Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2011 - 5 StR 315/11

bei uns veröffentlicht am28.09.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 315/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 28. September 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. September 2011

beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 30. Dezember 2010 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat zu den von allen Angeklagten jeweils zulässig erhobenen Verfahrensrügen der Verletzung des § 247a StPO: Das Landgericht hat – nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten – auf jeweils schriftlich gestellten Antrag zweier Zeugen deren audiovisuelle Vernehmung gemäß § 247a StPO durch außerhalb der Hauptverhandlung erlassenene Beschlüsse angeordnet und diese den Verfahrensbeteiligten formlos mitgeteilt. Eine Verkündung und Verlesung der Beschlüsse in der Hauptverhandlung erfolgte nicht. Entsprechend den Anordnungen wurden die Zeugen audiovisuell vernommen, ohne dass die Angeklagten dieser Vorgehensweise widersprachen.
Die von den Revisionen vorgebrachten Einwendungen, dass die Beschlussanordnungen nach § 247a StPO nicht vom gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erlassen worden seien, weil hierfür ausschließlich die Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung einschließlich der Schöffen zuständig gewesen wäre, greifen nicht. Eine gesetzliche Regelung, wonach zwingend die Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung über die Anordnung nach § 247a StPO zu entscheiden hat, besteht nicht. Ein solches Erfordernis ist auch nicht aus der Gesetzessystematik als Vorschrift des Zweiten Buches, 6. Abschnitt der Strafprozessordnung herzuleiten. Der Bundesgerichtshof hat mehrfach entschieden, dass auch bei laufender Hauptverhandlung Gerichtsentscheidungen in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung getroffen werden können (vgl. BGH, Urteil vom 27. August

1986

– 3 StR 223/86, BGHSt 34, 154, 155 f.; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 StR 648/10, StV 2011, 295).
Auch vorliegend ist die Beschlussfassung des Gerichts in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung nicht zu beanstanden. Zur Vorbereitung der audiovisuellen Vernehmung ist mitunter eine erhebliche Vorlaufzeit erforderlich, etwa um die technischen und tatsächlichen Modalitäten der Vernehmung abzuklären (vgl. Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 247a Rn. 17). Darüber hinaus hat das Gericht im Interesse der Verfahrensbeteiligten, insbesondere wenn ein Zeuge zu seinem Schutz seine audiovisuelle Vernehmung bereits im Vorfeld beantragt hat, aus Gründen der Rechtsklarheit die beabsichtigte Entscheidung zu treffen und die Beteiligten hierüber in Kenntnis zu setzen. Die Verteidigung des Angeklagten wird hierdurch nicht eingeschränkt, weil das Gericht in der Hauptverhandlung an seine Entscheidung nicht gebunden ist und jederzeit – namentlich auch auf entsprechenden Antrag von Seiten des Angeklagten – seine Entscheidung ändern kann (vgl. Becker aaO).
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Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2011 - 5 StR 315/11 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 101


(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. (2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 247a Anordnung einer audiovisuellen Vernehmung von Zeugen


(1) Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, so kann das Gericht anordnen, daß der Zeuge sich während der Vernehmung an einem and

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Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Jan. 2011 - 1 StR 648/10

bei uns veröffentlicht am 11.01.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 648/10 vom 11. Januar 2011 in der Strafsache gegen wegen Betruges Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Januar 2011 beschlossen : Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Münch
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Bundesgerichtshof Urteil, 28. Nov. 2012 - 5 StR 412/12

bei uns veröffentlicht am 28.11.2012

Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung : ja StPO § 229 Abs. 1, 2, 4 Satz 1 StPO § 249 Abs. 2 Sachverhandlung durch Anordnung und Vollzug des Selbstleseverfahrens. BGH, Urteil vom 28. November 2012 – 5 StR 412/12 Landgericht Hamburg –

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, so kann das Gericht anordnen, daß der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält; eine solche Anordnung ist auch unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 2 zulässig, soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. Die Entscheidung ist unanfechtbar. Die Aussage wird zeitgleich in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen. Sie soll aufgezeichnet werden, wenn zu besorgen ist, daß der Zeuge in einer weiteren Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. § 58a Abs. 2 findet entsprechende Anwendung.

(2) Das Gericht kann anordnen, dass die Vernehmung eines Sachverständigen in der Weise erfolgt, dass dieser sich an einem anderen Ort als das Gericht aufhält und die Vernehmung zeitgleich in Bild und Ton an den Ort, an dem sich der Sachverständige aufhält, und in das Sitzungszimmer übertragen wird. Dies gilt nicht in den Fällen des § 246a. Die Entscheidung nach Satz 1 ist unanfechtbar.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, so kann das Gericht anordnen, daß der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält; eine solche Anordnung ist auch unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 2 zulässig, soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. Die Entscheidung ist unanfechtbar. Die Aussage wird zeitgleich in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen. Sie soll aufgezeichnet werden, wenn zu besorgen ist, daß der Zeuge in einer weiteren Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. § 58a Abs. 2 findet entsprechende Anwendung.

(2) Das Gericht kann anordnen, dass die Vernehmung eines Sachverständigen in der Weise erfolgt, dass dieser sich an einem anderen Ort als das Gericht aufhält und die Vernehmung zeitgleich in Bild und Ton an den Ort, an dem sich der Sachverständige aufhält, und in das Sitzungszimmer übertragen wird. Dies gilt nicht in den Fällen des § 246a. Die Entscheidung nach Satz 1 ist unanfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 648/10
vom
11. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Januar 2011 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 8. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§
349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat im Hinblick auf das Revisionsvorbringen vom
14. Dezember 2010:
Es kann dahinstehen, ob das angefochtene Urteil überhaupt darauf beruhen
kann, dass über einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Aufhebung
des Haftbefehls die zuständige Kammer in einer nicht zutreffenden Besetzung
entschieden hätte, weil insoweit weder Schuld- noch Strafausspruch betroffen
sein können.
Jedoch liegt insoweit keine fehlerhafte Beschlussfassung vor; denn die Kammer
hat über den Aufhebungsantrag in der zutreffenden Besetzung durch die drei
Berufsrichter außerhalb der mündlichen Verhandlung entschieden (vgl. hierzu
KK-StPO/Schultheis, 6. Aufl., § 126 Rn. 10; ebenso Graf/Krauß, StPO, § 126
StPO Rn. 7 mwN). Der teilweise vertretenen Gegenauffassung, wonach es vom
Zeitpunkt der jeweiligen Beschlussfassung abhängen soll, ob die Kammer in der
Hauptverhandlungsbesetzung mit den Schöffen oder außerhalb der Hauptver-
handlung in der Besetzung nur mit drei Berufsrichtern entscheiden soll (OLG
Naumburg NStZ-RR 2001, 347), kann nicht gefolgt werden, weil es ansonsten
von Zufälligkeiten abhängen würde, welche Besetzung über einen entsprechenden
Antrag zu entscheiden hätte. Darüber hinaus würde dann auch die
Gefahr unterschiedlicher Mehrheitsverhältnisse für die Entscheidung ein- und
derselben Haftfrage bestehen. Die hierdurch herbeigeführte Abhängigkeit vom
Zeitpunkt der Antragstellung würde auch dem Gebot des gesetzlichen Richters
zuwiderlaufen.
Auch der Ansicht, dass während einer laufenden Hauptverhandlung, selbst
wenn diese nicht nur kurzfristig unterbrochen ist, immer die Strafkammer in der
Hauptverhandlungsbesetzung zu entscheiden hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO,
53. Aufl., § 126 Rn. 8), kann nicht gefolgt werden, weil gerade bei Entscheidungen
außerhalb der Hauptverhandlung die beteiligten Schöffen vielmals nicht
erreichbar sind und im Gegensatz zu den Berufsrichtern nicht vertreten werden
können, so dass in solchen Fällen die Gefahr erheblicher Verzögerungen gerade
bei beschleunigt zu treffenden Haftentscheidungen bestünde. Daher ist über
Haftfragen auch während einer laufenden Hauptverhandlung eines Amts- oder
Landgerichts immer in der Besetzung der Strafkammer außerhalb der Hauptverhandlung
zu entscheiden.
Dem steht nicht die Entscheidung BGH, Beschluss vom 30. April 1997 - 2 StB
4/97, BGHSt 43, 91 entgegen, weil diese nur die Entscheidungen der erstinstanzlich
verhandelnden Strafsenate eines Oberlandesgerichts betrifft, welche
auch in der Hauptverhandlung nur in der Besetzung mit Berufsrichtern entscheiden.
Das weitere Revisionsvorbringen ist offensichtlich unbegründet im Sinne von
Nack Wahl Graf
Jäger Sander