige abgeschaltet wird, sobald ein vollständiges Zeittelegramm empfangen wurde und zur Anzeige gebracht werden kann."
Mit seiner Nichtigkeitsklage hat der Kläger geltend gemacht, das Streitpatent gehe über die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus; außerdem fehle es an einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik. Seine weitere Behauptung, das Streitpatent offenbare die darin beschriebene Lehre nicht so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen könne, hat der Kläger im Berufungsverfahren fallengelassen.
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Hiergegen hat sich der Beklagte mit der Berufung und dem Begehren gewendet,
das angefochtene Urteil aufzuheben und das Streitpatent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten;
hilfsweise,
das Streitpatent mit einem acht Patentansprüche umfassenden Anspruchssatz aufrechtzuerhalten, wobei Anspruch 1 wie folgt lautet:
"Verfahren zum Anzeigen der Empfangsqualitätsverhältnisse bei Funkuhrempfängern für die binärkodierten Zeitsignale des für Funkuhren in Deutschland zuständigen Senders, nach dem Einschalten, mit einer Anzeigevorrichtung für die Uhrzeit,
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß bei jedem Sekundenimpuls die Empfangsqualität mit den zugehörigen Qualitätskennzahlen aus den durch Störungen verursachten Verformungen des Sekundenimpulses automatisch ermittelt wird, daß die Qualitätskennzahlen auf der Anzeigevorrichtung im Sekundentakt zur Anzeige gebracht werden und daß diese Anzeige abgeschaltet wird, sobald eine vollständige Zeitinformation empfangen wurde und zur Anzeige gebracht werden kann."
Der Kläger ist diesem Begehren entgegengetreten.
Der Senat hat ein schriftliches Gutachten des Dipl.-Ing. U. A., Stuttgart, eingeholt.
In Anbetracht des mittlerweile erfolgten Zeitablaufs des Streitpatents haben die Parteien den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt. Die Parteien beantragen wechselseitig ,
dem Gegner die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
II. Die übereinstimmende Erledigungserklärung hat zur Folge, daß die Parteien nicht mehr um die Frage der Nichtigerklärung des Streitpatents streiten und das hierzu ergangene Urteil des Bundespatentgerichts hinfällig ist; gemäß § 110 Abs. 3 PatG a.F. in Verbindung mit § 91 a ZPO ist nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden. Diese Entscheidung hat auf der Grundlage des bis zur übereinstimmenden Erledigungserklärung von den Par-
teien Vorgebrachten sowie der bis dahin erhobenen Beweise und ihrer Ergebnisse zu erfolgen. Das führt zur Aufhebung der Kosten gegeneinander. Denn der Senat vermag nach dem bisherigen Beweisergebnis nicht zuverlässig zu erkennen, welche Partei ohne die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache obsiegt hätte.
A. Die Nichtigkeitsklage war bis zu dem den Anlaß der übereinstimmenden Erledigungserklärung bildenden Zeitablauf des Streitpatents nicht wegen Unzulässigkeit abweisungsreif.
Die förmliche Nichtigerklärung eines Patents, dem Patentfähigkeit nicht zukommt oder dessen Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgeht, in der sie bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde ursprünglich eingereicht worden ist, liegt für sich schon im öffentlichen Interesse und macht damit die Nichtigkeitsklage statthaft. Der vorliegende Fall ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht durch Umstände geprägt, die rechtfertigen könnten, diesen Grundsatz ausnahmsweise nicht anzuwenden (vgl. Sen.Urt. v. 13.01.1998 - X ZR 82/94, GRUR 1998, 904 - Bürstenstromabnehmer ). Da der Kläger der deutsche Repräsentant einer Firmengruppe in Hongkong ist, die nach Deutschland Uhren lieferte, bei deren Betrieb nach der Behauptung des Beklagten das patentgemäße Verfahren Anwendung findet, bestand bis zum Zeitablauf des Streitpatents ein Interesse des Klägers an der Nichtigerklärung, um einen ungestörten Vertrieb dieser Uhren sicherzustellen.
B. Der sachliche Ausgang des Rechtsstreits war zum Zeitpunkt der übereinstimmenden Erledigungserklärung der Parteien offen.
1. Das Streitpatent betrifft den Bereich der Funkuhrempfänger mit einer Anzeigeeinrichtung für die Uhrzeit. In Deutschland werden für solche Empfänger seit dem Jahre 1972 kodierte Zeitinformationen von dem Sender DCF 77 ausgestrahlt. Seine Trägerfrequenz wird dazu mit Sekundenimpulsen amplitudenmoduliert , indem eine Absenkung der Trägeramplitude (auf etwa 25 %) für die Dauer von genau 100 Millisekunden oder 200 Millisekunden erfolgt, wobei der Beginn der Absenkung den genauen Sekundenbeginn und ihre Dauer eine logische Null (100 Millisekunden) bzw. eine logische Eins (200 Millisekunden) kennzeichnen. 59 Sekundenimpulse kodieren auf diese Weise ein vollständiges Zeittelegramm. Es enthält die aktuellen Informationen über das Jahr, den Monat, das Datum, den Wochentag, die Stunde, die Minute, die Sommer- bzw. Winterzeit und läßt - im Wege des Abzählens vom Beginn der Minute an - auch die Sekunde erkennen.
Wird der Funkuhrempfänger eingeschaltet, kann die Anzeigevorrichtung Zeitdaten nur anzeigen, wenn mindestens einmal ein vollständiges Zeittelegramm erkannt worden ist. Wann dies der Fall ist, hängt von den Empfangsverhältnissen am Aufstellungsort des Funkuhrempfängers ab. Selbst bei besten Empfangsverhältnissen kann es wenigstens drei Minuten dauern, bis die aktuellen Zeitdaten angezeigt werden. Bei ungünstigen Empfangsverhältnissen kann diese Zeit weit überschritten werden; wird eine vorhandene Störquelle nicht beseitigt, der Empfänger nicht an einem anderen Ort aufgestellt oder seine Antenne nicht anders ausgerichtet, kann eine Anzeige sogar gänzlich mißlingen.
Während der Zeit, in welcher der Funkuhrempfänger keine Zeitdaten angeben kann, ist sein Benutzer im Unklaren, wie lange er voraussichtlich auf eine zuverlässige Funkuhrzeit wird warten müssen bzw. ob deren Anzeige am
gewählten Aufstellungsort unter den dort bestehenden Empfangsverhältnissen überhaupt gelingen wird. Die Qualität der dort zu empfangenden Sekundenimpulse ließe sich zwar mit einem Oszillographen sehr rasch beurteilen; es kann jedoch nicht vorausgesetzt werden, daß dem Benutzer einer Funkuhr ein solches Meßgerät zur Verfügung steht.
Eine gewisse Abhilfe war im Stand der Technik durch die Anbringung einer Leuchtdiode versucht worden, die sofort dann, wenn sich der Empfänger auf die Sekundenimpulse synchronisiert hat, im Sekundentakt aufleuchtet. Dies vermag zu vermitteln, daß der Funkuhrempfänger arbeitet; es handelt sich hierbei jedoch lediglich um eine sehr grobe Anzeige.
Die Erfindung soll demgegenüber ein Verfahren angeben, das eine brauchbare Anzeige der Empfangsverhältnisse bei Funkuhrempfängern ohne zusätzliche Anzeigemittel ermöglicht.
Anspruch 1 gibt hierzu ein Verfahren an, das
1. bei Funkuhrempfängern für die binärkodierten Zeitsignale des Senders DCF 77
2. mit einer Anzeigevorrichtung für die Uhrzeit
durchzuführen ist, indem
3. a) nach dem Einschalten

b) in dem Empfänger selbst


c) automatisch

d) bei jedem Sekundenimpuls

e) die durch Störungen verursachten Abweichungen der Zeitsignale von idealen Rechtecksignalen ermittelt werden,

f) davon Qualitätskennzahlen abgeleitet werden,
4. die Qualitätskennzahlen auf der Anzeigevorrichtung im Sekundentakt zur Anzeige gebracht werden und
5. diese Anzeige abgeschaltet wird, sobald ein vollständiges Zeittelegramm empfangen wurde und zur Anzeige gebracht werden kann.
2. Nach dem zu berücksichtigenden Sach- und Streitstand kann nicht festgestellt werden, ob der erteilte Anspruch 1 und die hierauf unmittelbar bzw. mittelbar rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 8 aus dem in §§ 22 Abs. 1 1. Altern., 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG genannten Grunde für nichtig zu erklären gewesen wären oder ob die Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes nicht zu einer Ä nderung der genannten Patentansprüche geführt hätte.

a) Den Inhalt der nach §§ 22 Abs. 1 1. Altern., 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG maßgeblichen ursprünglichen Anmeldung bildet alles, was ihr der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik als zur angemeldeten Erfindung gehörend ent-
nehmen kann. Eine Lehre zum technischen Handeln geht deshalb über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus, wenn die Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen nicht erkennen läßt, daß sie als Gegenstand von dem mit der Anmeldung verfolgten Schutzbegehren umfaßt sein soll (Sen.Urt. v. 21.09.1993 - X ZR 50/91, Mitt. 1996, 204 - unzulässige Erweiterung).

b) Daß ein solcher Fall gegeben ist, ist insbesondere dann zu erwägen, wenn der erteilte Anspruch aus der Sicht des Durchschnittsfachmanns eine andere Erfindung zum Gegenstand hat als die ursprüngliche Anmeldung. Damit , daß etwas patentiert wird und bei der eigenen geschäftlichen Tätigkeit als geschützt zu beachten ist, das gegenüber dem der Fachwelt durch die ursprünglichen Unterlagen Offenbarten ein "Aliud" darstellt, braucht nicht gerechnet zu werden. Ein solcher Patentanspruch gefährdet die Rechtssicherheit für Dritte, die sich auf den Inhalt der Patentanmeldung in der eingereichten und veröffentlichten Fassung verlassen. Dies kann eine Nichtigerklärung des erteilten Patents erfordern, wenn der Nichtigkeitsgrund der §§ 22 Abs. 1 1. Altern., 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG geltend gemacht ist. Es ist nicht ausgeschlossen , daß auch hier ein solcher Fall gegeben ist.

c) Der Nichtigkeitsgrund der §§ 22 Abs. 1 1. Altern., 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG kommt hier zwar nicht bereits deshalb in Betracht, weil das patentgemäße Verfahren in der erteilten Fassung mit einem auf die Zeitsignale des Senders DCF 77 ausgerichteten Funkuhrempfänger durchzuführen ist, der für binärkodierte Zeitsignale bestimmt sein soll. Angesichts des Sendebeginns des Senders DCF 77 im Jahre 1972 kann ohne weiteres angenommen werden, daß Fachleute zur Zeit der Anmeldung des Streitpatents im Jahr 1980 wußten, daß nach gesetzlicher Bestimmung und tatsächlicher Beschaffenheit er derjenige Sender ist, von dem die Zeitsignale ausgestrahlt werden, die in Deutschland
ansässige Benutzer von Funkuhren benötigen, um sich die für sie aktuellen Zeitdaten anzeigen zu lassen. Diese Kenntnis veranlaßte, die im Hinblick auf einen Patentschutz für Deutschland eingereichten Anmeldeunterlagen jedenfalls auch mit bezug auf diesen Sender zu lesen und zu verstehen. Auch der gerichtliche Sachverständige hat es in seinem schriftlichen Gutachten als naheliegend bezeichnet, daß sich die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen auf den Sender DCF 77 bezögen. Da dieser auf der Basis binärkodierter Zeitsignale arbeitet, war damit zugleich auch dieses Teilmerkmal der fraglichen Anweisung des erteilten Patentanspruchs 1 als zur angemeldeten Lehre gehörend erkennbar.
Nach dem der Beurteilung zugrundezulegenden Sach- und Streitstand kann auch der weitere Vorwurf, die Anweisungen zu 3 c und d sowie 5 des erteilten Patentanspruchs 1 seien nicht ursprungsoffenbart, nicht als berechtigt angesehen werden. Die ursprüngliche Beschreibung erläuterte den gemachten Vorschlag dahin, daß ermittelt werde, mit welcher Qualität die Sekundenimpulse empfangen werden; die durch Zahlen darstellbare Qualität werde in Form derartiger Qualitätskennzahlen im Sekundentakt an die vorhandene Ziffernanzeigevorrichtung gegeben. Diese Darstellung betont das impulsgenaue Arbeiten. Dies führte zu der Erkenntnis, daß vorschlagsgemäß eingeschlossen ist, die erforderliche Ermittlung bei jedem Sekundenimpuls vorzunehmen. Daß außerdem die automatische Ermittlung von vornherein zu der angemeldeten Erfindung gehört, wurde dem Fachmann jedenfalls durch den sich an den bereits wiedergegebenen Beschreibungsteil der ursprünglichen Unterlagen anschließenden Hinweis deutlich, wonach ein automatisches Zeichenerkennungsverfahren verwendet werden könne, wodurch Qualitätskennzahlen ohnehin anfielen. Das Merkmal 5 schließlich war in den ursprünglichen Unterlagen im wesentlichen durch den Anspruch 4 des damaligen Anspruchssatzes offenbart.
Danach soll die Anzeige der Empfangsqualität nach dem Einschalten der Funkuhr bis zur ersten Darstellung der Uhrzeit erfolgen. Das ist gleichbedeutend mit der Anweisung die Anzeige abzuschalten, sobald ein vollständiges Zeittelegramm empfangen wurde und zur Anzeige gebracht werden kann.
Soweit das Bundespatentgericht eine nicht ursprungsoffenbarte Ausdrucksweise in dem angeblich von dem Beklagten geprägten Begriff des Zeittelegramms gesehen hat, hat das eingeholte Sachverständigengutachten die Unrichtigkeit dieser Bewertung ergeben. Die ursprüngliche Beschreibung nahm durch die bereits erwähnte Textstelle im ersten Absatz auf die Notwendigkeit des vollständigen Empfangs eines Intervalls mit kodierter Information Bezug. Damit ist ersichtlich der Empfang einer vollständigen Zeitinformation gemeint. Der Senat hat keine durchgreifenden Zweifel, daß das - wie der gerichtliche Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt hat - aus der Sicht des Durchschnittsfachmanns ohne Ä nderung der Bedeutung auch durch den Begriff des vollständigen Zeittelegramms ausgedrückt werden kann.

d) Eine vergleichbar eindeutige Festlegung läßt das schriftliche Sachverständigengutachten jedoch hinsichtlich des Merkmals 3 e nicht zu.
In der Ursprungsbeschreibung ist neben der wiederholt erwähnten Angabe , daß ermittelt werde, mit welcher Qualität die Sekundenimpulse empfangen werden, ein idealer Sekundenimpuls als vollkommen ungestört bezeichnet. Ergänzend ist ausgeführt, daß eine Abweichung des diesem Zustand annäherungsweise zugewiesenen Zahlenwerts die entsprechende Störung und Verformung der Impulse angebe. Dies kennzeichnete den angemeldeten Vorschlag in der Weise, wie es in dem Hilfsantrag des Beklagten seinen Niederschlag gefunden hat, dahin, daß die Empfangsqualität (mit den zugehörigen
Qualitätskennzahlen - Merkmal 3 f) aus den durch Störungen verursachten Verformungen des Sekundenimpulses ermittelt wird. Eine weitere Konkretisierung , auf welche Weise dies geschehen soll, war in den Ursprungsunterlagen dagegen nicht enthalten.
Der Sachverständige hat dies dahin ausgedrückt, in den Anmeldeunterlagen bleibe unklar, wie die Qualität der empfangenen Sekundenimpulse erkannt werde. Dies kann möglicherweise dahin verstanden werden, daß die Ursprungsunterlagen insoweit allenfalls aufgabenhaft formuliert waren und dem Fachmann eine Lösungsmöglichkeit nicht eröffneten. Dies wiederum kann aus der Sicht des die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen und das erteilte Patent vergleichenden Fachmanns bedeuten, daß letzteres als auf eine anders geartete Lehre zum technischen Handeln gerichtet erscheint.

e) Mit seiner Aussage kann der gerichtliche Sachverständige freilich auch gemeint haben, daß der durch den erteilten Patentanspruch 1 festgelegte Gegenstand lediglich enger als in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen definiert ist, weil er eine zur Lösung des der Erfindung zugrundeliegenden Problems dienende, in den Anmeldungsunterlagen allgemein gehaltene Anweisung in einer Weise konkretisiert, die dem Durchschnittsfachmann durch die Ursprungsunterlagen nicht offenbart war. Die Patentierung eines "Aliud" durch den erteilten Patentanspruch 1 hätte dann nicht festgestellt werden können.
Infolge der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien war der Senat gehindert, durch Befragung des gerichtlichen Sachverständigen insoweit eine weitere Sachaufklärung herbeizuführen, die notwendig gewesen wäre, weil der gerichtliche Sachverständige bei Abfassung seines schriftlichen Gutachtens ersichtlich nicht erkannt hat, daß hier eine für die rechtliche Beur-
teilung der Sache bedeutsame Abgrenzungsfrage besteht, deren Beantwortung sich nach dem Verständnis des Fachmanns richtet und deshalb sachverständiger Aufklärung bedurft hätte. Es kann danach nicht festgestellt werden, daß eine Nichtigerklärung des erteilten Patentanspruchs 1 und der hierauf rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8 wegen Patentierung eines "Aliud" zu erfolgen gehabt hätte.

f) Andererseits kann nach dem zugrundezulegenden Sach- und Streitstand auch nicht festgestellt werden, daß der erteilte Patentanspruch 1 eine bloße Einschränkung des angemeldeten Gegenstandes beinhaltet, was im vorliegenden Fall zu seinem Fortbestand geführt hätte, weil dann eine Nichtigerklärung weder aus dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit noch aufgrund einer gesetzlichen Regelung des deutschen Patentrechts geboten gewesen wäre.
Durch die wortsinngemäße Benutzung der durch den erteilten Anspruch 1 patentierten Lehre wird ohne weiteres auch vom Gegenstand der ursprünglichen Anmeldung Gebrauch gemacht. Denn hierbei wird auch eine Ermittlung vorgenommen, wie sie im Merkmal 3 e des ursprünglich hilfsweise verteidigten Anspruchs 1 vorgeschlagen und - wie ausgeführt - ursprungsoffenbart ist. Dasselbe gilt für jedwede sich dem Fachmann aufgrund des Merkmals 3 e in seiner erteilten Fassung erschließende Abwandlung. Das Gebot der Rechtssicherheit ist damit im Falle des Bestandes der erteilten Patentansprüche gewahrt. Es verlangt, daß ein interessierter Dritter erkennen kann, ob eine existente oder geplante Ausführung in fremde Ausschließlichkeitsrechte eingreift, sowie daß die mögliche Erkenntnis sich nicht aufgrund nachträglicher Umstände als unrichtig erweist. Wie schon der früher anwendbare § 26 Abs. 5 Satz 2 PatG a.F. legt ferner auch der seither geltende § 38 Satz 2 PatG ledig-
lich fest, daß aus Ä nderungen, die den Gegenstand der Anmeldung erweitern, Rechte nicht hergeleitet werden können. Was das den Schutzbereich betreffende Interesse, also den Umfang eines entstandenen Patentrechts anbelangt, ist auch diesem Grundsatz bereits durch Beibehaltung der engeren Formulierung des erteilten Patentanspruchs Genüge getan. § 14 PatG, der gemäß Art. 11 § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 5 IntPatÜG den Schutz bestimmt, den ein deutsches Patent gewährt, das auf eine nach dem 1. Januar 1978 getätigte Anmeldung hin erteilt ist, verhindert, daß insoweit zum Nachteil interessierter Dritter auf weiteren Inhalt der Anmeldung zurückgegriffen werden kann. Es bleibt deshalb nur Sorge zu tragen, daß im übrigen, also was die Entstehung von Patentrechten anbelangt, aus der Ä nderung Rechte nicht hergeleitet werden können. Hierfür bedarf es der Nichtigerklärung erteilter Ansprüche des Streitfalls jedoch nicht. Es ist lediglich notwendig, die Erkenntnisse, die erst die nachträgliche Ä nderung vermittelt, nicht zur positiven Beantwortung der Frage ihrer Patentfähigkeit heranzuziehen.
Ob wegen dieser Notwendigkeit ein entsprechender erläuternder Hinweis im Patent erforderlich sein kann, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, weil sich der sachliche Streit der Parteien erledigt hat und nur noch über die Kosten des erledigten Rechtsstreits zu entscheiden ist. Eine Streichung des Merkmals 3 e im erteilten Patentanspruch 1 und/oder seine gleichzeitige Ersetzung durch die möglicherweise allgemeinere Anweisung, die durch die ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist, scheidet nach dem Vorgesagten allerdings aus; eine solche Ä nderung mißachtete § 22 Abs. 2 2. Alt. PatG.
3. Der danach mögliche Erfolg der Berufung des Patentinhabers war auch nicht wegen des ferner geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes des Feh-
lens der Patentfähigkeit (§§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) ausgeschlossen. Sein Bestehen wäre - wie zuvor ausgeführt - im Hinblick auf das Merkmal 3 e anhand der Offenbarung in den ursprünglichen Unterlagen zu prüfen gewesen. Das bisherige Beweisergebnis erlaubt jedoch nicht die Feststellung, daß die danach zu würdigende Lehre zum technischen Handeln, die - wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat und auch von den Parteien nicht in Zweifel gezogen wird - nicht bekannt war, nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Diese Erkenntnis ist wesentlich beeinflußt einmal von dem Umstand, daß zum Anmeldezeitpunkt die Entwicklung bei Funkuhrempfängern sich noch im Anfangsstadium befand, zum anderen von der schriftlichen Ausführung des Sachverständigen , der der maßgeblichen Lehre Erfindungshöhe zugesprochen hat, weil sich aus anderen Bereichen der Funkübertragung Problemlösungen für den hier interessierenden Bereich kaum hätten übernehmen lassen. Unter diesen Umständen hatte der Senat davon auszugehen, daß überhaupt erst einmal zu erkennen war, daß bei Funkuhrempfängern eine wirkliche Übertragungsqualitätsanzeige sinnvoll sei; ferner mußte erkannt werden, daß sich auch bei Empfängern, die Informationen aufgrund der jeweiligen Länge von empfangenen Impulsen erhalten, die Empfangsqualität ermitteln lasse, daß dies bei Funkuhrempfängern aufgrund der bei ihnen eingesetzten Technik ebenfalls möglich sei, und schließlich, daß sich die Qualität durch entsprechende Kennzahlen darstellen lasse. Gefordert war danach die erstmalige Zurverfügungstellung einer tauglichen Empfangsqualitätsfeststellung nebst -anzeige auf dem Gebiet der Funkuhrempfängertechnik. Angesichts des geringen Entwicklungsstandes dieses Gebiets der Technik rechtfertigen sich hieraus durchgreifende Zweifel, daß die vermittels der Anmeldung vorgeschlagene Lösung einem Durchschnittsfachmann nahegelegen habe.
4. Eine dem Beklagten günstigere Kostenentscheidung rechtfertigt sich nicht in Anbetracht seines ursprünglichen Hilfsantrages. In der Fassung dieses Hilfsantrages hätte das Streitpatent nämlich nicht Bestand haben können, weil der Schutzbereich des Patentanspruchs 1 und damit auch derjenige der hierauf rückbezogenen Unteransprüche gegenüber den erteilten Ansprüchen erweitert wäre (§ 22 Abs. 1 2. Altern. PatG). Der erforderliche Tatbestand ergibt sich insoweit jedenfalls aus dem Fehlen des Merkmals 3 b im Anspruch 1 des ursprünglichen Hilfsantrages. Sein Gegenstand ist damit insoweit weiter als der des erteilten Patentanspruchs, was auch den Schutzbereich dieses Anspruchs erweitert.
Jestaedt Melullis Scharen
Keukenschrijver Mühlens

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 18/00
vom
11. September 2001
in der Rechtsbeschwerdesache
betreffend das deutsche Patent 34 47 925
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Drehmomentenübertragungseinrichtung
Werden in den Patentanspruch nur einzelne Merkmale eines Ausführungsbeispiels
der Erfindung aufgenommen, geht die sich daraus ergebende Merkmalskombination
dann über den Inhalt der Anmeldung hinaus, wenn sie in ihrer Gesamtheit
eine technische Lehre umschreibt, die der Fachmann den ursprünglichen
Unterlagen nicht als mögliche Ausgestaltung der Erfindung entnehmen
kann.
BGH, Beschl. v. 11. September 2001 - X ZB 18/00 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. September 2001
durch den Vorsitzenden Richter Rogge und die Richter Prof. Dr. Jestaedt,
Dr. Melullis, Scharen und Dr. Meier-Beck

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den am 13. Juli 2000 verkündeten Beschluß des 6. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts wird zurückgewiesen.
Der Wert des Gegenstands der Rechtsbeschwerde wird auf 100.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:


I. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patents 34 47 925 (Streitpatent), das eine Drehmomentübertragungseinrichtung betrifft. Das Streitpatent beruht auf der Anmeldung 34 40 927.0 vom 9. November 1984, zu der die Patentinhaberin mit Eingabe vom 17. Januar 1985 zwei Teilungserklärungen abgegeben hat. Auf eine der beiden Trennanmeldungen ist das Streitpatent am 26. Januar 1995 mit folgenden Ansprüchen 1, 3 und 12 veröffentlicht worden:
"1. Drehmomentübertragungseinrichtung mit einer Vorkehrung zum Aufnehmen bzw. Ausgleichen von Drehstößen, insbesondere von Drehmomentschwankungen einer Brennkraftmaschine mit mindestens zwei, koaxial angeordneten, entgegen der Wirkung einer Dämpfungseinrichtung zueinander verdrehbaren Schwungmassen, von denen die eine, erste, mit der Brennkraftmaschine und die andere, zweite, über eine Reibungskupplung mit dem Eingangsteil eines Getriebes verbindbar ist, wobei die Reibungskupplung über ein Ausrücksystem betätigbar ist, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß die Schwungmassen (3, 4) durch einen Kraftspeicher axial zueinander federnd verspannt sind derart, daß die die Kupplung tragende Schwungmasse in einer Richtung belastet wird, die der beim Ausrücken der Kupplung wirksamen Kraftrichtung entgegengesetzt ist.
3. Drehmomentübertragungseinrichtung nach Anspruch 1 oder 2, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t daß die Schwungmassen in Abhängigkeit von der Betätigung der Reibungskupplung (7, 107) zueinander begrenzt axial verlagerbar sind.
12. Drehmomentübertragungseinrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 11, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,
daû die Schwungmassen (3, 4) über wenigstens zwei Reiboder Gleitflächen miteinander in Reib- oder Gleitverbindung stehen bzw. bringbar sind, wobei in Abhängigkeit der Betätigung der Reibungskupplung (7, 107) die Dämpfungswirkung dieser Verbindung veränderbar ist."
Gegen das Streitpatent ist Einspruch erhoben worden, der damit begründet worden ist, daû der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 nicht patentfähig sei. Nach Rücknahme des Einspruchs hat die Patentinhaberin mit Erklärung vom 29. Oktober 1996 eine Teilung des Streitpatents erklärt, die zur Trennanmeldung 34 48 593.7 geführt hat. Nach einem Zwischenbescheid der Patentabteilung hat die Patentinhaberin den Widerruf der Teilungserklärung vom 29. Oktober 1996 erklärt und zugleich eine erneute Teilungserklärung abgegeben. Das Streitpatent hat die Patentinhaberin mit 24 Ansprüchen verteidigt , von denen Anspruch 1 lautet (Änderungen gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 kursiv):
"Drehmomentübertragungseinrichtung mit einer Vorkehrung zum Aufnehmen bzw. Ausgleichen von Drehstöûen, insbesondere von Drehmomentschwankungen einer Brennkraftmaschine mit mindestens zwei über eine Lagerung koaxial angeordneten, entgegen der Wirkung einer Dämpfungseinrichtung relativ zueinander verdrehbaren Schwungmassen, von denen die eine, erste, mit der Brennkraftmaschine und die andere, zweite, über eine Reibungskupplung mit dem Eingangsteil eines Getriebes verbindbar ist, wobei die Reibungskupplung über ein Ausrücksystem betätigbar ist,
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daû die Schwungmassen (3, 4) durch einen Kraftspeicher axial zueinander federnd verspannt sind derart, daû die die Kupplung tragende Schwungmasse in einer Richtung belastet wird, die der beim Ausrücken der Kupplung wirksamen Kraftrichtung entgegengesetzt ist."
Die Patentabteilung hat das Streitpatent widerrufen, weil die Einfügung der Worte "über eine Lagerung" eine unzulässige Erweiterung gegenüber dem Inhalt der Anmeldung darstelle.
Die Patentinhaberin hat gegen den Beschluû der Patentabteilung Beschwerde eingelegt und beantragt,
1. den angefochtenen Beschluû aufzuheben und das Streitpatent mit den verteidigten Patentansprüchen aufrechtzuerhalten.
2. die Rückzahlung der Gebühren für die abgetrennte Anmeldung 34 48 593.7 anzuordnen.
Mit Beschluû vom 13. Juli 2000 hat das Bundespatentgericht die Beschwerde und den Antrag zurückgewiesen, die Rückzahlung der Gebühren für die Anmeldung 34 48 593.7 anzuordnen.
Hiergegen richtet sich die - zugelassene - Rechtsbeschwerde der Patentinhaberin , mit der diese beantragt,
den Beschluû des Bundespatentgerichts aufzuheben und die Sache zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist kraft Zulassung statthaft; das Rechtsmittel bleibt jedoch ohne Erfolg.
1. Das Bundespatentgericht hat die Teilungserklärung, die zu der dem Streitpatent zugrundeliegenden Trennanmeldung geführt hat, als wirksam angesehen , da zumindest der Gegenstand, der sich aus den mit der Teilungserklärung eingereichten Ansprüchen 1 und 6 oder 7, 10, 11 und 20 ergebe und den Ausführungen nach den ursprünglichen Figuren 4 und 5 entspreche, zum Zeitpunkt der Teilung Inhalt der Stammanmeldung 34 40 927.0 gewesen sei und in der Stammanmeldung jedenfalls die Ausführung nach der ursprünglichen Figur 1 verblieben sei. Das läût keinen Rechtsfehler erkennen.
2. Das Bundespatentgericht hat sich für befugt gehalten, den Anspruch, mit dem die Patentinhaberin das Streitpatent verteidigt, umfassend daraufhin zu überprüfen, ob er gegenüber dem Inhalt der Patentanmeldung 34 40 927.0 unzulässig erweitert ist. Zwar sei das Bundespatentgericht nicht befugt, von Amts wegen erstmalig neue Widerrufsgründe in das Verfahren einzuführen, die nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens vor dem Deutschen Patent- und Markenamt gewesen seien. Dies hindere das Bundespatentgericht aber grundsätzlich nicht daran, unter Wahrung des rechtlichen Gehörs innerhalb ein und desselben Widerrufsgrundes neue Tatsachen heranzuziehen und neue rechtliche Überlegungen anzustellen. Ebenso wie es bei der Prüfung der Patentfähigkeit den gesamten ihm bekannten Stand der Technik berücksichtigen könne
und nicht auf das den Beschluû der Patentabteilung tragende Material beschränkt sei, könne es im Einspruchsbeschwerdeverfahren im Rahmen des von der Patentabteilung festgestellten Widerrufsgrundes nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG weitere nicht ausdrücklich gerügte unzulässig erweiterte Merkmale zum Gegenstand seiner Entscheidung machen.
Die Rechtsbeschwerde meint demgegenüber, das Bundespatentgericht habe übersehen, daû die Patentabteilung nicht den gesetzlichen Widerrufsgrund des § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG angewendet habe, auch wenn diese Vorschrift unzutreffend als Grundlage der Entscheidung genannt sei. Die Patentabteilung habe gerade nicht festgestellt, daû der Gegenstand des erteilten Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. Der Widerruf sei vielmehr darauf gestützt, daû das im Einspruchsverfahren neu eingefügte Merkmal "über eine Lagerung" in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbart sei. Damit habe das Patentamt von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, bei einer Verteidigung des Patents in veränderter Fassung die Zulässigkeit der Änderungen zu überprüfen; der von ihm behandelte Widerrufsgrund habe sich daher auf eine Erweiterung des Schutzbereichs des erteilten Patents bezogen.
Diese Rüge hat keinen Erfolg.
Allerdings ist das Beschwerdegericht nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 128, 280, 292 f. - Aluminium-Trihydroxid; Beschl. v. 3.2.1998 - X ZB 6/97, GRUR 1998, 901, 902 - Polymermasse) im Einspruchsbeschwerdeverfahren grundsätzlich nicht befugt, vom Einsprechenden innerhalb der Frist des § 59 Abs. 1 PatG nicht geltend gemachte und vom Patentamt nicht in
das Verfahren eingeführte Widerrufsgründe von Amts wegen aufzugreifen und den Widerruf des Patents hierauf zu stützen. Das stand der Entscheidung des Bundespatentgerichts jedoch nicht entgegen.
Die Beschränkung des Gegenstandes der gerichtlichen Prüfung auf die vor dem Deutschen Patent- und Markenamt geltend gemachten Widerrufsgründe ergibt sich aus der Funktion des Beschwerdegerichts im Rechtszug und seiner Bindung an den Streitgegenstand. Das Bundespatentgericht ist im Beschwerdeverfahren zur Nachprüfung und Änderung von Entscheidungen nur in dem Umfang befugt, in dem eine Nachprüfung beantragt wird (Sen.Beschl. v. 2.3.1993 - X ZB 14/92, GRUR 1993, 655, 656 - Rohrausformer). Im Streitfall hat die Patentabteilung das Patent widerrufen, da der "geltende Patentanspruch" , als den die Patentabteilung den von der Patentinhaberin verteidigten Anspruch angesehen hat, i.S.d. § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG auf einen über den Inhalt der Anmeldung hinausgehenden Gegenstand gerichtet sei. Die Patentabteilung hat dies damit begründet, daû die Einfügung der Worte "über eine Lagerung" in den erteilten Anspruch über den Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Unterlagen hinausgehe, denen der Fachmann nicht allgemein ein Lager, sondern ausschlieûlich ein Wälzlager zwischen den Schwungmassen entnehme. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die Entscheidung der Patentabteilung hiernach nicht auf eine Erweiterung des Schutzbereichs des erteilten Patents durch den verteidigten Anspruch gestützt. Es kann dahinstehen , ob die Patentabteilung zunächst die Zulässigkeit der Änderung des Anspruchs hätte prüfen und in Anbetracht der - nach ihrem Standpunkt - unzulässigen Änderung die erteilte Fassung zum Gegenstand ihrer weiteren Untersuchung hätte machen müssen (in diesem Sinne Busse, Patentgesetz, 5. Aufl., § 21 Rdn. 107, § 83 Rdn. 42, 45; BPatGE 20, 133, 138; 29, 223, 226 für das
Gebrauchsmusterlöschungsverfahren; a.A. Hövelmann, GRUR 1997, 109, 110 f., und - für das Nichtigkeitsverfahren - wohl auch Schulte, PatG, 5. Aufl., § 81 Rdn. 62b). Nachdem die Patentabteilung so nicht verfahren ist, sondern den verteidigten Anspruch daraufhin untersucht hat, ob dieser Anspruch auf einen über den Inhalt der Anmeldung hinausgehenden Gegenstand gerichtet ist (der als erteilter Anspruch nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG zum Widerruf des Streitpatents führen müûte und mit dem das Patent daher nicht aufrechterhalten werden kann), hatte das Beschwerdegericht diese Entscheidung nachzuprüfen. Im Rahmen dieser Prüfung war das Bundespatentgericht nicht auf dasjenige Merkmal beschränkt, das die Patentabteilung als unzulässige Erweiterung angesehen hat, denn die Erweiterung bezieht sich stets auf den Anspruch als Ganzen.
3. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Durchschnittsfachmann habe den ursprünglichen Unterlagen die Lehre nach dem geltenden Patentanspruch 1 nicht entnehmen können. Denn in den ursprünglichen Unterlagen sei zum einen das Merkmal im Oberbegriff des Anspruchs 1, wonach die Relativverdrehung der Schwungmassen entgegen der Wirkung einer beliebigen Dämpfungseinrichtung erfolgen solle, sachlich nicht offenbart, zum anderen erlaubten sie nicht das Weglassen von zwingend zum Gegenstand der ursprünglichen Stammanmeldung gehörigen lösungswesentlichen Merkmalen im geltenden und auch schon erteilten Patentanspruch 1. Aus der Anmeldung ergebe sich für den Fachmann eine Drehmomentübertragungseinrichtung mit einer bestimmten baulichen Konzeption und einer speziellen Steuerung zur Veränderung bzw. Verringerung der Dämpfung, wenn die Reibungskupplung gelöst werde. Für diese Steuerung sei in den ursprünglichen Unterlagen ein Mechanismus offenbart, der nicht nur die Merkmale des kennzeichnenden Teils
des geltenden Patentanspruchs 1, sondern zugleich auch die axiale Verschiebbarkeit der die Reibungskupplung tragenden Schwungmasse (erteilter Anspruch 3) und die Reib- und Gleitverbindung (etwa erteilter Anspruch 12) in untrennbarer Weise umfasse.
Das beanstandet die Rechtsbeschwerde im Ergebnis ohne Erfolg.

a) Das Bundespatentgericht hält das Merkmal, wonach die Schwungmassen entgegen der Wirkung einer Dämpfungseinrichtung relativ zueinander verdrehbar sind, für in den ursprünglichen Unterlagen in dieser allgemeinen Weise nicht offenbart. Aus der ursprünglichen Beschreibung in Verbindung mit den Figuren gehe wie auch aus dem ursprünglichen Anspruch 31 hervor, daû die Dämpfungseinrichtung aus in Umfangsrichtung wirksamen Kraftspeichern bestehe und damit das Nominaldrehmoment übertragen werde. Die im ursprünglichen Anspruch 31 enthaltene Alternative, die statt der in Umfangsrichtung wirksamen Kraftspeicher Reib- oder Gleitmittel vorsehe, bilde nach dem Verständnis des Fachmanns zumindest beim abgetrennten Gegenstand keinen Ersatz für in Umfangsrichtung wirkende Kraftspeicher. Andere Ausführungsmöglichkeiten hinsichtlich der Übertragung des Nominaldrehmoments seien vom Fachmann nicht erkennbar.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Merkmal findet sich - abgesehen von der bereits von der Patentabteilung für unbedenklich angesehenen Einfügung des Wortes "relativ" - bereits in Anspruch 1 der zugrundeliegenden Anmeldung. Das Bundespatentgericht, das das nicht verkennt, meint, der ursprüngliche Patentanspruch 1 weise vorwiegend allgemeine dämpfungstechnische Wirkangaben auf und sei so weit gefaût, daû ein Bezug zu
der sich aus der Gesamtheit der ursprünglichen Unterlagen ergebenden konkreten Lehre nicht ersichtlich sei und Anspruch 1 deshalb nicht als prinzipielle Verkörperung des Anmeldungsgegenstands verstanden werde. Dies gelte schon deswegen, weil im ursprünglichen Anspruch 1 die Reibungskupplung und das zugehörige Ausrücksystem nicht erwähnt würden, die aber für den im Streitpatent weiterzubildenden Gegenstand die entscheidende Grundlage bildeten.
Diese Erwägungen begründen die vom Bundespatentgericht angenommene unzulässige Erweiterung nicht. Das Bundespatentgericht zieht nicht in Zweifel, daû in den ursprünglichen Unterlagen eine Dämpfungseinrichtung aus in Umfangsrichtung wirksamen Kraftspeichern offenbart ist. Es zieht auch nicht in Zweifel, daû der Fachmann, als den das Bundespatentgericht rechtsfehlerfrei einen Hochschulingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Dämpfungsvorrichtungen insbesondere in Verbindung mit Kraftfahrzeugkupplungen ansieht, hierin ein Mittel sieht, kraft dessen die Schwungmassen - in den Worten des verteidigten Anspruchs - entgegen der Wirkung einer Dämpfungseinrichtung relativ zueinander verdrehbar sind. Unter diesen - dem Rechtsbeschwerdeverfahren zugrundezulegenden - Voraussetzungen kann aber das sachlich unverändert aus Anspruch 1 der Anmeldung in Patentanspruch 1 übernommene Merkmal keine unzulässige Erweiterung darstellen, weil es nichts enthält, was nicht bereits Inhalt der Anmeldung gewesen wäre. Der Umstand, daû die Anmeldung nach den Feststellungen des Bundespatentgerichts nur eine Ausführungsform "einer ganz bestimmten Baukonzeption" mit in Umfangsrichtung wirksamen Kraftspeichern (ausführbar) offenbart, steht dem nicht entgegen. Denn offenbart ist alles das, was in der Gesamtheit der ursprünglichen Unterlagen schriftlich niedergelegt
ist und sich dem Fachmann ohne weiteres aus dem Gesamtinhalt der Unterlagen am Anmeldetag erschlieût (Sen., BGHZ 111, 21, 26 - Crackkatalysator I). Ein "breit" formulierter Anspruch ist unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung deshalb jedenfalls dann unbedenklich, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung - sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen - als zu der angemeldeten Erfindung gehörig entnehmbar war.

b) Das Bundespatentgericht hat weiter festgestellt, der Fachmann entnehme den ursprünglichen Unterlagen eine Steuerung zur Veränderung bzw. Verringerung der Dämpfung, die nicht nur die Merkmale des kennzeichnenden Teils des geltenden Patentanspruchs 1, sondern zugleich auch die axiale Verschiebbarkeit der die Reibungskupplung tragenden Schwungmasse in untrennbarer Weise umfasse.
aa) Im einzelnen hat das Bundespatentgericht hierzu ausgeführt: In der Anmeldung werde die ferdernde Verspannung der Schwungmassen im Zusammenhang mit der Tellerfeder 34, dem Reibring 22 und der axialen Verlagerbarkeit der Schwungmasse 4 gegenüber der Schwungmasse 3 beschrieben. Im weiteren werde dort zur Funktionsweise ausgeführt, daû das durch den Reibring 22 erzeugte Reibmoment abnehme, wenn mit zunehmender Ausrückkraft die Vorspannung der Tellerfeder 34 allmählich kompensiert werde, und daû bei Überwindung der Vorspannung der Tellerfeder 34 diese verschwenkt und die Schwungmasse 4 um den Betrag X in Richtung der Schwungmasse 3 mit der
Folge verlagert werde, daû der Reibring 22 abhebe und keine Reibungsdämpfung mehr erzeugt werde. Die axial federnde Verspannung der Schwungmassen mit der entgegen der Betätigungskraft der Reibungskupplung wirkenden Vorspannkraft und die axiale Verlagerbarkeit der Schwungmassen sowie die Reib- und Gleitverbindung stellten eine Funktions- und Steuereinheit dar, die das allgemeine Lösungsprinzip verkörpere. In den ursprünglichen Unterlagen werde es bei der als Stand der Technik erörterten Drehmomentübertragungseinrichtung nach der deutschen Offenlegungsschrift 28 26 274 als nachteilig angesehen, daû der radiale Flansch der Flanschhülse, die die drehbare Lagerung der Schwungmassen zueinander ermögliche, beim Betätigen der Reibungskupplung zwischen den Schwungmassen mit groûer Kraft verspannt werde, wodurch ein hohes Reibmoment zwischen den Schwungmassen auftrete und die Dämpfung beeinträchtige. Mit dem Patentgegenstand solle eine derart hohe Reib- und Dämpfungswirkung vermieden werden, wofür die axiale Verlagerbarkeit der Schwungmassen und die Reib- und Gleitverbindung unverzichtbare Bestandteile der offenbarten Steuerung seien.
bb) Das trägt die angefochtene Entscheidung.
Bis zum Beschluû über die Erteilung des Patents sind nach § 38 PatG Änderungen der in der Anmeldung enthaltenen Angaben zulässig, die den Gegenstand der Anmeldung nicht erweitern. Der Gegenstand der Anmeldung darf bei der Aufstellung des Patentanspruchs anders formuliert werden, und er darf beschränkt werden. Eine solche Änderung darf aber nicht zu einer Erweiterung des Gegenstands der Anmeldung führen, und sie darf nicht dazu führen, daû an die Stelle der angemeldeten Erfindung eine andere gesetzt wird (Sen., BGHZ 66, 17, 29 - Alkylendiamine I; BGHZ 110, 123, 125 - Spleiûkammer). Der
Patentanspruch darf mithin nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, von dem der Durchschnittsfachmann aufgrund der ursprünglichen Offenbarung nicht erkennen kann, daû er von vornherein von dem Schutzbegehren umfaût sein soll (Sen.Urt. v. 21.9.1993 - X ZR 50/91, Mitt. 1996, 204, 206 - Spielfahrbahn; Sen.Beschl. v. 20.6.2000 - X ZB 5/99, GRUR 2000, 1015, 1016 - Verglasungsdichtung; v. 5.10.2000 - X ZR 184/98, GRUR 2001, 140, 141 - Zeittelegramm).
Das Bundespatentgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daû der Fachmann den in dem verteidigten - wie in dem erteilten - Patentanspruch bezeichneten Gegenstand den ursprünglichen Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörig entnehmen kann.
cc) Die Rechtsbeschwerde verweist allerdings zu Recht darauf, daû der Anmelder oder der Patentinhaber, wenn er nur noch für eine bestimmte Ausführungsform der angemeldeten Erfindung Schutz begehrt, nicht genötigt ist, sämtliche Merkmale eines Ausführungsbeispiels in den Anspruch aufzunehmen. Die Aufnahme eines weiteren Merkmals aus der Beschreibung in den Patentanspruch ist zulässig, wenn dadurch die zunächst weiter gefaûte Lehre auf eine engere Lehre eingeschränkt wird und wenn das weitere Merkmal in der Beschreibung als zu der beanspruchten Erfindung gehörend zu erkennen war (Sen., BGHZ 111, 21, 25 - Crackkatalysator I; Beschl. v. 30.10.1990 - X ZB 18/88, GRUR 1991, 307, 308 - Bodenwalze; Urt. v. 7.12.1999 - X ZR 40/95, GRUR 2000, 591, 592 - Inkrustierungsinhibitoren). Dienen mehrere in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels genannte Merkmale der näheren Ausgestaltung der unter Schutz gestellten Erfindung, die je für sich, aber auch zusammen den durch die Erfindung erreichten Erfolg fördern, hat es
der Patentinhaber in der Hand, ob er sein Patent durch die Aufnahme einzelner oder sämtlicher dieser Merkmale beschränkt; in dieser Hinsicht können dem Patentinhaber keine Vorschriften gemacht werden (Sen., BGHZ 110, 123, 126 - Spleiûkammer).
Das bedeutet jedoch nicht, daû der Patentinhaber nach Belieben einzelne Elemente eines Ausführungsbeispiels im Patentanspruch kombinieren dürfte. Die Kombination muû vielmehr in ihrer Gesamtheit eine technische Lehre darstellen, die der Fachmann den ursprünglichen Unterlagen als mögliche Ausgestaltung der Erfindung entnehmen kann; andernfalls wird etwas beansprucht , von dem der Durchschnittsfachmann aufgrund der ursprünglichen Offenbarung nicht erkennen kann, daû es von vornherein von dem Schutzbegehren umfaût sein soll, und das daher gegenüber der angemeldeten Erfindung ein aliud darstellt (Sen.Beschl. v. 23.1.1990 - X ZB 9/89, GRUR 1990, 432, 434 - Spleiûkammer [insoweit nicht in BGHZ]).
dd) Nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Bundespatentgerichts umfaût die Angabe im verteidigten Patentanspruch , daû die Schwungmassen durch einen Kraftspeicher axial zueinander federnd verspannt sind, aus der Sicht des Fachmanns nicht notwendigerweise eine axiale Verlagerbarkeit der Schwungmassen als ungeschriebenen Bestandteil der technischen Lehre des Anspruchs. Vom Anspruch umfaût ist daher auch eine Ausführungsform, bei der die Schwungmassen axial federnd verspannt sind, ohne axial verlagerbar zu sein. Nach den weiteren Ausführungen des Beschwerdegerichts konnte der Fachmann der Anmeldung axial federnd verspannte Schwungmassen jedoch nur im Zusammenhang mit einer gleichzeitigen axialen Verschiebbarkeit dieser Schwungmassen entnehmen. Das
Bundespatentgericht hat insoweit auf die dem Fachmann in der Beschreibung erläuterte Funktion der axial federnde Verspannung der Schwungmassen für deren axiale Verlagerung und die Bedeutung dieser Verlagerung für die Lösung des der Anmeldung zugrundeliegenden Problems abgestellt. Diese Ausführungen , die das Bundespatentgericht noch zusätzlich darauf hätte stützen können, daû die axiale Verspannung der Schwungmassen auch im allgemeinen Teil der Beschreibung und in den in der Anmeldung formulierten Ansprüchen nur als Ausführungsform axial verlagerbarer Schwungmassen angesprochen ist, sind als tatrichterliche Feststellungen, gegen die durchgreifende Rechtsbeschwerdegründe nicht erhoben sind, für das Rechtsbeschwerdeverfahren bindend (§ 107 Abs. 2 PatG).
ee) Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, diesen Feststellungen lägen unzutreffende Maûstäbe zugrunde.
Zu Unrecht sieht sie solche in der Bemerkung des Bundespatentgerichts , für den Fachmann seien aus der Anmeldung auch keine anderen Ausführungsformen erkennbar, die die Offenbarung der im geltenden Anspruch 1 angegebenen Lösung rechtfertigen könnten. Damit hat das Bundespatentgericht nicht zum Ausdruck gebracht, nur bei einem solchen (weiteren) Ausführungsbeispiel könne die beanspruchte Lösung als offenbart gelten.
Unbegründet ist auch die Rüge, das Bundespatentgericht habe angenommen , Rechte aus dem Streitpatent könnten "(selbstverständlich) nur im Sinne des in der Beschreibung offenbarten Ausführungsbeispiels geltend gemacht werden". An der angegebenen Stelle hat das Bundespatentgericht vielmehr - zutreffend - ausgeführt, Mängel im geltenden Anspruch 1 hinsichtlich
der ursprünglichen Offenbarung könnten nicht, wie von der Patentinhaberin eingeworfen worden sei, dadurch kompensiert werden, daû das Streitpatent (selbstverständlich) nur im Sinne des in der Beschreibung offenbarten Ausführungsbeispiels gegenüber Dritten geltend gemacht werden könne; dafür biete das Patentrecht keine Handhabe.
Nicht unbedenklich sind hingegen zwar die Ausführungen des Beschwerdegerichts , die Abstraktion des konkreten Gegenstandes dürfe nicht zu einer unbestimmten und diffusen Aussage oder Anweisung führen, die eine klare Vorstellung vom Wesen des ursprünglich offenbarten Anmeldungsgegenstandes nicht mehr vermittele und über die ursprüngliche Offenbarung in unzulässiger Weise hinausgehe, was im Streitfall ersichtlich der Fall sei, da wesentliche Elemente der Steuerung nicht im Hauptanspruch angegeben würden und für das Lösungsprinzip die steuernden und zu steuernden Mittel oder Vorrichtungen unverzichtbar seien. Es ist jedoch weder von der Rechtsbeschwerde dargelegt noch sonst erkennbar, inwiefern die Feststellungen zum Verständnis des Fachmanns vom Inhalt der Anmeldung hierdurch beeinfluût sein könnten.
ff) Wenn das Bundespatentgericht aus den zu dd) genannten Feststellungen abgeleitet hat, ein Anspruch, der nur die axial federnde Verspannung der Schwungmassen und den der Ausrückkraft der Reibkupplung entgegenwirkenden Kraftspeicher zur Kennzeichnung der Lösung anführe, sei "aus Offenbarungsgründen nicht statthaft" und führe zu einer sich dem Fachmann aus den ursprünglichen Unterlagen nicht erschlieûenden und deshalb unzulässigen Teil- oder Unterkombination, hat es nach alledem entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht unzulässig Fragen zum Anspruch auf Erteilung des Patents mit solchen aus dem Recht der Patentverletzung vermengt. Es hat
vielmehr zutreffend darauf abgestellt, daû der verteidigte Anspruch auf eine Kombination von Merkmalen gerichtet sei, die dem Fachmann nach seinen Feststellungen in der dem Streitpatent zugrundeliegenden Anmeldung nicht als zur Erfindung gehörende Kombination offenbart wird.

c) Hiernach kommt es nicht mehr darauf an, ob das Bundespatentgericht auch rechtsfehlerfrei festgestellt hat, nach der Ursprungsoffenbarung gehöre ebenso die Reib- und Gleitverbindung, wie sie etwa im erteilten Anspruch 12 angegeben sei, zu dem erfindungsgemäûen Steuerungsmechanismus, wogegen sprechen könnte, daû eine solche Verbindung in der Beschreibung (S. 17) lediglich als vorteilhaft bezeichnet ist.
4. Das Bundespatentgericht hat den Antrag zurückgewiesen, die Rückzahlung der Gebühren für die abgetrennte Anmeldung 34 48 593.7 anzuordnen. Insoweit ist die Rechtsbeschwerde ohne Begründung geblieben und deswegen als unzulässig zu verwerfen (§§ 102, 104 PatG).
III. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten (§ 107 Abs. 1 PatG).
Rogge Jestaedt Melullis
Scharen Meier-Beck
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Diese erste Auswahlentscheidung kann auch nicht mit der Erwägung vernachlässigt werden, dass der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit stets der nächstkommende Stand der Technik zugrunde zu legen wäre und dieser hier in den von Chakrabarti beschriebenen 4'-(N-Methylpiperazinyl)-Verbindungen oder gar einer bestimmten Verbindung aus dieser Gruppe läge. Ein solcher Vorrang des "nächstkommenden Standes der Technik" besteht nicht. Erst aus rückschauender Sicht wird erkennbar, welche Vorveröffentlichung der Erfindung am nächsten kommt und wie der Entwickler hätte ansetzen können, um zu der erfindungsgemäßen Lösung zu gelangen. Die Wahl des Ausgangspunktes bedarf daher der Rechtfertigung, die in der Regel in dem Bemühen des Fachmanns liegt, für einen bestimmten Zweck eine bessere Lösung zu finden, als sie der bekannte Stand der Technik zur Verfügung stellt.

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.