Bundesgerichtshof Urteil, 03. Nov. 2011 - 3 StR 189/11

bei uns veröffentlicht am03.11.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 189/11
vom
3. November 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. November
2011, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 20. Dezember 2010 werden - soweit es den Angeklagten K. betrifft - verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft trägt die Staatskasse, die Kosten des Rechtsmittels der Nebenkläger tragen diese selbst. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenkläger je zur Hälfte. Die dem Angeklagten durch die Revisionen entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und angeordnet, dass die Zeit der verbüßten Untersuchungshaft auf die Strafe angerechnet wird. Vom Vorwurf des Mordes hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen Revision gegen den Freispruch und beanstandet mit der Sachrüge Rechtsfehler in der Beweiswürdigung. Die Revisionen der Nebenkläger richten sich mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts ebenfalls gegen den Freispruch und beanstanden die rechtliche Würdigung des Landgerichts sowie die Höhe der verhängten Strafe.
2
Die Revisionen der Nebenkläger sind zulässig, soweit sie eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes und wegen Körperverletzung mit Todesfolge erstreben. Soweit sie rügen, das Landgericht hätte den Angeklagten des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und der Gefährdung des Straßenverkehrs bzw. des Versuchs dieser Delikte sowie des Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig sprechen müssen, und die Höhe der verhängten Strafe beanstanden , sind die Rechtsmittel gemäß § 400 Abs. 1, § 395 Abs. 1 und 3 StPO unzulässig.
3
Die Rechtsmittel bleiben im Übrigen in der Sache ohne Erfolg.
4
I. Nach den Feststellungen beschädigten der Angeklagte und seine inzwischen rechtskräftig abgeurteilten früheren Mitangeklagten A. , O. und W. in Ka. auf dem Parkplatz des "Spaßbades am P. " einen von dem Obdachlosen B. als Unterkunft benutzten Personenkraftwagen. Nachdem dieser von dem Angeklagten Schadensersatz gefordert und begonnen hatte, ihn zur späteren Identifizierung mit der Kamera seines Mobiltelefons zu filmen, kam es zwischen beiden zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf der Geschädigte auf dem Angeklagten zum Liegen kam. Dieser rief den früheren Mitangeklagten A. zu Hilfe, der B. zwei kräftige Tritte mit seinen festen Turnschuhen versetzte, wovon einer den Kopf traf. Der Angeklagte , der sich dadurch befreien konnte, lief zu dem Personenkraftwagen, setzte sich an das Steuer und fuhr davon. Dem Geschädigten gelang es, sich auf der Beifahrerseite festzuhalten. Nach einer kurzen Fahrstrecke ließ er im Bereich einer Verkehrsinsel das Fahrzeug los. Ob der Geschädigte dabei stürz- te oder sich Verletzungen zuzog, konnte das Landgericht nicht sicher aufklären. Der Angeklagte fuhr in ein nahegelegenes Wohngebiet, wo er den Personenkraftwagen abstellte.
5
Ca. eine Stunde später fanden Zeugen im Bereich der Verkehrsinsel den leblosen Körper des Tatopfers auf dem Bauch liegend in einer großen Blutlache. Todesursache war eine massive stumpfe Gewalteinwirkung auf den Kopf des Getöteten.
6
Das Landgericht hat in der Hauptverhandlung nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen können, dass der Angeklagte vor Verlassen des Parkplatzes das Tatopfer durch stumpfe Gewalteinwirkung gegen dessen Kopf tötete. Soweit die Anklage ihm zur Last legt, dies getan zu haben, um die von ihm zuvor begangenen Straftaten zu verdecken, hat es ihn aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. In der Beweiswürdigung hat es hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
7
Der Täter habe nach dem Gutachten des rechtsmedizinischen Sachverständigen dem Getöteten die todesursächlichen Verletzungen durch stumpfe Gewalteinwirkung auf den Kopf mit einem flächenhaften Tatwerkzeug zugefügt. Keinesfalls seien sie durch den Tritt des früheren Mitangeklagten A. oder einen Sturz vom fahrenden Kraftfahrzeug verursacht worden. Der Tod sei binnen weniger Sekunden eingetreten.
8
Es sei möglich und sogar wahrscheinlich, dass es der Angeklagte gewesen sei, der B. tödlich verletzt habe. Das Geschehen auf dem Parkplatz sei in erster Linie durch sein Verhalten eskaliert. Er habe die Gelegenheit gehabt , vor Verlassen des Parkplatzes anzuhalten und das Tatopfer zu töten. Der Angeklagte habe wegen der von ihm zuvor begangenen Straftaten auch ein nachvollziehbares Motiv für die Tötung aufgewiesen. Auch sein Nachtatverhal- ten - der Versuch, im Kraftfahrzeug hinterlassene Spuren zu beseitigen, die Rückkehr an den Tatort kurz nach der Tat sowie die Äußerungen gegenüber Dritten, er sei für den Tod verantwortlich - seien gewichtige, gegen ihn sprechende Indizien. Die Gesamtschau aller Umstände spreche für die Täterschaft des Angeklagten. Es verblieben jedoch nicht zu überwindende Zweifel. Die Aussagen von Zeugen ließen es als möglich erscheinen, dass der Angeklagte vor dem Verlassen des Parkplatzes nicht mehr angehalten habe. Es habe auch für die Angeklagten A. und O. bei vergleichbarer Motivlage die Möglichkeit bestanden, das Tatopfer zu töten. Die Erklärung des Angeklagten, er habe sich als verantwortlich für den Tod bezeichnet, weil er davon ausgegangen sei, B. habe sich die tödlichen Verletzungen durch einen Sturz vom fahrenden Personenkraftwagen zugezogen, sei nachvollziehbar.
9
II. Die Überprüfung des Urteils unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten ergeben.
10
1. Das angefochtene Urteil wird den Mindestanforderungen an die Begründung eines freisprechenden Urteils gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2009 - 1 StR 479/08, NStZ 2009, 512, 513; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2008 - 1 StR 552/08, NStZ-RR 2009, 116, 117; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 267 Rn. 33 mwN) noch gerecht. Den Urteilsgründen lässt sich der Anklagevorwurf, der Angeklagte habe dem Geschädigten die tödlichen Verletzungen durch stumpfe Gewalteinwirkung gegen den Kopf zur Verdeckung der von ihm zuvor begangenen Straftaten der Sachbeschädigung und gefährlichen Körperverletzung zugefügt, in ausreichender Weise entnehmen. Die Strafkammer hat Feststellungen zur Person des Angeklagten sowie - soweit es ihr möglich war - zur Sache in einer geschlossenen Darstellung getroffen. Anschließend hat sie im Rahmen einer umfangreichen Be- weiswürdigung erörtert, aus welchen Gründen sie sich mit einer für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit nicht davon hat überzeugen können, dass der Angeklagte das Tatopfer tötete. Die Urteilsgründe sind daher so abgefasst, dass der Senat sie darauf überprüfen kann, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind.
11
2. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Sie weist keinen sachlich-rechtlichen Fehler (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 337 Rn. 26 ff. mwN) auf. Sie ist weder widersprüchlich, lückenhaft oder unklar noch verstößt sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze. Die Strafkammer hat alle wesentlichen Gesichtspunkte erörtert, die für und gegen den Angeklagten sprechen, und im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau aller Indizien (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1995 - 5 StR 351/95, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 11) rechtsfehlerfrei dargelegt , aus welchen Gründen sie sich keine sichere Überzeugung davon bilden konnte, dass der Angeklagte es war, der das Tatopfer tötete. Der Beweiswürdigung sind keine überspannten Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit zu entnehmen. Den Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" hat sie zutreffend nicht auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung, sondern auf das Ergebnis der gesamten Beweisaufnahme angewendet (MeyerGoßner , aaO, § 261 Rn. 26 mwN).
12
Die Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft deckt aus den zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Widerspruch in den getroffenen Feststellungen oder Lücken in der Beweiswürdigung auf. Die wesentlichen Inhalte der Einlassungen des Angeklagten und der früheren Mitangeklagten sind den Urteilsgründen ausreichend zu entnehmen. Der Schluss der Strafkammer, der Angeklagte habe seine Äußerungen, er sei für den Tod des B. verantwortlich, unwiderlegbar auf einen vermuteten Sturz des Geschädigten von dem fahrenden Fahrzeug bezogen, ist sachlichrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere hat sie keine Tatvariante unterstellt , für die keine konkreten Anhaltspunkte vorlagen. Die von ihr angenommene Tatortnähe der früheren Mitangeklagten A. und O. folgt daraus, dass sie sich nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen dort bis zum Wegfahren des Angeklagten vom Parkplatz und wieder nach der Tat aufhielten. Das von der Staatsanwaltschaft behauptete wechselnde Aussageverhalten des Angeklagten zum Tatgeschehen im Laufe der Ermittlungen ergibt sich aus der für die revisionsrechtliche Überprüfung aufgrund der erhobenen Sachrüge allein maßgeblichen Urteilsurkunde nicht. Soweit sie rügt, im Urteil seien Beweisergebnisse aus dem Ermittlungsverfahren und der Hauptverhandlung nicht berücksichtigt worden, ist dieses Vorbringen urteilsfremd und deshalb für die Überprüfung im Rahmen der Sachrüge unbeachtlich.
13
3. Mit ihrer zusammenfassenden Wertung, es sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme wahrscheinlich, dass der Angeklagte und die früheren Mitangeklagten A. und O. in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken das am Boden liegende Tatopfer erschlagen haben, zeigen die Nebenkläger keinen Rechtsfehler in der Beweiswürdigung auf. Entgegen ihrer Meinung kam auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen auch eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) nicht in Betracht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere dem Gutachten des rechtsmedizinischen Sachverständigen, ist das Landgericht ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die tödlichen Kopfverletzungen des Geschädigten weder bei einem Sturz vom fahrenden Personenkraftwagen oder einem Überrollvorgang noch durch den Tritt gegen den Kopf, den der frühere Mitangeklagte A. nach Aufforderung durch den Angeklagten ausführte, verursacht worden sein können. Schäfer Pfister von Lienen Mayer Menges

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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafprozeßordnung - StPO | § 267 Urteilsgründe


(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

Strafprozeßordnung - StPO | § 400 Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers


(1) Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder daß der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluß des Nebenklägers berechtigt. (2) De

Strafprozeßordnung - StPO | § 395 Befugnis zum Anschluss als Nebenkläger


(1) Der erhobenen öffentlichen Klage oder dem Antrag im Sicherungsverfahren kann sich mit der Nebenklage anschließen, wer verletzt ist durch eine rechtswidrige Tat nach 1. den §§ 174 bis 182, 184i bis 184k des Strafgesetzbuches,2. den §§ 211 und 212

Strafgesetzbuch - StGB | § 227 Körperverletzung mit Todesfolge


(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. (2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahre

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Bundesgerichtshof Urteil, 17. März 2009 - 1 StR 479/08

bei uns veröffentlicht am 17.03.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 479/08 vom 17. März 2009 in der Strafsache gegen wegen Steuerhinterziehung Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. März 2009, an der teilgenommen haben: Vorsitzender

Bundesgerichtshof Urteil, 17. Dez. 2008 - 1 StR 552/08

bei uns veröffentlicht am 17.12.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 552/08 vom 17. Dezember 2008 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Dezember 2008, an der teilgen

Referenzen

(1) Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder daß der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluß des Nebenklägers berechtigt.

(2) Dem Nebenkläger steht die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß zu, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nach den §§ 206a und 206b eingestellt wird, soweit er die Tat betrifft, auf Grund deren der Nebenkläger zum Anschluß befugt ist. Im übrigen ist der Beschluß, durch den das Verfahren eingestellt wird, für den Nebenkläger unanfechtbar.

(1) Der erhobenen öffentlichen Klage oder dem Antrag im Sicherungsverfahren kann sich mit der Nebenklage anschließen, wer verletzt ist durch eine rechtswidrige Tat nach

1.
den §§ 174 bis 182, 184i bis 184k des Strafgesetzbuches,
2.
den §§ 211 und 212 des Strafgesetzbuches, die versucht wurde,
3.
den §§ 221, 223 bis 226a und 340 des Strafgesetzbuches,
4.
den §§ 232 bis 238, 239 Absatz 3, §§ 239a, 239b und 240 Absatz 4 des Strafgesetzbuches,
5.
§ 4 des Gewaltschutzgesetzes,
6.
§ 142 des Patentgesetzes, § 25 des Gebrauchsmustergesetzes, § 10 des Halbleiterschutzgesetzes, § 39 des Sortenschutzgesetzes, den §§ 143 bis 144 des Markengesetzes, den §§ 51 und 65 des Designgesetzes, den §§ 106 bis 108b des Urheberrechtsgesetzes, § 33 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie, § 16 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und § 23 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen.

(2) Die gleiche Befugnis steht Personen zu,

1.
deren Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner durch eine rechtswidrige Tat getötet wurden oder
2.
die durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172) die Erhebung der öffentlichen Klage herbeigeführt haben.

(3) Wer durch eine andere rechtswidrige Tat, insbesondere nach den §§ 185 bis 189, 229, 244 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 4, §§ 249 bis 255 und 316a des Strafgesetzbuches, verletzt ist, kann sich der erhobenen öffentlichen Klage mit der Nebenklage anschließen, wenn dies aus besonderen Gründen, insbesondere wegen der schweren Folgen der Tat, zur Wahrnehmung seiner Interessen geboten erscheint.

(4) Der Anschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zulässig. Er kann nach ergangenem Urteil auch zur Einlegung von Rechtsmitteln geschehen.

(5) Wird die Verfolgung nach § 154a beschränkt, so berührt dies nicht das Recht, sich der erhobenen öffentlichen Klage als Nebenkläger anzuschließen. Wird der Nebenkläger zum Verfahren zugelassen, entfällt eine Beschränkung nach § 154a Absatz 1 oder 2, soweit sie die Nebenklage betrifft.

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 479/08
vom
17. März 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
17. März 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwältin - in der Verhandlung - und
Staatsanwältin - bei der Verkündung -
als Vertreterinnen der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 10. März 2008 mit den Festsstellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte freigesprochen wurde und
b) im Strafausspruch, soweit der Angeklagte verurteilt wurde. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 270 Tagessätzen verurteilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den Teilfreispruch und, soweit der Angeklagte verurteilt wurde, gegen den Strafausspruch. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2
1. Nach den Urteilsfeststellungen war der Angeklagte seit dem Jahr 1979 Geschäftsführer der in Nürnberg ansässigen D. KG (nachfolgend: D. KG). Seit Mitte des Jahres 2001 entstanden in der Buchhaltung des Unternehmens Buchungsrückstände. Dies hatte zur Folge, dass von der D. KG erzielte Umsätze und gezahlte Vorsteuerbeträge spätestens seit dem Jahr 2002 der EDV-Buchhaltung des Unternehmens nicht mehr entnommen werden konnten. Von Januar 2002 bis Mai 2003 wurden die beim Finanzamt einzureichenden Umsatzsteuervoranmeldungen daher von der angestellten Buchhaltungskraft anhand der vorliegenden Eingangs- und Ausgangsrechnungen manuell erstellt, wobei ihr allerdings schwerwiegende Fehler unterliefen. Für das Jahr 2002 wurden von den tatsächlich getätigten Umsätzen im Umfang von mehr als 12,8 Mio. Euro lediglich knapp 9,1 Mio. Euro erklärt. Zugleich wurden die Vorsteuern um etwa 62.000,-- Euro zu niedrig angegeben. Auch die für die Voranmeldungszeiträume des Jahres 2003 eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen waren unrichtig und enthielten zu geringe Umsatzsteuerbeträge.
3
Der Angeklagte erfuhr spätestens im ersten Halbjahr 2002 von den Rückständen in der Buchhaltung. Auch wusste er, dass die Umsatzsteuervoranmeldungen manuell erstellt wurden. Gleichwohl überprüfte er die Voranmeldungen nicht.
4
Im Hinblick auf die manuelle Erstellung der Umsatzsteuervoranmeldungen des Jahres 2003 ordnete das Finanzamt Nürnberg-Nord eine Umsatzsteuer -Nachschau an, die am 29. Oktober 2003 in den Geschäftsräumen der D. KG durchgeführt wurde. Hierbei wurde sofort festgestellt, dass die für Februar bis Mai 2003 tatsächlich erzielten Umsätze weit über den vorangemeldeten Umsätzen lagen. Dies wurde noch am selben Tag dem Angeklagten mitgeteilt, der die bei der Umsatzsteuer-Nachschau festgestellten Beträge als richtig anerkannte.
5
Aufgrund der Mitteilung des Finanzamts rechnete der Angeklagte damit, dass auch die Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Januar bis Dezember 2002 unrichtig waren. Gleichwohl unterließ er die Abgabe einer richtigen Umsatzsteuerjahreserklärung, mit der er zugleich der sich aus § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO ergebenden Berichtigungspflicht hätte nachkommen können, die ihm bekannt war. Die Berichtigung wäre ihm auch ohne weiteres möglich gewesen, da die Buchhaltung zwischenzeitlich vervollständigt worden war, so dass dem Angeklagten die richtigen Umsatzzahlen zur Verfügung standen. Der Angeklagte unterließ sowohl die Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2002 als auch eine Berichtigung der unrichtigen Vorsteueranmeldungen, um sich die Steuervorteile, die die Gesellschaft durch die unrichtigen Voranmeldungen erzielt hatte, auf Dauer zu sichern.
6
2. Aufgrund dieser Feststellungen hat das Landgericht den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung betreffend das Jahr 2002 zu der Geldstrafe von 270 Tagessätzen verurteilt. Von der - rechtlich möglichen - Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe hat die Strafkammer gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB bewusst abgesehen.
7
3. Soweit dem Angeklagten in der Anklageschrift zur Last gelegt wurde, auch für die Monate Februar bis Mai 2003 unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben zu haben und dadurch in vier Fällen Umsatzsteuer in Höhe von mehr als 260.000,-- Euro verkürzt zu haben, hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen. Ihm sei nicht nachzuweisen, dass er die Unrichtigkeit der Voranmeldungen bereits bei deren Abgabe gekannt habe. Eine Pflicht zur Berichtigung nach § 153 AO habe nicht bestanden, da die Unrichtigkeit der Voranmeldungen bereits von den Finanzbehörden festgestellt gewesen sei, als er davon erfahren habe.

II.

8
Die Freisprechung des Angeklagten vom Vorwurf der Steuerhinterziehung in vier Fällen durch Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Februar bis Mai 2003 hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
1. Zwar hat es das Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, wenn ein Angeklagter deshalb freigesprochen wird, weil das Tatgericht Zweifel an der Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist auf die Prüfung beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze und gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 16; BGH StV 1994, 580 m.w.N.). Der Prüfung unterliegt auch, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; BGH NJW 2005, 1727; BGH NStZ-RR 2003, 369, 370; BGH NStZ 2002, 48; BGH NStZ-RR 2000, 171; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 25, jew. m.w.N.).
10
Die Begründung eines Freispruchs muss daher so abgefasst werden, dass dem Revisionsgericht die Prüfung möglich ist, ob dem Tatgericht Rechts- fehler unterlaufen sind, insbesondere, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt vollständig gewürdigt worden ist (vgl. BGH wistra 1991, 63). Hierzu bedarf es in den Urteilsgründen regelmäßig der Darstellung des Anklagevorwurfs , der getroffenen Feststellungen und einer Würdigung der Beweise (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 267 Rdn. 33 m.w.N.), insbesondere der gegen den Angeklagten sprechenden Um stände (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 338). Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind nicht geringer als im Fall der Verurteilung (vgl. BGH NStZ 2002, 446).
11
2. Diesen Anforderungen an die Sachdarstellung und Beweiswürdigung wird das angefochtene Urteil nicht in vollem Umfang gerecht.
12
a) Soweit dem Angeklagten mit der Anklageschrift zur Last gelegt wurde, in vier Fällen durch Abgabe falscher Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Februar bis Mai 2003 Steuern hinterzogen zu haben, enthalten die Urteilsgründe keine Feststellungen dazu, welchen Inhalt die abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen hatten. Zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärungen fehlen in den Urteilsgründen ebenso Angaben wie zu der Frage, ob die Voranmeldungen zu einer Zahllast oder einer Erstattung geführt haben (vgl. § 168 AO). Es bleibt auch offen, in welchem Umfang die angemeldeten von den zu erklärenden Umsätzen abwichen. Der Mitteilung dieser Umstände hätte es indes schon allein deshalb bedurft, weil sich aus ihnen - etwa aus einem Vergleich mit früheren Anmeldungszeiträumen - Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite ergeben konnten.
13
b) Die Beweiswürdigung ist auch deshalb lückenhaft, weil sie sich - soweit Feststellungen getroffen worden sind - nicht mit allen festgestellten Um- ständen auseinandersetzt, die den Angeklagten be- oder entlasten (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2).
14
aa) Die Strafkammer beschränkt sich im Wesentlichen darauf, festzustellen , dass die Einlassung des Angeklagten nicht zu widerlegen sei. Eine Auseinandersetzung mit den festgestellten Umständen, die gegen diese Einlassung sprechen könnten, enthält das Urteil nicht. So lässt das Landgericht außer Betracht , dass der Angeklagte aufgrund seiner Geschäftserfahrung und beruflichen Bildung als Kaufmann über besondere Fähigkeiten und Kenntnisse verfügte. Diese können aber für die Frage, ob der Angeklagte um die Fehler der Voranmeldungen wusste, als Beweisanzeichen von Bedeutung sein. Das gilt um so mehr, als das Landgericht ausdrücklich feststellt, dass die Defizite in der Buchhaltung , die die fehlerhaften Voranmeldungen bedingten, bereits seit längerem bestanden und der Angeklagte von diesen auch schon seit Mitte des Jahres 2002 wusste. Unerörtert bleibt auch, dass sich die D. KG bereits seit dem Jahre 2000 in finanziellen Schwierigkeiten befand, die sich im Laufe des Jahres 2002 noch verschärften. Es hätte daher jedenfalls der Erörterung bedurft, ob diese finanziellen Schwierigkeiten als Motiv für die Abgabe falscher Umsatzsteuervoranmeldungen in Betracht kamen, um aufgrund ungerechtfertigter Vorsteuererstattungen den Geschäftsbetrieb aufrechterhalten zu können.
15
bb) Die Beweiswürdigung verhält sich auch nicht dazu, ob leichtfertiges Handeln des Angeklagten im Sinne von § 378 AO auszuschließen war. Für den Schluss der Strafkammer, es habe lediglich einfache Fahrlässigkeit vorgelegen, fehlt es angesichts der gegen den Angeklagten sprechenden Umstände an einer tragfähigen Begründung. Statt einer an rechtlichen Abgrenzungskriterien ausgerichteten Gesamtwürdigung sämtlicher für und gegen die Annahme leichtfertigen Handelns sprechenden Umstände beschränkt sich die Strafkammer auf die nicht näher begründete Bewertung, es habe nur einfache Fahrlässigkeit vorgelegen. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
16
3. Das Urteil beruht insoweit auf den Darstellungs- und Beweiswürdigungsmängeln ; der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung zu einer Verurteilung des Angeklagten gelangt wäre.

III.

17
1. Auch der Strafausspruch, auf den die Staatsanwaltschaft ihre Revision wirksam beschränkt hat, soweit der Angeklagte verurteilt wurde, hat keinen Bestand. Dies folgt hier bereits aus der Aufhebung des Teilfreispruchs.
18
Bei Tatmehrheit kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Aufhebung eines Einzelstrafausspruchs zur Aufhebung weiterer Strafaussprüche führen, wenn nicht auszuschließen ist, dass diese durch den Rechtsfehler im Ergebnis beeinflusst sind (vgl. die Nachw. bei MeyerGoßner , StPO 51. Aufl. § 353 Rdn. 10). Dies kann insbesondere dann zu bejahen sein, wenn die Taten in einem engen inneren Zusammenhang stehen (BGH NStZ 2001, 323, 324; NStZ-RR 2007, 195, 196 m.w.N.). Nichts anderes gilt im Falle der Aufhebung eines Teilfreispruchs, wenn insoweit aufgrund einer neuen Hauptverhandlung eine Verurteilung noch in Betracht kommt und eine solche Verurteilung die Strafzumessung bei den übrigen Taten beeinflussen kann.
19
So verhält es sich hier; denn dem Angeklagten lag die Verletzung seiner umsatzsteuerlichen Erklärungspflichten für zwei aufeinander folgende Jahre zur Last. Der Frage, ob es sich bei einer Tat um eine bloß einmalige Verfehlung oder um eine wiederholte oder mit Wiederholungsabsicht begangene Straftat handelt, kommt aber für die Strafzumessung nicht unerhebliches Gewicht zu. Der Senat hebt daher auch den Strafausspruch auf, um dem Tatrichter eine in sich stimmige Strafzumessung gegebenenfalls auch im Hinblick auf den weiteren - vom aufgehobenen Teilfreispruch erfassten - Tatvorwurf zu ermöglichen. Einer Erörterung der von der Staatsanwaltschaft gegen die Strafzumessung im Einzelnen erhobenen Bedenken bedarf es daher insoweit nicht.
20
2. Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts geben allerdings im Hinblick auf die von der neuen Strafkammer vorzunehmende Strafzumessung und den dabei zugrunde zu legenden Schuldumfang Anlass zu folgendem Hinweis:
21
Die Steuerhinterziehung ist zwar Erfolgsdelikt, jedoch nicht notwendig Verletzungsdelikt. Wie die Vorschrift des § 370 Abs. 4 Satz 1 AO zeigt, ist der Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO bereits erfüllt, wenn die gesetzlich geschuldete Steuer nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt wird. Für eine Steuerverkürzung genügt deshalb eine konkrete Gefährdung des Steueranspruchs (vgl. Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 15). Die Erfüllung der Steuerschuld ist demgegenüber erst Gegenstand des dem Festsetzungsverfahren nachgelagerten Erhebungs- und Vollstreckungsverfahrens (vgl. §§ 218 ff., 249 ff. AO).
22
Vor diesem Hintergrund kann dem Umstand, dass das Steueraufkommen mangels ausreichender finanzieller Mittel zur Abführung der geschuldeten Steuern auch bei ordnungsgemäßer Erfüllung der steuerlichen Erklärungspflichten des Angeklagten geschädigt worden wäre, entgegen der Auffassung der Strafkammer (UA S. 15/16) für die Bestimmung des Schuldgehalts der Tat kein erhebliches Gewicht im Sinne eines bestimmenden Strafzumessungsumstandes (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) zukommen. Dies gilt im besonderen Maße, wenn es sich bei den hinterzogenen Steuern um solche handelt, die der Steuerschuldner - wie hier bei der Umsatzsteuer - wie ein Treuhänder für den Fiskus verwaltet (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 1018; Kohlmann, Steuerstrafrecht Stand 39. Lfg. Oktober 2008, § 370 AO Rdn. 1033). Demgegenüber hat es erhebliche strafmildernde Bedeutung , wenn - anders als im vorliegenden Fall - die Verkürzung von Steuern beim Fiskus nicht zu einem dauerhaften Steuerausfall geführt hat, weil etwa der Täter die geschuldeten Steuern nachgezahlt hat. Nack Wahl Hebenstreit Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 552/08
vom
17. Dezember 2008
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Dezember
2008, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender Richter
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 1. Juli 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf, seine im Jahre 1987 geborene Stieftochter O. - die Nebenklägerin - im Jahre 1992, im Mai/Juni 1996 sowie zwischen Ende 1996 und Mai 1997 sexuell missbraucht zu haben, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die hiergegen von der Nebenklägerin eingelegte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
Der Senat muss offen lassen, ob der Freispruch in der Sache rechtsfehlerfrei erfolgt ist, da ihm insoweit eine Nachprüfung nicht möglich ist. Das angefochtene Urteil wird nämlich schon den Anforderungen an die Begründungspflicht bei einem freisprechenden Urteil nicht gerecht. Spricht das Tatgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, so muss es in den Urteilsgründen den Anklagevorwurf, die hierzu getroffenen Feststellungen, die we- sentlichen Beweisgründe und seine rechtlichen Erwägungen mitteilen (MeyerGoßner , StPO 51. Aufl. § 267 Rdn. 33 m.w.N.). Diese Mindestvoraussetzungen sind nicht erfüllt. Das Urteil leidet an mehreren Darstellungs- und Erörterungsmängeln , die dem Senat eine Prüfung auf Rechtsfehler verwehren.
3
1. Die Urteilsgründe geben bereits nicht die einzelnen Anklagevorwürfe in den wesentlichen Einzelheiten der vorgeworfenen Tathandlungen wieder, sondern setzen sie als bekannt voraus. Eine Bezugnahme auf die Anklagepunkte ist jedoch insoweit nicht zulässig. Das Urteil muss aus sich heraus verständlich sein (vgl. BGHSt 37, 21, 22).
4
2. Die Urteilsgründe enthalten keine Feststellungen zum Werdegang und zur Persönlichkeit des Angeklagten. Zu solchen Feststellungen ist das Tatgericht verpflichtet, wenn diese - z.B. bei einschlägigen Vorverurteilungen - für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können (vgl. BGH, Urt. vom 23. Juli 2008 - 2 StR 150/08). Einschlägige Vorverurteilungen stehen hier im Raum.
5
3. Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen waren der Strafkammer zwar nicht möglich, weil sie zu der Auffassung gelangte, dass nach der Beweisaufnahme nichts blieb, was zu den Tatvorwürfen zu ihrer Überzeugung als erwiesen hätte festgestellt werden können. In diesem Falle hätte sie jedoch die hierfür maßgeblichen Gründe so darlegen müssen, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt ist (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7). Hieran fehlt es in mehrfacher Hinsicht:
6
Die Kammer teilt schon im Ausgangspunkt nicht die Aussage der Belastungszeugin in ihrer Entstehung und nach ihrem wesentlichen Inhalt mit. Dies war hier erforderlich, weil Aussage gegen Aussage stand und die Entscheidung allein davon abhing, welcher Person die Kammer Glauben schenkt. Ihrer Pflicht konnte die Kammer sich nicht dadurch entziehen, dass sie einige Argumente gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage angeführt hat. Denn diese stellen nur einen Ausschnitt aus der gebotenen Gesamtwürdigung dar. Eine umfassende Nachprüfung der Überzeugungsbildung ist so nicht möglich.
7
Tagebuchaufzeichnungen der Belastungszeugin, die für die Beweiswürdigung von zentraler Bedeutung waren, werden im Urteil nicht wiedergegeben, sondern nur unter Bezugnahme auf den Akteninhalt bewertet. Eine Verweisung auf Schriften ist in den Urteilsgründen nicht statthaft (vgl. BGH bei Becker NStZRR 2003, 99).
8
Ein weiterer durchgreifender Mangel liegt darin, dass die Strafkammer den Inhalt des erstatteten Glaubwürdigkeitsgutachtens nicht mitteilt, obwohl dieses im Gegensatz zur Kammer zu dem Ergebnis kommt, dass "mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Erlebnisfundiertheit der Bekundungen von O. L. auszugehen" sei. Zwar ist das Gericht nicht gehindert, eine von dem Sachverständigengutachten abweichende eigene Beurteilung der Aussagekonstanz und der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Belastungszeugen vorzunehmen ; denn das Tatgericht ist im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung stets zu einer eigenen Beurteilung verpflichtet (vgl. BGHR StPO § 261 Sachverständiger 9; BGH, Beschl. vom 16. September 2008 - 3 StR 302/08). Will es jedoch eine Frage, zu deren Beantwortung es sachverständige Hilfe für erforderlich gehalten hat, in Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muss es die Ausführungen des Sachverständigen in nachprüfbarer Weise wiedergeben.
Es muss sich außerdem mit ihnen konkret auseinandersetzen und seine abweichende Auffassung tragfähig und nachvollziehbar begründen (BGH aaO). Auch dies lässt die angefochtene Entscheidung vermissen. Wahl Kolz Hebenstreit Elf Jäger

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.