Bundesgerichtshof Urteil, 13. Okt. 2017 - V ZR 305/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. Oktober 2017 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland und die Richter Dr. Kazele und Dr. Hamdorf
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. In einem Vorprozess wurde der in der Gemeinschaftsordnung geregelte Kostenverteilungsschlüssel von dem Landgericht als unwirksam angesehen. Daraufhin ließen einige Miteigentümer eine Vereinbarung notariell beurkunden, mit der der Umlageschlüssel geändert werden sollte, darüber hinaus aber auch die Regelungen der Teilungserklärung zu Sondernutzungsrechten, Instandhaltungspflichten und zur Art der Nutzung des Wohnungs- und Teileigentums sowie die Regelung in der Gemeinschaftsordnung über den Verwalter. Diese Vereinbarung wurde den übrigen Miteigentümern zur Kenntnis gegeben mit der Aufforderung , ihr in notarieller Form zuzustimmen.
- 2
- In der Eigentümerversammlung vom 28. Juli 2015 wurde unter dem Ta- gesordnungspunkt „Gerichtliche Durchsetzung der Unterschrift des Miteigentü- mers G. [= der Kläger] zur Änderung der Teilungserklärung“ folgender Beschluss gefasst: „Die Hausverwaltung wird beauftragt und ermächtigt, außergerichtlich und nötigenfalls gerichtlich, die noch fehlenden Zustimmungen der Eigentümer im Namen der Wohnungseigentümergemeinschaft einzuholen und durchzusetzen. […]“
- 3
- Das Amtsgericht hat die von dem Kläger hiergegen erhobene Anfechtungsklage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht die Nichtigkeit des Beschlusses festgestellt. Mit ihrer von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, möchten die Beklagten die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen.
Entscheidungsgründe:
I.
- 4
- Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in ZMR 2017, 91 ff. abgedruckt ist, hält den Beschluss für nichtig, weil es der Eigentümerversammlung an der Beschlusskompetenz fehle. Die beabsichtigte Verfolgung des Anspruchs einzelner Eigentümer auf Änderung der Gemeinschaftsordnung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG durch den Verband unterfalle weder seiner geborenen noch seiner gekorenen Wahrnehmungskompetenz. Es sei in jedem Fall Voraussetzung für eine Verbandszuständigkeit, dass die verfolgten Ansprüche in dem Gemeinschaftseigentum wurzelten. Die bezweckte Änderung der Gemein- schaftsordnung betreffe das Gemeinschaftseigentum aber nur zufällig und allenfalls mittelbar. Primär sei der Anspruch gemäß § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG auf Änderung der Grundlagenvereinbarung zwischen den Eigentümern gerichtet. Er basiere nicht auf dem dinglichen Recht am Eigentum, sondern stelle sich als Ausfluss des Rechts auf Teilhabe dar, das seinen Ursprung im Innenverhältnis der Eigentümer untereinander habe. Es handle sich um einen höchstpersönlichen Individualanspruch, der nicht vergemeinschaftet werden könne.
II.
- 5
- Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht nimmt zu Recht an, dass der angefochtene Beschluss wegen fehlender Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer nichtig ist.
- 6
- 1. Nach § 23 Abs. 1 WEG werden durch Beschlussfassung solche Angelegenheiten geordnet, über die nach dem Wohnungseigentumsgesetz oder nach einer Vereinbarung die Wohnungseigentümer durch Beschluss entscheiden können. Anderenfalls bedarf es einer Vereinbarung. Ist eine Angelegenheit weder durch das Wohnungseigentumsgesetz noch durch Vereinbarung der Beschlussfassung unterworfen, fehlt es der Wohnungseigentümerversammlung an der Beschlusskompetenz und ist ein dennoch gefasster Beschluss aufgrund absoluter Unzuständigkeit nichtig (vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 2000 - V ZB 58/99, BGHZ 145, 158, 166 f.).
- 7
- 2. Durch den angefochtenen Beschluss wird die Hausverwaltung beauftragt und ermächtigt, im Namen der Eigentümergemeinschaft außergerichtlich, notfalls aber auch gerichtlich, die Zustimmung einzelner Eigentümer zu einer Änderung der Teilungserklärung einzuholen und durchzusetzen. Das Berufungsgericht versteht diesen Beschluss dahin, dass eine alleinige Ausübungsbefugnis des Verbandes für die Individualansprüche der Wohnungseigentümer aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG auf Abschluss der Änderungsvereinbarung begründet werden sollte. Diese - nach objektivem Maßstab vorzunehmende - Auslegung ist nicht zu beanstanden (vgl. Senat, Urteil vom 10. Juli 2015 - V ZR 169/14, NJW 2016, 53 Rn. 5) und wird auch von der Revision nicht angegriffen.
- 8
- 3. Als Kompetenzgrundlage für den Beschluss kommt allein § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG in Betracht; dessen Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Für den Individualanspruch des Wohnungseigentümers aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG kann eine Ausübungsbefugnis des Verbandes nicht begründet werden.
- 9
- a) Nach § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG übt die Wohnungseigentümergemeinschaft die gemeinschaftsbezogenen Rechte der Wohnungseigentümer aus und nimmt die gemeinschaftsbezogenen Pflichten der Wohnungseigentümer wahr, ebenso sonstige Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer, soweit diese gemeinschaftlich geltend gemacht werden können oder zu erfüllen sind. Diese Regelung bezieht sich nur auf Rechte und Pflichten aus der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums, nicht aber auf das Sondereigentum der einzelnen Wohnungseigentümer oder deren individuelle Mitgliedschaftsrechte (vgl. BeckOK WEG/Dötsch, [01.10.2017], § 10 Rn. 559; BeckOGK/Falkner, [01.11.2017], WEG § 10 Rn. 481; Bärmann/Suilmann, 13. Aufl., WEG § 10 Rn. 239).
- 10
- § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG gewährt hingegen dem einzelnen Wohnungseigentümer einen Anspruch auf Abänderung der Grundlagenvereinbarung der Wohnungseigentümergemeinschaft, soweit ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint. Dieser Änderungsanspruch bezieht sich nicht auf das Gemeinschaftseigentum und dessen Verwaltung, sondern ausschließlich auf die inhaltliche Ausgestaltung des Gemeinschaftsverhältnisses (vgl. Senat, Urteil vom 11. Mai 2012 - V ZR 189/11, NJW-RR 2012, 1036 Rn. 8); er ist damit schon seiner Art nach von § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG nicht erfasst.
- 11
- § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG betrifft zudem den Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte der Wohnungseigentümer, der der Vergemeinschaftung von vornherein entzogen ist. Zweck der Regelung ist die Beseitigung unbilliger Härten bei dem die Änderung verlangenden Wohnungseigentümer, die diesem bei einem Festhalten an der bisherigen Regelung entstünden (vgl. Senat, Urteil vom 11. Juni 2010 - V ZR 174/09, BGHZ 186, 34 Rn. 19 sowie Versäumnisurteil vom 13. Mai 2016 - V ZR 152/15, NZM 2016, 727 Rn. 11). Folglich dient der Änderungsanspruch gerade dem individuellen Schutz des Einzelnen im Innenverhältnis der Wohnungseigentümer. Dieses individualschützende Recht würde zur Disposition der Mehrheit gestellt, wenn die Wohnungseigentümer den Änderungsanspruch des Einzelnen dem Verband nach § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG zur Ausübung übertragen könnten (vgl. BeckOK WEG/Dötsch, [01.10.2017], § 10 Rn. 295; aA wohl nur Kreuzer in Köhler, Anwaltshandbuch Wohnungseigentumsrecht , 3. Aufl., Teil 3 Rn. 30a). Denn ein auf dieser Grundlage gefasster Übertragungsbeschluss hätte zur Folge, dass der einzelne Wohnungseigentümer seinen Anspruch nicht mehr selbst geltend machen könnte (vgl. zu dieser Rechtsfolge der Vergemeinschaftung eines Anspruchs Senat, Urteil vom 5. Dezember 2014 - V ZR 5/14, BGHZ 203, 327 Rn. 8 ff.). Der Schutzzweck des § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG erfordert es aber, dass der einzelne Wohnungseigentümer selbst darüber entscheiden kann, ob und mit welchem Inhalt er seinen Anspruch auf Änderung einer für ihn unbilligen Regelung Gemeinschaftsordnung geltend macht.
- 12
- b) An dieser rechtlichen Einordnung des Änderungsanspruchs ändert sich auch dann nichts, wenn dieser ausnahmsweise nicht von dem einzelnen Wohnungseigentümer gegenüber der Mehrheit geltend gemacht wird,sondern - wie hier - alle bis auf einen Wohnungseigentümer die Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung in einem bestimmten inhaltlichen Sinne ändern möchten. Abgesehen davon, dass höchst zweifelhaft ist, ob die hier beabsichtigten Änderungen in ihrer Gesamtheit Inhalt des Individualanspruchs aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG sein können, bleibt es den die Änderung betreibenden Wohnungseigentümern unbenommen, ihre tatsächlichen oder vermeintlichen individuellen Änderungsansprüche gegen den Kläger zu verfolgen. Entgegen der Ansicht der Revision entstehen in einer solchen Situation auch keine unüberwindbaren praktischen und rechtlichen Probleme. Der Gefahr sich widersprechender gerichtlicher Entscheidungen können die der Änderung zustimmenden Wohnungseigentümer ohne weiteres dadurch begegnen, dass sie gemeinsam klagen oder sich darauf verständigen, dass nur einer von ihnen seinen Anspruch gerichtlich gegen den Wohnungseigentümer durchsetzt, der die Zustimmung zu der gewünschten Änderung verweigert.
- 13
- c) Nichts anderes folgt schließlich aus dem von der Revision angeführten Urteil des Senats vom 5. Dezember 2014 (V ZR 5/14, BGHZ 203, 327 Rn. 6 f.). Dort ging es nicht um den Individualanspruch aus § 10 Abs. 2 Satz 3 WEG, sondern um Unterlassungsansprüche nach § 15 Abs. 3 WEG.
III.
- 14
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Kazele Hamdorf
Vorinstanzen:
AG Nürnberg, Entscheidung vom 24.02.2016 - 28 C 7279/15 WEG -
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 28.09.2016 - 14 S 2471/16 WEG -
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Annotations
(1) Das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander und zur Gemeinschaft der Wohnungseigentümer bestimmt sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes und, soweit dieses Gesetz keine besonderen Bestimmungen enthält, nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Gemeinschaft. Die Wohnungseigentümer können von den Vorschriften dieses Gesetzes abweichende Vereinbarungen treffen, soweit nicht etwas anderes ausdrücklich bestimmt ist.
(2) Jeder Wohnungseigentümer kann eine vom Gesetz abweichende Vereinbarung oder die Anpassung einer Vereinbarung verlangen, soweit ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint.
(3) Vereinbarungen, durch die die Wohnungseigentümer ihr Verhältnis untereinander in Ergänzung oder Abweichung von Vorschriften dieses Gesetzes regeln, die Abänderung oder Aufhebung solcher Vereinbarungen sowie Beschlüsse, die aufgrund einer Vereinbarung gefasst werden, wirken gegen den Sondernachfolger eines Wohnungseigentümers nur, wenn sie als Inhalt des Sondereigentums im Grundbuch eingetragen sind. Im Übrigen bedürfen Beschlüsse zu ihrer Wirksamkeit gegen den Sondernachfolger eines Wohnungseigentümers nicht der Eintragung in das Grundbuch.
(1) Angelegenheiten, über die nach diesem Gesetz oder nach einer Vereinbarung der Wohnungseigentümer die Wohnungseigentümer durch Beschluss entscheiden können, werden durch Beschlussfassung in einer Versammlung der Wohnungseigentümer geordnet. Die Wohnungseigentümer können beschließen, dass Wohnungseigentümer an der Versammlung auch ohne Anwesenheit an deren Ort teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können.
(2) Zur Gültigkeit eines Beschlusses ist erforderlich, dass der Gegenstand bei der Einberufung bezeichnet ist.
(3) Auch ohne Versammlung ist ein Beschluss gültig, wenn alle Wohnungseigentümer ihre Zustimmung zu diesem Beschluss in Textform erklären. Die Wohnungseigentümer können beschließen, dass für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt.
(4) Ein Beschluss, der gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet werden kann, ist nichtig. Im Übrigen ist ein Beschluss gültig, solange er nicht durch rechtskräftiges Urteil für ungültig erklärt ist.
(1) Das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander und zur Gemeinschaft der Wohnungseigentümer bestimmt sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes und, soweit dieses Gesetz keine besonderen Bestimmungen enthält, nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Gemeinschaft. Die Wohnungseigentümer können von den Vorschriften dieses Gesetzes abweichende Vereinbarungen treffen, soweit nicht etwas anderes ausdrücklich bestimmt ist.
(2) Jeder Wohnungseigentümer kann eine vom Gesetz abweichende Vereinbarung oder die Anpassung einer Vereinbarung verlangen, soweit ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint.
(3) Vereinbarungen, durch die die Wohnungseigentümer ihr Verhältnis untereinander in Ergänzung oder Abweichung von Vorschriften dieses Gesetzes regeln, die Abänderung oder Aufhebung solcher Vereinbarungen sowie Beschlüsse, die aufgrund einer Vereinbarung gefasst werden, wirken gegen den Sondernachfolger eines Wohnungseigentümers nur, wenn sie als Inhalt des Sondereigentums im Grundbuch eingetragen sind. Im Übrigen bedürfen Beschlüsse zu ihrer Wirksamkeit gegen den Sondernachfolger eines Wohnungseigentümers nicht der Eintragung in das Grundbuch.
Wer Wohnungseigentum gebraucht, ohne Wohnungseigentümer zu sein, hat gegenüber der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und anderen Wohnungseigentümern zu dulden:
- 1.
die Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums und des Sondereigentums, die ihm rechtzeitig angekündigt wurde; § 555a Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt entsprechend; - 2.
Maßnahmen, die über die Erhaltung hinausgehen, die spätestens drei Monate vor ihrem Beginn in Textform angekündigt wurden; § 555c Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 und 2, Absatz 2 bis 4 und § 555d Absatz 2 bis 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten entsprechend.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)