Bundesgerichtshof Urteil, 14. Jan. 2014 - X ZR 148/12

bei uns veröffentlicht am14.01.2014
vorgehend
Bundespatentgericht, 4 Ni 43/10, 08.11.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 148/12 Verkündet am:
14. Januar 2014
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. Januar 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. MeierBeck
, die Richter Dr. Bacher, Hoffmann und Dr. Deichfuß und die Richterin
Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 8. November 2012 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert. Das europäische Patent 1 069 918 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass Patentanspruch 1 folgende Fassung erhält, auf die sich die übrigen Patentansprüche rückbeziehen: "1. Einrichtung zum positionsdefinierten Aufspannen eines Werkstücks im Arbeitsbereich einer Bearbeitungsmaschine , mit einem im Arbeitsbereich der Bearbeitungsmaschine zu fixierenden Spannfutter (1) und einem auf das Spannfutter (1) aufsetzbaren und daran festzuspannenden Werkstückträger (25), ferner mit ersten Positioniermitteln (22, 23) am Spannfutter (1) und zweiten Positioniermitteln am (30, 29) am Werkstückträger (25), welche als Richtelemente paarweise zusammenarbeiten und den Werkstückträger (25) in drei senkrecht zueinander verlaufenden Koordinatenachsen (X, Y, Z) sowie winkelgerecht gegenüber dem Spannfutter (1) positionieren, wobei die Positionierung in X-YRichtung mittels Zentrierzapfen (22) und zugehörigen Vertiefungen (30) und in Z-Richtung mit als Z-Referenz dienenden erhöhten Flächenabschnitten (23) am Spannfutter (1) und einer plangeschliffenen als Z- Referenz dienenden Fläche am Werkstückträger (25) erfolgt, und mit einer Spannvorrichtung (12, 14, 18, 28), deren Spannkraft den Werkstückträger in der durch die Positioniermittel festgelegten Position am Spannfutter festhält, dadurch gekennzeichnet, dass die Einrichtung eine Mehrzahl von erste (22) und zweite (30) Positioniermittel aufweisenden Richtelementen umfasst, die entlang eines Kreises angeordnet sind, und dass die einzige Spannvorrichtung (12, 14, 18, 28) eine Mehrzahl von Spannorganen (18, 28) umfasst, deren sämtliche axiale Komponenten der Spannkraft-Wirkungslinien zumindest annähernd auf oder aber außerhalb und im Bereich einer gedachten, Z-Achsen-parallelen, die ersten (22, 23) und (29, 30) zweiten Positioniermittel schneidenden Zylindermantelfläche (MF) liegen, und dass die einzige Spannvorrichtung einen einzigen federbelasteten Ringkolben (12) aufweist, der im Inneren eines Ringraumes (11) des Spannfutters (1) in Richtung der Z-Achse des Spannfutters (1) mittels Druckluft oder hydraulisch entgegen der Wirkung von Spannfedern (14) verschiebbar ist und unter Wirkung der Spannfedern (14) die Spannorgane der Spannvorrichtung betätigt." Die Kosten des Rechtsstreits I. Instanz werden gegeneinander aufgehoben. Von den Kosten des Rechtsstreits II. Instanz tragen die Beklagte 1/4 und die Klägerin 3/4.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


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Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 068 918 (Streitpatents), das am 26. Juni 2000 unter Inanspruchnahme einer schweizerischen Priorität vom 14. Juli 1999 angemeldet wurde und eine Einrichtung zum positionsdefinierten Aufspannen eines Werkstücks im Arbeitsbereich einer Bearbeitungsmaschine betrifft. Das Streitpatent umfasst in der erteilten Fassung elf Patentansprüche, von denen Patentanspruch 1 in der Verfahrenssprache wie folgt lautet: "Einrichtung zum positionsdefinierten Aufspannen eines Werkstücks im Arbeitsbereich einer Bearbeitungsmaschine, mit einem im Arbeitsbereich der Bearbeitungsmaschine zu fixierenden Spannfutter (1) und einem auf das Spannfutter (1) aufsetzbaren und daran festzuspannenden Werkstückträger (25), ferner mit ersten Positioniermitteln (22, 23) am Spannfutter (1) und zweiten Positioniermitteln am (30, 29) am Werkstückträger (25), welche als Richtelemente paarweise zusammenarbeiten und den Werkstückträger (25) in drei senkrecht zueinander verlaufenden Koordinatenachsen (X, Y, Z) sowie winkelgerecht gegenüber dem Spannfutter (1) positionieren, und mit einer Spannvorrichtung (12, 14, 18, 28), deren Spannkraft den Werkstückträger in der durch die Positioniermittel festgelegten Position am Spannfutter festhält, dadurch gekennzeichnet, dass die Einrichtung eine Mehrzahl von erste (22) und zweite (30) Positioniermittel aufweisenden Richtelementen umfasst, die entlang eines Kreises angeordnet sind, und dass die Spannvorrichtung (12, 14, 18, 28) eine Mehrzahl von Spannorgangen (18, 28) umfasst, deren axiale Komponenten der SpannkraftWirkungslinien zumindest annähernd auf oder aber außerhalb einer gedachten , Z-Achsen-parallelen, die ersten (22, 23) und (29, 30) zweiten Positioniermittel schneidenden Zylindermantelfläche (MF) liegen."
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Die übrigen Patentansprüche sind unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen.
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Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents in der verteidigten Fassung sei unzureichend offenbart, unzulässig erweitert und nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent mit einem Haupt- und drei Hilfsanträgen in geänderter Fassung verteidigt.
Das Patentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet
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der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, soweit es über die aus dem Tenor seines Urteils vom 8. November 2012 ersichtliche Fassung hinausgeht, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Klageziel weiterverfolgt. Den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Ausführbarkeit hat die Klägerin in der Berufungsinstanz nicht mehr geltend gemacht. Stattdessen bestreitet sie die Zulässigkeit der beschränkt verteidigten Fassung des Streitpatents unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Bestimmtheit. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen und verteidigt das Streitpatent in erster Linie beschränkt in der aus dem Tenor ersichtlichen Fassung sowie hilfsweise in zwei abermals geänderten Fassungen.

Entscheidungsgründe:


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I. Das Streitpatent betrifft in seiner mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung eine Einrichtung zum positionsdefinierten Aufspannen eines Werkstücks im Arbeitsbereich einer Bearbeitungsmaschine.
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1. Derartige Einrichtungen sind nach den Ausführungen der Streitpatentschrift bekannt und sollen sicherstellen, dass zu bearbeitende Werkstücke auf einem dem Werkstückträger angepassten Spannfutter stets in der genau definierten Soll-Lage in X-, Y- und in Z-Richtung sowie bezüglich der Winkelausrichtung um die Z-Achse in eine Bearbeitungsmaschine eingespannt werden können. Dies ist von Bedeutung, wenn Werkstücke zur sukzessiven Bearbeitung auf verschiedenen Bearbeitungsmaschinen oder auf Mess- und Prüfstationen eingespannt werden müssen.
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Bei der in der Streitpatentschrift als Stand der Technik beispielhaft erläuterten Einrichtung erfolgt die Ausrichtung des Werkstückträgers in X- und YRichtung über zwei über die Oberfläche des Spannfutters herausragende und mit entsprechenden Anlageflächen versehene Zentrierleistenpaare. Für die Ausrichtung in Z-Richtung sind vier über die Oberfläche des Spannfutters vorstehende Zapfen vorgesehen, auf deren Stirnflächen die plane Oberfläche des Werkstückträgers aufzuliegen bestimmt ist. Der Werkstückträger ist mit zwei Paaren von auf die Zentrierleisten ausgerichteten Nuten mit zur Anlage an die Leisten vorgesehenen elastischen Lippen versehen. Der Werkstückträger weist eine Mittelbohrung zur Aufnahme eines Zugbolzens auf, über den die zur lagegerechten Zentrierung des Werkstückträgers erforderliche Spannkraft übertragen wird. Dabei arbeitet ein im Spannfutter zentrisch angeordneter Kugelverschluss mit dem Zugbolzen zusammen.
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Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift besteht bei derartigen bisher im Stand der Technik bekannten Einrichtungen das Problem darin, dass diese keine allzu großen Kipp- und Drehmomente aufzunehmen vermögen, die insbesondere bei der zerspanenden Bearbeitung vor allem großer Werkstücke auftreten können.
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Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, eine Einrichtung zum positionsdefinierten Aufspannen eines Werkstücks im Arbeitsbereich einer Bearbeitungsmaschine derart weiterzubilden, dass der am Spannfutter festgespannte Werkstückträger und damit das zu bearbeitende Werkstück bei gleichbleibender, hoher Positioniergenauigkeit, beispielsweise auch beim wiederholten Aus- und Einspannen, größere Kipp- und Drehmomente aufnehmen kann, ohne dass sich die gegenseitige Lage von Werkstückträger und Spannfutter verändert.
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Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 eine Einrichtung zum positionsdefinierten Aufspannen eines Werkstücks im Arbeitsbereich einer Bearbeitungsmaschine vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (Gliederungspunkte des Patentgerichts in eckigen Klammern): 1. Die Einrichtung [1] weist folgende Bestandteile auf: 1.1 ein Spannfutter (1), 1.1.1 das im Arbeitsbereich der Bearbeitungsmaschine zu fixieren ist [2], 1.1.2 an dem erste Positioniermittel (22, 23) angeordnet sind [4], 1.2 einen Werkstückträger (25), 1.2.1 der auf das Spannfutter (1) aufsetzbar und daran festzuspannen ist [3], 1.2.2 an dem zweite Positioniermittel (30, 29) angeordnet sind [5], 1.3 eine einzige Spannvorrichtung (12, 14, 18, 28) [7], 1.3.1 deren Spannkraft den Werkstückträger in der durch die Positioniermittel festgelegten Position am Spannfutter festhält [7.1], 1.3.2 die eine Mehrzahl von Spannorganen (18, 28) umfasst [9] und 1.3.3 die einen einzigen federbelasteten Ringkolben (12) aufweist, der im Inneren eines Ringraums (11) des Spannfutters (1) in Richtung der Z-Achse des Spannfutters (1) mittels Druckluft oder hydraulisch entgegen der Wirkung von Spannfedern (14) verschiebbar ist und unter Wirkung der Spannfedern (14) die Spannorgane betätigt. 2. Die Positioniermittel (22, 23; 30, 29) 2.1 arbeiten als Richtelemente paarweise zusammen [6], 2.2 positionieren den Werkstückträger (25) in drei senkrecht zueinander verlaufenden Koordinatenachsen (X, Y, Z) so- wie winkelgerecht gegenüber dem Spannfutter (1) [6.1], wobei die Positionierung 2.2.1 in X-Y-Richtung mittels Zentrierzapfen (22) und zugehörigen Vertiefungen (30) erfolgt [6.2] und 2.2.2 in Z-Richtung mit als Z-Referenz dienenden erhöhten Flächenabschnitten (23) am Spannfutter (1) und einer plangeschliffenen, als Z-Referenz dienenden Fläche am Werkstückträger (25) erfolgt [6.3]. 3. Eine Mehrzahl von erste (22) und zweite (30) Positioniermittel umfassenden Richtelementen [8] ist entlang eines Kreises angeordnet [8.1]. 4. Sämtliche axiale Komponenten der Spannkraftwirkungslinien der Spannorgane liegen zumindest annähernd auf oder außerhalb und im Bereich einer gedachten Zylindermantelfläche (MF), die 4.1 zur Z-Achse parallel ist und 4.2 die ersten (22, 23) und zweiten (29, 30) Positioniermittel schneidet [9.1, 9.2].
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2. Das Patentgericht hat seiner Entscheidung folgendes Verständnis der für die Auslegung des Patentanspruchs 1 entscheidenden Merkmale 3 und 4 zugrunde gelegt:
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Die für das Festspannen des Werkstückträgers auf das Spannfutter vorgesehenen ersten und zweiten Positioniermittel am Spannfutter und am Werkstückträger , die als Richtelemente paarweise zusammenarbeiteten (Merkmal 2.1), seien, wie die gewählte Formulierung unmissverständlich klarstelle, nach Merkmal 3 ausnahmslos entlang eines einzigen Kreises und somit bezüglich des Kreismittelpunktes auf einem gemeinsamen Radius angeordnet. Dass dies nicht nur in Bezug auf die Positioniermittel für die Ausrichtung in die X- und Y-Richtung (Merkmal 2.2.1), sondern auch hinsichtlich der Positioniermittel für die Ausrichtung in Z-Richtung (Merkmal 2.2.2) gelte, ergebe sich für den Fachmann nicht zuletzt auch aus einer Zusammenschau mit Merkmal 4 und den Erläuterungen in der Streitpatentschrift, weil sonst keine eindeutige Z- achsenparallele Zylindermantelfläche entstehen könne, die sämtliche ersten und zweiten Positioniermittel schneide.
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Unter den in Merkmal 4 genannten axialen Komponenten der Spannkraftwirkungslinien seien, wie sich für den Fachmann aus Absatz 28 der Streitpatentschrift ergebe, die axialen Komponenten der Wirkungslinien der jeweiligen Teilspannkräfte zu verstehen. Die Formulierung "annähernd auf" einer gedachten Zylindermantelfläche sei im Sinne von "möglichst genau auf" oder "im Wesentlichen auf" der gedachten Zylindermantelfläche aufzufassen und vermittle dem Fachmann, dass ein Aufeinanderliegen der axialen SpannkraftWirkungslinien und der gedachten Zylindermantelfläche unter Berücksichtigung der Herstellungstoleranzen angestrebt werde. Die Formulierung "außerhalb und im Bereich" der Zylindermantelfläche bedeute, dass die axialen Komponenten der Spannkraftwirkungslinien zwar außerhalb, aber im Hinblick auf die gleichermaßen geltende Anforderung "im Bereich" unmittelbar neben der gedachten, zur Z-Achse parallelen Zylindermantelfläche liegen könnten, so dass die zwischen Positioniermitteln und Spannorganen entstehenden Hebelarme nahezu Null oder sehr klein würden.
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Zusammenfassend leiteten die Merkmale 3 und 4 den Fachmann an, sämtliche Positioniermittel entlang eines einzigen Kreises anzuordnen und gleichzeitig auch sämtliche Spannorgane auf oder unmittelbar neben der gedachten Zylindermantelfläche und damit annähernd auf demselben Radius wie sämtliche Positionierelemente anzuordnen. Soweit in Absatz 33 ein Ausführungsbeispiel beschrieben werde, das eine zusätzliche zentral angeordnete Spannvorrichtung aufweise, sei dies unbeachtlich, weil diese "Ausführungsform" erkennbar nicht vom Streitpatent umfasst sei.
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3. Dieser Auslegung des Patentanspruchs 1 kann - wie auch die Berufung zutreffend ausführt - nicht beigetreten werden.
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Merkmal 3 enthält den Beginn des kennzeichnenden Teils des Patentanspruchs 1, nach dem "die Einrichtung eine Mehrzahl von erste (22) und zweite (30) Positioniermittel aufweisenden Richtelementen umfasst, die entlang eines Kreises angeordnet sind". Schon die Formulierung, dass derartige Richtelemente umfasst seien, spricht gegen ein Verständnis, nach dem in Merkmal 3 eine Anforderung an sämtliche Positionierelemente formuliert wird. Zudem werden - anders als in den Merkmalen 1.1.2, 1.2.2, 2 und 4.2 - ausdrücklich nur die Bezugszeichen 22 und 30 genannt, die die Zentrierzapfen des Spannfutters und die korrespondierenden Vertiefungen des Werkstückträgers betreffen, die für die Positionierung in X- und Y-Richtung sorgen (Merkmal 2.2.2). Auch der Beschreibung lässt sich für das vom Patentgericht angenommene enge Verständnis des Merkmals 3 nichts entnehmen.
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Schließlich lässt sich die Auslegung des Patentgerichts auch nicht aus dem Zusammenhang mit Merkmal 4 ableiten. Denn der "Kreis" des Merkmals 3 wird in Merkmal 4 nicht aufgegriffen. Der Bezugspunkt der Anweisungen des Merkmals 4 ist nicht der (in der X-Y-Ebene beschriebene) Kreis, sondern eine gedachte, zur Z-Achse parallele Zylindermantelfläche.
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Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang ausführt, erfindungsgemäß lägen alle Richtelemente auf einem Kreis, wobei als Kreis "ersichtlich" nicht eine mathematisch definierte Linie zu verstehen sei, sondern "in technischer Hinsicht" ein Kreisring mit einer geringen radialen Ausdehnung, ist festzuhalten, dass weder der Kreisring noch die postulierte geringe radiale Ausdehnung eine Stütze in der Beschreibung finden. Bestimmt ist lediglich, dass die Positioniermittel 22, 30 "entlang eines Kreises" angeordnet sind.
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Ebenso hat das Patentgericht das Merkmal 4 zu eng ausgelegt. Zutreffend und auch von der Beklagten konzediert weist die Berufung darauf hin, dass die als Stand der Technik erörterte Einrichtung gerade deshalb als zur Aufnahme größerer Kipp- und Drehmomente wenig tauglich angesehen wird, weil sie eine in einer Mittelbohrung angeordnete Spannvorrichtung verwendet (Abs. 3 und 4), während der Vorteil der Erfindung darin gesehen wird, dass die Spannkräfte dort angreifen, wo sie ihre größte Wirkung entfalten können, nämlich "im Bereich" der ersten und zweiten Positioniermittel (Abs. 6). In Merkmal 4 wird dies dahin konkretisiert, dass die Spannkraftwirkungslinien entweder annähernd auf der gedachten Zylindermantelfläche oder außerhalb dieser und in deren "Bereich" liegen. Soweit das Patentgericht hieraus ableitet, die Wirkungslinien müssten "möglichst genau" auf der Mantelfläche oder, wenn außerhalb, unmittelbar neben dieser liegen, kann dem nicht beigetreten werden. Die in Merkmal 4 enthaltenen Varianten sind in ihrem Verhältnis zueinander vielmehr dahingehend zu verstehen, dass bei der Abweichung der Wirkungslinien von der Mantelfläche nach außen ein größerer Spielraum bestehen soll als bei der Abweichung nach innen. Auch wenn in Absatz 28 der Beschreibung von "unmittelbar" die Rede ist, ist die Verwendung dieses Begriffs bei der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels nicht geeignet, eine einschränkende Auslegung des Patentanspruchs, der diesen Begriff gerade nicht verwendet, zu stützen, zumal das mit Merkmal 4 angestrebte Ziel einen Verlauf der Spannkraftwirkungslinien, wie ihn das Patentgericht angenommen hat, auch nicht erfordert. Im Übrigen ergibt sich ein gewisser Spielraum bei der Abweichung der Wirkungslinien von der Mantelfläche auch schon daraus, dass die radiale Lage der gedachten Zylindermantelfläche ihrerseits nicht exakt definiert ist, weil sie nach Merkmal 4.2 die ersten und zweiten Positioniermittel nur schneiden muss.
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II. Auch auf dieser Grundlage hat die zulässige Berufung jedoch keinen Erfolg, soweit die Beklagte das Streitpatent in der Fassung ihres in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellten Hauptantrags verteidigt. Soweit die Beklagte das Streitpatent nicht mehr verteidigt, ist es ohne weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2006 - X ZR 236/01, BGHZ 170, 215 - Carvedilol II).
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1. Die beschränkte Verteidigung von Patentanspruch 1 gemäß dem jetzigen Hauptantrag ist zulässig.
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a) Mit der verteidigten Fassung beansprucht die Beklagte eine Einrichtung zum positionsdefinierten Aufspannen eines Werkstücks, die anders als in der vor dem Patentgericht verteidigten Fassung des Patentanspruchs 1 nur noch eine einzige Spannvorrichtung aufweist. Diese wird weiter durch das zusätzliche Merkmal 1.3.3 dahingehend konkretisiert, dass sie einen einzigen federbelasteten Ringkolben (12) aufweist, der im Inneren eines Ringraums (11) des Spannfutters (1) in Richtung der Z-Achse des Spannfutters (1) mittels Druckluft oder hydraulisch entgegen der Wirkung von Spannfedern (14) verschiebbar ist und unter Wirkung der Spannfedern (14) die Spannorgane betätigt.
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b) Eine in dieser Weise konkretisierte Spannvorrichtung ist in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen offenbart. Dort ist von einem Ringkolben im Inneren des Ringraums die Rede, der in Richtung der Z-Achse des Spannfutters mittels Druckluft entgegen der Wirkung von Federn verschiebbar ist. Ist der Ringkolben in seine Totpunktlage verschoben, tauchen bei dem beschriebenen Ausführungsbeispiel die im Kopfteil des Spannfutters enthaltenen Spannkugeln in die dafür vorgesehene Nut des Ringkolbens ein (europäische Patentanmeldung 1 068 918, Abs. 13 bis 15).
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c) Die Klägerin erachtet die Beschränkung durch die Hinzufügung des Merkmals 1.3.3 als unzulässig. Sie macht geltend, dass die mit diesem Merkmal beanspruchte Ringkolbentechnik in der Beschreibung und in den Anmeldeunterlagen ausschließlich im Zusammenhang mit Spannkugeln als Spannorganen offenbart sei, während nach der verteidigten Fassung der Ringkolben ohne diesen Bezug in den Patentanspruch 1 aufgenommen werden solle. Damit werde die in der Beschreibung geschilderte Funktionseinheit aufgelöst. Der Fachmann werde die Erläuterungen zur Funktionsweise des Ringkolbens in der Be- schreibung nicht im Sinne des Merkmals 1.3.3 abstrahieren, dass die Spannkugeln durch andere Spannorgane ersetzt werden könnten. Damit sei der mit Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung beanspruchte Gegenstand nicht unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend offenbart und mithin die Verteidigung des Streitpatents in dieser Fassung nicht zulässig.
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Dem kann nicht beigetreten werden. Dienen in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels genannte Merkmale, die für sich, aber auch zusammen den durch die Erfindung erreichten Erfolg fördern, der näheren Ausgestaltung der unter Schutz gestellten Erfindung, dann hat es der Patentinhaber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Hand, sein Patent durch die Aufnahme einzelner oder sämtlicher dieser Merkmale zu beschränken (BGH, Beschluss vom 23. Januar 1990 - X ZB 9/89, BGHZ 110, 123, 126 - Spleißkammer ). Die Kombination muss lediglich in ihrer Gesamtheit eine technische Lehre darstellen, die der Fachmann den ursprünglichen Unterlagen als mögliche Ausgestaltung der Erfindung entnehmen kann (BGH, Beschluss vom 11. September 2001 - X ZB 18/00, GRUR 2002, 49 - Drehmomentübertragungseinrichtung ). Diesen Anforderungen genügt die Kombination des Merkmals 1.3.3 mit den übrigen Merkmalen des Patentanspruchs 1. So wird in Absatz 7 der Streitpatentschrift und der Anmeldung ausgeführt, dass sich die mit der Erfindung angestrebte, hohe Widerstandsfähigkeit gegen eine Lageveränderung aufgrund der Einwirkung von Kippmomenten "zum Beispiel" dadurch realisieren lasse, dass die Spannorgane eine Mehrzahl von um den Umfang des Spannfutters verteilt angeordneten Spannkugeln umfassen, die mit einer in der Innenfläche des Werkzeugträgers umlaufenden Ringnut zusammenarbeiten. An dieser Stelle werden damit zum einen die Spannkugeln lediglich beispielhaft als mögliche Spannmittel der Spannorgane genannt, zum anderen findet der Ringkolben keine Erwähnung, so dass entgegen der Auffassung der Klägerin nicht angenommen werden kann, der Ringkolben und die Spannkugeln bildeten eine Funktionseinheit in dem Sinne, dass sie nur in dieser Kombination beansprucht werden könnten. Im Übrigen ist es unerheblich, dass in der An- meldung mit den Spannkugeln nur ein mögliches Spannmittel genannt ist. Denn ein solches Ausführungsbeispiel, mit dem der Anmelder der Anforderung genügt , die Erfindung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann, nötigt nicht dazu, den Gegenstand des Patentanspruchs hierauf zu beschränken (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2007 - X ZR 226/02, GRUR 2008, 60 - Sammelhefter II).
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d) Die Verteidigung des Streitpatents mit dem neuen Hauptantrag ist auch nach § 116 Abs. 2 PatG zulässig. Sie ist sachdienlich und kann auf Tatsachen gestützt werden, die der Senat der Verhandlung und Entscheidung über die Berufung nach § 117 PatG zugrunde zu legen hat. Der neue Hauptantrag beruht im Kern auf dem bereits erstinstanzlich gestellten Hilfsantrag II, auf den es nach dem Rechtsstandpunkt des Patentgerichts in erster Instanz nicht ankam. Soweit die Beklagte den ursprünglichen Hilfsantrag II in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in den Merkmalen 1.3, 1.3.3 und 4 ergänzt und modifiziert hat, hat sie damit in sachdienlicher Weise den Bedenken Rechnung getragen, auf die der Senat in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Ursprungsoffenbarung des Gegenstands des ursprünglichen Hilfsantrags II hingewiesen hat.
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2. Der Gegenstand der mit dem jetzigen Hauptantrag verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 ist patentfähig (Art. 52 Abs. 1 EPÜ).
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a) Der Gegenstand dieses Anspruchs ist neu.
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aa) Das Patentgericht hat zur Neuheit der dort verteidigten Fassung des Streitpatents, in der Merkmal 1.3.3 der im Berufungsverfahren verteidigten Fassung noch nicht enthalten war, ausgeführt:
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Die in der europäischen Patentschrift 697 267 (Anlage NK3) gezeigte Befestigungsvorrichtung für ein Werkzeug oder Werkstück weise mit dem Teil 1 und dem Halter 3 wie das Streitpatent ein im Arbeitsbereich der Bearbeitungs- maschine fixierbares Spannfutter und einen daran festzuspannenden Werkstück - bzw. Werkzeugträger auf. Ebenso verfüge die Vorrichtung nach der NK3 neben ersten Positioniermitteln am Spannfutter und zweiten Positioniermitteln am Werkstückträger, die paarweise als Richtelemente zusammenarbeiteten und den Werkstückträger in X- und Y-Richtung positionierten, auch über weitere Positioniermittel in Form von Passflächen für die Ausrichtung in Z-Richtung. Jedoch zeigten alle Figuren der NK3 Ausführungsformen mit einer rechteckigen oder möglicherweise auch quadratischen Anordnung der Spanneinrichtung, bei denen die Positionierelemente für die X-Y-Richtung in den Seitenmitten und die Positionierelemente für die Z-Richtung in den Ecken der Befestigungsvorrichtung angeordnet seien, so dass es an einer Anordnung der Positioniermittel entlang eines (einzigen) Kreises im Sinne des Merkmals 3 fehle. Entsprechendes gelte aber auch für eine nach der Beschreibung der NK3 ebenfalls mögliche runde Ausführungsform. Insoweit offenbare die NK3 zwar, dass die Positioniermittel für die X-Y-Richtung radial angeordnet seien. Hinsichtlich der Anordnung der Positioniermittel für die Z-Richtung enthalte die NK3 jedoch keine Angaben , so dass dem Offenbarungsgehalt der NK3 nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen sei, wie diese Positioniermittel bei einer runden Ausführungsform angeordnet seien. Ferner sei bei der Befestigungsvorrichtung nach der NK3 als Spannmittel in jedem Fall immer eine zentrale Spannschraube vorgesehen. Dadurch sei, unabhängig davon, ob zusätzliche Spannschrauben für weitere Befestigungen im Bedarfsfall vorhanden seien oder nicht, Merkmal 4 ebenfalls nicht verwirklicht.
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Auch die europäische Patentanmeldung 614 725 (Anlage NK4) nehme die Lehre des Streitpatents nicht vorweg. Eine klare technische Lehre, wonach alle Positioniermittel wie beim Streitpatent entlang eines (einzigen) Kreises angeordnet seien, vermittle die NK4 nicht, weil jedes der dort offenbarten Positioniermittel , insbesondere auch die kreisringförmig angeordneten Flächenabschnitte am Spannfutter sowie die plangeschliffene Fläche am Werkzeugträger, eine beträchtliche Ausdehnung habe. Die in der NK4 offenbarte Einrichtung weise überdies wegen der Verwendung von vier Spannfuttern mit jeweils kreisförmig um die Spannzapfen angeordneten Spannorganen in Form von Kugeln einen anderen Aufbau als das Streitpatent auf. Durch diese Kugeln werde die Spannkraft auf den jeweiligen Spannzapfen übertragen. Damit lägen die axialen Komponenten der Spannkraft-Wirkungslinien bei der NK4 nicht auf einer (einzigen ) Zylindermantelfläche oder unmittelbar daneben, sondern auf vier unterschiedlichen gedachten Mantelflächen; Merkmal 4 werde somit nicht verwirklicht.
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Das in der US-amerikanischen Patentschrift 5 190 272 (Anlage NK32) als Einrichtung im Sinne des Streitpatents einzuordnende Palettensystem weise mit der Stirnverzahnung der ringförmigen Einbauteile an Spannfutter und Werkstückträger zwar erste und zweite Positioniermittel im Sinne des Streitpatents auf, die in gleicher Weise wie beim Streitpatent als Richtelemente zusammenarbeiteten. Selbst wenn man mit der Klägerin annehme, dass die Zähne und die korrespondierenden Zahnlücken der Stirnräder als "Zentrierzapfen" und "Vertiefungen" im Sinne des Merkmals 2.2.1 aufzufassen seien, sei aber Merkmal 2.2.2 nicht offenbart. Denn bei der in NK32 offenbarten Einrichtung erfolge die Positionierung in Z-Richtung nicht mit als Z-Referenz dienenden, erhöhten Flächenabschnitten am Spannfutter und einer plangeschliffenen als Z-Referenz dienenden Fläche am Werkstückträger, sondern - wie in der X-Y-Ebene - ebenfalls durch die aufeinanderliegenden Schrägflächen der jeweiligen Zahnflanken der Stirnverzahnungen, weil bei Zahnpaarungen funktionsbedingt aufgrund des erforderlichen Zahnkopfspiels stets die Zahnflanken zueinander in Eingriff kämen.
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bb) Dies hält der Überprüfung im Berufungsverfahren zwar nicht in allen Punkten stand. Jedoch ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der im Berufungsverfahren verteidigten Fassung neu (Art. 54 Abs. 1 und 2 EPÜ).
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(1) Die NK3 offenbart - wie vom Patentgericht zutreffend ausgeführt - eine Befestigungseinrichtung für ein Werkzeug oder Werkstück, die aus zwei Teilen besteht, die dem Spannfutter (Halter/Teil 3 der NK3) und dem Werkstückträger (Teil 1 der NK3) beim Streitpatent entsprechen. Die Positionierung des Werkstückträgers in X-Y-Richtung erfolgt über Passvorsprünge am Werkstückträger , denen Passvertiefungen am Teil 1 entsprechen. Die Justierung in ZRichtung erfolgt über Passflächen an beiden Teilen. Die Passvorsprünge sind gleichmäßig am Umfang des Werkstückträgers verteilt. Bei dem in den Figuren der NK3 illustrierten Ausführungsbeispiel ist der Werkstückträger viereckig oder quadratisch gestaltet, so dass die Passvorsprünge rechtwinklig zu den Seitenflächen und den entsprechenden Rändern verlaufen. Die Beschreibung offenbart allerdings auch eine runde Ausgestaltung des Werkstückträgers, bei der die Passvorsprünge radial angeordnet sind (Sp. 6 Z. 26 f.; Sp. 5 Z. 33 f.). Dies entspricht, wie auch vom Patentgericht angenommen, den Merkmalsgruppen 1 und 2.
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Soweit das Patentgericht ausführt, in Bezug auf eine mögliche runde Ausführung sei die Positionierung der für die Ausrichtung in Z-Richtung maßgeblichen Passflächen und somit das Merkmal 3 nicht offenbart, kann dem nicht beigetreten werden. Abgesehen davon, dass Merkmal 3 ohnedies keine Anforderung an die Positionierung der Z-Referenz formuliert, ergibt sich, was im Hinblick auf Merkmal 4.2 von Bedeutung ist, aus Patentanspruch 1 und der Beschreibung der NK3 (Sp. 3 Z. 59 bis Sp. 4 Z. 2), dass die Passvorsprünge einstückig an einem der beiden Teile (Werkstück oder Halter) zwischen den Passflächen angeformt sind, während die korrespondierenden Passaussparungen an dem anderen Teil an den entsprechenden Stellen angeordnet sind. Da an dieser Stelle keine Einschränkungen gemacht werden, gilt dies sowohl für die viereckige als auch die runde Ausführungsform. Dies lässt sich auch Patentanspruch 7 entnehmen, der die Lage der Passvorsprünge auch für eine runde Ausführungsform beschreibt und sich im Übrigen auf Anspruch 1 rückbezieht.
Dementsprechend befinden sich auch bei einer runden Ausführungsform die Passflächen zwischen den Passvorsprüngen.
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Ob die Verwirklichung des Merkmals 4 zu verneinen ist, weil - wie das Patentgericht und die Beklagte annehmen - bei der Befestigungseinrichtung nach der NK3 als Spannmittel in jedem Fall immer eine zentrale Spannschraube vorgesehen sei, erscheint nicht zwingend. Denn die Erläuterungen in der Patentschrift , wonach bei der dort offenbarten Ausführungsform die zentrale Spannschraube in der Regel für eine Verspannung des Halters und des Spannfutters ausreichen solle, wenn auch an den Passflächen weitere Befestigungsmöglichkeiten vorgesehen sein könnten (Sp. 3 Z. 39 bis 46), sind nicht notwendig dahin zu verstehen, dass bei der Befestigungseinrichtung nach der NK3 in jedem Fall eine zentrale Spannschraube vorhanden sein müsse und erst im Bedarfsfall zusätzliche Schrauben für weitere Befestigungen vorgesehen werden könnten. So wird in der Beschreibung auch ausgeführt, was durch ein stärkeres Anziehen des Befestigungselements, nämlich durch die (zentrale) Schraube 2 oder mehrerer Schrauben, bewirkt werden soll (Sp. 4 Z. 17 bis 19). An einer anderen Stelle in der Beschreibung wird die Verwendung einer einzigen Spannschraube lediglich als Beispiel für die quer oder rechtwinklig zu der Berührebene der Passflächen verlaufenden Befestigungsmittel genannt (Sp. 7 Z. 31 bis 33). Insbesondere auch Patentanspruch 1 lässt sich eine derartige Beschränkung auf Befestigungsvorrichtungen mit einer zentralen Spannschraube nicht entnehmen. Dort ist vielmehr von mehreren Befestigungsmitteln die Rede, die für eine Verspannung der beiden Teile der Vorrichtung sorgen sollen, ohne dass hier ein Vorrang einer zentralen Spannschraube festgelegt wäre.
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Die Verwirklichung des Merkmals 4 kann jedoch dahinstehen. Denn die Einrichtung nach NK3 weist nicht als einzige Spannvorrichtung (Merkmal 1.3 in der Fassung des neuen Hauptantrags) einen federbelasteten Ringkolben auf, so dass jedenfalls Merkmal 1.3.3 nicht offenbart ist.
38
(2) Die Einrichtung zum positionsdefinierten Aufspannen eines Werkstücks nach der NK4 besteht aus einem am Arbeitsplatz der Bearbeitungsmaschine zu fixierenden Untersatz und einem auf den Untersatz aufsetzbaren und daran festspannbaren Werkstückträger, die jeweils mit Richtelementen versehen sind. Sie weist damit dieselben Bestandteile auf wie das Streitpatent nach den Merkmalsgruppen 1.1 und 1.2. Die Positionierung des Werkstückträgers erfolgt in X-Y-Richtung über am Untersatz vorgesehene lineare Richtelemente in Form von prismatischen Zentrierlinealen, die mit ihren als Zentrierschlitze ausgestalteten Gegenstücken am Werkstückträger zusammenarbeiten. Für die Festlegung der Position des Werkstückträgers in der Z-Achse sind paarweise zusammenarbeitende Anschlagflächen am Untersatz und am Werkstückträger vorgesehen (Merkmalsgruppe 2). Hiervon geht auch das Patentgericht aus. Soweit es allerdings annimmt, die NK4 vermittle keine klare technische Lehre des Inhalts, dass alle Positioniermittel entsprechend Merkmal 3 entlang eines Kreises anzuordnen seien, und dies damit begründet, dass die beträchtliche Ausdehnung der Positioniermittel der NK4 einer solchen Lehre entgegenstehe, kann dem nicht beigetreten werden. Wie die Klägerin mit einer entsprechenden Ergänzung der Figur 4 der NK4 (Anlage NK29) veranschaulicht hat, befinden sich bei der NK4 sämtliche Positioniermittel auf einer gedachten Kreislinie. Wie weit die Positioniermittel über eine solche gedachte Kreislinie hinausragen, ist auch für das Streitpatent nicht festgelegt.
39
Dagegen ist nach der nunmehr verteidigten Fassung des Patentanspruchs 1 die Merkmalsgruppe 1.3 nicht vollständig verwirklicht. Während die NK4 vier kreisförmige Spannfutter mit jeweils einem Spannzapfen in der Mitte aufweist, der kreisförmig von einem Kugelgesperre umgeben ist, ist der Gegenstand des Streitpatents in der verteidigten Fassung auf eine einzige Spannvorrichtung mit einem einzigen federbelasteten Ringkolben beschränkt.
40
Damit ist auch Merkmal 4 nicht verwirklicht. Bei der Einrichtung nach NK4 weist jedes der vier kreisförmigen Spannfutter der NK4 in der Mitte einen von einem Kugelgesperre umgegebenen Spannzapfen auf, so dass die axialen Komponenten der Spannkraftwirkungslinien auf vier unterschiedlichen gedachten , die Positioniermittel schneidenden Zylindermantelflächen verlaufen. Die Wirkungslinien liegen damit auch bei der NK4 zwar entweder annähernd auf oder außerhalb und "im Bereich" einer (einzigen) gedachten Zylindermantelfläche , allerdings jeweils nur bezogen auf ein einzelnes der vier Spannfutter. Merkmal 4 in der im Berufungsverfahren noch verteidigten Fassung ist damit nicht offenbart, da danach vorausgesetzt wird, dass sämtliche axialen Komponenten der Spannkraftwirkungslinien der Spannorgane entweder annähernd auf oder außerhalb und "im Bereich" einer gedachten Zylindermantelfläche liegen.
41
(3) Die NK32 betrifft ein Palettiersystem, mit dem Werkstücke in automatisierter Form auf Paletten den die einzelnen Bearbeitungsschritte ausführenden Maschinen zugeführt und auf diesen eingespannt werden können. Dabei wird das Werkstück auf einer Palette (pallet) oder einem Träger (carrier) aufgespannt , die oder der an jeder der einzelnen Bearbeitungsstationen mit einer Art Basisstation (actuator base, pallet base) so gekoppelt wird, dass das Werkstück in der Maschine stets in der für eine präzise Bearbeitung erforderlichen Lage positioniert und gleichzeitig stabil befestigt ist. Die Positionierung des Werkstückträgers auf der Basisstation erfolgt über korrespondierende mehrzahnige (Träger-)Ringe (multitoothed (carrier) rings) an diesen beiden Bauteilen. Anschließend wird der an der Basisstation befindliche Kolben mit Druckluft oder hydraulisch nach oben gedrückt, bis die Kugellager der Basisstation an den entsprechenden Verriegelungsflächen am Werkstückträger anliegen. Wenn der Kolben seine endgültige Position erreicht hat, werden die Kugellager gegen entsprechende Verriegelungsflächen am Werkstückträger gedrückt und die Basisstation ist mit dem Werkstückträger verbunden.
42
Damit weist die in NK32 offenbarte Einrichtung die Merkmalsgruppen 1.1, 1.2 und 1.3 sowie das Merkmal 3 auf. Die bei der NK32 als Positioniermittel fungierenden Zahnräder arbeiten wie die Positioniermittel des Streitpatents als Richtelement paarweise zusammen, so dass auch die Merkmale 2.1 und 2.2 verwirklicht sind. Allerdings unterscheidet die NK32 bei den Positioniermitteln nicht hinsichtlich solcher, die für die Ausrichtung in X-Y-Richtung zuständig sind und solchen, die die Ausrichtung in Z-Richtung übernehmen, so dass die Merkmale 2.2.1 und 2.2.2 nicht vollständig verwirklicht sind. Die Zahnräder der NK32 sind zwar den Zentrierzapfen und den damit korrespondierenden Vertiefungen im Sinne des Merkmals 2.2.1 bis zu einem gewissen Grad vergleichbar. Allerdings befinden sich beim Streitpatent die mit den Zähnen vergleichbaren Zentrierzapfen nur am Spannfutter, während der Werkstückträger insoweit mit den Vertiefungen nur Zahnlücken aufweist. Ferner fehlt es an als Z-Referenz dienenden Flächenabschnitten am Spannfutter bzw. der Basisstation und einer damit korrespondierenden plangeschliffenen Fläche am Werkstückträger. Wenn auch die Zahnringe bei der NK32 - wie die Klägerin unter Hinweis auf die Beschreibung (Sp. 5 Z. 46 bis 50 und S. 12 Z. 20 bis 25 der Übersetzung NK 32a) zutreffend ausführt - hinsichtlich der Stellwinkel und der Anzahl der Zähne unterschiedlich ausgestaltet sein können, so ist bei einer Ausgestaltung als Zähne doch davon auszugehen, dass die Zähne eines Ringes jeweils gleichmäßig gestaltet und nebeneinander angeordnet sind. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Spitzen der Zähne nicht als Flächen für die Ausrichtung in Z-Richtung anzusehen. Da die Zähne allenfalls den Zentrierzapfen des Streitpatents entsprechen, so entsprechen ihre Spitzen allenfalls den Spitzen oder Enden der Zentrierzapfen. Im Übrigen können sie, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht die Z-Referenz bilden.
43
b) Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung ist auch nicht durch den Stand der Technik nahegelegt (Art. 56 EPÜ).
44
(1) Zuständiger Fachmann ist, wie das Patentgericht zutreffend und von den Parteien unbeanstandet angenommen hat, ein Diplom-Ingenieur mit Fachhochschulausbildung der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Berufs- erfahrung in der Konstruktion von Spanneinrichtungen bei Werkzeugmaschinen.
45
(2) Ausgehend von der Entgegenhaltung NK3 müsste der Fachmann Anlass gehabt haben, die bei der dort gezeigten Befestigungsvorrichtung für das Verspannen von Spannfutter und Werkstückträger vorgesehenen Spannschrauben durch eine Ringkolbenkonstruktion im Sinne des Merkmals 1.3.3 zu ersetzen. Aus der NK3 selbst ergibt sich hierfür keine Anregung. Zwar ist das Merkmal 1.3.3 aus der Entgegenhaltung NK32 bekannt. Jedoch setzte eine Übertragung dieses Merkmals auf die in der NK3 offenbarte Konstruktion einen grundsätzlichen Umbau dieser Befestigungsvorrichtung aus, so dass insoweit nicht davon ausgegangen werden kann, dass dem Fachmann eine entsprechende Weiterentwicklung der NK3 durch die NK32 nahegelegt war.
46
(3) Auch war dem Fachmann der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der verteidigten Fassung weder durch die NK4 alleine noch in Verbindung mit der Entgegenhaltung NK32 nahegelegt.
47
Soweit die Klägerin geltend macht, der Fachmann entnehme der NK4 einerseits die Erkenntnis, dass die Positionierung und Justierung des Werkstücks mit einer Erhöhung der Zahl von Spannvorrichtungen verbessert werden könne, erkenne andererseits aber auch, dass die Zahl der Spannvorrichtungen aus Platzgründen nicht beliebig vergrößert werden könne, und komme vor diesem Hintergrund auf die dann naheliegende Möglichkeit, wie das Streitpatent nur eine einzige Spannvorrichtung vorzusehen, kann dem nicht beigetreten werden. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Fachmann, wenn er zu der Erkenntnis gelangt , dass eine größere Zahl von Spannvorrichtungen eine sichere und zuverlässige , repetierbare Positionierung und Befestigung gewährleistet, nur eine einzige Spannvorrichtung vorsehen soll.
48
Ebenso wenig kann ein Rückgriff auf die Entgegenhaltung NK32 zu einer anderen Beurteilung führen. Die in der NK32 gezeigte Hirth-Verzahnung stellt keine Spannvorrichtung dar, die gesonderte Mittel zur Verspannung in Z-Richtung aufweist. Der Fachmann, der bestrebt ist, die Positionierung des Werkstücks in alle Richtungen und damit auch in die Z-Richtung zu verbessern, hat daher keinen Anlass ausgehend von der NK4 ergänzend auf die NK32 zurückzugreifen.
49
(4) Schließlich war dem Fachmann der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der verteidigten Fassung auch nicht nahegelegt, wenn man die Entgegenhaltung NK32 als Ausgangspunkt heranzieht.
50
Das Patentgericht hat insoweit angenommen, dass die NK32 mit der Verwendung von Stirnverzahnungen für die Positionierung in Z-Richtung anstelle von korrespondierenden Flächenabschnitten am Spannfutter und am Werkstückträger die NK32 einen anderen Weg als das Streitpatent beschreite. Diese Entgegenhaltung lege dem Fachmann daher nicht nahe, für die Positionierung in Z-Richtung erhöhte, als Z-Referenz dienende Flächenabschnitte am Spannfutter und eine entsprechende plangeschliffene Fläche am Werkstückträger vorzusehen. Selbst wenn der Fachmann, der die Positioniergenauigkeit in Z-Richtung verbessern wollte, möglicherweise angeregt durch die NK3 und die NK4 die dort für die Positionierung in Z-Richtung vorgesehene Lösung in Betracht ziehen würde, fehlte es an der Verwirklichung des Merkmals, dass alle Richtelemente entlang eines Kreises angeordnet sind. Denn wegen der Stirnverzahnungen in der NK32, die bereits einen geschlossenen Kreis bildeten, müssten die weiteren Richtelemente zwangsläufig an einer anderen Stelle, sei es außerhalb oder innerhalb der Stirnverzahnung angeordnet werden.
51
Zwar hat die Klägerin mit der Berufung in diesem Zusammenhang neue Entgegenhaltungen vorgelegt, und insoweit geltend gemacht, dass der Fachmann , der die Positioniergenauigkeit in Z-Richtung verbessern wollte, die Z-Referenz von der X-Y-Positionierung getrennt hätte, ohne deswegen von der Stirnverzahnung abzugehen. Eine entsprechende Anregung hierzu habe der Fachmann der deutschen Offenlegungsschrift 35 28 443 (NK36a) - auf deren US-Pendant, die Patentschrift 4 575 062 (NK36), die NK32 ausdrücklich verweise -, aber auch dem Gebrauchsmuster 298 02 374 (NK37) entnehmen können. Die NK 36 bzw. NK36a zeige eine Kupplung für die Befestigung eines Werkstückträgers auf einer Werkzeugmaschine mit einem Trägerring, dessen Zähne an der Oberseite nicht spitz zuliefen, sondern eine plane Fläche aufwiesen. Die NK37 offenbare eine Ausgestaltung, bei der die Verzahnungselemente eine unsymmetrische Geometrie dergestalt aufwiesen, dass jeweils eine erste Flanke der einzelnen Verzahnungselemente steiler ausgeführt sei als die andere zweite Flanke (Hirth-Verzahnung mit entsprechenden Gegenflächen zusammenwirkenden Anschlagflächen 15,16 in Figur 2 der NK37).
52
Auch diese Entgegenhaltungen gaben dem Fachmann indes keinen Anlass , die in NK32 offenbarte Hirth-Verzahnung an einzelnen Stellen mit planen Auflageflächen zu versehen, um eine exaktere Positionierung in Z-Richtung zu erreichen.
53
Dabei kann offenbleiben, ob die in NK32 eingesetzte Verzahnung deshalb als nachteilig anzusehen ist, weil es bei großen Spannkräften zu unerwünschten Materialverformungen ("Fressen") kommen kann. NK32 enthält jedenfalls weder einen Hinweis auf dieses Problem noch eine Anregung zu dessen Lösung. Der in der Beschreibung enthaltene Hinweis, die Zahnringe könnten hinsichtlich der Stellwinkel und der Anzahl der Zähne unterschiedlich ausgestaltet werden, um das angestrebte Ergebnis zu erreichen (NK 32 Sp. 5 Z. 46 bis 50, NK32a S. 12 Z. 20 bis 25), gab dem Fachmann keine konkrete Anregung dafür, einzelne oder alle Zähne mit einer planen Fläche zu versehen, die zur Positionierung in Z-Richtung eingesetzt werden kann. Auch im Übrigen ergab sich für den Fachmann aus NK32 nicht die Anregung, in anderen Entgegenhaltungen nach Abwandlungen einer Hirth-Verzahnung zur verbesserten Positionierung in Z-Richtung zu suchen.
54
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 97 Abs. 1 ZPO und § 92 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Bacher Hoffmann
Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 08.11.2012 - 4 Ni 43/10 (EP) -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

Patentgesetz - PatG | § 117


Auf den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, die verspätet vorgebrachten, die zurückgewiesenen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die §§ 529, 530 und 531 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dabei tritt an die Stelle de

Patentgesetz - PatG | § 116


(1) Der Prüfung des Bundesgerichtshofs unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. (2) Eine Klageänderung und in dem Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats eine Verteidigung mit e

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL Verkün in der Patentnichtigkeitssache X ZR 226/02 Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja Sammelhefter II PatG § 21 Abs. 1 Nr. 4, § 38; ZPO § 69 a) Wird von mehreren, ein Ausführungsbeispiel der

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZB 18/00 vom 11. September 2001 in der Rechtsbeschwerdesache betreffend das deutsche Patent 34 47 925 Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein Drehmomentenübertragungseinrichtung PatG 1981 §§ 21 Abs. 1 Nr. 4, 38 Werden i

Bundesgerichtshof Urteil, 19. Dez. 2006 - X ZR 236/01

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 236/01 Verkündet am: 19. Dezember 2006 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja B
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 14. Jan. 2014 - X ZR 148/12.

Oberlandesgericht Düsseldorf Urteil, 21. Aug. 2014 - I- 2 U 29/13

bei uns veröffentlicht am 21.08.2014

Tenor A. Auf die Berufung der Beklagten wird – unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung – das am 07.05.2013 verkündete Urteil der 4a Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst: I. Die Bekl

Referenzen

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 236/01 Verkündet am:
19. Dezember 2006
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Carvedilol II
EPÜ Art. 52 Abs. 4; PatG § 5 Abs. 2

a) Die Verabreichung einer für die Behandlung einer bestimmten Krankheit
vorgesehenen Medizin als solche ist ein therapeutisches Verfahren zur Behandlung
des menschlichen Körpers. Sie ist nicht Element der Herrichtung
eines Stoffes zur Verwendung bei der Behandlung einer Krankheit (Abgrenzung
zu BGHZ 88, 209, 217 - Hydropyridin).

b) Ist eine dem Patentschutz nicht zugängliche Dosierungsempfehlung eines
von mehreren Merkmalen eines Patentanspruches, so ist sie jedenfalls nicht
zur Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit heranzuziehen. Es
bleibt offen, ob die Aufnahme der Dosierungsempfehlung dazu führt, dass
der Patentanspruch insgesamt vom Schutz ausgeschlossen ist.
BGH, Urt. vom 19. Dezember 2006 - X ZR 236/01 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Dezember 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den
Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. MeierBeck
und Dr. Kirchhoff

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 18. September 2001 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen, die auch die Kosten der Nebeninterventionen zu tragen hat.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 7. Februar 1996 unter Inanspruchnahme der Prioritäten der deutschen Patentanmeldung 195 03 995 vom 8. Februar 1995 sowie der US-amerikanischen Patentanmeldung 483 635 vom 7. Juni 1995 angemeldeten und mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 808 162 (Streitpatents ). Es betrifft die "Verwendung von Carbazolverbindungen zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von kongestivem Herzversagen".
Das Streitpatent umfasst 12 Ansprüche. Die Patentansprüche 1, 3, 4, 6 und 10 haben in der Verfahrenssprache Englisch folgenden Wortlaut:
1. The use of a compound which is both a β-adrenoreceptor antagonist and a α1-adrenoreceptor antagonists for the manufacture of a medicament for decreasing mortality resulting from congestive heart failure in mammals, alone or in conjunction with one or more other therapeutic agents, said agents selected from the group consisting of an angiotensin converting enzyme inhibitor, a diuretic and a cardiac glycosides.
3. The use of a compound according to claim 1 or 2, wherein said compound is carvedilol.
4. The use of a compound according to claim 3, whereby a pharmaceutical formulation containing either 3.125 or 6.25 mg carvedilol in a single unit are administered for a period of 7-28 days, once or twice daily as an initial dose.
6. The use of a compound according to claim 3, whereby a pharmaceutical formulation containing either 25.0 or 50.0 mg carvedilol in a single unit are administered once or twice as a maintenance dose.
10. The use of carvedilol for the manufacture of a medicament for decreasing mortality resulting from congestive heart failure in mammals according to the following regimen:

a) administering a pharmaceutical formulation which contains either 3.125 or 6.25 mg carvedilol per single unit for a period of 7-28 days, given once or twice daily,

b) administering thereafter a pharmaceutical formulation which contains 12.5 mg carvedilol per single unit for a period of additional 7-28 days, given once or twice daily and

c) administering finally a pharmaceutical formulation which contains either 25.0 or 50.0 mg carvedilol per single unit, given once or twice daily as a maintenance dose.
2
Wegen des Wortlauts der unmittelbar und mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2, 5, 7-9 und 12 sowie des unmittelbar auf Patentanspruch 10 rückbezogenen Patentanspruchs 11 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
3
Die Klägerin hat die Nichtigerklärung des Streitpatents für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland begehrt. Sie hat zur Begründung geltend gemacht, die Lehre des Streitpatents sei nicht neu und beruhe jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
4
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent antragsgemäß für nichtig erklärt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, in der sie das Streitpatent mit folgenden Patentansprüchen 1 und 2 verteidigt: "1. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herz- versagens bei menschlichen Patienten in Verbindung mit einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digitalis-Glykosid, wobei das Medikament in einer Eingangsdosis von 3,125 mg oder 6,250 mg Carvedilol pro Tag über einen Zeitraum von 7 bis 28 Tagen verabreicht wird, gefolgt von Dosierungssteigerungen jeweils im Abstand von 14 Tagen bis zu einer maximalen Dosis von 2 x 25 mg Carvedilol pro Tag.
2. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei Säugern in Verbindung mit mehreren anderen therapeutischen Mitteln, wobei diese Mittel ausgewählt sind aus der Gruppe, bestehend aus einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digoxin , wobei das Medikament in einer Anfangsdosis von 3,125 mg oder 6,25 mg Carvedilol vorzugsweise 2 x täglich über einen Zeitraum von 14 Tagen verabreicht wird, gefolgt von einer Verdoppelung der Dosis jeweils im Abstand von 14 Tagen bis zu einer Erhaltungsdosis zwischen 25 und 50 mg, vorzugsweise 2 x täglich."
5
In einem ersten Hilfsantrag verteidigt die Beklagte das Streitpatent mit zwei Patentansprüchen, die sich von denjenigen des Hauptantrags durch Weglassung der Dosierungsanweisungen unterscheiden: "1. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei menschlichen Patienten in Verbindung mit ei- nem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digitalis-Glykosid.
2. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei Säugern in Verbindung mit mehreren anderen therapeutischen Mitteln, wobei diese Mittel ausgewählt sind aus der Gruppe, bestehend aus einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digoxin."
6
In einem zweiten Hilfsantrag verteidigt die Beklagte das Streitpatent mit folgenden Patentansprüchen: "1. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei menschlichen Patienten in Verbindung mit einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digitalis-Glykosid, wobei das Medikament zur Verabreichung in einer Eingangsdosis von 3,125 mg oder 6,25 mg Carvedilol pro Tag über einen Zeitraum von 7 bis 28 Tagen, gefolgt von Dosierungssteigerungen jeweils im Abstand von 14 Tagen bis zu einer maximalen Dosis von 2 x 25 mg pro Tag hergerichtet ist.
2. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei Säugern in Verbindung mit mehreren anderen therapeutischen Mitteln, wobei diese Mittel ausgewählt sind
aus der Gruppe, bestehend aus einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digoxin , wobei das Medikament zur Verabreichung in einer Anfangsdosis von 3,125 mg oder 6,25 mg Carvedilol vorzugsweise 2 x täglich über einen Zeitraum von 14 Tagen, gefolgt von einer Verdoppelung der Dosis jeweils im Abstand von 14 Tagen bis zu einer Erhaltungsdosis zwischen 25 und 50 mg, vorzugsweise 2 x täglich, hergerichtet ist."
7
In der Berufungsinstanz haben die Streithelferinnen ihren Beitritt zum Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin erklärt. Der Senat hat die Nebeninterventionen durch Beschluss vom 17. Januar 2006 zugelassen (BGHZ 166, 18 - Carvedilol I).
8
Der Senat hat ein schriftliches Gutachten und ein Ergänzungsgutachten des Professors Dr. T. M. eingeholt; seine Ausführungen hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt. Die Beklagte hat ein Gutachten des Professors Dr.M. H. sowie fünf gutachtliche Stellungnahmen des Professors Dr. Dr. E. E. zu den Akten gereicht. Die Klägerin hat zwei gutachtliche Stellungnahmen des Professors Dr. R. H. , die Streithelferin zu 1 ein Gutachten des Dr. J. B. und die Streithelferin zu 2 eine Stellungnahme des Dr. Dr. W. A. vorgelegt.

Entscheidungsgründe:


9
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
10
I. 1. Das Streitpatent betrifft in der in erster Linie verteidigten Fassung die Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens, wobei das Carvedilol in Verbindung mit einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, einem Diuretikum und einem Digitalis-Glykosid (Patentanspruch 1) oder mit mehreren von diesen drei anderen therapeutischen Mitteln (Patentanspruch 2) verabreicht wird, und zwar nach dem Hauptantrag der Beklagten nach einem bestimmten, einschleichenden Dosierungsschema.
11
Das Streitpatent schildert als Stand der Technik, chronische (Stauungs-) Herzinsuffizienz (congestive heart failure; CHF) mit einer Kombination aus einem ACE-Hemmer (Verbindung, welche die Umwandlung von Angiotensin I in das gefäßverengend wirkende Angiotensin II verhindert), einem Diuretikum und einem Herzglykosid zu behandeln. Da Herzinsuffizienz zu hoher Sterblichkeit führe, seien Therapeutika sehr wünschenswert, welche die Sterblichkeit der an dieser Krankheit leidenden Patienten senkten. Die Streitpatentschrift erwähnt sodann erste Untersuchungen zur Behandlung von Herzinsuffizienz mit Carvedilol , wobei sich einige positive Wirkungen bei Hämodynamik und Symptomen gezeigt hätten (DasGupta P. et al., 1992, Entgegenhaltung 6) und eine günstige Wirkung von Carvedilol auf die Funktion der linken Herzkammer festgestellt worden sei (Senior R. et al., 1992, Entgegenhaltung 3).
12
Ausgehend von diesem Stand der Technik möchte das Streitpatent Carvedilol als Mittel zur Senkung der Mortalität aufgrund einer Stauungsherzinsuffizienz verfügbar machen. Dafür schlägt Patentanspruch 1 in der hauptsächlich verteidigten Fassung vor: 1. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments 2. zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei menschlichen Patienten 3. in Verbindung mit 3.1 einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, 3.2 einem Diuretikum und 3.3 einem Digitalis-Glykosid, 4. wobei das Medikament verabreicht wird 4.1 in einer Eingangsdosis von 4.1.1 3,125 mg oder 6,250 mg Carvedilol pro Tag 4.1.2 über einen Zeitraum von 7 bis 28 Tagen, 4.2.1 gefolgt von Dosissteigerungen 4.2.2 jeweils im Abstand von 14 Tagen 4.3 bis zu einer maximalen Dosis von 2 x 25 mg Carvedilol pro Tag.
13
Patentanspruch 2 lässt sich wie folgt gliedern (Unterschiede zu Patentanspruch 1 fett hervorgehoben): 1. Verwendung von Carvedilol zur Herstellung eines Medikaments 2. zur Senkung der Mortalität aufgrund kongestiven Herzversagens bei Säugern 3. in Verbindung mit mehreren anderen therapeutischen Mitteln, wobei diese Mittel ausgewählt sind aus der Gruppe bestehend aus 3.1 einem Hemmer für Angiotensin umwandelndes Enzym, 3.2 einem Diuretikum und 3.3 einem Digoxin, 4. wobei das Medikament verabreicht wird 4.1 in einer Anfangsdosis von 4.1.1 3,125 mg oder 6,25 mg Carvedilol vorzugsweise 2 x täglich 4.1.2 über einen Zeitraum von 14 Tagen 4.2.1 gefolgt von einer Verdoppelung der Dosis 4.2.2 jeweils im Abstand von 14 Tagen 4.3 bis zu einer Erhaltungsdosis zwischen 25 und 50 mg, vorzugsweise 2 x täglich.
14
3. Die Streitpatentschrift schildert Carvedilol als Arzneimittel mit Mehrfachwirkung. Es wirke sowohl als kompetitiver nicht selektiver β-Adrenoreceptor -Antagonist (Betablocker) wie auch als Vasodilatator. Die gefäßerweiternde Wirkung von Carvedilol beruhe in erster Linie auf einer α1-Adrenoreceptor -Blockierung, während die β-Adrenoreceptor-blockierende Wirkung des Arzneimittels eine reflektorische Tachykardie (erhöhte Herzschlagfrequenz) verhindere, wenn es bei der Behandlung von Bluthochdruck verwendet werde. Carvedilol verringere auch die Infarktgröße beim akuten Myokardinfarkt am Ratten -, Hunde- und Schweinemodell (Ruffolo et al., Entgegenhaltung 5). Bei klinischen Studien sei entdeckt worden, dass Carvedilol bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz die Sterblichkeit um etwa 67 % vermindere. Dieses Ergebnis sei überraschend gewesen, weil Betablocker eine unerwünschte kardiodepressive Wirkung hätten und deshalb im Allgemeinen kontraindiziert bei Pati- enten seien, die an Herzinsuffizienz litten. Zudem hätten kurz vor dem Prioritätstag Studien mit den Betablockern Metoprolol und Bisoprolol bei der Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz keinen Unterschied bei der Sterblichkeit zwischen mit diesen Mitteln behandelten Patienten und placebobehandelten Patienten gezeigt (S. 5 Z. 15-26).
15
II. Das Streitpatent ist, nachdem es jedenfalls auch in einer zulässigerweise eingeschränkten Fassung verteidigt wird, in dem Umfang, in dem es nicht mehr verteidigt wird, ohne weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urt. v. 04.06.1996 - X ZR 49/94, GRUR 1996, 857, 858 - Rauchgasklappe; insoweit nicht in BGHZ 133, 57 abgedruckt). Aber auch mit den Patentansprüchen 1 und 2 in den hauptsächlich und hilfsweise verteidigten Fassungen hat das Streitpatent keinen Bestand.
16
1. Es kann offenbleiben, ob die Patentansprüche in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung zulässig sind. Bedenken ergeben sich insoweit daraus, dass sie in Merkmalsgruppe 4 eine bloße Dosisempfehlung enthalten, die angibt, in welchen Mengen das Carvedilol enthaltende Medikament zu welchen Zeiten Patienten verabreicht werden soll. Die Verabreichung einer für die Behandlung einer bestimmten Krankheit vorgesehenen Medizin als solche ist ein therapeutisches Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers. Es ist nicht Element der Herrichtung eines Stoffs zur Verwendung bei der Behandlung einer Krankheit (vgl. BGHZ 88, 209, 217 - Hydropyridin), sondern folgt dieser. Die Bestimmung des geeigneten individuellen Therapieplans für einen Patienten einschließlich der Verschreibung und Dosierung von Medikamenten ist prägender Teil der Tätigkeit des behandelnden Arztes und damit ein nach Art. 52 Abs. 4 EPÜ und § 5 Abs. 2 PatG dem Patentschutz entzogenes Verfahren. Zwar kommt ein Verwendungsanspruch auch für die Herrichtung eines bestimmten Stoffs zur Behandlung einer Krankheit in Betracht, die durch einen im Vertrieb beigefügten Beipackzettel oder einen Verwendungshinweis auf der Packung erfolgt. Ein Patentschutz für von der Herrichtung des Stoffs gelöste, reine Dosierungsempfehlungen ergibt sich daraus jedoch nicht. Soweit das Bundespatentgericht in seiner neueren Praxis (Urt. v. 22.03.1996 - 14 W (pat) 116/94, GRUR 1996, 868 - Knochenzellenpräparat) hierzu einen anderen Standpunkt einnimmt, ist ihm nicht beizutreten. Ein anderes Ergebnis wäre mit dem Wortlaut des Art. 52 Abs. 4 EPÜ unvereinbar und würde diese Bestimmung eines wesentlichen Teils des ihr zugedachten Anwendungsbereichs berauben.
17
Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob die Aufnahme der nicht patentfähigen Dosierungsempfehlung dazu führt, dass die Patentansprüche des Hauptantrags insgesamt vom Schutz ausgeschlossen sind, wie dies etwa das Europäische Patentamt annimmt (vgl. etwa Beschl. v. 11.06.1997 - T 329/94, GRUR Int. 1998, 608 - Verfahren zur Blutextraktion/BAXTER; v. 15.05.1995 - T 82/93, GRUR Int. 1996, 945 - Herzphasensteuerung/TELECTRONICS). Aus Art. 52 Abs. 4 EPÜ, der die Freiheit der ärztlichen Therapie schützt, ist jedenfalls abzuleiten, dass die Dosisempfehlung zur Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit nicht heranzuziehen ist. Gegenstand der Prüfung auf Schutzfähigkeit sind daher nur die Merkmale ohne diese Anweisung, wie sie auch in Hilfsantrag 1 zusammengefasst sind, der den Ansprüchen des Hauptantrags , jedoch ohne die Merkmale, welche die Dosierung von Carvedilol betreffen, entspricht.
18
2. Es kann auch dahinstehen, ob die Beklagte für die Patentansprüche des Hilfsantrags 1 zu Recht die von ihr genannten Prioritäten in Anspruch nimmt. Auch wenn dies unterstellt wird und damit die älteste beanspruchte Priorität (08.02.1995) heranzuziehen ist, erweisen sich die mit den Patentansprü- chen in der Fassung dieses Antrags beanspruchten Gegenstände als nicht patentfähig.
19
2.1. Zum unterstellten Prioritätstag wurde die Anwendung von Carvedilol zur Behandlung von Herzinsuffizienz auf der Grundlage klinischer Versuche in der Fachöffentlichkeit bereits in großem Umfang diskutiert (etwa Olsen et al., Entgegenhaltung 8, 1993; Krum et al., Entgegenhaltung 13, 1993; DasGupta et al., Entgegenhaltung 9, 1990; Kelly, Entgegenhaltung 57, 1993; Senior et al., Entgegenhaltung 3, 1992; Fowler, Entgegenhaltung 61, 1993, S. 62).
20
Jedenfalls in der Veröffentlichung von Krum wird ausdrücklich beschrieben , dass die mit Carvedilol behandelten Patienten weiterhin als Standardtherapie eine Kombination aus Digoxin, Diuretika und ACE-Hemmern erhielten. Digoxin ist ein Digitalis-Glykosid. Bereits Swedberg et al. berichteten 1979 über den gleichzeitigen Einsatz von Betablockern mit Digitalis und Diuretika (Entgegenhaltung 24). DasGupta (S. 118) und Kelly (S. 47 l. Sp.) schildern die parallele Behandlung an Herzinsuffizienz leidender Patienten mit Carvedilol und Diuretika , wobei Kelly (S. 47, r. Sp.) auch die gleichzeitige Einnahme von ACEHemmern vorschlägt. Fowler erwähnt vielversprechende, vorläufige Studien zum Einsatz von Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz bei Aufrechterhaltung der Standardtherapie aus Digoxin, Diuretika und ACE-Hemmern. Damit waren jedenfalls Merkmal 1 sowie die Merkmalsgruppe 3 beider verteidigter Patentansprüche im unterstellten Prioritätszeitpunkt aus dem Stand der Technik bekannt.
21
2.2. Der Patentschutz stützt sich vor diesem Hintergrund allein auf den spezifischen Zweck einer Senkung der Mortalität durch die Verwendung des als Arzneimittel bekannten Stoffes Carvedilol in Kombination mit der ebenso bekannten Standardtherapie der genannten drei weiteren Arzneimittel auf dem bekannten Anwendungsgebiet der Behandlung von Herzinsuffizienz. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob sich aus dieser Zweckbestimmung hier die Neuheit der Lehre des Streitpatents herleiten lässt.
22
Bei als solchen bekannten Arzneimitteln hat der Senat bisher Neuheit nur angenommen, wenn es um die Herrichtung des Stoffes für die Behandlung einer Krankheit ging, die mit ihm bisher nicht therapiert worden war (Sen., aaO - Hydropyridin; BGHZ 164, 220 - Arzneimittelgebrauchsmuster). Eine Schutzfähigkeit eines weiteren Therapieziels (etwa Mortalitätssenkung gegenüber der Behandlung von Symptomen), das beim bekannten Einsatz eines bekannten Medikaments zur Behandlung einer bestimmten Krankheit schon im Stand der Technik erreicht, jedoch noch nicht beschrieben wurde, lässt sich der Rechtsprechung des Senats dagegen nicht entnehmen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Berufung herangezogenen Entscheidung BGHZ 101, 159 - Antivirusmittel. Dort hat der Senat zwar ausgeführt, in Bezug auf den zweckgebundenen Stoffschutz scheide eine Benutzung des Patentgegenstands aus, wenn ein anderer als der im Patent genannte Zweck verwirklicht werde (aaO S. 164). Aus dem Zusammenhang dieser zur früheren deutschen Rechtlage ergangenen Entscheidung ergibt sich aber, dass mit dem Zweck der Verwendung dort allein die Vorbeugung gegen und die Behandlung einer bestimmten Erkrankung gemeint war. Geschützt war der final determinierte Einsatz eines Stoffes als Antivirusmittel; er wurde jedoch von der dortigen Verletzungsbeklagten zur Behandlung der Parkinsonschen Krankheit eingesetzt.
23
Soweit der Senat in seiner Entscheidung "Arzneimittelgebrauchsmuster" (aaO S. 222) ausgeführt hat, bei der medizinischen Indikation werde zur Erzielung einer präventiven oder therapeutischen Wirkung auf einen menschlichen oder tierischen Körper eingewirkt, ging es um die Abgrenzung zu Arbeitsverfahren , die vom Gebrauchsmusterschutz ausgeschlossen sind. Aus dieser Ent- scheidung folgt daher nichts für die Auffassung der Berufung, der bekannte Einsatz eines bekannten Arzneimittels zur Behandlung einer bestimmten Krankheit solle dann patentfähig sein, wenn bei dieser Behandlung nunmehr bewusst ein Therapieziel verfolgt wird, das tatsächlich schon bisher erreicht wurde.
24
Zudem handelt es sich bei der Neuheit um einen patentrechtlichen Begriff normativen Charakters (vgl. Kraßer, Lehrbuch des Patentrechts, 5. Aufl., S. 280). Es ist daher unerheblich, ob der vom Europäischen Patentübereinkommen nicht benutzte Terminus der medizinischen Indikation im medizinischen Sprachgebrauch auch durch das jeweils mit der Behandlung einer Krankheit verfolgte Therapieziel und nicht nur durch Krankheit und Behandlungsmethode definiert wird. Nach dem Gedanken des Art. 54 Abs. 5 EPÜ ist maßgebend, ob die Anwendung des Stoffes in einem der in Art. 52 Abs. 4 EPÜ genannten Verfahren nicht zum Stand der Technik gehört. Dass dieses Merkmal durch bisher nicht bekannte weitere therapeutische Anwendungen bei dem gleichen Krankheitsbild erfüllt werden kann, erscheint auch mit Blick auf den Zweck der Regelung nicht ohne weiteres einsichtig.
25
Letztlich kann aber die Schutzfähigkeit der von der Beklagten beanspruchten Verwendung von Carvedilol zur Mortalitätssenkung ebenso dahinstehen wie die Frage, ob der Gegenstand des Streitpatents etwa in der Veröffentlichung von Fowler (Entgegenhaltung 61) vorweggenommen wurde. Jedenfalls beruht er auch in den noch verteidigten Fassungen der Patentansprüche nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Art. 56 EPÜ).
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2.3. Das Bundespatentgericht hat als für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit maßgeblichen Fachmann einen Facharzt für innere Medizin mit Erfahrungen in der Behandlung von Herz- und Kreislauferkrankungen angese- hen. Der Senat vermag dieser Auffassung nicht beizutreten. Die Bewertung der für eine Erfindung aufzubringenden Entwicklungsarbeit hängt davon ab, welche Kenntnisse und Fähigkeiten von einem mit Neuerungen auf dem jeweiligen Fachgebiet betrauten Fachmann erwartet werden dürfen (Sen. in st. Rspr., etwa Urt. v. 29.02.2000 - X ZR 166/97 - Warenregal, bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen Bd. 3, 365, 369 f.). Es kann auch für den unterstellten Prioritätszeitpunkt nicht davon ausgegangen werden, dass Medikamente zur Behandlung von Herzinsuffizienz typischerweise von niedergelassenen oder klinischen Ärzten allein entwickelt wurden, die diese Medikamente später in ihrer Praxis anwendeten. Das hat der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Herzmittel werden und wurden - wie gemeinhin auch sonst Arzneimittel - von Spezialistenteams in pharmazeutischen Unternehmen, Universitätskliniken oder anderen medizinischen Forschungseinrichtungen entwickelt. Mitglied eines solchen Teams war hier jedenfalls auch ein Wissenschaftler, der als Kardiologe qualifiziert war und zusätzlich Kenntnisse der Pharmakologie besaß. Er verfügte über einschlägige Erfahrungen bei der Entwicklung von Herzmitteln. Dem Team wird ferner entweder angehört oder für Konsultationen zur Verfügung gestanden haben auch ein Biometriker , der Methoden zur Planung, Durchführung und Auswertung klinischer Experimente und Studien bereitstellen konnte, ohne die eine Zulassung von Arzneimitteln nicht möglich war. Der maßgebliche Fachmann wird daher entgegen der Auffassung der Beklagten bei seiner Entwicklungsarbeit keineswegs nur solche Publikationen berücksichtigt haben, die den Kriterien der evidenzbasierten Medizin genügen, also insbesondere mit Studien belegt sind, die einem besonders qualifizierten Studiendesign als Voraussetzung der Arzneimittelzulassung genügen.
27
2.4. Vor diesem Hintergrund war es schon im Februar 1995, dem früheren der beanspruchten Prioritätszeitpunkte, naheliegend, Carvedilol auch als Mittel zur Senkung der Mortalität bei Herzinsuffizienz zu verwenden. Der Senat stimmt damit im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung mit der Entscheidung des kanadischen Bundesgerichts (T-1871-01 v. 18.07.2003 - Ministry of Health and Pharmascience vs. Glaxo Smith Kline, 2002 FC 899, Noel J.) überein.
28
Im Stand der Technik fand der Fachmann die Behandlung von Herzinsuffizienz mit Carvedilol in Kombination mit einem ACE-Hemmer, einem Diuretikum und einem Digoxin bzw. Digitalis-Glykosid vor. Der Fachmann konnte der Fachliteratur auch verschiedene Hinweise auf eine mortalitätssenkende Wirkung von Carvedilol bei Patienten entnehmen, die an Herzinsuffizienz leiden.
29
a) Der gerichtliche Sachverständige hat ausgeführt, schon seit Ende der 1970er Jahre habe in der Fachwelt das Bedürfnis bestanden, die Frage zu prüfen , ob Beta-Rezeptorenblocker und unter ihnen auch speziell Carvedilol die Prognose - und damit die Überlebenschance - bei Patienten mit Herzinsuffizienz verbessern können. Er hat dazu auf die Studie von Swedberg et al. aus dem Jahr 1979 (Entgegenhaltung 24) verwiesen. In dieser Publikation wird auf der Grundlage einer kleinen klinischen Studie die Auffassung vertreten, dass Betablocker als zusätzliche Gabe zu Digitalis und Diuretika bei der Behandlung von schwerer dekompensierter Kardiomyopathie (COCM) die Myokardfunktion und damit die Prognose verbessern. Allerdings hatte diese Studie deutliche methodische Schwächen (z.B. geringe Patientenanzahl, retrospektive Auswahl der Kontrollgruppe, nicht randomisierte Prüfung) und Carvedilol gehörte nicht zu den geprüften Betablockern (vgl. Tabelle S. 1375 l. oben der Entgegenhaltung). Der Privatgutachter der Beklagten, Prof. H. , hat in seiner Stellungnahme ausgeführt, dass seit Beginn der 1980er Jahre das Interesse der medizinischen Fachwelt nicht mehr nur darauf ausgerichtet war, die Symptome der Patienten zu lindern, sondern auch deren Prognose zu verbessern.

30
Pitt (1992, Entgegenhaltung 23) berichtet in einer Abhandlung über die Bedeutung von Betablockern bei der Vorbeugung gegen den plötzlichen Herztod , dass Daten aus mehreren sorgfältig angelegten, großen, placebokontrollierten Doppelblindstudien nach Anwendung von Betablockern eine Senkung der Gesamtmortalität wie auch der Häufigkeit des plötzlichen Herztods vermuten ließen. Weiter heißt es, neue β-adrenerge Blocker mit vasodilatierenden (gefäßerweiternden) Eigenschaften eröffneten einen neuen Weg zur Überprüfung der Hypothese, dass β-adrenerge Blocker bei der Prophylaxe des plötzlichen Herztods nützlich seien (Einl. Entgegenhaltung 23, letzter Satz). Wie DasGupta (Entgegenhaltung 10) bereits 1991 ausführlich erläutert hat, ist Carvedilol ein vasodilatierender Betablocker. Carvedilol war laut Pitt (I-109 r.) auch einer von zwei für eine Studie der SOLVD-Gruppe des National Heart, Lung and Blood Institute der USA ausgewählten Betablocker. Mit dieser Studie sollten bei Patienten, die eine linksventrikuläre Auswurffraktion ≤ 35 % hatten, die Mortalität insgesamt und das Auftreten des plötzlichen Herztods geprüft werden. Der gerichtliche Sachverständige hat in der von Pitt diskutierten Verwendung von Carvedilol zur Prophylaxe des plötzlichen Herztods einen der Mechanismen erkannt, über den Carvedilol zur Verminderung der Sterblichkeit bei Herzinsuffizienz führen kann. Der Gutachter der Klägerin, Prof. Dr. R. H. , hat ausgeführt, dass der plötzliche Herztod (innerhalb einer Stunde nach Auftreten kardialer Beschwerden) in 40 % der Fälle Todesursache bei chronischer Herzinsuffizienz ist; dies ist von den Verfahrensbeteiligten nicht in Frage gestellt worden.
31
Auch Senior et al. (Entgegenhaltung 3) sprechen 1992 eine mögliche, signifikante Verringerung der Mortalität bei der Behandlung von Herzinsuffizienz mit Carvedilol an. Dass einer der Mitautoren zehn Jahre später die damaligen Ausführungen als durch Fakten nicht belegte Spekulation bezeichnet hat, steht ihrer Eignung, dem Fachmann Versuche in dieser Richtung nahezulegen, nicht entgegen. Anregungen dieser Art sind häufig das Ergebnis von Hypothesen, die umso mehr Gewicht erhalten, wenn sie - wie hier - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Priorität durch andere, gleichartige Überlegungen und Erwartungen gestützt werden.
32
In dem ebenfalls 1992 erschienenen Aufsatz von Feuerstein et al. (Entgegenhaltung
7) wird berichtet, dass die Morbidität und Mortalität nach akutem Myokardinfarkt durch Betablocker sowohl in Tierstudien als auch in klinischen Prüfungen reduziert werde. Allerdings gebe es keinen Beweis, mit dem die schützenden Wirkungen des Betablockers und Vasodilatators Carvedilol auf das Myokard belegt werden könnten. Die Autoren fanden aber in Tierstudien mit Ratten, Schweinen und Hunden ihre Hypothese bestätigt, dass Carvedilol aufgrund seiner zusätzlichen Wirkungen zu höherem Herzschutz als ausschließliche Betablocker führe. Abschließend heißt es, diese Ergebnisse der Tiermodelle könnten möglicherweise dazu beitragen, dass Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz verwendet werde (S. 141 r. u.). Die mögliche Anwendung von Carvedilol bei Herzinsuffizienz wird in dieser Schrift also in Zusammenhang mit der mortalitätssenkenden Wirkung von Carvedilol nach einem Myokardinfarkt gebracht.
33
Kennedy et al. (Entgegenhaltung 26) veröffentlichten 1993 Ergebnisse einer retrospektiven Auswertung der sogenannten CAST-Studie, mit der sie insbesondere den Zusammenhang zwischen einer Betablocker-Therapie und der Morbidität bzw. Mortalität bei Patienten untersuchten, die einen Myokardinfarkt überlebt hatten und gleichzeitig unter dekompensierter Herzinsuffizienz litten. Als Ergebnis ihrer Studie wurde bekanntgegeben, dass die BetablockerTherapie mit einer signifikant besseren Überlebensrate bei neu aufgetretener oder sich verschlechternder dekompensierter Herzinsuffizienz einherging. Die Autoren erkennen darin einen zusätzlichen Beleg für Nutzen und Sicherheit einer Betablocker-Therapie bei Post-Infarkt-Patienten mit anamnestisch bekannter dekompensierter Herzinsuffizienz. Allerdings wird nicht berichtet, welcher Betablocker verwendet wurde. In dem ausführlichen Bericht über ihre Untersuchung (Entgegenhaltung 27) findet sich bei Kennedy et al. als Fig. 5 auf S. 679 eine Grafik, welche die Mortalität der untersuchten Patienten mit Herzinsuffizienz mit und ohne Einnahme von Betablockern anschaulich macht und die Vorteilhaftigkeit der Betablocker-Therapie im Hinblick auf die Mortalität zeigt.
34
Fowler (Entgegenhaltung 61, S. 62) befasst sich 1993 mit dem Potential von Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz. In den Schlussfolgerungen des Aufsatzes wird ausgeführt, Carvedilol besitze mit seiner Wirkung als Betablocker und Gefäßerweiterer zwei Eigenschaften, die mit verbesserten Überlebenschancen von Patienten mit Herzgefäßerkrankungen verbunden seien. Fowler fordert ausdrücklich große klinische Studien, um die Wirkung von Carvedilol auf die Mortalität von Patienten mit Herzinsuffizienz beurteilen zu können. Dabei erwartet er positive Ergebnisse, denn am Schluss seines Beitrags stellt er fest, dass sein gegenwärtiges Verständnis die Entwicklung eines Mittels mit kombiniert beta-blockierender und gefäßerweiternder Wirkung rechtfertige (S. 65 u. r. und S. 66 l. o.).
35
Einen zusammenfassenden Überblick zum Stand der Forschung bei der Verwendung von Betablockern zur Behandlung von Herzinsuffizienz geben Doughty et al. 1994 (Entgegenhaltung 2). Sie referieren die Ergebnisse aus Studien mit Betablockern, die bei Patienten nach Myokardinfarkt auf eine günstige Beeinflussung der Mortalität hinweisen, einschließlich solcher Patienten, die auch an Herzinsuffizienz leiden. Es bleibe jedoch unsicher, inwieweit die Ergebnisse der Post-Infarkt-Studien verallgemeinert werden könnten. In der auf S. 817 oben wiedergegebenen Tabelle wird Carvedilol als einer von sechs Be- tablockern ausdrücklich erwähnt. In ihren Schlussfolgerungen auf S. 819 stellen die Autoren die Erforderlichkeit weiterer Studien fest, um zu bestimmen, ob Betablocker die Mortalität bei Herzinsuffizienz weiter senken könnten und deshalb eine nützliche Ergänzung für die bestehende Therapie seien.
36
b) Zusammenfassend zeigt sich, dass in der Literatur der Einsatz von Betablockern und insbesondere auch von Carvedilol zur Behandlung von Herzinsuffizienz bereits als vielversprechende Therapie diskutiert wurde. Jedenfalls ab 1992/93 hatte der Fachmann aufgrund der Aufsätze von Pitt (Entgegenhaltung 23), Senior (Entgegenhaltung 3), Feuerstein (Entgegenhaltung 7) und insbesondere Fowler (Entgegenhaltung 61) Anlass, konkret Carvedilol für eine mortalitätssenkende Wirkung bei Herzinsuffizienz in Erwägung zu ziehen. Auch Doughty et al. haben 1994 die Frage der Auswirkung einer Therapie mit Betablockern unter Einbeziehung von Carvedilol auf die Mortalität der Patienten aufgeworfen. Für Patienten, die einen Myokardinfarkt überlebt hatten, war die Auswirkung von Betablockern (etwa CAST-Studie in der Auswertung von Kennedy 1993) und auch speziell von Carvedilol (Feuerstein 1992 am Tiermodell) mit positivem Ergebnis untersucht worden. Nach Durchführung einer geeigneten klinischen Studie konnte die mortalitätssenkende Wirkung von Carvedilol bei Herzinsuffizienz allgemein ohne weiteres festgestellt werden.
37
c) Nicht gefolgt werden kann der Beklagten, soweit sie eine erfinderische Leistung daraus ableiten will, dass nach den aus ihrer Sicht wenig überzeugenden Ergebnissen der Studien mit Metoprolol (MDC-Trial) und Bisoprolol (CIBIS) kein Anlass bestand, gerade Carvedilol zum Gegenstand vertiefter Untersuchungen zu machen. Beide Studien betrafen andere Stoffe; ihre Ergebnisse waren aus der Sicht des damaligen Fachmanns auf Carvedilol weder zu übertragen , noch ließen sie Schlüsse auf dessen Wirkung zu, wie auch durch das Schrifttum dieser Zeit belegt wird.

38
Ziel der MDC-Studie, in die 383 Patienten mit Herzinsuffizienz einbezogen waren, war die Prüfung, ob sich der Betablocker Metoprolol günstig auf Überlebenschancen und Morbidität auswirkt (Waagstein et. al., Lancet 1993, 1441, Dokument 18). Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass Metoprolol keine Auswirkung auf die Gesamtmortalität hat.
39
In der CIBIS-Studie wurde die Wirkung des Betablockers Bisoprolol bei 641 Patienten mit Herzinfarkt geprüft (vgl. Circulation 1994, 1765, Dokument 19). Die Studie konnte keinen statistisch signifikanten Unterschied bei der Mortalität zwischen der mit Bisoprolol und der mit Placebo behandelten Patientengruppe feststellen (Einl., l. Sp., S. 1767, r. o.). Allerdings heißt es auch, dass in der CIBIS-Studie eine Mortalitätssenkung (an enhounced effect on survival) bei Patienten ohne vorherigen Myokardinfarkt festgestellt worden sei (S. 1771 r. Mitte). Die beteiligten Wissenschaftler hielten Studien zum Nachweis einer vorteilhaften Wirkung von Bisoprolol auf die Mortalität für notwendig.
40
Es war am Prioritätstag bekannt, dass Carvedilol im Gegensatz zu vielen anderen Betablockern und insbesondere zu Metoprolol und Bisoprolol außer der β-rezeptorenblockierenden Wirkung auch die adrenergen α-Rezeptoren blockiert, die sich im Wesentlichen in der Gefäßwand von kleinen Arterien (Widerstandsgefäßen ) befinden. Carvedilol bewirkt deshalb im Gegensatz zu konventionellen Betablockern auch eine Gefäßerweiterung im Bereich der Widerstandsgefäße. Der gerichtliche Sachverständige meint zwar, bei Carvedilol habe sich aus den Wirkmechanismen keine Senkung der Mortalität vorhersagen lassen, weil die zusätzlichen gefäßerweiternden Effekte von Carvedilol sich zu denen der ACE-Hemmer addierten und so trotz günstiger symptomatischer Wirkungen zu einer Erhöhung der Mortalität hätten führen können (Ergänzungsgutachten S. 5 u. 6). Demgegenüber haben DasGupta et al. 1991 auf neue therapeutische Möglichkeiten aufgrund der auch gefäßerweiternden Wirkung des neuen Betablockers Carvedilol hingewiesen (Entgegenhaltung 10). Die Autoren äußern, es könne erwartet werden (may be expected), dass die Mehrfachwirkung von Carvedilol der negativen Inotropie, die konventionelle Betablocker bei Monotherapie hätten, entgegenwirke (S. 12, r. u.). Damit würden die wichtigsten Einschränkungen des Einsatzes von Betablockern, insbesondere bei dekompensierter Herzinsuffizienz ischämischen Ursprungs, überwunden. Zur Begründung ihrer Erwartung verweisen die Autoren auf eine Studie von Di Lanarda et al., die bei Patienten mit Herzinsuffizienz, die zuvor keinen Herzinfarkt erlitten hatten, die akuten hämodynamischen Wirkungen von Carvedilol mit denen von Metoprolol verglichen. Deren Ergebnisse legten ein ähnliches Maß an Betablockade nahe. Jedoch zeigten die mit Carvedilol behandelten Patienten zusätzliche Reaktionen, die bei Patienten, die Metoprolol genommen hätten, nicht beobachtet worden seien, nämlich einen gesenkten Blutdruck, verringerten Gefäßwiderstand und niedrigeren linksventrikulären Füllungsdruck (S. 15, r. u.). Unter Hinweis auf weitere, bereits durchgeführte Untersuchungen meinen DasGupta et al., die zu Carvedilol gewonnenen Daten könnten eine signifikante Auswirkung auf die klinische Behandlung der Herzinsuffizienz haben , wenn sie durch zukünftige Studien bestätigt würden. Abschließend wird ausgeführt, Carvedilol sei ein einzigartiger Vasodilatator, der zugleich als Betablocker wirke, und eine weiterführende Bewertung seiner Sicherheit und Wirksamkeit werde empfohlen.
41
Pitt berichtet 1992 (Entgegenhaltung 23), dass eine Schwierigkeit bei der Behandlung von Patienten mit Herzinsuffizienz mit Betablockern bisher darin bestehe, dass man befürchte, eine manifeste Herzinsuffizienz oder eine Lungenstauung zu verursachen, und dass die Substanzen hinsichtlich ihrer Verträglichkeit und Compliance langfristig problematisch seien. Einige der neueren β-adrenergen Blocker seien jedoch von Interesse, da sie über vasodilatierende Eigenschaften verfügten, die möglicherweise die langfristige Toleranz und Compliance des Patienten verbesserten. Die SOLVD-Gruppe ziehe daher für eine umfangreiche Mortalitätsstudie neben Nebivolol Carvedilol, einen selektiven Betablocker mit α-adrenergen blockierenden Eigenschaften, in Betracht (I-109, r. u.).
42
Auch Rosendorff (Entgegenhaltung 53) wies 1993 darauf hin, dass insbesondere Carvedilol die Vorteile einer β- und α1-Blockade einschließlich peripherer Gefäßerweiterung kombiniere. Es gebe einige noch zu bestätigende Hinweise darauf, dass Carvedilol die linksventrikuläre diastolische Funktion verbessere und eine Regression linksventrikulärer Hypertrophie bewirke und dass es bei der Behandlung einiger Patienten mit Herzinsuffizienz oder Arrhythmie nützlich sein könne (Einl., letzter Abs.). Die möglichen günstigen Wirkungen von Carvedilol durch Verbesserung der zentralen Hämodynamik bei Patienten mit Herzinsuffizienz müssten in groß angelegten, weitsichtig kontrollierten Untersuchungen bestätigt werden (S. 39, l. o.).
43
Lessem/Lukas (Entgegenhaltung 54) führen 1993 aus, Carvedilol als ein nicht selektives β- und α1-blockierendes Arzneimittel sei als antihypertensives, antianginales Arzneimittel und für eine Hilfstherapie gegen Herzinsuffizienz entwickelt worden. Nachdem Studien gezeigt hätten, dass Vasodilatatoren gut für Patienten mit Herzinsuffizienz seien, und wegen positiver Erfahrungen mit dem vasodilatierenden Betablocker Buzindolol sei Carvedilol bei Patienten mit Herzinsuffizienz getestet worden. Unter Hinweis auf eine Studie von DasGupta meinen die Autoren, Carvedilol könne aufgrund seines vasodilatatorischen Mechanismus im Vergleich zu anderen Betablockern die bessere Wahl für Patienten mit verschlechterter linksventrikulärer Funktion neben ischämischer Herzkrankheit sein. Die Nützlichkeit einer solchen Therapie müsse aber bei einer Patientengruppe nachgewiesen werden, die groß genug sei, um zu einer be- hördlichen Zulassung für eine Verbindung mit einem Hauptwirkmechanismus zu gelangen, der momentan in diesem Krankheitsstadium kontraindiziert sei.
44
Louis et al. berichten 1994 (Entgegenhaltung 55) unter Hinweis auf die Entgegenhaltung 8 und 13, bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz aufgrund von systolischer linksventrikulärer Dysfunktion sei festgestellt worden, dass Carvedilol signifikante Verbesserungen der myokardialen Hämodynamik in Langzeittherapie bewirke, und zwar auch bei Patienten, die eine Hintergrundtherapie mit ACE-Hemmern erhielten (S. 88, r. o.). Abschließend betrachten die Autoren Carvedilol als einen wichtigen neuen Wirkstoff bei der Behandlung insbesondere von chronischem Herzversagen (S. 91, r. o.). Es lagen also im Prioritätszeitpunkt bereits Studien vor, die gegen die vom gerichtlichen Sachverständigen berichtete, möglicherweise negative Addition der gefäßerweiternden Wirkungen von Carvedilol und ACE-Hemmern sprachen.
45
Diese zahlreichen Veröffentlichungen belegen, dass Carvedilol nach Auffassung zahlreicher Autoren gerade wegen seiner gefäßerweiternden Eigenschaften ein interessanter Betablocker für die Therapie von Herzinsuffizienz mit Betablockern war.
46
d) Carvedilol war, auch im Hinblick auf eine mortalitätssenkende Wirkung , Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Diskussionen. Der gerichtliche Sachverständige hat es als wohl begründete Hypothese von Doughty et al. (Entgegenhaltung 2) bezeichnet, dass durch eine Betablockade die Mortalität bei Herzinsuffizienz weiter reduziert und dadurch die damals bekannte Therapie sinnvoll ergänzt werden könne (Gutachten, S. 6 u./7 o.). Der Aufsatz von Fowler bringt in der Schlussbemerkung deutlich eine Erfolgserwartung hinsichtlich der Feststellung einer mortalitätssenkenden Wirkung von Carvedilol bei Patienten mit Herzinsuffizienz nach einer entsprechenden, groß angelegten Studie zum Ausdruck (S. 65 r. u. bis S. 66 l. o.). Fowler schlägt vor, eine solche große klinische Studie zur Prüfung der Mortalitätswirkung von Carvedilol durchzuführen. Die Aufsätze von Pitt (Entgegenhaltung 23), Senior (Entgegenhaltung 3) und Feuerstein (Entgegenhaltung 7) begründeten ebenfalls für den Fachmann die Erwartung einer mortalitätssenkenden Wirkung von Carvedilol.
47
Pitt (Entgegenhaltung 23, S. 109, r. 2. Abs.) berichtet über eine von der SOLVD-Studiengruppe geplante, umfangreiche Mortalitätsstudie zur Überprüfung der Wirksamkeit von Carvedilol und Magnesium beim plötzlichen Herztod von Patienten mit Herzinsuffizienz. Dabei sollte die Standardtherapie mit ACEHemmer , Digoxin und Diuretika je nach Bedarf der Patienten aufrechterhalten bleiben.
48
Es gab, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, zwar auch Argumente, die gegen eine mortalitätssenkende Wirkung von oder sogar für eine Erhöhung der Mortalität durch Carvedilol sprachen. Dadurch bestand, was der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, in der Fachwelt aber gerade ein Bedürfnis, sich in einer aussagekräftigen Studie Klarheit über die Wirkung von Carvedilol auf die Mortalität von Patienten mit Herzinsuffizienz zu verschaffen.
49
e) Irrelevant ist in diesem Zusammenhang, dass es bis 1997 weder für Carvedilol noch für andere Betablocker eine behördliche Zulassung zur Behandlung der Herzinsuffizienz gab. Denn für ein neu entwickeltes Arzneimittel kann es per se noch keine Zulassung geben, da das Zulassungsverfahren notwendig am Ende der Entwicklung steht. Ebenfalls nicht entscheidend ist, dass die manifeste Herzinsuffizienz in der fachärztlichen Praxis als Kontraindikation für Carvedilol galt. Der im Bereich der Arzneimittelforschung und -entwicklung tätige Fachmann hatte unabhängig von Vorstellungen auf Seiten der Anwender aufgrund der Diskussion um die Wirkung von Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz am Prioritätstag Anlass, sich mit diesem Wirkstoff und seinen Auswirkungen auf die Mortalität der Patienten näher zu befassen.
50
III. Auch in der Fassung der Patentansprüche nach Hilfsantrag 2 erweist sich das Streitpatent nicht als schutzfähig.
51
1. Gegen die Zulässigkeit der Patentansprüche nach Hilfsantrag 2 bestehen allerdings keine Bedenken. Hilfsantrag 2 sieht in beiden Patentansprüchen vor, dass das Carvedilol enthaltende Medikament zur Verabreichung in bestimmten Dosierungen über bestimmte Zeiträume hergerichtet ist. Geschützt werden soll also die Verwendung einer chemischen Substanz bei der therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers, die zu dieser Verwendung hergerichtet ist, etwa durch eine zweckmäßige Konfektionierung der Tablettengrößen , einen Aufdruck auf der Packung oder den dieser beiliegenden Begleitzettel. Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine solche Verwendung einer chemischen Substanz nicht durch § 5 Abs. 1 PatG vom Patentschutz ausgenommen (grundlegend BGHZ 88, 209, 215 - Hydropyridin). Für den mit § 5 Abs. 2 Satz 1 PatG wörtlich übereinstimmenden Art. 52 Abs. 4 EPÜ gilt nichts anderes. Den Patentansprüchen des Hilfsantrags 2 steht daher das Verbot der Patentierung von Verfahren zur chirurgischen und therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers nicht entgegen.
52
2. Der Vorschlag, das Medikament zur Verabreichung nach dem Dosierungsschema der Patentansprüche des Hilfsantrags 2 herzurichten, beruht jedoch jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die einschleichende Dosierung von Betablockern und insbesondere Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz in Dosen und Zeiträumen, die sich allenfalls geringfügig und jedenfalls naheliegend von dem Dosierungsschema der Beklagten unterschei- den, ist auch bei Unterstellung der früheren der von der Beklagten beanspruchten Prioritäten im Stand der Technik nachgewiesen.
53
So haben Olsen et al. 1991 (Entgegenhaltung 62) und 1993 (Entgegenhaltung
8) über Studien berichtet, bei denen unter Herzinsuffizienz leidenden Patienten Carvedilol in einem Dosierungsschema verabreicht wurde, das demjenigen der verteidigten Patentansprüche sehr nahe kommt. Fowler (Entgegenhaltung 61) berichtet über diese Versuche unter Angabe des Dosierungsschemas.
54
Kelly schildert 1993 eine geplante Carvedilol-Studie. Die in dieser Studie vorgeschlagene Dosierung ist aus Sicht des Fachmanns mit derjenigen der verteidigten Patentansprüche praktisch identisch (S. 47 r.). Die bei Kelly angegebene Anfangsdosis von 3,125 mg zweimal täglich für sieben Tage ist als eine Alternative in Patentanspruch 1 (täglich 6,25 mg Carvedilol über einen Zeitraum von sieben Tagen) enthalten, die 6,25 mg zweimal täglich in der zweiten Woche bei Kelly sind es als erste Dosissteigerung nach einer Woche und damit Ausgangspunkt der weiteren Dosissteigerungen ebenfalls. Die Maximaldosen von zweimal 25 mg sind bei Kelly und in Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 identisch. Lediglich der zeitliche Abstand der Dosissteigerungen beträgt bei Kelly eine Woche und nicht wie im Patentanspruch 1 14 Tage. Die beanspruchten weiteren Dosissteigerungen im Zeitraum von 14 Tagen waren jedoch ebenfalls bei der einschleichenden Therapie von Herzinsuffizienz mit Carvedilol bekannt. So berichten Olsen et al. 1991 (Entgegenhaltung 62) und 1993 (Entgegenhaltung
8) darüber, bei der Behandlung von unter Herzinsuffizienz leidenden Patienten mit einer nach einer Woche verabreichten Initialdosis von 3,125 mg die Dosis während des nächsten Behandlungsmonats von zweimal täglich 6,25 mg bis zu einer maximalen Dosis von zweimal täglich 25 mg (bei Patienten mit einem Körpergewicht von weniger als 75 kg) gesteigert zu haben. Eine solche einschleichende Dosierung umfasst insbesondere einen Verdoppelungszeitraum von etwa 14 Tagen, da bei einer Verdoppelung auf zweimal 12,5 mg nach 14 Tagen die nächste Verdoppelung auf zweimal 25 mg in etwa innerhalb weiterer 14 Tage erfolgen muss, um die Maximaldosis binnen eines Monats zu erreichen. Dem Fachmann waren aus dem Stand der Technik daher Behandlungspläne mit Carvedilol bekannt, die eine wöchentliche oder eine etwa 14tägige Dosissteigerung einschlossen. Das Streitpatent hat hierunter eine Auswahl getroffen. Die Berufung hat jedoch nicht geltend gemacht, dass die Entscheidung für den 14tägigen Erhöhungszeitraum auf erfinderischer Tätigkeit beruhte. Insbesondere beruft sie sich nicht auf besondere Wirkungen, Eigenschaften , Vorteile oder Effekte einer Dosissteigerung im Abstand von 14 Tagen anstelle einer Woche.
55
Auch das Dosierungsschema des mit Hilfsantrag 2 verteidigten Patentanspruchs 2 unterscheidet sich von demjenigen bei Kelly lediglich durch den Verdoppelungszeitraum, der aber aus den Veröffentlichungen von Olsen bekannt war. Der anspruchsgemäßen Dosierung von 3,125 mg oder 6,25 mg Carvedilol vorzugsweise zweimal täglich über einen Zeitraum von 14 Tagen entspricht der Vorschlag bei Kelly, Patienten zweimal täglich über eine Woche 3,125 mg (insgesamt also 6,25 mg) zu verabreichen und die Dosis in der zweiten Woche auf zweimal täglich 6,25 mg Carvedilol zu steigern. Eine erfinderische Tätigkeit liegt in dem Dosierungsschema daher auch hier nicht.
56
Die Berufung macht nicht geltend, dass der Fachmann bei der Konfektionierung von Carvedilol in mit den beanspruchten Dosierungsschemata übereinstimmenden Einheiten für ein Medikament auf Schwierigkeiten stieß.
57
Da die Patentansprüche des Hilfsantrags 2 in allen übrigen Merkmalen dem Hauptantrag und Hilfsantrag 1 entsprechen, teilen sie auch deren Schicksal , die Schutzfähigkeit des Streitpatents nicht begründen zu können.
58
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit §§ 97, 101 ZPO.
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Meier-Beck Kirchhoff
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 18.09.2001 - 3 Ni 44/00 (EU) -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 18/00
vom
11. September 2001
in der Rechtsbeschwerdesache
betreffend das deutsche Patent 34 47 925
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Drehmomentenübertragungseinrichtung
Werden in den Patentanspruch nur einzelne Merkmale eines Ausführungsbeispiels
der Erfindung aufgenommen, geht die sich daraus ergebende Merkmalskombination
dann über den Inhalt der Anmeldung hinaus, wenn sie in ihrer Gesamtheit
eine technische Lehre umschreibt, die der Fachmann den ursprünglichen
Unterlagen nicht als mögliche Ausgestaltung der Erfindung entnehmen
kann.
BGH, Beschl. v. 11. September 2001 - X ZB 18/00 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. September 2001
durch den Vorsitzenden Richter Rogge und die Richter Prof. Dr. Jestaedt,
Dr. Melullis, Scharen und Dr. Meier-Beck

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den am 13. Juli 2000 verkündeten Beschluß des 6. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts wird zurückgewiesen.
Der Wert des Gegenstands der Rechtsbeschwerde wird auf 100.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:


I. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patents 34 47 925 (Streitpatent), das eine Drehmomentübertragungseinrichtung betrifft. Das Streitpatent beruht auf der Anmeldung 34 40 927.0 vom 9. November 1984, zu der die Patentinhaberin mit Eingabe vom 17. Januar 1985 zwei Teilungserklärungen abgegeben hat. Auf eine der beiden Trennanmeldungen ist das Streitpatent am 26. Januar 1995 mit folgenden Ansprüchen 1, 3 und 12 veröffentlicht worden:
"1. Drehmomentübertragungseinrichtung mit einer Vorkehrung zum Aufnehmen bzw. Ausgleichen von Drehstößen, insbesondere von Drehmomentschwankungen einer Brennkraftmaschine mit mindestens zwei, koaxial angeordneten, entgegen der Wirkung einer Dämpfungseinrichtung zueinander verdrehbaren Schwungmassen, von denen die eine, erste, mit der Brennkraftmaschine und die andere, zweite, über eine Reibungskupplung mit dem Eingangsteil eines Getriebes verbindbar ist, wobei die Reibungskupplung über ein Ausrücksystem betätigbar ist, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß die Schwungmassen (3, 4) durch einen Kraftspeicher axial zueinander federnd verspannt sind derart, daß die die Kupplung tragende Schwungmasse in einer Richtung belastet wird, die der beim Ausrücken der Kupplung wirksamen Kraftrichtung entgegengesetzt ist.
3. Drehmomentübertragungseinrichtung nach Anspruch 1 oder 2, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t daß die Schwungmassen in Abhängigkeit von der Betätigung der Reibungskupplung (7, 107) zueinander begrenzt axial verlagerbar sind.
12. Drehmomentübertragungseinrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 11, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,
daû die Schwungmassen (3, 4) über wenigstens zwei Reiboder Gleitflächen miteinander in Reib- oder Gleitverbindung stehen bzw. bringbar sind, wobei in Abhängigkeit der Betätigung der Reibungskupplung (7, 107) die Dämpfungswirkung dieser Verbindung veränderbar ist."
Gegen das Streitpatent ist Einspruch erhoben worden, der damit begründet worden ist, daû der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 nicht patentfähig sei. Nach Rücknahme des Einspruchs hat die Patentinhaberin mit Erklärung vom 29. Oktober 1996 eine Teilung des Streitpatents erklärt, die zur Trennanmeldung 34 48 593.7 geführt hat. Nach einem Zwischenbescheid der Patentabteilung hat die Patentinhaberin den Widerruf der Teilungserklärung vom 29. Oktober 1996 erklärt und zugleich eine erneute Teilungserklärung abgegeben. Das Streitpatent hat die Patentinhaberin mit 24 Ansprüchen verteidigt , von denen Anspruch 1 lautet (Änderungen gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 kursiv):
"Drehmomentübertragungseinrichtung mit einer Vorkehrung zum Aufnehmen bzw. Ausgleichen von Drehstöûen, insbesondere von Drehmomentschwankungen einer Brennkraftmaschine mit mindestens zwei über eine Lagerung koaxial angeordneten, entgegen der Wirkung einer Dämpfungseinrichtung relativ zueinander verdrehbaren Schwungmassen, von denen die eine, erste, mit der Brennkraftmaschine und die andere, zweite, über eine Reibungskupplung mit dem Eingangsteil eines Getriebes verbindbar ist, wobei die Reibungskupplung über ein Ausrücksystem betätigbar ist,
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daû die Schwungmassen (3, 4) durch einen Kraftspeicher axial zueinander federnd verspannt sind derart, daû die die Kupplung tragende Schwungmasse in einer Richtung belastet wird, die der beim Ausrücken der Kupplung wirksamen Kraftrichtung entgegengesetzt ist."
Die Patentabteilung hat das Streitpatent widerrufen, weil die Einfügung der Worte "über eine Lagerung" eine unzulässige Erweiterung gegenüber dem Inhalt der Anmeldung darstelle.
Die Patentinhaberin hat gegen den Beschluû der Patentabteilung Beschwerde eingelegt und beantragt,
1. den angefochtenen Beschluû aufzuheben und das Streitpatent mit den verteidigten Patentansprüchen aufrechtzuerhalten.
2. die Rückzahlung der Gebühren für die abgetrennte Anmeldung 34 48 593.7 anzuordnen.
Mit Beschluû vom 13. Juli 2000 hat das Bundespatentgericht die Beschwerde und den Antrag zurückgewiesen, die Rückzahlung der Gebühren für die Anmeldung 34 48 593.7 anzuordnen.
Hiergegen richtet sich die - zugelassene - Rechtsbeschwerde der Patentinhaberin , mit der diese beantragt,
den Beschluû des Bundespatentgerichts aufzuheben und die Sache zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist kraft Zulassung statthaft; das Rechtsmittel bleibt jedoch ohne Erfolg.
1. Das Bundespatentgericht hat die Teilungserklärung, die zu der dem Streitpatent zugrundeliegenden Trennanmeldung geführt hat, als wirksam angesehen , da zumindest der Gegenstand, der sich aus den mit der Teilungserklärung eingereichten Ansprüchen 1 und 6 oder 7, 10, 11 und 20 ergebe und den Ausführungen nach den ursprünglichen Figuren 4 und 5 entspreche, zum Zeitpunkt der Teilung Inhalt der Stammanmeldung 34 40 927.0 gewesen sei und in der Stammanmeldung jedenfalls die Ausführung nach der ursprünglichen Figur 1 verblieben sei. Das läût keinen Rechtsfehler erkennen.
2. Das Bundespatentgericht hat sich für befugt gehalten, den Anspruch, mit dem die Patentinhaberin das Streitpatent verteidigt, umfassend daraufhin zu überprüfen, ob er gegenüber dem Inhalt der Patentanmeldung 34 40 927.0 unzulässig erweitert ist. Zwar sei das Bundespatentgericht nicht befugt, von Amts wegen erstmalig neue Widerrufsgründe in das Verfahren einzuführen, die nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens vor dem Deutschen Patent- und Markenamt gewesen seien. Dies hindere das Bundespatentgericht aber grundsätzlich nicht daran, unter Wahrung des rechtlichen Gehörs innerhalb ein und desselben Widerrufsgrundes neue Tatsachen heranzuziehen und neue rechtliche Überlegungen anzustellen. Ebenso wie es bei der Prüfung der Patentfähigkeit den gesamten ihm bekannten Stand der Technik berücksichtigen könne
und nicht auf das den Beschluû der Patentabteilung tragende Material beschränkt sei, könne es im Einspruchsbeschwerdeverfahren im Rahmen des von der Patentabteilung festgestellten Widerrufsgrundes nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG weitere nicht ausdrücklich gerügte unzulässig erweiterte Merkmale zum Gegenstand seiner Entscheidung machen.
Die Rechtsbeschwerde meint demgegenüber, das Bundespatentgericht habe übersehen, daû die Patentabteilung nicht den gesetzlichen Widerrufsgrund des § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG angewendet habe, auch wenn diese Vorschrift unzutreffend als Grundlage der Entscheidung genannt sei. Die Patentabteilung habe gerade nicht festgestellt, daû der Gegenstand des erteilten Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. Der Widerruf sei vielmehr darauf gestützt, daû das im Einspruchsverfahren neu eingefügte Merkmal "über eine Lagerung" in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbart sei. Damit habe das Patentamt von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, bei einer Verteidigung des Patents in veränderter Fassung die Zulässigkeit der Änderungen zu überprüfen; der von ihm behandelte Widerrufsgrund habe sich daher auf eine Erweiterung des Schutzbereichs des erteilten Patents bezogen.
Diese Rüge hat keinen Erfolg.
Allerdings ist das Beschwerdegericht nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 128, 280, 292 f. - Aluminium-Trihydroxid; Beschl. v. 3.2.1998 - X ZB 6/97, GRUR 1998, 901, 902 - Polymermasse) im Einspruchsbeschwerdeverfahren grundsätzlich nicht befugt, vom Einsprechenden innerhalb der Frist des § 59 Abs. 1 PatG nicht geltend gemachte und vom Patentamt nicht in
das Verfahren eingeführte Widerrufsgründe von Amts wegen aufzugreifen und den Widerruf des Patents hierauf zu stützen. Das stand der Entscheidung des Bundespatentgerichts jedoch nicht entgegen.
Die Beschränkung des Gegenstandes der gerichtlichen Prüfung auf die vor dem Deutschen Patent- und Markenamt geltend gemachten Widerrufsgründe ergibt sich aus der Funktion des Beschwerdegerichts im Rechtszug und seiner Bindung an den Streitgegenstand. Das Bundespatentgericht ist im Beschwerdeverfahren zur Nachprüfung und Änderung von Entscheidungen nur in dem Umfang befugt, in dem eine Nachprüfung beantragt wird (Sen.Beschl. v. 2.3.1993 - X ZB 14/92, GRUR 1993, 655, 656 - Rohrausformer). Im Streitfall hat die Patentabteilung das Patent widerrufen, da der "geltende Patentanspruch" , als den die Patentabteilung den von der Patentinhaberin verteidigten Anspruch angesehen hat, i.S.d. § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG auf einen über den Inhalt der Anmeldung hinausgehenden Gegenstand gerichtet sei. Die Patentabteilung hat dies damit begründet, daû die Einfügung der Worte "über eine Lagerung" in den erteilten Anspruch über den Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Unterlagen hinausgehe, denen der Fachmann nicht allgemein ein Lager, sondern ausschlieûlich ein Wälzlager zwischen den Schwungmassen entnehme. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die Entscheidung der Patentabteilung hiernach nicht auf eine Erweiterung des Schutzbereichs des erteilten Patents durch den verteidigten Anspruch gestützt. Es kann dahinstehen , ob die Patentabteilung zunächst die Zulässigkeit der Änderung des Anspruchs hätte prüfen und in Anbetracht der - nach ihrem Standpunkt - unzulässigen Änderung die erteilte Fassung zum Gegenstand ihrer weiteren Untersuchung hätte machen müssen (in diesem Sinne Busse, Patentgesetz, 5. Aufl., § 21 Rdn. 107, § 83 Rdn. 42, 45; BPatGE 20, 133, 138; 29, 223, 226 für das
Gebrauchsmusterlöschungsverfahren; a.A. Hövelmann, GRUR 1997, 109, 110 f., und - für das Nichtigkeitsverfahren - wohl auch Schulte, PatG, 5. Aufl., § 81 Rdn. 62b). Nachdem die Patentabteilung so nicht verfahren ist, sondern den verteidigten Anspruch daraufhin untersucht hat, ob dieser Anspruch auf einen über den Inhalt der Anmeldung hinausgehenden Gegenstand gerichtet ist (der als erteilter Anspruch nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG zum Widerruf des Streitpatents führen müûte und mit dem das Patent daher nicht aufrechterhalten werden kann), hatte das Beschwerdegericht diese Entscheidung nachzuprüfen. Im Rahmen dieser Prüfung war das Bundespatentgericht nicht auf dasjenige Merkmal beschränkt, das die Patentabteilung als unzulässige Erweiterung angesehen hat, denn die Erweiterung bezieht sich stets auf den Anspruch als Ganzen.
3. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Durchschnittsfachmann habe den ursprünglichen Unterlagen die Lehre nach dem geltenden Patentanspruch 1 nicht entnehmen können. Denn in den ursprünglichen Unterlagen sei zum einen das Merkmal im Oberbegriff des Anspruchs 1, wonach die Relativverdrehung der Schwungmassen entgegen der Wirkung einer beliebigen Dämpfungseinrichtung erfolgen solle, sachlich nicht offenbart, zum anderen erlaubten sie nicht das Weglassen von zwingend zum Gegenstand der ursprünglichen Stammanmeldung gehörigen lösungswesentlichen Merkmalen im geltenden und auch schon erteilten Patentanspruch 1. Aus der Anmeldung ergebe sich für den Fachmann eine Drehmomentübertragungseinrichtung mit einer bestimmten baulichen Konzeption und einer speziellen Steuerung zur Veränderung bzw. Verringerung der Dämpfung, wenn die Reibungskupplung gelöst werde. Für diese Steuerung sei in den ursprünglichen Unterlagen ein Mechanismus offenbart, der nicht nur die Merkmale des kennzeichnenden Teils
des geltenden Patentanspruchs 1, sondern zugleich auch die axiale Verschiebbarkeit der die Reibungskupplung tragenden Schwungmasse (erteilter Anspruch 3) und die Reib- und Gleitverbindung (etwa erteilter Anspruch 12) in untrennbarer Weise umfasse.
Das beanstandet die Rechtsbeschwerde im Ergebnis ohne Erfolg.

a) Das Bundespatentgericht hält das Merkmal, wonach die Schwungmassen entgegen der Wirkung einer Dämpfungseinrichtung relativ zueinander verdrehbar sind, für in den ursprünglichen Unterlagen in dieser allgemeinen Weise nicht offenbart. Aus der ursprünglichen Beschreibung in Verbindung mit den Figuren gehe wie auch aus dem ursprünglichen Anspruch 31 hervor, daû die Dämpfungseinrichtung aus in Umfangsrichtung wirksamen Kraftspeichern bestehe und damit das Nominaldrehmoment übertragen werde. Die im ursprünglichen Anspruch 31 enthaltene Alternative, die statt der in Umfangsrichtung wirksamen Kraftspeicher Reib- oder Gleitmittel vorsehe, bilde nach dem Verständnis des Fachmanns zumindest beim abgetrennten Gegenstand keinen Ersatz für in Umfangsrichtung wirkende Kraftspeicher. Andere Ausführungsmöglichkeiten hinsichtlich der Übertragung des Nominaldrehmoments seien vom Fachmann nicht erkennbar.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Merkmal findet sich - abgesehen von der bereits von der Patentabteilung für unbedenklich angesehenen Einfügung des Wortes "relativ" - bereits in Anspruch 1 der zugrundeliegenden Anmeldung. Das Bundespatentgericht, das das nicht verkennt, meint, der ursprüngliche Patentanspruch 1 weise vorwiegend allgemeine dämpfungstechnische Wirkangaben auf und sei so weit gefaût, daû ein Bezug zu
der sich aus der Gesamtheit der ursprünglichen Unterlagen ergebenden konkreten Lehre nicht ersichtlich sei und Anspruch 1 deshalb nicht als prinzipielle Verkörperung des Anmeldungsgegenstands verstanden werde. Dies gelte schon deswegen, weil im ursprünglichen Anspruch 1 die Reibungskupplung und das zugehörige Ausrücksystem nicht erwähnt würden, die aber für den im Streitpatent weiterzubildenden Gegenstand die entscheidende Grundlage bildeten.
Diese Erwägungen begründen die vom Bundespatentgericht angenommene unzulässige Erweiterung nicht. Das Bundespatentgericht zieht nicht in Zweifel, daû in den ursprünglichen Unterlagen eine Dämpfungseinrichtung aus in Umfangsrichtung wirksamen Kraftspeichern offenbart ist. Es zieht auch nicht in Zweifel, daû der Fachmann, als den das Bundespatentgericht rechtsfehlerfrei einen Hochschulingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Dämpfungsvorrichtungen insbesondere in Verbindung mit Kraftfahrzeugkupplungen ansieht, hierin ein Mittel sieht, kraft dessen die Schwungmassen - in den Worten des verteidigten Anspruchs - entgegen der Wirkung einer Dämpfungseinrichtung relativ zueinander verdrehbar sind. Unter diesen - dem Rechtsbeschwerdeverfahren zugrundezulegenden - Voraussetzungen kann aber das sachlich unverändert aus Anspruch 1 der Anmeldung in Patentanspruch 1 übernommene Merkmal keine unzulässige Erweiterung darstellen, weil es nichts enthält, was nicht bereits Inhalt der Anmeldung gewesen wäre. Der Umstand, daû die Anmeldung nach den Feststellungen des Bundespatentgerichts nur eine Ausführungsform "einer ganz bestimmten Baukonzeption" mit in Umfangsrichtung wirksamen Kraftspeichern (ausführbar) offenbart, steht dem nicht entgegen. Denn offenbart ist alles das, was in der Gesamtheit der ursprünglichen Unterlagen schriftlich niedergelegt
ist und sich dem Fachmann ohne weiteres aus dem Gesamtinhalt der Unterlagen am Anmeldetag erschlieût (Sen., BGHZ 111, 21, 26 - Crackkatalysator I). Ein "breit" formulierter Anspruch ist unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung deshalb jedenfalls dann unbedenklich, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung - sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen - als zu der angemeldeten Erfindung gehörig entnehmbar war.

b) Das Bundespatentgericht hat weiter festgestellt, der Fachmann entnehme den ursprünglichen Unterlagen eine Steuerung zur Veränderung bzw. Verringerung der Dämpfung, die nicht nur die Merkmale des kennzeichnenden Teils des geltenden Patentanspruchs 1, sondern zugleich auch die axiale Verschiebbarkeit der die Reibungskupplung tragenden Schwungmasse in untrennbarer Weise umfasse.
aa) Im einzelnen hat das Bundespatentgericht hierzu ausgeführt: In der Anmeldung werde die ferdernde Verspannung der Schwungmassen im Zusammenhang mit der Tellerfeder 34, dem Reibring 22 und der axialen Verlagerbarkeit der Schwungmasse 4 gegenüber der Schwungmasse 3 beschrieben. Im weiteren werde dort zur Funktionsweise ausgeführt, daû das durch den Reibring 22 erzeugte Reibmoment abnehme, wenn mit zunehmender Ausrückkraft die Vorspannung der Tellerfeder 34 allmählich kompensiert werde, und daû bei Überwindung der Vorspannung der Tellerfeder 34 diese verschwenkt und die Schwungmasse 4 um den Betrag X in Richtung der Schwungmasse 3 mit der
Folge verlagert werde, daû der Reibring 22 abhebe und keine Reibungsdämpfung mehr erzeugt werde. Die axial federnde Verspannung der Schwungmassen mit der entgegen der Betätigungskraft der Reibungskupplung wirkenden Vorspannkraft und die axiale Verlagerbarkeit der Schwungmassen sowie die Reib- und Gleitverbindung stellten eine Funktions- und Steuereinheit dar, die das allgemeine Lösungsprinzip verkörpere. In den ursprünglichen Unterlagen werde es bei der als Stand der Technik erörterten Drehmomentübertragungseinrichtung nach der deutschen Offenlegungsschrift 28 26 274 als nachteilig angesehen, daû der radiale Flansch der Flanschhülse, die die drehbare Lagerung der Schwungmassen zueinander ermögliche, beim Betätigen der Reibungskupplung zwischen den Schwungmassen mit groûer Kraft verspannt werde, wodurch ein hohes Reibmoment zwischen den Schwungmassen auftrete und die Dämpfung beeinträchtige. Mit dem Patentgegenstand solle eine derart hohe Reib- und Dämpfungswirkung vermieden werden, wofür die axiale Verlagerbarkeit der Schwungmassen und die Reib- und Gleitverbindung unverzichtbare Bestandteile der offenbarten Steuerung seien.
bb) Das trägt die angefochtene Entscheidung.
Bis zum Beschluû über die Erteilung des Patents sind nach § 38 PatG Änderungen der in der Anmeldung enthaltenen Angaben zulässig, die den Gegenstand der Anmeldung nicht erweitern. Der Gegenstand der Anmeldung darf bei der Aufstellung des Patentanspruchs anders formuliert werden, und er darf beschränkt werden. Eine solche Änderung darf aber nicht zu einer Erweiterung des Gegenstands der Anmeldung führen, und sie darf nicht dazu führen, daû an die Stelle der angemeldeten Erfindung eine andere gesetzt wird (Sen., BGHZ 66, 17, 29 - Alkylendiamine I; BGHZ 110, 123, 125 - Spleiûkammer). Der
Patentanspruch darf mithin nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, von dem der Durchschnittsfachmann aufgrund der ursprünglichen Offenbarung nicht erkennen kann, daû er von vornherein von dem Schutzbegehren umfaût sein soll (Sen.Urt. v. 21.9.1993 - X ZR 50/91, Mitt. 1996, 204, 206 - Spielfahrbahn; Sen.Beschl. v. 20.6.2000 - X ZB 5/99, GRUR 2000, 1015, 1016 - Verglasungsdichtung; v. 5.10.2000 - X ZR 184/98, GRUR 2001, 140, 141 - Zeittelegramm).
Das Bundespatentgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daû der Fachmann den in dem verteidigten - wie in dem erteilten - Patentanspruch bezeichneten Gegenstand den ursprünglichen Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörig entnehmen kann.
cc) Die Rechtsbeschwerde verweist allerdings zu Recht darauf, daû der Anmelder oder der Patentinhaber, wenn er nur noch für eine bestimmte Ausführungsform der angemeldeten Erfindung Schutz begehrt, nicht genötigt ist, sämtliche Merkmale eines Ausführungsbeispiels in den Anspruch aufzunehmen. Die Aufnahme eines weiteren Merkmals aus der Beschreibung in den Patentanspruch ist zulässig, wenn dadurch die zunächst weiter gefaûte Lehre auf eine engere Lehre eingeschränkt wird und wenn das weitere Merkmal in der Beschreibung als zu der beanspruchten Erfindung gehörend zu erkennen war (Sen., BGHZ 111, 21, 25 - Crackkatalysator I; Beschl. v. 30.10.1990 - X ZB 18/88, GRUR 1991, 307, 308 - Bodenwalze; Urt. v. 7.12.1999 - X ZR 40/95, GRUR 2000, 591, 592 - Inkrustierungsinhibitoren). Dienen mehrere in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels genannte Merkmale der näheren Ausgestaltung der unter Schutz gestellten Erfindung, die je für sich, aber auch zusammen den durch die Erfindung erreichten Erfolg fördern, hat es
der Patentinhaber in der Hand, ob er sein Patent durch die Aufnahme einzelner oder sämtlicher dieser Merkmale beschränkt; in dieser Hinsicht können dem Patentinhaber keine Vorschriften gemacht werden (Sen., BGHZ 110, 123, 126 - Spleiûkammer).
Das bedeutet jedoch nicht, daû der Patentinhaber nach Belieben einzelne Elemente eines Ausführungsbeispiels im Patentanspruch kombinieren dürfte. Die Kombination muû vielmehr in ihrer Gesamtheit eine technische Lehre darstellen, die der Fachmann den ursprünglichen Unterlagen als mögliche Ausgestaltung der Erfindung entnehmen kann; andernfalls wird etwas beansprucht , von dem der Durchschnittsfachmann aufgrund der ursprünglichen Offenbarung nicht erkennen kann, daû es von vornherein von dem Schutzbegehren umfaût sein soll, und das daher gegenüber der angemeldeten Erfindung ein aliud darstellt (Sen.Beschl. v. 23.1.1990 - X ZB 9/89, GRUR 1990, 432, 434 - Spleiûkammer [insoweit nicht in BGHZ]).
dd) Nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Bundespatentgerichts umfaût die Angabe im verteidigten Patentanspruch , daû die Schwungmassen durch einen Kraftspeicher axial zueinander federnd verspannt sind, aus der Sicht des Fachmanns nicht notwendigerweise eine axiale Verlagerbarkeit der Schwungmassen als ungeschriebenen Bestandteil der technischen Lehre des Anspruchs. Vom Anspruch umfaût ist daher auch eine Ausführungsform, bei der die Schwungmassen axial federnd verspannt sind, ohne axial verlagerbar zu sein. Nach den weiteren Ausführungen des Beschwerdegerichts konnte der Fachmann der Anmeldung axial federnd verspannte Schwungmassen jedoch nur im Zusammenhang mit einer gleichzeitigen axialen Verschiebbarkeit dieser Schwungmassen entnehmen. Das
Bundespatentgericht hat insoweit auf die dem Fachmann in der Beschreibung erläuterte Funktion der axial federnde Verspannung der Schwungmassen für deren axiale Verlagerung und die Bedeutung dieser Verlagerung für die Lösung des der Anmeldung zugrundeliegenden Problems abgestellt. Diese Ausführungen , die das Bundespatentgericht noch zusätzlich darauf hätte stützen können, daû die axiale Verspannung der Schwungmassen auch im allgemeinen Teil der Beschreibung und in den in der Anmeldung formulierten Ansprüchen nur als Ausführungsform axial verlagerbarer Schwungmassen angesprochen ist, sind als tatrichterliche Feststellungen, gegen die durchgreifende Rechtsbeschwerdegründe nicht erhoben sind, für das Rechtsbeschwerdeverfahren bindend (§ 107 Abs. 2 PatG).
ee) Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, diesen Feststellungen lägen unzutreffende Maûstäbe zugrunde.
Zu Unrecht sieht sie solche in der Bemerkung des Bundespatentgerichts , für den Fachmann seien aus der Anmeldung auch keine anderen Ausführungsformen erkennbar, die die Offenbarung der im geltenden Anspruch 1 angegebenen Lösung rechtfertigen könnten. Damit hat das Bundespatentgericht nicht zum Ausdruck gebracht, nur bei einem solchen (weiteren) Ausführungsbeispiel könne die beanspruchte Lösung als offenbart gelten.
Unbegründet ist auch die Rüge, das Bundespatentgericht habe angenommen , Rechte aus dem Streitpatent könnten "(selbstverständlich) nur im Sinne des in der Beschreibung offenbarten Ausführungsbeispiels geltend gemacht werden". An der angegebenen Stelle hat das Bundespatentgericht vielmehr - zutreffend - ausgeführt, Mängel im geltenden Anspruch 1 hinsichtlich
der ursprünglichen Offenbarung könnten nicht, wie von der Patentinhaberin eingeworfen worden sei, dadurch kompensiert werden, daû das Streitpatent (selbstverständlich) nur im Sinne des in der Beschreibung offenbarten Ausführungsbeispiels gegenüber Dritten geltend gemacht werden könne; dafür biete das Patentrecht keine Handhabe.
Nicht unbedenklich sind hingegen zwar die Ausführungen des Beschwerdegerichts , die Abstraktion des konkreten Gegenstandes dürfe nicht zu einer unbestimmten und diffusen Aussage oder Anweisung führen, die eine klare Vorstellung vom Wesen des ursprünglich offenbarten Anmeldungsgegenstandes nicht mehr vermittele und über die ursprüngliche Offenbarung in unzulässiger Weise hinausgehe, was im Streitfall ersichtlich der Fall sei, da wesentliche Elemente der Steuerung nicht im Hauptanspruch angegeben würden und für das Lösungsprinzip die steuernden und zu steuernden Mittel oder Vorrichtungen unverzichtbar seien. Es ist jedoch weder von der Rechtsbeschwerde dargelegt noch sonst erkennbar, inwiefern die Feststellungen zum Verständnis des Fachmanns vom Inhalt der Anmeldung hierdurch beeinfluût sein könnten.
ff) Wenn das Bundespatentgericht aus den zu dd) genannten Feststellungen abgeleitet hat, ein Anspruch, der nur die axial federnde Verspannung der Schwungmassen und den der Ausrückkraft der Reibkupplung entgegenwirkenden Kraftspeicher zur Kennzeichnung der Lösung anführe, sei "aus Offenbarungsgründen nicht statthaft" und führe zu einer sich dem Fachmann aus den ursprünglichen Unterlagen nicht erschlieûenden und deshalb unzulässigen Teil- oder Unterkombination, hat es nach alledem entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht unzulässig Fragen zum Anspruch auf Erteilung des Patents mit solchen aus dem Recht der Patentverletzung vermengt. Es hat
vielmehr zutreffend darauf abgestellt, daû der verteidigte Anspruch auf eine Kombination von Merkmalen gerichtet sei, die dem Fachmann nach seinen Feststellungen in der dem Streitpatent zugrundeliegenden Anmeldung nicht als zur Erfindung gehörende Kombination offenbart wird.

c) Hiernach kommt es nicht mehr darauf an, ob das Bundespatentgericht auch rechtsfehlerfrei festgestellt hat, nach der Ursprungsoffenbarung gehöre ebenso die Reib- und Gleitverbindung, wie sie etwa im erteilten Anspruch 12 angegeben sei, zu dem erfindungsgemäûen Steuerungsmechanismus, wogegen sprechen könnte, daû eine solche Verbindung in der Beschreibung (S. 17) lediglich als vorteilhaft bezeichnet ist.
4. Das Bundespatentgericht hat den Antrag zurückgewiesen, die Rückzahlung der Gebühren für die abgetrennte Anmeldung 34 48 593.7 anzuordnen. Insoweit ist die Rechtsbeschwerde ohne Begründung geblieben und deswegen als unzulässig zu verwerfen (§§ 102, 104 PatG).
III. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten (§ 107 Abs. 1 PatG).
Rogge Jestaedt Melullis
Scharen Meier-Beck

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkün
in der Patentnichtigkeitssache
X ZR 226/02
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Sammelhefter II

a) Wird von mehreren, ein Ausführungsbeispiel der Erfindung beschreibenden
Merkmalen nur eines in den Patentanspruch aufgenommen, das die mit
dem Ausführungsbeispiel erzielte technische Wirkung angibt, liegt darin
auch dann keine unzulässige Erweiterung, wenn ein anderer Weg zur Erzielung
derselben Wirkung nicht offenbart ist.

b) Wer dem Patentnichtigkeitsverfahren auf Seiten des Klägers beitritt, gilt als
Streitgenosse des Klägers (Abweichung vom Sen.Urt. v. 30.9.1997
- X ZR 85/94, GRUR 1998, 382, 387 - Schere).
BGH, Urteil vom 16. Oktober 2007 - X ZR 226/02 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Oktober 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den
Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. MeierBeck
und Gröning

für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 25. Juni 2002 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 4/5 der Klägerin und ihrer Streithelferin und zu 1/5 der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


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Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 16. Mai 1986 unter Inanspruchnahme der Priorität einer Schweizer Anmeldung vom 4. Juni 1985 angemeldeten und im Laufe des Berufungsverfahrens durch Zeitablauf erlosche- nen deutschen Patents 36 16 566 (Streitpatents). Das Streitpatent ist mit sechs Patentansprüchen erteilt worden, von denen Patentanspruch 1 lautet: "Sammelhefter mit Anlegestationen, welche im Maschinentakt angetrieben und an einer Sammelstrecke mit sattelförmiger Auflage für die darauf rittlings abgelegten Druckbogen angeordnet sind, wobei die Sammelstrecke mit längs der Auflage zu einem Heftapparat wirksamen Mitnehmern versehen ist, d a d u r c h g e k e n n - z e i c h n e t , dass der Sammelhefter in Kombination folgende Merkmale aufweist:
a) parallel zur erwähnten Sammelstrecke ist wenigstens eine weitere Sammelstrecke mit Mitnehmern (6) vorhanden,
b) mit jedem Maschinentakt beschicken die Anlegestationen (7, 8, 19) nacheinander jede der Sammelstrecken mit einem Druckbogen , wobei bei allen Sammelstrecken die Druckbogen mit der offenen Seite voran gegen die Sammelstrecke gefördert und aufgespreizt werden und
c) der Heftapparat (9) wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordnet ist und je Sammelstrecke mindestens einen Heftkopf (12, 13, 33) aufweist."
2
Im Einspruchsbeschwerdeverfahren hat Patentanspruch 1 durch Beschluss des Bundespatentgerichts vom 19. September 1994 (11 W (pat) 45/92) folgende Fassung erhalten: "Sammelhefter mit Anlegestationen, welche im Maschinentakt angetrieben und an einer Sammelstrecke mit sattelförmiger Auflage für die darauf rittlings abgelegten vereinzelten Druckbogen angeordnet sind, wobei die Sammelstrecke mit längs der Auflage wirksamen Mitnehmern versehen ist, welche die abgelegten Druckbogen von Anlegestation zu Anlegestation und dann zu einem im Wirkbereich der Sammelstrecke vorgesehenen Heftapparat transportieren , d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass der Sammelhefter in Kombination folgende Merkmale aufweist:
a) parallel zur erwähnten Sammelstrecke ist wenigstens eine weitere gleich aufgebaute Sammelstrecke vorhanden, wobei die Sammelstrecken symmetrisch zu einer Achse (1) und um diese drehend angeordnet sind,
b) mit jedem Maschinentakt beschicken die Anlegestationen (7, 8, 19) die sattelförmige Auflage (3) einer der Sammelstrecken mit einem Druckbogen, und die Sammelstrecken drehen sich um den Winkelabstand zwischen zwei Sammelstrecken weiter,
c) der Heftapparat (9) ist wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordnet und weist je Sammelstrecke mindestens einen Heftkopf (12, 13, 33) auf, wobei im Wirkbereich des Heftapparates (9) die zusammengetragenen Druckbogen relativ zu den Sammelstrecken stillstehen und die Heftköpfe (12, 13, 33) beim Heftvorgang während eines Bewegungsweges den Sammelstrecken im Gleichlauf folgen."
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Mit der Nichtigkeitsklage hat die Klägerin, die rechtskräftig wegen Verletzung des Streitpatents verurteilt ist, dieses im Umfang der Patentansprüche 1 bis 3 und 6 angegriffen. Sie macht geltend, der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 gehe über den Inhalt der Anmeldung hinaus und der Schutzbereich dieses Patentanspruchs sei gegenüber der erteilten Fassung des Patents erweitert. Ferner ergebe sich der Gegenstand des Streitpatents in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.
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Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent unter Abweisung der weitergehenden Klage dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass Patentanspruch 1 folgende Fassung erhält, auf welche die Patentansprüche 2, 3 und 6 rückbezogen sind: "Sammelhefter mit Anlegestationen, welche im Maschinentakt angetrieben und an einer Sammelstrecke mit sattelförmiger Auflage für die darauf rittlings abgelegten vereinzelten Druckbogen angeordnet sind, wobei die Sammelstrecke mit längs der Auflage wirksamen Mitnehmern versehen ist, welche die abgelegten Druckbo- gen von Anlegestation zu Anlegestation und dann zu einem im Wirkbereich der Sammelstrecke vorgesehenen Heftapparat transportieren , d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass der Sammelhefter in Kombination folgende Merkmale aufweist:
a) parallel zur erwähnten Sammelstrecke ist wenigstens eine weitere gleich aufgebaute Sammelstrecke vorhanden, wobei die Sammelstrecken symmetrisch zu einer Achse (1) und um diese drehend angeordnet sind,
b) mit jedem Maschinentakt beschicken die Anlegestationen (7, 8, 19) nacheinander jede sattelförmige Auflage (3) einer der Sammelstrecken mit einem Druckbogen, wobei bei allen Sammelstrecken die Druckbogen mit der offenen Seite voran gegen die Sammelstrecke gefördert und aufgespreizt werden, und die Sammelstrecken drehen sich um den Winkelabstand zwischen zwei Sammelstrecken weiter,
c) der Heftapparat (9) ist wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordnet und weist je Sammelstrecke mindestens einen Heftkopf (12, 13, 33) auf, wobei im Wirkbereich des Heftapparates (9) die zusammengetragenen Druckbogen relativ zu den Sammelstrecken stillstehen und die Heftköpfe (12, 13, 33) beim Heftvorgang während eines Bewegungsweges den Sammelstrecken im Gleichlauf folgen,
d) es sind Mittel (3, 4, 10) vorhanden, um die Druckbogen unabhängig von der Angriffsrichtung der Schwerkraft in hinreichender Anlage mit der sattelförmigen Auflage zu halten."
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Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin und ihrer im Berufungsverfahren beigetretenen, gleichfalls wegen Verletzung des Streitpatents verurteilten Streithelferin, mit welcher diese den Antrag weiterverfolgen, das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1 bis 3 und 6 für nichtig zu erklären. Die Beklagte hat sich der Berufung mit dem Antrag angeschlossen, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Fassung des Patentanspruchs 1 wie folgt lautet: "Sammelhefter mit Anlegestationen, welche im Maschinentakt angetrieben und an einer Sammelstrecke mit sattelförmiger Auflage für die darauf rittlings abgelegten vereinzelten Druckbogen angeordnet sind, wobei die Sammelstrecke mit längs der Auflage wirksamen Mitnehmern versehen ist, welche die abgelegten Druckbogen von Anlegestation zu Anlegestation und dann zu einem im Wirkbereich der Sammelstrecke vorgesehenen Heftapparat transportieren , d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass der Sammelhefter in Kombination folgende Merkmale aufweist:
a) parallel zur erwähnten Sammelstrecke ist wenigstens eine weitere gleich aufgebaute Sammelstrecke vorhanden, wobei die Sammelstrecken symmetrisch zu einer Achse (1) und um diese drehend angeordnet sind,
b) mit jedem Maschinentakt beschicken die Anlegestationen (7, 8, 19) nacheinander jede sattelförmige Auflage (3) einer der Sammelstrecken mit einem Druckbogen, und die Sammelstre- cken drehen sich um den Winkelabstand zwischen zwei Sammelstrecken weiter,
c) der Heftapparat (9) ist wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordnet und weist je Sammelstrecke mindestens einen Heftkopf (12, 13, 33) auf, wobei im Wirkbereich des Heftapparates (9) die zusammengetragenen Druckbogen relativ zu den Sammelstrecken stillstehen und die Heftköpfe (12, 13, 33) beim Heftvorgang während eines Bewegungsweges den Sammelstrecken im Gleichlauf folgen."
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Hilfsweise soll Patentanspruch 1 die folgende Fassung erhalten: "Sammelhefter mit Anlegestationen, welche im Maschinentakt angetrieben und an einer Sammelstrecke mit sattelförmiger Auflage für die darauf rittlings abgelegten vereinzelten Druckbogen angeordnet sind, wobei die Sammelstrecke mit längs der Auflage wirksamen Mitnehmern versehen ist, welche die abgelegten Druckbogen von Anlegestation zu Anlegestation und dann zu einem im Wirkbereich der Sammelstrecke vorgesehenen Heftapparat transportieren , d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass der Sammelhefter in Kombination folgende Merkmale aufweist:
a) parallel zur erwähnten Sammelstrecke ist wenigstens eine weitere gleich aufgebaute Sammelstrecke vorhanden, wobei die Sammelstrecken symmetrisch zu einer Achse (1) und um diese drehend angeordnet sind,
b) mit jedem Maschinentakt beschicken die Anlegestationen (7, 8, 19) nacheinander jede sattelförmige Auflage (3) einer der Sammelstrecken mit einem Druckbogen, und die Sammelstrecken drehen sich um den Winkelabstand zwischen zwei Sammelstrecken weiter,
c) der Heftapparat (9) ist wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordnet und weist je Sammelstrecke mindestens einen Heftkopf (12, 13, 33) auf, wobei im Wirkbereich des Heftapparates (9) die zusammengetragenen Druckbogen relativ zu den Sammelstrecken stillstehen und die Heftköpfe (12, 13, 33) beim Heftvorgang während eines Bewegungsweges den Sammelstrecken im Gleichlauf folgen,
d) es sind Mittel (3, 4, 10) vorhanden, um die Druckbogen unabhängig von der Angriffsrichtung der Schwerkraft in hinreichender Anlage mit der sattelförmigen Auflage zu halten."
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Als gerichtlicher Sachverständiger hat Professor Dr.-Ing. B. K. , Fakultät Maschinenbau der Universität D. , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Klägerin hat ein Gutachten vorgelegt, das Professor Dr.-Ing. K. D. F. , Universität W. , in ihrem Auftrag erstellt hat.

Entscheidungsgründe:


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Die zulässigen Rechtsmittel der Parteien haben keinen Erfolg. Das Bundespatentgericht hat zu Recht der - auch nach Erlöschen des Streitpatents zulässigen (vgl. Sen.Urt. v. 15.11.2005 - X ZR 17/02, GRUR 2006, 316 - Koksofentür ) - Nichtigkeitsklage teilweise entsprochen und sie im Übrigen abgewiesen.
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I. Das Streitpatent betrifft einen Sammelhefter, mit dem bedruckte und gefaltete Bogen (Druckbogen) gesammelt und anschließend in derselben Maschine zur Herstellung von mehrseitigen Druckprodukten wie Zeitschriften, Broschüren oder dergleichen geheftet werden. Dabei werden die einzelnen Druckbogen von innen nach außen übereinandergelegt und dann im Falzbereich geheftet. Ein derartiger Sammelhefter besteht aus den Komponenten Anlegestation , Sammelstrecke und Heftapparat. Die Anzahl der Anlegestationen entspricht der Anzahl der Druckbogen des fertigen Druckproduktes. Jede Anlegestation liefert an die Sammelstrecke einen bestimmten Druckbogen, indem die erste Anlegestation den innersten Druckbogen des fertigen Druckproduktes liefert, die zweite Anlegestation den - von innen nach außen betrachtet - nächstfolgenden Druckbogen und so fort. Die Sammelstrecke nimmt die von den Anlegestationen auf ihrer sattelförmigen Auflage rittlings abgelegten Druckbogen auf. Mit Hilfe von Mitnehmern werden die Druckbogen längs ihrer Auflage von Anlegestation zu Anlegestation seitlich vorgeschoben und gelangen schließlich zum Heftapparat, in dem sie zu fertigen Druckprodukten zusammengefügt werden.
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Ein Sammelhefter dieser Art ist, wie die Streitpatentschrift erläutert, aus der Schweizer Patentschrift 519 993 (E 9) bekannt. Sein Nachteil ist die geringe Arbeitsgeschwindigkeit.
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Der Erfindung liegt das technische Problem zugrunde, einen Sammelhefter bereitzustellen, welcher bei gleichermaßen präziser Verarbeitung der gefalteten Einzelbögen wie bei der bekannten Maschine ein Mehrfaches der Produktionsgeschwindigkeit zulässt (Sp. 3 Z. 65 - Sp. 4 Z. 2 der Streitpatentschrift).
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Dieses Problem wird nach Patentanspruch 1 des Streitpatents in der geltenden Fassung durch folgende Merkmalskombination gelöst: (1) Der Sammelhefter weist Anlegestationen (7, 8, 19) auf, die im Maschinentakt angetrieben und an Sammelstrecken angeordnet sind. (2) Es sind wenigstens zwei parallele Sammelstrecken vorhanden. (3) Die Anlegestationen dienen der Beschickung der einander folgenden Sammelstrecken mit einem Druckbogen.
(4)
Die Sammelstrecken sind (4.1) gleich aufgebaut, (4.2) symmetrisch zu einer Achse (1) angeordnet und (4.3) drehen um die Achse (1).
(5)
Jede Sammelstrecke weist auf: (5.1) eine sattelförmige Auflage (3) für die darauf rittlings abgelegten vereinzelten Druckbogen, (5.2) längs der Auflage wirksame Mitnehmer (6), welche die abgelegten Druckbogen von Anlegestation zu Anlegestation und dann zu einem im Wirkbereich der Sammelstrecke vorgesehenen Heftapparat (9) transportieren. (6) Mit jedem Maschinentakt (6.1) beschicken die Anlegestationen (7, 8, 19) die sattelförmige Auflage (3) einer der Sammelstrecken mit einem Druckbogen und (6.2) drehen sich die Sammelstrecken um den Winkelabstand zwischen zwei Sammelstrecken weiter.
(8)
Der Heftapparat (9) (8.1) ist wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordnet und (8.2) weist je Sammelstrecke mindestens einen Heftkopf (12, 13, 33) auf.
(9)
Im Wirkbereich des Heftapparates (9) (9.1) stehen die zusammengetragenen Druckbogen relativ zu den Sammelstrecken still und (9.2) folgen die Heftköpfe (12, 13, 33) beim Heftvorgang während eines Bewegungsweges den Sammelstrecken im Gleichlauf.
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Die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 der Streitpatentschrift zeigt ein Ausführungsbeispiel.
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Der mit Merkmal 9.2 beanspruchte Gleichlauf zwischen den Heftköpfen des Heftapparats und den Sammelstrecken (mit den darauf abgelegten, relativ zur Sammelstrecke stillstehenden Druckbogen) wird dadurch erzielt, dass der Heftkopf, der die Druckbogen auf der zugeordneten Sammelstrecke heftet, seinerseits bewegt wird und während eines Bewegungsweges (im Ausführungsbeispiel während des Weges, den der pendelnde Heftapparat in Drehrichtung des Sammelhefters zurücklegt) der Sammelstrecke in gleicher Richtung und in gleichem Radialabstand folgt. Hierdurch wird erreicht, dass für die Heftung mehr Zeit zur Verfügung steht (Sp. 4 Z. 4-9), nämlich derjenige Zeitraum, in dem sich die Sammeltrommel um den Winkelabstand zwischen zwei Sammelstrecken weiterdreht.
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II. Die Anschlussberufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Bundespatentgericht angenommen, dass das Streitpatent mit dem vorstehend gegliederten Patentanspruch 1 keinen Bestand haben kann, weil hierdurch der Schutzbereich des Streitpatents erweitert worden ist (§ 22 Abs. 1 2. Alt. PatG).
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Ein erteiltes Patent hat einen Schutzbereich, der gemäß § 14 PatG durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt wird, zu deren Auslegung Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen sind. Jedenfalls dann, wenn das Patent im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren derart geändert wird, dass sein Schutzbereich nunmehr über dasjenige hinausgeht, was zuvor vom Schutzbereich umfasst war, liegt der Nichtigkeitsgrund des § 22 Abs. 1 2. Alt. PatG vor.
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Soweit das Bundespatentgericht eine solche Schutzbereichserweiterung darin gesehen hat, dass infolge der Ersetzung der Wörter "nacheinander jede" durch den bestimmten Artikel "die" in Merkmal 6.1 des Patentanspruchs 1 auch Sammelhefter umfasst sein könnten, bei denen nicht nacheinander jede sattelförmige Auflage beschickt werde, die Reihenfolge der Beschickung der Sam- melstrecken vielmehr beliebig sei und auch Lücken in der Beschickung möglich seien, greift die Anschlussberufung das erstinstanzliche Urteil nicht an.
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Dem Bundespatentgericht ist aber auch darin beizutreten, dass die Weglassung des im erteilten Patentanspruch 1 enthaltenen Halbsatzes "wobei bei allen Sammelstrecken die Druckbogen mit der offenen Seite voran gegen die Sammelstrecke gefördert und aufgespreizt werden" in Merkmal 6.1 des Patentanspruchs 1 in der geltenden Fassung zu einer Schutzbereichserweiterung führt.
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Das Bundespatentgericht hat dies damit begründet, dass vom Schutzbereich des geltenden Anspruchs auch Sammelhefter umfasst sein könnten, die nicht mit der offenen Seite voran gegen, sondern beispielsweise von der Seite her auf die Sammelstrecke gefördert würden, wie es aus der veröffentlichten europäischen Patentanmeldung 95 603 (E 1) bekannt sei. Auch könnten Sammelhefter umfasst sein, die nicht während des Beschickens, sondern bereits vorher aufgespreizt würden, wie dies aus der deutschen Offenlegungsschrift 31 17 419 (E 8) bekannt sei. Merkmal 6.1 der erteilten Fassung sei jedoch unter Berücksichtigung der Beschreibung (insbesondere Sp. 3 Z. 47-57 der C2Schrift ) so auszulegen, dass nur Sammelhefter vom Schutzbereich umfasst seien, die mit der offenen Seite voran gegen die Sammelstrecke gefördert und erst während der Beschickung aufgespreizt würden.
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Dagegen wendet die Anschlussberufung ohne Erfolg ein, das erteilte Streitpatent unterscheide lediglich zwischen dem Sammeln der Druckbogen von außen nach innen in V-förmigen Taschen (deutsche Auslegeschrift 1 224 329 [E 10] und Schweizer Patentschrift 584 153 [E 11]) und dem erfindungsgemäßen Sammeln von innen nach außen auf sattelförmigen Auflagen, wobei letzteres durch Merkmal 5.1 zum Ausdruck gebracht werde und die zusätzliche Angabe in Merkmal 6.1 nichts anderes besage als das, was Merkmal 5.1 ohnehin schon zum Ausdruck bringe, da eine Ablage "rittlings" nur erfolgen könne, wenn die Druckbogen zuvor aufgespreizt und mit der offenen Seite voran gegen die Sammelstrecke gefördert würden.
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Denn die Beschreibung des Streitpatents in seiner erteilten Fassung erläutert die Vorrichtung nach der E 1 dahin, dass diese einen endlos umlaufenden , zur Aufnahme der Druckbogen bestimmten Förderer aufweise, entlang welchem eine Anzahl von Zuförderern für die Druckbogen angeordnet seien. Hierbei würden die Produkte mit quer zur Förderrichtung liegendem Falz an den Zuförderern vorbeigeführt. Die Schenkel der Druckbogen hingen hierbei frei nach unten. Diese bekannte Vorrichtung lasse konstruktiv offen, wie dabei die frei herabhängenden Schenkel der Druckbogen bei hohen Geschwindigkeiten stabil gehalten und wie der Heftvorgang an den fertig zusammengetragenen Produkten ausgeführt werden solle (Sp. 1 Z. 44-57).
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Von dieser bekannten Lösung, bei der bereits eine Sammelstrecke mit sattelförmigen Auflagen für die vereinzelten Druckbogen vorhanden ist, hebt sich die erfindungsgemäße Lösung nach dem erteilten Patentanspruch 1 durch die weitere Angabe ab, dass die Druckbogen mit der offenen Seite voran gegen die Sammelstrecke gefördert werden und (hierbei, um eine zuverlässige Auflage zu gewährleisten, nicht frei herabhängen, sondern) aufgespreizt werden. Diese Anforderung ist im geltenden Patentanspruch 1 nicht mehr enthalten, nach dem die Zuführung in beliebiger Weise und aus beliebiger Richtung erfolgen kann.
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Der geltende Patentanspruch ist damit auf eine Teilkombination der durch den erteilten Patentanspruch geschützten technischen Lehre gerichtet. Damit ist der Schutzbereich erweitert, denn eine solche Teilkombination war durch das erteilte Patent nicht geschützt (vgl. Sen.Urt. v. 31.5.2007 - X ZR 172/04, WRP 2007, 1231 - Zerfallszeitmessgerät [für BGHZ vorgesehen ]).
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Da auch der Hilfsantrag der Anschlussberufung das Merkmal nicht enthält , nach dem bei allen Sammelstrecken die Druckbogen mit der offenen Seite voran gegen die Sammelstrecke gefördert und aufgespreizt werden, kann Patentanspruch 1 auch in der Fassung dieses Antrags keinen Bestand haben.
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III. Auch die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Patentanspruch 1 in der Fassung des angefochtenen Urteils ist gegenüber dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen nicht unzulässig erweitert, und der Gegenstand dieses Anspruchs ist patentfähig.
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1. In dieser Fassung lässt sich Patentanspruch 1 wie folgt gliedern: (1) Der Sammelhefter weist Anlegestationen (7, 8, 19) auf, die im Maschinentakt angetrieben und an Sammelstrecken angeordnet sind. (2) Es sind wenigstens zwei parallele Sammelstrecken vorhanden. (3) Die Anlegestationen dienen der Beschickung der einander folgenden Sammelstrecken mit einem Druckbogen.
(4)
Die Sammelstrecken sind (4.1) gleich aufgebaut, (4.2) symmetrisch zu einer Achse (1) angeordnet und (4.3) drehen um die Achse (1).
(5)
Jede Sammelstrecke weist auf: (5.1) eine sattelförmige Auflage (3) für die darauf rittlings abgelegten vereinzelten Druckbogen, (5.2) längs der Auflage wirksame Mitnehmer (6), welche die abgelegten Druckbogen von Anlegestation zu Anlegestation und dann zu einem im Wirkbereich der Sammelstrecke vorgesehenen Heftapparat (9) transportieren. (6) Mit jedem Maschinentakt (6.1) beschicken die Anlegestationen (7, 8, 19) nacheinander jede sattelförmige Auflage (3) einer der Sammelstrecken mit einem Druckbogen, wobei die Druckbogen mit der offenen Seite voran gegen die Sammelstrecke gefördert und aufgespreizt werden, und (6.2) drehen sich die Sammelstrecken um den Winkelabstand zwischen zwei Sammelstrecken weiter. (7) Es sind Mittel (3, 4, 10) vorhanden, um die Druckbogen unabhängig von der Angriffsrichtung der Schwerkraft in hinreichender Anlage mit der sattelförmigen Auflage (3) zu halten.
(8)
Der Heftapparat (9) (8.1) ist wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordnet und (8.2) weist je Sammelstrecke mindestens einen Heftkopf (12, 13, 33) auf.
(9)
Im Wirkbereich des Heftapparates (9) (9.1) stehen die zusammengetragenen Druckbogen relativ zu den Sammelstrecken still und (9.2) folgen die Heftköpfe (12, 13, 33) beim Heftvorgang während eines Bewegungsweges den Sammelstrecken im Gleichlauf.
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2. Dieser Patentanspruch enthält keine unzulässige Erweiterung. Das Bundespatentgericht hat zutreffend angenommen, dass eine unzulässige Erweiterung insbesondere nicht darin liegt, dass Merkmal 9.2 lediglich vorschreibt , dass die Heftköpfe beim Heftvorgang während eines Bewegungsweges den Sammelstrecken im Gleichlauf folgen, hingegen nicht vorgibt, dass der Heftapparat hierzu konzentrisch zur Achse (1) der Welle (2) gelagert sein und eine Pendelbewegung ausführen muss.
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Merkmal 9.2 ist als solches, wie auch die Klägerin nicht bezweifelt, ursprungsoffenbart. Denn die Patentanmeldung beschreibt ein durch die mit der oben wiedergegebenen Zeichnung identischen Figur 1 illustriertes Ausführungsbeispiel , bei dem der Heftapparat (9) einen um die Achse (1) schwenkbar gelagerten Bügel (11) aufweist, an dem zwei Heftkopfpaare (12, 13) angeordnet sind. Der Bügel (11) führt eine Hin- und Her-Schwenkbewegung aus und folgt dabei während eines Bewegungsweges den Auflagen (3) mit gleicher Geschwindigkeit. Die sich mitbewegenden Heftkopfpaare (12, 13) führen jeweils während des Gleichlaufs mit den Auflagen (3) simultan eine Heftoperation aus, mit der die aufeinanderliegenden Druckbogen von zwei Sammelstrecken zusammengeheftet werden (S. 9, letzter Abs. - S. 10, 2. Abs. der Offenlegungsschrift = Sp. 4 Z. 3-26 der C2-Schrift = Sp. 4 Z. 63 - Sp. 5 Z. 18 der C3-Schrift). Im Wirkbereich des Heftapparates folgen somit die Heftköpfe (12, 13, 33) beim Heftvorgang während eines Bewegungsweges den Sammelstrecken im Gleichlauf.
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Die Patentinhaberin war auch nicht gehindert, dieses Merkmal in den Patentanspruch aufzunehmen, ohne gleichzeitig weitere Einzelheiten des Ausführungsbeispiels mit zu übernehmen.
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Änderungen der Patentansprüche dürfen freilich weder zu einer Erweiterung des Gegenstands der Anmeldung noch dazu führen, dass an die Stelle der angemeldeten Erfindung eine andere gesetzt wird (BGHZ 66, 17, 29 - Alkylendiamine I; BGHZ 110, 123, 125 - Spleißkammer). Der Patentanspruch darf mithin nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, von dem aus fachmännischer Sicht aufgrund der ursprünglichen Offenbarung nicht zu erkennen ist, dass er von vornherein von dem Schutzbegehren umfasst sein sollte (Sen.Urt. v. 21.9.1993 - X ZR 50/91, Mitt. 1996, 204, 206 - Spielfahrbahn; Sen.Beschl. v. 20.6.2000 - X ZB 5/99, GRUR 2000, 1015, 1016 - Verglasungsdichtung; v. 5.10.2000 - X ZR 184/98, GRUR 2001, 140, 141 - Zeittelegramm; Sen.Urt. v. 5.7.2005, GRUR 2005, 1023, 1024 - Einkaufswagen II). Der Anmelder oder Patentinhaber , der nur noch für eine bestimmte Ausführungsform der angemeldeten Erfindung Schutz begehrt, ist dabei nicht genötigt, sämtliche Merkmale ei- nes Ausführungsbeispiels in den Anspruch aufzunehmen (Sen.Urt. v. 15.11.2005 - X ZR 17/02, GRUR 2006, 316, 319 - Koksofentür). Die Aufnahme eines weiteren Merkmals aus der Beschreibung in den Patentanspruch ist zulässig , wenn dadurch die zunächst weiter gefasste Lehre auf eine engere Lehre eingeschränkt wird und wenn das weitere Merkmal in der Beschreibung als zu der beanspruchten Erfindung gehörend zu erkennen war (BGHZ 111, 21, 25 - Crackkatalysator I; Sen.Beschl. v. 30.10.1990 - X ZB 18/88, GRUR 1991, 307, 308 - Bodenwalze; Sen.Urt. v. 7.12.1999 - X ZR 40/95, GRUR 2000, 591, 592 - Inkrustierungsinhibitoren). Dienen mehrere in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels genannte Merkmale der näheren Ausgestaltung der unter Schutz gestellten Erfindung, die je für sich, aber auch zusammen den durch die Erfindung erreichten Erfolg fördern, hat es der Patentinhaber in der Hand, ob er sein Patent durch die Aufnahme einzelner oder sämtlicher dieser Merkmale beschränkt ; in dieser Hinsicht können dem Patentinhaber keine Vorschriften gemacht werden (BGHZ 110, 123, 126 - Spleißkammer; Sen.Beschl. v. 14.9.2004 - X ZB 25/02 - Fußbodenbelag).
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Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Patentinhaber nach Belieben einzelne Elemente eines Ausführungsbeispiels im Patentanspruch kombinieren dürfte. Die Kombination muss vielmehr in ihrer Gesamtheit eine technische Lehre darstellen, die aus der Sicht des Fachmanns den ursprünglichen Unterlagen als mögliche Ausgestaltung der Erfindung zu entnehmen ist; andernfalls wird etwas beansprucht, von dem aufgrund der ursprünglichen Offenbarung nicht erkennbar ist, dass es von vornherein von dem Schutzbegehren umfasst sein soll, und das daher gegenüber der angemeldeten Erfindung ein aliud darstellt (Sen.Beschl. v. 23.1.1990 - X ZB 9/89, GRUR 1990, 432, 434 - Spleißkammer [insoweit nicht in BGHZ]; Sen.Beschl. v. 11.9.2001 - X ZB 18/00, GRUR 2002, 49, 51 - Drehmomentübertragungseinrichtung).
Diesen Anforderungen genügt die Kombination des Merkmals 9.2 mit
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den übrigen Merkmalen des Patentanspruchs 1. Denn in Patentanspruch 2 der Anmeldung war ganz allgemein ein Sammelhefter mit parallelen Sammelstrecken angegeben, bei dem der Heftapparat wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken zugeordnet ist und je Sammelstrecke mindestens einen Heftkopf aufweist. Aus der Sicht des Fachmanns, als den der Senat - auf der Grundlage der durch die Angaben des gerichtlichen Sachverständigen bestätigten Feststellungen des Bundespatentgerichts zum üblichen Ausbildungs- und Kenntnisstand der mit der Entwicklung von Sammelheftern befassten Fachleute - einen Maschinenbauingenieur mit praktischen Erfahrungen auf dem Gebiet der Konstruktion papierverarbeitender Maschinen ansieht, war erkennbar, dass der beschriebene Gleichlauf der Heftköpfe eines wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordneten Heftapparats mit den Sammelstrecken beim Heftvorgang geeignet ist, dem in der Patentanmeldung beschriebenen Nachteil des Standes der Technik, dass für den Heftvorgang nur ein Bruchteil eines Maschinentaktes zur Verfügung stand, entgegenzuwirken und damit das Ziel zu fördern, eine Vorrichtung zu schaffen, die bei gleich präziser Verarbeitung wie bei einer konventionellen Maschine ein Mehrfaches der Produktionsgeschwindigkeit erlaubt.
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Dem gegenüber ist unerheblich, dass die ursprünglichen Unterlagen mit dem konzentrisch gelagerten, pendelnden Bügel des Heftapparats nur eine Möglichkeit beschreiben, wie ein solcher Gleichlauf während eines Bewegungsweges erreicht werden kann. Denn ein solches Ausführungsbeispiel, mit dem der Anmelder der Anforderung genügt, die Erfindung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 34 Abs. 4 PatG), nötigt nicht dazu, den Gegenstand des Patentanspruchs hierauf zu beschränken.
Entgegen der Auffassung der Berufung ergibt sich eine unzulässige Er34 weiterung auch nicht daraus, dass in der C3-Schrift die Vorrichtung nach der deutschen Patentschrift 33 43 466 (E 2) dahin beschrieben wird, mittels eines Pendelantriebs werde eine derartige Hin- und Herbewegung der Heftköpfe herbeigeführt , dass sie bei ihrer Einwirkung auf zwei aufeinanderfolgende, zu heftende Druckbogen "im Gleichlauf mit deren Bewegungsgeschwindigkeit" bewegt würden (Sp. 3 Z. 19-30). Denn damit ist lediglich zutreffend beschrieben, dass in der Einwirkungsphase in Laufrichtung der Druckbogen keine Relativbewegung zwischen Heftköpfen und Druckbogen stattfindet. Nichts anderes ist, bezogen auf Heftköpfe und Sammelstrecken, mit dem Begriff des "Gleichlaufs" in der Anmeldung des Streitpatents und in Merkmal 9.2 zum Ausdruck gebracht.
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3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung des angefochtenen Urteils ist auch patentfähig.
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Dieser Gegenstand ist, wie auch von der Klägerin und ihrer Streithelferin nicht in Zweifel gezogen wird, neu. Verhandlung und Beweisaufnahme haben ebenso wenig tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Stand der Technik dem Fachmann den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nahegelegt hat.
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a) Die deutsche Auslegeschrift 1 114 779 (E 6) beschreibt eine Maschine zum Heften von Bogenlagen, bei der die Druckbogen auf sattelförmigen Auflagen (2) gesammelt werden, die an umlaufenden Zugorganen angeordnet sind. Mittels Verteil- und Anlegevorrichtungen (104) werden die Druckbogen auf den Auflagen abgelegt und zu einer Heftvorrichtung (105) weitertransportiert. Die Heftköpfe werden von auf einer Welle aufgekeilten Nocken gesteuert, die das Anbringen der Heftklammern während des Verschiebens der auf den Auflagen ruhenden Broschüren gestatten. Das entspricht den Merkmalen 1 bis 4.1, 5.1, 9.1 und 9.2. Hingegen fehlen die Mitnehmer wie auch alle Merkmale, die mindestens zwei parallele, um eine Achse drehend angeordnete Sammelstrecken voraussetzen.
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Es ist auch nicht erkennbar, was dem Fachmann Veranlassung geben sollte, die Vorrichtung derart umzugestalten, dass die gezeigte Sammelstrecke durch mindestens zwei parallele, um eine Achse drehend angeordnete Sammelstrecken ersetzt wird. Insbesondere ergibt sich hierfür nichts aus der von der Klägerin mehrfach zitierten Annahme im Urteil des Senats vom 26. Mai 1998 (X ZR 20/96, Bausch, BGH 1994-1998, 509), dem Fachmann sei bekannt, dass ein endlos umlaufendes Element bei einem Sammelförderer nicht nur ein Ketten- oder Riemengetriebe sein könne, sondern auch eine Trommel. Die Aussage des Senats bezieht sich auf die Erfassung des Wortsinns des Begriffs "endlos umlaufender Sammelförderer" im Patentanspruch des damaligen Streitpatents. Ihr lässt sich nichts dafür entnehmen, ob und inwieweit der Fachmann bei einem konkreten Sammelförderer Veranlassung sieht, ein umlaufendes Ketten- oder Riemengetriebe durch eine Trommel oder dergleichen zu ersetzen. Diese Frage kann stets nur aus dem Zusammenhang einer konkreten vorbekannten Lösung beantwortet werden. Selbst wenn aber der Fachmann Veranlassung sähe, die Auflagen auf einer Trommel anzuordnen, gelangte er damit nicht zum Gegenstand des Streitpatents.
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b) Dies folgt auch nicht aus der zusätzlichen Heranziehung der deutschen Offenlegungsschrift 31 08 551 (E 3). Dort wird beschrieben, dass mehrlagige Druckprodukte dadurch gebildet werden können, dass eine Anzahl von zickzackförmig gefalteten Bahnen aufeinander ausgerichtet übereinandergelegt wird. Jede Bahn wird durch einzelne Blätter gebildet, die an den quer zur Bahnlängsrichtung verlaufenden Faltstellen miteinander verbunden sind. Zum Abstützen der aufeinander zu legenden Bahnen dient eine Trommel, welche an ihrem Umfang radial abstehende Stützstege (47) aufweist, auf denen zunächst die erste Bahn aufgelegt wird. Die spiralförmig auf der Trommel geführte erste Bahn gelangt sodann zum Eingabeabschnitt der nachfolgenden Bahn, in welchem diese über die erste Bahn gelegt wird. Die beiden Bahnen werden schraubenlinienförmig gegebenenfalls zu weiteren Eingabeabschnitten und sodann zu einem Endbereich der Trommel geführt, in dem ein Heftapparat (62) vorgesehen ist, in dessen Wirkbereich sich die Blätter(bahnen) auf einer Kreisbahn bewegen.
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Diese Vorrichtung setzt voraus, dass die Blätter der am Ende des Bearbeitungsvorgangs stehenden Druckprodukte als zickzackförmig gefaltete Bahnen zugeführt werden, was die deutsche Offenlegungsschrift als besonders vorteilhaft ansieht, weil die gegenseitige Lage der Blätter einer Bahn immer definiert sei (S. 6 Z. 4-10 der Beschreibung). Die Trommel dieser Vorrichtung ist daher jedenfalls nicht ohne weiteres mit einer Vorrichtung nach der E 6 kombinierbar , und Verhandlung und Beweisaufnahme haben keine Anhaltspunkte dafür hervortreten lassen, dass der Fachmann zu dem Versuch einer solchen Kombination Veranlassung sehen sollte. Insbesondere ergibt sich hierfür nichts aus einem für sich naheliegenden Bestreben des Fachmanns, die Arbeitsgeschwindigkeit der Vorrichtung zu erhöhen, denn auch bei der Trommel nach der E 3 werden die Stützstege wie die sattelförmigen Auflagen nach der E 6 konsekutiv mit den aufeinanderfolgenden Blätterbahnen beschickt.
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Auch der Hinweis der Berufung darauf, dass in Anspruch 4 der E 3 ein Verfahren beansprucht sei, bei dem die übereinander liegenden Bahnen an allen oder einzelnen Faltstellen durchgetrennt werden, führt nicht weiter. Zwar ist in jenem Anspruch nicht angegeben, in welcher Verfahrensphase die Bahnen durch Trennung zu Blättern oder Druckbogen vereinzelt werden sollen. Für die Frage, welche Anregungen eine Schrift dem Fachmann bot, kommt es indessen nicht darauf an, wie weit ihr Gegenstand oder Schutzbereich reicht. Maßgeblich ist allein, welche technischen Erkenntnisse und Möglichkeiten dem Fachmann offenbart werden. Insoweit beschreibt die Offenlegungsschrift jedoch - ihrer Zielrichtung entsprechend - ausschließlich die Sammlung übereinander liegender Bahnen, nicht vereinzelter Druckbogen. Erst das am Entnahmeabschnitt (51) der Trommel - gegebenenfalls nach Heften (S. 15 Z. 23-26) - von einem Transporteur (59) übernommene, aus den übereinander liegenden Bahnen bestehende "Gebilde (61)" wird einer Stapelbildevorrichtung (63) zugeführt und sodann von einer Trennvorrichtung (68) durchtrennt (S. 15 Z. 10 - S. 16 Z. 22).
Auch die - ohnehin nicht näher ausgeführte - Bemerkung auf S. 17 Z. 5-7, es "wäre unter Umständen jedoch auch denkbar", die fertigen Druckprodukte vor dem Stapeln einzeln voneinander zu trennen, bezieht sich auf "die einzelnen zusammenhängenden, das Gebilde (61) bildenden fertigen Druckprodukte" und ändert daher nichts daran, dass nach dem Gesamtinhalt der Schrift eine Vereinzelung erst nach dem Sammeln in Betracht gezogen wird.
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c) Es kommt hinzu, dass weder die E 3 noch die E 6 eine Anregung dafür geben, vereinzelte Druckbogen mittels längs der Auflage wirksamer Mitnehmer einem Heftapparat zuzuführen, der wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken in deren Wirkbereich zugeordnet ist (Merkmal 8.1). Um derartiges gleichwohl zu realisieren, müsste der Fachmann zunächst zu der Erkenntnis gelangen, dass es zweckmäßig sei, zusätzlich zu dem aus der E 6 bekannten Heftkopf einen weiteren, gemeinsam mit dem ersten hin- und herpendelnden Heftkopf vorzusehen. Eine Anregung hierfür mag sich zwar in der bereits erwähnten deutschen Patentschrift 33 43 466 (E 2) finden. Bei dem dort beschriebenen Heftvorgang bewegen sich die Druckprodukte jedoch ebenso wenig wie bei der Heftvorrichtung nach der E 6 auf einer Kreisbahn. Für eine Zuordnung des Heftapparats zu wenigstens zwei benachbarten Sammelstrecken, die symmetrisch zu einer Achse und um diese drehend angeordnet sind, und die hierfür erforderlichen konstruktiven Maßnahmen fehlt jedes Vorbild.
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d) Die übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften kommen dem Gegenstand des Streitpatents in der Fassung des Urteils des Bundespatentgerichts nicht näher. Ergänzend wird hierzu auf die Ausführungen zu IV 3 des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Die tatsächlichen Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG können hiernach nicht festgestellt werden.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 2, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streithelferin gilt als Streitgenossin der Klägerin. Nach- dem der Senat für die Nebenintervention im Patentnichtigkeitsverfahren das Erfordernis aufgegeben hat, dass zwischen dem Nichtigkeitskläger oder dem Patentinhaber eine Rechtsbeziehung bestehen muss, die durch die im Nichtigkeitsverfahren ergehende Entscheidung beeinflusst werden kann, und es genügen lässt, dass der Nebenintervenient durch das Streitpatent in seiner geschäftlichen Tätigkeit als Wettbewerber beeinträchtigt werden kann (BGHZ 166, 18 - Carvedilol I), besteht kein Grund mehr, die Rechtskraftwirkung eines klageabweisenden Urteils gegenüber dem Streithelfer anders zu beurteilen als gegenüber dem Nichtigkeitskläger. Auch erscheint die Kostenfolge des § 101 Abs. 2 ZPO für diesen Fall sachgerechter als diejenige des § 101 Abs. 1 ZPO. Entsprechend § 69 ZPO gilt der Streithelfer daher als Streitgenosse des Nichtigkeitsklägers (offengelassen im Senatsurteil vom 22.12.1964 - Ia ZR 237/63, GRUR 1965, 297 - Nebenintervention). An der im Urteil vom 30. September 1997 (X ZR 85/94, GRUR 1998, 382, 387 - Schere) vertretenen gegenteiligen Auffassung hält der Senat nicht fest.
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Meier-Beck Gröning
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 25.06.2002 - 2 Ni 15/01 -

(1) Der Prüfung des Bundesgerichtshofs unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge.

(2) Eine Klageänderung und in dem Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats eine Verteidigung mit einer geänderten Fassung des Patents sind nur zulässig, wenn

1.
der Gegner einwilligt oder der Bundesgerichtshof die Antragsänderung für sachdienlich hält und
2.
die geänderten Anträge auf Tatsachen gestützt werden können, die der Bundesgerichtshof seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung nach § 117 zugrunde zu legen hat.

Auf den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, die verspätet vorgebrachten, die zurückgewiesenen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die §§ 529, 530 und 531 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dabei tritt an die Stelle des § 520 der Zivilprozessordnung der § 112.

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.