Bundesgerichtshof Urteil, 13. Mai 2016 - V ZR 225/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. Mai 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland, den Richter Kazele und die Richterin Haberkamp
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Beklagten sind Erbbauberechtigte an einem im Eigentum des Klägers stehenden Grundstück. Zur Höhe des Erbbauzinses findet sich in dem Erbbaurechtsbestellungsvertrag vom 5. März 1970 u.a. folgende Regelung: "Alle fünf Jahre, beginnend mit der erstmaligen Zahlung des Erbbauzinses wird der Erbbauzins für die folgenden fünf Jahre neu festgesetzt, wenn sich der Lebenshaltungsindex für alle privaten Haushalte in der Bundesrepublik gegenüber dem Stand vor jeweils fünf Jahren um mehr als zehn Punkte nach oben oder unten geändert hat. Die Neufestsetzung des Erbbauzinses erfolgt im gleichen Verhältnis, in dem sich dieser Lebenshaltungskostenindex gegenüber dem jeweils maßgeblichen Stand geändert hat. (…) Diejenige Vertragspartei, die aufgrund dieser Vereinbarung die Neufestsetzung des Erbbauzinses verlangt, muss dies jeweils vier Wochen vor Ablauf der Fünfjahresfrist der anderen Partei mitteilen. Einfache schriftliche Mitteilung genügt. Erfolgt innerhalb dieser Vierwochenfrist von keiner Partei eine entsprechende Mitteilung, so kann die nächste Neufestsetzung des Erbbauzinses erst wieder nach Ablauf von weiteren fünf Jahren beantragt werden. (…)"
- 2
- Zuletzt wurde der Erbbauzins am 13. Januar 1995 auf einen Betrag von umgerechnet 963,94 € erhöht. Im Oktober 2014 verlangte der Kläger ab dem 1. Januar 2015 einen jährlichen Erbbauzins in Höhe von 1.299,39 €. Der (umbasierte ) Verbraucherindex betrug im Juli 1994 79,4 Punkte und im Juli 2014 107,0 Punkte, so dass sich für diesen Zeitraum eine Steigerung um 34,8 % ergibt.
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- Das Amtsgericht hat der auf Verurteilung zur zukünftigen Zahlung des erhöhten Erbbauzinses gerichteten Klage stattgegeben. Das Landgericht hat sie abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision will der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
- 4
- Nach Ansicht des Berufungsgerichts kann der Kläger eine Anpassung des Erbbauzinses nicht verlangen. Der Wortlaut der Anpassungsklausel sei eindeutig, so dass für eine Auslegung kein Raum sei. Sie lasse eine Erhöhung des Erbbauzinses nur dann zu, wenn der Lebenshaltungskostenindex für alle privaten Haushalte in den letzten fünf Jahren vor dem Anpassungsverlangen um mindestens zehn Punkte gestiegen sei, woran es fehle. Auch die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage führten nicht zu einer Anpassung des Erbbauzinses.
II.
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- Die Revision ist wegen der Bindung des Senats an die Zulassung durch das Berufungsgericht (§ 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO) statthaft; sie ist auch im Übrigen zulässig. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet.
- 6
- 1. Im Ergebnis zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, der Kläger könne auf Grundlage der im Erbbaurechtsbestellungsvertrag vereinbarten Anpassungsklausel die Zahlung eines erhöhten Erbbauzinses nicht verlangen, weil es an den danach notwendigen Voraussetzungen für eine Erhöhung fehle.
- 7
- a) Soweit das Berufungsgericht die Anpassungsklausel unter Verweis auf ihren eindeutigen Wortlaut für nicht auslegungsbedürftig hält, ist dies allerdings rechtsfehlerhaft.
- 8
- Ob eine vertragliche Regelung schon wegen ihres eindeutigen Wortlauts nicht auslegungsbedürftig ist, ist eine Rechtsfrage (§§ 133, 157 BGB), die der Prüfung des Revisionsgerichts (§ 546 ZPO) unterliegt (Senat, Urteil vom 10. Februar 1960 - V ZR 39/58, BGHZ 32, 60, 63; BGH, Urteil vom 8. Dezember 1982 - IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41, 47). In diesem Zusammenhang kann die grundsätzliche Frage offenbleiben, ob eine vertragliche Regelung nach Wortlaut und Zweck einen derart eindeutigen und zweifelsfreien Inhalt haben kann, dass für eine Auslegung kein Raum bleibt (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 5. Juli 2002 - V ZR 143/01, NJW 2002, 3164, 3165; BGH, Urteil vom 10. Oktober 1957 - VII ZR 419/56, BGHZ 25, 318, 319; Beschluss vom 13. Dezember 2006 - XII ZB 71/04, NJW 2007, 1460 Rn. 10), oder sich die Feststellung, ob eine Erklärung eindeutig ist oder nicht, gerade erst durch eine alle Umstände berücksichtigende Auslegung treffen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2001 - XII ZR 281/99, NJW 2002, 1260, 1261; BGH, Beschluss vom 9. April 1981 - IVa ZB 6/80, BGHZ 80, 246, 249 f.; MüKoBGB/Busche, BGB, 7. Aufl., § 133 Rn. 53). Die von dem Berufungsgericht angenommene Eindeutigkeit des Wortlauts der vertraglichen Regelung ist jedenfalls nicht gegeben.
- 9
- Der Wortlaut legt zwar nahe, dass eine Anpassung nur möglich sein soll, wenn der Lebenshaltungskostenindex in den letzten fünf Jahren vor dem Anpassungsverlangen um mindestens zehn Punkte gestiegen ist. Zwingend ist das aber nicht. Die Revision weist zutreffend darauf hin, die Klausel könne auch dahin verstanden werden, dass die Frist von fünf Jahren nur den Zeitraum festlege , nach dessen Ablauf ein erneutes Anpassungsverlangen frühestens möglich sei. Wenn es in der Klausel weiter heiße, dass eine Neufestsetzung bei einer Veränderung des Lebenshaltungskostenindex für alle privaten Haushalte in der Bundesrepublik "gegenüber dem Stand vor jeweils fünf Jahren" von über 10 Punkten zu erfolgen habe, könne dies auch dahingehend ausgelegt werden, dass auf die Veränderung seit der letzten Anpassung abgestellt werde. Der Zeitraum von fünf Jahren steht bei diesem Verständnis als Synonym für die letzte Anpassung. Eine solche Auslegung ist mit dem Wortlaut durchaus noch vereinbar. Sie wäre auch nicht fernliegend; die Klausel würde es dem Eigentümer dann ermöglichen, den Erbbauzins auch an eine schleichende Erhöhung der Lebenshaltungskosten anzupassen.
- 10
- Das Berufungsurteil kann daher mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Da weitere tatsächliche Feststellungen zu maßgeblichem Auslegungsstoff nicht zu erwarten sind, kann der Senat die Klausel selbst auslegen (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 4. Mai 1990 - V ZR 21/89, BGHZ 111, 214, 217 mwN).
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- b) Die Auslegung der Anpassungsklausel ergibt, dass kein Anspruch auf Erhöhung des Erbbauzinses besteht.
- 12
- aa) Nach dem Wortlaut der Klausel ist für eine Anpassung des Erbbauzinses erforderlich, dass sich der Lebenshaltungskostenindex für alle privaten Haushalte gegenüber dem Stand von vor jeweils fünf Jahren um mehr als zehn Punkte nach oben oder unten geändert hat. Bezugspunkt für die Prüfung, ob die maßgebliche Änderung der Lebenshaltungskosten eingetreten ist, ist danach der Indexstand vor fünf Jahren. Gegen die Annahme der Revision, gemeint sei der Indexstand zum Zeitpunkt der letzten Anpassung, die mindestens fünf Jahre zurückliegen müsse, spricht entscheidend die weitere Regelung, dass das Anpassungsverlangen innerhalb von vier Wochen vor Ablauf der Fünfjahresfrist der anderen Partei mitgeteilt werden muss. Wird diese Frist nicht gewahrt , kann die nächste Anpassung erst wieder nach weiteren fünf Jahren beantragt werden, wobei dann wieder neu zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen der Anpassungsklausel vorliegen. Dies verdeutlicht, dass die Parteien den zeitlichen Intervallen von fünf Jahren mit den Bezugspunkten der jeweiligen Indexstände zu Beginn und zum Ende des jeweiligen Zeitraums eine entscheidende Bedeutung beigemessen haben.
- 13
- bb) Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich daraus auch ein stimmiges Gesamtkonzept der Anpassungsklausel. Dieses besteht darin, nur wesentliche Veränderungen der Lebenshaltungskosten zur Anpassung des Erbbauzinses ausreichen zu lassen, wobei die Wesentlichkeitsschwelle erst dann erreicht ist, wenn der Lebenshaltungskostenindex in einem bestimmten Ausmaß steigt oder sinkt und hierfür nicht länger als fünf Jahre benötigt. Das Risiko , dass sich die Lebenshaltungskosten lediglich schleichend verändern, so dass unter Umständen für einen längeren Zeitraum keine Anpassung stattfinden kann, ist nach der gewählten Formulierung bewusst in Kauf genommen und von beiden Seiten gleichermaßen zu tragen. Daher verstößt ein Verständnis der Anpassungsklausel, wonach die Veränderung des Indexstandes nach dem Ablauf von jeweils fünf Jahren für die Frage einer Veränderung des Erbbauzinses maßgebend ist, auch nicht gegen den Grundsatz einer beiderseits interessengerechten Vertragsauslegung.
- 14
- cc) Begleitumstände, aus denen darauf geschlossen werden könnte, dass die Parteien der Klausel das von ihr für richtig gehaltene Verständnis beigelegt haben, zeigt die Revision nicht auf. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trägt die Partei, die sich auf außerhalb der Urkunde liegende Umstände - sei es zum Nachweis eines vom Urkundentext abweichenden übereinstimmenden Willens der Beteiligten, sei es zum Zwecke der Deutung des Inhalts des Beurkundeten aus der Sicht des Erklärungsempfängers (§§ 133, 157 BGB) - beruft, die Darlegungs- und Beweislast für deren Vorliegen (vgl. Senat, Urteil vom 5. Juli 2002 - V ZR 143/01, NJW 2002, 3164, 3165 mwN).
- 15
- dd) Auch aus dem Inhalt des notariellen Vertrages vom 13. Januar 1995, mit dem zuletzt der Erbbauzins erhöht wurde, ergibt sich keine andere Beurteilung. Unabhängig davon, dass sich aus ihm nur dann Rückschlüsse auf den tatsächlichen Willen der Parteien des Erbbaurechtsvertrages ziehen ließen (vgl. zu dieser Möglichkeit Senat, Urteil vom 24. Juni 1988 - V ZR 49/87, NJW 1988, 2878, 2879), wenn diese mit den Parteien des Vertrages von 1995 identisch wären (vgl. Senat, Urteil vom 19. April 1999 - V ZR 37/98, NZM 1999, 677), enthält die Erbbauzinserhöhungsvereinbarung vom 13. Januar 1995 keine von der im Erbbaurechtsbestellungsvertrag getroffenen Vereinbarung abweichende Regelung der Anpassungsvoraussetzungen. Soweit für die Berechnung des Erhöhungsbetrages auf den Indexstand sechs Monate vor letztmaliger Anpassung abgestellt wurde, ist dies darauf zurückzuführen, dass die vorhergehende Anpassung ihrerseits vor fünf Jahren erfolgte.
- 16
- c) Vor diesem Hintergrund kann auch keine planwidrige vertragliche Regelungslücke festgestellt werden, die eine ergänzende Vertragsauslegung (§ 157 BGB) erforderlich machte (vgl. zu diesem Erfordernis nur Senat, Urteil vom 23. Mai 2014 - V ZR 208/12, NJW 2014, 3439 Rn. 8; Urteil vom 12. Oktober 2012 - V ZR 222/11, NJW-RR 2013, 494 Rn. 9 jeweils mwN).
- 17
- 2. Schließlich weist das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler darauf hin, dass die Zahlung eines erhöhten Erbbauzinses auch nicht nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage verlangt werden kann. Die diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichts entsprechen der Rechtsprechung des Senats. Danach besteht ein Anspruch auf Erhöhung des Erbbauzinses nur, wenn die Lebenshaltungskosten seit dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt um mehr als 150 % gestiegen sind (Senat, Urteil vom 18. September 1992 - V ZR 116/91, BGHZ 119, 220, 222; Urteil vom 18. November 2011 - V ZR 31/11, BGHZ 191, 336 Rn. 19). Diese Schwelle ist nach den - von der Revision nicht angegriffenen - Feststellungen des Berufungsgerichts nicht erreicht.
III.
- 18
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Stresemann Brückner Weinland Kazele Haberkamp
AG Hof, Entscheidung vom 18.05.2015 - 17 C 156/15 -
LG Hof, Entscheidung vom 17.09.2015 - 24 S 36/15 -
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Annotations
Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.
Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.
Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)