Bundesgerichtshof Urteil, 12. Juni 2012 - X ZR 132/09

bei uns veröffentlicht am12.06.2012
vorgehend
Landgericht Düsseldorf, 4b O 127/07, 04.09.2008
Oberlandesgericht Düsseldorf, 2 U 89/08, 12.11.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 132/09 Verkündet am:
12. Juni 2012
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck,
den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens, den Richter Dr. Grabinski
und die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das am 12. November 2009 verkündete Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Gebrauchsmusters 20 2006 004 746 (Klagegebrauchsmusters), das am 24. März 2006 unter Inanspruchnahme von Unionsprioritäten vom 2. und 15. März 2006 angemeldet und dessen Eintragung am 3. August 2006 bekannt gemacht wurde. Das Klagegebrauchsmuster betrifft eine pharmazeutische Zusammensetzung als feste Arzneiform , die Desmopressin als therapeutisch wirksamen Bestandteil umfasst.
2
Die G. GmbH (Beklagte zu 2 des Parallelverfahrens X ZR 131/09) hat beim Deutschen Patent- und Markenamt ein Löschungsverfahren gegen das Klagegebrauchsmuster eingeleitet, in welchem die Klägerin den eingetragenen Schutzanspruch 1 beschränkt mit folgendem Wortlaut verteidigt (Beschränkung hervorgehoben): "Pharmazeutische Zusammensetzung als feste Arzneiform, die Desmopressin oder ein pharmazeutisch akzeptables Salz davon als therapeutisch wirksamen Bestandteil zusammen mit einem pharmazeutisch akzeptablen Exzipienten, Verdünnungsmittel oder Träger oder einer Mischung daraus umfasst, worin die pharmazeutische Zusammensetzung Kieselerde und Stärke umfasst und worin der Gehalt an Oxidationsmitteln gleich oder weniger als 15 Gewichtsteile pro Million der pharmazeutischen Zusammensetzung ist."
3
Die Gebrauchsmusterabteilung hat das Klagegebrauchsmuster gelöscht. Die gegen diese Entscheidung von der Klägerin eingelegte Beschwerde ist zurückgewiesen worden. Die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde nach § 18 Abs. 4 S. 2 GebrMG i.V.m. § 102 Abs. 1 PatG ist noch nicht abgelaufen.
4
Die G. GmbH stellt in Österreich Tabletten mit einer Zusammensetzung gemäß Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters her. Seit Juni 2006 lässt sie die Tabletten in der Bundesrepublik Deutschland unter der Bezeichnung "N. " vertreiben, zunächst durch die S. GmbH (heutige Firma: U. GmbH; Beklagte zu 1 in dem Parallelverfahren X ZR 131/09), später durch die Beklagte dieses Verfahrens.
5
Auf Grund der beschränkt verteidigten Fassung des Schutzanspruchs 1 hat die Klägerin die Beklagte auf Unterlassung, Rechnungslegung, Herausgabe zur Vernichtung und Feststellung der Verpflichtung zu Schadensersatz in Anspruch genommen. Die Beklagte hat sich demgegenüber auf ein Vorbenutzungsrecht berufen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufung hat die Klägerin ihre Ansprüche in zwei Hilfsanträgen dahin weiter eingeschränkt , dass sich die Klage - bei ansonsten unverändertem Wortlaut - gegen eine pharmazeutische Zusammensetzung richtet, die Kieselerde und Stärke umfasst und darin der Gehalt an Oxidationsmittel weniger als 5 Gewichtsteile pro Million der pharmazeutischen Zusammensetzung ist, und weiter hilfsweise gegen eine pharmazeutische Zusammensetzung richtet, die Siliciumdioxid, Stärke und Povidon umfasst und darin der Gehalt an Oxidationsmittel weniger als 5 Gewichtsteile pro Million der pharmazeutischen Zusammensetzung ist. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
6
Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Klägerin, mit der diese ihr zweitinstanzliches Begehren weiter verfolgt.

Entscheidungsgründe:


7
Die Revision hat keinen Erfolg.
8
I. Nach den Angaben des Klagegebrauchsmusters wird der Wirkstoff Desmopressin zur Behandlung primärer Enuresis nocturna (Bettnässen bei Kindern), von Nykturie (nächtlichem Harndrang) und Diabetes insipidus (Wasserharnruhr ) eingesetzt. Die seit dem Jahr 1987 erhältliche Tablettenformulierung werde durch Verpressen eines geeigneten Granulats hergestellt, welches neben dem Wirkstoff typischerweise Exzipienten (nicht aktive Trägerstoffe), Tablettensprengmittel, Schmiermittel und Bindemittel enthalte, wobei die gebräuchlichste Tablettenformulierung als Exzipienten Kartoffelstärke und Laktose aufweise.
9
Es sei bekannt, dass das Desmopressin-Molekül empfindlich gegen Abbau sei. Dessen Stabilisierung sei daher ein über die Jahre angegangenes Problem. Zugelassene Desmopressin-Tabletten hätten typischerweise eine Haltbarkeit von nur 12 bis 24 Monaten. Hieraus ergebe sich das technische Problem, ein Mittel zur Verbesserung der Haltbarkeit von Desmopressin in Tablettenformulierungen bereitzustellen. Nach Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters in der von der Klägerin geltend gemachten Fassung soll dies mit folgender Merkmalskombination erreicht werden: 1. Pharmazeutische Zusammensetzung als feste Arzneimittelform. 2. Die Zusammensetzung umfasst
a) als therapeutisch wirksamen Bestandteil Desmopressin oder ein pharmazeutisch akzeptables Salz davon,
b) zusammen mit einem pharmazeutisch akzeptablen Exzipienten , Verdünnungsmittel oder Träger oder einer Mischung daraus,
c) Kieselerde,
d) Stärke. 3. Der Gehalt an Oxidationsmittel ist gleich oder weniger als 15 Gewichtsteile pro Million (ppm) der pharmazeutischen Zusammensetzung.
10
Die Lehre des Klagegebrauchsmusters sieht damit insbesondere einen geringen Oxidationsmittelgehalt von ≤ 15 ppm der pharmazeutischen Zusam- mensetzung vor. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Gegenwart von Restoxidationsmitteln den Desmopressin-Wirkstoff während der Lagerung abbaut. Da bestimmte Tablettenbestandteile (z.B. Stärke) Oxidationsmittel enthalten , führt eine sorgfältige Kontrolle und Absenkung des Oxidationsmittelgehalts zu einer verbesserten Haltbarkeit der Desmopressin-Tablettenformulierung.
11
II. Nach den insoweit unbeanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts weisen die mit der Klage angegriffenen "N. "-Tabletten alle Merkmale des Schutzanspruchs 1 des Klagegebrauchsmusters in der geltend gemachten Fassung auf. Das Berufungsgericht ist dennoch zu dem Ergebnis gekommen , dass die von der Klägerin geltend gemachten Verbietungsrechte nicht begründet seien, weil der G. GmbH ein Vorbenutzungsrecht gemäß § 13 Abs. 3 GebrMG i.V.m. § 12 PatG zustehe, das auch der Beklagten zu Gute komme. Die G. GmbH habe am Prioritätstag Erfindungsbesitz gehabt und diesen durch Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der gewerblichen Benutzung auch betätigt.
12
Zwar lasse sich nicht feststellen, dass die G. GmbH am Prioritätstag positiv gewusst habe, dass der Oxidationsmittelgehalt in der Tablettenzusammensetzung einen Wert von 15 ppm oder 5 ppm nicht überschreiten dürfe , wenn eine gemäß dem vorbekannten Stand der Technik überlegene Lagerstabilität erhalten werden solle. Darauf komme es aber auch nicht an. Die G. GmbH habe vielmehr bereits dann Erfindungsbesitz gehabt, wenn sie sich vor dem Prioritätstag für eine Rezeptur ihrer Tablettenformulierung entschieden habe, die zwangsläufig und verlässlich zu einem erfindungsgemäßen Oxidationsmittelgehalt führe. Unter solchen Umständen sei die G.
GmbH nämlich in der Lage gewesen, den vom Klagegebrauchsmuster geschützten Erfindungsgedanken (eine Desmopressin-Tablettenformulierung mit geringem Oxidationsmittelgehalt) beliebig wiederholbar auszuführen und damit den erfindungsgemäßen Erfolg (eine erhöhte Lagerstabilität der pharmazeutischen Zusammensetzung) nicht nur zufällig, sondern planmäßig herbeizuführen.
13
Nach dem Inhalt der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme stehe fest, dass sich die G. GmbH vor dem Prioritätstag für eine Rezeptur entschieden habe, welche die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters in sämtlichen von der Klägerin geltend gemachten Anspruchsfassungen vorweggenommen habe. Aufgrund der Zeugenaussagen und der vorgelegten Unterlagen sei davon auszugehen, dass sich die G. GmbH endgültig auf eine pharmazeutische Zusammensetzung aus Desmopressinacetat , Laktose, Kartoffelstärke, Kollidon 25, Siliciumdioxid und Magnesiumstearat festgelegt habe. Aus den Unterlagen ergebe sich weiter, dass die G. GmbH eine bestimmte Kartoffelstärke, nämlich eine des Herstellers R. , endgültig in ihre Formulierung aufgenommen habe. Damit habe sie sich vor dem Prioritätstag für eine Rezeptur ihrer Tablettenformulierung entschieden , die zwangsläufig und verlässlich zu einem erfindungsgemäßen Oxidationsmittelgehalt von 3,8 ppm geführt habe.
14
Die G. GmbH habe überdies zum Prioritätstag ihren Erfindungsbesitz im Inland durch Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der gewerblichen Nutzung betätigt. Sie habe vor diesem Zeitpunkt hinsichtlich der erfindungsgemäßen "N. "-Tablettenformulierung eine Arzneimittelzulassung für Österreich erwirkt und einen Zulassungsantrag für die Bundesrepublik Deutschland gestellt, die S. GmbH als deutschen Vertriebspartner gewonnen und vertraglich an sich gebunden sowie diese mit Hilfe von Produkt-Dossiers, Etiketten, Gebrauchsinformationen und Musterlieferungen in die Lage versetzt, die Vertriebstätigkeit nach erfolgter Arzneimittelzulassung aufzunehmen. Dies habe für Dritte nur den Schluss zugelassen, dass am Prioritätstag alle Vorbereitungen erfolgt seien, um die "N. "-Tabletten alsbald auch im Bundesgebiet zu vertreiben.
15
Ob die Beklagte in ihrer Person ein eigenes Vorbenutzungsrecht erworben habe, bedürfe keiner Entscheidung. Die Beklagte könne sich als Vertriebsunternehmen der G. GmbH jedenfalls auf deren Vorbenutzungsrecht berufen.
16
III. Dies hält im Ergebnis und in der Begründung den Angriffen der Revision stand.
17
1. Der Rüge der Revision, das Berufungsgericht verkenne den Begriff des Erfindungsbesitzes, indem es alleine die objektive Verwirklichung der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters für ausreichend angesehen habe, ohne dass es auf irgendeine Form der Kenntnis des Vorbenutzers von dieser Lehre ankomme, ist nicht begründet.
18
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die nach § 12 PatG für den Erwerb eines Vorbenutzungsrechts erforderliche Benutzungshandlung oder Veranstaltung voraus, dass der Handelnde selbständigen Erfindungsbesitz erlangt hat. Erfindungsbesitz ist gegeben, wenn die sich aus Aufgabe und Lösung ergebende technische Lehre objektiv fertig und subjektiv derart erkannt ist, dass die tatsächliche Ausführung der Erfindung möglich ist (BGH, Urteil vom 10. September 2009 - Xa ZR 18/08, GRUR 2010, 47, 48 Rn. 17 - Füllstoff; Urteil vom 30. Juni 1964 - Ia ZR 206/63, GRUR 1964, 673, 674 - Kasten für Fußabtrittsroste; vgl. auch RGZ 123, 58, 61; RG, GRUR 1943, 286, 287; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., 2006, § 12 PatG Rn. 5; Busse/ Keukenschrijver, 6. Aufl., 2003, § 12 PatG Rn. 16; Schulte/Kühnen, PatG, 8. Aufl., 2008, § 12 PatG Rn. 9). An einer solchen Erkenntnis fehlt es, wenn das technische Handeln über das Stadium von Versuchen noch nicht hinausgegangen ist (RG, Mitt. 1931, 72, 74) oder ein Gegenstand benutzt worden ist, der lediglich in einzelnen Exemplaren "zufällig" die erfindungsgemäßen Eigenschaften aufgewiesen hat (RG, MuW 1936, 406, 407, r. Sp.). Denn in beiden Fällen ist das Handeln nicht von einer Erkenntnis getragen, die es jederzeit möglich macht, die technische Lehre wiederholbar auszuführen, so dass es auch nicht gerechtfertigt ist, daran eine Besitzstand vermittelnde Rechtsposition anzuknüpfen. Von derartigen Fällen eines unbewussten oder zumindest nicht hinreichend gefestigten Gebrauchs der technischen Lehre hebt sich ein Handeln ab, das planmäßig auf die Verwirklichung derselben gerichtet ist. Dieses ist als Erfindungsbesitz begründend anzusehen, weil ihm die gesicherte Erkenntnis zugrunde liegt, dass die Erfindung ausgeführt werden kann. Nur insoweit kann es auch auf die Kenntnis des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung ankommen (vgl. RG, MuW 1931, 449, 450; GRUR 1939, 300, 302; GRUR 1940, 434, 436; Eichmann, GRUR 1993, 73, 80; Benkard/Rogge, aaO; Busse/Keukenschrijver , aaO; Klauer/Möhring, Patentrechtskommentar, Band 1, 3. Aufl., 1971, § 7 PatG Rn. 7). Hingegen ist es nicht erforderlich, dass der Handelnde über die Erkenntnis der gesicherten Ausführbarkeit der Erfindung hinausgehendes Wissen um vorteilhafte Wirkungen der Erfindung hat. Denn der Erfindungsbesitz kann nicht von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die nicht Teil der technischen Lehre geworden sind, so wie diese im Patentanspruch definiert worden ist. Auf die Kenntnis von Wirkungen, die zwar nach den Angaben in der Beschreibung mit der Verwendung des erfindungsgemäßen Gegenstandes verbunden sein sollen, die aber nicht in den Patentanspruch aufgenommen worden sind, kann es daher für die Frage, ob Erfindungsbesitz begründet worden ist, nicht entscheidend ankommen.
19
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die G. GmbH bereits am Prioritätstag des Klagegebrauchsmusters für ihre zum Vertrieb in der Bundesrepublik Deutschland vorgesehene Desmopressin-Tablettenformulierung eine Rezeptur in Händen, wonach die Tablette "N. 0,1 mg" 0,1 mg Desmopressinacetat, 60,0 mg Lactose, 38,2 mg Kartoffelstärke des Herstellers R. , 1,0 mg Povidon (Kollidon 25), 0,2 mg Siliciumdioxid und 0,5 mg Magnesiumstearat enthielt bzw. die Tablette "N. 0,2 mg" die jeweils doppelte Menge der vorgenannten Bestandteile. Mit dieser Rezeptur ging die gesicherte Erkenntnis bei der G. GmbH einher, dass es möglich war, eine Tablette in der genannten Zusammensetzung herzustellen. Derartige Desmopressin-Tabletten wiesen nach den weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts einen Oxidationsmittelgehalt von 3,8 ppm auf und entsprachen damit der Lehre aus Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters sowohl in der Fassung des Hauptantrags als auch in den Fassungen der beiden Hilfsanträge der Klägerin. Bei der G. GmbH war damit Erfindungsbesitz gegeben.
20
An dieser Beurteilung vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass das Berufungsgericht bei der G. GmbH keine positive Kenntnis davon hat feststellen können, dass der Oxidationsmittelgehalt in der ansonsten erfindungsgemäßen Tablettenzusammensetzung einen Wert von 15 ppm oder 5 ppm nicht überschreiten darf, wenn eine gegenüber dem vorbekannten Stand der Technik überlegene Lagerstabilität erhalten soll. Darauf kommt es für die gesicherte Erkenntnis, dass die objektiv erfindungsgemäße Tablettenzusammensetzung nach der vorgenannten Rezeptur hergestellt werden kann, nicht an. Die G. GmbH befand sich nicht mehr in einem Stadium bloßer Versuche, sondern hatte sich hinsichtlich der für den Vertrieb vorgesehenen Desmopressin-Tabletten auf die genannte Formulierung festgelegt. Der Oxidationsmittelgehalt von 3,8 ppm wurde auch nicht nur zufällig bei einzelnen Tabletten erzielt, sondern war planmäßig in der vorgenannten Rezeptur angelegt. Das Berufungsgericht hat insoweit festgestellt, dass der tatsächliche Oxidationsmittelgehalt unter den von der G. GmbH beachteten Herstellungsbedingungen , wie sie sich aus den Produktionsdokumentationen (Anlagen 7 bis 10) ergeben, dem rechnerischen Gehalt an Oxidationsmitteln nach der Rezeptur der pharmazeutischen Zusammensetzung entspricht.
21
Entgegen der Auffassung der Klägerin genügt diese Erkenntnis, dass und wie eine Tablette mit einem Oxidationsmittelgehalt von 3,8 ppm wiederholbar hergestellt werden kann, für den Erfindungsbesitz. Denn es handelt sich um die Erkenntnis einer technischen Lehre, die sich - wie ein Unteranspruch - als Anwendungsfall oder Ausführungsbeispiel der im Schutzanspruch des Klagegebrauchsmusters bezeichneten allgemeineren Lehre darstellt, dass die Zusammensetzung so zu wählen ist, dass eine bestimmte Obergrenze für den Oxidationsmittelgehalt nicht überschritten wird. Die weitere Erkenntnis, dass es dieser Oxidationsmittelgehalt ist, der sich auf die Haltbarkeit der Zusammensetzung vorteilhaft auswirkt, ist nicht Bestandteil der technischen Lehre und weder für die Erlangung des patent- oder gebrauchsmusterrechtlichen Erfindungsschutzes erforderlich noch Voraussetzung eines Vorbenutzungsrechts.
22
Die Frage, wie weit ein Vorbenutzungsrecht reicht, das sich auf die Erkenntnis gründet, dass und wie eine bestimmte Ausführungsform der Erfindung erzeugt werden kann, stellt sich im Streitfall nicht. Denn das Berufungsgericht hat, von der Revision unbeanstandet, nicht festgestellt, dass sich das Erzeug- nis, das nach der Veröffentlichung der Gebrauchsmustereintragung von der G. GmbH hergestellt und von der Beklagten vertrieben worden ist und nunmehr von der Klägerin als das Klagegebrauchsmuster verletzend angegriffen wird, von dem vorbenutzten unterscheidet.
23
2. Die Feststellungen des Berufungsgerichts halten den Verfahrensrügen der Revision stand.
24
a) Soweit die Revision sich gegen die Feststellung des Berufungsgerichts wendet, im Streitfall komme eine "zufällige" Benutzung der Erfindung nicht in Betracht, weil die Beklagte sich schon vor dem Prioritätsdatum auf eine bestimmte qualitative und quantitative Zusammensetzung unter Benutzung konkreter Hilfsstoffe festgelegt habe, und darauf hinweist, dass die konkret ausgewählten Hilfsstoffe Kollidon 25 und Kartoffelstärke des Herstellers R. jederzeit hätten ausgetauscht werden können, bleibt ihre Rüge ohne Erfolg. Zwar ist es zutreffend, dass das Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2009 noch selbst darauf hingewiesen hat, aus dem Europäischen Arzneibuch (Anlage D 2) ergebe sich der schwankende Oxidationsmittelgehalt von Kartoffelstärke (bis 20 ppm) und Povidon (bis 400 ppm). Es hat aber in seinem Urteil festgestellt, dass die G. GmbH sich auf die Kartoffelstärke des Herstellers R. festgelegt hatte und dass der Oxidationsmittelgehalt dieser von der G. GmbH verwendeten Stärke lediglich 9 ppm betrug. Insoweit hat das Berufungsgericht vor allem auf Qualitätskontrollen hingewiesen, die auf der Grundlage des zwischen der G. GmbH und der S. GmbH am 15. November 2005 zustande gekommene Lizenz- und Vertriebsvereinbarung nach einer Anfrage der S. GmbH vom 3. November 2005 ab dem 25. November 2005 anhand von Musterlieferungen durchgeführt worden seien und die sich ausweislich der Herstellungsberichte jeweils auf N. - Tablettenformulierungen mit den Bestandteilen Desmopressinacetat, Laktose, Kollidon 25, Magnesiumstearat, hochdisperses Siliciumdioxid und Kartoffelstärke des Hersteller R. bezogen hätten. Entsprechendes gilt für den Hilfsstoff Kollidon 25. Soweit die Revision demgegenüber meint, dass auch der Restoxidationsmittelgehalt der Produkte Kollidon 25 und Kartoffelstärke von R. Produktionsschwankungen unterliege und sich selbst bei sehr geringen Änderungen des Gehaltes an Restoxidationsmittel Werte deutlich über 5 ppm ergäben, setzt sie sich in Widerspruch zu den Feststellungen des Berufungsgerichts , ohne dass insoweit eine Verfahrensrüge erhoben und ordnungsgemäß ausgeführt wäre.
25
b) Ebenfalls ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Verwertung der Ergebnisse der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht.
26
(1) Insoweit wird zunächst beanstandet, dass beide Vordergerichte ihre Beweiswürdigung unter anderem auf die Aussagen der Zeugen Dr. H. und Dr. D. gestützt und diese als glaubhaft beurteilt haben. Schon dem Landgericht sei die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugen, welche der Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen denknotwendig vorausgehe, aber verwehrt gewesen, weil der mit der Beweisaufnahme beauftragte Richter vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung ausgeschieden sei. Dem Landgericht habe es ohne Wiederholung der Zeugenvernehmung deshalb an einem persönlichen Eindruck von den Zeugen gefehlt; derartige Eindrücke des beauftragten Richters seien auch nicht protokolliert worden. Das Landgericht habe hierdurch die Grundsätze der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und der freien Beweiswürdigung verletzt. Die Revision meint, jedenfalls das Berufungs- gericht habe die Zeugenvernehmung deshalb gemäß § 398 Abs. 1 ZPO wiederholen müssen.
27
(2) Die Rüge greift nicht durch.
28
(a) Das Berufungsgericht hat eine erstinstanzliche Beweisaufnahme zu wiederholen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen bestehen, §§ 529 Abs. 1 Nr. 1, 398 Abs. 1 ZPO. Das Berufungsgericht muss daher einen in erster Instanz vernommenen Zeugen wiederholt vernehmen, wenn es protokollierte Aussagen anders als die Vorinstanz verstehen oder werten will (BGH, Beschluss vom 21. April 2010 - IV ZR 172/09, WM 2011, 1533 Rn. 5 mwN; BGH, Urteil vom 3. April 1984 - VI ZR 195/82, NJW 1984, 2629) oder wenn es die Glaubwürdigkeit eines in der ersten Instanz vernommenen Zeugen abweichend vom Erstrichter beurteilen will (BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 275 mwN; Urteil vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 116/90, NJW 1991, 3285). Eine erneute Zeugenvernehmung durch das Berufungsgericht ist zudem dann notwendig, wenn bereits die Beweiswürdigung durch das erstinstanzliche Gericht gegen das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 355 Abs. 1 Satz 1 ZPO) verstößt (Musielak/Huber, ZPO, 9. Aufl., § 398 Rn. 4 und Musielak/Ball, aaO, § 529 Rn. 13, 16).
29
(b) Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor.
30
Entgegen der Revision ist es nicht als verfahrensfehlerhaft zu beanstanden , dass das Landgericht seine Beweiswürdigung ohne wiederholte Vernehmung auf die protokollierten Aussagen der Zeugen Dr. H. und Dr. D. gestützt hat, obwohl der mit der Zeugenvernehmung beauftragte Richter vor der Entscheidung ausgeschieden ist.
31
Das erkennende Gericht darf eine Beweiswürdigung grundsätzlich auch dann vornehmen, wenn es die Beweisaufnahme nicht selbst durchgeführt hat, wenn also die Zusammensetzung des Gerichts zwischen Beweisaufnahme und Entscheidung gewechselt hat. Das ergibt sich bereits daraus, dass die Zivilprozessordnung die Beweisaufnahme durch den beauftragten und den ersuchten Richter (§ 361 f. ZPO) vorsieht. Ein Richterwechsel nach einer Beweisaufnahme erfordert daher nicht in jedem Fall deren Wiederholung. Frühere Zeugenaussagen können durch Auswertung der Vernehmungsprotokolle im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, sofern es auf einen persönlichen Eindruck von ihren Bekundungen nicht ankommt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 4. Februar 1997 - XI ZR 160/96, NJW 1997, 1586, 1587 mwN). Ein Gericht verstößt erst dann gegen das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, wenn es sich auf Erwägungen zur Glaubwürdigkeit eines Zeugen stützt, ohne dass alle erkennenden Richter - etwa wegen eines Richterwechsels - an dessen Vernehmung teilgenommen und so einen persönlichen Eindruck von dem Zeugen gewonnen haben oder auf eine aktenkundige und der Stellungnahme durch die Parteien zugängliche Beurteilung zurückgreifen können (BGH, Urteil vom 4. Februar 1997 - XI ZR 160/96, NJW 1997, 1586, 1587; Urteil vom 9. Januar 1997 - III ZR 162/95, NJW-RR 1997, 506; Urteil vom 19. September 1994 - II ZR 161/93, NJW-RR 1994, 1537; Urteil vom 4. Dezember 1990 - XI ZR 310/89, NJW 1991, 1180). Eine Verletzung des so verstandenen Gebots der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme liegt nicht vor. Das Landgericht hat die persönliche Glaubwürdigkeit der Zeugen Dr. H. und Dr. D. nicht in Zweifel gezogen, sondern nur den sachlichen Inhalt ihrer Aussagen anhand anderweitiger Umstände, insbesondere anhand von Zulassungsunterlagen und Schriftverkehr, gewürdigt. Das war trotz des Ausscheidens des mit der Zeugenvernehmung beauftragten Richters zulässig.
32
Das Berufungsgericht hat die Aussagen der Zeugen Dr. H. und Dr. D. auch nicht anders verstanden als das Landgericht. Ebenso wie das Landgericht hat das Berufungsgericht diese Aussagen als glaubhaft beurteilt , weil ihr Erklärungsgehalt durch anderweitige Umstände, insbesondere Zulassungsunterlagen und Schriftverkehr, bestätigt worden sei. Beide Gerichte beziehen sich ausschließlich auf die Sachdarstellung und damit die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen. Die Glaubwürdigkeit der Zeugen wird weder vom Landgericht noch vom Berufungsgericht erörtert und ersichtlich von beiden Vorinstanzen im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit der Aussagen und mangels die Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehender Umstände stillschweigend bejaht.
33
3. Die Revision beanstandet schließlich die Annahme des Berufungsgerichts , dass die Beklagte sich als Vertriebsunternehmen auf ein von der G. GmbH abgeleitetes Vorbenutzungsrecht habe berufen können, obwohl die Beklagte die S. GmbH als Vertriebspartner abgelöst habe. Als Folge dieser Auffassung sei es der G. GmbH unbenommen , den Vertrieb in der Bundesrepublik Deutschland parallel durch mehrere Vertriebsgesellschaften durchführen zu lassen, obwohl es sich bei der S. GmbH ursprünglich um den einzigen Vertriebspartner für die Bundesrepublik gehandelt habe. Ein solcher paralleler Vertrieb führe zu einer von § 12 PatG nicht erlaubten Ausweitung des Vorbenutzungsrechts im Inland.
34
Die von der Revision erhobenen Bedenken stellen sich im Streitfall bereits deshalb nicht, weil nach den von der Revision nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts die G. GmbH ihre Vertriebspartner für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland lediglich ausgetauscht und nicht deren Anzahl erhöht hat.
35
Darüber hinaus ist allgemein anerkannt, dass das Vorbenutzungsrecht des Herstellers umfassend und mengenmäßig nicht beschränkt ist und den Wechsel der Benutzungsart erlaubt (RGZ 153, 321, 326 - Gleichrichterröhren; RG, GRUR 1938, 770, 771 - Eisenbahnpostwagen; RG, GRUR 1940, 434, 436 - Massekerne; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., § 12 PatG Rn. 23; Busse/ Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 12 Rn. 45; Kraßer, Patentrecht, 6. Aufl., S. 825; Keukenschrijver, GRUR 2001, 944, 945; jeweils mwN). Entsprechend umfasst das Vorbenutzungsrecht auch den Aufbau eines Vertriebssystems (Busche , GRUR 1999, 645, 648) und dessen Ausgestaltung mit mehreren Vertriebspartnern.
36
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.
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Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 04.09.2008 - 4b O 127/07 -
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Bundesgerichtshof Urteil, 12. Juni 2012 - X ZR 131/09

bei uns veröffentlicht am 12.06.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 131/09 Verkündet am: 12. Juni 2012 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 26. Feb. 2014 - 3 UF 184/13

bei uns veröffentlicht am 26.02.2014

Tenor I. Die Beschwerde des Antragsgegners und Kindesvaters gegen den am 05.08.2013 erlassenen Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Essen (Aktenzeichen: 108b F 6/13) wird zurückgewiesen. II. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei.

Referenzen

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 131/09 Verkündet am:
12. Juni 2012
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Desmopressin

a) Die nach § 12 Abs. 1 PatG für den Erwerb eines Vorbenutzungsrechts erforderliche
Benutzung oder Veranstaltung setzt voraus, dass der Handelnde selbständigen
Erfindungsbesitz erlangt hat. Erfindungsbesitz ist gegeben, wenn die sich aus
Aufgabe und Lösung ergebende technische Lehre objektiv fertig und subjektiv erkannt
worden ist, dass die tatsächliche Ausführung der Erfindung möglich ist.

b) Die für den Erfindungsbesitz erforderliche subjektive Erkenntnis liegt vor, wenn
das Handeln planmäßig auf die Verwirklichung einer technischen Lehre gerichtet
ist, die alle Merkmale des erfindungsgemäßen Gegenstandes verwirklicht (hier:
eine bestimmte Rezeptur für eine pharmazeutische Zusammensetzung). Ob der
Handelnde darüber hinaus Kenntnis von Wirkungen hat, die nach den Angaben in
der Beschreibung mit der Verwirklichung des erfindungsgemäßen Gegenstandes
verbunden sind (hier: eine mit der Beachtung einer Obergrenze für den Oxidationsmittelgehalt
erreichte bessere Haltbarkeit), ist unerheblich.
BGH, Urteil vom 12. Juni 2012 - X ZR 131/09 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck,
den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens, den Richter Dr. Grabinski
und die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das am 12. November 2009 verkündete Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Gebrauchsmusters 20 2006 004 746 (Klagegebrauchsmusters), das am 24. März 2006 unter Inanspruchnahme von Unionsprioritäten vom 2. und 15. März 2006 angemeldet und dessen Eintragung am 3. August 2006 bekannt gemacht wurde. Das Klagege- brauchsmuster betrifft eine pharmazeutische Zusammensetzung als feste Arzneiform , die Desmopressin als therapeutisch wirksamen Bestandteil umfasst.
2
Die Beklagte zu 2 hat beim Deutschen Patent- und Markenamt ein Löschungsverfahren gegen das Klagegebrauchsmuster eingeleitet, in welchem die Klägerin den eingetragenen Schutzanspruch 1 beschränkt mit folgendem Wortlaut verteidigt (Beschränkung hervorgehoben): „Pharmazeutische Zusammensetzung als feste Arzneiform, die Desmo- pressin oder ein pharmazeutisch akzeptables Salz davon als therapeutisch wirksamen Bestandteil zusammen mit einem pharmazeutisch akzeptablen Exzipienten, Verdünnungsmittel oder Träger oder einer Mischung daraus umfasst, worin die pharmazeutische Zusammensetzung Kieselerde und Stärke umfasst und worin der Gehalt an Oxidationsmitteln gleich oder weniger als 15 Gewichtsteile pro Million der pharmazeu- tischen Zusammensetzung ist.“
3
Die Gebrauchsmusterabteilung hat das Klagegebrauchsmuster gelöscht. Die gegen diese Entscheidung von der Klägerin eingelegte Beschwerde ist zurückgewiesen worden. Die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde nach § 18 Abs. 4 Satz 2 GebrMG i.V.m. § 102 Abs. 1 PatG ist noch nicht abgelaufen.

4
Die Beklagte zu 2 stellt in Österreich Tabletten mit einer Zusammensetzung gemäß Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters her. Seit Juni 2006 lässt sie die Tabletten in der Bundesrepublik Deutschland unter der Bezeich- nung „N. “ vertreiben, zunächst durch die Beklagte zu 1, später durch die A. GmbH (die Beklagte des Parallelverfahrens X ZR 132/09).
5
Auf Grund der beschränkt verteidigten Fassung des Schutzanspruchs 1 hat die Klägerin die Beklagten auf Unterlassung, Rechnungslegung, Herausgabe zur Vernichtung und Feststellung der Verpflichtung zu Schadensersatz in Anspruch genommen. Die Beklagten haben sich demgegenüber auf ein Vorbenutzungsrecht berufen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufung hat die Klägerin ihre Ansprüche in zwei Hilfsanträgen dahin weiter eingeschränkt , dass sich die Klage - bei ansonsten unverändertem Wortlaut - gegen eine pharmazeutische Zusammensetzung richtet, die Kieselerde und Stärke umfasst und darin der Gehalt an Oxidationsmittel weniger als 5 Gewichtsteile pro Million der pharmazeutischen Zusammensetzung ist, und weiter hilfsweise gegen eine pharmazeutische Zusammensetzung richtet, die Siliciumdioxid, Stärke und Povidon umfasst und darin der Gehalt an Oxidationsmittel weniger als 5 Gewichtsteile pro Million der pharmazeutischen Zusammensetzung ist. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
6
Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Klägerin, mit der diese ihr zweitinstanzliches Begehren weiter verfolgt.


Entscheidungsgründe:


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Die Revision hat keinen Erfolg.
8
I. Nach den Angaben des Klagegebrauchsmusters wird der Wirkstoff Desmopressin zur Behandlung primärer Enuresis nocturna (Bettnässen bei Kindern), von Nykturie (nächtlichem Harndrang) und Diabetes insipidus (Wasserharnruhr ) eingesetzt. Die seit dem Jahr 1987 erhältliche Tablettenformulierung werde durch Verpressen eines geeigneten Granulats hergestellt, welches neben dem Wirkstoff typischerweise Exzipienten (nicht aktive Trägerstoffe), Tablettensprengmittel, Schmiermittel und Bindemittel enthalte, wobei die gebräuchlichste Tablettenformulierung als Exzipienten Kartoffelstärke und Laktose aufweise.
9
Es sei bekannt, dass das Desmopressin-Molekül empfindlich gegen Abbau sei. Dessen Stabilisierung sei daher ein über die Jahre angegangenes Problem. Zugelassene Desmopressin-Tabletten hätten typischerweise eine Haltbarkeit von nur 12 bis 24 Monaten. Hieraus ergebe sich das technische Problem, ein Mittel zur Verbesserung der Haltbarkeit von Desmopressin in Tablettenformulierungen bereitzustellen. Nach Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters in der von der Klägerin geltend gemachten Fassung soll dies mit folgender Merkmalskombination erreicht werden: 1. Pharmazeutische Zusammensetzung als feste Arzneimittelform. 2. Die Zusammensetzung umfasst
a) als therapeutisch wirksamen Bestandteil Desmopressin oder ein pharmazeutisch akzeptables Salz davon,
b) zusammen mit einem pharmazeutisch akzeptablen Exzipienten , Verdünnungsmittel oder Träger oder einer Mischung daraus ,
c) Kieselerde,
d) Stärke.
3. Der Gehalt an Oxidationsmittel ist gleich oder weniger als 15 Gewichtsteile pro Million (ppm) der pharmazeutischen Zusammensetzung.
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Die Lehre des Klagegebrauchsmusters sieht damit insbesondere einen geringen Oxidationsmittelgehalt von ≤ 15 ppm der pharmazeutischen Zusam- mensetzung vor. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Gegenwart von Restoxidationsmitteln den Desmopressin-Wirkstoff während der Lagerung abbaut. Da bestimmte Tablettenbestandteile (z.B. Stärke) Oxidationsmittel enthalten , führt eine sorgfältige Kontrolle und Absenkung des Oxidationsmittelgehalts zu einer verbesserten Haltbarkeit der Desmopressin-Tablettenformulierung.
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II. Nach den insoweit unbeanstandeten Feststellungen des Berufungsge- richts weisen die mit der Klage angegriffenen „N. “-Tablettenalle Merkmale des Schutzanspruchs 1 des Klagegebrauchsmusters in der geltend gemachten Fassung auf. Das Berufungsgericht ist dennoch zu dem Ergebnis gekommen, dass die von der Klägerin geltend gemachten Verbietungsrechte nicht begründet seien, weil der Beklagten zu 2 ein Vorbenutzungsrecht gemäß § 13 Abs. 3 GebrMG i.V.m. § 12 PatG zustehe. Sie habe am Prioritätstag Erfindungsbesitz gehabt und diesen durch Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der gewerblichen Benutzung auch betätigt.
12
Zwar lasse sich nicht feststellen, dass die Beklagte zu 2 seinerzeit positiv gewusst habe, dass der Oxidationsmittelgehalt in der Tablettenzusammensetzung einen Wert von 15 ppm oder 5 ppm nicht überschreiten dürfe, wenn eine gemäß dem vorbekannten Stand der Technik überlegene Lagerstabilität erhalten werden solle. Darauf komme es aber auch nicht an. Die Beklagte zu 2 habe vielmehr bereits dann Erfindungsbesitz gehabt, wenn sie sich vor dem Prioritätstag für eine Rezeptur ihrer Tablettenformulierung entschieden habe, die zwangsläufig und verlässlich zu einem erfindungsgemäßen Oxidationsmittelgehalt führe. Unter solchen Umständen sei die Beklagte zu 2 nämlich in der Lage gewesen, den vom Klagegebrauchsmuster geschützten Erfindungsgedanken (eine Desmopressin-Tablettenformulierung mit geringem Oxidationsmittelgehalt ) beliebig wiederholbar auszuführen und damit den erfindungsgemäßen Erfolg (eine erhöhte Lagerstabilität der pharmazeutischen Zusammensetzung ) nicht nur zufällig, sondern planmäßig herbeizuführen.
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Nach dem Inhalt der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme stehe fest, dass sich die Beklagte zu 2 vor dem Prioritätstag für eine Rezeptur entschieden habe, welche die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters in sämtlichen von der Klägerin geltend gemachten Anspruchsfassungen vorweggenommen habe. Aufgrund der Zeugenaussagen und der vorgelegten Unterlagen sei davon auszugehen, dass sich die Beklagte zu 2 endgültig auf eine pharmazeutische Zusammensetzung aus Desmopressinacetat , Laktose, Kartoffelstärke, Kollidon 25, Siliciumdioxid und Magnesiumstearat festgelegt habe. Aus den Unterlagen ergebe sich weiter, dass die Beklagte zu 2 eine bestimmte Kartoffelstärke, nämlich eine des Herstellers R. , endgültig in ihre Formulierung aufgenommen habe. Damit habe sich die Beklagte zu 2 vor dem Prioritätstag für eine Rezeptur ihrer Tablettenformulierung entschieden, die zwangsläufig und verlässlich zu einem erfindungsgemäßen Oxidationsmittelgehalt von 3,8 ppm geführt habe.
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Die Beklagte zu 2 habe überdies zum Prioritätstag ihren Erfindungsbesitz im Inland durch Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der gewerblichen Nutzung betätigt. Sie habe vor diesem Zeitpunkt hinsichtlich der erfindungsge- mäßen „N. “-Tablettenformulierung eine Arzneimittelzulassung für Öster- reich erwirkt und einen Zulassungsantrag für die Bundesrepublik Deutschland gestellt, die Beklagte zu 1 als deutschen Vertriebspartner gewonnen und vertraglich an sich gebunden sowie diese mit Hilfe von Produkt-Dossiers, Etiketten, Gebrauchsinformationen und Musterlieferungen in die Lage versetzt, die Vertriebstätigkeit nach erfolgter Arzneimittelzulassung aufzunehmen. Dies habe für Dritte nur den Schluss zugelassen, dass am Prioritätstag alle Vorbereitungen erfolgt seien, um die „N. “-Tabletten alsbald auch im Bundesgebiet zu ver- treiben.
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Ob die Beklagte zu 1 in ihrer Person ein eigenes Vorbenutzungsrecht erworben habe, bedürfe keiner Entscheidung. Die Beklagte zu 1 könne sich als Vertriebsunternehmen der Beklagten zu 2 jedenfalls auf deren Vorbenutzungsrecht berufen. Dass die Beklagte zu 2 nach dem Prioritätstag ihren Vertriebspartner gewechselt habe, ändere hieran nichts; hierdurch habe diese ihr Vorbenutzungsrecht weiter ausgeübt.
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III. Dies hält im Ergebnis und in der Begründung den Angriffen der Revision stand.
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1. Der Rüge der Revision, das Berufungsgericht verkenne den Begriff des Erfindungsbesitzes, indem es alleine die objektive Verwirklichung der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters für ausreichend angesehen habe, ohne dass es auf irgendeine Form der Kenntnis des Vorbenutzers von dieser Lehre ankomme, ist nicht begründet.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die nach § 12 PatG für den Erwerb eines Vorbenutzungsrechts erforderliche Benutzungshandlung oder Veranstaltung voraus, dass der Handelnde selbständigen Erfindungsbesitz erlangt hat. Erfindungsbesitz ist gegeben, wenn die sich aus Aufgabe und Lösung ergebende technische Lehre objektiv fertig und subjektiv derart erkannt ist, dass die tatsächliche Ausführung der Erfindung möglich ist (BGH, Urteil vom 10. September 2009 - Xa ZR 18/08, Rn. 17, GRUR 2010, 47, 48 - Füllstoff; Urteil vom 30. Juni 1964 - Ia ZR 206/63, GRUR 1964, 673, 674 - Kasten für Fußabtrittsroste; vgl. auch RGZ 123, 58, 61; RG, GRUR 1943, 286, 287; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., 2006, § 12 PatG, Rn. 5; Busse/ Keukenschrijver, 6. Aufl., 2003, § 12 PatG, Rn. 16; Schulte/Kühnen, PatG, 8. Aufl., 2008, § 12 PatG, Rn. 9). An einer solchen Erkenntnis fehlt es, wenn das technische Handeln über das Stadium von Versuchen noch nicht hinausgegangen ist (RG Mitt. 1931, 72, 74) oder ein Gegenstand benutzt worden ist, der lediglich in einzelnen Exemplaren „zufällig“ die erfindungsgemäßen Eigen- schaften aufgewiesen hat (RG MuW 1936, 406, 407, r. Sp.). Denn in beiden Fällen ist das Handeln nicht von einer Erkenntnis getragen, die es jederzeit möglich macht, die technische Lehre wiederholbar auszuführen, so dass es auch nicht gerechtfertigt ist, daran eine Besitzstand vermittelnde Rechtsposition anzuknüpfen. Von derartigen Fällen eines unbewussten oder zumindest nicht hinreichend gefestigten Gebrauchs der technischen Lehre hebt sich ein Handeln ab, das planmäßig auf die Verwirklichung derselben gerichtet ist. Dieses ist als Erfindungsbesitz begründend anzusehen, weil ihm die gesicherte Erkenntnis zugrunde liegt, dass die Erfindung ausgeführt werden kann. Nur insoweit kann es auch auf die Kenntnis des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung ankommen (vgl. RG, MuW 1931, 449, 450; GRUR 1939, 300, 302; GRUR 1940, 434, 436; Eichmann, GRUR 1993, 73, 80; Benkard/Rogge, aaO, Busse/ Keukenschrijver, aaO; Klauer/Möhring, Patentrechtskommentar Band 1, 3. Aufl., 1971, § 7 PatG, Rn. 7). Hingegen ist es nicht erforderlich, dass der Handelnde über die Erkenntnis der gesicherten Ausführbarkeit der Erfindung hinausgehendes Wissen um vorteilhafte Wirkungen der Erfindung hat. Denn der Erfindungsbesitz kann nicht von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die nicht Teil der technischen Lehre geworden sind, so wie diese im Patentanspruch definiert worden ist. Auf die Kenntnis von Wirkungen, die zwar nach den Angaben in der Beschreibung mit der Verwendung des erfindungsgemäßen Gegenstandes verbunden sein sollen, die aber nicht in den Patentanspruch aufgenommen worden sind, kann es daher für die Frage, ob Erfindungsbesitz begründet worden ist, nicht entscheidend ankommen.
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Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Beklagte zu 2 bereits am Prioritätstag des Klagegebrauchsmusters für ihre zum Vertrieb in der Bundesrepublik Deutschland vorgesehene Desmopressin-Tablettenformulierung eine Rezeptur in Händen, wonach die Tablette „N. 0,1 mg“ 0,1 mg Desmopressinacetat, 60,0 mg Lactose, 38,2 mg Kartoffelstärke des Herstellers R. , 1,0 mg Povidon (Kollidon 25), 0,2 mg Siliciumdioxid und 0,5 mg Magnesiumstearat enthielt bzw. die Tablette „N. 0,2 mg“ die jeweils doppel- te Menge der vorgenannten Bestandteile. Mit dieser Rezeptur ging die gesicherte Erkenntnis bei der Beklagten zu 2 einher, dass es möglich war, eine Tablette in der genannten Zusammensetzung herzustellen. Derartige Desmopressin -Tabletten wiesen nach den weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts einen Oxidationsmittelgehalt von 3,8 ppm auf und entsprachen damit der Lehre aus Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters sowohl in der Fassung des Hauptantrags als auch in den Fassungen der beiden Hilfsanträge der Klägerin. Bei der Beklagten zu 2 war damit Erfindungsbesitz gegeben.
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An dieser Beurteilung vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass das Berufungsgericht bei der Beklagten zu 2 keine positive Kenntnis davon hat feststellen können, dass der Oxidationsmittelgehalt in der ansonsten erfindungsgemäßen Tablettenzusammensetzung einen Wert von 15 ppm oder 5 ppm nicht überschreiten darf, wenn eine gegenüber dem vorbekannten Stand der Technik überlegene Lagerstabilität erhalten soll. Darauf kommt es für die gesicherte Erkenntnis, dass die objektiv erfindungsgemäße Tablettenzusammensetzung nach der vorgenannten Rezeptur hergestellt werden kann, nicht an. Die Beklagte zu 2 befand sich nicht mehr in einem Stadium bloßer Versuche , sondern hatte sich hinsichtlich der für den Vertrieb vorgesehenen Desmopressin -Tabletten auf die genannte Formulierung festgelegt. Der Oxidationsmittelgehalt von 3,8 ppm wurde auch nicht nur zufällig bei einzelnen Tabletten erzielt , sondern war planmäßig in der vorgenannten Rezeptur angelegt. Das Berufungsgericht hat insoweit festgestellt, dass der tatsächliche Oxidationsmittelgehalt unter den von der Beklagten zu 2 beachteten Herstellungsbedingungen, wie sie sich aus den Produktionsdokumentationen (Anlagen 7 bis 10) ergeben, dem rechnerischen Gehalt an Oxidationsmitteln nach der Rezeptur der pharmazeutischen Zusammensetzung entspricht.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin genügt diese Erkenntnis, dass und wie eine Tablette mit einem Oxidationsmittelgehalt von 3,8 ppm wiederholbar hergestellt werden kann, für den Erfindungsbesitz. Denn es handelt sich um die Erkenntnis einer technischen Lehre, die sich - wie ein Unteranspruch - als Anwendungsfall oder Ausführungsbeispiel der im Schutzanspruch des Klagegebrauchsmusters bezeichneten allgemeineren Lehre darstellt, dass die Zusammensetzung so zu wählen ist, dass eine bestimmte Obergrenze für den Oxidationsmittelgehalt nicht überschritten wird. Die weitere Erkenntnis, dass es dieser Oxidationsmittelgehalt ist, der sich auf die Haltbarkeit der Zusammensetzung vorteilhaft auswirkt, ist nicht Bestandteil der technischen Lehre und weder für die Erlangung des patent- oder gebrauchsmusterrechtlichen Erfindungsschutzes erforderlich noch Voraussetzung eines Vorbenutzungsrechts.
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Die Frage, wie weit ein Vorbenutzungsrecht reicht, das sich auf die Erkenntnis gründet, dass und wie eine bestimmte Ausführungsform der Erfindung erzeugt werden kann, stellt sich im Streitfall nicht. Denn das Berufungsgericht hat, von der Revision unbeanstandet, nicht festgestellt, dass sich das Erzeugnis , das nach der Veröffentlichung der Gebrauchsmustereintragung von der Beklagten zu 2 hergestellt und von der Beklagten zu 1 vertrieben worden ist und nunmehr von der Klägerin als das Klagegebrauchsmuster verletzend angegriffen wird, von dem vorbenutzten unterscheidet.
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2. Die Feststellungen des Berufungsgerichts halten den Verfahrensrügen der Revision stand.
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a) Soweit die Revision sich gegen die Feststellung des Berufungsgerichts wendet, im Streitfall komme eine "zufällige" Benutzung der Erfindung nicht in Betracht, weil die Beklagte sich schon vor dem Prioritätsdatum auf eine bestimmte qualitative und quantitative Zusammensetzung unter Benutzung konkreter Hilfsstoffe festgelegt habe, und darauf hinweist, dass die konkret ausgewählten Hilfsstoffe Kollidon 25 und Kartoffelstärke des Herstellers R. jederzeit hätten ausgetauscht werden können, bleibt ihre Rüge ohne Erfolg. Zwar ist es zutreffend, dass das Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2009 noch selbst darauf hingewiesen hat, aus dem Europäischen Arzneibuch (Anlage D 2) ergebe sich der schwankende Oxidationsmittelgehalt von Kartoffelstärke (bis 20 ppm) und Povidon (bis 400 ppm). Es hat aber in seinem Urteil festgestellt, dass die Beklagte zu 2 sich auf die Kartoffelstärke des Herstellers R. festgelegt hatte und dass der Oxidationsmittelgehalt dieser von der Beklagten zu 2 verwendeten Stärke lediglich 9 ppm betrug. Insoweit hat das Berufungsgericht vor allem auf Qualitätskontrollen hingewiesen, die auf der Grundlage des zwischen den Beklagten am 15.
November 2005 zustande gekommene Lizenz- und Vertriebsvereinbarung nach einer Anfrage der Beklagten zu 1 vom 3. November 2005 ab dem 25. November 2005 anhand von Musterlieferungen durchgeführt worden seien und die sich ausweislich der Herstellungsberichte jeweils auf N. - Tablettenformulierungen mit den Bestandteilen Desmopressinacetat, Laktose, Kollidon 25, Magnesiumstearat, hochdisperses Siliciumdioxid und Kartoffelstärke des Hersteller R. bezogen hätten. Entsprechendes gilt für den Hilfsstoff Kollidon 25. Soweit die Revision demgegenüber meint, dass auch der Restoxidationsmittelgehalt der Produkte Kollidon 25 und Kartoffelstärke von R. Produktionsschwankungen unterliege und sich selbst bei sehr geringen Änderungen des Gehaltes an Restoxidationsmittel Werte deutlich über 5 ppm ergäben, setzt sie sich in Widerspruch zu den Feststellungen des Berufungsgerichts , ohne dass insoweit eine Verfahrensrüge erhoben und ordnungsgemäß ausgeführt wäre.
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b) Ebenfalls ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Verwertung der Ergebnisse der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht.
26
(1) Insoweit wird zunächst beanstandet, dass beide Vordergerichte ihre Beweiswürdigung unter anderem auf die Aussagen der Zeugen Dr. H. und Dr. D. gestützt und diese als glaubhaft beurteilt haben. Schon dem Landgericht sei die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugen, welche der Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen denknotwendig vorausgehe, aber verwehrt gewesen, weil der mit der Beweisaufnahme beauftragte Richter vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung ausgeschieden sei. Dem Landgericht habe es ohne Wiederholung der Zeugenvernehmung deshalb an einem persönlichen Eindruck von den Zeugen gefehlt; derartige Eindrücke des beauf- tragten Richters seien auch nicht protokolliert worden. Das Landgericht habe hierdurch die Grundsätze der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und der freien Beweiswürdigung verletzt. Die Revision meint, jedenfalls das Berufungsgericht habe die Zeugenvernehmung deshalb gemäß § 398 Abs. 1 ZPO wiederholen müssen.
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(2) Die Rüge greift nicht durch.
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(a) Das Berufungsgericht hat eine erstinstanzliche Beweisaufnahme zu wiederholen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen bestehen, §§ 529 Abs. 1 Nr. 1, 398 Abs. 1 ZPO. Das Berufungsgericht muss daher einen in erster Instanz vernommenen Zeugen wiederholt vernehmen, wenn es protokollierte Aussagen anders als die Vorinstanz verstehen oder werten will (BGH, Beschluss vom 21. April 2010 - IV ZR 172/09, WM 2011, 1533 Rn. 5 mwN; BGH, Urteil vom 3. April 1984 - VI ZR 195/82, NJW 1984, 2629) oder wenn es die Glaubwürdigkeit eines in der ersten Instanz vernommenen Zeugen abweichend vom Erstrichter beurteilen will (BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 275 mwN; Urteil vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 116/90, NJW 1991, 3285). Eine erneute Zeugenvernehmung durch das Berufungsgericht ist zudem dann notwendig, wenn bereits die Beweiswürdigung durch das erstinstanzliche Gericht gegen das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 355 Abs. 1 Satz 1 ZPO) verstößt (Musielak/Huber, ZPO, 9. Aufl., § 398 Rn. 4 und Musielak/Ball, aaO, § 529 Rn. 13, 16).
29
(b) Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor.
30
Entgegen der Revision ist es nicht als verfahrensfehlerhaft zu beanstanden , dass das Landgericht seine Beweiswürdigung ohne wiederholte Verneh- mung auf die protokollierten Aussagen der Zeugen Dr. H. und Dr. D. gestützt hat, obwohl der mit der Zeugenvernehmung beauftragte Richter vor der Entscheidung ausgeschieden ist.
31
Das erkennende Gericht darf eine Beweiswürdigung grundsätzlich auch dann vornehmen, wenn es die Beweisaufnahme nicht selbst durchgeführt hat, wenn also die Zusammensetzung des Gerichts zwischen Beweisaufnahme und Entscheidung gewechselt hat. Das ergibt sich bereits daraus, dass die Zivilprozessordnung die Beweisaufnahme durch den beauftragten und den ersuchten Richter (§ 361 f. ZPO) vorsieht. Ein Richterwechsel nach einer Beweisaufnahme erfordert daher nicht in jedem Fall deren Wiederholung. Frühere Zeugenaussagen können durch Auswertung der Vernehmungsprotokolle im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, sofern es auf einen persönlichen Eindruck von ihren Bekundungen nicht ankommt (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH, Urteil vom 4. Februar 1997 - XI ZR 160/96, NJW 1997, 1586, 1587 mwN). Ein Gericht verstößt erst dann gegen das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, wenn es sich auf Erwägungen zur Glaubwürdigkeit eines Zeugen stützt, ohne dass alle erkennenden Richter - etwa wegen eines Richterwechsels - an dessen Vernehmung teilgenommen und so einen persönlichen Eindruck von dem Zeugen gewonnen haben oder auf eine aktenkundige und der Stellungnahme durch die Parteien zugängliche Beurteilung zurückgreifen können (BGH, Urteil vom 4. Februar 1997 - XI ZR 160/96, NJW 1997, 1586, 1587; Urteil vom 9. Januar 1997 - III ZR 162/95, NJW-RR 1997, 506; Urteil vom 19. September 1994 - II ZR 161/93, NJW-RR 1994, 1537; Urteil vom 4. Dezember 1990 - XI ZR 310/89, NJW 1991, 1180). Eine Verletzung des so verstandenen Gebots der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme liegt nicht vor. Das Landgericht hat die persönliche Glaubwürdigkeit der Zeugen Dr. H. und Dr. D. nicht in Zweifel gezogen, sondern nur den sachlichen Inhalt ihrer Aussagen anhand anderweitiger Umstände, insbesondere anhand von Zulassungsunterlagen und Schriftverkehr, gewürdigt. Das war trotz des Ausscheidens des mit der Zeugenvernehmung beauftragten Richters zulässig.
32
Das Berufungsgericht hat die Aussagen der Zeugen Dr. H. und Dr. D. auch nicht anders verstanden als das Landgericht. Ebenso wie das Landgericht hat das Berufungsgericht diese Aussagen als glaubhaft beurteilt , weil ihr Erklärungsgehalt durch anderweitige Umstände, insbesondere Zulassungsunterlagen und Schriftverkehr, bestätigt worden sei. Beide Gerichte beziehen sich ausschließlich auf die Sachdarstellung und damit die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen. Die Glaubwürdigkeit der Zeugen wird weder vom Landgericht noch vom Berufungsgericht erörtert und ersichtlich von beiden Vorinstanzen im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit der Aussagen und mangels die Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehender Umstände stillschweigend bejaht.
33
3. Die Revision beanstandet schließlich die Annahme des Berufungsgerichts , dass die Beklagte zu 1 sich als Vertriebsunternehmen auf ein von der Beklagten zu 2 abgeleitetes Vorbenutzungsrecht habe berufen können, obwohl die Beklagte zu 2 zu einem späteren Zeitpunkt die Beklagte zu 1 durch die A. GmbH (der Beklagten des Parallelverfahrens X ZR 132/09) als Vertriebspartner ausgetauscht habe. Als Folge dieser Auffassung sei es der Beklagten zu 2 unbenommen, den Vertrieb in der Bundesrepublik Deutschland parallel durch mehrere Vertriebsgesellschaften durchführen zu lassen, obwohl es sich bei der Beklagten zu 1 ursprünglich um den einzigen Vertriebspartner für die Bundesrepublik gehandelt habe. Ein solcher paralleler Vertrieb führe zu einer von § 12 PatG nicht erlaubten Ausweitung des Vorbenutzungsrechts im Inland.
34
Die von der Revision erhobenen Bedenken stellen sich im Streitfall bereits deshalb nicht, weil nach den von der Revision nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts die Beklagte zu 2 ihre Vertriebspartner für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland lediglich ausgetauscht und nicht deren Anzahl erhöht hat.
35
Darüber hinaus ist allgemein anerkannt, dass das Vorbenutzungsrecht des Herstellers umfassend und mengenmäßig nicht beschränkt ist und den Wechsel der Benutzungsart erlaubt (RGZ 153, 321, 326 - Gleichrichterröhren; RG GRUR 1938, 770, 771 - Eisenbahnpostwagen; RG GRUR 1940, 434, 436 - Massekerne; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., § 12 PatG Rn. 23; Busse/ Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 12 Rn. 45; Kraßer, Patentrecht, 6. Aufl., S. 825; Keukenschrijver, GRUR 2001, 944, 945; jeweils mwN). Entsprechend umfasst das Vorbenutzungsrecht auch den Aufbau eines Vertriebssystems (Busche, GRUR 1999, 645, 648) und dessen Ausgestaltung mit mehreren Vertriebspartnern.
36
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Meier-Beck Keukenschrijver Mühlens

Grabinski Schuster

Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 04.09.2008 - 4b O 402/06 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 12.11.2009 - I-2 U 88/08 -

(1) Gegen die Beschlüsse der Gebrauchsmusterstelle und der Gebrauchsmusterabteilungen findet die Beschwerde an das Patentgericht statt.

(2) Im übrigen sind die Vorschriften des Patentgesetzes über das Beschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden. Betrifft die Beschwerde einen Beschluß, der in einem Löschungsverfahren ergangen ist, so ist für die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens § 84 Abs. 2 des Patentgesetzes entsprechend anzuwenden.

(3) Über Beschwerden gegen Beschlüsse der Gebrauchsmusterstelle sowie gegen Beschlüsse der Gebrauchsmusterabteilungen entscheidet ein Beschwerdesenat des Patentgerichts. Über Beschwerden gegen die Zurückweisung der Anmeldung eines Gebrauchsmusters entscheidet der Senat in der Besetzung mit zwei rechtskundigen Mitgliedern und einem technischen Mitglied, über Beschwerden gegen Beschlüsse der Gebrauchsmusterabteilungen über Löschungsanträge in der Besetzung mit einem rechtskundigen Mitglied und zwei technischen Mitgliedern. Für Beschwerden gegen Entscheidungen über Anträge auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ist Satz 2 entsprechend anzuwenden. Der Vorsitzende muß ein rechtskundiges Mitglied sein. Auf die Verteilung der Geschäfte innerhalb des Beschwerdesenats ist § 21g Abs. 1 und 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes anzuwenden. Für die Verhandlung über Beschwerden gegen die Beschlüsse der Gebrauchsmusterstelle gilt § 69 Abs. 1 des Patentgesetzes, für die Verhandlung über Beschwerden gegen die Beschlüsse der Gebrauchsmusterabteilungen § 69 Abs. 2 des Patentgesetzes entsprechend.

(4) Gegen den Beschluß des Beschwerdesenats des Patentgerichts, durch den über eine Beschwerde nach Absatz 1 entschieden wird, findet die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof statt, wenn der Beschwerdesenat in dem Beschluß die Rechtsbeschwerde zugelassen hat. § 100 Abs. 2 und 3 sowie die §§ 101 bis 109 des Patentgesetzes sind anzuwenden.

(1) Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Bundesgerichtshof schriftlich einzulegen.

(2) In dem Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(3) Die Rechtsbeschwerde ist zu begründen. Die Frist für die Begründung beträgt einen Monat; sie beginnt mit der Einlegung der Rechtsbeschwerde und kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden.

(4) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muß enthalten

1.
die Erklärung, inwieweit der Beschluß angefochten und seine Abänderung oder Aufhebung beantragt wird;
2.
die Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm;
3.
insoweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, daß das Gesetz in bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.

(5) Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf Antrag eines Beteiligten ist seinem Patentanwalt das Wort zu gestatten. § 143 Abs. 3 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 131/09 Verkündet am:
12. Juni 2012
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Desmopressin

a) Die nach § 12 Abs. 1 PatG für den Erwerb eines Vorbenutzungsrechts erforderliche
Benutzung oder Veranstaltung setzt voraus, dass der Handelnde selbständigen
Erfindungsbesitz erlangt hat. Erfindungsbesitz ist gegeben, wenn die sich aus
Aufgabe und Lösung ergebende technische Lehre objektiv fertig und subjektiv erkannt
worden ist, dass die tatsächliche Ausführung der Erfindung möglich ist.

b) Die für den Erfindungsbesitz erforderliche subjektive Erkenntnis liegt vor, wenn
das Handeln planmäßig auf die Verwirklichung einer technischen Lehre gerichtet
ist, die alle Merkmale des erfindungsgemäßen Gegenstandes verwirklicht (hier:
eine bestimmte Rezeptur für eine pharmazeutische Zusammensetzung). Ob der
Handelnde darüber hinaus Kenntnis von Wirkungen hat, die nach den Angaben in
der Beschreibung mit der Verwirklichung des erfindungsgemäßen Gegenstandes
verbunden sind (hier: eine mit der Beachtung einer Obergrenze für den Oxidationsmittelgehalt
erreichte bessere Haltbarkeit), ist unerheblich.
BGH, Urteil vom 12. Juni 2012 - X ZR 131/09 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck,
den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens, den Richter Dr. Grabinski
und die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das am 12. November 2009 verkündete Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Gebrauchsmusters 20 2006 004 746 (Klagegebrauchsmusters), das am 24. März 2006 unter Inanspruchnahme von Unionsprioritäten vom 2. und 15. März 2006 angemeldet und dessen Eintragung am 3. August 2006 bekannt gemacht wurde. Das Klagege- brauchsmuster betrifft eine pharmazeutische Zusammensetzung als feste Arzneiform , die Desmopressin als therapeutisch wirksamen Bestandteil umfasst.
2
Die Beklagte zu 2 hat beim Deutschen Patent- und Markenamt ein Löschungsverfahren gegen das Klagegebrauchsmuster eingeleitet, in welchem die Klägerin den eingetragenen Schutzanspruch 1 beschränkt mit folgendem Wortlaut verteidigt (Beschränkung hervorgehoben): „Pharmazeutische Zusammensetzung als feste Arzneiform, die Desmo- pressin oder ein pharmazeutisch akzeptables Salz davon als therapeutisch wirksamen Bestandteil zusammen mit einem pharmazeutisch akzeptablen Exzipienten, Verdünnungsmittel oder Träger oder einer Mischung daraus umfasst, worin die pharmazeutische Zusammensetzung Kieselerde und Stärke umfasst und worin der Gehalt an Oxidationsmitteln gleich oder weniger als 15 Gewichtsteile pro Million der pharmazeu- tischen Zusammensetzung ist.“
3
Die Gebrauchsmusterabteilung hat das Klagegebrauchsmuster gelöscht. Die gegen diese Entscheidung von der Klägerin eingelegte Beschwerde ist zurückgewiesen worden. Die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde nach § 18 Abs. 4 Satz 2 GebrMG i.V.m. § 102 Abs. 1 PatG ist noch nicht abgelaufen.

4
Die Beklagte zu 2 stellt in Österreich Tabletten mit einer Zusammensetzung gemäß Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters her. Seit Juni 2006 lässt sie die Tabletten in der Bundesrepublik Deutschland unter der Bezeich- nung „N. “ vertreiben, zunächst durch die Beklagte zu 1, später durch die A. GmbH (die Beklagte des Parallelverfahrens X ZR 132/09).
5
Auf Grund der beschränkt verteidigten Fassung des Schutzanspruchs 1 hat die Klägerin die Beklagten auf Unterlassung, Rechnungslegung, Herausgabe zur Vernichtung und Feststellung der Verpflichtung zu Schadensersatz in Anspruch genommen. Die Beklagten haben sich demgegenüber auf ein Vorbenutzungsrecht berufen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufung hat die Klägerin ihre Ansprüche in zwei Hilfsanträgen dahin weiter eingeschränkt , dass sich die Klage - bei ansonsten unverändertem Wortlaut - gegen eine pharmazeutische Zusammensetzung richtet, die Kieselerde und Stärke umfasst und darin der Gehalt an Oxidationsmittel weniger als 5 Gewichtsteile pro Million der pharmazeutischen Zusammensetzung ist, und weiter hilfsweise gegen eine pharmazeutische Zusammensetzung richtet, die Siliciumdioxid, Stärke und Povidon umfasst und darin der Gehalt an Oxidationsmittel weniger als 5 Gewichtsteile pro Million der pharmazeutischen Zusammensetzung ist. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
6
Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Klägerin, mit der diese ihr zweitinstanzliches Begehren weiter verfolgt.


Entscheidungsgründe:


7
Die Revision hat keinen Erfolg.
8
I. Nach den Angaben des Klagegebrauchsmusters wird der Wirkstoff Desmopressin zur Behandlung primärer Enuresis nocturna (Bettnässen bei Kindern), von Nykturie (nächtlichem Harndrang) und Diabetes insipidus (Wasserharnruhr ) eingesetzt. Die seit dem Jahr 1987 erhältliche Tablettenformulierung werde durch Verpressen eines geeigneten Granulats hergestellt, welches neben dem Wirkstoff typischerweise Exzipienten (nicht aktive Trägerstoffe), Tablettensprengmittel, Schmiermittel und Bindemittel enthalte, wobei die gebräuchlichste Tablettenformulierung als Exzipienten Kartoffelstärke und Laktose aufweise.
9
Es sei bekannt, dass das Desmopressin-Molekül empfindlich gegen Abbau sei. Dessen Stabilisierung sei daher ein über die Jahre angegangenes Problem. Zugelassene Desmopressin-Tabletten hätten typischerweise eine Haltbarkeit von nur 12 bis 24 Monaten. Hieraus ergebe sich das technische Problem, ein Mittel zur Verbesserung der Haltbarkeit von Desmopressin in Tablettenformulierungen bereitzustellen. Nach Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters in der von der Klägerin geltend gemachten Fassung soll dies mit folgender Merkmalskombination erreicht werden: 1. Pharmazeutische Zusammensetzung als feste Arzneimittelform. 2. Die Zusammensetzung umfasst
a) als therapeutisch wirksamen Bestandteil Desmopressin oder ein pharmazeutisch akzeptables Salz davon,
b) zusammen mit einem pharmazeutisch akzeptablen Exzipienten , Verdünnungsmittel oder Träger oder einer Mischung daraus ,
c) Kieselerde,
d) Stärke.
3. Der Gehalt an Oxidationsmittel ist gleich oder weniger als 15 Gewichtsteile pro Million (ppm) der pharmazeutischen Zusammensetzung.
10
Die Lehre des Klagegebrauchsmusters sieht damit insbesondere einen geringen Oxidationsmittelgehalt von ≤ 15 ppm der pharmazeutischen Zusam- mensetzung vor. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Gegenwart von Restoxidationsmitteln den Desmopressin-Wirkstoff während der Lagerung abbaut. Da bestimmte Tablettenbestandteile (z.B. Stärke) Oxidationsmittel enthalten , führt eine sorgfältige Kontrolle und Absenkung des Oxidationsmittelgehalts zu einer verbesserten Haltbarkeit der Desmopressin-Tablettenformulierung.
11
II. Nach den insoweit unbeanstandeten Feststellungen des Berufungsge- richts weisen die mit der Klage angegriffenen „N. “-Tablettenalle Merkmale des Schutzanspruchs 1 des Klagegebrauchsmusters in der geltend gemachten Fassung auf. Das Berufungsgericht ist dennoch zu dem Ergebnis gekommen, dass die von der Klägerin geltend gemachten Verbietungsrechte nicht begründet seien, weil der Beklagten zu 2 ein Vorbenutzungsrecht gemäß § 13 Abs. 3 GebrMG i.V.m. § 12 PatG zustehe. Sie habe am Prioritätstag Erfindungsbesitz gehabt und diesen durch Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der gewerblichen Benutzung auch betätigt.
12
Zwar lasse sich nicht feststellen, dass die Beklagte zu 2 seinerzeit positiv gewusst habe, dass der Oxidationsmittelgehalt in der Tablettenzusammensetzung einen Wert von 15 ppm oder 5 ppm nicht überschreiten dürfe, wenn eine gemäß dem vorbekannten Stand der Technik überlegene Lagerstabilität erhalten werden solle. Darauf komme es aber auch nicht an. Die Beklagte zu 2 habe vielmehr bereits dann Erfindungsbesitz gehabt, wenn sie sich vor dem Prioritätstag für eine Rezeptur ihrer Tablettenformulierung entschieden habe, die zwangsläufig und verlässlich zu einem erfindungsgemäßen Oxidationsmittelgehalt führe. Unter solchen Umständen sei die Beklagte zu 2 nämlich in der Lage gewesen, den vom Klagegebrauchsmuster geschützten Erfindungsgedanken (eine Desmopressin-Tablettenformulierung mit geringem Oxidationsmittelgehalt ) beliebig wiederholbar auszuführen und damit den erfindungsgemäßen Erfolg (eine erhöhte Lagerstabilität der pharmazeutischen Zusammensetzung ) nicht nur zufällig, sondern planmäßig herbeizuführen.
13
Nach dem Inhalt der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme stehe fest, dass sich die Beklagte zu 2 vor dem Prioritätstag für eine Rezeptur entschieden habe, welche die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters in sämtlichen von der Klägerin geltend gemachten Anspruchsfassungen vorweggenommen habe. Aufgrund der Zeugenaussagen und der vorgelegten Unterlagen sei davon auszugehen, dass sich die Beklagte zu 2 endgültig auf eine pharmazeutische Zusammensetzung aus Desmopressinacetat , Laktose, Kartoffelstärke, Kollidon 25, Siliciumdioxid und Magnesiumstearat festgelegt habe. Aus den Unterlagen ergebe sich weiter, dass die Beklagte zu 2 eine bestimmte Kartoffelstärke, nämlich eine des Herstellers R. , endgültig in ihre Formulierung aufgenommen habe. Damit habe sich die Beklagte zu 2 vor dem Prioritätstag für eine Rezeptur ihrer Tablettenformulierung entschieden, die zwangsläufig und verlässlich zu einem erfindungsgemäßen Oxidationsmittelgehalt von 3,8 ppm geführt habe.
14
Die Beklagte zu 2 habe überdies zum Prioritätstag ihren Erfindungsbesitz im Inland durch Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der gewerblichen Nutzung betätigt. Sie habe vor diesem Zeitpunkt hinsichtlich der erfindungsge- mäßen „N. “-Tablettenformulierung eine Arzneimittelzulassung für Öster- reich erwirkt und einen Zulassungsantrag für die Bundesrepublik Deutschland gestellt, die Beklagte zu 1 als deutschen Vertriebspartner gewonnen und vertraglich an sich gebunden sowie diese mit Hilfe von Produkt-Dossiers, Etiketten, Gebrauchsinformationen und Musterlieferungen in die Lage versetzt, die Vertriebstätigkeit nach erfolgter Arzneimittelzulassung aufzunehmen. Dies habe für Dritte nur den Schluss zugelassen, dass am Prioritätstag alle Vorbereitungen erfolgt seien, um die „N. “-Tabletten alsbald auch im Bundesgebiet zu ver- treiben.
15
Ob die Beklagte zu 1 in ihrer Person ein eigenes Vorbenutzungsrecht erworben habe, bedürfe keiner Entscheidung. Die Beklagte zu 1 könne sich als Vertriebsunternehmen der Beklagten zu 2 jedenfalls auf deren Vorbenutzungsrecht berufen. Dass die Beklagte zu 2 nach dem Prioritätstag ihren Vertriebspartner gewechselt habe, ändere hieran nichts; hierdurch habe diese ihr Vorbenutzungsrecht weiter ausgeübt.
16
III. Dies hält im Ergebnis und in der Begründung den Angriffen der Revision stand.
17
1. Der Rüge der Revision, das Berufungsgericht verkenne den Begriff des Erfindungsbesitzes, indem es alleine die objektive Verwirklichung der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters für ausreichend angesehen habe, ohne dass es auf irgendeine Form der Kenntnis des Vorbenutzers von dieser Lehre ankomme, ist nicht begründet.
18
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die nach § 12 PatG für den Erwerb eines Vorbenutzungsrechts erforderliche Benutzungshandlung oder Veranstaltung voraus, dass der Handelnde selbständigen Erfindungsbesitz erlangt hat. Erfindungsbesitz ist gegeben, wenn die sich aus Aufgabe und Lösung ergebende technische Lehre objektiv fertig und subjektiv derart erkannt ist, dass die tatsächliche Ausführung der Erfindung möglich ist (BGH, Urteil vom 10. September 2009 - Xa ZR 18/08, Rn. 17, GRUR 2010, 47, 48 - Füllstoff; Urteil vom 30. Juni 1964 - Ia ZR 206/63, GRUR 1964, 673, 674 - Kasten für Fußabtrittsroste; vgl. auch RGZ 123, 58, 61; RG, GRUR 1943, 286, 287; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., 2006, § 12 PatG, Rn. 5; Busse/ Keukenschrijver, 6. Aufl., 2003, § 12 PatG, Rn. 16; Schulte/Kühnen, PatG, 8. Aufl., 2008, § 12 PatG, Rn. 9). An einer solchen Erkenntnis fehlt es, wenn das technische Handeln über das Stadium von Versuchen noch nicht hinausgegangen ist (RG Mitt. 1931, 72, 74) oder ein Gegenstand benutzt worden ist, der lediglich in einzelnen Exemplaren „zufällig“ die erfindungsgemäßen Eigen- schaften aufgewiesen hat (RG MuW 1936, 406, 407, r. Sp.). Denn in beiden Fällen ist das Handeln nicht von einer Erkenntnis getragen, die es jederzeit möglich macht, die technische Lehre wiederholbar auszuführen, so dass es auch nicht gerechtfertigt ist, daran eine Besitzstand vermittelnde Rechtsposition anzuknüpfen. Von derartigen Fällen eines unbewussten oder zumindest nicht hinreichend gefestigten Gebrauchs der technischen Lehre hebt sich ein Handeln ab, das planmäßig auf die Verwirklichung derselben gerichtet ist. Dieses ist als Erfindungsbesitz begründend anzusehen, weil ihm die gesicherte Erkenntnis zugrunde liegt, dass die Erfindung ausgeführt werden kann. Nur insoweit kann es auch auf die Kenntnis des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung ankommen (vgl. RG, MuW 1931, 449, 450; GRUR 1939, 300, 302; GRUR 1940, 434, 436; Eichmann, GRUR 1993, 73, 80; Benkard/Rogge, aaO, Busse/ Keukenschrijver, aaO; Klauer/Möhring, Patentrechtskommentar Band 1, 3. Aufl., 1971, § 7 PatG, Rn. 7). Hingegen ist es nicht erforderlich, dass der Handelnde über die Erkenntnis der gesicherten Ausführbarkeit der Erfindung hinausgehendes Wissen um vorteilhafte Wirkungen der Erfindung hat. Denn der Erfindungsbesitz kann nicht von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die nicht Teil der technischen Lehre geworden sind, so wie diese im Patentanspruch definiert worden ist. Auf die Kenntnis von Wirkungen, die zwar nach den Angaben in der Beschreibung mit der Verwendung des erfindungsgemäßen Gegenstandes verbunden sein sollen, die aber nicht in den Patentanspruch aufgenommen worden sind, kann es daher für die Frage, ob Erfindungsbesitz begründet worden ist, nicht entscheidend ankommen.
19
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Beklagte zu 2 bereits am Prioritätstag des Klagegebrauchsmusters für ihre zum Vertrieb in der Bundesrepublik Deutschland vorgesehene Desmopressin-Tablettenformulierung eine Rezeptur in Händen, wonach die Tablette „N. 0,1 mg“ 0,1 mg Desmopressinacetat, 60,0 mg Lactose, 38,2 mg Kartoffelstärke des Herstellers R. , 1,0 mg Povidon (Kollidon 25), 0,2 mg Siliciumdioxid und 0,5 mg Magnesiumstearat enthielt bzw. die Tablette „N. 0,2 mg“ die jeweils doppel- te Menge der vorgenannten Bestandteile. Mit dieser Rezeptur ging die gesicherte Erkenntnis bei der Beklagten zu 2 einher, dass es möglich war, eine Tablette in der genannten Zusammensetzung herzustellen. Derartige Desmopressin -Tabletten wiesen nach den weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts einen Oxidationsmittelgehalt von 3,8 ppm auf und entsprachen damit der Lehre aus Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters sowohl in der Fassung des Hauptantrags als auch in den Fassungen der beiden Hilfsanträge der Klägerin. Bei der Beklagten zu 2 war damit Erfindungsbesitz gegeben.
20
An dieser Beurteilung vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass das Berufungsgericht bei der Beklagten zu 2 keine positive Kenntnis davon hat feststellen können, dass der Oxidationsmittelgehalt in der ansonsten erfindungsgemäßen Tablettenzusammensetzung einen Wert von 15 ppm oder 5 ppm nicht überschreiten darf, wenn eine gegenüber dem vorbekannten Stand der Technik überlegene Lagerstabilität erhalten soll. Darauf kommt es für die gesicherte Erkenntnis, dass die objektiv erfindungsgemäße Tablettenzusammensetzung nach der vorgenannten Rezeptur hergestellt werden kann, nicht an. Die Beklagte zu 2 befand sich nicht mehr in einem Stadium bloßer Versuche , sondern hatte sich hinsichtlich der für den Vertrieb vorgesehenen Desmopressin -Tabletten auf die genannte Formulierung festgelegt. Der Oxidationsmittelgehalt von 3,8 ppm wurde auch nicht nur zufällig bei einzelnen Tabletten erzielt , sondern war planmäßig in der vorgenannten Rezeptur angelegt. Das Berufungsgericht hat insoweit festgestellt, dass der tatsächliche Oxidationsmittelgehalt unter den von der Beklagten zu 2 beachteten Herstellungsbedingungen, wie sie sich aus den Produktionsdokumentationen (Anlagen 7 bis 10) ergeben, dem rechnerischen Gehalt an Oxidationsmitteln nach der Rezeptur der pharmazeutischen Zusammensetzung entspricht.
21
Entgegen der Auffassung der Klägerin genügt diese Erkenntnis, dass und wie eine Tablette mit einem Oxidationsmittelgehalt von 3,8 ppm wiederholbar hergestellt werden kann, für den Erfindungsbesitz. Denn es handelt sich um die Erkenntnis einer technischen Lehre, die sich - wie ein Unteranspruch - als Anwendungsfall oder Ausführungsbeispiel der im Schutzanspruch des Klagegebrauchsmusters bezeichneten allgemeineren Lehre darstellt, dass die Zusammensetzung so zu wählen ist, dass eine bestimmte Obergrenze für den Oxidationsmittelgehalt nicht überschritten wird. Die weitere Erkenntnis, dass es dieser Oxidationsmittelgehalt ist, der sich auf die Haltbarkeit der Zusammensetzung vorteilhaft auswirkt, ist nicht Bestandteil der technischen Lehre und weder für die Erlangung des patent- oder gebrauchsmusterrechtlichen Erfindungsschutzes erforderlich noch Voraussetzung eines Vorbenutzungsrechts.
22
Die Frage, wie weit ein Vorbenutzungsrecht reicht, das sich auf die Erkenntnis gründet, dass und wie eine bestimmte Ausführungsform der Erfindung erzeugt werden kann, stellt sich im Streitfall nicht. Denn das Berufungsgericht hat, von der Revision unbeanstandet, nicht festgestellt, dass sich das Erzeugnis , das nach der Veröffentlichung der Gebrauchsmustereintragung von der Beklagten zu 2 hergestellt und von der Beklagten zu 1 vertrieben worden ist und nunmehr von der Klägerin als das Klagegebrauchsmuster verletzend angegriffen wird, von dem vorbenutzten unterscheidet.
23
2. Die Feststellungen des Berufungsgerichts halten den Verfahrensrügen der Revision stand.
24
a) Soweit die Revision sich gegen die Feststellung des Berufungsgerichts wendet, im Streitfall komme eine "zufällige" Benutzung der Erfindung nicht in Betracht, weil die Beklagte sich schon vor dem Prioritätsdatum auf eine bestimmte qualitative und quantitative Zusammensetzung unter Benutzung konkreter Hilfsstoffe festgelegt habe, und darauf hinweist, dass die konkret ausgewählten Hilfsstoffe Kollidon 25 und Kartoffelstärke des Herstellers R. jederzeit hätten ausgetauscht werden können, bleibt ihre Rüge ohne Erfolg. Zwar ist es zutreffend, dass das Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2009 noch selbst darauf hingewiesen hat, aus dem Europäischen Arzneibuch (Anlage D 2) ergebe sich der schwankende Oxidationsmittelgehalt von Kartoffelstärke (bis 20 ppm) und Povidon (bis 400 ppm). Es hat aber in seinem Urteil festgestellt, dass die Beklagte zu 2 sich auf die Kartoffelstärke des Herstellers R. festgelegt hatte und dass der Oxidationsmittelgehalt dieser von der Beklagten zu 2 verwendeten Stärke lediglich 9 ppm betrug. Insoweit hat das Berufungsgericht vor allem auf Qualitätskontrollen hingewiesen, die auf der Grundlage des zwischen den Beklagten am 15.
November 2005 zustande gekommene Lizenz- und Vertriebsvereinbarung nach einer Anfrage der Beklagten zu 1 vom 3. November 2005 ab dem 25. November 2005 anhand von Musterlieferungen durchgeführt worden seien und die sich ausweislich der Herstellungsberichte jeweils auf N. - Tablettenformulierungen mit den Bestandteilen Desmopressinacetat, Laktose, Kollidon 25, Magnesiumstearat, hochdisperses Siliciumdioxid und Kartoffelstärke des Hersteller R. bezogen hätten. Entsprechendes gilt für den Hilfsstoff Kollidon 25. Soweit die Revision demgegenüber meint, dass auch der Restoxidationsmittelgehalt der Produkte Kollidon 25 und Kartoffelstärke von R. Produktionsschwankungen unterliege und sich selbst bei sehr geringen Änderungen des Gehaltes an Restoxidationsmittel Werte deutlich über 5 ppm ergäben, setzt sie sich in Widerspruch zu den Feststellungen des Berufungsgerichts , ohne dass insoweit eine Verfahrensrüge erhoben und ordnungsgemäß ausgeführt wäre.
25
b) Ebenfalls ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Verwertung der Ergebnisse der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht.
26
(1) Insoweit wird zunächst beanstandet, dass beide Vordergerichte ihre Beweiswürdigung unter anderem auf die Aussagen der Zeugen Dr. H. und Dr. D. gestützt und diese als glaubhaft beurteilt haben. Schon dem Landgericht sei die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugen, welche der Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen denknotwendig vorausgehe, aber verwehrt gewesen, weil der mit der Beweisaufnahme beauftragte Richter vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung ausgeschieden sei. Dem Landgericht habe es ohne Wiederholung der Zeugenvernehmung deshalb an einem persönlichen Eindruck von den Zeugen gefehlt; derartige Eindrücke des beauf- tragten Richters seien auch nicht protokolliert worden. Das Landgericht habe hierdurch die Grundsätze der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und der freien Beweiswürdigung verletzt. Die Revision meint, jedenfalls das Berufungsgericht habe die Zeugenvernehmung deshalb gemäß § 398 Abs. 1 ZPO wiederholen müssen.
27
(2) Die Rüge greift nicht durch.
28
(a) Das Berufungsgericht hat eine erstinstanzliche Beweisaufnahme zu wiederholen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen bestehen, §§ 529 Abs. 1 Nr. 1, 398 Abs. 1 ZPO. Das Berufungsgericht muss daher einen in erster Instanz vernommenen Zeugen wiederholt vernehmen, wenn es protokollierte Aussagen anders als die Vorinstanz verstehen oder werten will (BGH, Beschluss vom 21. April 2010 - IV ZR 172/09, WM 2011, 1533 Rn. 5 mwN; BGH, Urteil vom 3. April 1984 - VI ZR 195/82, NJW 1984, 2629) oder wenn es die Glaubwürdigkeit eines in der ersten Instanz vernommenen Zeugen abweichend vom Erstrichter beurteilen will (BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 275 mwN; Urteil vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 116/90, NJW 1991, 3285). Eine erneute Zeugenvernehmung durch das Berufungsgericht ist zudem dann notwendig, wenn bereits die Beweiswürdigung durch das erstinstanzliche Gericht gegen das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 355 Abs. 1 Satz 1 ZPO) verstößt (Musielak/Huber, ZPO, 9. Aufl., § 398 Rn. 4 und Musielak/Ball, aaO, § 529 Rn. 13, 16).
29
(b) Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor.
30
Entgegen der Revision ist es nicht als verfahrensfehlerhaft zu beanstanden , dass das Landgericht seine Beweiswürdigung ohne wiederholte Verneh- mung auf die protokollierten Aussagen der Zeugen Dr. H. und Dr. D. gestützt hat, obwohl der mit der Zeugenvernehmung beauftragte Richter vor der Entscheidung ausgeschieden ist.
31
Das erkennende Gericht darf eine Beweiswürdigung grundsätzlich auch dann vornehmen, wenn es die Beweisaufnahme nicht selbst durchgeführt hat, wenn also die Zusammensetzung des Gerichts zwischen Beweisaufnahme und Entscheidung gewechselt hat. Das ergibt sich bereits daraus, dass die Zivilprozessordnung die Beweisaufnahme durch den beauftragten und den ersuchten Richter (§ 361 f. ZPO) vorsieht. Ein Richterwechsel nach einer Beweisaufnahme erfordert daher nicht in jedem Fall deren Wiederholung. Frühere Zeugenaussagen können durch Auswertung der Vernehmungsprotokolle im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, sofern es auf einen persönlichen Eindruck von ihren Bekundungen nicht ankommt (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH, Urteil vom 4. Februar 1997 - XI ZR 160/96, NJW 1997, 1586, 1587 mwN). Ein Gericht verstößt erst dann gegen das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, wenn es sich auf Erwägungen zur Glaubwürdigkeit eines Zeugen stützt, ohne dass alle erkennenden Richter - etwa wegen eines Richterwechsels - an dessen Vernehmung teilgenommen und so einen persönlichen Eindruck von dem Zeugen gewonnen haben oder auf eine aktenkundige und der Stellungnahme durch die Parteien zugängliche Beurteilung zurückgreifen können (BGH, Urteil vom 4. Februar 1997 - XI ZR 160/96, NJW 1997, 1586, 1587; Urteil vom 9. Januar 1997 - III ZR 162/95, NJW-RR 1997, 506; Urteil vom 19. September 1994 - II ZR 161/93, NJW-RR 1994, 1537; Urteil vom 4. Dezember 1990 - XI ZR 310/89, NJW 1991, 1180). Eine Verletzung des so verstandenen Gebots der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme liegt nicht vor. Das Landgericht hat die persönliche Glaubwürdigkeit der Zeugen Dr. H. und Dr. D. nicht in Zweifel gezogen, sondern nur den sachlichen Inhalt ihrer Aussagen anhand anderweitiger Umstände, insbesondere anhand von Zulassungsunterlagen und Schriftverkehr, gewürdigt. Das war trotz des Ausscheidens des mit der Zeugenvernehmung beauftragten Richters zulässig.
32
Das Berufungsgericht hat die Aussagen der Zeugen Dr. H. und Dr. D. auch nicht anders verstanden als das Landgericht. Ebenso wie das Landgericht hat das Berufungsgericht diese Aussagen als glaubhaft beurteilt , weil ihr Erklärungsgehalt durch anderweitige Umstände, insbesondere Zulassungsunterlagen und Schriftverkehr, bestätigt worden sei. Beide Gerichte beziehen sich ausschließlich auf die Sachdarstellung und damit die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen. Die Glaubwürdigkeit der Zeugen wird weder vom Landgericht noch vom Berufungsgericht erörtert und ersichtlich von beiden Vorinstanzen im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit der Aussagen und mangels die Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehender Umstände stillschweigend bejaht.
33
3. Die Revision beanstandet schließlich die Annahme des Berufungsgerichts , dass die Beklagte zu 1 sich als Vertriebsunternehmen auf ein von der Beklagten zu 2 abgeleitetes Vorbenutzungsrecht habe berufen können, obwohl die Beklagte zu 2 zu einem späteren Zeitpunkt die Beklagte zu 1 durch die A. GmbH (der Beklagten des Parallelverfahrens X ZR 132/09) als Vertriebspartner ausgetauscht habe. Als Folge dieser Auffassung sei es der Beklagten zu 2 unbenommen, den Vertrieb in der Bundesrepublik Deutschland parallel durch mehrere Vertriebsgesellschaften durchführen zu lassen, obwohl es sich bei der Beklagten zu 1 ursprünglich um den einzigen Vertriebspartner für die Bundesrepublik gehandelt habe. Ein solcher paralleler Vertrieb führe zu einer von § 12 PatG nicht erlaubten Ausweitung des Vorbenutzungsrechts im Inland.
34
Die von der Revision erhobenen Bedenken stellen sich im Streitfall bereits deshalb nicht, weil nach den von der Revision nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts die Beklagte zu 2 ihre Vertriebspartner für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland lediglich ausgetauscht und nicht deren Anzahl erhöht hat.
35
Darüber hinaus ist allgemein anerkannt, dass das Vorbenutzungsrecht des Herstellers umfassend und mengenmäßig nicht beschränkt ist und den Wechsel der Benutzungsart erlaubt (RGZ 153, 321, 326 - Gleichrichterröhren; RG GRUR 1938, 770, 771 - Eisenbahnpostwagen; RG GRUR 1940, 434, 436 - Massekerne; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., § 12 PatG Rn. 23; Busse/ Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 12 Rn. 45; Kraßer, Patentrecht, 6. Aufl., S. 825; Keukenschrijver, GRUR 2001, 944, 945; jeweils mwN). Entsprechend umfasst das Vorbenutzungsrecht auch den Aufbau eines Vertriebssystems (Busche, GRUR 1999, 645, 648) und dessen Ausgestaltung mit mehreren Vertriebspartnern.
36
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Meier-Beck Keukenschrijver Mühlens

Grabinski Schuster

Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 04.09.2008 - 4b O 402/06 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 12.11.2009 - I-2 U 88/08 -

(1) Der Gebrauchsmusterschutz wird durch die Eintragung nicht begründet, soweit gegen den als Inhaber Eingetragenen für jedermann ein Anspruch auf Löschung besteht (§ 15 Abs. 1 und 3).

(2) Wenn der wesentliche Inhalt der Eintragung den Beschreibungen, Zeichnungen, Modellen, Gerätschaften oder Einrichtungen eines anderen ohne dessen Einwilligung entnommen ist, tritt dem Verletzten gegenüber der Schutz des Gesetzes nicht ein.

(3) Die Vorschriften des Patentgesetzes über das Recht auf den Schutz (§ 6), über den Anspruch auf Erteilung des Schutzrechts (§ 7 Abs. 1), über den Anspruch auf Übertragung (§ 8), über das Vorbenutzungsrecht (§ 12) und über die staatliche Benutzungsanordnung (§ 13) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die Wirkung des Patents tritt gegen den nicht ein, der zur Zeit der Anmeldung bereits im Inland die Erfindung in Benutzung genommen oder die dazu erforderlichen Veranstaltungen getroffen hatte. Dieser ist befugt, die Erfindung für die Bedürfnisse seines eigenen Betriebs in eigenen oder fremden Werkstätten auszunutzen. Die Befugnis kann nur zusammen mit dem Betrieb vererbt oder veräußert werden. Hat der Anmelder oder sein Rechtsvorgänger die Erfindung vor der Anmeldung anderen mitgeteilt und sich dabei seine Rechte für den Fall der Patenterteilung vorbehalten, so kann sich der, welcher die Erfindung infolge der Mitteilung erfahren hat, nicht auf Maßnahmen nach Satz 1 berufen, die er innerhalb von sechs Monaten nach der Mitteilung getroffen hat.

(2) Steht dem Patentinhaber ein Prioritätsrecht zu, so ist an Stelle der in Absatz 1 bezeichneten Anmeldung die frühere Anmeldung maßgebend. Dies gilt jedoch nicht für Angehörige eines ausländischen Staates, der hierin keine Gegenseitigkeit verbürgt, soweit sie die Priorität einer ausländischen Anmeldung in Anspruch nehmen.

(1) Das Prozessgericht kann nach seinem Ermessen die wiederholte Vernehmung eines Zeugen anordnen.

(2) Hat ein beauftragter oder ersuchter Richter bei der Vernehmung die Stellung der von einer Partei angeregten Frage verweigert, so kann das Prozessgericht die nachträgliche Vernehmung des Zeugen über diese Frage anordnen.

(3) Bei der wiederholten oder der nachträglichen Vernehmung kann der Richter statt der nochmaligen Beeidigung den Zeugen die Richtigkeit seiner Aussage unter Berufung auf den früher geleisteten Eid versichern lassen.

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.

5
1. a) Grundsätzlich steht es zwar im Ermessen des Berufungsgerichts , ob es einen in erster Instanz vernommenen Zeugen erneut ver- nehmen will. Dieses Ermessen unterliegt indessen Einschränkungen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es erforderlich , Zeugen erneut zu vernehmen, wenn das Berufungsgericht protokollierte Aussagen anders als die Vorinstanz verstehen oder werten will (BGHZ 158, 269, 272 f.; Senatsbeschluss vom 5. April 2006 - IV ZR 253/05 - VersR 2006, 949 unter 1; BGH, Urteile vom 17. Dezember 2002 - XI ZR 290/01 - BGH-Report 2003, 453 unter II 1 a; vom 22. Mai 2002 - VIII ZR 337/00 - NJW-RR 2002, 1500 unter II 1; vom 16. Oktober 1997 - IX ZR 10/97 - NJW 1998, 385 unter II 1 c; vom 30. September 1992 - VIII ZR 196/91 - NJW 1993, 64 unter II 2 a). Hat das erstinstanzliche Gericht über streitige Äußerungen und die Umstände, unter denen sie gemacht worden sind, Zeugen vernommen und ist es aufgrund einer Würdigung der Aussage zu einem bestimmten Ergebnis gekommen, so kann das Berufungsgericht diese Auslegung nicht ohne weiteres verwerfen und zum gegenteiligen Ergebnis kommen, ohne zuvor die Zeugen gemäß § 398 Abs. 1 ZPO selbst vernommen zu haben (Senatsurteil vom 5. April 2006 aaO). Zwar ist es dem Berufungsgericht nicht grundsätzlich verwehrt, die Aussage des erstinstanzlich vernommenen Zeugen ohne dessen wiederholte Vernehmung entgegen der Würdigung des Erstrichters für nicht zur Beweisführung ausreichend zu erachten. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sich nicht auch insoweit die Pflicht zur erneuten Vernehmung aus Zweifeln über die Vollständigkeit und Richtigkeit der protokollierten Aussage gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ergibt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 257/03 Verkündet am:
12. März 2004
W i l m s,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
ZPO (2002) § 529 Abs. 1 Nr. 1
Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen
des erstinstanzlichen Gerichts begründen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern
ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen
sind.
ZPO (2002) § 529 Abs. 1
Ist eine Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht geboten, so beurteilt sich die
Frage, ob und inwieweit das Berufungsgericht zu einer Wiederholung der erstinstanzlichen
Beweisaufnahme verpflichtet ist, nach denselben Grundsätzen wie aus der Zeit vor Geltung
des Zivilprozeßreformgesetzes.
ZPO (2002) § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3
Wird in der Berufungsbegründung gerügt, das erstinstanzliche Gericht habe Parteivorbringen
übergangen, so ist eine genaue Bezeichnung unter Angabe der Fundstelle in den
Schriftsätzen der Vorinstanz nicht erforderlich.
ZPO (2002) § 529 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1
Auch bei einem Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts obliegt dem Berufungsgericht
nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO die tatsächliche Inhaltskontrolle
des erstinstanzlichen Urteils ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge.
Für schriftsätzlich angekündigtes Vorbringen kommt dem Urteilstatbestand keine negative
Beweiskraft zu.
BGH, Urt. v. 12. März 2004 - V ZR 257/03 - OLG Frankfurt am Main
LG Frankfurt am Main
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. März 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
Dr. Wenzel, die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Gaier und die Richterin
Dr. Stresemann

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 6. August 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte war von der Stadt O. beauftragt, auf einem ehemaligen Kasernengelände gelegene Grundstücke und Wohnungen zu vermarkten. Mit notariellem Vertrag vom 8. Juli 1999 verkaufte sie eine durch Ausbau des Dachgeschosses eines Hauses noch zu errichtende Wohnung zum Preis von 444.000 DM an die Klägerin.
Dem Vertragsschluß vorausgegangen waren Verhandlungen zwischen einer Mitarbeiterin der Beklagten, der Zeugin Dr. L. , und der Klägerin, die von ihrem Bekannten, dem Zeugen Rechtsanwalt W. , begleitet wur-
de. Nach den Behauptungen der Klägerin erklärte Dr. L. während der Verhandlungen, auf dem der künftigen Dachgeschoßwohnung gegenüber liegenden Grundstück der Beklagten solle ein lediglich zweigeschossiges Gebäude errichtet werden, so daß die Sicht aus der Wohnung auf den Taunus uneingeschränkt erhalten bleibe. Tatsächlich war bereits zu diesem Zeitpunkt der - zwischenzeitlich begonnene - Bau eines viergeschossigen Wohn- und Geschäftshauses durch einen Investor geplant, wovon die Klägerin erst nach Bezug der Wohnung Kenntnis erhielt. Die mehr als zweigeschossige Nachbarbebauung , so hat die Klägerin behauptet, habe zu einem um 20 % geminderten Wert der Wohnung geführt.
Sie verlangt daher Schadensersatz in Höhe von 20 % des Kaufpreises sowie entsprechend geminderter Erwerbskosten und nimmt die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung von 47.613,80 Landgericht hat die Klage nach Vernehmung des Zeugen W. und der Zeugin Dr. L. über den Inhalt der Vertragsverhandlungen abgewiesen. Mit ihrer Berufung hat sich die Klägerin gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts gewandt und insbesondere gerügt, daß das Landgericht die Zeugen nicht gehört habe, die sie zur Erschütterung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin Dr. L. benannt habe. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:


I.


Das Berufungsgericht hält die Klage auf der Grundlage der in erster Instanz getroffenen Feststellungen für unbegründet. Die von der Klägerin behaupteten Falschangaben der Zeugin Dr. L. zur zweigeschossigen Bebauung des gegenüberliegenden Grundstücks seien nicht bewiesen. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen, die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erneute Feststellungen in der Berufungsinstanz gebieten könnten, habe die Klägerin nicht aufgezeigt. Die von dem Eingangsgericht vorgenommene Beweiswürdigung unterliege zwar gewissen Zweifeln, sei im Ergebnis jedoch zutreffend. Soweit die Klägerin das Übergehen erstinstanzlicher Beweisanträge gerügt habe, betreffe dies einen nicht von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel , der gemäß § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründen könne, wenn er nach Maßgabe des § 520 Abs. 3 ZPO in der Berufungsbegründung ordnungsgemäß geltend gemacht worden sei. Diesen Anforderungen entspreche die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge nicht, weil es an einer konkreten Bezeichnung der angebotenen Zeugen und der Angabe des genauen Aktenfundorts der jeweiligen Beweisangebote fehle.
Dies hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

II.


1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ansatz des Berufungsgerichts. Für den Fall, daß - wie die Klägerin behauptet - die für die Beklagte handelnde Zeugin Dr. L. im Rahmen der Vertragsverhandlungen unzutreffende Angaben zu der geplanten Bebauung des gegenüberliegenden Grundstücks gemacht haben sollte, wären die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsschluß erfüllt (vgl. Senat, Urt. v. 20. September 1996, V ZR 173/95, NJW-RR 1997, 144, 145; Urt. v. 26. September 1997, V ZR 29/96, NJW 1998, 302). Die Gewährleistungsvorschriften des hier weiterhin anwendbaren früheren Rechts (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB) sind nicht einschlägig und stehen mithin einer Haftung der Beklagten wegen Verschuldens bei Vertragsschluß nicht entgegen. Der Umstand, daß der gegenwärtige oder zukünftige Eigentümer eines benachbarten Grundstücks zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht den Willen hat, dieses entsprechend den baurechtlichen Möglichkeiten zu bebauen, stellt keine Eigenschaft des veräußerten Objekts, deren Fehlen als Sachmangel qualifiziert werden könnte (BGH, Urt. v. 14. Januar 1993, IX ZR 206/91, NJW 1993, 1323, 1324).
2. Hingegen rügt die Revision mit Erfolg, daß das Berufungsgericht erneute Feststellungen zu dem zwischen den Parteien streitigen Inhalt der Vertragsverhandlungen unter Verletzung des Verfahrensrechts abgelehnt hat. Auch nach neuem Recht unterliegen Berufungsurteile auf entsprechende Verfahrensrüge hinsichtlich der vollständigen Berücksichtigung des Streitstoffs und der Beweisangebote der Überprüfung durch das Revisionsgericht (MünchKomm -ZPO/Wenzel, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 546 Rdn. 15). Dies führt vorliegend zu dem Ergebnis, daß sich konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an
der Vollständigkeit des von dem Eingangsgericht zugrunde gelegten Sachverhalts , die nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO erneute Feststellungen des Berufungsgerichts gebieten, sowohl aus Fehlern der Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Urteil (a), als auch aus dem Übergehen erstinstanzlichen Vorbringens der Klägerin (b) ergeben.

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO ist das Berufungsgericht an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, S. 100; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901; Stackmann , NJW 2003, 169, 171).
aa) Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind (Hannich /Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 529 Rdn. 21; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rdn. 8). Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urt. v. 11. Februar 1987, IVb ZR 23/86, NJW 1987, 1557, 1558; Senat, Urt. v. 9. Juli 1999, V ZR 12/98, NJW 1999, 3481, 3482). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt unter anderem dann vor,
wenn Umständen Indizwirkungen zuerkannt werden, die sie nicht haben können , oder wenn die Ambivalenz von Indiztatsachen nicht erkannt wird (BGH, Urt. v. 22. Januar 1991, VI ZR 97/90, NJW 1991, 1894, 1895; Urt. v. 23. Januar 1997, I ZR 29/94, NJW 1997, 2757, 2759).
(1) Hieran gemessen ist die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil zumindest insoweit fehlerhaft, als es um die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen W. geht. Dessen Bekundungen hat das Gericht erster Instanz vor allem deshalb für unglaubhaft gehalten, weil der Zeuge die angebliche Zusicherung der Zeugin Dr. L. , das gegenüberliegende Grundstück werde nur zweigeschossig bebaut, nicht überprüft und sich insbesondere bei der Stadt O. nicht nach dem Bestand und dem Inhalt eines etwaigen Bebauungsplans erkundigt habe. Diesem Umstand kommt indes die ihm vom Gericht zuerkannte Indizwirkung nicht zu. Es ist nicht ersichtlich , aus welchem Grund für den Zeugen W. , der an den Vertragsverhandlungen nicht als beauftragter Rechtsanwalt, sondern allein wegen seiner Bekanntschaft mit der Klägerin teilgenommen hatte, Anlaß bestehen konnte, Erkundigungen zu den Äußerungen der Zeugin Dr. L. einzuholen. Zudem ist das herangezogene Indiz auch auf Grund seiner Ambivalenz nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen W. in Frage zu stellen. Selbst für die Klägerin gab es nämlich keine Veranlassung, die von der Zeugin Dr. L. erteilten Auskünfte zu überprüfen, wenn sie auf deren Richtigkeit vertraute. Daß die Angaben der Zeugin einen für den Vertragswillen der Klägerin bedeutsamen Punkt betrafen, steht dieser Möglichkeit nicht entgegen. Das Unterbleiben von Nachforschungen läßt deshalb nicht ohne weiteres darauf schließen, daß die Zeugin Dr. L. eine zweigeschossige Nachbarbebauung nicht zugesagt hat. Vielmehr läßt dieser Umstand auch den
Schluß zu, die Klägerin habe sich ebenso wie der Zeuge W. auf eine derartige Zusage verlassen. (2) Geht das Eingangsgericht - wie hier - auf Grund einer fehlerhaften Beweiswürdigung von der Nichterweislichkeit einer entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung aus, so bestehen konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit der getroffenen Feststellungen (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 13, § 529 Rdn. 35). Hierbei genügt es, wenn nur ein tragendes Element der erstinstanzlichen Beweiswürdigung in seiner Aussagekraft geschmälert wird (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 529 Rdn. 32), weil bereits dann die Unrichtigkeit oder Lückenhaftigkeit der getroffenen Feststellungen als Folge der konkreten Anhaltspunkte nicht ausgeschlossen werden kann (Rimmelspacher , NJW 2002, 1897, 1902). So liegt der Fall auch hier. Ausweislich seiner Ausführungen zur Beweiswürdigung ist das erstinstanzliche Gericht nur deshalb zu dem Ergebnis der Nichterweislichkeit unzutreffender Angaben der Zeugin Dr. L. gelangt, weil es Anlaß gesehen hat, an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen W. zumindest zu zweifeln. Können diese Bedenken ausgeräumt werden, so ist es möglich, daß der Tatrichter die Aussage des Zeugen W. als glaubhaft ansieht. Da die Beweiswürdigung dann auch zu einem anderen Ergebnis führen kann, besteht die nicht nur theoretische Möglichkeit eines anderen Beweisergebnisses. In solcher Situation sind erneute oder auch erstmalige (Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 12) neue Tatsachenfeststellungen durch das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO geboten (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 14/6036, S. 123; Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 529 Rdn. 36; MünchKomm -ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 529 Rdn. 24; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 11).
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts läßt sich weder das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte noch die Erforderlichkeit erneuter Feststellungen mit der Erwägung verneinen, das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweiswürdigung unterliege zwar "gewissen Zweifeln", sei aber aus anderen Gründen richtig. Zu dieser Schlußfolgerung konnte das Berufungsgericht nur auf Grund einer eigenständigen Würdigung der in erster Instanz erhobenen Beweise gelangen. Dies stellt jedoch, worauf die Revision zutreffend hinweist, der Sache nach eine erneute Tatsachenfeststellung dar, die aber nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte und das Gebotensein nochmaliger Feststellungen gerade voraussetzt.
cc) Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht deshalb als richtig dar (§ 561 ZPO), weil das Berufungsgericht die Voraussetzungen einer nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO gebotenen erneuten Tatsachenfeststellung zwar - fehlerhaft - verneint, eine solche aber doch vorgenommen hat. Die Tatsachenfeststellung in dem Berufungsurteil leidet nämlich ebenfalls an einem Verfahrensmangel und kann deshalb keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht stützt seine Auffassung, die von der Klägerin behauptete Zusicherung einer zweigeschossigen Bebauung des Nachbargrundstücks sei nicht erwiesen , darauf, daß beide Zeugen ein persönliches Interesse am Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits hätten. Damit stellt das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Frage, was - wie die Revision zu Recht rügt - nur auf Grund deren nochmaliger Vernehmung zulässig gewesen wäre, nachdem das erstinstanzliche Gericht beide Zeugen als glaubwürdig angesehen hat. Es hat sich mit der fehlenden Glaubwürdigkeit der Zeugen W. und Dr. L. nur insoweit befaßt, als es angesichts der sich widersprechenden Aussagen erwogen hat, einer von beiden Zeugen müsse gelogen haben. Zu
einer Aufklärung hat sich das erstinstanzliche Gericht jedoch außer Stande gesehen, seine Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit daher nicht weiterverfolgt und seine weiteren Ausführungen auf die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen beschränkt. Die Frage, ob und inwieweit das Berufungsgericht zu einer Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme verpflichtet ist, wenn die Voraussetzungen für eine erneute Tatsachenfeststellung vorliegen, beantwortet sich nach den von der Rechtsprechung zum bisherigen Recht entwickelten Grundsätzen (Musielak/Huber, aaO, § 398 Rdn. 5; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 13). Es verbleibt mithin dabei, daß das Berufungsgericht bei pflichtgemäßer Ausübung des ihm durch §§ 525 Satz 1, 398 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals vernehmen muß, wenn es dessen Glaubwürdigkeit abweichend vom Erstrichter beurteilen will (vgl. BGH, Urt. v. 29. Oktober 1996, VI ZR 262/95, NJW 1997, 466; Urt. v. 10. März 1998, VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222, 2223 m.w.N.).

b) Zweifel an der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ergeben sich zudem daraus, daß das Eingangsgericht die unter Beweis gestellte Behauptung der Klägerin nicht berücksichtigt hat, die Zeugin Dr. L. habe auch anderen Interessenten eine lediglich zweigeschossige Bebauung des Nachbargrundstücks zugesagt. Träfe diese Behauptung zu, so wäre sie geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin Dr. L. , sie habe die Klägerin ebenso wie alle übrigen Interessenten auf die geplante viergeschossige Bebauung hingewiesen, in Frage zu stellen. Besteht mithin unter Zugrundelegung der von der Klägerin behaupteten Tatsache zumindest die Möglichkeit eines anderen Beweisergebnisses, so ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO eine erneute Tatsachenfeststellung geboten. Entgegen der Auf-
fassung des Berufungsgerichts ist hierfür eine den formalen Anforderungen des Revisionsrechts genügende Berufungsrüge selbst dann nicht Voraussetzung , wenn - wie hier - zugleich auch ein Verfahrensfehler des Erstrichters vorliegt. Insoweit stellt das Berufungsgericht, was die Revision mit Erfolg geltend macht, zum einen zu hohe Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit einer Verfahrensrüge gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO (aa) und verkennt zum anderen auch die Bedeutung des § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO (bb).
aa) Das Berufungsgericht überspannt die inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung, soweit es die Ordnungsmäßigkeit der von der Klägerin gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO erhobenen Berufungsrüge mit der Begründung verneint, es fehle an der erforderlichen namentlichen Benennung der in erster Instanz angebotenen Zeugen und an der Angabe des Aktenfundorts der jeweiligen Beweisangebote.
(1) Wendet sich der Berufungskläger - wie hier - gegen die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil, so greift er, gestützt auf den Berufungsgrund des § 513 Abs. 1 Alt. 2 ZPO, die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen mit dem Ziel einer erneuten Feststellung durch das Berufungsgericht an. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Berufung muß er deshalb gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO die Voraussetzungen darlegen, unter denen nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO die Bindung des Berufungsgerichts an die vom Eingangsgericht getroffenen Feststellungen entfällt (BGH, Beschl. v. 28. Mai 2003, XII ZB 165/02, NJW 2003, 2531, 2532). Dies hat die Klägerin bereits dadurch getan, daß sie die Feststellungen des Erstrichters unter Hinweis auf ein bereits in erster Instanz vorgelegtes Beschwerdeschreiben mehrerer Wohnungseigentümer angegriffen und ihre Behauptung wiederholt hat, die Zeugin Dr.
L. habe auch anderen Interessenten eine lediglich zweigeschossige Be- bauung des Nachbargrundstücks zugesagt. Da dieses Vorbringen die Glaubhaftigkeit der inhaltlich widersprechenden Aussage der Zeugin in Frage stellen kann und in dem mit der Berufung angefochtenen Urteil nicht berücksichtigt worden ist, sind nach der Berufungsbegründung konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an den erstinstanzlich getroffenen Feststellungen mit der Folge gegeben , daß das Berufungsgericht insoweit nicht mehr gebunden ist. Auf die von der Klägerin angebotenen Zeugen wäre es erst angekommen, wenn die vom Berufungsgericht vorzunehmende Prüfung ergeben hätte, daß die Behauptung der Klägerin von der Beklagten wirksam bestritten worden war.
(2) Nichts anderes folgt aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, falls diese Regelung für Angriffe gegen Tatsachenfeststellungen auf Grund von Verfahrensfehlern - zusätzlich - anwendbar sein sollte (befürwortend Fellner, MDR 2003, 721, 722; ablehnend MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 520 Rdn. 40). Hieraus ergeben sich im Ergebnis keine weitergehenden Anforderungen an den notwendigen Inhalt der Berufungsbegründung. Die ohnehin erforderliche Darlegung der in § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO bestimmten Voraussetzungen reicht nämlich im Falle eines Verfahrensmangels auch für die nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO gebotene Darlegung einer entscheidungskausalen Rechtsverletzung aus. Insbesondere muß der Berufungskläger zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des geltend gemachten Verfahrensfehlers lediglich aufzeigen, daß das Eingangsgericht ohne den Verfahrensverstoß möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre (Musielak /Ball, aaO, § 520 Rdn. 33).
(3) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lassen sich strengere formale Anforderungen an die Berufungsbegründung nicht daraus herleiten, daß ein Revisionskläger, der gemäß § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 lit. b ZPO ein verfahrensfehlerhaftes Übergehen von Tatsachenbehauptungen oder Beweisangeboten rügen will, diese unter Angabe der Fundstelle in den Schriftsätzen der Vorinstanzen genau bezeichnen muß (vgl. dazu BGHZ 14, 205, 209 f; BAG, ZIP 1983, 605, 606; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 554 Rdn. 13; MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 551 Rdn. 21; Musielak/Ball, aaO, § 551 Rdn. 11). Dieses revisionsrechtliche Erfordernis ist auf das Berufungsverfahren nicht übertragbar (a.A. Musielak/Ball, aaO, § 520 Rdn. 32; Ball, WuM 2002, 296, 299; wohl auch Stackmann, NJW 2003, 169, 171 f). Es findet seine Rechtfertigung in der durch § 559 Abs. 1 ZPO allein für das Revisionsverfahren angeordneten Beschränkung des Prozeßstoffs. Danach kann aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll nicht ersichtliches Parteivorbringen nur über eine Nichtberücksichtigungsrüge zur Beurteilungsgrundlage des Revisionsgerichts werden (vgl. MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 559 Rdn. 3, 7). Diese Rüge muß so konkret sein, daß keine Zweifel an dem vom Revisionsgericht zugrunde zu legenden Tatsachenstoff verbleiben. Das Berufungsverfahren kennt hingegen keine § 559 Abs. 1 ZPO vergleichbare Bestimmung. Eine entsprechende Anwendung der revisionsrechtlichen Regelung scheitert an den unterschiedlichen Funktionen der Rechtsmittel (Gaier, NJW 2004, 110, 111; a.A. Grunsky, NJW 2002, 800, 801; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901). Anders als im Revisionsverfahren ist das angefochtene Urteil nicht nur auf Rechtsfehler hin zu überprüfen, vielmehr gehört es gemäß § 513 Abs. 1 ZPO zu den Aufgaben der Berufung, das Urteil der Vorinstanz auch auf konkrete Anhaltspunkte für Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit und Vollständigkeit der getroffenen Tatsachenfeststellungen zu prüfen und etwaige Fehler zu beseiti-
gen (Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, S. 64; Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 1, 7, 12 f). Fehlt es mithin an einer begrenzenden Regelung, so gelangt mit einem zulässigen Rechtsmittel grundsätzlich der gesamte - wie noch auszuführen sein wird, aus den Akten ersichtliche - Prozeßstoff der ersten Instanz ohne weiteres in die Berufungsinstanz (Barth, NJW 2002, 1702, 1703; Gaier, NJW 2004, 110, 112). Damit steht auch der von dem Berufungsgericht zu berücksichtigende Tatsachenstoff fest, weshalb es einer Nichtberücksichtigungsrüge und der für sie geltenden formalen Anforderungen nicht bedarf. bb) Zudem hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, daß die ihm nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO obliegende Kontrolle der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des erstinstanzlichen Urteils im Fall eines - wie hier - zulässigen Rechtsmittels ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge besteht.
(1) Eine Bindung des Berufungsgerichts an solche Zweifel begründende Umstände, die in der Berufungsbegründung dargelegt sind, folgt insbesondere nicht aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO. Danach müssen zwar konkrete Anhaltspunkte im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO in der Berufungsbegründung bezeichnet werden. Auf solche Umstände wird die Überprüfung durch das Berufungsgericht allerdings nicht beschränkt, sondern lediglich eine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels geregelt (§ 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Notwendigkeit einer Rüge läßt sich dem Wortlaut anderer Gesetzesvorschriften ebensowenig entnehmen. Sie entspricht auch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Nach den Gesetzesmaterialien hat das Berufungsgericht Zweifeln an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen selbst dann nachzugehen, wenn es sie unabhängig vom Partei-
vortrag auf Grund lediglich bei ihm gerichtskundiger Tatsachen gewonnen hat (Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses , BT-Drucks. 14/4722, S. 100). Damit kann und muß das Berufungsgericht erst recht konkrete Anhaltspunkte berücksichtigen, die ihre Grundlage im erstinstanzlichen Vorbringen der Parteien haben, auch wenn das Übergehen dieses Vortrags von dem Berufungskläger nicht zum Gegenstand einer Berufungsrüge gemacht worden ist (Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 529 Rdn. 12). Bemerkt das Berufungsgericht etwa anläßlich der Prüfung sonstiger Berufungsrügen, daß das Eingangsgericht eine für die Beweiswürdigung bedeutsame Tatsache oder ein erhebliches Beweisangebot übergangen hat, dann bestehen auch ohne dahingehende Rüge konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen, die das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichten (a.A. Rimmelspacher, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, 2003, S. 11, 16).
(2) Dem steht nicht entgegen, daß das erstinstanzliche Gericht hier Parteivorbringen übergangen hat und darin ein Verfahrensfehler in Gestalt der Versagung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder des Verstoßes gegen § 286 Abs. 1 ZPO (vgl. BGH, Urt. v. 15. März 2000, VIII ZR 31/99, NJW 2000, 2024, 2026) zu sehen ist. Zwar prüft das Berufungsgericht einen Mangel des Verfahrens - soweit er nicht von Amts wegen berücksichtigt werden muß - gemäß § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann, wenn er gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO in der Berufungsbegründung gerügt worden ist. Hierdurch wird jedoch die durch § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO geregelte tatsächliche Inhaltskontrolle des Berufungsgerichts entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 520 Rdn. 53, § 529
Rdn. 14, 38; ders., NJW 2002, 1897, 1902; ders., NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, aaO, S. 11, 15; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 9, 23; Hinz, NZM 2001, 601, 605; Gehrlein, MDR 2003, 421, 428) nicht eingeschränkt (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 8, § 529 Rdn. 27, 43; Zöller/Gummer/Heßler, aaO, § 529 Rdn. 12; Vorwerk, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, aaO, S. 4, 6; Gaier, NJW 2004, 110, 112). Von der Aufgabe des Berufungsgerichts, konkreten Anhaltspunkten ungeachtet einer Berufungsrüge nachzugehen, macht das Gesetz keine Ausnahme, wenn sich - was ohnehin die weitaus praktischste Fallgestaltung darstellen dürfte - konkrete Anhaltspunkte im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO aus Verfahrensfehlern des Erstrichters bei der Feststellung des Sachverhalts ergeben. Dies zeigt sich an der Systematik des § 529 ZPO, der mit seinen Absätzen klar zwischen den Aufgaben des Berufungsgerichts bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht trennt (Hannich /Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 8, § 529 Rdn. 27, 43). Für die tatsächliche Inhaltskontrolle ist ausschließlich § 529 Abs. 1 ZPO maßgebend, eine Vermischung mit der in § 529 Abs. 2 ZPO geregelten Rechtsfehlerkontrolle darf mithin selbst dann nicht stattfinden, wenn die fehlerhaften Tatsachenfeststellungen im erstinstanzlichen Urteil auf einem Verfahrensmangel beruhen.
(3) Das Berufungsgericht ist an der Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens nicht deshalb gehindert gewesen, weil dieser Vortrag weder durch eine Darstellung im Tatbestand noch durch eine § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO genügende Bezugnahme (vgl. BGH, Urt. v. 18. Februar 1954, IV ZR 126/53, LM § 295 ZPO Nr. 9) in dem erstinstanzlichen Urteil Erwähnung gefunden hat.
Die auf § 314 ZPO gestützte Annahme, daß nicht erwähnte Angriffsund Verteidigungsmittel, auch tatsächlich unterblieben sind (negative Beweiskraft des Tatbestandes), wäre nur dann gerechtfertigt, wenn das Parteivorbringen in dem Urteilstatbestand vollständig wiedergegeben werden müßte. Nur dann könnte nämlich von dem Fehlen einer Darstellung auf das Fehlen entsprechenden Vortrags geschlossen werden. Eine vollständige Wiedergabe des Parteivorbringens kann aber nicht mehr zu den Funktionen des Urteilstatbestandes zählen, nachdem sich das Gesetz in § 313 Abs. 2 ZPO mit einer "knappen" Darstellung nur des "wesentlichen Inhalts" der vorgebrachten Angriffs - und Verteidigungsmittel begnügt (MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 559 Rdn. 7; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 7, § 559 Rdn. 17; ders., in Festschrift für Geiß, 2000, S. 3, 20; Fischer, DRiZ 1994, 461, 462 f; Crückeberg, MDR 2003, 199, 200; Gaier, NJW 2004, 110, 111; Rixecker, NJW 2004, 705, 708; a.A. Rimmelspacher, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, aaO, S. 11, 13). Dies hängt eng zusammen mit der Aufgabe der ursprünglichen Konzeption des Zivilprozesses als eines rein mündlichen Verfahrens, nach der mündlicher Vortrag weder durch ein Verlesen noch durch eine Bezugnahme auf Schriftsätze ersetzt werden konnte (§ 128 Abs. 3 Satz 1 CPO 1877/§ 137 Abs. 3 Satz 1 CPO 1900). Wurde hiernach ausschließlich das mündlich Vorgetragene zum Prozeßstoff, so konnte dieser nicht durch den Inhalt der Schriftsätze , sondern allein durch den - tunlichst vollständigen - Urteilstatbestand nachgewiesen werden. Insbesondere seit der gänzlichen Aufgabe des Bezugnahmeverbots durch die Neufassung des § 137 Abs. 3 Satz 1 ZPO (RGBl. I 1924, 135) stehen indessen die vorbereitenden Schriftsätze ebenfalls zum Nachweis des Parteivorbringens zur Verfügung. Da mit der Antragstellung und der mündlichen Verhandlung im Zweifel eine Bezugnahme der Parteien auf den Inhalt der zur Vorbereitung vorgelegten Schriftstücke verbunden ist (BGH,
Urt. v. 28. November 2001, IV ZR 309/00, NJW-RR 2002, 381 m.w.N.), ergibt sich der Prozeßstoff auch aus dem Inhalt der Gerichtsakten. Der Bundesgerichtshof hat bereits vor dem Hintergrund dieser Überlegung - wenn auch ohne ausdrückliche Aufgabe der Rechtsprechung zur negativen Beweiskraft - auf entsprechende Revisionsrüge Vorbringen berücksichtigt, das im Tatbestand nicht erwähnt war (BGH, Urt. v. 16. Juni 1992, XI ZR 166/91, NJW 1992, 2148, 2149; Urt. v. 7. Dezember 1995, III ZR 141/93, NJW-RR 1996, 379; vgl. auch Urt. v. 28. November 2001, IV ZR 309/00, aaO). Allein mit dem Hinweis auf die negative Beweiskraft des Urteilstatbestandes kann mithin Parteivorbringen, das sich aus den vorbereitenden Schriftsätzen ergibt, in den Rechtsmittelverfahren nicht unberücksichtigt bleiben. Hingegen bleibt die negative Beweiskraft für solche Angriffs- und Verteidigungsmittel von Bedeutung, die in der mündlichen Verhandlung ohne vorherige Ankündigung in einem vorbereitenden Schriftsatz vorgebracht werden (Ball, in Festschrift für Geiß, 2000, S. 3, 20). Allerdings hat die Rechtsprechung bisher dem Urteilstatbestand auf Grund des § 314 ZPO auch negative Beweiskraft hinsichtlich des mündlichen Parteivorbringens beigelegt. Danach soll der Tatbestand nicht nur Beweis dafür erbringen, daß das, was in ihm als Parteivortrag wiedergegeben wird, tatsächlich vorgetragen worden ist, sondern auch beweisen, daß von den Parteien nichts behauptet worden ist, was nicht aus dem Tatbestand ersichtlich ist (Senat, Urt. v. 25. Mai 1984, V ZR 199/82, NJW 1984, 2463, insoweit in BGHZ 91, 282 nicht abgedruckt; BGH, Urt. v. 27. Mai 1981, IVa ZR 55/80, NJW 1981, 1848; Urt. v. 3. November 1982, IVa ZR 39/81, NJW 1983, 885, 886 m.w.N.; Urt. v. 16. Mai 1990, IV ZR 64/89, NJW-RR 1990, 1269). Dieser bereits vom Reichsgericht (RGZ 4, 418, 420; RG, JW 1887, 38; 1896, 72; 1897, 52, 53) vertretenen Auffassung ist das Bundesverwaltungsgericht beigetreten (BVerwG, Beschl. v. 13. April 1989, 1 B 21/89 m.w.N.). Gleichwohl bedarf es
hier weder einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen (§ 132 GVG) noch an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (§ 2 RsprEinhG). Beide Vorlagen setzen voraus, daß die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage für die Entscheidung des konkreten Falles nach Auffassung des vorlegenden Senats erforderlich wird, das vorlegende Gericht also bei Befolgung der abweichenden Ansicht zu einem anderen Ergebnis gelangen würde (BGH, Beschl. v. 15. Februar 2000, XI ZR 10/98, NJW 2000, 1185 zu § 132 GVG; GmS-OGB, BGHZ 88, 353, 357 zu § 2 RsprEinhG). An diesem Erfordernis fehlt es; denn das angefochtene Urteil ist bereits deshalb aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sich konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit des zugrunde gelegten Sachverhalts aus den bereits erörterten Fehlern der Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil ergeben.

III.


Nach alledem war die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird zunächst die gebotenen Feststellungen zum Inhalt der geführten Vertragsverhandlungen nachholen müssen. Sollte danach von dem Vorliegen der Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs auszugehen sein, wären weitergehende Feststellungen zur Schadenshöhe erforderlich. Da die Klägerin an dem geschlossenen Vertrag festhalten will, wäre als ersatzfähiger Schaden der Betrag anzusetzen, um den die Klägerin die Dachgeschoßwohnung im Vertrauen auf
die Richtigkeit der Angaben der Zeugin Dr. L. zu teuer erworben hat (vgl. Senat, Urt. v. 6. April 2001, V ZR 394/99, NJW 2001, 2875, 2877 m.w.N.).
Wenzel Krüger Klein Gaier RiBGH Dr. Stresemann ist infolge Urlaubsabwesenheit gehindert, zu unterschreiben. Wenzel

(1) Die Beweisaufnahme erfolgt vor dem Prozessgericht. Sie ist nur in den durch dieses Gesetz bestimmten Fällen einem Mitglied des Prozessgerichts oder einem anderen Gericht zu übertragen.

(2) Eine Anfechtung des Beschlusses, durch den die eine oder die andere Art der Beweisaufnahme angeordnet wird, findet nicht statt.

(1) Die Wirkung des Patents tritt gegen den nicht ein, der zur Zeit der Anmeldung bereits im Inland die Erfindung in Benutzung genommen oder die dazu erforderlichen Veranstaltungen getroffen hatte. Dieser ist befugt, die Erfindung für die Bedürfnisse seines eigenen Betriebs in eigenen oder fremden Werkstätten auszunutzen. Die Befugnis kann nur zusammen mit dem Betrieb vererbt oder veräußert werden. Hat der Anmelder oder sein Rechtsvorgänger die Erfindung vor der Anmeldung anderen mitgeteilt und sich dabei seine Rechte für den Fall der Patenterteilung vorbehalten, so kann sich der, welcher die Erfindung infolge der Mitteilung erfahren hat, nicht auf Maßnahmen nach Satz 1 berufen, die er innerhalb von sechs Monaten nach der Mitteilung getroffen hat.

(2) Steht dem Patentinhaber ein Prioritätsrecht zu, so ist an Stelle der in Absatz 1 bezeichneten Anmeldung die frühere Anmeldung maßgebend. Dies gilt jedoch nicht für Angehörige eines ausländischen Staates, der hierin keine Gegenseitigkeit verbürgt, soweit sie die Priorität einer ausländischen Anmeldung in Anspruch nehmen.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.