Bundesgerichtshof Urteil, 06. Apr. 2017 - 3 StR 548/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:060417U3STR548.16.0
06.04.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 548/16
vom
6. April 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:060417U3STR548.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. April 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann, Hoch als beisitzende Richter,
Richterin am Amtsgericht als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 12. August 2016 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben, 1. soweit der Angeklagte in den Fällen 9 und 10 der Anklage freigesprochen worden ist; 2. im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
II. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in fünf Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person, zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten. Hiergegen wendet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte und wirksam auf den Freispruch in den Fällen 9 und 10 der Anklage sowie den Maßregelausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft.

I.


2
Nach den Feststellungen freundete sich die Mutter der im September 2003 und September 2008 geborenen Nebenkläger im Jahr 2012 mit dem Angeklagten an, der bald in das Familienleben einbezogen wurde. So übernahm er abwechselnd mit dem Großvater bei Abwesenheit der Mutter die Aufsicht über die Kinder. Im Sommer 2015 missbrauchte der Angeklagte in vier Fällen den damals elfjährigen Nebenkläger J. B. , indem er in drei Fällen den Oralverkehr an dem Kind durchführte und in einem Fall die Spitze eines Vibrators in dessen Anus einführte. Im Dezember 2015 und Januar 2016 drang er in einem Fall mit der Spitze eines Vibrators und gleich darauf mit der eines Dildos anal bei dem damals siebenjährigen Nebenkläger Ju. B. ein und manipulierte in zwei Fällen an dessen Glied, wobei das Kind in einem Fall schlief. Vom Vorwurf weiterer Missbrauchstaten zum Nachteil von J. und Ju. B. hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen, so auch in den Fällen 9 und 10 der Anklage, in denen dem Angeklagten vorgeworfen worden war, zur Anfertigung von Fotos den Nebenkläger J. B. in zwei Fällen veranlasst zu haben, mit entblößtem erigierten Penis auf der Couch sitzend zu posieren.

II.

3
1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, soweit es sich gegen die Freisprüche in den Fällen 9 und 10 der Anklage wendet.
4
a) Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revision wirksam auf die Freisprüche in diesen beiden Fällen beschränkt. Zwar hat sie allgemein die Verletzung materiellen Rechts gerügt und beantragt, das angefochtene Urteil hinsichtlich der Teilfreisprüche und der lediglich vorbehaltenen Sicherungsverwahrung aufzuheben. Doch setzt sich die Revisionsbegründung ausschließlich mit den Teilfreisprüchen in den Fällen 9 und 10 der Anklage auseinander. In einem solchen Fall, in dem der Umfang der Anfechtung unklar ist, ist nach ständiger Rechtsprechung das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (vgl. etwa BGH, Urteile vom 7. Mai 2009 - 3 StR 122/09, juris Rn. 5; vom 11. Juni 2014 - 2 StR 90/14, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 9). Diese ergibt nach dem insoweit maßgeblichen und eindeutigen Sinn der Revisionsbegründung - auch mit Blick auf Nr. 156 Abs. 2 RiStBV - eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die genannten Freisprüche und den Maßregelausspruch, so dass die übrigen Teilfreisprüche ebenso wie die Schuldsprüche und die hierfür verhängten Einzelfreiheitsstrafen in Rechtskraft erwachsen sind.
5
b) Im Umfang dieser Anfechtung halten die Teilfreisprüche der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat den festgestellten Sachverhalt nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft und damit gegen die ihm obliegende allseitige Kognitionspflicht (§ 264 StPO) verstoßen. Dies stellt auch einen sachlich-rechtlichen Mangel dar (vgl. KK-Kuckein, 7. Aufl., § 264 Rn. 25 mwN).
6
Die umfassende gerichtliche Kognitionspflicht gebietet, dass der - durch die zugelassene Anklage abgegrenzte - Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 - 4 StR 239/09, NStZ 2010, 222, 223 mwN). Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 264 Rn. 10).
7
Dies hat das Landgericht unterlassen. Nach den Urteilsgründen wurden Fotografien, die das Kind mit entblößtem Unterkörper und erigiertem Glied breitbeinig auf der Couch sitzend zeigen, aus dem Handy des Angeklagten ausgelesen. Der Angeklagte hat eingeräumt, die Aufnahmen gefertigt zu haben. Er habe den Nebenkläger aber nicht gebeten, zu posieren, sondern - nachdem er diesen in der abgelichteten Position vorgefunden habe - die Fotos aus einer spontanen Eingebung heraus gemacht, diese ihm gezeigt und dann gelöscht (UA S. 13). Das Landgericht sieht auf der Grundlage dieser Einlassung, der es gefolgt ist, den Anklagevorwurf als nicht bestätigt an. Es sei weder erwiesen, dass der Angeklagte den Nebenkläger zu dieser Pose veranlasst noch dass er zuvor am Penis des Kindes manipuliert habe (UA S. 31 f.). Auf der Grundlage dieser Feststellungen hätte die Strafkammer indes prüfen und entscheiden müssen, ob der Angeklagte den Tatbestand des Sich-Verschaffens kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 3 StGB erfüllt hat. Die Vorschrift ist als Unternehmensdelikt ausgestaltet. Das heißt, dass zur Erfüllung des Tatbestandes allein der Versuch vorausgesetzt ist (§ 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB), sich in den Besitz einer kinderpornografischen Schrift, wie sie auch die Abbildung eines in eindeutig sexualbezogener Haltung posierenden Kindes darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - 1 StR 485/13, BGHSt 59, 177, 178 ff.; Beschluss vom 3. Dezember 2014 - 4 StR 342/14, StV 2015, 494), zu bringen. Dies kann auch durch eigenhändiges Anfertigen entsprechender Fotoaufnahmen geschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 3 StR 567/97, BGHSt 43, 366, 368).
8
Das Urteil ist somit hinsichtlich der Teilfreisprüche in den Fällen 9 und 10 aufzuheben. Daher kann auch die Gesamtfreiheitsstrafe nicht bestehen bleiben. Sie bedarf gegebenenfalls neuer Bemessung.
9
2. Der Maßregelausspruch hat hingegen - auch soweit die Anordnung der Sicherungsverwahrung lediglich vorbehalten wurde - Bestand.
10
a) Das Landgericht hat zutreffend die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 und des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB als erfüllt angesehen. Es hat aber nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen vermocht, sondern es nur für wahrscheinlich gehalten, dass die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vorliegen, und deshalb die Sicherungsverwahrung lediglich vorbehalten (§ 66a Abs. 1 Nr. 3 StGB). Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
11
Das Landgericht ist mit rechtsfehlerfreier Begründung von der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen abgewichen, der das Vorliegen einer hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit bejaht hatte. An einer solchen Abweichung ist der Tatrichter nicht gehindert; er muss sich dann aber bei seiner Beurteilung konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinander setzen und seine Auffassung tragfähig sowie nachvollziehbar begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2008 - 3 StR 302/08, StraFo 2009, 71).
12
Diesen Anforderungen wird das angegriffene Urteil gerecht. Die Strafkammer hat - entgegen den Einwänden der Revision - nicht etwa ein gegenüber dem Sachverständigen besseres Fachwissen behauptet. Vielmehr ist sie den fachlichen Ausführungen des Sachverständigen gefolgt, gestützt auf die von ihr in der Hauptverhandlung festgestellten Anknüpfungstatsachen aber zu einer abweichenden Einschätzung der Gefährlichkeit des Angeklagten gelangt. Der Sachverständige hatte seine Gefährlichkeitsbeurteilung unter anderem auf das fehlende Unrechtsbewusstsein des Angeklagten, die Verharmlosung seiner Taten und seine mangelnde Opferempathie gestützt. Das Landgericht konnte sich demgegenüber im Ergebnis nicht die Überzeugung verschaffen, dass der Angeklagte kein Bedauern und kein Schuldbewusstsein zeige. Vielmehr hat es in der Hauptverhandlung Reue und Mitgefühl für den Geschädigten sowie eine beginnende Reflexion seines strafbaren Verhaltens und Veränderungsbereitschaft feststellen können. Auf dieser Grundlage vermochte es sich im Ergebnis keine Überzeugung von einer hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zu verschaffen. Somit hat das Landgericht seine Prognose, dass der Angeklagte zwar mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit , aber nicht hinreichend sicher künftig erhebliche Straftaten begehen werde, auf tatsächlicher Ebene auf andere Anknüpfungstatsachen gestützt als die, mit denen der Sachverständige das Bestehen einer Gefährlichkeit begründet hat. Die Feststellung der Tatsachen, die der Gefährlichkeitsprognose zugrunde zu legen sind, obliegt indes dem Tatgericht im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung. Auf dieser als Ergebnis der Hauptverhandlung gefundenen Tatsachenbasis hat das Landgericht nach Maßgabe der gutachterlichen Vorgaben des Sachverständigen, im Ergebnis aber abweichend die Gefährlichkeit des Angeklagten beurteilt. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.
13
b) Der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung weist auch keinen Rechtsfehler zuungunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) auf. Das Landgericht hat die Ausübung des ihr nach § 66a Abs. 1 StGB zustehenden Ermessens zwar nicht ausdrücklich begründet. Dies führt indes vorliegend nicht zur Aufhebung des Maßregelausspruchs.
14
§ 66a Abs. 1 StGB stellt auch bei Vorliegen aller Voraussetzungen die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung in das Ermessen des Gerichts. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll dieses die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten oder wahrscheinlichen Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt (vgl. zu § 66 Abs. 2 und 3 StGB: BGH, Urteile vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172; vom 19. Februar 2013 - 1 StR 275/12, juris Rn. 34). Dass sich das Landgericht seines Ermessens bewusst war und welche Gründe für seine Ermessensausübung leitend waren (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 4. Oktober 2012 - 3 StR 207/12, juris Rn. 3; vom 21. Juli 2015 - 3 StR 170/15, juris Rn. 2, jew. mwN), ist dem Gesamtzusammenhang des Urteils vorliegend hinreichend zu entnehmen. Das Landgericht hat sich in den Urteilsgründen eingehend mit den Einwirkungsmöglichkeiten des Strafvollzugs auf den Angeklagten und seinen Therapiechancen auseinandergesetzt. Damit hat es die Umstände berücksichtigt, die regelmäßig Eingang in die Ermessensabwägung finden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 198; vom 11. Juli 2013 - 3 StR 148/13, NStZ 2013, 707). Auch die Frage der Verhältnismäßigkeit der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung hat es erörtert. Nach alledem ist nicht anzuzweifeln , dass das Landgericht eine fehlerfreie Ausübung seines Ermessens vorgenommen hat. Becker Schäfer Spaniol Tiemann Hoch

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5
Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung das An- griffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; BGH NStZ-RR 2004, 118; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 344 Rdn. 10). Nach dem insoweit maßgeblichen und hier eindeutigen Sinn der Revisionsbegründung ist deshalb allein der Strafausspruch angefochten und die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Der Senat bemerkt jedoch, dass, zumal bei einer Revision der Staatsanwaltschaft, der Revisionsantrag deckungsgleich mit dem Inhalt der Revisionsbegründung sein sollte. Das Revisionsverfahren wird unnötig belastet, wenn der Umfang der Anfechtung erst durch Auslegung ermittelt werden muss (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 118; Nr. 156 Abs. 2 RiStBV).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 90/14
vom
11. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubs u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juni 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 5. Dezember 2013 wird als unbegründet verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels sowie die insoweit notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen. Die Nebenklägerin trägt ihre Auslagen selbst.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubs zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete , zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts planten der Angeklagte und der gesondert Verfolgte B. einen Einbruch in ein Wohnhaus in Kronberg. Sie hatten den Tatort zuvor ausgekundschaftet und unter anderem auch in Erfahrung gebracht, dass die Bewohner tagsüber nicht zu Hause sein sollten. In Umsetzung ihres Tatplans begaben sie sich am 7. Juni 2013 gegen 14.15 Uhr zum Tatort. Sie führten eine Tasche mit Wechselkleidung mit sich; darüber hinaus zwei Strumpfmasken wegen der vor Ort vorhandenen Überwachungskameras sowie eine Rolle Klebeband, um ein Fenster vor dem Einschlagen abkleben zu können. Da sie sicher gehen wollten, dass tatsächlich niemand zu Hause war, klingelte der gesondert Verfolgte B. während sich der Angeklagte vor der Haustür postierte. Es öffnete die Zeugin St. , woraufhin der Angeklagte und B. ihren Tatplan spontan dahin erweiterten, nunmehr unter Überwältigung der Zeugin St. in das Haus einzudringen und nach Wertgegenständen Ausschau zu halten.
3
Der Angeklagte drängte die Zeugin sogleich ins Haus, fesselte sie mit einem im Flur entdeckten Strickschal an Händen und Beinen und warf ihr eine Wolldecke über den Kopf. Sodann begannen beide Täter das Haus nach Wertgegenständen zu durchsuchen. Die aufgefundene Beute (Schmuck und Bargeld ) verstauten sie in einer am Tatort aufgefundenen Sporttasche. Währenddessen rief die unter Atemnot leidende Zeugin um Hilfe und bat um Wasser. Der Angeklagte reichte ihr eine Tasse Kaffee, die die Zeugin mit ihrer aus der Fesselung befreiten rechten Hand ergriff und gegen eine Fensterscheibe warf. Sie rief nun laut um Hilfe. Der Angeklagte und der hinzukommende B. fesselten die Hände der Zeugin mit am Tatort aufgefundenen Kabelbindern fest auf ihren Rücken und verklebten ihr den Mund mit dem mitgeführten Klebeband. Anschließend setzten beide Täter die Durchsuchung fort und entdeckten weiteres Bargeld, das sie an sich nahmen. Als es an der Haustür klingelte, trugen die Täter die gefesselte Zeugin in den Keller und flüchteten aus dem Haus. Unterwegs entledigten sie sich sowohl der Tasche mit Wechselkleidung als auch der Tasche mit der Beute. Der Angeklagte konnte gegen 17.00 Uhr hinter einer naheliegenden Kleingartenanlage festgenommen werden. Beide Taschen wurden alsbald aufgefunden.
4
Die Zeugin erlitt infolge der strammen Fesselung starke Hämatome und Druckstellen an den Handgelenken. Eine traumatische Affektion verschiedener Nerven riefen Taubheitsgefühle in der rechten Hand und am linken Daumen hervor, die bis heute anhalten.
5
2. Die Kammer hat die Tat wegen der strammen Fesselung der Zeugin als „schweren Raub“ gemäߧ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB gewertet und unter Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 250 Abs. 3 StGB eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verhängt.

II.


6
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist rechtswirksam auf den Strafausspruch beschränkt.
7
1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft eingangs ihrer Revisionsbegründungsschrift keine Beschränkung erklärt und am Ende ihrer Ausführungen die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragt. Mit diesem den Schuld- und Strafausspruch umfassenden Revisionsantrag steht jedoch der übrige Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Revisionsführerin das Urteil deshalb für fehlerhaft hält, weil das Landgericht der Bemessung der Freiheitsstrafe zu Unrecht den Strafrahmen des minder schweren Falls nach § 250 Abs. 3 StGB zugrunde gelegt und die Freiheitsstrafe daher unangemessen milde bemessen habe. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 1989 - 3 StR 453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; Urteil vom 25. November 2003 - 1 StR 182/03, NStZ-RR 2004, 118; Löwe/Rosenberg-Franke, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 10).
8
Nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung ist allein der Strafausspruch angefochten und der Schuldspruch vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Allein der Umstand, dass die Revisionsführerin nach Erhebung der allgemeinen Sachrüge einleitend ausgeführt hat, das Landgericht habe die Tat „insbesondere“ rechtsfehlerhaft als minder schweren Fall gewertet, zeigt mangels eines Hinweises auf einen weiteren Rechtsfehler des Urteils kein weitergehendes Angriffsziel der Revision auf. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV versteht der Senat daher das gesamte Revisionsvorbringen dahin, dass die Staatsanwaltschaft den Schuldspruch nicht angreifen will (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2013 - 4 StR 296/12 mwN).
9
2. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist auch rechtswirksam.
10
Voraussetzung für eine wirksame Beschränkung der Revision ist, dass sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (st. Rspr., vgl. Senatsurteil vom 29. Februar 1956 - 2 StR 25/56, BGHSt 10, 100, 101; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 318 Rn. 6 mwN). Eine Beschränkung ist aber auch dann unwirksam, wenn die Gefahr besteht, dass die nach dem Teilrechtsmittel (stufenweise) entstehende Gesamtentscheidung nicht frei von inneren Widersprüchen bleiben kann (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1980 - 1 StR 262/80, BGHSt 29, 359, 366; Beschluss vom 15. Mai 2001 - 4 StR 306/00, BGHSt 47, 32, 35 und 38).
11
Die Beschränkung des Rechtsmittels ist nach diesen Grundsätzen wirksam.
12
Es liegen keine Umstände vor, aus denen sich ausnahmsweise eine untrennbare Verknüpfung der Erörterungen zur Schuld- und Straffrage ergibt, was insbesondere dann der Fall wäre, wenn vom Landgericht strafmildernd gewertete und deshalb von der Revision angegriffene Umstände tatsächlich (auch) den Schuldspruch beträfen. Mit ihrer Revision rügt die Staatsanwaltschaft - neben zahlreichen anderen Einwendungen gegen die Vollständigkeit und Gewichtung einzelner Strafzumessungserwägungen - zwar auch eine rechtfehlerhafte Beweiswürdigung im Hinblick auf den von der Strafkammer als strafmildernd gewerteten Umstand, dass die Tatplanerweiterung des Angeklagten und seines Mittäters auf einem spontanen und erst vor Ort gefassten Entschluss beruhte. Die Feststellungen, dass es sich insoweit um eine Spontantat handelte, sind jedoch nicht tatbestandsrelevant. Der Tatvorsatz liegt unabhängig davon vor, wann der Tatentschluss gefasst wurde und zu welchem Zeitpunkt er in welchem Maße vor dem Eindringen der Täter in das Haus konkretisiert war, weshalb der Schuldspruch von dem Revisionsangriff in jedem Fall unberührt bliebe.
13
Bei einer Teilaufhebung wäre hier auch nicht zu befürchten, dass die stufenweise entstehende Gesamtentscheidung unter inneren Widersprüchen litte. Veränderte Feststellungen zum Zeitpunkt des konkreten Tatentschlusses des Angeklagten würden die Gesamtentscheidung lediglich modifizieren und nicht widersprüchlich erscheinen lassen.

III.


14
Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
15
1. Die den strafzumessungsrelevanten Feststellungen der Strafkammer zugrunde liegende Beweiswürdigung ist unter Berücksichtigung des revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs frei von Rechtsfehlern.
16
Dies gilt auch im Hinblick auf die Feststellung des Landgerichts, dass der Angeklagte und sein Mittäter zunächst nur einen Einbruchdiebstahl geplant und ihren Tatentschluss erst vor Ort auf die Ausführung eines Raubes erweitert haben, denn das Gericht hat sich auch insoweit seine Überzeugung auf einer ausreichenden objektiven Beweisgrundlage gebildet.
17
Zwar war es zur Überprüfung der Anwesenheit eines Hausbewohners nicht erforderlich, dass sich der Angeklagte beim Klingeln unmittelbar vor der Haustür postierte. Dieses Vorgehen ist aber nicht als derart ungewöhnlich risikoreich zu werten, dass es als gewichtiges Indiz für einen von vornherein geplanten Raub hätte gewertet werden müssen. Denn auch dann, wenn ein Täter nur einen Einbruch plant, kann er auf das unerwartete Öffnen der Tür durch einen Hausbewohner noch mit der unverdächtig erscheinenden Nachfrage nach einer angeblich dort wohnhaften Person reagieren. Für einen zunächst nur geplanten Einbruchdiebstahl sprach ohne Weiteres, dass der Angeklagte und sein Mittäter ausschließlich für einen Einbruch nützliche Gegenstände mit sich führten und demgegenüber keine Vorsorge für die Fesselung bzw. Ruhigstellung eines anwesenden Hausbewohners getroffen hatten. Zur Fesselung der Zeugin St. wurde ein vor Ort aufgefundener Schal verwendet. Nachdem sich diese Fesselung bereits nach kurzer Zeit als unzureichend erwiesen hatte, mussten der Angeklagte und sein Mittäter zunächst nach anderen Mitteln zur Fesselung suchen. Auch auf die Idee, das mitgeführte Klebeband zur Fesselung zu nutzen , kamen sie nicht.
18
2. Der Strafausspruch hält auch im Übrigen sachlich-rechtlicher Überprüfung stand. Rechtsfehler bei der Wahl des Strafrahmens zeigt auch die Revision nicht auf. Das Landgericht hat die erforderliche Gesamtschau vorgenommen und dabei alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt. In Anbetracht der zahlreichen strafmildernden Umstände (umfassendes Geständnis, junges Alter des Angeklagten, Unbestraftheit, Erstverbüßer, spontane Tatplanerweiterung, gewisser Dilettantismus und wenig vorausschauende Planung der Tat) ist daher die Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 250 Abs. 3 StGB aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, auch wenn eine andere Beurteilung möglich gewesen wäre.
19
3. Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft nicht ergeben (§ 301 StPO).
Fischer Krehl Eschelbach
Ott Zeng

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt.

(2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nicht gebunden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 239/09
vom
29. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. Oktober
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Dr. Mutzbauer,
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten B. ,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Angeklagten C. M. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 12. Dezember 2008, soweit es die Angeklagten B. und C. M. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Jugendkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten des Raubes schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten B. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und den Angeklagten C. M. zu einer gesonderten Jugendstrafe (§ 31 Abs. 3 JGG) von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung der Strafen jeweils zur Bewährung ausgesetzt.
2
Mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Hinsichtlich des Angeklagten B. beanstandet sie ferner das Verfahren. Die Staatsanwaltschaft erstrebt eine tateinheitliche Verurteilung der Angeklagten auch wegen unerlaubten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Geldwäsche, Hausfriedensbruchs und wegen Sachbeschädigung sowie die Verhängung höherer Strafen.
3
Die Revisionen haben schon mit der Sachrüge Erfolg. Die Verfahrensrüge bedarf daher keiner näheren Erörterung.

I.


4
Nach den Feststellungen suchten der Angeklagte B. und der frühere Mitangeklagte W. am Abend des 13. Dezember 2006 den ihnen als Drogenhändler bekannten S. in dessen Wohnung im vierten Stock eines Mehrfamilienhauses auf und erwarben von ihm Haschisch zum Eigenverbrauch. Auf dem Heimweg lehnte der Angeklagte B. den Vorschlag des Mitangeklagten W. ab, S. das möglicherweise aus Drogengeschäften stammende Bargeld, das sie auf dem Tisch in der Wohnung hatten liegen sehen, gewaltsam wegzunehmen. In der darauf folgenden Nacht traf sich der Angeklagte B. in seiner Wohnung mit seinem gesondert verfolgten Bruder M. , dem Angeklagten C. M. und dem rechtskräftig verurteilten Mitangeklagten Wi. . Sie fassten den Entschluss , S. auszurauben. Gegen 2.00 Uhr nachts gelangten sie durch die nicht verschlossene Haustür in das Wohnhaus. Dort setzten sie absprachegemäß ihre Sturmmasken auf und drückten gemeinsam "unter einigem Kraftaufwand" die Tür zu der Wohnung auf, in der S. auf einer Couch im Wohnzimmer schlief. Einer der Täter forderte den durch die Geräusche wach gewordenen S. auf, sich ruhig zu verhalten, sonst würden er und auch sein Hund "abgestochen". Danach befragt, wo das Bargeld sei, deutete S. , der wegen der Übermacht der Angreifer und der Drohung keinen Widerstand wagte, mit der Hand auf den Wohnzimmertisch. Bei der anschließenden Durchsuchung der Wohnung wurde eine Haschischplatte im Wert von etwa 400 Euro entdeckt, die Wi. an sich nahm. Der Angeklagte C. M. steckte das auf dem Wohnzimmertisch liegende Bargeld im Wert von 150 Euro ein. M. B. nahm eine Playstation an sich. Ferner wurden ein MP3-Player und eine Kamera entwendet. Nach dem Verlassen der Wohnung trennten sich die Täter und trafen sich später in der Wohnung des Angeklagten B. , wo sie die Beute untereinander verteilten. Die Haschischplatte konsumierten sie gemeinsam.

II.


5
Die Verurteilungen der Angeklagten B. und C. M. können nicht bestehen bleiben, weil die Schuldsprüche sachlich-rechtliche Fehler zum Vorteil der Angeklagten aufweisen.
6
1. Das Landgericht hat die den Angeklagten zur Last gelegte Verwendung eines Messers als Drohmittel mit rechtsfehlerfreien Erwägungen als nicht erwiesen angesehen und die Angeklagten deshalb, was von der Revision auch nicht beanstandet wird, nicht wegen schweren Raubes, sondern wegen Raubes verurteilt. Die Staatsanwaltschaft beanstandet jedoch zu Recht, dass das Landgericht damit seiner Kognitionspflicht nicht genügt hat, die gebietet, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird (vgl. BGHSt 25, 72, 75; BGH NStZ 1999, 415; 2008, 471, 472). Dies stellt einen sachlichrechtlichen Mangel des Urteils dar (vgl. BGH NStZ 1983, 174, 175). Dass die den Angeklagten zur Last gelegte Tat im Anklagesatz lediglich als schwerer Raub bezeichnet wurde und dass die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft eine Verurteilung der Angeklagten nur wegen Raubes beantragte, änderte nichts an der umfassenden Kognitionspflicht des Landgerichts. Dass eine wirksame Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154 a StPO auf diese Gesetzesverletzungen erfolgt ist, lässt sich weder der Anklageschrift noch sonst den Akten entnehmen.
7
2. Das Landgericht hätte demgemäß eine Strafbarkeit der Angeklagten auch wegen folgender Gesetzesverletzungen prüfen müssen:
8
a) Der frühere Mitangeklagte Wi. , der durch das insoweit nicht angefochtene Urteil nur wegen Raubes verurteilt worden ist, hat mit der Wegnahme der Haschischplatte zugleich auch den Straftatbestand des Sichverschaffens von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG verwirklicht (vgl. Körner BtMG 6.Aufl. § 29 Rn. 1352 m.N.), möglicherweise aber auch den Verbrechenstatbestand des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, in dem der Vergehenstatbestand des Sichverschaffens von Betäubungsmitteln aufgeht (BGH StraFo 2005, 82, 83). Dass es sich um eine nicht geringe Menge Haschisch handelte, liegt im Hinblick auf den festgestellten Wert der Platte von etwa 400 Euro jedenfalls nicht fern. Es hätte deshalb der Prüfung bedurft, ob der gemeinsame Tatentschluss , dem Geschädigten das in seiner Wohnung vermutete Bargeld und andere mitnehmenswerte Gegenstände wegzunehmen und die Beute anschließend zu verteilen, auch möglicherweise in der Wohnung verwahrte Betäubungsmittel umfasste und die Angeklagten demgemäß auch hinsichtlich des Sichverschaffens und des Besitzes der Haschischplatte mittäterschaftlich handelten und das Haschisch bis zu dessen Verbrauch in Mitgewahrsam hatten (vgl. BGHR BtMG § 29 a Abs. 1 Nr. 2 Menge 10; MünchKommStGB/Kotz § 29 BtMG Rn. 954; Weber BtMG 3. Aufl. § 29 Rn. 1222). Dies liegt im Hinblick darauf , dass die Angeklagten im Tatzeitraum Haschisch konsumierten und dass sie auch das erbeutete Haschisch gemeinsam verbrauchten, nahe. Hierzu, insbesondere auch zum Wirkstoffgehalt des Haschisch, hätte es daher weiterer Feststellungen bedurft. Dass diese noch getroffen werden können, erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen.
9
b) Nach den Feststellungen haben die Angeklagten mit dem Eindringen in die Wohnung des Geschädigten zudem mittäterschaftlich den Straftatbestand des Hausfriedensbruchs gemäß § 123 Abs. 1 StGB verwirklicht, der zu dem nachfolgenden Raub in Tateinheit steht. Der gemäß § 123 Abs. 2 StGB erforderliche Strafantrag ist von dem in seinem Hausrecht verletzten Geschädigten form- und fristgerecht gestellt worden. Der Geschädigte hat unmittelbar nach dem Überfall die Polizei gerufen und ist noch in der Nacht polizeilich als Zeuge vernommen worden. Er hat sowohl die Vernehmungsniederschrift als auch die von einem weiteren Beamten des Kriminaldauerdienstes aufgenommene Strafanzeige unterschrieben. Der damit gegenüber der Verfolgungsbehörde erklärte Wille zur Strafverfolgung genügt den inhaltlichen Anforderungen an einen Strafantrag (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 158 Rdn. 4 m.N.).
10
c) Entgegen der Auffassung der Revision war das Landgericht dagegen nicht gehalten, sich der Frage zuzuwenden, ob die Angeklagten sich mit der Wegnahme des möglicherweise aus Drogengeschäften stammenden Bargeldes auch wegen (versuchter) Geldwäsche strafbar gemacht haben. Sinn und Zweck der hier allein in Betracht kommenden Straftatbestände des § 261 Abs. 2 StGB ist es, den Vortäter dadurch gegenüber der Umwelt zu isolieren, dass der aus einer der in Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift genannten Straftaten herrührende Gegenstand „praktisch verkehrsunfähig“ gemacht werden soll (vgl. BT-Drucks. 12/989 S. 27). Wird dem Vortäter ein solcher Gegenstand (gewaltsam) weggenommen , fehlt es am inneren Zusammenhang mit der Ächtung des Tatobjekts und dem Isolierungszweck des § 261 Abs. 2 StGB (vgl. Stree in Schönke /Schröder StGB 27. Aufl. § 261 Rdn. 13). Demgemäß ist der Raub eines sol- chen Gegenstandes kein Sichverschaffen im Sinne der Nr. 1 dieser Vorschrift (BVerfG NJW 2004, 1305, 1306; vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 261 Rdn. 24 m.w.N.). Für das Verwahren und Verwenden eines dem Vortäter geraubten Gegenstandes kann nichts anderes gelten.
11
d) Soweit nach den Feststellungen eine tateinheitliche Verurteilung der Angeklagten wegen mittäterschaftlich begangener Sachbeschädigung unterblieben ist, kann dahinstehen, ob Verletzter neben dem Eigentümer auch derjenige ist, der, wie der Geschädigte als Mieter, ein unmittelbares obligatorisches Recht an der beschädigten Sache, hier der Wohnungstür, hat (zum Streitstand vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 303 c Rdn. 3). Ob zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils der gemäß § 303 c StGB erforderliche Strafantrag vorlag, ist nunmehr ohne Belang, weil der Generalbundesanwalt „rein vorsorglich“ das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht hat und die Sache nach der aus anderen Gründen gebotenen Zurückverweisung insgesamt neu zu verhandeln ist.

III.


12
1. Die aufgezeigten Rechtsfehler nötigen zur Aufhebung des Urteils, soweit es die Angeklagten B. und C. M. betrifft, auch soweit sie des Raubes schuldig gesprochen worden sind. Eine Teilaufhebung, wie sie die Staatsanwaltschaft ursprünglich mit ihrer Revisionsbegründungsschrift beantragt hat, scheidet aus, weil der Raub und die aus den vorgenannten Gründen möglicherweise von den Angeklagten verwirklichten Gesetzesverletzungen materiell -rechtlich eine Tat bilden (vgl. BGH NStZ 1997, 276). Demgemäß ist die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Beschränkung der Revision unwirksam und damit unbeachtlich.
13
2. Infolge der Aufhebung der Verurteilungen müssen die Strafen neu zugemessen werden. Insoweit wird auf die Ausführungen in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts verwiesen.
14
3. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO).
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Mutzbauer

(1) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
einen kinderpornographischen Inhalt verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht; kinderpornographisch ist ein pornographischer Inhalt (§ 11 Absatz 3), wenn er zum Gegenstand hat:
a)
sexuelle Handlungen von, an oder vor einer Person unter vierzehn Jahren (Kind),
b)
die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung oder
c)
die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes,
2.
es unternimmt, einer anderen Person einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, zugänglich zu machen oder den Besitz daran zu verschaffen,
3.
einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches Geschehen wiedergibt, herstellt oder
4.
einen kinderpornographischen Inhalt herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diesen ein- oder auszuführen, um ihn im Sinne der Nummer 1 oder der Nummer 2 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen, soweit die Tat nicht nach Nummer 3 mit Strafe bedroht ist.
Gibt der kinderpornographische Inhalt in den Fällen von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 4 kein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wieder, so ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, und gibt der Inhalt in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, 2 und 4 ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wieder, so ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen.

(3) Wer es unternimmt, einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, abzurufen oder sich den Besitz an einem solchen Inhalt zu verschaffen oder wer einen solchen Inhalt besitzt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

(4) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 Nummer 1 strafbar.

(5) Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Absatz 3 gelten nicht für Handlungen, die ausschließlich der rechtmäßigen Erfüllung von Folgendem dienen:

1.
staatlichen Aufgaben,
2.
Aufgaben, die sich aus Vereinbarungen mit einer zuständigen staatlichen Stelle ergeben, oder
3.
dienstlichen oder beruflichen Pflichten.

(6) Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 und 4 und Satz 2 gilt nicht für dienstliche Handlungen im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, wenn

1.
die Handlung sich auf einen kinderpornographischen Inhalt bezieht, der kein tatsächliches Geschehen wiedergibt und auch nicht unter Verwendung einer Bildaufnahme eines Kindes oder Jugendlichen hergestellt worden ist, und
2.
die Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

(7) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 oder 3 oder Absatz 3 bezieht, werden eingezogen. § 74a ist anzuwenden.

(1) Im Sinne dieses Gesetzes ist

1.
Angehöriger:wer zu den folgenden Personen gehört:
a)
Verwandte und Verschwägerte gerader Linie, der Ehegatte, der Lebenspartner, der Verlobte, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner der Geschwister, Geschwister der Ehegatten oder Lebenspartner, und zwar auch dann, wenn die Ehe oder die Lebenspartnerschaft, welche die Beziehung begründet hat, nicht mehr besteht oder wenn die Verwandtschaft oder Schwägerschaft erloschen ist,
b)
Pflegeeltern und Pflegekinder;
2.
Amtsträger:wer nach deutschem Recht
a)
Beamter oder Richter ist,
b)
in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis steht oder
c)
sonst dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform wahrzunehmen;
2a.
Europäischer Amtsträger:wer
a)
Mitglied der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank, des Rechnungshofs oder eines Gerichts der Europäischen Union ist,
b)
Beamter oder sonstiger Bediensteter der Europäischen Union oder einer auf der Grundlage des Rechts der Europäischen Union geschaffenen Einrichtung ist oder
c)
mit der Wahrnehmung von Aufgaben der Europäischen Union oder von Aufgaben einer auf der Grundlage des Rechts der Europäischen Union geschaffenen Einrichtung beauftragt ist;
3.
Richter:wer nach deutschem Recht Berufsrichter oder ehrenamtlicher Richter ist;
4.
für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter:wer, ohne Amtsträger zu sein,
a)
bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, oder
b)
bei einem Verband oder sonstigen Zusammenschluß, Betrieb oder Unternehmen, die für eine Behörde oder für eine sonstige Stelle Aufgaben der öffentlichen Verwaltung ausführen,
beschäftigt oder für sie tätig und auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet ist;
5.
rechtswidrige Tat:nur eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht;
6.
Unternehmen einer Tat:deren Versuch und deren Vollendung;
7.
Behörde:auch ein Gericht;
8.
Maßnahme:jede Maßregel der Besserung und Sicherung, die Einziehung und die Unbrauchbarmachung;
9.
Entgelt:jede in einem Vermögensvorteil bestehende Gegenleistung.

(2) Vorsätzlich im Sinne dieses Gesetzes ist eine Tat auch dann, wenn sie einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, der hinsichtlich der Handlung Vorsatz voraussetzt, hinsichtlich einer dadurch verursachten besonderen Folge jedoch Fahrlässigkeit ausreichen läßt.

(3) Inhalte im Sinne der Vorschriften, die auf diesen Absatz verweisen, sind solche, die in Schriften, auf Ton- oder Bildträgern, in Datenspeichern, Abbildungen oder anderen Verkörperungen enthalten sind oder auch unabhängig von einer Speicherung mittels Informations- oder Kommunikationstechnik übertragen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 4 8 5 / 1 3
vom
11. Februar 2014
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
________________________
Die Strafbarkeit nach § 184b StGB setzt nicht voraus, dass die Darstellung der sexuellen
Handlung einen vergröbernd-reißerischen Charakter aufweist.
BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - 1 StR 485/13 - LG Freiburg
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
11. Februar 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Rothfuß,
Prof. Dr. Jäger
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwältin
- jeweils in der Verhandlung -
als Verteidiger für den Angeklagten Dr. N. ,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwältin
als Verteidiger für den Angeklagten S. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin des Nebenklägers E. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten Dr. N. gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 7. März 2013 wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil
a) hinsichtlich des Angeklagten Dr. N.
aa) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist, bb) im Fall II. 2. der Urteilsgründe im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte des Besitzes kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Schriften schuldig ist, cc) aufgehoben (1) hinsichtlich der im Fall II. 2. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe; (2) im Ausspruch über die Gesamtstrafe;
b) hinsichtlich des Angeklagten S. mit den Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Angeklagten Dr. N. wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück verwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten Dr. N. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen und wegen Besitzes jugendpornographischer Schriften unter Anrechnung in der Schweiz erlittener Untersuchungshaft zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und die Einziehung eines bei dem Angeklagten sichergestellten Diapositivs angeordnet. Von den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil zweier weiterer Kinder in einem und weiteren vier Fällen hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
2
Den Angeklagten S. hat das Landgericht vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs eines Kindes – begangen durch Beteiligung an einer der zuletzt genannten Taten des Angeklagten Dr. N. – ebenfalls aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
3
Der Angeklagte Dr. N. rügt mit seiner Revision die Verletzung sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihren auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Rechtsmitteln, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, die Aufhebung der Freisprüche hinsichtlich beider Angeklagter und, soweit der Angeklagte Dr. N. wegen Besitzes jugendpornographischer Schriften verurteilt ist, eine weitergehende Verurteilung auch wegen – tateinheitlichen – Besitzes dreier kinderpornographischer Schriften.
4
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet; die der Staatsanwaltschaft haben demgegenüber weitgehend Erfolg.

A.


I.


5
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
6
1. Der Angeklagte Dr. N. beaufsichtigte im Zeitraum zwischen Anfang 1994 und Ende 1996 in seiner Wohnung in F. mehrfach die Kinder seiner Bekannten A. Z. , den 1986 geborenen Fl. Z. und den 1988 geborenen J. Z. . Weit überwiegend hielten sich der Angeklagte und die beiden Kinder nackt in der Wohnung auf und sahen sich dabei auch – jeweils unbekleidet – gemeinsam auf einem großen Bett liegend Kinderfilme im Fernsehen an.
7
Bei mindestens drei zeitlich nicht mehr genauer bestimmbaren Gelegenheiten innerhalb des oben genannten Zeitraums massierte der Angeklagte Dr. N. dabei das Glied des J. Z. , um sich damit selbst sexuell zu stimulieren.
8
2. Bei einer am 28. Mai 2010 erfolgten Durchsuchung der vom Angeklagten Dr. N. und dessen Lebenspartner genutzten Ferienwohnung in A. /Schweiz befand sich der Angeklagte im Besitz eines in einer Schublade verstauten Mäppchens, in dem sich neben anderem ein Diapositiv befand, auf welchem ein mindestens vierzehn, jedoch noch nicht sechzehn Jahre alter Junge rücklings auf einem Bett liegend die nach oben gestreckten Beine seitlich abspreizt, womit der dadurch gut sichtbare After betont wird. Das Diapositiv hatte der Angeklagte bereits vor seinem 2006 erfolgten Umzug aus F. in die Schweiz in dem besagten Mäppchen besessen und es seitdem in der Schublade verwahrt.

II.


9
1. Aufgrund der – insoweit unverändert zugelassenen – Anklage lag dem Angeklagten Dr. N. darüber hinaus zur Last,
10
a) anlässlich eines gemeinsamen Besuchs der Kinder J. und Fl. Z. im Zeitraum von Anfang 1994 bis Ende 1996 in seiner Wohnung in F. auch am Glied des Fl. Z. „manipuliert“ zu haben, während er sich, mit beiden Kindern nackt auf dem Bett liegend, Kinderfilme ansah (Fall B. der Anklage), und
11
b) bei insgesamt vier Gelegenheiten (Fälle A. I. bis IV. der Anklage) im Zeitraum von 1995 bis 1997 auch den Sohn des Angeklagten S. , den 1988 geborenen Ju. E. , sexuell missbraucht zu haben. In einem Fall (Fall A. I. der Anklage) habe er den Jungen beim Spielen im Flur der o.g. Wohnung am Glied berührt und ihn gefragt, ob ihm das gefiele, in einem weiteren Fall (Fall A. II. der Anklage) beim gemeinsamen Betrachten einer Videoaufzeichnung in der Wohnung das Glied des auf seinem Schoß sitzenden Jungen geknetet. Im dritten Fall (Fall A. III. der Anklage) habe der Angeklagte im Beisein des Mitangeklagten S. im Computerzimmer der Wohnung zunächst das entblößte Glied des am Computer spielenden Ju. bis zur Erektion geknetet; im Anschluss hätten er und Ju. aneinander wechselseitig den Oralverkehr vollzogen. Im letzten Fall (Fall A. IV. der Anklage) habe der Angeklagte mit dem Jungen in seiner Ferienwohnung in A. /Schweiz Fangen gespielt; auf dem Bett des Gästezimmers habe er ihn zunächst gekitzelt und dann am entblößten Glied berührt.
12
c) Neben dem Vorwurf des Besitzes jugendpornographischer Schriften (s.o. I. 2.) lag dem Angeklagten Dr. N. weiterhin zur Last, anlässlich der Durchsuchung am 28. Mai 2010 in A. auch drei Abbildungen kinderpornographischen Inhalts besessen zu haben.
13
Darunter sollen sich zwei ca. 2001/2002 entstandene Abbildungen befunden haben, auf denen der 1992 geborene S. Ec. sein Glied aus der Hose holt sowie sein entblößtes Gesäß in die Kamera hält.
14
Auf einem ebenfalls aufgefundenen Diapositiv soll der nackte Angeklagte Dr. N. mit einem bis dahin unbekannten, ebenfalls nackten Kind abgebildet sein, dem er an das Genital fasst.
15
2. Dem Angeklagten S. lag aufgrund der – nur insoweit auch gegen ihn zugelassenen – Anklage zur Last, im Fall A. III. der Anklage bestärkend auf Ju. E. eingewirkt zu haben, damit er den Oralverkehr des Angeklagten Dr. N. an sich duldete bzw. seinerseits an diesem Oralverkehr ausübte.
16
3. Die Strafkammer hat zur Begründung der unterbliebenen Verurteilung wie folgt ausgeführt:
17
a) Sie sei zwar davon überzeugt, dass Fl. Z. das Opfer eines sexuellen Missbrauchs durch den Angeklagten Dr. N. geworden sei. Allerdings handele es sich bei diesem sexuellen Missbrauch nicht um die in der Anklage geschilderte, von einer „manuellen Manipulation“ geprägten Tat.
18
b) Auch bezüglich des Geschädigten Ju. E. hat sich die Straf- kammer davon überzeugt, dass dieser „überhaupt“ Opfer eines im Beisein des Angeklagten S. von dem Angeklagten Dr. N. verübten sexuellen Missbrauchs geworden ist. Diese Überzeugung stützt sie namentlich auf E-Mails, in denen der Angeklagte Dr. N. – ihres Erachtens glaubhaft – zwei Missbrauchstaten an Ju. E. beschrieben habe. Von den konkret der Anklage zugrunde liegenden Taten A. I. bis A. IV. hat sich die Strafkammer indes nicht überzeugen können, weil sie in den insoweit zugrunde gelegten An- gaben des Geschädigten „gravierende Konstanzmängel“ festgestellt habe.
19

c) Die beiden Abbildungen des S. Ec. trügen ersichtlich provokativen , nicht sexuell aufreizenden Charakter. Darüber hinaus habe der Angeklagte an diesen Bildern ersichtlich keinen Besitzwillen mehr gehabt, da er beide Bilder bereits zeitnah zur 2001 erfolgten Speicherung wieder gelöscht habe.
20
Im Fall der dritten Abbildung – die Strafkammer hat sich davon überzeugt , dass es sich bei dem neben dem Angeklagten abgebildeten Kind um den Pflegesohn seiner früheren Lebensgefährtin, B. , handelt – liege zwar der „sexuelle Bezug“ der auf dem Diapositiv abgebildeten Situation „auf der Hand“. Indes sei die Darstellung nicht „vergröbernd-reißerisch“, weshalb sie nicht als „pornographisch“ bewertet werden könne. Ein Teilfreispruch sei diesbezüglich jedoch nicht veranlasst, da der Besitz dieser Abbildung zum ausgeurteilten Besitz jugendpornographischer Schriften im Verhältnis der Tateinheit stehe.

B.


Revision des Angeklagten Dr. N.
21
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
22
Das Landgericht hat in Bezug auf die Verurteilung des Angeklagten wegen des Besitzes jugendpornographischer Schriften die Voraussetzungen der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts erörtert und in diesem Zusammenhang insbesondere die gemäß § 7 Abs. 2 StGB erforderliche Strafbarkeit des Besitzes der Abbildung auch nach Maßgabe des schweizerischen Strafrechts bis (Art. 197 Ziff. 3 StGB-CH) ohne Rechtsfehler bejaht. Soweit sich die Revision gegen die Würdigung der Strafkammer zum Besitzwillen des Angeklagten be- züglich des genannten Bildes wendet, greifen ihre Beanstandungen ebenfalls nicht durch. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Auch der von der Revision geltend gemachte Strafklageverbrauch durch einen Strafbefehl vom 31. Juli 2003, rechtskräftig seit dem 19. August 2003, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen und Verbreitung von pornographischen Schriften wegen des Besitzes einer Videokassette ist nicht eingetreten. Dies gilt schon deswegen, weil der hiesige Tatzeitraum für den erst ab 5. November 2008 strafbaren Besitz jugendpornographischer Schriften (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 19. November 1993 – 2 StR 468/93, NStZ 1994, 123) nach dem Eintritt der Rechtskraft jenes Strafbefehls liegt, mithin eine Tat aufgrund eines neuen, qualitativ verschiedenen Tatentschlusses der jetzigen Verurteilung zugrunde liegt (BVerfG, Beschluss vom 27. Dezember 2006 – 2 BvR 1895/05; BGH, Beschluss vom 13. März 1997 – 1 StR 800/96, NStZ 1997, 446 f.).
23
Auch im Übrigen hat die umfassende Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

C.


Revisionen der Staatsanwaltschaft
24
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft erzielen ihren weitgehenden Erfolg bereits mit der näher ausgeführten Sachrüge. Einer Erörterung der nur auf die Missbrauchsvorwürfe zum Nachteil des Ju. E. bezogenen Verfahrensbeanstandungen bedarf es nicht mehr.

I.


25
Die Freisprüche haben keinen Bestand.
26
Das Urteil leidet insoweit an einem durchgreifenden Darstellungsmangel. Denn die Strafkammer, die davon ausgeht, dass sowohl Fl. Z. als auch Ju. E. „überhaupt“ Opfer sexueller Missbrauchstaten geworden sind, teilt nicht mit, welchen Sachverhalt sie insoweit als festgestellt erachtet.
27
Spricht der Tatrichter den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, so muss er in den Urteilsgründen zunächst den Anklagevorwurf, hieran anschließend die insoweit getroffenen Feststellungen, dann die wesentlichen Beweisgründe und schließlich seine rechtlichen Erwägungen mitteilen. Der Tatrichter muss also zunächst diejenigen Tatsachen bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen er die zur Verurteilung notwendigen Feststellungen nicht treffen konnte (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2003 – 1 StR 544/02, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 13 mwN; Urteil vom 17. März 2009 – 1 StR 479/08, NStZ 2009, 512, 513; Urteil vom 3. März 2010 – 2 StR 427/09, NStZ-RR 2010, 182). Nur hierdurch wird das Revisionsgericht in die Lage versetzt, nachprüfen zu können, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (BGH, Urteile vom 5. Februar 2013 – 1 StR 405/12, NJW 2013, 1106; vom 27. Oktober 2011 – 5StR 236/11; vom 17. Mai 1990 – 4 StR 208/90, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 4; vom 26. September 1989 – 1 StR 299/89, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2). Diesen Anforderungen genügt das Urteil nicht.
28
Solche Feststellungen, die grundsätzlich als eine geschlossene Darstellung zu treffen sein werden, waren auch hier nicht ausnahmsweise deswegen entbehrlich, weil sich nach den Urteilsgründen keinerlei Erkenntnisse ergeben hätten (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 27. Oktober 2011 – 5 StR 236/11; vom 28. Oktober 2010 – 3 StR 317/10, NStZ-RR 2011, 88 f.; vom 17. Dezember2008 – 1 StR 552/08, NStZ-RR 2009, 116 f.; vom 29. Oktober 2003 – 5 StR 358/03). Vielmehr haben verschiedene Beweismittel, wie die zeugenschaftlichen Angaben der Geschädigten und der E-Mail-Verkehr des Angeklagten Dr. N. , ausweislich der Urteilsgründe einen Ertrag ergeben. Die Strafkammer unterlässt es aber, darzustellen, von welchem Geschehensablauf sie sich aufgrund einer würdigenden Gesamtschau des dargestellten Beweisertrags überzeugt hat.
29
Auf dieser Grundlage lässt sich die Wertung, die Missbrauchstaten, von deren Vorliegen sie überzeugt ist, seien nicht mit den angeklagten Taten (A. I. bis A. IV. hinsichtlich des Geschädigten Ju. E. , B. hinsichtlich des Geschädigten Fl. Z. ) identisch, revisionsrechtlich nicht überprüfen. Im Einzelnen gilt Folgendes:
30
1. Taten zu Lasten von Fl. Z.
31
Ausweislich der Urteilsausführungen hat der Zeuge Fl. Z. in der Hauptverhandlung unterschiedliche Missbrauchsgeschehen an mehreren Tatorten , darunter aber mindestens fünf Taten in der F. Wohnung des Angeklagten im Zeitraum um 1996 geschildert. Dort hätten sie häufig mit seinem Bruder zu dritt nackt auf dem Bett gelegen und Kinderfernsehen geschaut. Dabei habe der Angeklagte seinen Penis an ihm gerieben und an seinem – des Zeugen – Glied Oralverkehr vorgenommen. Ob der Angeklagte das Glied des Zeugen auch angefasst habe, daran habe er keine Erinnerung mehr. Aus den weiteren Darstellungen ergibt sich, dass der Zeuge Fl. Z. immer wieder Erinnerungsunsicherheiten thematisiert und in der Hauptverhandlung erstmals vernommen worden ist.

32
Vor diesem Hintergrund – Identität des Tatorts, der Tatzeit und der Tatumstände (vgl. demgegenüber BGH, Urteil vom 30. Oktober 2008 – 3 StR 375/08, StraFo 2009, 71; Beschluss vom 10. November 2008 – 3 StR 433/08, NStZ-RR 2009, 146 f.) – erhellt sich die Wertung der Strafkammer, dass es sich zwar um den Angeklagten „in hohem Maße belastende Angaben“ handele, die so geschilderten Taten aber ein anderes Gepräge als die angeklagte Tat hätten, nicht. Vielmehr hätte sie sich eine Überzeugung von dem Ablauf der stattgefundenen Taten bilden und diese feststellen müssen. Allein dies hätte einen Vergleich mit dem angeklagten Sachverhalt ermöglicht. So aber bleibt offen, inwieweit sie sich auf die Darstellungen des Zeugen Fl. Z. , insbesondere zur eigentlichen Tathandlung, stützt und ob sie dabei auch die zutreffenden Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Es wäre nämlich zu berücksichtigen, dass bei der Schilderung mehrerer Missbrauchstaten, zumal nach Ablauf von vielen Jahren, nicht für jeden Vorgang eine zeitlich exakte und detailreiche Schilderung erwartet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2001 – 1 StR 190/01 mwN). Zudem bleibt unerörtert, inwieweit die Angaben des Zeugen durch andere Beweismittel bzw. -anzeichen eine Ergänzung, Bestätigung oder Widerlegung erfahren und worauf die als andersartig gewertete Darstellung des Tatablaufs in der Anklage zurückgeht.
33
2. Taten zu Lasten von Ju. E.
34
Hinsichtlich der den Geschädigten Ju. E. betreffenden Taten stellt die Strafkammer zunächst eine während des laufenden Ermittlungsverfahrens versandte E-Mail des Angeklagten Dr. N. an den Angeklagten S. dar, in der er als Reaktion auf den von ihm wiedergegebenen Vorwurf , dem Geschädigten, als dieser am Computer spielte, „in die Hose gefah- ren“ zu sein und an „seinem Pimmel herumgespielt“ zu haben, erklärt, es stimme vermutlich, dass er ihm „in die Hose gefahren“ sei.
35
Ihre Überzeugung davon, dass Ju. E. überhaupt Opfer eines in Anwesenheit des Angeklagten S. von dem Angeklagten Dr. N. verübten Missbrauchs geworden sei, gründet die Strafkammer auf weitere EMails des Angeklagten Dr. N. an eine Bekannte aus dem Jahr 2004. Hierin berichtet der Angeklagte ihres Erachtens glaubhaft unter anderem detailliert von zwei in Anwesenheit des Angeklagten S. in der F. Wohnung an Ju. E. verübten Missbrauchstaten. Einer dieser Vorfälle habe sich ereignet, als Ju. „wohl sieben oder acht Jahre alt“ gewesen sei.
36
„Gerade die angeklagten Taten“ hätten aber – so die Strafkammer – nicht „konkret festgestellt werden können“. Diese Wertung bleibt allerdings oh- ne Grundlage, da es die Strafkammer auch für diesen Tatkomplex unterlassen hat, dem angeklagten Geschehen die Feststellungen gegenüber zu stellen, die sie aufgrund einer Würdigung der erhobenen Beweise in der Gesamtschau treffen konnte.
37
Sie belässt es vielmehr dabei, die zeugenschaftlichen Schilderungen des Ju. E. darzustellen und losgelöst vom übrigen Beweisertrag zu bewerten. Auf dieser Grundlage kommt sie zu dem Schluss, dass der Zeuge Ju. E. zwar einen authentischen Eindruck gemacht habe, aber aufgrund „gra- vierender Mängel der Aussagequalität“ nicht zweifelsfrei auszuschließen sei, dass die von ihm konkret geschilderten Vorgänge durch Erinnerungsfehler, suggestive Einflüsse oder Phantasie beeinflusst gewesen seien. Da die angeklagten Taten aber auf seine Angaben gestützt seien, hätte sie sich eine zwei- felsfreie Überzeugung „trotz des (…) grundsätzlich erwiesenen sexuellen Miss- brauchs des Zeugen Ju. E. durch Dr. N. in Gegenwart seines nicht einschreitenden Vaters“ nicht bilden können.
38
Diese allein an den – für sich genommen als nicht hinreichend valide erachteten – Angaben des Geschädigten ausgerichtete Wertung lässt unerörtert, zu welcher Überzeugung zu einem Lebenssachverhalt eine Gesamtschau mit den sonstigen Beweismitteln – namentlich mit dem bereits erwähnten E-MailVerkehr ohne Beschränkung auf die E-Mails aus dem Jahre 2004 – aufgrund der gegenseitigen Durchdringung der Beweismittel hinsichtlich aller oder einzelner Taten geführt hätte. Damit ist auch der Verpflichtung, die Beweise erschöpfend zu würdigen (vgl. dazu BGH, Urteile vom 3. März 2010 – 2 StR 427/09, NStZ-RR 2010, 182 f.; vom 29. August 2007 – 2 StR 284/07 mwN; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 56 mwN), nicht genügt.

II.


39
Soweit das Landgericht den Angeklagten Dr. N. nur wegen des Besitzes einer jugendpornographischen Schrift, nicht jedoch wegen (tateinheitlichen ) Besitzes weiterer kinderpornographischer Schriften verurteilt hat, hält auch dies revisionsrechtlicher Überprüfung nicht in vollem Umfang stand.
40
1. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Abbildung des Angeklagten mit B. als nicht kinderpornographisch einstuft, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

41
Mit Recht ist die Strafkammer zwar von der Sexualbezogenheit der auf dem Diapositiv abgebildeten Situation – die dem Senat über die Beschreibung im Urteilstext und über den gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zum Bestandteil der Urteilsgründe gemachten, aktenkundigen Abdruck des Bildes zugänglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1999 – 2 StR 365/99, NStZ 2000, 307, 309) – ausgegangen.
42
Allerdings legt sie im weiteren Verlauf einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde, indem sie zusätzlich fordert, dass die Darstellung der sexuellen Handlung einen vergröbernd-reißerischen Charakter aufweisen müsse, und insoweit die am Pornographie-Begriff der §§ 184, 184a StGB entwickelten Maßstäbe überträgt.
43
a) Gemäß § 184b Abs. 1 StGB sind kinderpornographische Schriften „pornographische Schriften (§ 11 Abs. 3), die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern (§ 176 Abs. 1) zum Gegenstand haben“. Infolgedessen bedarf es deshalb auch für § 184b Abs. 1 StGB eines in diesem Sinne „pornographi- schen“ Charakters der Abbildung.
44
aa) Der Bundesgerichtshof hat sich zur Auslegung dieses Begriffs für den Tatbestand des § 184b StGB bislang noch nicht geäußert und – soweit er sich mit der Einordnung von Schriften, insbesondere Lichtbildern, als „kinder- pornographisch“ imSinne von § 184 StGB aF, § 184b StGB nF befasst hat – ersichtlich nur die Frage des Sexualbezugs der dargestellten Handlungen thematisiert (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2014 - 4 StR 370/13; Beschlüsse vom 21. November 2013 – 2 StR 459/13 ; vom 19. März 2013 – 1 StR 8/13, BGHSt 58, 197; vom 8. Februar 2012 – 4 StR 657/11, StV 2012, 540; vom 10. Juli 2008 – 3 StR 215/08, StraFo 2008, 477; Urteil vom 24. März 1999 – 3 StR 240/98, BGHSt 45, 41; Beschluss vom 17. Dezember 1997 – 3 StR 567/97, NJW 1998, 1502).
45
bb) Im Schrifttum ist die Auslegung des Merkmals „pornographisch“ in § 184b Abs. 1 StGB umstritten.
46
Nach einer Ansicht (Wolters in SK-StGB, 136. Lfg., § 184b Rn. 3a) ergibt sich der pornographische Charakter bei der Darstellung sexueller Handlungen von, an oder vor Kindern jedenfalls in den Fällen, in denen die Schrift einen sexuellen Missbrauch von Kindern (§§ 176 bis 176b StGB) zum Inhalt hat, bereits aus der Strafbarkeit des dargestellten Vorgangs, weil in diesen Fällen das Kind stets zum Objekt fremdbestimmter Sexualität degradiert werde. Außerhalb der Missbrauchsfälle sei eine Einzelfallbetrachtung erforderlich, dabei sei darauf abzustellen, ob das abgebildete Kind zum Opfer fremdbestimmter Sexualität degradiert werde.
47
Die vorherrschende Meinung verweist zur Auslegung des Begriffs „pornographisch“ auf die anhand der §§ 184, 184a StGB entwickelten Maßstäbe (Hörnle in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 184b Rn. 14 mwN; Hilgendorf in SSW-StGB, 2. Aufl., § 184b Rn. 3; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 184b Rn. 3); erforderlich ist danach eine vergröbernde Darstellung sexuellen Verhaltens, die den Menschen unter weitgehender Ausklammerung emotional-individualisierter Bezüge zum bloßen – auswechselbaren – Objekt geschlechtlicher Begierde oder Betätigung macht (zu § 184 Abs. 1 StGB vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 1990 – 1 StR 477/89, BGHSt 37, 55, 59 f.; Beschluss vom 22. Juni 2010 – 3 StR 177/10, NStZ 2011, 455).
48
b) Der Senat teilt die letztgenannte Auffassung nicht.
49
„Pornographie“ ist die Vermittlung sexueller Inhalte, die ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes beim Betrachter abzielt und dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes überschreitet (so bereits Prot. des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform WP 6, S. 1932; vgl. Laufhütte/Roggenbuck in LK-StGB, 12. Aufl., § 184 Rn. 5). Nach heutigem Verständnis bestimmt sich die im Einzelfall schwer zu bestimmende Grenze nach der Wahrung der sexuellen Selbstbestimmung des Einzelnen (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 184 Rn. 7b mwN); pornographisch ist demgemäß die Darstellung entpersönlichter sexueller Verhaltensweisen , die die geschlechtliche Betätigung von personalen und sozialen Sinnbezügen trennt und den Menschen zum bloßen – auswechselbaren – Objekt geschlechtlicher Begierde oder Betätigung macht (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 21. Juni 1990 – 1 StR 477/89, BGHSt 37, 55).
50
Eine derartig degradierende Wirkung wohnt der Darstellung sexueller Handlungen von, an und vor Kindern jedoch in aller Regel inne. Von Fallgestaltungen abgesehen, in denen es der Darstellung am pornographischen Charakter schon deshalb fehlt, weil sie nicht überwiegend auf die Erregung sexueller Reize abzielt (so auch bereits Hörnle in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 184b Rn. 14) – z.B. bei der Abbildung der Genitalien hierzu „posierender“ Kinder in medizinischen Lehrbüchern –, sind realitiätsbezogene Darstellungen sexueller Hand- lungen von, an oder vor Kindern daher regelmäßig auch „pornographisch“ i.S.v. § 184b Abs. 1 StGB. Eines darüber hinausgehenden „vergröberndreißerischen“ Charakters der Darstellung bedarf es demgegenüber nicht.
51
Das ergibt sich aus Folgendem:
52
aa) Der Wortlaut des § 184b Abs. 1 StGB, der die absolute Grenze einer Gesetzesauslegung zum Nachteil des Angeklagten bildet (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2012 – 1 StR 378/11, NStZ 2013, 120), bestimmt, dass nur eine „pornographische“ Schrift auch „kinderpornographisch“ i.S.v. § 184b Abs. 1 StGB sein kann. Wie der Begriff „pornographische Schriften“ innerhalb des § 184b Abs. 1 StGB jedoch ausgefüllt werden soll, lässt das Gesetz offen.
53
bb) Die gleichzeitige Verwendung des Begriffs in anderen Strafnormen, namentlich in den §§ 184, 184a StGB, gebietet nicht von vornherein eine gleichlautende Auslegung auch für § 184b StGB.
54
Maßgeblich ist stets der Schutzzweck der betroffenen Norm, der auch eine differenzierte Interpretation erforderlich machen kann (vgl. auch BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 – 1 StR 95/09, BGHSt 55, 36 ff. ; für eine unterschiedliche Definition des Begriffs „Pornographie“ innerhalb der verschiedenen Tatbestände des § 184 StGB daher auch Wolters in SK-StGB, 136. Lfg., § 184 Rn. 5; Schroeder, Pornographie, Jugendschutz und Kunstfreiheit, 1992, S. 21 ff.).
55
Eine Betrachtung nach dem Schutzzweck des § 184 StGB einerseits und dem des § 184b StGB andererseits legt keine einheitliche Interpretation des Begriffs „pornographisch“ nahe.
56
Die Vorschrift des § 184 StGB soll den Bürger vor unerwünschter Konfrontation mit Pornographie schützen (BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2005 – 5 StR 156/05, NStZ 2005, 688; vom 10. Juni 1986 – 1 StR 41/86, BGHSt 34, 94, 97); darüber hinaus dient er dem Jugendschutz (Laufhütte/Roggenbuck in LK-StGB, 12. Aufl., § 184 Rn. 1; krit. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 184 Rn. 2), wobei auch hier vor allem der Schutz Jugendlicher vor der Konfrontation mit Pornographie gemeint ist.
57
Demgegenüber schützt § 184b StGB nicht nur den Konsumenten der Abbildung, sondern auch die sexuelle Integrität des Kindes, das an ihrer Herstellung mitwirkt (BT-Drucks. 12/3001, S. 5; vgl. auch BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 – 2 StR 220/13, NStZ-RR 2013, 339, 340; Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 2 StR 328/11, StV 2012, 212). Insbesondere soll potenziellen Tätern kein An- reiz zu sexuellen Missbrauchstaten gewährt werden.
58
Schon nach dem Maßstab des Konsumentenschutzes bedarf es bei der Darstellung sexueller Handlungen von, an und vor Kindern keines vergröberndreißerischen Charakters. Denn deren Degradierung zum Objekt fremder sexueller Begierde ergibt sich allein daraus, dass ihnen eine selbstbestimmte Mitwirkung an sexuellen Handlungen per se nicht möglich ist (zur Unwirksamkeit einer Einwilligung des Kindes in sexuelle Handlungen vgl. Hörnle in LK-StGB, 12. Aufl., § 176 Rn. 4 mwN; Renzikowski in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 176 Rn. 2 mwN; Wolters in SK-StGB, 135. Lfg., § 176 Rn. 2; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 176 Rn. 2).
59
Vor allem aber spricht die Verknüpfung mit dem Schutzzweck der §§ 176 ff. StGB gegen eine Restriktion des Tatbestands am Maßstab des für §§ 184, 184a StGB entwickelten Pornographie-Begriffs. Der Gesetzgeber hat einen umfassenden Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch angestrebt. Die Ausdehnung dieses Schutzes auf die Fälle mittelbarer Förderung in § 184b StGB lässt sich daher nur umsetzen, wenn es für die Begründung der Strafbarkeit nicht noch der vergröbernd-reißerischen Darstellung bedarf.
60
cc) Auch der Gesetzgeber ist bei der Neufassung des heutigen § 184b StGB ersichtlich nicht davon ausgegangen, dass es für die Qualifizierung einer Schrift als „kinderpornographisch“ auf eine i.S.v. § 184 StGB „vergröberndreißerische“ Darstellung ankommt.
61
Die aktuelle Regelung entstammt dem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I, S. 2149). Das bereits in der früheren Fassung enthaltene Merk- mal „pornographisch“ wurde im Entwurf der Neuregelung zunächst stillschwei- gend übernommen (vgl. Art. 1 Nr. 8, BT-Drucks. 16/3439, S. 5, 9). Bereits während der Beratungen des Rechtsausschusses wurde im Rahmen zweier Entschließungsanträge – allerdings erfolglos – beantragt, „zur Klarstellung“ das Tatbestandsmerkmal „pornographisch“ zu streichen, weil diesem keine Funkti- on zukomme (BT-Drucks. 16/9646, S. 10, 14).
62
Auch die Ausschussmehrheit, deren Beschlüsse im Gesetz zur Umsetzung gelangt sind, ging ersichtlich nicht davon aus, dass es für eine i.S.v. § 184b Abs. 1 StGB „pornographische“ Darstellung eines vergröberndreißerischen Charakters bedürfe: In der Beschlussempfehlung zur Begründung der Neuregelung in § 184c StGB (jugendpornographische Schriften) heißt es hierzu: „Außerdem wird durch die Regelung außerhalb von § 184b StGB klar- gestellt, dass es sich um pornographische Schriften handeln muss. Für eine Strafbarkeit nach § 184b StGB genügt es nämlich, dass die Schrift den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand hat, ohne dass es auf den por- nographischen Charakter der Darstellung (vergröbernde Darstellung des Sexuellen unter Ausklammerung aller sonstigen menschlichen Bezüge) ankommt, da sexuelle Handlungen mit Kindern generell verboten sind. Für die nach § 184a strafbare Gewalt- und Tierpornographie ist hingegen der Pornographiebegriff derselbe wie in § 184. Entsprechend gilt dies auch für § 184c – neu –. Weder für § 184a noch für § 184c – neu – gelten die für § 184b maßgeblichen Überlegungen (generelle Strafbarkeit aller dargestellten sexuellen Handlun- gen)“ (vgl. BT-Drucks. 16/9646, S. 18).
63
dd) Nach dem Schutzzweck des § 184b StGB ist der Begriff „pornogra- phisch“ indes auch nicht auf Fälle der Darstellung strafbewehrter sexueller Missbrauchstaten im Sinne der §§ 176 bis 176b StGB beschränkt.
64
Denn zum einen war es erklärtes Ziel der Neuregelung des § 184b StGB, die als zu eng empfundene Erfassung nur solcher Darstellungen, „die den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben“ durch die Er- weiterung auf Darstellungen, die sexuelle Handlungen von, an und vor Kindern zum Gegenstand haben zu ersetzen (vgl. BT-Drucks. 16/3439, S. 9). Diesem Ziel liefe eine wiederum auf Missbrauchsfälle begrenzte Auslegung des Tatbe- standsmerkmals „pornographisch“ ersichtlich zuwider.
65
Zum anderen würden durch eine Anknüpfung an die Tatbestände der §§ 176 bis 176b StGB Darstellungen solcher Handlungen aus dem Anwendungsbereich des § 184b StGB ausgeschlossen, die den §§ 176 bis 176b StGB nur deshalb nicht unterfallen, weil sie nicht i.S.v. § 184g Nr. 1 StGB „von einiger Erheblichkeit“ sind. Das Merkmal „Erheblichkeit“ in § 184g Nr. 1 StGB ist jedoch nicht einheitlich am Maßstab des § 176 Abs. 1 StGB, sondern gemäß dem Wortlaut des § 184g Nr. 1 StGB „im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut“ zu bestimmen. Nachdem § 184bStGB aber schon mögliche Anrei- ze für potenzielle Missbrauchstäter vermeiden soll, versagt der für § 176 StGB entwickelte Maßstab der „Erheblichkeit“ gerade in den Fällen, in denen esdort z.B. auf die Intensität und Dauer einer Berührung ankommt (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 184g Rn. 7 mwN). Die Übernahme dieses Maßstabs würde den Zweck der Anreizvermeidung verkürzen; die Kriterien wären auch zur Bestim- mung der „Erheblichkeit“ für einen großen Teil der von § 184b StGB erfassten „Schriften“ völlig ungeeignet.
66
c) Das Merkmal „pornographisch“ läuft damit nicht ins Leere. Es dient dem Ausscheiden von Fallgestaltungen, in denen die dargestellte sexuelle Handlung keine Straftat darstellt und nicht überwiegend auf die Erregung sexueller Reize abzielt.
67
d) Nachdem die Strafkammer den Sexualbezug der Abbildung ohne Rechtsfehler festgestellt hat und ersichtlich kein Fall vorliegt, in dem es der Darstellung ausnahmsweise am pornographischen Charakter mangelt (s.o. 1. b.), kann der Senat bezüglich der rechtlichen Bewertung als „kinderpornographische Schrift“ eine eigene Entscheidung treffen.
68
2. Hinsichtlich der allenfalls noch für den Schuldumfang relevanten Dateien mit Abbildungen des S. Ec. , die der Angeklagte auf einer externen Festplatte gespeichert hatte, hat die Strafkammer demgegenüber mit nicht zu beanstandenden Erwägungen eine Verurteilung des Angeklagten Dr. N. schon mangels eines im Tatzeitraum bestehenden Besitzwillens abgelehnt.
69
Insoweit war die den Angeklagten Dr. N. betreffende Revision der Staatsanwaltschaft unbegründet und daher zu verwerfen.

III.


70
Im Hinblick auf die Erweiterung des den Angeklagten Dr. N. wegen Besitzes jugendpornographischer Schriften treffenden Schuldspruchs im Fall II. 2. der Urteilsgründe auf den Tatbestand der Kinderpornographie bedurfte die von der Strafkammer insoweit erkannte Einzelstrafe der Aufhebung. Bereits dies zog die Aufhebung auch des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.
71
Der Aufhebung von Feststellungen bedurfte es insoweit nicht, da die Strafkammer einem reinen Wertungsfehler erlegen ist. Dem neuen Tatrichter bleibt es jedoch unbenommen, ergänzende Feststellungen zu treffen, soweit diese sich nicht mit den bisher getroffenen in Widerspruch setzen.

D.


72
Der Angeklagte trägt die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels. Über die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft wird die nunmehr zuständige Strafkammer zu erkennen haben.
RiBGH Dr. Wahl ist im Urlaub und deshalb an der Unterschriftsleistung verhindert. Raum Raum Rothfuß Jäger Cirener

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR342/14
vom
3. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 3. Dezember 2014 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 22. April 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen A 2, B 9, 10, 11, 19, 20, 21, 24, 25, 26, 28, 29, 30, 31 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, jedoch können in den Fällen B 9, 10, 11, 19, 20, 21, 25, 26, 28, 29, 30, 31 der Urteilsgründe die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen bleiben;
b) im Gesamtstrafen- und Maßregelausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift, Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift an eine andere Person in 14 Fällen und Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem hat es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verurteilung wegen Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift (§ 184b Abs. 4 StGB) im Fall A 2 der Urteilsgründe und wegen Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift an eine andere Person im Fall B 24 der Urteilsgründe (§ 184b Abs. 2 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Urteilsgründe nicht belegen, dass die tatgegenständlichen Bilder die sexuelle Handlung (§ 184g Nr. 1 StGB) von einem Kind zum Gegenstand haben.
3
a) Nach den Feststellungen fertigte der Angeklagte am 7. Mai 2013 von der siebenjährigen V. S. zwei Fotos, als diese nackt mit ihrem Bruder in einem Planschbecken badete. Dabei fotografierte er zweimal eine Szene, in der sie mit gespreizten Beinen eine Frontalansicht bot. Bei der ersten Gelegenheit befindet sie sich in einer halb liegenden Position. Das eine Bein hat sie aufgestellt, während das andere Bein angewinkelt am Boden liegt, sodass ihr Geschlechtsteil aus der Kameraperspektive voll sichtbar ist. Bei der zweiten Gelegenheit liegt V. S. auf dem Rücken. Ihre linke Schulter und ihre linke Seite sind leicht erhoben. Anscheinend setzt sie sich gerade auf oder legt sich aus sitzender Position hin. Ihr rechtes Bein liegt leicht nach rechts abgewinkelt auf dem Boden, der linke Oberschenkel ist gerade ausgestreckt, mit der Folge, dass ihr Geschlechtsteil auch hier aus der Kameraperspektive gut sichtbar ist (Fall A 2 der Urteilsgründe). Am 5. September 2013 übersandte der Angeklagte mittels seines Computers eine dieser Fotografien an eine unbekannt gebliebene andere Person (Fall B 24 der Urteilsgründe). Das Landgericht hat die von dem Angeklagten gefertigten Bilder als „pornogra- fisch“ bewertet, weil ihr alleiniger Zweck die Zurschaustellung des Geschlechts- teils des zur Tatzeit sieben Jahre alten Kindes gewesen sei und es sich nicht um eine zufällige Aufnahme gehandelt habe (UA 61 f.).
4
b) Diese Wertung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5
Nicht jede Aufnahme des nackten Körpers oder des Geschlechtsteils eines Kindes ist Kinderpornografie im Sinne des § 184b Abs. 1 StGB. Tatobjekte sind nur pornografische Schriften, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben. Zu den sexuellen „Handlungen“ von Kindern gehört zwar nach der Neufassung des Gesetzes durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I 2008, S. 2149) auch ein Posieren in sexualbetonter Körperhaltung (BGH, Urteil vom 16. Januar 2014 – 4 StR 370/13, NStZ 2014, 220, 221; Beschluss vom 21. November 2013 – 2 StR 459/13, NStZ-RR 2014, 108; Beschluss vom 16. März 2011 – 5 StR 581/10, NStZ 2011, 570, 571; Ziegler in: BeckOK, StGB, § 184b Rn. 4; MüKoStGB/Hörnle, 2. Aufl., § 184b Rn. 17; Röder, NStZ 2010, 113, 116 f.; vgl. auch BT-Drucks. 16/3439, S. 9; BT-Drucks. 16/9646, S. 2, 17). Voraussetzung ist aber, dass die von dem Kind eingenommene Körperposition objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug aufweist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. August 2008 – 4 StR 373/08, NStZ 2009, 29; Urteil vom 20. Dezember 2007 – 4 StR 459/07, NStZ-RR 2008, 339, 340 mwN). Körperpositionen , die sich bei einem Handlungsablauf ohne eindeutigen Sexualbezug (z.B. Körperpflege, An- oder Umkleiden, Sport, Spiel etc.) naturgemäß ergeben sind auch dann keine sexuellen Handlung von Kindern im Sinne von § 184b Abs. 1 StGB in der derzeitigen Fassung, wenn sie für Bildaufnahmen zu pornografischen Zwecken ausgenutzt werden.
6
Die Feststellungen belegen nicht, dass V. S. in den Momenten , in denen sie von dem Angeklagten fotografiert wurde, ihr Geschlechts- teil „zur Schau gestellt“ und damit eine Handlung vorgenommen hat, die ihrem äußerem Erscheinungsbild nach einen eindeutigen Sexualbezug aufweist. Möglich erscheint auch, dass der Angeklagte lediglich für seine Zwecke günstige Momente im natürlichen Bewegungsablauf des badenden Kindes dazu ausgenutzt hat, um dessen Geschlechtsteil aufzunehmen. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
7
2. Die Verurteilung wegen real konkurrierender Taten der Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift gemäß § 184b Abs. 4 StGB in den Fällen B 9, 10 und 11 der Urteilsgründe und Besitzverschaffung an einer kinderpornografischen Schrift an eine andere Person gemäß § 184b Abs. 2 StGB in den Fällen B 19, 20, 21, 25, 26, 28, 29, 30 und 31 hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
8
a) Bei der Übersendung und dem Empfang mehrerer kinderpornografischer Bild- oder Videodateien über das Internet liegt nur eine Tat im materiell- rechtlichen Sinn vor, wenn der Täter mehrere Dateien während eines einheitlichen Kommunikationsvorganges herunterlädt oder versendet (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 – 4 StR 258/13, Rn. 14, insoweit in BGHSt 59, 28, NJW 2013, 3528 und NStZ 2014, 34 nicht abgedruckt; Beschluss vom 10. Juli 2008 – 3 StR 215/08, NStZ 2009, 208; MüKoStGB/Hörnle, 2. Aufl., § 184b Rn. 48). Lassen sich dazu keine eindeutigen Feststellungen treffen, ist das Geschehen nach dem Zweifelsgrundsatz als eine Tat im materiell-rechtlichen Sinn zu beurteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 1983 – 3 StR 110/83, NStZ 1983, 364, 365).
9
b) Danach wird in den angeführten Fällen die Annahme materiell-rechtlich selbstständiger Taten von den Urteilsfeststellungen nicht getragen.
10
Die Fälle B 9, 10 und 11 betreffen das Herunterladen und Speichern von drei kinderpornografischen Bilddateien in einem Zeitfenster von zwei Stunden. In den Fällen B 19, 20 und 21 übermittelte der Angeklagte innerhalb von 22 Minuten drei Dateien mit kinderpornografischem Inhalt an denselben Empfänger. Die Fälle B 25 und B 26 beziehen sich auf die Übersendung von zwei kinderpornografischen Bilddateien an denselben Kommunikationspartner in einem Abstand von vier Minuten. In den Fällen B 28 bis 31 wurden vier kinderpornografische Bild- und Videodateien innerhalb von 24 Minuten an denselben Empfänger versandt. Nähere Feststellungen zur Dauer und zum Verlauf der Internetsitzungen des Angeklagten hat das Landgericht nicht getroffen. Es bleibt daher offen, ob dem Empfang oder der Versendung der kinderpornografischen Dateien in den angeführten Sequenzen jeweils nur ein einheitlicher oder mehrere getrennte Kommunikationsvorgänge zugrunde lagen. Angesichts des nur geringen zeitlichen Abstands zwischen den einzelnen Übertragungen ergibt sich in diesen Fällen die vom Landgericht angenommene (materiell-rechtliche) Selbstständigkeit auch nicht von selbst.
11
Die Sache bedarf daher auch insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können dabei jedoch bestehen bleiben.
12
3. Die Teilaufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Da das Landgericht die von der Aufhebung betroffenen Fälle A 2 (Einzelstrafe: ein Jahr und vier Monate Freiheitsstrafe) und B 24 (Einzelstrafe : ein Jahr Freiheitsstrafe) als Anlasstaten für die auf § 66 Abs. 2 StGB gestützte Unterbringung in der Sicherungsverwahrung herangezogen hat, verliert damit auch die Maßregelanordnung ihre Grundlage.
13
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin: Sollte der neue Tatrichter zu der Auffassung gelangen, dass mehrere der im ersten Rechtsgang als materiell-rechtlich selbstständige Taten ausgeurteilten Fälle des Empfangs oder des Versendens von kinderpornografischen Dateien nach § 184b Abs. 2 oder 4 StGB zu einer Tat im Rechtssinn zusammenzufassen sind, steht das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) bei der Neufestsetzung der Einzelstrafe einer Erhöhung der höchsten im ersten Rechtsgang für diese Taten verhängten Einzelstrafe nicht entgegen. Allerdings darf die Summe der neuen und der verbleibenden Einzelstrafen ebenso wenig zum Nachteil des Angeklagten verändert werden, wie die neu zu bestimmende Gesamtstrafe (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 1995 – 3 StR 346/95, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 7). Soweit es wiederum zu einer Prüfung der materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 Satz 1 StGB kommen sollte, wird zu beachten sein, dass zulässiges Verteidigungsverhalten, wie das Bagatellisieren der Anlasstaten, weder bei der Prüfung des Hangs noch im Rahmen der Gefahrenprognose zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden darf (BGH, Beschluss vom 21. August 2014 – 1 StR 320/14, Rn. 7; Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 5 StR 267/11, NStZ-RR 2012, 9).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 302/08
vom
16. September 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 16. September 2008
gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 17. März 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexueller Nötigung zur Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachbeschwerde Erfolg. Eines Eingehens auf die verfahrensrechtlichen Beanstandungen bedarf es daher nicht.
2
Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift unter anderem Folgendes ausgeführt: "… Zwar hat sich die Kammer eingehend mit der Glaubwürdigkeit des Geschädigten und der Glaubhaftigkeit seiner Aussage auseinandergesetzt (UA S. 13 ff.) und dabei ein etwaiges Motiv, den Angeklagten zu Unrecht zu belasten, erörtert und ausgeschlossen (UA S. 13). Insbesondere hat sie die Möglichkeit berücksichtigt, dass das Tatopfer - von seiner Stiefmutter nach einem häuslichen Entweichen zur Rede gestellt - erst durch deren konkrete Nachfrage spontan auf das Thema des sexuellen Missbrauchs und die Idee einer Falschaussage gebracht worden sein könnte, um hierdurch von seinem Fehlverhalten abzulenken (UA S. 15, 23 f.). Jedoch hat das Landgericht in diesem Zusammenhang unterlassen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob sich das Opfer aus oben genannter Motivation … bereits während seines unerlaubten Fernbleibens von zu Hause eine falsche Verdächtigung des Angeklagten ausgedacht haben könnte. Eine solche Erörterung hätte sich aufgedrängt, weil nach den getroffenen Feststellungen der Geschädigte seiner Stiefmutter erzählte, dass er in der Zeit seiner unerlaubten Abwesenheit im April 2004 mit seinem Bruder 'beim Angeklagten in Stadthagen gewesen sei' (UA. 10). Diese Aussage steht im Widerspruch zu der Feststellung, dass der Angeklagte Deutschland bereits im Juli 2003 verlassen habe und erst im Jahre 2007 zurückgekehrt sei. Wenn somit die nahe liegende Möglichkeit besteht, dass der Geschädigte seine Stiefmutter bzgl. seines Aufenthalts bei dem Angeklagten angelogen hat, erscheint es nicht fern liegend, dass er dies auch hinsichtlich der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat getan hat. …"
4
Dem verschließt sich der Senat nicht, zumal die Beweiswürdigung in einem weiteren Punkt durchgreifenden rechtlichen Bedenken unterliegt:
5
Obwohl die Tatschilderung des Nebenklägers in der Hauptverhandlung auch zum Kerngeschehen in zahlreichen Punkten von seinen früheren Angaben abwich, hat das Landgericht - im Widerspruch zum Gutachten der psychologischen Sachverständigen - im Ergebnis eine ausreichende Aussagekonstanz angenommen und ist auf dieser Grundlage zur Überzeugung von der uneinge- schränkten Glaubhaftigkeit der Angaben des Nebenklägers gelangt. Zwar ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht eine von dem Gutachten der Sachverständigen abweichende eigene Beurteilung der Aussagekonstanz und der Glaubhaftigkeit der Angaben des Nebenklägers vorgenommen hat; denn der Tatrichter ist im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung stets zu einer eigenen Beurteilung verpflichtet (vgl. Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 31 m. w. N.). Weicht der Tatrichter mit seiner Beurteilung von einem Sachverständigengutachten ab, muss er sich jedoch konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinander setzen und seine Auffassung tragfähig sowie nachvollziehbar begründen, um zu belegen, dass er mit Recht das bessere Fachwissen für sich in Anspruch nimmt, nachdem er zuvor glaubte, sachverständiger Beratung zu bedürfen (vgl. Schoreit aaO § 261 Rdn. 33; BGH, Urt. vom 12. Juni 2001 - 1 StR 190/01; BGH NStZ 2000, 550 m. w. N.). Dies ist im gegebenen Fall nicht in ausreichender Weise geschehen. So hat der Nebenkläger in der Hauptverhandlung bekundet, er und der Angeklagte hätten nebeneinander gesessen und ferngesehen, wobei der Angeklagte ihn am ganzen Körper angefasst habe, während er ein solches Geschehen bei seiner polizeilichen Vernehmung nicht angegeben hatte. Die Begründung des Landgerichts für eine gleichwohl ausreichende Aussagekonstanz, es sei "gut denkbar", dass das Kind bei einem anderweitigen Besuch beim Angeklagten von diesem einmal am ganzen Körper angefasst worden ist, stellt die durch nichts begründete Annahme eines weiteren Missbrauchsgeschehens dar und erweist sich somit als bloße Vermutung. Auch die Würdigung der unterschiedlichen Angaben des Kindes zu den Umständen des Einsatzes von Creme durch den Angeklagten, "möglicherweise" habe der Zeuge erst in der Hauptverhandlung erinnert, dass die Cremedose auf der Ablage im Wohnzimmer stand und "denkbar wäre auch", dass ihm dies erst bei seinen Besuchen nach dem eigentlichen Vorfall aufgefallen ist, vermag - unabhängig davon, dass nur ein weiterer Besuch nach der Tat festgestellt worden ist - die erhebliche Differenz zwischen den stark unterschiedlichen Angaben des Nebenklägers zu diesem Teil des Kerngeschehens nicht tragfähig zu erklären. Dies gilt in gleicher Weise für die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der weiteren divergierenden Bekundungen des Kindes zur Wahrnehmung des Penis des Angeklagten und zu während der Missbrauchshandlung verspürten Schmerzen.
6
Die Sache bedarf daher in vollem Umfang der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. Dieser wird angesichts der Weigerung des Nebenklägers, an der Exploration durch die bisherige Sachverständige mitzuwirken , Anlass haben zu bedenken, ob wegen Herkunft und Geschlechts des Nebenklägers möglicherweise ein neuer und zwar männlicher (psychologischer) Sachverständiger günstigere Explorationsmöglichkeiten haben könnte und somit die bessere persönliche Eignung aufweist. Die Auswahl eines anderen Sachverständigen könnte unter den gegebenen Umständen auch die Aufklärungspflicht gebieten (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 73 Rdn. 7). Becker Miebach Sost-Scheible Hubert Schäfer

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 466/10
vom
3. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Februar
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin E. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in acht Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt und ihn verurteilt, an die Adhäsionsklägerinnen Schmerzensgeld nebst Zinsen zu zahlen. Mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten, mit der Sachrüge begründeten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft namentlich gegen die vom Landgericht abgelehnte Anordnung der Sicherungsverwahrung.
2
Eine Beschränkung der Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung , die sich daraus ergeben könnte, dass die Revisionsbegründung nur dazu Ausführungen enthält (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 344 Rn. 6), wäre unwirksam. Denn zwischen den ausgesprochenen Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe einerseits und der Maßregel der Sicherungsverwahrung andererseits besteht im vorliegenden Fall ein nicht ausschließbarer untrennbarer Zusammenhang, weil das Landgericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung auch mit Blick auf die zu verbüßende lange Freiheitsstrafe abgesehen hat (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 318 Rn. 26).
3
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung und - insoweit nur zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) - des gesamten Strafausspruchs.
4
1. Nach den Feststellungen zur Person ist der 68 Jahre alte Angeklagte mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern vorbestraft.
5
a) Mit Urteil vom 20. Dezember 1993 verurteilte ihn das Landgericht Hannover wegen fortgesetzten sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er im Zeitraum 1981 bis 1986 in einer Vielzahl von Fällen seine zu den Tatzeitpunkten zwischen acht und 13 Jahre alte Tochter an der Scheide berührt sowie einen Finger in ihre Scheide eingeführt, im Frühjahr 1991 vier zwischen fünf und neun Jahre alte Mädchen an der Scheide und am Rücken gestreichelt und im Zeitraum von Sommer 1992 bis 17. Juni 1993 ein acht Jahre altes Mädchen im Scheidenbereich gestreichelt und geküsst hatte. Am 30. Juni 1995 wurde er unter Aussetzung eines Strafrestes von 360 Tagen zur Bewährung aus der Strafhaft entlassen.
6
b) Am 16. März 1999 sprach das Landgericht Hannover den Angeklagten des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 30 Fällen schuldig und verhängte gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Er hatte im Zeitraum von Juli bis Dezember 1997 ein sechs Jahre altes Mädchen am ganzen Körper gewaschen, sein erigiertes Glied zwischen dessen Schenkel gesteckt und es veranlasst, sein Glied anzufassen. Nach vollständiger Verbüßung der Strafe wurde er am 13. August 2002 aus der Strafhaft entlassen.
7
2. Nach den zur Sache getroffenen Feststellungen berührte der Angeklagte zu nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum vom 16. September 2002 bis zum 31. Dezember 2006 in seiner Wohnung in H. die am 12. Mai 1995 geborene S. mindestens bei fünf Gelegenheiten an der Scheide und leckte sie in einem weiteren Fall an der Scheide (Fälle 1 bis 6 der Urteilsgründe). Außerdem küsste er die am 7. Mai 2001 geborene E. bei zwei Gelegenheiten in den Sommerferien 2008 in seinem auf einem Campingplatz in C. abgestellten Wohnmobil im Scheidenbereich (Fälle 7 und 8 der Urteilsgründe).
8
3. Das Landgericht hat jeweils minder schwere Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern wegen der einschlägigen Vorstrafen, der Verbüßung von Freiheitsstrafen in der Gesamthöhe von sechs Jahren und sechs Monaten, dem langen Tatzeitraum, der Anzahl der Fälle, der Tatmodalitäten sowie der psychischen Tatfolgen für die Geschädigten abgelehnt, ist vom Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB ausgegangen und hat aus fünf Einzelstrafen von jeweils einem Jahr und sechs Monaten (Fälle 1 bis 5 der Urteilsgründe) und drei Einzelstrafen von einem Jahr und zehn Monaten (Fälle 6 bis 8 der Urteilsgründe) eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt. Von der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
9
Sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB für die Anordnung von Sicherungsverwahrung lägen vor. In Übereinstimmung mit den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen Dr. P. sei ein Hang des Angeklagten zur Begehung von Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu bejahen. Diagnostisch sei bei ihm eine Pädophilie mit einer Orientierung auf präpubertäre Mädchen gegeben. Es fehle bei ihm an einer intensiven Auseinandersetzung mit seinen Straftaten. Die Hartnäckigkeit seiner Delinquenz stehe in einem engen Zusammenhang mit seinen narzisstischen , hochgradig egozentrischen sowie zwanghaften Persönlichkeitszügen, seiner fehlenden Selbstkritik, einem ausgeprägten Empathiemangel, seinem erheblichen manipulativen Geschick sowie einer verzerrten Realitätserfahrung. Diese Besonderheiten der Persönlichkeit erschwerten eine nachhaltige Veränderung. Ein sozialer Raum, der ihn nach Entlassung aus der Strafhaft von gleichartigen Straftaten abhalten könnte, sei nicht gegeben. Da der Angeklagte eine hohe persönlichkeitsgebundene Bereitschaft zeige, seine auf präpubertäre Mädchen ausgerichteten erotisch-sexuellen Interessen auszuleben, seien von ihm in der Zukunft gleichartige und erhebliche Straftaten durch gewaltfreies, manipulatives Verhalten innerhalb zuvor aufgebauter Beziehungen zu erwarten, sodass er für die Allgemeinheit gefährlich sei. Eine durchgeführte Prostataoperation und das fortgeschrittene Alter könnten bei ihm nicht als wesentlich die Rückfallgefahr mindernde Umstände gewertet werden.
10
Die nach § 66 Abs. 2 StGB zu treffende Ermessensentscheidung führe jedoch im Ergebnis dazu, dass die Sicherungsverwahrung nicht anzuordnen sei. Es sei zu erwarten, dass sich der Angeklagte, der über eine gut durch- schnittliche Intelligenz verfüge, die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe hinreichend zur Warnung dienen lasse. Er habe seine Bereitschaft zur Durchführung einer längerfristigen Gruppentherapie erklärt und erkannt, dass er bei einer weiteren vergleichbaren Tat eine Freiheitsstrafe zu erwarten habe, die ihn wegen seines fortgeschrittenen Alters für den Rest seines Lebens in Strafhaft bringe, und er zudem mit der Anordnung von Sicherungsverwahrung rechnen müsse, um deren Nichtverhängung er gekämpft und die er nur knapp vermieden habe. Vor diesem Hintergrund werde der Umstand relativiert, dass er bereits zwei Tatkomplexe mit nachfolgender mehrjähriger Strafhaft unbeeindruckt überstanden habe. Hinzu komme, dass ihn die zu verbüßende Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren wegen seines fortgeschrittenen Alters erheblich schwerer und länger treffen werde als die bisher verbüßten Strafen. Deshalb sei vom Beginn einer Änderung seines Bewusstseins und von einer ersten Bewegung in seiner bisher starren Haltung auszugehen, die sein weiteres Verhalten bestimmen werden. Die erklärte Therapiebereitschaft sei nicht als "prozesstaktisches Verhalten" zu werten, sondern als ein Bemühen, sich mit der Neigung zum Kindesmissbrauch kritisch auseinander zu setzen. Auch die Entschuldigung in der Hauptverhandlung und das Anerkenntnis der Schmerzensgeldforderungen belegten die erforderliche substantielle Änderung in der Lebenseinstellung. Bei der Ermessensausübung sei auch zu berücksichtigen, dass die Anlasstaten nicht von hoher Intensität seien und nach Verbüßung der Gesamtfreiheitsstrafe Führungsaufsicht eintrete, wodurch eine weitergehende intensive Kontrolle und Betreuung mit dem Ziel der Risikovermeidung erreicht werden könne.
11
4. Die Begründung, mit der das Landgericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt hat, weist durchgreifende Rechtsfehler auf.
12
a) Gemäß Artikel 316e Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 EGStGB sind für die Entscheidung die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung anzuwenden.
13
b) Die Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters und ist deshalb der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur eingeschränkt zugänglich (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1). Dieser soll die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Täter schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass § 66 Abs. 2 StGB - im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt (BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1). Die maßgeblichen Gründe für seine Ermessensentscheidung muss der Tatrichter nachvollziehbar darlegen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1; BGH, Urteil vom 9. Juni 1999 - 3 StR 89/99, NStZ 1999, 473, 474), um dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Ermessensentscheidung zu ermöglichen.
14
Für die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist und deshalb die Anordnung von Sicherungsverwahrung geboten erscheint, kommt es grundsätzlich auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Urteilserlasses an. Eine noch ungewisse Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Strafvollzug bleibt bei der Prognose außer Betracht; ihr wird erst am Ende des Vollzugs im Rahmen der Prüfung gemäß § 67c Abs. 1 StGB Rechnung getragen. Das Absehen von der Anordnung trotz bestehender hangbedingter Gefährlichkeit kommt in Ausübung des in § 66 Abs. 2 und 3 StGB eingeräumten Ermessens nur dann in Betracht, wenn erwartet werden kann, der Täter werde sich die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs hinreichend zur Warnung dienen lassen, sodass für das Ende des Strafvollzugs eine günstige Prognose gestellt werden kann. Dabei darf der Tatrichter im Rahmen der Ermessensentscheidung auch die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen berücksichtigen (BGH, Urteil vom 20. Juli 1988 - 2 StR 348/88, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 3; BGH, Urteil vom 28. Mai 1998 - 4 StR 17/98, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 6; BGH, Urteil vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, NStZ 1985, 261; BGH, Urteil vom 4. September 2001 - 1 StR 232/01, NStZ 2002, 30, 31). Der Erwartung müssen aber stets konkrete Anhaltspunkte und hinreichende Gründe zugrunde liegen. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (BGH, Urteil vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, NStZ 1985, 261; BGH, Urteil vom 13. März 2007 - 5 StR 499/06, NStZ 2007, 401).
15
c) Gemessen an diesen Maßstäben hält die Ablehnung der Anordnung von Sicherungsverwahrung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
16
Eine Erwartung, der langjährige Freiheitsentzug und das hohe Lebensalter des Angeklagten würden die erforderliche substantielle Änderung in seiner Lebenseinstellung und Lebensführung bewirken, findet in den Feststellungen keine Grundlage. Die Strafkammer hat lediglich die denkbare Möglichkeit einer Haltungsänderung zum Ausdruck gebracht, jedoch nicht belegt, dass eine solche zu erwarten ist, indem sie von deren Beginn und einer ersten Bewegung spricht und in Übereinstimmung mit der Sachverständigen lediglich nicht aus- schließt, dass es zu einer Umorientierung des Angeklagten kommen könne, falls er sich einer sozialtherapeutischen Gruppentherapie unterziehe, diese zu Ende führe und im Anschluss an eine solche Therapie weitere stabilisierende Faktoren hinzukämen. Sie selbst geht - der Sachverständigen folgend - davon aus, dass erst am Ende einer erfolgreichen therapeutischen Behandlung das dann noch bestehende Rückfallrisiko beurteilt werden könne, nachdem der Angeklagte so lange an seinem Lebensstil festgehalten habe und die Besonderheiten seiner Persönlichkeit mit einer narzisstischen und zwanghaften Akzentuierung den sozialtherapeutischen Zugang erschwere und ihm den Weg zu einer nachhaltigen Veränderung verstelle. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht den Beginn einer Verhaltensänderung mit deren erwartbaren Erfolg gleichgesetzt hat.
17
5. Die gebotene Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Sicherungsverwahrung anzuordnen, führt - allerdings nur zu Gunsten des Angeklagten - auch zur Aufhebung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Im Hinblick auf die Erwägungen im Urteil zu den möglichen Auswirkungen eines langfristigen Strafvollzugs auf das zukünftige Verhalten des Angeklagten vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die Strafen niedriger ausgefallen wären, wenn zugleich die Sicherungsverwahrung angeordnet worden wäre (BGH, Urteil vom 8. September 1987 - 1 StR 393/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1; BGH, Urteil vom 31. Mai 1988 - 1 StR 182/88, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 2).
18
6. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
19
Bei der Ermessensausübung im Rahmen des § 66 Abs. 2 StGB sind vor allem die Persönlichkeit des Angeklagten, seine einschlägigen Vorstrafen und die Rückfallgeschwindigkeit in den Blick zu nehmen. Zwar ist es bei einem Mehrfachtäter nicht von vornherein völlig ausgeschlossen, trotz Vorliegen eines Hanges zum sexuellen Missbrauch von Kindern und einer daraus resultierenden Gefährlichkeit für die Allgemeinheit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abzusehen. Angesichts der Feststellung, der Angeklagte habe die Anlasstaten nach zwei einschlägigen Verurteilungen und der Verbüßung von insgesamt sechs Jahren und sechs Monaten Strafhaft begangen, sowie des Umstandes, dass die sechs Straftaten zum Nachteil der Geschädigten S. auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtlich als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 1 (§ 176a Abs. 1 Nr. 4 aF) StGB zu würdigen gewesen wären mit der Folge einer höheren Strafandrohung , müssen Anhaltspunkte von Gewicht für eine Haltungsänderung vorliegen. Becker von Lienen Hubert Schäfer Mayer
34
Die Regelungen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF haben Ausnahmecharakter , weil sie - anders als die Vorschrift des § 66 Abs. 1 StGB - eine frühere Verurteilung und Strafverbüßung nicht voraussetzen. Deshalb soll das Tatgericht die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Hierfür sind die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzuges sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen wichtige Kriterien , die deshalb im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen sind (vgl. nur BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172; Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270, 272).
3
2. Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB aF festgestellt und die erhöhten Anforderungen beachtet, die sich hierfür aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) ergeben. Indes lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, dass die Strafkammer das ihr nach dieser Vorschrift eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat. Ordnet der Tatrichter eine in sein Ermessen gestellte Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an, muss aus den Urteilsgründen aber deutlich werden, dass er sich seiner Entscheidungsbefugnis bewusst war und welche Gründe für seine Ermessensausübung leitend waren (BGH, Beschluss vom 11. September 2003 - 3 StR 481/02, StV 2004, 200; Beschluss vom 15. Oktober 2009 - 5 StR 351/09, NStZ-RR 2010, 43, 44; Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 87/11, NStZ-RR 2011, 272; Beschluss vom 21. März 2012 - 4 StR 32/12). Hieran fehlt es.
2
Der auf § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB gestützte Maßregelausspruch hält dagegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die insoweit erforderlichen formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung festgestellt und beachtet, dass sich hier nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) erhöhte Anforderungen für die Unterbringung ergeben. Indes lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, dass die Strafkammer das ihr nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat. Ordnet das Tatgericht eine in sein Ermessen gestellte Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an, muss aus den Urteilsgründen deutlich werden, dass es sich seiner Entscheidungsbefugnis bewusst war und welche Gründe für seine Ermessensausübung leitend waren (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 4. Oktober 2012 - 3 StR 207/12, juris Rn. 3 mwN). Hieran fehlt es. Die Urteilsgründe verhalten sich lediglich zu den Voraussetzungen der Maßregel sowie zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt. Demgegenüber fehlen insbesondere Erwägungen dazu, ob die Anordnung der Sicherungsverwahrung angesichts der verhängten langjährigen Freiheitsstrafe unerlässlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 1998 - 4 StR 17/98, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 6).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 148/13
vom
11. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juli 2013,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers S. Z. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 21. Dezember 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen. Hiergegen richtet sich die zunächst auf den Rechtsfolgenausspruch und sodann auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
1. Die Beschränkung der Revision auf das Unterlassen der Maßregelanordnung ist unwirksam. Das Landgericht hat den Angeklagten maßgeblich deswegen nicht in der Sicherungsverwahrung untergebracht, weil aufgrund der Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs bei dem Angeklagten eine Haltungsänderung erwartet werden könne. Damit hat es Strafhöhe und Maßregelanordnung in einen inneren Zusammenhang gesetzt, der eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließt (BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, juris Rn. 2).
3
2. Die Revision beanstandet mit Recht, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat.
4
Zutreffend hat das Landgericht die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB bejaht. Dem Sachverständigen folgend hat es außerdem einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten und dessen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung vom 22. Oktober 2010 festgestellt, der jedenfalls im Hinblick auf die Tat vom 22. September 2011 gemäß Art. 316e Abs. 1 Satz 1 EGStGB in Verbindung mit der Weitergeltungsanordnung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) hier Anwendung findet. Dennoch hat es in Ausübung des ihm durch § 66 Abs. 2 StGB eingeräumten Ermessens davon abgesehen, den Angeklagten in der Sicherungsverwahrung unterzubringen, weil eine Haltungsänderung des Angeklagten während der Dauer des Strafvollzugs zu erwarten sei. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge seines Hanges zur Begehung schwerer Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist, richtet sich nach der Sachlage im Zeitpunkt der Aburteilung. Dies ist in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB für die Fälle der obligatorischen Verhängung der Sicherungsverwahrung nunmehr ausdrücklich geregelt. Ob der Angeklagte nach Strafverbüßung weiterhin für die Allgemeinheit gefährlich und daher der Vollzug der Sicherungsverwahrung geboten ist, bleibt der Prüfung nach § 67c StGB vorbehalten (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2004 – 1 StR 474/03, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 7; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 f.).
6
Soweit indes allein die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 oder 3 StGB in Betracht kommt, ist es dem Tatrichter grundsätzlich gestattet , bei der Ausübung seines Ermessens die zu erwartenden Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf die Gefährlichkeit des Angeklagten zu berücksichtigen. Ihm ist die Möglichkeit eröffnet, sich ungeachtet der hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfindung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Angeklagte schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Bestimmungen Rechnung getragen, die in den Fällen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB – im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift – eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Angeklagten nicht voraussetzen. Ein Absehen von der Verhängung der Sicherungsverwahrung bei Ausübung dieses Ermessens ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte erwarten lassen, dass dem Täter aufgrund der Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs und diesen begleitender resozialisierender sowie therapeutischer Maßnahmen zum Strafende eine günstige Prognose gestellt werden kann. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 – 1 StR 140/04, NStZ 2005, 211, 212; Urteil vom 25. November 2010 – 3 StR 382/10, NStZ-RR 2011, 78; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 f.).
7
b) Nach diesen Maßstäben leidet die Entscheidung des Landgerichts, den Angeklagten nicht in der Sicherungsverwahrung unterzubringen, an durchgreifenden Ermessensfehlern.
8
Sie stützt sich zunächst darauf, dass der Angeklagte während der Untersuchungshaft therapeutische Gespräche geführt habe, in deren Rahmen er eine gewisse "Opferempathie" habe erkennen lassen, die Therapeutin bei den Gesprächen das Gefühl gehabt habe, er bedauere die Sexualstraftaten, und er seine Bereitschaft zu einer Sozialtherapie geäußert habe. Auf dieser Grundlage ist der psychiatrische Sachverständige zu der – vom Landgericht geteilten – Einschätzung gelangt, dass sich die Prognose verbessert habe, weil sich durch eine Sozialtherapie die kognitiven Verzerrungen des Angeklagten verändern könnten und durch den Strafvollzug eine Haltungsänderung hinsichtlich seiner weiterhin grundsätzlich vorhandenen Bereitschaft, sich "sowohl Materielles als auch Nichtmaterielles zu nehmen", bewirkt werden könnte. Damit werden indes nur denkbare Wirkungen des künftigen Strafvollzugs benannt, die kaum mehr als eine Hoffnung beschreiben. Über die im Ansatz vorhandene allgemeine Unrechtseinsicht und Therapiebereitschaft des Angeklagten hinaus werden konkrete Anhaltspunkte für einen erwartbaren Erfolg der resozialisierenden und therapeutischen Maßnahmen im Strafvollzug nicht benannt.
9
Soweit das Landgericht ergänzend darauf abhebt, es sei nach Ansicht des Sachverständigen auch nicht zu erwarten, dass der Angeklagte nach seiner Haftentlassung noch einmal in eine vergleichbare Lebenssituation gerate wie zu den Tatzeiten (UA S. 54), steht dies zudem in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu den sonstigen gutachterlichen Ausführungen. Danach habe sich der Angeklagte "in der Vergangenheit immer wieder Frauen mit Kindern gesucht oder habe mit seinen Lebenspartnerinnen Kinder gezeugt. Der Angeklagte könne nach seiner Entlassung aus der Haft wieder ähnliche Situationen konstituieren" (UA S. 53).
10
Nach alledem muss über die Sicherungsverwahrung nochmals entschieden werden; denn die aufgrund der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (aaO) auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots in vorliegendem Fall weiterhin (BGH, Urteil vom 23. April 2013 – 5 StR 617/12; Urteil vom 12. Juni 2013 – 5 StR 129/13) vorzunehmende "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" steht der Anordnung der Sicherungsverwahrung hier nicht von vornherein entgegen.
11
3. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils im (unterbliebenen) Maßregelausspruch führt zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StGB) zur Aufhebung auch des gesamten Strafausspruchs. Im Hinblick auf die Erwägungen des angefochtenen Urteils zu den möglichen Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die verhängten Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn das Landgericht die nunmehr erneut im Raum stehende Sicherungsverwahrung verhängt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2008 – 5 StR 101/08, juris Rn. 23; Urteil vom 25. November 2010 – 3 StR 382/10, juris Rn. 14; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, juris Rn. 17).
12
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: § 51 BZRG enthält ein umfassendes Verwertungsverbot für getilgte oder tilgungsreife Eintragungen, das auch bei der Prüfung von Maßregeln der Besserung und Sicherung zu beachten ist. Eine Verwertung derartiger Voreintragungen kann auch nicht auf § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG gestützt werden. Diese Bestimmung lässt eine Berücksichtigung früherer Taten nur für die Beurteilung des Geisteszustandes des Betroffenen zu, nicht aber zur Begründung einer (nicht krankheitsbedingten ) Gefährlichkeitsprognose (BGH, Beschluss vom 21. August 2012 – 4 StR 247/12, NStZ-RR 2013, 84).
Becker Hubert RiBGH Dr. Schäfer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Mayer Spaniol