Bundesgerichtshof Urteil, 25. Okt. 2017 - 2 StR 495/12

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:251017U2STR495.12.0
bei uns veröffentlicht am25.10.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 495/12
vom
25. Oktober 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Diebstahls u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:251017U2STR495.12.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Oktober 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Eschelbach, Zeng, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten L. ,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten E. ,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 30. Mai 2012 werden mit der Maßgabe verworfen , dass jeweils sechs Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten L. unter Freisprechung im Übrigen wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei in neunzehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Den Angeklagten E. hat es unter Freisprechung im Übrigen wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei in fünfzehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Angeklagten mit der Sachrüge. Ihre Rechtsmittel sind unbegründet; sie führen lediglich zu einer Kompensationsentscheidung wegen überlanger Dauer des Revisionsverfahrens.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts stahlen oder hehlten die Angeklagten seit dem Jahr 2008 in erheblichem Umfang Gegenstände, vor allem Fahrzeuge und Fahrzeugteile sowie Werkzeuge und andere Hilfsmittel, die bei der Montage oder Demontage von Fahrzeugen Verwendung finden konnten. Ob die Angeklagten in den abgeurteilten Fällen als Mittäter jeweils Diebstähle begangen oder die später bei ihnen sichergestellten Gegenstände als Hehler erworben haben, konnte die Strafkammer nicht klären. Sie hat ausgeführt , es sei auch möglich, dass die Angeklagten in den einzelnen Fällen getrennt voneinander Beutestücke aus den Diebstählen angekauft oder einer von beiden – neben Dritten – an den Diebstählen beteiligt gewesen sei und danach Beutegegenstände an den jeweils anderen abgegeben habe.
3
Der Angeklagte E. mietete zur Lagerung der Gegenstände ein Werkstattgebäude an. Dort reparierte er auch fremde Fahrzeuge, wozu bisweilen Fahrzeugteile aus der Diebesbeute verwendet wurden. Ferner trieb er mit Fahrzeugteilen Handel. Der Angeklagte L. verfügte im Tatzeitraum über ein Grundstück mit Garagen und einen Container, wo er auch Gegenstände, die aus Diebstählen herrührten, lagerte und Fahrzeuge bearbeitete.
4
Nach einer anonymen Strafanzeige wurden die Räume der Angeklagten jeweils am 23. und 24. Juni 2009 durchsucht. Dabei wurden zahlreiche Gegenstände sichergestellt, die in dem für Einzeltaten näher konkretisierten Tatzeitraum zwischen dem 26. März 2007 und dem 20. Juni 2009 gestohlen worden waren. Dabei handelte es sich um Diebstähle, die „in vielen Fällen schon auf- grund der Menge des Diebesgutes und der Schwere der einzelnen Gegenstände gar nicht allein hätten durchgeführt werden können.“ Auch war „bei allen Taten aufgrund des professionellen Vorgehens zu erwarten, dass zumindest ein Täter den Tatort abgesichert hat.“
5
Das Landgericht hat den Angeklagten nur entweder Diebstahl oder gewerbsmäßige Hehlerei zugerechnet, soweit bei ihnen selbst Gegenstände aus solchen Taten aufgefunden wurden. Soweit bei dem jeweils anderen Angeklagten Beutestücke festgestellt wurden, hat es die Angeklagten freigesprochen.
6
Mit Ausnahme zweier Fälle (Fälle 6 und 11 bei dem Angeklagten L. ) handelte es sich bei den Diebstählen – von gewerbsmäßiger Tatbegehung gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB abgesehen – um Taten im Sinne von § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB.
7
Bei den Diebstählen war regelmäßig erheblicher Sachschaden verursacht und umfangreiche Beute erzielt worden, während die sichergestellten Gegenstände, deren Erlangung den Angeklagten zugerechnet wurde, Einzelstücke aus der Diebesbeute darstellten.
8
2. Die Strafkammer hat die Angeklagten auf wahldeutiger Grundlage wegen Diebstahls gemäß §§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB oder gewerbsmäßiger Hehlerei im Sinne der §§ 259 Abs. 1, 260 Abs. 1 Nr. 1 StGB verurteilt. Die Voraussetzungen einer Postpendenzfeststellung der gewerbsmäßigen Hehlerei hat es verneint, weil es eine zumindest einseitig sichere Feststellung der Hehlereivoraussetzungen – hier hinsichtlich der Tatbegehung in Bezug auf eine „Sache, die ein anderer gestohlen … hat“ – nicht treffen konnte. Dazu hat es ausgeführt: „Ob die Angeklagten bei den jeweiligen abgeurteilten Fällen gemeinschaftlich die Diebstähle begangen oder Gegenstände angekauft haben, konnte nicht geklärt werden. So ist es auch möglich, dass in diesen Fällen beide getrennt voneinander von derselben Quelle gekauft haben oder einer der beiden den Diebstahl begangen hat und an den anderen Diebesgut abgegeben hat.“
9
3. Weil der Strafrahmen für gewerbsmäßige Hehlerei gemäß § 260 Abs. 1 StGB eine höhere als die in § 243 Abs. 1 StGB angedrohte Mindeststrafe vorsieht, ist das Landgericht vom Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Satz 1 StGB ausgegangen. Bei der mit einheitlicher Begründung vorgenommenen Strafzumessung hat es den regelmäßig geringeren Schaden für die Diebstahlsgeschädigten zu Grunde gelegt, der gegebenenfalls beim Erwerb einzelner Beutestücke durch Hehlerei verursacht wurde. Im Übrigen hat es auf allgemeine Strafzumessungsgesichtspunkte abgestellt.

II.

10
Der Senat hat durch Beschluss vom 28. Januar 2014 (StV 2014, 580 ff. mit Anm. Bauer, wistra 2014, 475 ff.; Freund/Rostalski, JZ 2015, 164 ff.; Frister, StV 2014, 584 ff.; Kotsoglou, ZStW 127 [2015], 334 ff.; Kröpil, JR 2015, 116 ff.; Schuhr, NStZ 2014, 437 ff.; Stuckenberg, ZIS 2014, 461 ff. und JZ 2015, 714 ff.) gemäß § 132 Abs. 3 GVG bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob diese an der Rechtsprechung zur Zulässigkeit einer gesetzesalternativen Verurteilung festhalten. Die anderen Strafsenate haben dies bejaht (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2014 – 1 ARs 14/14, NStZ-RR 2014, 308 f.; Beschluss vom 30. September 2014 – 3 ARs 13/14, NStZ-RR 2015, 39 f.; Beschluss vom 11. September 2014 – 4 ARs 12/14, NStZ-RR 2015, 40 f.; Beschluss vom 16. Juli 2014 – 5 ARs 39/14, NStZ-RR 2014, 307 f.; zum Ablauf SKStGB /Wolter, 9. Aufl., Anh. zu § 55 Rn. 5 ff.).
11
Mit Beschluss vom 11. März 2015 (StV 2016, 212 ff. mit Anm. Haas, HRRS 2016, 190 ff. und Pohlreich, ZStW 128 [2016], 676 ff.) hat der Senat erstmals dem Großen Senat für Strafsachen die Frage vorgelegt, ob die Rechtsfigur der gesetzesalternativen Verurteilung mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist. Der Senat hat diese Vorlage am 9. August 2016 zur Klärung der er- gänzenden Frage des Verhältnisses zwischen Geldwäsche und einer Wahlfeststellung von Katalogtaten zurückgenommen. Nachdem der 5. Strafsenat durch Urteil vom 16. August 2016 – 5 StR 182/16 (BGHSt 61, 245 ff.) diese Frage dahin entschieden hat, dass die gesetzesalternative Verurteilung wegen gewerbsmäßig begangenen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei bei gleichzeitiger Verwirklichung des Tatbestands der Geldwäsche einen Schuldspruch wegen Geldwäsche ausschließe, hat der Senat durch Beschluss vom 2. November 2016 gemäß § 132 Abs. 4 GVG dem Großen Senat für Strafsachen die Fragen vorgelegt, ob die gesetzesalternative Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei verfassungsgemäß ist, bejahendenfalls, ob sie bei gleichzeitiger Erfüllung des Tatbestands der Geldwäsche ausgeschlossen ist.
12
Der Große Senat für Strafsachen hat durch Beschluss vom 8. Mai 2017 – GSSt 1/17 (NJW 2017, 2842 ff. mit Anm. Jahn, für BGHSt bestimmt) entschieden: „Eine gesetzesalternative Verurteilung wegen (gewerbsmäßig begangenen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei ist entsprechend den zum Rechtsinstitut der Wahlfeststellung durch den Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen weiterhin zulässig; sie schließt bei gleichzeitiger Verwirklichung eines Tatbestands der Geldwäsche einen Schuldspruch wegen Geldwä- sche aus.“

III.

13
Die Revisionen der Angeklagten sind auf der Grundlage der vom Großen Senat für Strafsachen mit bindender Wirkung bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richten.
14
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerfrei.
15
a) Soweit die Beschwerdeführer die Beweiswürdigung zur Frage der deliktischen Herkunft der Gegenstände und zur inneren Tatseite beanstanden, zeigen ihre Ausführungen keinen Rechtsfehler im Sinne einer widersprüchlichen , unklaren oder lückenhaften Würdigung der wesentlichen Gesichtspunkte oder eines Verstoßes gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze auf. Die Angriffe der Revisionen erschöpfen sich in einer eigenen Würdigung der Beweise.
16
b) Das Landgericht war auch nicht auf Grund des Zweifelssatzes gehalten , von der Beschaffung der Diebstahlsgegenstände durch eine einzige Hehlereihandlung der Angeklagten oder eine geringere Zahl von Handlungseinheiten als der Zahl der Diebstahlstaten auszugehen.
17
Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst anzuwenden hat, wenn es nach abgeschlossener Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweise nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch unmittelbar entscheidungserheblichen Tatsache zu gewinnen vermag (vgl. Senat, Urteil vom 12. Oktober 2011 – 2 StR 202/11, NStZ 2012, 171, 172). Er fordert nicht, dass auch dann zwingend von der einem Angeklagten günstigsten Fallgestaltung auszugehen ist, wenn hierfür keine konkreten Anhaltspunkte bestehen (vgl. Senat, Urteil vom 20. Mai 2009 – 2 StR 576/08, NStZ 2009, 630, 631).
18
Deshalb gebietet es der Zweifelssatz hier nicht, von einer einheitlichen Tat im Sinne einer Bewertungseinheit auszugehen, da sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Einzelhandlungen der Angeklagten zugleich mehrere Gegenstände betroffen haben, die aus verschiedenen Diebstählen herrühren. Handlungen bei Erwerbs- oder Absatzgeschäften sind nicht schon deswegen zu einer Tateinheit zusammenzufassen, weil die nicht näher konkretisierte Möglichkeit besteht, dass Einzelobjekte aus einer einheitlich erworbenen Gesamtmenge herrühren. Eine willkürliche Zusammenfassung zu einer Einheit oder zu mehreren Bewertungseinheiten ist nicht geboten (vgl. zum Betäubungsmittelhandel etwa BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 345/12, NStZ-RR 2013, 46 f.).
19
Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Annahme von Tatmehrheit auch bei der Alternative der Hehlerei entsprechend der Zahl der insoweit zu Grunde liegenden Diebstahlsvortaten als rechtsfehlerfrei. Konkrete Anhaltspunkte für einen oder mehrere zusammenfassende Erwerbsvorgänge sind nicht festgestellt worden. Besteht mithin lediglich eine theoretische, nicht konkretisierte Möglichkeit eines einheitlichen Erwerbsvorgangs, so zwingt der Zweifelssatz nicht dazu, einen solchen zu Gunsten der Angeklagten zu unterstellen. Darauf, ob die Erwägungen des Landgerichts gegen einen einheitlichen Erwerbsvorgang in vollem Umfang tragfähig sind, kommt es nicht entscheidend an.
20
2. Die gesetzesalternative Verurteilung der Angeklagten auf wahldeutiger Tatsachengrundlage wegen (gewerbsmäßig begangenen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dafür ist nach der bindenden Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen von den Maßstäben auszugehen, die bisher in der Rechtsprechung entwickelt wurden.
21
a) Die Voraussetzungen einer vorrangigen Verurteilung wegen Hehlerei im Wege einer Postpendenzfeststellung hat das Landgericht zu Recht verneint.
22
aa) Eine Postpendenzfeststellung ist nur möglich, wenn feststeht, dass der Angeklagte faktisch alle Tatbestandsmerkmale der Hehlerei erfüllt, also auch, dass er das Hehlgut von einem anderen als Täter der Vortat erlangt hat, und nur offenbleibt, ob er selbst an der Vortat beteiligt war. Ist aber eine Begehung der Vortat durch die Angeklagten als Allein- oder Mittäter, gegebenenfalls neben Dritten, nicht auszuschließen, kommt eine Postpendenzfeststellung nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 1987 – 2 StR 506/87, BGHSt 35, 86, 88 f.; Urteil vom 14. September 1989 – 4 StR 170/89, BGHR StGB vor § 1/Wahlfeststellung Postpendenz 3; Urteil vom 29. März 1990 – 4 StR 681/89, BGHR StGB vor § 1/Wahlfeststellung Postpendenz 4; Beschluss vom 19. Januar 2000 – 3 StR 500/99, BGHR StGB § 260 Wahlfeststellung 1; Beschluss vom 27. November 2012 – 5 StR 377/12; NKStGB /Altenhain, 5. Aufl., § 259 Rn. 85; MüKo-StGB/Schmitz, 3. Aufl., Anh. zu § 1 Rn. 47; SK-StGB/Wolter, 9. Aufl., Anh. zu § 55 Rn. 55). In diesem Fall fehlt es an der für eine Verurteilung wegen Hehlerei erforderlichen Sicherheit, dass der Angeklagte die Diebesbeute von einem anderen erlangt hat.
23
bb) Daran gemessen hat das Landgericht eine Postpendenzfeststellung zu Recht abgelehnt. Soweit es darauf abstellt, dass nicht ausgeschlossen werden könne, der jeweilige Angeklagte sei auch Mittäter der Vortat gewesen, ist dies allerdings ungenau. Entscheidend kommt es darauf an, ob feststeht, dass die Angeklagten die gestohlenen Gegenstände von einem Anderen – und sei es von dem jeweils anderen Angeklagten als Mittäter – erlangt haben. Das Landgericht hat aber nicht klären können, ob die Angeklagten die Diebstahlstaten gemeinschaftlich begangen haben. Damit kommt auch die Möglichkeit in Betracht , dass der jeweilige Angeklagte das Diebesgut schon im Rahmen der gemeinschaftlichen Begehung der Vortat selbst unmittelbar durch Diebstahl und damit nicht von einem anderen erlangt hat. Ist deshalb nicht sicher, dass alle Voraussetzungen der Hehlerei, einschließlich des Kriteriums der Erlangung der Sache von einem Anderen, erfüllt sind, scheidet eine eindeutige Verurteilung wegen (gewerbsmäßiger) Hehlerei aus.
24
b) Die tatsächlichen Voraussetzungen einer Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage sind gegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2013 – 1 StR 613/12, wistra 2013, 271).
25
Das Landgericht hat auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung festgestellt, dass die Angeklagten in den abgeurteilten Fällen fremde bewegliche Sachen auf strafbare Weise erlangt haben, und zwar entweder durch Diebstahls- oder durch Hehlereihandlungen. Die Möglichkeit eines redlichen Erwerbs hat es sicher ausgeschlossen.
26
Soweit die Revision in diesem Zusammenhang Widersprüche in den Feststellungen zu den Tatzeiträumen erkennt, liegt kein durchgreifender Rechtsfehler vor. Die vom Landgericht in den Fällen 4, 11, 13, 17, 18 und 19 betreffend den Angeklagten L. und im Fall 3 betreffend den Angeklagten E. für die jeweilige Hehlerei festgestellten Tatzeiträume liegen zwar mit ihrem jeweiligen Anfang vor der festgestellten Tatzeit des jeweiligen Diebstahls, aus dem die Gegenstände herrühren. Jedoch handelt es sich hierbei ersichtlich um ein Fassungsversehen. In diesen Fällen wurde der Beginn des Tatzeitraums der Hehlerei im Urteilstext von der vorherigen Tat übernommen, ohne zu beachten , dass der festgestellte Zeitpunkt des vorausgegangenen Diebstahls später liegt. Der Bestand des Urteils wird durch dieses Fassungsversehen nicht in Frage gestellt. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist zu entnehmen , dass das Landgericht jeweils den Zeitraum von der Begehung des Diebstahls bis zur Auffindung der Gegenstände im Rahmen der Durchsuchung als Tatzeit der Hehlerei zu Grunde legen wollte.
27
c) Die Annahme, dass Diebstahl und Hehlerei rechtsethisch und psychologisch vergleichbar sind und deshalb Gegenstand einer gesetzesalternativen Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage sein können, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt. Danach ist auch eine Wahlfeststellung zwischen gewerbsmäßig begangenem Diebstahl nach §§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB und gewerbsmäßiger Hehlerei nach §§ 259 Abs. 1, 260 Abs. 1 Nr. 1 StGB zulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2000 – 3 StR 500/99, BGHR StGB § 260 Wahlfeststellung 1; Beschluss vom 27. November 2012 – 5 StR 377/12).
28
An diesem Ergebnis ändert auch nichts, dass das Landgericht meist – außerin den Fällen 6 und 11 betreffend den Angeklagten L. – zusätzlich die Verwirklichung des Regelbeispiels des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB angenommen hat. Denn das Landgericht hat bei seiner rechtlichen Würdigung eine Wahlfeststellung nur zwischen gewerbsmäßigem Diebstahl und gewerbsmäßiger Hehlerei vorgenommen; dies ist nicht zu beanstanden. In Fällen , in denen die in Betracht kommenden Alternativen nicht in vollem Umfang den Voraussetzungen einer Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage genügen, ist es ausreichend, die Würdigung auf das rechtsethisch und psychologisch Vergleichbare zu beschränken (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 1960 – 2 StR 508/60, BGHSt 15, 266, 267; Urteil vom 15. Mai 1973 – 4 StR 172/73, BGHSt 25, 182, 184 f.; Beschluss vom 19. Januar 2000 – 3 StR 500/99, BGHR StGB § 260 Wahlfeststellung 1; Beschluss vom 27. November 2011 – 5 StR 377/12; MüKo-StGB/Maier, 3. Aufl., § 259 Rn. 194). Das zusätzliche Vorliegen einer Verhaltensweise, welche die Voraussetzungen eines weiteren Regelbeispiels des § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB erfüllt, dem bei der Hehlerei kein rechtsethisch und psychologisch vergleichbares Merkmal gegenübersteht, steht einer gesetzesalternativen Verurteilung mit Blick auf die vergleichbaren Grundkonstellationen nicht im Wege (vgl. für Wohnungseinbruchsdiebstahl oder Hehlerei BGH, Urteil vom 8. Mai 2008 – 3 StR 53/08, NStZ 2008, 646).
29
3. Der Senat stellt klar, dass sich der Teilfreispruch auch auf die jeweils nicht begründete Alternative der Anklagevorwürfe erstreckt. Wenn verschiedene Taten im prozessualen Sinn zum Gegenstand zweier Anklagen gemacht werden , wovon nur eine begründet, aber die jeweils andere unbegründet ist, wird nämlich auch zur Klarstellung der Reichweite des Strafklageverbrauchs ein Teilfreispruch hinsichtlich des überschießenden Teils erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 1991 – 4 StR 506/91, BGHSt 38, 172, 173; Beschluss vom 14. Juli 1998 – 4 StR 214/98, NStZ 1998, 635 f.; NK-StGB/Frister, 5. Aufl., Nachbem. zu § 2 Rn. 103; SSW-StGB/Satzger, 3. Aufl., § 1 Rn. 96; MüKo-StGB/Schmitz, Anh. zu § 1 Rn. 66; SK-StGB/Wolter, Anh. zu § 55 Rn. 98).

IV.

30
Die Strafzumessung ist rechtlich nicht zu beanstanden.
31
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist bei der Ermittlung des mildesten Gesetzes in der Wahlfeststellungssituation kein abstrakter Strafrahmenvergleich vorzunehmen. Vielmehr hat der Tatrichter auf der Grundlage der Sachverhaltsalternativen jeweils zu erörtern, welche Strafe er für angemessen gehalten hätte, wenn zweifelsfrei die eine oder die andere Handlung nachgewiesen wäre, um hiernach die niedrigere der hypothetisch in Frage kommenden Strafen zu verhängen (vgl. RG, Urteil vom 24. September 1936 – 1 D 671/35, RGSt 69, 369, 374 f.; Senat, Urteil vom 29. Oktober 1958 – 2 StR 375/58, BGHSt 13, 70, 72; BGH, Beschluss vom 11. September 2014 – 4 ARs 12/14, NStZ-RR 2015, 40, 41; Beschluss vom 16. Juli 2014 – 5 ARs 39/14, NStZ-RR 2014, 307, 308; NK-StGB/Frister, aaO, Nachbem. zu § 2 Rn. 73; Gaede in Festschrift für U. Neumann, 2017, S. 811, 812; BeckOK-StGB/von HeintschelHeinegg , 35. Ed., § 1 Rn. 52; SK-StGB/Wolter, aaO, Anh. zu § 55 Rn. 84).
32
Das Landgericht hat diese Vorgabe zwar nicht beachtet. Nachdem es aber bei seiner einheitlich begründeten Strafzumessungsentscheidung die jeweils günstigsten Faktoren aus beiden Alternativen herangezogen hat, ist auszuschließen , dass der Strafausspruch darauf zum Nachteil der Angeklagten beruht.

V.

33
Die zu einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung führende Verletzung des Beschleunigungsgebotes gebietet eine Kompensation nach dem Vollstreckungsmodell der Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 135 ff.). Eine Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht scheidet aus, weil weder das landgerichtliche Verfahren noch dessen Urteil an einem Rechtsfehler leidet.
34
1. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK fordert eine Erledigung des Strafverfahrens in angemessener Zeit; wird das hieraus folgende Beschleunigungsgebot verletzt , ist eine Kompensation angezeigt.
35
Nicht jede im Strafprozess vorkommende Verzögerung führt zu einer derartigen Verletzung des Beschleunigungsgebots. Dies gilt auch für besondere Verfahrensvorgänge, die das Gesetz vorsieht, wie das Verfahren zum Divergenzausgleich gemäß § 132 GVG (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2011 – 1 StR 429/09, StV 2011, 407 f.). Demnach sind hier die Zeiträume für das An- frageverfahren und die Vorlageverfahren für sich genommen kein Grund für eine Kompensation. Etwas anderes gilt bei einer überlangen Verfahrensdauer, die das Maß des Angemessenen überschreitet. Ob ein solcher Fall vorliegt, ist durch eine auf die Verhältnisse des konkreten Einzelfalles bezogene Gesamtwürdigung zu prüfen. Dabei sind vor allem die durch Verhalten der Justizorgane eingetretenen Verzögerungen, aber auch die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Prozessstoffs sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des Verfahrens für den Betroffenen verbundenen Belastungen zu berücksichtigen (BGH aaO, BGHSt 52, 124, 147).
36
2. Nach diesem Maßstab war das Revisionsverfahren überlang.
37
a) Das angefochtene Urteil ist am 30. Mai 2012 ergangen. Zugleich wurde der Haftbefehl gegen die Angeklagten aufgehoben, so dass sie sich während des Revisionsverfahrens in Freiheit befanden. Die Sache ist am 7. November 2012 mit dem Antrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof eingegangen. Hiernach haben die Beschwerdeführer am 28. November und am 7. Dezember 2012 weitere Ausführungen zur Begründung der Sachrüge eingereicht. Die Zuteilung der Sache an den Berichterstatter ist am 20. Januar 2013 erfolgt. Nach einer ersten Beratung wurde die Sache zur Revisionshauptverhandlung am 4. Dezember 2013 terminiert. An diesem Tag wurde eine Fortsetzung der Revisionshauptverhandlung auf den 11. Dezember 2013 bestimmt, die später auf den 22. Januar 2014 verlegt wurde. Sodann erging der Anfragebeschluss des Senats vom 28. Januar 2014, der nach Fassungsberatungen am 4. Juni 2014 an die Verfahrensbeteiligten abgesandt wurde. Die Antworten der anderen Senate gingen am 24. Juni, 16. Juli, 11. und am 30. September 2014 beim Senat ein. Darauf erging am 11. März 2015 der erste Vorlagebeschluss des Senats, der nach Fassungsberatungen am 17. Dezember 2015 an die Verfahrensbeteiligten versandt wurde. Die Beratung des Großen Senats für Strafsachen wurde am 17. Februar 2016 auf den 13. Juni 2016 verfügt. Am 1. April 2016 ging die Stellungnahme des Generalbundesanwalts beim Großen Senat für Strafsachen ein. Nach der ersten Beratung des Großen Senats für Strafsachen nahm der Senat seine Vorlage mit Beschluss vom 9. August 2016 zur Prüfung einer ergänzenden Frage zurück. Am 18. Oktober 2016 wurde die Fortsetzung der Revisionshauptverhandlung auf den 2. November 2016 bestimmt. Dort wurde erneut eine Vorlage der Sache an den Großen Senat für Strafsachen mit erweiterter Fragestellung beschlossen. Am 27. Februar 2017 ging die Stellungnahme des Generalbundesanwalts hierzu ein. Die Beratung des Großen Senats für Strafsachen wurde am 1. Februar 2017 auf den 8. Mai 2017 verfügt. Der sodann ergangene Beschluss wurde am 1. August 2017 an die Verfahrensbeteiligten versandt. Die neue Revisions- hauptverhandlung des Senats wurde hiernach auf den 25. Oktober 2017 bestimmt.
38
b) Bei diesen Abläufen war zunächst der Zeitraum von einem Jahr zwischen dem Eingang der Sache beim Bundesgerichtshof und der Durchführung der ersten Revisionshauptverhandlung überdurchschnittlich lang; insoweit ist von einer Verzögerung des Verfahrens von vier Monaten auszugehen. Ferner ist die Zeitspanne von rund neun Monaten zwischen Beschlussfassung und Absendung des ersten Vorlagebeschlusses unbeschadet zwischenzeitlich erfolgter Besetzungsänderungen im Senat als überlang zu bezeichnen; insoweit ist die Verzögerung auf sechs Monate zu veranschlagen. Darüber hinaus ist bei der Prüfung einer qualifizierten Überlänge auch die Gesamtdauer des Revisionsverfahrens von rund fünf Jahren und vier Monaten in den Blick zu nehmen, selbst wenn im Übrigen einzelne Verfahrensschritte jeweils für sich genommen nicht zu beanstanden sind. Daraus ergibt sich im Ganzen eine überlange Dauer des Revisionsverfahrens.
39
3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Umfang der zur Kompensation erforderlichen Vollstreckungsanrechnung nicht mit dem Umfang der Verfahrensverzögerung gleichzusetzen, sondern sie hat nach den Umständen des Einzelfalles grundsätzlich einen eher geringen Bruchteil der verhängten (Gesamt-) Strafe zu betragen (vgl. BGH, aaO, BGHSt 52, 124, 147). Um jede Benachteiligung auszuschließen erklärt der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände jeweils sechs Monate der gegen die Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafen als bereits vollstreckt.
Appl Eschelbach Zeng Bartel Grube

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 132


(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate. (2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Sena

Strafgesetzbuch - StGB | § 243 Besonders schwerer Fall des Diebstahls


(1) In besonders schweren Fällen wird der Diebstahl mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. zur Ausführung der Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Gesc

Strafgesetzbuch - StGB | § 242 Diebstahl


(1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Strafgesetzbuch - StGB | § 259 Hehlerei


(1) Wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder absetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu

Strafgesetzbuch - StGB | § 260 Gewerbsmäßige Hehlerei; Bandenhehlerei


(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer die Hehlerei 1. gewerbsmäßig oder2. als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub, Diebstahl oder Hehlerei verbunden hat,begeht. (2) Der Vers

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Bundesgerichtshof Urteil, 25. Okt. 2017 - 2 StR 495/12 zitiert oder wird zitiert von 12 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 25. Okt. 2017 - 2 StR 495/12 zitiert 11 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Okt. 2011 - 2 StR 202/11

bei uns veröffentlicht am 12.10.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 202/11 vom 12. Oktober 2011 in der Strafsache gegen wegen versuchter schwerer sexueller Nötigung u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Oktober 2011, an der teilg

Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Jan. 2008 - GSSt 1/07

bei uns veröffentlicht am 17.01.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS GSSt 1/07 vom 17. Januar 2008 in der Strafsache gegen Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja ___________________________________ MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Ist der Abschluss eines Strafverfahrens rechtssta

Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Sept. 2012 - 4 StR 345/12

bei uns veröffentlicht am 26.09.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 345/12 vom 26. September 2012 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen zu Ziff. 1. unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. zu Ziff. 2. unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmi

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Nov. 2012 - 5 StR 377/12

bei uns veröffentlicht am 27.11.2012

5 StR 377/12 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 27. November 2012 in der Strafsache gegen wegen gewerbsmäßiger Hehlerei oder Diebstahls u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. November 2012 beschlossen: Die Revision des Angeklagte

Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2011 - 1 StR 429/09

bei uns veröffentlicht am 15.03.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 429/09 vom 15. März 2011 in der Strafsache gegen wegen Betruges u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2011 beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgericht

Bundesgerichtshof Urteil, 20. Mai 2009 - 2 StR 576/08

bei uns veröffentlicht am 20.05.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 576/08 vom 20. Mai 2009 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Mai 2009, an der teilgenommen haben: Richte

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2013 - 1 StR 613/12

bei uns veröffentlicht am 05.03.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 613/12 vom 5. März 2013 in der Strafsache gegen wegen Computerbetruges u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. März 2013 gemäß § 349 Abs. 2, § 464 Abs. 3 StPO beschlossen: Die Revision des Angekl

Bundesgerichtshof Urteil, 08. Mai 2008 - 3 StR 53/08

bei uns veröffentlicht am 08.05.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 53/08 vom 8. Mai 2008 in der Strafsache gegen wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Mai 2008, an der teilgenommen haben: Vorsitzende

Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Sept. 2014 - 3 ARs 13/14

bei uns veröffentlicht am 30.09.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3AR s 1 3 / 1 4 vom 30. September 2014 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei hier: Anfragebeschluss des 2. Strafsenats vom 28. Januar 2014 (2 StR 495/12) Der 3. Strafsenat des Bu

Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Sept. 2014 - 4 ARs 12/14

bei uns veröffentlicht am 11.09.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4ARs 12/14 vom 11. September 2014 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei hier: Anfragebeschluss des 2. Strafsenats vom 28. Januar 2014 – 2 StR 495/12 Der 4. Strafsenat des Bundesge

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Juli 2014 - 5 ARs 39/14

bei uns veröffentlicht am 16.07.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 ARs39/14 vom 16. Juli 2014 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei hier: Anfragebeschluss des 2. Strafsenats vom 28. Januar 2014 – 2 StR 495/12 – Der 5. Strafsenat des Bundesge
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Bundesgerichtshof Beschluss, 08. März 2018 - 3 StR 63/15

bei uns veröffentlicht am 08.03.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 63/15 vom 8. März 2018 in der Strafsache gegen wegen Totschlags ECLI:DE:BGH:2018:080318B3STR63.15.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts

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(1) In besonders schweren Fällen wird der Diebstahl mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
zur Ausführung der Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält,
2.
eine Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist,
3.
gewerbsmäßig stiehlt,
4.
aus einer Kirche oder einem anderen der Religionsausübung dienenden Gebäude oder Raum eine Sache stiehlt, die dem Gottesdienst gewidmet ist oder der religiösen Verehrung dient,
5.
eine Sache von Bedeutung für Wissenschaft, Kunst oder Geschichte oder für die technische Entwicklung stiehlt, die sich in einer allgemein zugänglichen Sammlung befindet oder öffentlich ausgestellt ist,
6.
stiehlt, indem er die Hilflosigkeit einer anderen Person, einen Unglücksfall oder eine gemeine Gefahr ausnutzt oder
7.
eine Handfeuerwaffe, zu deren Erwerb es nach dem Waffengesetz der Erlaubnis bedarf, ein Maschinengewehr, eine Maschinenpistole, ein voll- oder halbautomatisches Gewehr oder eine Sprengstoff enthaltende Kriegswaffe im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder Sprengstoff stiehlt.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 ist ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht.

(1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder absetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Die §§ 247 und 248a gelten sinngemäß.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer die Hehlerei

1.
gewerbsmäßig oder
2.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub, Diebstahl oder Hehlerei verbunden hat,
begeht.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) (weggefallen)

(1) In besonders schweren Fällen wird der Diebstahl mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
zur Ausführung der Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält,
2.
eine Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist,
3.
gewerbsmäßig stiehlt,
4.
aus einer Kirche oder einem anderen der Religionsausübung dienenden Gebäude oder Raum eine Sache stiehlt, die dem Gottesdienst gewidmet ist oder der religiösen Verehrung dient,
5.
eine Sache von Bedeutung für Wissenschaft, Kunst oder Geschichte oder für die technische Entwicklung stiehlt, die sich in einer allgemein zugänglichen Sammlung befindet oder öffentlich ausgestellt ist,
6.
stiehlt, indem er die Hilflosigkeit einer anderen Person, einen Unglücksfall oder eine gemeine Gefahr ausnutzt oder
7.
eine Handfeuerwaffe, zu deren Erwerb es nach dem Waffengesetz der Erlaubnis bedarf, ein Maschinengewehr, eine Maschinenpistole, ein voll- oder halbautomatisches Gewehr oder eine Sprengstoff enthaltende Kriegswaffe im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder Sprengstoff stiehlt.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 ist ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht.

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3AR s 1 3 / 1 4
vom
30. September 2014
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei
hier: Anfragebeschluss des 2. Strafsenats vom 28. Januar 2014 (2 StR 495/12)
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. September 2014 gemäß
§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG beschlossen:
Die beabsichtigte Entscheidung des 2. Strafsenats widerspricht der Rechtsprechung des 3. Strafsenats, der an dieser festhält.

Gründe:

1
Der 2. Strafsenat hat über die Revisionen von zwei Angeklagten zu entscheiden , die vom Landgericht jeweils wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei in neunzehn (L. ) bzw. achtzehn (E. ) Fällen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden sind. Der 2. Strafsenat hält die Verurteilung auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Hehlerei für rechtsfehlerfrei. Er möchte diese Rechtsprechung jedoch aufgeben und beabsichtigt wie folgt zu entscheiden : "1. Die richterrechtlich entwickelte Rechtsfigur der ungleichartigen Wahlfeststellung verstößt gegen Art. 103 Abs. 2 GG.
2. Eine wahldeutige Verurteilung wegen (gewerbsmäßigen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei ist daher unzulässig."
2
Hieran sieht er sich jedoch durch entgegenstehende Rechtsprechung des 3. Strafsenats gehindert (vgl. etwa Senat, Beschlüsse vom 19. Januar 2000 - 3 StR 500/99, BGHR StGB § 260 Wahlfeststellung 1; vom 31. Januar 1996 - 3 StR 563/95, BGHR StGB § 259 Abs. 1 Wahlfeststellung 2). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
3
Die Rechtsfigur der ungleichartigen (echten) Wahlfeststellung verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG (I.). Auch die aus dem Rechtsstaatsgebot folgenden Grundsätze des Schuldprinzips (II.) und der Unschuldsvermutung (III.) sind nicht betroffen.
4
I. Die richterrechtlich entwickelte Rechtsfigur der ungleichartigen Wahlfeststellung verletzt Art. 103 Abs. 2 GG nicht.
5
1. Diese Rechtsfigur kommt nur in Fällen zur Anwendung, in denen nach Ausschöpfung aller Beweismittel zwar feststeht, dass der Angeklagte gegen einen von mehreren Straftatbeständen verstoßen hat, aber nicht weiter aufklärbar ist, gegen welchen dieser Tatbestände. Der Sache nach handelt es sich bei der Wahlfeststellung damit um eine Entscheidungsregel, die, indem sie vorgibt, wie bei einer solchen Unaufklärbarkeit zu entscheiden ist, grundsätzlich mit dem Zweifelssatz vergleichbar ist. Da sie aber bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen - anders als der Grundsatz "in dubio pro reo" - für den Fall der sich gegenseitig ausschließenden Sachverhaltsalternativen nicht zu einer bestimmten Verurteilung oder zum Freispruch gelangt, sondern im Schuldspruch zu einer wahldeutigen Verurteilung bei Festsetzung der für die am wenigsten schwerwiegende Sachverhaltsalternative angemessenen Strafe (vgl. SK-StGB/Wolter [Stand: Oktober 2013], Anh. zu § 55 Rn. 5a), mag die Wahlfeststellung in der Tat in einem Spannungsverhältnis zum Zweifelssatz stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2014 - 2 StR 495/12, NStZ 2014, 392, 394); dies ent- spricht - mit Unterschieden im Detail - der überwiegenden Auffassung in der Literatur (vgl. LK/Dannecker, StGB, 12. Aufl., Anh. zu § 1 Rn. 8; SSWStGB /Satzger, 2. Aufl., § 1 Rn. 71: Durchbrechung des Zweifelssatzes; MüKoStGB/Schmitz, 2. Aufl., Anh. zu § 1 Rn. 12: Einschränkung; SKStGB /Wolter aaO, Anh. zu § 55 Rn. 5c; ders., GA 2013, 271, 276: Wahlfeststellung variiert den in-dubio-Satz; aA Nüse, GA 1953, 33, 38; Stuckenberg, ZIS 2014, 461, 468: Wahlfeststellung berührt den Zweifelssatz nicht), ändert indes nichts an der Eigenschaft dieses Rechtsinstituts als Entscheidungsregel, durch die die verfahrensrechtliche Frage beantwortet wird, wie mit der genannten Beweissituation umzugehen ist (vgl. Stuckenberg aaO; SK-StGB/Wolter aaO, Anh. zu § 55 Rn. 5a; Günther, Verurteilungen im Strafprozess trotz subsumtionsrelevanter Zweifel, S. 263). Solche prozessualen Regelungen werden von Art. 103 Abs. 2 GG jedoch nicht erfasst (Kudlich in Kudlich/Montiel/Schuhr, Gesetzlichkeit und Strafrecht, 2012, 233, 239 ff.).
6
Ob die ungleichartige Wahlfeststellung daneben auch Elemente enthält, die dem materiellen Strafrecht zuzuordnen sind, kann offen bleiben. Weder wird dadurch die Reichweite der in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltenen Gewährleistung verändert, noch wird durch eine solche Zuordnung dessen Anwendungsbereich ohne weiteres eröffnet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Mai 1994 - 2 BvR 746/94, NStZ 1994, 480 zur Ruhensregelung des § 78b Abs. 4 StGB). Für die Anwendbarkeit von Art. 103 Abs. 2 GG ist alleine entscheidend, ob die ungleichartige Wahlfeststellung strafbarkeitsbegründend wirkt oder in ihrer Konsequenz dazu führt, dass Art und Maß der Strafe nicht mehr vom Gesetzgeber vorgegeben sind (zum Gewährleistungsgehalt des Art. 103 Abs. 2 GG im Einzelnen vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09 u.a., NStZ 2012, 496, 503); dies ist nicht der Fall.
7
2. Das Rechtsinstitut der ungleichartigen Wahlfeststellung wirkt nicht strafbarkeitsbegründend und berührt damit nicht den Grundsatz "nullum crimen sine lege". Es bestimmt nicht die Voraussetzungen, unter denen das Verhalten des Angeklagten als strafbar zu qualifizieren ist. Diese folgen aus den alternativ in Betracht kommenden Straftatbeständen. Die Rechtsfigur regelt alleine - in den Fällen der ungleichartigen ebenso wie in denen der gleichartigen Wahlfeststellung - wie dem zweifelsfrei strafbaren Verhalten des Angeklagten eine Rechtsfolge gegeben werden soll. Betroffen ist nicht das "Ob" der Strafbarkeit, sondern das "Wie" der Schuldspruchfassung und Rechtsfolgenbestimmung (vgl. SK-StGB/Wolter aaO, Anh. zu § 55 Rn. 5a). Der Zweck des Gesetzlichkeitsprinzips , für den Angeklagten seine Bestrafung vorhersehbar zu halten (BVerfG, Urteil vom 20. März 2002 - 2 BvR 794/95, BVerfGE 105, 135, 153), wird nicht tangiert. Vielmehr muss der Täter im Tatzeitpunkt damit rechnen, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden (so auch Freund in Festschrift Wolter, 2013, 35, 36).
8
Grundlage der Bestrafung des Angeklagten ist in den Fällen der ungleichartigen Wahlfeststellung insbesondere keine ungeschriebene dritte Norm, die übereinstimmende Unrechtselemente der beiden nicht unzweifelhaft zur Anwendung gelangenden Strafgesetze in sich vereinigen würde (so aber Endruweit , Die Wahlfeststellung und die Problematik der Überzeugungsbildung, der Identitätsbestimmung, der Urteilssyllogistik sowie der sozialen und personalen Gleichwertigkeit von Straftaten, 1973, 269 f. unter Berufung auf v. Bar, GA 15 [1867] 569, 574; Freund aaO, 49; dagegen überzeugend Stuckenberg aaO, 469 f.). Nach der logischen Struktur der Wahlfeststellung wird gerade nicht eindeutig wegen einer "zwischen" den gesetzlichen Tatbeständen liegenden Handlung verurteilt. Vielmehr muss in jeder in Betracht kommenden Sachverhaltsva- riante jeweils ein Straftatbestand vollständig erfüllt sein. Nur in diesem Fall ist ein alternativ zu fassender Schuldspruch zulässig.
9
Dass der vom Gericht zu treffende Schuldspruch stets bestimmt sein müsse, lässt sich Art. 103 Abs. 2 GG zudem nicht entnehmen (so auch NKStGB -Frister, 4. Aufl., Nachbemerkungen zu § 2 Rn. 77; SK-StPO/Velten, 4. Aufl., § 261 Rn. 103; KMR-Stuckenberg [Stand: August 2013], § 261 Rn. 149; SK-StGB/Wolter aaO, Anh. zu § 55 Rn. 5b; ders., GA 2013, 271, 274 ff.).
10
Aus dem Umstand, dass eine Verurteilung im Falle der ungleichartigen Wahlfeststellung nach den richterrechtlich entwickelten Grundsätzen nur zulässig ist, wenn die in Betracht kommenden Straftatbestände rechtsethisch und psychologisch vergleichbar sind, ergibt sich nichts anderes. Diese Anwendungsvoraussetzung wirkt nicht strafbarkeitsbegründend, sondern schränkt den Anwendungsbereich der Rechtsfigur, die gemessen an Art. 103 Abs. 2 GG auch unbeschränkt zulässig wäre (KMR-Stuckenberg aaO), lediglich ein.
11
3. Die ungleichartige Wahlfeststellung verstößt nicht gegen das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Gebot "nulla poena sine lege". Art und Maß der Strafe bleiben vom parlamentarischen Gesetzgeber vorgegeben, da der Angeklagte auf der Grundlage kodifizierter Straftatbestände bestraft wird.
12
Den Strafzumessungsvorgang begleiten auch keine mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu vereinbarenden Ungenauigkeiten. Die Strafe ist dem Gesetz zu entnehmen, das im konkreten Fall die mildeste Strafe zulässt. Der Tatrichter hat hierbei die jeweils in Betracht kommenden Strafen zu vergleichen und für sämtliche in Betracht kommenden Sachverhaltskonstellationen zu prüfen, auf welche Strafe jeweils zu erkennen wäre, wenn die eine oder die andere strafba- re Handlung nachgewiesen wäre (BGH, Urteile vom 29. Oktober 1958 - 2 StR 375/58, BGHSt 13, 70, 72; vom 15. Mai 1973 - 4 StR 172/73, BGHSt 25, 182, 186; LR/Sander, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 165; LK/Dannecker aaO, Anh. zu § 1 Rn. 160; SK-StGB/Wolter aaO, Anh. zu § 55 Rn. 46; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 1 Rn. 47). Grundlage der Bestrafung ist - wie dargelegt - weder eine ungeschriebene dritte Norm noch eine auf verschiedenen Sachverhalten gründende , per Saldo festgestellte Schuld des Angeklagten, sondern der Schuldumfang , wie er sich aus der gleichermaßen eine Strafnorm ausfüllende und den Angeklagten am meisten begünstigenden Sachverhaltsvariante ergibt (vgl. auch Wolter GA 2013, 271, 276). Dass die Strafe dabei hinter dem wahren Schuldumfang des Angeklagten zurückbleiben kann, ist keine Eigenheit der ungleichartigen Wahlfeststellung, sondern eine aus der Anwendung des Zweifelssatzes folgende Konsequenz (s. auch Stuckenberg aaO, 470 f.).
13
II. Die Rechtsfigur der ungleichartigen Wahlfeststellung ist weiter mit dem aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Schuldprinzip vereinbar.
14
Der Schuldgrundsatz bindet die Rechtsprechung insoweit, als die Bestrafung auf einem Schuldvorwurf gründen muss sowie Strafe und Schuld in angemessenem Verhältnis stehen müssen. Bezüglich letzterer Konkretisierung stellt das Schuldprinzip eine spezielle Ausprägung des Übermaßverbotes dar (BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2007 - 2 BvR 1050/07, wistra 2008, 179 mwN). Dass dem Angeklagten ein Schuldvorwurf zu machen ist, steht in den Fällen einer - ungleichartigen wie gleichartigen - wahldeutigen Verurteilung fest. Soweit sich aus den verschiedenen Sachverhaltsvarianten differenzierende Schuldgehalte ergeben, ist das Schuldprinzip nur in seinem Übermaßverbot betroffen. Dieses ist dadurch gewahrt, das die Strafe stets auf der dem Angeklagten günstigsten Sachverhaltsvariante gründen muss.
15
III. Auch die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende, grundgesetzlich gewährleistete Unschuldsvermutung (zu deren Gewährleistungsgehalt vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2008 - 2 BvR 1975/06, juris Rn. 9 mwN) ist durch die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur unechten Wahlfeststellung nicht betroffen. Eine Verurteilung ist in den Fällen der ungleichartigen Wahlfeststellung erst nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Beweismittel möglich, wobei der Tatrichter überzeugt sein muss, dass in jeder denkbaren Sachverhaltsvariante ein strafbares Handeln des Angeklagten vorgelegen haben muss. Die Frage, welche Rechtsfolgen sich hieraus ergeben , betrifft den Grundsatz der Unschuldsvermutung nicht.
Becker Pfister Mayer
Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4ARs 12/14
vom
11. September 2014
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei
hier: Anfragebeschluss des 2. Strafsenats vom 28. Januar 2014 – 2 StR 495/12
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. September 2014 gemäß
§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG beschlossen:
Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zur ungleichartigen Wahlfeststellung fest. Danach ist eine wahldeutige Verurteilung wegen (gewerbsmäßigen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei zulässig.

Gründe:


1
Der 2. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden: „1. Die richterrechtlich entwickelte Rechtsfigur der ungleichartigen Wahl- feststellung verstößt gegen Art. 103 Abs. 2 GG.
2. Eine wahldeutige Verurteilung wegen (gewerbsmäßigen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei ist daher unzulässig.“
2
Er hat gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG bei den übrigen Strafsenaten angefragt, ob sie der beabsichtigten Entscheidung zustimmen und entgegenstehende Rechtsprechung aufgeben.
3
Der beabsichtigten Entscheidung des 2. Strafsenats steht Rechtsprechung des 4. Strafsenats entgegen (Beschluss vom 12. Februar 2008 – 4 StR 623/07, NJW 2008, 1394, 1395; Urteile vom 15. Mai 1973 – 4 StR 172/73, BGHSt 25, 182; vom 17. Oktober 1957 – 4 StR 73/57, BGHSt 11, 26, 28 und vom 12. September 1951 – 4 StR 533/51, BGHSt 1, 302, 304; sowie – hinsichtlich der Zulässigkeit der Wahlfeststellung nicht tragend – Urteile vom 21. November 2013 – 4 StR 242/13, NStZ 2014, 172; vom 11. November1966 – 4 StR 387/66, BGHSt 21, 152, 153; Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 92/10, NStZ 2010, 698). Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest.

I.


4
Die Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB.
5
1. Art. 103 Abs. 2 GG enthält – neben dem hier nicht zu erörternden Rückwirkungsverbot – die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände sowie die Rechtsfolgen eines Verstoßes zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 126, 170, 194; 105, 135, 153 f.; 78, 374, 382; 75, 329, 340 f.; st. Rspr.). Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Es geht einerseits um den rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten: Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Andererseits soll sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber selbst über die Strafbarkeit entscheidet. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der rechtsprechenden Gewalt verbietet, Straftatbestände oder Strafen im Wege richterlicher Rechtsfortbildung – etwa durch die Bildung von Analogien oder die Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen – zu begründen oder zu verschärfen (vgl. BVerfGE 130, 1, 43; 126, 170, 197; 71, 108, 115).
6
2. Die Wahlfeststellung berührt keine dieser Garantien.
7
a) Der Umstand, dass bei einer Verurteilung auf der Grundlage einer sog. echten Wahlfeststellung nicht feststeht, welcher der alternativ in Betracht kommenden Straftatbestände verletzt worden ist, ändert nichts daran, dass die maßgeblichen strafbewehrten Verbote für den Normadressaten in Tragweite und Anwendungsbereich erkennbar waren. Das Gesetz verbietet zwei Verhaltensweisen , im Ausgangsfall die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache (§ 242 StGB) und das Sichverschaffen einer Sache, die ein anderer gestohlen hat (§ 259 StGB). Für den Normadressaten ergibt sich deshalb keine Ungewissheit darüber, ob sein Verhalten strafbar ist oder nicht.
8
b) Da ein Angeklagter im Fall einer echten Wahlfeststellung nur verurteilt werden darf, wenn die nach der Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten alternativ in Betracht kommenden Sachverhalte jeweils einen (anderen) Straftatbestand vollständig erfüllen und andere Sachverhaltsalternativen sicher ausscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2013 – 1 StR 613/12, NStZ 2014, 42; LR-StPO/Sander, 26. Aufl., § 261 Rn. 127 mwN), bleibt auch gewährleistet, dass nur der Gesetzgeber über die Strafbarkeit entscheidet (KMR/Stuckenberg, StPO, § 261 Rn. 149 [Stand: August 2013]; NK-StGB/Frister, 4. Aufl., Nachbemerkungen zu § 2 Rn. 77; SK-StPO/Velten, 4. Aufl., § 261 Rn. 103; Lackner/ Kühl, StGB, 28. Aufl., § 1 Rn. 9; von Heintschel-Heinegg, StGB, 2010, § 1 Rn. 43; anders ders. in BeckOK StGB, § 1 Rn. 43; Baumann/Weber/Mitsch, AT, 11. Aufl., § 10 Rn. 36; Wolter, GA 2013, 271, 274; Schuhr, NStZ 2014, 437; Nüse, GA 1953, 33, 38).
9
c) Es liegt auch kein Verstoß gegen das Analogieverbot oder das Verbot der Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen vor. Der Angeklagte wird nicht wegen des Verstoßes gegen einen aus den in Betracht kommenden Tatbeständen gebildeten außergesetzlichen Gesamttatbestand verurteilt, sondern wegen des Verstoßes gegen einen der in der Urteilsformel angeführten und mit dem Junktor „oder“ verknüpften gesetzlich bestimmten Einzelstraftatbestände (vgl. Wolter, GA 2013, 271, 276; Joerden, Dyadische Fallsysteme im Strafrecht, 1986, S. 119 f.; Günther, Verurteilungen im Strafprozeß trotz subsumtionsrelevanter Tatsachenzweifel, 1976, S. 167 f.; aA Endruweit, Die Wahlfeststellung und die Problematik der Überzeugungsbildung, der Identitätsbestimmung, der Urteilssyllogistik sowie der sozialen und personalen Gleichwertigkeit von Straftaten , 1973, S. 264 ff.; Freund, FS Wolter, 2013, S. 35, 40, 46 ff.; Montenbruck, Wahlfeststellung und Werttypus in Strafrecht und Strafprozeßrecht, 1976, S. 117). Da bei einer ungleichartigen Wahlfeststellung in Bezug auf jede Sachverhaltsalternative sämtliche Voraussetzungen des jeweils in Betracht kom- menden Delikts verwirklicht sein müssen, kommt es auch nicht zu einer „Verschleifung“ oder „Entgrenzung“ von selbstständigen Tatbestandsmerkmalen oder Tatbeständen (vgl. BVerfGE 126, 170, 211 mwN). Den in Betracht kommenden Strafvorschriften wird durch die Wahlfeststellung inhaltlich weder etwas hinzugefügt noch wird eine einschränkende Voraussetzung der Strafbarkeit außer Acht gelassen (Schuhr, NStZ 2014, 437, 438).
10
Zu der Frage, ob eine Verurteilung eindeutig sein muss oder mehrdeutig sein darf, treffen Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB keine Aussage (KMR/ Stuckenberg, StPO, § 261 Rn. 149 [Stand: August 2013]; Wolter, GA 2013, 271, 277 f.; NK-StGB/Frister, aaO, Nachbemerkungen zu § 2 Rn. 77 sowie StV 2014, 584, 585).
11
d) Soweit der Bestimmtheitsgrundsatz neben den Anforderungen an die Voraussetzungen der Strafbarkeit auch verlangt, dass die mögliche Strafe in einem Gesetz hinreichend bestimmt geregelt sein muss, gerät die Wahlfeststellung auch insoweit nicht mit Art. 103 Abs. 2 GG in Konflikt. Wie bereits das Reichsgericht ausgeführt hat, ist bei der gebotenen Ermittlung des mildesten Gesetzes nicht ein abstrakter Strafrahmenvergleich vorzunehmen, sondern der Tatrichter hat auf der Grundlage der jeweiligen Sachverhaltsalternativen jeweils zu erörtern, welche Strafe er für angemessen gehalten hätte, wenn zweifelsfrei die eine oder die andere Handlung nachgewiesen wäre (RGSt 69, 369, 374).
12
e) Dementsprechend hat auch das Reichsgericht, das die Wahlfeststellung nur in engen Grenzen für zulässig erachtet hat, seine restriktive Haltung nicht mit einem Verstoß gegen das auch zum Zeitpunkt seiner Entscheidungen geltende Bestimmtheitsgebot (§ 2 Satz 1 RStGB) begründet (vgl. RGSt 68, 257; 57, 174; 56, 35 f.; 55, 228; 55, 44; 53, 231; 23, 47; 11, 103 f.). Gleiches gilt für die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 1956 – GSSt 2/56, BGHSt 9, 390; Urteile vom 16. April 1953 – 4 StR 377/52, BGHSt 4, 128; vom 2. Oktober 1951 – 1 StR 353/51, BGHSt 1, 327; und vom 19. April 1951 – 3 StR 165/51, BGHSt 1, 127). Soweit ersichtlich, wird vom Reichsgericht lediglich in der Entscheidung vom 1. Juli 1869 (RGSt 22, 213, 216) der „Grundsatz nullum crimen sine lege“ auch nur erwähnt.
13
3. Da somit die Garantien des Art. 103 Abs. 2 GG durch die Wahlfeststellung nicht berührt werden, kann letztlich dahinstehen, ob es sich bei den Grundsätzen der Wahlfeststellung um eine prozessuale Entscheidungsregel (als Ausnahme zu dem Grundsatz in dubio pro reo) handelt, auf die Art. 103 Abs. 2 GG schon grundsätzlich keine Anwendung findet.

II.


14
Eine Verurteilung aufgrund wahldeutiger Tatsachengrundlage ist – sofern die alternativ in Betracht kommenden Tatbestände rechtsethisch und psychologisch gleichwertig sind – auch im Übrigen unbedenklich.
15
Der Umstand, dass dem Verurteilten bei einer mehrdeutigen Verurteilung in der Urteilsformel immer auch die Erfüllung eines Tatbestandes als möglich angelastet wird, den er tatsächlich nicht verwirklicht hat (vgl. RG – Vereinigte Strafsenate –, Beschluss vom 2. Mai 1934 – 1 D 1096/33, RGSt 68, 257, 261; BGH, Urteil vom 2. Oktober 1951 – 1 StR 353/51, BGHSt 1, 327, 328; Günther, aaO, S. 112 ff., 185), führt nicht zu deren Unzulässigkeit. Da nach den bisher geltenden Grundsätzen zur ungleichartigen Wahlfeststellung eine solche Verurteilung nur erfolgen kann, wenn den mehreren möglicherweise verwirklichten Delikten im allgemeinen Rechtsempfinden eine gleiche oder zumindest ähnliche rechtsethische Bewertung zukommt und eine vergleichbare psychologische Beziehung des Täters zu den mehreren in Frage kommenden Sachverhalten besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 1956 – GSSt 2/56, BGHSt 9, 391, 394; Urteil vom 11. November 1966 – 4 StR 387/66, BGHSt 21, 152, 153), wird die mit der alternativen Aufzählung mehrerer Delikte in der Urteilsformel verbundene Belastung für den Verurteilten auf ein Maß begrenzt, das zur Vermeidung lebensfremder und der Gerechtigkeit widersprechender Ergebnisse (Freispruch trotz zweifelsfreier Strafbarkeit) hinnehmbar ist (vgl. Günther, aaO, S. 113).

III.


16
Der Zulässigkeit der Wahlfeststellung steht im zugrundeliegenden Fall schließlich auch nicht entgegen, dass eine Verurteilung wegen eines dritten Tatbestandes möglich gewesen wäre, nämlich wegen des formell subsidiären Auffangtatbestands der Unterschlagung gemäß § 246 StGB (vgl. Wolter, Wahlfeststellung und in dubio pro reo, 1987, S. 91; Frister, StV 2014, 584, 586).
17
Zwar hat die Möglichkeit einer eindeutigen Verurteilung wegen eines milderen Gesetzes grundsätzlich Vorrang vor der Anwendung der Grundsätze über die Wahlfeststellung (vgl. BGH, Urteile vom 12. Oktober 1989 – 4 StR 318/89, BGHSt 36, 262, 268; vom 23. März 1993 – 1 StR 21/93, BGHSt 39, 164, 166 f.). Von diesem Grundsatz ist aber dann eine Ausnahme anzuerkennen , wenn – wie im Ausgangsfall – feststeht, dass der Täter in jeder der möglichen Sachverhaltsalternativen über den feststehenden subsidiären Tatbestand hinaus entweder das eine oder das andere schwerer wiegende und konkurrenzdominante Delikt verwirklicht hat (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1954 – 1 StR 631/53, BGHSt 5, 280, 281; Urteil vom 11. Juli 1984 – 2 StR 249/84, NStZ 1984, 506: Wahlfeststellung zwischen [versuchtem] Raub und [versuchter] räuberischer Erpressung – ungeachtet der in jedem Fall verwirklichten [versuchten ] Nötigung; vgl. auch Wolter, Wahlfeststellung und in dubio pro reo, 1987, S. 87, 90 f.). Andernfalls würde der in jeder Alternative feststehende hö- here Schuldgehalt der Tat durch die Verurteilung wegen des subsidiären Delikts nicht ausgeschöpft (KMR/Stuckenberg, StPO, § 261 Rn. 139 [Stand: August 2013]; Wolter, aaO, S. 91).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 202/11
vom
12. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer sexueller Nötigung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Oktober
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte und
Justizangestellte
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 12. Januar 2011 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Kammer des Landgerichts Darmstadt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer sexueller Nötigung in zwei Fällen, jeweils begangen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte wusste, dass eine junge attraktive Frau nicht freiwillig Interesse an ihm zeigen würde und nahm sich deshalb vor, eine Frau zu entführen , um mit ihr an einem abgelegenen Ort sexuelle Handlungen vornehmen zu können.
4
1. Auf der Suche nach einem geeigneten Tatopfer hielt sich der Angeklagte am 26. Juni 2010 gegen 23.15 Uhr auf dem Parkplatz hinter der Stadthalle in G. auf. Er hatte zur Überwindung des erwarteten Widerstandes ein Pfefferspray bei sich, war mit einer blonden Frauenperücke verkleidet und hatte die amtlichen Kennzeichen seines Pkw durch alte, bereits abgemeldete Kennzeichen ersetzt. Der Angeklagte beschloss entsprechend seinem Tatplan die Zeugin B. , die als Bedienung bei einem Abiturball tätig gewesen war, "mit Gewalt in sein Auto zu ziehen, um dann mit ihr an einem abgeschiedenen Ort gegen ihren Willen gewaltsam körperliche Zärtlichkeiten auszutauschen, sie insbesondere nachhaltig - auch mit der Zunge zu küssen, ihren gesamten Körper - einschließlich der Geschlechtsteile - zu streicheln und von ihr gleichsam berührt und geküsst zu werden (`mit ihr zu schmusen`). Gegebenenfalls sollte es dann - allerdings nur auf freiwilliger Basis - auch zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs kommen" (UA 5).
5
Der Angeklagte fuhr mit seinem Pkw langsam an die Zeugin heran, die ihm den Rücken zuwendete. Er stieg aus, öffnete die hintere Fahrzeugtür und näherte sich der Zeugin. Als er sie erreicht hatte, packte er sie von hinten im Schulterbereich und sprühte ihr das Pfefferspray ins Gesicht, traf dabei jedoch auch sich selbst, weil er die Sprayflasche verkehrt hielt. Noch während des Sprühens drückte er die Zeugin auf den Boden und versuchte, sie rückwärts in sein Auto zu ziehen. Da die Zeugin sich jedoch heftig wehrte und laut schrie, wodurch Sicherheitsmitarbeiter der Stadthalle auf das Geschehen aufmerksam wurden, ließ der Angeklagte von ihr ab. Er konnte mit seinem Pkw unerkannt vom Parkplatz fliehen.
6
2. Nach diesem gescheiterten Versuch wollte der Angeklagte sein Vorhaben nunmehr erfolgreich umsetzen. Um nicht entdeckt zu werden, montierte er auf einem Parkplatz die Kennzeichen eines anderen Pkw ab und brachte sie an seinem Fahrzeug an. Außerdem führte er erneut das Pfefferspray sowie Klebeband mit sich, um dieses Mal mögliche Hilfeschreie des Opfers zu unterbinden. In den frühen Morgenstunden des 29. Juni 2010 parkte der Angeklagte, der von der Straße aus die Nebenklägerin beim Joggen wahrgenommen hatte, sein Fahrzeug an einem von der Straße nicht einsehbaren Radweg. Mit dem Pfefferspray und dem Klebeband ausgerüstet lief er der Nebenklägerin entgegen. Als er sich auf gleicher Höhe mit ihr befand, packte er sie, warf sie zu Boden und besprühte sie mit dem Pfefferspray. Da die Nebenklägerin jedoch ihr Gesicht abgewendet hatte, drang das Spray nicht in ihre Augen. Sie konnte sich von dem Angeklagten losreißen und weglaufen, wurde jedoch von ihm nach wenigen Metern wieder eingeholt. Er packte die sich heftig wehrende Nebenklägerin von hinten, zog an ihren Haaren und schlug ihr ins Gesicht. Außerdem forderte er sie auf, ruhig zu bleiben. Die Nebenklägerin rief dennoch laut um Hilfe. Der Versuch des Angeklagten, dies mit dem Klebeband zu unterbinden, misslang aufgrund des Widerstandes der Nebenklägerin. Er konnte sie jedoch erneut zu Boden reißen, wo er weiter auf sie einschlug. Der Nebenklägerin gelang es dennoch, sich loszureißen und schreiend in Richtung Hauptstraße zu laufen, wo sie auf einen Zeugen traf. Als der Angeklagte dies realisierte, ließ er aus Angst vor Entdeckung von seinem Vorhaben ab und verließ den Tatort mit seinem Pkw.

II.

7
Der Angeklagte hat das äußere Tatgeschehen eingeräumt und sich dahingehend geäußert, er habe mit der Geschädigten nur "schmusen und sie streicheln und küssen wollen. Eine Vergewaltigung, d.h. den Geschlechtsverkehr gegen den Willen der Geschädigten durchzuführen, habe er nicht vorgehabt. Er hätte jedoch auch nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn es dazu auf freiwilliger Basis gekommen wäre" (UA 8/9).
8
Das Landgericht hat das Tatgeschehen unter Berufung auf diese geständige Einlassung des Angeklagten rechtlich in beiden Fällen als versuchte schwere sexuelle Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewertet. Ein "weitergehendes sexuelles Interesse als das, welches der Angeklagte selbst eingestanden habe", vermochte die Kammer nicht festzustellen. Aus der Tatsituation ergäben sich keine ausreichenden objektiven Anhaltspunkte dafür, dass auch die gewaltsame Durchführung des Geschlechtsverkehrs von seinem Tatwillen umfasst gewesen sei. Ein solcher Rückschluss wäre nach Ansicht der Kammer "rein spekulativ" gewesen und "sei mit dem Grundsatz in dubio pro reo nicht vereinbar". Das Landgericht, das in beiden Fällen von der Verwirklichung des § 177 Abs. 4 StGB ausgegangen ist (UA S. 14, 17), hat im Fall 1 unter Annahme eines minderschweren Falles (§ 177 Abs. 5 StGB) eine Einzelstrafe von einem Jahr und acht Monaten, im Fall 2 bei Anwendung des Normalstrafrahmens eine solche von drei Jahren und 10 Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet.

III.

9
1. Zutreffend weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass das Landgericht , das in beiden ausgeurteilten Fällen rechtlich zutreffend von der Verwirklichung des § 177 Abs. 4 StGB ausgegangen ist, den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer sexueller Nötigung hätte schuldig sprechen müssen.
10
2. Darüber hinaus begegnet das Urteil durchgreifenden rechtlichen Bedenken , soweit das Landgericht eine versuchte besonders schwere Vergewaltigung verneint hat. Die Revision rügt insoweit zu Recht die fehlerhafte Anwendung des Zweifelssatzes bei der Beweiswürdigung des Landgerichts. Der Grundsatz in dubio pro reo ist keine Beweisregel, sondern eine Entscheidungsregel (BGH NStZ-RR 2009, 90). Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anwendbar (BGH NJW 2005, 2322, 2324; MeyerGoßner StPO § 261 Rn. 26 mwN). Er besagt nichts darüber, wie der Tatrichter die Beweise zu würdigen hat, sondern kommt erst bei der abschließenden Gesamtwürdigung zum Tragen (BGH NStZ 2010, 102, 103).
11
Dies hat das Landgericht verkannt. In den Urteilsgründen fehlt es als Grundlage für eine Anwendung des Zweifelssatzes an einer umfassenden Gesamtwürdigung aller Beweisanzeichen, insbesondere an einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit der - zudem nicht durchgängig einheitlichen - Einlassung des Angeklagten sowie mit dem objektiven Tatgeschehen, das nach der Lebenserfahrung in hohem Maße dafür sprach, dass der Angeklagte mit Gewalt auch den Geschlechtsverkehr mit den Geschädigten erzwingen wollte.
12
Darüber hinaus ist die Begründung, mit der die Kammer die entsprechende Einlassung des Angeklagten, zu seinen sexuellen Absichten nicht als Schutzbehauptung wertet, lückenhaft und widersprüchlich. Die Kammer hat in den Feststellungen (UA 5) die Einlassung des Angeklagten übernommen, er habe die Zeugin B. mit Gewalt in sein Auto ziehen wollen, um "gegen ihren Willen gewaltsam" sexuelle Handlungen durchzuführen, ohne sich mit dem Widerspruch auseinanderzusetzen, der darin liegt, dass der Angeklagte die so erzwungenen Handlungen als "körperliche Zärtlichkeiten" und "schmusen" bezeichnet hat.
13
Darüber hinaus findet in den Feststellungen keine erkennbare Stütze, dass es die Kammer mit Rücksicht auf die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten für nachvollziehbar hält, er sei aufgrund "seiner männlichen Ausstrahlung sowie sexuellen Erfahrung und der damit verbundenen positiven Wirkung auf die jeweilige Geschädigte" davon überzeugt gewesen, dass die Geschädigten "nach der anfänglich gewaltsamen Durchführung der sexuellen Handlungen sodann freiwillig zu mehr bereit" (UA 10) sein würden. Diese Überlegung steht zudem im Widerspruch zu der im Urteil wiedergegebenen Einschätzung des Angeklagten und der von ihm selbst angegebenen Motivation für die geplanten Entführungen, junge, attraktive Frauen würden nicht freiwillig ein sexuelles Interesse an ihm zeigen.
14
3. Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Eine denkbare Verschärfung des Schuldspruchs kann sich auch auf den Strafausspruch ausgewirkt haben. Zwar differenziert § 177 Abs. 4 StGB beim Strafrahmen nicht zwischen der besonders schweren sexuellen Nötigung und der besonders schweren Vergewaltigung. Der Senat kann jedoch nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Annahme einer versuchten besonders schweren Vergewaltigung den Unrechtsgehalt der geplanten Taten gravierender und das Geständnis des Angeklagten als weniger gewichtig gewertet hätte. Dies hätte dazu führen können, dass das Landgericht einen - nach den objektiven Tatumständen ohnehin eher fern liegenden - minderschweren Fall im Fall 1 der Urteilsgründe verneint sowie - insbesondere im Fall 1 - höhere Einzelstrafen und eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte.

Fischer Appl Schmitt Krehl Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 576/08
vom
20. Mai 2009
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Mai 2009,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Cierniak,
Prof. Dr. Schmitt,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 15. Juli 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt der Nebenkläger eine Verurteilung wegen versuchten Mordes. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte am Tattag erfahren, dass seine 15-jährige Tochter wiederholt vom Nebenkläger sexuell belästigt worden war. Um ihn zur Rede zu stellen, begab sich der Angeklagte noch am selben Abend zu einer Pizzeria in S. , wo jener als Kellner arbeitete. Als der Nebenkläger nach Schließung der Pizzeria an sein in der Nähe abgestelltes Auto getreten war, ging der Angeklagte mit dem Ausruf "Was machst du mit meiner Tochter?" auf ihn los, wobei er spätestens in diesem Moment den Entschluss fasste, ihn zu töten. Hierzu zog er ein Taschenmesser hervor, das er in einer Jackentasche verborgen gehalten hatte, ließ dessen Klinge blitzschnell aufklappen und führte diese mit erheblicher Wucht zwei Mal mit schneidenden Bewegungen gegen Hals und Gesicht seines Gegenübers. Hierbei äußerte der Angeklagte: "Ich bring dich um". Obgleich lebensgefährlich verletzt, gelang es dem Geschädigten, zurück in die ca. 50 Meter entfernte Pizzeria zu rennen und sich dort vor dem Angeklagten, der ihm noch ein Stück nachsetzte und dabei rief: „Läufst du weg“ und „Bastard“, in Sicherheit zu bringen. Durch eine sofortige Notoperation konnte das Leben des Nebenklägers gerettet werden.
3
Das Landgericht hat das Vorgehen des Angeklagten als heimtückischen Tötungsversuch gewertet, ist aber unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes davon ausgegangen, dass er mit strafbefreiender Wirkung vom Mordversuch zurückgetreten sei und hat ihn deshalb lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Insbesondere weil der Geschädigte noch in der Lage gewesen sei, ohne erkennbare Beeinträchtigungen vom Tatort wegzulaufen, sei nicht auszuschließen, dass der Angeklagte die Lebensgefährlichkeit der von ihm bewirkten Verletzungen nicht erkannt habe. Es liege nicht fern, dass er nach den Messerattacken zu der Auffassung gelangt sei, den Geschädigten genug bestraft zu haben. Zu Gunsten des Angeklagten müsse davon ausgegangen werden , dass er im Moment der Flucht seines Opfers sein Tötungsvorhaben aufgegeben und freiwillig von einer Verfolgung und der von ihm noch für möglich gehaltenen Tatvollendung Abstand genommen habe.
4
2. Die Würdigung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat einen fehlgeschlagenen Versuch rechtsfehlerhaft verneint.
5
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet schon insofern Bedenken , als es bei der Erörterung des fehlgeschlagenen Versuchs einen fortbestehenden Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint hat. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang lediglich die Äußerungen des Angeklagten angesichts der Flucht des Nebenklägers und sein Nachtatverhalten berücksichtigt, nicht aber den Umstand, dass der Angeklagte zunächst die Verfolgung des Nebenklägers aufgenommen hatte, was einen fortbestehenden Tötungsvorsatz nahe legt. Dieser Erörterungsmangel hat sich auf die Verneinung eines fehlgeschlagenen Versuchs auch im Ergebnis ausgewirkt, denn das Landgericht hat auf diesen Gesichtspunkt „entscheidend“ abgestellt.
6
b) Darüber hinaus hat das Landgericht die Reichweite des Zweifelssatzes verkannt. Der Zweifelssatz bedeutet nicht, dass von der dem Angeklagten jeweils (denkbar) günstigsten Fallgestaltung auch dann auszugehen ist, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen (std. Rspr., vgl. BGH StV 2001, 666, 667; NStZ-RR 2003, 166, 168). Unterstellungen zugunsten eines Angeklagten sind vielmehr nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter hierfür reale Anknüpfungspunkte hat (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 243; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 18). Das Landgericht hat festgestellt, dass der Nebenkläger, der jünger und schlanker war als der Angeklagte und trotz der ihm zugefügten Verletzungen noch einige Minuten voll handlungsfähig war, in Todesangst so schnell er konnte losgelaufen war. Danach drängte sich auf, dass der Angeklagte den Nebenkläger auf dem Weg zur Eingangstür der Pizzeria nicht hatte einholen können und deshalb die Verfolgung aufgab. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte bei Aufgabe der Verfolgung noch geglaubt haben könnte, den Nebenkläger einholen zu können, hat das Landgericht nicht festgestellt. Auch für die Annahme, der Angeklagte könne das Gefühl gehabt haben, den Nebenkläger genug bestraft zu haben, ergeben sich aus den festgestellten Tatumständen keine Hinweise. Es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf diesen rechtsfehlerhaften Unterstellungen beruht. Die Sache muss daher neu verhandelt werden. Fischer Roggenbuck Appl Cierniak Schmitt

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 345/12
vom
26. September 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu Ziff. 1. unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
zu Ziff. 2. unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 26. September 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten D. wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 3. Mai 2012, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen. 3. Die Revision des Angeklagten B. gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Der Angeklagte B. hat die Kosten seinesRechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen und wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten, den Angeklagten D. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verur- teilt. Ferner hat es bezüglich des Angeklagten B. den Verfall von Wertersatz in Höhe eines Betrages von 41.450 €, bezüglich des Angeklagten D. in Höhe eines Betrages von 2.010 € angeordnet. Gegen ihre Verurteilung wenden sich die Angeklagten jeweils mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Während die Revision des Angeklagten B. keinen Erfolg hat, führt das Rechtsmittel des Angeklagten D. zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

I.


2
Die Revision des Angeklagten B. ist unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

II.


3
Hingegen hat das Rechtsmittel des Angeklagten D. Erfolg. Die Annahme des Landgerichts von 17 Bewertungseinheiten mittäterschaftlich begangenen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Sinne von § 29 Abs. 1, 3 Nr. 1 BtMG hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine einheitliche Tat des unerlaubten Handeltreibens anzunehmen, wenn ein und derselbe Güterumsatz Gegenstand der strafrechtlichen Bewertung ist (BGH, Beschluss vom 7. Januar 1981 – 2 StR 618/80, BGHSt 30, 28, 31; Senatsurteil vom 23. März 1995 – 4 StR 746/94, BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 4; BGH, Beschluss vom 5. März 2002 – 3 StR 491/01, NJW 2002, 1810). Alle Be- tätigungen, die sich auf den Vertrieb desselben, in einem Akt erworbenen Betäubungsmittels richten, sind als eine Tat des unerlaubten Handeltreibens anzusehen, weil der Erwerb und der Besitz von Betäubungsmitteln, die zum Zwecke gewinnbringender Weiterveräußerung bereitgehalten werden, bereits den Tatbestand des Handeltreibens in Bezug auf die Gesamtmenge erfüllen (BGH, jeweils aaO).
5
2. Gemessen daran hat die Strafkammer zwar, im Ansatz zutreffend, die Bildung von Bewertungseinheiten für die vom Angeklagten durchgeführten Einzelverkäufe in Betracht gezogen, soweit die gehandelten Betäubungsmittel einer einheitlichen, größeren Erwerbsmenge entstammten; die Bildung von 17 Bewertungseinheiten beruht indes auf widersprüchlichen und damit rechtsfehlerhaften Erwägungen.
6
a) Das Landgericht hat seine Feststellungen zu den von dem Angeklagten D. durchgeführten Einzelverkäufen auf dessen "vollumfängliche geständige Einlassung" gestützt. Danach erhielt der Angeklagte von dem Mitangeklagten B. jeweils eine Gesamtmenge von bis zu 50 Bubbles in Größen von 0,1 bis 0,3 Gramm Kokain zum gewinnbringenden Weiterverkauf und wurde für diese Tätigkeit von B. mit 50 bis 60 € pro Tag entlohnt. Eine neue, ähnlich große Teilmenge Kokain erhielt der Angeklagte erst, wenn er die zuvor in Empfang genommene Menge verkauft hatte. Im Regelfall suchte D. den B. zu diesem Zweck täglich auf, die einer Teilmenge zugehörigen Bubbles reichten indes in einigen Fällen auch mehrere Tage aus, weshalb der Angeklagte in seiner Wohnung ein Lager mit einem kleinen Kokainvorrat unterhielt. Dementsprechend trafen sich die beiden Angeklagten zwar in der Regel täglich, mitunter aber auch erst nach zwei bis drei Tagen, um die Verkäufe abzurechnen. Bei der rechtlichen Würdigung ist die Strafkammer hingegen für den Tatzeitraum vom 11. bis zum 27. September 2011 von insgesamt 17, jeweils an einem Tag verkauften Teilmengen ausgegangen. Der Angeklagte D. sei nach seiner eigenen geständigen Einlassung jeweils an vielen Tagen "vollständig ausverkauft" gewesen. Die Bildung mehrere Tage umfassender Bewertungseinheiten sei nicht in Betracht gekommen, da keine Feststellungen zu den Zeitpunkten und dem Umfang der Betäubungsmittel-Auffüllungen mit kleinen Mengen über einen längeren Zeitraum hinaus hätten getroffen werden können, die eine sichere Grundlage für die Bildung von anderen Handlungsabschnitten hätten ergeben können (UA 52).
7
b) Mit dieser Begründung durfte das Landgericht die Bildung von Bewertungseinheiten , welche die Verkäufe des Angeklagten an mehr als einem Tag umfassten, nicht ablehnen. Zwar gebietet es der Zweifelssatz nicht, von einer Tat im Sinne einer Bewertungseinheit auszugehen, wenn lediglich eine nicht näher konkretisierte Möglichkeit besteht, dass mehrere veräußerte Kleinmengen aus einer einheitlich erworbenen Gesamtmenge herrühren; auch eine willkürliche Zusammenfassung kommt nicht in Betracht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 5. März 2002 aaO). Vor dem Hintergrund der ausdrücklich als glaubhaft bewerteten geständigen Einlassung des Angeklagten D. , die das Landgericht seinen Feststellungen in vollem Umfang zugrunde gelegt hat, bestanden im vorliegenden Fall jedoch konkrete Anhaltspunkte, die Anlass boten, der Frage nachzugehen, ob in einigen der festgestellten Fälle das vom Angeklagten an mehreren Tagen gewinnbringend weiterveräußerte Kokain aus einer vom Mitangeklagten B. angelieferten Gesamtmenge stammte. Lassen sich, wie die Urteilsgründe im vorliegenden Fall nahe legen, insoweit genauere Feststellungen mit angemessenem Aufklärungsaufwand nicht treffen, hat der Tatrichter nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine an den Umständen des Falles orientierte Schätzung vorzunehmen. Die von der Recht- sprechung insoweit für die vergleichbare Konstellation von Serientaten entwickelten Grundsätze müssen auch bei der hier gegebenen Situation Anwendung finden, bei der der Gesamtschuldumfang durch die Zahl und die jeweilige Menge der Einzelverkäufe innerhalb eines bestimmten Zeitraums feststeht, ferner konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Einzelverkäufe jeweils größeren Einkaufsmengen entstammen und deshalb aus Rechtsgründen zu Bewertungseinheiten zusammengefasst werden müssen, die genaue Zuordnung bestimmter Verkäufe zu bestimmten Erwerbsmengen jedoch Schwierigkeiten bereitet (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 5. März 2002 aaO mwN). Die vom Landgericht in diesem Zusammenhang in Bezug genommene Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 24. März 1999 – 3 StR 636/98, NStZRR 1999, 218) besagt nichts anderes: Im damaligen Fall war der Tatrichter jedoch rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte jeweils täglich nur die Mengen verkaufte, die er auf Grund einer vorherigen Absprache mit seinem Mittäter von diesem als Gesamtmenge zum Zwecke des Weiterverkaufs an diesem Tag erhalten hatte. So liegt der Fall jedoch hier, wie ausgeführt, gerade nicht.
8
3. Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei Annahme einer geringeren Zahl von Bewertungseinheiten eine niedrigere Gesamtstrafe verhängt worden wäre.

III.


9
Der zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter wird nicht nur die erforderliche Schätzung vor dem Hintergrund der geständigen Angaben des Angeklagten vornehmen, sondern auch über die Frage der Anordnung von Wertersatzverfall neu befinden müssen.
Mutzbauer Cierniak Franke
Quentin Reiter

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer die Hehlerei

1.
gewerbsmäßig oder
2.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub, Diebstahl oder Hehlerei verbunden hat,
begeht.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) (weggefallen)

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 613/12
vom
5. März 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Computerbetruges u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. März 2013 gemäß § 349
Abs. 2, § 464 Abs. 3 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 6. Juli 2012 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Adhäsionsklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung im vorbezeichneten Urteil wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen, weil diese Entscheidung der Sach- und Rechtslage entspricht.
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:

I.


Das Tatgericht hat in den Fällen Nr. 34 bis 61 der Urteilsgründe (C.III.2. und 3.) den Angeklagten ohne Rechtsfehler auf wahldeutiger Grundlage wegen Betruges oder Computerbetruges in 28 Fällen verurteilt. Eine Wahlfeststellung
zwischen § 263 StGB und § 263a StGB ist grundsätzlich zulässig (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2008 - 4 StR 623/07, NStZ 2008, 281, 282 Rn. 4).
Die Voraussetzungen einer wahldeutigen Verurteilung liegen auch in tatsächlicher Hinsicht vor. Dafür kommt es darauf an, dass innerhalb der verfahrensgegenständlichen prozessualen Tat (§ 264 StPO) nach Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten der Sachverhalt nicht in einer solchen Weise aufgeklärt werden kann, die die Feststellung eines bestimmten Straftatbestandes ermöglicht; zugleich muss sicher festgestellt sein, dass der Angeklagte einen von mehreren in Betracht kommenden Tatbeständen verwirklicht hat (Fischer, StGB, 60. Aufl., § 1 Rn. 33 mwN). Andere Möglichkeiten müssen sicher ausgeschlossen sein (BGH, Urteil vom 8. März 2012 - 4 StR 498/11, NStZ 2012, 441, 442 mwN).
Dem hat das Tatgericht entsprochen. Es hat auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung für die genannten Fälle festgestellt, dass Freigaben der Überweisungen von Konten der L. AG (nachfolgend: L. ) auf solche des Angeklagten oder der ihm zurechenbaren E-. , deren Anteilseigner er war, entweder durch ihn selbst unter unbefugter Verwendung der seinen damaligen Vorgesetzten D. und K. persönlich zugewiesenen Passwörter und Dongles oder durch die von ihm über die Existenz den Überweisungen zugrunde liegender Forderungen getäuschten Vorgesetzten erfolgten. Andere Möglichkeiten des Bewirkens der Überweisungen sind nach den Feststellungen ausgeschlossen. Die Revision zeigt mit ihrem Verweis auf die während der Hauptverhandlung mit Beweisantrag aufgestellten Behauptungen über die bei der Abwicklung des Zahlungsverkehrs der geschädigten L. verwendeten Software keinen möglichen Geschehensablauf auf, bei dem weder die Voraussetzungen
des Betruges gegenüber den genannten Vorgesetzten zu Lasten der L. noch des Computerbetruges zu deren Nachteil vorliegen würden. Es ist nicht ersichtlich, dass die fraglichen Überweisungen auf andere Weise als auf den vom Tatgericht wahldeutig zugrunde gelegte Wegen entweder durch den Angeklagten selbst oder durch dessen zuvor von ihm getäuschte Vorgesetze gegenüber der die betroffenen Konten der geschädigten L. führenden C. freigegeben worden sein könnten.

II.


Der Angeklagte ist ungeachtet der Annahme gleichartiger Wahlfeststellung in den Fällen Nr. 34 bis 61 wegen der den Verfahrensgegenstand bildenden prozessualen Tat im Sinne der §§ 155, 264 StPO verurteilt worden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage prozessual zulässig, wenn beide in Frage kommenden Tatalternativen von dem durch Anklage und Eröffnungsbeschluss umgrenzten Verfahrensgegenstand erfasst sind (BGH, Urteil vom 11. März 1999 - 4 StR 526/98, NStZ 1999, 363, 364; siehe auch BGH, Beschluss vom 3. November 1983 - 1 StR 178/83, BGHSt 32, 146). Soweit die Anklage nicht ohnehin bereits beide Tatvarianten aufführt, ist dafür maßgeblich, ob die alternierenden Handlungsvorgänge nach den allgemeinen, für die Beurteilung der prozessualen Tatidentität maßgeblichen tatsächlichen Gegebenheiten wie insbesondere das Tatobjekt, den Tatort und die Tatzeit als von einem einheitlichen Lebensvorgang erfasst bewertet werden können (Stuckenberg in: Löwe/Rosenberg , StPO, 26. Aufl., § 264 Rn. 108; Radtke, in: Radtke/Hohmann, StPO, 2011, § 264 Rn. 56; vgl. auch BGH, Urteil vom 11. März 1999 - 4 StR 526/98, NStZ 1999, 363).
So verhält es sich vorliegend. Der konkrete Anklagesatz der ihrer Umgrenzungsfunktion genügenden Anklageschrift erstreckt sich auf sämtliche in dem Zeitraum zwischen dem 22. April 2008 und dem 24. Januar 2011 durch den Angeklagten veranlassten Überweisungen von zwei näher bezeichneten, bei der C. geführten Konten der L. auf sein Konto bei der B. bzw. auf Konten der E-. bei den La. und Sc. . Die Beschreibung dieser Vorgänge umfasst sowohl durch den Angeklagten selbst als auch über seine von ihm zuvor getäuschten jeweiligen Vorgesetzten bewirkte Überweisungen. Die der Verurteilung zugrunde gelegten Zahlungsvorgänge liegen sämtlich innerhalb des angeklagten Tatzeitraums, betreffen ausschließlich die in der Anklage genannten (natürlichen und juristischen) Personen und beteiligten Finanzinstitute und erfassen allein diejenigen Konten auf Anweisenden- und Empfängerseite, die die Anklageschrift aufführt.

III.

Soweit die Revision hinsichtlich der Entscheidung im Adhäsionsverfahren auf ein angebliches Mitverschulden der Vorgesetzten des Angeklagten abhebt , geht das von vornherein fehl. Wahl Rothfuß Jäger Cirener Radtke

(1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder absetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Die §§ 247 und 248a gelten sinngemäß.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer die Hehlerei

1.
gewerbsmäßig oder
2.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub, Diebstahl oder Hehlerei verbunden hat,
begeht.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) (weggefallen)

5 StR 377/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 27. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbsmäßiger Hehlerei oder Diebstahls u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. November 2012

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. März 2012 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen, jedoch mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO), dass der Angeklagte des Diebstahls in 22 Fällen oder der gewerbsmäßigen Hehlerei in 22 Fällen, in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung, schuldig ist.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e
1
Der Schuldspruch enthält einen sachlich-rechtlichen Mangel, der – wie vom Generalbundesanwalt angeregt – zu berichtigen ist. Zwar hat das Landgericht zutreffend erkannt, dass grundsätzlich die Voraussetzungen der (ungleichartigen ) Wahlfeststellung – in Abgrenzung zur Postpendenzfeststellung – vorliegen, weil nicht sicher feststeht, ob der Angeklagte jeweils die Fahrzeuge von einem anderen – und sei es von seinem Mittäter – erlangt hat; vielmehr kommt auch jeweils ein vom Angeklagten als Alleintäter begangener Diebstahl als der Hehlerei vorangehende Tat in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2000 – 3 StR 500/99, NStZ 2000, 473; vgl. LK-Walter, StGB, 12. Aufl., § 259 Rn. 92). Indes ist eine wahldeutige Verurteilung nur zwischen der gewerbsmäßigen Hehlerei nach § 260 Abs. 1 Nr. 1 StGB und dem (gewerbsmäßigen) Diebstahl nach § 242 Abs. 1, § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB möglich. Das zusätzlich straferhöhende Merkmal der „bandenmäßigen Begehung“ konnte zwar bei der Handlungsalternative der Hehlerei, nicht aber – aufgrund der qualitativ anderen Voraussetzungen des § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB – bei der des Diebstahls festgestellt werden (vgl. BGH aaO).
2
Die Schuldspruchänderung berührt den Strafausspruch nicht, weil das Landgericht aufgrund der wahldeutigen Verurteilung die Strafen ohnehin dem milderen Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Satz 1 StGB bzw. in den Fällen 4, 14 und 22 der Urteilsgründe dem § 267 Abs. 3 Satz 1 StGB entnommen hat.
Basdorf Schaal Schneider Dölp König

(1) In besonders schweren Fällen wird der Diebstahl mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
zur Ausführung der Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält,
2.
eine Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist,
3.
gewerbsmäßig stiehlt,
4.
aus einer Kirche oder einem anderen der Religionsausübung dienenden Gebäude oder Raum eine Sache stiehlt, die dem Gottesdienst gewidmet ist oder der religiösen Verehrung dient,
5.
eine Sache von Bedeutung für Wissenschaft, Kunst oder Geschichte oder für die technische Entwicklung stiehlt, die sich in einer allgemein zugänglichen Sammlung befindet oder öffentlich ausgestellt ist,
6.
stiehlt, indem er die Hilflosigkeit einer anderen Person, einen Unglücksfall oder eine gemeine Gefahr ausnutzt oder
7.
eine Handfeuerwaffe, zu deren Erwerb es nach dem Waffengesetz der Erlaubnis bedarf, ein Maschinengewehr, eine Maschinenpistole, ein voll- oder halbautomatisches Gewehr oder eine Sprengstoff enthaltende Kriegswaffe im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder Sprengstoff stiehlt.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 ist ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer die Hehlerei

1.
gewerbsmäßig oder
2.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub, Diebstahl oder Hehlerei verbunden hat,
begeht.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) (weggefallen)

(1) In besonders schweren Fällen wird der Diebstahl mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
zur Ausführung der Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält,
2.
eine Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist,
3.
gewerbsmäßig stiehlt,
4.
aus einer Kirche oder einem anderen der Religionsausübung dienenden Gebäude oder Raum eine Sache stiehlt, die dem Gottesdienst gewidmet ist oder der religiösen Verehrung dient,
5.
eine Sache von Bedeutung für Wissenschaft, Kunst oder Geschichte oder für die technische Entwicklung stiehlt, die sich in einer allgemein zugänglichen Sammlung befindet oder öffentlich ausgestellt ist,
6.
stiehlt, indem er die Hilflosigkeit einer anderen Person, einen Unglücksfall oder eine gemeine Gefahr ausnutzt oder
7.
eine Handfeuerwaffe, zu deren Erwerb es nach dem Waffengesetz der Erlaubnis bedarf, ein Maschinengewehr, eine Maschinenpistole, ein voll- oder halbautomatisches Gewehr oder eine Sprengstoff enthaltende Kriegswaffe im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder Sprengstoff stiehlt.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 ist ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 53/08
vom
8. Mai 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Mai 2008,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Kolz,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 19. September 2007 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte S. in den Fällen 5 sowie 9 bis 11 der Anklage freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Wohnungseinbruchsdiebstahls in fünf Fällen (Fälle 1 bis 5 der Anklage, vgl. VII. 1. a) bis e) der Urteilsgründe) sowie des wahlweise erhobenen Vorwurfs des Wohnungseinbruchsdiebstahls oder der Hehlerei in drei Fällen (Fälle 9 bis 11 der Anklage nebst Nachtragsanklage, vgl. VII. 1. f) bis i) der Urteilsgründe) freigesprochen. Gegen den Freispruch in den Fällen 5 und 9 bis 11 der Anklage richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit sachlichrechtlichen Beanstandungen. Das Rechtsmittel hat Erfolg, da die Beweiswürdigung des Landgerichts Rechtsfehler aufweist.
2
1. Die Aufgabe, sich auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen zu verschaffen, obliegt allein dem Tatrichter. Seine Beweiswürdigung hat das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen. Es ist ihm verwehrt, sie durch eine eigene zu ersetzen oder sie etwa nur deshalb zu beanstanden, weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung der Beweise näher gelegen hätte. Vermag der Tatrichter vorhandene, wenn auch nur geringe Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten nicht zu überwinden , so kann das Revisionsgericht dies nur auf Rechtsfehler überprüfen, insbesondere darauf, ob die Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, die Beweismittel nicht ausschöpft, Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze aufweist oder ob der Tatrichter überspannte Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13 und Überzeugungsbildung 33; BGH NStZ 2000, 48; BGH wistra 2002, 260, 261). Aus den Urteilsgründen muss sich auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11, 24).
3
2. Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht.
4
a) Für den Freispruch im Fall 5 der Anklage gilt Folgendes: Nach den Feststellungen war der Angeklagte in der Nacht des 31. März 2007 Beifahrer in einem von dem Mitangeklagten B. gesteuerten VW Golf. Sie wurden von einer Polizeistreife gestellt, nachdem der Mitangeklagte einen Wohnungseinbruchsdiebstahl begangen hatte und mit dem Fahrzeug auf dem Rückweg war. Der Angeklagte hat sich gegen den Vorwurf, an dem Wohnungseinbruchsdiebstahl beteiligt gewesen zu sein, mit der Behauptung verteidigt, der Mitangeklag- te habe ihn am Abend zu einer Probefahrt aufgefordert, um zum einen technische Probleme am VW Golf zu überprüfen und zum anderen ein weiteres Fahrzeug , das der Mitangeklagte kaufen wollte, zu besichtigen. Der Mitangeklagte habe in dem Ort V. den Wagen alleine verlassen, er - der Angeklagte - habe ca. 20 Minuten bis gegen 21.43 Uhr in dem VW Golf gewartet, dann sei der Mitangeklagte zurückgekommen und habe mitgeteilt, das zum Kauf in Aussicht genommene Fahrzeug könne heute nicht probegefahren werden. Das Landgericht ist der Auffassung, die Einlassung sei nicht zu widerlegen, weil weitere Beweise oder Indizien nicht zur Verfügung stünden.
5
Dies lässt zum einen besorgen, die Strafkammer habe dem Grundsatz keine Bedeutung geschenkt, dass es der Zweifelssatz nicht gebietet, dem Urteil Behauptungen des Angeklagten zu Grunde zu legen, die zwar nicht durch gegenläufige Beweise zu widerlegen sind, für deren Richtigkeit sich aber andererseits keinerlei Anhaltspunkte im festgestellten Sachverhalt ergeben (st. Rspr.; vgl. BGH NJW 1995, 2300; NStZ 1999, 205; NJW 2002, 1057, 1059; 2002, 2188, 2189; 2003, 2179). Unabhängig hiervon erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts aber jedenfalls als lücken- und damit rechtsfehlerhaft, weil sie sich mit mehreren Besonderheiten und Beweisanzeichen nicht auseinandersetzt , die mit nicht geringem Gewicht für eine Tatbeteiligung des Angeklagten sprechen können und auf deren Erörterung vor der Anwendung des Zweifelssatzes daher aus Rechtsgründen nicht verzichtet werden durfte.
6
Das Landgericht hätte erwägen müssen, dass ein Einbrecher wohl kaum einen Unbeteiligten unter einem Vorwand zum Tatort mitnimmt, ihn dort warten lässt und dann vor seinen Augen mit Diebesbeute zurückkehrt. Zudem sind im Keller der Freundin des Angeklagten in einem diesem zuzuordnenden Bereich zahlreiche Schmuckstücke gefunden worden, die aus der Beute anderer Woh- nungseinbruchsdiebstähle stammten. Weiterhin ist der Angeklagte bereits mehrfach und erheblich wegen Diebstahls im erschwerten Fall verurteilt worden. Hinzu kommt, dass nach den Feststellungen die Beute, ein Münzalbum, Schmuckstücke und Geld, auf der Flucht vor der Polizei aus dem Wagen geworfen worden ist. Das Münzalbum konnte Tage später am Randstreifen einer Autobahnauffahrt, demnach am rechten Straßenrand der Autobahn aufgefunden werden. Es liegt nicht fern, dass die bei hoher Geschwindigkeit vorgenommene Entäußerung der Beute unter Mithilfe des Angeklagten geschehen ist, was ebenfalls auf dessen Mitwirkung schließen ließe. Alle diese Umstände hätten nicht nur isoliert, sondern auch in einer sie alle umfassenden Gesamtwürdigung auf ihre Bedeutung für die Überzeugungsbildung von der Schuld des Angeklagten untersucht werden müssen.
7
b) Für den Freispruch vom Vorwurf dreier weiterer Einbruchsdiebstähle (Fälle 9 bis 11 der Anklage) bzw. entsprechender Hehlereitaten an den aufgefundenen Beutestücken gilt Folgendes: Hier hat sich der Angeklagte mit der Einlassung verteidigt, die Schmuckstücke auf einem Flohmarkt in Unkenntnis ihrer Herkunft erworben zu haben. Diese Einlassung ist nach Auffassung des Landgerichts ebenfalls nicht zu widerlegen.
8
Hier führt bereits die Aufhebung des Urteils im Fall 5 der Anklage zur Aufhebung des Freispruchs, da nicht auszuschließen ist, dass sich das Landgericht bei einer Verurteilung im Fall 5 im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung auch von der Täterschaft des Angeklagten in den Fällen 9 bis 11 überzeugt hätte, insbesondere da das Landgericht diese Fälle nur isoliert betrachtet und dabei ausgeblendet hat, dass mit der Festnahme des Angeklagten am 31. März 2007 im Umfeld eines Einbruchsdiebstahls ein weiteres Beweisanzei- chen für eine strafbare Erlangung der sichergestellten Schmuckstücke vorhanden ist.
9
3. Rein vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass eine Wahlfeststellung nach ständiger Rechtsprechung voraussetzt, dass die mehreren möglichen , einander ausschließenden Verhaltensweisen rechtsethisch und psychologisch gleichartig bzw. gleichwertig sind (vgl. BGHR StGB § 260 Wahlfeststellung 1 m. w. N.). Daher käme nur eine Wahlfeststellung zwischen dem - im Wohnungseinbruchsdiebstahl enthaltenen - einfachen Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB) und Hehlerei, nicht aber zwischen Wohnungseinbruchsdiebstahl und Hehlerei in Betracht.
Becker Pfister Kolz
Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4ARs 12/14
vom
11. September 2014
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei
hier: Anfragebeschluss des 2. Strafsenats vom 28. Januar 2014 – 2 StR 495/12
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. September 2014 gemäß
§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG beschlossen:
Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zur ungleichartigen Wahlfeststellung fest. Danach ist eine wahldeutige Verurteilung wegen (gewerbsmäßigen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei zulässig.

Gründe:


1
Der 2. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden: „1. Die richterrechtlich entwickelte Rechtsfigur der ungleichartigen Wahl- feststellung verstößt gegen Art. 103 Abs. 2 GG.
2. Eine wahldeutige Verurteilung wegen (gewerbsmäßigen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei ist daher unzulässig.“
2
Er hat gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG bei den übrigen Strafsenaten angefragt, ob sie der beabsichtigten Entscheidung zustimmen und entgegenstehende Rechtsprechung aufgeben.
3
Der beabsichtigten Entscheidung des 2. Strafsenats steht Rechtsprechung des 4. Strafsenats entgegen (Beschluss vom 12. Februar 2008 – 4 StR 623/07, NJW 2008, 1394, 1395; Urteile vom 15. Mai 1973 – 4 StR 172/73, BGHSt 25, 182; vom 17. Oktober 1957 – 4 StR 73/57, BGHSt 11, 26, 28 und vom 12. September 1951 – 4 StR 533/51, BGHSt 1, 302, 304; sowie – hinsichtlich der Zulässigkeit der Wahlfeststellung nicht tragend – Urteile vom 21. November 2013 – 4 StR 242/13, NStZ 2014, 172; vom 11. November1966 – 4 StR 387/66, BGHSt 21, 152, 153; Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 92/10, NStZ 2010, 698). Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest.

I.


4
Die Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB.
5
1. Art. 103 Abs. 2 GG enthält – neben dem hier nicht zu erörternden Rückwirkungsverbot – die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände sowie die Rechtsfolgen eines Verstoßes zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 126, 170, 194; 105, 135, 153 f.; 78, 374, 382; 75, 329, 340 f.; st. Rspr.). Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Es geht einerseits um den rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten: Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Andererseits soll sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber selbst über die Strafbarkeit entscheidet. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der rechtsprechenden Gewalt verbietet, Straftatbestände oder Strafen im Wege richterlicher Rechtsfortbildung – etwa durch die Bildung von Analogien oder die Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen – zu begründen oder zu verschärfen (vgl. BVerfGE 130, 1, 43; 126, 170, 197; 71, 108, 115).
6
2. Die Wahlfeststellung berührt keine dieser Garantien.
7
a) Der Umstand, dass bei einer Verurteilung auf der Grundlage einer sog. echten Wahlfeststellung nicht feststeht, welcher der alternativ in Betracht kommenden Straftatbestände verletzt worden ist, ändert nichts daran, dass die maßgeblichen strafbewehrten Verbote für den Normadressaten in Tragweite und Anwendungsbereich erkennbar waren. Das Gesetz verbietet zwei Verhaltensweisen , im Ausgangsfall die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache (§ 242 StGB) und das Sichverschaffen einer Sache, die ein anderer gestohlen hat (§ 259 StGB). Für den Normadressaten ergibt sich deshalb keine Ungewissheit darüber, ob sein Verhalten strafbar ist oder nicht.
8
b) Da ein Angeklagter im Fall einer echten Wahlfeststellung nur verurteilt werden darf, wenn die nach der Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten alternativ in Betracht kommenden Sachverhalte jeweils einen (anderen) Straftatbestand vollständig erfüllen und andere Sachverhaltsalternativen sicher ausscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2013 – 1 StR 613/12, NStZ 2014, 42; LR-StPO/Sander, 26. Aufl., § 261 Rn. 127 mwN), bleibt auch gewährleistet, dass nur der Gesetzgeber über die Strafbarkeit entscheidet (KMR/Stuckenberg, StPO, § 261 Rn. 149 [Stand: August 2013]; NK-StGB/Frister, 4. Aufl., Nachbemerkungen zu § 2 Rn. 77; SK-StPO/Velten, 4. Aufl., § 261 Rn. 103; Lackner/ Kühl, StGB, 28. Aufl., § 1 Rn. 9; von Heintschel-Heinegg, StGB, 2010, § 1 Rn. 43; anders ders. in BeckOK StGB, § 1 Rn. 43; Baumann/Weber/Mitsch, AT, 11. Aufl., § 10 Rn. 36; Wolter, GA 2013, 271, 274; Schuhr, NStZ 2014, 437; Nüse, GA 1953, 33, 38).
9
c) Es liegt auch kein Verstoß gegen das Analogieverbot oder das Verbot der Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen vor. Der Angeklagte wird nicht wegen des Verstoßes gegen einen aus den in Betracht kommenden Tatbeständen gebildeten außergesetzlichen Gesamttatbestand verurteilt, sondern wegen des Verstoßes gegen einen der in der Urteilsformel angeführten und mit dem Junktor „oder“ verknüpften gesetzlich bestimmten Einzelstraftatbestände (vgl. Wolter, GA 2013, 271, 276; Joerden, Dyadische Fallsysteme im Strafrecht, 1986, S. 119 f.; Günther, Verurteilungen im Strafprozeß trotz subsumtionsrelevanter Tatsachenzweifel, 1976, S. 167 f.; aA Endruweit, Die Wahlfeststellung und die Problematik der Überzeugungsbildung, der Identitätsbestimmung, der Urteilssyllogistik sowie der sozialen und personalen Gleichwertigkeit von Straftaten , 1973, S. 264 ff.; Freund, FS Wolter, 2013, S. 35, 40, 46 ff.; Montenbruck, Wahlfeststellung und Werttypus in Strafrecht und Strafprozeßrecht, 1976, S. 117). Da bei einer ungleichartigen Wahlfeststellung in Bezug auf jede Sachverhaltsalternative sämtliche Voraussetzungen des jeweils in Betracht kom- menden Delikts verwirklicht sein müssen, kommt es auch nicht zu einer „Verschleifung“ oder „Entgrenzung“ von selbstständigen Tatbestandsmerkmalen oder Tatbeständen (vgl. BVerfGE 126, 170, 211 mwN). Den in Betracht kommenden Strafvorschriften wird durch die Wahlfeststellung inhaltlich weder etwas hinzugefügt noch wird eine einschränkende Voraussetzung der Strafbarkeit außer Acht gelassen (Schuhr, NStZ 2014, 437, 438).
10
Zu der Frage, ob eine Verurteilung eindeutig sein muss oder mehrdeutig sein darf, treffen Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB keine Aussage (KMR/ Stuckenberg, StPO, § 261 Rn. 149 [Stand: August 2013]; Wolter, GA 2013, 271, 277 f.; NK-StGB/Frister, aaO, Nachbemerkungen zu § 2 Rn. 77 sowie StV 2014, 584, 585).
11
d) Soweit der Bestimmtheitsgrundsatz neben den Anforderungen an die Voraussetzungen der Strafbarkeit auch verlangt, dass die mögliche Strafe in einem Gesetz hinreichend bestimmt geregelt sein muss, gerät die Wahlfeststellung auch insoweit nicht mit Art. 103 Abs. 2 GG in Konflikt. Wie bereits das Reichsgericht ausgeführt hat, ist bei der gebotenen Ermittlung des mildesten Gesetzes nicht ein abstrakter Strafrahmenvergleich vorzunehmen, sondern der Tatrichter hat auf der Grundlage der jeweiligen Sachverhaltsalternativen jeweils zu erörtern, welche Strafe er für angemessen gehalten hätte, wenn zweifelsfrei die eine oder die andere Handlung nachgewiesen wäre (RGSt 69, 369, 374).
12
e) Dementsprechend hat auch das Reichsgericht, das die Wahlfeststellung nur in engen Grenzen für zulässig erachtet hat, seine restriktive Haltung nicht mit einem Verstoß gegen das auch zum Zeitpunkt seiner Entscheidungen geltende Bestimmtheitsgebot (§ 2 Satz 1 RStGB) begründet (vgl. RGSt 68, 257; 57, 174; 56, 35 f.; 55, 228; 55, 44; 53, 231; 23, 47; 11, 103 f.). Gleiches gilt für die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 1956 – GSSt 2/56, BGHSt 9, 390; Urteile vom 16. April 1953 – 4 StR 377/52, BGHSt 4, 128; vom 2. Oktober 1951 – 1 StR 353/51, BGHSt 1, 327; und vom 19. April 1951 – 3 StR 165/51, BGHSt 1, 127). Soweit ersichtlich, wird vom Reichsgericht lediglich in der Entscheidung vom 1. Juli 1869 (RGSt 22, 213, 216) der „Grundsatz nullum crimen sine lege“ auch nur erwähnt.
13
3. Da somit die Garantien des Art. 103 Abs. 2 GG durch die Wahlfeststellung nicht berührt werden, kann letztlich dahinstehen, ob es sich bei den Grundsätzen der Wahlfeststellung um eine prozessuale Entscheidungsregel (als Ausnahme zu dem Grundsatz in dubio pro reo) handelt, auf die Art. 103 Abs. 2 GG schon grundsätzlich keine Anwendung findet.

II.


14
Eine Verurteilung aufgrund wahldeutiger Tatsachengrundlage ist – sofern die alternativ in Betracht kommenden Tatbestände rechtsethisch und psychologisch gleichwertig sind – auch im Übrigen unbedenklich.
15
Der Umstand, dass dem Verurteilten bei einer mehrdeutigen Verurteilung in der Urteilsformel immer auch die Erfüllung eines Tatbestandes als möglich angelastet wird, den er tatsächlich nicht verwirklicht hat (vgl. RG – Vereinigte Strafsenate –, Beschluss vom 2. Mai 1934 – 1 D 1096/33, RGSt 68, 257, 261; BGH, Urteil vom 2. Oktober 1951 – 1 StR 353/51, BGHSt 1, 327, 328; Günther, aaO, S. 112 ff., 185), führt nicht zu deren Unzulässigkeit. Da nach den bisher geltenden Grundsätzen zur ungleichartigen Wahlfeststellung eine solche Verurteilung nur erfolgen kann, wenn den mehreren möglicherweise verwirklichten Delikten im allgemeinen Rechtsempfinden eine gleiche oder zumindest ähnliche rechtsethische Bewertung zukommt und eine vergleichbare psychologische Beziehung des Täters zu den mehreren in Frage kommenden Sachverhalten besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 1956 – GSSt 2/56, BGHSt 9, 391, 394; Urteil vom 11. November 1966 – 4 StR 387/66, BGHSt 21, 152, 153), wird die mit der alternativen Aufzählung mehrerer Delikte in der Urteilsformel verbundene Belastung für den Verurteilten auf ein Maß begrenzt, das zur Vermeidung lebensfremder und der Gerechtigkeit widersprechender Ergebnisse (Freispruch trotz zweifelsfreier Strafbarkeit) hinnehmbar ist (vgl. Günther, aaO, S. 113).

III.


16
Der Zulässigkeit der Wahlfeststellung steht im zugrundeliegenden Fall schließlich auch nicht entgegen, dass eine Verurteilung wegen eines dritten Tatbestandes möglich gewesen wäre, nämlich wegen des formell subsidiären Auffangtatbestands der Unterschlagung gemäß § 246 StGB (vgl. Wolter, Wahlfeststellung und in dubio pro reo, 1987, S. 91; Frister, StV 2014, 584, 586).
17
Zwar hat die Möglichkeit einer eindeutigen Verurteilung wegen eines milderen Gesetzes grundsätzlich Vorrang vor der Anwendung der Grundsätze über die Wahlfeststellung (vgl. BGH, Urteile vom 12. Oktober 1989 – 4 StR 318/89, BGHSt 36, 262, 268; vom 23. März 1993 – 1 StR 21/93, BGHSt 39, 164, 166 f.). Von diesem Grundsatz ist aber dann eine Ausnahme anzuerkennen , wenn – wie im Ausgangsfall – feststeht, dass der Täter in jeder der möglichen Sachverhaltsalternativen über den feststehenden subsidiären Tatbestand hinaus entweder das eine oder das andere schwerer wiegende und konkurrenzdominante Delikt verwirklicht hat (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1954 – 1 StR 631/53, BGHSt 5, 280, 281; Urteil vom 11. Juli 1984 – 2 StR 249/84, NStZ 1984, 506: Wahlfeststellung zwischen [versuchtem] Raub und [versuchter] räuberischer Erpressung – ungeachtet der in jedem Fall verwirklichten [versuchten ] Nötigung; vgl. auch Wolter, Wahlfeststellung und in dubio pro reo, 1987, S. 87, 90 f.). Andernfalls würde der in jeder Alternative feststehende hö- here Schuldgehalt der Tat durch die Verurteilung wegen des subsidiären Delikts nicht ausgeschöpft (KMR/Stuckenberg, StPO, § 261 Rn. 139 [Stand: August 2013]; Wolter, aaO, S. 91).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 ARs39/14
vom
16. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei
hier: Anfragebeschluss des 2. Strafsenats vom 28. Januar 2014
– 2 StR 495/12 –
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16.Juli 2014 beschlossen:
Auf den Anfragebeschluss des 2. Strafsenats vom 28. Januar 2014 – 2 StR 495/12 – erklärt der Senat, dass er an seiner Rechtsprechung zur ungleichartigen Wahlfeststellung festhält.

Gründe:

1
Die vom Gesetzgeber bewusst der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassene (vgl. BT-Drucks. I/3713 S. 19) höchstrichterlich entwickelte Rechtsfigur der ungleichartigen (gesetzesalternativen) Wahlfeststellung verstößt nach Ansicht des Senats nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG; er sieht im Anfrageverfahren nach § 132 GVG daher keinen Grund zur Änderung seiner Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. November 2012 – 5 StR 377/12).
2
1. Der Grundsatz nulla poena sine lege (Art. 103 Abs. 2 GG) wird nicht berührt oder gar verletzt. Durch die ungleichartige Wahlfeststellung werden weder gesetzliche Tatbestandsvoraussetzungen abgeschwächt, noch wird ein neuer Tatbestand konstruiert. Auch auf wahldeutiger Grundlage erfolgt die Verurteilung nur nach den bei der Begehung der Tat bestehenden Straftatbeständen , den in ihnen enthaltenen Merkmalen und Strafandrohungen (vgl. Nüse, GA 1953, 33, 38).
3
2. Die ungleichartige Wahlfeststellung ist eine prozessuale Entscheidungsregel (vgl. KMR/Stuckenberg, 68. EL, § 261 StPO Rn. 106 und 149; Wolter , GA 2013, 271, 273). Sie wurde ursprünglich von den Vereinigten Strafsena- ten des Reichsgerichts für die Verurteilung von Diebstahl oder Hehlerei entwickelt , wobei diese nach zutreffender eigener Einschätzung ausschließlich in das Verfahrensrecht rechtsschöpferisch eingegriffen haben (vgl. RG – Vereinigte Strafsenate – , Beschluss vom 2. Mai 1934 – 1 D 1096/33, RGSt 68, 257, 262).
4
Sie stellt ihrerseits eine Ausnahme von der Entscheidungsregel „in dubio pro reo“ dar (vgl. dazu BVerfG – Kammer, Beschlüsse vom 17. Juli 2007 – 2 BvR 496/07, NStZ-RR 2007, 381, 382, und vom 26. August 2008 – 2 BvR 553/08) und gelangt erst dann zur Anwendung, wenn nachdieser kei- ne eindeutige Tatsachengrundlage zustande kommt, insbesondere keine eindeutige Verurteilung nach einem sachlogischen (vgl. LR/Sander, 26. Aufl., § 261 Rn. 129; LK/Dannecker, 12. Aufl., Anh. § 1 Rn. 58, 72 f.) oder aber einem normativ-ethischen Stufenverhältnis (vgl. LK/Dannecker, aaO Rn. 60, 91 f.; LR/Sander, aaO, Rn. 133; BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 – 5 StR 464/09, BGHSt 55, 148, 150 f.; kritisch: KMR/Stuckenberg, aaO, Rn. 116) der Geschehensabläufe erfolgen kann. Ein Freispruch aufgrund doppelter Anwendung des Zweifelssatzes nach je unterschiedlicher Blickrichtung wäre in Fällen, in denen ein strafloses Verhalten des Angeklagten sicher ausscheidet („tertium non datur“ ), schlechthin unvereinbar mit unverzichtbaren Geboten der Gerechtigkeit, wonach eine am Gleichheitssatz orientierte, dem Rechtsgüterschutz verpflichtete Ausgestaltung eines effektiven Strafverfahrens zu gewährleisten ist.
5
Der Senat gibt bei dieser Gelegenheit zu erwägen, ob in Fällen der Gesetzesalternativität nicht schon allein die Anwendung des Zweifelssatzes eine eindeutige Verurteilung nach dem im Einzelfall mildesten Gesetz (vgl. dazu RGSt 69, 369, 373) – hier Verurteilung wegen Diebstahls, nicht aber wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei – ermöglichen und so eine Belastung des Angeklagten mit einem alternativen Schuldspruch vermeiden würde (so schon Dreher, MDR 1970, 369, 371; vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 – 5 StR464/09 aaO S. 152). Hier wäre naheliegend auch die Konkurrenzfrage mit zu bedenken, die sich gerade im Vorlagefall stellen kann.
6
3. Die ungleichartige Wahlfeststellung zieht keine Ungenauigkeiten bei der Strafzumessung nach sich. Dass die Strafe dem mildesten Gesetz zu ent- nehmen ist, führt nicht nur zu einem „quantitativen Strafrahmenvergleich“. Denn welches Gesetz das mildeste ist, wird nicht abstrakt nach der gesetzlichen Strafandrohung entschieden. Anzuwenden ist vielmehr das Gesetz, das nach der Lage des konkreten Falls die mildeste Bestrafung zulässt, wobei zu prüfen ist, auf welche Strafe zu erkennen wäre, wenn die eine oder andere strafbare Handlung eindeutig feststünde (vgl. RGSt 69, 369, 373 f.; 70, 281; BGH, Urteile vom 29. Oktober 1958 – 2 StR 375/58, BGHSt 13, 70, 72, und vom 15. Mai 1973 – 4 StR 172/73, BGHSt 25, 182, 186; LR/Sander, aaO, Rn. 165 mwN; LK/Dannecker, aaO, Rn. 160; SK/Wolter, StGB, 8. Aufl., Anh. zu § 55 Rn. 46). Dazu gehört es auch, die alternativen Tatbilder im Hinblick auf die Person des Angeklagten zu beurteilen (vgl. RGSt 69, 369, 374). Unmögliches oder Unzumutbares wird hierbei vom Tatgericht nicht verlangt.
Basdorf Sander Schneider
Dölp König

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
GSSt 1/07
vom
17. Januar 2008
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
Ist der Abschluss eines Strafverfahrens rechtsstaatswidrig derart verzögert
worden, dass dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unter
näherer Bestimmung des Ausmaßes berücksichtigt werden muss, so ist anstelle
der bisher gewährten Strafminderung in der Urteilsformel auszusprechen,
dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil
der verhängten Strafe als vollstreckt gilt.
BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07 - Landgericht Oldenburg
wegen besonders schwerer Brandstiftung u. a.
Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat durch den Präsidenten
des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, die Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan, den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof
Basdorf, die Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Dr. Miebach,
Dr. Wahl, Dr. Bode, Prof. Dr. Kuckein, die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Gerhardt sowie die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Kolz und Becker am
17. Januar 2008 beschlossen:
Ist der Abschluss eines Strafverfahrens rechtsstaatswidrig derart verzögert worden, dass dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unter näherer Bestimmung des Ausmaßes berücksichtigt werden muss, so ist anstelle der bisher gewährten Strafminderung in der Urteilsformel auszusprechen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt.

Gründe:


I.

1
Die Vorlage des 3. Strafsenats betrifft die Frage, in welcher Weise es im Rechtsfolgenausspruch zu berücksichtigen ist, wenn Strafverfolgungsbehörden das Verfahren gegen den Angeklagten in rechtsstaatswidriger Weise verzögert haben.
2
1. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Strafsache gegen F. (3 StR 50/07) über die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Re- vision der Staatsanwaltschaft zu entscheiden. Mit ihrem Rechtsmittel beanstandet es die Revisionsführerin als sachlichrechtlichen Mangel, dass das Landgericht zum Ausgleich für eine von ihm zu verantwortende Verzögerung des Verfahrens gegen den Angeklagten auf eine Strafe erkannt hat, die das gesetzliche Mindestmaß unterschreitet.
3
Der Angeklagte hatte einen im Eigentum seiner Mutter stehenden, aber maßgeblich von ihm geleiteten Landgasthof in Brand gesetzt, um Leistungen aus der von seiner Mutter für den Betrieb abgeschlossenen Gebäude-, Inventar - und Ertragsausfallversicherung zu erlangen. Er hatte den Schadensfall der Versicherung gemeldet, diese hatte jedoch keine Zahlungen geleistet.
4
Wegen dieses Sachverhalts hat das Landgericht Oldenburg den Angeklagten der besonders schweren Brandstiftung (§ 306 b Abs. 2 Nr. 2 StGB) und des versuchten Betruges (§ 263 Abs. 1 und 2, §§ 22, 23 StGB) schuldig gesprochen und auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren erkannt. Im Rahmen des Rechtsfolgenausspruchs hat das Landgericht zunächst festgestellt, dass das Verfahren in einer mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbarenden Weise verzögert worden sei, weil zwischen dem Eingang der Anklageschrift am 5. Oktober 2004 und dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses am 24. Mai 2006 ein unvertretbar langer Zeitraum gelegen habe. Es hat sodann dargelegt, dass ohne Berücksichtigung dieser Verfahrensverzögerung zur Ahndung der besonders schweren Brandstiftung die in § 306 b Abs. 2 StGB vorgesehene Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe angemessen sei. Da § 306 b StGB keinen Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle vorsehe, sei ein Ausgleich für die Verfahrensverzögerung innerhalb des gesetzlich eröffneten Strafrahmens nicht möglich. Daher sei, um dem Angeklagten die verfassungsrechtlich gebotene Kompensation für die Verletzung des Beschleunigungsgebots zu gewähren, eine Strafrahmenverschiebung in entsprechender Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen. Das Landgericht hat demgemäß den Strafrahmen des § 306 b Abs. 2 StGB nach den Maßstäben des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1, Nr. 3 StGB gemildert und sodann zur Kompensation der Verfahrensverzögerung statt der an sich verwirkten Einzelfreiheitsstrafe von fünf Jahren eine solche von drei Jahren und zehn Monaten festgesetzt.
5
Für den versuchten Betrug hat es an sich eine Freiheitsstrafe von einem Jahr für angemessen erachtet, wegen der überlangen Verfahrensdauer jedoch auf eine solche von sechs Monaten erkannt. Unter Erhöhung der Einsatzstrafe von drei Jahren und zehn Monaten hat es sodann eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verhängt; ohne die jeweiligen Strafabschläge hätte es eine solche von fünf Jahren und sechs Monaten gebildet.
6
2. Diese Strafzumessung hält der 3. Strafsenat für rechtsfehlerhaft. Er beabsichtigt, auf die Revision der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil im gesamten Strafausspruch aufzuheben.
7
a) Hierbei will er es allerdings im Ausgangspunkt nicht beanstanden, dass das Landgericht im Hinblick auf die zwischen der Anklageerhebung und dem Eröffnungsbeschluss verstrichene Zeit einen von der Justiz zu verantwortenden Verstoß gegen das Gebot der Verfahrensbeschleunigung angenommen und die sich hieraus ergebende Verzögerung des Verfahrens - wenn auch nicht ausdrücklich ziffernmäßig, so doch nach dem Gesamtzusammenhang seiner Ausführungen - auf etwa ein Jahr und sechs Monate bemessen hat. Auch sieht er keinen Verstoß gegen Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung dadurch begründet, dass das Landgericht als Ausgleich für diese Verfahrensverzögerung die für den versuchten Betrug eigentlich als angemessen erachtete Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr um die Hälfte reduziert und auf sechs Monate festgesetzt hat. Ebensowenig liege ein revisibler Bewertungsfehler des Landge- richts darin, dass dieses für das Brandstiftungsdelikt ohne Berücksichtigung der Verzögerung auf die Mindeststrafe von fünf Jahren erkannt hätte.
8
Als berechtigt erachtet der 3. Strafsenat dagegen die Rüge der Revision, das Landgericht habe zur Gewährleistung eines Ausgleichs für die eingetretene Verfahrensverzögerung nicht das gesetzliche Mindestmaß der für das Brandstiftungsdelikt angedrohten Freiheitsstrafe unterschreiten dürfen. Die vom Landgericht vorgenommene entsprechende Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB hält er für rechtlich nicht zulässig. Er vertritt die Auffassung, die gebotene Kompensation für den Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot sei insoweit vielmehr in entsprechender Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB in der Weise vorzunehmen , dass auf die Mindeststrafe als angemessene Strafe zu erkennen und in der Urteilsformel gleichzeitig auszusprechen sei, dass ein bestimmter Teil der Strafe, der dem gebotenen Ausmaß der Kompensation entspricht, als vollstreckt gilt (Vollstreckungslösung).
9
b) Hinsichtlich der Einzelstrafe für die besonders schwere Brandstiftung in dieser Weise zu entscheiden, sieht sich der 3. Strafsenat weder durch Rechtsprechung anderer Strafsenate des Bundesgerichtshofs noch durch die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts gehindert. Ob es möglich wäre, aus der reduzierten Einzelstrafe für den versuchten Betrug und einer teilweise für vollstreckt erklärten Einzelstrafe für das Brandstiftungsdelikt in stimmiger Weise eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden, hat der 3. Strafsenat offen gelassen. Denn er ist der Auffassung, dass die durch vorliegende Sonderkonstellation aufgeworfenen Rechtsfragen und das von ihm zu deren Lösung befürwortete Modell Anlass zu einer generellen Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung geben. Diese Prüfung ergebe, dass sich die Vollstreckungslösung allgemein stimmiger in das Rechtsfolgensystem des Strafgesetzbuchs einfüge und der an sich angemessenen Strafe die Funktion belasse, die ihr in daran anknüpfenden Folge- regelungen inner- und außerhalb des Strafrechts zukomme. Er möchte daher dieses Modell generell anwenden und demgemäß auch den Einzelstrafausspruch wegen des versuchten Betruges aufheben. Daher beabsichtigt er zu entscheiden: Ist der Abschluss eines Strafverfahrens rechtsstaatswidrig derart verzögert worden, dass dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unter näherer Bestimmung des Ausmaßes berücksichtigt werden muss, so ist der Angeklagte gleichwohl zu der nach § 46 StGB angemessenen Strafe zu verurteilen; zugleich ist in der Urteilsformel auszusprechen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt.
10
Da hiermit eine Abkehr von einer bisher einhelligen Rechtsprechung verbunden wäre, hat er dem Großen Senat für Strafsachen die Rechtsfrage wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Fortbildung des Rechts zur Entscheidung vorgelegt (BGH NJW 2007, 3294).
11
3. Der Generalbundesanwalt hat sich der Rechtsauffassung des vorlegenden Senats angeschlossen.

II.

12
Die Vorlegungsvoraussetzungen gemäß § 132 Abs. 4 GVG sind gegeben.
13
Die vorgelegte Rechtsfrage ist entscheidungserheblich. Die Ansicht des 3. Strafsenats, es sei rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht es für erforderlich erachtet habe, die Verzögerung des Verfahrens zwischen Anklageerhebung und Eröffnungsbeschluss auf der Rechtsfolgenseite zugunsten des Angeklagten auszugleichen, und hierfür hinsichtlich des Brandstiftungsdelikts innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens keine hinreichende Möglichkeit gesehen habe, ist vertretbar. Auf dieser Grundlage hängt die Revisionsentscheidung davon ab, wie die vorgelegte Rechtsfrage zu beantworten ist. Diese hat auch grundsätzliche Bedeutung. Verstöße der Strafverfolgungsorgane gegen das Gebot zügiger Verfahrenserledigung sind in zunehmendem Maße festzustellen ; die Gründe hierfür hat der Große Senat an dieser Stelle nicht zu erörtern. Die Frage, welche Folgen aus derartigen Verstößen zu ziehen sind, ist regelmäßig Gegenstand tatrichterlicher und revisionsgerichtlicher Entscheidungen. Eine einheitliche Handhabung durch entsprechende Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist daher geboten. Vor diesem Hintergrund erstrebt die Vorlage eine Fortbildung des Rechts; denn sie zielt auf die Festlegung neuer Auslegungsgrundsätze, als deren Folge sich ein von der bisherigen Handhabung abweichendes rechtliches Modell für die Kompensation von Verstößen gegen das Beschleunigungsgebot im Rahmen des Rechtsfolgenausspruchs ergäbe.

III.

14
Der Große Senat für Strafsachen beantwortet die ihm unterbreitete Rechtsfrage im Ergebnis im Sinne des Vorlegungsbeschlusses.
15
Zwar führt das bisher in der Rechtsprechung praktizierte Modell, dem Angeklagten als Ausgleich für einen rechtsstaatswidrigen Verstoß gegen das Gebot zügiger Verfahrenserledigung einen bezifferten Abschlag auf die an sich verwirkte Strafe zu gewähren, im Regelfall zu einer Kompensation dieses Verstoßes , die nicht nur mit den Vorgaben des Grundgesetzes und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (MRK), sondern auch mit dem nationalen deutschen Straf- und Strafprozess- recht in Einklang steht. Jedoch stößt dieses Modell in besonders gelagerten Fällen an gesetzliche Grenzen. Wie der vorliegende Fall zeigt, kann die Gewährung der verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Kompensation durch Strafabschlag zu Ergebnissen führen, die den einfachgesetzlichen Rahmen des Strafzumessungsrechts sprengen. Hierdurch wird jedoch die Gesetzesbindung der Gerichte (Art. 20 Abs. 3 GG) berührt, die durch das StGB vorgegebene Grenzen der Strafenfindung zu achten haben. Deren Überschreitung könnte aus übergeordneten rechtlichen Gesichtspunkten nur dann gerechtfertigt werden, wenn keine andere Möglichkeit der Kompensation zur Verfügung stünde , die die Grundsätze des Strafzumessungsrechts des StGB unberührt lässt. Eine solche liegt mit der Vollstreckungslösung indes vor. Der Große Senat hält daher einen Wechsel zu diesem Modell für geboten. Dies gilt auch deshalb, weil diese Form der Entschädigung gemäß den Vorgaben der MRK, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) präzisiert worden sind, im Gegensatz zur bisherigen Verfahrensweise in allen Fällen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung eine Kompensation ermöglicht. Die Vollstreckungslösung genügt auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben.
16
Unabhängig hiervon hat die Vollstreckungslösung gegenüber dem Strafabschlagsmodell weitere Vorzüge, die für die Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen einen Systemwechsel angezeigt erscheinen lassen. Durch die Trennung von Strafzumessung und Entschädigung belässt sie der unrechts- und schuldangemessenen Strafe die ihr in strafrechtlichen und außerstrafrechtlichen Folgebestimmungen beigelegte Funktion. Darüber hinaus vereinfacht sie die Rechtsfolgenbestimmung.
17
Im Einzelnen:
18
1. Weder die Strafprozessordnung noch das Strafgesetzbuch enthalten Regelungen dazu, welche Rechtsfolgen es nach sich zieht, wenn ein Strafverfahren aus Gründen verzögert wird, die im Verantwortungsbereich des Staates liegen. Dies beruht auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers. Nach dessen Auffassung war eine gesetzliche Verankerung des Beschleunigungsgebots in der Strafprozessordnung entbehrlich, weil bereits Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK die Strafverfolgungsorgane hinreichend zu einer zügigen Durchführung von Ermittlungs- und Strafverfahren verpflichte. Der Beschleunigungsgrundsatz sei daher dem deutschen Strafverfahrensrecht auch ohne ausdrückliche Regelung immanent. Das in Art. 20 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip sowie die Pflicht zur Achtung der Menschenwürde ließen es ebenfalls nicht zu, den Beschuldigten länger als unvermeidbar in der Drucksituation des Strafverfahrens zu belassen. Wie der Grundsatz zügiger Verfahrenserledigung inhaltlich näher zu präzisieren sei und welche Folgen an seine Verletzung anzuknüpfen seien, müsse der Klärung durch Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen werden (vgl. den Entwurf der Bundesregierung vom 2. Mai 1973 für das 1. StVRG, BT-Drucks. 7/551 S. 36 f.).
19
Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK hat jede Person ein Recht darauf, dass über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Hinzu tritt Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 MRK, wonach jede Person, die aus Anlass eines gegen sie geführten Strafverfahrens von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist hat; wird dieser Anspruch verletzt, so kann sie verlangen, während des Verfahrens (aus der Haft) entlassen zu werden. Regelungen darüber , welche sonstigen Konsequenzen aus einer Verletzung des Rechts auf Verhandlung und Urteil innerhalb angemessener Frist zu ziehen sind, enthält die MRK nicht. Jedoch bestimmt Art. 13 MRK, dass jede Person, die in ihren in der Konvention anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, das Recht hat, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben , auch wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.
20
2. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof zunächst die Auffassung vertreten, die Verletzung des Anspruchs des Angeklagten aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK auf zügige Durchführung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens begründe zwar kein Verfahrenshindernis, sei jedoch bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Der Spielraum, den das Gesetz insoweit gewähre , reiche aus, um den Belastungen, denen der Angeklagte durch das unangemessen zögerlich geführte Verfahren ausgesetzt gewesen sei, in hinreichender Weise Rechnung zu tragen (BGHSt 24, 239, 242; 27, 274, 275 f.; BGH NStZ 1982, 291, 292 m. w. N.). Dies könne in den gesetzlich vorgesehenen Fällen bis zum Absehen von Strafe, bei Verfahren wegen Vergehen aber auch zur deren Einstellung gemäß § 153 StPO führen; auch ein Gnadenerweis sei in Betracht zu ziehen (BGHSt 24, 239, 242 f.).
21
Danach war es ausreichend, den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK als bestimmenden Strafzumessungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) bei der Abwägung der sonstigen strafmildernden und -schärfenden Aspekte selbständig , auch neben dem schon für sich mildernden Umstand eines langen Zeitraums zwischen Tat und Urteil, zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 1983, 167; 1986, 217, 218; 1987, 232 f.; 1988, 552; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 2).
22
Diese Grundsätze hat der Bundesgerichtshof später im Hinblick auf die Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts modifiziert.
23
a) Der EGMR hat in seinem Urteil vom 15. Juli 1982 (E. ./. Bundesrepublik Deutschland - EuGRZ 1983, 371 ff. m. Anm. Kühne) in zwei gegen die dortigen Beschwerdeführer durchgeführten Strafverfahren eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden festgestellt. Hieran anknüpfend hat er es in dem einen der beanstandeten Verfahren nicht als hinreichenden Ausgleich zugunsten der Beschwerdeführer erachtet , dass diesen die Verzögerungen bei der Strafzumessung des landgerichtlichen Urteils ausdrücklich strafmildernd zugute gehalten worden waren; dies sei nicht geeignet, den Beschwerdeführern ihre Opfereigenschaft im Sinne des Art. 25 MRK aF (= Art. 34 MRK nF) zu nehmen, da das Urteil keine hinreichenden Hinweise enthalte, die eine Überprüfung der Berücksichtigung der Verfahrensdauer unter dem Gesichtspunkt der Konvention erlaubten (EGMR EuGRZ 1983, 371, 381). In dem anderen Verfahren gelte das Gleiche, soweit dieses schließlich gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei; denn der Einstellungsbeschluss enthalte keinen Hinweis auf eine Berücksichtigung der Verfahrensverzögerungen (aaO S. 382). Zu der Frage, wie die vermissten "Hinweise" hätten ausgestaltet sein müssen und welche inhaltlichen Anforderungen an die den Beschwerdeführern zu gewährende Kompensation zu stellen gewesen wären, um den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK noch im Rahmen des nationalen Rechts auszugleichen, äußert sich die Entscheidung nicht.
24
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verletzt eine von den Justizbehörden zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens den Beschuldigten auch in seinem verfassungsmäßigen Recht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie - wenn sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet - in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Ein Strafverfahren von überlanger Dauer könne den Beschuldigten - insbesondere dann, wenn die Dauer durch vermeidbare Verzögerungen seitens der Justizorgane bedingt sei - zusätzlichen fühlbaren Belastungen aussetzen, die in ihren Auswirkungen der Sanktion selbst gleich kämen. Mit zunehmender Verzögerung des Verfahrens gerieten sie in Widerstreit zu dem aus dem Rechtsstaatsgebot abgeleiteten Grundsatz, dass die Strafe verhältnismäßig sein und in einem gerechten Verhältnis zum Verschulden des Täters stehen müsse (BVerfG - Kammer - NJW 1993, 3254, 3255; 1995, 1277 f.; NStZ 2006, 680, 681 = JR 2007, 251 m. Anm. Gaede; vgl. auch BVerfG - Kammer - NJW 1992, 2472, 2473 für das Ordnungswidrigkeitenverfahren). So, wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allgemein dazu anhalte, in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen, ob die eingesetzten Mittel der Strafverfolgung und der Bestrafung unter Berücksichtigung der davon ausgehenden Grundrechtsbeschränkungen für den Betroffenen noch in einem angemessenen Verhältnis zu dem dadurch erreichbaren Rechtsgüterschutz stehen, verpflichte er im Falle eines mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht in Einklang stehenden überlangen Verfahrens zur Prüfung, ob und mit welchen Mitteln der Staat gegen den Betroffenen (noch) strafrechtlich vorgehen kann (BVerfG - Kammer - NJW 2003, 2225; 2003, 2897; BVerfGK 2, 239, 247; vgl. BVerfG - Kammer - NJW 2005, 3485 zum weiteren Vollzug der Untersuchungshaft).
25
Solange es an einer gesetzlichen Regelung fehle, seien die verfassungsrechtlich gebotenen Konsequenzen zunächst in Anwendung des Straf- und Strafverfahrensrechts zu ziehen. Komme eine angemessene Reaktion auf solche Verfahrensverzögerungen mit vorhandenen prozessualen Mitteln (§§ 153, 153 a, 154, 154 a StPO) nicht in Frage, so sei eine sachgerechte, angemessene Berücksichtigung im Rechtsfolgenausspruch, in den gesetzlich vorgesehenen Fällen möglicherweise durch Absehen von Strafe oder Verwarnung mit Strafvorbehalt, jenseits davon bei der Strafzumessung wie auch gegebenenfalls bei der Strafaussetzung zur Bewährung und bei der Frage der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung regelmäßig verfassungsrechtlich gefordert , aber auch ausreichend (BVerfG - Vorprüfungsausschuss - NJW 1984, 967). Die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung müsse sich bei der Strafzumessung auswirken, wenn sie nicht im Extrembereich zum Vorliegen eines unmittelbar aus dem Rechtsstaatsgebot herzuleitenden Verfahrenshindernisses führe. Dabei liege es schon im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK und dessen Auslegung durch den EGMR nahe, erscheine aber auch mit Blick auf die Bedeutung der vom Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes geforderten Verfahrensbeschleunigung angezeigt, dass die Fachgerichte der Strafgerichtsbarkeit, wenn sie die gebotenen Folgen aus einer Verfahrensverzögerung ziehen, dabei die Verletzung des Beschleunigungsgebots ausdrücklich feststellen und das Ausmaß der Berücksichtigung dieses Umstands näher bestimmen (BVerfG - Vorprüfungsausschuss - NJW 1984, 967; BVerfG - Kammer - 1993, 3254, 3255; 1995, 1277 f.; 2003, 2225 f.; 2003, 2897; BVerfGK 2, 239, 247 f.).
26
Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht dahin präzisiert , dass es nicht genüge, die Verletzung des Beschleunigungsgebots als eigenständigen Strafmilderungsgrund festzustellen und zu berücksichtigen. Vielmehr sei das Ausmaß der vorgenommenen Herabsetzung der Strafe durch Vergleich mit der ohne Berücksichtigung der Verzögerung angemessenen Strafe exakt zu bestimmen (BVerfG - Kammer - NStZ 1997, 591).
27
c) An diese Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts anknüpfend haben die Strafsenate des Bundesgerichtshofs ihre ursprüngliche Spruchpraxis geändert: Ist ein Strafverfahren unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK und rechtsstaatliche Grundsätze durch die Strafverfolgungsorgane verzögert worden, so hat der Tatrichter nach der neueren Rechtsprechung zunächst stets Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursache konkret festzustellen und - falls dies zum Ausgleich der vom Beschuldigten erlittenen Belastungen nicht ausreichend ist und andere rechtliche Folgen (Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen oder wegen eines Verfahrenshindernisses ) nicht in Betracht kommen - in einem zweiten Schritt das Maß der Kompensation durch Vergleich der an sich verwirkten mit der tatsächlich verhängten Strafe ausdrücklich und konkret zu bestimmen (s. etwa BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 7, 12; BGH NJW 1999, 1198, 1199; NStZ-RR 2000, 343; StV 1998, 377; 2002, 598; wistra 1997, 347; 2001, 177; 2002, 420; StraFo 2003, 247). Dies gilt bei der Bildung einer Gesamtstrafe (§ 54 Abs. 1 StGB) nicht nur für diese, sondern auch für alle zugrunde liegenden Einzelstrafen, soweit das Verfahren hinsichtlich der entsprechenden Taten verzögert worden ist (vgl. BGH NStZ 2002, 589). Der Tatrichter hat somit in den Urteilsgründen für jede Einzeltat zwei Strafen auszuweisen, was sich aus Gründen der Klarheit auch für die Gesamtstrafe empfiehlt (vgl. BGH NStZ 2003, 601). In die Urteilsformel ist allein die reduzierte Strafe aufzunehmen. In welchem Umfang sich dabei der Konventionsverstoß auf das Verfahrensergebnis auswirken muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, namentlich auch nach dem - durch die Belastungen des verzögerten Verfahrens geminderten - Maß der Schuld des Angeklagten (vgl. BGHSt 46, 159, 174; s. auch BGH NStZ 1996, 506; 1997, 543, 544; StV 2002, 598).
28
3. An dieser Rechtsprechung wird nicht festgehalten.
29
a) Der Bundesgerichtshof hat im Hinblick auf die Gesetzesbindung der Gerichte (Art. 20 Abs. 3 GG) stets - ausdrücklich oder jedenfalls der Sache nach - daran festgehalten, dass die Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung mit den Mitteln vorzunehmen ist, die das Straf- oder Strafverfahrensrecht dem Rechtsanwender zur Verfügung stellen. So kommt beispielsweise die Verfahrenseinstellung nach §§ 153, 153 a StPO nur in Betracht , wenn sich der Angeklagte keines Verbrechens schuldig gemacht hat (vgl. BGHSt 24, 239, 242). Ebenso ist ein Ausgleich für die Verfahrensverzögerung durch Strafreduzierung, Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) oder Absehen von Strafe (§ 60 StGB) nur in den Grenzen zulässig, die das Strafgesetzbuch insoweit jeweils setzt (s. BGHSt 27, 274 zu § 59 StGB). Von der ge- setzlich vorgeschriebenen Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe kann aus Kompensationsgründen nicht abgesehen werden (BGH NJW 2006, 1529, 1535; ob hiervon in extremen Fällen Ausnahmen denkbar sind, ist dort offen gelassen worden). All dies begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG - Vorprüfungsausschuss - NJW 1984, 967; BVerfG - Kammer - 1993, 3254, 3256; 2003, 2897, 2899; NStZ 2006, 680, 681).
30
In Fällen, in denen eine Kompensation nur durch eine Unterschreitung der gesetzlichen Mindeststrafen möglich wäre, gerät die bisher von der Rechtsprechung angewandte Strafabschlagslösung jedoch an ihre Grenzen und läuft Gefahr, das Rechtsfolgensystem des StGB in Frage zu stellen. Dieser Konflikt zwischen Straf- und Strafprozessrecht auf der einen und verfassungs- sowie konventionsrechtlichen Vorgaben auf der anderen Seite muss in einer Weise aufgelöst werden, welche die Bindung der Gerichte an die einfachgesetzlichen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung so weit wie möglich respektiert. Im Bereich der Strafzumessung bedeutet dies, dass die gesetzliche Untergrenze der angedrohten Strafe nur dann unterschritten werden darf, wenn keine andere Möglichkeit zur Verfügung steht, das vom Angeklagten erlittene Verfahrensunrecht in einer nach den Maßstäben des Grundgesetzes und der MRK hinreichenden Weise auszugleichen.
31
Diese Möglichkeit ist mit dem Vollstreckungsmodell jedoch vorhanden, das seine rechtlichen Grundlagen in den Bestimmungen der MRK und deren Entschädigungsprinzip findet sowie den Rechtsgedanken des § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 2 StGB fruchtbar macht (s. unten). Indem es die Kompensation für die von staatlichen Stellen verursachten Verfahrensverzögerungen in einem gesonderten Schritt nach der eigentlichen Strafzumessung vornimmt, respektiert es im Ausgangspunkt die im Gesetz vorgegebenen Mindeststrafen, die nach der Bewertung des Gesetzgebers auch im denkbar mildesten Fall noch einen angemessenen Schuldausgleich gewährleisten (vgl. Kutzner StV 2002, 277, 278). Gleichzeitig eröffnet es die Möglichkeit, die gebotene Entschädigung des Angeklagten für das von ihm erlittene Verfahrensunrecht dennoch zu leisten. Dies gilt selbst im Falle einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Sollte hier ausnahmsweise eine Kompensation einmal geboten sein (vgl. BGH NJW 2006, 1529, 1535), so könnte sie durch Anrechnung auf die Mindestverbüßungsdauer im Sinne des § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorgenommen werden. Die Vollstreckungslösung erübrigt damit von vornherein Überlegungen, ob für besondere Ausnahmefälle ein Unterschreiten der gesetzlichen Mindeststrafe oder gar ein Absehen von der gesetzlich vorgeschriebenen lebenslangen Freiheitsstrafe (vgl. BGH StV 2002, 598; NJW 2006, 1529, 1535) in Betracht gezogen werden muss, sei es in der Form eines „Härteausgleichs“ (s. für den Fall der nicht - mehr - möglichen Gesamtstrafenbildung BGHSt 31, 102, 104 m. Anm. Loos NStZ 1983, 260; vgl. auch BGHSt 36, 270, 275 f.), sei es durch eine Strafrahmenverschiebung in analoger Anwendung des § 49 Abs. 1 oder 2 StGB (s. Krehl ZIS 2006, 168, 178 f.; StV 2006, 408, 412; Hoffmann-Holland ZIS 2006, 539 f.), wie dies der Bundesgerichtshof in Ausnahmefällen für zulässig erachtet hat, wenn die Verhängung der von § 211 StGB vorgeschriebenen lebenslangen Freiheitsstrafe aus anderen Gründen mit dem Übermaßverbot in Widerstreit gerät (vgl. BGHSt 30, 105).
32
b) Die bisher praktizierte Strafabschlagslösung ist aber auch deshalb durch das Vollstreckungsmodell zu ersetzen, weil dieses sich inhaltlich in vollem Umfang an den Kriterien ausrichtet, die nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Art. 13, 34 MRK für den Ausgleich rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen maßgeblich sind.
33
aa) Die MRK ist durch das Zustimmungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 GG) vom 7. August 1952 (BGBl II 685; ber. 953) unmittelbar geltendes nationales Recht im Range eines einfachen Bundesgesetzes geworden (vgl. etwa BVerfGE 74, 358, 370; 111, 307, 323 f.; BGHSt 45, 321, 329; 46, 178, 186). Ihre Gewährleistungen sind daher durch die deutschen Gerichte wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 323). Hierbei ist auch das Verständnis zu berücksichtigen , das sie in der Rechtsprechung des EGMR gefunden haben. Auf dieser Grundlage ist das nationale Recht unabhängig von dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit der MRK zu interpretieren (vgl. BVerfGE 74, 358, 370; 111, 307, 324).
34
Nach welchen Kriterien, in welcher Weise und in welchem Umfang eine Verletzung des Anspruchs auf zügige Verfahrenserledigung aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zu kompensieren ist, um dem Betroffenen seine Opferstellung im Sinne des Art. 34 MRK zu nehmen und damit den jeweiligen Vertragsstaat vor einer Verurteilung zu bewahren, ist in der MRK nicht geregelt und daher vom EGMR den nationalen Fachgerichten nach Maßgabe der jeweiligen Rechtsordnung zur Entscheidung überlassen worden (vgl. EGMR EuGRZ 1983, 371, 382 m. Anm. Kühne; NJW 2001, 2694, 2700, Zf. 159; Pfeiffer in Festschrift Baumann S. 329, 338; Trurnit/Schroth StraFo 2005, 358, 361). Jedoch hat die Rechtsprechung des EGMR hierzu konkretisierende Maßstäbe entwickelt; ihr lassen sich auch deutliche Hinweise dazu entnehmen, welche Formen der Kompensation im Einzelfall eine hinreichende Wiedergutmachung des Konventionsverstoßes bewirken können.
35
Nach dem Konzept der MRK - in der Auslegung des EGMR - dient die Kompensation für eine konventionswidrige Verfahrensverzögerung allein dem Ausgleich eines durch die Verletzung eines Menschenrechts entstandenen objektiven Verfahrensunrechts (Demko HRRS 2005, 283, 295; Krehl ZIS 2006, 168, 178; StV 2006, 408, 412; vgl. Gaede wistra 2004, 166, 168; JR 2007, 254 f.). Sie ist Wiedergutmachung und soll eine Verurteilung des jeweiligen Vertragsstaates wegen der Verletzung des Rechts aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verhindern (Krehl ZIS 2006, 168, 178; s. auch BGH NStZ 1988, 552). Auf diese Wiedergutmachung hat der Betroffene gemäß Art. 13 MRK Anspruch, wenn die Konventionsverletzung nicht präventiv hat verhindert werden können (vgl. EGMR NJW 2001, 2694, 2698 ff., insbes. Zf. 159; Demko HRRS 2005, 403 ff.; Gaede wistra 2004, 166, 171; JR 2007, 254; Meyer-Ladewig MRK 2. Aufl. Art. 13 Rdn. 10, 22). Ist sie geleistet, so entfällt die Opfereigenschaft des Betroffenen im Sinne des Art. 34 MRK (vgl. EGMR StV 2006, 474, 477 f., Zf. 83). Das Gewicht der Tat und das Maß der Schuld sind dabei als solche weder für die Frage relevant, ob das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert worden ist (zu den maßgeblichen Kriterien in der Rechtsprechung des EGMR s. Kühne StV 2001, 529, 530 f. m. Nachw.; Demko HRRS 2005, 283, 289 ff.), noch spielen diese Umstände für Art und Umfang der zu gewährenden Kompensation eine Rolle (Demko HRRS 2005, 283, 294 f.; Krehl ZIS 2006, 168, 178; StV 2006, 408, 412; vgl. auch Kutzner StV 2002, 277, 283). Diese ist vielmehr allein an der Intensität der Beeinträchtigung des subjektiven Rechts des Betroffenen aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK auszurichten. Durch die Kompensation wird danach eine Art Staatshaftungsanspruch erfüllt, der dem von einem überlangen Strafverfahren betroffenen Angeklagten in gleicher Weise erwachsen kann wie der Partei eines vom Gericht schleppend geführten Zivilprozesses oder einem Bürger , der an einem verzögerten Verwaltungsrechtsstreit beteiligt ist. Dieser Anspruch entsteht auch dann, wenn der Angeklagte freigesprochen wird. Ein unmittelbarer Bezug zu dem vom Angeklagten schuldhaft verwirklichten Unrecht oder sonstigen Strafzumessungskriterien besteht daher nicht.
36
Die Kompensation durch Gewährung eines bezifferten Abschlags auf die an sich verwirkte Strafe knüpft somit nach den Maßstäben der MRK im Ausgangspunkt an ein eher sachfernes Bewertungskriterium an, mag sie auch im Großteil der Fälle dazu führen, dass der gebotene Ausgleich geschaffen wird und damit die Opferstellung des Angeklagten entfällt. Demgegenüber koppelt das Vollstreckungsmodell den Ausgleich für das erlittene Verfahrensunrecht von vornherein von Fragen des Unrechts, der Schuld und der Strafhöhe ab. Damit entspricht es nicht nur den Vorgaben der MRK, sondern es vermeidet gleichzeitig die Komplikationen, die sich für die Strafabschlagslösung aus der Bindung des Gerichts an die gesetzlich vorgegebenen Strafuntergrenzen ergeben (s. oben a).
37
bb) Die Vollstreckungslösung genügt auch den inhaltlichen und formellen Anforderungen, die die Art. 13, 34 MRK an eine hinreichende Kompensation stellen.
38
Nach der Rechtsprechung des EGMR verlangt ein angemessener Ausgleich zumindest die ausdrückliche oder jedenfalls sinngemäße Anerkennung des Konventionsverstoßes. Diese kann je nach den Umständen als Kompensation hinreichen; denn der EGMR hat in etlichen Fällen, in denen erst er selbst den Verstoß eines Mitgliedstaats gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ausdrücklich festgestellt hat, diese Feststellung als Ausgleich genügen lassen und dem Betroffenen keine Geldentschädigung nach Art. 41 MRK für immaterielle Einbußen zugesprochen (vgl. EGMR NJW 1984, 2749, 2751 - Ver-waltungsrechtsstreit; 2001, 213, 214 - Zivilrechtsstreit; StV 2005, 475, 477 m. Anm. Pauly - Strafverfahren ). Dies legt es nahe, dass aus der Sicht des EGMR insoweit - das heißt ohne Berücksichtigung etwaiger materieller Schäden - die Opferstellung des Betroffenen bereits durch die nationalen Gerichte aufgehoben worden wäre, wenn sie die entsprechende Feststellung selbst getroffen hätten.
39
Der EGMR hat weiterhin deutlich gemacht, dass die "innerstaatlichen Behörden" durch eine eindeutige und messbare Minderung der Strafe angemessene Wiedergutmachung leisten können (s. - je m. w. Nachw. - EGMR StV 2006, 474, 479 m. Anm. Pauly; Urteil vom 26. Oktober 2006 - Nr. 65655/01, Zf. 24, juris). Dies gelte auch, soweit eine Verletzung des Art. 5 Abs. 3 MRK auszugleichen sei; jedoch müsse dieser Verstoß gesondert anerkannt werden und zu einer selbständigen messbaren Strafmilderung führen (vgl. EGMR StV 2006, 474, 478 m. Anm. Pauly).
40
Zu Weiterem verhält sich der EGMR nicht näher. Nach den in seinen Entscheidungen entwickelten Maßstäben sind aber auch die in der deutschen Rechtsprechung neben der Strafreduktion in Betracht gezogenen Konsequenzen (Annahme eines Verfahrenshindernisses, Strafaussetzung zur Bewährung, Absehen von Maßregeln der Besserung und Sicherung, völlige oder teilweise Verfahrenseinstellung nach strafprozessualen Opportunitätsgrundsätzen) je nach den Umständen erkennbar als hinreichende Wiedergutmachung tauglich. Notwendig ist lediglich der ausdrückliche Hinweis, dass die jeweilige Maßnahme des materiellen oder prozessualen Rechts gerade zur Kompensation des Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot getroffen worden ist (vgl. zu § 154 StPO: EGMR EuGRZ 1983, 371, 382).
41
Nicht ausgeschlossen ist nach den Vorgaben des EGMR auch eine Wiedergutmachung durch Zahlung einer Geldentschädigung (s. dazu etwa Kühne EuGRZ 1983, 392, 383; Scheffler, Die überlange Dauer von Strafverfahren S. 267 ff.; Wohlers JR 1994, 138, 142 f.; Kraatz JR 2006, 403, 407 ff.). Die Rechtsordnungen anderer Vertragsstaaten der MRK enthalten hierzu ausdrückliche Regelungen (etwa Spanien: s. näher Paeffgen StV 2007, 487, 494; Italien: s. näher Ress in Festschrift Müller-Dietz S. 627, 628; Frankreich: s. Kraatz JR 2006, 2003, 2006). Mit den einschlägigen Vorschriften des französischen Rechts hat der EGMR sich bereits mit Blick auf Art. 13 MRK befasst. Er hat dabei eine derartige Form der Wiedergutmachung nicht generell für unzureichend erachtet. Er hat es vielmehr nur nicht für hinreichend belegt angesehen, dass die Bestimmungen nach ihrer inhaltlichen Ausgestaltung und ihrer konkreten Handhabung in dem zu beurteilenden Fall ein wirksames innerstaatliches Rechtsmittel im Sinne des Art. 13 MRK zur Erlangung einer angemessenen Entschädigung darstellen (Entscheidung vom 26. März 2002, Nr. 48215/99, Zf. 20; s. Kraatz aaO). Das deutsche Recht enthält demgegenüber keine Regelungen , die es den Strafgerichten ermöglichten, eine Geldentschädigung zuzuerkennen. Die Bestimmungen des StrEG können nicht entsprechend herangezogen werden; sie haben abschließenden Charakter. Eine entsprechende Anwendung des § 465 Abs. 2 StPO gäbe keinen ausreichenden Entscheidungsspielraum. Es wäre Sache des Gesetzgebers, eine eindeutige rechtliche Grundlage zu schaffen.
42
Es kann nicht zweifelhaft sein, dass nach den genannten Kriterien auch das Modell, einen angemessenen Teil der Strafe als vollstreckt anzurechnen, den Anforderungen an eine ausreichende Entschädigung gerecht wird. Es zieht neben dem Entschädigungsprinzip der MRK auch den Rechtsgedanken des § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 2 StGB heran; denn ähnlich wie bei der Untersuchungshaft handelt es sich bei den Belastungen, denen der Angeklagte durch die rechtsstaatswidrige Verzögerung des Verfahrens ausgesetzt ist, in erster Linie um immaterielle Nachteile, die allein in der Durchführung des Verfahrens wurzeln. Dies rechtfertigt es, diese Nachteile ähnlich wie die Auswirkungen der Untersuchungshaft durch Anrechnung auf die Strafe auszugleichen (vgl. Kraatz JR 2006, 204, 206; s. auch Theune in LK 12. Aufl. § 46 Rdn. 244; zu § 60 StGB: Jeschek/Weigend, StGB AT 5. Aufl. S. 863; dazu auch Scheffler, Die überlange Dauer von Strafverfahren, S. 224 ff.). Die Kompensation ist jedoch auch nach dem Vollstreckungsmodell bereits im Erkenntnisverfahren vorzu- nehmen. Sie kann nicht den Strafvollstreckungsbehörden überlassen werden; denn da die Entschädigung nicht durch schematische Anrechnung der jeweiligen Verzögerungsdauer auf die Strafe vorzunehmen, sondern aufgrund einer wertenden Betrachtung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu bemessen ist (s. unten IV. 1.), muss sie dem Tatrichter vorbehalten bleiben, dem schon die Feststellung dieser Umstände obliegt (vgl. § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB).
43
4. Neben all dem sprechen weitere gewichtige Gründe für einen Übergang vom Strafabschlags- auf das Vollstreckungsmodell.
44
a) Da die im Wege der Anrechnung vorgenommene Kompensation einen an dem Entschädigungsgedanken orientierten eigenen rechtlichen Weg neben der Strafzumessung im engeren Sinn darstellt, behält die nach den Maßstäben des § 46 StGB zugemessene und im Urteilstenor auszusprechende Strafe die Funktion, die ihr in anderen strafrechtlichen Bestimmungen, aber auch in außerstrafrechtlichen Regelungen zugewiesen ist. So bleibt - wie nach der gesetzlichen Konzeption des StGB vorgesehen - die dem Unrecht und der Schuld angemessene und nicht eine aus Entschädigungsgründen reduzierte Strafe maßgeblich etwa für die Fragen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 56 Abs. 1 bis 3 StGB), ob die formellen Voraussetzungen für die Verhängung der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 1 bis 3 StGB), deren Vorbehalt (§ 66 a Abs. 1 StGB) oder deren nachträgliche Anordnung (§ 66 b StGB) erfüllt sind, ob der Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts eintritt (§ 45 StGB), ob Führungsaufsicht angeordnet werden kann (§ 68 Abs. 1 StGB), ob Verwarnung mit Strafvorbehalt in Betracht kommt (§ 59 Abs. 1 StGB) oder ob von Strafe abgesehen werden kann (§ 60 StGB) und wann Vollstreckungsverjährung eintritt (§ 79 StGB). Darüber hinaus behält sie die Bedeutung, die ihr in beamtenrechtlichen (§ 24 BRRG; für Richter s. § 24 DRiG) und ausländerrechtlichen (§§ 53, 54 AufenthG) Folgeregelungen beigelegt wird, sowie auch für die Tilgungsfristen nach dem BZRG (s. etwa § 46 BZRG) oder die Eintragungsvoraussetzungen in das Gewerbezentralregister (§ 149 Abs. 2 Nr. 4 GewO).
45
Hierdurch wird der überlangen Verfahrensdauer andererseits jedoch nicht ihre Bedeutung als Strafzumessungsgrund genommen. Sie bleibt als solcher zunächst bedeutsam deswegen, weil allein schon durch einen besonders langen Zeitraum, der zwischen der Tat und dem Urteil liegt, das Strafbedürfnis allgemein abnimmt. Sie behält - unbeschadet der insoweit zutreffenden dogmatischen Einordnung (zum Meinungsstreit s. Paeffgen StV 2007, 487, 490 Fn. 27) - ihre Relevanz aber gerade auch wegen der konkreten Belastungen, die für den Angeklagten mit dem gegen ihn geführten Verfahren verbunden sind und die sich generell um so stärker mildernd auswirken, je mehr Zeit zwischen dem Zeitpunkt, in dem er von den gegen ihn laufenden Ermittlungen erfährt, und dem Verfahrensabschluss verstreicht; diese sind bei der Straffindung unabhängig davon zu berücksichtigen, ob die Verfahrensdauer durch eine rechtsstaatswidrige Verzögerung mitbedingt ist (vgl. BGH NJW 1999, 1198; NStZ 1988, 552; 1992, 229, 230; NStZ-RR 1998, 108). Lediglich der hiermit zwar faktisch eng verschränkte, rechtlich jedoch gesondert zu bewertende und zu entschädigende Gesichtspunkt, dass eine überlange Verfahrensdauer (teilweise) auf einem konventions- und rechtsstaatswidrigen Verhalten der Strafverfolgungsbehörden beruht, wird aus dem Vorgang der Strafzumessung, dem er wesensfremd ist, herausgelöst und durch die bezifferte Anrechnung auf die im Sinne des § 46 StGB angemessene Strafe gesondert ausgeglichen.
46
b) Durch den Übergang zur Vollstreckungslösung wird die Strafenbildung von der Notwendigkeit befreit, einen einzelnen Zumessungsaspekt in mathematisierender Weise durch bezifferten Strafabschlag - gegebenenfalls gesondert für Einzelstrafen und Gesamtstrafe - auszuweisen. Gerade diese rechnerische Vorgehensweise ist zu Recht kritisiert worden (Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 443; ders. in Festschrift Tondorf S. 351, 357 f.; s. auch Gaede JR 2007, 254, 256). Selbst in Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ist sie als Fremdkörper in der Strafzumessung (BGH NStZ-RR 2006, 201, 202) sowie systemwidrig (BGH NStZ 2005, 465, 466) bezeichnet und es ist für wünschenswert erachtet worden, diese - ansonsten als rechtlich verfehlt erachtete (BGH NStZ-RR 1999, 101, 102; 2000, 43; 2006, 270, 271; NStZ 2007, 28) - Mathematisierung der Strafenfindung zu überdenken (BGH, Beschl. v. 23. Juni 2006 - 1 ARs 5/04; BGH wistra 2004, 470).
47
Zwar kann die durch Anrechung vorgenommene Kompensation den Rechtsfolgenausspruch - schon wegen der entsprechenden Vorgaben des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts - nicht von jeder Mathematisierung freihalten. Jedoch verlagert sie durch ihre Anlehnung an § 51 StGB die Bezifferung der Entschädigung zumindest in einen Bereich, der schon nach der gesetzlichen Konzeption derartigen Berechnungen offen steht und in diesem Rahmen auch eine zahlenmäßige Bewertung verfahrensbedingt erlittener Nachteile kennt (vgl. § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB). Die eigentliche Strafzumessung wird demgegenüber nicht mehr mit ihr wesensfremden Anforderungen belastet. Dies ist insbesondere auch deswegen bedeutsam, weil es nach der neueren Rechtsprechung des EGMR (StV 2006, 474, 478 m. Anm. Pauly) notwendig werden kann, künftig den durch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bewirkten Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 MRK neben demjenigen gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK gesondert zu kompensieren; dies würde nach dem Strafabschlagsmodell in letzter Konsequenz dazu führen, dass die Strafzumessung mit zwei Rechenwerken befrachtet werden müßte, im Falle einer Gesamtstrafenbildung auch noch gesondert für jede Einzelstrafe und - unter Vermeidung einer Doppelkompensation - für die Gesamtstrafe.
48
Demgegenüber knüpft das Vollstreckungsmodell die Kompensation ausschließlich an die - für die Vollstreckung allein relevante - Gesamtstrafe an und vereinfacht hierdurch die Rechtsfolgenentscheidung erheblich.
49
5. Die Kompensation durch Anrechnung steht nicht in Widerspruch zu verfassungsrechtlichen Vorgaben. Allerdings findet sich auch in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Aussage, dass die Belastungen, denen der Angeklagte durch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ausgesetzt ist, den aus der Verwirklichung des Straftatbestandes abzuleitenden Unrechtsgehalt abmilderten, der dem Angeklagten als Tatschuld angelastet werde, und daher „grundsätzlich“ als Strafmilderungsgrund bei der Strafzumessung zu berücksichtigen seien (s. insb. BVerfG - Kammer - NStZ 2006, 680, 681; vgl. auch BVerfGK 2, 239, 247). Dem kann jedoch nicht entnommen werden, dass die nach der Rechtsprechung des EGMR gebotene Entschädigung des Angeklagten nach den Vorgaben des Grundgesetzes ausschließlich in der Form einer - zusätzlichen - bezifferten Strafmilderung zulässig wäre (vgl. dagegen I. Roxin StV 2008, 14, 16). Anliegen des Bundesverfassungsgerichts ist es nicht, eine bestimmte dogmatische Sichtweise des einfachgesetzlichen Rechts über die unrechts- und schuldmildernde Wirkung rechtsstaatswidrig verursachter Verfahrenshärten als verfassungsrechtlich allein zulässige festzuschreiben. Ebensowenig will es ersichtlich ein bestimmtes Modell der konventionsrechtlich geforderten Kompensation zum verfassungsrechtlich allein statthaften erklären. Vielmehr geht es dem Bundesverfassungsgericht, wie sich seinen einschlägigen Entscheidungen deutlich entnehmen lässt, allein um die Beachtung des in der Verfassung verankerten Übermaßverbots. In welcher Form die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs durch die Fachgerichte in Anwendung des Straf- oder Strafprozessrechts gewährleistet wird, ist demgegenüber in der Verfassung nicht vorgegeben. Anders wäre es auch kaum erklärbar, dass das Bundesverfassungs- gericht eine kompensierende Berücksichtigung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung auch bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung oder die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung für möglich erachtet. Wird dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs in der Weise Rechnung getragen, dass die Belastungen, denen der Angeklagte durch das überlange Verfahren ausgesetzt war, zunächst allgemein mildernd in die Strafzumessung einfließen und sodann der besondere Aspekt, dass sie (teilweise) auf rechtsstaatswidrige Verzögerungen seitens der Strafverfolgungsbehörden zurückzuführen sind, im Urteil dadurch Berücksichtigung findet, dass als Entschädigung hierfür ein Teil der Strafe als bereits vollstreckt gilt, so ist damit in gleicher Weise dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot Genüge getan wie durch die bezifferte Reduzierung der Strafe.
50
6. Die Vollstreckungslösung kann nicht nur - sachgerechte - gesetzliche Folgen haben, die sich im Vergleich zur Strafabschlagslösung zum Nachteil des Angeklagten auswirken (s. 4. a), sondern auch solche, die ihm zum Vorteil gereichen ; denn durch die Anrechnung werden bei der Strafzeitberechnung die Halbstrafe und der Zwei-Drittel-Zeitpunkt regelmäßig schneller erreicht, so dass es früher als bisher möglich ist, einen Strafrest zur Bewährung auszusetzen (§ 57 Abs. 1, 2 und 4 StGB). Auch dies ist eine systemgerechte Konsequenz des neuen Modells.
51
Wird die Freiheitsstrafe, die zur Wiedergutmachung teilweise als vollstreckt erklärt wird, von vornherein zur Bewährung ausgesetzt, so ergeben sich keine grundsätzlichen Unterschiede zur bisherigen Rechtslage. Nach beiden Kompensationsmodellen wird die Entschädigung faktisch erst dann wirksam, wenn die Strafe nach einem Bewährungswiderruf vollstreckt werden muss. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzö- gerung neben der Anrechnung auf die Strafe aktuell wirksam auch dadurch auszugleichen, dass im Bewährungsbeschluss ausdrücklich auf Auflagen im Sinne des § 56b Abs. 2 Nr. 2 bis 4 StGB verzichtet wird.
52
Auch sonst ergeben sich durch die Vollstreckungslösung keine bedeutsamen Unterschiede: Kommt nur die Verhängung einer Geldstrafe in Betracht, so ist diese wegen der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht mehr um einen bezifferten Abschlag zu ermäßigen, sondern die schuldangemessene Geldstrafe in der Urteilsformel auszusprechen und zugleich festzusetzen, dass ein bezifferter Teil der zugemessenen Tagessätze als bereits vollstreckt gilt. In Fällen, in denen das gebotene Maß der Kompensation die schuldangemessene (Einzel-)Strafe erreicht oder übersteigt, ist - wie bisher - die Anwendung der §§ 59, 60 StGB oder die (teilweise) Einstellung des Verfahrens nach Opportunitätsgrundsätzen zu erwägen (§§ 153, 153a, 154, 154a StPO); gegebenenfalls ist zu prüfen, ob ein aus der Verfassung abzuleitendes Verfahrenshindernis der Fortsetzung des Verfahrens entgegensteht.
53
Die im Bereich des Jugendstrafrechts bestehenden besonderen Probleme werden durch das Vollstreckungsmodell weder beseitigt noch verstärkt. Während sich bisher die Frage stellte, ob von der aus Erziehungsgründen erforderlichen Strafe zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ein bezifferter Abschlag vorgenommen werden darf (vgl. BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 15), ist nunmehr danach zu fragen, ob es dem Erziehungsgedanken widerstreitet, einen Teil der Strafe als Entschädigung für vollstreckt zu erklären (s. § 52a JGG, ferner § 88 JGG mit größerer Flexibilität für die Reststrafenaussetzung).

IV.

54
Die Strafgerichte haben die erforderliche Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nach dem Vollstreckungsmodell somit an folgenden Grundsätzen auszurichten:
55
1. Wie bisher sind zunächst Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen. Diese Feststellung dient zunächst als Grundlage für die Strafzumessung. Der Tatrichter hat insofern in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Straffestsetzung in den Grenzen des gesetzlich eröffneten Strafrahmens mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es nicht.
56
Hieran anschließend ist zu prüfen, ob vor diesem Hintergrund zur Kompensation die ausdrückliche Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung genügt; ist dies der Fall, so muss diese Feststellung in den Urteilsgründen klar hervortreten. Reicht sie dagegen als Entschädigung nicht aus, so hat das Gericht festzulegen, welcher bezifferte Teil der Strafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt. Allgemeine Kriterien für diese Festlegung lassen sich nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Jedoch muss es stets im Auge behalten werden, wenn die Verfahrensdauer als solche sowie die hiermit verbundenen Belastun- gen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es daher in diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht. Dies schließt es aus, etwa den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen; vielmehr wird sich die Anrechnung häufig auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken haben.
57
In die Urteilsformel ist die nach den Kriterien des § 46 StGB zugemessene Strafe aufzunehmen; gleichzeitig ist dort auszusprechen, welcher bezifferte Teil dieser Strafe als Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer als vollstreckt gilt.
58
2. Stehen mehrere Straftaten des Angeklagten zur Aburteilung an, so ist - wie bisher - zunächst zu prüfen, ob und in welchem Umfang das Verfahren bei der Verfolgung aller dieser Delikte rechtsstaatswidrig verzögert worden ist; gegebenenfalls sind insoweit differenzierte Feststellungen zu treffen und der Abstand zwischen Tatzeitpunkt und Urteil sowie die Belastungen des Angeklagten durch die Verfahrensdauer nur bei einigen der festzusetzenden Einzelstrafen mildernd zu berücksichtigen. Allein auf die durch Zusammenfassung der Einzelstrafen gebildete und in der Urteilsformel ausgesprochene Gesamtstrafe ist die Anrechnung vorzunehmen, indem ein bezifferter Teil hiervon im Wege der Kompensation für vollstreckt erklärt wird; denn allein die Gesamtstrafe ist Grundlage der Vollstreckung.
59
Wird die Gesamtstrafe nachträglich aufgelöst, so hat das Gericht, das unter Einbeziehung der dieser zugrunde liegenden Einzelstrafen eine neue Gesamtstrafe zu bilden hat, auch festzusetzen, welcher bezifferte Teil dieser neuen Gesamtstrafe aus Kompensationsgründen als vollstreckt anzurechnen ist.
Hierdurch darf der, wie rechtskräftig festgestellt, von einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung betroffene Verurteilte nicht nachträglich schlechter gestellt werden (vgl. § 51 Abs. 2 StGB). Dies gilt entsprechend, wenn die Einzelstrafen des ursprünglichen Urteils in mehrere neu zu bildende Gesamtstrafen einzubeziehen sind. Das zur Entscheidung berufene Gericht hat dann festzulegen , in welchem Umfang die neu auszusprechenden Gesamtstrafen anteilig als vollstreckt gelten. Dabei hat es sich daran zu orientieren, in welchem Umfang in die jeweilige neue Gesamtstrafe Einzelstrafen einfließen, die ursprünglich nach einem rechtsstaatswidrig verzögerten Verfahren festgesetzt worden waren. In der Summe dürfen die für vollstreckt erklärten Teile der neuen Gesamtstrafen nicht hinter der ursprünglich ausgesprochenen Anrechnung zurückbleiben. Hirsch Rissing-vanSaan Basdorf Maatz Miebach Wahl Bode Kuckein Gerhardt Kolz Becker

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 429/09
vom
15. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2011 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 31. März 2009 im Strafausspruch aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 31 Fällen und wegen versuchten Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 62 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Angeklagte rügt die Verletzung von § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO, da der Anklagesatz der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Traunstein vom 13. November 2008 nur teilweise verlesen worden sei.
3
Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
4
In der unverändert zugelassenen Anklage wurden dem Angeklagten 93 Fälle des gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande begangenen Betruges bzw. versuchten Betruges jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung zur Last gelegt. Der Angeklagte soll gemeinschaftlich handelnd mit den Mitangeklagten A. und B. sowie weiteren, unbekannt gebliebenen Mittätern verschiedene Personen dadurch betrügerisch geschädigt haben bzw. versucht haben betrügerisch zu schädigen, dass er und seine Mittäter sich unbefugt Kontodaten verschafften und mit diesen gefälschte Überweisungsträger und Zahlungsaufträge erstellten. Diese wurden sodann bei den jeweiligen Banken eingereicht , damit die Banken die in den Überweisungen angeführten Beträge auf Konten des Angeklagten und seiner Mittäter überweisen.
5
Die Anklage gliedert sich in zwei Tatkomplexe. Hinsichtlich des ersten Tatkomplexes wird zunächst die allgemeine Vorgehensweise des Angeklagten und seiner Mittäter geschildert. Insoweit wird dem Angeklagten V. zur Last gelegt, dass ihm und nicht bekannten Mittätern innerhalb der Bandenstruktur „insbesondere die Organisation und Koordination der Fälschungen sowie der Abhebung der Überweisungsbeträge“ oblag. Daran schließt sich die Bezifferung der Gesamtzahl der in diesem Tatkomplex angeklagten Taten und der durch sie verursachte Gesamtschaden bzw. der angestrebte Vermögensvorteil bei den Betrugstaten, die im Versuchsstadium stecken geblieben sind, an. Hinsichtlich sämtlicher anderer Einzelheiten der insgesamt 76 Taten dieses Tatkomplexes wird auf eine 16 Seiten umfassende Tabelle verwiesen, die sich im Wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der Anklageschrift befindet. Hinsichtlich des zweiten Tatkomplexes findet sich im konkreten Anklagesatz auf den Seiten 5 bis 10 der Anklageschrift unmittelbar nach der Schilderung der Vorgehensweise des Angeklagten und seiner Mittäter, die im Wesentlichen der bereits im Tatkomplex 1 erfolgten Schilderung entspricht, die Tabelle mit den die Einzeltaten konkretisierenden Tatdaten. Daran schließt sich der abstrakte Anklagesatz an; sodann folgt das Wesentliche Ergebnis der Ermittlungen.
6
In der Hauptverhandlung wurde vor Verlesung des Anklagesatzes hinsichtlich der Seiten 5 bis 10 der Anklageschrift, die die Tabelle der Einzeldaten der Taten des zweiten Tatkomplexes beinhalteten, das Selbstleseverfahren in entsprechender Anwendung von § 249 Abs. 2 StPO angeordnet. Es wurde festgestellt, dass die Richter, die Schöffen, der Staatsanwalt, die drei Angeklagten und die Verteidiger Ausfertigungen der Anklageschrift zur Verfügung haben, um diese selbst lesen zu können; der Angeklagte V. hatte eine französische Übersetzung der Anklage erhalten. Daran anschließend verlas der Staatsanwalt den ersten Teil des Anklagesatzes, der die Schilderung der allgemeinen Vorgehensweise des Angeklagten und seiner Mittäter in Tatkomplex 1 und 2 umfasste. Sodann wurde die Selbstleseverfügung des Vorsitzenden ausgeführt, hierfür die Hauptverhandlung aber nicht unterbrochen, um den Angeklagten und den Verteidigern zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit zu geben, die Seiten 5 bis 10 der Anklageschrift zu lesen. Es wurde festgestellt, dass die Mitglieder des Gerichts die Seiten 5 bis 10 der Anklageschrift gelesen haben und die übrigen Beteiligten Gelegenheit hatten, vom Wortlaut „der Urkunden“ Kenntnis zu nehmen. Daran anschließend verlas der Staatsanwalt den restlichen Anklagesatz. Nach Feststellung der Anklagezulassung, der Bekanntgabe eines Verteidigerschriftsatzes , der Mitteilung, dass ein Dolmetscher zum Fortsetzungstermin erscheinen würde, und der Belehrung der Angeklagten wurde die Hauptverhandlung für fünfzig Minuten unterbrochen. Nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung erklärte der Verteidiger des Mitangeklagten A. , dass der Vorwurf in der Anklageschrift in vollem Umfang eingeräumt werde. Auf Frage erklärte der Mitangeklagte A. , dass dies auch seiner Einlassung entspreche. Der Verteidiger des Angeklagten V. erklärte zur Sache, dass sein Mandant die Vorwürfe in der Anklage einräumen würde. Er lege aber Wert auf die Feststellung, dass er keine „Chefposition“ inne gehabt habe. In diesem Sinne äußerte sich sodann der Angeklagte V. selbst zur Sache.
7
2. Die Frage, ob der Anklagesatz den Anforderungen des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 StPO genügt, wenn einem Angeklagten eine große Zahl von Vermögensdelikten zur Last gelegt wird, die einem einheitlichen modus operandi folgen, und im Anklagesatz, der allein in der Hauptverhandlung verlesen wird, neben der Schilderung der gleichartigen Tatausführung, die die Merkmale des jeweiligen Straftatbestandes erfüllt, die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie der Gesamtschaden bezeichnet werden und die Einzelheiten der Taten ergänzend in einem anderen, nicht zu verlesenden Teil der Anklageschrift detailliert beschrieben sind, hat der Senat gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG in einem anderweitigen Verfahren - nach Anfrage bei den übrigen Strafsenaten (§ 132 Abs. 3 GVG) - dem Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs zur Entscheidung vorgelegt (BGH, Beschluss vom 24. Februar 2010 - 1 StR 260/09, NJW 2010, 1386).
8
Dieser hat mit Beschluss vom 12. Januar 2011 - GSSt 1/10 - wie folgt entschieden: „In Strafverfahren wegen einer Vielzahl gleichförmiger Taten oder Tateinzelakte, die durch eine gleichartige Begehungsweise gekennzeichnet sind, ist dem Erfordernis der Verlesung des Anklagesatzes i.S.d. § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO Genüge getan, wenn dieser insoweit wörtlich vorgelesen wird, als in ihm die gleichartige Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, beschrieben und die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie bei Vermögensdelikten der Gesamtschaden bestimmt sind. Einer Verlesung der näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der Einzeltaten oder der Einzelakte bedarf es in diesem Fall nicht. “
9
Demnach muss der konkrete Anklagesatz in den einschlägigen Verfahren einerseits die Schilderung der gleichartigen Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, die Bezifferung der Gesamtzahl der Taten, die Bestimmung des Tatzeitraums sowie bei Vermögensdelikten die Bezifferung des Gesamtschadens umfassen. Andererseits ist - nach wie vor - auch die Auflistung der näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der Einzeltaten oder - namentlich in Fällen der Bewertungseinheit oder der uneigentlichen Organisationsdelikte - die Auflistung der Einzelakte der Taten Teil des konkreten Anklagesatzes. Eine Ausgliederung der letztgenannten Auflistungen der Tatdetails in das Wesentliche Ergebnis der Ermittlungen oder an eine andere Stelle der Anklage ist demnach mit § 200 Abs. 1 Satz 1, § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht vereinbar. Auf die Grundlage der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen brauchen diese detaillierten Auflistungen, die regelmäßig in tabellarischer Form die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatorte, die Tatopfer und - bei Vermögensdelikten - die jeweiligen Einzelschäden umfassen und dadurch die Einzeltaten näher individualisieren, jedoch nicht in der Hauptverhandlung verlesen zu werden. Zu verlesen ist lediglich die - regelmäßig in Fließtext abgefasste - allgemeine Schilderung der gleichartigen Tatausführung, in der - quasi als „Quintessenz“ vor die Klammer gezogen - die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands dargelegt werden, die für alle Einzeltaten einheitlich gegeben sind.
10
3. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Rüge eines Verstoßes gegen § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO als unbegründet.
11
a) Dem Angeklagten lag eine Vielzahl von Taten zur Last, die durch eine gleichartige Begehungsweise gekennzeichnet waren. Insoweit waren die Voraussetzungen gegeben, die nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen eine Beschränkung des in der Hauptverhandlung zu verlesenden Anklagesatzes auf die Schilderung der gleichartigen Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, und die Gesamtzahl der Taten , den Tatzeitraum sowie bei Vermögensdelikten den Gesamtschaden, ermöglichten. Der in der Hauptverhandlung verlesene Anklagesatz genügte diesen Anforderungen. Die Mitglieder des Tatgerichts - namentlich die Schöffen - wurden darüber hinaus durch die Aushändigung der Anklageschrift, in der die Einzeltaten aufgelistet waren, informiert.
12
b) Der Umstand, dass hinsichtlich des Tatkomplexes 1 die näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der Einzeltaten in Tabellen enthalten waren, die nicht Teil des Anklagesatzes i.S.v. § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 Abs. 1 StPO, sondern Teil des Wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen waren, stellt keinen Rechtsfehler dar, auf dem das Urteil beruht.
13
aa) Die unvollständige Fassung des Anklagesatzes stellt keinen Rechtsfehler dar, der dazu führen würde, dass die Umgrenzungsfunktion der Anklage nicht gewährleistet wäre. Auch wenn der Anklagesatz lückenhaft ist, erfüllt die Anklage die Umgrenzungsfunktion doch hinreichend, wenn der Angeklagte die einzelnen Tatvorwürfe dem Wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen entnehmen kann (BGH, Urteil vom 28. April 2006 - 2 StR 174/05, NStZ 2006, 649). Dies ist hier der Fall. Anderes behauptet auch die Revision nicht.
14
bb) Aufgrund der oben genannten Gründe waren diese näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der Einzeltaten oder der Einzelakte nicht in der Hauptverhandlung zu verlesen. Die Informationsfunktion, die der Verlesung des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung zukommt, wird daher durch die rechtsfehlerhafte Fassung des Anklagesatzes bereits nicht berührt.

15
cc) Darüber hinaus entfaltet die Anklage ihre Informationsfunktion gegenüber dem Angeklagten und seinem Verteidiger im Wesentlichen dadurch, dass sie vollumfänglich dem Angeschuldigten und seinem Verteidiger alsbald nach Eingang durch den Vorsitzenden des Gerichts mitzuteilen ist (§ 201 Abs. 1 Satz 1 StPO; vgl. BGH [GS], Beschluss vom 12. Januar 2011 - GSSt 1/10 Rn. 25). Auch insoweit wirkt sich die vorliegende Fassung des Anklagesatzes nicht zum Nachteil des Angeklagten aus. Wenngleich die Einzeltaten nicht Gegenstand des Anklagesatzes waren, sondern in Tabellen aufgeführt wurden, die sich an anderer Stelle in der Anklage befanden, wurde der Angeklagte durch die Anklageschrift , die ihm in französischer Übersetzung mitgeteilt wurde und ihm in dieser Form in der Hauptverhandlung vorlag, in ihrer Gesamtheit über die Einzelheiten des Anklagevorwurfs so ausreichend unterrichtet, dass hinreichende Gelegenheit bestand, das Prozessverhalten hierauf einzustellen (vgl. auch BVerfG NStZ 2004, 214).
16
c) Hinsichtlich des 2. Tatkomplexes genügt der konkrete Anklagesatz den Anforderungen an die Fassung des Anklagesatzes. Er enthält einerseits die Schilderung der gleichartigen Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, die Bezifferung der Gesamtzahl der Taten, die Bestimmung des Tatzeitraums und die Bezifferung des Gesamtschadens sowie andererseits die näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der Einzeltaten , die in einer Tabelle zusammengefasst wurden. Ein Rechtsfehler besteht insoweit nicht.
17
Da auch in diesem Tatkomplex dem Angeklagten eine Vielzahl von Taten zur Last lagen, die durch eine gleichartige Begehungsweise gekennzeichnet sind, waren auch insoweit - entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft bei Abfassung des Anklagesatzes - die Voraussetzungen für eine Beschränkung des in der Hauptverhandlung zu verlesenden Anklagesatzes objektiv gegeben ; die Tabellen auf den Seiten 5 bis 10 der Anklageschrift mussten daher nicht verlesen werden.
18
Vor diesem Hintergrund ist der Umstand, dass die Tabellen auf den Seiten 5 bis 10 der Anklageschrift in entsprechender Anwendung des § 249 Abs. 2 StPO im Selbstleseverfahren eingeführt wurden oder aber eingeführt werden sollten, unschädlich. Zwar sind die Regelungen über das Selbstleseverfahren auf die Verlesung des Anklagesatzes nicht übertragbar (BGH [GS], Beschluss vom 12. Januar 2011 - GSSt 1/10, Rn. 17). Wird aber anstelle der nach den vorgenannten Grundsätzen ohnehin nicht erforderlichen Verlesung dieses Teiles des Anklagesatzes insoweit - wie hier - ein Selbstleseverfahren durchgeführt , erweist sich dies regelmäßig nicht als Rechtsfehler, auf dem das Urteil beruht. Umstände, die vorliegend ein anderes Ergebnis begründen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Namentlich ist eine Beschränkung von Verteidigungsmöglichkeiten des verteidigten Angeklagten durch die bei den beiden Tatkomplexen unterschiedlich praktizierte Vorgehensweise nicht erkennbar.
19
4. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Auch die Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtfreiheitsstrafe durch das Landgericht weist keinen Rechtsfehler auf. Gleichwohl können die verhängten Einzelstrafen keinen Bestand haben, da der seit Erlass des landgerichtlichen Urteils verstrichene Zeitraum eine neue Strafzumessung bedingt.
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a) Seit Verkündung des landgerichtlichen Urteils sind zwischenzeitlich knapp zwei Jahre vergangen. Gut vier Monate und zwei Wochen entfielen dabei auf die Absetzung und Zustellung des Urteils sowie auf die Abfassung der Revi- sionsbegründungen, die Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft und die Antragsschriften des Generalbundesanwalts. Nach Eingang der Antragsschrift des Generalbundesanwalts am 13. August 2009 und der diesbezüglichen Gegenerklärung des Angeklagten vom 17. August 2009 wurde die Entscheidung über die Revision des Angeklagten mit Blick auf das oben genannte Anfrage- und Vorlageverfahren zurückgestellt, das mit dem Anfragebeschluss des Senats nach § 132 Abs. 3 GVG vom 2. September 2009 (1 StR 260/09; NStZ 2009, 703) eingeleitet worden war. Die dortige Rechtsfrage war auch für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren von Bedeutung, weshalb die Zurückstellung der Entscheidung geboten war. Die Durchführung des Anfrage- und Vorlageverfahrens nach § 132 GVG nahm gut ein Jahr und vier Monate in Anspruch. Seit der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen mit Beschluss vom 12. Januar 2011 sind weitere zwei Monate vergangen, innerhalb derer der Beschluss des Großen Senats dem Angeklagten zur Kenntnis gebracht und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben wurde.
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b) Bei dieser Sachlage ist keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gegeben, die in Anwendung der Grundsätze der Vollstreckungslösung durch Bestimmung eines als vollstreckt geltenden Teils der Gesamtfreiheitsstrafe zu kompensieren wäre (vgl. BGH [GS], Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124).
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aa) Die außerhalb des Anfrage- und Vorlageverfahrens verstrichenen Zeiträume resultieren im Wesentlichen aus gesetzlich vorgesehenen Fristen und den Verfahrensabläufen eines Revisionsverfahrens. Sie erweisen sich insoweit nicht als beanstandungswürdig (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2003 - 1 StR 445/03, NStZ 2004, 504, 505).
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bb) Daneben kann die Durchführung eines Vorlageverfahrens zum Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs nach § 132 GVG als solche regelmäßig eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht begründen. Wegen der großen Bedeutung der dem Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vorgelegten Rechtsfragen und ihrer Schwierigkeit erfordert das vorausgehende Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG ebenso wie das Vorlageverfahren selbst eine eingehende und zeitintensive Befassung zunächst sämtlicher Strafsenate des Bundesgerichtshofs und sodann des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2005 - 3 StR 61/02, NStZ-RR 2007 [bei Becker], 293).
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c) Gleichwohl können die - an sich rechtsfehlerfrei bemessenen - Einzelstrafen keinen Bestand haben. Der Umstand, dass nach Erlass des tatrichterlichen Urteils ein nicht unerheblicher Zeitraum verstrichen ist, muss vorliegend zu Gunsten des Angeklagten strafmildernd Berücksichtigung finden, da er dies nicht zu vertreten hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2006 - 3 StR 415/02, NStZ-RR 2006, 187, 188). Das Ausmaß der seit den Taten vergangenen Zeit und die aus der Verfahrensdauer resultierende Belastung für den Angeklagten stellen grundsätzlich bestimmende Strafzumessungsgründe dar. Diese Umstände konnte das Landgericht bei der Bemessung der Strafen nicht berücksichtigen , da sie erst nach Erlass des tatrichterlichen Urteils entstanden sind. Sie sind nunmehr festzustellen und in wertender Betrachtung bei der Straffestsetzung in den Grenzen des gesetzlich eröffneten Strafrahmens bereits bei der Bemessung der Einzelstrafen mildernd zu berücksichtigen (vgl. BGH [GS], Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124 Rn. 55).
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d) Die Feststellung dieser Umstände und deren Bewertung obliegt dem neuen Tatgericht. Eine in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1a StPO erfolgende Herabsetzung der Einzelstrafen durch den Senat scheidet vorliegend aus. Der Senat kann nicht ausschließen, dass in der Zeit nach Erlass des tatgerichtlichen Urteils neue Umstände, die im vorgenannten Sinne für die Bemessung der Strafe bedeutsam sein könnten, eingetreten sind. Insoweit bedarf es eines zutreffend ermittelten, vollständigen und aktuellen Strafzumessungssachverhalts (vgl. BVerfG NJW 2007, 2977, 2980 f.). Mit Blick auf das insoweit zu beachtende Verfahren (vgl. BVerfG aaO) würde eine Herabsetzung der Einzelstrafen durch den Senat im Vergleich zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache keine wesentliche Beschleunigung darstellen.
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5. Die Aufhebung der Einzelstrafen führt zum Wegfall der Gesamtfreiheitsstrafe. Einer Aufhebung der insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedarf es nicht. Diese sind unter Berücksichtigung der nunmehr neu zu treffenden Feststellungen durch das neue Tatgericht, das in Anbetracht der bereits bisher verstrichenen Zeit eine möglichst zeitnahe Entscheidung herbeiführen sollte, nochmals zu werten. Nack Wahl Graf Jäger Sander