Bundesgerichtshof Urteil, 28. Nov. 2012 - 5 StR 412/12

bei uns veröffentlicht am28.11.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Sachverhandlung durch Anordnung und Vollzug des Selbstleseverfahrens.
BGH, Urteil vom 28. November 2012 – 5 StR 412/12
Landgericht Hamburg –

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 28. November 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen banden- und gewerbsmäßigen Betruges
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 27. November 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt M. ,
Rechtsanwältin Gr.
als Verteidiger für den Angeklagten F. ,
Rechtsanwalt H.
als Verteidiger für den Angeklagten G. ,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
in der Sitzung vom 28. November 2012 für Recht erkannt:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 7. Mai 2012 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen banden- und gewerbsmäßigen Betruges verurteilt, den Angeklagten F. zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten G. zu einer solchen von drei Jahren. Ihre Revisionen, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen, bleiben ohne Erfolg.
2
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen hat, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 22. August 2012 ausgeführt hat, einen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten nicht ergeben. Der näheren Erörterung bedarf nur die von beiden Beschwerdeführern jeweils erhobene Verfahrensrüge, dass die im Hauptverhandlungstermin vom 3. Januar 2012 vom Vorsitzenden nach § 249 Abs. 2 StPO getroffenen Feststellungen zum Selbstleseverfahren keine fristwahrende Sachverhandlung im Sinne des § 229 Abs. 1, 2 und 4 Satz 1 StPO darstellten.
3
1. Den Verfahrensrügen liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
4
Der Vorsitzende der Strafkammer verfügte mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses und Terminsanberaumung, dass von der Verlesung von 520 in einer „Selbstleseliste“ angeführten Urkunden nach § 249 Abs. 2 StPOin der Hauptverhandlung abgesehen werden solle. Die Selbstleseliste wurde den Verfahrensbeteiligten mit dem Zusatz mitgeteilt, dass bereits jetzt für die Verteidiger , die Angeklagten und den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Gelegenheit bestehe, diese Urkunden nach Terminsvereinbarung auf der Geschäftsstelle einzusehen.
5
Im ersten Hauptverhandlungstermin bestätigten alle Verfahrensbeteiligten , dass sie die Selbstleseliste erhalten hätten. Der Vorsitzende ordnete bis zum elften Hauptverhandlungstag, dem 20. Dezember 2011, gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO hinsichtlich weiterer Urkunden das Selbstleseverfahren an, darunter auch schriftliche Angaben von Zeugen, deren Verlesung die Strafkammer gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO mit Zustimmung der Verfahrensbeteiligten zuvor beschlossen hatte.
6
In dem nachfolgenden Hauptverhandlungstermin am 3. Januar 2012, der von 7.50 Uhr bis 7.55 Uhr dauerte, wurden zunächst antragsgemäß zwei Pflichtverteidiger anstelle der abwesenden Pflichtverteidiger beigeordnet. Anschließend erklärten die Schöffen und die Berufsrichter jeder für sich, dass sie vom Wortlaut der in der Selbstleseliste genannten Urkunden und der weiteren Urkunden, für die im Laufe der Hauptverhandlung das Selbstleseverfahren angeordnet worden war, durch Lesen Kenntnis genommen hätten. Es wurde des Weiteren festgestellt, dass die übrigen Verfahrensbeteiligten Gelegenheit hatten, vom Wortlaut all dieser Urkunden selbst Kenntnis zu nehmen. Sodann ordnete der Vorsitzende zusammenfassend an, dass von der Verlesung vorgenannter Urkunden und Schriftstücke nach „§ 249 Abs. 2 Satz 1 StPO“ abgesehen werde. Die Hauptverhandlung wurde danach unterbrochen und am 1. Februar 2012 fortgesetzt.
7
2. Eine Verletzung der Vorschriften über die Höchstdauer der Unterbrechung der Hauptverhandlung gemäß § 229 Abs. 1, 2 und 4 Satz 1 StPO liegt nicht vor.
8
a) Der Senat erachtet die Anordnungen und Feststellungen des Vorsitzenden im Hauptverhandlungstermin vom 3. Januar 2012 zur Durchführung des Selbstleseverfahrens (§ 249 Abs. 2 Sätze 1 und 3 StPO) als Sachverhandlung im Sinne der Unterbrechungsvorschriften. Eine solche liegt vor, wenn die Verhandlung den Fortgang der zur Urteilsfindung führenden Sachverhaltsaufklärung betrifft (BGH, Urteil vom 11. Juli 2008 – 5 StR 74/08 – und Beschluss vom 22. Juni 2011 – 5 StR 190/11, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 9 und 13 mwN).
9
b) Entgegen der Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 16. Oktober 2007 – 3 StR 254/07, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 8) stellen allein die Feststellungen des Vorsitzenden nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO schon eine inhaltliche Sachverhandlung dar. Die Feststellung, dass außerhalb der Hauptverhandlung eine Beweiserhebung durch Selbstlesung einer Urkunde stattgefunden hat, erschöpft sich nicht in deren Protokollierung (vgl. hierzu Winkler, jurisPR-StrafR 6/2008 Anm. 1), sondern betrifft den Fortgang der zur Urteilsfindung führenden Sachaufklärung. Die Berufsrichter und die Schöffen geben auf Nachfrage des Vorsitzenden regelmäßig – wie auch hier – die festzustellende Erklärung ab, dass sie vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben; gleiches gilt für die Erklärung der übrigen Verfahrensbeteiligten, dass sie hierzu Gelegenheit hatten. Erst mit dem Akt der Feststellung durch den Vorsitzenden ist nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO dieser Teil einer Beweisaufnahme durch das Selbstleseverfahren abgeschlossen. Die Urkunde kann dann zum Gegenstand von Erklärungen (§ 257 StPO) gemacht werden. Dem Tatgericht ist es ohne die abschließende Feststellung verwehrt, die Urkunde zur Urteilsfindung heranzuziehen (§ 261 StPO, vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 – 5 StR 169/09, BGHSt 55, 31, 32).
10
c) Der Senat ist – abweichend von den Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Hauptverhandlung – nicht gehalten, gemäß § 132 Abs. 2 und 3 GVG beim 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs anzufragen, ob er an seiner entgegenstehenden Rechtsauffassung festhält, weil der prozessuale Sachverhalt eine Besonderheit aufweist.
11
Der Vorsitzende der Strafkammer hat zwar teilweise hinsichtlich in der Hauptverhandlung vorausgegangener Anordnungen des Selbstleseverfahrens die Feststellungen nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO getroffen; eine insoweit auch getroffene wiederholte Anordnung mag ohne verfahrensrechtlichen Gehalt sein. In Bezug auf die Selbstleseliste lag aber noch keine Anordnung des Selbstleseverfahrens durch den Vorsitzenden vor, die in der Hauptverhandlung erfolgen muss, deren Inbegriff (§ 261 StPO) sie mitbestimmt. Die Verfügung des Vorsitzenden in der Terminsanberaumung, dass von der Verlesung der in dieser Liste angeführten Urkunden gemäß § 249 Abs. 2 StPO abgesehen werden solle, stellt noch keine Anordnung im Sinne dieser Vorschrift , sondern lediglich eine Vorankündigung zur Verfahrensgestaltung dar (vgl. auch Mosbacher in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 68, 69). Jedenfalls insoweit bedurfte es – anders als etwa bei einem Beschluss nach § 247a StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2011 – 5 StR 315/11, StV 2012, 65) – in der Hauptverhandlung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO neben den gebotenen Feststellungen im Zusammenhang mit der Kenntnisnahme von den Urkunden noch einer Anordnung des Vorsitzenden. Diese erfolgte ausdrücklich – so dass es auf eine etwa mögliche konkludente Anordnung nicht ankommt – in dem hier in Streit stehenden Hauptverhandlungstermin vom 3. Januar 2012. Hierdurch unterscheidet sich der prozessuale Sachverhalt von dem vom 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs entschiedenen Fall, in dem die Anordnung des Selbstleseverfahrens an einem früheren Hauptverhandlungstag getroffen worden war und lediglich dessen Vollzug protokolliert wurde. Dass die Anordnung der Feststellung des Vollzugs des Selbstleseverfahrens durch Kenntnisnahme und Gelegenheit hierzu nicht vorausging, sondern ihr nachfolgte, ist zwar strukturell ungeschickt (vgl.
BGH, Beschluss vom 28. August 2012 – 5 StR 251/12, NJW 2012, 3319, zum Abdruck in BGHSt bestimmt), indes unschädlich (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2012 – 1 StR 587/11, NStZ 2012, 346, 347).
12
Die Anordnung des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO stellt unzweifelhaft eine Sachverhandlung dar, in gleicher Weise wie eine Beweisanordnung (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2000 – 3 StR 442/99, NJW 2000, 2754: Beauftragung eines Sachverständigen), die Entgegennahme von die Sachverhaltsaufklärung betreffenden Verteidigeranträgen (BGH, Beschluss vom 6. Juli 2000 – 5 StR 613/99, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung
5) oder die Ladung von Zeugen nach einem gestellten Beweisantrag (BGH, Urteil vom 19. August 2010 – 3 StR 98/10, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 11). Allein die kurze Dauer des Termins am 3. Januar 2012 steht bei dem inhaltlichen Gehalt der Verhandlung der Annahme einer Sachverhandlung nicht entgegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. April 2011 – 3 StR 61/11 – und vom 22. Juni 2011 – 5 StR 190/11, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 12 und 13).
Basdorf Schaal Schneider Dölp Bellay

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Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

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Strafprozeßordnung - StPO | § 229 Höchstdauer einer Unterbrechung


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(1) Eine Hauptverhandlung darf bis zu drei Wochen unterbrochen werden.

(2) Eine Hauptverhandlung darf auch bis zu einem Monat unterbrochen werden, wenn sie davor jeweils an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat.

(3) Hat eine Hauptverhandlung bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden, so ist der Lauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen gehemmt, solange

1.
ein Angeklagter oder eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen Krankheit oder
2.
eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen gesetzlichen Mutterschutzes oder der Inanspruchnahme von Elternzeit
nicht zu der Hauptverhandlung erscheinen kann, längstens jedoch für zwei Monate. Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluß fest.

(4) Wird die Hauptverhandlung nicht spätestens am Tage nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist fortgesetzt, so ist mit ihr von neuem zu beginnen. Ist der Tag nach Ablauf der Frist ein Sonntag, ein allgemeiner Feiertag oder ein Sonnabend, so kann die Hauptverhandlung am nächsten Werktag fortgesetzt werden.

(5) Ist dem Gericht wegen einer vorübergehenden technischen Störung die Fortsetzung der Hauptverhandlung am Tag nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist oder im Fall des Absatzes 4 Satz 2 am nächsten Werktag unmöglich, ist es abweichend von Absatz 4 Satz 1 zulässig, die Hauptverhandlung unverzüglich nach der Beseitigung der technischen Störung, spätestens aber innerhalb von zehn Tagen nach Fristablauf fortzusetzen. Das Vorliegen einer technischen Störung im Sinne des Satzes 1 stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Eine Hauptverhandlung darf bis zu drei Wochen unterbrochen werden.

(2) Eine Hauptverhandlung darf auch bis zu einem Monat unterbrochen werden, wenn sie davor jeweils an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat.

(3) Hat eine Hauptverhandlung bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden, so ist der Lauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen gehemmt, solange

1.
ein Angeklagter oder eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen Krankheit oder
2.
eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen gesetzlichen Mutterschutzes oder der Inanspruchnahme von Elternzeit
nicht zu der Hauptverhandlung erscheinen kann, längstens jedoch für zwei Monate. Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluß fest.

(4) Wird die Hauptverhandlung nicht spätestens am Tage nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist fortgesetzt, so ist mit ihr von neuem zu beginnen. Ist der Tag nach Ablauf der Frist ein Sonntag, ein allgemeiner Feiertag oder ein Sonnabend, so kann die Hauptverhandlung am nächsten Werktag fortgesetzt werden.

(5) Ist dem Gericht wegen einer vorübergehenden technischen Störung die Fortsetzung der Hauptverhandlung am Tag nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist oder im Fall des Absatzes 4 Satz 2 am nächsten Werktag unmöglich, ist es abweichend von Absatz 4 Satz 1 zulässig, die Hauptverhandlung unverzüglich nach der Beseitigung der technischen Störung, spätestens aber innerhalb von zehn Tagen nach Fristablauf fortzusetzen. Das Vorliegen einer technischen Störung im Sinne des Satzes 1 stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten kann durch die Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung oder einer Urkunde, die eine von ihm erstellte Erklärung enthält, ersetzt werden,

1.
wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind;
2.
wenn die Verlesung lediglich der Bestätigung eines Geständnisses des Angeklagten dient und der Angeklagte, der keinen Verteidiger hat, sowie der Staatsanwalt der Verlesung zustimmen;
3.
wenn der Zeuge, Sachverständige oder Mitbeschuldigte verstorben ist oder aus einem anderen Grunde in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann;
4.
soweit das Protokoll oder die Urkunde das Vorliegen oder die Höhe eines Vermögensschadens betrifft.

(2) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch die Verlesung des Protokolls über seine frühere richterliche Vernehmung auch ersetzt werden, wenn

1.
dem Erscheinen des Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen;
2.
dem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann;
3.
der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind.

(3) Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Protokolle und Urkunden auch sonst verlesen werden.

(4) In den Fällen der Absätze 1 und 2 beschließt das Gericht, ob die Verlesung angeordnet wird. Der Grund der Verlesung wird bekanntgegeben. Wird das Protokoll über eine richterliche Vernehmung verlesen, so wird festgestellt, ob der Vernommene vereidigt worden ist. Die Vereidigung wird nachgeholt, wenn sie dem Gericht notwendig erscheint und noch ausführbar ist.

(1) Eine Hauptverhandlung darf bis zu drei Wochen unterbrochen werden.

(2) Eine Hauptverhandlung darf auch bis zu einem Monat unterbrochen werden, wenn sie davor jeweils an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat.

(3) Hat eine Hauptverhandlung bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden, so ist der Lauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen gehemmt, solange

1.
ein Angeklagter oder eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen Krankheit oder
2.
eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen gesetzlichen Mutterschutzes oder der Inanspruchnahme von Elternzeit
nicht zu der Hauptverhandlung erscheinen kann, längstens jedoch für zwei Monate. Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluß fest.

(4) Wird die Hauptverhandlung nicht spätestens am Tage nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist fortgesetzt, so ist mit ihr von neuem zu beginnen. Ist der Tag nach Ablauf der Frist ein Sonntag, ein allgemeiner Feiertag oder ein Sonnabend, so kann die Hauptverhandlung am nächsten Werktag fortgesetzt werden.

(5) Ist dem Gericht wegen einer vorübergehenden technischen Störung die Fortsetzung der Hauptverhandlung am Tag nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist oder im Fall des Absatzes 4 Satz 2 am nächsten Werktag unmöglich, ist es abweichend von Absatz 4 Satz 1 zulässig, die Hauptverhandlung unverzüglich nach der Beseitigung der technischen Störung, spätestens aber innerhalb von zehn Tagen nach Fristablauf fortzusetzen. Das Vorliegen einer technischen Störung im Sinne des Satzes 1 stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

5 StR 74/08

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 25. Juni und 11. Juli 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Prof. Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Bundesanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Professor
alsVerteidiger,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,
am 11. Juli 2008 für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten E. gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 22. Februar 2007 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagten E. und S. auf Grund einer 29-tägigen Hauptverhandlung wegen Totschlags schuldig gesprochen. Gegen den Angeklagten S. hat es auf eine Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten erkannt und gegen den Angeklagten E. unter Einbeziehung einer anderweit verhängten Geldstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten festgesetzt. Über die Revision des Angeklagten S. hat der Senat gemäß § 349 Abs. 2 StPO entschieden. Auch das Rechtsmittel des Angeklagten E. blieb nach dem Ergebnis der vom Generalbundesanwalt beantragten Revisionshauptverhandlung – auch dessen Antrag entsprechend – erfolglos.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
Die Eheleute H. und S. sowie Hü. und V. K. waren bis 2004 befreundet. Die Nebenklägerin Hü. K.
brach im Spätsommer 2004 nach einer Auseinandersetzung mit S. die Beziehung zu ihrer Freundin H. S. ab. Sie vermutete, dass diese ein Verhältnis mit ihrem Ehemann V. unterhalte. H. S. trennte sich von ihrem Ehemann.
4
Am Abend des 3. Dezember 2005 entdeckten die Angeklagten die H. S. und den V. K. in dessen Geländewagen im Hafengebiet von Bremen. Der Angeklagte E. zerstach den vorderen linken Reifen dieses Fahrzeugs. V. K. fuhr in Richtung Innenstadt weiter. H. S. telefonierte währenddessen über Notruf mit der Polizei. Nach drei Kollisionen des von den Angeklagten zunächst benutzten Pkw mit dem Fahrzeug des V. K. setzten die Angeklagten mit dem Pkw des S. die Verfolgung fort. V. K. hielt 150 m vor dem Restaurant G. in der H. –B. -Straße auf dem Rad- und Gehweg an und fragte den Zeugen M. nach dem Standort, den H. S. telefonisch der Polizei durchgeben wollte. Die Angeklagten hielten links neben dem Fahrzeug des V. K. . Hierdurch behinderten sie dessen mögliche Weiterfahrt. Der Angeklagte S. lief zur Fahrerseite, der Angeklagte E. zur Beifahrerseite. Er zerstach jetzt den rechten Vorderreifen, beugte sich mit dem Oberkörper durch das offene Beifahrerfenster, schrie und stach mit dem Messer in den Innenraum des Wagens nach V. K. . Der Angeklagte S. versuchte, die verschlossene Fahrertür zu öffnen.
5
Entgegen der Aufforderung der H. S. , doch in dem Fahrzeug zu bleiben, verließ V. K. den Pkw und flüchtete zu Fuß. Die beiden Angeklagten holten ihn auf der Fahrbahn der H. –B. -Straße ein und griffen ihn an. V. K. wehrte sich unter Zuhilfenahme von Pfefferspray. Der Angeklagte E. stach V. K. mit bedingtem Tötungsvorsatz in dessen linke Brust durch den Herzbeutel und die Herzvorderwand , wodurch die linke Herzkammer eröffnet wurde. Der schwer verletzte Geschädigte flüchtete in das Restaurant, verfolgt von den Angeklagten.
Diese entfernten sich sodann vom Tatort. Der Angeklagte E. flüchtete zu Fuß zu einer nur 100 m entfernten Tankstelle, wo er mit geröteten und tränenden Augen festgenommen wurde. Der Angeklagte S. verließ mit seinem Pkw stadteinwärts fahrend den Tatort, kehrte aber alsdann zur gleichen Tankstelle zurück. Auch die Augen dieses Angeklagten waren gerötet und tränten.
6
V. K. verstarb trotz mehrerer Operationen am Folgetag an einem hämorrhagischen Schock.
7
2. Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe gegen § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO verstoßen, weil am 14. Verhandlungstag (29. September 2006) keine Sachverhandlung stattgefunden habe, versagt.
8
a) An diesem Sitzungstag wurden innerhalb einer halben Stunde ein nach dem vorangegangenen Sitzungstag gegen beide Angeklagte ergangener Haftbeschwerdebeschluss des Oberlandesgerichts und ein früher gegen den Mitangeklagten ergangenes Strafurteil verlesen. Als das Gericht nach Unterbrechung der Hauptverhandlung feststellte, dass jenes Strafurteil an einem vorangegangenen Sitzungstag bereits verlesen worden war, wurde die Sitzung nach knapp vierzig Minuten fortgesetzt. Die Fortsetzung erfolgte nunmehr in Abwesenheit der Verteidiger, die sich trotz erfolgter Benachrichtigung über die vorgesehene Fortsetzung wegen angeblichen Zeitmangels und unter Berufung auf mangelnde Einhaltung der Ladungsfrist weigerten teilzunehmen. Erstmals wurde nun noch ein früher gegen den Mitangeklagten ergangener Strafbefehl verlesen; jene Verlesung wurde an einem späteren Sitzungstag in Anwesenheit der Verteidiger wiederholt.
9
b) Es kann dahinstehen, ob die Rüge überhaupt zulässig ist. Sie verhält sich nicht näher dazu, dass die Einführung des Prozessstoffes, der nunmehr von der Revision als eine Sachverhandlung nicht begründend bewertet wird, den Verfahrensbeteiligten vom Vorsitzenden vorab bekannt gegeben worden war, nachdem in Ansehung der Wünsche der Verteidiger Rechtsanwalt Ü. (Angeklagter E. ) und Rechtsanwalt Dö. (Angeklagter S. ) für den 14. Verhandlungstag eine Terminsdauer von 9.00 Uhr bis 9.30 Uhr vereinbart worden war; hiernach liegt nahe, dass auch die Auswahl der zu verlesenden Urkunden „vereinbart“ worden sein kann. Ob es danach weitergehenden vollständigen Vortrags zur umfassenden Prüfung der Verfahrensrüge , die auch unter dem Gesichtspunkt ihrer Verwirkung zu bewerten ist (vgl. BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 5), bedurfte, braucht der Senat nicht zu vertiefen.
10
c) Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Mindestens die Verlesung des zuvor weder den Schöffen noch gesichert den Angeklagten persönlich bekannt gegebenen Haftbeschwerdebeschlusses des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen vom 31. August 2006 stellte, wie das Landgericht in dem den Aussetzungsantrag der Verteidigung zurückweisenden Beschluss vom 26. Oktober 2006 zutreffend erkannt hat, eine ausreichende Sachverhandlung dar. Ob dies auch für die – ersichtlich zunächst nicht bewusst – wiederholte Verlesung einer für die Rechtsfolgenbestimmung maßgeblichen Vorentscheidung gelten kann, welche die Erinnerung der Prozessbeteiligten an den Prozessstoff zu aktualisieren gleichfalls geeignet ist, kann dahinstehen.
11
Eine Sachverhandlung liegt stets vor, wenn die Verhandlung den Fortgang der zur Urteilsfindung führenden Sachverhaltsaufklärung betrifft (vgl. BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 5), das Verfahren mithin inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch hin gefördert wird (BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 7 und 8). Zwar hat die Verlesung dieses Beschlusses den bereits eingeführten Beweisstoff nicht erweitert. Er enthält indes vertiefende Ausführungen zu einer wesentlichen, wenn nicht gar prozessentscheidenden Verfahrensfrage (vgl. BGHR aaO Sachverhandlung 7), die – von der Verteidigung vehement bekämpfte – Zulässigkeit der Verwertung des polizeilichen Notrufs der H. S. aus dem Blickwinkel des § 252 StPO und in Bezug auf den Grundsatz des fairen Verfahrens wegen Behinderung des Fragerechts der Verteidigung gemäß Art. 6 Abs. 3 lit. d MRK. Die Verlesung des Beschlusses trug somit – nicht anders als etwa eine rechtliche Stellungnahme eines der Prozessbeteiligten zu dieser Frage – zur Förderung der Klärung des im späteren Urteil zugrunde zu legenden Prozessstoffes bei (vgl. BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 5). Durch die Darlegung des Rechtsproblems wurde zudem der mit diesem verbundene zentrale Verfahrensstoff tatsächlich und rechtlich in Erinnerung gerufen. Dies gilt für die über die Haftfrage während laufender Hauptverhandlung entscheidungsbefugten Schöffen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 126 Rdn. 8; Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 125 Rdn. 16a) in besonderem Maße (vgl. auch BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 4).
12
Hinzu tritt, dass das Oberlandesgericht entgegen den Beschwerden der Verteidiger in der bisherigen Verfahrensweise des Landgerichts keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung erblickt hat (Revisionsbegründung B. S. 18). Die sich damit befassenden Darlegungen erlangten somit Bedeutung für die – wenn auch erst nach durchgeführter Beweisaufnahme – vorzunehmende Rechtsfolgenbestimmung (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13; BGH – GSSt – StV 2008, 133, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
13
Selbst nach der vom Generalbundesanwalt in der Revisionshauptverhandlung für geboten gehaltenen einschränkenden Prämisse läge eine Sachverhandlung vor. Danach sei der Beschluss des Oberlandesgerichts nicht als taugliche Grundlage für eine Sachverhandlung anzusehen, weil ihm zur Frage des Bestehens von Beweisverwertungsverboten keine weitergehenden , sondern lediglich die Rechtsansicht des Landgerichts bestätigende Rechtsausführungen zu entnehmen seien. Indes wäre vorliegend der Beschlussverlesung selbst nach dieser – durchaus zweifelhaften – Prämisse ein für ausreichend erachteter an die Verfahrensbeteiligten gerichteter Appell zum Überdenken ihrer bisher eingenommenen Rechtspositionen anzunehmen gewesen. Das Landgericht hat nämlich am 13. Verhandlungstag durch seinen Hinweis, „das Gericht geht davon aus, dass dieser Widerspruch aufrechterhalten bleibt, solange die Verteidigung nicht Gegenteiliges äußert“ (Revisionsbegründung B. S. 10) die Rechtslage insoweit als noch nicht endgültig geklärt angesehen. In diesem Zusammenhang wäre es unerheblich, dass nach der Beschlussverlesung nicht etwa eine vertiefende Erörterung mit den Verteidigern stattgefunden hat, weil diese ersichtlich auf eine solche verzichtet haben und stattdessen mit dem Vorsitzenden nach Beendigung der Verhandlung Probleme der Tätertrennung erörtert haben (Revisionsbegründung B. S. 54).
14
Der Senat schließt sich den vom 3. Strafsenat nach Änderung der Unterbrechungsfristen durch das 1. JuMoG in BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 7 dargelegten, gegen eine Verschärfung der Anforderungen an die Annahme einer fristwahrenden Verhandlung zur Sache sprechenden Erwägungen an. Auch die Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nötigt zu keiner anderen Bewertung, weil vorliegend das Landgericht auch zur Wahrung des Rechts der Angeklagten auf Wahrnehmung der Verteidigung durch Rechtsanwälte ihrer Wahl bei der Dauer des Hauptverhandlungstermins den zeitlichen Verfügbarkeiten dieser Verteidiger Rechnung tragen durfte, ohne hierdurch das Verfahren erheblich zu verzögern (vgl. BVerfG – Kammer – StraFo 2007, 152, 155; vgl. auch BVerfG – Kammer – StV 2006, 81, 85; BVerfG – Kammer –, Beschluss vom 17. Juli 2006 – 2 BvR 1190/06 sub 3 b; BGH, Beschluss vom 6. März 2008 – 5 StR 617/07, Rdn. 11). Insoweit hat die Revision das landgerichtliche Verfahren auch nicht gerügt.
15
d) Demnach kommt es auf die weiteren Überlegungen des Generalbundesanwalts zum Zweck des Fristerfordernisses des § 229 Abs. 1 StPO nicht mehr an. Der Senat neigt dessen Auffassung zu, dass es nach den vom Gesetzgeber beschlossenen Fristverlängerungen von drei Tagen über zehn Tage auf jetzt geltende drei Wochen schwerlich in erster Linie Zweck der Vorschrift sein kann, die Erhaltung der Erinnerung an den Prozessstoff zu garantieren (vgl. BGHSt 33, 217, 218; vgl. aber auch BGHR StPO § 268 Abs. 3 Verkündung 3; dagegen Verkündung 4 und 5). Ob hieraus zu schließen wäre, dass ein revisibler Verstoß gegen § 229 Abs. 1 StPO überhaupt nur noch bei einer insgesamt im Blick auf Art. 6 Abs. 1 MRK nachhaltigen Vernachlässigung der Konzentrationsmaxime angenommen werden sollte, bedarf hier keiner Entscheidung.
16
Auch auf eine Bewertung der wegen Verstoßes gegen § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO bedenklichen weiteren Verhandlung vom gleichen Tag von 10.12 Uhr bis 10.25 Uhr kommt es nicht mehr an, was gegebenenfalls auch unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung der Revisionsrüge – nach Auffassung des Generalbundesanwalts bei der Beruhensprüfung – vertiefungswürdig gewesen wäre.
17
3. Auch die mit der Sachrüge geführten Angriffe gegen die Beweiswürdigung des Schwurgerichts versagen.
18
Das Landgericht war sich bei seiner Würdigung der gegenüber Dritten gemachten Angaben der H. S. über eine unmittelbare Tatausführung des Angeklagten E. des geringeren Beweiswertes der nur zur Verfügung stehenden mittelbaren Belastungen bewusst, der aus dem Fehlen der Möglichkeit konfrontativer Befragung nach deren Berufung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO resultierte (UA S. 41; vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2007, 204, 206 f.; BGH NJW 2000, 3505, 3510, insoweit teilweise nicht in BGHSt 46, 93 abgedruckt; BGHSt 51, 150, 157 Rdn. 26). Das Schwurgericht hat H. S. nicht einmal als ursprüngliche unmittelbare Tatzeugin angesehen, sondern angenommen, dass sie auch aus den von ihr wahrgenommenen Tatumständen auf die unmittelbare Tatausführung durch den Angeklagten E. geschlossen haben kann (UA S. 41).
19
Die tatrichterliche Beweiswürdigung ist insoweit – im Gegensatz zur Auffassung der Revision – auch nicht lückenhaft. Das Landgericht hat die vereinzelt gebliebene zurückhaltende Äußerung der H. S. gegenüber der Cousine des Angeklagten E. über dessen Täterschaft (UA S. 40) mit nachvollziehbarer Würdigung als nicht in Widerspruch stehend zu anderen, den Angeklagten E. stärker belastenden Angaben angesehen (UA S. 54).
20
Das Landgericht hat es auch nicht unterlassen, ein sich aus den festgestellten Tatumständen etwa aufdrängendes Alternativgeschehen – Ausführung des tödlichen Messerstichs durch den Angeklagten S. – zu erörtern (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387, insoweit nicht in BGHSt 51, 144 abgedruckt ). Die auf zahlreiche Beweismittel und Wahrscheinlichkeiten gestützte Schlussfolgerung, nur E. komme als Messerstecher in Frage (UA S. 70), ist jedenfalls vor dem Hintergrund der jenseits der (mittelbaren) Aussage der H. S. bewiesenen Umstände sachlichrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BGHSt 36, 1, 14).
21
Die Annahme von bedingtem Tötungsvorsatz bedurfte bei dem hier vorliegenden Herzstich keiner weitergehenden Begründung (vgl. BGHR StGB § 212 Vorsatz bedingter 57 m.w.N.).
Basdorf Raum Brause Schaal Jäger
5 StR 190/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 22. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juni 2011

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 23. November 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben
a) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit der Angeklagte in den Fällen II.1 bis 4 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im gesamten Strafausspruch.
2. Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt (Einzelfreiheitsstrafen in den Fällen II.1 bis 4 je zwei Jahre, im Übrigen je ein Jahr) und zu Gunsten der Neben- und Adhäsionsklägerinnen S. und F. T. auf Schmerzensgeldzahlungen erkannt. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Die auf die Fälle II.1 bis 4 der Urteilsgründe bezogenen Verfahrensrügen sind demnach unerheblich. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Senat bemerkt zu der ebenfalls erfolglos bleibenden Verfahrensrüge , die Vorschrift des § 229 Abs. 1 und 4 Satz 1 StPO sei verletzt, ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts das Folgende:
3
a) Der Rüge liegt zu Grunde:
4
Am zweiten Hauptverhandlungstag, dem 13. Oktober 2010 verlas die Vorsitzende der Jugendkammer ein ärztliches Attest, das der Zeugin M. L. bescheinigte, aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung nicht vor Gericht erscheinen zu können. Daraufhin traf die Vorsitzende folgende Verfügung:
5
„Weitere Termine zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung wer- den bestimmt auf: Montag, den 01.11.2010, 9.00 Uhr (Schiebetermin) Freitag, den 19.11.2010, 9.00 Uhr Dienstag, den 23.11.2010, 9.00 Uhr Die Zeugin M. L. ist erneut zu laden auf den 19.11.2010, 9.00 Uhr.“
6
Am 1. November 2010 wurde in der Zeit von 9.02 Uhr bis 9.05 Uhr die Hauptverhandlung fortgesetzt. Es wurde der den Angeklagten betreffende Auszug aus dem Bundeszentralregister verlesen, der keinen Eintrag enthielt.
7
b) Bei dieser Verfahrensgestaltung hat am dritten Tag der Hauptverhandlung eine Sachverhandlung stattgefunden. Eine solche liegt vor, wenn die Verhandlung den Fortgang der zur Urteilsfindung führenden Sachverhaltsaufklärung betrifft (BGH, Urteil vom 11. Juli 2008 – 5 StR 74/08, BGHR StPO Sachverhandlung 9 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 7. April 2011 – 3StR 61/11). Dies ist hier der Fall. Das Landgericht hat den Beweisstoff um den für den Rechtsfolgenausspruch relevanten Umstand erweitert, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 2006 – 3 StR 199/06, NJW 2006, 3077). Aus der von der Vorsitzenden am 13. Ok- tober 2010 vorgenommenen Qualifizierung der für den 1. November 2010 vorgesehenen Hauptverhandlung als „Schiebetermin“ folgt nichts Gegenteili- ges. Diese Bewertung war – weil der Inhalt der Hauptverhandlung vom 1. November 2010 offen geblieben ist – nur vorläufiger Natur und konnte im Blick auf die erfolgte Sachverhandlung keinerlei Bedeutung erlangen (anders der dem Beschluss des 3. Strafsenats vom 7. April 2011 – 3 StR 61/11 zugrunde liegende Sachverhalt).
8
2. Der Schuldspruch hat hinsichtlich der Fälle II.1 bis 4 der Urteilsgründe keinen Bestand.
9
a) Das Landgericht hat sich aufgrund der Aussage der am 31. Mai 1981 geborenen Nebenklägerin Me. L. , der Tochter der Ehefrau des – die Taten bestreitenden – Angeklagten, davon überzeugt, dass der Angeklagte mit ihr zwischen dem 26. August 1993 und dem 30. Mai 1995 viermal den vaginalen Geschlechtsverkehr ausgeführt hat. Die Jugendschutzkammer hat die Bekundungen der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung , der Angeklagte habe sie bis ins Jahr 2007 vielfältig missbraucht , als glaubhaft bewertet und zur Begründung auf ein in der Hauptverhandlung erstattetes Gutachten einer Sachverständigen abgestellt. Diese habe „nachvollziehbar ausgeführt, dass die Geschädigte durchschnittlich in- tellektuell befähigt ist und eine uneingeschränkte Aussagefähigkeit besitzt. Die Sachverständige hat dargelegt, dass die Aussagequalität sehr oberflächlich sei und Angaben von Me. von Tathandlungen vor dem 18. Lebensjahr allein zu dürftig seien, als dass daraus allein auf deren Glaubwürdigkeit geschlossen werden könne. Zudem blieben Widersprüche bestehen und beeinträchtigten die Glaubwürdigkeit der Aussage im Ganzen, so z. B. zur Fra- ge vom Geschlechtsverkehr während der Menstruation (…). Die Widersprü- che oder Ungereimtheiten seien mit einer Art Aggravation zu erklären. Das bedeute, dass es sich um keine bewusste Falschaussage handele, sondern das übertriebene Betonen eines grundsätzlich stattgefundenen Ereignisses, um sich glaubhafter zu machen. Die Widersprüche um Menstruation oder, ob Analverkehr in der Dachgeschosswohnung stattgefunden habe, seien jedoch nicht restlos aufklärbar. Zudem seien alle Realkennzeichen, die gefunden werden könnten, für den angeklagten Zeitraum nicht zu spezifizieren und auch nach dem 18. Lebensjahr möglich. Die Sachverständige hat schließlich nachvollziehbar festgestellt, dass Übereinstimmungen in den Schilderungen der Schwestern Me. und M. dazu führten, dass die angeklagten Tathandlungen im 12. und 13. Lebensjahr erlebnisbasiert seien und somit eine Nullhypothese nicht in Betracht komme“ (UA S. 10 f.).
10
b) Diese Erwägungen vermögen keine richterliche Überzeugung hinsichtlich 17 Jahre zurückliegender sexueller Handlungen des Angeklagten zu begründen, sondern belegen höchstens einen vagen Verdacht (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2001 – 5 StR 520/01, StV 2002, 235).
11
aa) Das Landgericht ist der Bewertung der Sachverständigen gefolgt, dass die Aussage der Nebenklägerin solche Qualitätsmängel enthalte, die zur gänzlichen Untauglichkeit ihrer Angaben führen („Nullhypothese“, UA S. 11). Dieser Umstand verbietet sachlogisch eine – in anderen Fallkonstellationen freilich gebotene (vgl. Brause NStZ-RR 2010, 329, 330 f.) – Heranziehung belastender Indizien aus anderen Handlungen des Angeklagten. Es konnte vorliegend nicht darum gehen, den Beweiswert bewiesener belastender Umstände durch solche aus anderen Zusammenhängen zu verstärken. Wegen des vollständigen Ausfalls der Bekundungen der Nebenklägerin Me. L. waren belastende Umstände hinsichtlich sexueller Handlungen des Angeklagten mit dieser vor deren 18. Geburtstag gar nicht vorhanden.
12
bb) Darüber hinaus hat das Landgericht Missbrauchshandlungen des Angeklagten zu Lasten der Schwester der Nebenklägerin, M. L. , nicht fehlerfrei festgestellt.
13
Die Glaubhaftigkeit von deren Angaben wird nach dem im Urteil wiedergegebenen Sachverständigengutachten ohne Begründung angenommen. Soweit das Landgericht daneben auf vom Angeklagten gefertigte und am 1. Mai 2007 auf dessen Rechner aufgefundene Bilder von einem Geschlechtsverkehr mit M. L. abstellt, wobei diese „nicht glücklich ausgesehen habe“ (UA S. 9), vermag auch dieser Umstand die gebotene Prüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin (vgl. Brause NStZ 2007, 505, 506 mwN) nicht zu belegen. Nachdem der Angeklagte die Ausübung von Geschlechtsverkehr mit dieser Zeugin – ersichtlich nach Vollendung von deren 18. Lebensjahr (UA S. 6) – eingeräumt hat und der Zeitpunkt der auf den Bildern zu erkennenden Handlungen offen geblieben ist, besteht auch im Hinblick auf die Aussage der zur Zeit der Hauptverhandlung 30 Jahre alten Zeugin die Beweissituation „Aussage gegen Aussage“ mit den daraus abzuleitenden gesteigerten Darlegungserfordernissen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.), die unerfüllt geblieben sind.
14
3. Die Sache bedarf demnach insoweit neuer Aufklärung und Bewer- tung. Die bisher nur abstrakt dargestellten „Widersprüche oder Ungereimtheiten“ werdenzu näherer Betrachtung der Entwicklung sämtlicher Aussagen, auch derjenigen im Familienkreis, nötigen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 2011 – 5 StR 418/10 mwN).
15
4. Die Aufhebung der vier Schuldsprüche führt zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe. Der Senat hat auch die übrigen sieben ausgeurteilten Freiheitsstrafen von je einem Jahr aufgehoben, um dem neuen Tatgericht Gelegenheit zu einer vollständig neuen und notwendig differenzierteren Strafzumessung zu geben. Die Adhäsionsentscheidungen bleiben unberührt.
Raum Brause Schaal Schneider König

(1) Eine Hauptverhandlung darf bis zu drei Wochen unterbrochen werden.

(2) Eine Hauptverhandlung darf auch bis zu einem Monat unterbrochen werden, wenn sie davor jeweils an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat.

(3) Hat eine Hauptverhandlung bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden, so ist der Lauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen gehemmt, solange

1.
ein Angeklagter oder eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen Krankheit oder
2.
eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen gesetzlichen Mutterschutzes oder der Inanspruchnahme von Elternzeit
nicht zu der Hauptverhandlung erscheinen kann, längstens jedoch für zwei Monate. Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluß fest.

(4) Wird die Hauptverhandlung nicht spätestens am Tage nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist fortgesetzt, so ist mit ihr von neuem zu beginnen. Ist der Tag nach Ablauf der Frist ein Sonntag, ein allgemeiner Feiertag oder ein Sonnabend, so kann die Hauptverhandlung am nächsten Werktag fortgesetzt werden.

(5) Ist dem Gericht wegen einer vorübergehenden technischen Störung die Fortsetzung der Hauptverhandlung am Tag nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist oder im Fall des Absatzes 4 Satz 2 am nächsten Werktag unmöglich, ist es abweichend von Absatz 4 Satz 1 zulässig, die Hauptverhandlung unverzüglich nach der Beseitigung der technischen Störung, spätestens aber innerhalb von zehn Tagen nach Fristablauf fortzusetzen. Das Vorliegen einer technischen Störung im Sinne des Satzes 1 stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Nach der Vernehmung eines jeden Mitangeklagten und nach jeder einzelnen Beweiserhebung soll der Angeklagte befragt werden, ob er dazu etwas zu erklären habe.

(2) Auf Verlangen ist auch dem Staatsanwalt und dem Verteidiger nach der Vernehmung des Angeklagten und nach jeder einzelnen Beweiserhebung Gelegenheit zu geben, sich dazu zu erklären.

(3) Die Erklärungen dürfen den Schlußvortrag nicht vorwegnehmen.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Mangelhaft protokolliertes Selbstleseverfahren.
BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 - 5 StR 169/09
LGHamburg-

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 28. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Januar 2010

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten O. wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 16. Oktober 2008, soweit es diesen Angeklagten betrifft, gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue unter Einbeziehung der durch Urteil des Landgerichts Lübeck vom 14. Dezember 2004 verhängten Einzelstrafen und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Auf die Vollstreckung dieser Gesamtfreiheitsstrafe hat das Landgericht für erbrachte Bewährungsauflagen drei Monate angerechnet. Das Landgericht hat den Angeklagten ferner wegen Beihilfe zur Untreue in zwei Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet das Verfahren. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
1. Gegenstand der Verurteilung sind Kreditaufnahmen im Interesse des Angeklagten für Grundstücksgeschäfte zum Nachteil des Kreditgebers, der V. L. (Elbe) eG, im Fall 1. tateinheitlich mit einem als Betrug ausgeurteilten Verkauf eines Grundstücks. Das Landgericht hat seine Beweise in großem Umfang durch Urkunden im Selbstleseverfahren erhoben (vgl. auch Senatsbeschluss vom heutigen Tage hinsichtlich des Mitangeklagten Ba. O. ). Die vom Angeklagten wegen Verletzung der § 249 Abs. 2 Satz 1 und 3, § 261 StPO erhobene Inbegriffsrüge greift hinsichtlich zahlreicher Urkunden aus der „Urkundenliste 3“ durch.
3
2. Der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer hat in der Hauptverhandlung vom 1. Juli 2008 angeordnet, dass mit den Tatvorwürfen gegen den Angeklagten im Zusammenhang stehende 162 Urkunden der Urkundenliste 3 gemäß § 249 Abs. 2 StPO im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Das Hauptverhandlungsprotokoll enthält keinen Eintrag über den Abschluss des Selbstleseverfahrens. Eine nach Eingang der Revisionsbegründung vom Vorsitzenden erstrebte Berichtigung des Protokolls hinsichtlich des von ihm sicher erinnerten, indes nicht protokollierten Abschlusses des Selbstleseverfahrens am 8. Juli 2008 kam nicht zustande, weil sich die Protokollführerin daran nicht mehr erinnert hat (S. 2 der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden vom 3. März 2009; Sachakte Bl. 8723).
4
3. Bei dieser Sachlage bleibt das unberichtigt gebliebene Protokoll für die Entscheidung des Senats maßgeblich (BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 2; BGH wistra 2010, 31, 32). Es ist davon auszugehen, dass nicht, wie für eine Verwertung der Urkunden gemäß § 261 StPO erforderlich, in der Hauptverhandlung festgestellt worden ist, dass Berufsrichter und Schöffen von dem Wortlaut der 162 Urkunden der Urkundenliste 3 Kenntnis genommen haben. Eine Widersprüchlichkeit des Protokolls, die gestattet hätte , hiervon nach Freibeweis abzuweichen, liegt nicht vor. Hierzu brauchte insbesondere die Revision nichts Weitergehendes vorzutragen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
5
a) Das vom Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs in BGHSt 51, 298 im Wege verfassungsgerichtlich gebilligter Rechtsfortbildung (BVerfG NJW 2009, 1469) eingeführte Protokollberichtigungsverfahren, das geeignet ist, einer auf den Inhalt des Protokolls gegründeten Verfahrensrüge nach Revisionseinlegung die Erfolgsaussicht zu entziehen, hätte auch die hier vom Vorsitzenden erstrebte Protokollberichtigung hinsichtlich des Abschlusses des Selbstleseverfahrens erfasst. Leitsätze und Gründe des Beschlusses des Großen Senats für Strafsachen und der dessen Rechtsauffassung billigende Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts enthalten keine Einschränkungen auf bestimmte Fallkonstellationen. Der Große Senat stellt vielmehr auf die Vorteile des neuen Protokollberichtigungsverfahrens ab (aaO S. 308 Tz. 37), wozu gerade auch eine Begrenzung der bisherigen immer stärker ausgeweiteten Rechtsprechung zur Lückenhaftigkeit des Protokolls gehöre, der – jedenfalls in Grenzfällen – hinreichend klare und verlässliche Konturen fehlen (aaO S. 313 f. Tz. 56). Ferner sei eine Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung unter dem Aspekt, die Tatgerichte zum Einhalten der Vorschriften über die Protokollführung anzuhalten , nicht geboten (aaO S. 314 Tz. 57). Diese Erwägungen gelten ersichtlich für alle Varianten einer Protokollberichtigung. Der – nicht tragend geäußerten – Rechtsauffassung des 2. Strafsenats, eine Protokollberichtigung sei hinsichtlich des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO ausgeschlossen (NJW 2009, 2836, 2837, zur Aufnahme in BGHSt bestimmt), ist lediglich zu entnehmen, dass die als Abschluss des Selbstleseverfahrens vorgeschriebene Feststellung der Kenntnisnahme vom Wortlaut der Urkunden auf diesem Wege nicht nachholbar ist. Hinsichtlich der tatsächlich erfolgten entsprechenden Feststellung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung, die lediglich versehentlich nicht protokolliert wurde, bleibt die Protokollberichtigung zulässig.
6
b) Der Senat entnimmt dem Beschluss des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt aaO) eine substantielle Änderung des Strafverfahrensrechts dahingehend, dass Protokollmängel in erster Linie im Protokollberichtigungsverfahren zu beseitigen sind (vgl. auch BVerfG aaO S. 1472). So hat der Große Senat betont, dass auch die Revisionsgerichte dem Prinzip der Wahr- heit verpflichtet seien und ihrer Kognition den wahren Sachverhalt zugrunde zu legen haben (aaO S. 309 Tz. 42). Dessen Ermittlung setze besonders hohe Anforderungen an die Sorgfalt bei der hier infrage stehenden Berichtigung voraus (aaO S. 315 Tz. 59), wobei eine rechtlich verbindliche Form der Protokollberichtigung (aaO S. 316 f. Tz. 61 bis 65) eine zusätzliche Gewähr für die Richtigkeit der nachträglichen Änderung der Sitzungsniederschrift biete , was der Sicherung der Effektivität des Rechtsmittels der Revision diene (aaO S. 315 Tz. 60). Grundlage der Berichtigung sei die sichere Erinnerung der Urkundspersonen (aaO S. 316 Tz. 62; vgl. auch BVerfG aaO S. 1471).
7
Aus diesen grundlegenden Erwägungen hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar nicht den Schluss gezogen, dass aus der Lückenhaftigkeit des Protokolls dessen teilweise gegebene Unverbindlichkeit – mit der Folge möglichen Freibeweisverfahrens über den Verfahrensablauf unter geringeren Anforderungen als im die Verfahrenswahrheit sichernden Protokollberichtigungsverfahren (vgl. BGH StV 2004, 297, 298 m.w.N.) – nicht weiter gefolgert werden könne (vgl. BGH GS aaO S. 313 f. Tz. 56; BGH wistra 2010, 31, 32 und BGH, Beschluss vom 11. November 2009 – 5 StR 460/08 Tz. 6; vgl. auch BVerfG NJW 2009, 1469, 1471 f.). Indes hat der Strafkammervorsitzende hier zu Recht das Protokollberichtigungsverfahren nach Eingang einer hierauf bezogenen Revisionsbegründung durch Nachfrage bei der verantwortlichen Protokollführerin eingeleitet; es ist wegen Erinnerungsmangels dieser Urkundsperson nicht weiter durchführbar. Daneben dürfte eine offensichtliche Lückenhaftigkeit des Protokolls, die abweichende Feststellungen im Freibeweisverfahren zuließe, nunmehr lediglich in Fällen krasser Widersprüchlichkeit des Protokollinhalts in sich angenommen werden.
8
Die Grundlage und die Erfolgsaussicht der Verfahrensrüge des Angeklagten sind – vor der Entscheidung des Revisionsgerichts – einem neu geschaffenen Zwischenverfahren unter Beteiligung des Angeklagten überantwortet (vgl. BGH GS aaO S. 316 f. Tz. 61 bis 65). Es kann dabei keinen Un- terschied machen, ob die Position des Angeklagten in diesem Verfahren durch einen die Protokollberichtigung ablehnenden Gerichtsbeschluss oder bereits dadurch bestätigt worden ist, dass – wie hier – schon die weitere Durchführung des Berichtigungsverfahrens wegen fehlender Erinnerung einer Urkundsperson an den im Protokoll vermissten Verfahrensvorgang scheitert. Damit ist für das Revisionsgericht der unveränderte Protokollinhalt grundsätzlich verbindlich. Nur die Gründe einer Berichtigungsentscheidung – nicht aber deren Versagung – unterlägen im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge der Prüfung durch das Revisionsgericht (BGH GS aaO S. 317 Tz. 65). Für eine weitergehende Schmälerung der Position des Angeklagten im Protokollberichtigungsverfahren besteht keine Rechtfertigung (vgl. BVerfG NJW 2009, 1469, 1470, 1472).
9
c) Zwar hat das Landgericht zwei von Verteidigern gestellte Beweisanträge mit Beschlüssen vom 7. August 2008 mit dem Hinweis auf die Einführung der Urkunden, deren Verlesung begehrt worden ist, zurückgewiesen. Dieser Umstand begründet im Fall gescheiterter Protokollberichtigung – wie hier – aber keine offensichtliche Lücke des Protokolls, die das Revisionsgericht berechtigt, im Freibeweisverfahren auf dienstliche Erklärungen der Berufsrichter und Schöffen hinsichtlich des Abschlusses des Selbstleseverfahrens zurückzugreifen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2009 – 5 StR 460/08 Tz. 6 m.w.N.). Das Landgericht nimmt in den Beschlüssen nämlich nicht auf ein tatsächliches – indes nicht protokolliertes – Verfahrensgeschehen Bezug, sondern auf seine eigene Wertung, dass das Selbstleseverfahren durchgeführt worden sei. Dies beinhaltet wegen der Zweistufigkeit jenes Verfahrens aber noch keinen Hinweis im Ausmaß der Offensichtlichkeit auch auf den tatsächlich erklärten Abschluss des Selbstleseverfahrens (vgl. auch BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 2). Nach alledem war die Revision auch nicht etwa verpflichtet, diese Vorgänge vorzutragen (vgl. BVerfGE 112, 185, 213).
10
4. Auf dem zulässig gerügten Verfahrensverstoß beruht auch das angefochtene Urteil.
11
a) Das Landgericht hat seine Überzeugung auf Urkunden gestützt, die es – schon nach dem Inhalt des Urteils – aufgrund des Selbstleseverfahrens eingeführt hat (vgl. BGH NStZ 2004, 279). So führt das Landgericht zum Fall 2 beweiswürdigend aus: „Die Feststellungen der Kammer zum Verkauf der Grundstücke in Hannover und Ahrensburg und zu der Einbindung des Angeklagten O. in die Finanzierung W. s werden demgegenüber von den glaubhaften Angaben des Zeugen W. , die durch den Inhalt von im Wege der Selbstlesung eingeführten Urkunden bestätigt werden, getragen“ (UA S. 291). „… die Angaben des Zeugen W. werden durch den Inhalt der im Wege der Selbstlesung eingeführten Urkunden bestätigt. Hiernach hat der Zeuge W. den Kreditantrag bei der V. L. erst am 25.10.2004 und damit nach Abschluss des Kaufvertrages unterschrieben“ (UA S. 292). „In Bezug auf den Anlass der Darlehensvereinbarung zwischen W. und dem Angeklagten im Oktober 2005 werden die Angaben W. s durch die Kontostände der GGS und O. s, die über die Selbstlesung der Kontounterlagen zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht worden sind, bestätigt. Hiernach wurde der Vertrag just in dem Moment abgeschlossen , in dem O. einen unabweisbaren Liquiditätsbedarf hatte“ (UA S. 293).
12
b) Das Landgericht hat ferner Urkunden verwertet, zu denen es beweiswürdigend festgestellt hat, dass diese nicht im Wege des Vorhalts und der Erklärung der vernommenen Person hierzu eingeführt worden sein können (vgl. BGHR StPO § 249 Abs. 1 Verlesung, unterbliebene 1). Hierbei handelt es sich um die Urkunden Nr. 57, 58 und 96 der Urkundenliste Nr. 3, die die Kontenentwicklungen des Mitangeklagten P. und des Grundstückskäufers B. – den Fall 1 betreffend – zum Gegenstand haben. Das Landgericht hat hierzu im Zusammenhang mit einer Täuschungshandlung zum Nachteil B. s ausgeführt: „… Hinsichtlich der tatsächlich erzielten monatlichen Einnahmen aus den erworbenen Grundstücken hat der Angeklagte P. zunächst ohne nähere Erläuterung lediglich pauschal angegeben , diese hätten tatsächlich bei 15.000 € gelegen und dementsprechend die monatliche Belastung aus der Darlehensaufnahme abgedeckt. Auf Vorhalt der Kontounterlagen P. s und B. s, denen zufolge keine entsprechenden Einnahmen erzielt wurden und P. stattdessen monatlich 7.500 €, die aus anderen Quellen stammten, an B. überwies, hat der Angeklagte P. erklärt, hierüber nichts zu wissen. Nach kurzer Überlegung hat er dann ergänzt, er habe hinsichtlich der Mieteinnahmen einfach ‚keine Erinnerung mehr’“ (UA S. 274). „Dafür, dass B. s Irrtum über die Ertragskraft des Grundstücks durch die geschilderten Äußerungen P. s verursacht wurde, spricht auch, dass P. zunächst auch in seiner Einlassung behauptet hat, aus dem Grundstück tatsächliche monatliche Einnahmen in Höhe von 15.000 € erzielt zu haben. Erst auf Vorhalt der entgegenstehenden Kontounterlagen hat der Angeklagte dann wenig überzeugend erklärt, doch keine genaue Erinnerung mehr zu haben. Dafür, dass P. zumindest nach dem Kaufvertragsschluss sehr wohl noch in Erinnerung hatte , den Geschädigten B. mit angeblich zu erzielenden Einnahmen in Höhe von 15.000 € in die Irre geführt zu haben, sprechen vor allem auch seine in der Folge des Vertragsschlusses vorgenommenen monatlichen Überweisungen in Höhe von jeweils 7.500 €, durch die bei B. die Fehlvorstellung erzeugt wurde, alles sei in Ordnung“ (UA S. 286).
13
Gleiches gilt für einen Kreditantrag des Zeugen B. vom 11. November 2004 (Urkunde Nr. 99). Hierzu hat das Landgericht ausgeführt : „Gegen die Glaubhaftigkeit der entscheidenden Angaben B. s sprach auch nicht, dass er nach Unterzeichnung des notariellen Kaufvertrages am 01.11.2004 an der weiteren Durchführung des Kaufvertrages mitwirkte , insbesondere, indem er am 11.11.2004 zu einem Banktermin bei der V. L. erschien, um einen Kreditantrag zu unterzeichnen, und indem er darüber hinaus auch einer späteren Änderung des notariellen Vertrages im Hinblick auf die Übernahme von Grundpfandrechten zustimmte.
Zwar hat der Zeuge B. auf den Vorhalt dieses Verhaltens nach Ansicht der Kammer wenig überzeugend und ausweichend geantwortet. Hinsichtlich seiner Unterschrift bei der Bank hat er ohne weitere Begründung erklärt, seiner Ansicht nach noch keinen verbindlichen Kreditantrag gestellt zu haben. Zur Änderung des notariellen Vertrages hat er monoton geäußert, er habe zugestimmt, um seine Ruhe zu haben“ (UA S. 288).
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Hinsichtlich der Bewilligung und Valutierung einer Grundschuld über 2 Mio. € hat das Landgericht (UA S. 138, 141 und 184) einen Vermögensnachteil der Kreditgeberin betreffende Wertungen getroffen und hierzu (UA S. 275) beweiswürdigend ausgeführt: „O. s Behauptung, er sei hinsichtlich des P. -Kredites von Beginn an von einer ordnungsgemäßen Sicherung ausgegangen, lässt sich nicht mit den von ihm nicht in Abrede genommenen objektiven Umständen vereinbaren, wonach die Bewilligung der Grundschuld in Höhe von 2 Mio. € auf dem Grundstück Hannover-Ahlem durch die P. (August 2004) erst nach Beginn der Valutierung (Juli 2004) erfolgte, bzw. der Antrag auf Eintragung der Grundschuld sogar erst drei Monate danach gestellt wurde und keine Sicherungszweckerklärung in Bezug auf den P. -Kredit vorlag. Der Angeklagte hat hierzu gar keine Stellung genommen und sich stereotyp darauf zurückgezogen, als Kreditnehmer sei die Besicherung letztlich nicht seine Sache gewesen“. Hieraus folgt, dass weder P. noch der Angeklagte insoweit Erklärungen abgegeben haben.
15
c) Durch den Revisionsvortrag (Schriftsatz des Verteidigers Rechtsanwalt L. S. 183 bis 218) ist ferner bewiesen, dass im Fall 3 die Unterzeichnung eines vorausgefüllten Überweisungsformulars über die volle Kreditsumme in Höhe von 800.000 € durch N. nur durch Verwertung dieser Urkunde belegt sein kann. Die hierzu in der Hauptverhandlung – übereinstimmend nach Revisionsvortrag und Urteil – vernommene Verhörsperson konnte Gegenteiliges nicht bekundet haben, weil N. in jener Vernehmung keine Erinnerung an die Höhe des überwiesenen Betrages hatte. Das Landgericht hat hierzu ausgeführt: „Neben der Unterzeich- nung des Kreditantrags leistete N. auf Geheiß O. am s 14.03.2005 noch eine zweite Unterschrift, die für das Gelingen von O. s Plan von entscheidender Bedeutung war: N. unterschrieb ein vorausgefülltes Überweisungsformular über die volle Kreditsumme in Höhe von 800.000 €, demzufolge die V. L. angewiesen wurde, den Geldbetrag – im Widerspruch zu den im Kaufvertrag vereinbarten Modalitäten – direkt auf das bei der V. L. eingerichtete Konto der A. O. zu transferieren“ (UA S. 198).
16
d) Das Landgericht hat zur Bonität des Angeklagten, der von ihm beherrschten Gesellschaften G. und P. und zur Einkommenssituation des Angeklagten Feststellungen getroffen und hierbei auf den Einkommensteuerbescheid 1998, der einer „näheren Analyse“ unterzogen worden sei (UA S. 114), abgestellt und ferner auf – wie die Revision vorträgt – umfassende Einkommensteuererklärungen (UA S. 136). Die Vermögenslage der Gesellschaften des Angeklagten wird hinsichtlich zahlreicher Einzelheiten „ausweislich“ deren Jahresabschlüsse für die Jahre 2002 und 2003 dargestellt (UA S. 136 f.). Diese komplexen Urkunden sind schon – jenseits des Revisionsvortrags, dass sie niemandem vorgehalten worden seien – für eine Einführung in die Hauptverhandlung durch Erklärung auf einen Vorhalt ungeeignet (vgl. BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 2 m.w.N.).
17
e) Das Landgericht hat schließlich auch in seiner Gesamtwürdigung dem Urkundenbeweis einen hohen Wert zugemessen (UA S. 302). Der Senat sieht sich deshalb – im Gegensatz zur Auffassung des Generalbundesanwalts – gehindert, ein Beruhen des Urteils auf – weitgehend dem Urteil selbst zu entnehmenden – Schlüssen aus Urkunden auszuschließen, deren Einführung in die Hauptverhandlung an verfahrensrechtlichen Defiziten krankte (vgl. BGH NJW 2009, 2836, 2837).
Basdorf Raum Brause Schneider Bellay

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, so kann das Gericht anordnen, daß der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält; eine solche Anordnung ist auch unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 2 zulässig, soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. Die Entscheidung ist unanfechtbar. Die Aussage wird zeitgleich in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen. Sie soll aufgezeichnet werden, wenn zu besorgen ist, daß der Zeuge in einer weiteren Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. § 58a Abs. 2 findet entsprechende Anwendung.

(2) Das Gericht kann anordnen, dass die Vernehmung eines Sachverständigen in der Weise erfolgt, dass dieser sich an einem anderen Ort als das Gericht aufhält und die Vernehmung zeitgleich in Bild und Ton an den Ort, an dem sich der Sachverständige aufhält, und in das Sitzungszimmer übertragen wird. Dies gilt nicht in den Fällen des § 246a. Die Entscheidung nach Satz 1 ist unanfechtbar.

5 StR 315/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 28. September 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. September 2011

beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 30. Dezember 2010 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat zu den von allen Angeklagten jeweils zulässig erhobenen Verfahrensrügen der Verletzung des § 247a StPO: Das Landgericht hat – nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten – auf jeweils schriftlich gestellten Antrag zweier Zeugen deren audiovisuelle Vernehmung gemäß § 247a StPO durch außerhalb der Hauptverhandlung erlassenene Beschlüsse angeordnet und diese den Verfahrensbeteiligten formlos mitgeteilt. Eine Verkündung und Verlesung der Beschlüsse in der Hauptverhandlung erfolgte nicht. Entsprechend den Anordnungen wurden die Zeugen audiovisuell vernommen, ohne dass die Angeklagten dieser Vorgehensweise widersprachen.
Die von den Revisionen vorgebrachten Einwendungen, dass die Beschlussanordnungen nach § 247a StPO nicht vom gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erlassen worden seien, weil hierfür ausschließlich die Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung einschließlich der Schöffen zuständig gewesen wäre, greifen nicht. Eine gesetzliche Regelung, wonach zwingend die Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung über die Anordnung nach § 247a StPO zu entscheiden hat, besteht nicht. Ein solches Erfordernis ist auch nicht aus der Gesetzessystematik als Vorschrift des Zweiten Buches, 6. Abschnitt der Strafprozessordnung herzuleiten. Der Bundesgerichtshof hat mehrfach entschieden, dass auch bei laufender Hauptverhandlung Gerichtsentscheidungen in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung getroffen werden können (vgl. BGH, Urteil vom 27. August

1986

– 3 StR 223/86, BGHSt 34, 154, 155 f.; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 StR 648/10, StV 2011, 295).
Auch vorliegend ist die Beschlussfassung des Gerichts in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung nicht zu beanstanden. Zur Vorbereitung der audiovisuellen Vernehmung ist mitunter eine erhebliche Vorlaufzeit erforderlich, etwa um die technischen und tatsächlichen Modalitäten der Vernehmung abzuklären (vgl. Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 247a Rn. 17). Darüber hinaus hat das Gericht im Interesse der Verfahrensbeteiligten, insbesondere wenn ein Zeuge zu seinem Schutz seine audiovisuelle Vernehmung bereits im Vorfeld beantragt hat, aus Gründen der Rechtsklarheit die beabsichtigte Entscheidung zu treffen und die Beteiligten hierüber in Kenntnis zu setzen. Die Verteidigung des Angeklagten wird hierdurch nicht eingeschränkt, weil das Gericht in der Hauptverhandlung an seine Entscheidung nicht gebunden ist und jederzeit – namentlich auch auf entsprechenden Antrag von Seiten des Angeklagten – seine Entscheidung ändern kann (vgl. Becker aaO).
Basdorf Raum Schneider König Bellay

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Unterbliebener Gerichtsbeschluss bei Widerspruch gegen die
Anordnung des Selbstleseverfahrens und Beruhen.
BGH, Beschluss vom 28. August 2012 – 5 StR 251/12
LG Dresden –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 28. August 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. August 2012

beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 6. Dezember 2011 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und acht Monaten verurteilt. Die Angeklagten V. und J. O. hat es jeweils wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Gegen alle Angeklagten ist Wertersatzverfall angeordnet worden.
2
Die gegen dieses Urteil gerichteten, mit der Sachrüge und von A. zudem mit Verfahrensrügen begründeten Revisionen der Angeklagten sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf nur die auf die Verletzung des § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO gestützte Verfahrensrüge des Angeklagten A. .
3
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
4
Nachdem der Vorsitzende zunächst bekannt gegeben hatte, dass beabsichtigt sei, bestimmte – in einer Liste im Einzelnen bezeichnete – Wortprotokolle der überwachten Telefongespräche sowie Observationsberichte im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung einzuführen, widersprach der Verteidiger des Angeklagten A. der beabsichtigten Einführung der Protokolle aus den Erkenntnissen der Telefonüberwachung und kündigte mit spezifischen Einwänden gegen deren Aufnahmequalität „für den Fall der Anordnung des Selbstleseverfahrens Widerspruch an“. Nachdem der Vorsitzende den Prozessbeteiligten eine weitere Liste der Urkunden überreicht hatte, deren Einführung im Selbstleseverfahren beabsichtigt war, widersprach ein weiterer Verteidiger im Folgetermin gemäß § 249 Abs. 2 StPO ausdrücklich der Einführung der im Einzelnen benannten Urkunden im Selbstleseverfahren.
5
Ohne die Widersprüche zu bescheiden, wurde dann mit den Prozessbeteiligten erörtert, welche Urkunden im Selbstleseverfahren eingeführt werden sollten. Anschließend wurde festgestellt, dass die Angeklagten, die Verteidiger und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Gelegenheit hatten, die in den Anlagen näher bezeichneten Urkunden und Schriftstücke zu lesen. Die Schöffen und Berufsrichter erklärten ausdrücklich, dass sie diese Urkunden und Schriftstücke bereits gelesen hätten. Sodann erging die Verfügung des Vorsitzenden, dass hinsichtlich dieser Urkunden auf die Verlesung verzichtet und gemäß § 249 Abs. 2 StPO das Selbstleseverfahren angeordnet werde. Nachdem anschließend festgestellt worden war, dass der Angeklagte V. O. tatsächlich noch keine Gelegenheit gehabt hatte, die Urkunden zu lesen, wurde die Aushändigung der Urkunden an ihn veranlasst. Im nächsten Hauptverhandlungstermin wiederholte der Vorsitzende die Feststellung und ordnete in der gleichen Weise wie bereits am vorangegangenen Verhandlungstag nochmals das Selbstleseverfahren an. Eine Entscheidung über den Widerspruch der Verteidigung des Angeklagten A. gegen die Durchführung des Selbstleseverfahrens erging bis zur Urteilsverkündung nicht.
6
2. Die zulässige Rüge hat in der Sache letztlich keinen Erfolg. Gegenstand dieser Rüge ist nicht etwa die Frage eines Vorrangs der Augenscheinseinnahme bezogen auf abgehörte Gespräche vor deren Einführung durch Urkundenverlesung, sondern allein die Art und Weise der Einführung durch Urkundenbeweis.
7
a) Der Beschwerdeführer beanstandet mit Recht einen Verstoß bei der Anordnung des Selbstleseverfahrens. Über den Widerspruch des Verteidigers ist nicht durch Gerichtsbeschluss entschieden worden. Dies war nach § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO geboten, und zwar ungeachtet dessen, dass der Widerspruch hier bereits vor der eigentlichen Vorsitzendenanordnung, indes nach deren ausdrücklicher Ankündigung erhoben worden ist. Dies gilt jedenfalls angesichts der strukturell allzu spät erst nach Feststellung der Selbstlesemodalitäten getroffenen ausdrücklichen Vorsitzendenanordnung.
8
Dass der klar und unbedingt, nicht etwa nur vorläufig erklärte und später ausweislich des Revisionsvorbringens weder in Frage gestellte noch gar zurückgenommene Widerspruch nach Erlass der schließlich allein vom Vorsitzenden getroffenen Anordnung des Selbstleseverfahrens nicht wiederholt worden ist, begründet bei dem hier gegebenen Verfahrensablauf nicht etwa einen Verlust der Revisionsrüge.
9
b) Der durch das Unterbleiben eines Gerichtsbeschlusses trotz Widerspruchs gegen die Anordnung des Selbstleseverfahrens begründete Verstoß gegen § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO kann grundsätzlich mit der Revision gerügt werden. Entgegen einer verbreiteten Ansicht im Schrifttum (vgl. etwa MeyerGoßner , StPO, 55. Aufl., § 249 Rn. 31; Mosbacher in LR-StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 110; Frister in SK-StPO, 4. Aufl., § 249 Rn. 116; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 7. Aufl., Rn. 2069) ist auch nicht regelmäßig auszu- schließen, dass das Urteil auf einem solchen Verstoß beruht. Vielmehr ist stets die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass aufgrund des Gerichtsbeschlusses vom Selbstleseverfahren Abstand genommen worden wäre. Da der gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO erhobene Widerspruch lediglich das Absehen von der Verlesung – mithin die Art der Beweiserhebung und nicht die Verwertung der Urkunden als solche – betrifft, ist mit dem Revisionsvortrag bei der Beruhensprüfung darauf abzustellen, ob ausgeschlossen werden kann, dass für den Fall alternativer Verlesung nach § 249 Abs. 1 StPO der in dem mangelhaft angeordneten Selbstleseverfahren eingeführten Urkunden ein abweichendes Beweisergebnis denkbar wäre, und zwar namentlich infolge hierbei erhobener erheblicher Einwände von Verfahrensbeteiligten. Eine derartige Prüfung vermag nicht ohne weiteres stets einen Ausschluss des Beruhens des Urteils auf dem Verstoß zu rechtfertigen. Bereits aus dem unter anderem in §§ 250, 261, 264 StPO zum Ausdruck kommenden Prinzip der Mündlichkeit der Beweisaufnahme, das auch gewährleisten soll, dass der Prozessstoff den Beteiligten zur Kenntnis gebracht und zur Diskussion gestellt wird (vgl. hierzu etwa Pfeiffer/Hannich in KK-StPO, 6. Aufl., Einl. Rn. 8), lässt sich der Ausnahmecharakter des Selbstleseverfahrens – gegenüber dem Regelfall der Urkundenverlesung in der Hauptverhandlung gemäß § 249 Abs. 1 StPO – ableiten. Dieser findet in der speziell für das Selbstleseverfahren als besondere Form der Einführung von Urkunden geregelten Widerspruchsmöglichkeit und dem durch den Widerspruch begründeten Erfordernis eines Gerichtsbeschlusses seinen gesetzlichen Ausdruck.
10
Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Wertung ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Verlesung jenseits prozessökonomischer Erwägungen die im Vergleich zum Selbstleseverfahren vorzugswürdige Methode der Einführung von Beweisstoff in die Hauptverhandlung darstellt. Dies dürfte letztlich auch der Vorstellung des historischen Gesetzgebers entsprechen. Zwar war das Selbstleseverfahren im Gesetzgebungsverfahren, wonach unter anderem die bis dahin geltende Voraussetzung des Verzichts aller Prozessbeteiligten auf die Urkundenverlesung gestrichen wurde, ur- sprünglich als gleichwertige Alternative zu der Verlesung in der Hauptverhandlung konzipiert (vgl. Regierungsentwurf BT-Drucks. 10/1313 S. 28). In der Begründung der dann Gesetz gewordenen Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, durch die die Widerspruchsmöglichkeit in den Entwurf eingebracht wurde, wird jedoch darauf abgestellt, dass „der Staatsanwalt- schaft, dem Angeklagten und dem Verteidiger eine formalisierte Einflussnahme auf die Entscheidung darüber, ob von der Verlesung abgesehen wer- den soll, weiterhin ermöglicht werden sollte“ (BT-Drucks. 10/6592 S. 22). Mit der Einfügung des § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO in den ursprünglichen Entwurf hat der Gesetzgeber somit am Ausnahmecharakter des Selbstleseverfahrens festgehalten und einer mit ihm verbundenen gewissen Beeinträchtigung der Teilhaberechte von Verfahrensbeteiligten Rechnung getragen. Dementsprechend hat auch der Bundesgerichtshof schon zum Ausdruck gebracht, dass mit dem Selbstleseverfahren potentielle Einbußen der Qualität des Urkundenbeweises verbunden sind, die der Gesetzgeber allerdings in Kauf genommen hat und die daher von den Verfahrensbeteiligten prinzipiell zu akzeptieren sind (BGH, Beschluss vom 14. September 2010 – 3 StR 131/10, Rn. 13, NStZ-RR 2011, 20).
11
Neben normativen Überlegungen streiten auch rein tatsächliche Erwägungen dafür, ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht von vornherein als ausgeschlossen anzusehen. Eine Verlesung in der Hauptverhandlung kann den Verfahrensbeteiligten eine Chance geben, eher zu erkennen, welchen Urkunden oder Urkundeninhalten das Gericht besondere Bedeutung beimisst. Insbesondere ergibt sich durch die Verlesung die Gelegenheit für Erörterungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Einführung des jeweiligen Beweismittels (vgl. Krahl, GA 1998, 329, 336). Schwächen des Selbstleseverfahrens werden auch nicht etwa durch – jenseits des freilich in vielen Umfangsverfahren besonders wichtigen Gesichtspunkts der Prozessökonomie – denkbare Vorteile gegenüber dem Verlesen in der Hauptverhandlung ausgeglichen. Denn es bleibt neben den Richtern auch dem Staatsanwalt, dem Verteidiger und dem An- geklagten in der Regel unbenommen, in der Hauptverhandlung verlesene Urkunden selbst noch einmal zu lesen.
12
c) Im zu entscheidenden Fall kann gleichwohl ausgeschlossen werden , dass das Urteil auf dem gerügten Verstoß beruht. Dies kann zwar nicht schon daraus gefolgert werden, dass in der Revisionsbegründung nicht angegeben ist, in welcher Weise sich die Art der Beweiserhebung, also die Einführung der dem Urteil zugrunde liegenden Urkunden im Selbstleseverfahren statt durch Verlesung, auf das Beweisergebnis ausgewirkt hat und welche anderweitigen Erkenntnisse im Fall des Verlesens zu gewinnen gewesen wären (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 – 1 StR 587/09, Rn. 28, StV 2012, 74). In Anbetracht der im Urteil der Beweiswürdigung zugrunde gelegten Urkundeninhalte ist indessen nicht ansatzweise ersichtlich, wie eine Verlesung in der Hauptverhandlung zu einer anderen Bewertung der eingeführten Telefongespräche und Observationsberichte hätte führen sollen. Insbesondere angesichts der Vielzahl der aus diesen gewonnenen Indizien, für die es durchweg auf Formulierungsdetails nicht angekommen ist, ist nicht vorstellbar, dass diese seitens der Strafkammer nach Verlesung in der Hauptverhandlung anders als geschehen hätten bewertet werden können oder dass der Angeklagte durch Aufdeckung von Missverständnissen oder die Abgabe von entlastenden Erklärungen für das dokumentierte Verhalten die Schlussfolgerungen der Strafkammer ernsthaft hätte in Frage stellen können. Insoweit fällt zusätzlich ins Gewicht, dass die durch die im Selbstleseverfahren eingeführten Urkunden gewonnenen Erkenntnisse zu einem erheblichen Teil durch Zeugenaussagen, im Fall II.4 der Urteilsgründe auch durch objektive Beweismittel maßgeblich gestützt werden.
Basdorf Raum Schaal Dölp Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 587/11
vom
10. Januar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2012 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Regensburg vom 4. August 2011 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung früher verhängter Strafen zu einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
2
1. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung verkündete der Vor- sitzende folgende, „Beschluss“ genannte Anordnung und Feststellungen: „Die im Sonderband TKÜ-Band enthaltenen Gesprächsprotokolle wer- den im Selbstleseverfahren eingeführt, das Gericht hatte Gelegenheit, hiervon Kenntnis zu nehmen, alle übrigen Verfahrensbeteiligten hatten ebenfalls Gelegenheit dazu“.
3
2. Hieran knüpft die Revision an. Sie hält § 261 StPO für verletzt. Die Protokolle seien im Urteil verwertet, obwohl die Mitglieder des Gerichts vom Wortlaut der Protokolle keine Kenntnis erlangt hätten. Dies ergebe sich daraus, dass entgegen § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht festgestellt sei, dass die Richter von den Protokollen Kenntnis genommen hätten.
4
3. Hier wurde ein Selbstleseverfahren angeordnet und wegen früheren Geschehens sogleich als durchgeführt erklärt. Der Senat hat zunächst geprüft, ob dies den Anforderungen an ein Selbstleseverfahren entsprechen kann. Für die Rüge einer Verletzung von Bestimmungen, die im Zusammenhang mit einem Selbstleseverfahren zu beachten sind, wäre in dieser Form schwerlich Raum, wenn von vorneherein kein ordnungsgemäßes Selbstleseverfahren vorläge.
5
Ein Selbstleseverfahren ist - auch - in der geschilderten Weise möglich. Ziel eines Selbstleseverfahrens ist es, den Inhalt von Urkunden auch ohne ihre Verlesung zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen. Hierfür ist bedeutungslos , ob die Erklärung der Richter, vom Wortlaut der Urkunden Kenntnis genommen zu haben, darauf beruht, dass sie die Urkunden vor oder nach der Anordnung des Selbstleseverfahrens gelesen haben. Es genügt daher, wenn die Urkunden schon zuvor, etwa bei der Prüfung der Eröffnungsentscheidung , gelesen wurden. Soweit Richter die Urkunden nicht ohnehin unabhängig vom Selbstleseverfahren gelesen haben, wie z.B. möglicherweise ein zweiter Beisitzer oder ein Ergänzungsrichter und regelmäßig Schöffen, genügt es dementsprechend , wenn dies, etwa im Vorgriff auf ein beabsichtigtes Selbstleseverfahren schon vor dessen Anordnung, parallel zur Hauptverhandlung oder auch schon vor der Hauptverhandlung geschieht (vgl. Ganter in Graf, StPO § 249 Rn. 24; Diemer in KK 6. Aufl., § 249 Rn. 36).
6
Die übrigen Verfahrensbeteiligten müssen sich nicht darauf verweisen lassen, dass sie schon zuvor Gelegenheit zum Lesen der Urkunden gehabt hätten (Mosbacher in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 79). Da sie aber auf die Kenntnisnahme vom Inhalt der Urkunden sogar ganz verzichten können (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 422/10, NStZ 2011, 300 mwN), genügt - auch von der Revision nicht in Frage gestellt - die in der Hauptverhandlung unwidersprochen gebliebene Feststellung des Vorsitzenden , die übrigen Verfahrensbeteiligten hätten bereits ausreichende Gelegenheit zur Kenntnisnahme gehabt.
7
4. Nach alledem liegt im Ansatz ein prozessordnungsgemäßes Selbstleseverfahren vor.
8
Urkunden und sonstige Schriftstücke sind aber nur dann im Blick auf ein Selbstleseverfahren ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt, wenn nach dessen Durchführung (als wesentliche Verfahrensförmlichkeit, §§ 273, 274 StPO) zu Protokoll festgestellt ist, dass die Mitglieder des Gerichts vom Wortlaut der Urkunden und/oder sonstigen Schriftstücke Kenntnis genommen haben und die übrigen Verfahrensbeteiligten hierzu Gelegenheit hatten (§ 249 Abs. 2 Sätze 1 und 3 StPO). Die hier allein getroffene - auf Grund ihrer Eindeutigkeit auch keiner zu einem anderen Ergebnis führenden Auslegung zugängliche - Feststellung, die Mitglieder des Gerichts hätten Gelegenheit zur Kenntnisnahme gehabt, wird den Anforderungen des Gesetzes nicht gerecht (vgl. nur BGH, Beschluss vom 15. März 2011 - 1 StR 33/11, NStZ-RR 2011, 253, 255 mwN).
9
5. Ein Urteil beruht (§ 337 Abs. 1 StPO) auf dem aufgezeigten Mangel, wenn nicht auszuschließen ist, dass wesentliche Urteilsfeststellungen durch die nicht in einem ordnungsgemäß durchgeführten Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführten Urkunden und/oder Schriftstücke beeinflusst worden sind. Allein der Umstand, dass das Selbstleseverfahren durchgeführt worden ist, belegt die Bedeutung der Urkunden und/oder Schriftstücke für die Urteilsfeststellungen nicht (vgl. schon Kempf, StV 1987, 215, 221, 222), selbst die bloße Erwähnung eines Beweismittels bei der gelegentlich anzutreffenden, rechtlich nicht gebotenen und daher überflüssigen floskelhaften Aufzählung der Beweismittel besagt nicht notwendig, dass sich aus ihm etwas Wesentliches für die Urteilsfindung ergeben haben muss (Engelhardt in KK StPO, 6. Aufl., § 267 Rn. 13 mwN). Maßgeblich sind letztlich die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die konkreten Ausführungen zur Beweiswürdigung (vgl. BGH aaO).
10
Hier hat die Strafkammer gesondert für die Feststellungen zum Vortat-, Tat- und Nachtatgeschehen die maßgeblichen Beweismittel aufgezählt, die zwar hinsichtlich der Zeugen nicht in vollem Umfang identisch sind, die „im Selbstleseverfahren eingeführten TKÜ-Protokolle“ aber jeweils nennen.
11
Der Generalbundesanwalt weist allerdings zutreffend darauf hin, dass einem wichtigen Zeugen die Protokollierung einiger zentraler Telefongespräche vorgehalten wurde. Jedoch kann eine darauf erfolgte Zeugenaussage nicht den Inhalt der Urkunde bestätigen, sondern nur das, was der Zeuge zu dem ihm vorgehaltenen Inhalt gesagt hat (vgl. Diemer in KK StPO, 6. Aufl., § 249 Rn. 42 mwN). Die Strafkammer stellt jedoch nicht nur auf diese Aussagen ab, sondern etwa auch darauf, dass die Aussage des Zeugen mit einem Gesprächsprotokoll „korrespondiert“.
12
Soweit schließlich festgestellt ist, dass nach der Aussage eines Polizei- beamten „der Geschädigte den Inhalt der Gespräche … geschildert hat, wie in den TKÜ-Protokollen dokumentiert“, lässt dies unterschiedliche Auslegungen zu. Könnte diese Feststellung nur dahin verstanden werden, dass der Polizeibeamte berichtet hat, die Aussage des Geschädigten hätte nach einer von ihm (dem Polizeibeamten) vorgenommenen Überprüfung mit dem Inhalt der TKÜ- Protokolle übereingestimmt, könnte möglicherweise insoweit ein Beruhen des Urteils auf dem unzureichenden Selbstleseverfahren ausgeschlossen werden. Die genannte Urteilspassage lässt aber ebenso die Auslegung zu, dass nicht der Polizeibeamte die Aussage des Geschädigten mit den Protokollen verglichen hat, sondern dass die Strafkammer den Vergleich der vom Polizeibeamten berichteten Aussagen des Geschädigten mit den Protokollen selbst vorgenommen hat.
13
6. Im Ergebnis kann nach alledem ein Beruhen des Urteils auf dem aufgezeigten Mangel nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden. Deshalb hat die Revision Erfolg, ohne dass es noch auf Weiteres ankäme.
Nack Wahl Graf Jäger Sander

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

5 StR 613/99

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 6. Juli 2000
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
wegen Körperverletzung im Amt
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Juli 2000

beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten R und S wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 4. Mai 1998 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben
a) in den Einzelstrafaussprüchen zu Fall 8, betreffend R , und zu Fall 9, betreffend S ,
b) in den Gesamtstrafaussprüchen gegen diese Angeklagten.
2. Die weitergehenden Revisionen dieser Angeklagten sowie die Revisionen der Angeklagten G und D gegen das genannte Urteil werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Die sofortigen Beschwerden der Angeklagten G und S gegen die sie betreffenden Kostenentscheidungen in dem genannten Urteil werden auf deren Kosten als unbegründet verworfen.
Die Angeklagten G und D haben die Kosten ihrer Revisionen zu tragen.
Der Angeklagte G hat die den Nebenklägern T V H , T T D , Q M N , D K , N , L A D und D U N im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tra- gen, der Angeklagte R diejenigen der Nebenkläger L T , H V L , H T und D K N , der Angeklagte S diejenigen der Nebenkläger T V H und T Q T sowie der Angeklagte D diejenigen des Nebenklägers L A D .
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten der Revisionen der Angeklagten R und S , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat die Angeklagten, die zu den Tatzeiten zwischen Februar 1993 und Juni 1994 als Polizeibeamte in Bernau tätig waren, wegen insgesamt zwölf Fällen auf der dortigen Wache (oder bei der Zuführung dorthin) verübter Mißhandlungen für schuldig befunden. Opfer der Taten waren vorläufig festgenommene Ausländer, zumeist Vietnamesen, die im Verdacht illegalen Zigarettenhandels standen. Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Körperverletzung im Amt verurteilt: die Angeklagten G , R und S z u – jeweils zur Bewährung ausgesetzten – Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren gegen G (neun Fälle), einem Jahr gegen R (drei Fälle) und zehn Monaten gegen S (zwei Fälle), ferner den Angeklagten D (ein Fall) zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 60 DM. Abgesehen von der sachlichrechtlich fehlerhaften Bemessung von je einer Einzelstrafe bei R und S , deren Aufhebung jeweils auch die der Gesamtstrafe nach sich zieht, sind die Revisionen der Angeklagten unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Zu den Verfahrensrügen merkt der Senat im Anschluß an die Ausführungen des Generalbundesanwalts lediglich an:
a) Es bedarf keiner Entscheidung, ob und inwieweit mit den Revisionen die Grundlagen für Vereidigungsverbote nach § 60 Nr. 2 StPO hinreichend dargestellt worden sind, die als Zeugen vernommene, vereidigte Polizeiangehörige betrafen, die ausgesagt hatten, sie hätten nichts von Mißhandlungen vorläufig festgenommener Personen auf der Polizeidienststelle bemerkt. Mit dem Generalbundesanwalt ist nämlich sicher auszuschließen, daß das angefochtene Urteil auf entsprechenden Verstößen – die in der Sache nicht fernliegen – beruhen kann. Das Landgericht hat den Zeugen ungeachtet ihrer Vereidigung keinen Glauben geschenkt. Nach der Darstellung der Beweiswürdigung im Urteil und der Gesamtheit des Revisionsvorbringens läßt sich ausschließen, daß die Verteidigung eines der Angeklagten in der mehr als zwei Jahre andauernden Hauptverhandlung sich nicht der Gefahr bewußt gewesen wäre, daß das Gericht die entsprechenden Angaben der Polizeikollegen der Angeklagten weitgehend als entlastende Falschaussagen bewerten würde. Daher läßt sich auch aus dem – zweifelhaften (vgl. BGH StV 1986, 89) – Gesichtspunkt einer Desinformation der Verteidigung hier kein Beruhen des Urteils auf den geltend gemachten Verstößen unzulässiger Vereidigung ableiten.

b) Auch die auf Verletzung des § 229 StPO gestützten Rügen können keinen Erfolg haben. Inwieweit sie bereits wegen Verwirkung unzulässig sind, weil die beanstandete karge Verfahrensgestaltung an einem Verhandlungstag gerade auf Wunsch eines Verteidigers und mit Rücksicht auf dessen Terminsschwierigkeiten erfolgte (vgl. BGHR StPO § 338 Nr. 5 – Verteidiger 3; BGH NStZ 1997, 451; BGH, Beschluß vom 25. Februar 2000 – 2 StR 514/99 –), bedarf keiner näheren Klärung; denn es ist in keinem Fall dargetan, daß es an einer ausreichenden Sachverhandlung gefehlt hätte.
Eine solche liegt stets vor, wenn die Verhandlung den Fortgang der der Urteilsfindung dienenden Sachverhaltsaufklärung betrifft. Die Entgegennahme hierauf bezogener Verteidigeranträge – insbesondere von Beweisanträgen – ist daher fraglos Sachverhandlung (die von der Revision zitierte abweichende Kommentierung von Julius in HK-StPO 2. Aufl. § 229 Rdn. 10 – unter Bezugnahme auf eine zu ganz anderer Fallgestaltung ergangene Entscheidung – ist ersichtlich unzutreffend). Nicht anders beurteilt der Senat den Fall, daß die Hemmung einer als erforderlich angesehenen Sachverhaltsaufklärung festzustellen und über die Reaktion hierauf zu verhandeln ist; auch die Verhandlung über das Ausbleiben eines geladenen Zeugen ist mithin als Sachverhandlung anzusehen (anders – nicht tragend – BGHR StPO § 229 Abs. 1 – Sachverhandlung 2 m.w.N.). Die gerichtliche Reaktion hierauf, der Erlaß eines Ordnungsmittel- und Kostenbeschlusses wie die Entschließung über etwaige Zwangsmaßnahmen (§ 51 StPO), hat sich nämlich maßgeblich am Fortgang der Sachaufklärung zu orientieren. Abgesehen davon wird mit einer entsprechenden Kostenentscheidung die spätere umfassende Kostenentscheidung vorab partiell modifiziert. Danach liegt in der nach gerichtlicher Beratung erfolgenden Verkündung einer solchen Entscheidung regelmäßig eine Sachförderung im Sinne einer Sachverhandlung. Dies kann grundsätzlich nicht von der nachträglich im Revisionsverfahren nur schwer zu beurteilenden Frage abhängen, ob die Entscheidung im Einzelfall von diffizilen Überlegungen abhing oder ohne weiteres schnell zu treffen war. Besondere Indizien, die ausreichen könnten, hier gleichwohl eine gezielte „Scheinverhandlung” zu belegen (vgl. BGHR StPO § 229 Abs. 1 – Sachverhandlung 3), vermag der Senat – nicht anders als der Generalbundesanwalt – dem Revisionsvorbringen nicht zu entnehmen.
Abgesehen davon ist der Senat der Auffassung, daß sich derartige Erwägungen bei nicht gänzlich fehlendem Sachbezug des Gegenstandes eines Sitzungstages für das Revisionsgericht grundlegend verbieten. Mangels Entscheidungserheblichkeit dieses von Entscheidungen des 4. Strafsenats (BGHR StPO § 229 Abs. 1 – Sachverhandlung 2; BGH StV 1998, 359; 1999, 635) möglicherweise divergierenden Standpunktes für den vorliegenden Fall kommt eine entsprechende Anfrage nach § 132 GVG jedoch nicht in Betracht. Letztlich würden die Rügen zudem hier auch aus den vom Generalbundesanwalt angestellten Erwägungen scheitern, weil das nach mehr als zweijähriger Hauptverhandlung ergangene Urteil auf dem geltend gemachten Verstoß nicht beruhen kann (vgl. BGHSt 23, 224, 225).

c) Gegen die Vollständigkeit des Vortrags zu der auf § 338 Nr. 3 StPO gestützten Verfahrensrüge des Angeklagten G , die sich auf Anregungen des Strafkammervorsitzenden zur Anwendung des § 154 StPO bezieht, bestehen zwar entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts keine Bedenken. Die Rüge hat indes aus den zutreffenden Gründen der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs durch das Landgericht in der Sache keinen Erfolg.

d) Die auf Verletzung des § 261 StPO gestützten Verfahrensrügen des Angeklagten S könnten auch in der Sache keinen Erfolg haben. Abgesehen von der unbedenklichen Anwendung des Selbstleseverfahrens ist in keinem Fall ersichtlich, weshalb die gewonnenen Erkenntnisse nicht auch durch zulässigen, nicht protokollierungspflichtigen Urkundenvorhalt zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sein sollten. Entgegen dem Revisionsvorbringen ist das Landgericht im Fall 2 nicht davon ausgegangen, daß der Angeklagte S ein Sicherstellungsprotokoll selbst unterzeichnet hätte.
2. Die Sachrügen der Angeklagten G und D bleiben insgesamt , die der Angeklagten R und S weitgehend erfolglos.

a) Die Nachprüfung der auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung basierenden Schuldsprüche läßt keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Ange- klagten erkennen. Dies gilt auch für die gesamten Rechtsfolgenaussprüche bei den Angeklagten G und D . Daß die Sanktionen gegen diese Angeklagten im Ergebnis noch milder ausfallen könnten, wenn zusätzlich die unvertretbare Verfahrensverzögerung im Revisionsverfahren in Rechnung gestellt würde, ist auszuschließen. Bei den Angeklagten R und S wird dieser Gesichtspunkt bei den neu festzusetzenden Gesamtstrafen ergänzend mitzuberücksichtigen sein.

b) Bei dem Angeklagten R hat die Einsatzstrafe von zehn Monaten Freiheitsstrafe im Fall 6 – Körperverletzungen zum Nachteil von drei Personen betreffend, welche der Tatrichter kaum vertretbar, indes ohne den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler zu einer Tat zusammengefaßt sah – Bestand, ebenso die Einzelstrafe von vier Monaten Freiheitsstrafe im Fall 7, in dem die – unterbliebene – Erörterung besonderer Umstände im Sinne des § 47 StGB angesichts der Mitwirkung des Angeklagten an Mißhandlungen von insgesamt fünf vorläufig festgenommenen Personen an einem Tag ausnahmsweise entbehrlich war. Nicht verständlich bleibt jedoch die Verhängung einer Einzelstrafe von neun Monaten Freiheitsstrafe im Fall 8, mit der ein Unterlassen geahndet wurde. Die Höhe dieser Strafe, die aus dem nach § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 340 Abs. 1 Satz 1 StGB gebildet wurde, ist im Blick auf die Verhängung einer Einzelstrafe von nur sechs Monaten Freiheitsstrafe gegen den in diesem Fall aktiven Täter G unverständlich. Möglicherweise hat das Landgericht in den Urteilsgründen bei der Strafzumessung die Fälle 7 und 8 verwechselt, sicher klären läßt sich dies indes angesichts des eindeutig abweichenden Wortlauts nicht. Eine Auswirkung des Rechtsfehlers auch auf die Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe – deren Festsetzung auf nur elf Monate bei niedrigerer Einzelstrafbemessung angesichts des ausgesprochen engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhanges der Taten nicht auszuschließen ist – bleibt möglich, so daß der Senat die Neufestsetzung der aufzuhebenden Einzelstrafe wie der Gesamtstrafe einem neuen Tatrichter überläßt.
Hierfür bedarf es allerdings nicht der Aufhebung von Feststellungen. Der neue Tatrichter wird neben sämtlichen maßgeblichen Feststellungen aus dem angefochtenen Urteil noch die nach Erlaß des ersten Urteils eingetretene Verfahrensverzögerung, gegebenenfalls auch neue widerspruchsfreie Feststellungen zur persönlichen Entwicklung des Angeklagten R zu berücksichtigen haben.

c) Bei dem Angeklagten S hat die Einsatzstrafe von acht Monaten Freiheitsstrafe im Fall 9 – einem Unterlassungsfall – keinen Bestand, weil der Tatrichter nicht mitteilt, ob er ebenso wie bei allen anderen Unterlassungsfällen , in denen er dies jeweils hinreichend zum Ausdruck gebracht hat, von der Milderungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB Gebrauch gemacht hat. Aus der Höhe der Einzelstrafe, die mehrere in Fällen aktiven Tuns verhängte Einzelstrafen übersteigt, geht nicht hervor, daß der Tatrichter von der Strafrahmenverschiebung Gebrauch gemacht hat. Freilich mag eine Versagung der Strafrahmenverschiebung oder auch die Höhe der verhängten Einzelstrafe trotz erfolgter Strafrahmenverschiebung aus dem Gewicht der konkreten Mißhandlung erklärbar sein, dies versteht sich indes ohne entsprechende tatrichterliche Wertung nicht von selbst.
Die gebotene Aufhebung der Einsatzstrafe zieht auch die Aufhebung der Gesamtstrafe – nicht anders als bei R unter Aufrechterhaltung sämtlicher Feststellungen – nach sich. Hingegen besteht kein Anlaß, auch die weitere ersichtlich rechtsfehlerfrei bemessene Einzelstrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe im Fall 2 mitaufzuheben.
3. Nach § 473 Abs. 1 Satz 2 StPO ist die Anordnung der Erstattung der – teils gesamtschuldnerisch zu tragenden (§ 472 Abs. 4, § 471 Abs. 4 Satz 2 StPO) – Nebenklägerauslagen für die Revisionen sämtlicher Angeklagten – auch derjenigen, bei denen ein geringer Teilerfolg möglich bleibt, der indes insoweit keinesfalls einen Nachlaß nach § 473 Abs. 4 Satz 2 StPO zuließe – bereits entscheidungsreif.
Die Kostenbeschwerden der teilweise freigesprochenen Angeklagten G und S s ind offensichtlich unbegründet: Die Beschwerdeführer haben offenbar übersehen, daß der Tatrichter die erforderliche Teilentscheidung nach § 467 Abs. 1 StPO im Urteil jeweils getroffen hat.
Harms Häger Basdorf Raum Brause

(1) Eine Hauptverhandlung darf bis zu drei Wochen unterbrochen werden.

(2) Eine Hauptverhandlung darf auch bis zu einem Monat unterbrochen werden, wenn sie davor jeweils an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat.

(3) Hat eine Hauptverhandlung bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden, so ist der Lauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen gehemmt, solange

1.
ein Angeklagter oder eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen Krankheit oder
2.
eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen gesetzlichen Mutterschutzes oder der Inanspruchnahme von Elternzeit
nicht zu der Hauptverhandlung erscheinen kann, längstens jedoch für zwei Monate. Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluß fest.

(4) Wird die Hauptverhandlung nicht spätestens am Tage nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist fortgesetzt, so ist mit ihr von neuem zu beginnen. Ist der Tag nach Ablauf der Frist ein Sonntag, ein allgemeiner Feiertag oder ein Sonnabend, so kann die Hauptverhandlung am nächsten Werktag fortgesetzt werden.

(5) Ist dem Gericht wegen einer vorübergehenden technischen Störung die Fortsetzung der Hauptverhandlung am Tag nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist oder im Fall des Absatzes 4 Satz 2 am nächsten Werktag unmöglich, ist es abweichend von Absatz 4 Satz 1 zulässig, die Hauptverhandlung unverzüglich nach der Beseitigung der technischen Störung, spätestens aber innerhalb von zehn Tagen nach Fristablauf fortzusetzen. Das Vorliegen einer technischen Störung im Sinne des Satzes 1 stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 98/10
vom
19. August 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. August
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Hubert,
Mayer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. September 2009 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Vorstrafe zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf Rügen der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
Zu der Rüge des Beschwerdeführers, das Landgericht habe gegen § 229 Abs. 1 und 4 StPO verstoßen, da der Sitzungstag vom 25. August 2009 keine Fortsetzung der Hauptverhandlung im Sinne von § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO gewesen sei, bemerkt der Senat ergänzend: Es kann dahinstehen, ob die an diesem Tag erfolgte Neubestellung der Nebenklagevertreterin ("Umbeiordnung") eine Verhandlung zur Sache im Sinne der Unterbrechungsvorschriften darstellt. Jedenfalls die Mitteilung des Vorsitzenden, dass die in einem Beweisantrag (der Verteidigung) benannten Zeugen für den nächsten Termin geladen werden sol- len, erfüllt die Kriterien für eine wirksame Fortsetzung der Hauptverhandlung in diesem Sinne; denn sie diente der Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten darüber , dass dem Beweisantrag der Verteidigung stattgegeben worden war (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 1994 - 3 StR 439/92, bei Kusch NStZ 1995, 18, 19 Nr. 8). Hieran hält der Senat fest.
VRiBGH Becker befindet sich Pfister RiBGH von Lienen befindet sich im Urlaub und ist daher an der im Urlaub und ist daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Unterschriftsleistung gehindert. Pfister Pfister Hubert Mayer

(1) Eine Hauptverhandlung darf bis zu drei Wochen unterbrochen werden.

(2) Eine Hauptverhandlung darf auch bis zu einem Monat unterbrochen werden, wenn sie davor jeweils an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat.

(3) Hat eine Hauptverhandlung bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden, so ist der Lauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen gehemmt, solange

1.
ein Angeklagter oder eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen Krankheit oder
2.
eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen gesetzlichen Mutterschutzes oder der Inanspruchnahme von Elternzeit
nicht zu der Hauptverhandlung erscheinen kann, längstens jedoch für zwei Monate. Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluß fest.

(4) Wird die Hauptverhandlung nicht spätestens am Tage nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist fortgesetzt, so ist mit ihr von neuem zu beginnen. Ist der Tag nach Ablauf der Frist ein Sonntag, ein allgemeiner Feiertag oder ein Sonnabend, so kann die Hauptverhandlung am nächsten Werktag fortgesetzt werden.

(5) Ist dem Gericht wegen einer vorübergehenden technischen Störung die Fortsetzung der Hauptverhandlung am Tag nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist oder im Fall des Absatzes 4 Satz 2 am nächsten Werktag unmöglich, ist es abweichend von Absatz 4 Satz 1 zulässig, die Hauptverhandlung unverzüglich nach der Beseitigung der technischen Störung, spätestens aber innerhalb von zehn Tagen nach Fristablauf fortzusetzen. Das Vorliegen einer technischen Störung im Sinne des Satzes 1 stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 61/11
vom
7. April 2011
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 7. April 2011 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 7. September 2010, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren. Mit der Rüge, die Hauptverhandlung sei entgegen § 229 Abs. 1 StPO länger als drei Wochen unterbrochen worden, hat das Rechtsmittel Erfolg.
2
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift ausgeführt: "Die zulässig erhobene Rüge der Verletzung des § 229 Abs. 1 und 4 Satz 1 StPO greift durch. Die Revision beanstandet zu Recht, dass die Hauptverhandlung, die in der Zeit vom 28. Juli 2010 bis zum 7. September 2010 an drei Verhandlungstagen durchgeführt wurde, nach der Unterbrechung am ersten Verhandlungstag, dem 28. Juli 2010, in dem '8-minütigen Kurztermin' vom 18. August 2010 'lediglich in einem formalen Sinne und gleichsam zum Schein fortgesetzt' worden sei (RB S. 28). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 1952, 1149; 1996, 3019, 3020; 2006, 3077; NStZ 2000, 212, 214; 2008, 115; BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 1, 3-6; vgl. auch Becker in LR StPO 26. Aufl. § 229 Rdnr. 10, Gmel in KK StPO 6. Aufl. § 229 Rdnr. 6 und Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 229 Rdnr. 11, jeweils m.w.N.) ist ein Fortsetzungstermin nur dann geeignet, die Unterbrechungsfristen des § 229 Abs. 1 oder 2 StPO zu wahren, wenn in ihm zur Sache verhandelt, mithin das Verfahren inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch hin gefördert wird. Dabei genügt bereits jede Förderung des Verfahrens, selbst wenn weitere verfahrensfördernde Handlungen möglich gewesen wären und der Fortsetzungstermin auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist diente (BGH NJW 2006, 3077; NStZ-RR 1998, 335). Nicht ausreichend sind dagegen so genannte (reine) 'Schiebetermine', welche die Unterbrechungsfrist lediglich formal wahren, in denen aber tatsächlich keine Prozesshandlungen oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen vorgenommen werden, die geeignet sind, das Strafverfahren seinem Abschluss substanziell näher zu bringen (BGH NStZ 2008, 115). Unzulässig ist es darüber hinaus, einheitliche Verfahrensvorgänge, insbesondere Beweisaufnahmen, willkürlich in mehrere kurze Verfahrensabschnitte zu zerstückeln und diese auf mehrere Verhandlungstage zu verteilen, nur um hierdurch die gesetzlichen Unterbrechungsfristen einzuhalten (BGH a.a.O.). Ausgehend von diesen Maßstäben stellt der Hauptverhandlungstermin vom 18. August 2010 lediglich einen unzulässigen Schiebetermin dar. Zwar ist die Durchführung der Beweisaufnahme, zu dem die auf § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO beruhende Verlesung des Durchsuchungsberichts sowie des zugehörigen Durchsuchungs- und Sicherstellungsprotokolls gehört, grundsätzlich eine Verhandlung zur Sache und demnach geeignet , die Unterbrechungsfrist aus § 229 Abs. 1 StPO zu wahren (vgl. BGH NJW 2006, 3077, 3078). Auch steht die relativ kurze Dauer des Termins seiner Eignung zur Fristunterbrechung nicht entgegen (BGH a.a.O.). Im vorliegenden Fall diente der auf den Nachmittag verschobene Termin vom 18. August 2010 jedoch allein der Einhaltung der Unterbrechungsfrist, was unzulässig ist. Dabei kann dahinstehen, ob anlässlich dieses Termins - wie die Revision behauptet und von der Strafkammer im Wege des Protokollberichtigungsverfahrens nachträglich korrigiert - das Durchsuchungs- und Sicherstellungsprotokoll ohne Wiedergabe des Sicherstellungsverzeichnisses verlesen wurde. Denn schon aus dem von der Revision in Ablichtung vorgelegten Telefaxschreiben des Vorsitzenden Richters vom 16. August 2010 (RB S. 13 f.) in Verbindung mit dem vorangegangenen Verfahrensablauf wird deutlich, dass mit der Durchführung des Termins ausschließlich die Wahrung der Unterbrechungsfrist aus § 229 Abs. 1 StPO bezweckt war. Der Vorsitzende hat in jenem Schreiben explizit zum Ausdruck gebracht, dass aufgrund der Erkrankung der Schöffin am 18. August 2010 nur ein 'kurzer Termin im Klinikum' stattfinden soll, um das Verfahren 'nicht platzen zu lassen' (RB S. 13). Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Revision sollten in dem ursprünglich auf den Vormittag desselben Tages anberaumten Fortsetzungstermin dagegen nur noch die Schlussvorträge der Verteidiger der beiden Angeklagten sowie die Urteilsberatung und -verkündung erfolgen, nachdem die Beweisaufnahme bereits im Termin vom 28. Juli 2010 geschlossen worden war und die Staatsanwaltschaft ihren Schlussvortrag gehalten hatte (RB S. 12). Ein sachlichnachvollziehbarer Grund, erneut in die Beweisaufnahme einzutreten, lässt sich weder dem angefochtenen Urteil oder den dienstlichen Stellungnahmen der beteiligten Berufsrichter entnehmen noch ist ein solcher - etwa unter Aufklärungsgesichtspunkten nach § 244 Abs. 2 StPO - sonst ersichtlich. Denn wie von der Revision vorgetragen und durch das Landgericht nicht in Abrede gestellt, waren die Angeklagten schon im ersten Hauptverhandlungstermin am 28. Juli 2010 hinsichtlich der ihnen zur Last gelegten Taten einschließlich des Verbleibs der Tatbeute umfassend geständig (vgl. UA S. 22 f., 24 f., 26 und 33). Dass eine (nochmalige) Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Ge-ständnisse durch die Strafkammer entsprechend den Ausführungen des Vorsitzenden Richters in seiner dienstlichen Äußerung im Protokollberichtigungsverfahren vom 22. November 2010 (Bl. 501 d.A.) erforderlich war, erscheint angesichts des bereits erfolgten Schlussvortrages des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft indes fernliegend. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Hauptverhandlung erst an einem einzigen Sitzungstag stattgefunden hat, wäre es auch mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz noch vertretbar gewesen, die Verhandlung innerhalb kurzer Frist von neuem zu beginnen, sofern eine Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO am Krankenbett des verhinderten Richters (dazu Becker a.a.O. Rdnr. 21) oder durch den Eintritt eines zugezogenen Ergänzungsrichters (§ 192 Abs. 2 und 3 GVG) nicht möglich war. Eine Fristenhemmung hat der Gesetzgeber bei einer derart kurzen Verfahrensdauer in § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO dagegen bewusst nicht vorgesehen (vgl. BT-Drucks. 10/1313 S. 25). Das Beruhen des Urteils auf dem aufgezeigten Verfahrensverstoß im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO kann regelmäßig - so auch hier - nicht ausgeschlossen werden (BGHSt 23, 224, 225; NJW 1952, 1149 f.; 1996, 3019, 3020; NStZ 2008, 115; Becker a.a.O. Rdnr. 42 und Gmel a.a.O. Rdnr. 15, jeweils m.w.N.). Ein besonders gelagerter Ausnahmefall , in welchem die Fristüberschreitung ersichtlich weder den Eindruck der Richter von der Hauptverhandlung abgeschwächt noch die Zuverlässigkeit ihrer Erinnerung beeinträchtigt hat, wie dies etwa bei lang andauernden Großverfahren durch die Intensivierung der Eindrücke sowie die besonderen Vorkehrungen zur Fixierung des Erinnerungsbildes der Fall sein kann (Becker a.a.O.), liegt nicht vor. Die angefochtene Entscheidung ist daher, soweit sie den Angeklagten betrifft, aufzuheben."
3
Dem schließt sich der Senat an.
Becker Pfister von Lienen
Schäfer Mayer
5 StR 190/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 22. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juni 2011

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 23. November 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben
a) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit der Angeklagte in den Fällen II.1 bis 4 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im gesamten Strafausspruch.
2. Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt (Einzelfreiheitsstrafen in den Fällen II.1 bis 4 je zwei Jahre, im Übrigen je ein Jahr) und zu Gunsten der Neben- und Adhäsionsklägerinnen S. und F. T. auf Schmerzensgeldzahlungen erkannt. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Die auf die Fälle II.1 bis 4 der Urteilsgründe bezogenen Verfahrensrügen sind demnach unerheblich. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Senat bemerkt zu der ebenfalls erfolglos bleibenden Verfahrensrüge , die Vorschrift des § 229 Abs. 1 und 4 Satz 1 StPO sei verletzt, ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts das Folgende:
3
a) Der Rüge liegt zu Grunde:
4
Am zweiten Hauptverhandlungstag, dem 13. Oktober 2010 verlas die Vorsitzende der Jugendkammer ein ärztliches Attest, das der Zeugin M. L. bescheinigte, aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung nicht vor Gericht erscheinen zu können. Daraufhin traf die Vorsitzende folgende Verfügung:
5
„Weitere Termine zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung wer- den bestimmt auf: Montag, den 01.11.2010, 9.00 Uhr (Schiebetermin) Freitag, den 19.11.2010, 9.00 Uhr Dienstag, den 23.11.2010, 9.00 Uhr Die Zeugin M. L. ist erneut zu laden auf den 19.11.2010, 9.00 Uhr.“
6
Am 1. November 2010 wurde in der Zeit von 9.02 Uhr bis 9.05 Uhr die Hauptverhandlung fortgesetzt. Es wurde der den Angeklagten betreffende Auszug aus dem Bundeszentralregister verlesen, der keinen Eintrag enthielt.
7
b) Bei dieser Verfahrensgestaltung hat am dritten Tag der Hauptverhandlung eine Sachverhandlung stattgefunden. Eine solche liegt vor, wenn die Verhandlung den Fortgang der zur Urteilsfindung führenden Sachverhaltsaufklärung betrifft (BGH, Urteil vom 11. Juli 2008 – 5 StR 74/08, BGHR StPO Sachverhandlung 9 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 7. April 2011 – 3StR 61/11). Dies ist hier der Fall. Das Landgericht hat den Beweisstoff um den für den Rechtsfolgenausspruch relevanten Umstand erweitert, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 2006 – 3 StR 199/06, NJW 2006, 3077). Aus der von der Vorsitzenden am 13. Ok- tober 2010 vorgenommenen Qualifizierung der für den 1. November 2010 vorgesehenen Hauptverhandlung als „Schiebetermin“ folgt nichts Gegenteili- ges. Diese Bewertung war – weil der Inhalt der Hauptverhandlung vom 1. November 2010 offen geblieben ist – nur vorläufiger Natur und konnte im Blick auf die erfolgte Sachverhandlung keinerlei Bedeutung erlangen (anders der dem Beschluss des 3. Strafsenats vom 7. April 2011 – 3 StR 61/11 zugrunde liegende Sachverhalt).
8
2. Der Schuldspruch hat hinsichtlich der Fälle II.1 bis 4 der Urteilsgründe keinen Bestand.
9
a) Das Landgericht hat sich aufgrund der Aussage der am 31. Mai 1981 geborenen Nebenklägerin Me. L. , der Tochter der Ehefrau des – die Taten bestreitenden – Angeklagten, davon überzeugt, dass der Angeklagte mit ihr zwischen dem 26. August 1993 und dem 30. Mai 1995 viermal den vaginalen Geschlechtsverkehr ausgeführt hat. Die Jugendschutzkammer hat die Bekundungen der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung , der Angeklagte habe sie bis ins Jahr 2007 vielfältig missbraucht , als glaubhaft bewertet und zur Begründung auf ein in der Hauptverhandlung erstattetes Gutachten einer Sachverständigen abgestellt. Diese habe „nachvollziehbar ausgeführt, dass die Geschädigte durchschnittlich in- tellektuell befähigt ist und eine uneingeschränkte Aussagefähigkeit besitzt. Die Sachverständige hat dargelegt, dass die Aussagequalität sehr oberflächlich sei und Angaben von Me. von Tathandlungen vor dem 18. Lebensjahr allein zu dürftig seien, als dass daraus allein auf deren Glaubwürdigkeit geschlossen werden könne. Zudem blieben Widersprüche bestehen und beeinträchtigten die Glaubwürdigkeit der Aussage im Ganzen, so z. B. zur Fra- ge vom Geschlechtsverkehr während der Menstruation (…). Die Widersprü- che oder Ungereimtheiten seien mit einer Art Aggravation zu erklären. Das bedeute, dass es sich um keine bewusste Falschaussage handele, sondern das übertriebene Betonen eines grundsätzlich stattgefundenen Ereignisses, um sich glaubhafter zu machen. Die Widersprüche um Menstruation oder, ob Analverkehr in der Dachgeschosswohnung stattgefunden habe, seien jedoch nicht restlos aufklärbar. Zudem seien alle Realkennzeichen, die gefunden werden könnten, für den angeklagten Zeitraum nicht zu spezifizieren und auch nach dem 18. Lebensjahr möglich. Die Sachverständige hat schließlich nachvollziehbar festgestellt, dass Übereinstimmungen in den Schilderungen der Schwestern Me. und M. dazu führten, dass die angeklagten Tathandlungen im 12. und 13. Lebensjahr erlebnisbasiert seien und somit eine Nullhypothese nicht in Betracht komme“ (UA S. 10 f.).
10
b) Diese Erwägungen vermögen keine richterliche Überzeugung hinsichtlich 17 Jahre zurückliegender sexueller Handlungen des Angeklagten zu begründen, sondern belegen höchstens einen vagen Verdacht (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2001 – 5 StR 520/01, StV 2002, 235).
11
aa) Das Landgericht ist der Bewertung der Sachverständigen gefolgt, dass die Aussage der Nebenklägerin solche Qualitätsmängel enthalte, die zur gänzlichen Untauglichkeit ihrer Angaben führen („Nullhypothese“, UA S. 11). Dieser Umstand verbietet sachlogisch eine – in anderen Fallkonstellationen freilich gebotene (vgl. Brause NStZ-RR 2010, 329, 330 f.) – Heranziehung belastender Indizien aus anderen Handlungen des Angeklagten. Es konnte vorliegend nicht darum gehen, den Beweiswert bewiesener belastender Umstände durch solche aus anderen Zusammenhängen zu verstärken. Wegen des vollständigen Ausfalls der Bekundungen der Nebenklägerin Me. L. waren belastende Umstände hinsichtlich sexueller Handlungen des Angeklagten mit dieser vor deren 18. Geburtstag gar nicht vorhanden.
12
bb) Darüber hinaus hat das Landgericht Missbrauchshandlungen des Angeklagten zu Lasten der Schwester der Nebenklägerin, M. L. , nicht fehlerfrei festgestellt.
13
Die Glaubhaftigkeit von deren Angaben wird nach dem im Urteil wiedergegebenen Sachverständigengutachten ohne Begründung angenommen. Soweit das Landgericht daneben auf vom Angeklagten gefertigte und am 1. Mai 2007 auf dessen Rechner aufgefundene Bilder von einem Geschlechtsverkehr mit M. L. abstellt, wobei diese „nicht glücklich ausgesehen habe“ (UA S. 9), vermag auch dieser Umstand die gebotene Prüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin (vgl. Brause NStZ 2007, 505, 506 mwN) nicht zu belegen. Nachdem der Angeklagte die Ausübung von Geschlechtsverkehr mit dieser Zeugin – ersichtlich nach Vollendung von deren 18. Lebensjahr (UA S. 6) – eingeräumt hat und der Zeitpunkt der auf den Bildern zu erkennenden Handlungen offen geblieben ist, besteht auch im Hinblick auf die Aussage der zur Zeit der Hauptverhandlung 30 Jahre alten Zeugin die Beweissituation „Aussage gegen Aussage“ mit den daraus abzuleitenden gesteigerten Darlegungserfordernissen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.), die unerfüllt geblieben sind.
14
3. Die Sache bedarf demnach insoweit neuer Aufklärung und Bewer- tung. Die bisher nur abstrakt dargestellten „Widersprüche oder Ungereimtheiten“ werdenzu näherer Betrachtung der Entwicklung sämtlicher Aussagen, auch derjenigen im Familienkreis, nötigen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 2011 – 5 StR 418/10 mwN).
15
4. Die Aufhebung der vier Schuldsprüche führt zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe. Der Senat hat auch die übrigen sieben ausgeurteilten Freiheitsstrafen von je einem Jahr aufgehoben, um dem neuen Tatgericht Gelegenheit zu einer vollständig neuen und notwendig differenzierteren Strafzumessung zu geben. Die Adhäsionsentscheidungen bleiben unberührt.
Raum Brause Schaal Schneider König

(1) Eine Hauptverhandlung darf bis zu drei Wochen unterbrochen werden.

(2) Eine Hauptverhandlung darf auch bis zu einem Monat unterbrochen werden, wenn sie davor jeweils an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat.

(3) Hat eine Hauptverhandlung bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden, so ist der Lauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen gehemmt, solange

1.
ein Angeklagter oder eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen Krankheit oder
2.
eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen gesetzlichen Mutterschutzes oder der Inanspruchnahme von Elternzeit
nicht zu der Hauptverhandlung erscheinen kann, längstens jedoch für zwei Monate. Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluß fest.

(4) Wird die Hauptverhandlung nicht spätestens am Tage nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist fortgesetzt, so ist mit ihr von neuem zu beginnen. Ist der Tag nach Ablauf der Frist ein Sonntag, ein allgemeiner Feiertag oder ein Sonnabend, so kann die Hauptverhandlung am nächsten Werktag fortgesetzt werden.

(5) Ist dem Gericht wegen einer vorübergehenden technischen Störung die Fortsetzung der Hauptverhandlung am Tag nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist oder im Fall des Absatzes 4 Satz 2 am nächsten Werktag unmöglich, ist es abweichend von Absatz 4 Satz 1 zulässig, die Hauptverhandlung unverzüglich nach der Beseitigung der technischen Störung, spätestens aber innerhalb von zehn Tagen nach Fristablauf fortzusetzen. Das Vorliegen einer technischen Störung im Sinne des Satzes 1 stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest.