Bundesgerichtshof Urteil, 3. März 2022 - IX ZR 53/19
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Amtliche Leitsätze
1. Die insolvenzrechtliche Überschuldung ist ein eigenständiges Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und den Vollbeweis für die Kenntnis des Anfechtungsgegners von diesem Vorsatz.
2. Die Stärke des Beweisanzeichens hängt davon ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Überschuldung den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erwarten lässt und wann der Eintritt bevorsteht.
3. Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Umstände, aus denen die insolvenzrechtliche Überschuldung des Schuldners folgt, trägt im Insolvenzanfechtungsprozess grundsätzlich der Insolvenzverwalter.
4. Die im Rahmen des Besteuerungsverfahrens erfolgende Übermittlung eines Jahresabschlusses, dem sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag entnehmen lässt, löst keine Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit der Finanzverwaltung im Blick auf eine mögliche insolvenzrechtliche Überschuldung aus.
BUNDESGERICHTSHOF
Urteil vom 03.03.2022 - IX ZR 53/19
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 21. Februar 2019 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 16. August 2013 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Die Schuldnerin wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 4. Februar 2010 mit einem Stammkapital von 25.000 € gegründet. Gegenstand des Unternehmens der Schuldnerin war der Betrieb eines ambulanten Pflegedienstes. Der Jahresabschluss der Schuldnerin für das erste Geschäftsjahr wies zum 31. Dezember 2010 einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von 205.473,78 € und damit eine handelsbilanzielle Überschuldung aus. In dem darauffolgenden Jahresabschluss zum 31. Dezember 2011 war der Fehlbetrag auf 431.382,11 € angestiegen. Zu der angestiegenen handelsbilanziellen Überschuldung trugen Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern in Höhe von 420.000 € maßgeblich bei.
Die Schuldnerin reichte die Jahresabschlüsse zusammen mit ihren Jahressteuererklärungen bei der Veranlagungsstelle der Beklagten ein. Am 15. Januar, 14. und 15. Februar 2013 zog die Einzugsstelle der Beklagten Steuerverbindlichkeiten der Schuldnerin in Höhe von insgesamt 20.792,43 € per Lastschrift ein. Das Zahlungsverhalten der Schuldnerin gegenüber der Beklagten war bis zu diesen Zeitpunkten ohne Beanstandung. Mit Ausnahme der beiden Jahresabschlüsse gab es aus Sicht der Beklagten auch sonst keinen Anhaltspunkt für wirtschaftliche Schwierigkeiten der Schuldnerin.
Unter dem Gesichtspunkt der Vorsatzanfechtung verlangt der Kläger von der Beklagten Rückgewähr der per Lastschrift eingezogenen 20.792,43 €. Er ist der Ansicht, der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin und die Kenntnis der Beklagten von diesem Vorsatz ließen sich aus der den Jahresabschlüssen zu entnehmenden handelsbilanziellen Überschuldung der Schuldnerin ableiten. Jahresabschlüsse, die wiederholt und ansteigend nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge in Höhe eines Vielfachen des Stammkapitals auswiesen und aus denen sich keine Anhaltspunkte für nennenswerte stille Reserven ergäben, vermittelten die Kenntnis von der insolvenzrechtlichen Überschuldung im Sinne des § 19 InsO. Eine andere Beurteilung komme nur in Betracht, wenn sich aus dem Jahresabschluss ergebe, dass eine Fortführung des Unternehmens im Sinne von § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO in der gebotenen Weise geprüft und bejaht worden sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Senat zur Fortbildung des Rechts zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klageziel weiter.
Gründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die Schuldnerin mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt habe. Dem Landgericht sei darin zuzustimmen, dass die Beklagte einen etwaigen Vorsatz der Schuldnerin nicht gekannt habe. Eine solche Kenntnis sei auch nicht gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO zu vermuten. Das Zahlungsverhalten der Schuldnerin gegenüber der Beklagten sei beanstandungslos gewesen. Eine etwaige Überschuldung sei das einzige Indiz für eine möglicherweise gegebene (drohende) Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gewesen. Die Beklagte habe nicht auf Grundlage der Jahresabschlüsse für die Jahre 2010 und 2011 eine zwingende Kenntnis von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin haben müssen.
II.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Prüfung im Ergebnis stand. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO in der auf den Streitfall anwendbaren, bis zum 4. April 2017 geltenden Fassung jedenfalls daran scheitert, dass die Beklagte einen möglichen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin nicht kannte. Weitere Anfechtungstatbestände scheiden von vornherein aus.
1. Mit Recht weist die Revision allerdings darauf hin, dass sich das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Kenntnis der Beklagten von einem Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin nicht auf die Frage einer erkannten (drohenden) Zahlungsunfähigkeit beschränken durfte.
a) Die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners ist ebenso wie der Benachteiligungsvorsatz selbst eine innere, dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche Tatsache. Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung können daher in aller Regel nur mittelbar aus objektiven (Hilfs-)Tatsachen hergeleitet werden (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2016 - IX ZR 188/15, ZIP 2016, 1686 Rn. 12; vom 6. Mai 2021 - IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 Rn. 11; st. Rspr.).
Es ist Aufgabe des Tatrichters, die ihm unterbreiteten Hilfstatsachen auf der Grundlage des Gesamtergebnisses der mündlichen Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme umfassend und widerspruchsfrei zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2016, aaO). Dabei hat er die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den für und gegen den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis von diesem sprechenden Beweisanzeichen zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021, aaO Rn. 12).
b) Zu den Beweisanzeichen, die für die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO sprechen, zählen nicht nur die erkannte drohende (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2022 - IX ZR 78/20, zVb in BGHZ Rn. 54) oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 2021, aaO Rn. 30 ff). Auch die Gewährung einer inkongruenten Deckung bei finanziell beengten Verhältnissen kann für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und für die Kenntnis des Anfechtungsgegners von diesem Vorsatz sprechen (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2020 - IX ZR 174/19, ZInsO 2020, 2274 Rn. 18, 20 ff). Weitere Beweisanzeichen, die für eine Annahme der subjektiven Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO streiten, sind eine durch die angefochtene Rechtshandlung bewirkte unmittelbare Gläubigerbenachteiligung oder die Übertragung des letzten werthaltigen Gegenstands auf einen - womöglich nahestehenden - Dritten (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2020, aaO Rn. 18, 38 ff). Auch die Gewährung eines Sondervorteils für den Fall der Insolvenz spricht für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis von diesem (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2017 - IX ZR 288/14, BGHZ 216, 136 Rn. 53).
Der Katalog der vom Bundesgerichtshof herausgebildeten Beweisanzeichen ist nicht abschließend. Weitere für die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung sprechende Umstände sind denkbar und vom Tatrichter in die in jedem Einzelfall vorzunehmende Gesamtwürdigung einzubeziehen. Dabei verbietet sich eine schematische Betrachtung (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2020, aaO Rn. 17; st. Rspr.). Die in Betracht kommenden Beweisanzeichen betreffen zum einen die wirtschaftliche Lage des Schuldners im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung. Erkennt ein Schuldner, dass er aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage nicht mehr alle seine Gläubiger wird befriedigen können, kann die Erfüllung einzelner Gläubigerforderungen mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz vorgenommen sein. Es ist aber nicht nur die wirtschaftliche Lage des Schuldners in den Blick zu nehmen. Auch Art und Weise der angefochtenen Rechtshandlung können für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz im Sinne des § 133 Abs. 1 InsO sprechen. Insbesondere zu Vermögensverschiebungen, die zur Benachteiligung der Gläubigergesamtheit vorgenommen werden, kann es bereits im Vorfeld einer wirtschaftlichen Krise kommen (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2021 - IX ZR 266/19, ZInsO 2021, 1454 Rn. 18 f). Deshalb hat der Tatrichter neben den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners auch die Umstände in seine Würdigung einzubeziehen, unter denen die angefochtene Rechtshandlung vorgenommen worden ist. Zu diesen Umständen zählen etwa die Gewährung einer inkongruenten Deckung, die Bewirkung einer unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung und die Übertragung von Vermögensgegenständen an nahestehende Dritte.
Die Umstände, unter denen die angefochtene Rechtshandlung vorgenommen worden ist, können die Annahme der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung für sich genommen rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2021, aaO). Gleiches gilt für die wirtschaftliche Lage des Schuldners. Die Krise kann erkanntermaßen derart fortgeschritten gewesen sein, dass allein darauf eine im Sinne des § 286 ZPO hinreichende Überzeugung vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und von der Kenntnis des Anfechtungsgegners von diesem Vorsatz gestützt werden kann. Die notwendige Überzeugung kann sich aber auch erst in einer Zusammenschau der wirtschaftlichen Lage und der Umstände ergeben, unter denen die angefochtene Rechtshandlung vorgenommen worden ist. Der Tatrichter darf deshalb seine Würdigung nicht auf die wirtschaftliche Lage des Schuldners beschränken, erst recht nicht auf eine (drohende) Zahlungsunfähigkeit.
c) Mit Recht beruft sich die Revision darauf, dass auch eine Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO zu den Umständen gehört, die in die Gesamtwürdigung aller für und gegen den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis von diesem sprechende Umstände einzubeziehen sind. Der entscheidende Grund dafür ist die negative Fortführungsprognose, welche den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlich macht.
Die insolvenzrechtliche Überschuldung ist nicht nur deshalb zu berücksichtigen, weil der insolvenzrechtlich überschuldete Schuldner in vielen Fällen zugleich drohend zahlungsunfähig im Sinne des § 18 Abs. 2 InsO ist (vgl. MünchKomm-InsO/Drukarczyk, 4. Aufl., § 18 Rn. 89; Brinkmann, NZI 2019, 921, 922 f; Piekenbrock, NZI-Beilage 1/2019, 47 f). Die Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO ist nicht nur Hinweis auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit (so MünchKomm-InsO/Kayser/Freudenberg, 4. Aufl. § 133 Rn. 24e; Schäfer in Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung, 3. Aufl., § 133 F 79; vgl. auch BGH, Urteil vom 13. Mai 2004 - IX ZR 190/03, NZI 2005, 692, 693), sondern ein eigenständiges Beweisanzeichen für die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO.
Die Stärke des Beweisanzeichens entspricht allerdings weitgehend dem der drohenden Zahlungsunfähigkeit (vgl. dazu BGH, Urteil vom 6. Mai 2021 - IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 Rn. 39 f; vom 3. März 2022 - IX ZR 78/20, zVb in BGHZ Rn. 54 ff, 101 ff). Daran ändert nichts, dass aus der insolvenzrechtlichen Überschuldung, anders als im Falle der drohenden Zahlungsunfähigkeit, eine Insolvenzantragspflicht erwächst (vgl. § 15a InsO). Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Beurteilung der Überzeugungskraft des Beweisanzeichens sind sowohl im Falle der drohenden Zahlungsunfähigkeit als auch im Blick auf die Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit und die zeitliche Nähe ihres Eintritts.
aa) Ist der Schuldner drohend zahlungsunfähig, ist überwiegend wahrscheinlich, dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb des Prognosezeitraums seine bestehenden und dann fälligen Verbindlichkeiten nicht wird erfüllen können (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - IX ZR 93/11, ZInsO 2014, 77 Rn. 10). Die überwiegende Wahrscheinlichkeit ist Mindestvoraussetzung für die drohende Zahlungsunfähigkeit, der spätere Eintritt der Zahlungsunfähigkeit kann auch wahrscheinlicher sein oder sogar sicher bevorstehen. Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit beeinflusst die Stärke des Beweisanzeichens. Entsprechendes gilt für den Zeitraum bis zum drohenden Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Steht der sichere Eintritt der Zahlungsunfähigkeit unmittelbar bevor, kann es für den Benachteiligungsvorsatz sprechen, wenn der Schuldner sich bewusst ist, dass er kurzfristig einen Insolvenzantrag stellen wird und er gleichwohl Gläubiger in der verbleibenden Zeit bis zum ohnehin beabsichtigten Insolvenzantrag gezielt befriedigt (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2022 - IX ZR 78/20, zVb in BGHZ Rn. 55 f). Steht der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nicht sicher oder nicht unmittelbar bevor, bedarf es anderer zusätzlicher Umstände, um den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz zu begründen. Diese können etwa in dem vom Schuldner erkannten Eintritt einer unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung liegen oder darin, dass der Schuldner das Sanierungsrisiko mit einem untauglichen Sanierungsversuch bewusst den künftigen Insolvenzgläubigern auferlegt (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2022, aaO Rn. 103 ff).
bb) Ähnlich ist es im Falle der Überschuldung nach § 19 Abs. 2 InsO. Ein Rechtsträger, der insolvenzrechtlich überschuldet ist, verfügt nicht über ausreichend Vermögen, um seine bestehenden Verbindlichkeiten zu decken. Überdies ist die Fortführung seines Unternehmens bis zum Ende des Prognosezeitraums nicht überwiegend wahrscheinlich. Die negative Fortführungsprognose macht den späteren Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlich. Der spätere Eintritt der Zahlungsunfähigkeit kann auch wahrscheinlicher sein oder sicher bevorstehen. Insoweit unterscheidet sich die Lage nicht von der drohenden Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 18 Abs. 2 InsO. Gleiches gilt für den Zeitraum bis zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Die Zahlungsunfähigkeit kann unmittelbar bevorstehen oder erst am Ende des Prognosezeitraums eintreten. Vor diesem Hintergrund gilt für die Stärke des Beweisanzeichens der insolvenzrechtlichen Überschuldung nichts anderes als für die drohende Zahlungsunfähigkeit. Es bedarf daher zusätzlicher, in der Art und Weise der Rechtshandlung liegender Umstände, um den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners zu begründen.
Das Beweisanzeichen der erkannten insolvenzrechtlichen Überschuldung ist nicht deshalb stärker, weil die Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO gemäß § 15a InsO eine Pflicht zum Insolvenzantrag begründet. Der Senat hat mit Urteil vom 3. März 2020 (IX ZR 78/20, zVb in BGHZ Rn. 27 ff) entschieden, dass weder die aus § 15a InsO folgende Insolvenzantragspflicht noch das § 15b InsO zu entnehmende Zahlungsverbot darüber bestimmen, ob der Schuldner im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt hat. Für die erkannte insolvenzrechtliche Überschuldung gilt dies entsprechend.
2. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob auf Seiten der Schuldnerin mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt worden ist. Davon ist revisionsrechtlich auszugehen.
3. Im Ergebnis mit Recht hat das Berufungsgericht erkannt, dass die Beklagte den (unterstellten) Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin nicht kannte.
a) Die Kenntnis von einer möglichen insolvenzrechtlichen Überschuldung der Schuldnerin folgt entgegen der Ansicht der Revision nicht daraus, dass auf Seiten der Beklagten die Jahresabschlüsse der im Februar 2010 gegründeten Schuldnerin zum 31. Dezember 2010 und 31. Dezember 2011 vorlagen, die nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge von 205.473,78 € (Geschäftsjahr 2010) und 431.382,11 € (Geschäftsjahr 2011) auswiesen. Allein aus der ansteigenden, zuletzt für den 31. Dezember 2011 festgestellten handelsbilanziellen Überschuldung lässt sich entgegen der Ansicht des Klägers nicht auf die Kenntnis der Beklagten vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin in den nach § 140 InsO maßgeblichen Zeitpunkten der angefochtenen Lastschriftzahlungen vom 15. Januar, 14. und 15. Februar 2013 in Höhe von insgesamt 20.792,43 € schließen.
aa) Für die Annahme einer Überschuldung im Sinne des § 19 InsO fehlt es an einer § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO entsprechenden gesetzlichen Vermutung. Will der nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtende Insolvenzverwalter den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz oder die Kenntnis von diesem auf eine insolvenzrechtliche Überschuldung stützen, muss er deshalb deren Eintritt im Grundsatz voll beweisen. Das gilt auch für die negative Fortführungsprognose. Der insoweit für eine abweichende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast streitende Wortlaut des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO steht dem nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber damit eine Beweislastregelung für den Insolvenzanfechtungsprozess treffen wollte. Die Rückkehr zum zweigliedrigen Überschuldungsbegriff beruht auf dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz vom 17. Oktober 2008 (BGBl. I, S. 1982). Damit sollte das aus Sicht des Gesetzgebers ökonomisch unbefriedigende Ergebnis vermieden werden, dass auch Unternehmen, bei denen die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie weiterhin erfolgreich am Markt operieren können, zwingend ein Insolvenzverfahren zu durchlaufen haben (BT-Drucks. 16/10600, S. 13). Zu Fragen der Beweislast äußern sich die Materialien nicht - erst recht nicht zur Beweislastverteilung im Insolvenzanfechtungsprozess.
bb) Der nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtende Insolvenzverwalter muss daher im Ausgangspunkt sowohl die rechnerische Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO darlegen und beweisen als auch die negative Fortführungsprognose. Die objektiv vorliegende insolvenzrechtliche Überschuldung muss zur Kenntnis des Schuldners gelangt und - weil es hier um den Vollbeweis der Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz geht - auch dem Anfechtungsgegner bekannt geworden sein. Auch dies muss im Grundsatz der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen.
cc) Der Nachweis der objektiv vorliegenden insolvenzrechtlichen Überschuldung wird im Insolvenzanfechtungsprozess grundsätzlich nicht durch eine Handelsbilanz erleichtert, die einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag ausweist. Dies gilt gleichermaßen für den Nachweis der Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Überschuldung, wenn diesem eine solche Handelsbilanz bekannt geworden ist.
(1) Nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs kommt allerdings der Handelsbilanz indizielle Bedeutung für die Frage zu, ob die Gesellschaft insolvenzrechtlich überschuldet ist (BGH, Urteil vom 27. April 2009 - II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 9; vom 15. März 2011 - II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 33; vom 8. März 2012 - IX ZR 102/11, ZInsO 2012, 732 Rn. 5). Danach kann der Anspruchsteller seiner Darlegungslast genügen, wenn er eine Handelsbilanz vorlegt, aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt, und er nach entsprechender Überprüfung erläutert, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige aus der Bilanz nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind (vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2009, aaO; vom 15. März 2011, aaO; vom 8. März 2012, aaO). Dann ist es Sache des beklagten Geschäftsführers, im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast im Einzelnen vorzutragen, welche stillen Reserven oder sonstigen für eine Überschuldungsbilanz maßgeblichen Werte in der Handelsbilanz nicht abgebildet sind (vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2009, aaO; vom 15. März 2011, aaO).
(2) Eine derartige Verteilung der Darlegungslast ist im Insolvenzanfechtungsprozess nicht gerechtfertigt, wenn es sich bei dem Anfechtungsgegner - wie auch im Streitfall - um eine außenstehende Person handelt. Gehört der Anfechtungsgegner nicht zu den nach § 15a InsO antragspflichtigen Personen und steht er den für die Beurteilung der insolvenzrechtlichen Überschuldung maßgeblichen Geschehensabläufen auch nicht aus anderen Gründen so nahe wie eine antragspflichtige Person, kann von ihm nicht erwartet werden, dass er zu stillen Reserven oder sonstigen, in der Handelsbilanz nicht abgebildeten Werten vorträgt.
Daraus folgt, dass im Insolvenzanfechtungsprozess der Verwalter seiner Darlegungslast im Blick auf eine rechnerische Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO grundsätzlich nicht genügt, wenn er auf einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in einer Handelsbilanz verweist und nach entsprechender Überprüfung erläutert, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige aus der Bilanz nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind. Nichts anderes gilt für die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der rechnerischen Überschuldung, wenn diesem eine Handelsbilanz bekannt geworden ist, die einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag ausweist.
(3) Dass die vom Gesellschaftsrecht beeinflussten Wertungen in der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs im Grundsatz nicht auf den Insolvenzanfechtungsprozess übertragen werden können, zeigt sich auch im Blick auf die neben der rechnerischen Überschuldung erforderliche negative Fortführungsprognose und die Kenntnis des Anfechtungsgegners von dieser. Vom außenstehenden Anfechtungsgegner kann nicht erwartet werden, dass er Umstände darlegt, die es aus damaliger Sicht rechtfertigten, das schuldnerische Unternehmen fortzuführen (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2011 - II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 31 mwN). Vielmehr ist grundsätzlich der Verwalter gehalten, zur negativen Fortführungsprognose vorzutragen. Erst dann kann auch die Stärke des Beweisanzeichens beurteilt werden, die davon abhängt, ob, mit welcher Wahrscheinlichkeit und wann der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu erwarten war (vgl. oben Rn. 16 ff).
b) An der vorstehenden Beurteilung ändert nichts, dass es sich bei dem beklagten Finanzamt um einen institutionellen Gläubiger handelt, den nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheiten treffen können.
aa) In einem nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO zu beurteilenden Anfechtungsfall ist der Bundesgerichtshof davon ausgegangen, der Gläubiger könne aufgrund von Presseberichten, die keine amtliche Verlautbarung enthalten, nach den Umständen gehalten sein, sich nach der Zahlungsfähigkeit des Schuldners zu erkundigen (BGH, Urteil vom 19. Juli 2001 - IX ZR 36/99, ZIP 2001, 1641, 1643). Dies beruhte auf den gegenüber § 133 Abs. 1 InsO aF geringeren subjektiven Anforderungen des § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO. Mit Urteil vom 19. Februar 2009 (IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 Rn. 21 f) hat der Bundesgerichtshof Arbeitnehmer von einer Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit ausgenommen und diese auf institutionelle Gläubiger wie den Fiskus oder die Sozialversicherungsträger begrenzt. Später hat er klargestellt, dass die Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit an besondere Umstände anknüpfe (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 - IX ZR 155/08, BGHZ 190, 201 Rn. 21).
bb) Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist, kann offenbleiben. Die im Rahmen des Besteuerungsverfahrens erfolgende Übermittlung eines Jahresabschlusses, dem sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag entnehmen lässt, ist jedenfalls kein Umstand, der eine Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit der Finanzverwaltung im Blick auf eine mögliche insolvenzrechtliche Überschuldung auslöst. Die Übermittlung des Jahresabschlusses dient der Informationsgewinnung im Besteuerungsverfahren. Die Finanzverwaltung erhält Informationen für die Anordnung und Durchführung von Außenprüfungen (§§ 193 f AO). Anhand des Jahresabschlusses kann sie prüfen, ob die Angaben in der Steuererklärung plausibel sind. Das Risikomanagementsystem der Finanzverwaltung wird effektuiert (vgl. Heuermann/Brandes/Hofmeister, EStG, 2021, § 5b Rn. 6 mwN).
Hingegen dient die Übermittlung des Jahresabschlusses nicht der Prüfung, ob der Steuerpflichtige insolvenzrechtlich überschuldet ist. Die Finanzverwaltung darf im Grundsatz davon ausgehen, dass sich die auf Seiten des Steuerpflichtigen verantwortlichen Personen die Bedeutung eines nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags in der Handelsbilanz bewusstgemacht und die notwendigen Konsequenzen gezogen haben. Die Finanzverwaltung muss daher nicht Nachfrage halten, ob es stille Reserven oder sonstige in der Handelsbilanz nicht abgebildete Vermögenswerte gibt. Sie muss auch nicht das Ergebnis einer etwaigen Fortführungsprognose erfragen. Erst recht muss die Finanzverwaltung keine eigenen Ermittlungen anstellen.
c) Die Kenntnis der Beklagten vom (unterstellten) Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin ist auch nicht gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO zu vermuten. Der Kläger beruft sich in der Revisionsinstanz nicht auf den Vermutungstatbestand. Von einer Kenntnis der Beklagten von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit kann überdies nicht ausgegangen werden.